Bundessozialgericht Urteil, 21. März 2018 - B 13 R 19/14 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2018:210318UB13R1914R0
21.03.2018

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Erziehung mehrerer Kinder als "generativer Beitrag" der Klägerin zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) vorzumerken ist und ob hierfür zusätzliche Entgeltpunkte festzustellen sind.

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Die 1967 geborene, verheiratete Klägerin ist Mutter von vier in den Jahren 2001, 2002, 2004 und 2009 geborenen Kindern. Sie war bis 15.4.2008 versicherungspflichtig beschäftigt und ist seitdem arbeitslos bzw wegen der Geburt ihres vierten Kindes nicht mehr erwerbstätig. Sie ist bei der Beklagten rentenversichert.

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Im Oktober 2008 beantragte sie bei der Beklagten, ihrem Versicherungskonto - zunächst nur für das Jahr 2007 - zusätzlich zu den bereits vorgemerkten Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung - 1,4733 Entgeltpunkte gutzuschreiben. Zur Begründung bezog sie sich auf das Urteil des BVerfG zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2; im Folgenden: sPV-Urteil). Dieses sei auf die GRV zu übertragen, zu deren Funktionsfähigkeit sie als Mutter einen zusätzlichen generativen Beitrag leiste. Dies lehnte die Beklagte nach Durchführung eines Kontoklärungsverfahrens unter Hinweis darauf ab, dass die Berücksichtigung eines generativen Beitrags im Versicherungskonto gesetzlich nicht vorgesehen sei (Bescheid vom 10.3.2009; Widerspruchsbescheid vom 30.4.2009). Hieran sei sie (die Beklagte) ebenso gebunden wie an die gesetzgeberische Umsetzung des sPV-Urteils im Kinderberücksichtigungsgesetz (KiBG vom 15.12.2004, BGBl I 3448).

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Das SG hat die hiergegen sowie auf die Gutschrift zusätzlicher Entgeltpunkte auch für die Jahre ab 2008 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 14.9.2010). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Über § 70 Abs 2, Abs 3a SGB VI hinaus seien keine Rechtsgrundlagen für die Ermittlung von Entgeltpunkten für Kindererziehungszeiten bzw diesbezüglicher Berücksichtigungszeiten vorhanden. Dies verstoße nicht gegen Art 6 Abs 1 GG, weil dem Gesetzgeber ein Spielraum eingeräumt sei, wie er einen Familienlastenausgleich vornehme. Auf das sPV-Urteil und den dortigen Regelungsauftrag/Normprüfungsauftrag an den Gesetzgeber könne sich die Klägerin nicht berufen. Die Bindungswirkung dieses verfassungsgerichtlichen Urteils erstrecke sich nur auf die sPV. Auf das Recht der GRV sei es nicht übertragbar, weil im Zeitpunkt der Erziehung von Kindern nicht feststünde, dass diese zukünftig Beitragszahler der GRV würden. Im Gegensatz zur sPV sei es überdies im Rentenversicherungsrecht möglich, die Kindererziehung leistungsrechtlich - insbesondere durch die Anerkennung von Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten (§§ 56, 57 SGB VI) - zu honorieren. Das Leistungsrecht der GRV genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die das BVerfG im "Trümmerfrauen"-Urteil (vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86 ua - BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1) aufgestellt habe (Urteil vom 22.3.2013).

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Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie rügt einen Verstoß der - vom LSG angewandten - "gesetzlichen Regelungen zur Berücksichtigung der Kindererziehung im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 70 SGB VI)" gegen Art 6 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 GG. Verfassungsrecht sei verletzt, weil der Gesetzgeber den wesentlich aus dem kinderbedingten Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung durch reduzierte Erwerbstätigkeit und Unterhaltskosten bestehenden konstitutiven generativen Beitrag kindererziehender Versicherter nicht zusätzlich bei der Ermittlung von Entgeltpunkten berücksichtigt habe. Der Gesetzgeber sei zudem vom BVerfG ausdrücklich angewiesen worden, die Bedeutung des sPV-Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen. Die Aussagen des sPV-Urteils seien durchaus auf die GRV zu übertragen: Auch bei der GRV handele es sich um ein umlagefinanziertes System, das der Deckung eines maßgeblich vom Älterwerden der Versicherten bestimmten Risikos diene. Zugleich sei absehbar, dass der generative Beitrag nicht mehr in der Regel von allen Versicherten erbracht werde. Da der Kreis der Versicherten in der GRV größer als in der sPV sei, müsse auch deren Mindestgeschlossenheit angenommen werden. Die durch die Nichtberücksichtigung des generativen Beitrags entstehende Benachteiligung von kindererziehenden Versicherten sei entsprechend der Schlussfolgerung des BVerfG im sPV-Urteil auch innerhalb des Systems der GRV auszugleichen. Dennoch verhinderten die bestehenden "Kinderkomponenten" (insbesondere Kindererziehungszeiten, Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung) lediglich die durch die Kindererziehung bedingte Schlechterstellung von Eltern bei dem Erwerb von Rentenansprüchen, glichen jedoch den generativen Beitrag der Eltern nicht aus, durch den sie unverhältnismäßig viel niedrigere Rentenleistungen als durch Geldbeiträge erzielten. Kindererziehende Versicherte generierten zudem erhebliche "positive externe Effekte" zugunsten Versicherter ohne Kinder. Demgegenüber führe der Familienlastenausgleich nicht zu einem Ausgleich des generativen Beitrages, da die Familien über die Steuern einen Teil der Familienförderung mitbezahlten.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. März 2013 und des Sozialgerichts Mannheim vom 14. September 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihrem Versicherungskonto für das Jahr 2007 zusätzlich 1,4733 Entgeltpunkte und ab dem Jahr 2008 für jedes Jahr auf der Basis des Einkommenssteuerbescheides des Vorjahres zusätzliche Entgeltpunkte gutzuschreiben, die dem Betrag des steuerlichen Existenzminimums der Kinder abzüglich der aus Kindergeld oder Steuerfreibeträgen erstatteten Kosten sowie abzüglich des bereits in der sozialen Pflegeversicherung berücksichtigten Elternbonus für den Zeitraum, in dem Anspruch auf Kindergeld besteht, entsprechen,

        

hilfsweise,

        

das Verfahren nach Art 100 Abs 1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Klägerin ist zulässig aber unbegründet.

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Zu Recht hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen das ihre Klage abweisende Urteil des SG zurückgewiesen, soweit es den Gegenstand dieses Revisionsverfahrens betrifft (hierzu nachfolgend 1.). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide (hierzu 2.). Im Übrigen ist der Senat auch nicht davon überzeugt, dass die Berücksichtigung des Betreuungs- und Erziehungsaufwands von Eltern über die bereits heute bestehenden Ausgleichsmechanismen hinaus durch eine weitergehende Berücksichtigung im Leistungsrecht der GRV von Verfassungs wegen zwingend geboten ist (hierzu 3.). Die in Kombination mit der Anfechtungsklage erhobene Verpflichtungsklage war bereits unzulässig (hierzu 4.).

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1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Berufungsurteil nur noch insoweit, als es die Klage gegen den Bescheid der beklagten Deutschen Rentenversicherung Bund vom 10.3.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.4.2009 und damit leistungsrechtliche Fragen der GRV betrifft. Das Revisionsverfahren über die Klage gegen die AOK Baden-Württemberg wegen der Höhe von Pflegeversicherungsbeiträgen wurde durch Beschluss des 12. Senats vom 14.7.2014 abgetrennt; hierüber hat der 12. Senat gesondert verhandelt und entschieden (BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 13/13 R). Im Hinblick hierauf hat der Senat das Passivrubrum von Amts wegen berichtigt.

12

Das Ziel der Beseitigung der ihren Antrag ablehnenden Bescheide verfolgt die Klägerin zutreffend mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG). Ihr darüber hinausgehendes Begehren (§ 123 SGG)ist - entgegen der von ihr gewählten Antragsformulierung ("verurteilen") - auf die Verpflichtung (zum sozialgerichtlichen Klagesystem und der Möglichkeit einer Umdeutung vgl nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 54 RdNr 1 ff) der Beklagten gerichtet, ihrem Versicherungskonto für die Jahre ab 2007 zusätzliche Entgeltpunkte gutzuschreiben. Dies entspricht der von ihr formulierten Rüge eines Verstoßes insbesondere des § 70 SGB VI gegen Art 6 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 GG. Hiervon umfasst ist zugleich das allgemeinere Begehren, die Beklagte zu verpflichten, nach der abgeschlossenen Kontenklärung im Rahmen des Vormerkungsverfahrens (§ 149 Abs 5 SGB VI, hier anzuwenden in der Neufassung vom 19.2.2002, BGBl I 754) zusätzlich zu Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI) und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§ 57 SGB VI) den darüber hinaus gehenden Wert eines durch Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung zu Gunsten der Kindererziehung erbrachten "generativen Beitrags" als Tatbestand einer rentenversicherungsrechtlich relevanten Vorleistung festzustellen.

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2. Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Sie beschweren die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs 2 SGG. Vielmehr musste die Beklagte den Antrag der Klägerin ablehnen, ihrem Versicherungskonto weitere Entgeltpunkte gutzuschreiben (hierzu a). Die ihr im Hinblick auf die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten gesetzten Grenzen hat die Beklagte hierbei eingehalten (hierzu b). Auch dem allgemeineren Begehren auf Vormerkung eines generativen Beitrages als zusätzliche rentenversicherungsrechtliche Vorleistung hat die Beklagte zu Recht nicht entsprochen (hierzu c).

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a) Den Antrag der Klägerin, ihrem Rentenkonto für das Jahr 2007 weitere 1,4733 Entgeltpunkte gutzuschreiben, hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden zu Recht abgelehnt. Ein solches auf die Feststellung einer bestimmten Bewertung rentenversicherungsrechtlich (vermeintlich) relevanter Tatsachen gerichtetes Verlangen ist erst im Zusammenhang mit der - von der Klägerin nicht begehrten - Feststellung einer Leistung zulässig.

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Als Grundlage einer verbindlichen Feststellung rentenversicherungsrechtlich relevanter Tatsachen kommt im Falle der bei Antragstellung im Oktober 2008 41jährigen, bis zur Entscheidung des LSG keine Rente begehrenden Klägerin nur § 149 Abs 5 S 1 SGB VI in Betracht. Danach stellt der Rentenversicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest (sog Vormerkungsbescheid). Der Rentenversicherungsträger ist befugt, aber nicht verpflichtet, auf Antrag auch solche geklärten Daten durch Bescheid festzustellen, die noch keine sechs Jahre zurückliegen. Entscheidet er - wie von der Klägerin beantragt -auch über Tatbestände, die noch keine sechs Jahre zurückliegen, muss er einen inhaltlich zutreffenden Vormerkungsbescheid erlassen (vgl BSG Urteil vom 24.10.2013 - B 13 R 1/13 R - SozR 4-2600 § 57 Nr 1 RdNr 12 mwN).

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Der Umfang zulässiger Feststellungen im Vormerkungsbescheid ist jedoch beschränkt. Denn nach § 149 Abs 5 S 3 SGB VI wird über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten erst bei Feststellung einer Leistung entschieden. Nach der Rechtsprechung des BSG ist der Rentenversicherungsträger hiernach nicht verpflichtet, aber auch nicht berechtigt, gleichwohl eine solche Entscheidung zu treffen. Hierdurch soll vermieden werden, bereits Anrechnungs- und Bewertungselemente für eine nur möglicherweise später einmal zu gewährende Leistung festzulegen. Dem Gebot der tatbestandsmäßigen Feststellung einer Beitrags-, Versicherungs-, Ersatz- oder Ausfallzeit steht in § 149 Abs 5 SGB VI das Verbot gegenüber, auch schon einen Teil der Rentenberechnung vor(weg)zunehmen und eine gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen, die erst nach einem Leistungsfeststellungsverfahren stattfinden soll, zumal dann uU andere gesetzliche Bestimmungen über die Berechnung und Bewertung gelten können(vgl zur inhaltsgleichen Regelung des § 104 Abs 3 S 2 AVG BSG Urteil vom 21.3.1991 - 4/1 RA 35/90 - SozR 3-2200 § 1325 Nr 3 - Juris RdNr 15; BSG Urteil vom 30.3.2004 - B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1 - Juris RdNr 16).

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Soweit sich die Klägerin in ihrem Antrag vom Oktober 2008 auf eine ihr zuvor erteilte Renteninformation vom 25.9.2008 bezieht, enthält diese zwar eine Übersicht über die Höhe der Beiträge, die für Beitragszeiten vom Versicherten, dem Arbeitgeber oder von öffentlichen Kassen gezahlt worden sind (§ 109 Abs 3 Nr 5 SGB VI) und in diesem Zusammenhang auch Angaben zur Gesamtzahl der bisher erworbenen Entgeltpunkte. Diese Informationen werden durch das Gesetz jedoch ausdrücklich als unverbindlich qualifiziert. Sie sind nach § 109 Abs 2 SGB VI mit dem Hinweis zu versehen, dass sie auf der Grundlage des geltenden Rechts und der im Versicherungskonto gespeicherten rentenrechtlichen Zeiten erstellt sind und damit unter dem Vorbehalt künftiger Rechtsänderungen sowie der Richtigkeit und Vollständigkeit der im Versicherungskonto gespeicherten rentenrechtlichen Zeiten stehen(vgl BVerfG Beschluss vom 27.2.2007 - 1 BvL 10/00 - BVerfGE 117, 272, 283 f; BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 13 R 77/07 R - Juris RdNr 25). Mangels verbindlicher Regelung und hiermit potentiell verbundener Beschwer können Renteninformationen gerichtlich weder angefochten noch kann die Mitteilung oder gar Feststellung einer bestimmten Summe an Entgeltpunkten verlangt werden (zu den regelmäßig erst ab Vollendung des 55. Lebensjahrs zu erteilenden Rentenauskünften vgl BSG Urteil vom 30.8.2001 - B 4 RA 114/00 R - SozR 3-2600 § 149 Nr 6 - Juris RdNr 31 ff).

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b) Die Anfechtungsklage ist auch nicht etwa deshalb begründet, weil sich die Beklagte nicht an die ihr durch § 149 Abs 5 S 3 SGG gesetzten Grenzen ihrer Entscheidungsbefugnis gehalten hätte.

19

Soweit der Bescheid vom 10.3.2009 aus Empfängersicht Anlass zu diesbezüglichen Zweifeln geben könnte, weil er vor dem Hintergrund des auf die Berücksichtigung weiterer Entgeltpunkte wegen Kindererziehung gerichteten Antrags der Klägerin auch Erläuterungen zu dem nach § 56 SGB VI vorgesehenen Umfang von Kindererziehungszeiten und deren Bewertung nach § 70 Abs 2 SGB VI enthält, werden diese durch den Widerspruchsbescheid vom 30.4.2009 ausgeräumt. Hierin bezieht sich die Beklagte konkret auf das im Widerspruch auch allgemeiner formulierte Begehren der Klägerin, nämlich der "Berücksichtigung eines generativen Beitrags in Ihrem Versicherungskonto zusätzlich zu den bereits vorgemerkten Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung". Zugleich macht sie deutlich, dass sie wegen der Gesetzesbindung (Art 20 Abs 3 GG) an das von der Klägerin als verfassungswidrig eingestufte Recht gebunden sei und die einzige in Bezug auf das sPV-Urteil für die Klägerin in Betracht kommende Vergünstigung eines verminderten Beitrags zur sPV nicht anzuwenden sei, da die Klägerin noch keine Rentenleistung erhalte. Formulierungen, die auf eine über die bloße Ablehnung des Antrags der Klägerin hinausgehende Entscheidung der Beklagten auch über Fragen der Anrechnung oder Bewertung von rentenversicherungsrechtlichen Tatbeständen hindeuten, finden sich hier nicht mehr.

20

c) Auch dem allgemeineren Begehren auf Vormerkung eines "generativen Beitrages" als zusätzliche rentenversicherungsrechtliche Vorleistung hat die Beklagte zu Recht nicht entsprochen.

21

Ein solcher Vorleistungstatbestand ist - wovon auch die Klägerin ausgeht - weder nach dem bei Erlass der angefochtenen Bescheide noch nach dem zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz im Wesentlichen unverändert geltenden Recht (zu dessen Maßgeblichkeit für die Entscheidung des Senats vgl BSG Urteil vom 16.6.2015 - B 13 R 24/14 R - SozR 4-2600 § 134 Nr 3 RdNr 15 mwN) vorgesehen. So sind nach § 149 Abs 1 S 2 SGB VI in dem Versicherungskonto die Daten zu speichern, die für die Durchführung der Versicherung sowie die Feststellung und Erbringung von Leistungen einschließlich der Rentenauskunft erforderlich sind, also insbesondere die Sozialdaten, die für die Feststellung der Höhe einer Rentenanwartschaft erheblich sind(§ 149 Abs 3 Halbs 2 SGB VI). Nach § 56 Abs 1 S 1 SGB VI sind Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Gemäß § 57 S 1 SGB VI(in der Neufassung vom 19.2.2002, BGBl I 754) ist die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen. Nach § 55 Abs 1 SGB VI(in der Neufassung vom 19.2.2002, BGBl I 754) sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind sowie Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Hierzu gehören auch Kindererziehungszeiten (Flecks in jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 55 RdNr 26). Weitere vormerkungsfähige Tatbestände zur Berücksichtigung der Kindererziehung durch Eltern sieht das geltende Rentenrecht nicht vor.

22

Feststellungsfähig sind im Rahmen des Vormerkungsverfahrens jedoch schon dem Grunde nach nur solche Tatbestände, die nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Feststellung möglicherweise in einem künftigen Leistungsfall rentenversicherungsrechtlich bedeutsam werden können und sollen (vgl BSG Urteil vom 23.8.2005 - B 4 RA 21/04 R - SGb 2006, 429 - Juris RdNr 40). Dies gründet in Sinn und Zweck eines Vormerkungsbescheids. Dieser besteht darin, bereits im Vorfeld eines Leistungsfeststellungsverfahrens für den Fall einer zukünftigen Rentengewährung verbindlich Klarheit über das Vorliegen oder das Nichtvorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von rentenrechtlich relevanten Zeiten zu schaffen (stRspr, zuletzt BSG Urteil vom 24.4.2014 - B 13 R 3/13 R - SozR 4-1300 § 44 Nr 30 RdNr 17). Im Interesse der Versicherten wird hierdurch Klarheit über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von Zeiten rentenversicherungsrechtlicher Relevanz nach dem aktuellen Rechtsstand geschaffen. Verbindlich festgestellt wird im Vormerkungsbescheid sowohl der Rechtscharakter der rentenrechtlichen Zeit als auch deren zeitlicher Umfang und damit, ob ein behaupteter Vorleistungstatbestand nach seinen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen nach dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Vormerkungsbescheides geltenden materiellen Recht erfüllt ist, sodass die Möglichkeit besteht, dass er rentenrechtlich relevant werden kann (stRspr, vgl nur BSG Urteil vom 30.3.2004 - B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1 - Juris RdNr 16 mwN). Schon wegen der unüberschaubaren Vielfalt möglicher Lebensläufe ist diese "Beweissicherung" (vgl BSG Urteil vom 23.8.2005 - B 4 RA 21/04 R - SGb 2006, 429 - Juris RdNr 40) auf diejenigen Tatbestände zu beschränken, die bereits nach geltendem Recht rentenrechtlich relevant werden können. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf die Feststellung von Tatbeständen, die erst aufgrund völlig ungewisser Beschlüsse des parlamentarischen Gesetzgebers in der Zukunft vielleicht einmal relevant werden könnten, besteht daher von vornherein nicht.

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3. Im Übrigen ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Berücksichtigung des Betreuungs- und Erziehungsaufwands von Eltern (zu dessen Bedeutung für die GRV b) über die bereits heute rentenleistungsrechtlich (hierzu a) bestehenden Ausgleichsmechanismen hinaus durch eine weitergehende Berücksichtigung im Leistungsrecht der GRV (hierzu c) von Verfassungs wegen zwingend geboten ist (zum Beitragsrecht vgl die Urteile des 12. Senats des BSG vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R - SozR 4-2600 § 157 Nr 1, vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77 und vom 20.7.2017 - B 12 KR 14/15 R - SozR 4-1100 Art 3 Nr 84, auch für BSGE vorgesehen). Eine Aussetzung des Verfahrens nach Art 100 Abs 1 S 1 Alt 2 GG und Vorlage an das BVerfG kommt nicht im Betracht. Hierbei hat der Senat neben den mit der Revisionsbegründung übersandten umfangreichen Unterlagen auch die zum Urteil des 12. Senats vom 30.9.2015 ( B 12 KR 15/12 R - aaO) veröffentlichte sozialrechtliche Literatur (vgl ua Blüggel, jurisPR-SozR 11/2016 Anm 2; Lenze, NVwZ 2015, 1658; Lenze, SGb 2017, 130; Ruland, NZS 2016, 361; Seiler, NZS 2016, 641; Wenner, SozSich 2015, 344) in den Blick genommen.

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a) Die Leistungsansprüche der Versicherten in der GRV richten sich, soweit es Renten betrifft, vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen. Diese werden - bezogen auf einzelne Kalenderjahre - in Entgeltpunkte umgerechnet. Weitere Entgeltpunkte werden für beitragsfreie Zeiten angerechnet (§ 63 Abs 1 bis Abs 3 SGB VI). Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert bei Rentenbeginn vervielfältigt werden (§ 64 SGB VI).

25

Kindererziehungszeiten, also Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren (§ 56 Abs 1 S 1 SGB VI; zur Verlängerung dieses Zeitraums bei Konkurrenz mehrerer auf denselben Zeitraum entfallender Kindererziehungszeiten s § 56 Abs 5 S 2 SGB VI; zu Kindererziehungszeiten für ein vor dem 1.1.1992 geborenes Kind sowie wegen Kindererziehung im Beitrittsgebiet s §§ 249, 249a SGB VI) wirken in diesem Rahmen unmittelbar leistungssteigernd, indem sie für jeden Kalendermonat mit 0,0833 Entgeltpunkten bewertet werden oder die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, wenn auch höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen jährlichen Höchstwerte an Entgeltpunkten nach Anlage 2b zum SGB VI (§ 70 Abs 2 SGB VI; zur Vereinbarkeit der materiell-rechtlichen Begrenzung auf die Beitragsbemessungsgrenze mit dem GG vgl BSG Urteil vom 12.12.2006 - B 13 RJ 22/05 R - SozR 4-2600 § 70 Nr 2 mwN). Sofern diese Begrenzung nicht greift, führt dies bezogen auf das jeweilige Kalenderjahr zu einer Bewertung mit nahezu einem Entgeltpunkt (0,9996 Entgeltpunkte statt 1,000 Entgeltpunkte), also fast dem Durchschnittsentgelt aller Versicherten der allgemeinen Rentenversicherung in diesem Jahr (vgl Anlage 1 zum SGB VI). Soweit Kindererziehungszeiten mit Anrechnungszeiten wegen Schwangerschaft (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI) zusammentreffen, kann diese beitragsgeminderte Zeit nach § 71 Abs 2 SGB VI uU sogar höher bewertet werden(vgl Heidemann in jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 70 RdNr 99). Dabei eröffnet das den Eltern durch § 56 Abs 2 SGB VI eingeräumte Gestaltungsrecht bei der Zuordnung der Kindererziehungszeiten die Möglichkeit, Leistungsansprüche in der GRV zu maximieren oder auch überhaupt erst zu begründen.

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Zusätzliche Entgeltpunkte können zudem unter den Voraussetzungen des § 70 Abs 3a SGB VI erworben oder gutgeschrieben werden für Kalendermonate, in denen Kinderberücksichtigungszeiten nach § 57 SGB VI - also Zeiten der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen - mit Pflichtbeiträgen, Berücksichtigungszeiten wegen der Erziehung weiterer Kinder oder Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes zusammenfallen. Hierdurch soll insbesondere für Frauen ein Nachteilsausgleich dafür geschaffen werden, dass sie während der Kindererziehungsphase durch Erwerbstätigkeit in der Regel ein geringeres Arbeitsentgelt (zB durch Teilzeitarbeit) erzielen und damit Einbußen in ihrer Versicherungsbiographie erleiden. Zugleich wird aber auch ein Nachteilsausgleich für Erziehungspersonen bezweckt, die gleichzeitig mehrere Kinder erziehen und deshalb regelmäßig nicht einmal in Teilzeit erwerbstätig sind (Entwurf der Bundesregierung eines Altersvermögensgesetzes, BR-Drucks 764/00 S 111f zu Art 1 Nr 20 <§ 70> des Entwurfs). Im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung findet ein zusätzlicher Nachteilsausgleich statt, indem Kinderberücksichtigungszeiten für diesen Zweck mit dem Wert von Kindererziehungszeiten berücksichtigt werden (§ 71 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB VI).

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Darüber hinaus enthält das Leistungsrecht der GRV weitere Regelungen zur Berücksichtigung der Kindererziehung, wie Anrechnungszeiten für Schwangerschaft oder Mutterschaft (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI), Zuschlag für Zeiten der Kindererziehung bei Witwen- und Witwerrenten (§ 78a SGB VI), Kinderzuschuss (§ 270 SGB VI - gültig bis 16.11.2016), große Witwen- oder Witwerrente bei Kindererziehung (§ 46 Abs 2 S 1 Nr 1 und § 243 Abs 2 und Abs 3 SGB VI) und Erziehungsrente (§§ 47, 243a SGB VI; vgl ausführlich Buntenbach, Leistungen der Rentenversicherung für Kindererziehung, DRV-Schriften, Band 108, S 19).

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b) Dem Senat ist bewusst, dass Versicherte mit Kindern im Vergleich zu Versicherten ohne Kinder im Allgemeinen in besonderem Maße zur Leistungsfähigkeit des Systems der GRV und dessen Nachhaltigkeit beitragen. Wie der 12. Senat bereits in seinem Urteil vom 20.7.2017 (B 12 KR 14/15 R - SozR 4-1100 Art 3 Nr 84 RdNr 35) betont hat, funktioniert das umlagefinanzierte System der GRV dauerhaft nur dann, wenn es stets genügend leistungsfähige Beitragszahler gibt, die für die Renten der jeweiligen Rentnergeneration aufkommen können. Dies setzt voraus, dass es auch in Zukunft hinreichend viele Erwerbstätige und die Möglichkeit zu produktivem Erwerbsverhalten gibt. Versicherte mit Kindern leisten insoweit bei typisierender Betrachtung im Allgemeinen mehr für die Nachhaltigkeit des Systems als Versicherte ohne Kinder, denn Versicherte mit Kindern und Versicherte ohne Kinder finanzieren durch ihre monetären Beiträge zwar die aktuellen Renten mit. Versicherte mit Kindern sorgen aber - auch durch Inkaufnahme von Einschränkungen persönlicher und finanzieller Art - in besonderer Weise dafür, dass es auch künftig Beitragszahler gibt, die künftige Renten finanzieren können.

29

c) Dennoch hat die Klägerin keinen aus dem GG ableitbaren Anspruch auf einen weitergehenden leistungsrechtlichen Ausgleich der ihr in Verbindung mit der Kinderbetreuung und -erziehung im Vergleich zu Kinderlosen entstandenen finanziellen und persönlichen Nachteile. Eine verfassungsrechtliche Prüfung hat nicht ausschließlich anhand der Maßstäbe des sPV-Urteils des BVerfG zu erfolgen (hierzu aa). Vielmehr ist die Frage einer - nach Auffassung der Klägerin - nicht ausreichenden Berücksichtigung ihres Erziehungs- und Betreuungsaufwands durch die oben unter a) dargestellten Normen unter Beachtung der Ausführungen des BVerfG im sPV-Urteil in erster Linie anhand der Rechtsprechung des BVerfG zum allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG - hierzu bb) iVm dem Familienförderungsgebot des Art 6 GG (Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG - hierzu cc) zu prüfen. Der Senat schließt sich damit für das Leistungsrecht der GRV den Ausführungen des 12. Senats zum Beitragsrecht (BSG Urteil vom 20.7.2017 - B 12 KR 14/15 R - SozR 4-1100 Art 3 Nr 84 RdNr 37 ff) nach eigener Prüfung im Ergebnis sinngemäß an.

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aa) Das sPV-Urteil des BVerfG ist auf das Leistungsrecht der GRV nicht wegen der den Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG zukommenden Gesetzeskraft und der ihnen nach § 31 Abs 1 BVerfGG zukommenden Bindungswirkung "zu übertragen". Dies gilt bereits deshalb, weil das sPV-Urteil ausweislich des Tenors nur zur Pflegeversicherung und deren beitragsrechtlichen Normen ergangen ist (vgl im Einzelnen BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 33). Mit seinem Urteil vom 3.4.2001 zur Frage der beitragsrechtlichen Berücksichtigung des Aufwandes für Kinder in der sozialen Pflegeversicherung ( sPV-Urteil, aaO) hat das BVerfG keineswegs dem Gesetzgeber das rentenrechtliche Konzept eines Ausgleichs dieses Aufwandes allein auf der Leistungsseite aufgegeben (vgl schon BSG Urteil vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R - SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 50). Darüber hinaus entspricht die GRV in ihren wesentlichen Strukturprinzipien nicht den Anforderungen, die das BVerfG im sPV-Urteil für ein verfassungsrechtliches Gebot der beitragsrechtlichen Differenzierung zwischen Versicherten mit und solchen ohne Kinder aufgestellt hat (hierzu sogleich bb). Auch dies steht deren Übertragung auf das Leistungsrecht der GRV entgegen.

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bb) Die Berücksichtigung des Erziehungs- und Betreuungsaufwands von Eltern durch die oben unter a) dargestellten Normen des Leistungsrechts der GRV genügt den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes.

32

Art 3 Abs 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art 3 Abs 3 GG annähern. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl insgesamt zB BVerfG Beschluss vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - BVerfGE 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 40, 42; BVerfG Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136 RdNr 121 f, jeweils mwN zur stRspr des BVerfG).

33

Vorliegend geht es um die Frage, ob der Gesetzgeber einen (noch) ausreichenden Ausgleich geschaffen hat für die Nachteile, die sich im Leistungsrecht der GRV mit Rücksicht auf eine regelmäßig verminderte Erwerbstätigkeit von Versicherten während der Erziehung und Betreuung von Kindern gegenüber Versicherten ohne Kinder ergeben, sowie für den besonderen Beitrag, den Versicherte mit Kindern für die Nachhaltigkeit des Systems der GRV erbringen, oder ob er diese Gruppen ohne hinreichende sachliche Gründe im Wesentlichen gleich behandelt und dadurch Versicherte mit Kindern in einer die durch Art 3 Abs 1 GG gesetzten Grenzen überschreitenden Weise benachteiligt. Dabei legt der Senat einen am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierten Prüfungsmaßstab zugrunde. Denn die ua für Beschäftigte, zu denen auch die Klägerin bis April 2008 gehörte, gesetzlich angeordnete Versicherungs- und Beitragspflicht in der GRV greift in deren durch Art 2 Abs 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit ein (vgl BVerfG Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 18 = Juris RdNr 49, mwN).

34

Selbst unter Zugrundelegung eines solchen strengen Prüfungsmaßstabs ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Gesetzgeber die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf die Berücksichtigung der Kindererziehung und Betreuung nicht eingehalten hätte. Vor allem durch die Gewährung von Leistungen in der GRV selbst gewährleistet er eine verfassungsgemäße Behandlung auch der Versicherten mit Kindern. So wird bereits durch die oben unter a) angeführten kinderbezogenen rentenrechtlichen Zeiten und deren Bewertung ein erheblicher systemimmanenter Ausgleich für die mit der Kindererziehung und -betreuung verbunden Nachteile gewährt.

35

Dem vom BVerfG im sPV-Urteil ( vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 - Juris RdNr 69) postulierten Prüfauftrag bezüglich anderer Zweige der Sozialversicherung ist die Bundesregierung nachgekommen. Sie hat im November 2002 in Gestalt des damaligen Ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung die Kommission "Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme" eingerichtet. Diese hat sich ua mit der Bedeutung des sPV-Urteils für die GRV befasst. In Auswertung des auch von der Klägerin zitierten Berichts dieser Kommission kommt die Bundesregierung zu dem Ergebnis, dass der vom Gesetzgeber beschrittene weg, Kindererziehung auf der Leistungsseite zu honorieren, sachgerecht sei (BT-Drucks 15/4375 S 4 ff, insbesondere S 7).

36

Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Möglichkeiten des Gesetzgebers auch mit Rücksicht auf das sPV-Urteil keineswegs allein auf einen solchen systemimmanenten Nachteilsausgleich beschränkt (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 49, 60). Vielmehr sind auch ausgleichende und fördernde Regelungen in anderen Zweigen der Sozialversicherung, in weiteren Bereichen des Sozialrechts sowie in sonstigen Rechtsgebieten wie etwa dem Steuerrecht oder in Form kostenloser Schul-, Fachschul- und Hochschulausbildung sowie durch öffentliche Mittel zumindest subventionierter Kinderbetreuung in Krippen, Kindergärten und Horten, in den Blick zu nehmen. Solche Regelungen sind zB die Gewährung von Versicherungspflichtzeiten im Arbeitsförderungsrecht für die Zeit der Kindererziehung (§ 26 Abs 2a SGB III), die Gewährung von Elterngeld und zuvor Erziehungsgeld (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, zuvor Bundeserziehungsgeldgesetz), von Ausbildungsförderung (Bundesausbildungsförderungsgesetz) oder die Gewährung von Kindergeld (Bundeskindergeldgesetz) oder Kinderfreibeträgen im Steuerrecht (Einkommensteuergesetz). Deren ausgleichende Funktion wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass Versicherte mit Kindern mit ihren Steuern und Beiträgen ihrerseits in erheblichem Umfang selbst zur Finanzierung von familienfördernden Leistungen beitragen. Dass Versicherte mit Kindern durch familienfördernde Leistungen durch den Gesetzgeber "auf Euro und Cent" so gestellt werden müssten, als hätten sie keine Kinder, ist Wortlaut, Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften des GG (hier insbesondere Art 3 Abs 1 und 3 GG) ebenso wenig zu entnehmen, wie der Rechtsprechung des BVerfG hierzu (im Einzelnen vgl BSG Urteil vom 20.7.2017 - B 12 KR 14/15 R - SozR 4-1100 Art 3 Nr 84 RdNr 47 ff).

37

Soweit demgegenüber angenommen wird, das BVerfG habe in seinem sPV-Urteil bezüglich des Nachteilsausgleichs auch in Bezug auf die GRV einen "qualitativen Sprung" (so Lenze, NZS 2007, 407 und SGb 2017, 130, 133) im Vergleich zu den Ausführungen im Trümmerfrauenurteil (BVerfG Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86 - BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1) gemacht, teilt der Senat diese Ansicht ebenso wenig wie der 12. Senat (vgl BSG Urteil vom 20.7.2017 - B 12 KR 14/15 R - SozR 4-1100 Art 3 Nr 84 RdNr 53 mwN). Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern bedarfsbezogen. Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Hiervon unterscheidet sich das Leistungsrecht in der GRV strukturell, weil danach Rentenleistungen sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme als auch ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkret versicherten Arbeitsentgelte abhängig sind (vgl § 63 SGB VI).

38

cc) Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Leistungsrechts der GRV stehen - ebenso wenig wie die des Beitragsrechts (vgl BSG Urteil vom 20.7.2017 - B 12 KR 14/15 R - SozR 4-1100 Art 3 Nr 84 RdNr 55 f mwN) - auch nicht im Widerspruch zu Art 6 Abs 1 GG iVm Art 3 GG. Denn der besondere Schutz der Familie, zu dem Art 6 Abs 1 GG den Staat verpflichtet, hält den Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich an, jede zusätzliche finanzielle Belastung der Familie zu vermeiden. Der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip ist zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich zu entnehmen. Dennoch verpflichtet Art 6 Abs 1 GG den Gesetzgeber weder, jegliche die Familie betreffende Belastung auszugleichen oder jeden Unterhaltspflichtigen zu entlasten, noch zwingt er ihn dazu, Familien - ohne Ausgleich mit anderen Gemeinwohlbelangen sowie ohne Beachtung der Funktionsfähigkeit und des Gleichgewichts des Ganzen - zu fördern (so bereits unter Berücksichtigung des sPV-Urteils BSG Urteil vom 12.12.2006 - B 13 RJ 22/05 R - SozR 4-2600 § 70 Nr 2 Juris RdNr 31 mwN). Insbesondere ist Art 6 Abs 1 GG aber keine Entscheidung darüber zu entnehmen, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Aus dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen, lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 35 mwN, insbesondere zur Rspr des BVerfG).

39

4. Die in Kombination mit der Anfechtungsklage erhobene Verpflichtungsklage, mit der die Klägerin ihr Begehren verfolgt, ihrem Versicherungskonto ab dem Jahr 2007 zusätzliche Entgeltpunkte gutzuschreiben bzw den von ihr erbrachten "generativen Beitrag" als Tatbestand einer rentenversicherungsrechtlich relevanten Vorleistung festzustellen, war bereits unzulässig. Daher ist die Revision insoweit ebenfalls unbegründet.

40

Für das erstmals mit der Klageschrift geltend gemachte Verlangen, eine solche Gutschrift bzw Feststellung auch für die Jahre ab 2008 vorzunehmen, fehlte schon die notwendige Vorbefassung der Beklagten (hierzu a). Im Übrigen fehlte auch die notwendige Klagebefugnis oder ein Feststellungsinteresse für eine solche Klage (hierzu b).

41

a) Das Begehren der Klägerin, die Beklagte zu einer Gutschrift weiterer Entgeltpunkte bzw zur Feststellung eines "generativen Beitrags" als weiterem Vorleistungstatbestand zu verpflichten, war für die Jahre ab 2008 bereits deshalb unzulässig, weil es insoweit an der notwendigen Vorbefassung der Beklagten fehlte. Die hiermit erhobene Verpflichtungsklage - hier in der Form der Vornahmeklage - setzt das Vorliegen eines im Vorverfahren angegriffenen und überprüften Verwaltungsakts voraus (§§ 54 Abs 1, 78 Abs 1 S 1 und Abs 3 SGG; vgl BSG Urteil vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - Juris RdNr 36; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 54 RdNr 6a, 20, 21). Hieran fehlt es, denn die Klägerin hat im Oktober 2008 gegenüber der Beklagten ausdrücklich die Gutschrift weiterer Entgeltpunkte zunächst nur für das Jahr 2007 beantragt. Nur hierüber hat die Beklagte im angefochtenen Verwaltungsakt entschieden. Erst in ihrer Klageschrift hat die Klägerin ihr Begehren auf die Jahre ab 2008 erweitert, ohne die Beklagte zuvor mit diesem Anliegen zu befassen.

42

b) Für die Zulässigkeit einer Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsklage zur Durchsetzung ihrer Begehren fehlte der Klägerin auch die notwendige Klagebefugnis oder ein Feststellungsinteresse.

43

Wie bereits oben (unter 2.) ausgeführt, ist die Beklagte weder befugt noch verpflichtet, über die Feststellung oder gar Anrechnung und Bewertung der streitigen Zeit schon jetzt - vor der Feststellung einer Leistung - überhaupt zu entscheiden. Dann kann aber erst recht nicht verlangt werden, dass ein neuer Bescheid mit der Feststellung gesetzlich nicht vorgesehener Vorleistungstatbestände oder einer bestimmten Bewertung zu erlassen sei; Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsklagen mit diesem Ziel sind unzulässig (vgl BSG Urteil vom 30.8.2001 - B 4 RA 114/00 R - SozR 3-2600 § 149 Nr 6 LS 2 und Juris RdNr 29 ff mwN; BSG Urteil vom 21.3.1991 - 4/1 RA 35/90 - SozR 3-2200 § 1325 RVO Nr 3 S 6 f - Juris RdNr 18 ff). Es fehlt insbesondere die Klagebefugnis für eine Verpflichtungs- oder Leistungsklage (vgl hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 54 RdNr 22, 39), da der Klägerin das geltend gemachte Recht zum gegenwärtigen Zeitpunkt unter keinem Gesichtspunkt zustehen kann. Popularklagen zur Verfolgung politischer - auch sozial- und familienpolitischer - Zwecke sind jedoch unzulässig (vgl BSG Urteil vom 27.1.1977 - 7 RAr 17/76 - BSGE 43, 134, 141 = SozR 4100 § 34 Nr 6 - Juris RdNr 37).

44

Auch eine Feststellungsklage, in die der geltend gemachte Anspruch ggf umgedeutet werden könnte, wäre nicht zulässig. Es kann nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein, wofür aufgrund einer materiell-rechtlichen Sondervorschrift (§ 149 Abs 5 S 3 SGB VI) die Verpflichtungsklage ausgeschlossen ist. Im Übrigen müsste eine Feststellungsklage auch scheitern, weil es am berechtigten Interesse an der baldigen Feststellung im Sinne von § 55 Abs 1 SGG fehlt. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass sich der prozessuale Anspruch auf die Höhe einer später nur möglicherweise zu gewährenden Leistung bezieht und dann mit der Leistungsklage geltend gemacht werden kann (zum inhaltsgleichen § 104 Abs 3 S 2 AVG vgl BSG Urteil vom 21.3.1991 - 4/1 RA 35/90 - SozR 3-2200 § 1325 RVO Nr 3 S 7 - Juris RdNr 19; vgl auch BSG Urteil vom 30.8.2001 - B 4 RA 114/00 R - SozR 3-2600 § 149 Nr 6 - Juris RdNr 41).

45

Der verfassungsrechtliche Aspekt, um den es hier im Kern geht - nämlich ausdrücklich die Überprüfung des § 70 Abs 2, Abs 3a SGB VI sowie inzident weiterer Regelungen des Leistungsrechts der GRV - bestätigt dies. Das BVerfG hat zu Verfassungsbeschwerden gegen ein gerichtliches Urteil ausgeführt, dass zwar der Beschwerdeführer durch ein Urteil in der Regel beschwert sei, dies jedoch bei gerichtlicher Überprüfung eines Verwaltungsaktes anders sein könne, dessen Erlass der Beschwerdeführer provoziert habe, um im Gerichtszug im Wege der Inzidentkontrolle eine Norm auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen und so die Möglichkeiten zu erweitern, durch die eine verfassungsgerichtliche Normprüfung im Wege der Verfassungsbeschwerde erreicht werden könne (BVerfG Beschluss vom 12.2.1986 - 1 BvR 1578/82 - SozR 2200 § 1248 Nr 45 unter Hinweis auf BVerfG Beschluss vom 18.5.1982 - 1 BvR 602/78 - BVerfGE 60, 360, 369 f). Dies sei aber, ebenso wie bei der unmittelbar gegen gesetzliche Vorschriften gerichteten Verfassungsbeschwerde, nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer durch die Norm selbst unmittelbar und gegenwärtig betroffen werde. Gleiches muss hier für die Zulässigkeit der Feststellungsklage gelten, wo die Aussetzung des Verfahrens nach Art 100 GG in Frage stünde. Denn auch insoweit muss es bei der konkreten Entscheidung auf die Gültigkeit der Norm ankommen. Dies ist nicht der Fall, wenn - wie hier - die Klägerin im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht von der für grundgesetzwidrig gehaltenen Norm betroffen wird und zweifelhaft ist, ob sie je betroffen sein wird (vgl BSG Urteil vom 21.3.1991 - 4/1 RA 35/90 - SozR 3-2200 § 1325 RVO Nr 3 S 7 - Juris RdNr 20).

46

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 46 Witwenrente und Witwerrente


(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 58 Anrechnungszeiten


(1) Anrechnungszeiten sind Zeiten, in denen Versicherte1.wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sind oder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten haben,1a.nach dem vollendeten 17. und vor dem vollendeten

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 56 Kindererziehungszeiten


(1) Kindererziehungszeiten sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für einen Elternteil (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 Erstes Buch) wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn 1. die Erziehung

Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594) - SGB 3 | § 26 Sonstige Versicherungspflichtige


(1) Versicherungspflichtig sind 1. Jugendliche, die in Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation nach § 51 des Neunten Buches Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten, die ihnen eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermögl

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 149 Versicherungskonto


(1) Der Träger der Rentenversicherung führt für jeden Versicherten ein Versicherungskonto, das nach der Versicherungsnummer geordnet ist. In dem Versicherungskonto sind die Daten, die für die Durchführung der Versicherung sowie die Feststellung und E

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 63 Grundsätze


(1) Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen. (2) Das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 64 Rentenformel für Monatsbetrag der Rente


Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, wenn 1. die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte,2. der Rentenartfaktor und3. der aktuelle Rentenwertmit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 70 Entgeltpunkte für Beitragszeiten


(1) Für Beitragszeiten werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für dasselbe Kalenderjahr geteilt wird. Für das Kalenderjahr des Rentenbeginns und für das davor liegende Kalenderj

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 55 Beitragszeiten


(1) Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt g

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 249 Beitragszeiten wegen Kindererziehung


(1) Die Kindererziehungszeit für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind endet 30 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt. (2) Bei der Anrechnung einer Kindererziehungszeit steht der Erziehung im Inland die Erziehung im jeweiligen Gelt

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 71 Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten (Gesamtleistungsbewertung)


(1) Beitragsfreie Zeiten erhalten den Durchschnittswert an Entgeltpunkten, der sich aus der Gesamtleistung an Beiträgen im belegungsfähigen Zeitraum ergibt. Dabei erhalten sie den höheren Durchschnittswert aus der Grundbewertung aus allen Beiträgen o

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 109 Renteninformation und Rentenauskunft


(1) Versicherte, die das 27. Lebensjahr vollendet haben, erhalten jährlich eine schriftliche oder elektronische Renteninformation. Nach Vollendung des 55. Lebensjahres wird diese alle drei Jahre durch eine Rentenauskunft ersetzt. Besteht ein berechti

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 57 Berücksichtigungszeiten


Die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr ist bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen. Dies gilt fü

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 47 Erziehungsrente


(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Erziehungsrente, wenn 1. ihre Ehe nach dem 30. Juni 1977 geschieden und ihr geschiedener Ehegatte gestorben ist,2. sie ein eigenes Kind oder ein Kind des geschiedenen Ehegatte

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 243 Witwenrente und Witwerrente an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten


(1) Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente besteht ohne Beschränkung auf 24 Kalendermonate auch für geschiedene Ehegatten, 1. deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden ist,2. die weder wieder geheiratet noch eine Lebenspartnerschaft

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 249a Beitragszeiten wegen Kindererziehung im Beitrittsgebiet


(1) Elternteile, die am 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatten, sind von der Anrechnung einer Kindererziehungszeit ausgeschlossen, wenn sie vor dem 1. Januar 1927 geboren sind. (2) Ist ein Elternteil bis zum 31. Deze

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 78a Zuschlag bei Witwenrenten und Witwerrenten


(1) Der Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten bei Witwenrenten und Witwerrenten richtet sich nach der Dauer der Erziehung von Kindern bis zur Vollendung ihres dritten Lebensjahres. Die Dauer ergibt sich aus der Summe der Anzahl an Kalendermonaten m

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 243a Rente wegen Todes an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten im Beitrittsgebiet


Bestimmt sich der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nach dem Recht, das im Beitrittsgebiet gegolten hat, ist § 243 nicht anzuwenden. In diesen Fällen besteht Anspruch auf Erziehungsrente bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen auch, w

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bei uns veröffentlicht am 07.02.2012

Tenor 1. Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 des Gesetzes zur Gewährung eines Landeserziehungsgeldes und zur Ausführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (Bayerisches Landeserziehungsgeldgesetz
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundessozialgericht Urteil, 21. März 2018 - B 13 R 19/14 R.

Bundessozialgericht Urteil, 30. Sept. 2015 - B 12 KR 13/13 R

bei uns veröffentlicht am 30.09.2015

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Für Beitragszeiten werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für dasselbe Kalenderjahr geteilt wird. Für das Kalenderjahr des Rentenbeginns und für das davor liegende Kalenderjahr wird als Durchschnittsentgelt der Betrag zugrunde gelegt, der für diese Kalenderjahre vorläufig bestimmt ist.

(1a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 werden Entgeltpunkte für Beitragszeiten aus einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 aus dem Arbeitsentgelt ermittelt.

(2) Kindererziehungszeiten erhalten für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte (Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten). Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten sind auch Entgeltpunkte, die für Kindererziehungszeiten mit sonstigen Beitragszeiten ermittelt werden, indem die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b.

(3) Aus der Zahlung von Beiträgen für Arbeitsentgelt aus nach § 23b Abs. 2 Satz 1 bis 4 des Vierten Buches aufgelösten Wertguthaben werden zusätzliche Entgeltpunkte ermittelt, indem dieses Arbeitsentgelt durch das vorläufige Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für das Kalenderjahr geteilt wird, dem das Arbeitsentgelt zugeordnet ist. Die so ermittelten Entgeltpunkte gelten als Entgeltpunkte für Zeiten mit vollwertigen Pflichtbeiträgen nach dem 31. Dezember 1991.

(3a) Sind mindestens 25 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten vorhanden, werden für nach dem Jahr 1991 liegende Kalendermonate mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder mit Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Entgeltpunkte zusätzlich ermittelt oder gutgeschrieben. Diese betragen für jeden Kalendermonat

a)
mit Pflichtbeiträgen die Hälfte der hierfür ermittelten Entgeltpunkte, höchstens 0,0278 an zusätzlichen Entgeltpunkten,
b)
in dem für den Versicherten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für ein Kind mit entsprechenden Zeiten für ein anderes Kind zusammentreffen, 0,0278 an gutgeschriebenen Entgeltpunkten, abzüglich des Wertes der zusätzlichen Entgeltpunkte nach Buchstabe a.
Die Summe der zusätzlich ermittelten und gutgeschriebenen Entgeltpunkte ist zusammen mit den für Beitragszeiten und Kindererziehungszeiten ermittelten Entgeltpunkten auf einen Wert von höchstens 0,0833 Entgeltpunkte begrenzt.

(4) Ist für eine Rente wegen Alters die voraussichtliche beitragspflichtige Einnahme für den verbleibenden Zeitraum bis zum Beginn der Rente wegen Alters vom Rentenversicherungsträger errechnet worden (§ 194 Absatz 1 Satz 6, Abs. 2 Satz 2), sind für diese Rente Entgeltpunkte daraus wie aus der Beitragsbemessungsgrundlage zu ermitteln. Weicht die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme von der durch den Rentenversicherungsträger errechneten voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme ab, bleibt sie für diese Rente außer Betracht. Bei einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 treten an die Stelle der voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 1 das voraussichtliche Arbeitsentgelt und an die Stelle der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 2 das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt.

(5) Für Zeiten, für die Beiträge aufgrund der Vorschriften des Vierten Kapitels über die Nachzahlung gezahlt worden sind, werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt des Jahres geteilt wird, in dem die Beiträge gezahlt worden sind.

(1) Kindererziehungszeiten sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für einen Elternteil (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 Erstes Buch) wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn

1.
die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2.
die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3.
der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.

(2) Eine Erziehungszeit ist dem Elternteil zuzuordnen, der sein Kind erzogen hat. Haben mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen, wird die Erziehungszeit einem Elternteil zugeordnet. Haben die Eltern ihr Kind gemeinsam erzogen, können sie durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist. Die Zuordnung kann auf einen Teil der Erziehungszeit beschränkt werden. Die übereinstimmende Erklärung der Eltern ist mit Wirkung für künftige Kalendermonate abzugeben. Die Zuordnung kann rückwirkend für bis zu zwei Kalendermonate vor Abgabe der Erklärung erfolgen, es sei denn, für einen Elternteil ist unter Berücksichtigung dieser Zeiten eine Leistung bindend festgestellt, ein Versorgungsausgleich oder ein Rentensplitting durchgeführt. Für die Abgabe der Erklärung gilt § 16 des Ersten Buches über die Antragstellung entsprechend. Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, wird die Erziehungszeit dem Elternteil zugeordnet, der das Kind überwiegend erzogen hat. Liegt eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vor, erfolgt die Zuordnung zur Mutter, bei gleichgeschlechtlichen Elternteilen zum Elternteil nach den §§ 1591 oder 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, oder wenn es einen solchen nicht gibt, zu demjenigen Elternteil, der seine Elternstellung zuerst erlangt hat. Ist eine Zuordnung nach den Sätzen 8 und 9 nicht möglich, werden die Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt, wobei der erste Kalendermonat dem älteren Elternteil zuzuordnen ist.

(3) Eine Erziehung ist im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland steht gleich, wenn der erziehende Elternteil sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat. Dies gilt bei einem gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten oder Lebenspartnern im Ausland auch, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner des erziehenden Elternteils solche Pflichtbeitragszeiten hat oder nur deshalb nicht hat, weil er zu den in § 5 Abs. 1 und 4 genannten Personen gehörte oder von der Versicherungspflicht befreit war.

(4) Elternteile sind von der Anrechnung ausgeschlossen, wenn sie

1.
während der Erziehungszeit oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt haben, die aufgrund
a)
einer zeitlich begrenzten Entsendung in dieses Gebiet (§ 5 Viertes Buch) oder
b)
einer Regelung des zwischen- oder überstaatlichen Rechts oder einer für Bedienstete internationaler Organisationen getroffenen Regelung (§ 6 Viertes Buch)
den Vorschriften über die Versicherungspflicht nicht unterliegt,
2.
während der Erziehungszeit zu den in § 5 Absatz 4 genannten Personen gehören oder
3.
während der Erziehungszeit Anwartschaften auf Versorgung im Alter aufgrund der Erziehung erworben haben, wenn diese nach den für sie geltenden besonderen Versorgungsregelungen systembezogen annähernd gleichwertig berücksichtigt wird wie die Kindererziehung nach diesem Buch; als in diesem Sinne systembezogen annähernd gleichwertig gilt eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen.

(5) Die Kindererziehungszeit beginnt nach Ablauf des Monats der Geburt und endet nach 36 Kalendermonaten. Wird während dieses Zeitraums vom erziehenden Elternteil ein weiteres Kind erzogen, für das ihm eine Kindererziehungszeit anzurechnen ist, wird die Kindererziehungszeit für dieses und jedes weitere Kind um die Anzahl an Kalendermonaten der gleichzeitigen Erziehung verlängert.

Die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr ist bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen. Dies gilt für Zeiten einer mehr als geringfügig ausgeübten selbständigen Tätigkeit nur, soweit diese Zeiten auch Pflichtbeitragszeiten sind.

(1) Für Beitragszeiten werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für dasselbe Kalenderjahr geteilt wird. Für das Kalenderjahr des Rentenbeginns und für das davor liegende Kalenderjahr wird als Durchschnittsentgelt der Betrag zugrunde gelegt, der für diese Kalenderjahre vorläufig bestimmt ist.

(1a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 werden Entgeltpunkte für Beitragszeiten aus einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 aus dem Arbeitsentgelt ermittelt.

(2) Kindererziehungszeiten erhalten für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte (Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten). Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten sind auch Entgeltpunkte, die für Kindererziehungszeiten mit sonstigen Beitragszeiten ermittelt werden, indem die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b.

(3) Aus der Zahlung von Beiträgen für Arbeitsentgelt aus nach § 23b Abs. 2 Satz 1 bis 4 des Vierten Buches aufgelösten Wertguthaben werden zusätzliche Entgeltpunkte ermittelt, indem dieses Arbeitsentgelt durch das vorläufige Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für das Kalenderjahr geteilt wird, dem das Arbeitsentgelt zugeordnet ist. Die so ermittelten Entgeltpunkte gelten als Entgeltpunkte für Zeiten mit vollwertigen Pflichtbeiträgen nach dem 31. Dezember 1991.

(3a) Sind mindestens 25 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten vorhanden, werden für nach dem Jahr 1991 liegende Kalendermonate mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder mit Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Entgeltpunkte zusätzlich ermittelt oder gutgeschrieben. Diese betragen für jeden Kalendermonat

a)
mit Pflichtbeiträgen die Hälfte der hierfür ermittelten Entgeltpunkte, höchstens 0,0278 an zusätzlichen Entgeltpunkten,
b)
in dem für den Versicherten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für ein Kind mit entsprechenden Zeiten für ein anderes Kind zusammentreffen, 0,0278 an gutgeschriebenen Entgeltpunkten, abzüglich des Wertes der zusätzlichen Entgeltpunkte nach Buchstabe a.
Die Summe der zusätzlich ermittelten und gutgeschriebenen Entgeltpunkte ist zusammen mit den für Beitragszeiten und Kindererziehungszeiten ermittelten Entgeltpunkten auf einen Wert von höchstens 0,0833 Entgeltpunkte begrenzt.

(4) Ist für eine Rente wegen Alters die voraussichtliche beitragspflichtige Einnahme für den verbleibenden Zeitraum bis zum Beginn der Rente wegen Alters vom Rentenversicherungsträger errechnet worden (§ 194 Absatz 1 Satz 6, Abs. 2 Satz 2), sind für diese Rente Entgeltpunkte daraus wie aus der Beitragsbemessungsgrundlage zu ermitteln. Weicht die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme von der durch den Rentenversicherungsträger errechneten voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme ab, bleibt sie für diese Rente außer Betracht. Bei einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 treten an die Stelle der voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 1 das voraussichtliche Arbeitsentgelt und an die Stelle der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 2 das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt.

(5) Für Zeiten, für die Beiträge aufgrund der Vorschriften des Vierten Kapitels über die Nachzahlung gezahlt worden sind, werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt des Jahres geteilt wird, in dem die Beiträge gezahlt worden sind.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im Wesentlichen darüber, ob der Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) bei Eltern mit mehreren Kindern im Hinblick auf einen höheren Betreuungs- und Erziehungsaufwand in Abhängigkeit von der Kinderzahl zu mindern ist.

2

Die 1967 geborene, verheiratete Klägerin ist Mutter von vier in den Jahren 2001, 2002, 2004 und 2009 geborenen Kindern. Sie war bis 15.4.2008 versicherungspflichtig beschäftigt und ist seitdem arbeitslos bzw wegen der Geburt ihres vierten Kindes nicht mehr erwerbstätig. Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse und der beigeladenen Pflegekasse; Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge wurden in gesetzlicher Höhe entrichtet.

3

Im Januar 2008 stellte die Klägerin bei der Beklagten als Einzugsstelle unter Hinweis auf das Urteil des BVerfG zur sPV vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2; im Folgenden: sPV-Urteil) ua den Antrag, ihr in der sPV ab sofort "für den Zeitraum, in dem für sie … Anspruch auf Kindergeld für das entsprechende Kind besteht", anstatt des ihr im Vergleich zu einem kinderlosen Beitragszahler gegenwärtig pauschal gewährten Beitragsnachlasses "denselben Beitragsnachlass je Kind" zu gewähren. Derzeit würden noch immer Beitragszahler mit (nur) einem Kind gegenüber solchen mit mehreren Kindern verfassungswidrig privilegiert, weil der Gesetzgeber die tatsächlichen Unterschiede in der Erziehungsleistung von Beitragszahlern mit mehr als einem Kind sachwidrig außer Acht lasse. Mit Bescheid vom 26.2.2008 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf "Reduzierung" ihres Beitrags zur sPV unter Hinweis darauf ab, dass der Gesetzgeber die Entscheidung des BVerfG mit dem Kinder-Berücksichtigungsgesetz (KiBG) vom 15.12.2004 (BGBl I 3448) zutreffend umgesetzt habe. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.3.2008 zurück. Mit Bescheid vom 28.11.2008 "konkretisierte" die Beklagte die vorangegangenen Bescheide dahingehend, dass der Beitrag zur sPV für den Beitragszeitraum vom 9.1.2008 bis 15.4.2008 in gesetzlicher Höhe 95,04 Euro betrage und jeweils zur Hälfte (47,52 Euro) vom Arbeitgeber und von ihr - der Klägerin - als Arbeitnehmerin zu tragen sei.

4

Das SG hat die hiergegen gerichtete Anfechtungs- und Feststellungsklage abgewiesen (Urteil vom 14.9.2010).

5

Im anschließenden Berufungsverfahren hat die Klägerin ihre Klageanträge "präzisiert" und beantragt, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils die angefochtenen Bescheide insoweit aufzuheben, als darin in der sPV für den Zeitraum, in dem Anspruch auf Kindergeld besteht, kein dem Kinderlosenzuschlag entsprechender Nachlass für jedes Kind berücksichtigt ist, und die Beklagte zu verurteilen, den Beitrag unter Berücksichtigung dieses Nachlasses für weitere zwei im Jahr 2008 erzogene Kinder zu berechnen sowie ihr ab Januar 2008 Beiträge zur sPV zunächst für das Jahr 2008 in Höhe von 29,86 Euro (= Beitragsnachlass für zwei Kinder) zu erstatten.

6

Das LSG hat ihre Berufung zurückgewiesen: Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Die Bemessung der Beiträge zur sPV entspreche den gesetzlichen Bestimmungen. Diese Regelungen verstießen nicht gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG. Der Gesetzgeber habe mit dem KiBG den Auftrag des BVerfG zu einer gesetzlichen Neuregelung im Hinblick auf die Pflegeversicherung ohne Verstoß gegen diesen Auftrag erfüllt und für Kinderlose einen Beitragszuschlag eingeführt. Diese Umsetzung bewege sich im Rahmen des dem Gesetzgeber eingeräumten verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraums. Das BVerfG habe lediglich beanstandet, dass Mitglieder der sPV, die Kinder betreuen und erziehen, gleich hohe Pflegeversicherungsbeiträge wie Versicherte ohne Kinder zu entrichten hatten. Wie der Gesetzgeber die Betreuungs- und Erziehungsleistungen bei der Beitragsbemessung von beitragspflichtigen Versicherten mit Kindern berücksichtige, habe das BVerfG dem Gesetzgeber überlassen. Das BVerfG habe insoweit nur eine verfassungsrechtliche Verpflichtung dahingehend ausgesprochen, dass der Gesetzgeber eine Lösung wählen müsse, die Unterhaltsverpflichtete bereits ab dem ersten Kind relativ entlaste. Insbesondere sei der Gesetzgeber für die Umsetzung des Urteils des BVerfG nicht dazu verpflichtet gewesen, an die Zahl der Kinder anzuknüpfen; er habe allein die Elterneigenschaft als maßgebendes Kriterium für die unterschiedliche Beitragshöhe heranziehen dürfen. Nach den Feststellungen des BVerfG habe sich nämlich aufgrund der Anhörung eines Sachverständigen ergeben, dass die Elterneigenschaft und nicht die Zahl der Kinder die Wahl der Versicherten zwischen den verschiedenen Leistungsarten der ambulanten Pflege entscheidend bestimme. Dieser Vorgabe werde das KiBG gerecht. Durch den höheren Beitrag für Kinderlose würden Unterhaltsverpflichtete gegenüber Kinderlosen bereits ab dem ersten Kind entlastet (Urteil vom 22.3.2013).

7

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie rügt einen Verstoß der - vom LSG angewandten - "gesetzlichen Regelungen zur Berücksichtigung der Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung", soweit darin "von einer Staffelung des Beitragssatzes nach der Kinderzahl abgesehen" wird, gegen Art 3 Abs 1 GG. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Das LSG habe verkannt, dass der Gesetzgeber den allgemeinen Gleichheitssatz verletzt habe, weil das KiBG keine Staffelung des Pflegeversicherungsbeitrags nach der Kinderzahl vorsehe. Das BVerfG habe im sPV-Urteil schon als verfassungswidrig angesehen, dass kinderlose Beitragszahler und Beitragszahler mit (nur) einem Kind gleichbehandelt würden. Weil Versicherte mit mehreren Kindern einen größeren generativen Beitrag erbrächten und der mit der Kindererziehung einhergehende Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung proportional mit der Kinderzahl steige, könne allein die Kinderzahl - und nicht die (bloße) Elterneigenschaft - sachliches Differenzierungskriterium sein. Das Ausmaß der tatsächlichen Unterschiede in Bezug auf die Erziehungsleistung bzw der generative Beitrag für das Sozialversicherungssystem dürfe im Beitragsrecht der sPV nicht außer Betracht bleiben. Erziehungsleistung bzw generativer Beitrag würden im Beitragsrecht der sPV aber bisher unabhängig von der Kinderzahl gleichbehandelt. Zwar dürfe der Gesetzgeber typisieren; dieser Gesichtspunkt führe jedoch nicht zu einem anderen Ergebnis, schon weil die Gruppe der Familien mit zwei oder mehr Kindern im Vergleich zur Gruppe der Familien mit (nur) einem Kind keine zu vernachlässigende Minderheit darstelle.

8

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. März 2013 und des Sozialgerichts Mannheim vom 14. September 2010 aufzuheben, soweit sie die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung betreffen,
ferner
den Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2008 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 12. März 2008 und in der Gestalt des Bescheides vom 28. November 2008 aufzuheben, soweit darin höhere Pflegeversicherungsbeiträge erhoben werden als sich unter Berücksichtigung eines dem Beitragszuschlag für Kinderlose entsprechenden Nachlasses für jedes ihrer Kinder ergäbe, so wie diese zu verurteilen, ihr - der Klägerin - für das Jahr 2008 Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von 29,86 Euro zu erstatten.

9

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

10

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.

12

1. In diesem Revisionsverfahren zu überprüfen ist das Berufungsurteil nur insoweit, als es die Pflegeversicherungsbeiträge der Klägerin betrifft; hinsichtlich der leistungsrechtlichen Fragen zur gesetzlichen Rentenversicherung hat der Senat angeordnet, dass diese Rechtsstreitigkeit in einem getrennten Prozess verhandelt wird (anhängig bei dem 13. Senat des BSG unter dem Aktenzeichen B 13 R 19/14 R). Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der beklagten Krankenkasse in ihrer Eigenschaft als Einzugsstelle vom 26.2.2008 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 12.3.2008, ferner in der Gestalt ihres Bescheides vom 28.11.2008, mit dem sie die vorangegangenen Bescheide "konkretisierte" und den für die Zeit vom 9.1. bis 15.4.2008 zu entrichtenden Pflegeversicherungsbeitrag der Klägerin festsetzte. Zu befinden ist über diese Bescheide allerdings nur insoweit, als sie die Höhe der Beiträge ohne Berücksichtigung eines dem Beitragszuschlag für Kinderlose entsprechenden Nachlasses für weitere zwei Kinder bemessen. Im Umfang dieses Beitragsteils ist auch über einen Anspruch auf Beitragserstattung zu entscheiden.

13

2. Zu Recht hat das LSG - in Bezug auf den genannten Verfahrensgegenstand - das Urteil des SG bestätigt und die Berufung der Klägerin insoweit zurückgewiesen. Die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist jedenfalls unbegründet, weil die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Die Bemessung der Pflegeversicherungsbeiträge der Klägerin für die Zeit vom 9.1. bis 15.4.2008 entspricht den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der sPV (dazu a). Diese sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (dazu b). Infolgedessen besteht auch kein Anspruch auf Erstattung von - aus der Sicht der Klägerin - überzahlten Pflegeversicherungsbeiträgen (dazu c).

14

a) Die Bemessung der Beiträge der Klägerin zur sPV ohne Berücksichtigung eines Beitragsnachlasses für weitere zwei von ihr im Jahr 2008 erzogene Kinder steht im Einklang mit den gesetzlichen Beitragsvorschriften.

15

Nach § 54 Abs 2 S 1 SGB XI(diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB XI im Wesentlichen in der bis heute fortgeltenden Fassung des Gesetzes vom 26.5.1994, BGBl I 1014) werden die Pflegeversicherungsbeiträge nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§ 55 SGB XI) erhoben. § 55 Abs 1 SGB XI regelt den Beitragssatz. Er betrug in der hier streitigen Zeit bundeseinheitlich 1,7 vH der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder. Nach § 55 Abs 3 S 1 SGB XI(eingefügt durch Art 1 KiBG vom 15.12.2004, BGBl I 3448) erhöht sich der Beitragssatz nach Abs 1 S 1 und 2 für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in dem sie das 23. Lebensjahr vollendet haben, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose). Den Beitragszuschlag für Kinderlose tragen grundsätzlich die Mitglieder (§ 58 Abs 1 S 3, § 59 Abs 5 SGB XI). Kein Beitragszuschlag ist nach § 55 Abs 3 S 2 SGB XI von versicherten Eltern iS des § 56 Abs 1 S 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 2 und 3 SGB I zu entrichten. Keinen Beitragszuschlag zahlen auch vor dem 1.1.1940 geborene Versicherte, Wehr- und Zivildienstleistende und Bezieher von Arbeitslosengeld II (§ 55 Abs 3 S 7 SGB XI). § 57 Abs 1 S 1 SGB XI bestimmt, dass bei Mitgliedern der Pflegekasse, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, für die Beitragsbemessung ua § 226 SGB V gilt. Nach § 58 Abs 1 S 1 SGB XI tragen die versicherungspflichtigen Beschäftigten, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, und ihre Arbeitgeber die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge jeweils zur Hälfte. Dass die Pflegeversicherungsbeiträge der Klägerin in der Zeit vom 9.1. bis 15.4.2008 in zutreffender Anwendung dieser Vorschriften erhoben wurden, ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit.

16

Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen über den Beitragszuschlag für Kinderlose das sPV-Urteil des BVerfG (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) umgesetzt (vgl dazu bereits BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 10). Das BVerfG hatte in dieser Entscheidung die damaligen beitragsrechtlichen Vorschriften § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 S 1 und Abs 2 sowie § 57 SGB XI für unvereinbar mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG erklärt, soweit Mitglieder der sPV mit Kindern mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag belastet wurden wie Mitglieder ohne Kinder. Es hat ausgeführt, dass Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG dadurch verletzt ist, dass die Betreuung und Erziehung von Kindern als konstitutive Leistung für das Pflegeversicherungssystem bei der Bemessung von Beiträgen beitragspflichtiger Versicherter keine Berücksichtigung findet. Dadurch wird die Gruppe der Versicherten mit Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sPV, die aus dieser Betreuungs- und Erziehungsleistung im Fall ihrer Pflegebedürftigkeit Nutzen ziehen, in verfassungswidriger Weise benachteiligt. Wird dieser "generative Beitrag" nicht mehr in der Regel von allen Versicherten erbracht, führt dies zu einer spezifischen Belastung kindererziehender Versicherter im Pflegeversicherungssystem, deren benachteiligende Wirkung auch innerhalb dieses Systems auszugleichen ist.

17

Das BVerfG hat damit verbindlich entschieden, dass der Nachteil kindererziehender Versicherter bzw der Vorteil kinderloser Versicherter in der sPV systemspezifisch beitragsrechtlich zu kompensieren ist. Für die vom BVerfG geforderte beitragsrechtliche Kompensation des Nachteils kindererziehender Versicherter in der sPV hat der Gesetzgeber allerdings nicht die Beiträge der Versicherten mit Kindern - etwa (allein) anknüpfend an den Tatbestand ihrer Elterneigenschaft oder sogar in Abhängigkeit von der Kinderzahl - reduziert, sondern die Beiträge für Kinderlose um 0,25 Beitragssatzpunkte erhöht.

18

b) Der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG bedurfte es nicht. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die hier einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der sPV unter Einschluss ihrer Änderungen in Umsetzung des sPV-Urteils verfassungswidrig sind, soweit danach der Pflegeversicherungsbeitrag bei Eltern mit mehreren Kindern nicht wegen eines höheren Betreuungs- und Erziehungsaufwandes in Abhängigkeit von der Kinderzahl - wie von der Klägerin gefordert - zu mindern ist. Die Klägerin kann nicht unter Hinweis auf das sPV-Urteil, dh Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabes durch das BVerfG, beanspruchen, wegen des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für ihre Kinder beitragsrechtlich weitergehend - als mit dem KiBG bereits geschehen - entlastet zu werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers durch das sPV-Urteil in der von der Klägerin behaupteten Weise eingeschränkt war (dazu aa). Bei der Ausfüllung des ihm insoweit zustehenden Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber die ihm eingeräumte Befugnis zur Generalisierung und Typisierung bei der Ordnung von Massenerscheinungen nicht überschritten (dazu bb).

19

aa) Das BVerfG stellt in seinem sPV-Urteil - abweichend von der Ansicht der Klägerin - nicht auf die jeweilige Anzahl der betreuten und erzogenen Kinder ab. Der Gesetzgeber des KiBG hat dieses Urteil nicht deshalb missachtet, weil § 55 Abs 3 SGB XI lediglich einen Beitragszuschlag für Kinderlose anordnet, aber keine Differenzierung nach der Kinderzahl enthält. Der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers war durch das sPV-Urteil nicht in der von der Klägerin geltend gemachten Weise verengt.

20

Wie der Senat bereits entschieden hat (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 15, 17) hat die Entscheidung des Gesetzgebers, Kinderlose mit einem erhöhten Beitrag zu belasten, Versicherte mit Kindern aber ohne Unterscheidung nach der Kinderzahl, (allein) in Anknüpfung an ihre Elterneigenschaft weiter Pflegeversicherungsbeiträge nach dem bisherigen Beitragssatz zahlen zu lassen, die vom BVerfG geforderte relative Beitragsentlastung bewirkt. Es ist nicht erkennbar, dass danach verfassungsrechtlich zusätzlich eine Reduzierung der (eigenen) Pflegeversicherungsbeiträge von Eltern ggf in Abhängigkeit von der Zahl der Kinder - etwa durch die Berücksichtigung eines dem Beitragszuschlag für Kinderlose entsprechenden Nachlasses für jedes weitere Kind - geboten gewesen wäre. An dieser Bewertung des sPV-Urteils hält der Senat fest. Die von der Klägerin geforderte Regelung würde demgegenüber zu Beitragsausfällen führen, die mit Beitragssatzerhöhungen für andere Pflegeversicherte kompensiert werden müssten; bei angestrebter Beibehaltung des Beitragsaufkommens hätte das zur Folge, dass Kinderlose (noch) höhere Pflegeversicherungsbeiträge zahlen müssten (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 15).

21

Zwar formuliert das BVerfG im sPV-Urteil, dass den Versicherten ohne Kinder im Versicherungsfall ein Vorteil aus der Erziehungsleistung anderer beitragspflichtiger Versicherter erwächst, die wegen der Erziehung zu ihrem Nachteil auf Konsum und Vermögensbildung verzichten (BVerfGE 103, 242, 264 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17 mwN). An anderer Stelle wird ausgeführt, dass der danach zwischen Eltern und kinderlosen Personen vorzunehmende Ausgleich jedenfalls durch Regelungen erfolgen muss, die die Elterngeneration während der Zeit der Betreuung und Erziehung entlasten; denn die Beiträge, die von der heutigen Kindergeneration später im Erwachsenenalter auch zugunsten pflegebedürftiger kinderloser Versicherter geleistet werden, basieren maßgeblich auf den Erziehungsleistungen ihrer heute versicherungspflichtigen Eltern. Die hiermit verbundene Belastung der Eltern tritt in deren Erwerbsphase auf und ist deshalb auch in diesem Zeitraum auszugleichen (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22 mwN).

22

Vor diesem Hintergrund ist der Klägerin zwar einzuräumen, dass die Erziehung von mehreren Kindern auch zu entsprechend größeren Erziehungslasten führt und Konsumverzicht und Vermögensbildung nicht nur abhängig vom Einkommen, sondern insbesondere auch von der Kinderzahl größer oder kleiner ausfallen (so auch die Ausführungen des Bundesrates in seiner Unterrichtung des Bundestages über die Anrufung des Vermittlungsausschusses zum KiBG: BT-Drucks 15/4176 unter a; ebenso Bauer/Krämer, NJW 2005, 180, 181 f). Das BVerfG zieht jedoch in seinen Ausführungen gerade nicht den Schluss, dass ein Nachteilsausgleich nur durch eine Beitragsentlastung der Eltern - ggf gestaffelt nach der Kinderzahl - erfolgen könne. Vielmehr verweist es darauf, dass dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten offenstehen, die Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Das GG verpflichtet den Gesetzgeber - so das BVerfG - lediglich dazu, beitragspflichtige Versicherte mit einem oder mehreren Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sPV bei der Bemessung der Beiträge relativ zu entlasten. Insoweit ist er von Verfassungs wegen verpflichtet, eine Lösung zu wählen, die Unterhaltsverpflichtete bereits ab dem ersten Kind relativ entlastet. Das ist zwar nicht in der Weise geschehen, dass eine individuelle, die jeweilige konkrete Familiensituation erfassende Beitragsvergünstigung für versicherte Eltern gewährt wird, sondern indem kinderlosen Versicherten generalisierend eine zusätzliche Belastung in Form eines höheren Beitragssatzes allgemein auferlegt wird.

23

bb) War der Gesetzgeber danach in den geschilderten Grenzen frei zu entscheiden, wie er Versicherte mit einem Kind oder mehreren Kindern im Hinblick auf ihren Betreuungs- und Erziehungsaufwand gegenüber kinderlosen Mitgliedern bei der Bemessung der Pflegeversicherungsbeiträge relativ entlastete, so hat er hier bei der Ausgestaltung eines den verfassungsgerichtlichen Vorgaben entsprechenden Beitragsrechts der sPV durch das KiBG die ihm von Verfassungs wegen im Sozialrecht gezogenen Grenzen für generalisierende bzw typisierende Regelungen eingehalten (vgl allgemein zu der hier bestehenden Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers BVerfG SozR 4-3300 § 55 Nr 3 RdNr 9-11).

24

Jede Norm muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie bei der Beitragsbemessung in der sPV (vgl - zur Beitragsbemessung bei freiwillig Versicherten der GKV - BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 15/13 R - Juris RdNr 39, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 240 Nr 25 vorgesehen) sind generalisierende, typisierende und pauschalierende Regeln allgemein als notwendig anerkannt und vom BVerfG im Grundsatz ständig als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden (vgl BVerfGE 17, 1, 23; aus der letzten Zeit BVerfGE 113, 167, 236; stRspr); der Gesetzgeber ist dabei gezwungen, aber auch berechtigt, sich am Regelfall zu orientieren. Unbedenklich ist eine Typisierung aber nur, soweit eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen benachteiligt wird und der Grundrechtsverstoß nicht sehr intensiv ist (vgl BVerfGE 26, 265, 275 f; aus jüngerer Zeit BVerfGE 133, 377, 413); wesentlich für die Zulässigkeit einer typisierenden Regelung ist hierbei auch, ob eine durch sie entstehende Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wäre (vgl BVerfGE 63, 119, 128; BVerfGE 133, 377, 413).

25

Hieran gemessen ist die Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Bemessung der Beiträge zur sPV von Mitgliedern mit Kindern nicht nach der Kinderzahl zu differenzieren, nicht zu beanstanden. Das Gesetz behandelt die von der Klägerin in der streitigen Zeit repräsentierte Personengruppe - Eltern mit drei Kindern - und Eltern mit (nur) einem Kind oder zwei Kindern zwar gleich, weil alle Eltern weiter Pflegeversicherungsbeiträge nach dem bisherigen Beitragssatz bzw ohne (weitere) dem Beitragszuschlag für Kinderlose entsprechende Nachlässe für Kinder zahlen. Die hierdurch entstehenden Härten und Ungerechtigkeiten sind jedoch hinzunehmen.

26

Der Senat hat bereits entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Beitragsrechts in der sPV durch das KiBG vom Regelfall ausgegangen ist und so die vom BVerfG geforderte relative Entlastung gegenüber Kinderlosen an das (bloße) Vorhandensein bereits eines Kindes knüpfen sowie ab dessen Geburt eine dauerhafte Beitragsentlastung vorsehen durfte (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 17). So lebten im Jahr 2008 in 15,6% aller Privathaushalte ein Kind, in 11% aller Privathaushalte zwei Kinder, in 2,8% der Privathaushalte - wie die Klägerin einen führte - drei Kinder, in 0,6% vier Kinder und in 0,2% fünf Kinder und mehr (Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Haushalte und Familien. Ergebnisse des Mikrozensus 2008, 2009). Die geforderte Berücksichtigung des "generativen Beitrags" reicht vor diesem Hintergrund aus, um typisierend an die Stellung als Eltern als solche, dh die Elterneigenschaft, anzuknüpfen, ohne dass etwa nach tatsächlichem Umfang oder tatsächlicher Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung differenziert werden müsste; die Entlastung kann bei der Beitragsbemessung durch die Berücksichtigung allein der Tatsache geschehen, dass bei einem Versicherten betreuungs- bzw erziehungsbedürftige Kinder vorhanden sind. Auch das hat der Senat in der genannten Entscheidung bereits ausgeführt (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 17). Nichts anderes kann für einen tatsächlich erhöhten Umfang bzw eine tatsächlich längere Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung infolge einer größeren Kinderzahl gelten. Soweit gesetzliche Verallgemeinerungen auf einer möglichst weiten, alle betroffenen Personengruppen einschließenden Beobachtung aufbauen, ist der Gesetzgeber nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (BVerfGE 96, 1, 6 mwN; zuletzt BVerfGE 133, 377, 412 mwN).

27

c) Ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Pflegeversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 9.1. bis 15.4.2008, der im Übrigen auch nur auf die von ihr (wirtschaftlich) getragenen Arbeitnehmeranteile gerichtet sein könnte (§ 26 Abs 3 S 1 SGB IV), besteht bereits deshalb nicht, weil diese Beiträge nicht iS von § 26 Abs 2 SGB IV zu Unrecht entrichtet wurden.

28

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

(1) Für Beitragszeiten werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für dasselbe Kalenderjahr geteilt wird. Für das Kalenderjahr des Rentenbeginns und für das davor liegende Kalenderjahr wird als Durchschnittsentgelt der Betrag zugrunde gelegt, der für diese Kalenderjahre vorläufig bestimmt ist.

(1a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 werden Entgeltpunkte für Beitragszeiten aus einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 aus dem Arbeitsentgelt ermittelt.

(2) Kindererziehungszeiten erhalten für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte (Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten). Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten sind auch Entgeltpunkte, die für Kindererziehungszeiten mit sonstigen Beitragszeiten ermittelt werden, indem die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b.

(3) Aus der Zahlung von Beiträgen für Arbeitsentgelt aus nach § 23b Abs. 2 Satz 1 bis 4 des Vierten Buches aufgelösten Wertguthaben werden zusätzliche Entgeltpunkte ermittelt, indem dieses Arbeitsentgelt durch das vorläufige Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für das Kalenderjahr geteilt wird, dem das Arbeitsentgelt zugeordnet ist. Die so ermittelten Entgeltpunkte gelten als Entgeltpunkte für Zeiten mit vollwertigen Pflichtbeiträgen nach dem 31. Dezember 1991.

(3a) Sind mindestens 25 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten vorhanden, werden für nach dem Jahr 1991 liegende Kalendermonate mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder mit Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Entgeltpunkte zusätzlich ermittelt oder gutgeschrieben. Diese betragen für jeden Kalendermonat

a)
mit Pflichtbeiträgen die Hälfte der hierfür ermittelten Entgeltpunkte, höchstens 0,0278 an zusätzlichen Entgeltpunkten,
b)
in dem für den Versicherten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für ein Kind mit entsprechenden Zeiten für ein anderes Kind zusammentreffen, 0,0278 an gutgeschriebenen Entgeltpunkten, abzüglich des Wertes der zusätzlichen Entgeltpunkte nach Buchstabe a.
Die Summe der zusätzlich ermittelten und gutgeschriebenen Entgeltpunkte ist zusammen mit den für Beitragszeiten und Kindererziehungszeiten ermittelten Entgeltpunkten auf einen Wert von höchstens 0,0833 Entgeltpunkte begrenzt.

(4) Ist für eine Rente wegen Alters die voraussichtliche beitragspflichtige Einnahme für den verbleibenden Zeitraum bis zum Beginn der Rente wegen Alters vom Rentenversicherungsträger errechnet worden (§ 194 Absatz 1 Satz 6, Abs. 2 Satz 2), sind für diese Rente Entgeltpunkte daraus wie aus der Beitragsbemessungsgrundlage zu ermitteln. Weicht die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme von der durch den Rentenversicherungsträger errechneten voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme ab, bleibt sie für diese Rente außer Betracht. Bei einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 treten an die Stelle der voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 1 das voraussichtliche Arbeitsentgelt und an die Stelle der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 2 das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt.

(5) Für Zeiten, für die Beiträge aufgrund der Vorschriften des Vierten Kapitels über die Nachzahlung gezahlt worden sind, werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt des Jahres geteilt wird, in dem die Beiträge gezahlt worden sind.

(1) Der Träger der Rentenversicherung führt für jeden Versicherten ein Versicherungskonto, das nach der Versicherungsnummer geordnet ist. In dem Versicherungskonto sind die Daten, die für die Durchführung der Versicherung sowie die Feststellung und Erbringung von Leistungen einschließlich der Rentenauskunft erforderlich sind, zu speichern. Ein Versicherungskonto darf auch für Personen geführt werden, die nicht nach den Vorschriften dieses Buches versichert sind, soweit es für die Feststellung der Versicherungs- oder Beitragspflicht und für Prüfungen bei Arbeitgebern (§ 28p des Vierten Buches) erforderlich ist.

(2) Der Träger der Rentenversicherung hat darauf hinzuwirken, dass die im Versicherungskonto gespeicherten Daten vollständig und geklärt sind. Die Daten sollen so gespeichert werden, dass sie jederzeit abgerufen und auf maschinell verwertbaren Datenträgern oder durch Datenübertragung übermittelt werden können. Stellt der Träger der Rentenversicherung fest, dass für einen Beschäftigten mehrere Beschäftigungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8a des Vierten Buches gemeldet oder die Zeitgrenzen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 des Vierten Buches überschritten sind, überprüft er unverzüglich diese Beschäftigungsverhältnisse. Stellen die Träger der Rentenversicherung fest, dass eine Beschäftigung infolge einer Zusammenrechnung versicherungspflichtig ist, sie jedoch nicht oder als versicherungsfrei gemeldet worden ist, teilen sie diese Beschäftigung mit den notwendigen Daten der Einzugsstelle mit. Satz 4 gilt entsprechend, wenn die Träger der Rentenversicherung feststellen, dass beim Zusammentreffen mehrerer Beschäftigungsverhältnisse die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschriften über den Übergangsbereich nicht oder nicht mehr vorliegen.

(3) Der Träger der Rentenversicherung unterrichtet die Versicherten regelmäßig über die in ihrem Versicherungskonto gespeicherten Sozialdaten, die für die Feststellung der Höhe einer Rentenanwartschaft erheblich sind (Versicherungsverlauf).

(4) Versicherte sind verpflichtet, bei der Klärung des Versicherungskontos mitzuwirken, insbesondere den Versicherungsverlauf auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen, alle für die Kontenklärung erheblichen Tatsachen anzugeben und die notwendigen Urkunden und sonstigen Beweismittel beizubringen.

(5) Hat der Versicherungsträger das Versicherungskonto geklärt oder hat der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen, stellt der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest. Bei Änderung der dem Feststellungsbescheid zugrunde liegenden Vorschriften ist der Feststellungsbescheid durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden. Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten wird erst bei Feststellung einer Leistung entschieden.

(1) Kindererziehungszeiten sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für einen Elternteil (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 Erstes Buch) wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn

1.
die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2.
die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3.
der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.

(2) Eine Erziehungszeit ist dem Elternteil zuzuordnen, der sein Kind erzogen hat. Haben mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen, wird die Erziehungszeit einem Elternteil zugeordnet. Haben die Eltern ihr Kind gemeinsam erzogen, können sie durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist. Die Zuordnung kann auf einen Teil der Erziehungszeit beschränkt werden. Die übereinstimmende Erklärung der Eltern ist mit Wirkung für künftige Kalendermonate abzugeben. Die Zuordnung kann rückwirkend für bis zu zwei Kalendermonate vor Abgabe der Erklärung erfolgen, es sei denn, für einen Elternteil ist unter Berücksichtigung dieser Zeiten eine Leistung bindend festgestellt, ein Versorgungsausgleich oder ein Rentensplitting durchgeführt. Für die Abgabe der Erklärung gilt § 16 des Ersten Buches über die Antragstellung entsprechend. Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, wird die Erziehungszeit dem Elternteil zugeordnet, der das Kind überwiegend erzogen hat. Liegt eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vor, erfolgt die Zuordnung zur Mutter, bei gleichgeschlechtlichen Elternteilen zum Elternteil nach den §§ 1591 oder 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, oder wenn es einen solchen nicht gibt, zu demjenigen Elternteil, der seine Elternstellung zuerst erlangt hat. Ist eine Zuordnung nach den Sätzen 8 und 9 nicht möglich, werden die Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt, wobei der erste Kalendermonat dem älteren Elternteil zuzuordnen ist.

(3) Eine Erziehung ist im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland steht gleich, wenn der erziehende Elternteil sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat. Dies gilt bei einem gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten oder Lebenspartnern im Ausland auch, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner des erziehenden Elternteils solche Pflichtbeitragszeiten hat oder nur deshalb nicht hat, weil er zu den in § 5 Abs. 1 und 4 genannten Personen gehörte oder von der Versicherungspflicht befreit war.

(4) Elternteile sind von der Anrechnung ausgeschlossen, wenn sie

1.
während der Erziehungszeit oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt haben, die aufgrund
a)
einer zeitlich begrenzten Entsendung in dieses Gebiet (§ 5 Viertes Buch) oder
b)
einer Regelung des zwischen- oder überstaatlichen Rechts oder einer für Bedienstete internationaler Organisationen getroffenen Regelung (§ 6 Viertes Buch)
den Vorschriften über die Versicherungspflicht nicht unterliegt,
2.
während der Erziehungszeit zu den in § 5 Absatz 4 genannten Personen gehören oder
3.
während der Erziehungszeit Anwartschaften auf Versorgung im Alter aufgrund der Erziehung erworben haben, wenn diese nach den für sie geltenden besonderen Versorgungsregelungen systembezogen annähernd gleichwertig berücksichtigt wird wie die Kindererziehung nach diesem Buch; als in diesem Sinne systembezogen annähernd gleichwertig gilt eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen.

(5) Die Kindererziehungszeit beginnt nach Ablauf des Monats der Geburt und endet nach 36 Kalendermonaten. Wird während dieses Zeitraums vom erziehenden Elternteil ein weiteres Kind erzogen, für das ihm eine Kindererziehungszeit anzurechnen ist, wird die Kindererziehungszeit für dieses und jedes weitere Kind um die Anzahl an Kalendermonaten der gleichzeitigen Erziehung verlängert.

Die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr ist bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen. Dies gilt für Zeiten einer mehr als geringfügig ausgeübten selbständigen Tätigkeit nur, soweit diese Zeiten auch Pflichtbeitragszeiten sind.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Der Träger der Rentenversicherung führt für jeden Versicherten ein Versicherungskonto, das nach der Versicherungsnummer geordnet ist. In dem Versicherungskonto sind die Daten, die für die Durchführung der Versicherung sowie die Feststellung und Erbringung von Leistungen einschließlich der Rentenauskunft erforderlich sind, zu speichern. Ein Versicherungskonto darf auch für Personen geführt werden, die nicht nach den Vorschriften dieses Buches versichert sind, soweit es für die Feststellung der Versicherungs- oder Beitragspflicht und für Prüfungen bei Arbeitgebern (§ 28p des Vierten Buches) erforderlich ist.

(2) Der Träger der Rentenversicherung hat darauf hinzuwirken, dass die im Versicherungskonto gespeicherten Daten vollständig und geklärt sind. Die Daten sollen so gespeichert werden, dass sie jederzeit abgerufen und auf maschinell verwertbaren Datenträgern oder durch Datenübertragung übermittelt werden können. Stellt der Träger der Rentenversicherung fest, dass für einen Beschäftigten mehrere Beschäftigungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8a des Vierten Buches gemeldet oder die Zeitgrenzen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 des Vierten Buches überschritten sind, überprüft er unverzüglich diese Beschäftigungsverhältnisse. Stellen die Träger der Rentenversicherung fest, dass eine Beschäftigung infolge einer Zusammenrechnung versicherungspflichtig ist, sie jedoch nicht oder als versicherungsfrei gemeldet worden ist, teilen sie diese Beschäftigung mit den notwendigen Daten der Einzugsstelle mit. Satz 4 gilt entsprechend, wenn die Träger der Rentenversicherung feststellen, dass beim Zusammentreffen mehrerer Beschäftigungsverhältnisse die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschriften über den Übergangsbereich nicht oder nicht mehr vorliegen.

(3) Der Träger der Rentenversicherung unterrichtet die Versicherten regelmäßig über die in ihrem Versicherungskonto gespeicherten Sozialdaten, die für die Feststellung der Höhe einer Rentenanwartschaft erheblich sind (Versicherungsverlauf).

(4) Versicherte sind verpflichtet, bei der Klärung des Versicherungskontos mitzuwirken, insbesondere den Versicherungsverlauf auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen, alle für die Kontenklärung erheblichen Tatsachen anzugeben und die notwendigen Urkunden und sonstigen Beweismittel beizubringen.

(5) Hat der Versicherungsträger das Versicherungskonto geklärt oder hat der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen, stellt der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest. Bei Änderung der dem Feststellungsbescheid zugrunde liegenden Vorschriften ist der Feststellungsbescheid durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden. Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten wird erst bei Feststellung einer Leistung entschieden.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ihrer Tochter L. auch für jene Zeiträume, in denen bei ihr keine Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung vorliegen.

2

Die 1962 geborene Klägerin ist seit 2.10.1989 als Rechtsanwältin in Vollzeit selbständig (freiberuflich) tätig und Pflichtmitglied in der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung (BRAStV). Sie ist die Mutter von L. (geboren 1996) sowie der Zwillinge S. und A. (beide geboren 2000). Im September 2006 beantragte sie bei der Beklagten die Feststellung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.

3

Mit Bescheid vom 18.1.2007 idF des Teilabhilfebescheids vom 5.3.2007 und des Widerspruchsbescheids vom 16.5.2007 stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurücklagen, also die Zeiten bis 31.12.2000, verbindlich fest. Als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ihrer Tochter L. merkte sie dabei die Zeiten vom 1.12.1996 bis 30.11.1999 und vom 1.11.2000 bis 31.10.2006 vor. Die Zeiten vom 26. bis 30.11.1996, vom 1.12.1999 bis 31.10.2000 und vom 1. bis 25.11.2006 könnten nicht als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vorgemerkt werden, weil die Klägerin in diesen Zeiträumen eine mehr als geringfügige selbständige Tätigkeit ausgeübt habe, ohne dass gleichzeitig Pflichtbeitragszeiten vorhanden seien (§ 57 S 2 SGB VI).

4

Das SG Bayreuth hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 6.8.2008). Die Berufung hat das Bayerische LSG zurückgewiesen (Urteil vom 17.10.2012). Ein Anspruch auf Vormerkung weiterer Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für ihre Tochter L. sei gemäß § 57 S 2 SGB VI ausgeschlossen, weil die Klägerin während dieser Zeiten eine selbständige Tätigkeit in mehr als geringfügigem Umfang ausgeübt habe und die Zeiten auch keine Pflichtbeitragszeiten seien. Der Begriff "Pflichtbeitragszeiten" in § 57 S 2 SGB VI umfasse keine Pflichtbeiträge zu einem berufsständischen Versorgungswerk, sondern nur Beitragszeiten im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Zuerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung könne auch nicht aus der Rechtsprechung des BSG zu § 56 Abs 4 SGB VI aF hergeleitet werden(Hinweis auf Urteil des BSG vom 18.10.2005 - SozR 4-2600 § 56 Nr 3 - und Senatsurteil vom 31.1.2008 - BSGE 100, 12 = SozR 4-2600 § 56 Nr 6). Der Gesetzgeber habe den vom BSG geäußerten Bedenken Rechnung getragen und § 56 SGB VI geändert, nicht aber § 57 SGB VI, der die sachnähere Regelung sei. Damit komme zum Ausdruck, dass eine unterschiedliche Behandlung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gerade bei Selbständigen gewollt sei. Dies verstoße nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

5

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Ihr Anspruch auf Vormerkung der geltend gemachten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ergebe sich aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 57 S 2 SGB VI. Die Argumente des BSG aus den Entscheidungen vom 18.10.2005 und 31.1.2008 über die Anerkennung von Kindererziehungszeiten gälten auch für die Feststellung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, wenn bei der berufsständischen Versorgungseinrichtung kein entsprechender Nachteilsausgleich für Zeiten der Kindererziehung erfolge. Schließlich komme diese Erziehungsleistung auch dem gesetzlichen Rentenversicherungssystem zugute. Pflichtbeiträge iS des § 57 S 2 SGB VI seien auch Pflichtbeiträge zu einer berufsständischen Versorgung. Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von Erziehungspersonen, die abhängig beschäftigt seien und Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten, und Erziehungspersonen, die selbständig tätig seien und Pflichtbeiträge zu einem berufsständischen Versorgungswerk zahlten, sei nicht ersichtlich. Zudem trage sie, die Klägerin, mit ihren Steuern zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung bei und müsse gleichzeitig Pflichtbeiträge für ihre Alterssicherung an das Versorgungswerk abführen, ohne jedoch in den Genuss von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung zu kommen. Ohnehin sei das Aussetzen der Erwerbstätigkeit und der berufliche Wiedereinstieg für selbständig Tätige, die Kinder erzögen, aufgrund fehlender sozialer Absicherung ihrer Einkünfte schwieriger als für abhängig Beschäftigte. Der Schutz der Erziehungspersonen und nicht der Schutz der in der gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten sei in den Vordergrund zu rücken. Auch habe sie sich nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung abgekehrt. Vielmehr sei dieses Alterssicherungssystem für sie als selbständig Tätige von vornherein verschlossen. In ihrem Fall sei zudem zu berücksichtigen, dass sie bereits eine Rentenanwartschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben habe.

6

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Oktober 2012 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 6. August 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheids vom 18. Januar 2007 in der Fassung des Bescheids vom 5. März 2007 und der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Mai 2007 zu verpflichten, die Zeiten vom 26. bis 30. November 1996, vom 1. Dezember 1999 bis 31. Oktober 2000 und vom 1. bis 25. November 2006 als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vorzumerken.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

9

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 S 1 SGG).

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.

11

Sie hat keinen Anspruch auf Vormerkung der Zeiten vom 26. bis 30.11.1996, vom 1.12.1999 bis 31.10.2000 und vom 1. bis 25.11.2006 als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung. Zu Recht haben die Vorinstanzen die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG) abgewiesen und entschieden, dass die Beklagte die von der Klägerin erstrebten rechtlichen Feststellungen nicht treffen muss.

12

1. Anspruchsgrundlage für die begehrte Vormerkung ist § 149 Abs 5 S 1 SGB VI. Nach dieser Vorschrift stellt der Rentenversicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest (sog Vormerkungsbescheid). Der Rentenversicherungsträger ist befugt, aber nicht verpflichtet, auf Antrag auch solche geklärten Daten durch Bescheid festzustellen, die noch keine sechs Jahre zurückliegen. Denn die Beschränkung der Feststellungspflicht soll ihm lediglich ermöglichen, im Versicherungsverlauf enthaltene, aber noch nicht bescheidmäßig festgestellte Daten ohne Bindungen durch Vertrauensschutzerwägungen (vgl § 45 SGB X) erleichtert zu berichtigen (stRspr, vgl exemplarisch BSG vom 28.2.1991 - BSGE 68, 171, 174 = SozR 3-2200 § 1227a Nr 7 S 14; vom 23.10.2003 - BSGE 91, 245 = SozR 4-2600 § 56 Nr 1, RdNr 5; vom 18.10.2005 - SozR 4-2600 § 56 Nr 3 RdNr 12; vom 11.5.2011 - B 5 R 22/10 R - Juris RdNr 10). Entscheidet er - wie hier - auch über Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, die noch keine sechs Jahre zurückliegen, muss er einen inhaltlich zutreffenden Vormerkungsbescheid erlassen (BSG vom 21.3.1991 - SozR 3-2200 § 1325 Nr 3 S 5; BSG vom 11.5.2011 aaO).

13

Der Vormerkung der geltend gemachten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nach § 57 S 1 SGB VI steht die Ausschlussbestimmung des § 57 S 2 SGB VI entgegen. Denn die Klägerin hat in den hier noch streitgegenständlichen Zeiten eine mehr als geringfügige selbständige Tätigkeit ausgeübt, ohne dass diese auch Pflichtbeitragszeiten sind (dazu unter 2a). § 57 S 2 SGB VI verstößt nicht gegen Verfassungsrecht(dazu unter 2b). Eine für die Klägerin günstigere Entscheidung ergibt sich auch nicht aus den Urteilen des BSG vom 18.10.2005 (SozR 4-2600 § 56 Nr 3) und vom 31.1.2008 (BSGE 100, 12 = SozR 4-2600 § 56 Nr 6; dazu unter 3.). Auf dieser Grundlage kann der Senat offenlassen, ob, wenn die Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nach § 57 S 1 iVm § 56 Abs 1 S 2 und Abs 2 SGB VI möglich wäre, sie der Klägerin überhaupt zuzuordnen wären(vgl hierzu zuletzt BSG vom 11.5.2011 - B 5 R 22/10 R - Juris RdNr 12-16 mwN).

14

2. Gemäß § 57 S 2 SGB VI sind Zeiten, in denen die Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahrs mit einer mehr als geringfügig ausgeübten selbständigen Tätigkeit zusammentrifft, nur Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, soweit diese Zeiten auch Pflichtbeitragszeiten sind.

15

Die Klägerin hat nach den unangegriffenen und daher für das BSG bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ihre selbständige (freiberufliche) Tätigkeit in mehr als geringfügigem Umfang in Vollzeit ausgeübt. Zwar sind Pflichtbeitragszeiten iS des § 57 S 2 SGB VI nicht nur diejenigen, denen Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zugrunde liegen. Vielmehr sind Pflichtbeitragszeiten alle von § 55 Abs 1 S 1 und 2 SGB VI erfassten Tatbestände. Hierzu gehören jedoch die zur BRAStV entrichteten Beiträge nicht (dazu unter a). § 57 S 2 SGB VI verstößt nicht gegen Verfassungsrecht(dazu unter b).

16

a) Bei den zu einer Rechtsanwaltsversorgung entrichteten Beiträgen handelt es sich nicht um Pflichtbeiträge iS des § 57 S 2 SGB VI. Vielmehr sind Pflichtbeitragszeiten iS der vorgenannten Norm ausschließlich solche iS der Legaldefinition in § 55 Abs 1 S 1 und 2 SGB VI(vgl LSG Niedersachsen-Bremen vom 18.3.2010 - L 10 R 198/09 - Juris RdNr 16; KomGRV, § 57 SGB VI Anm 4.7, Stand Einzelkommentierung Oktober 2002; Försterling in Ruland/Försterling, GemeinschaftsKomm zum SGB VI, § 57 RdNr 7a, Stand Einzelkommentierung Juli 2012; vgl auch Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eines Rentenreformgesetzes 1992, BT-Drucks 11/4124 S 166 ). Danach sind Pflichtbeitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge gezahlt worden sind, und Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Deshalb werden auch nicht nur Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer abhängigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit (§§ 1, 2 SGB VI) erfasst ("echte" Pflichtbeitragszeiten), sondern zB auch solche wegen Kindererziehung (§ 3 S 1 Nr 1 iVm § 56 SGB VI, vgl BT-Drucks 11/4124 aaO), bei denen der Bund die "Pflichtbeiträge" trägt und aus Steuermitteln zahlt, § 170 Abs 1 Nr 1, § 177 SGB VI ("unechte" oder "fiktive" Pflichtbeitragszeiten).

17

Die Zahlung von Beiträgen zu einer auf Landesrecht beruhenden berufsständischen Versorgungseinrichtung, zu der ein Mitglied dieser Einrichtung kraft einer aufgrund landesrechtlicher Ermächtigung erlassenen Satzung verpflichtet ist, ist aber weder eine Pflichtbeitragszahlung nach Bundesrecht noch gelten Pflichtbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung nach besonderen Vorschriften als gezahlt. Gesetzliche Rentenversicherung iS des SGB VI sind gemäß § 125 SGB VI nur die allgemeine Rentenversicherung und die knappschaftliche Rentenversicherung, deren Aufgaben von den Regional- und Bundesträgern wahrgenommen werden. Weder aus dem gesetzessystematischen (Sach-)Zusammenhang noch aus den Gesetzesmaterialien (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines Altersvermögensgesetzes vom 14.11.2000, BT-Drucks 14/4595 S 46) ergeben sich irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff "Pflichtbeitragszeiten" in § 57 S 2 SGB VI solche außerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung erfassen wollte. Auch andere Rechtsgebiete, zB das Steuerrecht in § 10 Abs 1 Nr 2a und § 22 Nr 1 S 3 Buchst a Doppelbuchst aa EStG, differenzieren zwischen den "gesetzlichen Rentenversicherungen" und den "berufsständischen Versorgungswerken".

18

b) Es verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, dass nach § 57 S 2 SGB VI Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei Selbständigen, die mehr als geringfügig erwerbstätig sind, nur bei gleichzeitiger Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegen.

19

Schon der Gesetzgeber des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18.12.1989 (BGBl I 2261, berichtigt BGBl I 1990, 1337) hatte sich dafür entschieden, mehr als geringfügig selbständig Erwerbstätigen die rentenversicherungsrechtlichen Vergünstigungen von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nur dann einzuräumen, wenn sie der Pflichtversicherung angehören. So waren Selbständige bereits vor der mWv 1.1.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) vom 21.3.2001 (BGBl I 403) erfolgten Einfügung des § 57 S 2 SGB VI an mehreren Stellen im Gesetz von den Vorteilen der Berücksichtigungszeiten ausgeschlossen, wenn sie trotz mehr als geringfügiger Tätigkeit nicht pflichtversichert waren. Dies galt zB bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für die Verlängerung des Fünf-Jahres-Zeitraums vor Eintritt des Versicherungsfalls, in dem drei Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen müssen (vgl § 43 Abs 4 S 2 und § 241 Abs 2 Nr 4 SGB VI in ihren bis zum 31.12.2001 geltenden Fassungen ), die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren für die Altersrenten für langjährig Versicherte und für schwerbehinderte Menschen (vgl § 51 Abs 3 SGB VI aF) und die verbesserte Wertermittlung von beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten (§ 71 Abs 3 S 2 SGB VI aF). An dieser Rechtslage wollte der Gesetzgeber des AVmEG festhalten. Er wollte lediglich nur noch "an einer zentralen Stelle im Gesetz" regeln, dass Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei Selbständigen, die mehr als geringfügig erwerbstätig sind, ausschließlich bei gleichzeitiger Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegen (vgl BT-Drucks 14/4595 aaO). Folgerichtig hat er mit der Einfügung des § 57 S 2 SGB VI die bis dahin geltenden, über das Gesetz verteilten Ausschlussregelungen gestrichen.

20

aa) Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor.

21

Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das Grundrecht ist daher vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl BVerfGE 110, 412, 432; stRspr). Im Rahmen seines Gestaltungsauftrags ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei bei seiner Entscheidung, an welche tatsächlichen Verhältnisse er Rechtsfolgen knüpft und wie er von Rechts wegen zu begünstigende Personengruppen definiert. Eine Grenze ist jedoch dann erreicht, wenn durch die Bildung einer rechtlich begünstigten Gruppe andere Personen von der Begünstigung ausgeschlossen werden und sich für diese Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt (vgl BVerfGE 99, 165, 178; stRspr). Dabei ist die Eigenart des zu regelnden Sachverhalts dafür ausschlaggebend, was sachlich vertretbar oder sachfremd ist (vgl BVerfGE 90, 226, 239; stRspr). Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit - um die es hier geht - unterliegt die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl BVerfGE 99, 165, 178; 130, 240, 254; stRspr).

22

Anders als die von der Klägerin repräsentierte Gruppe der mehr als geringfügig selbständig Erwerbstätigen ohne gleichzeitige Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung werden von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gemäß § 57 S 2 SGB VI Versicherte mit Pflichtbeitragszeiten begünstigt, unabhängig davon, ob sie abhängig beschäftigt oder selbständig tätig sind. Begünstigt sind auch nur in geringfügigem Umfang selbständig Tätige, gleich ob sie Pflichtbeitragszeiten aufweisen oder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung als Pflichtmitglied angehören. Schließlich können nach § 57 S 2 SGB VI auch Personen in den Genuss von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung kommen, die ein Kind bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr erziehen und gar keiner selbständigen Tätigkeit oder abhängigen Beschäftigung nachgehen.

23

Die Ungleichbehandlung der von der Klägerin repräsentierten Gruppe mit den genannten Vergleichsgruppen ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

24

Durch Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung sollen innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung als ein Teil des in diesem System integrierten Familienlastenausgleichs wenigstens teilweise Nachteile ausgeglichen werden, die sich daraus ergeben, dass Kindererziehung beim erziehenden Elternteil typischerweise Sicherungslücken in der versicherten Rentenbiografie hinterlässt (vgl BVerfGE 87, 1, 39; 94, 241, 264; Försterling in Ruland/Försterling, GemeinschaftsKomm zum SGB VI, § 57 RdNr 6, Stand Einzelkommentierung Juli 2012; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 57 RdNr 2, Stand Einzelkommentierung Januar 2009). Anders als die vom Bund aus Steuermitteln finanzierten Kindererziehungszeiten iS der § 3 S 1 Nr 1, § 56 Abs 1 SGB VI(vgl § 177 SGB VI)werden Rentenleistungen, die auf Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung beruhen, im Rahmen des sozialen Ausgleichs als "Solidarleistungen" der Versichertengemeinschaft aus Beitragsmitteln aufgebracht (vgl BT-Drucks 11/4124 S 167 ; Senatsurteil vom 31.1.2008 - B 13 R 64/06 R - BSGE 100, 12 = SozR 4-2600 § 56 Nr 6, RdNr 31).

25

Im Hinblick hierauf hat der im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit agierende Gesetzgeber im Rahmen des ihm bei diesen "beitragslosen (nicht auf Beiträge der Versicherten beruhenden) Zeiten" ohnehin zustehenden weiten Gestaltungsspielraums in Bezug auf die konkrete rentenrechtliche Ausgestaltung und die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise davon abgesehen, (auch) zur Vermeidung einer übermäßigen (finanziellen) Belastung der Versichertengemeinschaft Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei allen Kindererziehenden schlechthin zu berücksichtigen. Vielmehr hat er sich entschieden, deren Anerkennung teilweise auszuschließen bzw an weitere Bedingungen zu knüpfen. Die dabei von ihm vorgenommene Differenzierung ist sachlich gerechtfertigt.

26

(1) Der Gesetzgeber hat bestimmt, dass Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung mehr als geringfügig selbständig Erwerbstätigen nur bei gleichzeitiger Pflichtversicherung und damit Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung zugutekommen.

27

Durch das Erfordernis des gleichzeitigen Vorliegens von Pflichtbeitragszeiten in § 57 S 2 SGB VI wird gewährleistet, dass entsprechend dem "Gedanken der Solidarität der in der Rentenversicherung Pflichtversicherten" alle in der gesetzlichen Rentenversicherung Zwangsversicherten bei der Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gleich behandelt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob und in welchem Umfang sie abhängig beschäftigt oder selbständig tätig sind.

28

Darüber hinaus wollte der Gesetzgeber durch die Bestimmung des § 57 S 2 SGB VI gegenüber abhängig Beschäftigten(vgl § 1 SGB VI) und pflichtversichert selbständig Tätigen (vgl § 2 SGB VI) eine Besserstellung von mehr als geringfügig tätigen, aber nicht pflichtversicherten Selbständigen verhindern, da bei diesen ansonsten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung selbst dann angerechnet werden müssten, wenn sie keine oder als freiwillige Mitglieder nur geringe Rentenversicherungsbeiträge gezahlt und sie somit zum Beitragsaufkommen in der gesetzlichen Rentenversicherung und damit auch zur Finanzierung der Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nichts oder jedenfalls nicht "einkommensproportional" (durch "einkommensbezogene Beiträge") beigetragen haben (vgl BT-Drucks 14/4595 S 46). Daher lässt sich die "Begünstigung" der Pflichtversicherten schon deswegen rechtfertigen, weil diese in der Regel nach Beitragszeit, Beitragsdichte und Beitragshöhe im wesentlich stärkeren Maße zur Versichertengemeinschaft beitragen und dabei ihren Verpflichtungen nicht ausweichen können (vgl BVerfGE 75, 78, 103, 106). Hingegen können zB freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherte Selbständige (im gesetzlich vorgegebenen Rahmen) frei darüber bestimmen, ob, wann, für welche Monate und in welcher Höhe sie Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen. Selbst soweit sie sich zu einer regelmäßigen Zahlung von freiwilligen Beiträgen entschieden haben, müssen diese - anders als Pflichtbeiträge von abhängig Beschäftigten oder pflichtversicherten Selbständigen (§§ 161 ff SGB VI) - nicht in einer bestimmten Relation zu der Höhe ihres Erwerbseinkommens stehen. Aus diesem Grunde muss sich bei ihnen eine etwaige Einkommensminderung durch Kindererziehung auch nicht stets auf die Beitragshöhe und damit auf den Wert erworbener Rentenanwartschaftsrechte auswirken.

29

(2) Auch die Ungleichbehandlung bei der Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung der von der Klägerin repräsentierten Gruppe gegenüber den Gruppen der kindererziehenden Personen, die nur in geringfügigem Umfang selbständig tätig sind, und der Erziehungspersonen, die ein Kind vom vollendeten dritten bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr erziehen und während dieser Zeit gar keiner selbständigen Tätigkeit oder abhängigen Beschäftigung nachgehen, ist sachlich begründet.

30

Zwar entrichten auch die genannten Vergleichsgruppen keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Der Ausschluss der mehr als geringfügig selbständig Erwerbstätigen ohne Pflichtbeitragszeiten ist aber schon deshalb gerechtfertigt, weil diese im Gegensatz zu den wegen der Kindererziehung nur geringfügig selbständig Tätigen oder gar nicht Beschäftigten typischerweise in ausreichender Weise vorsorgefähig und zum Erhalt oder Aufbau einer Altersvorsorge auch während der Zeit der Kindererziehung in der Lage sind, sie also neben ihrer mehr als geringfügig selbständigen Erwerbstätigkeit eines sozialen (Nachteil-)Ausgleichs zur Vermeidung von Sicherungslücken wegen Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung (jedenfalls) nicht durch die Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bedürfen (vgl in diesem Sinne Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 57 RdNr 9, Stand Einzelkommentierung Januar 2009). Insoweit besteht hier - insbesondere aber bei der von der Klägerin repräsentierten Gruppe der sogar in Vollzeit selbständig (freiberuflich) erwerbstätigen Erziehungspersonen - keine durch die "Solidargemeinschaft der Beitragszahler" im Rahmen des sozialen Ausgleichs über die gesetzliche Rentenversicherung abzusichernde besondere (zusätzliche) soziale Schutzbedürftigkeit. Vielmehr hält sich der Gesetzgeber auch bei seinem Regelungskonzept zur Anerkennung von Erziehungsleistungen durch Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung an die das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung durchziehende Grundentscheidung, dass selbständig Tätige an sich für Art und Höhe ihrer Alterssicherung selbst zu sorgen haben und nur dann ausnahmsweise in die rentenrechtlichen Vergünstigungen im Rahmen eines sozialen Ausgleichs einbezogen werden, wenn sie aufgrund besonderer Umstände in gleicher Weise schutzbedürftig erscheinen wie abhängig Beschäftigte (vgl auch LSG Niedersachsen-Bremen - Urteil vom 18.3.2010 - L 10 R 198/09 - Juris RdNr 17). Ohnehin ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, Personen (auch) für Zeiten, in denen sie dem System der gesetzlichen Rentenversicherung nicht als Pflichtmitglied mit Beitragslast angehören, eine aus ihrer Sicht optimal ausgestaltete gesetzliche Altersversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung zukommen zu lassen (vgl BVerfGK 4, 42 = SozR 4-2600 § 7 Nr 2 RdNr 12).

31

(3) Unzutreffend ist schließlich der Vortrag der Klägerin, ihr sei als selbständig Tätiger die gesetzliche Rentenversicherung von vornherein verschlossen. Dies trifft schon für die freiwillige Versicherung nicht zu, übersieht jedoch auch die Möglichkeit einer Versicherungspflicht auf Antrag für Selbständige (§ 4 Abs 2 SGB VI). Hätte die Klägerin hiervon Gebrauch gemacht, hätte sie der gesetzlichen Rentenversicherung mit allen Rechten und Pflichten eines Pflichtversicherten angehört.

32

bb) Auch aus Art 6 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip folgt kein Anspruch auf Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung. Aus der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsgebot lässt sich zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich herzustellen ist (BVerfGE 107, 205, 213; 127, 263, 278; stRspr). Aus diesem Förderungsgebot können aber konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen nicht hergeleitet werden (BVerfGE 87, 1, 36; 107, 205, 213). Zudem ist der Staat auch nicht gehalten, jegliche die Familie betreffenden Belastungen auszugleichen (vgl BVerfGE 87, 1, 35; 127, 263, 278; stRspr). Insoweit besteht vielmehr ein weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers (vgl BVerfGE 82, 60, 81; 87, 1, 36; 127, 263, 277 f; stRspr).

33

3. Die Klägerin kann sich schließlich nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung des BSG zur verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften über die Kindererziehungszeiten berufen, nach der diese Zeiten als Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Mitgliedern berufsständischer Versorgungseinrichtungen anzurechnen sind, sofern sie dort keine vergleichbaren Vergünstigungen für Zeiten der Kindererziehung erhalten (BSG vom 18.10.2005 - SozR 4-2600 § 56 Nr 3; Senatsurteil vom 31.1.2008 - BSGE 100, 12 = SozR 4-2600 § 56 Nr 6). Denn der Ausschluss der Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung beruht bei der Klägerin nicht auf einer im Hinblick auf ihre Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltsversorgung ausgesprochenen Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern allein auf der tatsächlichen Ausübung einer mehr als geringfügig selbständigen Tätigkeit. Zu der Ausschlussvorschrift des § 57 S 2 SGB VI hat das BSG sich in den genannten Entscheidungen nicht geäußert.

34

In seiner Entscheidung vom 31.1.2008 hat der erkennende Senat der damaligen Klägerin, die wegen Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgung von der Rentenversicherungspflicht befreit war, neben Kindererziehungszeiten auch Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung zugesprochen und dies mit dem "Aspekt der Vermeidung einer weiteren Komplizierung der Rechtslage" (aaO RdNr 31) begründet. Schon damals wäre jedoch bei der von der Klägerin des vorliegenden Verfahrens repräsentierten Personengruppe der mehr als geringfügig selbständig Erwerbstätigen ohne gleichzeitige Pflichtbeitragszeiten die Feststellung von Berücksichtigungszeiten an der Ausschlussnorm des § 57 S 2 SGB VI gescheitert.

35

4. Da die Entscheidung des Senats den Vater von L. weder verfahrensrechtlich noch materiell-rechtlich benachteiligt, hat der Senat davon abgesehen, dessen unterbliebene notwendige Beiladung (§ 75 Abs 2, 1. Alt SGG) im Revisionsverfahren nachzuholen (§ 168 S 2 SGG; vgl BSG vom 29.10.2002 - SozR 3-2600 § 71 Nr 3 S 38).

36

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Der Träger der Rentenversicherung führt für jeden Versicherten ein Versicherungskonto, das nach der Versicherungsnummer geordnet ist. In dem Versicherungskonto sind die Daten, die für die Durchführung der Versicherung sowie die Feststellung und Erbringung von Leistungen einschließlich der Rentenauskunft erforderlich sind, zu speichern. Ein Versicherungskonto darf auch für Personen geführt werden, die nicht nach den Vorschriften dieses Buches versichert sind, soweit es für die Feststellung der Versicherungs- oder Beitragspflicht und für Prüfungen bei Arbeitgebern (§ 28p des Vierten Buches) erforderlich ist.

(2) Der Träger der Rentenversicherung hat darauf hinzuwirken, dass die im Versicherungskonto gespeicherten Daten vollständig und geklärt sind. Die Daten sollen so gespeichert werden, dass sie jederzeit abgerufen und auf maschinell verwertbaren Datenträgern oder durch Datenübertragung übermittelt werden können. Stellt der Träger der Rentenversicherung fest, dass für einen Beschäftigten mehrere Beschäftigungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8a des Vierten Buches gemeldet oder die Zeitgrenzen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 des Vierten Buches überschritten sind, überprüft er unverzüglich diese Beschäftigungsverhältnisse. Stellen die Träger der Rentenversicherung fest, dass eine Beschäftigung infolge einer Zusammenrechnung versicherungspflichtig ist, sie jedoch nicht oder als versicherungsfrei gemeldet worden ist, teilen sie diese Beschäftigung mit den notwendigen Daten der Einzugsstelle mit. Satz 4 gilt entsprechend, wenn die Träger der Rentenversicherung feststellen, dass beim Zusammentreffen mehrerer Beschäftigungsverhältnisse die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschriften über den Übergangsbereich nicht oder nicht mehr vorliegen.

(3) Der Träger der Rentenversicherung unterrichtet die Versicherten regelmäßig über die in ihrem Versicherungskonto gespeicherten Sozialdaten, die für die Feststellung der Höhe einer Rentenanwartschaft erheblich sind (Versicherungsverlauf).

(4) Versicherte sind verpflichtet, bei der Klärung des Versicherungskontos mitzuwirken, insbesondere den Versicherungsverlauf auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen, alle für die Kontenklärung erheblichen Tatsachen anzugeben und die notwendigen Urkunden und sonstigen Beweismittel beizubringen.

(5) Hat der Versicherungsträger das Versicherungskonto geklärt oder hat der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen, stellt der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest. Bei Änderung der dem Feststellungsbescheid zugrunde liegenden Vorschriften ist der Feststellungsbescheid durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden. Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten wird erst bei Feststellung einer Leistung entschieden.

(1) Versicherte, die das 27. Lebensjahr vollendet haben, erhalten jährlich eine schriftliche oder elektronische Renteninformation. Nach Vollendung des 55. Lebensjahres wird diese alle drei Jahre durch eine Rentenauskunft ersetzt. Besteht ein berechtigtes Interesse, kann die Rentenauskunft auch jüngeren Versicherten erteilt werden oder in kürzeren Abständen erfolgen. Der Versand von Renteninformation und Rentenauskunft endet, sobald eine Rente aus eigener Versicherung gezahlt wird, spätestens, wenn die Regelaltersgrenze erreicht ist. Auf Antrag erhalten Bezieher einer Erziehungs- oder Erwerbsminderungsrente eine unverbindliche Auskunft über die voraussichtliche Höhe einer späteren Altersrente.

(2) Die Renteninformation und die Rentenauskunft sind mit dem Hinweis zu versehen, dass sie auf der Grundlage des geltenden Rechts und der im Versicherungskonto gespeicherten rentenrechtlichen Zeiten erstellt sind und damit unter dem Vorbehalt künftiger Rechtsänderungen sowie der Richtigkeit und Vollständigkeit der im Versicherungskonto gespeicherten rentenrechtlichen Zeiten stehen. Mit dem Versand der zuletzt vor Vollendung des 50. Lebensjahres zu erteilenden Renteninformation ist darauf hinzuweisen, dass eine Rentenauskunft auch vor Vollendung des 55. Lebensjahres erteilt werden kann und dass eine Rentenauskunft auf Antrag auch die Höhe der Beitragszahlung zum Ausgleich einer Rentenminderung bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters enthält.

(3) Die Renteninformation hat insbesondere zu enthalten:

1.
Angaben über die Grundlage der Rentenberechnung,
2.
Angaben über die Höhe einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die zu zahlen wäre, würde der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung vorliegen,
3.
eine Prognose über die Höhe der zu erwartenden Regelaltersrente,
4.
Informationen über die Auswirkungen künftiger Rentenanpassungen,
5.
eine Übersicht über die Höhe der Beiträge, die für Beitragszeiten vom Versicherten, dem Arbeitgeber oder von öffentlichen Kassen gezahlt worden sind.

(4) Die Rentenauskunft hat insbesondere zu enthalten:

1.
eine Übersicht über die im Versicherungskonto gespeicherten rentenrechtlichen Zeiten,
2.
eine Darstellung über die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte mit der Angabe ihres derzeitigen Wertes und dem Hinweis, dass sich die Berechnung der Entgeltpunkte aus beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten nach der weiteren Versicherungsbiografie richtet,
3.
Angaben über die Höhe der Rente, die auf der Grundlage des geltenden Rechts und der im Versicherungskonto gespeicherten rentenrechtlichen Zeiten ohne den Erwerb weiterer Beitragszeiten
a)
bei verminderter Erwerbsfähigkeit als Rente wegen voller Erwerbsminderung,
b)
bei Tod als Witwen- oder Witwerrente,
c)
nach Erreichen der Regelaltersgrenze als Regelaltersrente
zu zahlen wäre,
4.
eine Prognose über die Höhe der zu erwartenden Regelaltersrente,
5.
allgemeine Hinweise
a)
zur Erfüllung der persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch,
b)
zum Ausgleich von Abschlägen bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente,
c)
zu den Auswirkungen der Inanspruchnahme einer Teilrente,
6.
Hinweise
a)
zu den Auswirkungen der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters,
b)
zu den Auswirkungen eines Hinausschiebens des Rentenbeginns über die Regelaltersgrenze.

(5) Auf Antrag erhalten Versicherte Auskunft über die Höhe ihrer auf die Ehezeit oder Lebenspartnerschaftszeit entfallenden Rentenanwartschaft. Diese Auskunft erhält auf Antrag auch der Ehegatte oder geschiedene Ehegatte oder der Lebenspartner oder frühere Lebenspartner eines Versicherten, wenn der Träger der Rentenversicherung diese Auskunft nach § 74 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe b des Zehnten Buches erteilen darf, weil der Versicherte seine Auskunftspflicht gegenüber dem Ehegatten oder Lebenspartner nicht oder nicht vollständig erfüllt hat. Die nach Satz 2 erteilte Auskunft wird auch dem Versicherten mitgeteilt. Ferner enthält die Rentenauskunft auf Antrag die Höhe der Beitragszahlung, die zum Ausgleich einer Rentenminderung bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters erforderlich ist, und Angaben über die ihr zugrunde liegende Altersrente. Diese Auskunft unterbleibt, wenn die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine vorzeitige Rente wegen Alters offensichtlich ausgeschlossen ist.

(6) Für die Auskunft an das Familiengericht nach § 220 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergeben sich die nach § 39 des Versorgungsausgleichsgesetzes zu ermittelnden Entgeltpunkte aus der Berechnung einer Vollrente wegen Erreichens der Regelaltersgrenze.

(1) Kindererziehungszeiten sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für einen Elternteil (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 Erstes Buch) wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn

1.
die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2.
die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3.
der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.

(2) Eine Erziehungszeit ist dem Elternteil zuzuordnen, der sein Kind erzogen hat. Haben mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen, wird die Erziehungszeit einem Elternteil zugeordnet. Haben die Eltern ihr Kind gemeinsam erzogen, können sie durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist. Die Zuordnung kann auf einen Teil der Erziehungszeit beschränkt werden. Die übereinstimmende Erklärung der Eltern ist mit Wirkung für künftige Kalendermonate abzugeben. Die Zuordnung kann rückwirkend für bis zu zwei Kalendermonate vor Abgabe der Erklärung erfolgen, es sei denn, für einen Elternteil ist unter Berücksichtigung dieser Zeiten eine Leistung bindend festgestellt, ein Versorgungsausgleich oder ein Rentensplitting durchgeführt. Für die Abgabe der Erklärung gilt § 16 des Ersten Buches über die Antragstellung entsprechend. Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, wird die Erziehungszeit dem Elternteil zugeordnet, der das Kind überwiegend erzogen hat. Liegt eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vor, erfolgt die Zuordnung zur Mutter, bei gleichgeschlechtlichen Elternteilen zum Elternteil nach den §§ 1591 oder 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, oder wenn es einen solchen nicht gibt, zu demjenigen Elternteil, der seine Elternstellung zuerst erlangt hat. Ist eine Zuordnung nach den Sätzen 8 und 9 nicht möglich, werden die Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt, wobei der erste Kalendermonat dem älteren Elternteil zuzuordnen ist.

(3) Eine Erziehung ist im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland steht gleich, wenn der erziehende Elternteil sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat. Dies gilt bei einem gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten oder Lebenspartnern im Ausland auch, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner des erziehenden Elternteils solche Pflichtbeitragszeiten hat oder nur deshalb nicht hat, weil er zu den in § 5 Abs. 1 und 4 genannten Personen gehörte oder von der Versicherungspflicht befreit war.

(4) Elternteile sind von der Anrechnung ausgeschlossen, wenn sie

1.
während der Erziehungszeit oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt haben, die aufgrund
a)
einer zeitlich begrenzten Entsendung in dieses Gebiet (§ 5 Viertes Buch) oder
b)
einer Regelung des zwischen- oder überstaatlichen Rechts oder einer für Bedienstete internationaler Organisationen getroffenen Regelung (§ 6 Viertes Buch)
den Vorschriften über die Versicherungspflicht nicht unterliegt,
2.
während der Erziehungszeit zu den in § 5 Absatz 4 genannten Personen gehören oder
3.
während der Erziehungszeit Anwartschaften auf Versorgung im Alter aufgrund der Erziehung erworben haben, wenn diese nach den für sie geltenden besonderen Versorgungsregelungen systembezogen annähernd gleichwertig berücksichtigt wird wie die Kindererziehung nach diesem Buch; als in diesem Sinne systembezogen annähernd gleichwertig gilt eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen.

(5) Die Kindererziehungszeit beginnt nach Ablauf des Monats der Geburt und endet nach 36 Kalendermonaten. Wird während dieses Zeitraums vom erziehenden Elternteil ein weiteres Kind erzogen, für das ihm eine Kindererziehungszeit anzurechnen ist, wird die Kindererziehungszeit für dieses und jedes weitere Kind um die Anzahl an Kalendermonaten der gleichzeitigen Erziehung verlängert.

(1) Für Beitragszeiten werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für dasselbe Kalenderjahr geteilt wird. Für das Kalenderjahr des Rentenbeginns und für das davor liegende Kalenderjahr wird als Durchschnittsentgelt der Betrag zugrunde gelegt, der für diese Kalenderjahre vorläufig bestimmt ist.

(1a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 werden Entgeltpunkte für Beitragszeiten aus einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 aus dem Arbeitsentgelt ermittelt.

(2) Kindererziehungszeiten erhalten für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte (Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten). Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten sind auch Entgeltpunkte, die für Kindererziehungszeiten mit sonstigen Beitragszeiten ermittelt werden, indem die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b.

(3) Aus der Zahlung von Beiträgen für Arbeitsentgelt aus nach § 23b Abs. 2 Satz 1 bis 4 des Vierten Buches aufgelösten Wertguthaben werden zusätzliche Entgeltpunkte ermittelt, indem dieses Arbeitsentgelt durch das vorläufige Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für das Kalenderjahr geteilt wird, dem das Arbeitsentgelt zugeordnet ist. Die so ermittelten Entgeltpunkte gelten als Entgeltpunkte für Zeiten mit vollwertigen Pflichtbeiträgen nach dem 31. Dezember 1991.

(3a) Sind mindestens 25 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten vorhanden, werden für nach dem Jahr 1991 liegende Kalendermonate mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder mit Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Entgeltpunkte zusätzlich ermittelt oder gutgeschrieben. Diese betragen für jeden Kalendermonat

a)
mit Pflichtbeiträgen die Hälfte der hierfür ermittelten Entgeltpunkte, höchstens 0,0278 an zusätzlichen Entgeltpunkten,
b)
in dem für den Versicherten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für ein Kind mit entsprechenden Zeiten für ein anderes Kind zusammentreffen, 0,0278 an gutgeschriebenen Entgeltpunkten, abzüglich des Wertes der zusätzlichen Entgeltpunkte nach Buchstabe a.
Die Summe der zusätzlich ermittelten und gutgeschriebenen Entgeltpunkte ist zusammen mit den für Beitragszeiten und Kindererziehungszeiten ermittelten Entgeltpunkten auf einen Wert von höchstens 0,0833 Entgeltpunkte begrenzt.

(4) Ist für eine Rente wegen Alters die voraussichtliche beitragspflichtige Einnahme für den verbleibenden Zeitraum bis zum Beginn der Rente wegen Alters vom Rentenversicherungsträger errechnet worden (§ 194 Absatz 1 Satz 6, Abs. 2 Satz 2), sind für diese Rente Entgeltpunkte daraus wie aus der Beitragsbemessungsgrundlage zu ermitteln. Weicht die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme von der durch den Rentenversicherungsträger errechneten voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme ab, bleibt sie für diese Rente außer Betracht. Bei einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 treten an die Stelle der voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 1 das voraussichtliche Arbeitsentgelt und an die Stelle der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 2 das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt.

(5) Für Zeiten, für die Beiträge aufgrund der Vorschriften des Vierten Kapitels über die Nachzahlung gezahlt worden sind, werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt des Jahres geteilt wird, in dem die Beiträge gezahlt worden sind.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 3. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuordnung der im Jahr 2000 sowie von Mai bis Dezember 2004 zurückgelegten Beschäftigungszeiten in seinem Versicherungskonto zur knappschaftlichen Rentenversicherung.

2

Der 1959 geborene Kläger ist gelernter Baumaschinenschlosser. Er war zunächst als Instandhaltungsmechaniker im Braunkohlekombinat S. und ab 1990 bei der L AG (L.) im Tagebau B. tätig. Zum 30.6.1994 schied er dort aus; anschließend war er bei der G. mbH (B. GmbH), nach deren Aufspaltung ab 1.7.1995 bei der B. S. GmbH im Rahmen mehrerer von der Arbeitsverwaltung geförderter Projekte jeweils befristet beschäftigt. Über das Vermögen der B. S. GmbH wurde im Jahr 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beigeladene zum Insolvenzverwalter bestimmt (Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 5.1.2012).

3

In den hier streitbefangenen Zeiträumen war der Kläger jeweils aufgrund befristeter Arbeitsverträge mit der B. S. GmbH vom 1.1. bis 31.12.2000 als Instandhaltungsmechaniker und vom 1.5.2004 bis 31.12.2004 als Mehrzweckgerätefahrer im Tagebau B. beschäftigt. Dort wurde, nachdem seit Beginn der 1990er Jahre Abbau und Sanierung parallel vorgenommen worden waren, die Braunkohleförderung zum 28.12.1997 komplett eingestellt. Die eingesetzten Tagebaugroßgeräte wurden überwiegend bis Ende 1999, je ein Absetzer zur Verkippung erst 2000 bzw 2001 verschrottet; die weitere Rekultivierung erfolgte anschließend mit Hilfe mobiler Erdbautechnik.

4

Von Beginn seiner Tätigkeit bei der B. S. GmbH an war der Kläger bei der beklagten Bundesknappschaft, die ab 1.10.2005 unter dem Namen "Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See" fortgeführt wurde, pflichtversichert und es wurden für ihn Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet. Nach Überprüfung des Versicherungsverhältnisses war die Beklagte jedoch der Ansicht, dass sie den Kläger zu Unrecht zur knappschaftlichen Versicherung herangezogen habe, weil er nicht ausschließlich oder überwiegend knappschaftliche Arbeiten verrichtet habe; als Instandhaltungsmechaniker sei er lediglich "für" und nicht "in" der Sanierung des ehemaligen Tagebaugeländes tätig gewesen. Die daraufhin erfolgte "Umstellung des Rentenversicherungsverhältnisses nach § 201 Abs. 2 SGB VI"(Bescheid vom 21.9.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.3.2006) hat die Beklagte - nach gerichtlicher Entscheidung in einem Parallelverfahren, dass eine Ermächtigungsgrundlage hierfür fehle - im Hinblick darauf zurückgenommen, dass die Zuordnungsfrage im Rahmen eines Verfahrens zur Feststellung des Versicherungsverlaufs zu klären sei (Bescheid vom 28.7.2010).

5

Die Beklagte stellte die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten des Klägers, die länger als sechs Jahre zurücklagen (bis 31.12.2004), nach § 149 Abs 5 SGB VI verbindlich fest(Vormerkungsbescheid vom 7.2.2011). Die hier streitigen Beschäftigungszeiten (vom 1.1.2000 bis 31.12.2000 sowie vom 1.5.2004 bis 31.12.2004) ordnete sie dabei der allgemeinen Rentenversicherung der Arbeiter zu. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Da die B. S. GmbH weder ein knappschaftlicher Betrieb sei noch der Kläger knappschaftliche Tätigkeiten verrichtet habe, komme eine Versicherungspflicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung nicht in Betracht (Widerspruchsbescheid vom 5.9.2011).

6

Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des SG Dresden vom 3.7.2012; Urteil des Sächsischen LSG vom 3.6.2014). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, der Vormerkungsbescheid sei zu Recht ergangen. Die B. S. GmbH sei kein knappschaftlicher Betrieb gewesen, weil der Gegenstand des Unternehmens auf reine Sanierungsarbeiten, auf landschaftsgestalterische Maßnahmen, auch außerhalb des Bergbaus, sowie auf Tätigkeiten aller Art auf dem Gebiet der Umwelt ausgerichtet gewesen sei. Solche Betriebe erfüllten nicht den eng auszulegenden Begriff des knappschaftlichen Betriebs unter Berücksichtigung des Versicherungszwecks der im Bergbau Beschäftigten. Es habe sich auch nicht um einen überwiegend unterirdisch betriebenen Betrieb der Industrie der Steine und Erden und auch nicht um einen Nebenbetrieb eines knappschaftlichen Betriebs gehandelt. Der Kläger habe als auf dem Gelände des ehemaligen Tagebaus mit der Störungssuche und Reparaturen an mobiler Erdbautechnik befasster Instandhaltungsmechaniker auch keine knappschaftlichen Arbeiten verrichtet. Er sei bei seinen Tätigkeiten den typischen Erschwernissen des Bergbaus nicht ausgesetzt gewesen und habe zu Sanierungsarbeiten iS von § 134 Abs 4 Nr 11 SGB VI allenfalls mittelbar beigetragen.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine fehlerhafte Anwendung der Vorschriften über die knappschaftliche Rentenversicherung (§ 138 SGB VI aF und § 134 SGB VI). Unzutreffend habe das LSG die B. S. GmbH nicht als knappschaftlichen Betrieb eingeordnet. Der ursprüngliche Gründungszweck der Gesellschaft sei die Durchführung der Sanierung des Braunkohletagebaus in der Lausitz und in Mitteldeutschland gewesen. Damit stehe die B. S. GmbH in "gerader Funktionsnachfolge" eines - zweifelsfrei - ehemaligen knappschaftlichen Betriebs, dem Braunkohletagebau in der ehemaligen DDR. Unerheblich sei, dass sich die B. S. GmbH für andere Geschäftsfelder auch außerhalb des Braunkohletagebaus geöffnet habe. Der weit überwiegende Anteil des Umsatzes der B. S. GmbH sei im Bereich der Bergbausanierung erzielt worden. Im Übrigen habe der Kläger zumindest überwiegend knappschaftliche Arbeiten iS von § 133 Nr 2, § 134 Abs 4 Nr 11 SGB VI verrichtet. Es stelle einen Ermittlungsfehler dar, dass das Berufungsgericht den genauen Anteil der knappschaftlichen Tätigkeiten an seiner Gesamttätigkeit nicht festgestellt habe, obwohl die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 2.3.2006 selbst davon ausgegangen sei, dass er auch knappschaftliche Tätigkeiten verrichtet habe. Nicht zu folgen sei dem LSG auch darin, dass es die von ihm durchgeführten Reparaturen an Baumaschinen - Baggern, Planierraupen, Lkw und Dumpern - generell nicht als knappschaftliche Arbeiten angesehen habe. Abzustellen sei vielmehr auf das Gesamtgepräge der Arbeiten und darauf, dass das Verrichten knappschaftlicher Tätigkeiten ohne diese unterstützenden Arbeiten an Technik und Maschinen nicht denkbar sei. Der Kläger habe Wartungs- und Reparaturarbeiten an Gerätschaften und Fahrzeugen durchgeführt, die für die Sanierung des Braunkohletagebaus eingesetzt worden seien, und damit zugleich Sanierungsarbeiten iS von § 134 Abs 4 Nr 11 SGB VI verrichtet. Unerheblich sei, dass diese Arbeiten in gleicher Weise von Dritten außerhalb des Bergbaus ausgeführt werden könnten. Der vom LSG vorgenommenen Unterscheidung zwischen als knappschaftlich zu qualifizierenden Arbeiten in der Sanierung und solchen, die nicht mehr dem knappschaftlichen Regime unterfielen, mangele es an nachvollziehbaren Differenzierungskriterien. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Tagebau B. im streitigen Zeitraum weiterhin der Bergaufsicht unterstanden habe und die Vorgaben des erstellten Abschlussbetriebsplans noch nicht vollständig umgesetzt gewesen seien. Ein räumlicher Zusammenhang der Tätigkeiten des Klägers mit dem Braunkohletagebau sei evident.

8

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 3. Juni 2014 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 3. Juli 2012 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2011 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, die vom Kläger zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten vom 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2000 und vom 1. Mai 2004 bis zum 31. Dezember 2004 als solche in der knappschaftlichen Rentenversicherung festzustellen.

9

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Sie verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.

11

Der Beigeladene schließt sich der Rechtsansicht der Beklagten an und stellt keinen eigenen Antrag.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Die Vorinstanzen haben seine Klage zu Recht abgewiesen, denn er hat keinen Anspruch auf Feststellung der Beitragszeiten vom 1.1. bis 31.12.2000 und vom 1.5. bis 31.12.2004 in seinem Versicherungskonto als der knappschaftlichen Rentenversicherung unterfallende Zeiten.

13

A. Gegenstand des Rechtsstreits ist das Begehren des Klägers auf Abänderung des Vormerkungsbescheids vom 7.2.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.9.2011 hinsichtlich der Zuordnung der dort festgestellten Beitragszeiten vom 1.1. bis 31.12.2000 und vom 1.5. bis 31.12.2004 zur knappschaftlichen Rentenversicherung. Er verfolgt dies zutreffend mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 SGG - vgl BSG Urteil vom 9.10.2007 - B 5b/8 KN 2/06 R - BSGE 99, 122 = SozR 4-2600 § 201 Nr 1, RdNr 10; BSG Urteil vom 24.10.2013 - B 13 R 1/13 R - SozR 4-2600 § 57 Nr 1 RdNr 11).

14

B. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zuordnung der streitbefangenen Beitragszeiten zur knappschaftlichen Rentenversicherung zu. Die nähere Qualifizierung der für die Feststellung im Versicherungskonto bedeutsamen Zeiten hat auf der Grundlage des im Zeitpunkt des Erlasses des Vormerkungsbescheids (vgl § 149 Abs 5 S 2 SGB VI), in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren grundsätzlich nach Maßgabe des zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz maßgeblichen Rechts (s hierzu näher BSG Urteil vom 2.12.2010 - B 9 SB 3/09 R - SozR 3-3250 § 69 Nr 12 RdNr 24 mwN)zu erfolgen. Das sind hier die Vorschriften des § 133 SGB VI(in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung des Gesetzes vom 9.12.2004, BGBl I 3242) bzw des § 134 Abs 4 bis 6 SGB VI(in der ab 1.1.2008 geltenden Fassung des Gesetzes vom 19.12.2007, BGBl I 3024).

15

Die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See ist seit 1.10.2005 zuständig (bis 30.9.2005 die Bundesknappschaft: § 274d Abs 3 Nr 1 SGB VI), wenn die Versicherten in einem knappschaftlichen Betrieb beschäftigt sind (§ 133 Nr 1 SGB VI),ausschließlich oder überwiegend knappschaftliche Arbeiten verrichten (§ 133 Nr 2 SGB VI)oder bei einer - hier nicht relevanten - Arbeitnehmer- bzw Arbeitgeberorganisation bzw einer anderen Stelle mit entsprechenden Beiträgen zur knappschaftlichen Versicherung beschäftigt sind (§ 133 Nr 3 SGB VI). Die B. S. GmbH ist nach den Feststellungen des LSG weder ein knappschaftlicher Betrieb (nachfolgend unter 1.) bzw Nebenbetrieb oder Betriebsteil gewesen (2.) noch hat der Kläger in den maßgeblichen Zeiträumen mindestens überwiegend knappschaftliche Tätigkeiten verrichtet (3.). Er kann sich auch nicht auf Regelungen zum Besitzschutz (4.) und ebenso wenig auf eine verfahrensrechtlich geschützte Position berufen (5.).

16
        

1. Knappschaftliche Betriebe sind Betriebe, in denen Mineralien oder ähnliche Stoffe bergmännisch gewonnen werden, Betriebe der Industrie der Steine und Erden jedoch nur dann, wenn sie überwiegend unterirdisch betrieben werden (§ 134 Abs 1 SGB VI)oder es sich um Versuchsgruben des Bergbaus handelt (§ 134 Abs 2 SGB VI). Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat die B. S. GmbH keine Mineralien oder ähnliche Stoffe bergmännisch gewonnen. Sie hat weder als Betrieb der Industrie der Steine und Erden überwiegend unterirdisch gearbeitet (vgl BSG Urteil vom 22.5.1974 - 5 RKn 7/73 - BSGE 37, 245 = SozR 2600 § 2 Nr 1; BSG Beschluss vom 14.8.2008 - B 5 R 220/07 B - SozR 4-2600 § 134 Nr 2 RdNr 5)noch war sie eine Versuchsgrube des Bergbaus. Das LSG hat sich hierfür auf den Handelsregisterauszug (AG Dresden ) bezogen und den Unternehmensgegenstand der B. S. GmbH im maßgeblichen Zeitraum als reinen Sanierungsbetrieb wie folgt festgestellt:

        

"Gegenstand des Unternehmens war zunächst die Planung und Durchführung von Maßnahmen der Landschaftsgestaltung, insbesondere im Zusammenhang mit der Schaffung einer Bergbaufolgelandschaft, Tätigkeiten aller Art auf dem Gebiet der Umwelt, insbesondere der Schaffung von Deponien und Industriebrachen und sonstigen Altlastenflächen, sowie das Erbringen von Dienstleistungen. Zum 15.3.2000 wurde der Gegenstand erweitert auf die Sanierung, Beräumung und Umsetzung von Deponien, und Industriebrachen und sonstigen Altlastenflächen, den Abriss und die Entkernung ober- und unterirdischer Bauwerke, den schweren Erdbau, Bodenverdichtungen nach allen Techniken, Spezialbohrungen, Sprengarbeiten, Anlage, Pflege und Bewirtschaftung forstwirtschaftlicher Flächen, mechanische Wartung und Instandhaltung sowie Lieferung von Geräten und Anlagen, Instandhaltung und Lieferung elektrischer Anlagen und Einrichtungen, die Anlage und der Betrieb von Einrichtungen zur Hebung und Reinigung von Wasser" (so LSG-Urteil S 3, vgl auch S 13).

17

Dieser Unternehmensgegenstand hatte nicht die bergmännische Gewinnung von Mineralien oder ähnlichen Stoffen zum Inhalt. Der Unternehmenszweck war mithin nicht auf die originäre bergmännische Tätigkeit ausgerichtet, sondern auf die Eröffnung neuer Geschäftsfelder in den Bereichen Sanierung, Rekultivierung, Landschaftsgestaltung, Umwelt etc.

18

Dieser weit gefasste Unternehmenszweck und die hieraus resultierenden vielfältigen Aufgaben stehen dem eng abzugrenzenden, zentralen Begriff der "bergmännischen Gewinnung" (iS von § 2 RKG als Vorläuferregelung von § 138 Abs 1 SGB VI aF und § 134 Abs 1 SGB VI) gerade im Hinblick auf den mit der Knappschaftsversicherung erstrebten speziellen Schutz der Bergleute entgegen (vgl dazu BSG Urteil vom 14.11.1989 - 8 RKn 5/88 - BSGE 66, 75, 80 = SozR 1500 § 55 Nr 37 S 47). Hiernach sollen in einem Bergwerksbetrieb - dh in einem Betrieb, der sich unmittelbar mit der Förderung von Mineralien oder ähnlichen Stoffen befasst - Beschäftigte vor kräftezehrenden und gesundheitsgefährdenden Tätigkeiten wie unter Tage geschützt werden (vgl BSG Urteil vom 30.6.1998 - B 8 KN 10/96 R - SozR 3-8110 Kap VIII H III Nr 1 Nr 2 S 24; BSG Urteil vom 1.7.1969 - 5 RKn 18/66 - SozR Nr 1 zu § 1 RKG).

19

Entgegen der Ansicht des Klägers ist es nicht von entscheidender Relevanz, ob die B. S. GmbH unter staatlicher Bergaufsicht gestanden hat. Das BSG hat bereits zur unterschiedlichen Zielsetzung des Bundesberggesetzes (BBergG) und der Knappschaftsversicherung entschieden. Aus der Unterstellung knappschaftlicher Betriebe unter die Aufsicht der Bergbehörden kann nicht gefolgert werden, dass ihre Betriebstätigkeit allein deshalb auch eine Form der bergmännischen Gewinnung von Mineralien oder ähnlicher Stoffe ist (vgl BSG Urteil vom 14.11.1989 - 8 RKn 5/88 - BSGE 66, 75, 80 = SozR 1500 § 55 Nr 37 S 47).

20

Wenn sich der Kläger gleichwohl auf das BBergG beruft, wonach zum Gewinnen von Bodenschätzen auch die damit zusammenhängenden nachfolgenden Tätigkeiten (vgl § 4 Abs 2 BBergG) -wie Sanierungsarbeiten - zählen, führt dies zu keinem günstigeren Ergebnis. Nach den Feststellungen des LSG fehlt dem Unternehmenszweck der B. S. GmbH gerade das vorangegangene bergmännische Gewinnen von Mineralien oder ähnlichen Stoffen. Dies aber wird als zentrale Begrifflichkeit für die Beurteilung eines knappschaftlichen Betriebs in § 134 Abs 1 SGB VI vorausgesetzt.

21

Unergiebig ist auch der Einwand des Klägers, dass die B. S. GmbH "in gerader Funktionsnachfolge" eines dem ursprünglichen Braunkohletagebau in der ehemaligen DDR zugehörigen Unternehmens stehe. Die B. S. GmbH ist aus dem Braunkohletagebau in der ehemaligen DDR als eigenständige, rechtsfähige Gesellschaft (vgl § 13 GmbHG) im Jahr 1994 hervorgegangen. Sie entstand in einem mehrjährigen Umstrukturierungsprozess der ehemaligen Kombinate der DDR-Braunkohleindustrie in Kapitalgesellschaften. Die als Treuhandunternehmen gegründete L. AG (L.) wurde Anfang 1994 in einen weiter zu betreibenden - hier nicht relevanten - aktiven Teil und in einen auslaufenden, nach und nach stillzulegenden sowie zu sanierenden Teil aufgespalten (Lausitzer Bergbau Verwaltungsgesellschaft mbH ). Nach Verschmelzung der LBV mit der Mitteldeutschen Verwaltungsgesellschaft mbH (MBV) entstand die LMBV, die als langfristige Plattform für die Organisation des Auslauf- und Sanierungsbergbaus diente. Die B. S. GmbH agierte als ein am Sanierungsprozess beteiligter Partner der LMBV (vgl Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH - LMBV - (Hrsg): Zwei Jahrzehnte Braunkohlesanierung - Eine Zwischenbilanz, Senftenberg 2010, S 10, 27 ff, 34 ff, 84).

22

Mit dem Ziel der Sanierung der ehemaligen Tagebaue wurde die G. mbH (B. GmbH) gegründet, aus der - nach Abspaltung in einen brandenburgischen und in einen sächsischen Teil - schließlich die B. S. GmbH hervorging, die Ende 1994 gegründet und in das Handelsregister eingetragen wurde. Aus diesem Umstrukturierungsprozess des Braunkohletagebaus der ehemaligen Kombinate der DDR-Braunkohleindustrie ergibt sich aber nicht die Nachfolge in die "Funktion" eines knappschaftlichen Betriebs. Hieraus folgt vielmehr die klare - finanziell und gesellschaftsrechtlich vollzogene - Trennung der Unternehmen in aktiven Bergbau und Folgesanierung (vgl auch Steinhuber, Einhundert Jahre bergbauliche Rekultivierung in der Lausitz, Dissertation, Berlin/Olomouc 2005, S 284 ff, 295 ff). Entsprechend dieser Trennung ist die B. S. GmbH dem Bereich der Folgesanierung zuzuordnen.

23

2. Die B. S. GmbH war auch keine Betriebsanstalt oder Gewerbeanlage, die als Nebenbetrieb eines knappschaftlichen Betriebs mit diesem räumlich und betrieblich zusammenhängt (§ 134 Abs 3 SGB VI). Unter einem Betrieb wird danach die auf die Errichtung eines arbeitstechnischen Zwecks gerichtete organisatorische Zusammenfassung personeller, sächlicher und anderer Arbeitsmittel zu einer selbstständigen Einheit verstanden (stRspr, vgl nur BSG Urteil vom 14.11.1989 - 8 RKn 5/88 - BSGE 66, 75, 81 = SozR 1500 § 55 Nr 37 S 48 mwN). Um einen unselbstständigen Betriebsteil handelt es sich hingegen, wenn eine Produktionsstätte in Bezug auf die Gesamtheit der eingesetzten Arbeitsmittel über keinen selbstständigen Leitungsapparat verfügt (vgl BSG Urteil vom 22.5.1974 - 5 RKn 7/73 - BSGE 37, 245, 246 = SozR 2600 § 2 Nr 1 S 3) und zwischen der vorhandenen "Zentrale" und der Produktionsstätte auf dem Gebiet der Planung, der Entwicklung, der Produktion und des Vertriebs eine derartig starke organisatorische Verflechtung besteht, dass eine Verselbstständigung nicht ohne grundlegende Umwandlung der Organisationsstruktur möglich wäre (vgl BSG Urteil vom 13.7.1978 - 8/3 RK 22/77 - SozR 2200 § 245 Nr 2 S 9; BSG Urteil vom 14.4.1983 - 8 RK 11/82 - SozR 2200 § 245 Nr 3 S 15). Die Entscheidung, ob ein selbstständiger Betrieb oder ein unselbstständiger Nebenbetrieb vorliegt, bedarf einer Gesamtbewertung aller Umstände des Einzelfalls (vgl nur BSG Urteil vom 14.11.1989 - 8 RKn 5/88 - BSGE 66, 75, 81 = SozR 1500 § 55 Nr 37 S 48).

24

Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG war die B. S. GmbH weder räumlich noch betrieblich mit einem knappschaftlichen Hauptbetrieb des Braunkohletagebaus verflochten. Dafür ist es nicht ausreichend, dass sie die Sanierung des Bergtagebaus in Sachsen durchgeführt hat. Vielmehr ist entscheidend, dass sie aus dem aufgezeigten Umstrukturierungsprozess als GmbH rechtliche Eigenständigkeit erlangt hatte und über eine klare wirtschaftliche Struktur und eine eigene Geschäftsleitung verfügte; diese Merkmale stehen einem unselbstständigen Nebenbetrieb bzw Betriebsteil entgegen (vgl BSG Urteil vom 14.11.1989 - 8 RKn 5/88 - BSGE 66, 75, 83 = SozR 1500 § 55 Nr 37 S 50; BSG Urteil vom 30.6.1998 - B 8 KN 10/96 R - SozR 3-8110 Kap VIII H III Nr 1 Nr 2 S 21 ff; vgl auch Bergner ua, KomGRV, Stand Einzelkommentierung Oktober 2008, § 134 SGB VI RdNr 5).

25

3. Der Kläger hat im streitigen Zeitraum auch nicht ausschließlich oder überwiegend knappschaftliche Arbeiten verrichtet (§ 133 Nr 2 iVm § 134 Abs 4 SGB VI). Solche knappschaftlichen Arbeiten stehen für die knappschaftliche Versicherung einem knappschaftlichen Betrieb gleich (§ 134 Abs 5 SGB VI). Knappschaftliche Arbeiten sind die in § 134 Abs 4 Nr 1 bis 11 SGB VI genannten Arbeiten, wenn sie räumlich und betrieblich mit einem Bergwerksbetrieb zusammenhängen, aber von einem anderen Unternehmer ausgeführt werden (sog Unternehmerarbeiten).

26

a) Ursprünglich waren knappschaftliche Arbeiten in § 1 der Verordnung des Reichsarbeitsministers über knappschaftliche Arbeiten vom 11.2.1933 (VO 1933 - RGBl I 66 bzw BGBl III 1964, Nr 822-3-1) definiert. Bis zum 31.12.2007 konnte diese vorkonstitutionelle Regelung zumindest als Auslegungshilfe herangezogen werden (vgl BSG Urteil vom 12.11.2003 - B 8 KN 2/03 R - SozR 4-5050 § 22 Nr 3 RdNr 38; BSG Urteil vom 10.9.1981 - 5a/5 RKn 19/79 - SozR 2600 § 1 Nr 3; BSG Urteil vom 1.7.1969 - 5 RKn 18/66 - SozR Nr 1 zu § 1 RKG; zur Problematik vgl May, NZS 1996, 377). Mit der zum 1.1.2008 in Kraft getretenen Vorschrift des § 134 Abs 4 SGB VI(idF des Gesetzes vom 19.12.2007, BGBl I 3024) ist der Regelungsinhalt von § 1 VO 1933 aus Gründen der "Rechtsbereinigung" in das SGB VI überführt worden(vgl BT-Drucks 16/6540 - Zu Nr 7 <§ 134> S 27). Bis auf geringfügige sprachliche Änderungen ist der Katalog der VO 1933 inhaltsgleich in § 134 Abs 4 SGB VI übernommen worden(vgl Pott in Ruland/Försterling , Gemeinschaftskomm zum SGB VI, Stand Einzelkommentierung August 2014, § 134 RdNr 2).

27

Nach der Rechtsprechung des BSG zu den Katalogarbeiten von Nr 1 bis Nr 11 (von § 134 Abs 4 S 1 SGB VI bzw § 138 Abs 4 S 1 SGB VI aF iVm der VO 1933) muss es sich um körperlich belastende und den spezifischen Gefahren des Bergbaus ausgesetzte Arbeiten handeln, die den besonderen Schutz der knappschaftlichen Rentenversicherung rechtfertigen (BSG Urteil vom 12.11.2003 - B 8 KN 2/03 R - SozR 4-5050 § 22 Nr 3 RdNr 38 mwN). Selbst bei den im Katalog der Nr 2 bis 11 genannten Arbeiten, die nicht unter Tage stattfinden, muss es sich um solche handeln, die ebenso kräftezehrend und gesundheitsgefährdend sind wie Tätigkeiten unter Tage (vgl BSG Urteil vom 30.6.1998 - B 8 KN 10/96 R - SozR 3-8110 Kap VIII H III Nr 1 Nr 2 S 24). Nur solche Tätigkeiten entsprechen dem Grundzweck der knappschaftlichen Versicherung. Die Knappschaftsversicherung ist eine Berufsversicherung der Bergarbeiter, die ihren Ursprung in dem Gedanken hatte, dass den schwierigen Verhältnissen und Gefahren des Bergbaus und der stärkeren Abnutzung der Körperkräfte des Bergarbeiters im Vergleich zu anderen gewerblichen Arbeitern besonders Rechnung getragen werden müsse. Tätigkeiten, die ebenso wie die der eigentlichen unter Tage Beschäftigten der Zeche den besonderen Gefahren und Abnutzungen des Bergbaus unterliegen, sollten daher unter dem erhöhten Schutz der knappschaftlichen Versicherung stehen (vgl BSG Urteil vom 1.7.1969 - 5 RKn 18/66 - SozR Nr 1 zu § 1 RKG S Aa 2). Diese Rechtfertigung für die berufsständische Versicherung der Bergleute und ihren Fortbestand gilt auch heute noch (vgl Pott in Ruland/Försterling , Gemeinschaftskomm zum SGB VI, aaO RdNr 21). Selbst wenn der technische Fortschritt und der Einsatz technischer Hilfsmittel kräftesparende Erleichterungen mit sich gebracht haben, bestehen die besonderen Risiken im Bergbau und die damit einhergehenden Gefahren für die Gesundheit nach wie vor.

28

b) Nach diesen Maßstäben hat das LSG in nicht zu beanstandender Weise seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass der Kläger in den hier streitbefangenen Zeiträumen keine knappschaftlichen Arbeiten iS des in § 134 Abs 4 Nr 1 bis 11 SGB VI aufgelisteten Katalogs ausgeübt hat.

29

aa) Das Berufungsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass der Kläger - ungeachtet der unterschiedlichen Beschreibung in den jeweiligen Arbeitsverträgen als "Instandhaltungsmechaniker" bzw "Mehrzweckgerätefahrer" - in den Zeiträumen 1.1. bis 31.12.2000 und 1.5. bis 31.12.2004 auf dem Gelände des ehemaligen Tagebaus B. folgende Arbeiten ausgeführt hat: Störungssuche und Reparaturen an Baumaschinen wie Baggern, Planierraupen, Lkw und Dumpern. Hierbei habe er "Fahrteilewerkswechsel" (gemeint wohl: Fahrwerksteilewechsel) von mobilen Baggern und Planierraupen vorgenommen, Baugruppenkomponenten repariert, Hydraulikschläuche, Räder von Lkw und Dumpern und Verschleißteile von Planierschildern gewechselt sowie Schweißarbeiten vor Ort durchgeführt. Störungssuche und Reparaturarbeiten hätten sich auf die nach Abschluss der Stützabraumförderung im Rahmen von Sanierungsarbeiten eingesetzte mobile Erdbautechnik bezogen; mit Tagebaugroßgeräten habe sich der Kläger nicht befasst. Er habe dabei auch keine schweren und kräftezehrenden Tätigkeiten verrichtet, sondern vielmehr Arbeiten ausgeführt, die denjenigen eines Instandhaltungsmechanikers im Tiefbau vergleichbar seien. Gegen diese Feststellungen des LSG hat der Kläger Verfahrensrügen oder sonstige Revisionsgründe nicht vorgebracht, sodass sie für den Senat bindend sind (§ 163 SGG).

30

bb) Auf dieser Grundlage ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger keine knappschaftlichen Arbeiten iS von § 134 Abs 4 - dort insbesondere Nr 7 und 11 - SGB VI verrichtet hat. Die Einwendungen des Klägers gegen diese rechtliche Bewertung greifen nicht durch.

31

Soweit der Kläger rügt, das LSG habe rechtsfehlerhaft Ermittlungen zu der Frage unterlassen, in welchem Umfang (mit welchem prozentualen Anteil) er knappschaftliche bzw nicht knappschaftliche Tätigkeiten verrichtet habe, übersieht er, dass das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass seine Tätigkeiten im streitigen Zeitraum ihrer Art nach überhaupt nicht als knappschaftliche Arbeiten angesehen werden können. Hieran war das LSG nicht etwa deshalb gehindert, weil die Beklagte in der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 2.3.2006 ausgeführt hatte, der Kläger habe im streitigen Zeitraum die Wartung, Reparatur und Instandhaltung von Tagebaugroßgeräten vorgenommen und somit - wenn auch nicht überwiegend - knappschaftliche Arbeiten verrichtet. Dieser im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur "Umstellung des Versicherungsverhältnisses" ergangene Widerspruchsbescheid wurde später im gerichtlichen Verfahren von der Beklagten zurückgenommen; schon deshalb können von ihm keine Rechtswirkungen mehr ausgehen (§ 39 Abs 2 SGB X), die mit einer bloßen Begründung zudem ohnehin nicht verbunden sind. In den Bescheiden, über deren Rechtmäßigkeit hier zu befinden ist (Bescheid vom 7.2.2011, Widerspruchsbescheid vom 5.9.2011), ist auch die Beklagte davon ausgegangen, dass die vom Kläger in den streitbefangenen Zeiträumen verrichteten Tätigkeiten (Störungssuche und kleinere Reparaturen an Baumaschinen) schon als solche keine knappschaftlichen Arbeiten sind.

32

Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das LSG auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen die vom Kläger in den streitbefangenen Zeiträumen ausgeübten Tätigkeiten bei der Störungssuche und der Reparatur mobiler Erdbautechnik nicht als "Sanierungsarbeiten wie beispielsweise Aufräumungs- und Ebnungsarbeiten sowie das Laden von Schutt und dergleichen" iS von § 134 Abs 4 Nr 11 SGB VI eingeordnet hat. Zu Recht hat das Berufungsgericht darauf abgestellt, dass nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie ihrem Sinn und Zweck diese Regelung nur die unmittelbare Durchführung von Sanierungsarbeiten wie die beispielhaft genannten Aufräumungs- und Ebnungsarbeiten sowie das Laden von Schutt und dergleichen schwere und kräftezehrende körperliche Arbeiten erfasst. Allein der Umstand, dass das Verrichten knappschaftlicher Arbeiten in der Sanierung ohne unterstützende Arbeiten an Technik und Maschinen nicht denkbar sei, reicht insbesondere nach dem oben beschriebenen Sinn und Zweck der Vorschrift nicht aus, um auch alle mittelbar einer Sanierung dienenden Tätigkeiten allein deshalb ebenso als knappschaftliche Arbeiten iS von § 134 Abs 4 Nr 11 SGB VI zu qualifizieren. Soweit der Kläger jedoch auf das "Gesamtgepräge" der verrichteten Tätigkeiten abstellen will, kommt es nach der Rechtsprechung des BSG (s oben unter 3. a) entscheidend darauf an, dass es sich um ebenso kräftezehrende und gesundheitsgefährdende Tätigkeiten wie solche unter Tage handeln muss. Insoweit hat das LSG jedoch - für den Senat bindend (§ 163 SGG) - festgestellt, dass dies bei den vom Kläger verrichteten Arbeiten im Rahmen von Wartung und Reparatur mobiler Erdbautechnik nicht der Fall war.

33

Das Berufungsgericht hat die Tätigkeiten des Klägers zutreffend auch nicht als "Arbeiten in den zur Zeche gehörenden Reparaturwerkstätten" iS von § 134 Abs 4 Nr 7 SGB VI angesehen. Es ist insoweit ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass hierfür unter den Bedingungen des Tagebaus entweder die Tätigkeit in einer zum Tagebau gehörenden Reparaturwerkstätte oder aber die Reparatur von Tagebaugroßgeräten erforderlich sei; beides sei beim Kläger nicht der Fall gewesen. Der Kläger greift diese Beurteilung mit seiner Revision auch nicht mehr an. Vielmehr will er "die argumentative Einbeziehung der Nr 7" dazu nutzen, um bei den Sanierungsarbeiten gemäß § 134 Abs 4 Nr 11 SGB VI unter dem Gesichtspunkt eines arbeitsteiligen Zusammenwirkens zur Erfüllung der Sanierungsaufgabe auch die Wartungs- und Reparaturtätigkeiten an den mobilen Erdbaugeräten zu erfassen. Dem steht jedoch - wie bereits ausgeführt - entgegen, dass nach den bindenden Feststellungen des LSG die vom Kläger verrichteten Tätigkeiten nicht ebenso kräftezehrend und gesundheitsgefährdend waren wie solche unter Tage.

34

Auch die vom Kläger zusätzlich angeführten Umstände, dass nämlich der Tagebau B., in dem er in den streitigen Zeiträumen tätig war, weiterhin der Bergaufsicht unterlag und der Abschlussbetriebsplan für diesen Tagebau noch nicht vollständig umgesetzt war, haben nicht zur Folge, dass sämtliche dort verrichteten Tätigkeiten noch als knappschaftliche Arbeiten zu qualifizieren sind. Die unterschiedlichen Zielsetzungen des BBergG und der Knappschaftsversicherung (s hierzu bereits oben unter 1.) gebieten einen solchen Gleichklang nicht.

35

4. Der Kläger kann auch keine günstigere Rechtsfolge aus der Besitzschutzregelung des § 273 SGB VI herleiten(vgl dazu BSG Urteil vom 30.6.1998 - B 8 KN 10/96 R - SozR 3-8110 Kap VIII H III Nr 1 Nr 2 S 24). Er kann sich weder auf Besitzschutz wegen einer vor dem 1.1.1992 bei der Bundesknappschaft versicherten und noch andauernden Tätigkeit in einem nichtknappschaftlichen Betrieb berufen (§ 273 Abs 1 S 1 SGB VI)noch genießt er Besitzschutz wegen Verschmelzung und Umwandlung eines Betriebs, für den die Bundesknappschaft vor dem 1.1.1992 zuständig gewesen ist (§ 273 Abs 1 S 2 SGB VI). Im Zeitpunkt der Aufnahme seiner Tätigkeit bei der B. S. GmbH im Jahr 1995 war der aufgezeigte Umstrukturierungsprozess in Kapitalgesellschaften (s oben unter 1.) bereits vollzogen. Besitzschutzregelungen aufgrund des Einigungsvertrages (Anl I Kap VIII Sachgebiet H III Nr 1 Buchst f Doppelbuchst bb Abs 2) kommen dem Kläger von vornherein nicht zugute. Auf solche begünstigenden Regelungen hat er sich auch nicht berufen.

36

5. Schließlich kann sich der Kläger auf keine verfahrensrechtlich geschützte Position berufen. Feststellungen über das Versicherungsverhältnis hat die Beklagte gegenüber dem Kläger erstmals mit dem im anschließenden Gerichtsverfahren von ihr wieder aufgehobenen Bescheid vom 21.9.2005 getroffen. Hieraus kann der Kläger kein günstigeres Ergebnis herleiten.

37

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Der Träger der Rentenversicherung führt für jeden Versicherten ein Versicherungskonto, das nach der Versicherungsnummer geordnet ist. In dem Versicherungskonto sind die Daten, die für die Durchführung der Versicherung sowie die Feststellung und Erbringung von Leistungen einschließlich der Rentenauskunft erforderlich sind, zu speichern. Ein Versicherungskonto darf auch für Personen geführt werden, die nicht nach den Vorschriften dieses Buches versichert sind, soweit es für die Feststellung der Versicherungs- oder Beitragspflicht und für Prüfungen bei Arbeitgebern (§ 28p des Vierten Buches) erforderlich ist.

(2) Der Träger der Rentenversicherung hat darauf hinzuwirken, dass die im Versicherungskonto gespeicherten Daten vollständig und geklärt sind. Die Daten sollen so gespeichert werden, dass sie jederzeit abgerufen und auf maschinell verwertbaren Datenträgern oder durch Datenübertragung übermittelt werden können. Stellt der Träger der Rentenversicherung fest, dass für einen Beschäftigten mehrere Beschäftigungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8a des Vierten Buches gemeldet oder die Zeitgrenzen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 des Vierten Buches überschritten sind, überprüft er unverzüglich diese Beschäftigungsverhältnisse. Stellen die Träger der Rentenversicherung fest, dass eine Beschäftigung infolge einer Zusammenrechnung versicherungspflichtig ist, sie jedoch nicht oder als versicherungsfrei gemeldet worden ist, teilen sie diese Beschäftigung mit den notwendigen Daten der Einzugsstelle mit. Satz 4 gilt entsprechend, wenn die Träger der Rentenversicherung feststellen, dass beim Zusammentreffen mehrerer Beschäftigungsverhältnisse die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschriften über den Übergangsbereich nicht oder nicht mehr vorliegen.

(3) Der Träger der Rentenversicherung unterrichtet die Versicherten regelmäßig über die in ihrem Versicherungskonto gespeicherten Sozialdaten, die für die Feststellung der Höhe einer Rentenanwartschaft erheblich sind (Versicherungsverlauf).

(4) Versicherte sind verpflichtet, bei der Klärung des Versicherungskontos mitzuwirken, insbesondere den Versicherungsverlauf auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen, alle für die Kontenklärung erheblichen Tatsachen anzugeben und die notwendigen Urkunden und sonstigen Beweismittel beizubringen.

(5) Hat der Versicherungsträger das Versicherungskonto geklärt oder hat der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen, stellt der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest. Bei Änderung der dem Feststellungsbescheid zugrunde liegenden Vorschriften ist der Feststellungsbescheid durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden. Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten wird erst bei Feststellung einer Leistung entschieden.

(1) Kindererziehungszeiten sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für einen Elternteil (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 Erstes Buch) wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn

1.
die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2.
die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3.
der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.

(2) Eine Erziehungszeit ist dem Elternteil zuzuordnen, der sein Kind erzogen hat. Haben mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen, wird die Erziehungszeit einem Elternteil zugeordnet. Haben die Eltern ihr Kind gemeinsam erzogen, können sie durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist. Die Zuordnung kann auf einen Teil der Erziehungszeit beschränkt werden. Die übereinstimmende Erklärung der Eltern ist mit Wirkung für künftige Kalendermonate abzugeben. Die Zuordnung kann rückwirkend für bis zu zwei Kalendermonate vor Abgabe der Erklärung erfolgen, es sei denn, für einen Elternteil ist unter Berücksichtigung dieser Zeiten eine Leistung bindend festgestellt, ein Versorgungsausgleich oder ein Rentensplitting durchgeführt. Für die Abgabe der Erklärung gilt § 16 des Ersten Buches über die Antragstellung entsprechend. Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, wird die Erziehungszeit dem Elternteil zugeordnet, der das Kind überwiegend erzogen hat. Liegt eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vor, erfolgt die Zuordnung zur Mutter, bei gleichgeschlechtlichen Elternteilen zum Elternteil nach den §§ 1591 oder 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, oder wenn es einen solchen nicht gibt, zu demjenigen Elternteil, der seine Elternstellung zuerst erlangt hat. Ist eine Zuordnung nach den Sätzen 8 und 9 nicht möglich, werden die Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt, wobei der erste Kalendermonat dem älteren Elternteil zuzuordnen ist.

(3) Eine Erziehung ist im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland steht gleich, wenn der erziehende Elternteil sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat. Dies gilt bei einem gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten oder Lebenspartnern im Ausland auch, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner des erziehenden Elternteils solche Pflichtbeitragszeiten hat oder nur deshalb nicht hat, weil er zu den in § 5 Abs. 1 und 4 genannten Personen gehörte oder von der Versicherungspflicht befreit war.

(4) Elternteile sind von der Anrechnung ausgeschlossen, wenn sie

1.
während der Erziehungszeit oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt haben, die aufgrund
a)
einer zeitlich begrenzten Entsendung in dieses Gebiet (§ 5 Viertes Buch) oder
b)
einer Regelung des zwischen- oder überstaatlichen Rechts oder einer für Bedienstete internationaler Organisationen getroffenen Regelung (§ 6 Viertes Buch)
den Vorschriften über die Versicherungspflicht nicht unterliegt,
2.
während der Erziehungszeit zu den in § 5 Absatz 4 genannten Personen gehören oder
3.
während der Erziehungszeit Anwartschaften auf Versorgung im Alter aufgrund der Erziehung erworben haben, wenn diese nach den für sie geltenden besonderen Versorgungsregelungen systembezogen annähernd gleichwertig berücksichtigt wird wie die Kindererziehung nach diesem Buch; als in diesem Sinne systembezogen annähernd gleichwertig gilt eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen.

(5) Die Kindererziehungszeit beginnt nach Ablauf des Monats der Geburt und endet nach 36 Kalendermonaten. Wird während dieses Zeitraums vom erziehenden Elternteil ein weiteres Kind erzogen, für das ihm eine Kindererziehungszeit anzurechnen ist, wird die Kindererziehungszeit für dieses und jedes weitere Kind um die Anzahl an Kalendermonaten der gleichzeitigen Erziehung verlängert.

Die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr ist bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen. Dies gilt für Zeiten einer mehr als geringfügig ausgeübten selbständigen Tätigkeit nur, soweit diese Zeiten auch Pflichtbeitragszeiten sind.

(1) Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Als Beitragszeiten gelten auch Zeiten, für die Entgeltpunkte gutgeschrieben worden sind, weil gleichzeitig Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für mehrere Kinder vorliegen.

(2) Soweit ein Anspruch auf Rente eine bestimmte Anzahl an Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit voraussetzt, zählen hierzu auch

1.
freiwillige Beiträge, die als Pflichtbeiträge gelten, oder
2.
Pflichtbeiträge, für die aus den in § 3 oder § 4 genannten Gründen Beiträge gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten, oder
3.
Beiträge für Anrechnungszeiten, die ein Leistungsträger mitgetragen hat.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Altersrente unter Berücksichtigung von Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung im Zugunstenverfahren.

2

Für den 1941 geborenen Kläger wurden mit Bescheid vom 8.2.1989 die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten für Zeiten bis 31.12.1982 verbindlich nach § 1325 Abs 3 RVO festgestellt, darunter elf Monate Schulausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres und 35 Monate Hochschulausbildung (insg 46 Kalendermonate). In der Rentenauskunft vom 8.9.1997 wurden Zeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres nicht mehr als Schulausbildung erwähnt.

3

Dem Kläger wurde ab 1.6.2001 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit iHv 2708,69 DM monatlich gewährt (bestandskräftiger Bescheid vom 29.3.2001). Auch hierbei wurden Zeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres nicht als Schulausbildung ausgewiesen ("keine Anrechnung").

4

Im November 2005 beantragte der Kläger die Neufeststellung seiner Altersrente unter Berücksichtigung von 46 Kalendermonaten für Anrechnungszeiten mit Schul- und Hochschulausbildung; er wies auf Urteile des BSG vom 30.3.2004 (B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1) und des Bayerischen LSG vom 10.8.2005 (L 13 R 4204/03) hin. Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag ab (Bescheid vom 20.9.2007). Ein Anspruch auf Rücknahme des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 bestehe nicht, da zum Zeitpunkt der Rentenbewilligung Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung nur noch ab Vollendung des 17. Lebensjahres hätten berücksichtigt werden können (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI). Aus dem Feststellungsbescheid vom 8.2.1989 könne der Kläger keine höhere Altersrente herleiten. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.1.2008), ebenso das Klage- und Berufungsverfahren (Urteile des SG München vom 23.4.2009 und des Bayerischen LSG vom 12.12.2012). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Zwar sei der Altersrentenbescheid vom 29.3.2001 nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 30.3.2004 - B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1) zur Bindungswirkung von Vormerkungsbescheiden teilweise rechtswidrig. Da die Schulzeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres infolge einer Gesetzesänderung (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI idF des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25.9.1996, BGBl I 1461) rentenrechtlich nicht mehr hätten berücksichtigt werden dürfen, hätte die Beklagte den Feststellungsbescheid vom 8.2.1989 insoweit spätestens im Altersrentenbescheid nach § 149 Abs 5 S 2 SGB VI aufheben müssen. Allein deshalb sei der bestandskräftige Altersrentenbescheid aber nicht nach § 44 SGB X zurückzunehmen. Denn bis auf den entgegenstehenden Feststellungsbescheid sei der Altersrentenbescheid recht- und verfassungsmäßig ergangen (Hinweis auf BVerfGE 117, 272 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7; Senatsurteil vom 13.11.2008 - B 13 R 77/07 R - Juris). Insbesondere sei die Gesamtleistungsbewertung (§§ 72, 74 SGB VI, Hinweis auf Senatsurteil vom 19.4.2011 - B 13 R 27/10 R - BSGE 108, 126 = SozR 4-2600 § 74 Nr 3) unter Berücksichtigung von beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten zutreffend berechnet worden.

5

Aus § 44 Abs 1 SGB X könne der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung eines günstigeren Altersrentenbescheids herleiten. Diese Norm diene allein der Verwirklichung der materiellen Gerechtigkeit. Der Kläger sei aus dem Restitutionsgedanken von § 44 SGB X nur so zu stellen, als hätte die Verwaltung von vornherein richtig entschieden(Hinweis auf BSGE 85, 151, 159 = SozR 3-2600 § 300 Nr 15; BSGE 62, 143, 146 = SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 5). Die Beklagte sei bei Erteilung des Altersrentenbescheids verpflichtet gewesen, die aktuelle Gesetzeslage zugrunde zu legen (Hinweis auf Senatsurteile vom 13.11.2008 - B 13 R 43/07 R - und - B 13 R 77/07 R - beide in Juris). Ein Vertrauen in den Fortbestand des Feststellungsbescheids sei mit Eintritt der Bestandskraft des Altersrentenbescheids entfallen (Hinweis auf Bayerisches LSG vom 24.5.2011 - L 6 R 332/10; Steinwedel, DAngVers 1989, 372, 374; aA Bayerisches LSG vom 17.12.2009 - L 14 R 916/08). Unanfechtbare Verwaltungsentscheidungen seien nur ausnahmsweise durch eine neue Sachentscheidung zu ändern. Dies entspreche auch dem Verfassungsrecht (Hinweis auf BVerfGE 20, 230, 235; BVerfGE 117, 302, 315 = SozR 4-8100 Art 19 Nr 1 RdNr 32). Der Kläger habe versäumt, fehlerhaftes Handeln der Beklagten innerhalb der geltenden Anfechtungsfristen geltend zu machen. Diesem Ergebnis stehe auch nicht das Urteil des BSG vom 30.3.2004 (B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1) entgegen.

6

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 64 SGB VI. Die Höhe seiner Altersrente sei unzutreffend berechnet worden (Hinweis auf BSG vom 30.3.2004 - B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1). Er beruft sich auf schutzwürdiges Vertrauen aus dem bindenden Feststellungsbescheid vom 8.2.1989. Da eine Aufhebung des Feststellungsbescheids nicht mehr möglich sei, hätte die Beklagte die dort festgestellten Zeiten für Schulausbildung bei der Rentengewährung berücksichtigen müssen. Im Übrigen sei die Neuregelung von § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI(idF des WFG) eine unzulässige Verkürzung seiner Rentenanwartschaft. Hierzu sei ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anhängig (47505/10). Ein Verstoß gegen Art 1 des Zusatzprotokolls Nr 1 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (vom 20.3.1952, BGBl II 1879 bzw vom 17.5.2002, BGBl II 1072, Eigentumsschutz) sei nicht ausgeschlossen, sodass die Ruhendstellung des Verfahrens geboten sei. Jedenfalls liege auch eine Rechtsbeeinträchtigung aus Art 3 GG und Art 14 GG vor.

7

Der Kläger beantragt,

        

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Dezember 2012 und des Sozialgerichts München vom 23. April 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 20. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 2008 zu verpflichten, unter Rücknahme des Altersrentenbescheids vom 29. März 2001 die Altersrente des Klägers unter Berücksichtigung der Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung entsprechend dem Bescheid vom 8. Februar 1989 in Höhe von insgesamt 46 Monaten zu berücksichtigen und zu bewerten.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Bei Erlass des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 habe sie die Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung dem geltenden Recht entsprechend berücksichtigt. § 44 Abs 1 S 1 SGB X sei dahin auszulegen, dass die begehrte Sozialleistung aus materiell-rechtlichen Gründen zu Unrecht vorenthalten worden sein müsse. Hierfür beruft sie sich auf Rechtsprechung des BSG (vom 22.3.1989 - 7 RAr 122/87 - SozR 1300 § 44 Nr 38; vom 10.12.1985 - 10 RKg 14/85 - SozR 5870 § 2 Nr 44). Für eine Ruhendstellung des Verfahrens bestehe kein Anlass.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet.

11

I. Der Senat sieht sich an einer Sachentscheidung nicht gehindert. Die Voraussetzungen für die Ruhendstellung des Verfahrens (§ 202 SGG iVm § 251 ZPO; vgl BSG SozR 1750 § 251 Nr 1) liegen mangels übereinstimmender Anträge nicht vor (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 10. Aufl 2012, Vor § 114 RdNr 4 mwN). Auch wenn der Kläger die Ruhendstellung für geboten hält, hat die Beklagte dem widersprochen. Es kommt auch keine Aussetzung des Verfahrens nach § 114 Abs 2 SGG in Betracht. Der Hinweis des Klägers auf ein vor dem EGMR anhängiges Verfahren zu Anrechnungszeiten wegen Ausbildung (47505/10) reicht hierfür nicht aus. Den Urteilen des EGMR kommt lediglich eine begrenzte materielle Rechtskraft zu, die nach Art 46 EMRK nur für die an dem Verfahren beteiligten Vertragsparteien verbindlich gilt (vgl BVerfGE 111, 307, 320). Angesichts der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der Anrechnung von Schulzeiten ab Vollendung des 17. Lebensjahres und zur rentenrechtlichen Neubewertung der ersten Berufsjahre (vgl die Nachweise unter II.2.b) besteht kein Grund für eine Aussetzung des Verfahrens.

12

II. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 20.9.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.1.2008, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, den Altersrentenbescheid vom 29.3.2001 teilweise, soweit es um die Berücksichtigung von Anrechnungszeiten für Schulausbildung geht, zurückzunehmen und dem Kläger unter Zugrundelegung von Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres höhere Altersrente zu gewähren. Die Ablehnung ist zu Recht erfolgt. Dem Kläger steht keine höhere Rente zu, als ihm mit Altersrentenbescheid vom 29.3.2001 unter Berücksichtigung der dortigen Anrechnungszeiten wegen Ausbildung bewilligt worden ist.

13

Einzig denkbare Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 44 SGB X in Bezug auf den bestandskräftigen Altersrentenbescheid. Das LSG ist zutreffend von einer kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG; vgl dazu BSG SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 13 zitiert nach juris)ausgegangen. Die zulässige Klage ist jedoch nicht begründet.

14

Gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Der in Abs 1 nicht ausdrücklich geregelte Anspruch auf eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft ergibt sich aus § 44 Abs 2 S 1 SGB X. Der bestandskräftige Altersrentenbescheid vom 29.3.2001 ist insofern ein nicht begünstigender Verwaltungsakt, als er nicht die jetzt begehrte höhere Altersrente unter Berücksichtigung weiterer Anrechnungszeiten gewährt. In dieser Hinsicht verlangt der Kläger die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts, durch den Sozialleistungen iS von § 44 Abs 1 SGB X zu Unrecht nicht in der begehrten Höhe erbracht worden seien(vgl BSGE 55, 87, 88 = SozR 1300 § 44 Nr 4; BSG SozR 1300 § 44 Nr 38 S 107).

15

Die Voraussetzung (§ 44 Abs 1 S 1 SGB X), dass bei Erlass des Altersrentenbescheids das Recht unrichtig angewandt worden sein muss, ist jedoch nicht erfüllt. Selbst wenn der Altersrentenbescheid allein wegen der unterbliebenen Aufhebung des bindenden Vormerkungsbescheids objektiv rechtswidrig ergangen ist (1.), kann der Kläger die Rücknahme des Altersrentenbescheids weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft verlangen, weil dieser bei seinem Erlass der materiellen Rechtslage entsprach (2.). Auch aus Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes folgt nichts anderes (3.). Verfassungsrecht steht dem nicht entgegen (4.).

16

1. Das Recht war bei Erlass des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 insoweit unrichtig angewandt worden, als die Beklagte es versäumt hatte, nach § 149 Abs 5 S 2 SGB VI(idF vom 16.12.1997, BGBl I 2970) den Vormerkungsbescheid vom 8.2.1989 spätestens "im Rentenbescheid" aufzuheben, soweit es um Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres ging. Im Vormerkungsbescheid vom 8.2.1989 waren - von insgesamt 46 Monaten mit Schul- und Hochschulzeiten - elf Monate vor Vollendung des 17. Lebensjahres als sog Ausfallzeiten anerkannt worden. Der Begriff Anrechnungszeit ist in § 58 SGB VI(idF des Rentenreformgesetzes vom 18.12.1989, BGBl I 2261 mit Wirkung vom 1.1.1992 ) an die Stelle des Begriffs der vormaligen "Ausfallzeit" getreten (§ 300 Abs 4 S 2 SGB VI; vgl auch BSG SozR 3-2600 § 252 Nr 2 S 9; SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 15 zitiert nach juris). Unerheblich ist auch, dass der Vormerkungsbescheid nach § 1325 Abs 3 RVO vor Inkrafttreten des SGB VI am 1.1.1992 ergangen ist. § 1325 Abs 3 S 1 und 2 RVO(idF vom 19.12.1986, BGBl I 2586) entsprechen der Vorschrift des § 149 Abs 5 S 1 und 3 SGB VI(idF vom 16.12.1997, BGBl I 2970).

17

Sinn und Zweck eines Vormerkungsbescheids ist es, bereits im Vorfeld eines Leistungsfeststellungsverfahrens für den Fall einer zukünftigen Rentengewährung verbindlich Klarheit über das Vorliegen oder das Nichtvorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von rentenrechtlich relevanten Zeiten zu schaffen (stRspr, vgl BSGE 56, 165, 171 f = SozR 1300 § 45 Nr 6; BSGE 58, 49, 51 = SozR 1300 § 45 Nr 15). Der Vormerkungsbescheid, der ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist, stellt rechtserhebliche Tatbestände verbindlich fest mit der Folge, dass diese Zeiten im Leistungsfall grundsätzlich zu berücksichtigen sind (stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 16 zitiert nach juris mwN). Hingegen ist die abschließende Entscheidung über die Anrechnung und Bewertung dieser Zeiten nicht Gegenstand des Vormerkungsbescheids (vgl § 149 Abs 5 S 3 SGB VI; BSG SozR 3-2200 § 1325 Nr 3 S 6).

18

Da der Vormerkungsbescheid nicht aufgehoben worden war und sich auch nicht durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt hatte (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl dazu BSG SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 18 zitiert nach juris), waren die dort enthaltenen Regelungen im Hinblick auf ihren Rechtscharakter und den zeitlichen Umfang für die Beteiligten bindend (§ 77 SGG) geworden (vgl BSG aaO; ferner Senatsurteil vom 6.5.2010 - B 13 R 118/08 R - Juris RdNr 16).

19

Dem standen auch nicht die später erfolgten Gesetzesänderungen zur Berücksichtigung von Ausbildungs-Anrechnungszeiten entgegen (hier durch § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI idF des WFG zum 1.1.1997). Vielmehr stellt § 149 Abs 5 S 2 SGB VI klar, dass auch bei Gesetzesänderungen die mit der materiellen Rechtslage nicht mehr übereinstimmenden Feststellungen im Vormerkungsbescheid über Tatbestände von rentenrechtlicher Relevanz mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben sind(vgl Senatsurteile vom 6.5.2010 - B 13 R 118/08 R - Juris RdNr 16; vom 13.11.2008 - B 13 R 43/07 R - Juris RdNr 16; ferner BSG SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 20 zitiert nach juris). Die Aufhebung des der geänderten Gesetzeslage nicht mehr entsprechenden Vormerkungsbescheids aber hatte die Beklagte versäumt. Allerdings hat sie die aktuelle materielle Gesetzeslage bei Erteilung des Altersrentenbescheids zutreffend umgesetzt (vgl dazu noch unter 2.b).

20

2. Wie der Konflikt zwischen den beiden - sich hinsichtlich der Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung entgegenstehenden - bestandskräftigen Bescheide zu lösen ist, ergibt sich aus § 44 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB X im Fall der Rücknahme des Verwaltungsakts für die Vergangenheit bzw nach § 44 Abs 2 S 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft. In Anwendung dieser Vorschrift genügt die fehlerhaft unterbliebene Aufhebung des Vormerkungsbescheids allein nicht, um einen Anspruch des Klägers auf Rücknahme des Altersrentenbescheids und Gewährung einer höheren Altersrente unter Berücksichtigung der im Vormerkungsbescheid festgestellten Zeiten der Schulausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres begründen zu können.

21

a) Während der Wortlaut von § 44 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB X ("und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind") einen Zusammenhang zwischen der unrichtigen Rechtsanwendung bei Erlass des Verwaltungsakts (hier: unterlassene Anwendung von § 149 Abs 5 S 2 SGB VI) und dem Nichterbringen der begehrten Sozialleistung (hier: höhere Altersrente) herstellt, setzt § 44 Abs 2 S 1 SGB X keinen solchen Zusammenhang voraus(zum Verhältnis von § 44 Abs 1 zu Abs 2 SGB X, vgl BSGE 61, 184 = SozR 1300 § 44 Nr 26 mwN). Es wäre jedoch nicht folgerichtig, nach materiellem Recht nicht zustehende Sozialleistungen zwar nicht für die Vergangenheit, jedoch mit Wirkung für die Zukunft (ab dem Überprüfungsantrag) zu gewähren (vgl Steinwedel, DAngVers 1989, 372, 373 f). Daher ist insofern eine einheitliche Auslegung und Anwendung beider Normen geboten.

22

§ 44 SGB X soll dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns Geltung verschaffen und der Verwaltungsbehörde zur Herstellung materieller Gerechtigkeit die Möglichkeit eröffnen, Fehler, die im Zusammenhang mit dem Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, zu berichtigen. Hierbei soll nach dem Willen des Gesetzgebers dessen Rücknahme nur dann in Betracht kommen, soweit eine erneute Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die Behörde zu Ungunsten des Antragstellers falsch gehandelt hat (vgl BT-Drucks 8/4022 S 82). Ansonsten soll der Verwaltungsakt bestehen bleiben. Nicht Sinn und Zweck des Zugunstenverfahrens kann es daher sein, dem Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zusteht (so BSG SozR 1300 § 44 Nr 38 S 108; vgl Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand September 2013, § 44 SGB X RdNr 40 ff; ders in DAngVers 1989, 372, 374). Hierfür lässt sich zudem der Restitutionsgedanke anführen, der § 44 SGB X allgemein zugrunde liegt(vgl BSGE 62, 143, 146 = SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 5 S 13). Nicht zuletzt verfolgt diesen Zweck auch die Regelung des § 48 Abs 3 SGB X, die verhindern soll, dass die zu hohe Leistung, die durch einen Fehler entstanden ist, durch eine Veränderung zugunsten des Betroffenen immer noch höher wird; dh materielles Unrecht soll nicht weiter wachsen (vgl BSG SozR 1300 § 44 Nr 38 S 108 unter Hinweis auf BSGE 63, 259 = SozR 1300 § 48 Nr 49 und SozR 1300 § 48 Nr 51; vgl auch BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 15). Nach diesen Maßstäben lag im Zeitpunkt der Erteilung des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 ein der materiellen Rechtslage widersprechender Altersrentenbescheid nicht vor.

23

b) Der Altersrentenbescheid vom 29.3.2001 war im Zeitpunkt seiner Erteilung materiell recht- und verfassungsmäßig ergangen. Nach § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI(idF des WFG) sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen der Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht hat. Von dieser am 1.1.1997 (durch das WFG) in Kraft getretenen Rechtsänderung war bei Erlass des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 auszugehen (§ 300 Abs 1 SGB VI). Auf dieser Rechtslage hatte die Beklagte auch bereits die zutreffende Rentenauskunft vom 8.9.1997 erteilt.

24

Die Vorschrift des § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI(idF des WFG), die - im Gegensatz zum früheren Recht - nur noch solche Zeiten einer Ausbildung als rentenrechtlich erhebliche Ausbildungszeiten anerkennt, die nach Vollendung des 17. Lebensjahres absolviert wurden, ist verfassungsgemäß. Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich nicht um eine unzulässige Verkürzung seiner Rentenanwartschaft. Der Senat hat sich der Entscheidung des BVerfG vom 27.2.2007 angeschlossen, mit der es über die im WFG enthaltene rentenrechtliche Neubewertung der ersten Berufsjahre entschieden hat (BVerfGE 117, 272 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7)und verweist zur Vermeidung weiterer Wiederholungen auf seine Urteile vom 13.11.2008 (B 13 R 43/07 R; B 13 R 77/07 R - die Verfassungsbeschwerde gegen das letztere Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG vom 7.4.2010 - 1 BvR 718/09).

25

Im Ergebnis hat die Beklagte daher zu Recht 32 Monate an Hochschulausbildung als beitragsfreie Zeiten (§ 54 Abs 1 Nr 2 SGB VI) und die Zeiträume, in denen neben der Hochschulausbildung eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt worden ist, als beitragsgeminderte Zeiten (§ 54 Abs 1 Nr 1b SGB VI) berücksichtigt. Gegen die Berechnung seiner Altersrente im Übrigen hat sich der Kläger nicht gewandt, und es ist auch nicht ersichtlich, dass diese unzutreffend erfolgt sein könnte (zur Gesamtleistungsbewertung nach §§ 72, 74 SGB VI bei schulischen Ausbildungszeiten nach § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI idF des WFG vgl Senatsurteil vom 20.10.2010 - B 13 R 23/10 R - Juris; BSG SozR 4-2600 § 72 Nr 3).

26

3. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers kann er sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen.

27

a) Es ist bereits fraglich, ob die Regelung des § 149 Abs 5 S 2 SGB VI (idF vom 16.12.1997, BGBl I 2970) auf Vertrauensschutz abzielt. Sie stellt eine spezielle Verfahrensvorschrift des Rentenrechts dar und verdrängt § 48 SGB X(vgl BSG vom 30.3.2004 - B 4 RA 36/02 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 1 RdNr 20 zitiert nach juris); die vereinfachte Aufhebung der festgestellten Daten des Versicherungsverlaufs im Fall nachträglich eingetretener Gesetzesänderungen lässt sie sogar ohne Anhörung nach § 24 SGB X zu(vgl Kohl in GK-SGB VI, Stand April 2009, § 149 RdNr 64 ff). Damit regelt die Norm gerade Ausnahmen von der Anwendung vertrauensschützender Vorschriften (§§ 24, 48 SGB X; vgl Steinwedel, DAngVers 1989, 372, 374). Um den durch § 149 Abs 5 S 2 SGB X entstehenden Verwaltungsaufwand gering zu halten, ist den Rentenversicherungsträgern die Möglichkeit eingeräumt worden, die an sich durch jede Rechtsänderung bedingte Pflicht der Aufhebung von änderungsbedürftigen Vormerkungsbescheiden auch noch im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zu treffen(vgl BT-Drucks 13/8994, Zu Art 4, Zu Nr 1b , S 69). Diesem Erfordernis ist selbst dann noch Genüge getan, wenn eine solche Regelung während eines laufenden Widerspruchsverfahrens gegen den Rentenbescheid oder im Widerspruchsbescheid selbst geschieht (vgl Senatsurteil vom 13.11.2008 - B 13 R 77/07 R - Juris RdNr 19, 22) bzw in einem gesonderten Bescheid getroffen wird (Senatsurteile vom 6.5.2010 - B 13 R 118/08 - Juris RdNr 16; vom 13.11.2008 - B 13 R 43/07 R - Juris RdNr 17).

28

b) Jedenfalls kann der Kläger nach Eintritt der Bestandskraft (§ 77 SGG) des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 keinen Vertrauensschutz aus der Bindungswirkung des Feststellungsbescheids vom 8.2.1989 mehr herleiten. Denn spätestens bei Erlass dieses Bescheids musste er davon ausgehen, dass die hierin getroffenen Feststellungen zu seinen Ausbildungs-Anrechnungszeiten rechtsverbindlich werden, wenn er sich nicht mit dem zulässigen Rechtsbehelf des Widerspruchs dagegen zur Wehr setzt. Hiervon hat der Kläger allerdings keinen Gebrauch gemacht. Selbst dann aber hätte die Beklagte, wie oben erörtert, den entgegenstehenden Feststellungsbescheid noch im Widerspruchsbescheid aufheben können (§ 149 Abs 5 S 2 SGB VI). Der Kläger kann jedoch im Verfahren nach § 44 SGB X nicht besser gestellt werden, als hätte er fristgerecht Widerspruch eingelegt(so bereits BSG vom 27.3.1984 - SozR 1200 § 34 Nr 18 S 70 für einen Anhörungsfehler).

29

Im Übrigen war dem Kläger nicht erst seit Erlass des Altersrentenbescheids vom 29.3.2001 bekannt, dass die Schulzeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres abweichend von den Feststellungen des Vormerkungsbescheids bei der Rentenbewilligung nicht mehr berücksichtigt werden würden. Dies war ihm bereits mehr als drei Jahre (im September 1997) vor Erteilung des Rentenbescheids durch eine der materiellen Rechtslage entsprechende unverbindliche Rentenauskunft (§ 109 Abs 1 SGB VI) mitgeteilt worden.

30

c) Diesem Ergebnis steht auch nicht Rechtsprechung anderer Senate entgegen. Der 14. Senat des BSG (Urteil vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 25/95 - SozR 3-1300 § 44 Nr 21 S 42 ff) und der 9. Senat (Urteil vom 4.2.1998 - B 9 V 16/96 R - SozR 3-1300 § 44 Nr 24 S 56 f; ähnlich bereits Urteil vom 8.3.1995 - 9 RV 7/93 - Juris RdNr 17) halten § 44 Abs 1 S 1 SGB X - abweichend von dem og Grundsatz, dass es nicht Sinn des Zugunstenverfahrens sei, dem Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zustehe - auch dann für (entsprechend) anwendbar, wenn die Rechtswidrigkeit eines bestandskräftig gewordenen Widerrufs- bzw Rückforderungsbescheids allein auf der Verletzung von vertrauensschützenden Vorschriften beruht(dieser Rspr folgend: Schütze in von Wulffen, 8. Aufl 2014, SGB X, § 44 RdNr 7; Merten in Hauck/Noftz, Stand Dezember 2012, SGB X, K § 44 RdNr 50; Rüfner in Wannagat, Stand Mai 2002, SGB X, § 44 RdNr 26 f; Baumeister in jurisPK-SGB X, 2013, § 44 RdNr 73; zur Darstellung des Meinungsstands vgl Senatsurteil vom 1.7.2010 - BSG SozR 4-2600 § 48 RdNr 43 ff).

31

Der Senat kann weiterhin offenlassen, ob er dieser Rechtsprechung folgt. Denn eine Konstellation, in der sich der Kläger auf Vertrauensschutz berufen kann, liegt - wie oben ausgeführt - nicht vor. Anders als in den vom 14. und 9. Senat entschiedenen Fällen geht es dem Kläger um das Vorenthalten einer Sozialleistung (§ 44 Abs 1 S 1, Abs 2 S 1 SGB X in direkter Anwendung). Er hat keine Vertrauensposition wegen langjährig zu Unrecht bezogener Sozialleistungen erworben, die ihm durch einen Aufhebungsbescheid mit Wirkung für die Zukunft entzogen bzw durch Aufhebungs- und Erstattungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit darüber hinaus auch zurückgefordert worden waren, sodass erheblich werden könnte, ob Vertrauensschutzvorschriften ein eigenständiger materieller Rechtsgrund für den Weiterbezug unter Verstoß gegen das materielle Leistungsrecht bewilligter Sozialleistungen sind (so aber die Konstellationen in den Urteilen des 9. Senats vom 8.3.1995 - 9 RV 7/93 - und vom 4.2.1998 - B 9 V 16/96 R - SozR 3-1300 § 44 Nr 24 S 54 sowie des 14. Senats vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 25/95 - SozR 3-1300 § 44 Nr 21 S 38 f). Denn der Kläger hat nie ihm materiell nicht zustehende Leistungen erhalten. Schließlich liegt auch keine Abweichung vom Urteil des 4. Senats vom 30.3.2004 (B 4 RA 36/02 R - BSG SozR 4-2600 § 149 Nr 1) vor. Dort ging es nicht um die Rücknahme eines bestandskräftigen rechtswidrigen Rentenbescheids, sodass der Anwendungsbereich des § 44 SGB X von vornherein nicht betroffen war. Eines Anfrageverfahrens nach § 41 SGG bedarf es nicht.

32

4. Dieses Ergebnis ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar. Wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsurteil vom 7.2.2012 - BSGE 110, 97 = SozR 4-5075 § 3 Nr 2, RdNr 27) gehört zu den tragenden Prinzipien des Rechtsstaats der Grundsatz, dass nach Abschluss eines Verfahrens durch unanfechtbare Entscheidung allenfalls ausnahmsweise eine neue Entscheidung in der Sache möglich ist. Demgemäß ist die öffentliche Gewalt von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, rechtswidrige Verwaltungsakte ohne Rücksicht auf ihren formellen Rechtsbestand auf Antrag oder von Amts wegen zu beseitigen (vgl BVerfGE 20, 230, 235; BVerfGE 117, 302, 315 = SozR 4-8100 Art 19 Nr 1 RdNr 32). Vielmehr hat der Gesetzgeber bei der Regelung der Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte zwischen dem Prinzip der Rechtssicherheit und dem Grundsatz der (materiellen) Gerechtigkeit abzuwägen. Über das hiernach verfassungsrechtlich Gebotene ist der Gesetzgeber mit der am 1.1.1981 in Kraft getretenen Regelung von § 44 Abs 1 SGB X bereits hinausgegangen(vgl Senatsurteil aaO, RdNr 28 mwN).

33

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. April 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Mai 2010 geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2006 und die Widerspruchsbescheide vom 16. Mai 2007 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) bei Eltern im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder zu reduzieren sind.

2

Die Klägerin und der Kläger - verheiratete Eltern ihrer drei 1990, 1992 und 1995 geborenen Kinder - waren bei der Beigeladenen zu 3. versicherungspflichtig beschäftigt und Mitglied der beklagten Krankenkasse sowie bei der Beigeladenen zu 1. pflege- und bei der Beigeladenen zu 2. rentenversichert; seit Juli 2010 ist die Klägerin anderweit beschäftigt.

3

Im Juli 2006 beantragten die Kläger bei der Beklagten als Einzugsstelle unter Bezugnahme auf das Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - zur sPV (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2, im Folgenden: sPV-Urteil) mit Blick auf die Betreuungs- und Erziehungsleistungen für ihre Kinder die beitragsmindernde Berücksichtigung ihres Unterhalts in den oben genannten Versicherungszweigen. Dies lehnte die Beklagte ab, da der Gesetzgeber seinen Pflichten aus dem sPV-Urteil mit Schaffung des Kinder-Berücksichtigungsgesetzes (KiBG) vom 15.12.2004 (BGBl I 3448; KiBG) nachgekommen sei (ua Einführung eines Beitragszuschlags für Kinderlose von 0,25 Beitragssatzpunkten in der sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI - Art 1 Nr 1 KiBG) und die Versicherungsträger an die gesetzlichen Vorgaben gebunden seien (Bescheid vom 20.7.2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16.5.2007).

4

Das SG hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 11.5.2010).

5

Im anschließenden Berufungsverfahren haben die Kläger begehrt, dass die Sozialversicherungsbeiträge nur nach der "Hälfte der bisherigen Bemessung" erhoben werden, hilfsweise, dass bei der Beitragsbemessung 833 Euro je Kind und Monat bzw (weiter) hilfsweise, dass ein Betrag in Höhe des steuerlichen Existenzminimums abgezogen wird. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beitragsbemessung bei den Klägern entspreche den gesetzlichen Regelungen. Diese Regelungen verstießen nicht gegen Art 6 Abs 1 iVm Art 3 GG, weil der Gesetzgeber einen weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum habe. Als Konkretisierung und Ausformung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages nach Art 6 Abs 1 GG sei dabei auch der Familienlastenausgleich zu berücksichtigen, selbst wenn sich die additive Höhe der hierdurch bewirkten Entlastung von Familien nicht konkret beziffern lasse. Der Gesetzgeber habe das Verfassungsrecht bei der Ausgestaltung der Teilsysteme der Sozialversicherung beachtet, weil er den Familienlastenausgleich durch zahlreiche Vorschriften ausgebaut (zB Kindererziehungszeiten in der GRV; kostenfreie Familienversicherung in der GKV) und er die Entscheidung des BVerfG für die sPV mit dem KiBG zudem beanstandungsfrei umgesetzt habe. Das BVerfG selbst habe die Erwägungen des sPV-Urteils in der Folgezeit nicht auf andere Sozialversicherungszweige übertragen, sondern sei - in einem Urteil zur Alterssicherung der Landwirte (BVerfGE 109, 96 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2)- davon sogar abgerückt. Auch das BSG habe aus dem sPV-Urteil keinen verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf für andere Sozialversicherungszweige hergeleitet. Einer Beweiserhebung habe es bei alledem weder unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs der Kläger noch unter demjenigen der Amtsermittlungspflicht bedurft, insbesondere nicht zu der von den Klägern postulierten Pflicht, durch Sachverständige einzelne "Transfersalden" für Kinder zu ermitteln. Da der Familienlastenausgleich durch zahlreiche Regelungen des Sozialrechts und des Steuerrechts bewirkt werde, komme es auf solche Ermittlungen wegen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht an. Der Familienlastenausgleich sei nicht isoliert auf das Sozialversicherungsrecht bezogen (Urteil vom 24.4.2012).

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger - mit umfänglichem Vorbringen - im Wesentlichen, das LSG habe verkannt, dass die einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen zur Beitragsbemessung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstießen, soweit versicherte Eltern mit gleich hohen Beiträgen wie kinderlose Versicherte belastet würden. Konkret rügen sie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in Bezug auf die GRV durch § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 der Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze in der GRV für das Jahr 2012(vom 19.12.2011, BGBl I 2795; Beitragssatzverordnung 2012 - BSV 2012), hinsichtlich der GKV durch § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V, und im Hinblick auf die sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI sowie durch § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1 SGB XI und § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V.

7

Das BVerfG habe sich in seinem sPV-Urteil von einem leistungsrechtlichen Ansatz distanziert. Es diskutiere dort die unzureichende Kompensation der Erziehungslasten nicht mehr unter dem Aspekt der allgemeinen leistungsrechtlichen Förderungspflicht des Staates (Art 6 Abs 1 GG), sondern als Gleichheits- und Teilhabeproblem (Art 3 Abs 1 GG) unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz werde zu einem Grundrecht auf "intragene-rationelle Gleichbehandlung" fortentwickelt.

8

Die Systeme der GRV, GKV und sPV erfüllten die Voraussetzungen, die das BVerfG für eine zu beanstandende fehlende Differenzierung im Beitragsrecht zwischen Eltern und Kinderlosen aufgestellt habe (= Abdeckung eines in einem geschlossenen intergenerationellen System erfassten Risikos, das überproportional im Alter auftrete und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert werde; Absehbarkeit, dass ein signifikanter Teil der Versicherten kinderlos bleibe). Das sPV-Urteil sei auch auf die GRV und die GKV zu übertragen: GRV und GKV deckten als umlagefinanzierte Systeme ebenso wie die sPV ein Risiko ab, das überproportional im Alter auftrete. Die Mindestgeschlossenheit der Systeme folge in Zusammenschau mit der Rechtsprechung des BVerfG zur Alterssicherung der Landwirte daraus, dass 87 % der Bevölkerung in der sPV, 80 % der erwerbstätigen Bevölkerung in der GRV und 90 % der Bevölkerung in der GKV versichert seien. Zudem sei die Geburtenrate von 2,49 Kindern je Frau - Mitte der 1960er Jahre - auf mittlerweile 1,3 Kinder gesunken. Da die Kindererziehung für die Funktionsfähigkeit der Systeme genauso bedeutsam sei wie die Beiträge, erhielten Kinderlose in allen drei Sozialversicherungssystemen einen spezifischen, systembedingten Vorteil, der nach der Rechtsprechung des BVerfG auch innerhalb des jeweiligen Systems ausgeglichen werden müsse. Die Pflicht zum Ausgleich bestehe nur auf der Beitragsseite, da die Belastung der Eltern in der Erwerbsphase auftrete und auch in diesem Zeitraum ausgeglichen werden müsse.

9

In Bezug auf die einzelnen Sozialversicherungsteilsysteme gelte Folgendes: In der GRV müsse die Umsetzung der Maßstäbe aus dem sPV-Urteil des BVerfG systemimmanent erfolgen. Die Rechtsprechung des BVerfG sei insoweit bindend (§ 31 BVerfGG). Die in der GRV anerkannten Kindererziehungszeiten seien für die Annahme eines Vorteilsausgleichs strukturell ungeeignet und stellten auch keinen echten Vorteilsausgleich dar, weil die Beiträge hierfür der Bund leiste (§ 177 Abs 1 SGB VI); dh alle Steuerpflichtigen und nicht nur Kinderlose. Gleichzeitig bestehe eine Benachteiligung der Eltern im Leistungsrecht. Diese erlitten durch die Unterbrechungen und Einschränkungen der Erwerbsbiografie (zB Teilzeitarbeit) vielfach Verluste an persönlichen Entgeltpunkten, die nicht durch Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI)kompensiert würden. Das Argument, die demografische Entwicklung sei ein gesamtgesellschaftliches Problem und müsse abgabenpolitisch steuerfinanziert auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gelöst werden, sei ohne verfassungsrechtliche Relevanz.

10

Auch in der GKV müsse ein systeminterner Vorteilsausgleich gesucht werden. Die Möglichkeit der beitragsfreien Familienversicherung (§ 10 SGB V) reiche insoweit nicht aus. Diese Begünstigung wiege nach den bindenden Ausführungen des BVerfG den mit der Erziehungsleistung zusätzlich erbrachten generativen Beitrag und den damit erlittenen Nachteil gegenüber Kinderlosen nicht auf.

11

Das Beitragsrecht in der sPV sei auch nach den Änderungen durch das KiBG verfassungswidrig. Insbesondere fehle im geltenden Recht die - auf der Grundlage des sPV-Urteils gebotene - Berücksichtigung der Anzahl der Kinder bei der Beitragsbemessung. Mit mehreren Kindern werde nämlich ein größerer generativer Beitrag für die Funktionsfähigkeit des Systems erbracht als mit nur einem Kind.

12

Die Kläger untermauern ihre Auffassung durch Gutachten der Bertelsmann-Stiftung (Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013; Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013).

13

Überdies rügen die Kläger einen Verstoß des LSG gegen seine Amtsermittlungspflicht. Es sei bei seiner Prüfung von Art 6 Abs 1 GG ausgegangen. Zu Unrecht habe es die Frage, ob die staatliche Familienförderung offensichtlich unangemessen sei und dem Förderungsgebot aus Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genüge, als eine Frage einer Gesamtabwägung aufgefasst, ohne Ermittlungen zu den konkreten Belastungen durch die Erziehung und Betreuung von Kindern vorzunehmen. Insoweit habe das LSG selbst eingeräumt, zu einer konkreten Bezifferung der additiven Höhe der durch die legislativen Maßnahmen bewirkten Entlastung der Familien nicht in der Lage zu sein. Angesichts der von ihnen (den Klägern) vorlegten Gutachten und Aufsätzen habe sich das LSG zu Ermittlungen "zu den Realitäten des Familienlastenausgleichs" gedrängt sehen müssen, diese aber verfahrensfehlerhaft unterlassen.

14

Mit Schriftsatz vom 11.8.2015 haben die Kläger - nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist - Tabellen zu "Durchschnittlichen Leistungsausgaben Frauen/Männer im Alter von 0 bis 90 Jahren" vorgelegt, die als "generelle Tatsachen" von Amts wegen zu berücksichtigen seien.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Kläger im Revisionsverfahren wird vor allem auf Blatt 25 bis 102, Blatt 165 bis 173, Blatt 201 bis 224, 227/228 und Blatt 232 bis 244 der Revisionsakte verwiesen.

16

Die Kläger beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. April 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Mai 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Mai 2007 aufzuheben sowie festzustellen, dass die monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab 1. Juli 2006 nicht über eine Höhe von 50 vH der gegenwärtigen Bemessung zu erheben sind,

hilfsweise festzustellen,
dass die Beitragsbemessung unter Abzug eines Betrags von 833 Euro je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage monatlich erfolgen muss,

weiter hilfsweise festzustellen,
dass die Beitragsbemessung unter Abzug des in § 32 Abs 6 EStG genannten Betrags je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage erfolgen muss,

hilfsweise den Rechtsstreit gemäß Art 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die die Beitragspflicht und die Höhe der Beiträge zur Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung regelnden Vorschriften (§§ 157, 161 Abs 1, 162 Nr 1 SGB VI, §§ 223 Abs 2, 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 sowie § 241 SGB V und §§ 54 Abs 2 Satz 1, 55 Abs 1 und 3 Satz 1, 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI iVm § 226 SGB V) unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - mit den Grundrechten der Kläger aus den Art 3, 6, 20 und 28 (Sozialstaatsprinzip) GG vereinbar sind;

weiter hilfsweise, das angefochtene Urteil mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückzuverweisen.

17

Die Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.

18

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

19

Die Beigeladenen zu 1. und zu 3. stellen keine Anträge. Die Beigeladene zu 3. schließt sich vollumfänglich der Revisionsbegründung der Kläger an.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten aller Instanzen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Die zulässige Revision der Kläger ist im Wesentlichen unbegründet.

22

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind der mit der Anfechtungsklage angegriffene Bescheid der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle vom 20.7.2006 in der Gestalt ihrer Widerspruchsbescheide vom 16.5.2007, in denen sie festgestellt hat, dass es für die von den Klägern erstrebte Beitragsminderung keine Rechtsgrundlage gebe. Zu befinden ist außerdem über einen Feststellungsantrag. Streitig ist die Höhe der Beiträge zur GRV, GKV und sPV für den Zeitraum vom 1.7.2006 (= Monat der Antragstellung bei der Beklagten als Beginn) bis 24.4.2012 (= Tag der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen als Endzeitpunkt; vgl dazu allgemein zB BSGE 110, 62 = SozR 4-2500 § 240 Nr 16, RdNr 19; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 21). Für den Kläger zu 1. ist bezüglich der Beiträge zur GKV und zur sPV allerdings nur die Zeit bis 31.12.2010 im Streit, weil er nur bis zu diesem Zeitpunkt versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten und auch der Beigeladenen zu 1. (vgl § 48 Abs 1 S 1 SGB XI) war.

23

2. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 Alt 1, § 55 Abs 1 Nr 1, Abs 2 SGG zulässig(vgl zB BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff, unter Hinweis auf BSG SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 15 ff). Der Anfechtungsklage steht unter dem Blickwinkel ihrer Statthaftigkeit nicht entgegen, dass sich die Beklagte in ihren Bescheiden darauf beschränkt hat, allgemein nur die Belastung der Kläger mit Beiträgen "festzustellen". Sie hat damit für die Kläger objektiv erkennbar eine einseitige und konkrete, verbindliche, der Rechtsbeständigkeit fähige Feststellung getroffen; allein hierauf kommt es für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage an (vgl BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff).

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3. Auf die Anfechtungsklage der Kläger sind die angefochtenen Bescheide aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind. Dementsprechend sind die Urteile des LSG und SG zu ändern; insoweit muss die Revision der Kläger (teilweise) erfolgreich sein.

25

Mit diesen Bescheiden hat die Beklagte nämlich entgegen den einschlägigen Regelungen des materiellen Rechts zu Unrecht nur über die Beitragstragungspflicht und das Fehlen der Möglichkeit zu einer Beitragsreduzierung entschieden und sich dabei auf bloße allgemeine rechtliche Hinweise zur Bemessung und Tragung der Beiträge in der Sozialversicherung beschränkt. Sie hat dagegen - anders als hier erforderlich - nicht über die konkrete Beitragshöhe selbst entschieden.

26

Nach der Rechtsprechung des Senats ist einer Krankenkasse in ihrer Funktion als Einzugsstelle ua die Aufgabe übertragen, in gesetzlicher Verfahrens- und Prozessstandschaft (vgl zur Entwicklung BSG SozR 3-2400 § 28h Nr 9) anstelle der hierfür originär zuständigen Träger über die Beitragshöhe zu entscheiden (§ 28h Abs 2 S 1 SGB IV). Gegenüber Pflichtversicherten wegen Beschäftigung, die - wie die Kläger - nicht selbst Beitragsschuldner sind (vgl § 28e Abs 1 S 1 SGB IV), kommt bei der Entscheidung über die Beitragspflicht als festsetzungsfähige Rechtsfolge nur die betragsmäßig konkrete Feststellung der von ihnen zu tragenden Beitragsanteile in Betracht (vgl BSG SozR 4-2500 § 7 Nr 1 RdNr 17 mwN). Die hierfür relevanten Umstände - wie die beitragspflichtigen Einnahmen und der Beitragssatz -, zu denen die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zum Teil Aussagen gemacht hat, sind jeweils nur reine Berechnungs- bzw Begründungselemente und daher in der Regel auch nicht selbst einer Festlegung durch Verwaltungsakt (§ 31 S 1 SGB X) zugänglich. Hieran hält der Senat fest (zur Problematik allgemein auch bereits: BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff; BSG Urteil vom 17.12.2014 - B 12 KR 23/12 R - Juris RdNr 18 f).

27

4. Die neben der - mithin erfolgreichen - Anfechtungsklage erhobene Feststellungsklage ist zulässig (dazu a), aber sowohl hinsichtlich ihres Hauptantrages und hinsichtlich der im Rahmen des Hauptantrages ergänzend gestellten Hilfsanträge, aber auch hinsichtlich der übrigen Hilfsanträge unbegründet. Die Feststellungsklage hat keinen Erfolg, weil die Bemessung der Beiträge der Kläger den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des jeweiligen Beitragsrechts entspricht (dazu b). Diese gesetzlichen Bestimmungen im Recht der GRV (dazu 5.), der GKV (dazu 6.) und der sPV (dazu 7.) sind auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG iVm § 13 Nr 11, §§ 80 ff Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bedurfte es daher nicht.

28

a) Das für eine zulässige Feststellungsklage erforderliche besondere Interesse der Kläger an der baldigen Feststellung iS von § 55 Abs 1 SGG ist nicht durch Zeitablauf erloschen. Die begehrte Feststellung der konkreten Beitragsbelastung für den (mittlerweile) zurückliegenden Zeitraum hat nämlich ua Bedeutung für einen möglicherweise von den Klägern künftig geltend gemachten Beitragserstattungsanspruch (vgl zum Feststellungsinteresse BSG Urteil vom 18.5.1983 - 12 RK 28/82 - Juris RdNr 16; allgemein Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 55 RdNr 15).

29

b) Die Feststellungsklage bleibt im Hauptantrag der Kläger zur Beitragsbemessung sowie in Bezug auf ihre Hilfsanträge ohne Erfolg. Die feststellenden Ausführungen der Beklagten zur Beitragsbemessung erfolgten in den Zweigen der GRV, der GKV und der sPV in Einklang mit den dafür einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften (ua § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 BSV 2012; § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V; § 55 Abs 3 S 1 SGB XI, § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1, § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V, hier anzuwenden in den jeweils zum Zeitpunkt der Beitragserhebung in der streitigen Zeit vom 1.7.2006 bis 24.4.2012 geltenden Fassungen). Dass die von der Beklagten vorgenommene bzw für zutreffend erachtete Beitragsbemessung in Einklang mit den einfachgesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen stand, ist zwischen den Beteiligten außer Streit.

30

5. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften des Beitragsrechts der GRV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Rentenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder in der von den Klägern geforderten Weise zu mindern ist (dazu b).

31

a) Abhängig beschäftigte Versicherte - wie die Kläger - haben sich während der Dauer der Beschäftigung in aller Regel durch die hälftige Tragung der nach ihrem Bruttoentgelt bemessenen Beitragslast an den Ausgaben der GRV zu beteiligen. Das ergibt sich einfachgesetzlich aus den Vorschriften des Vierten Kapitels (§§ 153 ff) des SGB VI (diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB VI im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung). Einnahmen der allgemeinen Rentenversicherung sind hiernach insbesondere die Beiträge und die Zuschüsse des Bundes (§ 153 Abs 2 SGB VI). Die Beiträge werden nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von der Beitragsbemessungsgrundlage erhoben, die nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird (§ 157 SGB VI). Beitragsbemessungsgrundlage für Versicherungspflichtige sind die beitragspflichtigen Einnahmen (§ 161 Abs 1 SGB VI), die bei Beschäftigten wie den Klägern aus dem Arbeitsentgelt bestehen (§ 162 Nr 1 SGB VI). Beitragssatz und Beitragsbemessungsgrenze sind von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung festzusetzen (§ 160 SGB VI). Insoweit ist § 158 SGB VI trotz mehrfacher Änderungen durchgehend zu entnehmen, dass der Beitragssatz grundsätzlich so festzusetzen ist, dass die voraussichtlichen Beitragseinnahmen ausreichen, um die voraussichtlichen Ausgaben zu decken (und sicherzustellen, dass die Mittel der Schwankungsreserve dem gesetzlich bestimmten Betrag entsprechen). Unter Zugrundelegung des hiernach festgesetzten jeweiligen Beitragssatzes und des bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts der Kläger ergibt sich die sie neben dem Arbeitgeber treffende hälftige Beitragslast.

32

b) Die Kläger können nicht verlangen, von dieser Beitragsbelastung entgegen der einfachgesetzlichen Rechtslage deshalb in dem beantragten Umfang freigestellt zu werden, weil sie bereits durch Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems erbracht hätten und andernfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) und den dort enthaltenen Regelungsauftrag/Normprüfungsauftrag an den Gesetzgeber nicht berufen; das Beitragsrecht der GRV ist von der Bindungswirkung dieser Entscheidung (§ 31 BVerfGG) sachlich nicht erfasst (dazu aa). Der Senat ist auch unter Würdigung der Ausführungen des BVerfG in einem weiteren verfassungs-/gleichheitsrechtlichen Zusammenhang nicht davon überzeugt, dass (allein) die von den Klägern geforderte Ausgestaltung des Beitragsrechts der GRV im Hinblick auf Art 6 Abs 1 GG (dazu bb) bzw Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG (dazu cc) von Verfassungs wegen geboten ist. Es ist deshalb unzutreffend, dass - wie die Kläger meinen - "sämtliche der vom BVerfG im Beitragskinderurteil als wesentlich identifizierten und zur Verfassungswidrigkeit der sPV führenden Elemente in gleicher Weise und erst recht auch bei der … GRV wirken".

33

aa) Das sPV-Urteil des BVerfG ist nicht insoweit auf das Beitragsrecht der GRV "übertragbar", als Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG Gesetzeskraft haben und insbesondere nach § 31 Abs 1 BVerfGG auch für die Fachgerichte bindend sind. Das BVerfG hat nach dem Tenor des sPV-Urteils die seinerzeit geltenden Beitragsvorschriften der § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 S 1 und 2 sowie § 57 SGB XI als mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG nicht vereinbar angesehen, soweit Versicherte der sPV, die Kinder betreuen und erziehen, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Versicherte ohne Kinder belastet wurden(hierzu im Einzelnen unter 7. a>). Die Entscheidung hatte also die Pflegeversicherung und deren beitragsrechtliche Normen zum Gegenstand. Nur für diese entfaltet sie Bindungswirkung (§ 31 Abs 1 BVerfGG). Im sPV-Urteil hat das BVerfG nicht etwa gleichzeitig das rentenrechtliche Konzept eines Ausgleichs des Aufwandes für Kinder (allein) auf der Leistungsseite aufgegeben (so schon BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 41 ff, 50). Die Bindungswirkung bezieht sich nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG auf die Entscheidungsformel und die tragenden Gründe. Allerdings - und das ist entscheidend - ist Gegenstand der Bindungswirkung die "konkrete" Entscheidung (so ausdrücklich zB BVerfGE 104, 151, 197). Das BVerfG geht davon aus, dass auch die "tragenden Entscheidungsgründe" nur in Ansehung des konkreten Streitgegenstandes und nur im Hinblick auf künftige gleichgelagerte Fälle, mithin in concreto binden (so zB Rennert in Umbach/Clemens, BVerfGG, 1. Aufl 1992, § 31 RdNr 72, mwN aus der Rspr des BVerfG).

34

bb) Die hier einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV stehen nicht im Widerspruch zu Art 6 Abs 1 GG.

35

Der besondere Schutz der Familie, zu dem Art 6 Abs 1 GG den Staat verpflichtet, hält den Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich an, jede zusätzliche finanzielle Belastung der Familie zu vermeiden. Der Staat ist auch nicht durch die in Art 6 Abs 1 GG enthaltene Pflicht zur Förderung der Familie gehalten, die Beitragslast auszugleichen. Die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen steht unter dem Vorbehalt des Möglichen und im Kontext anderweitiger Fördernotwendigkeiten. Der Gesetzgeber hat im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nur unter Abwägung aller Belange lässt sich ermitteln, ob die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genügt. Demgemäß lässt sich aus der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Aus dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen, lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl BVerfGE 103, 242, 258 ff = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13 f; BVerfGE 87, 1, 35 f = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 6; aus späterer Zeit BVerfGE 107, 205, 212 = SozR 4-2500 § 10 Nr 1 RdNr 28; BVerfGE 110, 412, 445). Dem hat sich der Senat bereits in seinen Urteilen vom 5.7.2006 angeschlossen (vgl stellvertretend BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 49; zur Bedeutung des aus Art 6 Abs 1 GG folgenden Förderungsgebots als Prüfungsmaßstab zuletzt BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 15/13 R - Juris RdNr 31). Hieran hält er fest.

36

cc) Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass die beitragsrechtlichen Vorschriften der GRV gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstoßen, soweit der Rentenversicherungsbeitrag der von den Klägern repräsentierten Personengruppe - versicherte Eltern mit Kindern - danach nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder im geforderten Umfang zu reduzieren ist. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung entspricht die GRV in ihren wesentlichen Strukturmerkmalen nicht den Anforderungen, die das BVerfG im sPV-Urteil für ein verfassungsrechtliches Gebot der beitragsrechtlichen Differenzierung zwischen Versicherten mit und solchen ohne Kinder aufgestellt hat; denn es fehlt an der Mindestgeschlossenheit dieses Sozialversicherungs(teil)systems (dazu <1>). Unabhängig davon läge auch deshalb kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vor, weil eine Gleichbehandlung bzw benachteiligende Ungleichbehandlung von Personen wie den Klägern im Beitragsrecht (gerade) der GRV in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt wäre (dazu <2>).

37

(1) Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG ist nach dem sPV-Urteil des BVerfG durch die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Pflegeversicherungsbeiträgen - auch nach Auffassung der Kläger - nur verletzt, wenn

        

1.    

das Sozialversicherungssystem ein Risiko abdeckt, das überproportional im Alter auftritt und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert wird,

        

2.    

das Sozialversicherungssystem eine Mindestgeschlossenheit aufweist (zu dieser Voraussetzung auch: BVerfGE 109, 96, 127 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2 RdNr 83) und

        

3.    

absehbar ist, dass ein signifikanter Teil der Versicherten keine Kinder bekommt.

38

Es kann offenbleiben, ob die GRV die erste und die dritte der vom BVerfG aufgestellten Voraussetzungen erfüllt. Jedenfalls weist die GRV nicht die geforderte Mindestgeschlossenheit auf, weil nicht angenommen werden kann, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft Beitragszahler in der GRV sein wird. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung besteht keine "rechtlich fundierte Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder der Beitragszahler in dem Sicherungssystem der GRV zukünftig selbst Beiträge leisten und dadurch zum Fortbestand des Systems beitragen werden".

39

Im sPV-Urteil hat das BVerfG entschieden, dass die Betreuungs- und Erziehungsleistung in der sPV auch in Zukunft nachhaltig zum Tragen und den kinderlosen Versicherten der sPV zugutekommt, weil dort aufgrund der umfassenden gesetzlichen Versicherungspflicht in jedem Fall eine Versicherung entweder in der sozialen oder in der privaten Pflegeversicherung begründet wird. Dies trifft auf die GRV nicht zu (in diesem Sinne bereits BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 58). Ein "generativer Beitrag" führt allenfalls dann zu einem "Vorteil im Versicherungsfall" für Kinderlose aus der Zahlung der Beiträge nachwachsender Generationen, wenn diese später auch tatsächlich Beiträge erbringen (so das BVerfG im sPV-Urteil: BVerfGE 103, 242, 264 f = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17 f). Es reicht dafür entgegen der Ansicht der Kläger nicht aus, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft "überhaupt" Mitglied der GRV wird, sondern es kommt darauf an, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft voraussichtlich auch "Beitragszahler" in der GRV sein wird; denn im Wesentlichen finanzieren im geltenden Umlagesystem nur die (aktuellen) Beitragszahler die (aktuellen) Leistungen an die Rentner.

40

Eine solche "rechtlich fundierte Wahrscheinlichkeit", dass Kinder von Beitragszahlern in Zukunft durch eigene Rentenversicherungsbeiträge zum Fortbestand der GRV beitragen werden, kann jedenfalls für den vorliegend streitigen Zeitraum der Jahre 2006 bis 2012 nicht angenommen werden, weil es sich nach den öffentlich zugänglichen statistischen Daten vielmehr so verhält, dass etwa die Hälfte der potentiellen Beitragszahler - obwohl statistisch als "Versicherte" geführt - tatsächlich keine Beiträge zur GRV zahlt bzw wenn, dann nur in einem geringfügigen Umfang. Beruhend auf den Beobachtungen aus der Vergangenheit und bei unveränderten Annahmen über die zukünftige Entwicklung muss davon ausgegangen werden, dass seinerzeit - im streitigen Zeitraum - betreute und erzogene Kinder als spätere Rentenversicherte das System der GRV jedenfalls nicht (wie vom BVerfG gefordert) zu einem "wesentlichen Anteil" bzw "maßgeblich" stützen werden. Insoweit kann auch nicht davon gesprochen werden, dass eine aktuelle "Leistung" durch die Betreuung und Erziehung von Kindern in der GRV in Zukunft "nachhaltig" zum Tragen und Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern zugutekommen wird.

41

So waren beispielsweise im Jahr 2006 rund 51,97 Mio Menschen in der GRV ohne Rentenbezug versichert, davon 35,02 Mio "aktiv" und 16,95 Mio "passiv" (zur Verteilung zwischen aktiv und passiv Versicherten in den Jahren ab 2006: DRV Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen, Oktober 2015, S 14). Als "Versicherte" der GRV werden statistisch alle Personen bezeichnet, die einen Leistungsanspruch ihr gegenüber erworben haben. Die Versicherten mit Rentenbezug werden in den Rentenstatistiken erfasst und als "Rentenzahlfall" bzw bei personeller Zuordnung als "Rentner" bezeichnet. Gegenstand der Versichertenstatistik sind hingegen im Allgemeinen die Versicherten ohne Rentenbezug, die aktuell Rentenanwartschaften erwerben oder zu einem früheren Zeitpunkt erworben haben. Zu den "aktiv Versicherten" zählen alle Beitragszahler, aber auch sog Anrechnungszeitversicherte. Dies sind Versicherte mit Zeiten, für die grundsätzlich keine Beiträge zur GRV gezahlt werden (vgl § 58 SGB VI). Die Anrechnungszeitversicherten werden in den angegebenen Zahlen nicht separat ausgewiesen. Bei den "passiv Versicherten" handelt es sich um (lebende) Versicherte ohne Rentenbezug, deren Versichertenkonten aktuell keine Einträge aus aktiver Versicherung aufweisen, für die aber in den Zeiten davor mindestens ein versicherungspflichtiger Tatbestand oder ein Bonus aus einem Versorgungsausgleich gespeichert ist. In Abhängigkeit davon, ob solche Einträge innerhalb des Berichtsjahres oder davor liegen, unterscheidet man bei den passiv Versicherten zwischen Übergangsfällen und latent Versicherten, die wiederum nicht separat ausgewiesen wurden (zu den Definitionen: Kaldybajewa/Kruse/Strobel, RV aktuell 2009, 83; DRV Bund, Versichertenbericht 2014, S 11 ff, 18). Von den aktiv versicherten Personen waren im Jahr 2006 5,55 Mio Leistungsempfänger nach dem SGB III/SGB II, die ihre Beiträge nicht selbst tragen. Das bedeutet, dass von den 51,97 Mio Menschen ca 22,5 Mio Menschen (16,95 Mio passiv Versicherte plus 5,55 Mio Leistungsempfänger nach dem SGB II/III) nicht selbst oder tatsächlich keine Rentenversicherungsbeiträge im Berichtszeitraum bzw am Stichtag leisteten. Das sind immerhin 43 % aller Versicherten ohne Rentenbezug. Hierin sind die 5,1 Mio geringfügig Beschäftigten unter den aktiv Versicherten noch nicht eingerechnet. Unter Einrechnung auch dieser Personengruppe ergeben sich sogar 53 %, die nahezu keine Beiträge entrichten (zu dieser Problematik bereits Althammer/Klammer, Ehe und Familie in der Steuerrechts- und Sozialordnung, Tübingen 2006, S 151; Estelmann, SGb 2002, 245, 253; zu der Verteilung zwischen aktiv und passiv Versicherten in den Jahren ab 2006 vgl erneut DRV Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen, aaO, S 14).

42

Ein ähnliches Bild ergeben die Zahlen des Jahres 2012. In diesem Jahr waren 35,71 Mio Menschen aktiv und 16,96 Mio Menschen passiv ohne Rentenbezug in der GRV versichert. Unter den aktiv Versicherten waren 926 406 Menschen Bezieher von Arbeitslosengeld nach dem SGB III und 2,5 Mio Anrechnungszeitversicherte (zu diesen Zahlen: DRV Bund, Versichertenbericht 2014, S 6). Von 52,67 Mio "Versicherten" zahlten also ca 20,39 Mio Menschen nicht selbst oder tatsächlich keine Rentenversicherungsbeiträge. Dies sind immerhin 38,7 % aller Versicherten. Berücksichtigt sind dabei noch nicht die 5,23 Mio geringfügig Beschäftigten unter den aktiv Versicherten, diese eingerechnet ergeben sogar 48,65 %.

43

(2) Unabhängig von einer "an der Argumentationsstruktur" des sPV-Urteils des BVerfG "orientierten" Würdigung ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe auch in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt (hierzu allgemein: BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12; BVerfGK 12, 81, 83 mwN; Boysen in von Münch/Kunig, GG-Kommentar, 6. Aufl 2012, Art 3 RdNr 102).

44

Art 3 Abs 1 GG gebietet es, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu regeln (vgl zB BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12). Es kann offenbleiben, ob die vorliegende Konstellation unter dem Aspekt einer Gleich- oder Ungleichbehandlung betrachtet wird (vgl Ebsen, VSSR 2004, 3, 11 f). Unter beiden Aspekten kommt es nämlich entscheidend auf das Kriterium der Betreuung und Erziehung von Kindern an. Für die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung spielt die Einordnung als Gleich- oder Ungleichbehandlung vorliegend jedenfalls keine Rolle. Es genügt in beiden Fällen das Vorliegen eines sachlichen Grundes zur Rechtfertigung. Als Grund für eine Ungleichbehandlung kommt jede vernünftige Erwägung in Betracht. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist zu verneinen, wenn ein vernünftiger Grund für die Gleichbehandlung fehlt bzw die tatsächlichen Ungleichheiten so bedeutsam sind, dass ihre Nichtbeachtung gegen eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise verstößt (BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12). Innerhalb dieser Grenzen ist der Gesetzgeber in seiner Entscheidung frei. Allerdings kann sich eine weitergehende Einschränkung aus anderen Verfassungsnormen ergeben. Insbesondere ist bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Beitragsregelungen, die Personen mit und ohne Kinder gleich behandeln oder zum Nachteil der Familie differenzieren, der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach Art 6 Abs 1 GG der Familie schuldet (BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12; BVerfGE 87, 1, 37 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7). Jedoch verfügt der Gesetzgeber auch dabei über einen nicht unerheblichen Gestaltungsrahmen. Er darf nicht nur die jeweilige Haushaltslage und die finanzielle Situation der GRV, sondern auch über Jahrzehnte gewachsene und bewährte Prinzipien im komplexen System der GRV berücksichtigen (BVerfGK 12, 81, 83 mwN).

45

Hiervon ausgehend stellt die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Rentenversicherungsbeiträgen für Versicherte mit Kindern keine die Vorgaben von Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG missachtende Gleich- bzw Ungleichbehandlung dar. Der Gesetzgeber hat jedenfalls die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil er die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen hat (dazu ). Überdies sind ein in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegender "Beitrag" und der monetäre Beitrag in der GRV weder gleichartig noch gleichwertig (dazu ). Ein sachlicher Grund für die Nichtberücksichtigung der Kindererziehungsleistung im Beitragsrecht der GRV liegt weiterhin darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für Kinder als Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen der GRV darstellt (dazu ). Auch könnte eine Berücksichtigung im Beitragsrecht zu anderen verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen führen (dazu ). Letztlich rechtfertigt der Strukturunterschied zwischen GRV und sPV im Hinblick auf die Leistungsbemessung eine Nichtberücksichtigung von Kinderbetreuung und -erziehung im Beitragsrecht der GRV (dazu ).

46

(a) Der Gesetzgeber hat bereits deshalb die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil er seit Ergehen des "Trümmerfrauen"-Urteils (BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1) in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente in das Leistungsspektrum gerade der GRV eingefügt und die durch Kindererziehung entstehenden Nachteile so - entgegen der Auffassung der Kläger - systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen hat. Auf den Ausgleich eines von den Klägern angeführten "externen Effektes" eines Kindes für die GRV kommt es hierfür insoweit nicht an.

47

(aa) Der Senat hat schon in seinen Urteilen vom 5.7.2006 einen Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern im Leistungsrecht der GRV als systemgerecht und ausreichend bestätigt (BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 51; ebenso Hase, Sozialversicherung und Familie zwischen sozialem Ausgleich und staatlicher Verantwortung, DRV-Schriften 46 <2003>, 29, 64; Ruland, NJW 2001, 1673, 1674; ders, FamRZ 2004, 493, 494; aA Kingreen, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes 57 <2008>, 71, 90, 94; Lenze, NZS 2007, 407, 409; dazu auch Estelmann, SGb 2002, 245, 253). Daran hält der Senat fest. Unter diese Leistungen, die auch in den vorliegend streitigen Jahren fortwirkten, fallen insbesondere:

        

•       

große Witwen- oder Witwerrente bei Kindererziehung (§ 46 Abs 2 S 1 Nr 1 und § 243 Abs 2 und Abs 3 SGB VI),

        

•       

Erziehungsrente (§§ 47, 243a SGB VI),

        

•       

Kindererziehungszeiten (§ 3 S 1 Nr 1 iVm §§ 56, 249, 249a SGB VI),

        

•       

Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§ 57 SGB VI),

        

•       

Anrechnungszeiten für Schwangerschaft oder Mutterschaft (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI),

        

•       

Zuschlag für Zeiten der Kindererziehung bei Witwen- und Witwerrenten (§ 78a SGB VI),

        

•       

Kinderzuschuss (§ 270 SGB VI),

        

•       

Leistungen für Kindererziehung an Mütter der Geburtenjahrgänge vor 1921 (§§ 294 bis 299 SGB VI),

        

•       

Zuzahlungsfreiheit für unter 18-jährige bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und bei sonstigen Leistungen (§ 32 Abs 1 SGB VI).

48

Zu den einzelnen seit dem "Trümmerfrauen"-Urteil des BVerfG in Ansehung von Betreuung und Erziehung von Kindern eingeführten Leistungen der GRV wird für den Zeitraum von 1992 bis 2004 im Übrigen ergänzend auf den Bericht der Bundesregierung (Unterrichtung durch die Bundesregierung - Bericht der Bundesregierung zur Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sozialen Pflegeversicherung vom 3. April 2001 <1 BvR 1629/94> für andere Zweige der Sozialversicherung vom 4.11.2004, BT-Drucks 15/4375 , S 6 ff) verwiesen.

49

Die den vorstehenden Ausführungen des Senats zugrunde liegende Beurteilung, dass auf einen Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern im Leistungsrecht der GRV als systemgerecht abgestellt werden darf, hat das BVerfG für den Bereich der landwirtschaftlichen Alterssicherung als verfassungsgemäß bestätigt; ein Ausgleich ist demnach - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht nur im Beitragsrecht möglich. So hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung (BVerfGE 109, 96, 127 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2 RdNr 84 ff) einen Verstoß des Beitragsrechts der landwirtschaftlichen Alterssicherung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG auch unter Berücksichtigung seines sPV-Urteils ua deshalb verneint, weil in der Alterssicherung "im Unterschied zur sozialen Pflegeversicherung die Erziehungsleistung … nicht unberücksichtigt (bleibt). Zeiten der Kindererziehung wirken sich … im Zusammenhang mit der Erfüllung der Wartezeit rechtsbegründend nach § 17 Abs 1 Satz 2 Nr 1 ALG in Verbindung mit § 56 Abs 1 SGB VI aus. Auch hat der Landwirtsehegatte auf Grund von Zeiten der Kindererziehung Zugang zur gesetzlichen Rente …". Diese Argumentation lässt darauf schließen, dass das BVerfG die Regelungen des Rentenrechts als mit dem GG insoweit vereinbar angesehen hat (vgl Ruland, SDSRV 57 <2008>, 53, 57) und macht deutlich, dass auch das BVerfG für die GRV von einem ausreichenden Ausgleich der Kindererziehung auf der Leistungsseite ausgeht (zum Verhältnis dieser Entscheidung zum sPV-Urteil vgl BSG <13. Senat> SozR 4-2600 § 70 Nr 2 RdNr 37). Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten fügt sich in die Struktur der Rentenversicherung ein (BVerfG BVerfGK 12, 81, 83).

50

(bb) Auf den Ausgleich eines "externen Effektes" eines Kindes für die GRV kommt es dabei - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht an. Positive "'externe Effekte' der Erziehung und Ausbildung von Kindern" werden nach Ansicht eines von den Klägern angeführten Gutachtens (Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013, S 27) erzeugt, "wenn ein Gutteil der Erträge der dabei vorgenommenen Humankapitalinvestitionen nicht den Finanziers (etwa den Eltern, soweit diese die Kosten der Erziehung und Ausbildung der Kinder überwiegend selbst tragen), sondern Dritten (nämlich allen Angehörigen der Rentnergeneration, unabhängig von ihrer individuellen Beteiligung an der Humankapitalbildung) zugutekommen". Sie entstehen also, wenn sich für "durchschnittliche Kinder" aus heutiger Sicht ein Überschuss aller von ihnen geleisteten Sozialversicherungsbeiträge und Steuern über die von ihnen in Anspruch genommenen Geld- und Sachleistungen ergibt (vgl Werding, aaO, S 89, 47). Entscheidend ist demgegenüber vielmehr, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in deren Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird. Vor diesem Hintergrund veranlasst das von den Klägern vorgelegte Gutachten (Werding, aaO, S 47, 84) den Senat nicht dazu, das Beitragsrecht der GRV insoweit für verfassungswidrig zu halten. Entscheidend ist demgegenüber vielmehr, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in deren Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird.

51

In dem Gutachten wird aus sozialökonomischer Sicht der Versuch unternommen, innerhalb bestimmter als modellhaft angenommener Rahmenbedingungen einen "externen Vorteil" von Kindern für die GRV zu beziffern. Der Ausgleich eines "externen Effektes" eines Kindes ist jedoch verfassungsrechtlich nicht geboten. Zwar besteht der generative Beitrag nach den Ausführungen des BVerfG im sPV-Urteil in der pekuniären Beitragsleistung, die die heutigen Kinder in der Zukunft erbringen werden (vgl Estelmann, SGb 2002, 245, 254). Es soll der Vorteil ausgeglichen werden, der Versicherten ohne Kinder im Versicherungsfall erwächst. Dieser Vorteil soll sich aber in der Erziehungsleistung der Eltern spiegeln, die wegen der Erziehung zu ihrem Nachteil - im Vergleich zu Kinderlosen - auf Konsum und Vermögensbildung verzichten (BVerfGE 103, 242, 264 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17). Dieser Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung entsteht wiederum durch die Kosten, die sich ergeben, wenn sich Eltern der Erziehung widmen und auf eine Berufstätigkeit verzichten oder dieser nur eingeschränkt nachgehen, durch Betreuungskosten oder sonstige Kosten, die mit der Betreuung und Erziehung von Kindern zusammenhängen. So formuliert das BVerfG ausdrücklich, dass die mit der Erziehungsleistung verbundene Belastung der Eltern, die in deren Erwerbsphase auftritt, auch in diesem Zeitraum auszugleichen ist (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22). Demnach können zum Ausgleich des Nachteils aber auch alle familienfördernden Elemente mitberücksichtigt werden, dh auch solche, die in anderen Bereichen als der GRV seit jeher vorhanden sind bzw sukzessive eingeführt wurden und die die "Nachteile", die Eltern durch die Betreuung und Erziehung von Kindern in der Erwerbsphase entstehen, vermindern (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 251). Zu den vielfältigen derartigen Leistungen für die Zeit von 1992 bis 2004 ist ebenfalls auf den Bericht der Bundesregierung (aaO, BT-Drucks 15/4375) zu verweisen. Leistungen für Familien außerhalb der GRV in den Jahren nach 2004 werden im Einzelnen in den Sozialberichten der Bundesregierung aufgeführt (vgl Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2005, BT-Drucks 15/5955, S 21, 37 f, 94 ff, 100; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2009, BT-Drucks 16/13830, S 20 ff, 57, 64, 74 ff, 79, 83, 86, 96, 109 f, 113, 117, 127 f, 132 f, 135, 190 f; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Nationaler Sozialbericht 2012, BT-Drucks 17/12649, S 7, 9 ff; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2013, BT-Drucks 17/14332, S 21, 41, 45 ff, 54, 57, 60, 99, 101, 149 f).

52

Die - auch von den Klägern angeführte - Untersuchung von Schmähl/Rothgang/Viebrok (Berücksichtigung von Familienleistungen in der Alterssicherung - Analyse und Folgerungen aus ökonomischer Sicht, DRV-Schriften Band 65 <2006> 106) weist insoweit zutreffend darauf hin, dass das BVerfG in seinem sPV-Urteil (gerade) "nicht versucht hat, das Zusammenspiel von elterlichen, staatlichen, betrieblichen und anderen Erziehungsleistungen zu durchdringen und auf dieser Basis den Beitrag der Eltern und damit den externen Effekt ihrer Kindererziehungsleistungen zu beziffern" (vgl ebenda). Gleiches ist auch im vorliegenden Rechtsstreit bedeutsam, weil es nach den dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben jedenfalls keine zwingende Notwendigkeit für eine Berücksichtigung des "externen Effekts" gibt. Darüber hinaus machen diese - ebenfalls aus dem Bereich der Sozialökonomie stammenden - Autoren deutlich, dass der externe Effekt selbst bei fachspezifischer Analyse nicht betragsmäßig beziffert werden kann.

53

(b) Die beitragsrechtliche Differenzierung bzw Gleichbehandlung ist auch deshalb gerechtfertigt, weil ein in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegender "Beitrag" und der Finanzbeitrag in der GRV weder gleichartig noch gleichwertig sind; denn mit der Erziehungsleistung wird für die - aktuell - zu finanzierenden Renten weder ein unmittelbarer noch ein mittelbarer Beitrag geleistet. Der Beitrag zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der GRV, der in Form von Kindererziehung geleistet wird, kann im Unterschied zu den "echten" monetären Beiträgen der Erwerbstätigen nicht sogleich wieder in Form von Rentenzahlungen an die nicht mehr Erwerbstätigen ausgeschüttet werden (BVerfGE 87, 1, 40 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 9 <"Trümmerfrauen-Urteil">; im Ergebnis auch Ruland, NJW 2001, 1673, 1677). Im (einfachrechtlichen) Rentenrecht gibt es keine dokumentierte und fixierte Sonderbeziehung zwischen aktiv erwerbstätiger Generation und nachwachsender Generation. Eine solche Sonderbeziehung besteht nur zwischen der jeweiligen Generation der aktiv Erwerbstätigen einerseits und der jeweils aktuellen Rentnergeneration andererseits. Mit anderen Worten: Mit "generativen Beiträgen" (durch Kindererziehung) können aktuelle Renten nicht bezahlt werden. Dies hat der Senat bereits entschieden (BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 57 f). Daran hält er fest.

54

Dieser Befund der fehlenden Möglichkeit der Gleichsetzung eines "monetären" mit dem "generativen" Beitrag (aA Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 88 f) wird auch nicht durch einen Rückgriff auf den durch die Betreuungs- und Erziehungsleistung entstehenden "Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung" als Vergleichsmaßstab bzw "gemeinsamer Nenner" (so Lenze, NZS 2007, 407, 408) in Frage gestellt. Hierbei handelt es sich nur um eine "Umformulierung" desselben Sachverhalts, weil der "Verzicht" gerade durch den Aufwand für Beiträge bzw durch das durch die Betreuungs- und Erziehungsleistung verminderte Einkommen der Eltern entsteht; dh der Aufwand der Eltern für die Beitrags- bzw die Betreuungs- und Erziehungsleistung geht auf der anderen Seite zwingend mit einem Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung einher.

55

(c) Ein sachlicher Grund für die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Rentenversicherungsbeiträgen für Versicherte mit Kindern liegt weiter darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern als Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen der GRV darstellt. Ein solcher von den Klägern geforderter Ausgleich wäre keine "systemspezifische" Aufgabe der GRV.

56

Die GRV ist für ihren Fortbestand auf nachwachsende Beitragszahler ebenso angewiesen, wie das Staatswesen für seinen Fortbestand auf ein nachwachsendes Staatsvolk. Auch wenn sich derartige allgemeine Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit des Staates (auch) innerhalb des Systems der GRV auswirken, handelt es sich doch nur bei "genuin innerhalb des GRV-Systems entstehenden Auswirkungen um systemspezifische" (vgl BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52; unter Hinweis Haass, KJ 2002, 104, 108 f). Im bestehenden Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland liegt es verteilungs- und ordnungspolitisch näher - bzw ist jedenfalls verfassungsrechtlich auch aus heutiger Sicht nicht zu beanstanden -, wenn der von den Klägern erstrebte Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern als Teil des Ganzen durch Maßnahmen im Steuerrecht gelöst wird (vgl ebenso: Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 7, 13; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, Bericht der Kommission, 2003, S 114 f; aus der Literatur: Ruland, NJW 2001, 1673, 1677; ders, SDSRV 57 <2008>, 53; Haass, KJ 2002, 104, 107; Ebsen, VSSR 2004, 3, 17; Hase, VSSR 2004, 55, 68; Axer, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft - DStJG - 29 <2006>, 175, 192).

57

Dies hat der Senat bereits in seinen Urteilen vom 5.7.2006 entschieden (stellvertretend BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52 ff). Die GRV darf nicht Aufgaben der Gesamtgesellschaft lösen (vgl BVerfGE 75, 108, 148). Jede staatliche Gemeinschaft ist auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen angewiesen, weshalb an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Das allein gebietet es nicht, diese Betreuungs- und Erziehungsleistung zugunsten der Familien in einem bestimmten sozialen Leistungssystem zu berücksichtigen (BVerfGE 103, 242, 265 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 18). Dieses Argument ist deshalb (gerade) nicht - wie die Kläger meinen - im Hinblick auf die Bindungswirkung des sPV-Urteils nach § 31 BVerfGG für die GRV ohne verfassungsrechtliche Relevanz. Das Teilsystem der GRV kann die Elemente des dieses System fördernden und fordernden Umfeldes nicht selbst steuern oder intern ausgleichen; wer es unternimmt, innerhalb des Systems dessen äußere Voraussetzungen zu korrigieren, bewegt sich logisch außerhalb eines Systemausgleichs. Die Probleme des Ausgleichs des Aufwandes für Kinder sind Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen jedweder Altersvorsorge bzw Zukunftsfähigkeit jeder Gemeinschaft und damit keine spezifische Aufgabe der GRV (vgl erneut BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52 ff). Hieran hält der Senat fest.

58

(d) Die Berücksichtigung einer auf der Betreuungs- und Erziehungsleistung beruhenden Vorleistung im Recht der GRV könnte ferner zu verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen an anderer Stelle führen (vgl hierzu die Nachweise in BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 58). Ein solcher Binnenausgleich auf der Beitragsseite könnte Eltern benachteiligen, die einen gleich hohen Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern haben, aber nicht Mitglied der GRV sind und daher für ihre Altersvorsorge selbst (privat) zu sorgen haben (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 5, 7; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Stellungnahme des Sozialbeirats, aaO, BT-Drucks 14/6099, S 8; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, aaO; Ruland, NJW 2001, 1673, 1675). Umgekehrt könnten Kinderlose, die nicht Versicherte der GRV sind, nicht an diesem Ausgleich teilnehmen (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, BT-Drucks 15/4375, S 5; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, aaO; Ruland, NJW 2001, 1673, 1674; Ebsen, Jura 2002, 401, 404; ders VSSR 2004, 3, 17; kritisch hierzu Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 90).

59

Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass es vorliegend "nur" um den Ausgleich von Betreuungs- und Erziehungsleistungen von in der GRV versicherten Eltern gehe: Zum einen verkennt dies den - wie dargestellt - übergreifenden Charakter der Betreuungs- und Erziehungsleistungen von Eltern. Zum anderen könnte es selbst bei einer Betrachtung nur innerhalb der GRV zu einer verfassungsrechtlich schwer zu rechtfertigenden Umverteilung von niedrigen zu höheren Einkommen kommen, weil besserverdienende Kindererziehende durch die Beitragsentlastung stärker begünstigt würden als Kindererziehende mit geringerem Einkommen. Bei Kinderlosen könnte es zu einer Privilegierung von gut verdienenden gegenüber weniger gut verdienenden Versicherten kommen. Dies alles würde aus dem Umstand folgen, dass das beitragspflichtige Einkommen in der GRV durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt ist (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 5). Allgemein ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass jedwede Änderung im Recht der GRV als einem auf lange Sicht angelegten System der sozialen Alterssicherung vielfältige verfassungsrechtliche Risiken und Folgewirkungen beinhalten würde. Den Sozialgesetzgeber trifft insoweit auch eine gewisse Schutzverpflichtung zugunsten des selbstgesetzten Systems (vgl hierzu Papier, DRV 2001, 350, 358).

60

(e) Schließlich ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe auch wegen des grundsätzlichen strukturellen Unterschieds zwischen sPV und GRV im Hinblick auf die Leistungsbemessung gerechtfertigt. Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern abhängig vom jeweils bestehenden Pflegebedarf (vgl §§ 36 ff SGB XI). Auch besteht der Leistungsanspruch grundsätzlich bereits - ohne Wartezeit - mit Beginn des Versicherungsschutzes in vollem Umfang (vgl schon Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 6 ff; Hase, Sozialversicherung und Familie zwischen sozialem Ausgleich und staatlicher Verantwortung, DRV-Schriften 46 <2003>, 29, 61; Ruland, SDSRV 57 <2008>, 53, 57). Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Hiervon unterscheidet sich das Leistungsrecht in der GRV strukturell. Hier sind die Rentenleistungen hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig (vgl § 63 SGB VI). Ein systeminterner Nachteilsausgleich im Beitragsrecht der GRV mag bei alledem "nicht verfassungsrechtlich unzulässig" sein, verfassungsgeboten - wie die Kläger meinen - ist er jedoch nicht.

61

6. Der Senat ist auch nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GKV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Krankenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder in der von den Klägern verlangten Weise zu reduzieren ist (dazu b).

62

a) Nach §§ 241 ff SGB V(diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB V im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung) sind Krankenversicherungsbeiträge nach einem Beitragssatz zu erheben, der in Hundertsteln der beitragspflichtigen Einnahmen festgesetzt wird. Der allgemeine Beitragssatz war anfänglich krankenkassenindividuell verschieden und wird seit dem 1.1.2009 bundeseinheitlich festgelegt. Für bestimmte Versicherte sieht das Beitragsrecht der GKV ermäßigte bzw besondere Beitragssätze vor (§§ 243 ff SGB V). Nach § 223 Abs 2 S 1 SGB V werden die Krankenversicherungsbeiträge nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen. Welche Einnahmen hierunter fallen, wird bei versicherungspflichtig Beschäftigten durch § 226 Abs 1 SGB V bestimmt. Der Umfang der beitragspflichtigen Einnahmen ist nach unten durch eine Bagatellgrenze (§ 226 Abs 2 SGB V) und nach oben durch die Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 Abs 3 S 1 SGB V) beschränkt. Die Krankenversicherungsbeiträge werden bei Beschäftigten von diesen und ihren Arbeitgebern im Grundsatz jeweils zur Hälfte getragen (§ 249b SGB V).

63

b) Die Kläger können nicht beanspruchen, von ihren auf dieser Gesetzeslage beruhenden Krankenversicherungsbeiträgen deshalb im geforderten Umfang entlastet zu werden, weil sie ihrer Auffassung nach bereits durch die Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems der GKV erbracht hätten und anderenfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG nicht berufen, weil das Beitragsrecht der GKV von der Bindungswirkung dieses Urteils (§ 31 BVerfGG) nicht erfasst wird (vgl bereits - zum Beitragsrecht der GRV - oben 5. b> aa>). Auch können sich die Kläger nicht mit Erfolg auf das aus Art 6 Abs 1 GG folgende Gebot zur Förderung der Familie stützen (so schon - zum Beitragsrecht der GRV - oben 5. b> bb>).

64

Der Senat ist schließlich nicht davon überzeugt, dass die hier einschlägigen beitragsrechtlichen Vorschriften der GKV in ihrer Anwendung auf Personen wie die Kläger Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verletzen. Entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht ist bereits zweifelhaft, ob die GKV alle vom BVerfG in seinem sPV-Urteil aufgestellten Voraussetzungen für einen - von ihnen so bezeichneten - "intergenerationellen" Gleichheitsverstoß erfüllt; fraglich ist nämlich vor allem, ob die GKV ein versichertes Risiko abdeckt, das "überproportional" im Alter auftritt und durch Beiträge der nachwachsenden Generation finanziert wird (dazu aa). Unabhängig davon ergäbe sich auch deshalb kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG, weil bei Prüfung in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Zusammenhang für eine Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe im Beitragsrecht der GKV rechtfertigende Sachgründe vorliegen (dazu bb).

65

aa) Würden die im sPV-Urteil aufgestellten Voraussetzungen, bei deren Vorliegen das BVerfG einen Verstoß der beitragsrechtlichen Vorschriften der sPV gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG angenommen hat, auf die GKV "übertragen", so wäre eine Verletzung des Gleichheitssatzes durch deren einschlägige gesetzliche Beitragsvorschriften nach diesen Maßstäben zumindest zweifelhaft. Anders als die Kläger meinen, ist die "Übertragbarkeit" des sPV-Urteils auf die GKV nämlich nicht schon deshalb "weniger problematisch", weil sich die Organisations- und Finanzierungsstrukturen der sPV und der GKV "weitgehend entsprechen". Dies mag bezogen auf die Organisations- und Finanzierungsstrukturen zutreffen. Ein erheblicher Unterschied besteht jedoch bei dem jeweils versicherten Risiko.

66

Im sPV-Urteil hat das BVerfG ausgeführt, es ist entscheidend, dass "der durch den Eintritt des Versicherungsfalls verursachte finanzielle Bedarf überproportional häufig in der Großelterngeneration (60 Jahre und älter) auftritt" (BVerfG, 103, 242, 263 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 16). Als Lebensrisiko betrifft das Risiko einer Erkrankung alle Altersgruppen der Gesellschaft; Entsprechendes gilt für das in der GKV versicherte Risiko, die durch Krankheit bedingten (Krankheits-)Aufwendungen und ggf Verdienstausfälle finanziell nicht tragen zu können. Zwar steigen die Krankheitskosten pro Kopf nach den öffentlich, dh für jedermann verfügbaren statistischen Daten allgemein - unabhängig von der Zugehörigkeit zur GKV - grundsätzlich im Alter deutlich an.

67

So lagen die Krankheitskosten etwa im Jahr 2006 für Einwohner unter 15 Jahren bei jährlich 1240 Euro, bei Einwohnern zwischen 15 und 30 Jahren bei 1180 Euro, bei den 30 bis 45-jährigen bei 1600 Euro, bei den 45 bis 65-jährigen bei 2930 Euro, bei den 65 bis 85-jährigen bei 6140 Euro und bei Einwohnern von 85 Jahren und älter bei 14 440 Euro (Statistisches Bundesamt, Gesundheit - Krankheitskosten, Wiesbaden 2010, S 14). Das allgemeine Ausgabenvolumen stellte sich im Jahr 2006 jedoch so dar, dass für die Gruppe der unter 65 Jahre alten Personen Krankheitskosten von insgesamt rund 124,7 Mrd Euro entstanden sind, für die Gruppe der 65-jährigen und älter aber "nur" rund 111,9 Mrd Euro ( https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/tabelleErgebnis/23631-0002 , recherchiert am 8.9.2015). Für das Jahr 2008 galt Folgendes: Die Krankheitskosten für Einwohner unter 15 Jahren lagen bei jährlich 1360 Euro, bei Einwohnern zwischen 15 und 30 Jahren bei 1320 Euro, bei den 30 bis 45-jährigen bei 1700 Euro, bei den 45 bis 65-jährigen bei 3010 Euro, bei den 65 bis 85-jährigen bei 6520 Euro und bei Einwohnern von 85 Jahren und älter bei 14 840 Euro (Statistisches Bundesamt, aaO, S 14). Das allgemeine Ausgabenvolumen stellte sich im Jahr 2008 jedoch so dar, dass für die Gruppe der unter 65 Jahre alten Personen Krankheitskosten von insgesamt rund 131,2 Mrd Euro entstanden sind, für die Gruppe der 65-jährigen und älter aber "nur" rund 123,1 Mrd Euro ( https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/
tabelleErgebnis/23631-0002 , recherchiert am 8.9.2015). Öffentlich zugängliche Statistiken für die Jahre ab 2009 sind in der hier angegebenen Form nicht ersichtlich, was sich ua dadurch erklärt, dass nur bis 2008 die Zuteilung der Mittel an die Krankenkassen ua nach den durchschnittlichen altersabhängigen Leistungsausgaben erfolgte und diese dementsprechend altersabhängig ermittelt wurden. Seit 2009 werden die Mittel im Risikostrukturausgleich in erster Linie morbiditätsorientiert vergeben. Die altersabhängigen Gesundheitsausgaben werden seit 2009 vom Bundesversicherungsamt nur auf Stichprobenbasis ermittelt (vgl Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013, S 33).

68

Der überwiegende Teil der Gesamtkosten (Krankheitskosten) entstand nach den vorstehenden Ausführungen in der Generation der Erwerbstätigen selbst, und nicht - wie vom BVerfG im sPV-Urteil gefordert (BVerfGE 103, 242, 263 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 16 f)- "überproportional" in der Generation der Älteren/Nichterwerbstätigen. Hinzu kommt speziell im Beitragsrecht der GKV, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Krankheitskosten von der nicht mehr erwerbstätigen Generation selbst getragen wird, weil auch Rentner selbst Beiträge zur GKV aufbringen, sodass hier gerade keine eindeutige "überproportionale" Umverteilung von der jungen zur alten Generation erfolgt (vgl hierzu bereits BSG <1. Senat> BSGE 92, 46 RdNr 33 = SozR 4-2500 § 61 Nr 1 RdNr 34; Lenze, EuGRZ 2001, 280, 282 Fn 16). Entsprechend wies die Bundesregierung in einer Unterrichtung des Deutschen Bundestages am 4.11.2004 darauf hin, dass Rentner in der sPV nur ca 25 % ihrer Leistungsausgaben durch Beitragszahlungen selbst aufbringen, jedoch mehr als 80 % der Gesamtausgaben verursachen. Demgegenüber liegt der Eigenfinanzierungsanteil von Rentnern in der GKV immerhin bei ca 46 % ihrer Leistungsausgaben (vgl Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 8).

69

bb) Dessen ungeachtet ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Ungleichbehandlung der Kläger in der GKV auch in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt. In Anwendung der aus Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vom BVerfG entnommenen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (dazu oben 5. b> cc> <2>) stellt die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung der Krankenversicherungsbeiträge für Versicherte mit Kindern keinen Gleichheitsverstoß dar. Der Gesetzgeber hat auch im Beitragsrecht der GKV jedenfalls die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt (zu dieser Voraussetzung siehe bereits die Nachweise oben unter 5. b> cc> <2>), weil er die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile bereits im Beitrags- bzw Leistungsrecht der GKV ausgeglichen hat (dazu im Folgenden <1>). Überdies sind der "Erziehungsbeitrag" einerseits und der Finanzbeitrag andererseits auch in der GKV nicht gleichartig oder gleichwertig (dazu <2>). Ein sachlicher Grund für das Fehlen einer weitergehenden Berücksichtigung der Kindererziehungsleistung im Beitragsrecht der GKV liegt weiter darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern auch in der GKV als Teil ihrer allgemeinen Rahmenbedingungen darstellt (dazu <3>). Schließlich könnte eine Berücksichtigung dieses Aufwandes im Beitragsrecht der GKV ebenso wie in der GRV zu anderen verfassungsrechtlich problematischen Verwerfungen führen (dazu <4>).

70

(1) Der Gesetzgeber hat bereits deshalb die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil im Recht der GKV in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente bestehen und er die durch Kinderbetreuung und -erziehung entstehenden Nachteile so - entgegen der Auffassung der Kläger - bereits im Beitrags- bzw Leistungsrecht der GKV ausgeglichen hat (Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375 S 7 ff; ebenso Axer, DStJG 29 <2006>, 175, 198 mwN; Plagemann, ZIP 2001, 1041, 1045; zweifelnd Rothgang, SF 2001, 121, 123). Wie schon oben zum Beitragsrecht der GRV unter 5 b) cc) (2) ausgeführt, kommt es für die Frage nach einer Kompensation der Nachteile darauf an, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in der Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird. Das BVerfG verlangt in seinem sPV-Urteil gerade nicht den Ausgleich des Vorteils der Kinderlosen im Versicherungsfall, also des Transfers, den die heutigen Kinder als zukünftige Beitragszahler zugunsten der kinderlosen Versicherten im Rentenalter werden erbringen müssen (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 252). Die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung verbundene Belastung der Eltern, die in deren Erwerbsphase auftritt, ist auch in diesem Zeitraum auszugleichen (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22). Familienfördernde Elemente im System der GKV sind - zusammengefasst -:

        

•       

Beitragsfreie Familienversicherung (§ 10 SGB V),

        

•       

Krankengeld bei Erkrankung des Kindes (§ 45 SGB V),

        

•       

Anspruch auf Haushaltshilfe (§ 38 SGB V),

        

•       

keine Zuzahlungspflicht für Kinder (§ 39 Abs 4, § 40 Abs 5, 6 SGB V),

        

•       

Minderung der Belastungsgrenze für Zuzahlungen (§ 62 Abs 2 SGB V),

        

•       

Fortbestehen der Pflichtmitgliedschaft bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, Bezug von Erziehungsgeld oder Elterngeld oder bei Inanspruchnahme von Elternzeit (§ 192 Abs 1 Nr 2 SGB V),

        

•       

Beitragsfreiheit bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, Bezug von Erziehungsgeld oder von Elterngeld (§ 224 Abs 1 SGB V),

        

•       

Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft (früher: §§ 195 bis 200 RVO, seit 30.10.2012: §§ 24c bis 24i SGB V).

71

Das Beitragsrecht und Leistungsspektrum der GKV ist daher bereits spezifisch familien- und kinderorientiert; demzufolge ist die Solidarkomponente in der GKV zugunsten von Versicherten mit Kindern und Familien - de lege lata - erheblich stärker ausgeprägt als in der sPV. Dass mit der Berücksichtigung dieser Elemente - wie die Kläger meinen - lediglich eine "Symmetrie im Lebenslängsschnitt hergestellt" werde mit der Folge, dass diese Vergünstigungen als Kompensationen zwischen Eltern und Kinderlosen ausscheiden, erschließt sich daher nicht. Zu den Leistungen für kindererziehende Familien verweist der Senat ergänzend für die Zeit bis 2004 auf den Bericht der Bundesregierung (aaO, BT-Drucks 15/4375, S 7 ff), für die Zeit nach 2004 verweist er ergänzend auf die Sozialberichte der Bundesregierung (Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2005, BT-Drucks 15/5955, S 21, 37, 94 ff, 100; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2009, BT-Drucks 16/13830, S 20 ff, 57, 64, 74 ff, 79, 83, 86, 96, 109 f, 113, 117, 127 f, 132 f, 135, 190 f; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Nationaler Sozialbericht 2012, BT-Drucks 17/12649, S 7, 9 ff; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2013, BT-Drucks 17/14332, S 21, 41, 45 ff, 54, 57, 60, 99, 101, 149 f).

72

Neben anderen Vergünstigungen rechtfertigt vor allem die beitragsfreie Familienversicherung (§ 10 SGB V), dass von einer weiteren Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der GKV abgesehen werden durfte (siehe auch Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375 S 7 ff; Plagemann, ZIP 2001, 1041, 1045; Axer, DStJG 29 <2006>, 175, 198 mwN). Die Familienversicherung in der GKV reicht weiter als in der sPV, weil die Leistungen im Krankheitsfall von Kindern und beitragsfrei versicherten Ehegatten auch häufiger in Anspruch genommen werden. Ohne die Familienversicherung müssten Eltern Beiträge für Kinder aufbringen oder für Behandlungskosten bei Eintritt des Versicherungsfalles selbst aufkommen. Dem steht auch nicht das Ergebnis des von den Klägern vorgelegten Gutachtens (Niehaus, aaO) entgegen; danach soll die "Durchschnittsfamilie" mehr an Beiträgen in die GKV einzahlen als sie Leistungen in Anspruch nimmt; dieses Verhältnis soll sich erst ab dem vierten Kind umkehren. Selbst wenn man diesen Befund als richtig unterstellt und die der Untersuchung zugrunde gelegten (volkswirtschaftlichen) Parameter bzw den durch Zahlenwerte konkretisierten Rahmen der Studie für zutreffend hält, ist der Ansatzpunkt dieser Untersuchung problematisch und macht aus der "beitragsfreien Familienversicherung" - entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht - keine solche, in der Beiträge (mittelbar) eben doch entrichtet werden müssen. Die "Simulationsrechnung" berücksichtigt nicht, dass die GKV eine Risikoabsicherung bietet, also im weiteren Sinne eine Risikoversicherung ist. Durch seine Beiträge "erkauft" der Versicherte für sich und seine Mitversicherten, dass er bzw sie bei Eintritt des Versicherungsfalles gegen das Risiko "Krankheit" verbunden mit Krankheitskosten abgesichert ist und sind und entsprechende Leistungen in Anspruch nehmen kann und können. Allein schon hierin besteht ein wirtschaftlicher Wert. Ob sich das Risiko tatsächlich verwirklicht und falls ja, in welchem Umfang, ist für die Beitragsbemessung unerheblich; Beiträge in der GKV sind bezogen auf den einzelnen Versicherten ausschließlich einnahmenorientiert.

73

(2) Für die hier zu prüfende Differenzierung bzw Gleichbehandlung im Beitragsrecht der GKV besteht auch deshalb ein rechtfertigender Grund, weil der in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegende "Beitrag" und der Finanzbeitrag in der GKV nicht gleichartig oder gleichwertig sind. Auf die bereits oben zum Beitragsrecht der GRV gemachten Ausführungen wird insoweit verwiesen (oben 5. b> cc> <2> ). Es fehlt auch in der GKV an der Gleichartigkeit, weil mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung für die - aktuell - zu finanzierenden Leistungen der GKV weder ein unmittelbarer noch ein mittelbarer Beitrag geleistet wird. Der Beitrag zur Aufrechterhaltung der GKV, der in Form von Kinderbetreuung und -erziehung geleistet wird, kann im Unterschied zu den "greifbaren" monetären Beiträgen nicht sogleich wieder als Leistung an Leistungsberechtigte gewährt werden. Ebenso wie in der GRV geht es - entgegen der Auffassung der Kläger - auch hier weiterhin um die Frage einer Gleichsetzung von monetären mit generativen Beiträgen (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 249; Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 88 f). Der Rückgriff auf den mit der Erziehungsleistung einhergehenden "Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung" als Vergleichsmaßstab bzw "gemeinsamer Nenner" (so Lenze, NZS 2007, 407, 408) verhilft dem Begehren der Kläger auch in der GKV nicht zum Erfolg, weil dieser "Verzicht" gerade aus dem Aufwand für die Kinderbetreuung und -erziehung bzw aus der Aufbringung der Beiträge stammt.

74

(3) Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der einschlägigen beitragsrechtlichen Bestimmungen am Maßstab des Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG ist überdies zu berücksichtigen, dass sich der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern auch in der GKV als Teil ihrer allgemeinen Rahmenbedingungen darstellt. Sein Ausgleich ist keine spezifische Aufgabe der GKV und muss daher nicht zwingend durch eine weitergehende Berücksichtigung der Kinderbetreuungs- und -erziehungsleistung im Beitragsrecht der GKV vorgenommen werden. Auf die obigen Ausführungen zum Beitragsrecht der GRV (oben 5. b> cc> <2>) wird insoweit verwiesen. Auch für die GKV gilt, dass sie nicht Aufgaben der Gesamtgesellschaft zu lösen hat. Wie bereits angesprochen führt das BVerfG in seinem sPV-Urteil aus, dass auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen jede staatliche Gemeinschaft angewiesen ist und so an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Das allein gebietet es nicht, diese Erziehungsleistung zugunsten der Familien in einem bestimmten sozialen Leistungssystem zu berücksichtigen (BVerfGE 103, 242, 265 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 18).

75

(4) Zu bedenken ist schließlich, dass eine von den Klägern erstrebte besondere Berücksichtigung der Betreuung und Erziehung von Kindern auch im Beitragsrecht der GKV zu anderen verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen führen könnte, weil sie neue Gleichbehandlungsprobleme nach sich zöge. Auch insoweit ist auf die bereits oben gemachten Ausführungen zur GRV zu verweisen (oben 5. b> cc> <2> ). Die Berücksichtigung auf der Beitragsseite könnte auch in der GKV solche Eltern benachteiligen, die nicht Mitglied der GKV sind. Zudem könnten Kinderlose, die nicht Mitglied der GKV sind, nicht an einem Ausgleich teilnehmen. Schließlich könnte die von den Klägern geforderte Ausgestaltung des Beitragsrechts auch in der GKV eine Umverteilung von niedrigen zu höheren Einkommen zur Folge haben. Zum einen könnten im System besserverdienende Kindererziehende durch die Beitragsentlastung stärker begünstigt werden als Kindererziehende mit geringerem Einkommen. Zum anderen käme es möglicherweise bei Kinderlosen zu einer Privilegierung von gut verdienenden gegenüber weniger gut verdienenden Versicherten. Dass dies eintreten kann, beruht auf dem Umstand, dass die beitragspflichtigen Einnahmen auch in der GKV durch eine Beitragsbemessungsgrenze begrenzt sind. Bei alledem kommt in der GKV hinzu, dass die Berücksichtigung der Kinderkomponente innerhalb dieses Systems auf der Beitragsseite Personen, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei sind und das System daher verlassen können (vgl § 6 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 6, § 9 SGB V), an einem kinderbetreuungs- und kindererziehungsbezogenen Ausgleich gar nicht beteiligen würde.

76

7. Der Senat ist schließlich nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass die hier maßgebenden Bestimmungen des Beitragsrechts der sPV unter Einschluss ihrer Änderungen in Umsetzung des sPV-Urteils (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Pflegeversicherungsbeitrag von Versicherten mit Kindern nicht - wie von den Klägern gefordert - zu ermäßigen ist (dazu b).

77

a) Die Bemessung der (eigenen) Beiträge der Kläger zur sPV ohne Berücksichtigung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder - im Umfang eines fixen Betrages bzw gestaffelt nach der Kinderzahl - steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften.

78

Nach § 54 Abs 2 S 1 SGB XI(diese wie auch die nachfolgenden Bestimmungen des SGB XI im Wesentlichen in der bis heute fortgeltenden Fassung vom 26.5.1994, BGBl I 1014) werden die Pflegeversicherungsbeiträge nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§ 55 SGB XI) erhoben. § 55 Abs 1 SGB XI regelt den Beitragssatz. Er betrug in der hier streitigen Zeit 1,7 vH bzw ab 1.7.2008 1,95 vH der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder. Nach § 55 Abs 3 S 1 SGB XI(eingefügt durch Art 1 KiBG vom 15.12.2004, BGBl I 3448) erhöht sich der Beitragssatz nach Abs 1 S 1 und 2 für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in dem sie das 23. Lebensjahr vollendet haben, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose). Den Beitragszuschlag für Kinderlose tragen grundsätzlich die Mitglieder (§ 58 Abs 1 S 3, § 59 Abs 5 SGB XI). Kein Beitragszuschlag ist nach § 55 Abs 3 S 2 SGB XI von versicherten Eltern iS des § 56 Abs 1 S 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 2 und 3 SGB I zu entrichten. Keinen Beitragszuschlag zahlen auch vor dem 1.1.1940 geborene Versicherte, Wehr- und Zivildienstleistende und Bezieher von Arbeitslosengeld II (§ 55 Abs 3 S 7 SGB XI). § 57 Abs 1 S 1 SGB XI bestimmt, dass bei Mitgliedern der Pflegekasse, die in der GKV pflichtversichert sind, für die Beitragsbemessung ua § 226 SGB V gilt. Nach § 58 Abs 1 S 1 SGB XI tragen die in der GKV versicherungspflichtigen Beschäftigten und ihre Arbeitgeber die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge jeweils zur Hälfte. Dass Pflegeversicherungsbeiträge der Kläger im Zeitraum von 2006 bis 2012 in zutreffender Anwendung dieser Vorschriften erhoben wurden, ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit.

79

Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen über den Beitragszuschlag für Kinderlose das sPV-Urteil des BVerfG (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) umgesetzt (vgl dazu bereits BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 10). Das BVerfG hatte in dieser Entscheidung die damaligen beitragsrechtlichen Vorschriften der § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 S 1 und Abs 2 sowie § 57 SGB XI für unvereinbar mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG erklärt, soweit Mitglieder der sPV mit Kindern mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag belastet wurden wie Mitglieder ohne Kinder. Es hat ausgeführt, dass Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG dadurch verletzt ist, dass die Betreuung und Erziehung von Kindern als konstitutive Leistung für das Pflegeversicherungssystem bei der Bemessung von Beiträgen beitragspflichtiger Versicherter keine Berücksichtigung findet. Dadurch wird - so das BVerfG - die Gruppe der Versicherten mit Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sPV, die aus dieser Betreuungs- und Erziehungsleistung im Fall ihrer Pflegebedürftigkeit Nutzen ziehen, in verfassungswidriger Weise benachteiligt. Wird dieser "generative Beitrag" nicht mehr in der Regel von allen Versicherten erbracht, führt dies zu einer spezifischen Belastung kindererziehender Versicherter im Pflegeversicherungssystem, deren benachteiligende Wirkung auch innerhalb dieses Systems auszugleichen ist.

80

Das BVerfG hat damit verbindlich entschieden, dass der Nachteil kindererziehender Versicherter bzw der Vorteil kinderloser Versicherter in der sPV systemspezifisch beitragsrechtlich zu kompensieren ist. Für die vom BVerfG geforderte beitragsrechtliche Kompensation des Nachteils kindererziehender Versicherter in der sPV hat der Gesetzgeber allerdings nicht die (eigenen) Beiträge der Versicherten mit Kindern - etwa (allein) anknüpfend an den Tatbestand ihrer Elternschaft oder sogar in Abhängigkeit von der Kinderzahl - reduziert, sondern die Beiträge für Kinderlose um 0,25 Beitragssatzpunkte erhöht.

81

b) Die Kläger können nicht unter Hinweis auf das sPV-Urteil, dh Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabes durch das BVerfG, beanspruchen, wegen des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder beitragsrechtlich weitergehend - als mit dem KiBG bereits geschehen - entlastet zu werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers durch das sPV-Urteil in der von ihnen behaupteten Weise eingeschränkt war (dazu aa). Bei der Ausfüllung des ihm insoweit zustehenden Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber die ihm eingeräumte Befugnis zur Generalisierung und Typisierung bei der Ordnung von Massenerscheinungen nicht überschritten (dazu bb).

82

aa) Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung stellt das BVerfG in seinem sPV-Urteil nicht auf die "Zahl der generativen Beiträge" ab und hat der Gesetzgeber des KiBG dieses Urteil auch nicht missachtet, weil § 55 Abs 3 SGB XI "lediglich einen Beitragszuschlag für Kinderlose anordnet, aber keine Differenzierung nach der Kinderzahl enthält". Der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers war durch das sPV-Urteil nicht in der von den Klägern behaupteten Weise verengt.

83

Wie der Senat bereits entschieden hat (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 15, 17) hat die Entscheidung des Gesetzgebers, Kinderlose mit einem erhöhten Beitrag zu belasten, Versicherte mit Kindern aber ohne Unterscheidung nach der Kinderzahl, (allein) in Anknüpfung an ihre Elterneigenschaft weiter Pflegeversicherungsbeiträge nach dem bisherigen Beitragssatz zahlen zu lassen, die vom BVerfG geforderte relative Beitragsentlastung bewirkt. Es ist nicht erkennbar, dass danach verfassungsrechtlich zusätzlich eine Reduzierung der (eigenen) Pflegeversicherungsbeiträge von Eltern ggf in Abhängigkeit von der Zahl der Kinder - etwa (auch) durch den Abzug von Absetzungsbeträgen je Kind von der Bemessungsgrundlage - geboten gewesen wäre. An dieser Bewertung des sPV-Urteils hält der Senat fest. Die von den Klägern geforderte Regelung würde demgegenüber zu Beitragsausfällen führen, die mit Beitragssatzerhöhungen für andere Pflegeversicherte kompensiert werden müssten; bei angestrebter Beibehaltung des Beitragsaufkommens hätte das zur Folge, dass Kinderlose (noch) höhere Pflegeversicherungsbeiträge zahlen müssten (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 15).

84

Zwar formuliert das BVerfG im sPV-Urteil, dass den Versicherten ohne Kinder im Versicherungsfall ein Vorteil aus der Erziehungsleistung anderer beitragspflichtiger Versicherter erwächst, die wegen der Erziehung zu ihrem Nachteil auf Konsum und Vermögensbildung verzichten (BVerfGE 103, 242, 264 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17 mwN). An anderer Stelle wird ausgeführt, dass der danach zwischen Eltern und kinderlosen Personen vorzunehmende Ausgleich jedenfalls durch Regelungen erfolgen muss, die die Elterngeneration während der Zeit der Betreuung und Erziehung entlasten; denn die Beiträge, die von der heutigen Kindergeneration später im Erwachsenenalter auch zugunsten pflegebedürftiger kinderloser Versicherter geleistet werden, basieren maßgeblich auf den Erziehungsleistungen ihrer heute versicherungspflichtigen Eltern. Die hiermit verbundene Belastung der Eltern tritt in deren Erwerbsphase auf und ist deshalb auch in diesem Zeitraum auszugleichen (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22 mwN).

85

Vor diesem Hintergrund ist den Klägern zwar einzuräumen, dass die Erziehung von mehreren Kindern auch zu entsprechend größeren Erziehungslasten führt und "Konsumverzicht und Vermögensbildung nicht nur abhängig vom Einkommen, sondern insbesondere auch von der Kinderzahl größer oder kleiner ausfallen" (so auch die Ausführungen des Bundesrates in seiner Unterrichtung des Bundestages über die Anrufung des Vermittlungsausschusses zum KiBG: BT-Drucks 15/4176 unter a; ebenso Bauer/Krämer, NJW 2005, 180, 181 f). Das BVerfG zieht jedoch in seinen Ausführungen gerade nicht den Schluss, dass ein Nachteilsausgleich nur durch eine Beitragsentlastung der Eltern - ggf gestaffelt nach der Kinderzahl - erfolgen könne. Vielmehr verweist es darauf, dass dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten offenstehen, die Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Das GG verpflichtet den Gesetzgeber - so das BVerfG - lediglich dazu, beitragspflichtige Versicherte mit einem oder mehreren Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sPV bei der Bemessung der Beiträge relativ zu entlasten. Insoweit ist er von Verfassungs wegen verpflichtet, eine Lösung zu wählen, die Unterhaltsverpflichtete bereits ab dem ersten Kind relativ entlastet. Das ist zwar nicht in der Weise geschehen, dass eine individuelle, die jeweilige konkrete Familiensituation erfassende Beitragsvergünstigung für versicherte Eltern gewährt wird, sondern indem kinderlosen Versicherten generalisierend eine zusätzliche Belastung in Form eines höheren Beitragssatzes allgemein auferlegt wird.

86

bb) War der Gesetzgeber danach in den geschilderten Grenzen frei zu entscheiden, wie er Versicherte mit einem Kind oder mehreren Kindern im Hinblick auf ihren Betreuungs- und Erziehungsaufwand gegenüber kinderlosen Mitgliedern bei der Bemessung der Pflegeversicherungsbeiträge relativ entlastete, so hat er hier bei der Ausgestaltung eines den verfassungsgerichtlichen Vorgaben entsprechenden Beitragsrechts der sPV durch das KiBG die ihm von Verfassungs wegen im Sozialrecht gezogenen Grenzen für generalisierende bzw typisierende Regelungen eingehalten (vgl allgemein zu der hier bestehenden Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers BVerfG SozR 4-3300 § 55 Nr 3 RdNr 9-11).

87

Jede Norm muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie bei der Beitragsbemessung in der sPV (vgl - zur Beitragsbemessung bei freiwillig Versicherten der GKV - BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 15/13 R - Juris RdNr 39, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 240 Nr 25 vorgesehen) sind generalisierende, typisierende und pauschalierende Regeln allgemein als notwendig anerkannt und vom BVerfG im Grundsatz ständig als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden (vgl BVerfGE 17, 1, 23; aus der letzten Zeit BVerfGE 113, 167, 236; stRspr); der Gesetzgeber ist dabei gezwungen, aber auch berechtigt, sich am Regelfall zu orientieren. Unbedenklich ist eine Typisierung aber nur, soweit eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen benachteiligt wird und der Grundrechtsverstoß nicht sehr intensiv ist (vgl BVerfGE 26, 265, 275 f; aus jüngerer Zeit BVerfGE 133, 377, 413); wesentlich für die Zulässigkeit einer typisierenden Regelung ist hierbei auch, ob eine durch sie entstehende Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wäre (vgl BVerfGE 63, 119, 128; BVerfGE 133, 377, 413).

88

Hieran gemessen ist die Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Bemessung der Beiträge zur sPV von Mitgliedern mit Kindern nicht nach der Kinderzahl zu differenzieren, nicht zu beanstanden. Das Gesetz behandelt die von den Klägern repräsentierte Personengruppe - Eltern mit drei Kindern - und Eltern mit (nur) einem Kind oder zwei Kindern zwar gleich, weil alle Eltern weiter Pflegeversicherungsbeiträge nach dem bisherigen Beitragssatz bzw ohne Absetzungen für Kinder von der Bemessungsgrundlage zahlen. Die hierdurch entstehenden Härten und Ungerechtigkeiten sind jedoch hinzunehmen.

89

Der Senat hat bereits entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Beitragsrechts in der sPV durch das KiBG vom Regelfall ausgegangen ist und so die vom BVerfG geforderte relative Entlastung gegenüber Kinderlosen an das (bloße) Vorhandensein bereits eines Kindes knüpfen sowie ab dessen Geburt eine dauerhafte Beitragsentlastung vorsehen durfte (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 17). So lebten im Jahr 2006 in 16 % aller Privathaushalte ein Kind, in 11,4 % aller Privathaushalte zwei Kinder, in 2,9 % der Privathaushalte - wie die Kläger einen führen - drei Kinder, in 0,6 % vier Kinder und in 0,2 % fünf Kinder und mehr (Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit - Haushalte und Familien - Ergebnisse des Mikrozensus 2006, 2008). Die Situation stellte sich im Jahr 2012 ähnlich dar: In 15,1 % aller Privathaushalte lebte ein Kind, in 10,6 % aller Privathaushalte lebten zwei Kinder, in 2,6 % drei Kinder, in 0,5 % vier Kinder und in 0,2 % fünf Kinder und mehr (Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit - Haushalte und Familien - Ergebnisse des Mikrozensus 2012, 2013, S 27). Die geforderte Berücksichtigung des "generativen Beitrags" reicht vor diesem Hintergrund aus, um typisierend an die Stellung als Eltern als solche, dh die Elterneigenschaft, anzuknüpfen, ohne dass etwa nach tatsächlichem Umfang oder tatsächlicher Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung differenziert werden müsste; die Entlastung kann bei der Beitragsbemessung durch die Berücksichtigung allein der Tatsache geschehen, dass bei einem Versicherten betreuungs- bzw erziehungsbedürftige Kinder vorhanden sind. Auch das hat der Senat in der genannten Entscheidung bereits ausgeführt (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 17). Nichts anderes kann für einen tatsächlich erhöhten Umfang bzw eine tatsächlich längere Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung infolge einer größeren Kinderzahl gelten. Soweit gesetzliche Verallgemeinerungen auf einer möglichst weiten, alle betroffenen Personengruppen einschließenden Beobachtung aufbauen, ist der Gesetzgeber nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (BVerfGE 96, 1, 6 mwN; zuletzt BVerfGE 133, 377, 412 mwN).

90

8. Die Klage ist schließlich auch hinsichtlich des Hilfsantrages der Kläger unbegründet, das angefochtene Urteil des LSG mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

91

Eine solche Verfahrensweise kommt nach § 170 Abs 2 S 1 und 2 SGG nur in Betracht, wenn die Revision zwar begründet, eine Entscheidung des BSG in der Sache aber - etwa weil zur Gewährleistung eines verfahrensfehlerfreien sozialgerichtlichen Prozesses in tatsächlicher Hinsicht noch Feststellungen zu treffen sind(vgl zB Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 170 RdNr 7 ff mwN)- "untunlich" ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

92

Ein Verfahrensmangel - hier ein von den Klägern geltend gemachter Verstoß des LSG gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) -, der ggf zur Aufhebung des Urteils des LSG führen müsste, ist nicht gegeben, weil sich das LSG als Tatsachengericht ausgehend von seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung nicht gedrängt fühlen musste, weitere Ermittlungen anzustellen (zu den Voraussetzungen: zB BSGE 40, 49, 50 = SozR 3100 § 30 Nr 7 S 33 f).

93

Das BVerfG hat in seinem sPV-Urteil (BVerfGE 103, 242, 259 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13)entschieden, dass die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen unter dem Vorbehalt des Möglichen und im Kontext anderweitiger Fördernotwendigkeiten steht. Der Gesetzgeber hat danach unter Ausübung des ihm insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums im Interesse des Gemeinwohls - wie bereits oben wiederholt ausgeführt - neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nur unter Abwägung aller Belange lässt sich ermitteln, ob die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genügt. Konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme und somit auch für die Sozialversicherungszweige lassen sich hieraus - so das BVerfG im sPV-Urteil (BVerfGE 103, 242, 259 f = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13 f)- gerade nicht ableiten.

94

Dies bedeutet indessen, dass eine Prüfung nach verfassungsrechtlichen Maßstäben "nur" eine Gesamtabwägung aller Gemeinschaftsbelange erfordert. Demzufolge kommt es in diesem Zusammenhang gerade nicht entscheidend auf einen konkret bezifferten "externen Effekt" eines Kindes an - also darauf, in welchem Maße die Beiträge, die ein Kind im Verlaufe seines Lebens im jeweiligen Sozialversicherungszweig entrichtet, die von ihm in Anspruch genommenen Leistungen übersteigt (so aber am Beispiel der GRV Werding, aaO; allgemein: Adrian, Die ökonomischen Ursachen der niedrigen Fertilität in Deutschland, Beitrag für DGD-Jahrestagung 2012, vom 14. bis 16. März 2012 in Berlin) - oder ob möglicherweise mehr durch Familien an Beiträgen unter Berücksichtigung der Kosten in die Sozialversicherungszweige eingezahlt wird, als an Leistungen in Anspruch genommen werden (dazu zur GKV: Niehaus, aaO; zur GRV: Loos, Kurzgutachten zum Thema "Transferausbeutung der Familien durch die Gesetzlichen Sozialversicherungen - am Beispiel der Gesetzlichen Rentenversicherung", Bl 254 ff der LSG-Akte) an. Zu entsprechenden weitergehenden Ermittlungen war das LSG daher nicht verpflichtet.

95

9. Auch der Senat war - vor dem Hintergrund der vorstehend unter 8. gemachten Ausführungen - nicht gehalten, in eigene Ermittlungen einzutreten bzw insoweit auf die von den Klägern für entscheidungserheblich angesehenen und als allgemeine Tatsachen bewerteten Umstände einzugehen bzw diesen weiter nachzugehen. Es fehlt insoweit aus den oben wiederholt dargelegten rechtlichen Erwägungen an der Entscheidungserheblichkeit für den Ausgang des Rechtsstreits.

96

10. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dabei hat der Senat nach billigem Ermessen davon abgesehen, den Klägern trotz ihres Obsiegens mit ihrer Anfechtungsklage gegen die Beklagte einen Anspruch auf teilweise Kostenerstattung einzuräumen. Denn die erfolgte Aufhebung der Bescheide beruht auf rechtlichen Erwägungen, auf die sich die Kläger im Rechtsstreit nicht einmal gestützt haben. Entscheidend und offenkundig prägend für den Ausgang des Revisionsverfahrens ist es vielmehr, dass die Kläger mit ihrem Begehren in der Sache in allen Punkten nicht durchgedrungen sind.

Tenor

Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Juni 2010 geändert.

Die Bescheide der Beklagten vom 3. Februar 2004 und der Widerspruchsbescheid vom 1. November 2006 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Hälfte der Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) bei Eltern im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder zu reduzieren sind.

2

Die Kläger sind verheiratete Eltern ihrer 1990, 1993 und 1996 geborenen Kinder. Die Klägerin ist bei der Beigeladenen zu 4. als Krankenschwester teilzeit-, der Kläger ist beim Beigeladenen zu 3. als Gemeindereferent beschäftigt. Sie sind bei der Beigeladenen zu 1. pflege- und bei der Beigeladenen zu 2. rentenversichert. Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse, der Kläger war dort bis Ende 2010 Mitglied, danach war er in der GKV versicherungsfrei.

3

Am 28.1.2004 beantragten die Kläger bei der Beklagten auf die Erhebung von Beiträgen zur GRV zu verzichten, hilfsweise einen Beitragsnachlass zur gewähren. Mit Bescheiden vom 3.2.2004 lehnte die Beklagte gegenüber den Klägern die Anträge ab. Hiergegen legten die Kläger am 25.2.2004 Widerspruch ein und verwiesen zur Begründung auf das Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - zur sPV (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2, im Folgenden: sPV-Urteil) und auf die Begründung in den Verfahren, die am 23.9.2003 vor dem BSG verhandelt wurden (B 12 RA 7/01 R ua). Gleichzeitig erklärten sie ihr Einverständnis mit einem Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BSG, worauf die Beklagte den Widerspruch zunächst nicht weiterbearbeitete. Am 25.7.2006 erhoben die Kläger beim SG Untätigkeitsklage. Hierauf wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006 Bezug nehmend auch auf einen Antrag der Kläger vom 17.12.2005 den Widerspruch gegen die Bescheide vom 3.2.2004 zurück.

4

Daraufhin nahmen die Kläger die Untätigkeitsklage zurück, erhoben jedoch gleichzeitig beim SG Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17.6.2010).

5

Im anschließenden Berufungsverfahren haben die Kläger begehrt, dass die Sozialversicherungsbeiträge nur nach der "Hälfte der bisherigen Bemessung" erhoben werden, hilfsweise, dass bei der Beitragsbemessung 833 Euro je Kind und Monat bzw (weiter) hilfsweise, dass ein Betrag in Höhe des steuerlichen Existenzminimums abgezogen wird. Das LSG hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen (Urteil vom 27.1.2012). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beitragsbemessung entspreche den gesetzlichen Regelungen. Diese verstießen nicht gegen Art 6 Abs 1 iVm Art 3 GG, weil der Gesetzgeber einen weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum habe. Als Konkretisierung und Ausformung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages nach Art 6 Abs 1 GG sei dabei auch der Familienlastenausgleich zu berücksichtigen, selbst wenn sich die additive Höhe der hierdurch bewirkten Entlastung von Familien nicht konkret beziffern lasse. Der Gesetzgeber habe das Verfassungsrecht bei der Ausgestaltung der Teilsysteme der Sozialversicherung beachtet, weil er den Familienlastenausgleich durch zahlreiche Vorschriften ausgebaut (zB Kindererziehungszeiten in der GRV; kostenfreie Familienversicherung in der GKV) und er die Entscheidung des BVerfG für die sPV mit dem Gesetz zur Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung (Kinder-Berücksichtigungsgesetz ) zudem beanstandungsfrei umgesetzt habe. Das BVerfG selbst habe die Erwägungen des sPV-Urteils in der Folgezeit nicht auf andere Sozialversicherungszweige übertragen, sondern sei - in einem Urteil zur Alterssicherung der Landwirte (BVerfGE 109, 96 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2) - davon sogar abgerückt. Auch das BSG habe aus dem sPV-Urteil keinen verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf für andere Sozialversicherungszweige hergeleitet. Einer Beweiserhebung habe es bei alledem weder unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs der Kläger noch unter demjenigen der Amtsermittlungspflicht bedurft, insbesondere nicht zu der von den Klägern postulierten Pflicht, durch Sachverständige einzelne "Transfersalden" für Kinder zu ermitteln. Da der Familienlastenausgleich durch zahlreiche Regelungen des Sozialrechts und des Steuerrechts bewirkt werde, komme es auf solche Ermittlungen wegen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht an. Der Familienlastenausgleich sei nicht isoliert auf das Sozialversicherungsrecht bezogen.

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger - mit umfänglichem Vorbringen - im Wesentlichen, das LSG habe verkannt, dass die einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen zur Beitragsbemessung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstießen, soweit versicherte Eltern mit gleich hohen Beiträgen wie kinderlose Versicherte belastet würden. Konkret rügen sie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in Bezug auf die GRV durch § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 der Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze in der GRV für das Jahr 2012(vom 19.12.2011, BGBl I 2795, Beitragssatzverordnung 2012 - BSV 2012), hinsichtlich der GKV durch § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V, und im Hinblick auf die sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI sowie durch § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1 SGB XI und § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V.

7

Das BVerfG habe sich in seinem sPV-Urteil von einem leistungsrechtlichen Ansatz distanziert. Es diskutiere dort die unzureichende Kompensation der Erziehungslasten nicht mehr unter dem Aspekt der allgemeinen leistungsrechtlichen Förderungspflicht des Staates (Art 6 Abs 1 GG), sondern als Gleichheits- und Teilhabeproblem (Art 3 Abs 1 GG) unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz werde zu einem Grundrecht auf "intragene-rationelle Gleichbehandlung" fortentwickelt. Die Systeme der GRV, GKV und sPV erfüllten die Voraussetzungen, die das BVerfG für eine zu beanstandende fehlende Differenzierung im Beitragsrecht zwischen Eltern und Kinderlosen aufgestellt habe (= Abdeckung eines in einem geschlossenen intergenerationellen System erfassten Risikos, das überproportional im Alter auftrete und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert werde; Absehbarkeit, dass ein signifikanter Teil der Versicherten kinderlos bleibe). Das sPV-Urteil sei auch auf die GRV und die GKV zu übertragen: GRV und GKV deckten als umlagefinanzierte Systeme ebenso wie die sPV ein Risiko ab, das überproportional im Alter auftrete. Die geforderte Mindestgeschlossenheit sei ebenso gegeben, wie die Absehbarkeit fehlender generativer Beiträge. In der GRV müsse die Umsetzung der Maßstäbe aus dem sPV-Urteil des BVerfG systemimmanent erfolgen. Die Rechtsprechung des BVerfG sei insoweit bindend (§ 31 BVerfGG). Die in der GRV anerkannten Kindererziehungszeiten seien für die Annahme eines Vorteilsausgleichs strukturell ungeeignet und stellten auch keinen echten Vorteilsausgleich dar, weil die Beiträge hierfür der Bund leiste (§ 177 Abs 1 SGB VI); dh alle Steuerpflichtigen und nicht nur Kinderlose. Gleichzeitig bestehe eine Benachteiligung der Eltern im Leistungsrecht. Diese erlitten durch die Unterbrechungen und Einschränkungen der Erwerbsbiografie (zB Teilzeitarbeit) vielfach Verluste an persönlichen Entgeltpunkten, die nicht durch Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI) kompensiert würden. Das Argument, die demografische Entwicklung sei ein gesamtgesellschaftliches Problem und müsse abgabenpolitisch steuerfinanziert auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gelöst werden, sei ohne verfassungsrechtliche Relevanz. Neben der GRV müsse aber auch in der GKV ein systeminterner Vorteilsausgleich gesucht werden. Die Möglichkeit der beitragsfreien Familienversicherung (§ 10 SGB V) reiche insoweit nicht aus. Das Beitragsrecht in der sPV sei auch nach den Änderungen durch das KiBG verfassungswidrig. Insbesondere fehle im geltenden Recht die - auf der Grundlage des sPV-Urteils gebotene - Berücksichtigung der Anzahl der Kinder bei der Beitragsbemessung. Die Kläger untermauern ihre Auffassung durch Gutachten der Bertelsmann-Stiftung (Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013; Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013).

8

Im Schriftsatz vom 20.7.2016 führen die Kläger ua ergänzend aus, die konkrete Beitragshöhe sei zwischen den Beteiligten bekannt und als gesetzeskonform völlig unstreitig; streitig sei nur die Frage, ob die Gesetzesgrundlage verfassungskonform sei. Für die vorliegende Konstellation einer Normenkontrolle gehe die Senatsrechtsprechung (Hinweis auf BSG Urteile vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R ua - und 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R -) ins Leere. Es könne nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein, den Beteiligten einen völlig sinnlosen Arbeitsaufwand abzuverlangen, der letztlich wiederum nur die längst bekannten und völlig unstreitigen Ergebnisse zu Tage fördern könne und ohne jeglichen Belang für die zu entscheidende Rechtsfrage sei.

9

Im Schriftsatz vom 10.8.2016 tragen die Kläger in Kenntnis des Senatsurteils vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) ua ergänzend vor: Der Senat habe zwar die von den Klägern umschriebenen Voraussetzungen seiner damaligen Entscheidung zugrunde gelegt, das sPV-Urteil des BVerfG "nach wie vor marginalisiert" bzw es in "zum Teil sinnentstellender Weise" interpretiert. Der Revision gehe es um eine Sozialversicherung, die alle unabhängig davon schütze, wie sie leben, und wie die Lasten, die durch dieses Schutzversprechen ausgelöst würden, gleichmäßig verteilt würden. Dies sei nur möglich, wenn damit begonnen würde, den "historischen Konstruktionsfehler einer voremanzipatorischen Struktur zu korrigieren", die geprägt sei von der Alleinverdienerehe. Im Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) habe der Senat die Mindestgeschlossenheit im System der GRV "in einer geradezu abenteuerlichen Argumentation" verneint. Die GRV spiegele konzeptionell den Lebenslängsschnitt. Demgegenüber habe das BSG lediglich eine Querschnittsbetrachtung vorgenommen. Es müsse bei der Frage der Mindestgeschlossenheit auf Versicherte und nicht auf Beitragszahler abgestellt werden. So habe das BVerfG im sPV-Urteil nicht auf Beitragszahler, sondern auf Versicherte abgestellt und im Urteil zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung auf den Versichertengrad verwiesen. Für die "breitbasige allgemeine Rentenversicherung" trage nicht der Einwand, dass Kinder von Versicherten möglicherweise später keine Mitglieder würden. Eine fehlende Mindestgeschlossenheit ließe sich nur bejahen, wenn man das sPV-Urteil des BVerfG in Frage stellen würde. Der Senat habe sich schon im Ausgangspunkt außerhalb der verfassungsrechtlichen Grundrechtsdogmatik positioniert, indem er nach der durch das sPV-Urteil des BVerfG vorgegebenen gleichheitsrechtlichen Prüfung eine zweite Prüfung von Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vorgenommen habe. Der Senat habe zu Unrecht das eigentliche "Referenzurteil" trotz § 31 Abs 1, Abs 2 S 2 BVerfGG schlicht abgelehnt. Die Aussage, der Gesetzgeber habe die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen, würde auch durch ihre ständige Wiederholung nicht richtig. Gemäß dem sPV-Urteil des BVerfG sei vielmehr ein Vorteilsausgleich im Beitragsrecht erforderlich. Anderenfalls missachte man den "grundlegenden Paradigmenwechsel" zwischen dem Trümmerfrauenurteil und dem sPV-Urteil des BVerfG. Zu Unrecht habe der Senat versucht, die These des sPV-Urteils von der Gleichwertigkeit des monetären und des "generativen" Beitrags zu erschüttern. Gleiches gelte für die Hinweise auf die gesamtgesellschaftliche Aufgabenstellung und die Möglichkeit neuer Verwerfungen. Zur GKV habe der Senat in seinem Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) "überraschend" ausgeführt, dass der überwiegende Teil der Gesamtkosten in der Generation der Erwerbstätigen auftrete und nicht wie vom BVerfG in dessen sPV-Urteil gefordert "überproportional" in der Generation der Älteren/Nichterwerbstätigen. Dem läge ein grundlegender methodischer Fehler zugrunde, weil die beiden Vergleichsgruppen unterschiedlich groß seien. Zu Unrecht habe der Senat auch in der GKV auf einen "obskuren" weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext zurückgegriffen. Die Heranziehung der beitragsfreien Familienversicherung als eines von mehreren familienfördernden Elementen sei nach den Vorgaben im sPV-Urteil ausgeschlossen. Der Hinweis auf die Ungewissheit des Eintritts des in der GKV versicherten Risikos sei unverständlich, weil dies für jede Versicherung gelte. Zur sPV habe sich der Senat in seinem Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) zu Unrecht auf das KiBG und eine dem Gesetzgeber zukommende Befugnis, typisierende Regelungen zu schaffen, gestützt. Es sei sehr wohl verfassungsrechtlich und nach den Vorgaben des BVerfG geboten, nach der Zahl der Kinder zu differenzieren.

10

In einem weiteren Schriftsatz vom 17.8.2016 befassen sich die Kläger mit zwei im Nachgang zum Urteil des Senats vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) verfassten sozialrechtlichen Aufsätzen (Ruland, NZS 2016, 361; Seiler, NZS 2016, 641). Mit Telefax vom 18.7.2017 übersandten die Kläger den Entwurf einer Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung sowie eine Stellungnahme zu einem weiteren sozialrechtlichen Aufsatz (Kaltenstein, SGb 2017, 301).

11

Die Kläger haben wiederholt umfangreiche Unterlagen vorgelegt: Mit Schriftsätzen vom 20.7.2016 und 10.8.2016 ua Stellungnahmen von Prof. Dr. Werding vom 9.3.2016 sowie weitere Schriftstücke, ua die Abschrift einer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Senats vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77). Mit Schriftsatz vom 18.2.2017 wurde eine weitere Stellungnahme von Prof. Dr. Werding vom 9.1.2017 vorgelegt. Mit Telefax vom 18.7.2017 übersandten die Kläger einen Schriftwechsel aus den Jahren 1988/1989 sowie eine Abhandlung des Deutschen Familienverbands zum "Horizontalen Vergleich 2017". In einem Telefax vom 19.7.2017 gaben die Kläger eine Stellungnahme von Prof. Birg wieder.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Kläger im Revisionsverfahren wird vor allem auf Blatt 26 bis 99, Blatt 182 bis 240, Blatt 242 bis 337, Blatt 378 bis 383, Blatt 392 bis 396, Blatt 412 bis 441 und Blatt 473 bis 474 der Revisionsakte verwiesen.

13

Die Kläger beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Juni 2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 3. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. November 2006 aufzuheben sowie festzustellen, dass die monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab 1. Januar 2005 nicht über eine Höhe von 50 vH der gegenwärtigen Bemessung zu erheben sind,
hilfsweise
festzustellen, dass die Beitragsbemessung unter Abzug eines Betrags von 833 Euro je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage monatlich erfolgen muss,
weiter hilfsweise
festzustellen, dass die Beitragsbemessung unter Abzug des in § 32 Abs 6 EStG genannten Betrags je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage erfolgen muss,
hilfsweise
den Rechtsstreit gemäß Art 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die die Beitragspflicht und die Höhe der Beiträge zur Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung regelnden Vorschriften (§§ 157, 161 Abs 1, 162 Nr 1 SGB VI, §§ 223 Abs 2, 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 sowie § 241 SGB V und §§ 54 Abs 2 Satz 1, 55 Abs 1 und 3 Satz 1, 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI iVm § 226 SGB V) unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - mit den Grundrechten der Kläger aus den Art 3, 6, 20 und 28 (Sozialstaatsprinzip) GG vereinbar sind.

14

Die Beigeladene zu 2. beantragt,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.

15

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

16

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
dir Revision zurückzuweisen.

17

Die Beigeladenen zu 1., 3. und 4. stellen keine Anträge.

18

Durch Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 4.7.2014 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass erstmals im Widerspruchsverfahren über das Begehren der Kläger in Bezug auf die Beitragsbemessung in der GKV und sPV entschieden wurde. Dies werfe Fragen der funktionellen und sachlichen Zuständigkeit auf. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG könne sich eine Auseinandersetzung mit den zur Entscheidung gestellten materiell-rechtlichen Fragen möglicherweise erübrigen. Durch Beschluss vom 21.8.2014 wurde das Ruhen des Verfahrens und durch Beschluss vom 5.11.2015 die Fortsetzung des Verfahrens angeordnet.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten aller Instanzen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Die Revision der Kläger ist zulässig.

21

Das LSG hat die Revision gegen sein Urteil vom 27.1.2012 in vollem Umfang zugelassen. Zwar hat es zur Begründung ausgeführt, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sei deshalb gegeben, weil es zur GKV noch keine Rechtsprechung des BSG zu der Frage der Freistellung von der Beitragspflicht für Kinder erziehende Versicherte gebe. Weder dieser Begründung noch dem Tenor des LSG-Urteils ("Die Revision wird zugelassen.") kann jedoch eine Beschränkung der Rechtsmittelzulassung auf die GKV entnommen werden.

22

Die Revision ist allerdings im Wesentlichen unbegründet.

23

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind die mit der Anfechtungsklage angegriffenen Bescheide der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle vom 3.2.2004 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 1.11.2006, in denen sie die von den Klägern erstrebte Beitragsminderung abgelehnt hat, weil es hierfür keine Rechtsgrundlage gebe. Zu befinden ist außerdem über einen Feststellungsantrag.

24

Streitig ist die Höhe der Beiträge zur GRV für den Zeitraum vom 1.1.2004 (= Monat der Antragstellung bei der Beklagten als Beginn) bis 27.1.2012 (= Tag der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen als Endzeitpunkt; vgl dazu allgemein zB BSGE 110, 62 = SozR 4-2500 § 240 Nr 16, RdNr 19; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 55 RdNr 21).

25

2. Statthafte Klageart für das klägerische Begehren ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 Alt 1, § 55 Abs 1 Nr 1, Abs 2 SGG(vgl zB BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff, unter Hinweis auf BSG SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 15 ff).

26

3. Auf die Anfechtungsklage der Kläger sind die angefochtenen Bescheide aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind. Dementsprechend sind die Urteile des LSG und SG zu ändern; insoweit muss die Revision der Kläger (teilweise) erfolgreich sein.

27

Mit den Ausgangsbescheiden vom 3.2.2004 und dem Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006 hat die Beklagte entgegen den einschlägigen Regelungen des materiellen Rechts zu Unrecht nur über die Beitragstragungspflicht und das Fehlen der Möglichkeit zu einer Beitragsreduzierung in der Sozialversicherung entschieden und sich dabei auf bloße allgemeine rechtliche Hinweise zur Bemessung und Tragung der Beiträge beschränkt. Sie hat dagegen - anders als hier erforderlich - nicht über die konkrete Beitragshöhe in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung selbst entschieden (vgl hierzu ausführlich BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 26 mwN sowie Urteil vom 20.7.2017 - B 12 KR 13/15 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Da der Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006 schon aus diesem Grund rechtswidrig ist, kommt es auf die Frage einer darüber hinausgehenden Rechtswidrigkeit aufgrund der erstmaligen Entscheidung zur Beitragserhebung in der GKV und sPV im Widerspruchsverfahren (vgl zu dieser Problematik BSG Urteil vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R - RdNr 15, Juris mwN) nicht an.

28

4. Die neben der erfolgreichen Anfechtungsklage erhobene Feststellungsklage ist nur hinsichtlich der GRV zulässig. Die Feststellungsklage ist unzulässig, soweit sie die Beitragserhebung in der GKV und sPV betrifft. Insoweit fehlt es an einer Verwaltungsentscheidung der zuständigen Behörde über einen entsprechenden Feststellungsantrag.

29

Solange die sachlich zuständige Ausgangsbehörde der Beklagten nicht über den erhobenen Feststellungsanspruch entschieden hat, kann ein Versicherter, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde, kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben (vgl BSG Urteil vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R - RdNr 12, Juris mwN; vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 55 RdNr 3b mwN). Deshalb ist in der Regel eine Feststellungsklage ohne vorangegangenes Verwaltungsverfahren unzulässig (vgl Groß/Castendiek in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Aufl 2017, § 55 RdNr 26). Dies gilt in besonderem Maße, wenn um die Beitragshöhe gestritten wird. Die Einzugsstelle ist gehalten, streitige Beitragsforderungen jedenfalls gegenüber Beitragsschuldnern, die natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts sind, durch Verwaltungsakt geltend zu machen; diese Personen können auf eine solche Beitragskonkretisierung mittels Verwaltungsakt nicht dadurch verzichten, dass sie unmittelbar auf Feststellung klagen. Entsprechend sind auch Arbeitgeber und Versicherte selbst zunächst auf ein Verwaltungsverfahren zu verweisen (BSG Urteil vom 22.5.1985 - 12 RK 30/84 - BSGE 58, 150, 152 = SozR 1500 § 55 Nr 27 S 22). Etwas anderes gilt nur, wenn nach Durchführung eines Verwaltungsverfahrens die Feststellungsklage im Vergleich zur Anfechtungsklage eine umfassendere Klärung des Rechtsverhältnisses ermöglicht oder wenn nur noch die mit der Anfechtungsklage verbundene Feststellungsklage eine Entscheidung in der Sache zulässt (BSG Urteil vom 9.10.1984 - 12 RK 18/83 - BSGE 57, 184, 186 = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 40 mwN). - Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Vorliegend haben die Kläger ihre ursprünglichen Anträge vom 26.1.2004 allein auf die Beitragserhebung in der GRV bezogen. Hierüber hat die Beklagte in ihren Ausgangsbescheiden vom 3.2.2004 entschieden. Erst im Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses der Beklagten vom 1.11.2006 waren die Regelungen des KiBG und damit - zumindest konkludent - die Beitragserhebung in der sPV gegenständlich. Zwar wird darin auch ein Schreiben der Kläger vom 17.12.2005 erwähnt. Das Schreiben befindet sich jedoch nicht in der Verwaltungsakte der Beklagten und hat diese - ausweislich eines Schreibens des SG Freiburg im Verfahren S 5 KR 3636/06 vom 12.9.2006 auch gar nicht erreicht. Jedenfalls vermag eine Ausdehnung des Begehrens der Kläger im Hinblick auf eine "Beitragsreduzierung" in der GKV und sPV die insoweit fehlende Entscheidung der Ausgangsbehörde durch einen Verwaltungsakt nicht zu ersetzen. Auch angesichts der bisherigen Verfahrensdauer ist ausnahmsweise ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Kläger hinsichtlich der GKV und sPV nicht anzuerkennen, weil sich ihr ursprünglicher Antrag ausdrücklich nur auf einen Beitragsverzicht bzw eine Beitragsreduzierung in der GRV bezogen hat. Erst im Laufe des (zunächst ruhenden) Widerspruchs- und späteren Klageverfahrens, vor allem aber im Berufungsverfahren haben die Kläger ihre Anträge - soweit der erste erweiternde Antrag dem Widerspruchsausschuss der Beklagten überhaupt vorlag - auch auf die GKV und sPV ausgedehnt und präzisiert. Damit fehlt es vorliegend hinsichtlich der Beitragserhebung in der GKV und sPV an einem berechtigten Feststellungsinteresse der Kläger.

30

5. Die hinsichtlich der GRV zulässige Feststellungsklage hat im Haupt- sowie hinsichtlich aller Hilfsanträge keinen Erfolg, weil die Bemessung der Beiträge der Kläger in der GRV den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV entspricht.

31

Die feststellenden Ausführungen der Beklagten zur Beitragsbemessung in der GRV stehen einfachrechtlich betrachtet in Einklang mit den dafür einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften. Dies sind ua § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 BSV 2012, hier anzuwenden in den jeweils zum Zeitpunkt der Beitragserhebung in der streitigen Zeit vom 1.1.2004 bis 27.1.2012 geltenden Fassungen. Danach ergibt sich der Beitrag, indem der jeweils gültige Beitragssatz mit der Beitragsbemessungsgrundlage, regelmäßig dem Bruttoarbeitsentgelt, vervielfacht wird. Freibeträge, insbesondere Kinderfreibeträge, mindern die Beitragsbemessungsgrundlage nicht. Die Beiträge werden von den Versicherten und ihren Arbeitgebern je zur Hälfte getragen. Eine Beitragsreduzierung für Versicherte mit Kindern oder erhöhte Beiträge für Versicherung ohne Kinder sind nicht vorgesehen.

32

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die von der Beklagten vorgenommene bzw für zutreffend erachtete Beitragsbemessung in Einklang mit den einfachgesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen stand. Streitig ist allein die Verfassungsmäßigkeit dieser beitragsrechtlichen Bestimmungen.

33

6. Die gesetzlichen Bestimmungen im Recht der GRV sowie ihre Anwendung im konkreten Einzelfall sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG iVm § 13 Nr 11, §§ 80 ff BVerfGG bedurfte es daher nicht. Der Senat ist wie bereits in den früheren Entscheidungen aus den Jahren 2006 (ua BSG Urteil vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R - SozR 4-2600 § 157 Nr 1) und 2015 (BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) nicht davon überzeugt, dass die hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften des Beitragsrechts der GRV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Rentenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder (dazu b) in der von den Klägern geforderten Weise zu mindern ist (dazu c).

34

a) Abhängig beschäftigte Versicherte - wie die Kläger - haben sich während der Dauer der Beschäftigung in aller Regel durch die hälftige Tragung der nach ihrem Bruttoentgelt bemessenen Beitragslast an den Ausgaben der GRV zu beteiligen. Das ergibt sich einfachgesetzlich aus den Vorschriften des Vierten Kapitels (§§ 153 ff) des SGB VI (diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB VI im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung). Einnahmen der allgemeinen Rentenversicherung sind hiernach insbesondere die Beiträge und die Zuschüsse des Bundes (§ 153 Abs 2 SGB VI). Die Beiträge werden nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von der Beitragsbemessungsgrundlage erhoben, die nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird (§ 157 SGB VI). Beitragsbemessungsgrundlage für Versicherungspflichtige sind die beitragspflichtigen Einnahmen (§ 161 Abs 1 SGB VI), die bei Beschäftigten wie den Klägern aus dem Arbeitsentgelt bestehen (§ 162 Nr 1 SGB VI). Beitragssatz und Beitragsbemessungsgrenze sind von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung festzusetzen (§ 160 SGB VI). Insoweit ist § 158 SGB VI trotz mehrfacher Änderungen durchgehend zu entnehmen, dass der Beitragssatz grundsätzlich so festzusetzen ist, dass die voraussichtlichen Beitragseinnahmen ausreichen, um die voraussichtlichen Ausgaben zu decken (und sicherzustellen, dass die Mittel der Schwankungsreserve dem gesetzlich bestimmten Betrag entsprechen). Unter Zugrundelegung des hiernach festgesetzten jeweiligen Beitragssatzes und des bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts der Kläger ergibt sich die Versicherte neben dem Arbeitgeber treffende hälftige Beitragslast.

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b) Die Kläger weisen zutreffend darauf hin, dass Versicherte mit Kindern im Vergleich zu Versicherten ohne Kinder im Allgemeinen in ganz besonderem Maße zur Leistungsfähigkeit des Systems der GRV und dessen Nachhaltigkeit beitragen. Das umlagefinanzierte System der GRV funktioniert dauerhaft nur dann, wenn es stets genügend leistungsfähige Beitragszahler gibt, die für die Renten der jeweiligen Rentnergeneration aufkommen können. Ein nachhaltig gestaltetes System der Altersvorsorge setzt voraus, dass der gegenwärtige und zukünftige Sozialaufwand, der für die Gewährung rechtlich verbürgter Sozialleistungen wie Renten erforderlich ist, aus dem zum jeweiligen Zeitpunkt erwirtschaftete Volkseinkommen aufgebracht werden kann. Dies setzt voraus, dass es auch in Zukunft hinreichend viele Erwerbstätige und die Möglichkeit zu produktivem Erwerbsverhalten gibt. Die heute geborenen Kinder müssen - soll das System funktionieren - auch in Zukunft arbeiten können, arbeiten wollen und ausreichend produktive Arbeitsplätze oder sonstige sozialversicherungspflichtige Erwerbsmöglichkeiten vorfinden. Werden nicht ausreichend viele Kinder geboren und wird nicht in ausreichendem Maße für ihr künftiges Erwerbspotential vorgesorgt (Erziehung, Bildung, Infrastruktur, produktive Arbeitsplätze etc), ist die Stabilität des Systems gefährdet. Versicherte mit Kindern leisten insoweit bei typisierender Betrachtung im Allgemeinen mehr für die Nachhaltigkeit des Systems als Versicherte ohne Kinder, denn Versicherte mit Kindern und Versicherte ohne Kinder finanzieren durch ihre monetären Beiträge zwar die aktuellen Renten mit. Versicherte mit Kindern sorgen aber in besonderer Weise dafür, dass es auch künftig Beitragszahler gibt, die künftige Renten finanzieren können. Sie leisten damit zusätzlich zu ihren monetären Beiträgen einen generativen Beitrag. Unbestreitbar ist auch, dass Versicherte mit Kindern und dem damit verbundenen Betreuungs- und Erziehungsaufwand - bei wiederum typisierender Betrachtung - regelmäßig Einschränkungen persönlicher und finanzieller Art unterliegen, denen Versicherte ohne Kinder nicht unterliegen.

36

Zwischen Versicherten mit und ohne Kinder(n) bestehen erhebliche Unterschiede. Und obwohl Versicherte mit Kindern einen sog generativen Beitrag leisten, sind sie nach denselben Vorschriften zur Beitragszahlung in der GRV verpflichtet wie Versicherte ohne Kinder.

37

c) Die Kläger können jedoch nicht verlangen, von dieser Beitragsbelastung entgegen der einfachgesetzlichen Rechtslage deshalb in dem beantragten Umfang freigestellt zu werden, weil sie bereits durch Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems erbracht hätten und andernfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG und den dort enthaltenen Regelungsauftrag/Normprüfungsauftrag an den Gesetzgeber nicht berufen. Der Senat ist - was den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeht - im vorliegenden Fall nicht strikt und ausschließlich an die Maßstäbe im sPV-Urteil des BVerfG gebunden (dazu aa). Vielmehr sind die von den Klägern beanstandeten Regelungen des Beitragsrechts der GRV unter Beachtung der Ausführungen des BVerfG im sPV-Urteil in erster Linie anhand der vom BVerfG zum allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG - dazu bb) iVm mit dem Familienförderungsgebot des Art 6 GG (Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG - dazu cc) zu prüfen. Eine Verfassungswidrigkeit kann der Senat dabei auch in Kenntnis des zwischenzeitlichen umfangreichen Vorbringens der Kläger, der vorgelegten Stellungnahmen und der zum Senatsurteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) veröffentlichten sozialrechtlichen Literatur (vgl ua Blüggel, jurisPR-SozR 11/2016 Anm 2; Lenze, NVwZ 2015, 1658; Lenze, SGb 2017, 130; Ruland, NZS 2016, 361; Seiler, NZS 2016, 641; Wenner, SozSich 2015, 344) nicht erkennen.

38

aa) Das BVerfG hat im sPV-Urteil im Tenor ausgeführt, dass die beitragsrechtlichen Regelungen der sPV mit dem GG nicht vereinbar sind, "soweit Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden". Es bleibe dem Gesetzgeber überlassen, wie er die Betreuungs- und Erziehungsleistung bei der Beitragsbemessung von beitragspflichtigen Versicherten mit Kindern berücksichtige. Spätestens bis zum 31.12.2004 habe der Gesetzgeber eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen. Bei der Bemessung der Frist sei berücksichtigt worden, dass die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sein werde (BVerfG sPV-Urteil, Juris RdNr 69).

39

Das sPV-Urteil des BVerfG ist auf das Beitragsrecht der GRV nicht "1 : 1" übertragbar. Zwar kommt den Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 1 BVerfGG Gesetzeskraft und nach § 31 Abs 1 BVerfGG Bindungswirkung zu. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) dargelegt, dass das sPV-Urteil auf das Beitragsrecht der GRV nicht im Wege der den Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG zukommenden Gesetzeskraft und der ihnen nach § 31 Abs 1 BVerfGG zukommenden Bindungswirkung "übertragbar" ist, weil es ausweislich des Tenors nur zur Pflegeversicherung und deren beitragsrechtliche Normen ergangen ist(BSG aaO RdNr 33). Hieran hält der Senat fest.

40

Hinzu kommt, dass die GRV in ihren wesentlichen Strukturprinzipien nicht den Anforderungen entspricht, die das BVerfG im sPV-Urteil für ein verfassungsrechtliches Gebot der beitragsrechtlichen Differenzierung zwischen Versicherten mit und solchen ohne Kinder aufgestellt hat. Insbesondere hatte das BVerfG im sPV-Urteil darauf abgestellt, dass eine Berücksichtigung des generativen Beitrags im Leistungsrecht der Pflegeversicherung nicht in Betracht kommt (BVerfG sPV-Urteil RdNr 71). In der GRV ist dies strukturell bereits anders (hierzu bb) (e)).

41

bb) Der allgemeine Gleichheitssatz in Art 3 Abs 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl zB BVerfGE 112, 268, 279; stRspr). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl BVerfGE 79, 1, 17; 126, 400, 416 mwN). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (BVerfGE 129, 49, 68; 133, 1, 13 RdNr 44). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl BVerfGE 110, 274, 291; stRspr). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl BVerfGE 75, 108, 157 = SozR 5425 § 1 Nr 1 S 11; BVerfGE 93, 319, 348 f; 107, 27, 46; 126, 400, 416; 129, 49, 69; 132, 179, 188 RdNr 30). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 129, 49, 69; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42) oder je mehr sie sich denen des Art 3 Abs 3 GG annähern (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 124, 199, 220; 129, 49, 69; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 111, 176, 184 = SozR 4-7833 § 1 Nr 4 RdNr 26; BVerfGE 129, 49, 69; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42).

42

Vorliegend geht es um die Frage, ob der Gesetzgeber im Beitragsrecht der GRV wesentlich Ungleiches ohne hinreichende sachliche Gründe gleichbehandelt. Denn das Beitragsrecht sieht für Versicherte ohne Kinder und für Versicherte mit Kindern keine unterschiedlichen Regelungen vor; weder erhalten Versicherte mit Kindern einen - wie auch immer gearteten - Beitragsrabatt noch werden ihre Beiträge nach einer niedrigeren Bemessungsgrundlage oder einem geringeren Beitragssatz als bei Versicherten ohne Kinder berechnet.

43

Der Senat legt seiner Prüfung einen strengen Prüfungsmaßstab zugrunde, denn den Versicherten steht es nicht frei, an dem die GRV prägenden Umlageverfahren teilzunehmen. Vielmehr ordnet das Gesetz ua für abhängig Beschäftigte, zu denen die Kläger gehören, Versicherungs- und Beitragspflicht an. Dies ist verfassungsrechtlich betrachtet ein Eingriff in die durch Art 2 Abs 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit (vgl BVerfG Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 18 = Juris RdNr 49, mwN). Danach ist das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen, wenn der Gesetzgeber Personen der Pflichtversicherung in einem System der sozialen Sicherheit unterwirft.

44

Auch unter Zugrundelegung eines strengen, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Prüfungsmaßstabs ist es gerechtfertigt und verfassungsrechtlich nicht geboten, dass der Gesetzgeber im Beitragsrecht der GRV zwischen Versicherten mit und ohne Kinder(n) in der Weise differenziert, dass Versicherte ohne Kinder geringere Beiträge als Versicherte mit Kindern zu zahlen haben. Dabei verkennt der Senat nicht, dass Versicherte mit Kindern in der GRV - ebenso wie in der sPV - anders als Versicherte ohne Kinder nicht nur einen pekuniären, sondern - wie bereits ausgeführt wurde - auch einen generativen Beitrag leisten, der für das Funktionieren des Umlageverfahrens unabdingbar ist.

45

Für die fehlende Differenzierung im Beitragsrecht der GRV gibt es hinreichende sachliche Gründe. Der Gesetzgeber hat insoweit die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt.

46

(a) Das Gesetz berücksichtigt den generativen Beitrag von Versicherten mit Kindern und allgemeinen Familienlasten zwar nicht im Beitragsrecht der GRV. Entgegen der Auffassung der Kläger ist aber eine alleinige Fokussierung auf das Beitragsrecht der GRV nicht durch das sPV-Urteil des BVerfG vorgegeben (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 49, 60).

47

(b) Das Recht der GRV berücksichtigt die generative Leistung in Form verschiedener familienfördernder Elemente zugunsten Versicherter mit Kindern in erster Linie innerhalb der GRV im Leistungsrecht, darüber hinaus aber auch in anderen Zweigen der Sozialversicherung, in weiteren Bereichen des Sozialrechts sowie in sonstigen Rechtsgebieten wie etwa dem Steuerrecht oder in Form kostenloser Schul-, Fachschul- und Hochschulausbildung. Der Senat verkennt dabei nicht, dass auch Versicherte mit Kindern mit ihren Steuern und Beiträgen ihrerseits in erheblichem Umfang selbst zur Finanzierung von familienfördernden Leistungen beitragen.

48

Im Leistungsrecht gerade der GRV erhalten Versicherte mit Kindern für die durch Kindererziehung entstehenden Nachteile einen systemimmanenten Ausgleich zB durch Kindererziehungszeiten (§ 3 S 1 Nr 1 iVm §§ 56, 249, 249a SGB VI), Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung im Umfang von zwei - bzw ab Jahrgang 1992 drei - Jahren für jedes Kind (§ 57 SGB VI), Anrechnungszeiten für Schwangerschaft oder Mutterschaft (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI), Zuschlag für Zeiten der Kindererziehung bei Witwen- und Witwerrenten (§ 78a SGB VI), Kinderzuschuss (§ 270 SGB VI), große Witwen- oder Witwerrente bei Kindererziehung (§ 46 Abs 2 S 1 Nr 1 und § 243 Abs 2 und Abs 3 SGB VI), Erziehungsrente (§§ 47, 243a SGB VI; vgl ausführlich Buntenbach, Leistungen der Rentenversicherung für Kindererziehung, DRV-Schriften, Band 108, S 19).

49

(c) Der Senat ist davon überzeugt, dass der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums gesellschaftliche Entwicklungen gerade auch mit Blick auf Familien und deren Bedürfnisse berücksichtigt. Er gewährleistet durch die Gewährung von Leistungen vor allem in der GRV eine verfassungsgemäße Behandlung auch der Versicherten mit Kindern. Dass Versicherte mit Kindern durch familienfördernde Leistungen durch den Gesetzgeber "auf Euro und Cent" so gestellt werden müssten, als hätten sie keine Kinder, ist Wortlaut, Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften des Grundgesetzes (hier insbesondere Art 3 Abs 1 und 3 GG) ebenso wenig zu entnehmen, wie der Rechtsprechung des BVerfG hierzu.

50

Das BVerfG hat im sPV-Urteil ausgeführt, bei der Bemessung der Umsetzungsfrist habe der Senat berücksichtigt, dass die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sei (BVerfG sPV-Urteil RdNr 69). Die Bundesregierung hat diesen sich aus dem sPV-Urteil des BVerfG ergebenden Prüfauftrag angenommen (siehe BT-Drucks 14/6099 und BT-Drucks 15/4375). Sie hat im November 2002 in Gestalt des damaligen Ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung die Kommission "Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme" eingerichtet. Diese hat sich ua auch dieser Thematik angenommen und gelangte zu dem Ergebnis, dass der vom Gesetzgeber beschrittene Weg, Kindererziehung auf der Leistungsseite zu honorieren, sachgerecht sei.

51

Der Gesetzgeber hat zur Beseitigung der verfassungswidrigen Lage in der sPV den Pflegeversicherungsbeitrag für Versicherte ohne Kinder erhöht. Der Gesetzgeber hat indessen davon abgesehen, den generativen Beitrag auch in der GRV in entsprechender Weise zu berücksichtigen. Er überschreitet damit nach Überzeugung des Senats in der GRV die sich aus Art 3 Abs 1 GG ergebenden Grenzen seines Gestaltungsspielraums nicht.

52

(d) Vor allem wird durch das geltende Recht ein Eingriff in das Beitragsrecht der GRV und der die GRV prinzipiell prägenden Beziehung von erbrachter Beitragsleistung und späterer (Renten-)Leistung verhindert. Rentenleistungen sind hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig (vgl § 63 SGB VI). Dieses Prinzip fördert, weil es für jedermann ohne Weiteres nachvollziehbar ist, die Akzeptanz des Vorsorgesystems GRV.

53

(e) Zudem unterscheidet sich hierdurch das Leistungsrecht der GRV auch strukturell wesentlich von demjenigen der sPV: Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern bedarfsbezogen. Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV - anders als in der GRV geschehen - von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Entgegen der Auffassung der Kläger hält der Senat daran fest, dass es keine verfassungsrechtliche Verpflichtung gibt, den von den Klägern erstrebten Nachteilsausgleich allein im Beitragsrecht der GRV bzw kumulativ beitrags- und leistungsrechtlich in der GRV zu verwirklichen (so bereits BSG Urteil vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R - SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 51; BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 47, 49). Soweit angenommen wird, das BVerfG habe demgegenüber in seinem sPV-Urteil diesbezüglich einen "qualitativen Sprung" (so Lenze, SGb 2017, 130, 133) zu den Ausführungen im Trümmerfrauenurteil (BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1) gemacht bzw - so die Kläger - einen "grundlegenden Paradigmenwechsel" vorgenommen, teilt der Senat diese Ansicht erneut nicht (vgl insoweit BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 60). Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern bedarfsbezogen. Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Hiervon unterscheidet sich das Leistungsrecht in der GRV strukturell, weil danach Rentenleistungen hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig sind (vgl § 63 SGB VI).

54

(f) Es ist nicht Sache des Revisionsgerichts darüber zu befinden, ob der Gesetzgeber seiner Pflicht, Versicherte mit Kindern mit Blick auf das Familienförderungsgebot "besser" durch Entlastungen der Versicherten auf der Beitragsseite statt - wie zB durch den Ausbau von Kindererziehungszeiten - auf der Leistungsseite nachgekommen wäre, ob der Gesetzgeber - mit anderen Worten - "die beste Lösung" gewählt hat. Eine zulässige Vorlage an das BVerfG kommt nur dann in Betracht, wenn das vorlegende Gericht von der Unvereinbarkeit der zur Prüfung gestellten Regelung mit der Verfassung ausgeht (vgl ua BVerfG Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136 RdNr 93 mwN). Bloße Zweifel sind nicht ausreichend. Erst recht würde es für eine zulässige Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG nicht ausreichen, wenn das Gericht lediglich eine andere, stärker familienfördernde gesetzliche Ausgestaltung des Beitragsrechts der GRV bzw der Sozialversicherung insgesamt für sozialpolitisch wünschenswert halten würde. Dies gilt auch hinsichtlich der von den Klägern thematisierten sozial- und gesellschaftspolitisch zukunftsgerichteten Angemessenheit der GRV aus volkswirtschaftlich/ökonomischer Sicht. Demzufolge bedarf ua die Frage, ob bei der Prüfung der Mindestgeschlossenheit der GRV (hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 36 ff) eine Quer- oder Längsschnittbetrachtung ökonomisch sinnvoller wäre (hierzu Stellungnahme Werding vom 9.3.2016 S 3 f), keiner Entscheidung. Es ist Aufgabe des dazu berufenen parlamentarischen Gesetzgebers, gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Entwicklungen zu beobachten und aus ihrer wissenschaftlichen Analyse Rückschlüsse für die künftige Ausgestaltung des Sozialversicherungssystems zu ziehen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass Versicherte mit Kindern insoweit - aus ihrer subjektiven Sicht verständlich - weitergehende rechts- und familienpolitische Forderungen stellen. Deren Erfüllung ist verfassungsrechtlich jedoch nicht zwingend geboten.

55

cc) Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV stehen auch nicht im Widerspruch zu Art 6 Abs 1 GG iVm Art 3 GG. Denn der besondere Schutz der Familie, zu dem Art 6 Abs 1 GG den Staat verpflichtet, hält den Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich an, jede zusätzliche finanzielle Belastung der Familie zu vermeiden. Der Staat ist durch die in Art 6 Abs 1 GG enthaltene Pflicht zur Förderung der Familie auch nicht gehalten, gerade die Beitragslast von Versicherten mit Kindern auszugleichen. Der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ist zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich zu entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Aus dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen, lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 35 mwN).

56

Im Übrigen ist festzustellen, dass das Gesetz zahlreiche derartige Leistungen vorsieht. Zu nennen sind ua familienfördernde und familienentlastende Leistungen in anderen Bereichen des Sozialversicherungsrechts, des Sozialrechts und in anderen Rechtsbereichen zB die Gewährung von Versicherungspflichtzeiten im Arbeitsförderungsrecht für die Zeit der Kindererziehung (§ 26 Abs 2a SGB III), die Gewährung von Elterngeld und zuvor Erziehungsgeld (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, zuvor Bundeserziehungsgeldgesetz) oder die Gewährung von Kindergeld (Bundeskindergeldgesetz) oder bzw Kinderfreibeträgen im Steuerrecht (Einkommensteuergesetz).

57

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. April 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Mai 2010 geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2006 und die Widerspruchsbescheide vom 16. Mai 2007 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) bei Eltern im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder zu reduzieren sind.

2

Die Klägerin und der Kläger - verheiratete Eltern ihrer drei 1990, 1992 und 1995 geborenen Kinder - waren bei der Beigeladenen zu 3. versicherungspflichtig beschäftigt und Mitglied der beklagten Krankenkasse sowie bei der Beigeladenen zu 1. pflege- und bei der Beigeladenen zu 2. rentenversichert; seit Juli 2010 ist die Klägerin anderweit beschäftigt.

3

Im Juli 2006 beantragten die Kläger bei der Beklagten als Einzugsstelle unter Bezugnahme auf das Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - zur sPV (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2, im Folgenden: sPV-Urteil) mit Blick auf die Betreuungs- und Erziehungsleistungen für ihre Kinder die beitragsmindernde Berücksichtigung ihres Unterhalts in den oben genannten Versicherungszweigen. Dies lehnte die Beklagte ab, da der Gesetzgeber seinen Pflichten aus dem sPV-Urteil mit Schaffung des Kinder-Berücksichtigungsgesetzes (KiBG) vom 15.12.2004 (BGBl I 3448; KiBG) nachgekommen sei (ua Einführung eines Beitragszuschlags für Kinderlose von 0,25 Beitragssatzpunkten in der sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI - Art 1 Nr 1 KiBG) und die Versicherungsträger an die gesetzlichen Vorgaben gebunden seien (Bescheid vom 20.7.2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16.5.2007).

4

Das SG hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 11.5.2010).

5

Im anschließenden Berufungsverfahren haben die Kläger begehrt, dass die Sozialversicherungsbeiträge nur nach der "Hälfte der bisherigen Bemessung" erhoben werden, hilfsweise, dass bei der Beitragsbemessung 833 Euro je Kind und Monat bzw (weiter) hilfsweise, dass ein Betrag in Höhe des steuerlichen Existenzminimums abgezogen wird. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beitragsbemessung bei den Klägern entspreche den gesetzlichen Regelungen. Diese Regelungen verstießen nicht gegen Art 6 Abs 1 iVm Art 3 GG, weil der Gesetzgeber einen weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum habe. Als Konkretisierung und Ausformung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages nach Art 6 Abs 1 GG sei dabei auch der Familienlastenausgleich zu berücksichtigen, selbst wenn sich die additive Höhe der hierdurch bewirkten Entlastung von Familien nicht konkret beziffern lasse. Der Gesetzgeber habe das Verfassungsrecht bei der Ausgestaltung der Teilsysteme der Sozialversicherung beachtet, weil er den Familienlastenausgleich durch zahlreiche Vorschriften ausgebaut (zB Kindererziehungszeiten in der GRV; kostenfreie Familienversicherung in der GKV) und er die Entscheidung des BVerfG für die sPV mit dem KiBG zudem beanstandungsfrei umgesetzt habe. Das BVerfG selbst habe die Erwägungen des sPV-Urteils in der Folgezeit nicht auf andere Sozialversicherungszweige übertragen, sondern sei - in einem Urteil zur Alterssicherung der Landwirte (BVerfGE 109, 96 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2)- davon sogar abgerückt. Auch das BSG habe aus dem sPV-Urteil keinen verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf für andere Sozialversicherungszweige hergeleitet. Einer Beweiserhebung habe es bei alledem weder unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs der Kläger noch unter demjenigen der Amtsermittlungspflicht bedurft, insbesondere nicht zu der von den Klägern postulierten Pflicht, durch Sachverständige einzelne "Transfersalden" für Kinder zu ermitteln. Da der Familienlastenausgleich durch zahlreiche Regelungen des Sozialrechts und des Steuerrechts bewirkt werde, komme es auf solche Ermittlungen wegen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht an. Der Familienlastenausgleich sei nicht isoliert auf das Sozialversicherungsrecht bezogen (Urteil vom 24.4.2012).

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger - mit umfänglichem Vorbringen - im Wesentlichen, das LSG habe verkannt, dass die einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen zur Beitragsbemessung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstießen, soweit versicherte Eltern mit gleich hohen Beiträgen wie kinderlose Versicherte belastet würden. Konkret rügen sie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in Bezug auf die GRV durch § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 der Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze in der GRV für das Jahr 2012(vom 19.12.2011, BGBl I 2795; Beitragssatzverordnung 2012 - BSV 2012), hinsichtlich der GKV durch § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V, und im Hinblick auf die sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI sowie durch § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1 SGB XI und § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V.

7

Das BVerfG habe sich in seinem sPV-Urteil von einem leistungsrechtlichen Ansatz distanziert. Es diskutiere dort die unzureichende Kompensation der Erziehungslasten nicht mehr unter dem Aspekt der allgemeinen leistungsrechtlichen Förderungspflicht des Staates (Art 6 Abs 1 GG), sondern als Gleichheits- und Teilhabeproblem (Art 3 Abs 1 GG) unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz werde zu einem Grundrecht auf "intragene-rationelle Gleichbehandlung" fortentwickelt.

8

Die Systeme der GRV, GKV und sPV erfüllten die Voraussetzungen, die das BVerfG für eine zu beanstandende fehlende Differenzierung im Beitragsrecht zwischen Eltern und Kinderlosen aufgestellt habe (= Abdeckung eines in einem geschlossenen intergenerationellen System erfassten Risikos, das überproportional im Alter auftrete und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert werde; Absehbarkeit, dass ein signifikanter Teil der Versicherten kinderlos bleibe). Das sPV-Urteil sei auch auf die GRV und die GKV zu übertragen: GRV und GKV deckten als umlagefinanzierte Systeme ebenso wie die sPV ein Risiko ab, das überproportional im Alter auftrete. Die Mindestgeschlossenheit der Systeme folge in Zusammenschau mit der Rechtsprechung des BVerfG zur Alterssicherung der Landwirte daraus, dass 87 % der Bevölkerung in der sPV, 80 % der erwerbstätigen Bevölkerung in der GRV und 90 % der Bevölkerung in der GKV versichert seien. Zudem sei die Geburtenrate von 2,49 Kindern je Frau - Mitte der 1960er Jahre - auf mittlerweile 1,3 Kinder gesunken. Da die Kindererziehung für die Funktionsfähigkeit der Systeme genauso bedeutsam sei wie die Beiträge, erhielten Kinderlose in allen drei Sozialversicherungssystemen einen spezifischen, systembedingten Vorteil, der nach der Rechtsprechung des BVerfG auch innerhalb des jeweiligen Systems ausgeglichen werden müsse. Die Pflicht zum Ausgleich bestehe nur auf der Beitragsseite, da die Belastung der Eltern in der Erwerbsphase auftrete und auch in diesem Zeitraum ausgeglichen werden müsse.

9

In Bezug auf die einzelnen Sozialversicherungsteilsysteme gelte Folgendes: In der GRV müsse die Umsetzung der Maßstäbe aus dem sPV-Urteil des BVerfG systemimmanent erfolgen. Die Rechtsprechung des BVerfG sei insoweit bindend (§ 31 BVerfGG). Die in der GRV anerkannten Kindererziehungszeiten seien für die Annahme eines Vorteilsausgleichs strukturell ungeeignet und stellten auch keinen echten Vorteilsausgleich dar, weil die Beiträge hierfür der Bund leiste (§ 177 Abs 1 SGB VI); dh alle Steuerpflichtigen und nicht nur Kinderlose. Gleichzeitig bestehe eine Benachteiligung der Eltern im Leistungsrecht. Diese erlitten durch die Unterbrechungen und Einschränkungen der Erwerbsbiografie (zB Teilzeitarbeit) vielfach Verluste an persönlichen Entgeltpunkten, die nicht durch Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI)kompensiert würden. Das Argument, die demografische Entwicklung sei ein gesamtgesellschaftliches Problem und müsse abgabenpolitisch steuerfinanziert auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gelöst werden, sei ohne verfassungsrechtliche Relevanz.

10

Auch in der GKV müsse ein systeminterner Vorteilsausgleich gesucht werden. Die Möglichkeit der beitragsfreien Familienversicherung (§ 10 SGB V) reiche insoweit nicht aus. Diese Begünstigung wiege nach den bindenden Ausführungen des BVerfG den mit der Erziehungsleistung zusätzlich erbrachten generativen Beitrag und den damit erlittenen Nachteil gegenüber Kinderlosen nicht auf.

11

Das Beitragsrecht in der sPV sei auch nach den Änderungen durch das KiBG verfassungswidrig. Insbesondere fehle im geltenden Recht die - auf der Grundlage des sPV-Urteils gebotene - Berücksichtigung der Anzahl der Kinder bei der Beitragsbemessung. Mit mehreren Kindern werde nämlich ein größerer generativer Beitrag für die Funktionsfähigkeit des Systems erbracht als mit nur einem Kind.

12

Die Kläger untermauern ihre Auffassung durch Gutachten der Bertelsmann-Stiftung (Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013; Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013).

13

Überdies rügen die Kläger einen Verstoß des LSG gegen seine Amtsermittlungspflicht. Es sei bei seiner Prüfung von Art 6 Abs 1 GG ausgegangen. Zu Unrecht habe es die Frage, ob die staatliche Familienförderung offensichtlich unangemessen sei und dem Förderungsgebot aus Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genüge, als eine Frage einer Gesamtabwägung aufgefasst, ohne Ermittlungen zu den konkreten Belastungen durch die Erziehung und Betreuung von Kindern vorzunehmen. Insoweit habe das LSG selbst eingeräumt, zu einer konkreten Bezifferung der additiven Höhe der durch die legislativen Maßnahmen bewirkten Entlastung der Familien nicht in der Lage zu sein. Angesichts der von ihnen (den Klägern) vorlegten Gutachten und Aufsätzen habe sich das LSG zu Ermittlungen "zu den Realitäten des Familienlastenausgleichs" gedrängt sehen müssen, diese aber verfahrensfehlerhaft unterlassen.

14

Mit Schriftsatz vom 11.8.2015 haben die Kläger - nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist - Tabellen zu "Durchschnittlichen Leistungsausgaben Frauen/Männer im Alter von 0 bis 90 Jahren" vorgelegt, die als "generelle Tatsachen" von Amts wegen zu berücksichtigen seien.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Kläger im Revisionsverfahren wird vor allem auf Blatt 25 bis 102, Blatt 165 bis 173, Blatt 201 bis 224, 227/228 und Blatt 232 bis 244 der Revisionsakte verwiesen.

16

Die Kläger beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. April 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Mai 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Mai 2007 aufzuheben sowie festzustellen, dass die monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab 1. Juli 2006 nicht über eine Höhe von 50 vH der gegenwärtigen Bemessung zu erheben sind,

hilfsweise festzustellen,
dass die Beitragsbemessung unter Abzug eines Betrags von 833 Euro je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage monatlich erfolgen muss,

weiter hilfsweise festzustellen,
dass die Beitragsbemessung unter Abzug des in § 32 Abs 6 EStG genannten Betrags je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage erfolgen muss,

hilfsweise den Rechtsstreit gemäß Art 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die die Beitragspflicht und die Höhe der Beiträge zur Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung regelnden Vorschriften (§§ 157, 161 Abs 1, 162 Nr 1 SGB VI, §§ 223 Abs 2, 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 sowie § 241 SGB V und §§ 54 Abs 2 Satz 1, 55 Abs 1 und 3 Satz 1, 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI iVm § 226 SGB V) unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - mit den Grundrechten der Kläger aus den Art 3, 6, 20 und 28 (Sozialstaatsprinzip) GG vereinbar sind;

weiter hilfsweise, das angefochtene Urteil mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückzuverweisen.

17

Die Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.

18

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

19

Die Beigeladenen zu 1. und zu 3. stellen keine Anträge. Die Beigeladene zu 3. schließt sich vollumfänglich der Revisionsbegründung der Kläger an.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten aller Instanzen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Die zulässige Revision der Kläger ist im Wesentlichen unbegründet.

22

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind der mit der Anfechtungsklage angegriffene Bescheid der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle vom 20.7.2006 in der Gestalt ihrer Widerspruchsbescheide vom 16.5.2007, in denen sie festgestellt hat, dass es für die von den Klägern erstrebte Beitragsminderung keine Rechtsgrundlage gebe. Zu befinden ist außerdem über einen Feststellungsantrag. Streitig ist die Höhe der Beiträge zur GRV, GKV und sPV für den Zeitraum vom 1.7.2006 (= Monat der Antragstellung bei der Beklagten als Beginn) bis 24.4.2012 (= Tag der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen als Endzeitpunkt; vgl dazu allgemein zB BSGE 110, 62 = SozR 4-2500 § 240 Nr 16, RdNr 19; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 21). Für den Kläger zu 1. ist bezüglich der Beiträge zur GKV und zur sPV allerdings nur die Zeit bis 31.12.2010 im Streit, weil er nur bis zu diesem Zeitpunkt versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten und auch der Beigeladenen zu 1. (vgl § 48 Abs 1 S 1 SGB XI) war.

23

2. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 Alt 1, § 55 Abs 1 Nr 1, Abs 2 SGG zulässig(vgl zB BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff, unter Hinweis auf BSG SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 15 ff). Der Anfechtungsklage steht unter dem Blickwinkel ihrer Statthaftigkeit nicht entgegen, dass sich die Beklagte in ihren Bescheiden darauf beschränkt hat, allgemein nur die Belastung der Kläger mit Beiträgen "festzustellen". Sie hat damit für die Kläger objektiv erkennbar eine einseitige und konkrete, verbindliche, der Rechtsbeständigkeit fähige Feststellung getroffen; allein hierauf kommt es für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage an (vgl BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff).

24

3. Auf die Anfechtungsklage der Kläger sind die angefochtenen Bescheide aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind. Dementsprechend sind die Urteile des LSG und SG zu ändern; insoweit muss die Revision der Kläger (teilweise) erfolgreich sein.

25

Mit diesen Bescheiden hat die Beklagte nämlich entgegen den einschlägigen Regelungen des materiellen Rechts zu Unrecht nur über die Beitragstragungspflicht und das Fehlen der Möglichkeit zu einer Beitragsreduzierung entschieden und sich dabei auf bloße allgemeine rechtliche Hinweise zur Bemessung und Tragung der Beiträge in der Sozialversicherung beschränkt. Sie hat dagegen - anders als hier erforderlich - nicht über die konkrete Beitragshöhe selbst entschieden.

26

Nach der Rechtsprechung des Senats ist einer Krankenkasse in ihrer Funktion als Einzugsstelle ua die Aufgabe übertragen, in gesetzlicher Verfahrens- und Prozessstandschaft (vgl zur Entwicklung BSG SozR 3-2400 § 28h Nr 9) anstelle der hierfür originär zuständigen Träger über die Beitragshöhe zu entscheiden (§ 28h Abs 2 S 1 SGB IV). Gegenüber Pflichtversicherten wegen Beschäftigung, die - wie die Kläger - nicht selbst Beitragsschuldner sind (vgl § 28e Abs 1 S 1 SGB IV), kommt bei der Entscheidung über die Beitragspflicht als festsetzungsfähige Rechtsfolge nur die betragsmäßig konkrete Feststellung der von ihnen zu tragenden Beitragsanteile in Betracht (vgl BSG SozR 4-2500 § 7 Nr 1 RdNr 17 mwN). Die hierfür relevanten Umstände - wie die beitragspflichtigen Einnahmen und der Beitragssatz -, zu denen die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zum Teil Aussagen gemacht hat, sind jeweils nur reine Berechnungs- bzw Begründungselemente und daher in der Regel auch nicht selbst einer Festlegung durch Verwaltungsakt (§ 31 S 1 SGB X) zugänglich. Hieran hält der Senat fest (zur Problematik allgemein auch bereits: BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff; BSG Urteil vom 17.12.2014 - B 12 KR 23/12 R - Juris RdNr 18 f).

27

4. Die neben der - mithin erfolgreichen - Anfechtungsklage erhobene Feststellungsklage ist zulässig (dazu a), aber sowohl hinsichtlich ihres Hauptantrages und hinsichtlich der im Rahmen des Hauptantrages ergänzend gestellten Hilfsanträge, aber auch hinsichtlich der übrigen Hilfsanträge unbegründet. Die Feststellungsklage hat keinen Erfolg, weil die Bemessung der Beiträge der Kläger den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des jeweiligen Beitragsrechts entspricht (dazu b). Diese gesetzlichen Bestimmungen im Recht der GRV (dazu 5.), der GKV (dazu 6.) und der sPV (dazu 7.) sind auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG iVm § 13 Nr 11, §§ 80 ff Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bedurfte es daher nicht.

28

a) Das für eine zulässige Feststellungsklage erforderliche besondere Interesse der Kläger an der baldigen Feststellung iS von § 55 Abs 1 SGG ist nicht durch Zeitablauf erloschen. Die begehrte Feststellung der konkreten Beitragsbelastung für den (mittlerweile) zurückliegenden Zeitraum hat nämlich ua Bedeutung für einen möglicherweise von den Klägern künftig geltend gemachten Beitragserstattungsanspruch (vgl zum Feststellungsinteresse BSG Urteil vom 18.5.1983 - 12 RK 28/82 - Juris RdNr 16; allgemein Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 55 RdNr 15).

29

b) Die Feststellungsklage bleibt im Hauptantrag der Kläger zur Beitragsbemessung sowie in Bezug auf ihre Hilfsanträge ohne Erfolg. Die feststellenden Ausführungen der Beklagten zur Beitragsbemessung erfolgten in den Zweigen der GRV, der GKV und der sPV in Einklang mit den dafür einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften (ua § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 BSV 2012; § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V; § 55 Abs 3 S 1 SGB XI, § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1, § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V, hier anzuwenden in den jeweils zum Zeitpunkt der Beitragserhebung in der streitigen Zeit vom 1.7.2006 bis 24.4.2012 geltenden Fassungen). Dass die von der Beklagten vorgenommene bzw für zutreffend erachtete Beitragsbemessung in Einklang mit den einfachgesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen stand, ist zwischen den Beteiligten außer Streit.

30

5. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften des Beitragsrechts der GRV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Rentenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder in der von den Klägern geforderten Weise zu mindern ist (dazu b).

31

a) Abhängig beschäftigte Versicherte - wie die Kläger - haben sich während der Dauer der Beschäftigung in aller Regel durch die hälftige Tragung der nach ihrem Bruttoentgelt bemessenen Beitragslast an den Ausgaben der GRV zu beteiligen. Das ergibt sich einfachgesetzlich aus den Vorschriften des Vierten Kapitels (§§ 153 ff) des SGB VI (diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB VI im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung). Einnahmen der allgemeinen Rentenversicherung sind hiernach insbesondere die Beiträge und die Zuschüsse des Bundes (§ 153 Abs 2 SGB VI). Die Beiträge werden nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von der Beitragsbemessungsgrundlage erhoben, die nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird (§ 157 SGB VI). Beitragsbemessungsgrundlage für Versicherungspflichtige sind die beitragspflichtigen Einnahmen (§ 161 Abs 1 SGB VI), die bei Beschäftigten wie den Klägern aus dem Arbeitsentgelt bestehen (§ 162 Nr 1 SGB VI). Beitragssatz und Beitragsbemessungsgrenze sind von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung festzusetzen (§ 160 SGB VI). Insoweit ist § 158 SGB VI trotz mehrfacher Änderungen durchgehend zu entnehmen, dass der Beitragssatz grundsätzlich so festzusetzen ist, dass die voraussichtlichen Beitragseinnahmen ausreichen, um die voraussichtlichen Ausgaben zu decken (und sicherzustellen, dass die Mittel der Schwankungsreserve dem gesetzlich bestimmten Betrag entsprechen). Unter Zugrundelegung des hiernach festgesetzten jeweiligen Beitragssatzes und des bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts der Kläger ergibt sich die sie neben dem Arbeitgeber treffende hälftige Beitragslast.

32

b) Die Kläger können nicht verlangen, von dieser Beitragsbelastung entgegen der einfachgesetzlichen Rechtslage deshalb in dem beantragten Umfang freigestellt zu werden, weil sie bereits durch Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems erbracht hätten und andernfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) und den dort enthaltenen Regelungsauftrag/Normprüfungsauftrag an den Gesetzgeber nicht berufen; das Beitragsrecht der GRV ist von der Bindungswirkung dieser Entscheidung (§ 31 BVerfGG) sachlich nicht erfasst (dazu aa). Der Senat ist auch unter Würdigung der Ausführungen des BVerfG in einem weiteren verfassungs-/gleichheitsrechtlichen Zusammenhang nicht davon überzeugt, dass (allein) die von den Klägern geforderte Ausgestaltung des Beitragsrechts der GRV im Hinblick auf Art 6 Abs 1 GG (dazu bb) bzw Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG (dazu cc) von Verfassungs wegen geboten ist. Es ist deshalb unzutreffend, dass - wie die Kläger meinen - "sämtliche der vom BVerfG im Beitragskinderurteil als wesentlich identifizierten und zur Verfassungswidrigkeit der sPV führenden Elemente in gleicher Weise und erst recht auch bei der … GRV wirken".

33

aa) Das sPV-Urteil des BVerfG ist nicht insoweit auf das Beitragsrecht der GRV "übertragbar", als Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG Gesetzeskraft haben und insbesondere nach § 31 Abs 1 BVerfGG auch für die Fachgerichte bindend sind. Das BVerfG hat nach dem Tenor des sPV-Urteils die seinerzeit geltenden Beitragsvorschriften der § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 S 1 und 2 sowie § 57 SGB XI als mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG nicht vereinbar angesehen, soweit Versicherte der sPV, die Kinder betreuen und erziehen, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Versicherte ohne Kinder belastet wurden(hierzu im Einzelnen unter 7. a>). Die Entscheidung hatte also die Pflegeversicherung und deren beitragsrechtliche Normen zum Gegenstand. Nur für diese entfaltet sie Bindungswirkung (§ 31 Abs 1 BVerfGG). Im sPV-Urteil hat das BVerfG nicht etwa gleichzeitig das rentenrechtliche Konzept eines Ausgleichs des Aufwandes für Kinder (allein) auf der Leistungsseite aufgegeben (so schon BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 41 ff, 50). Die Bindungswirkung bezieht sich nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG auf die Entscheidungsformel und die tragenden Gründe. Allerdings - und das ist entscheidend - ist Gegenstand der Bindungswirkung die "konkrete" Entscheidung (so ausdrücklich zB BVerfGE 104, 151, 197). Das BVerfG geht davon aus, dass auch die "tragenden Entscheidungsgründe" nur in Ansehung des konkreten Streitgegenstandes und nur im Hinblick auf künftige gleichgelagerte Fälle, mithin in concreto binden (so zB Rennert in Umbach/Clemens, BVerfGG, 1. Aufl 1992, § 31 RdNr 72, mwN aus der Rspr des BVerfG).

34

bb) Die hier einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV stehen nicht im Widerspruch zu Art 6 Abs 1 GG.

35

Der besondere Schutz der Familie, zu dem Art 6 Abs 1 GG den Staat verpflichtet, hält den Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich an, jede zusätzliche finanzielle Belastung der Familie zu vermeiden. Der Staat ist auch nicht durch die in Art 6 Abs 1 GG enthaltene Pflicht zur Förderung der Familie gehalten, die Beitragslast auszugleichen. Die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen steht unter dem Vorbehalt des Möglichen und im Kontext anderweitiger Fördernotwendigkeiten. Der Gesetzgeber hat im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nur unter Abwägung aller Belange lässt sich ermitteln, ob die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genügt. Demgemäß lässt sich aus der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Aus dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen, lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl BVerfGE 103, 242, 258 ff = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13 f; BVerfGE 87, 1, 35 f = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 6; aus späterer Zeit BVerfGE 107, 205, 212 = SozR 4-2500 § 10 Nr 1 RdNr 28; BVerfGE 110, 412, 445). Dem hat sich der Senat bereits in seinen Urteilen vom 5.7.2006 angeschlossen (vgl stellvertretend BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 49; zur Bedeutung des aus Art 6 Abs 1 GG folgenden Förderungsgebots als Prüfungsmaßstab zuletzt BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 15/13 R - Juris RdNr 31). Hieran hält er fest.

36

cc) Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass die beitragsrechtlichen Vorschriften der GRV gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstoßen, soweit der Rentenversicherungsbeitrag der von den Klägern repräsentierten Personengruppe - versicherte Eltern mit Kindern - danach nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder im geforderten Umfang zu reduzieren ist. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung entspricht die GRV in ihren wesentlichen Strukturmerkmalen nicht den Anforderungen, die das BVerfG im sPV-Urteil für ein verfassungsrechtliches Gebot der beitragsrechtlichen Differenzierung zwischen Versicherten mit und solchen ohne Kinder aufgestellt hat; denn es fehlt an der Mindestgeschlossenheit dieses Sozialversicherungs(teil)systems (dazu <1>). Unabhängig davon läge auch deshalb kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vor, weil eine Gleichbehandlung bzw benachteiligende Ungleichbehandlung von Personen wie den Klägern im Beitragsrecht (gerade) der GRV in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt wäre (dazu <2>).

37

(1) Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG ist nach dem sPV-Urteil des BVerfG durch die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Pflegeversicherungsbeiträgen - auch nach Auffassung der Kläger - nur verletzt, wenn

        

1.    

das Sozialversicherungssystem ein Risiko abdeckt, das überproportional im Alter auftritt und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert wird,

        

2.    

das Sozialversicherungssystem eine Mindestgeschlossenheit aufweist (zu dieser Voraussetzung auch: BVerfGE 109, 96, 127 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2 RdNr 83) und

        

3.    

absehbar ist, dass ein signifikanter Teil der Versicherten keine Kinder bekommt.

38

Es kann offenbleiben, ob die GRV die erste und die dritte der vom BVerfG aufgestellten Voraussetzungen erfüllt. Jedenfalls weist die GRV nicht die geforderte Mindestgeschlossenheit auf, weil nicht angenommen werden kann, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft Beitragszahler in der GRV sein wird. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung besteht keine "rechtlich fundierte Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder der Beitragszahler in dem Sicherungssystem der GRV zukünftig selbst Beiträge leisten und dadurch zum Fortbestand des Systems beitragen werden".

39

Im sPV-Urteil hat das BVerfG entschieden, dass die Betreuungs- und Erziehungsleistung in der sPV auch in Zukunft nachhaltig zum Tragen und den kinderlosen Versicherten der sPV zugutekommt, weil dort aufgrund der umfassenden gesetzlichen Versicherungspflicht in jedem Fall eine Versicherung entweder in der sozialen oder in der privaten Pflegeversicherung begründet wird. Dies trifft auf die GRV nicht zu (in diesem Sinne bereits BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 58). Ein "generativer Beitrag" führt allenfalls dann zu einem "Vorteil im Versicherungsfall" für Kinderlose aus der Zahlung der Beiträge nachwachsender Generationen, wenn diese später auch tatsächlich Beiträge erbringen (so das BVerfG im sPV-Urteil: BVerfGE 103, 242, 264 f = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17 f). Es reicht dafür entgegen der Ansicht der Kläger nicht aus, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft "überhaupt" Mitglied der GRV wird, sondern es kommt darauf an, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft voraussichtlich auch "Beitragszahler" in der GRV sein wird; denn im Wesentlichen finanzieren im geltenden Umlagesystem nur die (aktuellen) Beitragszahler die (aktuellen) Leistungen an die Rentner.

40

Eine solche "rechtlich fundierte Wahrscheinlichkeit", dass Kinder von Beitragszahlern in Zukunft durch eigene Rentenversicherungsbeiträge zum Fortbestand der GRV beitragen werden, kann jedenfalls für den vorliegend streitigen Zeitraum der Jahre 2006 bis 2012 nicht angenommen werden, weil es sich nach den öffentlich zugänglichen statistischen Daten vielmehr so verhält, dass etwa die Hälfte der potentiellen Beitragszahler - obwohl statistisch als "Versicherte" geführt - tatsächlich keine Beiträge zur GRV zahlt bzw wenn, dann nur in einem geringfügigen Umfang. Beruhend auf den Beobachtungen aus der Vergangenheit und bei unveränderten Annahmen über die zukünftige Entwicklung muss davon ausgegangen werden, dass seinerzeit - im streitigen Zeitraum - betreute und erzogene Kinder als spätere Rentenversicherte das System der GRV jedenfalls nicht (wie vom BVerfG gefordert) zu einem "wesentlichen Anteil" bzw "maßgeblich" stützen werden. Insoweit kann auch nicht davon gesprochen werden, dass eine aktuelle "Leistung" durch die Betreuung und Erziehung von Kindern in der GRV in Zukunft "nachhaltig" zum Tragen und Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern zugutekommen wird.

41

So waren beispielsweise im Jahr 2006 rund 51,97 Mio Menschen in der GRV ohne Rentenbezug versichert, davon 35,02 Mio "aktiv" und 16,95 Mio "passiv" (zur Verteilung zwischen aktiv und passiv Versicherten in den Jahren ab 2006: DRV Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen, Oktober 2015, S 14). Als "Versicherte" der GRV werden statistisch alle Personen bezeichnet, die einen Leistungsanspruch ihr gegenüber erworben haben. Die Versicherten mit Rentenbezug werden in den Rentenstatistiken erfasst und als "Rentenzahlfall" bzw bei personeller Zuordnung als "Rentner" bezeichnet. Gegenstand der Versichertenstatistik sind hingegen im Allgemeinen die Versicherten ohne Rentenbezug, die aktuell Rentenanwartschaften erwerben oder zu einem früheren Zeitpunkt erworben haben. Zu den "aktiv Versicherten" zählen alle Beitragszahler, aber auch sog Anrechnungszeitversicherte. Dies sind Versicherte mit Zeiten, für die grundsätzlich keine Beiträge zur GRV gezahlt werden (vgl § 58 SGB VI). Die Anrechnungszeitversicherten werden in den angegebenen Zahlen nicht separat ausgewiesen. Bei den "passiv Versicherten" handelt es sich um (lebende) Versicherte ohne Rentenbezug, deren Versichertenkonten aktuell keine Einträge aus aktiver Versicherung aufweisen, für die aber in den Zeiten davor mindestens ein versicherungspflichtiger Tatbestand oder ein Bonus aus einem Versorgungsausgleich gespeichert ist. In Abhängigkeit davon, ob solche Einträge innerhalb des Berichtsjahres oder davor liegen, unterscheidet man bei den passiv Versicherten zwischen Übergangsfällen und latent Versicherten, die wiederum nicht separat ausgewiesen wurden (zu den Definitionen: Kaldybajewa/Kruse/Strobel, RV aktuell 2009, 83; DRV Bund, Versichertenbericht 2014, S 11 ff, 18). Von den aktiv versicherten Personen waren im Jahr 2006 5,55 Mio Leistungsempfänger nach dem SGB III/SGB II, die ihre Beiträge nicht selbst tragen. Das bedeutet, dass von den 51,97 Mio Menschen ca 22,5 Mio Menschen (16,95 Mio passiv Versicherte plus 5,55 Mio Leistungsempfänger nach dem SGB II/III) nicht selbst oder tatsächlich keine Rentenversicherungsbeiträge im Berichtszeitraum bzw am Stichtag leisteten. Das sind immerhin 43 % aller Versicherten ohne Rentenbezug. Hierin sind die 5,1 Mio geringfügig Beschäftigten unter den aktiv Versicherten noch nicht eingerechnet. Unter Einrechnung auch dieser Personengruppe ergeben sich sogar 53 %, die nahezu keine Beiträge entrichten (zu dieser Problematik bereits Althammer/Klammer, Ehe und Familie in der Steuerrechts- und Sozialordnung, Tübingen 2006, S 151; Estelmann, SGb 2002, 245, 253; zu der Verteilung zwischen aktiv und passiv Versicherten in den Jahren ab 2006 vgl erneut DRV Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen, aaO, S 14).

42

Ein ähnliches Bild ergeben die Zahlen des Jahres 2012. In diesem Jahr waren 35,71 Mio Menschen aktiv und 16,96 Mio Menschen passiv ohne Rentenbezug in der GRV versichert. Unter den aktiv Versicherten waren 926 406 Menschen Bezieher von Arbeitslosengeld nach dem SGB III und 2,5 Mio Anrechnungszeitversicherte (zu diesen Zahlen: DRV Bund, Versichertenbericht 2014, S 6). Von 52,67 Mio "Versicherten" zahlten also ca 20,39 Mio Menschen nicht selbst oder tatsächlich keine Rentenversicherungsbeiträge. Dies sind immerhin 38,7 % aller Versicherten. Berücksichtigt sind dabei noch nicht die 5,23 Mio geringfügig Beschäftigten unter den aktiv Versicherten, diese eingerechnet ergeben sogar 48,65 %.

43

(2) Unabhängig von einer "an der Argumentationsstruktur" des sPV-Urteils des BVerfG "orientierten" Würdigung ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe auch in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt (hierzu allgemein: BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12; BVerfGK 12, 81, 83 mwN; Boysen in von Münch/Kunig, GG-Kommentar, 6. Aufl 2012, Art 3 RdNr 102).

44

Art 3 Abs 1 GG gebietet es, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu regeln (vgl zB BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12). Es kann offenbleiben, ob die vorliegende Konstellation unter dem Aspekt einer Gleich- oder Ungleichbehandlung betrachtet wird (vgl Ebsen, VSSR 2004, 3, 11 f). Unter beiden Aspekten kommt es nämlich entscheidend auf das Kriterium der Betreuung und Erziehung von Kindern an. Für die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung spielt die Einordnung als Gleich- oder Ungleichbehandlung vorliegend jedenfalls keine Rolle. Es genügt in beiden Fällen das Vorliegen eines sachlichen Grundes zur Rechtfertigung. Als Grund für eine Ungleichbehandlung kommt jede vernünftige Erwägung in Betracht. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist zu verneinen, wenn ein vernünftiger Grund für die Gleichbehandlung fehlt bzw die tatsächlichen Ungleichheiten so bedeutsam sind, dass ihre Nichtbeachtung gegen eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise verstößt (BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12). Innerhalb dieser Grenzen ist der Gesetzgeber in seiner Entscheidung frei. Allerdings kann sich eine weitergehende Einschränkung aus anderen Verfassungsnormen ergeben. Insbesondere ist bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Beitragsregelungen, die Personen mit und ohne Kinder gleich behandeln oder zum Nachteil der Familie differenzieren, der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach Art 6 Abs 1 GG der Familie schuldet (BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12; BVerfGE 87, 1, 37 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7). Jedoch verfügt der Gesetzgeber auch dabei über einen nicht unerheblichen Gestaltungsrahmen. Er darf nicht nur die jeweilige Haushaltslage und die finanzielle Situation der GRV, sondern auch über Jahrzehnte gewachsene und bewährte Prinzipien im komplexen System der GRV berücksichtigen (BVerfGK 12, 81, 83 mwN).

45

Hiervon ausgehend stellt die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Rentenversicherungsbeiträgen für Versicherte mit Kindern keine die Vorgaben von Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG missachtende Gleich- bzw Ungleichbehandlung dar. Der Gesetzgeber hat jedenfalls die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil er die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen hat (dazu ). Überdies sind ein in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegender "Beitrag" und der monetäre Beitrag in der GRV weder gleichartig noch gleichwertig (dazu ). Ein sachlicher Grund für die Nichtberücksichtigung der Kindererziehungsleistung im Beitragsrecht der GRV liegt weiterhin darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für Kinder als Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen der GRV darstellt (dazu ). Auch könnte eine Berücksichtigung im Beitragsrecht zu anderen verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen führen (dazu ). Letztlich rechtfertigt der Strukturunterschied zwischen GRV und sPV im Hinblick auf die Leistungsbemessung eine Nichtberücksichtigung von Kinderbetreuung und -erziehung im Beitragsrecht der GRV (dazu ).

46

(a) Der Gesetzgeber hat bereits deshalb die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil er seit Ergehen des "Trümmerfrauen"-Urteils (BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1) in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente in das Leistungsspektrum gerade der GRV eingefügt und die durch Kindererziehung entstehenden Nachteile so - entgegen der Auffassung der Kläger - systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen hat. Auf den Ausgleich eines von den Klägern angeführten "externen Effektes" eines Kindes für die GRV kommt es hierfür insoweit nicht an.

47

(aa) Der Senat hat schon in seinen Urteilen vom 5.7.2006 einen Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern im Leistungsrecht der GRV als systemgerecht und ausreichend bestätigt (BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 51; ebenso Hase, Sozialversicherung und Familie zwischen sozialem Ausgleich und staatlicher Verantwortung, DRV-Schriften 46 <2003>, 29, 64; Ruland, NJW 2001, 1673, 1674; ders, FamRZ 2004, 493, 494; aA Kingreen, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes 57 <2008>, 71, 90, 94; Lenze, NZS 2007, 407, 409; dazu auch Estelmann, SGb 2002, 245, 253). Daran hält der Senat fest. Unter diese Leistungen, die auch in den vorliegend streitigen Jahren fortwirkten, fallen insbesondere:

        

•       

große Witwen- oder Witwerrente bei Kindererziehung (§ 46 Abs 2 S 1 Nr 1 und § 243 Abs 2 und Abs 3 SGB VI),

        

•       

Erziehungsrente (§§ 47, 243a SGB VI),

        

•       

Kindererziehungszeiten (§ 3 S 1 Nr 1 iVm §§ 56, 249, 249a SGB VI),

        

•       

Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§ 57 SGB VI),

        

•       

Anrechnungszeiten für Schwangerschaft oder Mutterschaft (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI),

        

•       

Zuschlag für Zeiten der Kindererziehung bei Witwen- und Witwerrenten (§ 78a SGB VI),

        

•       

Kinderzuschuss (§ 270 SGB VI),

        

•       

Leistungen für Kindererziehung an Mütter der Geburtenjahrgänge vor 1921 (§§ 294 bis 299 SGB VI),

        

•       

Zuzahlungsfreiheit für unter 18-jährige bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und bei sonstigen Leistungen (§ 32 Abs 1 SGB VI).

48

Zu den einzelnen seit dem "Trümmerfrauen"-Urteil des BVerfG in Ansehung von Betreuung und Erziehung von Kindern eingeführten Leistungen der GRV wird für den Zeitraum von 1992 bis 2004 im Übrigen ergänzend auf den Bericht der Bundesregierung (Unterrichtung durch die Bundesregierung - Bericht der Bundesregierung zur Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sozialen Pflegeversicherung vom 3. April 2001 <1 BvR 1629/94> für andere Zweige der Sozialversicherung vom 4.11.2004, BT-Drucks 15/4375 , S 6 ff) verwiesen.

49

Die den vorstehenden Ausführungen des Senats zugrunde liegende Beurteilung, dass auf einen Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern im Leistungsrecht der GRV als systemgerecht abgestellt werden darf, hat das BVerfG für den Bereich der landwirtschaftlichen Alterssicherung als verfassungsgemäß bestätigt; ein Ausgleich ist demnach - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht nur im Beitragsrecht möglich. So hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung (BVerfGE 109, 96, 127 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2 RdNr 84 ff) einen Verstoß des Beitragsrechts der landwirtschaftlichen Alterssicherung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG auch unter Berücksichtigung seines sPV-Urteils ua deshalb verneint, weil in der Alterssicherung "im Unterschied zur sozialen Pflegeversicherung die Erziehungsleistung … nicht unberücksichtigt (bleibt). Zeiten der Kindererziehung wirken sich … im Zusammenhang mit der Erfüllung der Wartezeit rechtsbegründend nach § 17 Abs 1 Satz 2 Nr 1 ALG in Verbindung mit § 56 Abs 1 SGB VI aus. Auch hat der Landwirtsehegatte auf Grund von Zeiten der Kindererziehung Zugang zur gesetzlichen Rente …". Diese Argumentation lässt darauf schließen, dass das BVerfG die Regelungen des Rentenrechts als mit dem GG insoweit vereinbar angesehen hat (vgl Ruland, SDSRV 57 <2008>, 53, 57) und macht deutlich, dass auch das BVerfG für die GRV von einem ausreichenden Ausgleich der Kindererziehung auf der Leistungsseite ausgeht (zum Verhältnis dieser Entscheidung zum sPV-Urteil vgl BSG <13. Senat> SozR 4-2600 § 70 Nr 2 RdNr 37). Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten fügt sich in die Struktur der Rentenversicherung ein (BVerfG BVerfGK 12, 81, 83).

50

(bb) Auf den Ausgleich eines "externen Effektes" eines Kindes für die GRV kommt es dabei - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht an. Positive "'externe Effekte' der Erziehung und Ausbildung von Kindern" werden nach Ansicht eines von den Klägern angeführten Gutachtens (Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013, S 27) erzeugt, "wenn ein Gutteil der Erträge der dabei vorgenommenen Humankapitalinvestitionen nicht den Finanziers (etwa den Eltern, soweit diese die Kosten der Erziehung und Ausbildung der Kinder überwiegend selbst tragen), sondern Dritten (nämlich allen Angehörigen der Rentnergeneration, unabhängig von ihrer individuellen Beteiligung an der Humankapitalbildung) zugutekommen". Sie entstehen also, wenn sich für "durchschnittliche Kinder" aus heutiger Sicht ein Überschuss aller von ihnen geleisteten Sozialversicherungsbeiträge und Steuern über die von ihnen in Anspruch genommenen Geld- und Sachleistungen ergibt (vgl Werding, aaO, S 89, 47). Entscheidend ist demgegenüber vielmehr, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in deren Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird. Vor diesem Hintergrund veranlasst das von den Klägern vorgelegte Gutachten (Werding, aaO, S 47, 84) den Senat nicht dazu, das Beitragsrecht der GRV insoweit für verfassungswidrig zu halten. Entscheidend ist demgegenüber vielmehr, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in deren Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird.

51

In dem Gutachten wird aus sozialökonomischer Sicht der Versuch unternommen, innerhalb bestimmter als modellhaft angenommener Rahmenbedingungen einen "externen Vorteil" von Kindern für die GRV zu beziffern. Der Ausgleich eines "externen Effektes" eines Kindes ist jedoch verfassungsrechtlich nicht geboten. Zwar besteht der generative Beitrag nach den Ausführungen des BVerfG im sPV-Urteil in der pekuniären Beitragsleistung, die die heutigen Kinder in der Zukunft erbringen werden (vgl Estelmann, SGb 2002, 245, 254). Es soll der Vorteil ausgeglichen werden, der Versicherten ohne Kinder im Versicherungsfall erwächst. Dieser Vorteil soll sich aber in der Erziehungsleistung der Eltern spiegeln, die wegen der Erziehung zu ihrem Nachteil - im Vergleich zu Kinderlosen - auf Konsum und Vermögensbildung verzichten (BVerfGE 103, 242, 264 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17). Dieser Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung entsteht wiederum durch die Kosten, die sich ergeben, wenn sich Eltern der Erziehung widmen und auf eine Berufstätigkeit verzichten oder dieser nur eingeschränkt nachgehen, durch Betreuungskosten oder sonstige Kosten, die mit der Betreuung und Erziehung von Kindern zusammenhängen. So formuliert das BVerfG ausdrücklich, dass die mit der Erziehungsleistung verbundene Belastung der Eltern, die in deren Erwerbsphase auftritt, auch in diesem Zeitraum auszugleichen ist (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22). Demnach können zum Ausgleich des Nachteils aber auch alle familienfördernden Elemente mitberücksichtigt werden, dh auch solche, die in anderen Bereichen als der GRV seit jeher vorhanden sind bzw sukzessive eingeführt wurden und die die "Nachteile", die Eltern durch die Betreuung und Erziehung von Kindern in der Erwerbsphase entstehen, vermindern (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 251). Zu den vielfältigen derartigen Leistungen für die Zeit von 1992 bis 2004 ist ebenfalls auf den Bericht der Bundesregierung (aaO, BT-Drucks 15/4375) zu verweisen. Leistungen für Familien außerhalb der GRV in den Jahren nach 2004 werden im Einzelnen in den Sozialberichten der Bundesregierung aufgeführt (vgl Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2005, BT-Drucks 15/5955, S 21, 37 f, 94 ff, 100; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2009, BT-Drucks 16/13830, S 20 ff, 57, 64, 74 ff, 79, 83, 86, 96, 109 f, 113, 117, 127 f, 132 f, 135, 190 f; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Nationaler Sozialbericht 2012, BT-Drucks 17/12649, S 7, 9 ff; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2013, BT-Drucks 17/14332, S 21, 41, 45 ff, 54, 57, 60, 99, 101, 149 f).

52

Die - auch von den Klägern angeführte - Untersuchung von Schmähl/Rothgang/Viebrok (Berücksichtigung von Familienleistungen in der Alterssicherung - Analyse und Folgerungen aus ökonomischer Sicht, DRV-Schriften Band 65 <2006> 106) weist insoweit zutreffend darauf hin, dass das BVerfG in seinem sPV-Urteil (gerade) "nicht versucht hat, das Zusammenspiel von elterlichen, staatlichen, betrieblichen und anderen Erziehungsleistungen zu durchdringen und auf dieser Basis den Beitrag der Eltern und damit den externen Effekt ihrer Kindererziehungsleistungen zu beziffern" (vgl ebenda). Gleiches ist auch im vorliegenden Rechtsstreit bedeutsam, weil es nach den dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben jedenfalls keine zwingende Notwendigkeit für eine Berücksichtigung des "externen Effekts" gibt. Darüber hinaus machen diese - ebenfalls aus dem Bereich der Sozialökonomie stammenden - Autoren deutlich, dass der externe Effekt selbst bei fachspezifischer Analyse nicht betragsmäßig beziffert werden kann.

53

(b) Die beitragsrechtliche Differenzierung bzw Gleichbehandlung ist auch deshalb gerechtfertigt, weil ein in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegender "Beitrag" und der Finanzbeitrag in der GRV weder gleichartig noch gleichwertig sind; denn mit der Erziehungsleistung wird für die - aktuell - zu finanzierenden Renten weder ein unmittelbarer noch ein mittelbarer Beitrag geleistet. Der Beitrag zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der GRV, der in Form von Kindererziehung geleistet wird, kann im Unterschied zu den "echten" monetären Beiträgen der Erwerbstätigen nicht sogleich wieder in Form von Rentenzahlungen an die nicht mehr Erwerbstätigen ausgeschüttet werden (BVerfGE 87, 1, 40 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 9 <"Trümmerfrauen-Urteil">; im Ergebnis auch Ruland, NJW 2001, 1673, 1677). Im (einfachrechtlichen) Rentenrecht gibt es keine dokumentierte und fixierte Sonderbeziehung zwischen aktiv erwerbstätiger Generation und nachwachsender Generation. Eine solche Sonderbeziehung besteht nur zwischen der jeweiligen Generation der aktiv Erwerbstätigen einerseits und der jeweils aktuellen Rentnergeneration andererseits. Mit anderen Worten: Mit "generativen Beiträgen" (durch Kindererziehung) können aktuelle Renten nicht bezahlt werden. Dies hat der Senat bereits entschieden (BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 57 f). Daran hält er fest.

54

Dieser Befund der fehlenden Möglichkeit der Gleichsetzung eines "monetären" mit dem "generativen" Beitrag (aA Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 88 f) wird auch nicht durch einen Rückgriff auf den durch die Betreuungs- und Erziehungsleistung entstehenden "Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung" als Vergleichsmaßstab bzw "gemeinsamer Nenner" (so Lenze, NZS 2007, 407, 408) in Frage gestellt. Hierbei handelt es sich nur um eine "Umformulierung" desselben Sachverhalts, weil der "Verzicht" gerade durch den Aufwand für Beiträge bzw durch das durch die Betreuungs- und Erziehungsleistung verminderte Einkommen der Eltern entsteht; dh der Aufwand der Eltern für die Beitrags- bzw die Betreuungs- und Erziehungsleistung geht auf der anderen Seite zwingend mit einem Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung einher.

55

(c) Ein sachlicher Grund für die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Rentenversicherungsbeiträgen für Versicherte mit Kindern liegt weiter darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern als Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen der GRV darstellt. Ein solcher von den Klägern geforderter Ausgleich wäre keine "systemspezifische" Aufgabe der GRV.

56

Die GRV ist für ihren Fortbestand auf nachwachsende Beitragszahler ebenso angewiesen, wie das Staatswesen für seinen Fortbestand auf ein nachwachsendes Staatsvolk. Auch wenn sich derartige allgemeine Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit des Staates (auch) innerhalb des Systems der GRV auswirken, handelt es sich doch nur bei "genuin innerhalb des GRV-Systems entstehenden Auswirkungen um systemspezifische" (vgl BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52; unter Hinweis Haass, KJ 2002, 104, 108 f). Im bestehenden Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland liegt es verteilungs- und ordnungspolitisch näher - bzw ist jedenfalls verfassungsrechtlich auch aus heutiger Sicht nicht zu beanstanden -, wenn der von den Klägern erstrebte Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern als Teil des Ganzen durch Maßnahmen im Steuerrecht gelöst wird (vgl ebenso: Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 7, 13; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, Bericht der Kommission, 2003, S 114 f; aus der Literatur: Ruland, NJW 2001, 1673, 1677; ders, SDSRV 57 <2008>, 53; Haass, KJ 2002, 104, 107; Ebsen, VSSR 2004, 3, 17; Hase, VSSR 2004, 55, 68; Axer, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft - DStJG - 29 <2006>, 175, 192).

57

Dies hat der Senat bereits in seinen Urteilen vom 5.7.2006 entschieden (stellvertretend BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52 ff). Die GRV darf nicht Aufgaben der Gesamtgesellschaft lösen (vgl BVerfGE 75, 108, 148). Jede staatliche Gemeinschaft ist auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen angewiesen, weshalb an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Das allein gebietet es nicht, diese Betreuungs- und Erziehungsleistung zugunsten der Familien in einem bestimmten sozialen Leistungssystem zu berücksichtigen (BVerfGE 103, 242, 265 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 18). Dieses Argument ist deshalb (gerade) nicht - wie die Kläger meinen - im Hinblick auf die Bindungswirkung des sPV-Urteils nach § 31 BVerfGG für die GRV ohne verfassungsrechtliche Relevanz. Das Teilsystem der GRV kann die Elemente des dieses System fördernden und fordernden Umfeldes nicht selbst steuern oder intern ausgleichen; wer es unternimmt, innerhalb des Systems dessen äußere Voraussetzungen zu korrigieren, bewegt sich logisch außerhalb eines Systemausgleichs. Die Probleme des Ausgleichs des Aufwandes für Kinder sind Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen jedweder Altersvorsorge bzw Zukunftsfähigkeit jeder Gemeinschaft und damit keine spezifische Aufgabe der GRV (vgl erneut BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52 ff). Hieran hält der Senat fest.

58

(d) Die Berücksichtigung einer auf der Betreuungs- und Erziehungsleistung beruhenden Vorleistung im Recht der GRV könnte ferner zu verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen an anderer Stelle führen (vgl hierzu die Nachweise in BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 58). Ein solcher Binnenausgleich auf der Beitragsseite könnte Eltern benachteiligen, die einen gleich hohen Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern haben, aber nicht Mitglied der GRV sind und daher für ihre Altersvorsorge selbst (privat) zu sorgen haben (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 5, 7; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Stellungnahme des Sozialbeirats, aaO, BT-Drucks 14/6099, S 8; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, aaO; Ruland, NJW 2001, 1673, 1675). Umgekehrt könnten Kinderlose, die nicht Versicherte der GRV sind, nicht an diesem Ausgleich teilnehmen (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, BT-Drucks 15/4375, S 5; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, aaO; Ruland, NJW 2001, 1673, 1674; Ebsen, Jura 2002, 401, 404; ders VSSR 2004, 3, 17; kritisch hierzu Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 90).

59

Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass es vorliegend "nur" um den Ausgleich von Betreuungs- und Erziehungsleistungen von in der GRV versicherten Eltern gehe: Zum einen verkennt dies den - wie dargestellt - übergreifenden Charakter der Betreuungs- und Erziehungsleistungen von Eltern. Zum anderen könnte es selbst bei einer Betrachtung nur innerhalb der GRV zu einer verfassungsrechtlich schwer zu rechtfertigenden Umverteilung von niedrigen zu höheren Einkommen kommen, weil besserverdienende Kindererziehende durch die Beitragsentlastung stärker begünstigt würden als Kindererziehende mit geringerem Einkommen. Bei Kinderlosen könnte es zu einer Privilegierung von gut verdienenden gegenüber weniger gut verdienenden Versicherten kommen. Dies alles würde aus dem Umstand folgen, dass das beitragspflichtige Einkommen in der GRV durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt ist (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 5). Allgemein ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass jedwede Änderung im Recht der GRV als einem auf lange Sicht angelegten System der sozialen Alterssicherung vielfältige verfassungsrechtliche Risiken und Folgewirkungen beinhalten würde. Den Sozialgesetzgeber trifft insoweit auch eine gewisse Schutzverpflichtung zugunsten des selbstgesetzten Systems (vgl hierzu Papier, DRV 2001, 350, 358).

60

(e) Schließlich ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe auch wegen des grundsätzlichen strukturellen Unterschieds zwischen sPV und GRV im Hinblick auf die Leistungsbemessung gerechtfertigt. Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern abhängig vom jeweils bestehenden Pflegebedarf (vgl §§ 36 ff SGB XI). Auch besteht der Leistungsanspruch grundsätzlich bereits - ohne Wartezeit - mit Beginn des Versicherungsschutzes in vollem Umfang (vgl schon Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 6 ff; Hase, Sozialversicherung und Familie zwischen sozialem Ausgleich und staatlicher Verantwortung, DRV-Schriften 46 <2003>, 29, 61; Ruland, SDSRV 57 <2008>, 53, 57). Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Hiervon unterscheidet sich das Leistungsrecht in der GRV strukturell. Hier sind die Rentenleistungen hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig (vgl § 63 SGB VI). Ein systeminterner Nachteilsausgleich im Beitragsrecht der GRV mag bei alledem "nicht verfassungsrechtlich unzulässig" sein, verfassungsgeboten - wie die Kläger meinen - ist er jedoch nicht.

61

6. Der Senat ist auch nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GKV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Krankenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder in der von den Klägern verlangten Weise zu reduzieren ist (dazu b).

62

a) Nach §§ 241 ff SGB V(diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB V im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung) sind Krankenversicherungsbeiträge nach einem Beitragssatz zu erheben, der in Hundertsteln der beitragspflichtigen Einnahmen festgesetzt wird. Der allgemeine Beitragssatz war anfänglich krankenkassenindividuell verschieden und wird seit dem 1.1.2009 bundeseinheitlich festgelegt. Für bestimmte Versicherte sieht das Beitragsrecht der GKV ermäßigte bzw besondere Beitragssätze vor (§§ 243 ff SGB V). Nach § 223 Abs 2 S 1 SGB V werden die Krankenversicherungsbeiträge nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen. Welche Einnahmen hierunter fallen, wird bei versicherungspflichtig Beschäftigten durch § 226 Abs 1 SGB V bestimmt. Der Umfang der beitragspflichtigen Einnahmen ist nach unten durch eine Bagatellgrenze (§ 226 Abs 2 SGB V) und nach oben durch die Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 Abs 3 S 1 SGB V) beschränkt. Die Krankenversicherungsbeiträge werden bei Beschäftigten von diesen und ihren Arbeitgebern im Grundsatz jeweils zur Hälfte getragen (§ 249b SGB V).

63

b) Die Kläger können nicht beanspruchen, von ihren auf dieser Gesetzeslage beruhenden Krankenversicherungsbeiträgen deshalb im geforderten Umfang entlastet zu werden, weil sie ihrer Auffassung nach bereits durch die Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems der GKV erbracht hätten und anderenfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG nicht berufen, weil das Beitragsrecht der GKV von der Bindungswirkung dieses Urteils (§ 31 BVerfGG) nicht erfasst wird (vgl bereits - zum Beitragsrecht der GRV - oben 5. b> aa>). Auch können sich die Kläger nicht mit Erfolg auf das aus Art 6 Abs 1 GG folgende Gebot zur Förderung der Familie stützen (so schon - zum Beitragsrecht der GRV - oben 5. b> bb>).

64

Der Senat ist schließlich nicht davon überzeugt, dass die hier einschlägigen beitragsrechtlichen Vorschriften der GKV in ihrer Anwendung auf Personen wie die Kläger Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verletzen. Entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht ist bereits zweifelhaft, ob die GKV alle vom BVerfG in seinem sPV-Urteil aufgestellten Voraussetzungen für einen - von ihnen so bezeichneten - "intergenerationellen" Gleichheitsverstoß erfüllt; fraglich ist nämlich vor allem, ob die GKV ein versichertes Risiko abdeckt, das "überproportional" im Alter auftritt und durch Beiträge der nachwachsenden Generation finanziert wird (dazu aa). Unabhängig davon ergäbe sich auch deshalb kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG, weil bei Prüfung in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Zusammenhang für eine Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe im Beitragsrecht der GKV rechtfertigende Sachgründe vorliegen (dazu bb).

65

aa) Würden die im sPV-Urteil aufgestellten Voraussetzungen, bei deren Vorliegen das BVerfG einen Verstoß der beitragsrechtlichen Vorschriften der sPV gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG angenommen hat, auf die GKV "übertragen", so wäre eine Verletzung des Gleichheitssatzes durch deren einschlägige gesetzliche Beitragsvorschriften nach diesen Maßstäben zumindest zweifelhaft. Anders als die Kläger meinen, ist die "Übertragbarkeit" des sPV-Urteils auf die GKV nämlich nicht schon deshalb "weniger problematisch", weil sich die Organisations- und Finanzierungsstrukturen der sPV und der GKV "weitgehend entsprechen". Dies mag bezogen auf die Organisations- und Finanzierungsstrukturen zutreffen. Ein erheblicher Unterschied besteht jedoch bei dem jeweils versicherten Risiko.

66

Im sPV-Urteil hat das BVerfG ausgeführt, es ist entscheidend, dass "der durch den Eintritt des Versicherungsfalls verursachte finanzielle Bedarf überproportional häufig in der Großelterngeneration (60 Jahre und älter) auftritt" (BVerfG, 103, 242, 263 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 16). Als Lebensrisiko betrifft das Risiko einer Erkrankung alle Altersgruppen der Gesellschaft; Entsprechendes gilt für das in der GKV versicherte Risiko, die durch Krankheit bedingten (Krankheits-)Aufwendungen und ggf Verdienstausfälle finanziell nicht tragen zu können. Zwar steigen die Krankheitskosten pro Kopf nach den öffentlich, dh für jedermann verfügbaren statistischen Daten allgemein - unabhängig von der Zugehörigkeit zur GKV - grundsätzlich im Alter deutlich an.

67

So lagen die Krankheitskosten etwa im Jahr 2006 für Einwohner unter 15 Jahren bei jährlich 1240 Euro, bei Einwohnern zwischen 15 und 30 Jahren bei 1180 Euro, bei den 30 bis 45-jährigen bei 1600 Euro, bei den 45 bis 65-jährigen bei 2930 Euro, bei den 65 bis 85-jährigen bei 6140 Euro und bei Einwohnern von 85 Jahren und älter bei 14 440 Euro (Statistisches Bundesamt, Gesundheit - Krankheitskosten, Wiesbaden 2010, S 14). Das allgemeine Ausgabenvolumen stellte sich im Jahr 2006 jedoch so dar, dass für die Gruppe der unter 65 Jahre alten Personen Krankheitskosten von insgesamt rund 124,7 Mrd Euro entstanden sind, für die Gruppe der 65-jährigen und älter aber "nur" rund 111,9 Mrd Euro ( https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/tabelleErgebnis/23631-0002 , recherchiert am 8.9.2015). Für das Jahr 2008 galt Folgendes: Die Krankheitskosten für Einwohner unter 15 Jahren lagen bei jährlich 1360 Euro, bei Einwohnern zwischen 15 und 30 Jahren bei 1320 Euro, bei den 30 bis 45-jährigen bei 1700 Euro, bei den 45 bis 65-jährigen bei 3010 Euro, bei den 65 bis 85-jährigen bei 6520 Euro und bei Einwohnern von 85 Jahren und älter bei 14 840 Euro (Statistisches Bundesamt, aaO, S 14). Das allgemeine Ausgabenvolumen stellte sich im Jahr 2008 jedoch so dar, dass für die Gruppe der unter 65 Jahre alten Personen Krankheitskosten von insgesamt rund 131,2 Mrd Euro entstanden sind, für die Gruppe der 65-jährigen und älter aber "nur" rund 123,1 Mrd Euro ( https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/
tabelleErgebnis/23631-0002 , recherchiert am 8.9.2015). Öffentlich zugängliche Statistiken für die Jahre ab 2009 sind in der hier angegebenen Form nicht ersichtlich, was sich ua dadurch erklärt, dass nur bis 2008 die Zuteilung der Mittel an die Krankenkassen ua nach den durchschnittlichen altersabhängigen Leistungsausgaben erfolgte und diese dementsprechend altersabhängig ermittelt wurden. Seit 2009 werden die Mittel im Risikostrukturausgleich in erster Linie morbiditätsorientiert vergeben. Die altersabhängigen Gesundheitsausgaben werden seit 2009 vom Bundesversicherungsamt nur auf Stichprobenbasis ermittelt (vgl Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013, S 33).

68

Der überwiegende Teil der Gesamtkosten (Krankheitskosten) entstand nach den vorstehenden Ausführungen in der Generation der Erwerbstätigen selbst, und nicht - wie vom BVerfG im sPV-Urteil gefordert (BVerfGE 103, 242, 263 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 16 f)- "überproportional" in der Generation der Älteren/Nichterwerbstätigen. Hinzu kommt speziell im Beitragsrecht der GKV, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Krankheitskosten von der nicht mehr erwerbstätigen Generation selbst getragen wird, weil auch Rentner selbst Beiträge zur GKV aufbringen, sodass hier gerade keine eindeutige "überproportionale" Umverteilung von der jungen zur alten Generation erfolgt (vgl hierzu bereits BSG <1. Senat> BSGE 92, 46 RdNr 33 = SozR 4-2500 § 61 Nr 1 RdNr 34; Lenze, EuGRZ 2001, 280, 282 Fn 16). Entsprechend wies die Bundesregierung in einer Unterrichtung des Deutschen Bundestages am 4.11.2004 darauf hin, dass Rentner in der sPV nur ca 25 % ihrer Leistungsausgaben durch Beitragszahlungen selbst aufbringen, jedoch mehr als 80 % der Gesamtausgaben verursachen. Demgegenüber liegt der Eigenfinanzierungsanteil von Rentnern in der GKV immerhin bei ca 46 % ihrer Leistungsausgaben (vgl Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 8).

69

bb) Dessen ungeachtet ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Ungleichbehandlung der Kläger in der GKV auch in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt. In Anwendung der aus Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vom BVerfG entnommenen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (dazu oben 5. b> cc> <2>) stellt die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung der Krankenversicherungsbeiträge für Versicherte mit Kindern keinen Gleichheitsverstoß dar. Der Gesetzgeber hat auch im Beitragsrecht der GKV jedenfalls die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt (zu dieser Voraussetzung siehe bereits die Nachweise oben unter 5. b> cc> <2>), weil er die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile bereits im Beitrags- bzw Leistungsrecht der GKV ausgeglichen hat (dazu im Folgenden <1>). Überdies sind der "Erziehungsbeitrag" einerseits und der Finanzbeitrag andererseits auch in der GKV nicht gleichartig oder gleichwertig (dazu <2>). Ein sachlicher Grund für das Fehlen einer weitergehenden Berücksichtigung der Kindererziehungsleistung im Beitragsrecht der GKV liegt weiter darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern auch in der GKV als Teil ihrer allgemeinen Rahmenbedingungen darstellt (dazu <3>). Schließlich könnte eine Berücksichtigung dieses Aufwandes im Beitragsrecht der GKV ebenso wie in der GRV zu anderen verfassungsrechtlich problematischen Verwerfungen führen (dazu <4>).

70

(1) Der Gesetzgeber hat bereits deshalb die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil im Recht der GKV in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente bestehen und er die durch Kinderbetreuung und -erziehung entstehenden Nachteile so - entgegen der Auffassung der Kläger - bereits im Beitrags- bzw Leistungsrecht der GKV ausgeglichen hat (Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375 S 7 ff; ebenso Axer, DStJG 29 <2006>, 175, 198 mwN; Plagemann, ZIP 2001, 1041, 1045; zweifelnd Rothgang, SF 2001, 121, 123). Wie schon oben zum Beitragsrecht der GRV unter 5 b) cc) (2) ausgeführt, kommt es für die Frage nach einer Kompensation der Nachteile darauf an, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in der Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird. Das BVerfG verlangt in seinem sPV-Urteil gerade nicht den Ausgleich des Vorteils der Kinderlosen im Versicherungsfall, also des Transfers, den die heutigen Kinder als zukünftige Beitragszahler zugunsten der kinderlosen Versicherten im Rentenalter werden erbringen müssen (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 252). Die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung verbundene Belastung der Eltern, die in deren Erwerbsphase auftritt, ist auch in diesem Zeitraum auszugleichen (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22). Familienfördernde Elemente im System der GKV sind - zusammengefasst -:

        

•       

Beitragsfreie Familienversicherung (§ 10 SGB V),

        

•       

Krankengeld bei Erkrankung des Kindes (§ 45 SGB V),

        

•       

Anspruch auf Haushaltshilfe (§ 38 SGB V),

        

•       

keine Zuzahlungspflicht für Kinder (§ 39 Abs 4, § 40 Abs 5, 6 SGB V),

        

•       

Minderung der Belastungsgrenze für Zuzahlungen (§ 62 Abs 2 SGB V),

        

•       

Fortbestehen der Pflichtmitgliedschaft bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, Bezug von Erziehungsgeld oder Elterngeld oder bei Inanspruchnahme von Elternzeit (§ 192 Abs 1 Nr 2 SGB V),

        

•       

Beitragsfreiheit bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, Bezug von Erziehungsgeld oder von Elterngeld (§ 224 Abs 1 SGB V),

        

•       

Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft (früher: §§ 195 bis 200 RVO, seit 30.10.2012: §§ 24c bis 24i SGB V).

71

Das Beitragsrecht und Leistungsspektrum der GKV ist daher bereits spezifisch familien- und kinderorientiert; demzufolge ist die Solidarkomponente in der GKV zugunsten von Versicherten mit Kindern und Familien - de lege lata - erheblich stärker ausgeprägt als in der sPV. Dass mit der Berücksichtigung dieser Elemente - wie die Kläger meinen - lediglich eine "Symmetrie im Lebenslängsschnitt hergestellt" werde mit der Folge, dass diese Vergünstigungen als Kompensationen zwischen Eltern und Kinderlosen ausscheiden, erschließt sich daher nicht. Zu den Leistungen für kindererziehende Familien verweist der Senat ergänzend für die Zeit bis 2004 auf den Bericht der Bundesregierung (aaO, BT-Drucks 15/4375, S 7 ff), für die Zeit nach 2004 verweist er ergänzend auf die Sozialberichte der Bundesregierung (Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2005, BT-Drucks 15/5955, S 21, 37, 94 ff, 100; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2009, BT-Drucks 16/13830, S 20 ff, 57, 64, 74 ff, 79, 83, 86, 96, 109 f, 113, 117, 127 f, 132 f, 135, 190 f; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Nationaler Sozialbericht 2012, BT-Drucks 17/12649, S 7, 9 ff; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2013, BT-Drucks 17/14332, S 21, 41, 45 ff, 54, 57, 60, 99, 101, 149 f).

72

Neben anderen Vergünstigungen rechtfertigt vor allem die beitragsfreie Familienversicherung (§ 10 SGB V), dass von einer weiteren Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der GKV abgesehen werden durfte (siehe auch Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375 S 7 ff; Plagemann, ZIP 2001, 1041, 1045; Axer, DStJG 29 <2006>, 175, 198 mwN). Die Familienversicherung in der GKV reicht weiter als in der sPV, weil die Leistungen im Krankheitsfall von Kindern und beitragsfrei versicherten Ehegatten auch häufiger in Anspruch genommen werden. Ohne die Familienversicherung müssten Eltern Beiträge für Kinder aufbringen oder für Behandlungskosten bei Eintritt des Versicherungsfalles selbst aufkommen. Dem steht auch nicht das Ergebnis des von den Klägern vorgelegten Gutachtens (Niehaus, aaO) entgegen; danach soll die "Durchschnittsfamilie" mehr an Beiträgen in die GKV einzahlen als sie Leistungen in Anspruch nimmt; dieses Verhältnis soll sich erst ab dem vierten Kind umkehren. Selbst wenn man diesen Befund als richtig unterstellt und die der Untersuchung zugrunde gelegten (volkswirtschaftlichen) Parameter bzw den durch Zahlenwerte konkretisierten Rahmen der Studie für zutreffend hält, ist der Ansatzpunkt dieser Untersuchung problematisch und macht aus der "beitragsfreien Familienversicherung" - entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht - keine solche, in der Beiträge (mittelbar) eben doch entrichtet werden müssen. Die "Simulationsrechnung" berücksichtigt nicht, dass die GKV eine Risikoabsicherung bietet, also im weiteren Sinne eine Risikoversicherung ist. Durch seine Beiträge "erkauft" der Versicherte für sich und seine Mitversicherten, dass er bzw sie bei Eintritt des Versicherungsfalles gegen das Risiko "Krankheit" verbunden mit Krankheitskosten abgesichert ist und sind und entsprechende Leistungen in Anspruch nehmen kann und können. Allein schon hierin besteht ein wirtschaftlicher Wert. Ob sich das Risiko tatsächlich verwirklicht und falls ja, in welchem Umfang, ist für die Beitragsbemessung unerheblich; Beiträge in der GKV sind bezogen auf den einzelnen Versicherten ausschließlich einnahmenorientiert.

73

(2) Für die hier zu prüfende Differenzierung bzw Gleichbehandlung im Beitragsrecht der GKV besteht auch deshalb ein rechtfertigender Grund, weil der in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegende "Beitrag" und der Finanzbeitrag in der GKV nicht gleichartig oder gleichwertig sind. Auf die bereits oben zum Beitragsrecht der GRV gemachten Ausführungen wird insoweit verwiesen (oben 5. b> cc> <2> ). Es fehlt auch in der GKV an der Gleichartigkeit, weil mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung für die - aktuell - zu finanzierenden Leistungen der GKV weder ein unmittelbarer noch ein mittelbarer Beitrag geleistet wird. Der Beitrag zur Aufrechterhaltung der GKV, der in Form von Kinderbetreuung und -erziehung geleistet wird, kann im Unterschied zu den "greifbaren" monetären Beiträgen nicht sogleich wieder als Leistung an Leistungsberechtigte gewährt werden. Ebenso wie in der GRV geht es - entgegen der Auffassung der Kläger - auch hier weiterhin um die Frage einer Gleichsetzung von monetären mit generativen Beiträgen (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 249; Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 88 f). Der Rückgriff auf den mit der Erziehungsleistung einhergehenden "Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung" als Vergleichsmaßstab bzw "gemeinsamer Nenner" (so Lenze, NZS 2007, 407, 408) verhilft dem Begehren der Kläger auch in der GKV nicht zum Erfolg, weil dieser "Verzicht" gerade aus dem Aufwand für die Kinderbetreuung und -erziehung bzw aus der Aufbringung der Beiträge stammt.

74

(3) Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der einschlägigen beitragsrechtlichen Bestimmungen am Maßstab des Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG ist überdies zu berücksichtigen, dass sich der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern auch in der GKV als Teil ihrer allgemeinen Rahmenbedingungen darstellt. Sein Ausgleich ist keine spezifische Aufgabe der GKV und muss daher nicht zwingend durch eine weitergehende Berücksichtigung der Kinderbetreuungs- und -erziehungsleistung im Beitragsrecht der GKV vorgenommen werden. Auf die obigen Ausführungen zum Beitragsrecht der GRV (oben 5. b> cc> <2>) wird insoweit verwiesen. Auch für die GKV gilt, dass sie nicht Aufgaben der Gesamtgesellschaft zu lösen hat. Wie bereits angesprochen führt das BVerfG in seinem sPV-Urteil aus, dass auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen jede staatliche Gemeinschaft angewiesen ist und so an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Das allein gebietet es nicht, diese Erziehungsleistung zugunsten der Familien in einem bestimmten sozialen Leistungssystem zu berücksichtigen (BVerfGE 103, 242, 265 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 18).

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(4) Zu bedenken ist schließlich, dass eine von den Klägern erstrebte besondere Berücksichtigung der Betreuung und Erziehung von Kindern auch im Beitragsrecht der GKV zu anderen verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen führen könnte, weil sie neue Gleichbehandlungsprobleme nach sich zöge. Auch insoweit ist auf die bereits oben gemachten Ausführungen zur GRV zu verweisen (oben 5. b> cc> <2> ). Die Berücksichtigung auf der Beitragsseite könnte auch in der GKV solche Eltern benachteiligen, die nicht Mitglied der GKV sind. Zudem könnten Kinderlose, die nicht Mitglied der GKV sind, nicht an einem Ausgleich teilnehmen. Schließlich könnte die von den Klägern geforderte Ausgestaltung des Beitragsrechts auch in der GKV eine Umverteilung von niedrigen zu höheren Einkommen zur Folge haben. Zum einen könnten im System besserverdienende Kindererziehende durch die Beitragsentlastung stärker begünstigt werden als Kindererziehende mit geringerem Einkommen. Zum anderen käme es möglicherweise bei Kinderlosen zu einer Privilegierung von gut verdienenden gegenüber weniger gut verdienenden Versicherten. Dass dies eintreten kann, beruht auf dem Umstand, dass die beitragspflichtigen Einnahmen auch in der GKV durch eine Beitragsbemessungsgrenze begrenzt sind. Bei alledem kommt in der GKV hinzu, dass die Berücksichtigung der Kinderkomponente innerhalb dieses Systems auf der Beitragsseite Personen, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei sind und das System daher verlassen können (vgl § 6 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 6, § 9 SGB V), an einem kinderbetreuungs- und kindererziehungsbezogenen Ausgleich gar nicht beteiligen würde.

76

7. Der Senat ist schließlich nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass die hier maßgebenden Bestimmungen des Beitragsrechts der sPV unter Einschluss ihrer Änderungen in Umsetzung des sPV-Urteils (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Pflegeversicherungsbeitrag von Versicherten mit Kindern nicht - wie von den Klägern gefordert - zu ermäßigen ist (dazu b).

77

a) Die Bemessung der (eigenen) Beiträge der Kläger zur sPV ohne Berücksichtigung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder - im Umfang eines fixen Betrages bzw gestaffelt nach der Kinderzahl - steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften.

78

Nach § 54 Abs 2 S 1 SGB XI(diese wie auch die nachfolgenden Bestimmungen des SGB XI im Wesentlichen in der bis heute fortgeltenden Fassung vom 26.5.1994, BGBl I 1014) werden die Pflegeversicherungsbeiträge nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§ 55 SGB XI) erhoben. § 55 Abs 1 SGB XI regelt den Beitragssatz. Er betrug in der hier streitigen Zeit 1,7 vH bzw ab 1.7.2008 1,95 vH der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder. Nach § 55 Abs 3 S 1 SGB XI(eingefügt durch Art 1 KiBG vom 15.12.2004, BGBl I 3448) erhöht sich der Beitragssatz nach Abs 1 S 1 und 2 für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in dem sie das 23. Lebensjahr vollendet haben, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose). Den Beitragszuschlag für Kinderlose tragen grundsätzlich die Mitglieder (§ 58 Abs 1 S 3, § 59 Abs 5 SGB XI). Kein Beitragszuschlag ist nach § 55 Abs 3 S 2 SGB XI von versicherten Eltern iS des § 56 Abs 1 S 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 2 und 3 SGB I zu entrichten. Keinen Beitragszuschlag zahlen auch vor dem 1.1.1940 geborene Versicherte, Wehr- und Zivildienstleistende und Bezieher von Arbeitslosengeld II (§ 55 Abs 3 S 7 SGB XI). § 57 Abs 1 S 1 SGB XI bestimmt, dass bei Mitgliedern der Pflegekasse, die in der GKV pflichtversichert sind, für die Beitragsbemessung ua § 226 SGB V gilt. Nach § 58 Abs 1 S 1 SGB XI tragen die in der GKV versicherungspflichtigen Beschäftigten und ihre Arbeitgeber die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge jeweils zur Hälfte. Dass Pflegeversicherungsbeiträge der Kläger im Zeitraum von 2006 bis 2012 in zutreffender Anwendung dieser Vorschriften erhoben wurden, ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit.

79

Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen über den Beitragszuschlag für Kinderlose das sPV-Urteil des BVerfG (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) umgesetzt (vgl dazu bereits BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 10). Das BVerfG hatte in dieser Entscheidung die damaligen beitragsrechtlichen Vorschriften der § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 S 1 und Abs 2 sowie § 57 SGB XI für unvereinbar mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG erklärt, soweit Mitglieder der sPV mit Kindern mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag belastet wurden wie Mitglieder ohne Kinder. Es hat ausgeführt, dass Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG dadurch verletzt ist, dass die Betreuung und Erziehung von Kindern als konstitutive Leistung für das Pflegeversicherungssystem bei der Bemessung von Beiträgen beitragspflichtiger Versicherter keine Berücksichtigung findet. Dadurch wird - so das BVerfG - die Gruppe der Versicherten mit Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sPV, die aus dieser Betreuungs- und Erziehungsleistung im Fall ihrer Pflegebedürftigkeit Nutzen ziehen, in verfassungswidriger Weise benachteiligt. Wird dieser "generative Beitrag" nicht mehr in der Regel von allen Versicherten erbracht, führt dies zu einer spezifischen Belastung kindererziehender Versicherter im Pflegeversicherungssystem, deren benachteiligende Wirkung auch innerhalb dieses Systems auszugleichen ist.

80

Das BVerfG hat damit verbindlich entschieden, dass der Nachteil kindererziehender Versicherter bzw der Vorteil kinderloser Versicherter in der sPV systemspezifisch beitragsrechtlich zu kompensieren ist. Für die vom BVerfG geforderte beitragsrechtliche Kompensation des Nachteils kindererziehender Versicherter in der sPV hat der Gesetzgeber allerdings nicht die (eigenen) Beiträge der Versicherten mit Kindern - etwa (allein) anknüpfend an den Tatbestand ihrer Elternschaft oder sogar in Abhängigkeit von der Kinderzahl - reduziert, sondern die Beiträge für Kinderlose um 0,25 Beitragssatzpunkte erhöht.

81

b) Die Kläger können nicht unter Hinweis auf das sPV-Urteil, dh Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabes durch das BVerfG, beanspruchen, wegen des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder beitragsrechtlich weitergehend - als mit dem KiBG bereits geschehen - entlastet zu werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers durch das sPV-Urteil in der von ihnen behaupteten Weise eingeschränkt war (dazu aa). Bei der Ausfüllung des ihm insoweit zustehenden Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber die ihm eingeräumte Befugnis zur Generalisierung und Typisierung bei der Ordnung von Massenerscheinungen nicht überschritten (dazu bb).

82

aa) Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung stellt das BVerfG in seinem sPV-Urteil nicht auf die "Zahl der generativen Beiträge" ab und hat der Gesetzgeber des KiBG dieses Urteil auch nicht missachtet, weil § 55 Abs 3 SGB XI "lediglich einen Beitragszuschlag für Kinderlose anordnet, aber keine Differenzierung nach der Kinderzahl enthält". Der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers war durch das sPV-Urteil nicht in der von den Klägern behaupteten Weise verengt.

83

Wie der Senat bereits entschieden hat (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 15, 17) hat die Entscheidung des Gesetzgebers, Kinderlose mit einem erhöhten Beitrag zu belasten, Versicherte mit Kindern aber ohne Unterscheidung nach der Kinderzahl, (allein) in Anknüpfung an ihre Elterneigenschaft weiter Pflegeversicherungsbeiträge nach dem bisherigen Beitragssatz zahlen zu lassen, die vom BVerfG geforderte relative Beitragsentlastung bewirkt. Es ist nicht erkennbar, dass danach verfassungsrechtlich zusätzlich eine Reduzierung der (eigenen) Pflegeversicherungsbeiträge von Eltern ggf in Abhängigkeit von der Zahl der Kinder - etwa (auch) durch den Abzug von Absetzungsbeträgen je Kind von der Bemessungsgrundlage - geboten gewesen wäre. An dieser Bewertung des sPV-Urteils hält der Senat fest. Die von den Klägern geforderte Regelung würde demgegenüber zu Beitragsausfällen führen, die mit Beitragssatzerhöhungen für andere Pflegeversicherte kompensiert werden müssten; bei angestrebter Beibehaltung des Beitragsaufkommens hätte das zur Folge, dass Kinderlose (noch) höhere Pflegeversicherungsbeiträge zahlen müssten (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 15).

84

Zwar formuliert das BVerfG im sPV-Urteil, dass den Versicherten ohne Kinder im Versicherungsfall ein Vorteil aus der Erziehungsleistung anderer beitragspflichtiger Versicherter erwächst, die wegen der Erziehung zu ihrem Nachteil auf Konsum und Vermögensbildung verzichten (BVerfGE 103, 242, 264 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17 mwN). An anderer Stelle wird ausgeführt, dass der danach zwischen Eltern und kinderlosen Personen vorzunehmende Ausgleich jedenfalls durch Regelungen erfolgen muss, die die Elterngeneration während der Zeit der Betreuung und Erziehung entlasten; denn die Beiträge, die von der heutigen Kindergeneration später im Erwachsenenalter auch zugunsten pflegebedürftiger kinderloser Versicherter geleistet werden, basieren maßgeblich auf den Erziehungsleistungen ihrer heute versicherungspflichtigen Eltern. Die hiermit verbundene Belastung der Eltern tritt in deren Erwerbsphase auf und ist deshalb auch in diesem Zeitraum auszugleichen (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22 mwN).

85

Vor diesem Hintergrund ist den Klägern zwar einzuräumen, dass die Erziehung von mehreren Kindern auch zu entsprechend größeren Erziehungslasten führt und "Konsumverzicht und Vermögensbildung nicht nur abhängig vom Einkommen, sondern insbesondere auch von der Kinderzahl größer oder kleiner ausfallen" (so auch die Ausführungen des Bundesrates in seiner Unterrichtung des Bundestages über die Anrufung des Vermittlungsausschusses zum KiBG: BT-Drucks 15/4176 unter a; ebenso Bauer/Krämer, NJW 2005, 180, 181 f). Das BVerfG zieht jedoch in seinen Ausführungen gerade nicht den Schluss, dass ein Nachteilsausgleich nur durch eine Beitragsentlastung der Eltern - ggf gestaffelt nach der Kinderzahl - erfolgen könne. Vielmehr verweist es darauf, dass dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten offenstehen, die Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Das GG verpflichtet den Gesetzgeber - so das BVerfG - lediglich dazu, beitragspflichtige Versicherte mit einem oder mehreren Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sPV bei der Bemessung der Beiträge relativ zu entlasten. Insoweit ist er von Verfassungs wegen verpflichtet, eine Lösung zu wählen, die Unterhaltsverpflichtete bereits ab dem ersten Kind relativ entlastet. Das ist zwar nicht in der Weise geschehen, dass eine individuelle, die jeweilige konkrete Familiensituation erfassende Beitragsvergünstigung für versicherte Eltern gewährt wird, sondern indem kinderlosen Versicherten generalisierend eine zusätzliche Belastung in Form eines höheren Beitragssatzes allgemein auferlegt wird.

86

bb) War der Gesetzgeber danach in den geschilderten Grenzen frei zu entscheiden, wie er Versicherte mit einem Kind oder mehreren Kindern im Hinblick auf ihren Betreuungs- und Erziehungsaufwand gegenüber kinderlosen Mitgliedern bei der Bemessung der Pflegeversicherungsbeiträge relativ entlastete, so hat er hier bei der Ausgestaltung eines den verfassungsgerichtlichen Vorgaben entsprechenden Beitragsrechts der sPV durch das KiBG die ihm von Verfassungs wegen im Sozialrecht gezogenen Grenzen für generalisierende bzw typisierende Regelungen eingehalten (vgl allgemein zu der hier bestehenden Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers BVerfG SozR 4-3300 § 55 Nr 3 RdNr 9-11).

87

Jede Norm muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie bei der Beitragsbemessung in der sPV (vgl - zur Beitragsbemessung bei freiwillig Versicherten der GKV - BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 15/13 R - Juris RdNr 39, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 240 Nr 25 vorgesehen) sind generalisierende, typisierende und pauschalierende Regeln allgemein als notwendig anerkannt und vom BVerfG im Grundsatz ständig als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden (vgl BVerfGE 17, 1, 23; aus der letzten Zeit BVerfGE 113, 167, 236; stRspr); der Gesetzgeber ist dabei gezwungen, aber auch berechtigt, sich am Regelfall zu orientieren. Unbedenklich ist eine Typisierung aber nur, soweit eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen benachteiligt wird und der Grundrechtsverstoß nicht sehr intensiv ist (vgl BVerfGE 26, 265, 275 f; aus jüngerer Zeit BVerfGE 133, 377, 413); wesentlich für die Zulässigkeit einer typisierenden Regelung ist hierbei auch, ob eine durch sie entstehende Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wäre (vgl BVerfGE 63, 119, 128; BVerfGE 133, 377, 413).

88

Hieran gemessen ist die Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Bemessung der Beiträge zur sPV von Mitgliedern mit Kindern nicht nach der Kinderzahl zu differenzieren, nicht zu beanstanden. Das Gesetz behandelt die von den Klägern repräsentierte Personengruppe - Eltern mit drei Kindern - und Eltern mit (nur) einem Kind oder zwei Kindern zwar gleich, weil alle Eltern weiter Pflegeversicherungsbeiträge nach dem bisherigen Beitragssatz bzw ohne Absetzungen für Kinder von der Bemessungsgrundlage zahlen. Die hierdurch entstehenden Härten und Ungerechtigkeiten sind jedoch hinzunehmen.

89

Der Senat hat bereits entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Beitragsrechts in der sPV durch das KiBG vom Regelfall ausgegangen ist und so die vom BVerfG geforderte relative Entlastung gegenüber Kinderlosen an das (bloße) Vorhandensein bereits eines Kindes knüpfen sowie ab dessen Geburt eine dauerhafte Beitragsentlastung vorsehen durfte (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 17). So lebten im Jahr 2006 in 16 % aller Privathaushalte ein Kind, in 11,4 % aller Privathaushalte zwei Kinder, in 2,9 % der Privathaushalte - wie die Kläger einen führen - drei Kinder, in 0,6 % vier Kinder und in 0,2 % fünf Kinder und mehr (Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit - Haushalte und Familien - Ergebnisse des Mikrozensus 2006, 2008). Die Situation stellte sich im Jahr 2012 ähnlich dar: In 15,1 % aller Privathaushalte lebte ein Kind, in 10,6 % aller Privathaushalte lebten zwei Kinder, in 2,6 % drei Kinder, in 0,5 % vier Kinder und in 0,2 % fünf Kinder und mehr (Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit - Haushalte und Familien - Ergebnisse des Mikrozensus 2012, 2013, S 27). Die geforderte Berücksichtigung des "generativen Beitrags" reicht vor diesem Hintergrund aus, um typisierend an die Stellung als Eltern als solche, dh die Elterneigenschaft, anzuknüpfen, ohne dass etwa nach tatsächlichem Umfang oder tatsächlicher Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung differenziert werden müsste; die Entlastung kann bei der Beitragsbemessung durch die Berücksichtigung allein der Tatsache geschehen, dass bei einem Versicherten betreuungs- bzw erziehungsbedürftige Kinder vorhanden sind. Auch das hat der Senat in der genannten Entscheidung bereits ausgeführt (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 17). Nichts anderes kann für einen tatsächlich erhöhten Umfang bzw eine tatsächlich längere Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung infolge einer größeren Kinderzahl gelten. Soweit gesetzliche Verallgemeinerungen auf einer möglichst weiten, alle betroffenen Personengruppen einschließenden Beobachtung aufbauen, ist der Gesetzgeber nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (BVerfGE 96, 1, 6 mwN; zuletzt BVerfGE 133, 377, 412 mwN).

90

8. Die Klage ist schließlich auch hinsichtlich des Hilfsantrages der Kläger unbegründet, das angefochtene Urteil des LSG mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

91

Eine solche Verfahrensweise kommt nach § 170 Abs 2 S 1 und 2 SGG nur in Betracht, wenn die Revision zwar begründet, eine Entscheidung des BSG in der Sache aber - etwa weil zur Gewährleistung eines verfahrensfehlerfreien sozialgerichtlichen Prozesses in tatsächlicher Hinsicht noch Feststellungen zu treffen sind(vgl zB Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 170 RdNr 7 ff mwN)- "untunlich" ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

92

Ein Verfahrensmangel - hier ein von den Klägern geltend gemachter Verstoß des LSG gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) -, der ggf zur Aufhebung des Urteils des LSG führen müsste, ist nicht gegeben, weil sich das LSG als Tatsachengericht ausgehend von seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung nicht gedrängt fühlen musste, weitere Ermittlungen anzustellen (zu den Voraussetzungen: zB BSGE 40, 49, 50 = SozR 3100 § 30 Nr 7 S 33 f).

93

Das BVerfG hat in seinem sPV-Urteil (BVerfGE 103, 242, 259 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13)entschieden, dass die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen unter dem Vorbehalt des Möglichen und im Kontext anderweitiger Fördernotwendigkeiten steht. Der Gesetzgeber hat danach unter Ausübung des ihm insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums im Interesse des Gemeinwohls - wie bereits oben wiederholt ausgeführt - neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nur unter Abwägung aller Belange lässt sich ermitteln, ob die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genügt. Konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme und somit auch für die Sozialversicherungszweige lassen sich hieraus - so das BVerfG im sPV-Urteil (BVerfGE 103, 242, 259 f = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13 f)- gerade nicht ableiten.

94

Dies bedeutet indessen, dass eine Prüfung nach verfassungsrechtlichen Maßstäben "nur" eine Gesamtabwägung aller Gemeinschaftsbelange erfordert. Demzufolge kommt es in diesem Zusammenhang gerade nicht entscheidend auf einen konkret bezifferten "externen Effekt" eines Kindes an - also darauf, in welchem Maße die Beiträge, die ein Kind im Verlaufe seines Lebens im jeweiligen Sozialversicherungszweig entrichtet, die von ihm in Anspruch genommenen Leistungen übersteigt (so aber am Beispiel der GRV Werding, aaO; allgemein: Adrian, Die ökonomischen Ursachen der niedrigen Fertilität in Deutschland, Beitrag für DGD-Jahrestagung 2012, vom 14. bis 16. März 2012 in Berlin) - oder ob möglicherweise mehr durch Familien an Beiträgen unter Berücksichtigung der Kosten in die Sozialversicherungszweige eingezahlt wird, als an Leistungen in Anspruch genommen werden (dazu zur GKV: Niehaus, aaO; zur GRV: Loos, Kurzgutachten zum Thema "Transferausbeutung der Familien durch die Gesetzlichen Sozialversicherungen - am Beispiel der Gesetzlichen Rentenversicherung", Bl 254 ff der LSG-Akte) an. Zu entsprechenden weitergehenden Ermittlungen war das LSG daher nicht verpflichtet.

95

9. Auch der Senat war - vor dem Hintergrund der vorstehend unter 8. gemachten Ausführungen - nicht gehalten, in eigene Ermittlungen einzutreten bzw insoweit auf die von den Klägern für entscheidungserheblich angesehenen und als allgemeine Tatsachen bewerteten Umstände einzugehen bzw diesen weiter nachzugehen. Es fehlt insoweit aus den oben wiederholt dargelegten rechtlichen Erwägungen an der Entscheidungserheblichkeit für den Ausgang des Rechtsstreits.

96

10. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dabei hat der Senat nach billigem Ermessen davon abgesehen, den Klägern trotz ihres Obsiegens mit ihrer Anfechtungsklage gegen die Beklagte einen Anspruch auf teilweise Kostenerstattung einzuräumen. Denn die erfolgte Aufhebung der Bescheide beruht auf rechtlichen Erwägungen, auf die sich die Kläger im Rechtsstreit nicht einmal gestützt haben. Entscheidend und offenkundig prägend für den Ausgang des Revisionsverfahrens ist es vielmehr, dass die Kläger mit ihrem Begehren in der Sache in allen Punkten nicht durchgedrungen sind.

(1) Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen.

(2) Das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen wird in Entgeltpunkte umgerechnet. Die Versicherung eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens in Höhe des Durchschnittsentgelts eines Kalenderjahres (Anlage 1) ergibt einen vollen Entgeltpunkt.

(3) Für beitragsfreie Zeiten werden Entgeltpunkte angerechnet, deren Höhe von der Höhe der in der übrigen Zeit versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen abhängig ist.

(4) Das Sicherungsziel der jeweiligen Rentenart im Verhältnis zu einer Altersrente wird durch den Rentenartfaktor bestimmt.

(5) Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer werden durch einen Zugangsfaktor vermieden.

(6) Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert vervielfältigt werden.

(7) Der aktuelle Rentenwert wird entsprechend der Entwicklung des Durchschnittsentgelts unter Berücksichtigung der Veränderung des Beitragssatzes zur allgemeinen Rentenversicherung jährlich angepasst.

Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, wenn

1.
die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte,
2.
der Rentenartfaktor und
3.
der aktuelle Rentenwert
mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.

(1) Kindererziehungszeiten sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für einen Elternteil (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 Erstes Buch) wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn

1.
die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2.
die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3.
der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.

(2) Eine Erziehungszeit ist dem Elternteil zuzuordnen, der sein Kind erzogen hat. Haben mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen, wird die Erziehungszeit einem Elternteil zugeordnet. Haben die Eltern ihr Kind gemeinsam erzogen, können sie durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist. Die Zuordnung kann auf einen Teil der Erziehungszeit beschränkt werden. Die übereinstimmende Erklärung der Eltern ist mit Wirkung für künftige Kalendermonate abzugeben. Die Zuordnung kann rückwirkend für bis zu zwei Kalendermonate vor Abgabe der Erklärung erfolgen, es sei denn, für einen Elternteil ist unter Berücksichtigung dieser Zeiten eine Leistung bindend festgestellt, ein Versorgungsausgleich oder ein Rentensplitting durchgeführt. Für die Abgabe der Erklärung gilt § 16 des Ersten Buches über die Antragstellung entsprechend. Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, wird die Erziehungszeit dem Elternteil zugeordnet, der das Kind überwiegend erzogen hat. Liegt eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vor, erfolgt die Zuordnung zur Mutter, bei gleichgeschlechtlichen Elternteilen zum Elternteil nach den §§ 1591 oder 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, oder wenn es einen solchen nicht gibt, zu demjenigen Elternteil, der seine Elternstellung zuerst erlangt hat. Ist eine Zuordnung nach den Sätzen 8 und 9 nicht möglich, werden die Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt, wobei der erste Kalendermonat dem älteren Elternteil zuzuordnen ist.

(3) Eine Erziehung ist im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland steht gleich, wenn der erziehende Elternteil sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat. Dies gilt bei einem gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten oder Lebenspartnern im Ausland auch, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner des erziehenden Elternteils solche Pflichtbeitragszeiten hat oder nur deshalb nicht hat, weil er zu den in § 5 Abs. 1 und 4 genannten Personen gehörte oder von der Versicherungspflicht befreit war.

(4) Elternteile sind von der Anrechnung ausgeschlossen, wenn sie

1.
während der Erziehungszeit oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt haben, die aufgrund
a)
einer zeitlich begrenzten Entsendung in dieses Gebiet (§ 5 Viertes Buch) oder
b)
einer Regelung des zwischen- oder überstaatlichen Rechts oder einer für Bedienstete internationaler Organisationen getroffenen Regelung (§ 6 Viertes Buch)
den Vorschriften über die Versicherungspflicht nicht unterliegt,
2.
während der Erziehungszeit zu den in § 5 Absatz 4 genannten Personen gehören oder
3.
während der Erziehungszeit Anwartschaften auf Versorgung im Alter aufgrund der Erziehung erworben haben, wenn diese nach den für sie geltenden besonderen Versorgungsregelungen systembezogen annähernd gleichwertig berücksichtigt wird wie die Kindererziehung nach diesem Buch; als in diesem Sinne systembezogen annähernd gleichwertig gilt eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen.

(5) Die Kindererziehungszeit beginnt nach Ablauf des Monats der Geburt und endet nach 36 Kalendermonaten. Wird während dieses Zeitraums vom erziehenden Elternteil ein weiteres Kind erzogen, für das ihm eine Kindererziehungszeit anzurechnen ist, wird die Kindererziehungszeit für dieses und jedes weitere Kind um die Anzahl an Kalendermonaten der gleichzeitigen Erziehung verlängert.

(1) Die Kindererziehungszeit für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind endet 30 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt.

(2) Bei der Anrechnung einer Kindererziehungszeit steht der Erziehung im Inland die Erziehung im jeweiligen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze gleich. Dies gilt nicht, wenn Beitragszeiten während desselben Zeitraums aufgrund einer Versicherungslastregelung mit einem anderen Staat nicht in die Versicherungslast der Bundesrepublik Deutschland fallen würden.

(3) (weggefallen)

(4) Ein Elternteil ist von der Anrechnung einer Kindererziehungszeit ausgeschlossen, wenn er vor dem 1. Januar 1921 geboren ist.

(5) Für die Feststellung der Tatsachen, die für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten vor dem 1. Januar 1986 erheblich sind, genügt es, wenn sie glaubhaft gemacht sind.

(6) Ist die Mutter vor dem 1. Januar 1986 gestorben, wird die Kindererziehungszeit insgesamt dem Vater zugeordnet.

(7) Bei Folgerenten, die die Voraussetzungen nach § 88 Absatz 1 oder 2 erfüllen und für die ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307d Absatz 1 Satz 1 zu berücksichtigen ist, endet die Kindererziehungszeit für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt. Die Kindererziehungszeit endet 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt, wenn ausschließlich ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307d Absatz 1 Satz 3 oder ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307d Absatz 1a zu berücksichtigen ist. Eine Kindererziehungszeit wird für den maßgeblichen Zeitraum, für den ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307d Absatz 5 berücksichtigt wurde, nicht angerechnet.

(8) Die Anrechnung einer Kindererziehungszeit nach Absatz 1 ist ausgeschlossen

1.
ab dem 13. bis zum 24. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt, wenn für die versicherte Person für dasselbe Kind ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307d Absatz 1 Satz 1 zu berücksichtigen ist,
2.
ab dem 25. bis zum 30. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt, wenn für die versicherte Person für dasselbe Kind ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307d Absatz 1 Satz 3 oder nach § 307d Absatz 1a zu berücksichtigen ist.
Satz 1 gilt entsprechend, wenn für andere Versicherte oder Hinterbliebene für dasselbe Kind ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für den maßgeblichen Zeitraum zu berücksichtigen ist oder zu berücksichtigen war.

(1) Elternteile, die am 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatten, sind von der Anrechnung einer Kindererziehungszeit ausgeschlossen, wenn sie vor dem 1. Januar 1927 geboren sind.

(2) Ist ein Elternteil bis zum 31. Dezember 1996 gestorben, wird die Kindererziehungszeit im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992 insgesamt der Mutter zugeordnet, es sei denn, es wurde eine wirksame Erklärung zugunsten des Vaters abgegeben.

(1) Für Beitragszeiten werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für dasselbe Kalenderjahr geteilt wird. Für das Kalenderjahr des Rentenbeginns und für das davor liegende Kalenderjahr wird als Durchschnittsentgelt der Betrag zugrunde gelegt, der für diese Kalenderjahre vorläufig bestimmt ist.

(1a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 werden Entgeltpunkte für Beitragszeiten aus einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 aus dem Arbeitsentgelt ermittelt.

(2) Kindererziehungszeiten erhalten für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte (Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten). Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten sind auch Entgeltpunkte, die für Kindererziehungszeiten mit sonstigen Beitragszeiten ermittelt werden, indem die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b.

(3) Aus der Zahlung von Beiträgen für Arbeitsentgelt aus nach § 23b Abs. 2 Satz 1 bis 4 des Vierten Buches aufgelösten Wertguthaben werden zusätzliche Entgeltpunkte ermittelt, indem dieses Arbeitsentgelt durch das vorläufige Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für das Kalenderjahr geteilt wird, dem das Arbeitsentgelt zugeordnet ist. Die so ermittelten Entgeltpunkte gelten als Entgeltpunkte für Zeiten mit vollwertigen Pflichtbeiträgen nach dem 31. Dezember 1991.

(3a) Sind mindestens 25 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten vorhanden, werden für nach dem Jahr 1991 liegende Kalendermonate mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder mit Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Entgeltpunkte zusätzlich ermittelt oder gutgeschrieben. Diese betragen für jeden Kalendermonat

a)
mit Pflichtbeiträgen die Hälfte der hierfür ermittelten Entgeltpunkte, höchstens 0,0278 an zusätzlichen Entgeltpunkten,
b)
in dem für den Versicherten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für ein Kind mit entsprechenden Zeiten für ein anderes Kind zusammentreffen, 0,0278 an gutgeschriebenen Entgeltpunkten, abzüglich des Wertes der zusätzlichen Entgeltpunkte nach Buchstabe a.
Die Summe der zusätzlich ermittelten und gutgeschriebenen Entgeltpunkte ist zusammen mit den für Beitragszeiten und Kindererziehungszeiten ermittelten Entgeltpunkten auf einen Wert von höchstens 0,0833 Entgeltpunkte begrenzt.

(4) Ist für eine Rente wegen Alters die voraussichtliche beitragspflichtige Einnahme für den verbleibenden Zeitraum bis zum Beginn der Rente wegen Alters vom Rentenversicherungsträger errechnet worden (§ 194 Absatz 1 Satz 6, Abs. 2 Satz 2), sind für diese Rente Entgeltpunkte daraus wie aus der Beitragsbemessungsgrundlage zu ermitteln. Weicht die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme von der durch den Rentenversicherungsträger errechneten voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme ab, bleibt sie für diese Rente außer Betracht. Bei einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 treten an die Stelle der voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 1 das voraussichtliche Arbeitsentgelt und an die Stelle der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 2 das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt.

(5) Für Zeiten, für die Beiträge aufgrund der Vorschriften des Vierten Kapitels über die Nachzahlung gezahlt worden sind, werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt des Jahres geteilt wird, in dem die Beiträge gezahlt worden sind.

(1) Anrechnungszeiten sind Zeiten, in denen Versicherte

1.
wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sind oder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten haben,
1a.
nach dem vollendeten 17. und vor dem vollendeten 25. Lebensjahr mindestens einen Kalendermonat krank gewesen sind, soweit die Zeiten nicht mit anderen rentenrechtlichen Zeiten belegt sind,
2.
wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft während der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht ausgeübt haben,
3.
wegen Arbeitslosigkeit bei einer deutschen Agentur für Arbeit oder einem zugelassenen kommunalen Träger nach § 6a des Zweiten Buches als Arbeitsuchende gemeldet waren und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen haben,
3a.
nach dem vollendeten 17. Lebensjahr mindestens einen Kalendermonat bei einer deutschen Agentur für Arbeit oder einem zugelassenen kommunalen Träger nach § 6a des Zweiten Buches als Ausbildungsuchende gemeldet waren, soweit die Zeiten nicht mit anderen rentenrechtlichen Zeiten belegt sind,
4.
nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme im Sinne des Rechts der Arbeitsförderung teilgenommen haben (Zeiten einer schulischen Ausbildung), insgesamt jedoch höchstens bis zu acht Jahren, oder
5.
eine Rente bezogen haben, soweit diese Zeiten auch als Zurechnungszeit in der Rente berücksichtigt waren, und die vor dem Beginn dieser Rente liegende Zurechnungszeit,
6.
Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches bezogen haben; dies gilt nicht für Empfänger der Leistung,
a)
die Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches nur darlehensweise oder
b)
nur Leistungen nach § 24 Absatz 3 Satz 1 des Zweiten Buches bezogen haben.
Zeiten, in denen Versicherte nach Vollendung des 25. Lebensjahres wegen des Bezugs von Sozialleistungen versicherungspflichtig waren, sind nicht Anrechnungszeiten nach Satz 1 Nummer 1 und 3. Nach Vollendung des 25. Lebensjahres schließen Anrechnungszeiten wegen des Bezugs von Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit aus.

(2) Anrechnungszeiten nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 bis 3a liegen nur vor, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit oder ein versicherter Wehrdienst oder Zivildienst oder ein versichertes Wehrdienstverhältnis besonderer Art nach § 6 des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes unterbrochen ist; dies gilt nicht für Zeiten nach Vollendung des 17. und vor Vollendung des 25. Lebensjahres. Eine selbständige Tätigkeit ist nur dann unterbrochen, wenn sie ohne die Mitarbeit des Versicherten nicht weiter ausgeübt werden kann.

(3) Anrechnungszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit oder der Ausführung der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben liegen bei Versicherten, die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 versicherungspflichtig werden konnten, erst nach Ablauf der auf Antrag begründeten Versicherungspflicht vor.

(4) Anrechnungszeiten liegen bei Beziehern von Arbeitslosengeld oder Übergangsgeld nicht vor, wenn die Bundesagentur für Arbeit für sie Beiträge an eine Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung, an ein Versicherungsunternehmen oder an sie selbst gezahlt haben.

(4a) Zeiten der schulischen Ausbildung neben einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit sind nur Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung, wenn der Zeitaufwand für die schulische Ausbildung unter Berücksichtigung des Zeitaufwands für die Beschäftigung oder Tätigkeit überwiegt.

(5) Anrechnungszeiten sind nicht für die Zeit der Leistung einer Rente wegen Alters zu berücksichtigen.

(1) Beitragsfreie Zeiten erhalten den Durchschnittswert an Entgeltpunkten, der sich aus der Gesamtleistung an Beiträgen im belegungsfähigen Zeitraum ergibt. Dabei erhalten sie den höheren Durchschnittswert aus der Grundbewertung aus allen Beiträgen oder der Vergleichsbewertung aus ausschließlich vollwertigen Beiträgen.

(2) Für beitragsgeminderte Zeiten ist die Summe der Entgeltpunkte um einen Zuschlag so zu erhöhen, dass mindestens der Wert erreicht wird, den diese Zeiten jeweils als beitragsfreie Anrechnungszeiten wegen Krankheit und Arbeitslosigkeit, wegen einer schulischen Ausbildung und als Zeiten wegen einer beruflichen Ausbildung oder als sonstige beitragsfreie Zeiten hätten. Diese zusätzlichen Entgeltpunkte werden den jeweiligen Kalendermonaten mit beitragsgeminderten Zeiten zu gleichen Teilen zugeordnet.

(3) Für die Gesamtleistungsbewertung werden jedem Kalendermonat

1.
an Berücksichtigungszeit die Entgeltpunkte zugeordnet, die sich ergeben würden, wenn diese Kalendermonate Kindererziehungszeiten wären,
2.
mit Zeiten einer beruflichen Ausbildung mindestens 0,0833 Entgeltpunkte zugrunde gelegt und diese Kalendermonate insoweit nicht als beitragsgeminderte Zeiten berücksichtigt.
Bei der Anwendung von Satz 1 Nr. 2 gelten die ersten 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für Zeiten einer versicherten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres stets als Zeiten einer beruflichen Ausbildung. Eine Zuordnung an Entgeltpunkten für Kalendermonate mit Berücksichtigungszeiten unterbleibt in dem Umfang, in dem bereits nach § 70 Abs. 3a Entgeltpunkte zusätzlich ermittelt oder gutgeschrieben worden sind. Satz 1 Nr. 2 gilt nicht für Kalendermonate mit Zeiten der beruflichen Ausbildung, für die bereits Entgeltpunkte nach Satz 1 Nr. 1 zugeordnet werden.

(4) Soweit beitragsfreie Zeiten mit Zeiten zusammentreffen, die bei einer Versorgung aus einem

1.
öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder
2.
Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen
ruhegehaltfähig sind oder bei Eintritt des Versorgungsfalls als ruhegehaltfähig anerkannt werden, bleiben sie bei der Gesamtleistungsbewertung unberücksichtigt.

(1) Kindererziehungszeiten sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für einen Elternteil (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 Erstes Buch) wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn

1.
die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2.
die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3.
der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.

(2) Eine Erziehungszeit ist dem Elternteil zuzuordnen, der sein Kind erzogen hat. Haben mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen, wird die Erziehungszeit einem Elternteil zugeordnet. Haben die Eltern ihr Kind gemeinsam erzogen, können sie durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist. Die Zuordnung kann auf einen Teil der Erziehungszeit beschränkt werden. Die übereinstimmende Erklärung der Eltern ist mit Wirkung für künftige Kalendermonate abzugeben. Die Zuordnung kann rückwirkend für bis zu zwei Kalendermonate vor Abgabe der Erklärung erfolgen, es sei denn, für einen Elternteil ist unter Berücksichtigung dieser Zeiten eine Leistung bindend festgestellt, ein Versorgungsausgleich oder ein Rentensplitting durchgeführt. Für die Abgabe der Erklärung gilt § 16 des Ersten Buches über die Antragstellung entsprechend. Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, wird die Erziehungszeit dem Elternteil zugeordnet, der das Kind überwiegend erzogen hat. Liegt eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vor, erfolgt die Zuordnung zur Mutter, bei gleichgeschlechtlichen Elternteilen zum Elternteil nach den §§ 1591 oder 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, oder wenn es einen solchen nicht gibt, zu demjenigen Elternteil, der seine Elternstellung zuerst erlangt hat. Ist eine Zuordnung nach den Sätzen 8 und 9 nicht möglich, werden die Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt, wobei der erste Kalendermonat dem älteren Elternteil zuzuordnen ist.

(3) Eine Erziehung ist im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland steht gleich, wenn der erziehende Elternteil sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat. Dies gilt bei einem gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten oder Lebenspartnern im Ausland auch, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner des erziehenden Elternteils solche Pflichtbeitragszeiten hat oder nur deshalb nicht hat, weil er zu den in § 5 Abs. 1 und 4 genannten Personen gehörte oder von der Versicherungspflicht befreit war.

(4) Elternteile sind von der Anrechnung ausgeschlossen, wenn sie

1.
während der Erziehungszeit oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt haben, die aufgrund
a)
einer zeitlich begrenzten Entsendung in dieses Gebiet (§ 5 Viertes Buch) oder
b)
einer Regelung des zwischen- oder überstaatlichen Rechts oder einer für Bedienstete internationaler Organisationen getroffenen Regelung (§ 6 Viertes Buch)
den Vorschriften über die Versicherungspflicht nicht unterliegt,
2.
während der Erziehungszeit zu den in § 5 Absatz 4 genannten Personen gehören oder
3.
während der Erziehungszeit Anwartschaften auf Versorgung im Alter aufgrund der Erziehung erworben haben, wenn diese nach den für sie geltenden besonderen Versorgungsregelungen systembezogen annähernd gleichwertig berücksichtigt wird wie die Kindererziehung nach diesem Buch; als in diesem Sinne systembezogen annähernd gleichwertig gilt eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen.

(5) Die Kindererziehungszeit beginnt nach Ablauf des Monats der Geburt und endet nach 36 Kalendermonaten. Wird während dieses Zeitraums vom erziehenden Elternteil ein weiteres Kind erzogen, für das ihm eine Kindererziehungszeit anzurechnen ist, wird die Kindererziehungszeit für dieses und jedes weitere Kind um die Anzahl an Kalendermonaten der gleichzeitigen Erziehung verlängert.

(1) Für Beitragszeiten werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für dasselbe Kalenderjahr geteilt wird. Für das Kalenderjahr des Rentenbeginns und für das davor liegende Kalenderjahr wird als Durchschnittsentgelt der Betrag zugrunde gelegt, der für diese Kalenderjahre vorläufig bestimmt ist.

(1a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 werden Entgeltpunkte für Beitragszeiten aus einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 aus dem Arbeitsentgelt ermittelt.

(2) Kindererziehungszeiten erhalten für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte (Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten). Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten sind auch Entgeltpunkte, die für Kindererziehungszeiten mit sonstigen Beitragszeiten ermittelt werden, indem die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b.

(3) Aus der Zahlung von Beiträgen für Arbeitsentgelt aus nach § 23b Abs. 2 Satz 1 bis 4 des Vierten Buches aufgelösten Wertguthaben werden zusätzliche Entgeltpunkte ermittelt, indem dieses Arbeitsentgelt durch das vorläufige Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für das Kalenderjahr geteilt wird, dem das Arbeitsentgelt zugeordnet ist. Die so ermittelten Entgeltpunkte gelten als Entgeltpunkte für Zeiten mit vollwertigen Pflichtbeiträgen nach dem 31. Dezember 1991.

(3a) Sind mindestens 25 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten vorhanden, werden für nach dem Jahr 1991 liegende Kalendermonate mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder mit Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Entgeltpunkte zusätzlich ermittelt oder gutgeschrieben. Diese betragen für jeden Kalendermonat

a)
mit Pflichtbeiträgen die Hälfte der hierfür ermittelten Entgeltpunkte, höchstens 0,0278 an zusätzlichen Entgeltpunkten,
b)
in dem für den Versicherten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für ein Kind mit entsprechenden Zeiten für ein anderes Kind zusammentreffen, 0,0278 an gutgeschriebenen Entgeltpunkten, abzüglich des Wertes der zusätzlichen Entgeltpunkte nach Buchstabe a.
Die Summe der zusätzlich ermittelten und gutgeschriebenen Entgeltpunkte ist zusammen mit den für Beitragszeiten und Kindererziehungszeiten ermittelten Entgeltpunkten auf einen Wert von höchstens 0,0833 Entgeltpunkte begrenzt.

(4) Ist für eine Rente wegen Alters die voraussichtliche beitragspflichtige Einnahme für den verbleibenden Zeitraum bis zum Beginn der Rente wegen Alters vom Rentenversicherungsträger errechnet worden (§ 194 Absatz 1 Satz 6, Abs. 2 Satz 2), sind für diese Rente Entgeltpunkte daraus wie aus der Beitragsbemessungsgrundlage zu ermitteln. Weicht die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme von der durch den Rentenversicherungsträger errechneten voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme ab, bleibt sie für diese Rente außer Betracht. Bei einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 treten an die Stelle der voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 1 das voraussichtliche Arbeitsentgelt und an die Stelle der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 2 das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt.

(5) Für Zeiten, für die Beiträge aufgrund der Vorschriften des Vierten Kapitels über die Nachzahlung gezahlt worden sind, werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt des Jahres geteilt wird, in dem die Beiträge gezahlt worden sind.

Die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr ist bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen. Dies gilt für Zeiten einer mehr als geringfügig ausgeübten selbständigen Tätigkeit nur, soweit diese Zeiten auch Pflichtbeitragszeiten sind.

(1) Beitragsfreie Zeiten erhalten den Durchschnittswert an Entgeltpunkten, der sich aus der Gesamtleistung an Beiträgen im belegungsfähigen Zeitraum ergibt. Dabei erhalten sie den höheren Durchschnittswert aus der Grundbewertung aus allen Beiträgen oder der Vergleichsbewertung aus ausschließlich vollwertigen Beiträgen.

(2) Für beitragsgeminderte Zeiten ist die Summe der Entgeltpunkte um einen Zuschlag so zu erhöhen, dass mindestens der Wert erreicht wird, den diese Zeiten jeweils als beitragsfreie Anrechnungszeiten wegen Krankheit und Arbeitslosigkeit, wegen einer schulischen Ausbildung und als Zeiten wegen einer beruflichen Ausbildung oder als sonstige beitragsfreie Zeiten hätten. Diese zusätzlichen Entgeltpunkte werden den jeweiligen Kalendermonaten mit beitragsgeminderten Zeiten zu gleichen Teilen zugeordnet.

(3) Für die Gesamtleistungsbewertung werden jedem Kalendermonat

1.
an Berücksichtigungszeit die Entgeltpunkte zugeordnet, die sich ergeben würden, wenn diese Kalendermonate Kindererziehungszeiten wären,
2.
mit Zeiten einer beruflichen Ausbildung mindestens 0,0833 Entgeltpunkte zugrunde gelegt und diese Kalendermonate insoweit nicht als beitragsgeminderte Zeiten berücksichtigt.
Bei der Anwendung von Satz 1 Nr. 2 gelten die ersten 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für Zeiten einer versicherten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres stets als Zeiten einer beruflichen Ausbildung. Eine Zuordnung an Entgeltpunkten für Kalendermonate mit Berücksichtigungszeiten unterbleibt in dem Umfang, in dem bereits nach § 70 Abs. 3a Entgeltpunkte zusätzlich ermittelt oder gutgeschrieben worden sind. Satz 1 Nr. 2 gilt nicht für Kalendermonate mit Zeiten der beruflichen Ausbildung, für die bereits Entgeltpunkte nach Satz 1 Nr. 1 zugeordnet werden.

(4) Soweit beitragsfreie Zeiten mit Zeiten zusammentreffen, die bei einer Versorgung aus einem

1.
öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder
2.
Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen
ruhegehaltfähig sind oder bei Eintritt des Versorgungsfalls als ruhegehaltfähig anerkannt werden, bleiben sie bei der Gesamtleistungsbewertung unberücksichtigt.

(1) Anrechnungszeiten sind Zeiten, in denen Versicherte

1.
wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sind oder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten haben,
1a.
nach dem vollendeten 17. und vor dem vollendeten 25. Lebensjahr mindestens einen Kalendermonat krank gewesen sind, soweit die Zeiten nicht mit anderen rentenrechtlichen Zeiten belegt sind,
2.
wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft während der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht ausgeübt haben,
3.
wegen Arbeitslosigkeit bei einer deutschen Agentur für Arbeit oder einem zugelassenen kommunalen Träger nach § 6a des Zweiten Buches als Arbeitsuchende gemeldet waren und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen haben,
3a.
nach dem vollendeten 17. Lebensjahr mindestens einen Kalendermonat bei einer deutschen Agentur für Arbeit oder einem zugelassenen kommunalen Träger nach § 6a des Zweiten Buches als Ausbildungsuchende gemeldet waren, soweit die Zeiten nicht mit anderen rentenrechtlichen Zeiten belegt sind,
4.
nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme im Sinne des Rechts der Arbeitsförderung teilgenommen haben (Zeiten einer schulischen Ausbildung), insgesamt jedoch höchstens bis zu acht Jahren, oder
5.
eine Rente bezogen haben, soweit diese Zeiten auch als Zurechnungszeit in der Rente berücksichtigt waren, und die vor dem Beginn dieser Rente liegende Zurechnungszeit,
6.
Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches bezogen haben; dies gilt nicht für Empfänger der Leistung,
a)
die Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches nur darlehensweise oder
b)
nur Leistungen nach § 24 Absatz 3 Satz 1 des Zweiten Buches bezogen haben.
Zeiten, in denen Versicherte nach Vollendung des 25. Lebensjahres wegen des Bezugs von Sozialleistungen versicherungspflichtig waren, sind nicht Anrechnungszeiten nach Satz 1 Nummer 1 und 3. Nach Vollendung des 25. Lebensjahres schließen Anrechnungszeiten wegen des Bezugs von Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit aus.

(2) Anrechnungszeiten nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 bis 3a liegen nur vor, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit oder ein versicherter Wehrdienst oder Zivildienst oder ein versichertes Wehrdienstverhältnis besonderer Art nach § 6 des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes unterbrochen ist; dies gilt nicht für Zeiten nach Vollendung des 17. und vor Vollendung des 25. Lebensjahres. Eine selbständige Tätigkeit ist nur dann unterbrochen, wenn sie ohne die Mitarbeit des Versicherten nicht weiter ausgeübt werden kann.

(3) Anrechnungszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit oder der Ausführung der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben liegen bei Versicherten, die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 versicherungspflichtig werden konnten, erst nach Ablauf der auf Antrag begründeten Versicherungspflicht vor.

(4) Anrechnungszeiten liegen bei Beziehern von Arbeitslosengeld oder Übergangsgeld nicht vor, wenn die Bundesagentur für Arbeit für sie Beiträge an eine Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung, an ein Versicherungsunternehmen oder an sie selbst gezahlt haben.

(4a) Zeiten der schulischen Ausbildung neben einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit sind nur Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung, wenn der Zeitaufwand für die schulische Ausbildung unter Berücksichtigung des Zeitaufwands für die Beschäftigung oder Tätigkeit überwiegt.

(5) Anrechnungszeiten sind nicht für die Zeit der Leistung einer Rente wegen Alters zu berücksichtigen.

(1) Der Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten bei Witwenrenten und Witwerrenten richtet sich nach der Dauer der Erziehung von Kindern bis zur Vollendung ihres dritten Lebensjahres. Die Dauer ergibt sich aus der Summe der Anzahl an Kalendermonaten mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, die der Witwe oder dem Witwer zugeordnet worden sind, beginnend nach Ablauf des Monats der Geburt, bei Geburten am Ersten eines Monats jedoch vom Monat der Geburt an. Für die ersten 36 Kalendermonate sind jeweils 0,1010 Entgeltpunkte, für jeden weiteren Kalendermonat 0,0505 Entgeltpunkte zugrunde zu legen. Witwenrenten und Witwerrenten werden nicht um einen Zuschlag erhöht, solange der Rentenartfaktor mindestens 1,0 beträgt.

(1a) Absatz 1 gilt entsprechend, soweit Berücksichtigungszeiten nur deshalb nicht angerechnet werden, weil

1.
die Voraussetzungen des § 56 Absatz 4 vorliegen,
2.
die Voraussetzung nach § 56 Absatz 3 oder § 57 Satz 2 nicht erfüllt wird oder
3.
sie auf Grund einer Beitragserstattung nach § 210 untergegangen sind.

(2) Sterben Versicherte vor der Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes, wird mindestens der Zeitraum zugrunde gelegt, der zum Zeitpunkt des Todes an der Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes fehlt. Sterben Versicherte vor der Geburt des Kindes, werden 36 Kalendermonate zugrunde gelegt, wenn das Kind innerhalb von 300 Tagen nach dem Tod geboren wird. Wird das Kind nach Ablauf dieser Frist geboren, erfolgt der Zuschlag mit Beginn des Monats, der auf den letzten Monat der zu berücksichtigenden Kindererziehung folgt.

(3) Absatz 1 gilt nicht, wenn eine Leistung, die dem Zuschlag gleichwertig ist, nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder nach entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen erbracht wird.

(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.

(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie

1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

(1) Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente besteht ohne Beschränkung auf 24 Kalendermonate auch für geschiedene Ehegatten,

1.
deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden ist,
2.
die weder wieder geheiratet noch eine Lebenspartnerschaft begründet haben und
3.
die im letzten Jahr vor dem Tod des geschiedenen Ehegatten (Versicherter) Unterhalt von diesem erhalten haben oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf hatten,
wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und nach dem 30. April 1942 gestorben ist.

(2) Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht auch für geschiedene Ehegatten,

1.
deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden ist,
2.
die weder wieder geheiratet noch eine Lebenspartnerschaft begründet haben und
3.
die im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten haben oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf hatten und
4.
die entweder
a)
ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erziehen (§ 46 Abs. 2),
b)
das 45. Lebensjahr vollendet haben,
c)
erwerbsgemindert sind,
d)
vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig (§ 240 Abs. 2) sind oder
e)
am 31. Dezember 2000 bereits berufsunfähig oder erwerbsunfähig waren und dies ununterbrochen sind,
wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und nach dem 30. April 1942 gestorben ist.

(3) Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht auch ohne Vorliegen der in Absatz 2 Nr. 3 genannten Unterhaltsvoraussetzungen für geschiedene Ehegatten, die

1.
einen Unterhaltsanspruch nach Absatz 2 Nr. 3 wegen eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens aus eigener Beschäftigung oder selbständiger Tätigkeit oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatten und
2.
zum Zeitpunkt der Scheidung entweder
a)
ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erzogen haben (§ 46 Abs. 2) oder
b)
das 45. Lebensjahr vollendet hatten und
3.
entweder
a)
ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erziehen (§ 46 Abs. 2),
b)
erwerbsgemindert sind,
c)
vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig (§ 240 Abs. 2) sind,
d)
am 31. Dezember 2000 bereits berufsunfähig oder erwerbsunfähig waren und dies ununterbrochen sind oder
e)
das 60. Lebensjahr vollendet haben,
wenn auch vor Anwendung der Vorschriften über die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes weder ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente für eine Witwe oder einen Witwer noch für einen überlebenden Lebenspartner des Versicherten aus dessen Rentenanwartschaften besteht. Wenn der Versicherte nach dem 31. Dezember 2011 verstorben ist, wird die Altersgrenze von 60 Jahren wie folgt angehoben:

Todesjahr
des Versicherten
Anhebung
um Monate
auf Alter
JahrMonat
20121601
20132602
20143603
20154604
20165605
20176606
20187607
20198608
20209609
2021106010
2022116011
202312610
202414612
202516614
202618616
202720618
2028226110
ab 202924620.

(4) Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten besteht unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 3 auch für geschiedene Ehegatten, die wieder geheiratet haben, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist oder wenn eine Lebenspartnerschaft begründet und diese wieder aufgehoben oder aufgelöst ist.

(5) Geschiedenen Ehegatten stehen Ehegatten gleich, deren Ehe für nichtig erklärt oder aufgehoben ist.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Erziehungsrente, wenn

1.
ihre Ehe nach dem 30. Juni 1977 geschieden und ihr geschiedener Ehegatte gestorben ist,
2.
sie ein eigenes Kind oder ein Kind des geschiedenen Ehegatten erziehen (§ 46 Abs. 2),
3.
sie nicht wieder geheiratet haben und
4.
sie bis zum Tod des geschiedenen Ehegatten die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

(2) Geschiedenen Ehegatten stehen Ehegatten gleich, deren Ehe für nichtig erklärt oder aufgehoben ist.

(3) Anspruch auf Erziehungsrente besteht bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch für verwitwete Ehegatten, für die ein Rentensplitting durchgeführt wurde, wenn

1.
sie ein eigenes Kind oder ein Kind des verstorbenen Ehegatten erziehen (§ 46 Abs. 2),
2.
sie nicht wieder geheiratet haben und
3.
sie bis zum Tod des Ehegatten die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

(4) Für einen Anspruch auf Erziehungsrente gelten als Scheidung einer Ehe auch die Aufhebung einer Lebenspartnerschaft, als geschiedener Ehegatte auch der frühere Lebenspartner, als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als verwitweter Ehegatte auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch der Lebenspartner.

Bestimmt sich der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nach dem Recht, das im Beitrittsgebiet gegolten hat, ist § 243 nicht anzuwenden. In diesen Fällen besteht Anspruch auf Erziehungsrente bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen auch, wenn die Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden ist.

Tenor

Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Juni 2010 geändert.

Die Bescheide der Beklagten vom 3. Februar 2004 und der Widerspruchsbescheid vom 1. November 2006 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Hälfte der Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) bei Eltern im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder zu reduzieren sind.

2

Die Kläger sind verheiratete Eltern ihrer 1990, 1993 und 1996 geborenen Kinder. Die Klägerin ist bei der Beigeladenen zu 4. als Krankenschwester teilzeit-, der Kläger ist beim Beigeladenen zu 3. als Gemeindereferent beschäftigt. Sie sind bei der Beigeladenen zu 1. pflege- und bei der Beigeladenen zu 2. rentenversichert. Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse, der Kläger war dort bis Ende 2010 Mitglied, danach war er in der GKV versicherungsfrei.

3

Am 28.1.2004 beantragten die Kläger bei der Beklagten auf die Erhebung von Beiträgen zur GRV zu verzichten, hilfsweise einen Beitragsnachlass zur gewähren. Mit Bescheiden vom 3.2.2004 lehnte die Beklagte gegenüber den Klägern die Anträge ab. Hiergegen legten die Kläger am 25.2.2004 Widerspruch ein und verwiesen zur Begründung auf das Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - zur sPV (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2, im Folgenden: sPV-Urteil) und auf die Begründung in den Verfahren, die am 23.9.2003 vor dem BSG verhandelt wurden (B 12 RA 7/01 R ua). Gleichzeitig erklärten sie ihr Einverständnis mit einem Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BSG, worauf die Beklagte den Widerspruch zunächst nicht weiterbearbeitete. Am 25.7.2006 erhoben die Kläger beim SG Untätigkeitsklage. Hierauf wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006 Bezug nehmend auch auf einen Antrag der Kläger vom 17.12.2005 den Widerspruch gegen die Bescheide vom 3.2.2004 zurück.

4

Daraufhin nahmen die Kläger die Untätigkeitsklage zurück, erhoben jedoch gleichzeitig beim SG Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17.6.2010).

5

Im anschließenden Berufungsverfahren haben die Kläger begehrt, dass die Sozialversicherungsbeiträge nur nach der "Hälfte der bisherigen Bemessung" erhoben werden, hilfsweise, dass bei der Beitragsbemessung 833 Euro je Kind und Monat bzw (weiter) hilfsweise, dass ein Betrag in Höhe des steuerlichen Existenzminimums abgezogen wird. Das LSG hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen (Urteil vom 27.1.2012). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beitragsbemessung entspreche den gesetzlichen Regelungen. Diese verstießen nicht gegen Art 6 Abs 1 iVm Art 3 GG, weil der Gesetzgeber einen weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum habe. Als Konkretisierung und Ausformung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages nach Art 6 Abs 1 GG sei dabei auch der Familienlastenausgleich zu berücksichtigen, selbst wenn sich die additive Höhe der hierdurch bewirkten Entlastung von Familien nicht konkret beziffern lasse. Der Gesetzgeber habe das Verfassungsrecht bei der Ausgestaltung der Teilsysteme der Sozialversicherung beachtet, weil er den Familienlastenausgleich durch zahlreiche Vorschriften ausgebaut (zB Kindererziehungszeiten in der GRV; kostenfreie Familienversicherung in der GKV) und er die Entscheidung des BVerfG für die sPV mit dem Gesetz zur Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung (Kinder-Berücksichtigungsgesetz ) zudem beanstandungsfrei umgesetzt habe. Das BVerfG selbst habe die Erwägungen des sPV-Urteils in der Folgezeit nicht auf andere Sozialversicherungszweige übertragen, sondern sei - in einem Urteil zur Alterssicherung der Landwirte (BVerfGE 109, 96 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2) - davon sogar abgerückt. Auch das BSG habe aus dem sPV-Urteil keinen verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf für andere Sozialversicherungszweige hergeleitet. Einer Beweiserhebung habe es bei alledem weder unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs der Kläger noch unter demjenigen der Amtsermittlungspflicht bedurft, insbesondere nicht zu der von den Klägern postulierten Pflicht, durch Sachverständige einzelne "Transfersalden" für Kinder zu ermitteln. Da der Familienlastenausgleich durch zahlreiche Regelungen des Sozialrechts und des Steuerrechts bewirkt werde, komme es auf solche Ermittlungen wegen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht an. Der Familienlastenausgleich sei nicht isoliert auf das Sozialversicherungsrecht bezogen.

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger - mit umfänglichem Vorbringen - im Wesentlichen, das LSG habe verkannt, dass die einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen zur Beitragsbemessung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstießen, soweit versicherte Eltern mit gleich hohen Beiträgen wie kinderlose Versicherte belastet würden. Konkret rügen sie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in Bezug auf die GRV durch § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 der Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze in der GRV für das Jahr 2012(vom 19.12.2011, BGBl I 2795, Beitragssatzverordnung 2012 - BSV 2012), hinsichtlich der GKV durch § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V, und im Hinblick auf die sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI sowie durch § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1 SGB XI und § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V.

7

Das BVerfG habe sich in seinem sPV-Urteil von einem leistungsrechtlichen Ansatz distanziert. Es diskutiere dort die unzureichende Kompensation der Erziehungslasten nicht mehr unter dem Aspekt der allgemeinen leistungsrechtlichen Förderungspflicht des Staates (Art 6 Abs 1 GG), sondern als Gleichheits- und Teilhabeproblem (Art 3 Abs 1 GG) unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz werde zu einem Grundrecht auf "intragene-rationelle Gleichbehandlung" fortentwickelt. Die Systeme der GRV, GKV und sPV erfüllten die Voraussetzungen, die das BVerfG für eine zu beanstandende fehlende Differenzierung im Beitragsrecht zwischen Eltern und Kinderlosen aufgestellt habe (= Abdeckung eines in einem geschlossenen intergenerationellen System erfassten Risikos, das überproportional im Alter auftrete und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert werde; Absehbarkeit, dass ein signifikanter Teil der Versicherten kinderlos bleibe). Das sPV-Urteil sei auch auf die GRV und die GKV zu übertragen: GRV und GKV deckten als umlagefinanzierte Systeme ebenso wie die sPV ein Risiko ab, das überproportional im Alter auftrete. Die geforderte Mindestgeschlossenheit sei ebenso gegeben, wie die Absehbarkeit fehlender generativer Beiträge. In der GRV müsse die Umsetzung der Maßstäbe aus dem sPV-Urteil des BVerfG systemimmanent erfolgen. Die Rechtsprechung des BVerfG sei insoweit bindend (§ 31 BVerfGG). Die in der GRV anerkannten Kindererziehungszeiten seien für die Annahme eines Vorteilsausgleichs strukturell ungeeignet und stellten auch keinen echten Vorteilsausgleich dar, weil die Beiträge hierfür der Bund leiste (§ 177 Abs 1 SGB VI); dh alle Steuerpflichtigen und nicht nur Kinderlose. Gleichzeitig bestehe eine Benachteiligung der Eltern im Leistungsrecht. Diese erlitten durch die Unterbrechungen und Einschränkungen der Erwerbsbiografie (zB Teilzeitarbeit) vielfach Verluste an persönlichen Entgeltpunkten, die nicht durch Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI) kompensiert würden. Das Argument, die demografische Entwicklung sei ein gesamtgesellschaftliches Problem und müsse abgabenpolitisch steuerfinanziert auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gelöst werden, sei ohne verfassungsrechtliche Relevanz. Neben der GRV müsse aber auch in der GKV ein systeminterner Vorteilsausgleich gesucht werden. Die Möglichkeit der beitragsfreien Familienversicherung (§ 10 SGB V) reiche insoweit nicht aus. Das Beitragsrecht in der sPV sei auch nach den Änderungen durch das KiBG verfassungswidrig. Insbesondere fehle im geltenden Recht die - auf der Grundlage des sPV-Urteils gebotene - Berücksichtigung der Anzahl der Kinder bei der Beitragsbemessung. Die Kläger untermauern ihre Auffassung durch Gutachten der Bertelsmann-Stiftung (Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013; Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013).

8

Im Schriftsatz vom 20.7.2016 führen die Kläger ua ergänzend aus, die konkrete Beitragshöhe sei zwischen den Beteiligten bekannt und als gesetzeskonform völlig unstreitig; streitig sei nur die Frage, ob die Gesetzesgrundlage verfassungskonform sei. Für die vorliegende Konstellation einer Normenkontrolle gehe die Senatsrechtsprechung (Hinweis auf BSG Urteile vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R ua - und 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R -) ins Leere. Es könne nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein, den Beteiligten einen völlig sinnlosen Arbeitsaufwand abzuverlangen, der letztlich wiederum nur die längst bekannten und völlig unstreitigen Ergebnisse zu Tage fördern könne und ohne jeglichen Belang für die zu entscheidende Rechtsfrage sei.

9

Im Schriftsatz vom 10.8.2016 tragen die Kläger in Kenntnis des Senatsurteils vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) ua ergänzend vor: Der Senat habe zwar die von den Klägern umschriebenen Voraussetzungen seiner damaligen Entscheidung zugrunde gelegt, das sPV-Urteil des BVerfG "nach wie vor marginalisiert" bzw es in "zum Teil sinnentstellender Weise" interpretiert. Der Revision gehe es um eine Sozialversicherung, die alle unabhängig davon schütze, wie sie leben, und wie die Lasten, die durch dieses Schutzversprechen ausgelöst würden, gleichmäßig verteilt würden. Dies sei nur möglich, wenn damit begonnen würde, den "historischen Konstruktionsfehler einer voremanzipatorischen Struktur zu korrigieren", die geprägt sei von der Alleinverdienerehe. Im Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) habe der Senat die Mindestgeschlossenheit im System der GRV "in einer geradezu abenteuerlichen Argumentation" verneint. Die GRV spiegele konzeptionell den Lebenslängsschnitt. Demgegenüber habe das BSG lediglich eine Querschnittsbetrachtung vorgenommen. Es müsse bei der Frage der Mindestgeschlossenheit auf Versicherte und nicht auf Beitragszahler abgestellt werden. So habe das BVerfG im sPV-Urteil nicht auf Beitragszahler, sondern auf Versicherte abgestellt und im Urteil zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung auf den Versichertengrad verwiesen. Für die "breitbasige allgemeine Rentenversicherung" trage nicht der Einwand, dass Kinder von Versicherten möglicherweise später keine Mitglieder würden. Eine fehlende Mindestgeschlossenheit ließe sich nur bejahen, wenn man das sPV-Urteil des BVerfG in Frage stellen würde. Der Senat habe sich schon im Ausgangspunkt außerhalb der verfassungsrechtlichen Grundrechtsdogmatik positioniert, indem er nach der durch das sPV-Urteil des BVerfG vorgegebenen gleichheitsrechtlichen Prüfung eine zweite Prüfung von Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vorgenommen habe. Der Senat habe zu Unrecht das eigentliche "Referenzurteil" trotz § 31 Abs 1, Abs 2 S 2 BVerfGG schlicht abgelehnt. Die Aussage, der Gesetzgeber habe die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen, würde auch durch ihre ständige Wiederholung nicht richtig. Gemäß dem sPV-Urteil des BVerfG sei vielmehr ein Vorteilsausgleich im Beitragsrecht erforderlich. Anderenfalls missachte man den "grundlegenden Paradigmenwechsel" zwischen dem Trümmerfrauenurteil und dem sPV-Urteil des BVerfG. Zu Unrecht habe der Senat versucht, die These des sPV-Urteils von der Gleichwertigkeit des monetären und des "generativen" Beitrags zu erschüttern. Gleiches gelte für die Hinweise auf die gesamtgesellschaftliche Aufgabenstellung und die Möglichkeit neuer Verwerfungen. Zur GKV habe der Senat in seinem Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) "überraschend" ausgeführt, dass der überwiegende Teil der Gesamtkosten in der Generation der Erwerbstätigen auftrete und nicht wie vom BVerfG in dessen sPV-Urteil gefordert "überproportional" in der Generation der Älteren/Nichterwerbstätigen. Dem läge ein grundlegender methodischer Fehler zugrunde, weil die beiden Vergleichsgruppen unterschiedlich groß seien. Zu Unrecht habe der Senat auch in der GKV auf einen "obskuren" weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext zurückgegriffen. Die Heranziehung der beitragsfreien Familienversicherung als eines von mehreren familienfördernden Elementen sei nach den Vorgaben im sPV-Urteil ausgeschlossen. Der Hinweis auf die Ungewissheit des Eintritts des in der GKV versicherten Risikos sei unverständlich, weil dies für jede Versicherung gelte. Zur sPV habe sich der Senat in seinem Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) zu Unrecht auf das KiBG und eine dem Gesetzgeber zukommende Befugnis, typisierende Regelungen zu schaffen, gestützt. Es sei sehr wohl verfassungsrechtlich und nach den Vorgaben des BVerfG geboten, nach der Zahl der Kinder zu differenzieren.

10

In einem weiteren Schriftsatz vom 17.8.2016 befassen sich die Kläger mit zwei im Nachgang zum Urteil des Senats vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) verfassten sozialrechtlichen Aufsätzen (Ruland, NZS 2016, 361; Seiler, NZS 2016, 641). Mit Telefax vom 18.7.2017 übersandten die Kläger den Entwurf einer Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung sowie eine Stellungnahme zu einem weiteren sozialrechtlichen Aufsatz (Kaltenstein, SGb 2017, 301).

11

Die Kläger haben wiederholt umfangreiche Unterlagen vorgelegt: Mit Schriftsätzen vom 20.7.2016 und 10.8.2016 ua Stellungnahmen von Prof. Dr. Werding vom 9.3.2016 sowie weitere Schriftstücke, ua die Abschrift einer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Senats vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77). Mit Schriftsatz vom 18.2.2017 wurde eine weitere Stellungnahme von Prof. Dr. Werding vom 9.1.2017 vorgelegt. Mit Telefax vom 18.7.2017 übersandten die Kläger einen Schriftwechsel aus den Jahren 1988/1989 sowie eine Abhandlung des Deutschen Familienverbands zum "Horizontalen Vergleich 2017". In einem Telefax vom 19.7.2017 gaben die Kläger eine Stellungnahme von Prof. Birg wieder.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Kläger im Revisionsverfahren wird vor allem auf Blatt 26 bis 99, Blatt 182 bis 240, Blatt 242 bis 337, Blatt 378 bis 383, Blatt 392 bis 396, Blatt 412 bis 441 und Blatt 473 bis 474 der Revisionsakte verwiesen.

13

Die Kläger beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Juni 2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 3. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. November 2006 aufzuheben sowie festzustellen, dass die monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab 1. Januar 2005 nicht über eine Höhe von 50 vH der gegenwärtigen Bemessung zu erheben sind,
hilfsweise
festzustellen, dass die Beitragsbemessung unter Abzug eines Betrags von 833 Euro je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage monatlich erfolgen muss,
weiter hilfsweise
festzustellen, dass die Beitragsbemessung unter Abzug des in § 32 Abs 6 EStG genannten Betrags je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage erfolgen muss,
hilfsweise
den Rechtsstreit gemäß Art 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die die Beitragspflicht und die Höhe der Beiträge zur Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung regelnden Vorschriften (§§ 157, 161 Abs 1, 162 Nr 1 SGB VI, §§ 223 Abs 2, 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 sowie § 241 SGB V und §§ 54 Abs 2 Satz 1, 55 Abs 1 und 3 Satz 1, 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI iVm § 226 SGB V) unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - mit den Grundrechten der Kläger aus den Art 3, 6, 20 und 28 (Sozialstaatsprinzip) GG vereinbar sind.

14

Die Beigeladene zu 2. beantragt,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.

15

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

16

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
dir Revision zurückzuweisen.

17

Die Beigeladenen zu 1., 3. und 4. stellen keine Anträge.

18

Durch Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 4.7.2014 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass erstmals im Widerspruchsverfahren über das Begehren der Kläger in Bezug auf die Beitragsbemessung in der GKV und sPV entschieden wurde. Dies werfe Fragen der funktionellen und sachlichen Zuständigkeit auf. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG könne sich eine Auseinandersetzung mit den zur Entscheidung gestellten materiell-rechtlichen Fragen möglicherweise erübrigen. Durch Beschluss vom 21.8.2014 wurde das Ruhen des Verfahrens und durch Beschluss vom 5.11.2015 die Fortsetzung des Verfahrens angeordnet.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten aller Instanzen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Die Revision der Kläger ist zulässig.

21

Das LSG hat die Revision gegen sein Urteil vom 27.1.2012 in vollem Umfang zugelassen. Zwar hat es zur Begründung ausgeführt, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sei deshalb gegeben, weil es zur GKV noch keine Rechtsprechung des BSG zu der Frage der Freistellung von der Beitragspflicht für Kinder erziehende Versicherte gebe. Weder dieser Begründung noch dem Tenor des LSG-Urteils ("Die Revision wird zugelassen.") kann jedoch eine Beschränkung der Rechtsmittelzulassung auf die GKV entnommen werden.

22

Die Revision ist allerdings im Wesentlichen unbegründet.

23

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind die mit der Anfechtungsklage angegriffenen Bescheide der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle vom 3.2.2004 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 1.11.2006, in denen sie die von den Klägern erstrebte Beitragsminderung abgelehnt hat, weil es hierfür keine Rechtsgrundlage gebe. Zu befinden ist außerdem über einen Feststellungsantrag.

24

Streitig ist die Höhe der Beiträge zur GRV für den Zeitraum vom 1.1.2004 (= Monat der Antragstellung bei der Beklagten als Beginn) bis 27.1.2012 (= Tag der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen als Endzeitpunkt; vgl dazu allgemein zB BSGE 110, 62 = SozR 4-2500 § 240 Nr 16, RdNr 19; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 55 RdNr 21).

25

2. Statthafte Klageart für das klägerische Begehren ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 Alt 1, § 55 Abs 1 Nr 1, Abs 2 SGG(vgl zB BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff, unter Hinweis auf BSG SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 15 ff).

26

3. Auf die Anfechtungsklage der Kläger sind die angefochtenen Bescheide aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind. Dementsprechend sind die Urteile des LSG und SG zu ändern; insoweit muss die Revision der Kläger (teilweise) erfolgreich sein.

27

Mit den Ausgangsbescheiden vom 3.2.2004 und dem Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006 hat die Beklagte entgegen den einschlägigen Regelungen des materiellen Rechts zu Unrecht nur über die Beitragstragungspflicht und das Fehlen der Möglichkeit zu einer Beitragsreduzierung in der Sozialversicherung entschieden und sich dabei auf bloße allgemeine rechtliche Hinweise zur Bemessung und Tragung der Beiträge beschränkt. Sie hat dagegen - anders als hier erforderlich - nicht über die konkrete Beitragshöhe in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung selbst entschieden (vgl hierzu ausführlich BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 26 mwN sowie Urteil vom 20.7.2017 - B 12 KR 13/15 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Da der Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006 schon aus diesem Grund rechtswidrig ist, kommt es auf die Frage einer darüber hinausgehenden Rechtswidrigkeit aufgrund der erstmaligen Entscheidung zur Beitragserhebung in der GKV und sPV im Widerspruchsverfahren (vgl zu dieser Problematik BSG Urteil vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R - RdNr 15, Juris mwN) nicht an.

28

4. Die neben der erfolgreichen Anfechtungsklage erhobene Feststellungsklage ist nur hinsichtlich der GRV zulässig. Die Feststellungsklage ist unzulässig, soweit sie die Beitragserhebung in der GKV und sPV betrifft. Insoweit fehlt es an einer Verwaltungsentscheidung der zuständigen Behörde über einen entsprechenden Feststellungsantrag.

29

Solange die sachlich zuständige Ausgangsbehörde der Beklagten nicht über den erhobenen Feststellungsanspruch entschieden hat, kann ein Versicherter, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde, kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben (vgl BSG Urteil vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R - RdNr 12, Juris mwN; vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 55 RdNr 3b mwN). Deshalb ist in der Regel eine Feststellungsklage ohne vorangegangenes Verwaltungsverfahren unzulässig (vgl Groß/Castendiek in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Aufl 2017, § 55 RdNr 26). Dies gilt in besonderem Maße, wenn um die Beitragshöhe gestritten wird. Die Einzugsstelle ist gehalten, streitige Beitragsforderungen jedenfalls gegenüber Beitragsschuldnern, die natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts sind, durch Verwaltungsakt geltend zu machen; diese Personen können auf eine solche Beitragskonkretisierung mittels Verwaltungsakt nicht dadurch verzichten, dass sie unmittelbar auf Feststellung klagen. Entsprechend sind auch Arbeitgeber und Versicherte selbst zunächst auf ein Verwaltungsverfahren zu verweisen (BSG Urteil vom 22.5.1985 - 12 RK 30/84 - BSGE 58, 150, 152 = SozR 1500 § 55 Nr 27 S 22). Etwas anderes gilt nur, wenn nach Durchführung eines Verwaltungsverfahrens die Feststellungsklage im Vergleich zur Anfechtungsklage eine umfassendere Klärung des Rechtsverhältnisses ermöglicht oder wenn nur noch die mit der Anfechtungsklage verbundene Feststellungsklage eine Entscheidung in der Sache zulässt (BSG Urteil vom 9.10.1984 - 12 RK 18/83 - BSGE 57, 184, 186 = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 40 mwN). - Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Vorliegend haben die Kläger ihre ursprünglichen Anträge vom 26.1.2004 allein auf die Beitragserhebung in der GRV bezogen. Hierüber hat die Beklagte in ihren Ausgangsbescheiden vom 3.2.2004 entschieden. Erst im Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses der Beklagten vom 1.11.2006 waren die Regelungen des KiBG und damit - zumindest konkludent - die Beitragserhebung in der sPV gegenständlich. Zwar wird darin auch ein Schreiben der Kläger vom 17.12.2005 erwähnt. Das Schreiben befindet sich jedoch nicht in der Verwaltungsakte der Beklagten und hat diese - ausweislich eines Schreibens des SG Freiburg im Verfahren S 5 KR 3636/06 vom 12.9.2006 auch gar nicht erreicht. Jedenfalls vermag eine Ausdehnung des Begehrens der Kläger im Hinblick auf eine "Beitragsreduzierung" in der GKV und sPV die insoweit fehlende Entscheidung der Ausgangsbehörde durch einen Verwaltungsakt nicht zu ersetzen. Auch angesichts der bisherigen Verfahrensdauer ist ausnahmsweise ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Kläger hinsichtlich der GKV und sPV nicht anzuerkennen, weil sich ihr ursprünglicher Antrag ausdrücklich nur auf einen Beitragsverzicht bzw eine Beitragsreduzierung in der GRV bezogen hat. Erst im Laufe des (zunächst ruhenden) Widerspruchs- und späteren Klageverfahrens, vor allem aber im Berufungsverfahren haben die Kläger ihre Anträge - soweit der erste erweiternde Antrag dem Widerspruchsausschuss der Beklagten überhaupt vorlag - auch auf die GKV und sPV ausgedehnt und präzisiert. Damit fehlt es vorliegend hinsichtlich der Beitragserhebung in der GKV und sPV an einem berechtigten Feststellungsinteresse der Kläger.

30

5. Die hinsichtlich der GRV zulässige Feststellungsklage hat im Haupt- sowie hinsichtlich aller Hilfsanträge keinen Erfolg, weil die Bemessung der Beiträge der Kläger in der GRV den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV entspricht.

31

Die feststellenden Ausführungen der Beklagten zur Beitragsbemessung in der GRV stehen einfachrechtlich betrachtet in Einklang mit den dafür einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften. Dies sind ua § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 BSV 2012, hier anzuwenden in den jeweils zum Zeitpunkt der Beitragserhebung in der streitigen Zeit vom 1.1.2004 bis 27.1.2012 geltenden Fassungen. Danach ergibt sich der Beitrag, indem der jeweils gültige Beitragssatz mit der Beitragsbemessungsgrundlage, regelmäßig dem Bruttoarbeitsentgelt, vervielfacht wird. Freibeträge, insbesondere Kinderfreibeträge, mindern die Beitragsbemessungsgrundlage nicht. Die Beiträge werden von den Versicherten und ihren Arbeitgebern je zur Hälfte getragen. Eine Beitragsreduzierung für Versicherte mit Kindern oder erhöhte Beiträge für Versicherung ohne Kinder sind nicht vorgesehen.

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Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die von der Beklagten vorgenommene bzw für zutreffend erachtete Beitragsbemessung in Einklang mit den einfachgesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen stand. Streitig ist allein die Verfassungsmäßigkeit dieser beitragsrechtlichen Bestimmungen.

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6. Die gesetzlichen Bestimmungen im Recht der GRV sowie ihre Anwendung im konkreten Einzelfall sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG iVm § 13 Nr 11, §§ 80 ff BVerfGG bedurfte es daher nicht. Der Senat ist wie bereits in den früheren Entscheidungen aus den Jahren 2006 (ua BSG Urteil vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R - SozR 4-2600 § 157 Nr 1) und 2015 (BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) nicht davon überzeugt, dass die hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften des Beitragsrechts der GRV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Rentenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder (dazu b) in der von den Klägern geforderten Weise zu mindern ist (dazu c).

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a) Abhängig beschäftigte Versicherte - wie die Kläger - haben sich während der Dauer der Beschäftigung in aller Regel durch die hälftige Tragung der nach ihrem Bruttoentgelt bemessenen Beitragslast an den Ausgaben der GRV zu beteiligen. Das ergibt sich einfachgesetzlich aus den Vorschriften des Vierten Kapitels (§§ 153 ff) des SGB VI (diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB VI im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung). Einnahmen der allgemeinen Rentenversicherung sind hiernach insbesondere die Beiträge und die Zuschüsse des Bundes (§ 153 Abs 2 SGB VI). Die Beiträge werden nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von der Beitragsbemessungsgrundlage erhoben, die nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird (§ 157 SGB VI). Beitragsbemessungsgrundlage für Versicherungspflichtige sind die beitragspflichtigen Einnahmen (§ 161 Abs 1 SGB VI), die bei Beschäftigten wie den Klägern aus dem Arbeitsentgelt bestehen (§ 162 Nr 1 SGB VI). Beitragssatz und Beitragsbemessungsgrenze sind von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung festzusetzen (§ 160 SGB VI). Insoweit ist § 158 SGB VI trotz mehrfacher Änderungen durchgehend zu entnehmen, dass der Beitragssatz grundsätzlich so festzusetzen ist, dass die voraussichtlichen Beitragseinnahmen ausreichen, um die voraussichtlichen Ausgaben zu decken (und sicherzustellen, dass die Mittel der Schwankungsreserve dem gesetzlich bestimmten Betrag entsprechen). Unter Zugrundelegung des hiernach festgesetzten jeweiligen Beitragssatzes und des bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts der Kläger ergibt sich die Versicherte neben dem Arbeitgeber treffende hälftige Beitragslast.

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b) Die Kläger weisen zutreffend darauf hin, dass Versicherte mit Kindern im Vergleich zu Versicherten ohne Kinder im Allgemeinen in ganz besonderem Maße zur Leistungsfähigkeit des Systems der GRV und dessen Nachhaltigkeit beitragen. Das umlagefinanzierte System der GRV funktioniert dauerhaft nur dann, wenn es stets genügend leistungsfähige Beitragszahler gibt, die für die Renten der jeweiligen Rentnergeneration aufkommen können. Ein nachhaltig gestaltetes System der Altersvorsorge setzt voraus, dass der gegenwärtige und zukünftige Sozialaufwand, der für die Gewährung rechtlich verbürgter Sozialleistungen wie Renten erforderlich ist, aus dem zum jeweiligen Zeitpunkt erwirtschaftete Volkseinkommen aufgebracht werden kann. Dies setzt voraus, dass es auch in Zukunft hinreichend viele Erwerbstätige und die Möglichkeit zu produktivem Erwerbsverhalten gibt. Die heute geborenen Kinder müssen - soll das System funktionieren - auch in Zukunft arbeiten können, arbeiten wollen und ausreichend produktive Arbeitsplätze oder sonstige sozialversicherungspflichtige Erwerbsmöglichkeiten vorfinden. Werden nicht ausreichend viele Kinder geboren und wird nicht in ausreichendem Maße für ihr künftiges Erwerbspotential vorgesorgt (Erziehung, Bildung, Infrastruktur, produktive Arbeitsplätze etc), ist die Stabilität des Systems gefährdet. Versicherte mit Kindern leisten insoweit bei typisierender Betrachtung im Allgemeinen mehr für die Nachhaltigkeit des Systems als Versicherte ohne Kinder, denn Versicherte mit Kindern und Versicherte ohne Kinder finanzieren durch ihre monetären Beiträge zwar die aktuellen Renten mit. Versicherte mit Kindern sorgen aber in besonderer Weise dafür, dass es auch künftig Beitragszahler gibt, die künftige Renten finanzieren können. Sie leisten damit zusätzlich zu ihren monetären Beiträgen einen generativen Beitrag. Unbestreitbar ist auch, dass Versicherte mit Kindern und dem damit verbundenen Betreuungs- und Erziehungsaufwand - bei wiederum typisierender Betrachtung - regelmäßig Einschränkungen persönlicher und finanzieller Art unterliegen, denen Versicherte ohne Kinder nicht unterliegen.

36

Zwischen Versicherten mit und ohne Kinder(n) bestehen erhebliche Unterschiede. Und obwohl Versicherte mit Kindern einen sog generativen Beitrag leisten, sind sie nach denselben Vorschriften zur Beitragszahlung in der GRV verpflichtet wie Versicherte ohne Kinder.

37

c) Die Kläger können jedoch nicht verlangen, von dieser Beitragsbelastung entgegen der einfachgesetzlichen Rechtslage deshalb in dem beantragten Umfang freigestellt zu werden, weil sie bereits durch Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems erbracht hätten und andernfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG und den dort enthaltenen Regelungsauftrag/Normprüfungsauftrag an den Gesetzgeber nicht berufen. Der Senat ist - was den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeht - im vorliegenden Fall nicht strikt und ausschließlich an die Maßstäbe im sPV-Urteil des BVerfG gebunden (dazu aa). Vielmehr sind die von den Klägern beanstandeten Regelungen des Beitragsrechts der GRV unter Beachtung der Ausführungen des BVerfG im sPV-Urteil in erster Linie anhand der vom BVerfG zum allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG - dazu bb) iVm mit dem Familienförderungsgebot des Art 6 GG (Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG - dazu cc) zu prüfen. Eine Verfassungswidrigkeit kann der Senat dabei auch in Kenntnis des zwischenzeitlichen umfangreichen Vorbringens der Kläger, der vorgelegten Stellungnahmen und der zum Senatsurteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) veröffentlichten sozialrechtlichen Literatur (vgl ua Blüggel, jurisPR-SozR 11/2016 Anm 2; Lenze, NVwZ 2015, 1658; Lenze, SGb 2017, 130; Ruland, NZS 2016, 361; Seiler, NZS 2016, 641; Wenner, SozSich 2015, 344) nicht erkennen.

38

aa) Das BVerfG hat im sPV-Urteil im Tenor ausgeführt, dass die beitragsrechtlichen Regelungen der sPV mit dem GG nicht vereinbar sind, "soweit Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden". Es bleibe dem Gesetzgeber überlassen, wie er die Betreuungs- und Erziehungsleistung bei der Beitragsbemessung von beitragspflichtigen Versicherten mit Kindern berücksichtige. Spätestens bis zum 31.12.2004 habe der Gesetzgeber eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen. Bei der Bemessung der Frist sei berücksichtigt worden, dass die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sein werde (BVerfG sPV-Urteil, Juris RdNr 69).

39

Das sPV-Urteil des BVerfG ist auf das Beitragsrecht der GRV nicht "1 : 1" übertragbar. Zwar kommt den Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 1 BVerfGG Gesetzeskraft und nach § 31 Abs 1 BVerfGG Bindungswirkung zu. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) dargelegt, dass das sPV-Urteil auf das Beitragsrecht der GRV nicht im Wege der den Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG zukommenden Gesetzeskraft und der ihnen nach § 31 Abs 1 BVerfGG zukommenden Bindungswirkung "übertragbar" ist, weil es ausweislich des Tenors nur zur Pflegeversicherung und deren beitragsrechtliche Normen ergangen ist(BSG aaO RdNr 33). Hieran hält der Senat fest.

40

Hinzu kommt, dass die GRV in ihren wesentlichen Strukturprinzipien nicht den Anforderungen entspricht, die das BVerfG im sPV-Urteil für ein verfassungsrechtliches Gebot der beitragsrechtlichen Differenzierung zwischen Versicherten mit und solchen ohne Kinder aufgestellt hat. Insbesondere hatte das BVerfG im sPV-Urteil darauf abgestellt, dass eine Berücksichtigung des generativen Beitrags im Leistungsrecht der Pflegeversicherung nicht in Betracht kommt (BVerfG sPV-Urteil RdNr 71). In der GRV ist dies strukturell bereits anders (hierzu bb) (e)).

41

bb) Der allgemeine Gleichheitssatz in Art 3 Abs 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl zB BVerfGE 112, 268, 279; stRspr). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl BVerfGE 79, 1, 17; 126, 400, 416 mwN). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (BVerfGE 129, 49, 68; 133, 1, 13 RdNr 44). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl BVerfGE 110, 274, 291; stRspr). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl BVerfGE 75, 108, 157 = SozR 5425 § 1 Nr 1 S 11; BVerfGE 93, 319, 348 f; 107, 27, 46; 126, 400, 416; 129, 49, 69; 132, 179, 188 RdNr 30). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 129, 49, 69; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42) oder je mehr sie sich denen des Art 3 Abs 3 GG annähern (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 124, 199, 220; 129, 49, 69; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 111, 176, 184 = SozR 4-7833 § 1 Nr 4 RdNr 26; BVerfGE 129, 49, 69; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42).

42

Vorliegend geht es um die Frage, ob der Gesetzgeber im Beitragsrecht der GRV wesentlich Ungleiches ohne hinreichende sachliche Gründe gleichbehandelt. Denn das Beitragsrecht sieht für Versicherte ohne Kinder und für Versicherte mit Kindern keine unterschiedlichen Regelungen vor; weder erhalten Versicherte mit Kindern einen - wie auch immer gearteten - Beitragsrabatt noch werden ihre Beiträge nach einer niedrigeren Bemessungsgrundlage oder einem geringeren Beitragssatz als bei Versicherten ohne Kinder berechnet.

43

Der Senat legt seiner Prüfung einen strengen Prüfungsmaßstab zugrunde, denn den Versicherten steht es nicht frei, an dem die GRV prägenden Umlageverfahren teilzunehmen. Vielmehr ordnet das Gesetz ua für abhängig Beschäftigte, zu denen die Kläger gehören, Versicherungs- und Beitragspflicht an. Dies ist verfassungsrechtlich betrachtet ein Eingriff in die durch Art 2 Abs 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit (vgl BVerfG Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 18 = Juris RdNr 49, mwN). Danach ist das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen, wenn der Gesetzgeber Personen der Pflichtversicherung in einem System der sozialen Sicherheit unterwirft.

44

Auch unter Zugrundelegung eines strengen, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Prüfungsmaßstabs ist es gerechtfertigt und verfassungsrechtlich nicht geboten, dass der Gesetzgeber im Beitragsrecht der GRV zwischen Versicherten mit und ohne Kinder(n) in der Weise differenziert, dass Versicherte ohne Kinder geringere Beiträge als Versicherte mit Kindern zu zahlen haben. Dabei verkennt der Senat nicht, dass Versicherte mit Kindern in der GRV - ebenso wie in der sPV - anders als Versicherte ohne Kinder nicht nur einen pekuniären, sondern - wie bereits ausgeführt wurde - auch einen generativen Beitrag leisten, der für das Funktionieren des Umlageverfahrens unabdingbar ist.

45

Für die fehlende Differenzierung im Beitragsrecht der GRV gibt es hinreichende sachliche Gründe. Der Gesetzgeber hat insoweit die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt.

46

(a) Das Gesetz berücksichtigt den generativen Beitrag von Versicherten mit Kindern und allgemeinen Familienlasten zwar nicht im Beitragsrecht der GRV. Entgegen der Auffassung der Kläger ist aber eine alleinige Fokussierung auf das Beitragsrecht der GRV nicht durch das sPV-Urteil des BVerfG vorgegeben (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 49, 60).

47

(b) Das Recht der GRV berücksichtigt die generative Leistung in Form verschiedener familienfördernder Elemente zugunsten Versicherter mit Kindern in erster Linie innerhalb der GRV im Leistungsrecht, darüber hinaus aber auch in anderen Zweigen der Sozialversicherung, in weiteren Bereichen des Sozialrechts sowie in sonstigen Rechtsgebieten wie etwa dem Steuerrecht oder in Form kostenloser Schul-, Fachschul- und Hochschulausbildung. Der Senat verkennt dabei nicht, dass auch Versicherte mit Kindern mit ihren Steuern und Beiträgen ihrerseits in erheblichem Umfang selbst zur Finanzierung von familienfördernden Leistungen beitragen.

48

Im Leistungsrecht gerade der GRV erhalten Versicherte mit Kindern für die durch Kindererziehung entstehenden Nachteile einen systemimmanenten Ausgleich zB durch Kindererziehungszeiten (§ 3 S 1 Nr 1 iVm §§ 56, 249, 249a SGB VI), Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung im Umfang von zwei - bzw ab Jahrgang 1992 drei - Jahren für jedes Kind (§ 57 SGB VI), Anrechnungszeiten für Schwangerschaft oder Mutterschaft (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI), Zuschlag für Zeiten der Kindererziehung bei Witwen- und Witwerrenten (§ 78a SGB VI), Kinderzuschuss (§ 270 SGB VI), große Witwen- oder Witwerrente bei Kindererziehung (§ 46 Abs 2 S 1 Nr 1 und § 243 Abs 2 und Abs 3 SGB VI), Erziehungsrente (§§ 47, 243a SGB VI; vgl ausführlich Buntenbach, Leistungen der Rentenversicherung für Kindererziehung, DRV-Schriften, Band 108, S 19).

49

(c) Der Senat ist davon überzeugt, dass der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums gesellschaftliche Entwicklungen gerade auch mit Blick auf Familien und deren Bedürfnisse berücksichtigt. Er gewährleistet durch die Gewährung von Leistungen vor allem in der GRV eine verfassungsgemäße Behandlung auch der Versicherten mit Kindern. Dass Versicherte mit Kindern durch familienfördernde Leistungen durch den Gesetzgeber "auf Euro und Cent" so gestellt werden müssten, als hätten sie keine Kinder, ist Wortlaut, Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften des Grundgesetzes (hier insbesondere Art 3 Abs 1 und 3 GG) ebenso wenig zu entnehmen, wie der Rechtsprechung des BVerfG hierzu.

50

Das BVerfG hat im sPV-Urteil ausgeführt, bei der Bemessung der Umsetzungsfrist habe der Senat berücksichtigt, dass die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sei (BVerfG sPV-Urteil RdNr 69). Die Bundesregierung hat diesen sich aus dem sPV-Urteil des BVerfG ergebenden Prüfauftrag angenommen (siehe BT-Drucks 14/6099 und BT-Drucks 15/4375). Sie hat im November 2002 in Gestalt des damaligen Ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung die Kommission "Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme" eingerichtet. Diese hat sich ua auch dieser Thematik angenommen und gelangte zu dem Ergebnis, dass der vom Gesetzgeber beschrittene Weg, Kindererziehung auf der Leistungsseite zu honorieren, sachgerecht sei.

51

Der Gesetzgeber hat zur Beseitigung der verfassungswidrigen Lage in der sPV den Pflegeversicherungsbeitrag für Versicherte ohne Kinder erhöht. Der Gesetzgeber hat indessen davon abgesehen, den generativen Beitrag auch in der GRV in entsprechender Weise zu berücksichtigen. Er überschreitet damit nach Überzeugung des Senats in der GRV die sich aus Art 3 Abs 1 GG ergebenden Grenzen seines Gestaltungsspielraums nicht.

52

(d) Vor allem wird durch das geltende Recht ein Eingriff in das Beitragsrecht der GRV und der die GRV prinzipiell prägenden Beziehung von erbrachter Beitragsleistung und späterer (Renten-)Leistung verhindert. Rentenleistungen sind hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig (vgl § 63 SGB VI). Dieses Prinzip fördert, weil es für jedermann ohne Weiteres nachvollziehbar ist, die Akzeptanz des Vorsorgesystems GRV.

53

(e) Zudem unterscheidet sich hierdurch das Leistungsrecht der GRV auch strukturell wesentlich von demjenigen der sPV: Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern bedarfsbezogen. Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV - anders als in der GRV geschehen - von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Entgegen der Auffassung der Kläger hält der Senat daran fest, dass es keine verfassungsrechtliche Verpflichtung gibt, den von den Klägern erstrebten Nachteilsausgleich allein im Beitragsrecht der GRV bzw kumulativ beitrags- und leistungsrechtlich in der GRV zu verwirklichen (so bereits BSG Urteil vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R - SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 51; BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 47, 49). Soweit angenommen wird, das BVerfG habe demgegenüber in seinem sPV-Urteil diesbezüglich einen "qualitativen Sprung" (so Lenze, SGb 2017, 130, 133) zu den Ausführungen im Trümmerfrauenurteil (BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1) gemacht bzw - so die Kläger - einen "grundlegenden Paradigmenwechsel" vorgenommen, teilt der Senat diese Ansicht erneut nicht (vgl insoweit BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 60). Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern bedarfsbezogen. Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Hiervon unterscheidet sich das Leistungsrecht in der GRV strukturell, weil danach Rentenleistungen hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig sind (vgl § 63 SGB VI).

54

(f) Es ist nicht Sache des Revisionsgerichts darüber zu befinden, ob der Gesetzgeber seiner Pflicht, Versicherte mit Kindern mit Blick auf das Familienförderungsgebot "besser" durch Entlastungen der Versicherten auf der Beitragsseite statt - wie zB durch den Ausbau von Kindererziehungszeiten - auf der Leistungsseite nachgekommen wäre, ob der Gesetzgeber - mit anderen Worten - "die beste Lösung" gewählt hat. Eine zulässige Vorlage an das BVerfG kommt nur dann in Betracht, wenn das vorlegende Gericht von der Unvereinbarkeit der zur Prüfung gestellten Regelung mit der Verfassung ausgeht (vgl ua BVerfG Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136 RdNr 93 mwN). Bloße Zweifel sind nicht ausreichend. Erst recht würde es für eine zulässige Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG nicht ausreichen, wenn das Gericht lediglich eine andere, stärker familienfördernde gesetzliche Ausgestaltung des Beitragsrechts der GRV bzw der Sozialversicherung insgesamt für sozialpolitisch wünschenswert halten würde. Dies gilt auch hinsichtlich der von den Klägern thematisierten sozial- und gesellschaftspolitisch zukunftsgerichteten Angemessenheit der GRV aus volkswirtschaftlich/ökonomischer Sicht. Demzufolge bedarf ua die Frage, ob bei der Prüfung der Mindestgeschlossenheit der GRV (hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 36 ff) eine Quer- oder Längsschnittbetrachtung ökonomisch sinnvoller wäre (hierzu Stellungnahme Werding vom 9.3.2016 S 3 f), keiner Entscheidung. Es ist Aufgabe des dazu berufenen parlamentarischen Gesetzgebers, gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Entwicklungen zu beobachten und aus ihrer wissenschaftlichen Analyse Rückschlüsse für die künftige Ausgestaltung des Sozialversicherungssystems zu ziehen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass Versicherte mit Kindern insoweit - aus ihrer subjektiven Sicht verständlich - weitergehende rechts- und familienpolitische Forderungen stellen. Deren Erfüllung ist verfassungsrechtlich jedoch nicht zwingend geboten.

55

cc) Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV stehen auch nicht im Widerspruch zu Art 6 Abs 1 GG iVm Art 3 GG. Denn der besondere Schutz der Familie, zu dem Art 6 Abs 1 GG den Staat verpflichtet, hält den Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich an, jede zusätzliche finanzielle Belastung der Familie zu vermeiden. Der Staat ist durch die in Art 6 Abs 1 GG enthaltene Pflicht zur Förderung der Familie auch nicht gehalten, gerade die Beitragslast von Versicherten mit Kindern auszugleichen. Der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ist zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich zu entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Aus dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen, lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 35 mwN).

56

Im Übrigen ist festzustellen, dass das Gesetz zahlreiche derartige Leistungen vorsieht. Zu nennen sind ua familienfördernde und familienentlastende Leistungen in anderen Bereichen des Sozialversicherungsrechts, des Sozialrechts und in anderen Rechtsbereichen zB die Gewährung von Versicherungspflichtzeiten im Arbeitsförderungsrecht für die Zeit der Kindererziehung (§ 26 Abs 2a SGB III), die Gewährung von Elterngeld und zuvor Erziehungsgeld (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, zuvor Bundeserziehungsgeldgesetz) oder die Gewährung von Kindergeld (Bundeskindergeldgesetz) oder bzw Kinderfreibeträgen im Steuerrecht (Einkommensteuergesetz).

57

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

(2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Das gilt auch in den Fällen des § 13 Nr. 8a, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für die Entscheidungsformel in den Fällen des § 13 Nr. 12 und 14.

Tenor

Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. April 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Mai 2010 geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2006 und die Widerspruchsbescheide vom 16. Mai 2007 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) bei Eltern im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder zu reduzieren sind.

2

Die Klägerin und der Kläger - verheiratete Eltern ihrer drei 1990, 1992 und 1995 geborenen Kinder - waren bei der Beigeladenen zu 3. versicherungspflichtig beschäftigt und Mitglied der beklagten Krankenkasse sowie bei der Beigeladenen zu 1. pflege- und bei der Beigeladenen zu 2. rentenversichert; seit Juli 2010 ist die Klägerin anderweit beschäftigt.

3

Im Juli 2006 beantragten die Kläger bei der Beklagten als Einzugsstelle unter Bezugnahme auf das Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - zur sPV (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2, im Folgenden: sPV-Urteil) mit Blick auf die Betreuungs- und Erziehungsleistungen für ihre Kinder die beitragsmindernde Berücksichtigung ihres Unterhalts in den oben genannten Versicherungszweigen. Dies lehnte die Beklagte ab, da der Gesetzgeber seinen Pflichten aus dem sPV-Urteil mit Schaffung des Kinder-Berücksichtigungsgesetzes (KiBG) vom 15.12.2004 (BGBl I 3448; KiBG) nachgekommen sei (ua Einführung eines Beitragszuschlags für Kinderlose von 0,25 Beitragssatzpunkten in der sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI - Art 1 Nr 1 KiBG) und die Versicherungsträger an die gesetzlichen Vorgaben gebunden seien (Bescheid vom 20.7.2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16.5.2007).

4

Das SG hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 11.5.2010).

5

Im anschließenden Berufungsverfahren haben die Kläger begehrt, dass die Sozialversicherungsbeiträge nur nach der "Hälfte der bisherigen Bemessung" erhoben werden, hilfsweise, dass bei der Beitragsbemessung 833 Euro je Kind und Monat bzw (weiter) hilfsweise, dass ein Betrag in Höhe des steuerlichen Existenzminimums abgezogen wird. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beitragsbemessung bei den Klägern entspreche den gesetzlichen Regelungen. Diese Regelungen verstießen nicht gegen Art 6 Abs 1 iVm Art 3 GG, weil der Gesetzgeber einen weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum habe. Als Konkretisierung und Ausformung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages nach Art 6 Abs 1 GG sei dabei auch der Familienlastenausgleich zu berücksichtigen, selbst wenn sich die additive Höhe der hierdurch bewirkten Entlastung von Familien nicht konkret beziffern lasse. Der Gesetzgeber habe das Verfassungsrecht bei der Ausgestaltung der Teilsysteme der Sozialversicherung beachtet, weil er den Familienlastenausgleich durch zahlreiche Vorschriften ausgebaut (zB Kindererziehungszeiten in der GRV; kostenfreie Familienversicherung in der GKV) und er die Entscheidung des BVerfG für die sPV mit dem KiBG zudem beanstandungsfrei umgesetzt habe. Das BVerfG selbst habe die Erwägungen des sPV-Urteils in der Folgezeit nicht auf andere Sozialversicherungszweige übertragen, sondern sei - in einem Urteil zur Alterssicherung der Landwirte (BVerfGE 109, 96 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2)- davon sogar abgerückt. Auch das BSG habe aus dem sPV-Urteil keinen verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf für andere Sozialversicherungszweige hergeleitet. Einer Beweiserhebung habe es bei alledem weder unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs der Kläger noch unter demjenigen der Amtsermittlungspflicht bedurft, insbesondere nicht zu der von den Klägern postulierten Pflicht, durch Sachverständige einzelne "Transfersalden" für Kinder zu ermitteln. Da der Familienlastenausgleich durch zahlreiche Regelungen des Sozialrechts und des Steuerrechts bewirkt werde, komme es auf solche Ermittlungen wegen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht an. Der Familienlastenausgleich sei nicht isoliert auf das Sozialversicherungsrecht bezogen (Urteil vom 24.4.2012).

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger - mit umfänglichem Vorbringen - im Wesentlichen, das LSG habe verkannt, dass die einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen zur Beitragsbemessung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstießen, soweit versicherte Eltern mit gleich hohen Beiträgen wie kinderlose Versicherte belastet würden. Konkret rügen sie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in Bezug auf die GRV durch § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 der Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze in der GRV für das Jahr 2012(vom 19.12.2011, BGBl I 2795; Beitragssatzverordnung 2012 - BSV 2012), hinsichtlich der GKV durch § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V, und im Hinblick auf die sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI sowie durch § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1 SGB XI und § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V.

7

Das BVerfG habe sich in seinem sPV-Urteil von einem leistungsrechtlichen Ansatz distanziert. Es diskutiere dort die unzureichende Kompensation der Erziehungslasten nicht mehr unter dem Aspekt der allgemeinen leistungsrechtlichen Förderungspflicht des Staates (Art 6 Abs 1 GG), sondern als Gleichheits- und Teilhabeproblem (Art 3 Abs 1 GG) unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz werde zu einem Grundrecht auf "intragene-rationelle Gleichbehandlung" fortentwickelt.

8

Die Systeme der GRV, GKV und sPV erfüllten die Voraussetzungen, die das BVerfG für eine zu beanstandende fehlende Differenzierung im Beitragsrecht zwischen Eltern und Kinderlosen aufgestellt habe (= Abdeckung eines in einem geschlossenen intergenerationellen System erfassten Risikos, das überproportional im Alter auftrete und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert werde; Absehbarkeit, dass ein signifikanter Teil der Versicherten kinderlos bleibe). Das sPV-Urteil sei auch auf die GRV und die GKV zu übertragen: GRV und GKV deckten als umlagefinanzierte Systeme ebenso wie die sPV ein Risiko ab, das überproportional im Alter auftrete. Die Mindestgeschlossenheit der Systeme folge in Zusammenschau mit der Rechtsprechung des BVerfG zur Alterssicherung der Landwirte daraus, dass 87 % der Bevölkerung in der sPV, 80 % der erwerbstätigen Bevölkerung in der GRV und 90 % der Bevölkerung in der GKV versichert seien. Zudem sei die Geburtenrate von 2,49 Kindern je Frau - Mitte der 1960er Jahre - auf mittlerweile 1,3 Kinder gesunken. Da die Kindererziehung für die Funktionsfähigkeit der Systeme genauso bedeutsam sei wie die Beiträge, erhielten Kinderlose in allen drei Sozialversicherungssystemen einen spezifischen, systembedingten Vorteil, der nach der Rechtsprechung des BVerfG auch innerhalb des jeweiligen Systems ausgeglichen werden müsse. Die Pflicht zum Ausgleich bestehe nur auf der Beitragsseite, da die Belastung der Eltern in der Erwerbsphase auftrete und auch in diesem Zeitraum ausgeglichen werden müsse.

9

In Bezug auf die einzelnen Sozialversicherungsteilsysteme gelte Folgendes: In der GRV müsse die Umsetzung der Maßstäbe aus dem sPV-Urteil des BVerfG systemimmanent erfolgen. Die Rechtsprechung des BVerfG sei insoweit bindend (§ 31 BVerfGG). Die in der GRV anerkannten Kindererziehungszeiten seien für die Annahme eines Vorteilsausgleichs strukturell ungeeignet und stellten auch keinen echten Vorteilsausgleich dar, weil die Beiträge hierfür der Bund leiste (§ 177 Abs 1 SGB VI); dh alle Steuerpflichtigen und nicht nur Kinderlose. Gleichzeitig bestehe eine Benachteiligung der Eltern im Leistungsrecht. Diese erlitten durch die Unterbrechungen und Einschränkungen der Erwerbsbiografie (zB Teilzeitarbeit) vielfach Verluste an persönlichen Entgeltpunkten, die nicht durch Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI)kompensiert würden. Das Argument, die demografische Entwicklung sei ein gesamtgesellschaftliches Problem und müsse abgabenpolitisch steuerfinanziert auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gelöst werden, sei ohne verfassungsrechtliche Relevanz.

10

Auch in der GKV müsse ein systeminterner Vorteilsausgleich gesucht werden. Die Möglichkeit der beitragsfreien Familienversicherung (§ 10 SGB V) reiche insoweit nicht aus. Diese Begünstigung wiege nach den bindenden Ausführungen des BVerfG den mit der Erziehungsleistung zusätzlich erbrachten generativen Beitrag und den damit erlittenen Nachteil gegenüber Kinderlosen nicht auf.

11

Das Beitragsrecht in der sPV sei auch nach den Änderungen durch das KiBG verfassungswidrig. Insbesondere fehle im geltenden Recht die - auf der Grundlage des sPV-Urteils gebotene - Berücksichtigung der Anzahl der Kinder bei der Beitragsbemessung. Mit mehreren Kindern werde nämlich ein größerer generativer Beitrag für die Funktionsfähigkeit des Systems erbracht als mit nur einem Kind.

12

Die Kläger untermauern ihre Auffassung durch Gutachten der Bertelsmann-Stiftung (Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013; Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013).

13

Überdies rügen die Kläger einen Verstoß des LSG gegen seine Amtsermittlungspflicht. Es sei bei seiner Prüfung von Art 6 Abs 1 GG ausgegangen. Zu Unrecht habe es die Frage, ob die staatliche Familienförderung offensichtlich unangemessen sei und dem Förderungsgebot aus Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genüge, als eine Frage einer Gesamtabwägung aufgefasst, ohne Ermittlungen zu den konkreten Belastungen durch die Erziehung und Betreuung von Kindern vorzunehmen. Insoweit habe das LSG selbst eingeräumt, zu einer konkreten Bezifferung der additiven Höhe der durch die legislativen Maßnahmen bewirkten Entlastung der Familien nicht in der Lage zu sein. Angesichts der von ihnen (den Klägern) vorlegten Gutachten und Aufsätzen habe sich das LSG zu Ermittlungen "zu den Realitäten des Familienlastenausgleichs" gedrängt sehen müssen, diese aber verfahrensfehlerhaft unterlassen.

14

Mit Schriftsatz vom 11.8.2015 haben die Kläger - nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist - Tabellen zu "Durchschnittlichen Leistungsausgaben Frauen/Männer im Alter von 0 bis 90 Jahren" vorgelegt, die als "generelle Tatsachen" von Amts wegen zu berücksichtigen seien.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Kläger im Revisionsverfahren wird vor allem auf Blatt 25 bis 102, Blatt 165 bis 173, Blatt 201 bis 224, 227/228 und Blatt 232 bis 244 der Revisionsakte verwiesen.

16

Die Kläger beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. April 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Mai 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Mai 2007 aufzuheben sowie festzustellen, dass die monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab 1. Juli 2006 nicht über eine Höhe von 50 vH der gegenwärtigen Bemessung zu erheben sind,

hilfsweise festzustellen,
dass die Beitragsbemessung unter Abzug eines Betrags von 833 Euro je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage monatlich erfolgen muss,

weiter hilfsweise festzustellen,
dass die Beitragsbemessung unter Abzug des in § 32 Abs 6 EStG genannten Betrags je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage erfolgen muss,

hilfsweise den Rechtsstreit gemäß Art 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die die Beitragspflicht und die Höhe der Beiträge zur Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung regelnden Vorschriften (§§ 157, 161 Abs 1, 162 Nr 1 SGB VI, §§ 223 Abs 2, 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 sowie § 241 SGB V und §§ 54 Abs 2 Satz 1, 55 Abs 1 und 3 Satz 1, 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI iVm § 226 SGB V) unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - mit den Grundrechten der Kläger aus den Art 3, 6, 20 und 28 (Sozialstaatsprinzip) GG vereinbar sind;

weiter hilfsweise, das angefochtene Urteil mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückzuverweisen.

17

Die Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.

18

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

19

Die Beigeladenen zu 1. und zu 3. stellen keine Anträge. Die Beigeladene zu 3. schließt sich vollumfänglich der Revisionsbegründung der Kläger an.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten aller Instanzen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Die zulässige Revision der Kläger ist im Wesentlichen unbegründet.

22

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind der mit der Anfechtungsklage angegriffene Bescheid der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle vom 20.7.2006 in der Gestalt ihrer Widerspruchsbescheide vom 16.5.2007, in denen sie festgestellt hat, dass es für die von den Klägern erstrebte Beitragsminderung keine Rechtsgrundlage gebe. Zu befinden ist außerdem über einen Feststellungsantrag. Streitig ist die Höhe der Beiträge zur GRV, GKV und sPV für den Zeitraum vom 1.7.2006 (= Monat der Antragstellung bei der Beklagten als Beginn) bis 24.4.2012 (= Tag der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen als Endzeitpunkt; vgl dazu allgemein zB BSGE 110, 62 = SozR 4-2500 § 240 Nr 16, RdNr 19; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 21). Für den Kläger zu 1. ist bezüglich der Beiträge zur GKV und zur sPV allerdings nur die Zeit bis 31.12.2010 im Streit, weil er nur bis zu diesem Zeitpunkt versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten und auch der Beigeladenen zu 1. (vgl § 48 Abs 1 S 1 SGB XI) war.

23

2. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 Alt 1, § 55 Abs 1 Nr 1, Abs 2 SGG zulässig(vgl zB BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff, unter Hinweis auf BSG SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 15 ff). Der Anfechtungsklage steht unter dem Blickwinkel ihrer Statthaftigkeit nicht entgegen, dass sich die Beklagte in ihren Bescheiden darauf beschränkt hat, allgemein nur die Belastung der Kläger mit Beiträgen "festzustellen". Sie hat damit für die Kläger objektiv erkennbar eine einseitige und konkrete, verbindliche, der Rechtsbeständigkeit fähige Feststellung getroffen; allein hierauf kommt es für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage an (vgl BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff).

24

3. Auf die Anfechtungsklage der Kläger sind die angefochtenen Bescheide aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind. Dementsprechend sind die Urteile des LSG und SG zu ändern; insoweit muss die Revision der Kläger (teilweise) erfolgreich sein.

25

Mit diesen Bescheiden hat die Beklagte nämlich entgegen den einschlägigen Regelungen des materiellen Rechts zu Unrecht nur über die Beitragstragungspflicht und das Fehlen der Möglichkeit zu einer Beitragsreduzierung entschieden und sich dabei auf bloße allgemeine rechtliche Hinweise zur Bemessung und Tragung der Beiträge in der Sozialversicherung beschränkt. Sie hat dagegen - anders als hier erforderlich - nicht über die konkrete Beitragshöhe selbst entschieden.

26

Nach der Rechtsprechung des Senats ist einer Krankenkasse in ihrer Funktion als Einzugsstelle ua die Aufgabe übertragen, in gesetzlicher Verfahrens- und Prozessstandschaft (vgl zur Entwicklung BSG SozR 3-2400 § 28h Nr 9) anstelle der hierfür originär zuständigen Träger über die Beitragshöhe zu entscheiden (§ 28h Abs 2 S 1 SGB IV). Gegenüber Pflichtversicherten wegen Beschäftigung, die - wie die Kläger - nicht selbst Beitragsschuldner sind (vgl § 28e Abs 1 S 1 SGB IV), kommt bei der Entscheidung über die Beitragspflicht als festsetzungsfähige Rechtsfolge nur die betragsmäßig konkrete Feststellung der von ihnen zu tragenden Beitragsanteile in Betracht (vgl BSG SozR 4-2500 § 7 Nr 1 RdNr 17 mwN). Die hierfür relevanten Umstände - wie die beitragspflichtigen Einnahmen und der Beitragssatz -, zu denen die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zum Teil Aussagen gemacht hat, sind jeweils nur reine Berechnungs- bzw Begründungselemente und daher in der Regel auch nicht selbst einer Festlegung durch Verwaltungsakt (§ 31 S 1 SGB X) zugänglich. Hieran hält der Senat fest (zur Problematik allgemein auch bereits: BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff; BSG Urteil vom 17.12.2014 - B 12 KR 23/12 R - Juris RdNr 18 f).

27

4. Die neben der - mithin erfolgreichen - Anfechtungsklage erhobene Feststellungsklage ist zulässig (dazu a), aber sowohl hinsichtlich ihres Hauptantrages und hinsichtlich der im Rahmen des Hauptantrages ergänzend gestellten Hilfsanträge, aber auch hinsichtlich der übrigen Hilfsanträge unbegründet. Die Feststellungsklage hat keinen Erfolg, weil die Bemessung der Beiträge der Kläger den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des jeweiligen Beitragsrechts entspricht (dazu b). Diese gesetzlichen Bestimmungen im Recht der GRV (dazu 5.), der GKV (dazu 6.) und der sPV (dazu 7.) sind auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG iVm § 13 Nr 11, §§ 80 ff Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bedurfte es daher nicht.

28

a) Das für eine zulässige Feststellungsklage erforderliche besondere Interesse der Kläger an der baldigen Feststellung iS von § 55 Abs 1 SGG ist nicht durch Zeitablauf erloschen. Die begehrte Feststellung der konkreten Beitragsbelastung für den (mittlerweile) zurückliegenden Zeitraum hat nämlich ua Bedeutung für einen möglicherweise von den Klägern künftig geltend gemachten Beitragserstattungsanspruch (vgl zum Feststellungsinteresse BSG Urteil vom 18.5.1983 - 12 RK 28/82 - Juris RdNr 16; allgemein Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 55 RdNr 15).

29

b) Die Feststellungsklage bleibt im Hauptantrag der Kläger zur Beitragsbemessung sowie in Bezug auf ihre Hilfsanträge ohne Erfolg. Die feststellenden Ausführungen der Beklagten zur Beitragsbemessung erfolgten in den Zweigen der GRV, der GKV und der sPV in Einklang mit den dafür einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften (ua § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 BSV 2012; § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V; § 55 Abs 3 S 1 SGB XI, § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1, § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V, hier anzuwenden in den jeweils zum Zeitpunkt der Beitragserhebung in der streitigen Zeit vom 1.7.2006 bis 24.4.2012 geltenden Fassungen). Dass die von der Beklagten vorgenommene bzw für zutreffend erachtete Beitragsbemessung in Einklang mit den einfachgesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen stand, ist zwischen den Beteiligten außer Streit.

30

5. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften des Beitragsrechts der GRV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Rentenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder in der von den Klägern geforderten Weise zu mindern ist (dazu b).

31

a) Abhängig beschäftigte Versicherte - wie die Kläger - haben sich während der Dauer der Beschäftigung in aller Regel durch die hälftige Tragung der nach ihrem Bruttoentgelt bemessenen Beitragslast an den Ausgaben der GRV zu beteiligen. Das ergibt sich einfachgesetzlich aus den Vorschriften des Vierten Kapitels (§§ 153 ff) des SGB VI (diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB VI im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung). Einnahmen der allgemeinen Rentenversicherung sind hiernach insbesondere die Beiträge und die Zuschüsse des Bundes (§ 153 Abs 2 SGB VI). Die Beiträge werden nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von der Beitragsbemessungsgrundlage erhoben, die nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird (§ 157 SGB VI). Beitragsbemessungsgrundlage für Versicherungspflichtige sind die beitragspflichtigen Einnahmen (§ 161 Abs 1 SGB VI), die bei Beschäftigten wie den Klägern aus dem Arbeitsentgelt bestehen (§ 162 Nr 1 SGB VI). Beitragssatz und Beitragsbemessungsgrenze sind von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung festzusetzen (§ 160 SGB VI). Insoweit ist § 158 SGB VI trotz mehrfacher Änderungen durchgehend zu entnehmen, dass der Beitragssatz grundsätzlich so festzusetzen ist, dass die voraussichtlichen Beitragseinnahmen ausreichen, um die voraussichtlichen Ausgaben zu decken (und sicherzustellen, dass die Mittel der Schwankungsreserve dem gesetzlich bestimmten Betrag entsprechen). Unter Zugrundelegung des hiernach festgesetzten jeweiligen Beitragssatzes und des bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts der Kläger ergibt sich die sie neben dem Arbeitgeber treffende hälftige Beitragslast.

32

b) Die Kläger können nicht verlangen, von dieser Beitragsbelastung entgegen der einfachgesetzlichen Rechtslage deshalb in dem beantragten Umfang freigestellt zu werden, weil sie bereits durch Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems erbracht hätten und andernfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) und den dort enthaltenen Regelungsauftrag/Normprüfungsauftrag an den Gesetzgeber nicht berufen; das Beitragsrecht der GRV ist von der Bindungswirkung dieser Entscheidung (§ 31 BVerfGG) sachlich nicht erfasst (dazu aa). Der Senat ist auch unter Würdigung der Ausführungen des BVerfG in einem weiteren verfassungs-/gleichheitsrechtlichen Zusammenhang nicht davon überzeugt, dass (allein) die von den Klägern geforderte Ausgestaltung des Beitragsrechts der GRV im Hinblick auf Art 6 Abs 1 GG (dazu bb) bzw Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG (dazu cc) von Verfassungs wegen geboten ist. Es ist deshalb unzutreffend, dass - wie die Kläger meinen - "sämtliche der vom BVerfG im Beitragskinderurteil als wesentlich identifizierten und zur Verfassungswidrigkeit der sPV führenden Elemente in gleicher Weise und erst recht auch bei der … GRV wirken".

33

aa) Das sPV-Urteil des BVerfG ist nicht insoweit auf das Beitragsrecht der GRV "übertragbar", als Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG Gesetzeskraft haben und insbesondere nach § 31 Abs 1 BVerfGG auch für die Fachgerichte bindend sind. Das BVerfG hat nach dem Tenor des sPV-Urteils die seinerzeit geltenden Beitragsvorschriften der § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 S 1 und 2 sowie § 57 SGB XI als mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG nicht vereinbar angesehen, soweit Versicherte der sPV, die Kinder betreuen und erziehen, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Versicherte ohne Kinder belastet wurden(hierzu im Einzelnen unter 7. a>). Die Entscheidung hatte also die Pflegeversicherung und deren beitragsrechtliche Normen zum Gegenstand. Nur für diese entfaltet sie Bindungswirkung (§ 31 Abs 1 BVerfGG). Im sPV-Urteil hat das BVerfG nicht etwa gleichzeitig das rentenrechtliche Konzept eines Ausgleichs des Aufwandes für Kinder (allein) auf der Leistungsseite aufgegeben (so schon BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 41 ff, 50). Die Bindungswirkung bezieht sich nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG auf die Entscheidungsformel und die tragenden Gründe. Allerdings - und das ist entscheidend - ist Gegenstand der Bindungswirkung die "konkrete" Entscheidung (so ausdrücklich zB BVerfGE 104, 151, 197). Das BVerfG geht davon aus, dass auch die "tragenden Entscheidungsgründe" nur in Ansehung des konkreten Streitgegenstandes und nur im Hinblick auf künftige gleichgelagerte Fälle, mithin in concreto binden (so zB Rennert in Umbach/Clemens, BVerfGG, 1. Aufl 1992, § 31 RdNr 72, mwN aus der Rspr des BVerfG).

34

bb) Die hier einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV stehen nicht im Widerspruch zu Art 6 Abs 1 GG.

35

Der besondere Schutz der Familie, zu dem Art 6 Abs 1 GG den Staat verpflichtet, hält den Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich an, jede zusätzliche finanzielle Belastung der Familie zu vermeiden. Der Staat ist auch nicht durch die in Art 6 Abs 1 GG enthaltene Pflicht zur Förderung der Familie gehalten, die Beitragslast auszugleichen. Die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen steht unter dem Vorbehalt des Möglichen und im Kontext anderweitiger Fördernotwendigkeiten. Der Gesetzgeber hat im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nur unter Abwägung aller Belange lässt sich ermitteln, ob die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genügt. Demgemäß lässt sich aus der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Aus dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen, lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl BVerfGE 103, 242, 258 ff = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13 f; BVerfGE 87, 1, 35 f = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 6; aus späterer Zeit BVerfGE 107, 205, 212 = SozR 4-2500 § 10 Nr 1 RdNr 28; BVerfGE 110, 412, 445). Dem hat sich der Senat bereits in seinen Urteilen vom 5.7.2006 angeschlossen (vgl stellvertretend BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 49; zur Bedeutung des aus Art 6 Abs 1 GG folgenden Förderungsgebots als Prüfungsmaßstab zuletzt BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 15/13 R - Juris RdNr 31). Hieran hält er fest.

36

cc) Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass die beitragsrechtlichen Vorschriften der GRV gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstoßen, soweit der Rentenversicherungsbeitrag der von den Klägern repräsentierten Personengruppe - versicherte Eltern mit Kindern - danach nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder im geforderten Umfang zu reduzieren ist. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung entspricht die GRV in ihren wesentlichen Strukturmerkmalen nicht den Anforderungen, die das BVerfG im sPV-Urteil für ein verfassungsrechtliches Gebot der beitragsrechtlichen Differenzierung zwischen Versicherten mit und solchen ohne Kinder aufgestellt hat; denn es fehlt an der Mindestgeschlossenheit dieses Sozialversicherungs(teil)systems (dazu <1>). Unabhängig davon läge auch deshalb kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vor, weil eine Gleichbehandlung bzw benachteiligende Ungleichbehandlung von Personen wie den Klägern im Beitragsrecht (gerade) der GRV in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt wäre (dazu <2>).

37

(1) Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG ist nach dem sPV-Urteil des BVerfG durch die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Pflegeversicherungsbeiträgen - auch nach Auffassung der Kläger - nur verletzt, wenn

        

1.    

das Sozialversicherungssystem ein Risiko abdeckt, das überproportional im Alter auftritt und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert wird,

        

2.    

das Sozialversicherungssystem eine Mindestgeschlossenheit aufweist (zu dieser Voraussetzung auch: BVerfGE 109, 96, 127 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2 RdNr 83) und

        

3.    

absehbar ist, dass ein signifikanter Teil der Versicherten keine Kinder bekommt.

38

Es kann offenbleiben, ob die GRV die erste und die dritte der vom BVerfG aufgestellten Voraussetzungen erfüllt. Jedenfalls weist die GRV nicht die geforderte Mindestgeschlossenheit auf, weil nicht angenommen werden kann, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft Beitragszahler in der GRV sein wird. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung besteht keine "rechtlich fundierte Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder der Beitragszahler in dem Sicherungssystem der GRV zukünftig selbst Beiträge leisten und dadurch zum Fortbestand des Systems beitragen werden".

39

Im sPV-Urteil hat das BVerfG entschieden, dass die Betreuungs- und Erziehungsleistung in der sPV auch in Zukunft nachhaltig zum Tragen und den kinderlosen Versicherten der sPV zugutekommt, weil dort aufgrund der umfassenden gesetzlichen Versicherungspflicht in jedem Fall eine Versicherung entweder in der sozialen oder in der privaten Pflegeversicherung begründet wird. Dies trifft auf die GRV nicht zu (in diesem Sinne bereits BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 58). Ein "generativer Beitrag" führt allenfalls dann zu einem "Vorteil im Versicherungsfall" für Kinderlose aus der Zahlung der Beiträge nachwachsender Generationen, wenn diese später auch tatsächlich Beiträge erbringen (so das BVerfG im sPV-Urteil: BVerfGE 103, 242, 264 f = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17 f). Es reicht dafür entgegen der Ansicht der Kläger nicht aus, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft "überhaupt" Mitglied der GRV wird, sondern es kommt darauf an, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft voraussichtlich auch "Beitragszahler" in der GRV sein wird; denn im Wesentlichen finanzieren im geltenden Umlagesystem nur die (aktuellen) Beitragszahler die (aktuellen) Leistungen an die Rentner.

40

Eine solche "rechtlich fundierte Wahrscheinlichkeit", dass Kinder von Beitragszahlern in Zukunft durch eigene Rentenversicherungsbeiträge zum Fortbestand der GRV beitragen werden, kann jedenfalls für den vorliegend streitigen Zeitraum der Jahre 2006 bis 2012 nicht angenommen werden, weil es sich nach den öffentlich zugänglichen statistischen Daten vielmehr so verhält, dass etwa die Hälfte der potentiellen Beitragszahler - obwohl statistisch als "Versicherte" geführt - tatsächlich keine Beiträge zur GRV zahlt bzw wenn, dann nur in einem geringfügigen Umfang. Beruhend auf den Beobachtungen aus der Vergangenheit und bei unveränderten Annahmen über die zukünftige Entwicklung muss davon ausgegangen werden, dass seinerzeit - im streitigen Zeitraum - betreute und erzogene Kinder als spätere Rentenversicherte das System der GRV jedenfalls nicht (wie vom BVerfG gefordert) zu einem "wesentlichen Anteil" bzw "maßgeblich" stützen werden. Insoweit kann auch nicht davon gesprochen werden, dass eine aktuelle "Leistung" durch die Betreuung und Erziehung von Kindern in der GRV in Zukunft "nachhaltig" zum Tragen und Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern zugutekommen wird.

41

So waren beispielsweise im Jahr 2006 rund 51,97 Mio Menschen in der GRV ohne Rentenbezug versichert, davon 35,02 Mio "aktiv" und 16,95 Mio "passiv" (zur Verteilung zwischen aktiv und passiv Versicherten in den Jahren ab 2006: DRV Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen, Oktober 2015, S 14). Als "Versicherte" der GRV werden statistisch alle Personen bezeichnet, die einen Leistungsanspruch ihr gegenüber erworben haben. Die Versicherten mit Rentenbezug werden in den Rentenstatistiken erfasst und als "Rentenzahlfall" bzw bei personeller Zuordnung als "Rentner" bezeichnet. Gegenstand der Versichertenstatistik sind hingegen im Allgemeinen die Versicherten ohne Rentenbezug, die aktuell Rentenanwartschaften erwerben oder zu einem früheren Zeitpunkt erworben haben. Zu den "aktiv Versicherten" zählen alle Beitragszahler, aber auch sog Anrechnungszeitversicherte. Dies sind Versicherte mit Zeiten, für die grundsätzlich keine Beiträge zur GRV gezahlt werden (vgl § 58 SGB VI). Die Anrechnungszeitversicherten werden in den angegebenen Zahlen nicht separat ausgewiesen. Bei den "passiv Versicherten" handelt es sich um (lebende) Versicherte ohne Rentenbezug, deren Versichertenkonten aktuell keine Einträge aus aktiver Versicherung aufweisen, für die aber in den Zeiten davor mindestens ein versicherungspflichtiger Tatbestand oder ein Bonus aus einem Versorgungsausgleich gespeichert ist. In Abhängigkeit davon, ob solche Einträge innerhalb des Berichtsjahres oder davor liegen, unterscheidet man bei den passiv Versicherten zwischen Übergangsfällen und latent Versicherten, die wiederum nicht separat ausgewiesen wurden (zu den Definitionen: Kaldybajewa/Kruse/Strobel, RV aktuell 2009, 83; DRV Bund, Versichertenbericht 2014, S 11 ff, 18). Von den aktiv versicherten Personen waren im Jahr 2006 5,55 Mio Leistungsempfänger nach dem SGB III/SGB II, die ihre Beiträge nicht selbst tragen. Das bedeutet, dass von den 51,97 Mio Menschen ca 22,5 Mio Menschen (16,95 Mio passiv Versicherte plus 5,55 Mio Leistungsempfänger nach dem SGB II/III) nicht selbst oder tatsächlich keine Rentenversicherungsbeiträge im Berichtszeitraum bzw am Stichtag leisteten. Das sind immerhin 43 % aller Versicherten ohne Rentenbezug. Hierin sind die 5,1 Mio geringfügig Beschäftigten unter den aktiv Versicherten noch nicht eingerechnet. Unter Einrechnung auch dieser Personengruppe ergeben sich sogar 53 %, die nahezu keine Beiträge entrichten (zu dieser Problematik bereits Althammer/Klammer, Ehe und Familie in der Steuerrechts- und Sozialordnung, Tübingen 2006, S 151; Estelmann, SGb 2002, 245, 253; zu der Verteilung zwischen aktiv und passiv Versicherten in den Jahren ab 2006 vgl erneut DRV Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen, aaO, S 14).

42

Ein ähnliches Bild ergeben die Zahlen des Jahres 2012. In diesem Jahr waren 35,71 Mio Menschen aktiv und 16,96 Mio Menschen passiv ohne Rentenbezug in der GRV versichert. Unter den aktiv Versicherten waren 926 406 Menschen Bezieher von Arbeitslosengeld nach dem SGB III und 2,5 Mio Anrechnungszeitversicherte (zu diesen Zahlen: DRV Bund, Versichertenbericht 2014, S 6). Von 52,67 Mio "Versicherten" zahlten also ca 20,39 Mio Menschen nicht selbst oder tatsächlich keine Rentenversicherungsbeiträge. Dies sind immerhin 38,7 % aller Versicherten. Berücksichtigt sind dabei noch nicht die 5,23 Mio geringfügig Beschäftigten unter den aktiv Versicherten, diese eingerechnet ergeben sogar 48,65 %.

43

(2) Unabhängig von einer "an der Argumentationsstruktur" des sPV-Urteils des BVerfG "orientierten" Würdigung ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe auch in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt (hierzu allgemein: BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12; BVerfGK 12, 81, 83 mwN; Boysen in von Münch/Kunig, GG-Kommentar, 6. Aufl 2012, Art 3 RdNr 102).

44

Art 3 Abs 1 GG gebietet es, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu regeln (vgl zB BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12). Es kann offenbleiben, ob die vorliegende Konstellation unter dem Aspekt einer Gleich- oder Ungleichbehandlung betrachtet wird (vgl Ebsen, VSSR 2004, 3, 11 f). Unter beiden Aspekten kommt es nämlich entscheidend auf das Kriterium der Betreuung und Erziehung von Kindern an. Für die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung spielt die Einordnung als Gleich- oder Ungleichbehandlung vorliegend jedenfalls keine Rolle. Es genügt in beiden Fällen das Vorliegen eines sachlichen Grundes zur Rechtfertigung. Als Grund für eine Ungleichbehandlung kommt jede vernünftige Erwägung in Betracht. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist zu verneinen, wenn ein vernünftiger Grund für die Gleichbehandlung fehlt bzw die tatsächlichen Ungleichheiten so bedeutsam sind, dass ihre Nichtbeachtung gegen eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise verstößt (BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12). Innerhalb dieser Grenzen ist der Gesetzgeber in seiner Entscheidung frei. Allerdings kann sich eine weitergehende Einschränkung aus anderen Verfassungsnormen ergeben. Insbesondere ist bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Beitragsregelungen, die Personen mit und ohne Kinder gleich behandeln oder zum Nachteil der Familie differenzieren, der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach Art 6 Abs 1 GG der Familie schuldet (BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12; BVerfGE 87, 1, 37 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7). Jedoch verfügt der Gesetzgeber auch dabei über einen nicht unerheblichen Gestaltungsrahmen. Er darf nicht nur die jeweilige Haushaltslage und die finanzielle Situation der GRV, sondern auch über Jahrzehnte gewachsene und bewährte Prinzipien im komplexen System der GRV berücksichtigen (BVerfGK 12, 81, 83 mwN).

45

Hiervon ausgehend stellt die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Rentenversicherungsbeiträgen für Versicherte mit Kindern keine die Vorgaben von Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG missachtende Gleich- bzw Ungleichbehandlung dar. Der Gesetzgeber hat jedenfalls die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil er die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen hat (dazu ). Überdies sind ein in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegender "Beitrag" und der monetäre Beitrag in der GRV weder gleichartig noch gleichwertig (dazu ). Ein sachlicher Grund für die Nichtberücksichtigung der Kindererziehungsleistung im Beitragsrecht der GRV liegt weiterhin darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für Kinder als Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen der GRV darstellt (dazu ). Auch könnte eine Berücksichtigung im Beitragsrecht zu anderen verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen führen (dazu ). Letztlich rechtfertigt der Strukturunterschied zwischen GRV und sPV im Hinblick auf die Leistungsbemessung eine Nichtberücksichtigung von Kinderbetreuung und -erziehung im Beitragsrecht der GRV (dazu ).

46

(a) Der Gesetzgeber hat bereits deshalb die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil er seit Ergehen des "Trümmerfrauen"-Urteils (BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1) in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente in das Leistungsspektrum gerade der GRV eingefügt und die durch Kindererziehung entstehenden Nachteile so - entgegen der Auffassung der Kläger - systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen hat. Auf den Ausgleich eines von den Klägern angeführten "externen Effektes" eines Kindes für die GRV kommt es hierfür insoweit nicht an.

47

(aa) Der Senat hat schon in seinen Urteilen vom 5.7.2006 einen Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern im Leistungsrecht der GRV als systemgerecht und ausreichend bestätigt (BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 51; ebenso Hase, Sozialversicherung und Familie zwischen sozialem Ausgleich und staatlicher Verantwortung, DRV-Schriften 46 <2003>, 29, 64; Ruland, NJW 2001, 1673, 1674; ders, FamRZ 2004, 493, 494; aA Kingreen, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes 57 <2008>, 71, 90, 94; Lenze, NZS 2007, 407, 409; dazu auch Estelmann, SGb 2002, 245, 253). Daran hält der Senat fest. Unter diese Leistungen, die auch in den vorliegend streitigen Jahren fortwirkten, fallen insbesondere:

        

•       

große Witwen- oder Witwerrente bei Kindererziehung (§ 46 Abs 2 S 1 Nr 1 und § 243 Abs 2 und Abs 3 SGB VI),

        

•       

Erziehungsrente (§§ 47, 243a SGB VI),

        

•       

Kindererziehungszeiten (§ 3 S 1 Nr 1 iVm §§ 56, 249, 249a SGB VI),

        

•       

Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§ 57 SGB VI),

        

•       

Anrechnungszeiten für Schwangerschaft oder Mutterschaft (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI),

        

•       

Zuschlag für Zeiten der Kindererziehung bei Witwen- und Witwerrenten (§ 78a SGB VI),

        

•       

Kinderzuschuss (§ 270 SGB VI),

        

•       

Leistungen für Kindererziehung an Mütter der Geburtenjahrgänge vor 1921 (§§ 294 bis 299 SGB VI),

        

•       

Zuzahlungsfreiheit für unter 18-jährige bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und bei sonstigen Leistungen (§ 32 Abs 1 SGB VI).

48

Zu den einzelnen seit dem "Trümmerfrauen"-Urteil des BVerfG in Ansehung von Betreuung und Erziehung von Kindern eingeführten Leistungen der GRV wird für den Zeitraum von 1992 bis 2004 im Übrigen ergänzend auf den Bericht der Bundesregierung (Unterrichtung durch die Bundesregierung - Bericht der Bundesregierung zur Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sozialen Pflegeversicherung vom 3. April 2001 <1 BvR 1629/94> für andere Zweige der Sozialversicherung vom 4.11.2004, BT-Drucks 15/4375 , S 6 ff) verwiesen.

49

Die den vorstehenden Ausführungen des Senats zugrunde liegende Beurteilung, dass auf einen Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern im Leistungsrecht der GRV als systemgerecht abgestellt werden darf, hat das BVerfG für den Bereich der landwirtschaftlichen Alterssicherung als verfassungsgemäß bestätigt; ein Ausgleich ist demnach - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht nur im Beitragsrecht möglich. So hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung (BVerfGE 109, 96, 127 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2 RdNr 84 ff) einen Verstoß des Beitragsrechts der landwirtschaftlichen Alterssicherung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG auch unter Berücksichtigung seines sPV-Urteils ua deshalb verneint, weil in der Alterssicherung "im Unterschied zur sozialen Pflegeversicherung die Erziehungsleistung … nicht unberücksichtigt (bleibt). Zeiten der Kindererziehung wirken sich … im Zusammenhang mit der Erfüllung der Wartezeit rechtsbegründend nach § 17 Abs 1 Satz 2 Nr 1 ALG in Verbindung mit § 56 Abs 1 SGB VI aus. Auch hat der Landwirtsehegatte auf Grund von Zeiten der Kindererziehung Zugang zur gesetzlichen Rente …". Diese Argumentation lässt darauf schließen, dass das BVerfG die Regelungen des Rentenrechts als mit dem GG insoweit vereinbar angesehen hat (vgl Ruland, SDSRV 57 <2008>, 53, 57) und macht deutlich, dass auch das BVerfG für die GRV von einem ausreichenden Ausgleich der Kindererziehung auf der Leistungsseite ausgeht (zum Verhältnis dieser Entscheidung zum sPV-Urteil vgl BSG <13. Senat> SozR 4-2600 § 70 Nr 2 RdNr 37). Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten fügt sich in die Struktur der Rentenversicherung ein (BVerfG BVerfGK 12, 81, 83).

50

(bb) Auf den Ausgleich eines "externen Effektes" eines Kindes für die GRV kommt es dabei - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht an. Positive "'externe Effekte' der Erziehung und Ausbildung von Kindern" werden nach Ansicht eines von den Klägern angeführten Gutachtens (Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013, S 27) erzeugt, "wenn ein Gutteil der Erträge der dabei vorgenommenen Humankapitalinvestitionen nicht den Finanziers (etwa den Eltern, soweit diese die Kosten der Erziehung und Ausbildung der Kinder überwiegend selbst tragen), sondern Dritten (nämlich allen Angehörigen der Rentnergeneration, unabhängig von ihrer individuellen Beteiligung an der Humankapitalbildung) zugutekommen". Sie entstehen also, wenn sich für "durchschnittliche Kinder" aus heutiger Sicht ein Überschuss aller von ihnen geleisteten Sozialversicherungsbeiträge und Steuern über die von ihnen in Anspruch genommenen Geld- und Sachleistungen ergibt (vgl Werding, aaO, S 89, 47). Entscheidend ist demgegenüber vielmehr, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in deren Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird. Vor diesem Hintergrund veranlasst das von den Klägern vorgelegte Gutachten (Werding, aaO, S 47, 84) den Senat nicht dazu, das Beitragsrecht der GRV insoweit für verfassungswidrig zu halten. Entscheidend ist demgegenüber vielmehr, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in deren Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird.

51

In dem Gutachten wird aus sozialökonomischer Sicht der Versuch unternommen, innerhalb bestimmter als modellhaft angenommener Rahmenbedingungen einen "externen Vorteil" von Kindern für die GRV zu beziffern. Der Ausgleich eines "externen Effektes" eines Kindes ist jedoch verfassungsrechtlich nicht geboten. Zwar besteht der generative Beitrag nach den Ausführungen des BVerfG im sPV-Urteil in der pekuniären Beitragsleistung, die die heutigen Kinder in der Zukunft erbringen werden (vgl Estelmann, SGb 2002, 245, 254). Es soll der Vorteil ausgeglichen werden, der Versicherten ohne Kinder im Versicherungsfall erwächst. Dieser Vorteil soll sich aber in der Erziehungsleistung der Eltern spiegeln, die wegen der Erziehung zu ihrem Nachteil - im Vergleich zu Kinderlosen - auf Konsum und Vermögensbildung verzichten (BVerfGE 103, 242, 264 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17). Dieser Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung entsteht wiederum durch die Kosten, die sich ergeben, wenn sich Eltern der Erziehung widmen und auf eine Berufstätigkeit verzichten oder dieser nur eingeschränkt nachgehen, durch Betreuungskosten oder sonstige Kosten, die mit der Betreuung und Erziehung von Kindern zusammenhängen. So formuliert das BVerfG ausdrücklich, dass die mit der Erziehungsleistung verbundene Belastung der Eltern, die in deren Erwerbsphase auftritt, auch in diesem Zeitraum auszugleichen ist (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22). Demnach können zum Ausgleich des Nachteils aber auch alle familienfördernden Elemente mitberücksichtigt werden, dh auch solche, die in anderen Bereichen als der GRV seit jeher vorhanden sind bzw sukzessive eingeführt wurden und die die "Nachteile", die Eltern durch die Betreuung und Erziehung von Kindern in der Erwerbsphase entstehen, vermindern (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 251). Zu den vielfältigen derartigen Leistungen für die Zeit von 1992 bis 2004 ist ebenfalls auf den Bericht der Bundesregierung (aaO, BT-Drucks 15/4375) zu verweisen. Leistungen für Familien außerhalb der GRV in den Jahren nach 2004 werden im Einzelnen in den Sozialberichten der Bundesregierung aufgeführt (vgl Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2005, BT-Drucks 15/5955, S 21, 37 f, 94 ff, 100; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2009, BT-Drucks 16/13830, S 20 ff, 57, 64, 74 ff, 79, 83, 86, 96, 109 f, 113, 117, 127 f, 132 f, 135, 190 f; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Nationaler Sozialbericht 2012, BT-Drucks 17/12649, S 7, 9 ff; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2013, BT-Drucks 17/14332, S 21, 41, 45 ff, 54, 57, 60, 99, 101, 149 f).

52

Die - auch von den Klägern angeführte - Untersuchung von Schmähl/Rothgang/Viebrok (Berücksichtigung von Familienleistungen in der Alterssicherung - Analyse und Folgerungen aus ökonomischer Sicht, DRV-Schriften Band 65 <2006> 106) weist insoweit zutreffend darauf hin, dass das BVerfG in seinem sPV-Urteil (gerade) "nicht versucht hat, das Zusammenspiel von elterlichen, staatlichen, betrieblichen und anderen Erziehungsleistungen zu durchdringen und auf dieser Basis den Beitrag der Eltern und damit den externen Effekt ihrer Kindererziehungsleistungen zu beziffern" (vgl ebenda). Gleiches ist auch im vorliegenden Rechtsstreit bedeutsam, weil es nach den dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben jedenfalls keine zwingende Notwendigkeit für eine Berücksichtigung des "externen Effekts" gibt. Darüber hinaus machen diese - ebenfalls aus dem Bereich der Sozialökonomie stammenden - Autoren deutlich, dass der externe Effekt selbst bei fachspezifischer Analyse nicht betragsmäßig beziffert werden kann.

53

(b) Die beitragsrechtliche Differenzierung bzw Gleichbehandlung ist auch deshalb gerechtfertigt, weil ein in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegender "Beitrag" und der Finanzbeitrag in der GRV weder gleichartig noch gleichwertig sind; denn mit der Erziehungsleistung wird für die - aktuell - zu finanzierenden Renten weder ein unmittelbarer noch ein mittelbarer Beitrag geleistet. Der Beitrag zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der GRV, der in Form von Kindererziehung geleistet wird, kann im Unterschied zu den "echten" monetären Beiträgen der Erwerbstätigen nicht sogleich wieder in Form von Rentenzahlungen an die nicht mehr Erwerbstätigen ausgeschüttet werden (BVerfGE 87, 1, 40 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 9 <"Trümmerfrauen-Urteil">; im Ergebnis auch Ruland, NJW 2001, 1673, 1677). Im (einfachrechtlichen) Rentenrecht gibt es keine dokumentierte und fixierte Sonderbeziehung zwischen aktiv erwerbstätiger Generation und nachwachsender Generation. Eine solche Sonderbeziehung besteht nur zwischen der jeweiligen Generation der aktiv Erwerbstätigen einerseits und der jeweils aktuellen Rentnergeneration andererseits. Mit anderen Worten: Mit "generativen Beiträgen" (durch Kindererziehung) können aktuelle Renten nicht bezahlt werden. Dies hat der Senat bereits entschieden (BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 57 f). Daran hält er fest.

54

Dieser Befund der fehlenden Möglichkeit der Gleichsetzung eines "monetären" mit dem "generativen" Beitrag (aA Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 88 f) wird auch nicht durch einen Rückgriff auf den durch die Betreuungs- und Erziehungsleistung entstehenden "Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung" als Vergleichsmaßstab bzw "gemeinsamer Nenner" (so Lenze, NZS 2007, 407, 408) in Frage gestellt. Hierbei handelt es sich nur um eine "Umformulierung" desselben Sachverhalts, weil der "Verzicht" gerade durch den Aufwand für Beiträge bzw durch das durch die Betreuungs- und Erziehungsleistung verminderte Einkommen der Eltern entsteht; dh der Aufwand der Eltern für die Beitrags- bzw die Betreuungs- und Erziehungsleistung geht auf der anderen Seite zwingend mit einem Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung einher.

55

(c) Ein sachlicher Grund für die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Rentenversicherungsbeiträgen für Versicherte mit Kindern liegt weiter darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern als Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen der GRV darstellt. Ein solcher von den Klägern geforderter Ausgleich wäre keine "systemspezifische" Aufgabe der GRV.

56

Die GRV ist für ihren Fortbestand auf nachwachsende Beitragszahler ebenso angewiesen, wie das Staatswesen für seinen Fortbestand auf ein nachwachsendes Staatsvolk. Auch wenn sich derartige allgemeine Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit des Staates (auch) innerhalb des Systems der GRV auswirken, handelt es sich doch nur bei "genuin innerhalb des GRV-Systems entstehenden Auswirkungen um systemspezifische" (vgl BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52; unter Hinweis Haass, KJ 2002, 104, 108 f). Im bestehenden Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland liegt es verteilungs- und ordnungspolitisch näher - bzw ist jedenfalls verfassungsrechtlich auch aus heutiger Sicht nicht zu beanstanden -, wenn der von den Klägern erstrebte Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern als Teil des Ganzen durch Maßnahmen im Steuerrecht gelöst wird (vgl ebenso: Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 7, 13; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, Bericht der Kommission, 2003, S 114 f; aus der Literatur: Ruland, NJW 2001, 1673, 1677; ders, SDSRV 57 <2008>, 53; Haass, KJ 2002, 104, 107; Ebsen, VSSR 2004, 3, 17; Hase, VSSR 2004, 55, 68; Axer, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft - DStJG - 29 <2006>, 175, 192).

57

Dies hat der Senat bereits in seinen Urteilen vom 5.7.2006 entschieden (stellvertretend BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52 ff). Die GRV darf nicht Aufgaben der Gesamtgesellschaft lösen (vgl BVerfGE 75, 108, 148). Jede staatliche Gemeinschaft ist auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen angewiesen, weshalb an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Das allein gebietet es nicht, diese Betreuungs- und Erziehungsleistung zugunsten der Familien in einem bestimmten sozialen Leistungssystem zu berücksichtigen (BVerfGE 103, 242, 265 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 18). Dieses Argument ist deshalb (gerade) nicht - wie die Kläger meinen - im Hinblick auf die Bindungswirkung des sPV-Urteils nach § 31 BVerfGG für die GRV ohne verfassungsrechtliche Relevanz. Das Teilsystem der GRV kann die Elemente des dieses System fördernden und fordernden Umfeldes nicht selbst steuern oder intern ausgleichen; wer es unternimmt, innerhalb des Systems dessen äußere Voraussetzungen zu korrigieren, bewegt sich logisch außerhalb eines Systemausgleichs. Die Probleme des Ausgleichs des Aufwandes für Kinder sind Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen jedweder Altersvorsorge bzw Zukunftsfähigkeit jeder Gemeinschaft und damit keine spezifische Aufgabe der GRV (vgl erneut BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52 ff). Hieran hält der Senat fest.

58

(d) Die Berücksichtigung einer auf der Betreuungs- und Erziehungsleistung beruhenden Vorleistung im Recht der GRV könnte ferner zu verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen an anderer Stelle führen (vgl hierzu die Nachweise in BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 58). Ein solcher Binnenausgleich auf der Beitragsseite könnte Eltern benachteiligen, die einen gleich hohen Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern haben, aber nicht Mitglied der GRV sind und daher für ihre Altersvorsorge selbst (privat) zu sorgen haben (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 5, 7; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Stellungnahme des Sozialbeirats, aaO, BT-Drucks 14/6099, S 8; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, aaO; Ruland, NJW 2001, 1673, 1675). Umgekehrt könnten Kinderlose, die nicht Versicherte der GRV sind, nicht an diesem Ausgleich teilnehmen (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, BT-Drucks 15/4375, S 5; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, aaO; Ruland, NJW 2001, 1673, 1674; Ebsen, Jura 2002, 401, 404; ders VSSR 2004, 3, 17; kritisch hierzu Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 90).

59

Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass es vorliegend "nur" um den Ausgleich von Betreuungs- und Erziehungsleistungen von in der GRV versicherten Eltern gehe: Zum einen verkennt dies den - wie dargestellt - übergreifenden Charakter der Betreuungs- und Erziehungsleistungen von Eltern. Zum anderen könnte es selbst bei einer Betrachtung nur innerhalb der GRV zu einer verfassungsrechtlich schwer zu rechtfertigenden Umverteilung von niedrigen zu höheren Einkommen kommen, weil besserverdienende Kindererziehende durch die Beitragsentlastung stärker begünstigt würden als Kindererziehende mit geringerem Einkommen. Bei Kinderlosen könnte es zu einer Privilegierung von gut verdienenden gegenüber weniger gut verdienenden Versicherten kommen. Dies alles würde aus dem Umstand folgen, dass das beitragspflichtige Einkommen in der GRV durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt ist (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 5). Allgemein ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass jedwede Änderung im Recht der GRV als einem auf lange Sicht angelegten System der sozialen Alterssicherung vielfältige verfassungsrechtliche Risiken und Folgewirkungen beinhalten würde. Den Sozialgesetzgeber trifft insoweit auch eine gewisse Schutzverpflichtung zugunsten des selbstgesetzten Systems (vgl hierzu Papier, DRV 2001, 350, 358).

60

(e) Schließlich ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe auch wegen des grundsätzlichen strukturellen Unterschieds zwischen sPV und GRV im Hinblick auf die Leistungsbemessung gerechtfertigt. Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern abhängig vom jeweils bestehenden Pflegebedarf (vgl §§ 36 ff SGB XI). Auch besteht der Leistungsanspruch grundsätzlich bereits - ohne Wartezeit - mit Beginn des Versicherungsschutzes in vollem Umfang (vgl schon Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 6 ff; Hase, Sozialversicherung und Familie zwischen sozialem Ausgleich und staatlicher Verantwortung, DRV-Schriften 46 <2003>, 29, 61; Ruland, SDSRV 57 <2008>, 53, 57). Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Hiervon unterscheidet sich das Leistungsrecht in der GRV strukturell. Hier sind die Rentenleistungen hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig (vgl § 63 SGB VI). Ein systeminterner Nachteilsausgleich im Beitragsrecht der GRV mag bei alledem "nicht verfassungsrechtlich unzulässig" sein, verfassungsgeboten - wie die Kläger meinen - ist er jedoch nicht.

61

6. Der Senat ist auch nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GKV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Krankenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder in der von den Klägern verlangten Weise zu reduzieren ist (dazu b).

62

a) Nach §§ 241 ff SGB V(diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB V im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung) sind Krankenversicherungsbeiträge nach einem Beitragssatz zu erheben, der in Hundertsteln der beitragspflichtigen Einnahmen festgesetzt wird. Der allgemeine Beitragssatz war anfänglich krankenkassenindividuell verschieden und wird seit dem 1.1.2009 bundeseinheitlich festgelegt. Für bestimmte Versicherte sieht das Beitragsrecht der GKV ermäßigte bzw besondere Beitragssätze vor (§§ 243 ff SGB V). Nach § 223 Abs 2 S 1 SGB V werden die Krankenversicherungsbeiträge nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen. Welche Einnahmen hierunter fallen, wird bei versicherungspflichtig Beschäftigten durch § 226 Abs 1 SGB V bestimmt. Der Umfang der beitragspflichtigen Einnahmen ist nach unten durch eine Bagatellgrenze (§ 226 Abs 2 SGB V) und nach oben durch die Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 Abs 3 S 1 SGB V) beschränkt. Die Krankenversicherungsbeiträge werden bei Beschäftigten von diesen und ihren Arbeitgebern im Grundsatz jeweils zur Hälfte getragen (§ 249b SGB V).

63

b) Die Kläger können nicht beanspruchen, von ihren auf dieser Gesetzeslage beruhenden Krankenversicherungsbeiträgen deshalb im geforderten Umfang entlastet zu werden, weil sie ihrer Auffassung nach bereits durch die Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems der GKV erbracht hätten und anderenfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG nicht berufen, weil das Beitragsrecht der GKV von der Bindungswirkung dieses Urteils (§ 31 BVerfGG) nicht erfasst wird (vgl bereits - zum Beitragsrecht der GRV - oben 5. b> aa>). Auch können sich die Kläger nicht mit Erfolg auf das aus Art 6 Abs 1 GG folgende Gebot zur Förderung der Familie stützen (so schon - zum Beitragsrecht der GRV - oben 5. b> bb>).

64

Der Senat ist schließlich nicht davon überzeugt, dass die hier einschlägigen beitragsrechtlichen Vorschriften der GKV in ihrer Anwendung auf Personen wie die Kläger Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verletzen. Entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht ist bereits zweifelhaft, ob die GKV alle vom BVerfG in seinem sPV-Urteil aufgestellten Voraussetzungen für einen - von ihnen so bezeichneten - "intergenerationellen" Gleichheitsverstoß erfüllt; fraglich ist nämlich vor allem, ob die GKV ein versichertes Risiko abdeckt, das "überproportional" im Alter auftritt und durch Beiträge der nachwachsenden Generation finanziert wird (dazu aa). Unabhängig davon ergäbe sich auch deshalb kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG, weil bei Prüfung in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Zusammenhang für eine Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe im Beitragsrecht der GKV rechtfertigende Sachgründe vorliegen (dazu bb).

65

aa) Würden die im sPV-Urteil aufgestellten Voraussetzungen, bei deren Vorliegen das BVerfG einen Verstoß der beitragsrechtlichen Vorschriften der sPV gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG angenommen hat, auf die GKV "übertragen", so wäre eine Verletzung des Gleichheitssatzes durch deren einschlägige gesetzliche Beitragsvorschriften nach diesen Maßstäben zumindest zweifelhaft. Anders als die Kläger meinen, ist die "Übertragbarkeit" des sPV-Urteils auf die GKV nämlich nicht schon deshalb "weniger problematisch", weil sich die Organisations- und Finanzierungsstrukturen der sPV und der GKV "weitgehend entsprechen". Dies mag bezogen auf die Organisations- und Finanzierungsstrukturen zutreffen. Ein erheblicher Unterschied besteht jedoch bei dem jeweils versicherten Risiko.

66

Im sPV-Urteil hat das BVerfG ausgeführt, es ist entscheidend, dass "der durch den Eintritt des Versicherungsfalls verursachte finanzielle Bedarf überproportional häufig in der Großelterngeneration (60 Jahre und älter) auftritt" (BVerfG, 103, 242, 263 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 16). Als Lebensrisiko betrifft das Risiko einer Erkrankung alle Altersgruppen der Gesellschaft; Entsprechendes gilt für das in der GKV versicherte Risiko, die durch Krankheit bedingten (Krankheits-)Aufwendungen und ggf Verdienstausfälle finanziell nicht tragen zu können. Zwar steigen die Krankheitskosten pro Kopf nach den öffentlich, dh für jedermann verfügbaren statistischen Daten allgemein - unabhängig von der Zugehörigkeit zur GKV - grundsätzlich im Alter deutlich an.

67

So lagen die Krankheitskosten etwa im Jahr 2006 für Einwohner unter 15 Jahren bei jährlich 1240 Euro, bei Einwohnern zwischen 15 und 30 Jahren bei 1180 Euro, bei den 30 bis 45-jährigen bei 1600 Euro, bei den 45 bis 65-jährigen bei 2930 Euro, bei den 65 bis 85-jährigen bei 6140 Euro und bei Einwohnern von 85 Jahren und älter bei 14 440 Euro (Statistisches Bundesamt, Gesundheit - Krankheitskosten, Wiesbaden 2010, S 14). Das allgemeine Ausgabenvolumen stellte sich im Jahr 2006 jedoch so dar, dass für die Gruppe der unter 65 Jahre alten Personen Krankheitskosten von insgesamt rund 124,7 Mrd Euro entstanden sind, für die Gruppe der 65-jährigen und älter aber "nur" rund 111,9 Mrd Euro ( https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/tabelleErgebnis/23631-0002 , recherchiert am 8.9.2015). Für das Jahr 2008 galt Folgendes: Die Krankheitskosten für Einwohner unter 15 Jahren lagen bei jährlich 1360 Euro, bei Einwohnern zwischen 15 und 30 Jahren bei 1320 Euro, bei den 30 bis 45-jährigen bei 1700 Euro, bei den 45 bis 65-jährigen bei 3010 Euro, bei den 65 bis 85-jährigen bei 6520 Euro und bei Einwohnern von 85 Jahren und älter bei 14 840 Euro (Statistisches Bundesamt, aaO, S 14). Das allgemeine Ausgabenvolumen stellte sich im Jahr 2008 jedoch so dar, dass für die Gruppe der unter 65 Jahre alten Personen Krankheitskosten von insgesamt rund 131,2 Mrd Euro entstanden sind, für die Gruppe der 65-jährigen und älter aber "nur" rund 123,1 Mrd Euro ( https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/
tabelleErgebnis/23631-0002 , recherchiert am 8.9.2015). Öffentlich zugängliche Statistiken für die Jahre ab 2009 sind in der hier angegebenen Form nicht ersichtlich, was sich ua dadurch erklärt, dass nur bis 2008 die Zuteilung der Mittel an die Krankenkassen ua nach den durchschnittlichen altersabhängigen Leistungsausgaben erfolgte und diese dementsprechend altersabhängig ermittelt wurden. Seit 2009 werden die Mittel im Risikostrukturausgleich in erster Linie morbiditätsorientiert vergeben. Die altersabhängigen Gesundheitsausgaben werden seit 2009 vom Bundesversicherungsamt nur auf Stichprobenbasis ermittelt (vgl Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013, S 33).

68

Der überwiegende Teil der Gesamtkosten (Krankheitskosten) entstand nach den vorstehenden Ausführungen in der Generation der Erwerbstätigen selbst, und nicht - wie vom BVerfG im sPV-Urteil gefordert (BVerfGE 103, 242, 263 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 16 f)- "überproportional" in der Generation der Älteren/Nichterwerbstätigen. Hinzu kommt speziell im Beitragsrecht der GKV, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Krankheitskosten von der nicht mehr erwerbstätigen Generation selbst getragen wird, weil auch Rentner selbst Beiträge zur GKV aufbringen, sodass hier gerade keine eindeutige "überproportionale" Umverteilung von der jungen zur alten Generation erfolgt (vgl hierzu bereits BSG <1. Senat> BSGE 92, 46 RdNr 33 = SozR 4-2500 § 61 Nr 1 RdNr 34; Lenze, EuGRZ 2001, 280, 282 Fn 16). Entsprechend wies die Bundesregierung in einer Unterrichtung des Deutschen Bundestages am 4.11.2004 darauf hin, dass Rentner in der sPV nur ca 25 % ihrer Leistungsausgaben durch Beitragszahlungen selbst aufbringen, jedoch mehr als 80 % der Gesamtausgaben verursachen. Demgegenüber liegt der Eigenfinanzierungsanteil von Rentnern in der GKV immerhin bei ca 46 % ihrer Leistungsausgaben (vgl Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 8).

69

bb) Dessen ungeachtet ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Ungleichbehandlung der Kläger in der GKV auch in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt. In Anwendung der aus Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vom BVerfG entnommenen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (dazu oben 5. b> cc> <2>) stellt die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung der Krankenversicherungsbeiträge für Versicherte mit Kindern keinen Gleichheitsverstoß dar. Der Gesetzgeber hat auch im Beitragsrecht der GKV jedenfalls die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt (zu dieser Voraussetzung siehe bereits die Nachweise oben unter 5. b> cc> <2>), weil er die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile bereits im Beitrags- bzw Leistungsrecht der GKV ausgeglichen hat (dazu im Folgenden <1>). Überdies sind der "Erziehungsbeitrag" einerseits und der Finanzbeitrag andererseits auch in der GKV nicht gleichartig oder gleichwertig (dazu <2>). Ein sachlicher Grund für das Fehlen einer weitergehenden Berücksichtigung der Kindererziehungsleistung im Beitragsrecht der GKV liegt weiter darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern auch in der GKV als Teil ihrer allgemeinen Rahmenbedingungen darstellt (dazu <3>). Schließlich könnte eine Berücksichtigung dieses Aufwandes im Beitragsrecht der GKV ebenso wie in der GRV zu anderen verfassungsrechtlich problematischen Verwerfungen führen (dazu <4>).

70

(1) Der Gesetzgeber hat bereits deshalb die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil im Recht der GKV in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente bestehen und er die durch Kinderbetreuung und -erziehung entstehenden Nachteile so - entgegen der Auffassung der Kläger - bereits im Beitrags- bzw Leistungsrecht der GKV ausgeglichen hat (Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375 S 7 ff; ebenso Axer, DStJG 29 <2006>, 175, 198 mwN; Plagemann, ZIP 2001, 1041, 1045; zweifelnd Rothgang, SF 2001, 121, 123). Wie schon oben zum Beitragsrecht der GRV unter 5 b) cc) (2) ausgeführt, kommt es für die Frage nach einer Kompensation der Nachteile darauf an, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in der Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird. Das BVerfG verlangt in seinem sPV-Urteil gerade nicht den Ausgleich des Vorteils der Kinderlosen im Versicherungsfall, also des Transfers, den die heutigen Kinder als zukünftige Beitragszahler zugunsten der kinderlosen Versicherten im Rentenalter werden erbringen müssen (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 252). Die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung verbundene Belastung der Eltern, die in deren Erwerbsphase auftritt, ist auch in diesem Zeitraum auszugleichen (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22). Familienfördernde Elemente im System der GKV sind - zusammengefasst -:

        

•       

Beitragsfreie Familienversicherung (§ 10 SGB V),

        

•       

Krankengeld bei Erkrankung des Kindes (§ 45 SGB V),

        

•       

Anspruch auf Haushaltshilfe (§ 38 SGB V),

        

•       

keine Zuzahlungspflicht für Kinder (§ 39 Abs 4, § 40 Abs 5, 6 SGB V),

        

•       

Minderung der Belastungsgrenze für Zuzahlungen (§ 62 Abs 2 SGB V),

        

•       

Fortbestehen der Pflichtmitgliedschaft bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, Bezug von Erziehungsgeld oder Elterngeld oder bei Inanspruchnahme von Elternzeit (§ 192 Abs 1 Nr 2 SGB V),

        

•       

Beitragsfreiheit bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, Bezug von Erziehungsgeld oder von Elterngeld (§ 224 Abs 1 SGB V),

        

•       

Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft (früher: §§ 195 bis 200 RVO, seit 30.10.2012: §§ 24c bis 24i SGB V).

71

Das Beitragsrecht und Leistungsspektrum der GKV ist daher bereits spezifisch familien- und kinderorientiert; demzufolge ist die Solidarkomponente in der GKV zugunsten von Versicherten mit Kindern und Familien - de lege lata - erheblich stärker ausgeprägt als in der sPV. Dass mit der Berücksichtigung dieser Elemente - wie die Kläger meinen - lediglich eine "Symmetrie im Lebenslängsschnitt hergestellt" werde mit der Folge, dass diese Vergünstigungen als Kompensationen zwischen Eltern und Kinderlosen ausscheiden, erschließt sich daher nicht. Zu den Leistungen für kindererziehende Familien verweist der Senat ergänzend für die Zeit bis 2004 auf den Bericht der Bundesregierung (aaO, BT-Drucks 15/4375, S 7 ff), für die Zeit nach 2004 verweist er ergänzend auf die Sozialberichte der Bundesregierung (Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2005, BT-Drucks 15/5955, S 21, 37, 94 ff, 100; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2009, BT-Drucks 16/13830, S 20 ff, 57, 64, 74 ff, 79, 83, 86, 96, 109 f, 113, 117, 127 f, 132 f, 135, 190 f; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Nationaler Sozialbericht 2012, BT-Drucks 17/12649, S 7, 9 ff; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2013, BT-Drucks 17/14332, S 21, 41, 45 ff, 54, 57, 60, 99, 101, 149 f).

72

Neben anderen Vergünstigungen rechtfertigt vor allem die beitragsfreie Familienversicherung (§ 10 SGB V), dass von einer weiteren Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der GKV abgesehen werden durfte (siehe auch Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375 S 7 ff; Plagemann, ZIP 2001, 1041, 1045; Axer, DStJG 29 <2006>, 175, 198 mwN). Die Familienversicherung in der GKV reicht weiter als in der sPV, weil die Leistungen im Krankheitsfall von Kindern und beitragsfrei versicherten Ehegatten auch häufiger in Anspruch genommen werden. Ohne die Familienversicherung müssten Eltern Beiträge für Kinder aufbringen oder für Behandlungskosten bei Eintritt des Versicherungsfalles selbst aufkommen. Dem steht auch nicht das Ergebnis des von den Klägern vorgelegten Gutachtens (Niehaus, aaO) entgegen; danach soll die "Durchschnittsfamilie" mehr an Beiträgen in die GKV einzahlen als sie Leistungen in Anspruch nimmt; dieses Verhältnis soll sich erst ab dem vierten Kind umkehren. Selbst wenn man diesen Befund als richtig unterstellt und die der Untersuchung zugrunde gelegten (volkswirtschaftlichen) Parameter bzw den durch Zahlenwerte konkretisierten Rahmen der Studie für zutreffend hält, ist der Ansatzpunkt dieser Untersuchung problematisch und macht aus der "beitragsfreien Familienversicherung" - entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht - keine solche, in der Beiträge (mittelbar) eben doch entrichtet werden müssen. Die "Simulationsrechnung" berücksichtigt nicht, dass die GKV eine Risikoabsicherung bietet, also im weiteren Sinne eine Risikoversicherung ist. Durch seine Beiträge "erkauft" der Versicherte für sich und seine Mitversicherten, dass er bzw sie bei Eintritt des Versicherungsfalles gegen das Risiko "Krankheit" verbunden mit Krankheitskosten abgesichert ist und sind und entsprechende Leistungen in Anspruch nehmen kann und können. Allein schon hierin besteht ein wirtschaftlicher Wert. Ob sich das Risiko tatsächlich verwirklicht und falls ja, in welchem Umfang, ist für die Beitragsbemessung unerheblich; Beiträge in der GKV sind bezogen auf den einzelnen Versicherten ausschließlich einnahmenorientiert.

73

(2) Für die hier zu prüfende Differenzierung bzw Gleichbehandlung im Beitragsrecht der GKV besteht auch deshalb ein rechtfertigender Grund, weil der in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegende "Beitrag" und der Finanzbeitrag in der GKV nicht gleichartig oder gleichwertig sind. Auf die bereits oben zum Beitragsrecht der GRV gemachten Ausführungen wird insoweit verwiesen (oben 5. b> cc> <2> ). Es fehlt auch in der GKV an der Gleichartigkeit, weil mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung für die - aktuell - zu finanzierenden Leistungen der GKV weder ein unmittelbarer noch ein mittelbarer Beitrag geleistet wird. Der Beitrag zur Aufrechterhaltung der GKV, der in Form von Kinderbetreuung und -erziehung geleistet wird, kann im Unterschied zu den "greifbaren" monetären Beiträgen nicht sogleich wieder als Leistung an Leistungsberechtigte gewährt werden. Ebenso wie in der GRV geht es - entgegen der Auffassung der Kläger - auch hier weiterhin um die Frage einer Gleichsetzung von monetären mit generativen Beiträgen (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 249; Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 88 f). Der Rückgriff auf den mit der Erziehungsleistung einhergehenden "Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung" als Vergleichsmaßstab bzw "gemeinsamer Nenner" (so Lenze, NZS 2007, 407, 408) verhilft dem Begehren der Kläger auch in der GKV nicht zum Erfolg, weil dieser "Verzicht" gerade aus dem Aufwand für die Kinderbetreuung und -erziehung bzw aus der Aufbringung der Beiträge stammt.

74

(3) Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der einschlägigen beitragsrechtlichen Bestimmungen am Maßstab des Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG ist überdies zu berücksichtigen, dass sich der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern auch in der GKV als Teil ihrer allgemeinen Rahmenbedingungen darstellt. Sein Ausgleich ist keine spezifische Aufgabe der GKV und muss daher nicht zwingend durch eine weitergehende Berücksichtigung der Kinderbetreuungs- und -erziehungsleistung im Beitragsrecht der GKV vorgenommen werden. Auf die obigen Ausführungen zum Beitragsrecht der GRV (oben 5. b> cc> <2>) wird insoweit verwiesen. Auch für die GKV gilt, dass sie nicht Aufgaben der Gesamtgesellschaft zu lösen hat. Wie bereits angesprochen führt das BVerfG in seinem sPV-Urteil aus, dass auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen jede staatliche Gemeinschaft angewiesen ist und so an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Das allein gebietet es nicht, diese Erziehungsleistung zugunsten der Familien in einem bestimmten sozialen Leistungssystem zu berücksichtigen (BVerfGE 103, 242, 265 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 18).

75

(4) Zu bedenken ist schließlich, dass eine von den Klägern erstrebte besondere Berücksichtigung der Betreuung und Erziehung von Kindern auch im Beitragsrecht der GKV zu anderen verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen führen könnte, weil sie neue Gleichbehandlungsprobleme nach sich zöge. Auch insoweit ist auf die bereits oben gemachten Ausführungen zur GRV zu verweisen (oben 5. b> cc> <2> ). Die Berücksichtigung auf der Beitragsseite könnte auch in der GKV solche Eltern benachteiligen, die nicht Mitglied der GKV sind. Zudem könnten Kinderlose, die nicht Mitglied der GKV sind, nicht an einem Ausgleich teilnehmen. Schließlich könnte die von den Klägern geforderte Ausgestaltung des Beitragsrechts auch in der GKV eine Umverteilung von niedrigen zu höheren Einkommen zur Folge haben. Zum einen könnten im System besserverdienende Kindererziehende durch die Beitragsentlastung stärker begünstigt werden als Kindererziehende mit geringerem Einkommen. Zum anderen käme es möglicherweise bei Kinderlosen zu einer Privilegierung von gut verdienenden gegenüber weniger gut verdienenden Versicherten. Dass dies eintreten kann, beruht auf dem Umstand, dass die beitragspflichtigen Einnahmen auch in der GKV durch eine Beitragsbemessungsgrenze begrenzt sind. Bei alledem kommt in der GKV hinzu, dass die Berücksichtigung der Kinderkomponente innerhalb dieses Systems auf der Beitragsseite Personen, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei sind und das System daher verlassen können (vgl § 6 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 6, § 9 SGB V), an einem kinderbetreuungs- und kindererziehungsbezogenen Ausgleich gar nicht beteiligen würde.

76

7. Der Senat ist schließlich nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass die hier maßgebenden Bestimmungen des Beitragsrechts der sPV unter Einschluss ihrer Änderungen in Umsetzung des sPV-Urteils (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Pflegeversicherungsbeitrag von Versicherten mit Kindern nicht - wie von den Klägern gefordert - zu ermäßigen ist (dazu b).

77

a) Die Bemessung der (eigenen) Beiträge der Kläger zur sPV ohne Berücksichtigung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder - im Umfang eines fixen Betrages bzw gestaffelt nach der Kinderzahl - steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften.

78

Nach § 54 Abs 2 S 1 SGB XI(diese wie auch die nachfolgenden Bestimmungen des SGB XI im Wesentlichen in der bis heute fortgeltenden Fassung vom 26.5.1994, BGBl I 1014) werden die Pflegeversicherungsbeiträge nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§ 55 SGB XI) erhoben. § 55 Abs 1 SGB XI regelt den Beitragssatz. Er betrug in der hier streitigen Zeit 1,7 vH bzw ab 1.7.2008 1,95 vH der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder. Nach § 55 Abs 3 S 1 SGB XI(eingefügt durch Art 1 KiBG vom 15.12.2004, BGBl I 3448) erhöht sich der Beitragssatz nach Abs 1 S 1 und 2 für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in dem sie das 23. Lebensjahr vollendet haben, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose). Den Beitragszuschlag für Kinderlose tragen grundsätzlich die Mitglieder (§ 58 Abs 1 S 3, § 59 Abs 5 SGB XI). Kein Beitragszuschlag ist nach § 55 Abs 3 S 2 SGB XI von versicherten Eltern iS des § 56 Abs 1 S 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 2 und 3 SGB I zu entrichten. Keinen Beitragszuschlag zahlen auch vor dem 1.1.1940 geborene Versicherte, Wehr- und Zivildienstleistende und Bezieher von Arbeitslosengeld II (§ 55 Abs 3 S 7 SGB XI). § 57 Abs 1 S 1 SGB XI bestimmt, dass bei Mitgliedern der Pflegekasse, die in der GKV pflichtversichert sind, für die Beitragsbemessung ua § 226 SGB V gilt. Nach § 58 Abs 1 S 1 SGB XI tragen die in der GKV versicherungspflichtigen Beschäftigten und ihre Arbeitgeber die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge jeweils zur Hälfte. Dass Pflegeversicherungsbeiträge der Kläger im Zeitraum von 2006 bis 2012 in zutreffender Anwendung dieser Vorschriften erhoben wurden, ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit.

79

Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen über den Beitragszuschlag für Kinderlose das sPV-Urteil des BVerfG (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) umgesetzt (vgl dazu bereits BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 10). Das BVerfG hatte in dieser Entscheidung die damaligen beitragsrechtlichen Vorschriften der § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 S 1 und Abs 2 sowie § 57 SGB XI für unvereinbar mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG erklärt, soweit Mitglieder der sPV mit Kindern mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag belastet wurden wie Mitglieder ohne Kinder. Es hat ausgeführt, dass Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG dadurch verletzt ist, dass die Betreuung und Erziehung von Kindern als konstitutive Leistung für das Pflegeversicherungssystem bei der Bemessung von Beiträgen beitragspflichtiger Versicherter keine Berücksichtigung findet. Dadurch wird - so das BVerfG - die Gruppe der Versicherten mit Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sPV, die aus dieser Betreuungs- und Erziehungsleistung im Fall ihrer Pflegebedürftigkeit Nutzen ziehen, in verfassungswidriger Weise benachteiligt. Wird dieser "generative Beitrag" nicht mehr in der Regel von allen Versicherten erbracht, führt dies zu einer spezifischen Belastung kindererziehender Versicherter im Pflegeversicherungssystem, deren benachteiligende Wirkung auch innerhalb dieses Systems auszugleichen ist.

80

Das BVerfG hat damit verbindlich entschieden, dass der Nachteil kindererziehender Versicherter bzw der Vorteil kinderloser Versicherter in der sPV systemspezifisch beitragsrechtlich zu kompensieren ist. Für die vom BVerfG geforderte beitragsrechtliche Kompensation des Nachteils kindererziehender Versicherter in der sPV hat der Gesetzgeber allerdings nicht die (eigenen) Beiträge der Versicherten mit Kindern - etwa (allein) anknüpfend an den Tatbestand ihrer Elternschaft oder sogar in Abhängigkeit von der Kinderzahl - reduziert, sondern die Beiträge für Kinderlose um 0,25 Beitragssatzpunkte erhöht.

81

b) Die Kläger können nicht unter Hinweis auf das sPV-Urteil, dh Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabes durch das BVerfG, beanspruchen, wegen des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder beitragsrechtlich weitergehend - als mit dem KiBG bereits geschehen - entlastet zu werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers durch das sPV-Urteil in der von ihnen behaupteten Weise eingeschränkt war (dazu aa). Bei der Ausfüllung des ihm insoweit zustehenden Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber die ihm eingeräumte Befugnis zur Generalisierung und Typisierung bei der Ordnung von Massenerscheinungen nicht überschritten (dazu bb).

82

aa) Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung stellt das BVerfG in seinem sPV-Urteil nicht auf die "Zahl der generativen Beiträge" ab und hat der Gesetzgeber des KiBG dieses Urteil auch nicht missachtet, weil § 55 Abs 3 SGB XI "lediglich einen Beitragszuschlag für Kinderlose anordnet, aber keine Differenzierung nach der Kinderzahl enthält". Der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers war durch das sPV-Urteil nicht in der von den Klägern behaupteten Weise verengt.

83

Wie der Senat bereits entschieden hat (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 15, 17) hat die Entscheidung des Gesetzgebers, Kinderlose mit einem erhöhten Beitrag zu belasten, Versicherte mit Kindern aber ohne Unterscheidung nach der Kinderzahl, (allein) in Anknüpfung an ihre Elterneigenschaft weiter Pflegeversicherungsbeiträge nach dem bisherigen Beitragssatz zahlen zu lassen, die vom BVerfG geforderte relative Beitragsentlastung bewirkt. Es ist nicht erkennbar, dass danach verfassungsrechtlich zusätzlich eine Reduzierung der (eigenen) Pflegeversicherungsbeiträge von Eltern ggf in Abhängigkeit von der Zahl der Kinder - etwa (auch) durch den Abzug von Absetzungsbeträgen je Kind von der Bemessungsgrundlage - geboten gewesen wäre. An dieser Bewertung des sPV-Urteils hält der Senat fest. Die von den Klägern geforderte Regelung würde demgegenüber zu Beitragsausfällen führen, die mit Beitragssatzerhöhungen für andere Pflegeversicherte kompensiert werden müssten; bei angestrebter Beibehaltung des Beitragsaufkommens hätte das zur Folge, dass Kinderlose (noch) höhere Pflegeversicherungsbeiträge zahlen müssten (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 15).

84

Zwar formuliert das BVerfG im sPV-Urteil, dass den Versicherten ohne Kinder im Versicherungsfall ein Vorteil aus der Erziehungsleistung anderer beitragspflichtiger Versicherter erwächst, die wegen der Erziehung zu ihrem Nachteil auf Konsum und Vermögensbildung verzichten (BVerfGE 103, 242, 264 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17 mwN). An anderer Stelle wird ausgeführt, dass der danach zwischen Eltern und kinderlosen Personen vorzunehmende Ausgleich jedenfalls durch Regelungen erfolgen muss, die die Elterngeneration während der Zeit der Betreuung und Erziehung entlasten; denn die Beiträge, die von der heutigen Kindergeneration später im Erwachsenenalter auch zugunsten pflegebedürftiger kinderloser Versicherter geleistet werden, basieren maßgeblich auf den Erziehungsleistungen ihrer heute versicherungspflichtigen Eltern. Die hiermit verbundene Belastung der Eltern tritt in deren Erwerbsphase auf und ist deshalb auch in diesem Zeitraum auszugleichen (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22 mwN).

85

Vor diesem Hintergrund ist den Klägern zwar einzuräumen, dass die Erziehung von mehreren Kindern auch zu entsprechend größeren Erziehungslasten führt und "Konsumverzicht und Vermögensbildung nicht nur abhängig vom Einkommen, sondern insbesondere auch von der Kinderzahl größer oder kleiner ausfallen" (so auch die Ausführungen des Bundesrates in seiner Unterrichtung des Bundestages über die Anrufung des Vermittlungsausschusses zum KiBG: BT-Drucks 15/4176 unter a; ebenso Bauer/Krämer, NJW 2005, 180, 181 f). Das BVerfG zieht jedoch in seinen Ausführungen gerade nicht den Schluss, dass ein Nachteilsausgleich nur durch eine Beitragsentlastung der Eltern - ggf gestaffelt nach der Kinderzahl - erfolgen könne. Vielmehr verweist es darauf, dass dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten offenstehen, die Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Das GG verpflichtet den Gesetzgeber - so das BVerfG - lediglich dazu, beitragspflichtige Versicherte mit einem oder mehreren Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sPV bei der Bemessung der Beiträge relativ zu entlasten. Insoweit ist er von Verfassungs wegen verpflichtet, eine Lösung zu wählen, die Unterhaltsverpflichtete bereits ab dem ersten Kind relativ entlastet. Das ist zwar nicht in der Weise geschehen, dass eine individuelle, die jeweilige konkrete Familiensituation erfassende Beitragsvergünstigung für versicherte Eltern gewährt wird, sondern indem kinderlosen Versicherten generalisierend eine zusätzliche Belastung in Form eines höheren Beitragssatzes allgemein auferlegt wird.

86

bb) War der Gesetzgeber danach in den geschilderten Grenzen frei zu entscheiden, wie er Versicherte mit einem Kind oder mehreren Kindern im Hinblick auf ihren Betreuungs- und Erziehungsaufwand gegenüber kinderlosen Mitgliedern bei der Bemessung der Pflegeversicherungsbeiträge relativ entlastete, so hat er hier bei der Ausgestaltung eines den verfassungsgerichtlichen Vorgaben entsprechenden Beitragsrechts der sPV durch das KiBG die ihm von Verfassungs wegen im Sozialrecht gezogenen Grenzen für generalisierende bzw typisierende Regelungen eingehalten (vgl allgemein zu der hier bestehenden Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers BVerfG SozR 4-3300 § 55 Nr 3 RdNr 9-11).

87

Jede Norm muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie bei der Beitragsbemessung in der sPV (vgl - zur Beitragsbemessung bei freiwillig Versicherten der GKV - BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 15/13 R - Juris RdNr 39, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 240 Nr 25 vorgesehen) sind generalisierende, typisierende und pauschalierende Regeln allgemein als notwendig anerkannt und vom BVerfG im Grundsatz ständig als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden (vgl BVerfGE 17, 1, 23; aus der letzten Zeit BVerfGE 113, 167, 236; stRspr); der Gesetzgeber ist dabei gezwungen, aber auch berechtigt, sich am Regelfall zu orientieren. Unbedenklich ist eine Typisierung aber nur, soweit eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen benachteiligt wird und der Grundrechtsverstoß nicht sehr intensiv ist (vgl BVerfGE 26, 265, 275 f; aus jüngerer Zeit BVerfGE 133, 377, 413); wesentlich für die Zulässigkeit einer typisierenden Regelung ist hierbei auch, ob eine durch sie entstehende Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wäre (vgl BVerfGE 63, 119, 128; BVerfGE 133, 377, 413).

88

Hieran gemessen ist die Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Bemessung der Beiträge zur sPV von Mitgliedern mit Kindern nicht nach der Kinderzahl zu differenzieren, nicht zu beanstanden. Das Gesetz behandelt die von den Klägern repräsentierte Personengruppe - Eltern mit drei Kindern - und Eltern mit (nur) einem Kind oder zwei Kindern zwar gleich, weil alle Eltern weiter Pflegeversicherungsbeiträge nach dem bisherigen Beitragssatz bzw ohne Absetzungen für Kinder von der Bemessungsgrundlage zahlen. Die hierdurch entstehenden Härten und Ungerechtigkeiten sind jedoch hinzunehmen.

89

Der Senat hat bereits entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Beitragsrechts in der sPV durch das KiBG vom Regelfall ausgegangen ist und so die vom BVerfG geforderte relative Entlastung gegenüber Kinderlosen an das (bloße) Vorhandensein bereits eines Kindes knüpfen sowie ab dessen Geburt eine dauerhafte Beitragsentlastung vorsehen durfte (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 17). So lebten im Jahr 2006 in 16 % aller Privathaushalte ein Kind, in 11,4 % aller Privathaushalte zwei Kinder, in 2,9 % der Privathaushalte - wie die Kläger einen führen - drei Kinder, in 0,6 % vier Kinder und in 0,2 % fünf Kinder und mehr (Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit - Haushalte und Familien - Ergebnisse des Mikrozensus 2006, 2008). Die Situation stellte sich im Jahr 2012 ähnlich dar: In 15,1 % aller Privathaushalte lebte ein Kind, in 10,6 % aller Privathaushalte lebten zwei Kinder, in 2,6 % drei Kinder, in 0,5 % vier Kinder und in 0,2 % fünf Kinder und mehr (Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit - Haushalte und Familien - Ergebnisse des Mikrozensus 2012, 2013, S 27). Die geforderte Berücksichtigung des "generativen Beitrags" reicht vor diesem Hintergrund aus, um typisierend an die Stellung als Eltern als solche, dh die Elterneigenschaft, anzuknüpfen, ohne dass etwa nach tatsächlichem Umfang oder tatsächlicher Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung differenziert werden müsste; die Entlastung kann bei der Beitragsbemessung durch die Berücksichtigung allein der Tatsache geschehen, dass bei einem Versicherten betreuungs- bzw erziehungsbedürftige Kinder vorhanden sind. Auch das hat der Senat in der genannten Entscheidung bereits ausgeführt (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 17). Nichts anderes kann für einen tatsächlich erhöhten Umfang bzw eine tatsächlich längere Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung infolge einer größeren Kinderzahl gelten. Soweit gesetzliche Verallgemeinerungen auf einer möglichst weiten, alle betroffenen Personengruppen einschließenden Beobachtung aufbauen, ist der Gesetzgeber nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (BVerfGE 96, 1, 6 mwN; zuletzt BVerfGE 133, 377, 412 mwN).

90

8. Die Klage ist schließlich auch hinsichtlich des Hilfsantrages der Kläger unbegründet, das angefochtene Urteil des LSG mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

91

Eine solche Verfahrensweise kommt nach § 170 Abs 2 S 1 und 2 SGG nur in Betracht, wenn die Revision zwar begründet, eine Entscheidung des BSG in der Sache aber - etwa weil zur Gewährleistung eines verfahrensfehlerfreien sozialgerichtlichen Prozesses in tatsächlicher Hinsicht noch Feststellungen zu treffen sind(vgl zB Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 170 RdNr 7 ff mwN)- "untunlich" ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

92

Ein Verfahrensmangel - hier ein von den Klägern geltend gemachter Verstoß des LSG gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) -, der ggf zur Aufhebung des Urteils des LSG führen müsste, ist nicht gegeben, weil sich das LSG als Tatsachengericht ausgehend von seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung nicht gedrängt fühlen musste, weitere Ermittlungen anzustellen (zu den Voraussetzungen: zB BSGE 40, 49, 50 = SozR 3100 § 30 Nr 7 S 33 f).

93

Das BVerfG hat in seinem sPV-Urteil (BVerfGE 103, 242, 259 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13)entschieden, dass die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen unter dem Vorbehalt des Möglichen und im Kontext anderweitiger Fördernotwendigkeiten steht. Der Gesetzgeber hat danach unter Ausübung des ihm insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums im Interesse des Gemeinwohls - wie bereits oben wiederholt ausgeführt - neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nur unter Abwägung aller Belange lässt sich ermitteln, ob die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genügt. Konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme und somit auch für die Sozialversicherungszweige lassen sich hieraus - so das BVerfG im sPV-Urteil (BVerfGE 103, 242, 259 f = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13 f)- gerade nicht ableiten.

94

Dies bedeutet indessen, dass eine Prüfung nach verfassungsrechtlichen Maßstäben "nur" eine Gesamtabwägung aller Gemeinschaftsbelange erfordert. Demzufolge kommt es in diesem Zusammenhang gerade nicht entscheidend auf einen konkret bezifferten "externen Effekt" eines Kindes an - also darauf, in welchem Maße die Beiträge, die ein Kind im Verlaufe seines Lebens im jeweiligen Sozialversicherungszweig entrichtet, die von ihm in Anspruch genommenen Leistungen übersteigt (so aber am Beispiel der GRV Werding, aaO; allgemein: Adrian, Die ökonomischen Ursachen der niedrigen Fertilität in Deutschland, Beitrag für DGD-Jahrestagung 2012, vom 14. bis 16. März 2012 in Berlin) - oder ob möglicherweise mehr durch Familien an Beiträgen unter Berücksichtigung der Kosten in die Sozialversicherungszweige eingezahlt wird, als an Leistungen in Anspruch genommen werden (dazu zur GKV: Niehaus, aaO; zur GRV: Loos, Kurzgutachten zum Thema "Transferausbeutung der Familien durch die Gesetzlichen Sozialversicherungen - am Beispiel der Gesetzlichen Rentenversicherung", Bl 254 ff der LSG-Akte) an. Zu entsprechenden weitergehenden Ermittlungen war das LSG daher nicht verpflichtet.

95

9. Auch der Senat war - vor dem Hintergrund der vorstehend unter 8. gemachten Ausführungen - nicht gehalten, in eigene Ermittlungen einzutreten bzw insoweit auf die von den Klägern für entscheidungserheblich angesehenen und als allgemeine Tatsachen bewerteten Umstände einzugehen bzw diesen weiter nachzugehen. Es fehlt insoweit aus den oben wiederholt dargelegten rechtlichen Erwägungen an der Entscheidungserheblichkeit für den Ausgang des Rechtsstreits.

96

10. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dabei hat der Senat nach billigem Ermessen davon abgesehen, den Klägern trotz ihres Obsiegens mit ihrer Anfechtungsklage gegen die Beklagte einen Anspruch auf teilweise Kostenerstattung einzuräumen. Denn die erfolgte Aufhebung der Bescheide beruht auf rechtlichen Erwägungen, auf die sich die Kläger im Rechtsstreit nicht einmal gestützt haben. Entscheidend und offenkundig prägend für den Ausgang des Revisionsverfahrens ist es vielmehr, dass die Kläger mit ihrem Begehren in der Sache in allen Punkten nicht durchgedrungen sind.

Tenor

1. Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 des Gesetzes zur Gewährung eines Landeserziehungsgeldes und zur Ausführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (Bayerisches Landeserziehungsgeldgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. November 1995 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 818), Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 des Bayerischen Gesetzes zur Zahlung eines Landeserziehungsgeldes und zur Ausführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes vom 26. März 2001 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 76), Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 des Bayerischen Gesetzes zur Zahlung eines Landeserziehungsgeldes und zur Ausführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2004 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 133) und Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 des Gesetzes zur Neuordnung des Bayerischen Landeserziehungsgeldes vom 9. Juli 2007 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 442) sind mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar.

2. Ersetzt der Gesetzgeber die verfassungswidrigen Regelungen nicht bis zum 31. August 2012 durch eine Neuregelung, tritt Nichtigkeit der beanstandeten Vorschriften ein.

Gründe

A.

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit Art. 3 Abs. 1 GG und mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Gewährung eines Landeserziehungsgeldes und zur Ausführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (Bayerisches Landeserziehungsgeldgesetz - BayLErzGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. November 1995 (GVBl S. 818) die Gewährung von Landeserziehungsgeld auf Deutsche und andere Personen beschränkt, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzen.

I.

2

Der Freistaat Bayern erließ 1989 ein Landeserziehungsgeldgesetz. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollten Leistungen nach diesem Gesetz zeitlich an den Bezug von Leistungen nach dem Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG) anschließen und es Eltern so ermöglichen, über einen längeren Zeitraum Elternzeit zu nehmen und ihre Kinder selbst zu betreuen. Erziehungsgeld wurde gemäß Art. 3 Abs. 1 BayLErzGG in der Fassung des Jahres 1995 ab dem Ende des Bezugs von Bundeserziehungsgeld für weitere zwölf Lebensmonate des Kindes, längstens bis zur Vollendung seines dritten Lebensjahres, gezahlt. Die Höhe des Landeserziehungsgeldes betrug nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayLErzGG 500 DM monatlich. Die Bezugsberechtigung war in Art. 1 Abs. 1 BayLErzGG geregelt. Berechtigt war nach der hier allein zur Prüfung gestellten Regelung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG nur, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besaß.

3

Art. 1 Abs. 1 BayLErzGG hatte in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. November 1995 folgenden Wortlaut:

4

(1) 1 Anspruch auf Landeserziehungsgeld hat, wer

5

1. seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch fünfzehn Monate in Bayern hat,

6

2. mit einem nach dem 30. Juni 1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt,

7

3. dieses Kind selbst betreut und erzieht,

8

4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt und

9

5. die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzt.

10

2 Der Anspruch auf Landeserziehungsgeld setzt nicht voraus, dass der Berechtigte zuvor Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz bezogen hat.

II.

11

In der Begründung des Gesetzentwurfs vom 11. April 1989 heißt es zur Einführung des Landeserziehungsgeldes, die Ergebnisse der Forschung und Praxis hätten in den letzten Jahren zu der allgemeinen Überzeugung geführt, dass die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung in den ersten drei Lebensjahren die Grundlage für die Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit bilde, die Sicherheit und Lebenstüchtigkeit mit emotionaler Bindungsfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein und ausgeprägtem Gemeinschaftssinn verbinde. Die frühe soziale Prägung durch die Familie sei deshalb für Gesellschaft und Staat von besonderer Bedeutung. Die Einführung des Erziehungsgeldes und Erziehungsurlaubs für die ersten zwölf Lebensmonate durch das Bundeserziehungsgeldgesetz auf Bundesebene ab dem 1. Januar 1986 habe diese Erkenntnisse politisch umgesetzt. Der Landesgesetzgeber sei von der Richtigkeit des Erziehungsgeldgedankens zutiefst überzeugt. Angesichts einer anstehenden Verlängerung der Bezugsdauer des Bundeserziehungsgeldes habe sich die Bayerische Staatsregierung entschlossen, Landesleistungen der Familienförderung neu zu ordnen und ein Landeserziehungsgeld einzuführen. Das Landeserziehungsgeld verstehe sich als Anerkennung für die intensive Erziehungsleistung von Müttern und Vätern und solle zugleich die finanzielle Lage junger Familien verbessern (BayLTDrucks 11/11033, S. 4).

12

Um "Mitnahmeeffekte" zu verhindern, müsse der Antragsteller seit der Geburt, mindestens aber seit 15 Monaten in Bayern seinen Hauptwohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Damit werde eine gezielte Förderung von "Landeskindern" gewährleistet (BayLTDrucks 11/11033, S. 5).

III.

13

1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist polnische Staatsangehörige und begehrt Landeserziehungsgeld für die Betreuung ihres im Februar 2000, und damit vor dem Beitritt Polens zur Europäischen Union zum 1. Mai 2004 geborenen Kindes. Sie wohnt seit 1984 in M. und besitzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit 1988 hat sie wiederholt gearbeitet. So war sie längere Zeit als Fotolaborantin und kurzfristig in einem Textillager tätig. Seit 2002 arbeitete sie mit circa sieben Wochenstunden in der Gastronomie. Für das erste und zweite Lebensjahr ihres Kindes hatte sie Bundeserziehungsgeld in voller Höhe erhalten. Ihr Antrag auf Landeserziehungsgeld wurde zurückgewiesen, weil ihr aufgrund ihrer polnischen Staatsangehörigkeit Landeserziehungsgeld nicht zustehe. Nachdem auch ihr gegen die Ablehnung gerichteter Widerspruch erfolglos blieb, erhob sie Klage vor dem Sozialgericht München und begehrte die Gewährung von Landeserziehungsgeld unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids in der Fassung des Widerspruchsbescheids. Das Sozialgericht München setzte das Verfahren aus und legte zunächst dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof die Frage vor, ob Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz der Verfassung des Freistaats Bayern verstoße. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof entschied, die vorgelegte Regelung des Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetzes sei mit der bayerischen Verfassung vereinbar (BayVerfGH, Entscheidung vom 19. Juli 2007 - Vf. 6-V-06 -, juris).

14

2. Das Sozialgericht München hat das Verfahren sodann gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 13 Nr. 11, § 80 Abs. 1 BVerfGG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG verstößt und nichtig ist.

15

Das vorlegende Gericht hält die zur Prüfung gestellte Norm für verfassungswidrig. Art. 3 Abs. 1 GG verlange eine umso strengere Kontrolle, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken könne. Der hier zu berücksichtigende Schutz von Ehe und Familie sei nicht nur gegenüber Deutschen gewährleistet. Aufgrund von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG erhielten Eltern bestimmter Staatsangehörigkeit unabhängig von der familiären Erziehungssituation und der Verfestigung ihres Aufenthalts in Bayern kein Landeserziehungsgeld. Es gebe keine Gründe, die diese Ungleichbehandlung nach Art und Gewicht rechtfertigen könnten.

16

Die sachliche Differenzierung müsse von den Zielen des Erziehungsgeldgesetzes im Lichte des Ehe- und Familienschutzes ausgehen. Im Vordergrund stehe dabei, Eltern die eigene Betreuung ihrer Kinder durch Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit oder durch deren Einschränkung zu ermöglichen. Der Gesetzgeber handle im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 GG, wenn er diejenigen Antragsteller ausschließe, die aus Rechtsgründen einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen könnten. Diese könnten das Hauptziel des Erziehungsgeldes, Kinderbetreuung unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit oder unter deren Einschränkung zu leisten, nicht erreichen. Diesem Ziel diene die Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit jedoch nicht, sie stehe dazu in keinem sachlichen Zusammenhang.

17

Verfassungsrechtlich sei auch legitim, wenn der Gesetzgeber nur denjenigen Erziehungsgeld zukommen lasse, von denen erwartet werden könne, dass sie dauerhaft in Bayern blieben. Bei Sukzessivleistungen wie dem Erziehungsgeld werde die Zielerreichung durch eine Aufenthaltskontinuität des Empfängers wesentlich befördert. Diese Voraussetzung werde aber für alle Leistungsempfänger - nicht nur für ausländische Staatsangehörige - bereits durch die Voraussetzung der Vorwohnzeit des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayLErzGG erfüllt.

18

Die gewählte Unterscheidung diene lediglich Fiskalinteressen. Die Verhinderung fiskalischer Mehrbelastungen könne die vorgenommene Differenzierung jedoch nicht begründen. Zwar könne der Gesetzgeber ohne Verfassungsverstoß von der Gewährung "freiwilliger familienpolitischer Zusatzleistungen", die nicht zum Familienlastenausgleich beziehungsweise nicht zum Existenzminimum des Kindes beitragen, absehen. Verzichtete der Gesetzgeber generell auf die Gewährung von Landeserziehungsgeld, würde dies auch die problematischen Differenzierungen zwischen verschiedenen Personengruppen beenden. Entscheide er sich jedoch dafür, eine derartige Leistung zu gewähren, dürften trotz der Freiwilligkeit der Leistung die Differenzierungsregeln des Art. 3 Abs. 1 GG nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Fiskalischen Interessen könne der Freistaat Bayern auch im Wege von Leistungskürzungen Rechnung tragen, ohne ausländische Staatsangehörige vom Leistungsbezug auszuschließen.

19

Die Staatsangehörigkeit komme als Unterscheidungskriterium nicht in Betracht. Zwar könne sie nicht grundsätzlich als Differenzierungskriterium ausgeschlossen werden. Die Eignung als Differenzierungskriterium müsse jedoch konkret bezogen auf das zu regelnde Sachgebiet bestimmt werden. Sei durch die Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit ein Grundrecht beeinträchtigt, bedürfe es einer an der Schwere der Beeinträchtigung ausgerichteten Rechtfertigung. Eine solche Rechtfertigung sei nicht ersichtlich. Keinesfalls dürfe die Staatsangehörigkeit zu einem isolierten Differenzierungskriterium degenerieren. In eine solche Richtung weise jedoch der Beschluss des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, der das "Motiv einer gezielten Förderung der Landeskinder" in diese Richtung aufwerte.

IV.

20

Zu der Vorlage haben die Bayerische Staatsregierung, der 10. Senat des Bundessozialgerichts, der Deutsche Landkreistag, der Deutsche Familiengerichtstag sowie der Deutsche Juristinnenbund Stellung genommen.

21

1. Die Bayerische Staatsregierung hält die vorgelegte Regelung für verfassungsgemäß. Der Gleichheitssatz verlange keine schematische Gleichbehandlung, sondern lasse Differenzierungen zu, die durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt seien. Bei einer rechtsgewährenden Regelung komme dem Gesetzgeber für die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise eine besonders weitreichende Gestaltungsfreiheit zu. Der Gestaltungsspielraum im Bereich der Leistungsverwaltung ende erst dort, wo eine ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise vereinbar sei und mangels einleuchtender Gründe als willkürlich beurteilt werden müsse.

22

Der Gesetzgeber habe diese Grenze nicht überschritten. Die Regelung differenziere nach der Staatsangehörigkeit und nicht - wie die vom Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 6. Juli 2004 (BVerfGE 111, 176) für mit der Verfassung unvereinbar erklärte Regelung über die Gewährung von Bundeserziehungsgeld - nach dem ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus. Das Kriterium der Staatsangehörigkeit ziele gerade nicht auf die Erwartung, dass der Ausländer dauerhaft in Bayern bleibe. Dieses Ziel werde durch die Vorwohndauer in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayLErzGG erreicht und gelte für Antragsteller aller Herkunftsländer. Das Gesetz bezwecke auch keine Förderung der Integration von Ausländern. Zu einer solchen Förderung sei der Gesetzgeber nicht verpflichtet.

23

Vielmehr könnten bereits bloße finanzpolitische Überlegungen sachliche Gründe für die vorgelegte Norm darstellen. Das gelte jedenfalls für Leistungen, zu deren Gewährung keine Verpflichtung bestehe. Der Gesetzgeber müsse allerdings den Kreis der Betroffenen sachgerecht abgrenzen. Das Ermessen des Gesetzgebers sei jedoch nicht durch die Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 6. Juli 2004 (BVerfGE 111, 160) zur Gewährung von Kindergeld eingeschränkt. Die dortige Argumentation stehe in engem Zusammenhang mit dem Charakter des Kindergeldes als Komponente des dualen Systems des Familienlastenausgleichs. Die wirtschaftliche Belastung der Eltern solle teilweise ausgeglichen werden und diene damit der Einhaltung der in Art. 6 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG vorgegebenen Mindestvoraussetzungen, das Existenzminimum von Kindern steuerlich frei zu halten. Zur Zahlung des Erziehungsgeldes sei der Staat demgegenüber nicht verpflichtet. Das Landeserziehungsgeld könne ersatzlos wegfallen.

24

Außerdem sei die Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit auch unter dem Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit gerechtfertigt. Die Gegenseitigkeitsverbürgung sei eine Erscheinungsform des völkerrechtlichen Gegenseitigkeitsprinzips, das der Wahrnehmung eigener staatlicher Belange gegenüber anderen Staaten und der Verbesserung der Rechtsstellung deutscher Staatsbürger im Ausland diene. Die Bevorzugung von Deutschen bei der Erteilung von Leistungen im Vergleich zu ausländischen Staatsangehörigen, in deren Heimatländern Deutschen entsprechende Leistungen verwehrt blieben, sei gerechtfertigt. Andernfalls bestehe kein Anreiz für andere Staaten, Gegenseitigkeitsabkommen abzuschließen. Die Orientierung am Gegenseitigkeitsprinzip zeige sich auch darin, dass neben deutschen Staatsangehörigen auch Angehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum privilegiert würden. Denn gegenüber diesen Ländern bestünden völkerrechtliche Differenzierungsverbote.

25

2. Der 10. Senat des Bundessozialgerichts teilt mit, er habe die Vorschrift noch nicht angewandt. Das Sozialgericht München habe beachtliche verfassungsrechtliche Argumente vorgebracht. Das Grundgesetz verbiete zwar nicht generell Ungleichbehandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Diese gehöre auch nicht zu den in Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Differenzierungskriterien. Prüfungsmaßstab sei daher allein der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Rechtsprechung stets betont, dass Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehre und ihm insbesondere im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit für die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise ein weiter Gestaltungsspielraum zukomme. Für den Gesetzgeber ergäben sich allerdings aus dem allgemeinen Gleichheitssatz umso engere Grenzen, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken könne. Der im vorliegenden Fall zu berücksichtigende Schutz von Ehe und Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG enthalte keine Beschränkung auf Deutsche. Da es sich bei dem Differenzierungskriterium der Staatsangehörigkeit um ein personenbezogenes Merkmal handele, sei eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung angezeigt.

26

Nach der Rechtsprechung des 10. Senats des Bundessozialgerichts gebe es zwischen dem Bundeserziehungsgeldgesetz und dem Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetz nach Voraussetzungen und Zweck keine Unterschiede von Gewicht. Es stelle sich deshalb vor allem die Frage, ob die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit ein geeignetes Kriterium sei, um den mit dem Bundeserziehungsgeld und dem zeitlich nachfolgenden Landeserziehungsgeld verfolgten Zweck zu erreichen, Eltern die eigene Betreuung ihrer Kinder durch Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit oder durch deren Einschränkung zu ermöglichen. Auf diesen Punkt bezögen sich in erster Linie die verfassungsrechtlichen Bedenken des vorlegenden Gerichts.

27

3. Der Deutsche Landkreistag hält die Argumentation des Sozialgerichts München für überzeugend. Fiskalische Ziele könnten die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen.

28

4. Auch der Deutsche Familiengerichtstag teilt die Bedenken des vorlegenden Gerichts. Zwar sei dem Gesetzgeber im Rahmen der gewährenden Staatstätigkeit ein weitreichender Gestaltungsspielraum zuzuerkennen. Staatlichem Handeln seien aber umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich eine Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken könne. Der gemäß Art. 6 GG gewährleistete Schutz von Ehe und Familie sei unabhängig von der Staatsangehörigkeit.

29

Die Staatsangehörigkeit sei ein gleichheitswidriger Gegenstand der Differenzierung. Das Kriterium diene nicht der Verfolgung des Ziels des Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetzes, Eltern im Anschluss an die Förderung durch das Bundeserziehungsgeldgesetz ein weiteres Jahr die eigene Betreuung ihrer Kinder zu ermöglichen, ohne einer Berufstätigkeit nachgehen zu müssen. Das legitime Interesse des dauerhaften Aufenthalts werde durch die Vorwohnzeit sichergestellt. Für eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit bestehe kein sachlicher Grund. Das Merkmal sei damit ausgrenzend und diskriminierend.

30

Bei freiwilligen Leistungen wie dem Erziehungsgeld dürften fiskalische Interessen berücksichtigt werden. Trotzdem dürften Berechtigte nicht durch sachfremde Erwägungen von der Leistung ausgeschlossen werden. Könne der Gesetzgeber nur beschränkte Mittel einsetzen, stehe es ihm frei, die Leistung einzustellen, das Leistungsniveau abzusenken oder nicht diskriminierende Kriterien einzuführen.

31

Die Staatsangehörigkeit stelle sich als ein familienfeindliches und Kinder ungleich behandelndes Abgrenzungskriterium dar. Das Ziel der Regelung, eine Betreuung kleiner Kinder in der gemäß Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Familie sicherzustellen beziehungsweise die ökonomische Grundlage für die Entscheidung zugunsten einer Betreuung in der Familie zu schaffen, würde vielmehr durch die Voraussetzung der privilegierten Staatsangehörigkeit konterkariert. Eltern mit nicht privilegierter Staatsangehörigkeit müssten einer Erwerbstätigkeit nachgehen und könnten sich im Gegensatz zu anderen Eltern nicht der Familienarbeit widmen, obwohl ihre Familien ebenso unter dem Schutz des Art. 6 GG ständen. Auch die Kinder von Eltern mit und ohne privilegierte Staatsangehörigkeit würden entgegen Art. 3 GG durch das Bayerische Landeserziehungsgeldgesetz ungleich behandelt.

32

5. Der Deutsche Juristinnenbund schließt sich in seiner Stellungnahme der Auffassung des vorlegenden Gerichts an. Das Bayerische Landeserziehungsgeldgesetz sei eine Leistung zur Förderung von Familien. Dabei komme dem Gesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum zu. Bei der Abgrenzung der Leistungsberechtigten dürfe aber nicht sachwidrig differenziert werden. Dies müsse nach dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG beurteilt werden. Prüfungsmaßstab bei Familienförderleistungen sei nicht das Willkürverbot, sondern das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es sei zu prüfen, ob Gründe von solcher Art und solchem Gewicht vorlägen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten.

33

Der Deutsche Juristinnenbund erklärt, beim Landeserziehungsgeld handele es sich um eine unter dem Aspekt der Gestaltungsfreiheit von Familien und der Förderung von Gleichberechtigung insgesamt verfassungsrechtlich und rechtspolitisch fragwürdige Leistung. Der Gesetzgeber habe sich allerdings noch im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen gehalten. Mit der Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit habe der Freistaat Bayern diese Grenze jedoch überschritten. Eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit sei zwar nicht generell unzulässig. In Bezug auf die Einhaltung des Gleichheitssatzes im Rahmen der Gewährung von Erziehungsgeld sei jedoch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2004 (BVerfGE 111, 176) zu beachten. Das Gericht habe zum Bundeserziehungsgeldgesetz Grundsätze formuliert, die bezogen auf die familienpolitischen Zwecke des Erziehungsgeldes auch beim Landeserziehungsgeld eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit sachwidrig erscheinen ließen. Die Förderung der Entscheidung für Kinder, die Abmilderung finanzieller Nachteile und die Anerkennung der Betreuungsleistung betreffe Eltern unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits entschieden, dass die Zwecke des Erziehungsgeldes bei Ausländern mit Aufenthaltserlaubnis und Aufenthaltsberechtigung nicht weniger zur Geltung kommen als bei Deutschen oder Ausländern mit anderen Aufenthaltstiteln. Wenn das Bundesverfassungsgericht schon einen Ausschluss von Personen mit bestimmten Aufenthaltstiteln für unzulässig erachtet habe, müsse eine an der Staatsangehörigkeit orientierte Differenzierung erst recht unzulässig sein. Eine Bezugsberechtigung ausländischer Eltern sei sinnvoll und der Integration dienlich. Fiskalische Argumente könnten nicht überzeugen.

B.

34

Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG verstößt nicht gegen Art. 6 GG, ist jedoch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar, weil er Personen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzen, generell vom Anspruch auf Landeserziehungsgeld ausschließt.

I.

35

Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG verstößt nicht gegen Art. 6 GG.

36

Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG statuiert eine gesetzliche Bedingung des Anspruchs auf Landeserziehungsgeld. Die Vorschrift regelt damit die Voraussetzungen staatlicher Leistungsgewährung im Bereich der Familienförderung, greift jedoch nicht in die abwehrrechtlichen Verbürgungen des Familiengrundrechts, insbesondere des durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG speziell (vgl. BVerfGE 24, 119 <135>; 31, 194 <204>) geschützten Elternrechts ein.

37

Ob das durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Recht der Eltern, ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen zu planen und zu verwirklichen und insbesondere in ihrer Erziehungsverantwortung zu entscheiden, ob und in welchem Entwicklungsstadium das Kind überwiegend von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder von einem Dritten betreut werden soll (vgl. BVerfGE 99, 216 <231>), dadurch beeinträchtigt ist, dass eine finanzielle Förderung nur für den Fall der eigenen Betreuung durch ein Elternteil, nicht aber für andere von den Eltern gewählte Formen der Kinderbetreuung vorgesehen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Dass Anspruch auf Landeserziehungsgeld nur hat, wer sein Kind selbst betreut und erzieht, ist in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayLErzGG geregelt und folgt nicht aus dem hier allein zur Prüfung gestellten Staatsangehörigkeitserfordernis des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG.

38

Die Regelung verletzt keine aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG abzuleitende Schutz- und Förderpflicht des Staats zugunsten der Familie. Ein Verstoß gegen Schutz- und Förderpflichten aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG käme nur in Betracht, wenn eine verfassungsrechtliche Pflicht des Freistaats Bayern bestünde, Familien durch die Gewährung von Erziehungsgeld zu fördern. Zwar umfasst der besondere Gewährleistungsgehalt der ausdrücklichen Schutzverpflichtung des Art. 6 Abs. 1 GG eine über die allgemeine grundrechtliche Schutzpflicht noch hinausgehende Förder- und Schutzpflicht des Staats für die Familie (vgl. auch BVerfGE 43, 108 <121>; 110, 412 <436>; 111, 160 <172>; Burgi, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz , Art. 6 Rn. 51). Die Art. 6 Abs. 1 GG als Generalnorm des Familienschutzes eigene, nicht auf Deutsche beschränkte (vgl. BVerfGE 111, 176 <184>) Schutz- und Förderdimension erstreckt sich auf das speziellere elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Aus dieser Schutz- und Förderpflicht ergibt sich die Aufgabe des Staats, die Pflege- und Erziehungstätigkeit der Eltern durch geeignete wirtschaftliche Maßnahmen zu unterstützen und zu fördern (vgl. Jestaedt, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz , Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 21). Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen lassen sich aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Gebot, die Pflege- und Erziehungstätigkeit der Eltern zu unterstützen, jedoch nicht herleiten (vgl. BVerfGE 82, 60 <81 f.>; 87, 1 <36>; 107, 205 <213>; 110, 412 <445>). Insbesondere ist der Landesgesetzgeber verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, eine familienfördernde Leistung in Form eines Erziehungsgeldes zu gewähren.

II.

39

Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

40

1. a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>; 126, 400 <416> m.w.N.; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 76). Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 77). Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 55, 72 <88>; 88, 87 <97>; 93, 386 <397>; 99, 367 <389>; 105, 73 <110>; 107, 27 <46>; 110, 412 <432>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 77).

41

Diesen allgemeinen Grundsätzen folgt auch die verfassungsrechtliche Beurteilung einer Norm, die Ausländer im Vergleich zu Deutschen anders behandelt. Der allgemeine Gleichheitssatz garantiert "allen Menschen" die Gleichbehandlung vor dem Gesetz und steht damit auch Ausländern zu (BVerfGE 30, 409 <412>). Gleiches gilt für den hier angesichts des familienpolitischen Charakters des Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetzes zu berücksichtigenden Schutz der Familie (vgl. BVerfGE 111, 160 <169>; 111, 176 <184> m.w.N.). Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber indessen nicht jede Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern. Es ist dem Gesetzgeber nicht generell untersagt, nach der Staatsangehörigkeit zu differenzieren (vgl. BVerfGE 116, 243 <259>). Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz bedarf es für die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit als Unterscheidungsmerkmal jedoch eines hinreichenden Sachgrundes. Dass die Staatsangehörigkeit kein generell unzulässiges Differenzierungsmerkmal ist, bedeutet nicht umgekehrt, dass eine grundlose Ungleichbehandlung von Ausländern und Deutschen vor Art. 3 Abs. 1 GG Bestand haben könnte (vgl. Gundel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 198 Rn. 86; Rüfner, in: Bonner Kommentar zum GG, Bd. I , Art. 3 Abs. 1 Rn. 136; vgl. auch EGMR, Urteil vom 16. September 1996 - 17371/90 -, Rn. 42, Gaygusuz v. Österreich; Urteil vom 30. September 2003 - 40892/98 -, Rn. 46, Poirrez v. Frankreich). Die Entscheidung des Verfassungsgebers, den allgemeinen Gleichheitssatz als Menschenrecht auszugestalten, das nicht auf Deutsche beschränkt ist, liefe ansonsten ins Leere und verlöre damit ihren Sinn.

42

Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 122, 1 <23>; 126, 400 <416> m.w.N.; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 77). Dem Gesetzgeber kommt im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit für die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 99, 165 <178>; 106, 166 <175 f.>; 111, 176 <184>). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich allerdings aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 111, 176 <184>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 78). Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 78) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 124, 199 <220>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 78).

43

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen reichen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die vorgelegte Regelung über das bloße Willkürverbot hinaus.

44

aa) Die verfassungsrechtlichen Anforderungen erschöpfen sich hier schon deshalb nicht im bloßen Willkürverbot, weil die Verwehrung von Erziehungsgeld das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte und nicht auf Deutsche beschränkte Elternrecht berührt (vgl. BVerfGE 111, 160 <169>; 111, 176 <184>). Auch wenn Art. 6 GG für sich genommen nicht verletzt ist (oben B. I.), ist das verfassungsrechtliche Elternrecht doch in seiner Schutz- und Förderdimension betroffen. Das Landeserziehungsgeld fördert eine bestimmte Form der Ausübung des Elternrechts, indem es die persönliche Betreuung des Kindes durch die Eltern unter Einschränkung ihrer Erwerbstätigkeit finanziell unterstützt. Mit der Verwehrung von Landeserziehungsgeld bleibt den Betroffenen dieses Element staatlicher Förderung des Elternrechts versagt. Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Ungleichbehandlung ist dies zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 111, 160 <169>; 111, 176 <184>), auch wenn sich daraus angesichts des freiwilligen Charakters der staatlichen Leistung noch keine besonders strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. November 2011 - 1 BvR 1853/11 -, juris Rn. 11).

45

bb) Eine Verschärfung der verfassungsrechtlichen Anforderungen gegenüber dem bloßen Willkürverbot folgt auch daraus, dass Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG mit der Staatsangehörigkeit an ein Merkmal anknüpft, das den antragstellenden Personen kaum verfügbar ist. Die Staatsangehörigkeit einer Person hängt grundsätzlich von der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern oder dem Ort ihrer Geburt und damit von Umständen ab, die sie nicht beeinflussen kann. Eine Änderung der Staatsangehörigkeit ist nur unter Voraussetzungen möglich, die wiederum nicht allein im Belieben der Betroffenen stehen (vgl. BVerfGE 111, 160 <169 f.>).

46

cc) Die Staatsangehörigkeit wird in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG trotz Ähnlichkeiten und Überschneidungen mit den dort genannten Merkmalen nicht als unzulässiges Differenzierungsmerkmal aufgeführt. Eine Unterscheidung anhand der Staatsangehörigkeit unterliegt darum nicht dem strengen Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 90, 27 <37>). Das schließt nicht aus, dass die Ungleichbehandlung ausländischer Staatsangehöriger in bestimmten Konstellationen hinsichtlich ihrer nachteiligen Auswirkungen auf die Betroffenen einer Unterscheidung nach den in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG genannten Merkmalen nahe kommt, so dass strenge verfassungsrechtliche Anforderungen an die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zu stellen sind (vgl. Osterloh, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 3 Rn. 297; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 3 Rn. 127; Gundel, a.a.O. Rn. 86; König/Peters, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, 2006, Kap. 21 Rn. 138; vgl. auch EGMR, a.a.O.). Wie weit dies der Fall ist, bedarf keiner Entscheidung, da die vorgelegte Regelung bereits weniger strenge verfassungsrechtliche Anforderungen verfehlt.

47

2. Die durch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG bewirkte Ungleichbehandlung von Personen, die nicht eine der dort genannten Staatsangehörigkeiten besitzen, ist nach den vorgenannten Grundsätzen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar, weil es der Regelung auch in Anerkennung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers an einem legitimen Zweck fehlt, der die Benachteiligung von ausländischen Staatsangehörigen tragen könnte und dem zu dienen die in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG getroffene Unterscheidung geeignet wäre.

48

a) Der Ausschluss von Personen, die nicht über eine der in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG genannten Staatsangehörigkeiten verfügen, ist nicht durch die Zwecke des Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetzes gerechtfertigt.

49

Die Gewährung von Erziehungsgeld zielt vor allem darauf, Eltern die eigene Betreuung ihres Kindes durch Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit oder durch deren Einschränkung zu ermöglichen und damit die frühkindliche Entwicklung zu fördern (BayLTDrucks 11/11033, S. 4). Zwar ist die wirtschaftliche Unterstützung der Pflege- und Erziehungstätigkeit der Eltern angesichts des verfassungsrechtlichen Schutz- und Förderauftrags (Art. 6 Abs. 2 GG) ein legitimer Gesetzeszweck (oben B. I.), jedoch deckt dieser Zweck den in der vorgelegten Norm geregelten Leistungsausschluss nicht. Das Anliegen des Gesetzgebers, Eltern die persönliche Betreuung ihres Kindes zu ermöglichen und dadurch die frühkindliche Entwicklung zu fördern, kommt bei Ausländern und ihren Kindern auf gleiche Weise zum Tragen wie bei Deutschen. Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie (Art. 6 GG) ist nicht auf Deutsche beschränkt.

50

Die in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG vorgesehene Differenzierung dient auch nicht mittelbar der Verwirklichung des Gesetzeszwecks. Angesichts des Gesetzeszwecks wäre es verfassungsrechtlich zulässig, wenn der Leistungsbezug auf Personen beschränkt würde, die in Deutschland rechtmäßig erwerbstätig sein können. Der Gesetzgeber handelte im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 GG, wenn er jene Ausländer vom Erziehungsgeldbezug ausschlösse, die aus Rechtsgründen einer Erwerbstätigkeit ohnehin nicht nachgehen dürften. Die Gewährung einer Sozialleistung, die Eltern einen Anreiz zum Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit geben will, verfehlt ihr Ziel, wenn eine solche Erwerbstätigkeit demjenigen Elternteil, der zur Betreuung des Kindes bereit ist, rechtlich nicht erlaubt ist (vgl. BVerfGE 111, 176 <185 f.>). Die vorgelegte Regelung ist jedoch zur Erreichung dieses Ziels nicht geeignet. Die Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit lässt noch weniger als die vom Bundesverfassungsgericht in den Beschlüssen vom 6. Juli 2004 (BVerfGE 111, 160 <174 f.>; 111, 176 <185 ff.>) beanstandete Anknüpfung an den Aufenthaltstitel Rückschlüsse darauf zu, ob eine Arbeitserlaubnis besteht oder nicht. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens war in Bayern rechtmäßig berufstätig, so dass ihr der Bezug von Landeserziehungsgeld einen Anreiz zur Einschränkung ihrer Berufstätigkeit zugunsten der Kinderbetreuung hätte bieten können.

51

b) Der Ausschluss von Personen, die weder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union noch die eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzen, kann nicht mit dem Ziel gerechtfertigt werden, eine Förderung auf Personen zu begrenzen, die dauerhaft in Bayern leben werden. In bestimmten Konstellationen mag die voraussehbare Dauer des Aufenthalts von ausländischen Staatsangehörigen in Deutschland eine ungleiche Behandlung rechtfertigen (vgl. BVerfGE 111, 160 <174>; 111, 176 <184>), ohne dass allerdings das Fehlen eines dauerhaften Aufenthalts automatisch jede Differenzierung hinsichtlich der Gewährung von Sozialleistungen legitimieren könnte (vgl. BVerfGE 116, 229 <239 f.>). Das Kriterium der Staatsangehörigkeit ist hier jedoch weder darauf gerichtet noch ist es geeignet, den Personenkreis zu erfassen, der voraussichtlich dauerhaft in Bayern ansässig sein wird. Die Staatsangehörigkeit gibt noch weniger als die - vom Bundesverfassungsgericht auch insofern bereits für unzureichend erklärte (vgl. BVerfGE 111, 160 <174>; 111, 176 <185>) - Art des Aufenthaltstitels verlässlich Aufschluss darüber, ob eine Person dauerhaft in Bayern ansässig sein wird.

52

c) Der Ausschluss von Personen, die weder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union noch die eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzen, kann nicht mit dem Ziel der Begünstigung sogenannter "Landeskinder" (vgl. BayVerfGH, a.a.O. Rn. 33) gerechtfertigt werden. Inwiefern eine Begünstigung von "Landeskindern" nach dem Grundgesetz zulässig ist, bedarf hier keiner Erörterung, da die vorgelegte Regelung nicht nach der Herkunft aus anderen Bundesländern, sondern nach der Staatsangehörigkeit unterscheidet und darum von vornherein nicht unter dem Gesichtspunkt der Förderung von "Landeskindern" gerechtfertigt werden kann. Anderes mag für die in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayLErzGG getroffene Regelung zur Vorwohnzeit in Bayern gelten (vgl. BayLTDrucks 11/11033, S. 5), die jedoch nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.

53

d) Sofern der Landesgesetzgeber "Mitnahmeeffekte" verhindern wollte, die daraus resultieren könnten, dass sich Personen kurzfristig in Bayern niederlassen, um in den Genuss der bayerischen Erziehungsgeldregelung zu gelangen, wird dieses Ziel ebenfalls mit der Regelung zur Vorwohndauer (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayLErzGG) erreicht (vgl. BayLTDrucks 11/11033, S. 5). Davon abgesehen wäre die Staatsangehörigkeit kein geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Ziels, da sie, wie dargelegt, weder über die der Geburt vorausgegangene Aufenthaltszeit noch über die künftige Aufenthaltszeit in Bayern zuverlässig Aufschluss gibt.

54

e) Fiskalische Interessen können die Schlechterstellung durch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG nicht rechtfertigen. Soweit der Gesetzgeber eine Leistung freiwillig gewährt, darf er zwar durchaus berücksichtigen, welche finanziellen Mittel er angesichts der sonstigen Staatsaufgaben einsetzen kann (vgl. BVerfGE 102, 254 <303>). Finanzpolitische Belange dürfen aber nur dergestalt zur Geltung kommen, dass Berechtigte, die die Voraussetzungen eines Leistungsbezugs gleichermaßen erfüllen wie andere, nicht aufgrund sachfremder Differenzierung von der Leistung ausgeschlossen werden. Die bloße Absicht, das Leistungsvolumen zum Zwecke der Reduzierung staatlicher Ausgaben zu verringern, genügt für sich genommen nicht, um eine differenzierende Behandlung verschiedener Personengruppen zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 87, 1 <46> m.w.N. sowie BVerfGE 19, 76 <84 f.>; 76, 256 <311>; 93, 386 <402>; 107, 218 <253>; 122, 210 <233>). Ansonsten liefe das allgemeine Gleichbehandlungsgebot im Bereich staatlicher Geldleistungen leer, da sich der Gesetzgeber zur Begründung von Ungleichheiten stets auf die Absicht berufen könnte, staatliche Ausgaben durch Teileinsparungen verringern zu wollen (vgl. BVerfGE 121, 241 <258>). Staatliche Ausgaben zu vermeiden, ist ein legitimer Zweck, der jedoch eine Ungleichbehandlung von Personengruppen nicht zu rechtfertigen vermag. Ist ein darüber hinausgehender sachlicher Differenzierungsgrund nicht vorhanden, muss der Gesetzgeber finanzpolitischen Belangen durch eine Beschränkung der Leistungshöhe oder der Bezugsdauer für alle Berechtigten Rechnung tragen.

55

f) Schließlich kann die Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit nicht mit dem völkerrechtlichen Prinzip der Gegenseitigkeit gerechtfertigt werden. Danach müssen ausländischen Staatsangehörigen in einem Staat bestimmte Vorteile nur dann eingeräumt werden, wenn die Staatsangehörigen des Gaststaats im jeweiligen Heimatstaat ebensolche Vorteile beanspruchen könnten. Dass ausländischen Staatsangehörigen Leistungen vorenthalten werden, die den eigenen Staatsangehörigen gewährt werden, kann etwa dem Ziel dienen, andere Staaten zu beeinflussen, internationalen Verträgen beizutreten oder Gegenseitigkeitsabkommen abzuschließen, welche Deutschen im Ausland einen erhöhten Schutz gewähren. Die im Falle fehlender Gegenseitigkeit gezielt herbeigeführte Benachteiligung Angehöriger der betroffenen Staaten kann unter Umständen verfassungsrechtlich hinzunehmen sein (vgl. BVerfGE 51, 1 <24>; 81, 208 <224>). Näherer Überprüfung bedürfte allerdings die Frage, inwiefern sich angesichts der Bundeskompetenz für die auswärtigen Beziehungen nach Art. 32 Abs. 1 GG auch ein Landesgesetzgeber im Verhältnis zu anderen Staaten auf den Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit berufen kann.

56

Die vorgelegte Regelung kann jedoch schon deshalb nicht mit dem Prinzip der Gegenseitigkeit gerechtfertigt werden, weil Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG nicht anhand der gegenseitigen Verbürgung entsprechender Leistungen unterscheidet (vgl. BayVerfGH, a.a.O. Rn. 36). Die vorgelegte Regelung stellt nicht auf die konkrete Gegenseitigkeit ab, sondern verlangt die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. Möglicherweise bestehende Abkommen mit anderen Ländern werden ebenso wenig berücksichtigt wie die von einem Abkommen unabhängige Gewährung entsprechender Leistungen durch andere Staaten. Damit ist eine Prüfung der konkreten Gegenseitigkeitsvoraussetzungen im jeweiligen Leistungsfall nicht möglich. Selbst für den Fall, dass zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen vor deren Beitritt zur Europäischen Union ein Gegenseitigkeitsabkommen bestanden oder Polen davon unabhängig entsprechende Leistungen an Deutsche gewährt haben sollte, hätte dies bei der Vergabe von Landeserziehungsgeld nicht berücksichtigt werden können. Lässt eine Regelung keinen Raum zur Prüfung der konkreten Gegenseitigkeitsvoraussetzungen, schließt dies aber von vornherein aus, dass sie unter dem Gesichtspunkt völkerrechtlicher Gegenseitigkeit vor Art. 3 Abs. 1 GG Bestand haben könnte (vgl. BVerfGE 51, 1 <25>; 81, 208 <224>).

57

g) Sonstige Zwecke, die die in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG getroffene Unterscheidung tragen könnten, sind nicht ersichtlich.

C.

I.

58

Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 Satz 1 BVerfGG). Da dem Gesetzgeber hier aber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen, kommt nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht (vgl. BVerfGE 84, 168 <186 f.>; 92, 158 <186>). So könnte der Gesetzgeber auf die Voraussetzung der Staatsangehörigkeit ersatzlos verzichten. Er könnte aber auch eine Regelung schaffen, die an die Berechtigung zur Erwerbstätigkeit anknüpft (vgl. BVerfGE 111, 176 <189>). Der Gesetzgeber kann sich zudem dafür entscheiden, künftig gar kein oder allgemein ein geringeres Landeserziehungsgeld zu gewähren. Hinsichtlich der vor Inkrafttreten einer solchen Neuregelung anhängig gemachten Verfahren ist ihm dieser Weg indes versperrt, da jene Eltern, die die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG erfüllen, Elterngeld bereits aufgrund bestands- beziehungsweise rechtskräftig abgeschlossener Verfahren erhalten haben oder haben werden, das ihnen nicht rückwirkend genommen werden kann. Die nachträgliche Abschaffung des Landeserziehungsgeldes benachteiligte damit erneut in gleichheitswidriger Weise diejenigen, die die mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbaren Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG nicht erfüllen.

II.

59

Entsprechend § 78 Satz 2 BVerfGG sind im Interesse der Rechtsklarheit auch die Nachfolgevorschriften in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Bayerischen Gesetzes zur Zahlung eines Landeserziehungsgeldes und zur Ausführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes vom 26. März 2001 (GVBl S. 76), in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Bayerischen Gesetzes zur Zahlung eines Landeserziehungsgeldes und zur Ausführung des Bundeserziehungsgeldgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. April 2004 (GVBl S. 133) und in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Neuordnung des Bayerischen Landeserziehungsgeldes vom 9. Juli 2007 (GVBl S. 442), die keine inhaltliche Änderung gegenüber Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG 1995 aufweisen, für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar zu erklären (vgl. BVerfGE 92, 53 <73>; 94, 241 <265 f.>, jeweils m.w.N.).

III.

60

Bescheide, die im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung bereits bestandskräftig sind, bleiben von ihr unberührt. Dies entspricht dem Grundgedanken des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, der auch zur Anwendung kommt, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Vorschrift für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt (vgl. BVerfGE 81, 363 <384>). Es bleibt dem Gesetzgeber unbenommen, im Zusammenhang mit dem Gegenstand der vorliegenden Entscheidung eine andere Regelung zu treffen (vgl. BVerfGE 94, 241 <266 f.>; 111, 115 <146>).

IV.

61

Für den Erlass einer Neuregelung bleibt dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. August 2012. Kommt es bis zu diesem Zeitpunkt zu keiner verfassungsgemäßen Neuregelung, tritt Nichtigkeit der beanstandeten Vorschriften ein (vgl. BVerfGE 111, 115 <146>).

V.

62

Noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossene Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen der Gewährung von Landeserziehungsgeld lediglich die Staatsangehörigkeit der Antragstellenden entgegensteht, bleiben ausgesetzt oder sind auszusetzen (vgl. BVerfGE 111, 115 <146>; 116, 96 <135>) bis der Gesetzgeber die verfassungswidrige Norm durch eine Neuregelung ersetzt hat (vgl. BVerfGE 28, 324 <363>; 111, 160 <176>), oder entsprechend C. IV. Nichtigkeit eintritt (vgl. BVerfGE 111, 115 <146>).

Tenor

1. Mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes sind seit dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes zum 1. Januar 2009 unvereinbar § 13a des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz) vom 22. Dezember 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 3950) und § 13b des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz) vom 24. Dezember 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 3018) jeweils in Verbindung mit § 19 Absatz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 (Bundesgesetzblatt I Seite 378), auch in den seither geltenden Fassungen.

2. Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 30. Juni 2016 zu treffen.

Gründe

A.

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob die Bestimmungen über die Befreiung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer für Betriebsvermögen, Betriebe der Land- und Forstwirtschaft und Anteile an Kapitalgesellschaften in §§ 13a und 13b des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in Verbindung mit der Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG in ihrer im Jahre 2009 maßgeblichen Fassung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.

I.

2

1. a) Die Erbschaft- und Schenkungsteuer belastet gemäß §§ 1, 3, 7 und 8 ErbStG Erwerbe von Todes wegen, Schenkungen unter Lebenden, Zweckzuwendungen und Familienstiftungen. Als steuerpflichtiger Erwerb gilt gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Bereicherung des Erwerbenden, soweit sie nicht steuerfrei ist. Auf die nach den Grundsätzen des § 10 ErbStG ermittelte Bemessungsgrundlage gelangt der in § 19 Abs. 1 ErbStG geregelte Steuertarif zur Anwendung. § 19 Abs. 1 ErbStG sieht unabhängig davon, aus welchen Vermögensarten sich Nachlass oder Schenkung zusammensetzen, für alle steuerpflichtigen Erwerbe einheitliche Steuersätze zwischen 7 % und 50 % vor, wobei sich die Höhe des jeweils anzuwendenden Steuersatzes zum einen nach der Höhe des Werts des steuerpflichtigen Erwerbs im Sinne von § 10 ErbStG und zum anderen nach der anzuwendenden Steuerklasse (§ 15 ErbStG) richtet, die ihrerseits vom persönlichen Verhältnis des Erwerbenden zum Zuwendenden, insbesondere als Ehegatte oder Lebenspartner oder nach dem Grad der Verwandtschaft, abhängt.

3

b) Im Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz sind aus verschiedenen Gründen vollständige oder begrenzte Befreiungen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer geregelt. Persönliche Freibeträge stehen jedem Erwerbenden zu, der deren Voraussetzungen in eigener Person erfüllt (vgl. §§ 16, 17 ErbStG); sachliche Befreiungen werden nach Maßgabe der jeweiligen Voraussetzungen der Befreiungsnorm gewährt (so insbesondere §§ 13, 13a und 13b ErbStG).

4

c) Die Vorlage betrifft die im Jahr 2009 geltende Fassung des § 19 Abs. 1 ErbStG sowie der §§ 13a und 13b ErbStG, die sie zunächst durch das am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz - ErbStRG) vom 24. Dezember 2008 (BGBl I S. 3018) erhalten haben. Durch den am 1. Januar 2010 in Kraft getretenen Artikel 6 des Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz) vom 22. Dezember 2009 (BGBl I S. 3950) wurde § 13a ErbStG rückwirkend für Erwerbe geändert, für die die Steuer nach dem 31. Dezember 2008 entstanden ist.

5

d) Aus dem durch das Erbschaftsteuerreformgesetz neugefassten § 13a ErbStG und dem neu in das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz eingefügten § 13b ergibt sich eine Verschonung des betrieblichen Vermögens. Die für das hier maßgebliche Jahr 2009 geltende, später durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz in einzelnen Punkten großzügiger gestaltete Gesetzesfassung sieht vor, dass nach § 13b ErbStG als begünstigungsfähig anerkanntes Vermögen zu 85 % (Regelverschonung) oder zu 100 % (Optionsverschonung) von der Erbschaft- oder Schenkungsteuer befreit sein kann, wenn bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich der Zusammensetzung des übergegangenen Vermögens, seines Fortbestands in der Hand des Erwerbers und des Erhalts der mit ihm verbundenen Arbeitsplätze erfüllt werden.

6

aa) Bei der Regelverschonung bleibt der Wert des begünstigten Vermögens in Höhe eines Verschonungsabschlags von 85 % außer Ansatz (§ 13a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 13b Abs. 4 ErbStG). Steuerlich belastet werden somit nur 15 % des übergegangenen Vermögenswerts.

7

Der Gesetzgeber sieht in dem Verschonungsabschlag in Höhe von 85 % eine pauschalierte Festlegung des begünstigten Betriebsvermögens. Er will damit Schwierigkeiten bei der Einordnung von ererbten oder geschenkten Vermögensgegenständen als begünstigungswürdig vermeiden, die sich aus der durch das Einkommensteuerrecht eröffneten Möglichkeit ergeben, Vermögensgegenstände zu gewillkürtem Betriebsvermögen zu erklären (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 36).

8

Für den Anteil des nach § 13b Abs. 1 ErbStG begünstigten Vermögens, der nicht vom Verschonungsabschlag erfasst wird, ist gemäß § 13a Abs. 2 ErbStG eine zusätzliche Verschonung durch einen degressiv ausgestalteten Abzugsbetrag von maximal 150.000 Euro vorgesehen. Nach der Gesetzesbegründung soll durch ihn eine Wertermittlung und Überwachung bei Klein- und Kleinstfällen entbehrlich werden (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33 f.). Nach § 13a Abs. 2 Satz 3 ErbStG kann er innerhalb von zehn Jahren für von derselben Person anfallende Erwerbe nur einmal berücksichtigt werden.

9

bb) Zu dem nach §§ 13a und 13b ErbStG begünstigten Vermögen gehören land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Betriebsvermögen sowie Anteile an Kapitalgesellschaften, an deren Nennkapital Erblasser oder Schenker zu mehr als 25 % unmittelbar beteiligt waren.

10

Das nach § 13b Abs. 1 ErbStG begünstigte Vermögen bleibt jedoch von der steuerlichen Verschonung ausgenommen, wenn das land- und forstwirtschaftliche Vermögen oder das Betriebsvermögen der Betriebe oder der Gesellschaften zu mehr als 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht (§ 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG).

11

In diesem Fall ist der Erwerb des gesamten Vermögens steuerpflichtig. Liegt der Anteil des Verwaltungsvermögens dagegen bei höchstens 50 %, wird der gesamte Erwerb einschließlich des Verwaltungsvermögens begünstigt. Auch wenn die Verwaltungsvermögensgrenze eingehalten wird, ist nach § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG gleichwohl solches Verwaltungsvermögen von der Begünstigung ausgeschlossen, welches im Besteuerungszeitpunkt dem Betrieb weniger als zwei Jahre zuzurechnen war (junges Verwaltungsvermögen).

12

Nach der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 35 f.) sollten durch die Verwaltungsvermögensregelung überwiegend vermögensverwaltende Betriebe von den Verschonungen ausgenommen bleiben. Wegen der nach dem Einkommensteuerrecht bestehenden Möglichkeit, Vermögensgegenstände zu gewillkürtem Betriebsvermögen zu erklären, könnten praktisch alle Gegenstände, die üblicherweise der privaten Vermögensverwaltung zuzurechnen seien (vermietete und verpachtete Grundstücke und Gebäude, Minderbeteiligungen an Kapitalgesellschaften, Wertpapiere), auch in Form eines Gewerbebetriebs gehalten werden. Vermögen, das in erster Linie der weitgehend risikolosen Renditeerzielung diene und in der Regel weder Arbeitsplätze schaffe noch zusätzliche volkswirtschaftliche Leistungen hervorbringe, solle daher nicht begünstigt werden.

13

Die Wirtschaftsgüter, die zum Verwaltungsvermögen gehören, sind in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG abschließend aufgeführt. Im Grundsatz zählen hierzu nach der im Vorlageverfahren maßgeblichen Gesetzesfassung des Jahres 2009 Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ErbStG), Anteile an Kapitalgesellschaften, wenn die unmittelbare Beteiligung am Nennkapital dieser Gesellschaften 25 % oder weniger beträgt (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ErbStG), Beteiligungen an Personengesellschaften und Kapitalgesellschaftsanteile von mehr als 25 %, wenn bei diesen Gesellschaften das Verwaltungsvermögen mehr als 50 % beträgt (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG), Wertpapiere und vergleichbare Forderungen (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG) sowie Kunstgegenstände, Kunstsammlungen, wissenschaftliche Sammlungen, Bibliotheken und Archive, Münzen, Edelmetalle und Edelsteine (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ErbStG).

14

cc) Voraussetzung für die steuerliche Begünstigung nach §§ 13a und 13b ErbStG ist - wie es auch in den vorangegangenen Fassungen des § 13a ErbStG der Fall war (s. unten I. 3. b) -, dass der Erwerbende den Betrieb während eines bestimmten Mindestzeitraums fortführt. Der Verschonungsabschlag (§ 13a Abs. 1 ErbStG) und der Abzugsbetrag (§ 13a Abs. 2 ErbStG) fallen gemäß § 13a Abs. 5 Satz 1 ErbStG mit Wirkung für die Vergangenheit weg, soweit der Erwerber innerhalb der Behaltensfrist von fünf Jahren in der in den § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 5 ErbStG beschriebenen (schädlichen) Weise über das begünstigte Vermögen verfügt (etwa durch Veräußerung oder Aufgabe des Gewerbebetriebs oder von Teilen hiervon). Die Gründe für die Verfügung sind unbeachtlich.

15

Der Wegfall der steuerlichen Verschonung löst eine begrenzte Nachversteuerung des bisher begünstigten Vermögens aus: Betrifft die schädliche Verfügung nur einen Teil des begünstigten Vermögens, fällt auch nur der auf diesen Vermögensanteil bezogene Verschonungsabschlag und Abzugsbetrag weg. Verwirklicht der Erwerber bestimmte Nachsteuertatbestände während des Laufes der Fünfjahresfrist, entfällt nach § 13a Abs. 5 Satz 2 ErbStG der Abzugsbetrag (§ 13a Abs. 2 ErbStG) insgesamt, während der Verschonungsabschlag für die Jahre erhalten bleibt, in denen keine schädliche Verfügung vorlag (vgl. Meincke, ErbStG, 16. Aufl. 2012, § 13a Rn. 25).

16

dd) Als weitere Bedingung für die steuerliche Begünstigung nach §§ 13a und 13b ErbStG wurde durch das Erbschaftsteuerreformgesetz eine Lohnsummenregelung in § 13a ErbStG eingefügt, deren Vorgaben der Gesetzgeber als Reaktion auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise (vgl. BTDrucks 17/15, S. 20 f.) mit Artikel 6 Nr. 1 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes weiter zugunsten der Steuerpflichtigen mit Wirkung für Steuerentstehungszeitpunkte nach dem 31. Dezember 2008 geändert hat.

17

Unter Berücksichtigung dieser insoweit auf den 1. Januar 2009 rückwirkenden und damit für die hier zu beurteilende Rechtslage maßgeblichen Regelung gilt danach im Hinblick auf die Lohnsumme Folgendes: Bei Betrieben mit mehr als 20 - anstelle von zuvor mehr als zehn - Beschäftigten entfällt der Verschonungsabschlag wieder, wenn im Falle der Regelverschonung nicht innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb (Lohnsummenfrist) insgesamt 400 % der Ausgangslohnsumme erreicht werden (vgl. § 13a Abs. 1 Sätze 2 und 3 sowie Abs. 4 ErbStG). Es kommt danach also nicht auf die Anzahl der Beschäftigten, sondern auf die Entwicklung der Lohnsumme an. Unterschreitet die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen innerhalb der Lohnsummenfrist die Mindestlohnsumme (400 % der Ausgangslohnsumme, § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG), vermindert sich gemäß § 13a Abs. 1 Satz 5 ErbStG der nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG zu gewährende Verschonungsabschlag mit Wirkung für die Vergangenheit in demselben prozentualen Umfang, wie die Mindestlohnsumme unterschritten wird.

18

Der Gesetzgeber sah die Lohnsumme, also die Summe der im Unternehmen gezahlten Löhne und Gehälter in Form eines Durchschnittsbetrags über die dem Unternehmensübergang vorangegangenen fünf Jahre, als geeigneten Indikator für die Unternehmensfortführung und die Erhaltung von Arbeitsplätzen an (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33). Mit der Lohnsummenregelung bleibe den Unternehmen ein hohes Maß an Flexibilität erhalten, da ein Abbau niedrig entlohnter Tätigkeit ohne Auswirkung auf die Begünstigungsregelung möglich bleibe, wenn zugleich produktivere, besser bezahlte Arbeitsplätze geschaffen würden (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33; 16/11107, S. 9).

19

Durch Art. 6 Nr. 1 und Nr. 4 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes wurde die Beschäftigtenzahl, bis zu der die Lohnsummenregelung keine Anwendung findet, von den ursprünglich in Anlehnung an § 23 Abs. 1 Satz 3 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) als Freistellungsgrenze festgelegten zehn Beschäftigten (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33) rückwirkend zum 1. Januar 2009 auf 20 erhöht. Nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG in der für das Vorlageverfahren maßgeblichen Fassung sind deshalb Betriebe mit nicht mehr als 20 Beschäftigten von der Lohnsummenregelung ausgenommen. Das gleiche gilt für Betriebe mit einer Ausgangslohnsumme von 0 Euro. Sie erlangen den Verschonungsabschlag bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen unabhängig von der Erhaltung von Arbeitsplätzen. Der Gesetzgeber führte für die Erhöhung der Beschäftigtenzahl durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz keinen besonderen Grund an, sondern verwies allgemein auf das Erfordernis, die Bedingungen für die Unternehmensnachfolge angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise krisenfest und mittelstandsfreundlicher auszugestalten (vgl. BTDrucks 17/15, S. 20).

20

ee) Der Erwerber begünstigten Vermögens hat nach § 13a Abs. 8 ErbStG die Option, anstelle der Regelverschonung in Höhe von 85 % einen Verschonungsabschlag von 100 % und damit die völlige Steuerfreiheit des Erwerbs zu erreichen (Optionsverschonung; vgl. § 13a Abs. 8 Nr. 4 ErbStG). Er muss hierzu unwiderruflich erklären, dass die Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 1 bis 7 ErbStG in Verbindung mit § 13b ErbStG nach folgender Maßgabe gewährt wird: Die Lohnsummenfrist wird auf sieben Jahre erweitert und die Lohnsumme auf 700 % erhöht. Die Behaltensfrist wird auf sieben Jahre verlängert. Das begünstigte Vermögen darf zu nicht mehr als 10 % aus Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG bestehen.

21

e) §§ 13a, 13b und § 19 ErbStG lauten in der für das Vorlageverfahren im Jahre 2009 maßgeblichen Fassung auszugsweise wie folgt:

§ 13a

Steuerbefreiung für Betriebsvermögen, Betriebe der Land- und Forstwirtschaft und Anteile an Kapitalgesellschaften

(1) Der Wert von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften im Sinne des § 13b Abs. 4 bleibt insgesamt außer Ansatz (Verschonungsabschlag). Voraussetzung ist, dass die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen (Absatz 4) des Betriebs, bei Beteiligungen an einer Personengesellschaft oder Anteilen an einer Kapitalgesellschaft des Betriebs der jeweiligen Gesellschaft, innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb (Lohnsummenfrist) insgesamt 400 Prozent der Ausgangslohnsumme nicht unterschreitet (Mindestlohnsumme). Ausgangslohnsumme ist die durchschnittliche Lohnsumme der letzten fünf vor dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer endenden Wirtschaftsjahre. Satz 2 ist nicht anzuwenden, wenn die Ausgangslohnsumme 0 Euro beträgt oder der Betrieb nicht mehr als 20 Beschäftigte hat. Unterschreitet die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen die Mindestlohnsumme, vermindert sich der nach Satz 1 zu gewährende Verschonungsabschlag mit Wirkung für die Vergangenheit in demselben prozentualen Umfang, wie die Mindestlohnsumme unterschritten wird.

(2) Der nicht unter § 13b Abs. 4 fallende Teil des Vermögens im Sinne des § 13b Abs. 1 bleibt vorbehaltlich des Satzes 3 außer Ansatz, soweit der Wert dieses Vermögens insgesamt 150 000 Euro nicht übersteigt (Abzugsbetrag). Der Abzugsbetrag von 150 000 Euro verringert sich, wenn der Wert dieses Vermögens insgesamt die Wertgrenze von 150 000 Euro übersteigt, um 50 Prozent des diese Wertgrenze übersteigenden Betrags. Der Abzugsbetrag kann innerhalb von zehn Jahren für von derselben Person anfallende Erwerbe nur einmal berücksichtigt werden.

(3) …

(4) Die Lohnsumme umfasst alle Vergütungen (Löhne und Gehälter und andere Bezüge und Vorteile), die im maßgebenden Wirtschaftsjahr an die auf den Lohn- und Gehaltslisten erfassten Beschäftigten gezahlt werden; außer Ansatz bleiben Vergütungen an solche Arbeitnehmer, die nicht ausschließlich oder überwiegend in dem Betrieb tätig sind. Zu den Vergütungen zählen alle Geld- oder Sachleistungen für die von den Beschäftigten erbrachte Arbeit, unabhängig davon, wie diese Leistungen bezeichnet werden und ob es sich um regelmäßige oder unregelmäßige Zahlungen handelt. Zu den Löhnen und Gehältern gehören auch alle von den Beschäftigten zu entrichtenden Sozialbeiträge, Einkommensteuern und Zuschlagsteuern auch dann, wenn sie vom Arbeitgeber einbehalten und von ihm im Namen des Beschäftigten direkt an den Sozialversicherungsträger und die Steuerbehörde abgeführt werden. Zu den Löhnen und Gehältern zählen alle vom Beschäftigten empfangenen Sondervergütungen, Prämien, Gratifikationen, Abfindungen, Zuschüsse zu Lebenshaltungskosten, Familienzulagen, Provisionen, Teilnehmergebühren und vergleichbare Vergütungen. Gehören zum Betriebsvermögen des Betriebs, bei Beteiligungen an einer Personengesellschaft und Anteilen an einer Kapitalgesellschaft des Betriebs der jeweiligen Gesellschaft, unmittelbar oder mittelbar Beteiligungen an Personengesellschaften, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums haben, oder Anteile an Kapitalgesellschaften, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums haben, wenn die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung mehr als 25 Prozent beträgt, sind die Lohnsummen dieser Gesellschaften einzubeziehen zu dem Anteil, zu dem die unmittelbare und mittelbare Beteiligung besteht.

(5) Der Verschonungsabschlag (Absatz 1) und der Abzugsbetrag (Absatz 2) fallen nach Maßgabe des Satzes 2 mit Wirkung für die Vergangenheit weg, soweit der Erwerber innerhalb von fünf Jahren (Behaltensfrist)

1. einen Gewerbebetrieb oder einen Teilbetrieb, einen Anteil an einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes, einen Anteil eines persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft auf Aktien oder einen Anteil daran veräußert; als Veräußerung gilt auch die Aufgabe des Gewerbebetriebs. Gleiches gilt, wenn wesentliche Betriebsgrundlagen eines Gewerbebetriebs veräußert oder in das Privatvermögen überführt oder anderen betriebsfremden Zwecken zugeführt werden oder wenn Anteile an einer Kapitalgesellschaft veräußert werden, die der Veräußerer durch eine Sacheinlage (§ 20 Abs. 1 des Umwandlungssteuergesetzes vom 7. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2782, 2791), geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 14. August 2007 (BGBl. I S. 1912), in der jeweils geltenden Fassung) aus dem Betriebsvermögen im Sinne des § 13b erworben hat oder ein Anteil an einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes oder ein Anteil daran veräußert wird, den der Veräußerer durch eine Einbringung des Betriebsvermögens im Sinne des § 13b in eine Personengesellschaft (§ 24 Abs. 1 des Umwandlungssteuergesetzes) erworben hat;

2. das land- und forstwirtschaftliche Vermögen im Sinne des § 168 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes und selbst bewirtschaftete Grundstücke im Sinne des § 159 des Bewertungsgesetzes veräußert. Gleiches gilt, wenn das land- und forstwirtschaftliche Vermögen dem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft nicht mehr dauernd zu dienen bestimmt ist oder wenn der bisherige Betrieb innerhalb der Behaltensfrist als Stückländerei zu qualifizieren wäre oder Grundstücke im Sinne des § 159 des Bewertungsgesetzes nicht mehr selbst bewirtschaftet werden;

3. als Inhaber eines Gewerbebetriebs, Gesellschafter einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes oder persönlich haftender Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft auf Aktien bis zum Ende des letzten in die Fünfjahresfrist fallenden Wirtschaftsjahres Entnahmen tätigt, die die Summe seiner Einlagen und der ihm zuzurechnenden Gewinne oder Gewinnanteile seit dem Erwerb um mehr als 150 000 Euro übersteigen; Verluste bleiben unberücksichtigt. Gleiches gilt für Inhaber eines begünstigten Betriebs der Land- und Forstwirtschaft oder eines Teilbetriebs oder eines Anteils an einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft. Bei Ausschüttungen an Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ist sinngemäß zu verfahren;

4. Anteile an Kapitalgesellschaften im Sinne des § 13b ganz oder teilweise veräußert; eine verdeckte Einlage der Anteile in eine Kapitalgesellschaft steht der Veräußerung der Anteile gleich. Gleiches gilt, wenn die Kapitalgesellschaft innerhalb der Frist aufgelöst oder ihr Nennkapital herabgesetzt wird, wenn diese wesentliche Betriebsgrundlagen veräußert und das Vermögen an die Gesellschafter verteilt wird; Satz 1 Nr. 1 Satz 2 gilt entsprechend;

5. im Fall des § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 die Verfügungsbeschränkung oder die Stimmrechtsbündelung aufgehoben wird.

Der Wegfall des Verschonungsabschlags beschränkt sich in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1, 2, 4 und 5 auf den Teil, der dem Verhältnis der im Zeitpunkt der schädlichen Verfügung verbleibenden Behaltensfrist einschließlich des Jahres, in dem die Verfügung erfolgt, zur gesamten Behaltensfrist ergibt. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 1, 2 und 4 ist von einer Nachversteuerung abzusehen, wenn der Veräußerungserlös innerhalb der nach § 13b Abs. 1 begünstigten Vermögensart verbleibt. Hiervon ist auszugehen, wenn der Veräußerungserlös innerhalb von sechs Monaten in entsprechendes Vermögen investiert wird, das nicht zum Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 gehört.

(6) - (7) …

(8) Der Erwerber kann unwiderruflich erklären, dass die Steuerbefreiung nach den Absätzen 1 bis 7 in Verbindung mit § 13b nach folgender Maßgabe gewährt wird:

1. In Absatz 1 Satz 2 tritt an die Stelle der Lohnsummenfrist von fünf Jahren eine Lohnsummenfrist von sieben Jahren und an die Stelle der maßgebenden Lohnsumme von 400 Prozent eine maßgebende Lohnsumme von 700 Prozent;

2. in Absatz 5 tritt an die Stelle der Behaltensfrist von fünf Jahren eine Behaltensfrist von sieben Jahren;

3. in § 13b Abs. 2 Satz 1 tritt an die Stelle des Prozentsatzes für das Verwaltungsvermögen von 50 Prozent ein Prozentsatz von 10 Prozent;

4. in § 13b Abs. 4 tritt an die Stelle des Prozentsatzes für die Begünstigung von 85 Prozent ein Prozentsatz von 100 Prozent.

(9) …

§ 13b

Begünstigtes Vermögen

(1) Zum begünstigten Vermögen gehören vorbehaltlich Absatz 2

1. der inländische Wirtschaftsteil des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens (§ 168 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes) mit Ausnahme der Stückländereien (§ 168 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes) und selbst bewirtschaftete Grundstücke im Sinne des § 159 des Bewertungsgesetzes sowie entsprechendes land- und forstwirtschaftliches Vermögen, das einer Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums dient;

2. inländisches Betriebsvermögen (§§ 95 bis 97 des Bewertungsgesetzes) beim Erwerb eines ganzen Gewerbebetriebs, eines Teilbetriebs, eines Anteils an einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes, eines Anteils eines persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft auf Aktien oder eines Anteils daran und entsprechendes Betriebsvermögen, das einer Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums dient;

3. Anteile an Kapitalgesellschaften, wenn die Kapitalgesellschaft zur Zeit der Entstehung der Steuer Sitz oder Geschäftsleitung im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums hat und der Erblasser oder Schenker am Nennkapital dieser Gesellschaft zu mehr als 25 Prozent unmittelbar beteiligt war (Mindestbeteiligung). Ob der Erblasser oder Schenker die Mindestbeteiligung erfüllt, ist nach der Summe der dem Erblasser oder Schenker unmittelbar zuzurechnenden Anteile und der Anteile weiterer Gesellschafter zu bestimmen, wenn der Erblasser oder Schenker und die weiteren Gesellschafter untereinander verpflichtet sind, über die Anteile nur einheitlich zu verfügen oder ausschließlich auf andere derselben Verpflichtung unterliegende Anteilseigner zu übertragen und das Stimmrecht gegenüber nichtgebundenen Gesellschaftern einheitlich auszuüben.

(2) Ausgenommen bleibt Vermögen im Sinne des Absatzes 1, wenn das land- und forstwirtschaftliche Vermögen oder das Betriebsvermögen der Betriebe oder der Gesellschaften zu mehr als 50 Prozent aus Verwaltungsvermögen besteht. Zum Verwaltungsvermögen gehören

1. Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke, Grundstücksteile, grundstücksgleiche Rechte und Bauten. Eine Nutzungsüberlassung an Dritte ist nicht anzunehmen, wenn

a) der Erblasser oder Schenker sowohl im überlassenden Betrieb als auch im nutzenden Betrieb allein oder zusammen mit anderen Gesellschaftern einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen durchsetzen konnte oder als Gesellschafter einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes den Vermögensgegenstand der Gesellschaft zur Nutzung überlassen hatte, und diese Rechtsstellung auf den Erwerber übergegangen ist, soweit keine Nutzungsüberlassung an einen weiteren Dritten erfolgt;

b) die Nutzungsüberlassung im Rahmen der Verpachtung eines ganzen Betriebs erfolgt, welche beim Verpächter zu Einkünften nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 3 des Einkommensteuergesetzes führt und

aa) der Verpächter des Betriebs im Zusammenhang mit einer unbefristeten Verpachtung den Pächter durch eine letztwillige Verfügung oder eine rechtsgeschäftliche Verfügung als Erben eingesetzt hat oder

bb) die Verpachtung an einen Dritten erfolgt, weil der Beschenkte im Zeitpunkt der Steuerentstehung den Betrieb noch nicht führen kann, und die Verpachtung auf höchstens zehn Jahre befristet ist; hat der Beschenkte das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet, beginnt die Frist mit der Vollendung des 18. Lebensjahres.

Dies gilt nicht für verpachtete Betriebe, die vor ihrer Verpachtung die Voraussetzungen als begünstigtes Vermögen nach Absatz 1 und Satz 1 nicht erfüllt haben und für verpachtete Betriebe, deren Hauptzweck in der Überlassung von Grundstücken, Grundstücksteilen, grundstücksgleichen Rechten und Bauten an Dritte zur Nutzung besteht, die nicht unter Buchstabe d fallen;

c) sowohl der überlassende Betrieb als auch der nutzende Betrieb zu einem Konzern im Sinne des § 4h des Einkommensteuergesetzes gehören, soweit keine Nutzungsüberlassung an einen weiteren Dritten erfolgt;

d) die überlassenen Grundstücke, Grundstücksteile, grundstücksgleiche Rechte und Bauten zum Betriebsvermögen, zum gesamthänderisch gebundenen Betriebsvermögen einer Personengesellschaft oder zum Vermögen einer Kapitalgesellschaft gehören und der Hauptzweck des Betriebs in der Vermietung von Wohnungen im Sinne des § 181 Abs. 9 des Bewertungsgesetzes besteht, dessen Erfüllung einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§ 14 der Abgabenordnung) erfordert;

e) Grundstücke, Grundstücksteile, grundstücksgleiche Rechte und Bauten an Dritte zur land- und forstwirtschaftlichen Nutzung überlassen werden;

2. Anteile an Kapitalgesellschaften, wenn die unmittelbare Beteiligung am Nennkapital dieser Gesellschaften 25 Prozent oder weniger beträgt und sie nicht dem Hauptzweck des Gewerbebetriebs eines Kreditinstitutes oder eines Finanzdienstleistungsinstitutes im Sinne des § 1 Abs. 1 und 1a des Kreditwesengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998 (BGBl. I S. 2776), das zuletzt durch Artikel 24 des Gesetzes vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2026) geändert worden ist, oder eines Versicherungsunternehmens, das der Aufsicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1992 (BGBl. 1993 I S. 2), das zuletzt durch Artikel 6 Abs. 2 des Gesetzes vom 17. Oktober 2008 (BGBl. I S. 1982) geändert worden ist, unterliegt, zuzurechnen sind. Ob diese Grenze unterschritten wird, ist nach der Summe der dem Betrieb unmittelbar zuzurechnenden Anteile und der Anteile weiterer Gesellschafter zu bestimmen, wenn die Gesellschafter untereinander verpflichtet sind, über die Anteile nur einheitlich zu verfügen oder sie ausschließlich auf andere derselben Verpflichtung unterliegende Anteilseigner zu übertragen und das Stimmrecht gegenüber nichtgebundenen Gesellschaftern nur einheitlich ausüben;

3. Beteiligungen an Gesellschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes und an entsprechenden Gesellschaften im Ausland sowie Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht unter Nummer 2 fallen, wenn bei diesen Gesellschaften das Verwaltungsvermögen mehr als 50 Prozent beträgt;

4. Wertpapiere sowie vergleichbare Forderungen, wenn sie nicht dem Hauptzweck des Gewerbebetriebs eines Kreditinstitutes oder eines Finanzdienstleistungsinstitutes im Sinne des § 1 Abs. 1 und 1a des Kreditwesengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998 (BGBl. I S. 2776), das zuletzt durch Artikel 24 des Gesetzes vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2026) geändert worden ist, oder eines Versicherungsunternehmens, das der Aufsicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1992 (BGBl. 1993 I S. 2), das zuletzt durch Artikel 6 Abs. 2 des Gesetzes vom 17. Oktober 2008 (BGBl. I S. 1982) geändert worden ist, unterliegt, zuzurechnen sind;

5. Kunstgegenstände, Kunstsammlungen, wissenschaftliche Sammlungen, Bibliotheken und Archive, Münzen, Edelmetalle und Edelsteine, wenn der Handel mit diesen Gegenständen oder deren Verarbeitung nicht der Hauptzweck des Gewerbebetriebs ist.

Kommt Satz 1 nicht zur Anwendung, gehört solches Verwaltungsvermögen im Sinne des Satzes 2 Nr. 1 bis 5 nicht zum begünstigten Vermögen im Sinne des Absatzes 1, welches dem Betrieb im Besteuerungszeitpunkt weniger als zwei Jahre zuzurechnen war. Der Anteil des Verwaltungsvermögens am gemeinen Wert des Betriebs bestimmt sich nach dem Verhältnis der Summe der gemeinen Werte der Einzelwirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens zum gemeinen Wert des Betriebs; für Grundstücksteile des Verwaltungsvermögens ist der ihnen entsprechende Anteil am gemeinen Wert des Grundstücks anzusetzen. Bei Betrieben der Land- und Forstwirtschaft ist als Vergleichsmaßstab der Wert des Wirtschaftsteils (§ 168 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes) anzuwenden.

(3) …

(4) Begünstigt sind 85 Prozent des in Absatz 1 genannten Vermögens.

§ 19

Steuersätze

(1) Die Erbschaftsteuer wird nach folgenden Prozentsätzen erhoben:

Wert des steuerpflichtigen Erwerbs (§ 10) bis einschließlich … Euro

Prozentsatz in der Steuerklasse

I

II

III

75 000

7

30

30

300 000

11

30

30

600 000

15

30

30

6 000 000

19

30

30

13 000 000

23

50

50

26 000 000

27

50

50

über 26 000 000

30

50

50

(2) - (3) …

22

2. Neben §§ 13a und 13b ErbStG ist in § 19a ErbStG als weitere Privilegierung für das betriebliche Vermögen eine Tarifbegrenzung für Erwerber der Steuerklassen II und III geregelt, die darauf abzielt, beim Erwerb von Betriebsvermögen, von Betrieben der Land- und Forstwirtschaft und von Anteilen an Kapitalgesellschaften die Steuersätze der Steuerklasse I anzuwenden. Folglich wird der Teil des begünstigten Vermögens, der nach Verschonungsabschlag und Abzugsbetrag verbleibt, nach Maßgabe des § 19a ErbStG nach der günstigeren Steuerklasse I besteuert, auch wenn der Erwerb ansonsten nach Steuerklasse II oder III zu versteuern wäre (vgl. Meincke, ErbStG, 16. Aufl. 2012, § 19a Rn. 2).

23

Gehört zum Erwerb Betriebsvermögen oder land- und forstwirtschaftliches Vermögen, ist dem Erwerber nach § 28 ErbStG die darauf entfallende Erbschaftsteuer auf Antrag bis zu zehn Jahren (bei Erwerben von Todes wegen zinslos) zu stunden. Voraussetzung für eine Stundung ist, dass sie zur Erhaltung des Betriebs notwendig ist. Der Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist nach § 28 ErbStG nicht begünstigt.

24

3. a) Das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht kennt Vergünstigungen beim Erwerb betrieblichen Vermögens im Wesentlichen seit Anfang der 1990er Jahre. Mit dem Gesetz zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze (Steueränderungsgesetz 1992 - StÄndG 1992) vom 25. Februar 1992 (BGBl I S. 297) ordnete der Gesetzgeber die weitgehende Übernahme der Steuerbilanzwerte zur Bewertung des Betriebsvermögens für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer an (vgl. BVerfGE 117, 1 <4>). Der Gesetzesentwurf geht davon aus, dass der Steuerbilanzwertansatz gegenüber den bis dahin geltenden Bewertungsgrundsätzen zu vielfach niedrigeren Besteuerungswerten führen würde. Die dadurch bewirkte Entlastung bei der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung sei insbesondere für mittelständische Personenunternehmen wichtig. Zur Sicherung der Unternehmen solle vermieden werden, dass diesen zur Begleichung der Steuerschuld über Gebühr Mittel entzogen werden müssten (vgl. BTDrucks 12/1108, S. 37).

25

Ebenfalls durch das Steueränderungsgesetz 1992 wurde die Stundungsregelung in § 28 ErbStG auf Betriebsvermögen erstreckt, nach der zuvor nur bei land- und forstwirtschaftlichem Vermögen ein Anspruch auf Stundung (auf bis zu sieben Jahre) der Steuerschuld bestand, wenn dies zur Erhaltung des Betriebs notwendig war. Zusätzlich wurde für Erwerbe von Todes wegen angeordnet, dass die Stundung zinslos zu erfolgen habe (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 ErbStG). Mit dem Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I S. 1250) wurde der maximale Stundungszeitraum auf zehn Jahre ausgedehnt.

26

b) Durch das Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt (Standortsicherungsgesetz - StandOG) vom 13. September 1993 (BGBl I S. 1569) führte der Gesetzgeber mit dem neu eingefügten § 13 Abs. 2a ErbStG erstmals einen sachbezogenen Freibetrag für durch Erbanfall oder im Weg der vorweggenommenen Erbfolge (seit 23. Dezember 2001 allgemein durch Schenkung unter Lebenden; vgl. Art. 16 des Steueränderungsgesetzes 2001 vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3794) erworbenes Betriebsvermögen in Höhe von 500.000 DM ein (ab 1. Januar 2002: 256.000 Euro; ab 1. Januar 2004: 225.000 Euro). Dieser war an eine Behaltensfrist von fünf Jahren gekoppelt. Wurde innerhalb dieses Zeitraums die Fortführung des Betriebs beendet oder das begünstigte Vermögen weitergegeben, kam es zur Nachversteuerung (vgl. BVerfGE 117, 1 <5>).

27

Die Bundesregierung begründete den Freibetrag für Betriebsvermögen damit, dass insbesondere die Erben kleiner und mittlerer Betriebe (Einzelunternehmen und Personengesellschaften) von der Erbschaftsteuer entlastet werden sollten, um ihnen die Fortführung ihrer Betriebe zu erleichtern. Die Erben müssten dem Betriebsvermögen nur noch in entsprechend gemindertem Umfang liquide Mittel für die Zahlung der Erbschaftsteuer entnehmen. Auf diese Weise würden auch Wettbewerbsverzerrungen zugunsten von Publikumsgesellschaften im Streubesitz verringert. Im Übrigen seien steuerliche Vergünstigungen für das Betriebsvermögen auch wegen seiner verhältnismäßig geringen Fungibilität, der erhöhten Sozialverpflichtung (Erhaltung von Arbeitsplätzen) und des höheren Risikos notwendig und gerechtfertigt (vgl. BTDrucks 12/4487, S. 24 und 47).

28

c) Mit dem Jahressteuergesetz (JStG) 1997 vom 20. Dezember 1996 (BGBl I S. 2049) erweiterte der Gesetzgeber nochmals den Vergünstigungsumfang für betriebliches Vermögen durch den neu in das Gesetz eingefügten § 13a ErbStG.

29

Die Regelung sah nunmehr einen Bewertungsabschlag von 40 % (ab 1. Januar 2004: 35 %) auf den nach Abzug des Freibetrags verbleibenden Wert des Vermögens vor, der wie der Freibetrag innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb unter einem Nachversteuerungsvorbehalt stand (vgl. auch BVerfGE 117, 1 <5>). Dadurch sollte eine weitere Verringerung der steuerlichen Belastung für die Unternehmensnachfolge, vor allem von mittelständischen Unternehmen, erreicht (vgl. BTDrucks 13/901, S. 157) und dem Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 (BVerfGE 93, 165) Rechnung getragen werden (vgl. BTDrucks 13/4839, S. 67 f.).

30

Außerdem wurden neben Betriebsvermögen nunmehr auch land- und forstwirtschaftliches Vermögen und Anteile an inländischen Kapitalgesellschaften, an deren Nennkapital der Erblasser oder Schenker zu mehr als einem Viertel unmittelbar beteiligt war, in die steuerliche Begünstigung einbezogen (vgl. dazu BVerfGE 117, 1 <10, 12>). Der Gesetzgeber zielte hiermit auf die Erleichterung des Generationenwechsels in den Betrieben der Land- und Forstwirtschaft, indem bäuerliche Familienbetriebe regelmäßig ohne Belastung mit Erbschaft- und Schenkungsteuer übergehen sollten (vgl. BTDrucks 13/4839, S. 67 f.). Daneben wollte er "familienbezogene" (vgl. BTDrucks 13/901, S. 157; 13/4839, S. 67) Kapitalgesellschaften fördern. Die Einführung einer Mindestbeteiligungsgrenze sei zur Verhinderung von missbräuchlichen Gestaltungen geboten; sie sei Indiz dafür, dass der Anteilseigner unternehmerisch in die Gesellschaft eingebunden sei und nicht nur als Kapitalanleger auftrete. Insgesamt werde mit dieser zusätzlichen Regelung dem für diese Gesellschaften typischen "unternehmerischen Risiko" im weiteren Sinne auf der Seite der Anteilseigner Rechnung getragen (vgl. BTDrucks 13/901, S. 158).

31

Außerdem wurde mit dem Jahressteuergesetz 1997 die Tarifbegrenzung des § 19a in das ErbStG eingefügt, nach der auch bei eigentlich den ungünstigeren Steuerklassen II und III des § 15 Abs. 1, Abs. 1a ErbStG angehörenden Erwerbern von Betriebsvermögen die Erbschaftsteuer nach der Steuerklasse I berechnet wird (vgl. BVerfGE 117, 1 <6>).

32

d) aa) Nachdem das Bundesverfassungsgericht auf die Vorlage des Bundesfinanzhofs vom 22. Mai 2002 (BFHE 198, 342) die Tarifnorm des § 19 Abs. 1 ErbStG wegen Gleichheitswidrigkeit der maßgeblichen Bewertungsbestimmungen durch Beschluss vom 7. November 2006 (BVerfGE 117, 1) für verfassungswidrig erklärt hatte, änderte der Bundesgesetzgeber mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz nicht nur die Bewertungsgrundsätze für erbschaft- und schenkungsteuerrechtliche Zwecke, sondern gestaltete auch die Verschonung betrieblichen Vermögens durch §§ 13a und 13b ErbStG inhaltlich neu und erweiterte sie.

33

Die §§ 13a und 13b ErbStG in der Fassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes sahen gegenüber der für das Vorlageverfahren maßgeblichen Gesetzesfassung durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz (vgl. hierzu oben I. 1. c) erhöhte Voraussetzungen für die Steuerbefreiungen vor. Die Inanspruchnahme des Verschonungsabschlags war nach § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG noch davon abhängig, dass die Summe der jährlichen Lohnsummen des Betriebs während einer siebenjährigen Lohnsummenfrist 650 % der Ausgangslohnsumme erreicht. Eine Befreiung von der Lohnsummenregelung war nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG lediglich bis zu einer Grenze von zehn Beschäftigten vorgesehen, und die Behaltensfrist nach § 13a Abs. 5 ErbStG betrug noch sieben Jahre. Dementsprechend waren auch die Anforderungen nach § 13a Abs. 8 ErbStG für die Erlangung einer vollständigen Verschonung strenger, da hierfür eine Lohnsummenfrist von zehn Jahren eingehalten werden musste, von einer maßgebenden Lohnsumme von 1.000 % ausgegangen wurde und eine Behaltensfrist von zehn Jahren vorgesehen war.

34

Bei der Neuregelung der erbschaft- und schenkungsteuerrechtlichen Begünstigung betrieblichen Vermögens durch das Erbschaftsteuerreformgesetz ließ sich der Gesetzgeber davon leiten, dass Betriebsvermögen gegenüber anderen Vermögensarten Besonderheiten aufweise, die eine differenzierte Behandlung im Rahmen der Erbschaftsteuer erforderten. Diese Vermögensart bilde eine Basis für Wertschöpfung und Beschäftigung und für den Erhalt von Arbeitsplätzen (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33).

35

In vielen Betrieben sei beträchtliches Kapital für Produktionszwecke gebunden. Die im Erbfall trotz Begünstigung anfallende Erbschaftsteuer sei oft nicht aus liquidem Vermögen oder aus laufenden Erträgen zu begleichen. Um die Erhaltung von Arbeitsplätzen nicht zu gefährden, müssten Betriebe vor kurzfristigen hohen Belastungen geschützt werden. Liquiditätsreserven und Investitionsfähigkeit sollten durch staatliche Ansprüche nicht erschöpft werden. Gerade Zeiten des Betriebsübergangs brauchten stabile Rahmenbedingungen, weil sie oft Umstrukturierungen und Neuinvestitionen erforderlich machten. Deshalb werde allen Betrieben eine Verschonung angeboten, die ihre Liquidität schütze, Investitionen nicht verhindere und so Arbeitsplätze sichere (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33). Voraussetzung der Verschonung sei, dass die Unternehmensnachfolge nachhaltig sei und die Arbeitsplätze erhalten würden (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 23).

36

Die klein- und mittelständisch geprägte Unternehmenslandschaft sei für die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb von Vorteil. Regional vernetzte Familienbetriebe seien notwendige Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und damit für die Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeits- und Ausbildungsplätze in Deutschland. Klein- und mittelständische Betriebe stünden für offene Märkte und hohe Wettbewerbsintensität (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33). Gemeinwohlgründe sprächen nicht nur für eine steuerliche Privilegierung der Unternehmen, sondern auch für Verschonungsregelungen für land- und forstwirtschaftliches Vermögen, dessen Bedeutung vor dem Hintergrund des gewachsenen ökologischen Bewusstseins deutlich werde (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 23).

37

bb) Durch Artikel 1 Nr. 17 des Erbschaftsteuerreformgesetzes kam es auch zu einer Änderung der Tarifstruktur in § 19 Abs. 1 ErbStG. Für Erwerber der Steuerklassen II und III galten dieselben Steuersätze mit nur noch zwei unterschiedlichen Prozentsätzen (30 und 50 %).

38

e) Artikel 6 Nr. 1 und Nr. 4 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes änderte § 13a ErbStG zugunsten der Steuerpflichtigen rückwirkend. Daneben wurde durch Artikel 6 Nr. 2 und Nr. 4 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes die Änderung des § 19 Abs. 1 ErbStG durch das Erbschaftsteuerreformgesetz (vgl. oben 3. d bb) mit Wirkung für Steuerentstehungszeitpunkte nach dem 31. Dezember 2009 wieder zurückgenommen (BGBl I S. 3950 <3954>). Danach sah § 19 Abs. 1 ErbStG für Erwerber der Steuerklasse II wieder Steuersätze von 15 bis 43 % vor, die von einer einzelnen Ausnahme abgesehen zwischen den Steuersätzen für Erwerber der Steuerklasse I und III liegen.

39

4. §§ 13a und 13b ErbStG haben durch das Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) vom 8. Dezember 2010 (BGBl I S. 1768) und das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1. November 2011 (BGBl I S. 2131) Änderungen erfahren, die jedoch die Vorlagefrage nicht berühren. Erneut geändert wurden die §§ 13a und 13b ErbStG mit Wirkung für Steuerentstehungszeitpunkte nach dem 6. Juni 2013 durch Artikel 30 des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz - AmtshilfeRLUmsG) vom 26. Juni 2013 (BGBl I S. 1809 <1842>). Mit diesen Änderungen reagierte der Gesetzgeber auf die vom Bundesfinanzhof aufgezeigten Gestaltungsmöglichkeiten bei der Anwendung der §§ 13a und 13b ErbStG (vgl. BRDrucks 302/12 [Beschluss], S. 112 ff.; BTDrucks 17/10604, S. 38 f.; BRDrucks 157/13 [Beschluss], S. 2) und entzog einigen von ihnen insbesondere durch die Einfügung einer neuen Nr. 4a in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG die Grundlage. Danach gehört nunmehr zum nicht begünstigten Verwaltungsvermögen auch der nach Abzug der Schulden verbleibende Bestand an Finanzmitteln wie Geldforderungen oder Geschäftsguthaben, soweit er 20 % des anzusetzenden Werts des Betriebsvermögens des Betriebs oder der Gesellschaft übersteigt. Soweit der Liquiditätsbestand die 20 %-Grenze nicht überschreitet, ist er nach §§ 13a und 13b ErbStG weiterhin begünstigt.

40

5. Das Aufkommen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer steht nach Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG den Ländern zu. Im Jahr 2009, in dem das Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008 in Kraft getreten ist, lagen die Einnahmen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer bei rund 4,5 Milliarden Euro, im Jahr 2012 bei rund 4,3 Milliarden Euro und im Jahr 2013 bei knapp über 4,6 Milliarden Euro. Schon seit 2004 waren jährliche Erbschaft- und Schenkungsteueraufkommen in dieser Größenordnung erzielt worden (vgl. zur Entwicklung seit 1990 BVerfGE 117, 1 <12>).

41

Nach den vom Bundesministerium der Finanzen dem Bundesverfassungsgericht vorgelegten statistischen Auswertungen hat sich der Steuerwert des durch Erwerbe von Todes wegen und Schenkungen übertragenen Vermögens in den Jahren von 2007 bis 2012 mehr als verdoppelt (2007: 33,7 Milliarden Euro; 2008: 35,3 Milliarden Euro; 2009: 37,5 Milliarden Euro; 2010: 40,7 Milliarden Euro; 2011: 54 Milliarden Euro; 2012: 74,2 Milliarden Euro). Durch die §§ 13a und 13b ErbStG wurden von diesen Steuerwerten nach den Angaben des Bundesministeriums der Finanzen im Jahr 2009 3,4 Milliarden Euro, im Jahr 2010 7,2 Milliarden Euro, im Jahr 2011 20 Milliarden Euro und im Jahr 2012 40,2 Milliarden Euro steuerfrei gestellt. Diese statistischen Angaben, auch die zu den Gesamtjahreswerten unentgeltlich übertragenen Vermögens, beziehen sich allerdings nur auf die von den Finanzbehörden erfassten Fälle. Das Bundesministerium der Finanzen hat zur tatsächlichen Belastung erbschaftsteuerbarer Sachverhalte mit Erbschaftsteuer mitgeteilt, es habe im Jahr 2010 insgesamt 858.768 Sterbefälle gegeben, von denen 807.278 (94 %) von der Finanzverwaltung hinsichtlich der Erbschaftsteuer nicht aufgegriffen worden seien, weil von vornherein erkennbar gewesen sei, dass insbesondere aufgrund der Höhe und Zusammensetzung des Vermögens und des Umfangs der persönlichen Freibeträge eine Steuerbelastung nicht entstehe. Lediglich in den verbleibenden 51.490 Sterbefällen sei eine Erbschaftsteuerveranlagung durchgeführt worden. Ein Verschonungsabschlag nach § 13a ErbStG, der den steuerpflichtigen Erwerb reduziert oder ganz auf null abgesenkt habe, sei dabei in 2.440 Sterbefällen gewährt worden.

II.

42

1. Im Ausgangsverfahren geht es um die steuertarifliche Gleichstellung von Erwerbern der Steuerklassen II und III im Jahr 2009.

43

Der Kläger ist zu 1/4 Miterbe des 2009 verstorbenen Bruders seines Vaters. Der Nachlass setzte sich aus Guthaben bei Kreditinstituten und einem Steuererstattungsanspruch zusammen. Der Wert des auf den Kläger entfallenden Anteils belief sich auf 51.266 Euro. Nach Berücksichtigung des für Personen der Steuerklasse II im maßgeblichen Zeitraum vorgesehenen Freibetrags von 20.000 Euro und nach Abrundung verblieb ein steuerpflichtiger Erwerb von 31.200 Euro. Für ihn setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer unter Anwendung des für die Steuerklasse II bei Erwerben mit einem solchen Wert im Jahr 2009 geltenden Steuersatzes von 30 % auf 9.360 Euro fest.

44

Einspruch und Klage, mit denen der Kläger eine Herabsetzung der Steuer auf 4.680 Euro erreichen wollte, blieben erfolglos. Der Kläger machte geltend, die auf der Änderung des § 19 Abs. 1 ErbStG durch das Erbschafsteuerreformgesetz beruhende und auf das Jahr 2009 beschränkte Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III sei nicht mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren.

45

2. Im Revisionsverfahren hat der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 27. September 2012 (BFHE 238, 241) das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt,

ob § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der im Jahr 2009 geltenden Fassung (ErbStG) in Verbindung mit §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) verfassungswidrig ist.

46

a) Die im Jahr 2009 in § 19 Abs. 1 ErbStG normierte Gleichstellung von Personen der Steuerklassen II und III sei allerdings verfassungsrechtlich hinzunehmen. Denn zum einen sei der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, Erwerber der Steuerklasse II besser zu stellen als Erwerber der Steuerklasse III. Zum anderen sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Erwerber der Steuerklasse II nur für das Jahr 2009 den Erwerbern der Steuerklasse III gleichgestellt worden seien, während sie in den Jahren zuvor und danach besser als diese behandelt würden.

47

b) § 19 Abs. 1 ErbStG in Verbindung mit §§ 13a und 13b ErbStG sei jedoch gleichheitswidrig, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgingen und dadurch die Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen könnten, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt würden.

48

aa) Die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften stelle eine nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigte und damit verfassungswidrige Überprivilegierung dar, jedenfalls insoweit, als die Gewährung der Steuervergünstigungen nicht von der Lohnsummenregelung und somit von der Erhaltung von Arbeitsplätzen abhänge.

49

(1) Es gehe weit über das verfassungsrechtlich Gebotene und Zulässige hinaus, betriebliches Vermögen ohne Rücksicht auf den Wert des Erwerbs und die Leistungsfähigkeit des Erwerbers freizustellen, und zwar auch dann, wenn die für eine Erbschaftsteuerzahlung erforderlichen liquiden Mittel vorhanden seien oder - gegebenenfalls im Rahmen einer Stundung der Steuer - ohne weiteres beschafft werden könnten. Da auch Erwerber großer und größter Unternehmen von den Steuervergünstigungen profitierten, begünstigten die Steuervorteile die Konzentration von Unternehmensvermögen bei vergleichsweise wenigen Personen.

50

Dass die erbschaft- und schenkungsteuerliche Belastung typischerweise die Betriebsfortführung gefährde, könne auch im Hinblick auf die Ausführungen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen in seinem zur Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer erstatteten Gutachten 01/2012 nicht unterstellt werden.

51

Beim Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften fehle es für die pauschale Entlastung der Erwerber von der Steuer an einem ausreichenden sachlichen Grund. Ein solcher sei nicht in der Gleichstellung der Anteile an Kapitalgesellschaften mit Betriebsvermögen oder den Anteilen an Personengesellschaften zu sehen. Die Belastung mit Erbschaftsteuer treffe beim Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften in der Regel lediglich die private Vermögenssphäre des Erwerbers.

52

(2) Die Regelungen über die Lohnsummen, die in den Jahren nach dem Erwerb erreicht werden müssten, um den vollen Verschonungsabschlag zu erhalten, spielten im Regelfall für die Verschonung keine entscheidende Rolle, weil weit mehr als 90 % aller Betriebe nicht mehr als 20 Beschäftigte aufwiesen.

53

Zusätzlich erweise sich der Begünstigungsgrund "Arbeitsplatzerhalt" auch deshalb als nicht tragfähig, weil das Gesetz Gestaltungen zulasse, die es in vielen Fällen auf einfache Art und Weise ermöglichten, dass es für die Gewährung des Verschonungsabschlags auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten nicht auf die Entwicklung der Lohnsummen und somit auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen in dem Zeitraum nach dem Erwerb ankomme. Das könne durch Betriebsaufspaltungen erreicht werden, indem ein Betrieb mit mehr als 20 Beschäftigten vor der Verwirklichung des Steuertatbestandes bei gleichen Beteiligungsverhältnissen in eine Besitzgesellschaft, die nicht mehr als 20 Beschäftigte habe und bei der das Betriebsvermögen konzentriert werde, und in eine Betriebsgesellschaft, deren Betriebsvermögen nach Berücksichtigung der Verbindlichkeiten keinen oder nur einen geringen Steuerwert habe und die eine beliebige Zahl von Beschäftigten haben könne, aufgespalten werde.

54

Dass Betriebe mit nicht mehr als 20 Beschäftigten den Verschonungsabschlag ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen beanspruchen könnten, sei nicht mit einer Verringerung des Bürokratieaufwands für Unternehmen und Verwaltung zu begründen.

55

(3) Die weitgehende oder vollständige Freistellung von der Steuer nach §§ 13a und 13b ErbStG setze die Beachtung der Behaltensregeln des § 13a Abs. 5 ErbStG lediglich für einen Zeitraum von fünf beziehungsweise sieben Jahren voraus. Dieser Zeitraum sei im Hinblick auf die Höhe der Steuervergünstigungen unverhältnismäßig kurz, zumal ein Verstoß gegen die Behaltensregeln den Verschonungsabschlag meist nur teilweise entfallen lasse. Den Steuerpflichtigen wären längere Bindungsfristen zumutbar, ohne die vom Gesetzgeber mit den Steuervergünstigungen angestrebte Betriebsfortführung zu gefährden.

56

bb) §§ 13a und 13b ErbStG wiesen ferner einen verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang auf, da sie es Steuerpflichtigen ermöglichten, durch rechtliche Gestaltungen nicht betriebsnotwendiges Vermögen, das den Begünstigungszweck nicht erfülle, in unbegrenzter Höhe ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung zu erwerben. Insbesondere seien die Ausgestaltung und Wirkungen der Verwaltungsvermögensregelung nicht geeignet, risikobehaftetes und deshalb zu begünstigendes Betriebsvermögen von weitgehend risikolosem und daher nicht begünstigungswürdigem Betriebsvermögen abzugrenzen.

57

(1) Ein gleichheitswidriger Begünstigungsüberhang der Betriebsvermögensverschonung nach §§ 13a und 13b ErbStG liege bereits darin, dass nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG bei der Regelverschonung das Betriebsvermögen bis zu 50 % aus nicht betriebsnotwendigem Vermögen (unschädlichem Verwaltungsvermögen) bestehen könne. Das Gesetz nehme somit von vornherein in Kauf, dass Wirtschaftsgüter der privaten Vermögensverwaltung bis zum Wert des "echten" Betriebsvermögens von der Verschonungsregelung erfasst würden.

58

Die Festlegung des unschädlichen Verwaltungsvermögens mit bis zu 50 % des gesamten Betriebsvermögens überschreite die Grenze zulässiger Typisierung. Es sei nicht zu erkennen, dass Betriebe aus Gründen der Liquidität, zur Absicherung von Krediten oder auch zur Stärkung der Eigenkapitalbasis typischerweise bis zu 50 % über nicht unmittelbar dem Betrieb dienende Wirtschaftsgüter verfügten oder verfügen müssten.

59

(2) Zu einem verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang führe auch, dass sich durch eine mehrstufige Konzernstruktur, die nicht als missbräuchlich im Sinne des § 42 der Abgabenordnung (AO) angesehen werden könne, der unter die Verschonungsregelung fallende Anteil des Verwaltungsvermögens am Betriebsvermögen mit jeder weiteren Beteiligungsstufe gemessen am Konzernvermögen deutlich erhöhen könne, ohne dass dies der Gewährung der Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG entgegenstehe.

60

Aus § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG ergebe sich nämlich, dass Beteiligungen an Gesellschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder an entsprechenden Gesellschaften im Ausland sowie Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht unter § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ErbStG fielen, nicht zum Verwaltungsvermögen gehörten, wenn das Verwaltungsvermögen bei diesen nicht mehr als 50 % betrage. Derartige Anteile zählten deshalb bei der Prüfung, ob das Verwaltungsvermögen bei dem übergeordneten Unternehmen nicht mehr als 50 % ausmache, in vollem Umfang zum begünstigten Betriebsvermögen, obwohl 50 % ihres Vermögens aus Verwaltungsvermögen bestehen könne.

61

(3) Ein weiterer, dem Gleichheitssatz widersprechender Überhang der Verschonungsregelungen für das Betriebsvermögen ergebe sich daraus, dass Geldforderungen wie etwa Sichteinlagen, Sparanlagen und Festgeldkonten bei Kreditinstituten sowie Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie Forderungen an verbundene Unternehmen nicht zum Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG gehörten.

62

Anteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft, deren Vermögen ausschließlich aus solchen Forderungen bestünden, könnten deshalb durch freigebige Zuwendung oder von Todes wegen steuerbegünstigt nach §§ 13a und 13b ErbStG erworben werden, ohne dass darin eine missbräuchliche Gestaltung im Sinne des § 42 AO gesehen werden könne. Dieses Besteuerungsergebnis könne auch nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 13b Abs. 2 ErbStG dahingehend vermieden werden, dass Bankguthaben und Festgelder schädliches Verwaltungsvermögen seien. Eine solche Norminterpretation sei weder mit dem Wortlaut der Vorschrift noch mit deren Sinn und Zweck, dem systematischen Zusammenhang und der Entstehungsgeschichte vereinbar.

63

Gewichtige Gründe, wie etwa Typisierungserwägungen, die die völlige Freistellung des Erwerbs eines Anteils an einer Gesellschaft, deren Vermögen ausschließlich aus Guthaben bei Kreditinstituten oder sonstigen Geldforderungen bestehe, die nicht zum Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG gehörten, aus verfassungsrechtlicher Sicht rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.

64

(4) Außerdem ergebe sich ein Begünstigungsüberhang bei der Betriebsvermögensverschonung aus der Möglichkeit, durch Gestaltungen aus begünstigungsschädlichem Verwaltungsvermögen begünstigtes Betriebsvermögen zu machen. Da Geldforderungen nicht zum Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG gehörten, könne auch für Gesellschaften, deren Vermögen ausschließlich oder zu einem hohen Anteil aus Verwaltungsvermögen bestehe, durch die Bildung sogenannter Forderungsgesellschaften erreicht werden, dass der Verschonungsabschlag von 100 % zu gewähren sei.

65

cc) §§ 13a und 13b ErbStG ließen es zu, dass es weitgehend der Dispositionsfreiheit des Erblassers oder Schenkers unterliege, Vermögensgegenstände, die ihrer Natur nach im Rahmen der privaten Vermögensverwaltung gehalten würden, zu steuerbegünstigtem Betriebsvermögen zu machen. Die Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG knüpften an den Begriff des ertragsteuerrechtlichen Betriebsvermögens an und ermöglichten es so, durch Schaffung gewillkürten Betriebsvermögens und weitere Gestaltungen selbst beim Erwerb größter Vermögen von Todes wegen oder durch freigebige Zuwendung die Höhe der Steuerbelastung zu vermindern oder das Entstehen von Steuer zu vermeiden, ohne dass dies verfassungsrechtlich gerechtfertigt sei.

66

dd) Mit den Anforderungen an eine gleichmäßige Besteuerung sei es schließlich auch nicht zu vereinbaren, dass die Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG zusammen mit zahlreichen anderen Verschonungen (etwa die Tarifbegrenzung nach § 19a ErbStG oder die in § 13 Abs. 1 Nr. 4a und 4b ErbStG vorgesehenen Steuerbefreiungen im Zusammenhang mit Familienheimen) und den Freibeträgen des § 16 ErbStG dazu führten, dass nur ein geringer Teil der im Grundsatz nach §§ 1, 2, 3 und 7 ErbStG steuerbaren Sachverhalte tatsächlich mit Steuer belastet werde.

67

ee) Für die Entscheidung des Streitfalles komme es auf die Gültigkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG an. Wenn diese Vorschrift verfassungsgemäß sei, wäre die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen. Wenn sie nicht verfassungsgemäß sei, wäre die Vorentscheidung auf die Revision des Klägers aufzuheben und der Klage stattzugeben, weil das Fehlen einer den Steuersatz festlegenden Regelung die Festsetzung von Erbschaftsteuer nicht zulassen würde, oder das Verfahren müsste gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber ausgesetzt werden.

68

Sollte das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass die weitgehende oder vollständige Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften oder von Anteilen daran von der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar sei, wäre der Gesetzgeber weder aus Rechtsgründen noch aus offenkundigen tatsächlichen Gründen gehindert, auch für den Erwerb von Privatvermögen unter noch zu bestimmenden Voraussetzungen den §§ 13a und 13b ErbStG vergleichbare Steuervergünstigungen einzuführen.

69

Der Entscheidungserheblichkeit der Frage, ob § 19 Abs. 1 ErbStG verfassungsgemäß sei, stehe nicht entgegen, dass die in die verfassungsrechtliche Prüfung einbezogenen §§ 13a und 13b ErbStG keinen unmittelbaren Anknüpfungspunkt im Ausgangssachverhalt hätten. Es bestehe von Verfassungs wegen keine Notwendigkeit, die Zulässigkeit einer Richtervorlage auf den Vergleich mit einer bestimmten, im Ausgangsfall betroffenen Vermögensart beziehungsweise einer bestimmten Verschonungsregelung zu beschränken. § 19 Abs. 1 ErbStG sei nämlich eine "Klammernorm", über die Verstöße gegen den Gleichheitssatz, die in den Bewertungs- und Verschonungsvorschriften angelegt seien, erst ihre Wirkung entfalteten. Dabei gehe es nicht um verfassungswidrige Ungleichbehandlungen, die in einzelnen Vorschriften enthalten seien. Vielmehr wirkten sich die gerügten Verfassungsverstöße teils für sich allein, teils aber auch in ihrer Kumulation auf alle Teile des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes aus und führten zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung.

III.

70

1. Von Seiten des Bundes und der Länder haben das Bundesministerium der Finanzen für die Bundesregierung, das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen und die Niedersächsische Landesregierung Stellung genommen.

71

a) Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage weder für zulässig noch in der Sache für berechtigt. Es fehle schon an der Entscheidungserheblichkeit der §§ 13a und 13b ErbStG für den Ausgangsstreit. Diese lasse sich auch nicht unter Bezugnahme auf den § 19 Abs. 1 ErbStG als Klammernorm begründen. Die §§ 13a und 13b ErbStG seien hinsichtlich ihres Zwecks, die Unternehmensfortführung zu sichern und Arbeitsplätze zu erhalten, folgerichtig ausgestaltet. Im Übrigen seien Verschonungsregelungen für Unternehmensvermögen international üblich. Auch könne der Gesetzgeber Gestaltungen zur Steuerumgehung nie gänzlich vermeiden.

72

b) Das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen erachtet die Vorlage als unzulässig, da das Verständnis des Bundesfinanzhofs von § 19 Abs. 1 ErbStG als Klammernorm nicht überzeuge; ansonsten könnten auf diesem Weg sämtliche Befreiungs- und Begünstigungstatbestände zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellt werden. Auch seien von der Besteuerung nach §§ 13a und 13b ErbStG nach der Zahl der betroffenen Steuerpflichtigen sowie gemessen an der wirtschaftlichen Bedeutung gerade nicht wesentliche Teilbereiche des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes betroffen. Die Vorlage nehme außerdem zu Unrecht die Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Vorschriften an. Sie zeige zwar auf, dass Einzelregelungen des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes, für das die Gesetzgebungskompetenz beim Bund liege, steuerpolitisch verfehlt seien, diese Mängel führten aber nicht zu einer Verfassungswidrigkeit der Erbschaftsbesteuerung.

73

c) Die Niedersächsische Landesregierung hält die Vorlage für zulässig und die vorgelegten Normen für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe verkannt, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 22. Juni 1995 (BVerfGE 93, 165) nicht gefordert habe, betriebliches Vermögen so weitgehend durch Verschonungstatbestände wie §§ 13a und 13b ErbStG zu begünstigen, dass hierdurch eine realitätsgerechte Bewertung konterkariert werde. Ferner lasse sich aus dem vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen in seinem zur Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer erstatteten Gutachten 01/2012 der Schluss ziehen, eine Bedrohung von Unternehmen durch die Erbschaftsteuer sei nicht sehr wahrscheinlich. Falls eine erbschaftsteuerbedingte Existenzgefährdung ausnahmsweise doch vorliegen könne, halte das geltende Recht mit der Stundungsregelung in § 28 ErbStG eine ökonomisch wirksame Alternative zu den §§ 13a und 13b ErbStG bereit.

74

2. Zur Vorlage haben - schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung - der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, die Stiftung Familienunternehmen sowie Die Familienunternehmer - ASU Stellungnahmen abgegeben. Sie äußern hinsichtlich der Zulässigkeit der Vorlage Bedenken, halten die Verschonungsregelungen aber für verfassungsgemäß.

75

Die Stellungnahmen beurteilen die §§ 13a und 13b ErbStG als gleichheitsgerecht; nur vereinzelt wird eine fehlende Zielgenauigkeit einzelner Regelungen (etwa bei § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG) angenommen. Die §§ 13a und 13b ErbStG verfolgten mit dem Erhalt von Unternehmen und Arbeitsplätzen ein legitimes Ziel. Sie seien schon deshalb erforderlich, um die höhere Belastung aufgrund der durch das Erbschaftsteuerreformgesetz eingeführten verkehrswertorientierten Bewertung auszugleichen. Bei der Bewertung von Familienunternehmen werde nicht berücksichtigt, dass bei ihnen regelmäßig - vielfach auch gesellschaftsvertraglich festgelegte - Veräußerungs- und Gewinnentnahmehindernisse bestünden, die zur Bestandssicherung und Finanzierung solcher Betriebe notwendig seien.

76

Soweit der Bundesfinanzhof darauf verweise, dass die Verschonungsregelungen nicht ausreichend berücksichtigten, ob freie Mittel im privaten Vermögen des Unternehmers zur Begleichung der Steuerlast vorhanden seien, verkenne er, dass Unternehmer, die expandierten und investierten, ihre Liquidität im und nicht außerhalb des Unternehmens anlegten. In vielen Fällen sei deshalb bei Betriebsübergang private Liquidität zur Finanzierung der Erbschaftsteuer nicht vorhanden.

77

Die Verschonung nach §§ 13a und 13b ErbStG trage den Empfehlungen der Europäischen Kommission Rechnung, wonach die Übertragung von Familienunternehmen erbschaftsteuerlich begünstigt werden solle. Die Erbschaftsteuer bilde einen erheblichen Standort- und Wettbewerbsfaktor. Im Vergleich mit anderen Ländern sei die Erbschaftsteuerbelastung in Deutschland auch deshalb relativ hoch, weil in Deutschland Vermögensübergänge an Ehegatten und Kinder besteuert würden.

78

Der Bundesfinanzhof habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass Verwaltungsvermögen nicht grundsätzlich als negativ anzusehen sei, es stärke nämlich die Eigenkapitalausstattung eines Unternehmens und hafte vollumfänglich für betriebliche Verpflichtungen.

79

Die dem Gesetz zugrunde liegende Annahme, die erbschaft- oder schenkungsteuerliche Belastung gefährde typischerweise die Betriebsfortführung, könne deshalb nicht verifiziert werden, weil es zu einer geplanten Betriebsnachfolge gar nicht komme, wenn sich bei ihrer Vorbereitung herausstelle, dass sie mit existenzgefährdenden Steuerbelastungen verbunden sein könne. Sei der Erhalt des Unternehmens in Familienhand aufgrund einer drohenden Existenzgefährdung durch die Belastung mit Erbschaft- oder Schenkungsteuer nicht möglich, so stelle sich der Verkauf eines Handwerkbetriebs als schwierig dar, da es - auch im Hinblick auf die regionale Verwurzelung des Betriebs - oftmals an Kaufinteressenten fehle.

80

Die Stundungsregelung des § 28 ErbStG sei nicht geeignet, den Erhalt des Betriebs zu sichern. In der Praxis seien nämlich für den Nachweis der Existenzgefährdung als Stundungsvoraussetzung Bankauskünfte erforderlich, und die Banken kündigten dann bei Kenntnis von Liquiditätsengpässen die Kredite. Dies würde insbesondere kleine und mittlere Betriebe in der Existenz bedrohen, da diese auf eine Fremdfinanzierung in besonderem Maße angewiesen seien.

81

3. Zur Vorlage haben sich darüber hinaus der Deutsche Bauernverband, die Bundessteuerberaterkammer, der Deutsche Steuerberaterverband, der Deutsche Notarverein, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein, das Institut der Wirtschaftsprüfer und die Deutsche Steuer-Gewerkschaft geäußert.

82

a) Der Deutsche Bauernverband äußert Zweifel an der Zulässigkeit der Vorlage, hält die Verschonungsregelungen insbesondere für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen aber jedenfalls durch ausreichende Gemeinwohlgründe für gerechtfertigt. In der Land- und Forstwirtschaft sei es in der Regel nicht möglich, ausreichend finanzielle Vorsorge für den Erbschaft- oder Schenkungsteuerfall zu treffen. Eine Besteuerung des Übergangs land- und forstwirtschaftlichen Vermögens ohne Verschonung würde den Strukturwandel in der Land- und Forstwirtschaft noch weiter verstärken.

83

b) Die Bundessteuerberaterkammer geht zwar von einer Verfassungswidrigkeit der §§ 13a und 13b ErbStG aus, weist allerdings auf die grundsätzliche Notwendigkeit einer steuerlichen Verschonung des Betriebsvermögens hin. Es dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Erbschaftsteuer Liquiditätsprobleme auslösen könne. Im Übrigen sei auch die Auffassung des Bundesfinanzhofs problematisch, wonach bei den von ihm angeführten Gestaltungen § 42 AO nicht zur Anwendung gelangen soll.

84

c) Der Deutsche Steuerberaterverband hält die Vorlage für zulässig, die Normen aber für verfassungsgemäß. Es bestehe durchaus die Möglichkeit, dass es aufgrund der Erbschaftsteuerbelastung zu Betriebseinstellungen oder -übertragungen kommen könne. Bei der Besteuerung des Betriebsvermögens sei zu berücksichtigen, dass es in deutlich höherem Maße wirtschaftlichen Entwicklungen unterworfen sei als das Grundvermögen.

85

d) Der Deutsche Notarverein teilt nicht die Auffassung des Bundesfinanzhofs, wonach wenig dafür spreche, dass eine Verschonung des Betriebsvermögens zum Erhalt von Arbeitsplätzen geboten sei. Denn der Ausstieg einer Familie aus "ihrem" Unternehmen und die Veräußerung des Unternehmens an eine Beteiligungsgesellschaft oder einen Konzern führten regelmäßig zu Arbeitsplatzverlusten.

86

e) Die Bundesrechtsanwaltskammer hält den Vorlagebeschluss trotz verbleibender Bedenken gegen seine Zulässigkeit im Ergebnis für in der Sache berechtigt. Von der Berechtigung der Vorlage geht auch der Deutsche Anwaltverein aus.

87

f) Das Institut der Wirtschaftsprüfer kritisiert die Ausführungen des Bundesfinanzhofs zur Klammerwirkung der Tarifnorm und geht im Übrigen von der Verfassungsmäßigkeit der Verschonungsregelungen aus. Ohne eine besondere erbschaftsteuerliche Verschonung von Betriebsvermögen führe die Erbschaftsteuer zu einem Entzug von Liquidität aus dem Unternehmen, was sich gesamtwirtschaftlich sowohl auf Beschäftigung als auch auf Wachstum negativ auswirke. Die Erbschaftsteuer belaste die Liquiditätsreserven und die Investitionstätigkeit. Der Gesetzgeber habe mit den Behaltensregeln in § 13a Abs. 5 ErbStG eine zutreffende Typisierungsentscheidung getroffen, wenngleich aus unternehmerischer Sicht fünf bis sieben Jahre in der Regel ein langer Zeitraum seien.

88

g) Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft hält die vorgelegten Normen für verfassungswidrig. In der Praxis bewirkten die Verschonungsregelungen vielfach gerade nicht den Erhalt von Arbeitsplätzen. So werde ein Erbe eines wirtschaftlich gefährdeten Unternehmens, dessen Rettung nur mit dem Abbau personeller Ressourcen erfolgen könne, trotz des wirtschaftlich notwendigen Schrumpfungsprozesses zusätzlich mit der Zahlung der Erbschaftsteuer belastet, während der Erbe eines wirtschaftlich soliden Betriebes aufgrund gleichbleibender Lohnsumme erbschaftsteuerlich verschont würde, obwohl nach der eigentlichen Intention des Gesetzgebers dieser Unternehmenserbe keiner steuerlichen Begünstigung bedürfe.

89

4. Der Kläger des Ausgangsverfahrens zweifelt an der Zulässigkeit der Vorlage, da sich die vom Bundesfinanzhof aufgeworfenen Fragen im Ausgangsrechtsstreit nicht stellten.

90

5. Als sachkundige Auskunftspersonen haben sich in der mündlichen Verhandlung Professor Dr. Christoph Spengel vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, Professor Dr. Ralf Maiterth von der Humboldt-Universität zu Berlin und Professor Dr. Roman Seer von der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft geäußert.

B.

91

Die Vorlage des Bundesfinanzhofs ist im Wesentlichen zulässig (I.). §§ 13a und 13b ErbStG erweisen sich in formeller Hinsicht als verfassungsgemäß (II.). Die Bestimmungen verstoßen jedoch teilweise gegen den Gleichheitssatz und sind insoweit verfassungswidrig (III.).

I.

92

1. Eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist nur zulässig, wenn das vorgelegte Gesetz für das von dem vorlegenden Gericht zu entscheidende Verfahren entscheidungserheblich ist (vgl. BVerfGE 129, 186 <200>). Das ist die zur Prüfung gestellte Norm nur, wenn es für die Endentscheidung auf den Bestand der Regelung ankommt (vgl. BVerfGE 104, 74 <82>). Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht daher darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>; 133, 1 <10 f.>). Dazu muss der Vorlagebeschluss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 105, 61 <67>). Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist dabei grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 129, 186 <203>; 133, 1 <11>).

93

Für eine zulässige Vorlage muss das Fachgericht ferner deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist und aus welchen Gründen es zu dieser Auffassung gelangt. Hierzu bedarf es eingehender, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehender Darlegungen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 89, 329 <337>; 129, 186 <205>).

94

2. Gemessen an diesen Voraussetzungen erweist sich die Vorlage als zulässig im Hinblick auf §§ 13a und 13b ErbStG in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008 (BGBl I S. 3018), rückwirkend zum 1. Januar 2009 geändert durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22. Dezember 2009 (BGBl I S. 3950). Zwar kommt es für das Ausgangsverfahren nicht unmittelbar auf die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften an (a). Dennoch durfte der Bundesfinanzhof hier von ihrer Entscheidungserheblichkeit für das Ausgangsverfahren ausgehen (b).

95

a) Besteuerungsgegenstand des Ausgangsverfahrens sind nichtbetriebliche Guthaben bei Kreditinstituten und ein Steuererstattungsanspruch (vgl. oben A. II. 1.). Fragen der erbschaftsteuerlichen Begünstigung betrieblichen Vermögens im Sinne von §§ 13a und 13b ErbStG stellen sich daher in diesem Fall aus einfachrechtlicher Sicht nicht.

96

b) Der Bundesfinanzhof durfte hier gleichwohl annehmen, dass die Verfassungswidrigkeit der §§ 13a und 13b ErbStG, von der er überzeugt ist, ausnahmsweise auf die erbschaftsteuerliche Belastung des Klägers durchschlägt, weil sie die gleichheitsgerechte Erhebung der Erbschaftsteuer insgesamt in Frage stelle und diese Vorschriften deshalb auch für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich seien. Er hat dies auch ausreichend dargelegt.

97

aa) Im Steuerrecht wird eine Regelung, auf die es für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens an sich nicht ankommt, nicht allein dadurch entscheidungserheblich, dass sie Steuerpflichtigen eine Vergünstigung einräumt, die dem Kläger des Ausgangsverfahrens nicht zusteht. Der allgemeine Gleichheitssatz ist grundsätzlich kein Instrument, der es einem Steuerpflichtigen erlaubt, die einem anderen eingeräumte, seine eigene Steuerpflicht nicht betreffende Steuervergünstigung zu bekämpfen und so auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen (vgl. auch BVerfGE 110, 274 <303>). Art. 3 Abs. 1 GG verleiht dem einzelnen Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf die verfassungsrechtliche Kontrolle eines Steuergesetzes im Hinblick auf solche Regelungen, die das eigene Steuerverhältnis nicht betreffen. Auch das vorlegende Gericht ist nicht befugt, dem Bundesverfassungsgericht Normen eines Gesetzes zur verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu unterbreiten, die Dritte womöglich gleichheitswidrig begünstigen, nicht aber die Beteiligten des Ausgangsverfahrens betreffen (vgl. BVerfGE 67, 239 <243 f.>).

98

Anderes gilt jedoch dann, wenn die Dritten gewährten Steuervergünstigungen für eine gleichheitsgerechte Belastung durch die betreffende Steuer insgesamt übergreifende Bedeutung haben. Dies ist der Fall, wenn die nur einer Gruppe gewährten Vergünstigungen nach Zahl oder Umfang ein solches Ausmaß erreichen oder nach ihrer strukturellen Bedeutung für die Steuer solches Gewicht haben, dass im Falle der Verfassungswidrigkeit der Privilegierungsnorm die lastengleiche Besteuerung auch derjenigen in Frage gestellt ist, die von dieser Privilegierungsnorm an sich nicht erfasst werden.

99

Hiervon kann im Fall der §§ 13a und 13b ErbStG ausgegangen werden. Die vom Bundesfinanzhof geltend gemachten Gleichheitsverstöße im Anwendungsbereich der §§ 13a und 13b ErbStG sind so erheblich, dass sie die erbschaftsteuerrechtliche Begünstigung für betriebliches Vermögen insgesamt erfassen. Die in den §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehene Privilegierung betrieblichen Vermögens ist wiederum für die Besteuerung des ererbten oder geschenkten Vermögens insgesamt von solchem Gewicht, dass im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit die Besteuerung des unentgeltlichen Erwerbs nichtbetrieblichen Vermögens davon nicht unberührt bleiben könnte.

100

Nach den vom Bundesministerium der Finanzen in diesem Verfahren vorgelegten Auswertungen der Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik betrug der Steuerwert des in den Jahren 2009 bis 2012 unentgeltlich übergegangenen Vermögens, soweit es von den Finanzämtern erfasst wurde (s. oben A. I. 5.), insgesamt 206,4 Milliarden Euro (2009: 37,5 Milliarden Euro; 2010: 40,7 Milliarden Euro; 2011: 54 Milliarden Euro; 2012: 74,2 Milliarden Euro). Von diesem Steuerwert wurden in den Jahren 2009 bis 2012 insgesamt 70,8 Milliarden Euro (2009: 3,4 Milliarden Euro; 2010: 7,2 Milliarden Euro; 2011: 20 Milliarden Euro; 2012: 40,2 Milliarden Euro) über die Regelungen in §§ 13a und 13b ErbStG von der Erbschaft- oder Schenkungsteuer befreit.

101

Wären, wie vom Bundesfinanzhof substantiiert dargelegt, die Regelungen über die Besteuerung des entgeltlosen Erwerbs betrieblichen Vermögens wegen übermäßiger und widersprüchlicher Ausgestaltung der Verschonungsbestimmungen insgesamt verfassungswidrig, könnte die Besteuerung des Erwerbs nichtbetrieblichen Vermögens durch Erbschaft oder Schenkung daneben vor Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bestand haben. Entfielen die §§ 13a und 13b ErbStG, könnten nicht stattdessen die allgemeinen Regeln über den erbschaftsteuerlichen Zugriff auf Erbe oder Schenkung auch für den Übergang von Betrieben Anwendung finden, weil dies dem in den §§ 13a und 13b ErbStG zweifelsfrei zum Ausdruck gekommenen - und im Grundsatz verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstandenden (s. dazu unten III. 2.) - Willen des Gesetzgebers offensichtlich widerspräche. Auf der anderen Seite fehlte es für einen völligen Verzicht auf die Besteuerung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens im Falle der Verfassungswidrigkeit von §§ 13a und 13b ErbStG an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage wie auch an einem hinreichenden Rechtfertigungsgrund für eine derart umfassende Steuerbefreiung. Ohne eine tragfähige Besteuerungsregelung für Unternehmensübergänge würde die lastengerechte Erhebung der Erbschaftsteuer im Übrigen ebenfalls in Frage gestellt.

102

In solchen Fällen, in denen die substantiiert behauptete Verfassungswidrigkeit von Steuervergünstigungen eines Steuergesetzes an anderer Stelle nicht nur isolierbare Einzelpunkte eines Teilbereichs der Steuer betrifft, sondern die gerechte Erhebung der Steuer insgesamt aushebelt, ist für einen Steuerpflichtigen, der durch einen für sich genommen nicht verfassungswidrigen Tatbestand dieser Steuer betroffen ist, die Verfassungswidrigkeit der anderen Norm entscheidungserheblich, da sie auch seiner Besteuerung die Grundlage entzieht.

103

bb) Ob die Entscheidungserheblichkeit der §§ 13a und 13b ErbStG daneben auch unter Rückgriff auf § 19 Abs. 1 ErbStG als Klammernorm begründet werden kann, wie es der Bundesfinanzhof unter Berufung auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 2006 (BVerfGE 117, 1 <28 f.>) versucht hat, bedarf hier keiner Vertiefung. Jedenfalls würde eine auf das Gesamtsystem der Erbschaftsteuer ausstrahlende Verfassungswidrigkeit der Besteuerung betrieblichen Vermögens die Tarifnorm des § 19 Abs. 1 ErbStG auch insoweit erfassen, als in einem solchen Fall auch der unentgeltliche Erwerb privaten Vermögens nicht mehr gleichheitsgerecht besteuert würde (s. dazu unten C. I. 2.).

104

cc) Den vom Bundesfinanzhof als verfassungswidrig vorgelegten §§ 13a und 13b ErbStG fehlt auch nicht deshalb die Entscheidungserheblichkeit, weil im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit das Ausgangsverfahren keinen dem Kläger günstigeren Ausgang nehmen könnte, als wenn sich diese Normen als verfassungsgemäß erwiesen. Wären die §§ 13a und 13b ErbStG mit der Verfassung unvereinbar, müsste das Ausgangsverfahren zumindest gemäß § 74 FGO ausgesetzt werden, bis der Gesetzgeber eine Neuregelung anstelle der dann fehlenden gesetzlichen Grundlage für eine Besteuerung getroffen hätte. Auch dies wäre eine andere Entscheidung als im Falle der Gültigkeit des Gesetzes (vgl. BVerfGE 66, 1 <17>; 93, 121 <130 f.>). Dabei spielt es für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage keine Rolle, dass im Falle einer Unvereinbarkeitserklärung das Bundesverfassungsgericht gemäß § 35 BVerfGG die weitere Anwendung des bisherigen Rechts anordnen kann (vgl. BVerfGE 87, 153 <180>; 93, 121 <131>).

105

3. Die Vorlage ist unzulässig, sofern der Bundesfinanzhof auch die Bestimmung des § 19 Abs. 1 ErbStG über die Gestaltung der Steuersätze einer eigenständigen Verfassungsprüfung zuführen wollte. Es ist nicht eindeutig, ob der Bundesfinanzhof überhaupt eine Vorlage dieser Norm als solcher nach Art. 100 Abs. 1 GG beabsichtigt, oder sie lediglich zur Begründung der Zulässigkeit der Normenkontrolle im Hinblick auf die §§ 13a und 13b ErbStG erwähnt hat. Eine eigenständige Vorlage des § 19 Abs. 1 ErbStG wäre jedenfalls unzulässig. Denn der Bundesfinanzhof ist insofern gerade nicht von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift überzeugt, wie es Art. 100 Abs. 1 GG voraussetzt. Er hat vielmehr in seinem Vorlagebeschluss näher begründet, weshalb er die vom Kläger beanstandeten gleich hohen Steuersätze in den Steuerklassen II und III nach der für das Jahr 2009 maßgeblichen Fassung des § 19 Abs. 1 ErbStG für verfassungsgemäß hält.

II.

106

Die vorgelegten Normen sind in formeller Hinsicht mit der Verfassung vereinbar. Für sie besteht insbesondere eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

107

1. Nach Art. 105 Abs. 2 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Steuergesetze, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Das Aufkommen der Erbschaftsteuer steht zwar vollständig den Ländern zu (Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG). Für den Bereich der Erbschaftsteuer besitzt der Bund die Gesetzgebungskompetenz gleichwohl deshalb, weil die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht (Art. 72 Abs. 2 GG). Die Frage, ob die Neuregelung der §§ 13a und 13b ErbStG durch das Erbschaftsteuerreformgesetz noch von der Kompetenzprolongation in Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG gedeckt wäre, stellt sich daher nicht.

108

a) Die allgemeinen Grundsätze des Art. 72 Abs. 2 GG zur Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung im gesamtstaatlichen Interesse gelten auch für die Steuergesetzgebungskompetenz nach Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 125, 141 <154>).

109

Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, wenn und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen ist, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann (vgl. BVerfGE 125, 141 <155>). Sie ist zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik ist, wenn also unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten (vgl. BVerfGE 106, 62 <146 f.>; 112, 226 <248 f.>). Die Gesichtspunkte der Wahrung der Rechts- und der Wirtschaftseinheit können sich überschneiden, weisen aber unterschiedliche Schwerpunkte auf (vgl. BVerfGE 106, 62 <146>). Während die Wahrung der Rechtseinheit in erster Linie auf die Vermeidung einer Rechtszersplitterung zielt (vgl. BVerfGE 106, 62 <145>), geht es bei der Wahrung der Wirtschaftseinheit im Schwerpunkt darum, Schranken und Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr im Bundesgebiet zu beseitigen (vgl. BVerfGE 106, 62 <146 f.>; 125, 141 <155 f.>).

110

Das Merkmal der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zur Erreichung der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zwecke wird durch den Bezug auf das "gesamtstaatliche Interesse" in besonderer Weise geprägt. Die Regelung durch Bundesgesetz muss danach nicht unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit in dem normierten Bereich sein. Es genügt vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber andernfalls nicht unerheblich problematische Entwicklungen in Bezug auf die Rechts- und Wirtschaftseinheit erwarten darf.

111

Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hat das Bundesverfassungsgericht zu überprüfen. Insoweit besteht kein von verfassungsgerichtlicher Kontrolle freier gesetzgeberischer Beurteilungsspielraum (vgl. im Anschluss an BVerfGE 106, 62 <135>; 110, 141 <175>). Im Rahmen der danach eröffneten verfassungsgerichtlichen Kontrolle steht dem Gesetzgeber im Hinblick auf die allein zulässigen Zwecke einer bundesgesetzlichen Regelung und deren Erforderlichkeit im gesamtstaatlichen Interesse im Sinne von Art. 72 Abs. 2 GG jedoch eine Einschätzungsprärogative zu (vgl. BVerfGE 110, 141 <174 f.>; 111, 226 <255>; 125, 141 <154>; 128, 1 <34>; BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12 u.a. -, juris, Rn. 115).

112

b) Gemessen hieran verfügt der Bund über die Gesetzgebungskompetenz für die vorgelegten Regelungen des Erbschaftsteuerrechts. Dabei bedarf es keiner Unterscheidung zwischen der Rechts- und der Wirtschaftseinheit, da die Gründe für eine Bundesregelung beiden Voraussetzungen genügen.

113

aa) Die §§ 13a und 13b ErbStG gewähren in erheblichem Umfang Befreiungen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer beim unentgeltlichen Übergang betrieblichen Vermögens, da ansonsten aus Sicht des Gesetzgebers unangemessene Belastungen für die Unternehmen bei der Betriebsnachfolge drohen könnten (dazu bb). Hierzu nennt das Gesetz bestimmte vom Erwerber einzuhaltende Bedingungen (Lohnsummenklausel, Haltefrist) und versucht, förderungswürdiges von nicht förderungswürdigem betrieblichen Vermögen näher abzugrenzen.

114

bb) Der Bundesgesetzgeber durfte davon ausgehen, dass eine nicht hinnehmbare Rechtszersplitterung mit nicht unerheblichen Nachteilen und Erschwernissen für Erblasser und Erwerber betrieblichen Vermögens wie auch für die Finanzverwaltung zu befürchten wäre, bliebe es den Ländern überlassen, ob, in welchem Umfang und in welcher Ausgestaltung im Einzelnen sie Regeln für die erbschaftsteuerliche Begünstigung des Betriebsübergangs schaffen wollen (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 25 zum Entwurf eines Erbschaftsteuerreformgesetzes sowie zu späteren Novellen mit vergleichbarer Begründung BTDrucks 17/2249, S. 36 und 17/13082, S. 9 sowie BRDrucks 253/11, S. 49).

115

Gerade bei dem unentgeltlichen Übergang von betrieblichem Vermögen könnte es bei unterschiedlichen Landesregelungen je nach Wohnsitz von Erblasser oder Schenker und möglicherweise mehreren Erben oder Beschenkten und je nach Betriebssitz oder Belegenheit der Sache zu konkurrierenden Steueransprüchen mehrerer Länder kommen. Dies erforderte Vereinbarungen zwischen den einzelnen Ländern, um eine Mehrfachbelastung zu vermeiden. Der damit verbundene Koordinierungs- und Administrierungsaufwand wäre erheblich.

116

Unterschiedliche landesrechtliche Regelungen zur Befreiung von betrieblichem Vermögen hätten zur Folge, dass die Beantwortung der für die Planung der Unternehmensnachfolge wichtigen Frage, mit welcher Steuerbelastung ein Betriebsübergang verbunden ist, vom Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt des Erben oder Beschenkten beziehungsweise vom Sitz der betrieblichen Einheit abhängig wäre. Wäre Gegenstand des Erwerbs ein Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten im ganzen Bundesgebiet oder mehreren selbständigen betrieblichen Einheiten in verschiedenen Ländern oder wären auf Erwerberseite mehrere Personen mit über das Bundesgebiet verteilten Wohnorten beteiligt, würden sich schwierige Abgrenzungsfragen ergeben, welche die bereits bestehende Komplexität der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Förderung unternehmerischen Vermögens noch weiter steigern und damit die rechtliche Planungssicherheit erheblich einschränken würden.

117

2. Die Wirksamkeit der Zustimmung des Landes Hessen im Bundesrat zum Erbschaftsteuerreformgesetz steht trotz der seinerzeit dort nur geschäftsführenden Regierung außer Frage. Auch die geschäftsführende Landesregierung ist Landesregierung im Sinne von Art. 51 GG.

III.

118

Die erbschaftsteuerliche Begünstigung des Übergangs betrieblichen und land- und forstwirtschaftlichen Vermögens sowie von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist von Verfassungs wegen im Grundsatz nicht zu beanstanden, erweist sich in Teilen ihrer Ausgestaltung durch die §§ 13a und 13b ErbStG aber als gleichheitswidrig.

119

Der allgemeine Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Verschonungsregelungen auch im Erbschaftsteuerrecht im Ausgangspunkt erheblichen Spielraum, der allerdings mit Rücksicht auf betroffene Freiheitsrechte und auf das Ausmaß der Ungleichbehandlung Einschränkungen bis hin zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen kann (1.). Gemessen daran erweist sich die Verschonung nach §§ 13a und 13b ErbStG zwar im Grundsatz als verfassungsgemäß, bedarf aber der Korrektur bei der Begünstigung der Übertragung großer Unternehmensvermögen (2.). Auch die nähere Ausgestaltung der Verschonungsregelung verstößt in einzelnen Punkten - insbesondere im Hinblick auf Lohnsumme und Verwaltungsvermögen - gegen Art. 3 Abs. 1 GG (3.).

120

1. Die Verschonungsregelungen der §§ 13a und 13b ErbStG sind an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Sie verschonen den Erwerb bestimmter Vermögensarten von der Erbschaft- und Schenkungsteuer und führen so in verschiedenerlei Hinsicht zu Ungleichbehandlungen. Hingegen begründen die Bestimmungen von vornherein keine übermäßige, die Erbrechtsgarantie (dazu BVerfGE 93, 165 <173 f.>) in Frage stellende steuerliche Belastung.

121

a) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 126, 400 <416>). Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 116, 164 <180>; 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 126, 400 <416>). Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 93, 319 <348 f.>; 107, 27 <46>; 126, 400 <416>; 129, 49 <69>; 132, 179 <188 Rn. 30>).

122

Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 122, 1 <23>; 126, 400 <416>; 129, 49 <68>). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 111, 176 <184>; 129, 49 <69>). Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 129, 49 <69>) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 124, 199 <220>; 129, 49 <69>; 130, 240 <254>; 132, 179 <188 f. Rn. 31>).

123

b) Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit. Die Steuerpflichtigen müssen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>). Der Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes (vgl. BVerfGE 123, 1 <19>; stRspr). Abweichungen von der mit der Wahl des Steuergegenstandes einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich indessen ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands, vgl. BVerfGE 117, 1 <30 f.>; 120, 1 <29>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>). Demgemäß bedürfen sie eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. BVerfGE 117, 1 <31>; 120, 1 <29>; 126, 400 <417>; 132, 179 <189 Rn. 32>), der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag. Dabei steigen die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund mit Umfang und Ausmaß der Abweichung (vgl. dazu BVerfGE 117, 1 <32>).

124

c) Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, mit Hilfe des Steuerrechts außerfiskalische Förder- und Lenkungsziele zu verfolgen (vgl. BVerfGE 93, 121 <147>; 99, 280 <296>; 105, 73 <112>; 110, 274 <292>; stRspr). Führt ein Steuergesetz zu einer steuerlichen Verschonung, die einer gleichmäßigen Belastung der jeweiligen Steuergegenstände innerhalb einer Steuerart widerspricht, so kann eine solche Steuerentlastung vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber das Verhalten der Steuerpflichtigen aus Gründen des Gemeinwohls fördern oder lenken will (vgl. BVerfGE 93, 121 <147>).

125

In der Entscheidung darüber, welche Sachverhalte, Personen oder Unternehmen gefördert werden sollen, ist der Gesetzgeber weitgehend frei (vgl. BVerfGE 17, 210 <216>; 93, 319 <350>; 110, 274 <293>). Insbesondere verfügt er über einen großen Spielraum bei der Einschätzung, welche Ziele er für förderungswürdig hält. Er darf Verschonungen von der Steuer vorsehen, sofern er ansonsten unerwünschte, dem Gemeinwohl unzuträgliche Effekte einer uneingeschränkten Steuererhebung befürchtet. Allerdings bleibt er auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Das bedeutet zunächst aber nur, dass er seine Leistungen nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich verteilen darf. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen ihm in weitem Umfang zu Gebote, solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Umstände stützt und insbesondere der Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abgegrenzt ist (vgl. BVerfGE 17, 210 <216> unter Bezugnahme auf BVerfGE 12, 354 <367 f.>; 110, 274 <293>; 117, 1 <32>).

126

Der große Spielraum, über den der Gesetzgeber bei der Entscheidung darüber verfügt, ob und welche Sachverhalte, Personen oder Unternehmen er durch eine Verschonung von einer bestimmten Steuer fördern und welche Gemeinwohlziele er damit verfolgen will, schließt allerdings nicht aus, dass die nähere Ausgestaltung solcher Verschonungsregelungen einer strengeren verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Neben den bereits genannten Merkmalen der Verfügbarkeit, der freiheitsrechtlichen Relevanz oder der Nähe des Differenzierungsgrundes zu Art. 3 Abs. 3 GG kann die Freiheit des Gesetzgebers im Steuerrecht durch das Ausmaß der mit der Steuerverschonung bewirkten Ungleichbehandlung und durch deren Auswirkung auf die gleichheitsgerechte Erhebung dieser Steuer insgesamt eingeschränkt sein. Je nach Intensität der Ungleichbehandlung kann dies zu einer strengeren Kontrolle der Förderziele durch das Bundesverfassungsgericht führen.

127

2. Die Verschonungsregelungen in §§ 13a und 13b ErbStG führen zu einer Besserstellung der Erwerber unternehmerischen Vermögens gegenüber den Erwerbern sonstigen Vermögens, die im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, im Bereich des Übergangs großer Unternehmensvermögen aber der Korrektur bedarf. Die durch die Verschonungsregelungen bewirkte Ungleichbehandlung zwischen Erwerbern begünstigten und sonstigen Vermögens ist enorm (a). Der Gesetzgeber unterliegt insoweit einer über eine bloße Willkürprüfung hinausgehenden strengeren Kontrolle am Maßstab der Verhältnismäßigkeit (b). Durch die steuerliche Verschonung nach §§ 13a und 13b ErbStG sollen namentlich Unternehmen, die durch einen besonderen personalen Bezug des Schenkers oder Erblassers oder auch des Erwerbers zum Unternehmen geprägt sind, vor Liquiditätsproblemen durch die erbschaft- oder schenkungsteuerliche Belastung des Unternehmensübergangs bewahrt und so deren Bestand und der Erhalt der Arbeitsplätze bei der Unternehmensnachfolge gesichert werden (c). Die Verschonungsregelung der §§ 13a und 13b ErbStG ist zur Erreichung dieser Ziele geeignet (d) und erforderlich (e). Sie erweist sich im Grundsatz auch als verhältnismäßig im engeren Sinne; nicht jedoch, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen (f).

128

a) Die Verschonungsregelung führt zu Ungleichbehandlungen der Erwerber betrieblichen und nichtbetrieblichen Vermögens, die ein enormes Ausmaß erreichen können. Nach §§ 13a und 13b ErbStG bleibt der Wert von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und von bestimmten Anteilen an Kapitalgesellschaften in Höhe von 85 % oder 100 % bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Erbschaft- und Schenkungsteuer außer Ansatz, wenn die im Gesetz hierfür vorgesehenen weiteren Voraussetzungen hinsichtlich des Umfangs des Verwaltungsvermögens und der Beachtung von Lohnsummen- und Behaltensregelung erfüllt werden. Hinzu kommen - sofern nicht ohnehin die vollständige Befreiung von 100 % greift - Abschläge gemäß § 13a Abs. 2 ErbStG sowie die generelle Anwendung der günstigeren Steuerklasse gemäß § 19a ErbStG. Der Erwerb sonstiger Vermögensgegenstände wird nicht in vergleichbarer Weise von der Erbschaft- und Schenkungsteuer freigestellt. Ausgehend von einer einheitlichen Orientierung am gemeinen Wert bei der Bewertung des geerbten oder durch Schenkung erlangten Vermögenszuwachses und gleichmäßiger Anwendung der Steuersätze gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG hat die steuerliche Verschonung nach §§ 13a und 13b ErbStG zur Folge, dass die Erwerber begünstigten Vermögens und die Erwerber nicht begünstigten Vermögens in ganz erheblichem Maße ungleich besteuert werden. Das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, das an die Vermögensmehrung beim Empfänger anknüpft (vgl. BVerfGE 93, 165 <167>; 117, 1 <33>; 126, 400 <421>), besteuert insoweit die bei den Erwerbern eingetretene Bereicherung unterschiedlich.

129

Zwar kennt das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz persönliche Steuerbefreiungen, wie etwa den Freibetrag für Ehegatten und Lebenspartner in Höhe von 500.000 Euro und für Kinder in Höhe von 400.000 Euro (vgl. § 16 Abs. 1 ErbStG), die dem Erwerber unabhängig von der Art des übergegangenen Vermögens gewährt werden, und daneben sachliche Befreiungstatbestände, die wegen des besonderen Gegenstands (etwa Familienwohnheime gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4a - 4c ErbStG) oder Zwecks der Zuwendung (etwa Zuwendungen an gemeinnützige Stiftungen gem. § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchstabe b ErbStG) gewährt werden. Jenseits dieser Befreiungen und Freibeträge, beim unentgeltlichen Erwerb größerer Vermögen also, kann die Ungleichbehandlung zwischen unternehmerischem Vermögen, das nach §§ 13a und 13b ErbStG unabhängig von seinem Wert zu 85 % oder 100 % steuerfrei gestellt wird, und sonstigem Vermögen, das in vollem Umfang einem Steuersatz von bis zu 50 % unterliegen kann, ein enormes Ausmaß erreichen.

130

b) Die Verfassungsmäßigkeit der Ungleichbehandlung der verschiedenen Vermögensarten durch §§ 13a und 13b ErbStG setzt einen hinreichend tragfähigen Differenzierungsgrund voraus, der einer über eine bloße Willkürkontrolle hinausgehenden, strengeren Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält.

131

Bereits das erhebliche Ausmaß, das die erbschaft- und schenkungsteuerliche Ungleichbehandlung zwischen den einzelnen Fällen der begünstigten und nicht begünstigten Vermögensarten erreichen kann, und die nicht nur atypische Einzelfälle betrifft, sondern in der Gesetzessystematik als Regelfall angelegt ist, erfordert eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Differenzierung, die jedenfalls deutlich über eine bloße Willkürprüfung hinausreicht. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die Unterscheidung zwischen begünstigtem unternehmerischen und nicht begünstigtem sonstigen Vermögen die Erhebung der Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht nur in einem Randbereich erfasst, sondern zu einer strukturellen Zweiteilung dieser Steuer führt. Nach den vom Bundesministerium der Finanzen in diesem Verfahren vorgelegten Auswertungen der amtlichen Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik wurden von dem Steuerwert des in den Jahren 2009 bis 2012 insgesamt unentgeltlich übertragenen Vermögens mehr als ein Drittel über §§ 13a und 13b ErbStG von der Erbschaft- und Schenkungsteuer befreit (vgl. im Einzelnen oben I. 2. b aa).

132

Soweit sich die Strenge der Prüfung vom Gesetzgeber vorgenommener Differenzierungen an der Verfügbarkeit der Unterscheidungskriterien, dem Einfluss auf die Wahrnehmung von Freiheitsrechten und der Nähe zu den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG orientiert (s. oben 1. a), kommt für den vorliegenden Sachverhalt nur die Verfügbarkeit der Unterscheidung nach den Vermögensarten in Betracht. Auch dieser Gesichtspunkt führt zu einer eher strengen Prüfung des gesetzgeberischen Differenzierungsspielraums. Dabei kann die Frage, ob ein Differenzierungskriterium für den von der Ungleichbehandlung Betroffenen verfügbar ist, nur aus der Sicht des jeweils durch diese Ungleichbehandlung Benachteiligten, nicht hingegen aus der des Bevorzugten beantwortet werden. Für die hier zu prüfende Ungleichbehandlung zwischen Erwerbern betrieblichen und Erwerbern nichtbetrieblichen Vermögens kommt es danach auf die Einflussmöglichkeiten der Erwerber nichtbetrieblichen Vermögens an, die nicht in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen. Diese haben vielfach nur geringen Einfluss darauf, ob das ihnen geschenkte oder von ihnen ererbte Vermögen den Kategorien förderungswürdigen betrieblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Vermögens oder Anteilen an Kapitalgesellschaften von über 25 % angehört (vgl. § 13b Abs. 1 ErbStG) oder nicht verschontem Vermögen zuzuordnen ist.

133

c) Die durch §§ 13a und 13b ErbStG begründeten Ungleichbehandlungen dienen legitimen Zielen. Die steuerliche Verschonung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens soll Unternehmen vor Liquiditätsproblemen bewahren, die durch erbschaft- oder schenkungsteuerliche Belastung des Unternehmensübergangs entstehen können. Die Verschonungsregelung soll vor allem Unternehmen schützen, die durch einen besonderen personalen Bezug des Erblassers oder auch des Erben zum Unternehmen geprägt sind, wie es namentlich für Familienunternehmen typisch ist. Steuerlich begünstigt werden soll das produktive Vermögen dieser Unternehmen mit dem Ziel, bei der Unternehmensnachfolge den Bestand des Unternehmens und der mit ihm verbundenen Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien (aa) und der Systematik der Verschonungsregelung (bb). An der Legitimität dieser Zielsetzung bestehen aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Zweifel (cc).

134

aa) Die Begründung des Regierungsentwurfs eines Erbschaftsteuerreformgesetzes gibt als allgemeines Ziel der Verschonungsregelung an, die Unternehmensnachfolge bei Erbschaften oder Schenkungen zu erleichtern (BTDrucks 16/7918, S. 1), weil unternehmerisches Vermögen eine Basis für Wertschöpfung und Beschäftigung und für den Erhalt von Arbeitsplätzen bilde (BTDrucks 16/7918, S. 33). Dabei hebt die Begründung des Entwurfs die besondere Bedeutung der klein- und mittelständisch geprägten Unternehmenslandschaft für die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb hervor (s. auch oben A. I. 3. d aa). Regional vernetzte Familienbetriebe seien notwendige Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und damit für die Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeits- und Ausbildungsplätze in Deutschland (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33). Deshalb will die Neuregelung diejenigen Unternehmensübergänge privilegieren, bei denen sichergestellt ist, dass die Unternehmensnachfolge nachhaltig ist und die Arbeitsplätze erhalten werden (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 23). Mit dieser Zielsetzung liegt die Neuregelung durch das Erbschaftsteuerreformgesetz auf der Linie der bereits seit 1992 in unterschiedlichen Ausprägungen bestehenden Vergünstigungen für betriebliches Vermögen bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer zur Liquiditätssicherung mittelständischer Unternehmen (vgl. BTDrucks 12/1108, S. 37; 12/4487, S. 25 und 47; s. auch BVerfGE 93, 165 <175> und BRDrucks 778/06, S. 13 und zur Entwicklung oben A. I. 3.).

135

bb) Die Ausgestaltung der Verschonungsregelung lässt die Intention der Liquiditätssicherung klar erkennen. Das Ziel, unternehmerisches und land- und forstwirtschaftliches Vermögen beim unentgeltlichen Übergang durch Erbschaft oder Schenkung von steuerlichen Belastungen weitgehend frei zu halten und so die Liquidität der Betriebe zu schonen, kommt unmissverständlich in der hohen Freistellungsquote von 85 % (§ 13b Abs. 4 ErbStG) oder gar 100 % (§ 13a Abs. 8 Nr. 4 ErbStG) des ansonsten der Besteuerung zugrunde zu legenden Werts des betrieblichen Vermögens zum Ausdruck. Mit der Behaltensfrist von fünf oder sieben Jahren (§ 13a Abs. 5 und 8 Nr. 2 ErbStG) soll der Bestand der übergegangenen Unternehmen über einen längeren Zeitraum in der Hand des Erwerbers gesichert werden; die Lohnsummenklausel (§ 13a Abs. 1, 4, 8 Nr. 1 ErbStG) soll dem Erhalt der Arbeitsplätze dienen.

136

Eine Begrenzung der steuerlichen Förderung auf kleine und mittlere Familienunternehmen ergibt sich hingegen nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz. Die Freistellung förderungswürdigen betrieblichen Vermögens ist nach den §§ 13a und 13b ErbStG in der Höhe nicht begrenzt und auch nicht auf bestimmte Betriebstypen oder Gesellschaftsformen beschränkt. Die in der Begründung des Regierungsentwurfs zum Erbschaftsteuerreformgesetz erklärte Absicht, vornehmlich kleine und mittelständische Unternehmen zu fördern, findet jedoch zum einen Anklang in der Regelung über den Abzugsbetrag nach § 13a Abs. 2 ErbStG. Der Abzugsbetrag ist Teil der Verschonungsregelung, da durch ihn noch der nach Anwendung des Verschonungsabschlags in Höhe von 85 % verbleibende Teil des begünstigten Vermögens, das an sich zu versteuern wäre, steuerlich entlastet wird. Er stellt einen Festbetrag von 150.000 Euro steuerfrei, der aber mit zunehmender Höhe eines über 150.000 Euro hinausgehenden, der Besteuerung unterliegenden Erwerbs abgeschmolzen wird (§ 13a Abs. 2 Satz 2 ErbStG); insofern enthält er ein Element der gezielten Förderung kleinerer Unternehmen.

137

Die Konzentration der Verschonung auf Betriebe, in denen typischerweise vom Erblasser oder Schenker unternehmerische Verantwortung wahrgenommen wurde, zeigt sich zum anderen in § 13b Abs. 1 ErbStG. Während der Übergang betrieblichen Vermögens von Einzelunternehmen und Personengesellschaften nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG als uneingeschränkt förderungswürdig angesehen wird, gilt dies für Anteile an Kapitalgesellschaften nur, wenn der Erblasser oder der Schenker am Nennkapital dieser Gesellschaft zu mehr als 25 % unmittelbar beteiligt war (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG). In dieser Mindestbeteiligung von 25 % sieht der Gesetzgeber ein Indiz dafür, dass der Anteilseigner unternehmerisch in die Gesellschaft eingebunden ist und nicht nur als Kapitalanleger auftritt (BTDrucks 16/7918, S. 35; ebenso bereits die Begründung für eine entsprechende Mindestbeteiligungsklausel im Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1996: BTDrucks 13/901, S. 158, s. oben A. I. 3. c).

138

cc) Der Gesetzgeber ist bei der Auswahl der Ziele weitgehend frei, die er durch Verschonung von einer steuerlichen Belastung erreichen oder zumindest fördern will. Er stößt an Grenzen, wenn er vom Grundgesetz missbilligte Ziele (vgl. die entsprechende Einschränkung bei Enteignungen tragenden Gemeinwohlzielen in BVerfGE 134, 242 <292 f. Rn. 172>) verfolgt oder sich mit seinen Förderzwecken in unauflösbaren Widerspruch zu anderweitigen gesetzlichen Festlegungen setzt. Die Förderung und der Erhalt einer für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands vom Gesetzgeber als besonders wertvoll eingeschätzten Unternehmensstruktur, die er in kleinen und mittelständischen, durch personale Führungsverantwortung geprägten Unternehmen - insbesondere in Familienunternehmen - sieht, und der Erhalt von Arbeitsplätzen durch den Schutz vor allem solcher Unternehmen vor steuerlich bedingten Liquiditätsproblemen stellen danach legitime Ziele von erheblichem Gewicht dar (vgl. auch BVerfGE 93, 165 <175 f.>).

139

d) Die §§ 13a und 13b ErbStG sind geeignet, die mit ihnen verfolgten Ziele zu erreichen. Das verfassungsrechtliche Geeignetheitsgebot verlangt keine vollständige Zielerreichung durch die in Frage stehende Regelung oder Maßnahme - hier die Verschonungsregelung -, die zu der beanstandeten Ungleichbehandlung führt, sondern lediglich eine Eignung zur Förderung des Ziels (vgl. BVerfGE 115, 276 <308>; 130, 151 <188>; vgl. auch die Nachweise bei BVerfGE 106, 62 <149>); die bloße Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (vgl. BVerfGE 67, 157 <175>; 121, 317 <354>). Dass die weitgehende oder vollständige Freistellung der begünstigten Unternehmensübergänge von der Erbschaft- und Schenkungsteuer grundsätzlich (zu Einzelheiten der Ausgestaltung, insbesondere im Hinblick auf Lohnsumme und Verwaltungsvermögen, s. unter 3.) geeignet ist, ansonsten drohende Liquiditätsprobleme für diese Unternehmen zu vermeiden, liegt auf der Hand und bedarf keiner näheren Begründung.

140

e) Die Verschonungsregelung ist im Grundsatz auch erforderlich. Der Gesetzgeber durfte von andernfalls drohenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Unternehmen ausgehen. Sieht man von den Einzelheiten der Ausgestaltung der Verschonungsregelung ab, ist kein Weg erkennbar, auf dem die Schonung der Liquidität ererbter oder unentgeltlich übertragener Unternehmen oder Unternehmensteile und damit der Erhalt der Arbeitsplätze gleich wirksam, zugleich aber unter geringerer Benachteiligung der Erwerber nicht begünstigten Vermögens erreicht werden könnte.

141

Die Erforderlichkeit der vom Gesetzgeber getroffenen Maßnahme unterliegt auch im Rahmen der Gleichheitsprüfung einem großzügigen verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstab (aa). Danach ist die Annahme des Gesetzgebers, die Verschonung der unentgeltlichen Unternehmensübergänge von der Erbschaft- und Schenkungsteuer sei regelmäßig geboten, um die Unternehmen vor Liquiditätsproblemen zu bewahren (bb), und dürfe auch ohne individuelle Bedürfnisprüfung erfolgen (cc), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Verweisung auf die Möglichkeit einer Stundung (dd) erweist sich nicht als gleich wirksames milderes Mittel.

142

aa) Die weitgehende oder vollständige Freistellung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens von der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist dann erforderlich, wenn kein anderes Mittel zur Verfügung steht, mit dem der Gesetzgeber unter Bewirkung geringerer Ungleichheiten das angestrebte Regelungsziel gleich wirksam erreichen oder fördern kann (entsprechend für Eingriffskonstellationen vgl. BVerfGE 80, 1 <30>; 117, 163 <189>; 121, 317 <354>). Der Gesetzgeber verfügt hier über einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum (vgl. BVerfGE 117, 163 <189>; 120, 224 <240>; 121, 317 <354>).

143

bb) Der Gesetzgeber durfte eine Gefährdung der Liquidität von Unternehmen durch eine ohne Verschonung drohende Belastung mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer annehmen und eine Verschonungsregelung daher grundsätzlich für erforderlich halten.

144

(1) Es liegt im Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, bei einer nicht eindeutig geklärten und auch nicht ohne Weiteres aufklärbaren Sachlage seinen Entscheidungen über zu ergreifende Maßnahmen eine Gefährdungsprognose zugrunde zu legen. Dabei darf er sich allerdings nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützen (vgl. BVerfGE 110, 274 <293>; 117, 1 <32>). Im Hinblick auf diese gesetzgeberische Einschätzungsprärogative ist es ausreichend, dass der Gesetzgeber eine ernsthafte Gefahr von Liquiditätsproblemen bei der Besteuerung des unentgeltlichen Übergangs von Unternehmen vertretbar und plausibel diagnostiziert hat. Es bedarf insbesondere aus verfassungsrechtlicher Sicht keines empirischen Nachweises, dass von der Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht nur in Ausnahmefällen Schwierigkeiten für die Fortführung von Unternehmen bis hin zur Bedrohung ihrer Existenz und des Verlusts von Arbeitsplätzen ausgeht. Es erscheint ohnehin fraglich, wie exakt die Wirkungen eines Liquiditätsentzugs durch die Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer in einem Unternehmen "gemessen" werden können. Die Insolvenz eines Unternehmens wird immer mehrere Ursachen haben, von denen eine die Belastung durch die Erbschaftsteuer sein kann. Noch weniger lassen sich die Folgen einer steuerlichen Belastung für den künftigen Fortbestand eines Unternehmens vorhersehen.

145

(2) Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nicht, dass dem Gesetzgeber bei der Einführung der §§ 13a und 13b ErbStG durch das Erbschaftsteuerreformgesetz gefestigte empirische Erkenntnisse darüber vorlagen, wonach die Besteuerung des unentgeltlichen Erwerbs von Betriebsvermögen den Erben oder Beschenkten regelmäßig dazu zwingen würde, zur Finanzierung der Steuerlast dem Betrieb Kapital zu entziehen, was wiederum zumindest den Verlust von Investitionskraft zur Folge haben könnte und die Gefahr des Abbaus von Arbeitsplätzen oder gar die Notwendigkeit des Betriebsverkaufs. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen weist in seinem Gutachten zur Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer 01/2012 vielmehr darauf hin, es gebe praktisch keine konkreten empirischen Belege dafür, dass ein Betrieb aufgrund der Erbschaftsteuer habe aufgegeben oder veräußert werden müssen oder zahlungsunfähig geworden sei (vgl. S. 30 des Gutachtens unter Hinweis auf die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage einiger Abgeordneter und der Bundestagsfraktion Die Linke vom 28. April 2006, BTDrucks 16/1350, S. 5). Dies allein berechtigt allerdings nicht zu dem die Gefährdungsanalyse des Gesetzgebers widerlegenden Gegenschluss, dass keine Notwendigkeit für die beanstandete Verschonungsregelung bestehe, weil eine dem geltenden Recht entsprechende Steuerbelastung des unentgeltlichen Unternehmensübergangs ohne solche Steuerbefreiungen die Unternehmen nicht ernsthaft beschwerte. Denn mit Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes zum 1. Januar 2009 wurde mit den generell erhöhten, realitätsnäheren Wertansätzen und der damit drohenden höheren Steuerbelastung auch für Unternehmensübergänge zugleich das neue Verschonungskonzept nach §§ 13a und 13b ErbStG eingeführt. Soweit - auch aus den vom Bundesministerium der Finanzen in diesem Verfahren vorgelegten Daten - erkennbar, wurden diese Befreiungsvorschriften von Beginn an durch die betroffenen Unternehmen umfassend genutzt. Eine hohe Steuerbelastung ohne die Möglichkeit der Entlastung durch Verschonungsregelungen bestand für die unentgeltliche Übertragung von Unternehmen und Unternehmensteilen mithin zu keinem Zeitpunkt. Aus dem Fehlen von Referenzfällen für Unternehmensgefährdungen kann daher nicht auf das Fehlen einer solchen Gefahr überhaupt geschlossen werden.

146

Entsprechendes gilt für die Zeit vor 2009. Auch das vorher geltende Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht sah in verschiedener Form und Intensität seit Anfang der 1990er Jahre Entlastungen für die Besteuerung der Übertragung betrieblichen Vermögens vor (s. oben A. I. 3.). Fehlende konkrete Erkenntnisse aus dieser Zeit über nennenswerte Belastungen von Unternehmen durch die Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer können die Gefährdungseinschätzung des Gesetzgebers daher ebenfalls nicht widerlegen.

147

(3) Die Annahme des Gesetzgebers, dass die durch das Erbschaftsteuerreformgesetz zu erwartende gewachsene Steuerlast für unentgeltliche Unternehmensübertragungen ohne Verschonungsregelung eine Höhe erreichen werde, die nicht nur im Ausnahmefall, sondern häufig vom Erben oder Beschenkten nur unter Rückgriff auf das Betriebsvermögen getragen werden kann, ist nachvollziehbar und nicht fern liegend. Ohne die Verschonungsregelungen und ohne die damit zusammenhängende Tarifbegrenzung des § 19a ErbStG wäre der unentgeltliche Erwerb von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und auch von Anteilen an Kapitalgesellschaften in vollem Umfang je nach Wert bei nächsten Verwandten mit einem Steuersatz von bis zu 30 % und ansonsten schon bei mittleren Vermögensgrößen mit bei 25 % beginnenden und bei großen Vermögen in der Spitze bis zu 50 % reichenden Steuersätzen belastet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die früheren Vergünstigungen durch eine niedrige Bewertung der Unternehmen entfallen sind und heute in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 2006 (BVerfGE 117, 1) ein realitätsnäherer Ansatz zugrunde gelegt wird. Nach der im vorliegenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geäußerten Einschätzung des Bundesministeriums der Finanzen hat die höhere Bewertung des Betriebsvermögens in etwa zu einer Verdoppelung des Steuerwerts geführt. Die Annahme, dass ein Erbe oder Beschenkter auch bei geringeren Steuersätzen entsprechende Steuerforderungen nicht aus dem eigenen Vermögen wird begleichen können, sondern hierzu auf das erworbene Betriebsvermögen zugreifen muss und das Unternehmen bei diesen Größenordnungen unter Umständen auch wird verkaufen müssen, ist plausibel.

148

Diese Gefährdungsprognose des Gesetzgebers deckt sich mit der Einschätzung der Europäischen Kommission zur Belastung von familieninternen Unternehmensübertragungen mit Erbschaft- und Schenkungsteuern. Die Kommission sieht als eines der größten Hindernisse für solche Betriebsübergaben die damit verbundene Steuerbelastung. Nach ihrer Auffassung kann die Entrichtung von Erbschaft- oder Schenkungsteuern das finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens gefährden und dadurch seinen Fortbestand sowie die Existenz der damit verbundenen Arbeitsplätze in Frage stellen (vgl. Empfehlung der Kommission vom 7. Dezember 1994 zur Übertragung von kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. L 385 vom 31. Dezember 1994, S. 15; siehe auch Der "Small Business Act" für Europa, KOM [2008] 394 endgültig, S. 6 f.).

149

(4) Die Plausibilität der Gefährdungsprognose des Gesetzgebers des Erbschaftsteuerreformgesetzes wird weder durch das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen zur Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer 01/2012 noch durch das Jahresgutachten 2008/09 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung widerlegt. Der Wissenschaftliche Beirat bestätigt vielmehr, dass ein steuerbedingter Liquiditätsverlust zu einer Verringerung von Investitionen führen könne, und dass ungünstige Liquiditätseffekte der Erbschaftsteuer nicht auszuschließen seien, was sich dann ungünstig auf die Beschäftigungssituation auswirken könne (vgl. S. 28 ff. des Gutachtens). Auch der Sachverständigenrat hält es für unstreitig, dass die Erbschaftsteuer einen erheblichen Mittelentzug beim Erben bewirken könne; es sei nicht unwahrscheinlich, dass dieser Geldbedarf nicht ohne weiteres auf dem Kapitalmarkt würde gedeckt werden können (vgl. S. 221 f. des Gutachtens). Dass beide wissenschaftlichen Stellungnahmen im Ergebnis gleichwohl die Verschonungslösung ablehnen, liegt zum Teil an konzeptionell anderen Ansätzen und für vorzugswürdig gehaltenen Alternativlösungen. So befürwortet der Sachverständigenrat eine großzügige Stundungsregel für besonders liquiditätsbeschränkte Vermögen bei gleichzeitiger Senkung der Steuersätze in der Steuerklasse I, die dann einheitlich auf alle Vermögensarten Anwendung finden sollen (vgl. S. 227 des Jahresgutachtens 2008/09; siehe auch S. 192 des Jahresgutachtens 2009/10 sowie S. 211 des Jahresgutachtens 2012/2013). Der Wissenschaftliche Beirat lehnt die Verschonungsregelung ab, weil er erhebliche ökonomische Fehlsteuerungen durch dieses Instrument befürchtet, und schlägt stattdessen vor, die Steuersätze zu senken, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und die Stundungsregelung zu verbessern (S. 33 ff. des Gutachtens). Auch die von Professor Dr. Maiterth in der mündlichen Verhandlung als sachkundiger Dritter abgegebene Stellungnahme bestätigt das Fehlen empirischer Belege zur Frage von Existenzgefährdungen durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer und räumt zugleich ein, dass sich das Arbeitsplatzargument nicht gänzlich entkräften lasse.

150

cc) Es stellt die Erforderlichkeit der Ungleichbehandlung nicht grundsätzlich in Frage, dass die Verschonung ohne Bedürfnisprüfung im Sinne der Prüfung eines konkreten Verschonungsbedarfs im Einzelfall gewährt wird.

151

Nach §§ 13a und 13b ErbStG bleibt der Wert des gemäß § 13b Abs. 1 ErbStG förderungswürdigen Vermögens zu 85 % oder zu 100 % außer Ansatz, wenn die Bedingungen des Verwaltungsvermögenstests (§ 13b Abs. 2 ErbStG), der Lohnsummenklausel (§ 13a Abs. 1, 4 und 8 Nr. 1 ErbStG) und der Behaltensfrist (§ 13a Abs. 5 und 8 Nr. 2 ErbStG) erfüllt werden. Eine Bedürfnisprüfung sieht das Gesetz nicht vor. Der die Verschonung in Anspruch nehmende Erbe oder Beschenkte muss nicht dartun oder belegen, dass der erworbene Betrieb ohne eine solche Entlastung des Betriebsübergangs von der Erbschaft- und Schenkungsteuer in Schwierigkeiten käme. Das Gesetz macht auch nicht zur Voraussetzung, dass der Erwerber nicht in der Lage sein darf, aus sonstigem Vermögen oder aus mit der Erbschaft oder Schenkung zugleich übergegangenen anderen Vermögensteilen die Steuerschuld zu begleichen. Dies hat die zuständige Finanzbehörde daher nach geltender Rechtslage auch nicht zu prüfen.

152

Durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass in nicht nur seltenen Fällen eine Belastung der Unternehmensnachfolge mit Erbschaft- und Schenkungsteuer die Betriebe in Liquiditätsschwierigkeiten bringen kann und letztlich Arbeitsplätze gefährdet (siehe vorstehend (1)), liegt es auch im Rahmen seines Gestaltungsspielraums, die Verschonung ohne individuelle Bedürfnisprüfung zu gewähren. Eine solche Prüfung wäre kein gleich wirksames milderes Mittel, um Betriebs- und Arbeitsplatzerhalt zu sichern. Zwar würde sich das Maß der Ungleichbehandlung gegenüber den Erwerbern nicht privilegierter Vermögensarten verringern, wenn einzelne Verschonungen nicht gewährt würden, etwa weil die Einzelfallprüfung ergeben hat, dass ein übertragenes Unternehmen über hinreichende Liquiditätsreserven verfügt, auf die der Erwerber zur Befriedigung der gegen ihn gerichteten Steuerforderung zurückgreifen könnte. Eine solche Lösung brächte jedoch zum einen erhebliche Erschwernisse bei der Erhebung der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit sich, wenn nun grundsätzlich überprüft werden müsste, ob die Leistungsfähigkeit eines übertragenen Betriebs auch die Begleichung der aus der Übertragung erwachsenen Steuerschuld seines Erwerbers ermöglicht, verbunden mit all den damit typischerweise einhergehenden Bewertungsfragen. Schon deshalb stellt sich die Verschonung mit Einzelfallprüfung nicht als milderes Mittel dar.

153

Eine Ausdehnung der Bedürfnisprüfung auf das bereits vorhandene Vermögen des Erben oder Beschenkten stünde außerdem in erheblichem Widerspruch zur Systematik des Erbschaftsteuerrechts, das für die Bemessung der Steuer allein auf die Bereicherung durch das durch den Erbfall oder die Schenkung Erworbene abstellt und auch sonst Befreiungen ohne Rücksicht auf die Bedürftigkeit des Erwerbers im Übrigen gewährt.

154

dd) Die in § 28 ErbStG vorgesehene Möglichkeit einer Stundung der Erbschaftsteuer beim Erwerb von Betriebsvermögen oder land- und forstwirtschaftlichem Vermögen steht der Erforderlichkeit der Verschonungsregelung zur Erreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Förderzwecks nicht entgegen. Eine Stundung bewirkt keine ebenso effektive Entlastung wie eine Befreiung. Zwar würde eine Beschränkung der Begünstigung des Erwerbs betrieblichen Vermögens auf die Stundung nach § 28 ErbStG die Ungleichbehandlung gegenüber den Erwerbern nicht begünstigten Vermögens praktisch beseitigen. Sie erweist sich jedoch als nicht gleich wirksam wie die Verschonungsregelung, um den Erhalt der übergegangenen Betriebe und der Arbeitsplätze zu sichern. Abgesehen davon, dass sie den Erwerber über bis zu zehn Jahre mit Rückzahlungsverpflichtungen belastet, verlangt sie einen individuellen Bedürftigkeitsnachweis. Im Verfahren vor dem Senat ist von Seiten mehrerer Wirtschafts- und Unternehmensverbände plausibel vorgetragen worden, dass gerade kleine und mittelständische Unternehmen die Offenlegung von Liquiditätsproblemen vor den Banken möglichst vermeiden wollen, selbst wenn sie allein aus einer Erbschaftsteuerbelastung resultieren, weil sie sonst Schwierigkeiten in Bezug auf ihre Kreditwürdigkeit befürchten. Außerdem sieht § 28 Abs. 1 ErbStG keine Stundung für den Fall des Erwerbs von Anteilen an Kapitalgesellschaften vor. Sofern der Bundesfinanzhof im Rahmen seiner Kritik an der fehlenden Bedürfnisprüfung offenbar eine gegenüber dem § 28 Abs. 1 ErbStG wesentlich großzügigere Stundungsregelung vor Augen hat, ändert dies nichts an der Erforderlichkeit der §§ 13a und 13b ErbStG im Rahmen des geltenden Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts.

155

f) Die durch §§ 13a und 13b ErbStG bewirkten Ungleichbehandlungen sind nicht durchgehend verhältnismäßig im engeren Sinne. Die durch die Verschonung betrieblichen und land- und forstwirtschaftlichen Vermögens und von Anteilen an Kapitalgesellschaften bewirkte Ungleichbehandlung gegenüber nichtbetrieblichem Vermögen erweist sich im Grundsatz als verhältnismäßig im engeren Sinne (aa - cc), nicht jedoch, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen (dd).

156

aa) Die ungleiche Besteuerung des unentgeltlichen Erwerbs der verschiedenen Vermögensarten ist verhältnismäßig, wenn das Maß der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Privilegierung betrieblichen Vermögens im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG und dementsprechend der Schlechterstellung nicht betrieblichen Vermögens in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung des mit der Differenzierung verfolgten Ziels und zu dem Ausmaß und Grad der Zielerreichung steht.

157

bb) Die mit der Verschonung des Erwerbs begünstigten Vermögens einhergehende Ungleichbehandlung gegenüber nicht begünstigtem Vermögen ist enorm (s. bereits oben 2. a). Mit einem Abschlag von 100 %, zumindest aber 85 % des Erwerbs - im letzteren Fall verbunden mit den weiteren Vergünstigungen in § 13a Abs. 2, § 19a ErbStG - ist bereits die relative Freistellung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer umfassend oder doch weitreichend, kann aber auch in absoluten Zahlen sehr hoch sein, da der Begünstigungsumfang zahlenmäßig nicht begrenzt ist. Die Erwerber nicht begünstigten Vermögens unterliegen dagegen einer uneingeschränkten Besteuerung des Erwerbs mit Steuersätzen bis zu 50 %, soweit er den Wert der persönlichen Freibeträge (vgl. §§ 16, 17 ErbStG) übersteigt und nicht anderweitig von der Steuer befreit ist (vgl. §§ 5, 13, 13c, 18 ErbStG).

158

Allerdings wird das Ziel der Förderung, den unentgeltlichen Übergang von unternehmerischem Vermögen ohne steuerverursachtes Liquiditätsrisiko zu ermöglichen, bei der 100%igen Verschonung uneingeschränkt und bei der 85%igen Regelverschonung weitgehend erreicht.

159

cc) Ausgehend hiervon erweist sich das Verschonungskonzept der §§ 13a und 13b ErbStG als im Grundsatz verhältnismäßig. Es liegt im Rahmen der Einschätzungsprärogative und des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers, dem Erhalt vornehmlich klein- und mittelständischer Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden (s. dazu oben 2. c), einen so hohen Stellenwert einzuräumen, dass sie zur Sicherung ihres Bestands und damit auch zum Zwecke des Erhalts der Arbeitsplätze von der Erbschaft- und Schenkungsteuer weitgehend oder vollständig freigestellt werden.

160

(1) Mit dem Ziel, durch die Verschonung namentlich kleiner und mittelständischer Familienunternehmen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer diese Betriebe vor möglichen Liquiditätsproblemen zu bewahren und so den Bestand dieser Unternehmen und der mit ihnen verbundenen Arbeitsplätze zu sichern, verfolgt der Gesetzgeber gewichtige Gemeinwohlgründe. Wie schon mit entsprechenden Begünstigungsnormen in den Jahren vor dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes hat der Gesetzgeber auch mit der Neuregelung der §§ 13a und 13b ErbStG in erster Linie die Förderung und den Schutz der kleinen und mittelständischen Familienunternehmen im Blick (s. dazu oben 2. c). Die Unternehmensnachfolge bei diesen Betrieben soll nicht durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer in einer Weise belastet werden, die die Erwerber in ihrer Investitionskraft hemmt oder gar zum Verkauf oder zur Auflösung der Betriebe zwingt (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33).

161

In der mittelständisch geprägten Unternehmenslandschaft sieht der Gesetzgeber eine Stärke der deutschen Wirtschaft, die er für vorteilhaft gerade auch im internationalen Wettbewerb hält (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 23, 33, ferner BTDrucks 17/15, S. 20). Diese Einschätzung spiegelt die Auffassung verschiedener Bundesregierungen zur Bedeutung des Mittelstands wider. Auch die Europäische Kommission betont die Wichtigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen für die Schaffung von Arbeitsplätzen (vgl. etwa Der "Small Business Act" für Europa, KOM [2008] 394 endgültig, S. 2 sowie Aktionsplan Unternehmertum 2020, KOM [2012] 795 endgültig, S. 4). Die Einschätzung vom spezifischen Wert einer ausgeprägten Kultur klein- und mittelständischer Unternehmen für die deutsche Wirtschaft wird auch in den in diesem Verfahren abgegebenen Stellungnahmen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, des Zentralverbands des Deutschen Handwerks und des Bundesverbands der Deutschen Industrie geteilt.

162

Hinzu kommen spezifische Vorzüge, die der Gesetzgeber bei Wirtschaftsunternehmen annimmt, die durch eine in personaler Verantwortung liegende Führung geprägt werden, wie sie für Familienunternehmen typisch sind (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33; siehe auch schon BTDrucks 13/901, S. 157 und 13/4839, S. 67, wonach der Gesetzgeber bei der Einbeziehung der Übertragung von Kapitalgesellschaftsanteilen in die erbschaft- und schenkungsteuerliche Begünstigung unternehmerischen Vermögens ausdrücklich auf die Förderung "familienbezogener" Kapitalgesellschaften abstellte). Die gesetzgeberische Einschätzung von der besonderen Bedeutung der familiengeführten Unternehmen für die deutsche Wirtschaft wird in den zu diesem Verfahren abgegebenen Stellungnahmen durchgängig geteilt. Familiengeführten Unternehmen wird dabei vor allem eine langfristigere Unternehmensstrategie zugeschrieben, die nicht in gleicher Weise unmittelbar renditeorientiert ausgerichtet sein soll, wie dies bei anderen Unternehmen der Fall ist. Dadurch sollen sie tendenziell zurückhaltender auf Krisensituationen reagieren, standort- und arbeitsplatzorientierter operieren als andere Unternehmen und so vor allem Arbeitnehmer regelmäßig länger im Betrieb halten.

163

Mit dem Ziel, die vorhandene Struktur kleiner und mittelständischer Familienunternehmen und damit auch deren Arbeitsplätze zur erhalten und zu stärken, verfolgt der Gesetzgeber danach ein Gemeinwohlziel, dem er einen hohen Stellenwert zuordnen durfte.

164

(2) Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung wurde bereits festgestellt, dass die Annahme des Gesetzgebers, eine uneingeschränkte Steuerbelastung der Unternehmensnachfolge werde nicht nur in Ausnahmefällen die Unternehmen in ihrer Investitionsfähigkeit, unter Umständen auch in ihrem Bestand gefährden, keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Einwänden ausgesetzt ist (s. oben 2. e bb).

165

(3) Die Verschonungsregelung der §§ 13a und 13b ErbStG ist so ausgestaltet, dass sie regelmäßig einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung des Förderziels zu leisten vermag. Ohne dass es an dieser Stelle auf die sach- und gleichheitsgerechte Ausgestaltung der vom Gesetzgeber gewählten Steuerungsinstrumente der Verschonung im Einzelnen ankommt (dazu unter 3.), erweisen sich die Lohnsummenregelung und die Bestimmungen über die Haltefrist jedenfalls im Grundsatz als geeignet, den Erhalt des übertragenen Unternehmens in der Hand des Erwerbers und den Bestand an Arbeitsplätzen zu sichern (s. dazu bereits oben 2. d). Die Vorschriften über das Verwaltungsvermögen zielen darauf, die Freistellung förderungsunwürdigen, nicht produktiven Vermögens zu verhindern und so eine zielgenaue Begünstigung sicherzustellen. Zwar fehlt den §§ 13a und 13b ErbStG mangels Obergrenze eine klare normative Beschränkung der Förderung auf kleine und mittlere Unternehmen; die Abschmelzung des Abzugsbetrags nach § 13a Abs. 2 ErbStG bei einem der Besteuerung unterliegenden begünstigten Vermögen von mehr als 150.000 Euro zeigt jedoch zumindest im Ansatz die Ausrichtung der Verschonungsregelung auf kleinere Unternehmen. Soweit Anteile an Kapitalgesellschaften vererbt werden, kommt die bei Familienunternehmen typische personale Verantwortung für unternehmerische Entscheidungen dadurch zum Ausdruck, dass eine Mindestbeteiligung von über 25 % Voraussetzung für die Förderungswürdigkeit ist.

166

In dieser Ausgestaltung ist die Verschonungsregelung im Grundsatz angemessen. Der Gesetzgeber hält sich mit diesem Konzept im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit. Das Gewicht der mit der Verschonung verfolgten Gemeinwohlbelange steht auch unter Berücksichtigung des Grades der zu erwartenden Zielerreichung nicht außer Verhältnis zu der erheblichen Ungleichbehandlung zu Lasten der Erwerber sonstigen Vermögens. Mit den für dieses Ergebnis maßgeblichen Gewichtungen der gegeneinander stehenden Ziele und Positionen bewegt sich der Gesetzgeber innerhalb des ihm auch insoweit zukommenden Einschätzungs- und Bewertungsspielraums.

167

(4) Die vom Gesetzgeber seinem Förderkonzept beigegebenen Bedingungen für eine Verschonung sind für die Angemessenheit der Gesamtregelung allerdings unverzichtbar. Zwar lässt sich aus dem Gleichheitssatz nicht im Einzelnen ableiten, dass der Gesetzgeber die Verschonung mit gerade einer Lohnsummenregelung und einer Haltefrist eingrenzen und durch den Ausschluss von Verwaltungsvermögen auf produktives Vermögen beschränken musste. Die hier erfolgte umfängliche Begünstigung betrieblichen Vermögens ist aber nur dann angemessen, wenn durch begleitende gesetzliche Regelungen hinreichend sichergestellt ist, dass mit der Verschonung das angestrebte Förderziel auch tatsächlich erreicht wird und die Begünstigung zuverlässig auf förderungswürdiges Vermögen begrenzt ist. Der Gesetzgeber ist auch hier weitgehend frei in seiner Entscheidung, welche Instrumente er dafür einsetzt, um eine hinreichend normenklare und zielgenaue Förderung sicherzustellen (vgl. BVerfGE 117, 1 <32 f.>; vgl. ferner 110, 274 <293> und 116, 164 <182>). Dass überhaupt hierfür geeignete Maßgaben getroffen werden, ist jedoch zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Verschonungsregelung von Verfassungs wegen geboten. In Anbetracht des erheblichen Ausmaßes der Ungleichbehandlung stünde es nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang, eine umfassende Verschonung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens ohne jegliche Bedingungen und Förderungssicherungsmaßnahmen zu gewähren.

168

(5) Die durch das Optionsmodell nach § 13a Abs. 8 ErbStG eröffnete Möglichkeit, eine Steuerverschonung von 100 % zu erlangen, ist nicht allein wegen des Umstandes der Vollverschonung verfassungswidrig. Für jedes Maß der Steuerverschonung benötigt der Gesetzgeber tragfähige Rechtfertigungsgründe (vgl. BVerfGE 117, 1 <32>); für eine vollständige Steuerfreistellung bestimmter Besteuerungsobjekte - wie sie im Übrigen aus zahlreichen Befreiungsvorschriften des Steuerrechts bekannt ist - gilt insofern nichts kategorial Anderes als bei Freistellungen geringeren Umfangs. Stets bedarf es zur Rechtfertigung der mit der Freistellung einhergehenden Ungleichbehandlung eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes.

169

Sofern die in einer Steuerart vorgesehenen Ausnahmen, Befreiungen, Verschonungen und Freibeträge - insbesondere aus Gründen der Lenkung und Förderung - je für sich sachlich gerechtfertigt und in sich gleichheitsgerecht ausgestaltet sind, erweisen sie sich auch in ihrem Zusammenwirken nicht allein deshalb als gleichheitswidrig, weil sie dazu führen, dass eine Steuer in großem Umfang nicht greift. Für den erbschaftsteuerlichen Zugriff bei Familienangehörigen sowie kleinen und mittelständischen Betrieben hat der Gesetzgeber mit den spezifisch erbschaft- und schenkungsteuerlichen Befreiungen und Verschonungen in weitem Umfang Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter anderem aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung getragen (vgl. BVerfGE 93, 165 <174 f.>). Die vom Bundesfinanzhof in seinem Vorlagebeschluss unter Berufung auf die Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistiken 2010 und 2011 des Statistischen Bundesamts erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass die Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG zusammen mit zahlreichen anderen Verschonungen und Befreiungen dazu führten, dass nur ein geringer Teil der im Grundsatz nach §§ 1, 2, 3 und 7 ErbStG steuerbaren Sachverhalte tatsächlich mit Steuer belastet werde, die Steuerbefreiung also die Regel und die tatsächliche Besteuerung die Ausnahme sei (vgl. BFHE 238, 241 <278 Rn. 156> unter Verweisung auf damit übereinstimmende Äußerungen im Schrifttum), begründen danach allein für sich nicht die Unverhältnismäßigkeit der Erbschaft- und Schenkungsteuer.

170

dd) Unverhältnismäßig ist die Ungleichbehandlung zwischen begünstigtem unternehmerischen und nicht begünstigtem sonstigen Vermögen aber insoweit, als der unentgeltliche Erwerb betrieblichen und land- und forstwirtschaftlichen Vermögens und von Anteilen an Kapitalgesellschaften ohne Bedürfnisprüfung weitgehend oder vollständig von der Erbschaft- und Schenkungsteuer befreit wird und es sich dabei um Erwerbe von Unternehmen handelt, welche die Größe kleiner und mittlerer Unternehmen überschreiten.

171

(1) Das Maß der Ungleichbehandlung ist umso größer, je umfangreicher der steuerbefreite Erwerb ist. Da die §§ 13a und 13b ErbStG keine Obergrenze in Bezug auf das begünstigungsfähige Vermögen vorsehen, können bei Einhaltung der Verschonungsbedingungen auch Betriebe mit Unternehmenswerten von mehreren Hundertmillionen oder auch mehreren Milliarden Euro erbschaft- und schenkungsteuerfrei übertragen werden. Es ist freilich nicht auszuschließen, dass auch sehr große Unternehmen durch eine dann entsprechend hohe Erbschaft- oder Schenkungsteuerlast der Erwerber in finanzielle Schwierigkeiten geraten und an Investitionskraft verlieren könnten, Arbeitsplätze abbauen, verkauft oder sogar aufgelöst werden müssten. Die damit verbundenen gemeinwohlschädlichen Lasten wären dann entsprechend größer. Diese Risiken können im Ergebnis auch die Steuerverschonung sehr großer Unternehmen rechtfertigen, erfordern dann aber mit Rücksicht auf den Grundsatz der Lastengleichheit besondere Vorkehrungen zur Erreichung der mit der Befreiung verfolgten Ziele.

172

Je umfangreicher die Steuerverschonung und je größer deshalb andererseits das Maß der Ungleichbehandlung gegenüber den Erwerbern nicht begünstigten Vermögens ist, desto anspruchsvoller wird die Rechtfertigungslast hierfür. Die steuerliche Privilegierung unternehmerischen Vermögens ist nicht gerechtfertigt, weil der einzelne Erwerber verschont werden soll. Um die Begrenzung der Besteuerung durch die verfassungsrechtliche Erbrechtsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG vor einer übermäßigen Belastung, welche die dem Erben zugewachsenen Vermögenswerte grundlegend beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 93, 165 <172>; 63, 312 <327>), geht es dabei in diesem Zusammenhang nicht. Der die Ungleichbehandlung rechtfertigende Gemeinwohlgrund liegt vielmehr allein im Schutz der übertragenen Unternehmen und der damit verbundenen Arbeitsplätze. Während die Ungleichbehandlung zwischen nicht verschonten Erwerbern sonstigen Vermögens und den Erwerbern unternehmerischen Vermögens bei der Übertragung kleiner und mittlerer Unternehmen im Grundsatz noch gerechtfertigt ist, ohne dass die Gefährdung der Unternehmen, vor der die Verschonung bewahren soll, im Einzelfall festgestellt wird, kann diese unwiderlegliche Gefährdungsvermutung bei der Übertragung größerer Unternehmen nicht mehr hingenommen werden. Hier erreicht die Ungleichbehandlung schon wegen der Größe der steuerbefreiten Beträge ein Maß, das ohne die konkrete Feststellung der Verschonungsbedürftigkeit des erworbenen Unternehmens mit den Anforderungen an eine gleichheitsgerechte Besteuerung nicht mehr in Einklang zu bringen ist.

173

Hinzu kommt bei der Übertragung von Unternehmen dieser Größenordnung, dass deren Schutz und Erhalt nicht mehr von dem Ziel der Verschonungsregelung getragen wird, die vorhandene Unternehmensstruktur kleiner und mittelständischer Betriebe zu erhalten. Dies ist zwar nicht das einzige Gemeinwohlziel, das die Verschonungsregelung verfolgt; sein Wegfall schwächt aber auch ihr Rechtfertigungspotenzial und bestätigt damit die Notwendigkeit einer individuellen Bedürfnisprüfung.

174

(2) Die Grenze zwischen kleinen und mittleren Unternehmen einerseits und Großunternehmen andererseits ist für den Bereich des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts gesetzlich nicht vorgegeben. Auch nach verfassungsrechtlichen Maßstäben lässt sich nicht eindeutig bestimmen, ab wann genau die aus der Steuerverschonung des unentgeltlichen Erwerbs unternehmerischen Vermögens folgende Ungleichbehandlung nicht mehr verhältnismäßig ist, wenn die Steuerverschonung an keine Bedürfnisprüfung geknüpft ist. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Berücksichtigung der mit der Privilegierung verfolgten Gemeinwohlziele präzise und handhabbare Kriterien für die Bestimmung dieser Grenze festzulegen. Dabei bleibt es ihm aus verfassungsrechtlicher Sicht unbenommen, sich etwa auch an der Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (2003/361/EG, ABl. L 124/36 vom 20. Mai 2003) zu orientieren. Darin werden zu den kleinen und mittleren Unternehmen solche gezählt, die weniger als 250 Arbeitnehmer beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Millionen Euro beläuft (a.a.O., Art. 2 Abs. 1 des Anhangs).

175

Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen allerdings nicht verpflichtet, die Angemessenheit der Ungleichbehandlung zwischen begünstigten und nicht begünstigten Vermögensübertragungen durch die exakte Bestimmung des Kreises kleiner und mittelständischer Unternehmen und durch die Begrenzung der Verschonung ohne Bedürfnisprüfung auf diese sicherzustellen. Er könnte auch eine absolute Obergrenze festlegen, wie dies im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Unternehmensnachfolge vom 30. Mai 2005 (vgl. BTDrucks 15/5555, S. 10) mit einer Förderungshöchstgrenze von 100 Millionen Euro beabsichtigt war, jenseits derer die Steuerverschonung endet und steuerbedingten Gefährdungen von Unternehmensübergängen etwa durch eine möglicherweise neu gestaltete Stundungsregelung begegnet wird. Hält er auch bei der Übertragung größerer Unternehmen am Steuerverschonungsmodell fest, wird er zu erwägen haben, ob in die dann in diesem Bereich gebotene Prüfung der Verschonungsbedürftigkeit von Erwerbern solcher Unternehmen auch durch die Erbschaft oder Schenkung miterworbenes, nicht begünstigtes Vermögen oder unter Umständen schon vor dem Erwerb vorhandenes eigenes Vermögen mit einbezogen werden soll, mit der Folge, dass der Erwerber dies zur Begleichung einer Steuerschuld aus dem Unternehmensübergang einzusetzen hätte.

176

3. Die Verschonungsregelungen der §§ 13a und 13b ErbStG verstoßen auch in Teilen ihrer Ausgestaltung im Einzelnen gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sowohl im Hinblick auf die Ungleichbehandlung gegenüber den Erwerbern nicht begünstigter Vermögensarten als auch wegen nicht zu rechtfertigender Ungleichbehandlungen im Binnenvergleich der Erwerber begünstigter Vermögensarten. Letztlich nicht zu beanstanden ist allerdings die Festlegung der begünstigten Vermögensarten in § 13b Abs. 1 ErbStG (a) und im Grundsatz die Bestimmung über die Behaltensfrist in § 13a Abs. 5 ErbStG (c). Als gleichheitswidrig erweisen sich jedoch die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern von der Lohnsummenpflicht gemäß § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG (b) und die Regelung zum Umfang des begünstigungsschädlichen Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG (d). Außerdem lassen die §§ 13a und 13b ErbStG in einzelnen Konstellationen zu großzügig steuerliche Gestaltungen zu, die nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlungen verursachen (e).

177

a) Die Festlegung der begünstigen Vermögensarten in § 13b Abs. 1 ErbStG ist verfassungsgemäß. Mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist die Bestimmung des durch den Verschonungsabschlag begünstigungsfähigen Vermögens in § 13b Abs. 1 ErbStG sowohl im Verhältnis zu nicht betrieblichem Vermögen als auch im Binnenvergleich zu nicht begünstigtem sonstigen betrieblichen Vermögen.

178

Ziel des Erbschaftsteuerreformgesetzes war es unter anderem sicherzustellen, dass bei der Unternehmensnachfolge insbesondere kleine und mittlere Betriebe, die in personaler Verantwortung geführt werden, nicht wegen der Besteuerung dieses Erwerbs in Liquiditätsschwierigkeiten geraten (s. oben 2. c). Die Beschränkung der Förderung auf kleine und mittlere Betriebe ist trotz der degressiven Ausgestaltung des Abzugsbetrags nach § 13a Abs. 2 ErbStG und des Ausschlusses von Minderbeteiligungen an großen Publikums-Aktiengesellschaften aus dem Kreis förderungswürdigen Vermögens in § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG nur begrenzt gelungen und führt deshalb bei größeren Unternehmen zu einem verfassungsrechtlichen Vorbehalt im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer Bedürfnisprüfung (s. oben 2. f dd). Ansonsten sichert die Umschreibung des begünstigten Vermögens in § 13b Abs. 1 ErbStG die Begrenzung der Verschonung auf unternehmerisches Vermögen, das typischerweise in personaler Verantwortung gehalten wird. Namentlich die Mindestbeteiligungsklausel für Kapitalgesellschaften von über 25 % in § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG scheidet Unternehmensbeteiligungen aus der Förderung aus, die der bloßen Geldanlage dienen. Die damit in verschiedene Richtungen einhergehenden Ungleichbehandlungen sind gerechtfertigt (aa). Dies gilt auch für die Privilegierungen betrieblichen Vermögens im Sinne von § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (bb) und land- und forstwirtschaftlichen Vermögens nach § 13b Abs. 1 Nr. 1 ErbStG (cc).

179

aa) Die Begünstigung des Erwerbs von Kapitalgesellschaftsanteilen im Sinne des § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Es verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz, dass der Gesetzgeber mit der Regelung in § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG Anteile an Kapitalgesellschaften ab einer Mindestbeteiligung des Erblassers oder Schenkers von über 25 % am Nennkapital der Gesellschaft zu förderungswürdigem unternehmerischem Vermögen zählt. Die damit verbundene Besserstellung des Erwerbs von Anteilsinhabern, die diese Mindestquote erfüllen, gegenüber dem Erwerb von Erblassern oder Schenkern von sonstigem, nicht betrieblichem Vermögen auf der einen und gegenüber dem Erwerb von Inhabern geringerer Anteile an Kapitalgesellschaften - auch im Streubesitz - auf der anderen Seite, die der Gesetzgeber damit wie nicht betriebliches Vermögen behandelt, ist von Verfassungs wegen im Ergebnis nicht zu beanstanden.

180

(1) Mit den durch die Begünstigung von Kapitalgesellschaftsanteilen im Sinne des § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG begründeten Ungleichbehandlungen verfolgt der Gesetzgeber legitime Ziele. Durch die Einbeziehung großer Anteile an Kapitalgesellschaften in die Verschonungsregelung wollte der Gesetzgeber die Übertragung solcher Unternehmensanteile steuerlich verschonen, bei denen der Anteilsinhaber nicht nur als Kapitalanleger auftritt, sondern selbst unternehmerisch in die Gesellschaft eingebunden ist. Die Übertragung von lediglich als Form der Kapitalanlage gehaltenen Anteilen an Kapitalgesellschaften soll hingegen nicht in den Genuss der Verschonungsregelungen gelangen. Die geforderte Beteiligung von über 25 % soll ein Indiz für diese unternehmerische Einbindung sein (BTDrucks 16/7918, S. 35).

181

Hinter der Privilegierung des Übergangs großer Anteile an Kapitalgesellschaften gegenüber sonstigem Vermögen steht danach zum einen die Überlegung, dass diese Anteilseigner ihre Anteile an einer Kapitalgesellschaft nicht nur aus Gründen der Kapitalanlage halten, sondern ein unternehmerisches Eigeninteresse am Wohl und Wehe des Unternehmens haben, das es im Rahmen der Nachfolge insbesondere durch gesetzliche Behaltensanreize zu sichern gilt. Zum anderen bestünden bei einem Verzicht auf jegliche erbschaftsteuerliche Begünstigung der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften erhebliche Gleichheitsbedenken gegenüber anderen, durch die Verschonungsregelung privilegierten Vermögensarten, insbesondere gegenüber der Übertragung von Anteilen an Personengesellschaften. Der strikte Verschonungsausschluss von Anteilen an Kapitalgesellschaften ließe sich jedenfalls in Bereichen, in denen unternehmerische Organisationsformen von Kapitalgesellschaften (insbes. als GmbH) und solche von Personengesellschaften (insbes. als GmbH & Co. KG) weitgehend austauschbar sind, in der Sache kaum hinreichend tragfähig begründen. Dies führte zu einer vielfach nur schwer zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung nach der Rechtsform, in der die Unternehmen organisiert sind, und würde das gesetzgeberische Ziel der Förderung kleinerer und mittlerer Betriebe in weiten Bereichen verfehlen, die häufig die Organisationsform einer Kapitalgesellschaft wählen.

182

(2) Die Differenzierung zwischen förderungswürdigen Anteilen an einer Kapitalgesellschaft und nicht förderungswürdigen anhand der Mindestbeteiligungsquote ist geeignet, die Erreichung des Ziels dieser Unterscheidung zu befördern. Die Beschränkung der Verschonung auf den Erwerb von Anteilseignern mit einer Mindestquote von über 25 % ermöglicht es, bei der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nur jene zu erfassen, bei denen die Annahme einer unternehmerischen Einbindung des übertragenden Anteilsinhabers in den Betrieb vertretbar erscheint. Die Vermutung einer unternehmerischen Verantwortung bei Anteilseignern ab einer Mindestbeteiligungsquote von 25 % liegt im Rahmen des gesetzgeberischen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums. Die Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften im Streubesitz hingegen unterscheidet sich nicht wesentlich von der unentgeltlichen Übertragung sonstigen Vermögens, die nicht von der Steuer verschont wird. Der Bestand eines Betriebs, seine Bonität und die Sicherheit seiner Arbeitsplätze sind in diesen Fällen regelmäßig nicht von der Person des Anteilsinhabers abhängig (so auch BTDrucks 16/7918, S. 35), der seine nur zu Zwecken der Kapitalanlage erfolgte Beteiligung - falls zur Begleichung der Steuerschuld geboten - ohne Gefährdung des Betriebs verkaufen kann.

183

(3) Zur Erreichung der gesetzlichen Ziele ist die Mindestbeteiligungsquote erforderlich. Es ist nicht erkennbar, dass ohne die 25 %-Regel eine gleich wirkungsvolle und zugleich mit einer geringeren Ungleichbehandlung belastete Unterscheidung zwischen förderungswürdigem und nicht förderungswürdigem Vermögen im Bereich der Kapitalgesellschaftsanteile erreicht werden könnte.

184

Ein Verzicht auf jegliche erbschaft- und schenkungsteuerliche Begünstigung der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften ersparte zwar die Suche nach einer gleichheitsgerechten Differenzierung zwischen förderungswürdigen und nicht förderungswürdigen Anteilen an Kapitalgesellschaften, wie sie jetzt § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG vornimmt, und würde so zu einer vollständigen Gleichstellung dieser Vermögensart mit nicht betrieblichem Vermögen führen, hätte aber die oben (unter (1)) beschriebene Ungleichbehandlung gegenüber sonstigem betrieblichen Vermögen nach der Rechtsform zur Folge und könnte auch nicht das gesetzgeberische Ziel erreichen, in unternehmerischer Verantwortung gehaltene Anteile an Kapitalgesellschaften in die Verschonung mit einzubeziehen.

185

(4) Die Mindestbeteiligungsquote ist verhältnismäßig im engeren Sinne. Die als Differenzierungsgrund für die Besserstellung vermuteten Vorteile der unternehmerischen Einbindung der Anteilseigner ab einer Mindestquote von über 25 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft haben hinreichendes Gewicht, um die Ungleichbehandlung sowohl gegenüber den Inhabern nicht betrieblichen Vermögens als auch gegenüber den Inhabern von Anteilen an Kapitalgesellschaften unterhalb dieser Quote zu rechtfertigen.

186

(a) Bei einer Mindestbeteiligungsquote von über 25 % durfte der Gesetzgeber von einer unternehmerischen Einbindung des Anteilseigners in den Betrieb und damit von begünstigtem Vermögen ausgehen.

187

Der allgemein maßgebliche Rechtfertigungsgrund für die Steuerverschonung bei der Unternehmensnachfolge - die ansonsten befürchtete Gefährdung der betroffenen Betriebe durch Liquiditätsprobleme und damit auch die Gefährdung von Arbeitsplätzen - greift allerdings nicht ohne weiteres in allen Fällen der Übertragung von Anteilen an Kapitalgesellschaften. Insbesondere werden jedenfalls Minderheitsgesellschafter in aller Regel keinen maßgeblichen Einfluss auf die Ausschüttung von Gewinnanteilen allein zum Zwecke der Begleichung von Steuerschulden der Gesellschafter nehmen und daher insofern auch keine Betriebsgefährdung auslösen können. Namentlich bei der Übertragung von Anteilen an Publikumsgesellschaften ist die generelle Befürchtung solcher Gefährdungen ohnehin nicht berechtigt. Es entspricht außerdem dem allgemeinen Förderzweck der Verschonungsregelung, Anteile an Kapitalgesellschaften, die der bloßen Kapitalanlage dienen, von der Privilegierung auszunehmen. Dies wird auch durch die Bestimmungen über das Verwaltungsvermögen in § 13b Abs. 2 ErbStG deutlich, die eine Konzentration der Steuerverschonung auf produktives, mit unternehmerischem Risiko behaftetes Vermögen sicherzustellen suchen (s. dazu nachfolgend d).

188

Die Annahme, ab einer Anteilsquote von über 25 % des Nennkapitals bestehe regelmäßig eine unternehmerische Einbindung des Anteilseigners in den Betrieb, ist vom Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt (oben (2)). Bei Anteilseignern, die mehr als ein Viertel der Anteile einer Kapitalgesellschaft halten, darf der Gesetzgeber davon ausgehen, dass sie sich nicht nur aus Gründen der Kapitalanlage engagieren, sondern ein unternehmerisches Eigeninteresse an Bestand und Erfolg des Unternehmens haben (oben (1)).

189

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinem Beschluss vom 7. November 2006 die entsprechende Annahme des Gesetzgebers von der unternehmerischen Einbindung des Anteilseigners bei der Vorgängerregelung als "nicht unplausibel" bezeichnet, zumal Anteilsinhaber nach dem Aktiengesetz und dem GmbH-Gesetz erst bei der geforderten Quote von mehr als 25 % über eine Sperrminorität bei satzungsändernden Beschlüssen verfügten (vgl. BVerfGE 117, 1 <63>).

190

Im Übrigen ist die Festlegung auf die Mindestquote von über 25 % durch die Typisierungs- und Vereinfachungsbefugnis des Gesetzgebers (vgl. dazu BVerfGE 120, 1 <30>; 122, 210 <231 ff.>; 126, 268 <278 f.>) gedeckt. Seine Annahme, dass die andernfalls erforderliche konkrete Feststellung der unternehmerischen Relevanz geringerer Beteiligungsanteile nicht nur die Finanzämter, sondern auch die Gesellschaften mit einem unverhältnismäßigen Aufwand belasten würde (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 35), ist nicht unvertretbar (a. A. Grolig, Folgerichtigkeitsgebot und Erbschaftsteuer, 2013, S. 185 ff., 190; mit grundsätzlicher Kritik an der 25 %-Regelung auch Piltz, DStR 2013, S. 228 <231>).

191

Schließlich hat die mit der 25 %-Regelung verbundene Erwägung Gewicht, dass ab diesem Beteiligungsanteil eine Gleichbehandlung von Kapitalanlagevermögen mit der Beteiligung an Personengesellschaften erfolgen soll, um deren sonst insoweit nur schwierig zu rechtfertigende Besserstellung zu vermeiden.

192

(b) Die pauschalierende Annahme der 25 %-Grenze für die unternehmerische Einbindung des Anteilseigners wird nicht durch den Einwand widerlegt, dass auch schon bei niedrigeren Beteiligungsquoten ein unternehmerisches Engagement des Inhabers von Kapitalgesellschaftsanteilen denkbar sei. Es ist zwar in der Tat nicht auszuschließen, dass unterhalb einer Beteiligung von 25 % ein tatsächlicher und rechtlicher Bezug eines Anteilseigners zu dem Unternehmen besteht, der weit über eine bloße Kapitalanlage hinausgeht und dessen uneingeschränkte Belastung mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer zudem Schwierigkeiten für das Unternehmen mit sich bringen könnte. So ist es insbesondere, wie in der mündlichen Verhandlung in verschiedenen Stellungnahmen bestätigt wurde, in familiengeführten Unternehmen üblich, dass sich im Wege der Generationenfolge der Anteilsumfang pro Person verringern kann, diesem reduzierten Anteil aber durch gesellschaftsvertragliche Klauseln, welche die Übertragbarkeit des Anteils oder Möglichkeiten der Gewinnausschüttung einschränken, mit dem Ziel eines einheitlichen unternehmerischen Handelns Rechnung getragen wird. Diesen Umstand berücksichtigt das geltende Recht jedoch bereits dadurch, dass § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG die Möglichkeit eines sogenannten Pooling vorsieht, welches die Anteile eines Erblassers oder Schenkers an einer Kapitalgesellschaft, der nicht die 25 %-Quote erreicht, gleichwohl als begünstigtes Vermögen behandelt, wenn er zusammen mit anderen Gesellschaftern, mit denen er vertragliche Bindungen hinsichtlich der Anteilsverfügung und Stimmrechtsausübung eingegangen ist, diese Grenze erreicht.

193

(c) Die Mindestbeteiligungsquote von über 25 % ist auch nicht deshalb durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, weil das Gesetz den Mindestbestand an Anteilen zwar auf Seiten des Erblassers oder Schenkers voraussetzt, nicht aber verlangt, dass für die Verschonung auch die Übertragung des Unternehmensanteils in einem Umfang von über 25 % erfolgen oder jedenfalls der Erwerber über 25 % der Anteile der Kapitalgesellschaft verfügen muss.

194

Das Abstellen allein auf die Verhältnisse beim Erblasser oder Schenker zur Bestimmung der Begünstigungsfähigkeit von Vermögensarten und Vermögensteilen (zum Beispiel auch im Hinblick auf den sogenannten Verwaltungsvermögenstest nach § 13b Abs. 2 ErbStG - dazu s. unten d) wie auch in Bezug auf sonstige Verschonungsvoraussetzungen (etwa die Zahl der Arbeitnehmer für die Freistellung von der Lohnsummenpflicht nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG - näher dazu unter b) liegt dem gesamten System der Verschonungsregelung zugrunde. Ob der übertragene Unternehmensteil oder die Verhältnisse beim Erwerber diese Voraussetzungen erfüllen, ist hingegen unerheblich. Dies hat zur Folge, dass bei der Übertragung von Unternehmensteilen eine Verschonung auch dann in Betracht kommt, wenn der Erbe oder Beschenkte keinen, jedenfalls keinen rechtlich zwingenden Einfluss auf die Einhaltung von Lohnsumme und Haltefrist und auch sonst nicht auf operative und strategische Entscheidungen des Unternehmens hat. Darauf kommt es nach der Konzeption der gesetzlichen Bestimmung der Begünstigungsfähigkeit der verschiedenen Vermögensarten auch nicht an, denn es geht insoweit allein um die Abschichtung förderungswürdigen unternehmerischen Vermögens von nicht förderungswürdigem privaten Vermögen, insbesondere von bloßem Geldanlagevermögen (s. oben (a) und (b)). Das Gesetz lässt es insoweit genügen, dass im Ergebnis auf der Erwerberebene die weiteren Verschonungsvoraussetzungen (insbesondere Lohnsummenregelung, Haltefrist und Verwaltungsvermögenstest) eingehalten werden und dadurch das Ziel der Verschonung erreicht wird - unabhängig davon, inwieweit der Erwerber darauf Einfluss nehmen konnte oder nicht. Dies ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Entscheidend ist, dass die Einhaltung der Verschonungsbedingungen sichergestellt ist. Das ist der Fall; nur bei Einhaltung von Lohnsumme und Haltefrist sowie zuvor bestandenem Verwaltungsvermögenstest werden Verschonungsabschlag (§ 13a Abs. 1 ErbStG) und Abzugsbetrag (§ 13a Abs. 2 ErbStG) gewährt, ohne dass es darauf ankommt, ob der Erblasser oder Schenker oder der Erwerber entscheidenden Einfluss darauf genommen haben.

195

Vor diesem Hintergrund bestehen im Ergebnis keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, für die Beschränkung der Anteilsmindestquote von 25 % an die Situation auf Seiten der Erblasser und Schenker anzuknüpfen. Allerdings wird damit auch die Übertragung von nur einem Bruchteil dieser Mindestquote von Anteilen auf den Nachfolger steuerlich begünstigt, selbst wenn er weit unter 25 % des Nennwerts liegt. Die Steuerverschonung greift also auch dann, wenn auf der Erwerberseite kein personaler Einfluss auf das Unternehmen mehr gewährleistet ist und für den Begünstigten der erworbene Anteil nurmehr die Bedeutung einer Kapitalanlage hat. Der Gesetzgeber verzichtet so darauf, das Ziel der personalen Fortführung des Unternehmens auch zukunftsgerichtet unmittelbar für den Erwerber abzusichern. Dies ist jedoch von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber ist insoweit nicht zu einer Regelung verpflichtet, die alle Möglichkeiten zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele optimal ausnutzt, sondern hat einen weiten Gestaltungsspielraum. Dabei darf er sich auch von dem Gesichtspunkt leiten lassen, an einer übergreifenden Systematik, die insgesamt gute Gründe hat und funktional ausgerichtet ist, dort festzuhalten, wo auf andere Weise weitergehende Lösungen möglich sind. Im Übrigen wird das Ziel des Gesetzes durch die Regelung zumindest insoweit erreicht, als es die Übertragung von Gesellschaftsanteilen, die bereits auf der Erblasser- oder Schenkerseite der bloßen Kapitalanlage dienten, von der Verschonung ausschließt. Auch setzt die Regelung - worauf die Vertreter der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung maßgeblich abgestellt haben - über die 25 %-Mindestquote in § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG einen Anreiz, auf der Nachfolgerebene erneut eine Zusammenführung einzelner Anteilspakete bis zum Umfang der Mindestquote anzustreben oder insoweit jedenfalls die Voraussetzungen der Poolingregelung (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG) zu erreichen. Der Gesetzgeber wird, falls sich diese Erwartung nicht erfüllt, zu erwägen haben, inwieweit daraus Konsequenzen für die Begünstigungsfähigkeit von Anteilen an Kapitalgesellschaften zu ziehen sind, insbesondere im Hinblick auf die Forderung nach einer Mindestquote auch auf Erwerberseite.

196

bb) Die Begünstigung des Betriebsvermögens in § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar, auch soweit der Erwerb von Anteilen an Personengesellschaften ohne Mindestbeteiligungsquote privilegiert wird.

197

Dadurch, dass § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG die Übertragung von Anteilen an Personengesellschaften in jeder Größe und unabhängig vom Umfang des Anteilsbesitzes des Erblassers oder Schenkers begünstigt, werden die Anteilseigner von Personengesellschaften besser gestellt als jene von Kapitalgesellschaften, bei denen Anteilsübertragungen an einen Nachfolger erst in den Genuss des Verschonungsabschlags kommen können, wenn der Schenker oder Erblasser über mehr als 25 % der Anteile der Gesellschaft verfügt (s. vorstehend unter aa). Diese Privilegierung der Anteile an Personengesellschaften ist gerechtfertigt.

198

Durch den Verzicht auf eine entsprechende Mindestquote als Voraussetzung für die Förderungswürdigkeit der unentgeltlichen Übertragung von Anteilen an Personengesellschaften bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass er bei diesen jegliche Gesellschaftsbeteiligung, unabhängig vom Umfang der jeweils gehaltenen Gesellschaftsanteile, als förderungswürdiges unternehmerisches Vermögen und nicht als bloße Geldanlage ansieht. Mit dieser Annahme bewegt sich der Gesetzgeber im Rahmen des ihm bei der Regelung solch komplexer Sachverhalte zustehenden Einschätzungs- und Typisierungsspielraums. Sie findet ihre Grundlage in der unterschiedlichen zivilrechtlichen Behandlung des Vermögens der Personengesellschaft einerseits und der Kapitalgesellschaft andererseits: Bei Personengesellschaften wird das Gesellschaftsvermögen den Gesellschaftern zugerechnet (vgl. § 718 BGB i.V.m. § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB), hingegen ist das Vermögen der Kapitalgesellschaften gegenüber dem Vermögen ihrer Gesellschafter selbständig. Es liegt angesichts dieser stärker personalisierten Struktur der Personengesellschaft im Rahmen der gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis, für Zwecke der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung der Unternehmensnachfolge auf die in der Rechtsform der Personengesellschaft regelmäßig höhere unternehmerische Einflussnahme und Haftung abzustellen (vgl. Jachmann, in: Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit, 2000, S. 154 f.). Der Gesetzgeber durfte typisierend davon ausgehen, dass die Einbindung eines Inhabers von Anteilen an einer Personengesellschaft in das Unternehmen, zumindest seine Nähe zu den jeweils anstehenden unternehmerischen Entscheidungen, dem Regelfall entspricht.

199

cc) Die generelle Begünstigung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens in § 13b Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist im Hinblick auf die Besonderheiten von Land- und Fortwirtschaft verfassungsgemäß.

200

Der Gesetzgeber durfte mit Rücksicht darauf, dass land- und forstwirtschaftliche Betriebe, wie der Deutsche Bauernverband in seiner in diesem Verfahren abgegebenen Stellungnahme substantiiert und plausibel dargelegt hat, nach wie vor in besonders hohem Maße als Familienbetriebe ohne größere Kapitaldecke geführt werden, ohne weiteres von einer unternehmerischen Einbindung jeglicher Beteiligung an einem solchen Betrieb ausgehen. Hinzu kommen die bekannten strukturellen Besonderheiten, welche die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe aufweisen (vgl. BVerfGE 91, 346 <364>) und die eine Beteiligung daran allein zum Zwecke der Geldanlage eher fernliegend erscheinen lassen. Der Gesetzgeber durfte daher land- und forstwirtschaftliches Vermögen dem betrieblichen Vermögen im Hinblick auf die generelle Förderungswürdigkeit gleichstellen und dadurch insoweit besser behandeln als nicht betriebliches Vermögen und Anteile an Kapitalgesellschaften unterhalb der Mindestbeteiligungsgrenze. Die erbschaft- und schenkungsteuerliche Verschonung des Übergangs von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben wird im Übrigen neben dem generellen Förderziel, sie vor Gefährdungen durch Liquiditätsentzug zu bewahren und dadurch Arbeitsplätze zu sichern, zusätzlich durch den ökologischen Beitrag dieser Betriebe (vgl. auch BTDrucks 16/7918, S. 23) - jedenfalls derer, die die in § 5 Abs. 2 BNatSchG vorgeschriebenen "Grundsätze der guten fachlichen Praxis" beachten - legitimiert.

201

b) Die in verschiedenen Absätzen des § 13a ErbStG ausgestaltete Lohnsummenregelung ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar (aa), nicht jedoch die Freistellung bei Betrieben mit nicht mehr als 20 Beschäftigten (bb).

202

aa) Die Lohnsummenregelung des § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG ist verfassungsgemäß.

203

(1) Die Lohnsummenregelung begründet eine Ungleichbehandlung. Die Prüfung, ob sie gerechtfertigt ist, beschränkt sich nicht auf eine bloße Willkürkontrolle.

204

Die Einhaltung der Mindestlohnsumme ist eine Bedingung für die Erlangung des Verschonungsabschlags. Nach § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG ist Voraussetzung für die Verschonung, dass die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen des Betriebs innerhalb von fünf Jahren (bei Vollverschonung gemäß § 13a Abs. 8 Nr. 1 ErbStG innerhalb von sieben Jahren) nach dem Erwerb insgesamt 400 % (bei Vollverschonung gemäß § 13a Abs. 8 Nr. 1 ErbStG 700 %) der Ausgangslohnsumme nicht unterschreitet. Erreicht die Lohnsumme nicht dieses Ziel, vermindert sich der Verschonungsabschlag entsprechend dem Maß der Unterschreitung (§ 13a Abs. 1 Satz 5 ErbStG). Die Einhaltung der Lohnsumme unterscheidet danach bei begünstigtem Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG, wer die Verschonung erhält und wer nicht oder nur zum Teil. Damit führt die Lohnsummenregelung zu einer Binnendifferenzierung zwischen den Erwerbern begünstigten Vermögens. Zugleich gestaltet sie die Rahmenbedingungen der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Erwerbern nicht betrieblichen und begünstigten Vermögens im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG.

205

Der Maßstab für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Ungleichbehandlung ist strenger als der einer bloßen Willkürprüfung und entspricht dem oben für die Unterscheidung zwischen betrieblichem und nicht betrieblichem Vermögen herangezogenen. Die Lohnsummenklausel beeinflusst gezielt die freie unternehmerische Entscheidung über die Personalstruktur des Betriebs. Vor allem aber kann die Nichteinhaltung der Mindestlohnsumme bis hin zum völligen Wegfall des Verschonungsabschlags führen und so im Hinblick auf die fehlende Obergrenze für den Verschonungsabschlag zu erheblichen Ungleichheiten gegenüber jenen führen, die die Lohnsumme einhalten.

206

(2) Die durch die Lohnsummenregelung begründete Ungleichbehandlung verfolgt ein legitimes Ziel. Das Mittel der Mindestlohnsumme dient dem Zweck, die Erwerber betrieblichen Vermögens zur Erhaltung der Arbeitsplätze zu veranlassen, und kennzeichnet jene Betriebe, die mit der Einhaltung der Lohnsumme den Nachweis des Arbeitsplatzerhalts erbracht haben. Mit dieser Funktion verfolgt die Mindestlohnsumme einen legitimen Zweck und ist wesentlich für das übergeordnete zentrale Ziel der Verschonungsregelung, den unentgeltlichen Übergang von in personaler Verantwortung geführten Betrieben vor Liquiditätsproblemen zu bewahren, um deren Bestand und damit auch die Arbeitsplätze zu erhalten. Dass ein Instrument wie die Mindestlohnsumme von Verfassungs wegen dem Grunde nach geboten ist, um die Angemessenheit der Verschonung im Grundsatz sicherzustellen, wurde bereits festgestellt (s. oben 2. f cc (4)), beantwortet aber noch nicht die Frage, ob dieses Instrument in seiner konkreten Ausgestaltung gleichheitsgerecht ist. Dies bedarf einer gesonderten Prüfung.

207

(3) Die Bindung der Verschonung an die Einhaltung der Lohnsumme ist grundsätzlich geeignet, diesen Zweck zu erreichen, denn sie fördert angesichts des erheblichen Verschonungspotenzials zumindest für einen mittelfristigen Zeitraum die Erhaltung der Arbeitsplätze in einem Betrieb, der ganz oder in Teilen auf den Nachfolger übertragen wurde. Ein milderes Mittel, um den mit der Verschonungsregelung angestrebten Arbeitsplatzerhalt gleich wirksam zu sichern und nachzuweisen, ist nicht ersichtlich. Die Haltefrist (§ 13a Abs. 5 ErbStG) allein kann diese Aufgabe nicht erfüllen.

208

(4) Die Lohnsummenregelung genügt auch mit Blick auf die durch sie bewirkte Ungleichbehandlung den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

209

Die Lohnsummenregelung ist - abgesehen von der zu großzügigen Freistellungsklausel (dazu sogleich unter bb) - angemessen. Sie trägt dazu bei, dass Erwerber betrieblichen Vermögens gegenüber Erwerbern nicht betrieblichen Vermögens nicht überprivilegiert werden, wenn sie bei Einhaltung ihrer Vorgaben in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen. Die Lohnsummenregelung genügt im Grundsatz der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit, den unentgeltlichen Erwerb von Betrieben nicht ohne hinreichend gewichtigen Rechtfertigungsgrund und nicht ohne anspruchsvolle Nachweise zur Einhaltung dieser Rechtfertigung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer zu befreien (s. oben 2. f cc (4)).

210

Dementsprechend werden diejenigen, welche die Mindestlohnsumme nicht einhalten, nicht unangemessen benachteiligt gegenüber jenen, denen dies gelingt, wenn sie infolgedessen trotz des Erwerbs begünstigten Vermögens keinen oder nur einen anteiligen Verschonungsabschlag erhalten. Die Lohnsummenregelung eröffnet den Erwerbern begünstigten Vermögens weder zu leicht und unkontrolliert den Weg zu einer umfänglichen Steuerverschonung, noch verlangt sie die Einhaltung untauglicher Vorgaben für das angestrebte Ziel des Arbeitsplatzerhalts, und führt so auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Benachteiligung der Erwerber begünstigten Vermögens, die mangels Einhaltung der Mindestlohnsumme die Verschonung ganz oder teilweise verlieren.

211

(a) Die Entscheidung des Gesetzgebers für die Lohnsummenlösung anstelle einer strikten Bindung an den Erhalt der konkret vorhandenen Arbeitsplätze in dem übertragenen Betrieb liegt innerhalb seines insoweit weiten Gestaltungsspielraums. Zwar verlangt das enorme, bis zu einer völligen Freistellung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer reichende Verschonungspotenzial des § 13a ErbStG die Bindung des Begünstigten an hinreichend strenge Prüfkriterien, welche die Erreichung der Verschonungsziele sicherstellen und dokumentieren (s. oben 2. f cc (4)). Der Spielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung dieser Bedingungen ist jedoch groß. Es ist von Verfassungs wegen daher nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber in der die Unternehmensführung flexibler als eine starre Arbeitsplatzklausel anleitenden Lohnsumme einen hinreichend zuverlässigen Indikator für den Arbeitsplatzerhalt gesehen hat (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33, 16/11107, S. 9). Dass § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG bei der Lohnsumme auf eine über den gesamten Lohnsummenzeitraum kumulierte und nicht auf eine jährliche Betrachtung abstellt, unterstreicht die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers für eine die unternehmerische Dispositionsbefugnis schonende Regelung, die ihr gleichwohl die Eignung belässt, den Erhalt der Arbeitsplätze in der Summe zu sichern. Diese flexible Ausgestaltung lässt dem Unternehmer Spielraum, um auf betriebliche Bedürfnisse auch in Krisensituationen angemessen reagieren zu können. Sie begegnet so den Einwänden, die der Lohnsumme die Eignung zum Arbeitsplatzerhalt absprechen, weil dieses Instrument betriebsnotwendige Modernisierungs- und Rationalisierungsprozesse verhindere und so kontraproduktiv wirke. Hinzu kommt, dass die Einhaltung der Lohnsumme lediglich Bedingung für die Verschonungsgewährung ist, dem Betriebsinhaber aber nicht die Freiheit der Entscheidung nimmt, ganz oder teilweise (vgl. § 13a Abs. 1 Satz 5 ErbStG) darauf zu verzichten und einer etwaigen Betriebsgefährdung durch die Erbschaft- oder Schenkungsteuer dann gegebenenfalls mit einem Stundungsantrag nach § 28 ErbStG zu begegnen.

212

(b) Weitere Einwände gegen die Berechnungs- und Nachweismodalitäten der Lohnsummenregelung vermögen ihre Verfassungsmäßigkeit ebenfalls nicht in Frage zu stellen, da sie den Gestaltungs- und Typisierungsspielraum verkennen, der dem Gesetzgeber hier zusteht. Die Berechnung der Ausgangslohnsumme aus dem Durchschnitt der letzten fünf vor dem Zeitpunkt der Steuerentstehung endenden Wirtschaftsjahre (vgl. § 13a Abs. 1 Satz 3 ErbStG) soll konjunkturelle Schwankungen ausgleichen (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 33) und Manipulationen vermeiden (vgl. Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 13a Rn. 22 ; Meincke, ErbStG, 16. Aufl. 2012, § 13a Rn. 22) und ist damit sachlich gerechtfertigt.

213

bb) Die Freistellung aller Betriebe mit nicht mehr als 20 Beschäftigten vom Verschonungserfordernis der Lohnsummeneinhaltung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

214

(1) Die Unterscheidung zwischen Betrieben mit weniger als 20 Beschäftigten und anderen Betrieben bewirkt Ungleichbehandlungen in zweifacher Hinsicht.

215

Nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG ist die Einhaltung der Mindestlohnsumme zur Erlangung des Verschonungsabschlags dann nicht geboten, wenn der Betrieb nicht mehr als 20 Beschäftigte hat. Diese Freistellung von der Lohnsummenpflicht privilegiert Erwerber von Betrieben mit wenig Beschäftigten zum einen gegenüber den Erwerbern von Betrieben oder Anteilen davon, die über 20 Arbeitnehmer beschäftigen und deshalb uneingeschränkt an die Lohnsumme gebunden sind, wenn sie den Verschonungsabschlag erhalten wollen. Zum anderen verschärft die Freistellung das Maß der Ungleichbehandlung der dadurch Privilegierten gegenüber den Erwerbern nicht betrieblichen Vermögens, da die durch § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG Begünstigten ohne die einschränkende Verpflichtung zur Einhaltung einer Mindestlohnsumme die Verschonung in Anspruch nehmen können, sofern sie die übrigen Bedingungen erfüllen.

216

(2) Die Privilegierung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten verfolgt insbesondere das Ziel der Verwaltungsvereinfachung; sie ist hierfür geeignet und erforderlich.

217

Die Freistellung von der Lohnsummenpflicht soll in erster Linie der Verwaltungsvereinfachung dienen. Nachdem in der Begründung des Regierungsentwurfs zum Erbschaftsteuerreformgesetz für die damals noch auf Betriebe mit nicht mehr als zehn Beschäftigten beschränkte Ausnahme von der Lohnsummenpflicht auf die Harmonisierung mit dem Kündigungsschutzrecht abgehoben worden war (vgl. dazu BTDrucks 16/7918, S. 33), wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren zum Erbschaftsteuerreformgesetz der Verzicht auf die Lohnsummenprüfung mit einer Vermeidung des Bürokratieaufwands für Bürger und Verwaltung begründet (vgl. Empfehlungen der Ausschüsse BRDrucks 4/1/08, S. 3 und S. 4; vgl. auch BRDrucks 4/08 [Beschluss], S. 1). Bei der dann rückwirkend zum 1. Januar 2009 eingeführten Änderung der Freistellungsklausel durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz wurde die Erhöhung auf nicht mehr als 20 Beschäftigte mit einem Hinweis auf die Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise begründet, weshalb die Bedingungen der Verschonungsregelung "krisenfest und mittelstandsfreundlicher" ausgestaltet werden sollten, damit diese Betriebe "situationsgerecht auf die jeweilige Marktlage reagieren" könnten (vgl. BTDrucks 17/15, S. 20).

218

Sowohl die Verwaltungsvereinfachung für Behörden und Unternehmen als auch die Flexibilisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Förderung kleiner und mittlerer Betriebe sind legitime Ziele. Sie zu verfolgen, steht dem Gesetzgeber frei, ohne dass er mit verfassungsrechtlichen Wertungen oder Vorgaben in Konflikt geriete. Die Erweiterung der Ausnahme von der Lohnsummenpflicht auf Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten ist offensichtlich auch geeignet, dieses Ziel zu erreichen; ein gleich wirksames, zu geringeren Ungleichbehandlungen als beschrieben (s. oben (1)) führendes Mittel ist nicht ersichtlich.

219

(3) Die Regelung genügt jedoch nicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Erwerber von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten werden durch die Freistellung von der Einhaltung der Mindestlohnsumme gegenüber den Erwerbern nicht begünstigten Vermögens unverhältnismäßig privilegiert. Die Regelung benachteiligt zudem unverhältnismäßig die Erwerber begünstigten Vermögens mit mehr als 20 Beschäftigten in den übertragenen Betrieben, welche die Mindestlohnsumme einhalten müssen, um den Verschonungsabschlag zu erlangen.

220

(a) Der Bundesfinanzhof hat in seinem Vorlagebeschluss eine Überprivilegierung der Erwerber begünstigten Vermögens gegenüber den Erwerbern nicht betrieblichen Vermögens vor allem deshalb angenommen, weil weit über 90 % aller Betriebe in Deutschland nicht mehr als 20 Beschäftigte aufwiesen und damit die Lohnsummenregelung im Regelfall für die steuerliche Verschonung nach §§ 13a und 13b ErbStG keine Rolle spiele. Dem wird, auch in verschiedenen in diesem Verfahren abgegebenen Stellungnahmen, entgegengehalten, dass über 80 % der Beschäftigten im Jahr 2008 in Betrieben tätig gewesen seien, für welche die Lohnsummenregelung Anwendung finde, und dass außerdem die größten Unternehmen, die weniger als 1 % aller Unternehmen ausmachten, rund 65 % der gesamten steuerbaren Unternehmensumsätze erwirtschafteten. Dieser Einwand geht an der Regelungskonzeption der §§ 13a und 13b ErbStG vorbei, indem er bei der Lohnsummenregelung statt der vom Gesetz vorgegebenen unternehmensbezogenen eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung einnimmt. Die Verschonungsregelung soll für den Erwerber eines konkreten Unternehmens einen Anreiz setzen, die Arbeitsplätze in diesem Unternehmen zu erhalten. Dementsprechend kommt es auf die Verhältnisse in den konkreten Unternehmen und die Zahl der durch die Lohnsummenregelung erfassten Unternehmen, nicht hingegen auf den Anteil der dort Beschäftigten an der Gesamtzahl aller Beschäftigten an.

221

(b) Mit der Freistellung von der Einhaltung der Lohnsumme in § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG verzichtet der Gesetzgeber auf ein wesentliches Instrument zur Sicherstellung des für die Legitimierung der Verschonungsregelung elementaren Förderzwecks, nämlich den Erhalt der Arbeitsplätze. Die Erreichung dieses Ziels mit hinreichend wirkungsvollen Mitteln zu gewährleisten, ist der Gesetzgeber angesichts des Umfangs möglicher Verschonung von Verfassungs wegen verpflichtet (s. oben 2. f cc (4)).

222

In den Fällen, in denen der Betriebsnachfolger die Lohnsummen nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG nicht einhalten muss, um in den Genuss der Erbschaftsteuerverschonung zu gelangen, ist das Erreichen eines der zentralen Ziele der Verschonungsregelung jedenfalls nicht normativ abgesichert. Zwar müssen die Betriebsnachfolger auch ohne Lohnsummenbindung die Behaltensfrist nach § 13a Abs. 5 oder Abs. 8 Nr. 2 ErbStG einhalten, um den Verschonungsabschlag zu erhalten. Dies mag in vielen Fällen auch den Erhalt der Arbeitsplätze in den fortgeführten Betrieben sichern. Der Arbeitsplatzabbau ist in diesen Fällen aber jedenfalls nicht durch den Wegfall der Verschonung rechtlich sanktioniert.

223

Der Verzicht auf die Arbeitsplatzsicherung durch die Lohnsummenklausel in einer so großen Zahl von Fällen, wie sie durch die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten erreicht wird, schwächt die rechtliche Absicherung zur Erreichung des Ziels der Arbeitsplatzerhaltung in ganz erheblichem Umfang. Hinreichend tragfähige Gründe, die es rechtfertigen könnten, von der Lohnsummenregel in einem solchen Ausmaß abzusehen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere vermögen die mit der Freistellungsklausel verfolgten Ziele der Verwaltungsvereinfachung und Flexibilisierung diese Rechtfertigungsleistung ebenso wenig zu erbringen wie die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers.

224

(aa) Das gesetzgeberische Ziel, Unternehmen und Finanzverwaltung von dem Verwaltungsaufwand zu entlasten, der mit dem Nachweis der Einhaltung der Mindestlohnsumme, zumal über den beträchtlichen Zeitraum von fünf oder sieben Jahren, und ihrer Kontrolle nicht unerheblich ist, vermag zwar Ungleichbehandlungen in gewissem Umfang zu rechtfertigen. Die Freistellung von über 90 % aller Betriebe von der Verpflichtung zur Einhaltung der Mindestlohnsumme entzieht der Verschonungsregelung jedoch ihrerseits ein zentrales Rechtfertigungselement mit weitreichenden Folgen. Betriebe können danach fast flächendeckend den Verschonungsabschlag ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen beanspruchen. Auf der anderen Seite ist der mit dem Nachweis und der Kontrolle der Mindestlohnsumme verbundene Verwaltungsaufwand nicht so hoch, wie teilweise geltend gemacht. Betriebe mit Arbeitnehmern müssen - wie auch der Bundesfinanzhof in dem Vorlagebeschluss hervorhebt - bereits unabhängig von Verpflichtungen oder Obliegenheiten aus dem Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht unter anderem aus arbeits-, ertragsteuer- und sozialversicherungsrechtlichen Gründen eine Lohnbuchhaltung führen. Ein Nachweis der Entwicklung der Lohnsummen dürfte danach auch kleineren Unternehmen ohne größeren zusätzlichen Aufwand möglich und damit zumutbar sein. Die Finanzämter müssen die Entwicklung der Betriebe bereits im Hinblick auf die Behaltensregelungen in § 13a Abs. 5 ErbStG überwachen. Eine zusätzliche Überwachung der Entwicklung der Lohnsummen dürfte keine verfassungsrechtlich erhebliche Steigerung des Bürokratieaufwands bei den Finanzämtern mit sich bringen. Gemessen an der großen Zahl der betroffenen Betriebe und der erheblichen Bedeutung des Verzichts auf das Einhalten der Mindestlohnsumme im Rahmen des Verschonungsabschlags überschreitet der Gesetzgeber mit der Freistellungsklausel in § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG seinen Gestaltungsspielraum.

225

(bb) Die großzügige Freistellung von der Lohnsummenpflicht kann auch nicht mit dem in den Gesetzesmaterialien ursprünglich dafür ins Feld geführten Bestreben gerechtfertigt werden, eine Harmonisierung mit den Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes herbeizuführen, das für Betriebe mit bis zu zehn Arbeitnehmern nach dessen § 23 Abs. 1 Satz 3 in wesentlichen Teilen nicht gilt. Es entbehrt zwar nicht einer gewissen Plausibilität, dass die mit der Freistellung kleiner Betriebe von Beschränkungen durch das Kündigungsschutzgesetz beabsichtigte Entlastung nicht durch den von der Lohnsummenregelung ausgehenden mittelbaren Zwang, Arbeitnehmer im Betrieb zu halten, konterkariert werden soll. Da es aber gerade eines der erklärten und zentralen Ziele der Verschonungsregelung ist, über die Lohnsummenbindung den Beschäftigtenstand eines Betriebs in der Summe zu halten, muss dieses Ziel nicht allein deswegen zurücktreten, um einen Gleichklang mit der Freistellung von den Bindungen des Kündigungsschutzgesetzes zu erhalten, zumal die Lohnsummenregelung ohnehin Kündigungen nicht ausschließt. Mit der Erweiterung der Befreiung des § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG auf Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten wurde die Anknüpfung an das Kündigungsschutzgesetz schließlich völlig aufgegeben. Es bleibt ausweislich der Begründung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags (s. oben (2)) allein das Ziel, die Flexibilität dieser Betriebe zu erhalten. Eine Privilegierung des beschriebenen Ausmaßes kann damit nicht gerechtfertigt werden.

226

(cc) Auch die Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnisse des Gesetzgebers rechtfertigen die großzügige Befreiung von der Lohnsummenpflicht nicht.

227

Das Bundesverfassungsgericht erkennt zwar in ständiger Rechtsprechung als besondere sachliche Gründe für Ungleichbehandlungen im Rahmen steuergesetzlicher Be- und Entlastungsentscheidungen Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse an (vgl. nur BVerfGE 127, 224 <246> m.w.N.). Die Grenze einer zulässigen Typisierung ist aber dann überschritten, wenn die typisierende Vereinfachungsregelung dazu führt, dass die vom Gesetzgeber getroffene Entlastungsentscheidung in ihrem Regel-Ausnahme-Verhältnis in ihr Gegenteil verkehrt wird.

228

Das ist hier der Fall. Die Anwendung des § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG hat zur Konsequenz, dass die Lohnsummenregelung nur noch bei einem sehr geringen Teil der erbschaft- und schenkungsteuerbaren Unternehmensübergänge anwendbar ist. Es ist also nur noch ausnahmsweise bei einem Betriebsübergang die steuerliche Verschonung vom Arbeitsplatzerhalt abhängig. Der Arbeitsplatzerhalt sollte aber die wesentliche Bedingung für die Steuerbefreiung darstellen (s. oben 2. f cc (4)).

229

(c) Eine Freistellung von der Einhaltung der Mindestlohnsumme kann allerdings gerechtfertigt sein, soweit sie auf eine relativ kleine Gruppe von Betriebsübergängen begrenzt und diese Gruppe zudem so umschrieben wird, dass das Bedürfnis für eine solche Freistellung ein besonderes Gewicht besitzt. Das mag insbesondere dann der Fall sein, wenn die betroffenen Betriebe über eine so geringe Zahl an Beschäftigten verfügen, dass schon einzelne unkalkulierbare Wechsel in der Belegschaft - die sich über einen so langen Zeitraum, wie ihn die Lohnsummenfrist vorsieht, kaum völlig vermeiden lassen - die Einhaltung der Mindestlohnsumme ausschließen oder weitgehend unmöglich machen. Sofern der Gesetzgeber bei der Behebung der auch in anderem Zusammenhang festgestellten Gleichheitsverstöße im Grundsatz an dem gegenwärtigen Verschonungskonzept für die Besteuerung der Unternehmensnachfolge festhält, wird er die Freistellung von der Lohnsummenpflicht auf Betriebe mit einigen wenigen Beschäftigten begrenzen müssen.

230

c) Die Bestimmung über die Behaltensfrist in § 13a Abs. 5 ErbStG (im Falle der Vollverschonung § 13a Abs. 8 Nr. 2 ErbStG) ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der Senat teilt insoweit nicht die Auffassung des Bundesfinanzhofs, der die Behaltensfrist von fünf Jahren und im Falle der Vollverschonung von sieben Jahren angesichts des potentiellen Verschonungsumfangs für unangemessen kurz und den nur anteiligen Wegfall des Verschonungsabschlags bei vorzeitiger Betriebsveräußerung für zu großzügig hält. Der Gesetzgeber bewegt sich mit den beschriebenen Behaltensfristen im Rahmen seines Gestaltungsspielraums, zumal die Behaltensfrist in der Regel durch Lohnsummenregelung und Verwaltungsvermögenstest angemessen anspruchsvoll ergänzt wird. Unzulänglichkeiten in der Ausgestaltung dieser Instrumente führen jeweils dort zu Unvereinbarkeiten mit Art. 3 Abs. 1 GG (s. oben b bb und nachfolgend d), lassen aber die Verfassungsmäßigkeit der Behaltensfrist selbst unberührt. Einzelheiten zur Bestimmung schädlicher Verfügungen über das übergegangene unternehmerische Vermögen im Sinne des § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 5 ErbStG wurden vom Bundesfinanzhof nicht für verfassungswidrig gehalten; der Senat sieht keinen Anlass, sie gleichwohl einer gesonderten verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.

231

d) Die Regelung über das Verwaltungsvermögen in § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG ist nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, weil sie bei Vorliegen der übrigen Förderbedingungen die Erwerber von begünstigtem Vermögen selbst dann insgesamt in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen lässt, wenn es bis zu 50 % aus vom Gesetz als grundsätzlich nicht förderungswürdig angesehenem Verwaltungsvermögen besteht, ohne dass hierfür ein hinreichend tragfähiger Rechtfertigungsgrund erkennbar ist.

232

aa) Die Bestimmung über das Verwaltungsvermögen führt zu Ungleichbehandlungen in verschiedener Hinsicht.

233

(1) Die Inanspruchnahme des Verschonungsabschlags für begünstigtes Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG setzt neben der Einhaltung von Mindestlohnsumme und Behaltensfrist voraus, dass das erworbene Vermögen zu nicht mehr als 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht (§ 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG).

234

Nach der gesetzlichen Grundentscheidung - also abgesehen von den mehrfach vorhandenen tatbestandlichen Erweiterungen, Ausnahmen und Gegenausnahmen - gehören zum Verwaltungsvermögen Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke, Kapitalgesellschaftsanteile unterhalb der Mindestbeteiligungsgrenze, Beteiligungen an gewerblichen oder freiberuflichen Personengesellschaften sowie Kapitalgesellschaftsanteile oberhalb der Mindestbeteiligungsgrenze, wenn bei diesen Gesellschaften das Verwaltungsvermögen mehr als 50 % beträgt, Wertpapiere und vergleichbare Forderungen sowie schließlich Kunstgegenstände und andere primär nicht betrieblich genutzte Objekte (vgl. § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 5 ErbStG; s. auch oben A. I. 1. d bb). Finanzmittel wie Geld oder Geschäftsguthaben zählten in dem für das Ausgangsverfahren des Vorlagebeschlusses maßgeblichen Jahr 2009 nach der Auslegung des Bundesfinanzhofs nicht zum Verwaltungsvermögen (zur Neuregelung im Jahr 2013 s. unten e dd).

235

Besteht an sich begünstigtes Vermögen zu mehr als 50 % aus Verwaltungsvermögen (bei der optionalen Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG zu mehr als 10 %), dann ist gemäß § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG der Erwerb insgesamt nicht begünstigt und zwar auch nicht insoweit, als das Vermögen nicht aus Verwaltungsvermögen besteht. Es kommt dann keine der Begünstigungen zur Anwendung; weder der Verschonungsabschlag nach § 13a Abs. 1 ErbStG, noch der Abzugsbetrag nach § 13a Abs. 2 ErbStG und auch nicht die Tarifermäßigung nach § 19a ErbStG können beansprucht werden. Liegt der Anteil des Verwaltungsvermögens am begünstigungsfähigen Vermögen dagegen bei höchstens 50 %, ist der gesamte Erwerb, einschließlich des Verwaltungsvermögens, begünstigt. In diesem Fall ist allerdings noch in einem weiteren Schritt gemäß § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG zu prüfen, ob im Verwaltungsvermögen auch "junges Verwaltungsvermögen" enthalten ist, das dem Betrieb zum Besteuerungszeitpunkt weniger als zwei Jahre zugehört (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Es ist für sich genommen nicht begünstigungsfähig, beeinträchtigt aber nicht die Verschonungsvoraussetzungen für das übrige begünstigungsfähige Vermögen. Überschreitet also das Verwaltungsvermögen einschließlich des jungen Verwaltungsvermögens insgesamt nicht den Anteil von 50 % am gemeinen Wert des Betriebs, liegt nur hinsichtlich des jungen Verwaltungsvermögens nicht begünstigtes Vermögen vor.

236

(2) Diese Regelung über das Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 2 ErbStG führt zum einen zu einer Ungleichbehandlung zwischen Erwerbern von begünstigtem Vermögen, das bis zu 50 % aus eigentlich nicht begünstigungswürdigem Verwaltungsvermögen besteht und gleichwohl mit einem vollen Verschonungsabschlag bedacht wird, und den Erwerbern begünstigten Vermögens, das zu über 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht und überhaupt nicht begünstigt wird. Zum anderen verschärft die Regelung über das Verwaltungsvermögen die hinter der Verschonung stehende Grundunterscheidung zwischen begünstigtem betrieblichen und nicht begünstigtem nichtbetrieblichen Vermögen dadurch, dass beim Übergang grundsätzlich begünstigten (Betriebs-)Vermögens in erheblichem Umfang nach dieser Grundentscheidung eigentlich nicht begünstigungsfähiges Vermögen wie betriebliches gefördert wird.

237

bb) Die Kontrolle dieser gesetzgeberischen Differenzierung anhand des Art. 3 Abs. 1 GG folgt einem im Grundsatz großzügigen Maßstab, ohne jedoch bei einer bloßen Willkürkontrolle stehen zu bleiben. Die Bestimmung betrifft Einzelheiten der erbschaftsteuerlichen Behandlung des unentgeltlichen Unternehmensübergangs, bei der dem Gesetzgeber ein großer Ausgestaltungsspielraum zukommt. Andererseits kann die durch die 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG bewirkte Ungleichbehandlung ein jeweils sehr erhebliches Ausmaß erreichen, weil der bei Einhaltung der Grenze geförderte Anteil von Verwaltungsvermögen am begünstigten Vermögen einerseits und der bei Überschreiten dieser Grenze nicht geförderte Anteil an eigentlich begünstigungsfähigem Vermögen andererseits mit jeweils bis zu 50 % in seiner Relation zum Gesamtbetriebsvermögen sehr groß und in der absoluten Höhe nicht begrenzt ist. Die Ungleichbehandlung ist danach potentiell gravierend, was einen großzügigeren Kontrollmaßstab ausschließt.

238

cc) Die sich aus der Verwaltungsvermögensregelung ergebenden Ungleichbehandlungen dienen legitimen Zielen. Mit der Bestimmung über das Verwaltungsvermögen will der Gesetzgeber überwiegend vermögensverwaltende Betriebe von der Verschonung ausnehmen, weil "Vermögen, das in erster Linie der weitgehend risikolosen Renditeerzielung dient und in der Regel weder die Schaffung von Arbeitsplätzen noch zusätzliche volkswirtschaftliche Leistungen bewirkt," nicht begünstigt werden soll (Begründung des Regierungsentwurfs zum Erbschaftsteuerreformgesetz BTDrucks 16/7918, S. 35 f.). Durch die nähere Umschreibung des danach als nicht förderungswürdig angesehenen Verwaltungsvermögens in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG sollen zudem steuerliche Gestaltungen nach Möglichkeit ausgeschlossen werden, mit denen Steuerpflichtige Gegenstände, die üblicherweise in Form der privaten Vermögensverwaltung gehalten werden, wie etwa vermietete und verpachtete Grundstücke und Gebäude, Minderbeteiligungen an Kapitalgesellschaften oder Wertpapiere, ihrem Gewerbebetrieb als begünstigtes Betriebsvermögen zuordnen (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 35).

239

Die mit den Bestimmungen über das Verwaltungsvermögen verfolgten Ziele, grundsätzlich nur produktives Vermögen in dem dort umschriebenen Sinn zu fördern und Umgehungsstrategien zu unterbinden, sind legitim. Sie stehen im Einklang mit den Hauptzielen der Verschonungsregelung, den Bestand von in personaler Verantwortung geführten Betrieben in Deutschland zu erhalten und Arbeitsplätze trotz eines erbfallbedingten Wechsels des Betriebsinhabers zu sichern, und helfen zugleich, die Steuerentlastung hierauf zu konzentrieren, indem sie die Förderung nicht förderungswürdigen Vermögens zu vermindern suchen. Damit dient die Regelung über das Verwaltungsvermögen auch der Rechtfertigung der Grundunterscheidung zwischen begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen.

240

dd) Die Verwaltungsvermögensregelung ist zur Erreichung der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele geeignet und erforderlich. Die Bestimmungen über das Verwaltungsvermögen sind im Grundsatz - ohne dass es insoweit auf Einzelheiten der Zuordnung bestimmter Vermögensbestandteile zum Verwaltungsvermögen im Sinne von § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG ankommt - geeignet, die damit verfolgten Ziele zu fördern. Mit der genauen normativen Umschreibung des Verwaltungsvermögens legt der Gesetzgeber fest, welche Vermögensbestandteile eines Betriebs er trotz Betriebszugehörigkeit für nicht förderungswürdig - weil nicht produktiv - und damit im Sinne eines der zentralen Ziele der Verschonungsregelung für nicht arbeitsplatzerhaltend hält. Hierbei steht ihm ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Indem der Gesetzgeber betriebliches Vermögen ab einem gewissen Anteil von Verwaltungsvermögen nicht mehr als förderungswürdig ansieht, auch wenn es Teil von begünstigtem Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG ist, wirkt er steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten und der vom Bundesfinanzhof in seinem Vorlagebeschluss kritisierten Privilegierung von Betriebsinhabern gegenüber Personen, die keine Betriebe besitzen, entgegen, die darin liegt, dass nur sie dazu in der Lage sind, der privaten Lebensführung dienende Vermögensgegenstände in Betriebsvermögen zu überführen (vgl. auch BTDrucks 16/7918, S. 35).

241

ee) Der Verwaltungsvermögensregelung fehlt es jedoch an der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

242

(1) Die mit dem Ausschluss des Verwaltungsvermögens von der Erbschaftsteuerverschonung verbundene Ungleichbehandlung gegenüber der Privilegierung begünstigten Vermögens ist allerdings im Grundsatz angemessen. Die Beschränkung der Steuerverschonung auf vom Gesetzgeber als förderungswürdig, weil produktiv und arbeitsplatzerhaltend angesehenes Vermögen und dessen präzise Festlegung zur Vermeidung unerwünschter steuerlicher Gestaltungen ruht im Ausgangspunkt auf hinreichend tragfähigen Rechtfertigungsgründen. Es ist nicht unangemessen, sondern dient im Gegenteil einer gerechten Differenzierung, das vom Gesetzgeber im Rahmen seines insoweit großen Einschätzungsspielraums als - gemessen an den Zielen der Verschonungsregelung - nicht förderungswürdig erkannte Vermögen von der steuerlichen Begünstigung auszunehmen.

243

(2) Die durch die Regelung über das Verwaltungsvermögen geschaffene Ungleichbehandlung ist jedoch unverhältnismäßig, soweit sie begünstigtes Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG mit einem Anteil von bis zu 50 % Verwaltungsvermögen insgesamt in den Genuss von Verschonungsabschlag, Abzugsbetrag (§ 13a Abs. 2 ErbStG) und Tarifbegrenzung (§ 19a ErbStG) gelangen lässt. Dadurch werden die Erwerber von begünstigtem Vermögen, das zu über 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht und damit insgesamt aus der steuerlichen Verschonung herausfällt, unangemessen schlechter gestellt. Ein hinreichend tragfähiger Rechtfertigungsgrund für eine derart großzügige Einbeziehung vom Gesetz selbst als eigentlich nicht förderungswürdig angesehener Vermögensbestandteile ist vom Gesetzgeber nicht aufgezeigt und auch nicht erkennbar. Entsprechend führt die umfängliche Einbeziehung von bis zu 50 % Verwaltungsvermögen in die steuerliche Förderung im Vergleich zu den Erwerbern von Vermögen, das nicht begünstigt und generell vom Verschonungsabschlag ausgenommenen ist - also von nichtbetrieblichem Vermögen im weiteren Sinne - zu einer unverhältnismäßigen Privilegierung der Erwerber begünstigten Vermögens mit einem so hohen Anteil an Verwaltungsvermögen.

244

(a) Ausgehend davon, dass der Gesetzgeber das in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG umschriebene Verwaltungsvermögen für grundsätzlich nicht förderungswürdig hält, ist nicht erkennbar, inwieweit die überschießende Wirkung der 50 %-Regelung des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG dem Ziel dienen kann, die Verschonung auf förderungswürdiges Vermögen zu begrenzen und nicht förderungswürdiges Vermögen davon auszuschließen. Die Verschonung von 50 % an sich nicht begünstigungsfähigem Verwaltungsvermögen, weil dessen Anteil am Gesamtbetriebsvermögen nicht mehr als die Hälfte beträgt, ist ebenso wenig plausibel wie die Nichtverschonung bis zur Hälfte an sich begünstigungsfähigen betrieblichen Vermögens, weil das Gesamtbetriebsvermögen zu über 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht. Allein der erklärte Wille des Gesetzgebers, dass "überwiegend vermögensverwaltende Betriebe … allgemein von den Verschonungen ausgenommen bleiben" sollten (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 35), vermag diese Diskrepanz sachlich nicht zu begründen. Das gesetzgeberische Ziel, Verwaltungsvermögen grundsätzlich von der Verschonung auszunehmen und steuerliche Gestaltungen zu unterbinden, wäre mit der Begrenzung des Förderungsausschlusses auf den jeweils festgestellten Anteil an Verwaltungsvermögen ohne solche Verwerfungen zu erreichen. Hinweise darauf, weshalb der Gesetzgeber billigend in Kauf nimmt, dass Verwaltungsvermögen, welches nach der Zielrichtung des Gesetzes gerade nicht begünstigt sein soll, dann doch in diesem Umfang privilegiert wird, finden sich in den Gesetzesmaterialien nicht.

245

Die Regelung in § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG über das sogenannte junge Verwaltungsvermögen vermag zwar den Effekt der unangemessenen Überbegünstigung von Verwaltungsvermögen zu vermindern, schließt ihn aber, weil älteres Verwaltungsvermögen davon nicht erfasst wird, nicht aus. An der unverhältnismäßigen Schlechterstellung an sich förderungswürdigen Vermögens im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG bei Überschreitung der 50 %-Schwelle durch Verwaltungsvermögen ändert die Klausel über junges Verwaltungsvermögen ohnehin nichts.

246

(b) Soweit die Regelung zum Verwaltungsvermögen das Ziel verfolgt, steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf die Verlagerung von Vermögensgegenständen von der privaten in die betriebliche Vermögenssphäre zu unterbinden, vermag die 50 %-Regel dieses Ziel nur ungenügend zu fördern. Jedenfalls soweit ein Verwaltungsvermögensanteil von bis zu 50 % am Gesamtbetriebsvermögen begünstigt wird, schränkt die Bestimmung steuerliche Gestaltungen nicht ein. Die ausdrückliche Berücksichtigung von Verwaltungsvermögen bei der Verschonung in diesem doch erheblichen Umfang dürfte im Gegenteil die Verlagerung von privatem in betriebliches Vermögen innerhalb dieses 50 %-Sektors eher begünstigen. Erst jenseits der 50 %-Grenze unterbindet das Gesetz steuerliche Gestaltungen effektiv.

247

Die Regelung über junges Verwaltungsvermögen in § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG dämpft zwar den Anreiz solcher Vermögensverlagerungen, indem kurzfristige Vermögensverschiebungen in das Betriebsvermögen in jedem Fall von den Begünstigungen ausgeschlossen sind. An der Unzulänglichkeit der 50 %-Regel im Hinblick auf steuerliche Gestaltungen im Übrigen ändert dies allerdings nichts.

248

(c) Die 50 %-Regel kann schließlich auch nicht mit Typisierungs- oder Pauschalierungserwägungen gerechtfertigt werden, zumal sie in einem Wertungswiderspruch zu der in § 13b Abs. 4 ErbStG angeordneten 15 %-Typisierung steht.

249

Ein spürbarer Verwaltungsvereinfachungseffekt durch die in der Festlegung zum Ausdruck kommende Typisierung, dass bei der Regelverschonung das begünstigte betriebliche Vermögen bis zu 50 % aus nicht betriebsnotwendigem Vermögen bestehen kann, ist nicht erkennbar. Zur Beantwortung der nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG maßgeblichen Frage, ob das begünstigte Vermögen zu mehr als 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht, ist der Anteil des Verwaltungsvermögens am begünstigungsfähigen Vermögen ohnehin zu ermitteln (vgl. die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Anwendung des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts R E 13b.8 Abs. 1 ErbStR 2011).

250

Auch soweit der 50 %-Regel in § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG ein gewisser Verwaltungsvereinfachungseffekt dergestalt zugebilligt werden kann, dass bei eindeutig unterhalb der 50 %-Grenze liegenden Verwaltungsvermögensanteilen keine genauere rechnerische Zuordnung zu den konkreten Verwaltungsvermögenskategorien erfolgen muss, geht die damit verbundene Typisierung über das Maß an Ungleichbehandlung hinaus, das eine Typisierung im Grundsatz rechtfertigen kann. Steuergesetze betreffen in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen (vgl. BVerfGE 120, 1 <30>; 122, 210 <231 ff.>; 126, 268 <278 f.>; 127, 224 <246>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668/10 und 2104/10 -, juris, Rn. 50).

251

Gemessen daran erweist sich die mit der 50 %-Typisierung verbundene Ungleichbehandlung als unverhältnismäßig. Die Regelung führt einerseits dazu, dass begünstigtes Vermögen, das nur bis zu einem Anteil von knapp unter 50 % die Begünstigungsvoraussetzungen erfüllt, insgesamt nicht steuerlich privilegiert wird. Andererseits lässt sie zu, dass in erheblichem Umfang Gegenstände der privaten Vermögensverwaltung dem begünstigten Vermögen "gewillkürt" zugeordnet werden können, welche dann nach Ablauf von zwei Jahren bis zum Wert des "echten" Betriebsvermögens ebenfalls begünstigt sind. Diese in ihrem prozentualen Umfang massiven und in der absoluten Höhe nicht begrenzten Ungleichheiten können nicht mit dem Hinweis auf verwaltungsvereinfachende Zuordnungserleichterungen gerechtfertigt werden, zumal nicht erkennbar ist, weshalb ein solcher Vereinfachungseffekt eine Pauschalierung in dieser Größenordnung erfordert.

252

Schließlich ist die in der 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG zum Ausdruck kommende Typisierung nicht mit der in § 13b Abs. 4 ErbStG erfolgten Typisierungsentscheidung des Gesetzgebers in Einklang zu bringen. Der Bestimmung des § 13b Abs. 4 ErbStG liegt die Annahme zugrunde, dass jedes Unternehmen über nicht begünstigungsfähiges Verwaltungsvermögen im Umfang von 15 % des gesamten Betriebsvermögens verfügt. Die Begründung des Regierungsentwurfs zum Erbschaftsteuerreformgesetz spricht insoweit ausdrücklich von einer typisierenden pauschalierten Festlegung des begünstigten Betriebsvermögens auf 85 %. Sie geht davon aus, dass in den zu übertragenden Betrieben regelmäßig Vermögenspositionen vorhanden sein werden, die nicht dem originär betrieblichen Bereich zuzuordnen sind (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 36). Mit dieser Typisierungsentscheidung des Gesetzgebers in § 13b Abs. 4 ErbStG ist die 50 %-Typisierung in § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht vereinbar. Geht der Gesetzgeber in § 13b Abs. 4 ErbStG davon aus, dass jedes Unternehmen nicht begünstigungsfähiges Verwaltungsvermögen im Umfang von 15 % des gesamten Betriebsvermögens hat, welches von der Begünstigung ausgeschlossen sein soll, dann ist es nicht erklärbar, weshalb nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG auch noch mehr als der dreifache Wert ohne weiteres als Folge einer Typisierungsregelung begünstigungsunschädlich übertragen werden kann (vgl. auch Blum, Bewertungsgleichmaß und Verschonungsregelungen, 2012, S. 211). Es erschließt sich zudem nicht, aus welchem Sachgrund der Gesetzgeber bei der optionalen Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 Nr. 4 ErbStG seine pauschalierte Annahme aufgibt, dass in jedem Betrieb ein Verwaltungsvermögensanteil von 15 % vorhanden ist und vollständig auf eine Besteuerung verzichtet.

253

e) Soweit das Gesetz besondere steuerliche Gestaltungen zulässt, die zu nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlungen führen, verstößt schon die gesetzliche Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG (aa). Dies ist insbesondere der Fall bei Gestaltungen zur Ausnutzung der Befreiung von der Lohnsummenpflicht (bb), bei der Nutzung der 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG für das Verwaltungsvermögen in Konzernstrukturen (cc) und bei Gestaltungen mit sogenannten Cash-Gesellschaften (dd).

254

aa) Steuergesetze, die entgegen ihrer Zwecksetzung steuermindernde Gestaltungen in erheblichem Umfang zulassen, können von Anfang an verfassungswidrig sein. Lässt ein Steuergesetz Gestaltungen durch den Steuerpflichtigen zu, die zu Steuerminderbelastungen führen, wie sie vom Gesetz erkennbar nicht bezweckt und gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigen sind, erweist es sich insoweit als von Anfang an verfassungswidrig. Gerade im Steuerrecht ist das Bestreben verbreitet und im Grundsatz auch hinzunehmen (vgl. BVerfGE 9, 237 <249 f.>), die eigenen Rechtsverhältnisse im Rahmen der Privatautonomie so auszugestalten, dass Steuererleichterungen durch entsprechende Gestaltung der relevanten Tatbestandsmerkmale nach Möglichkeit in Anspruch genommen, oder in entsprechender Weise Steuerbelastungen vermieden werden. Sofern solche Gestaltungen keinen Missbrauch im Sinne von § 42 AO darstellen, sind sie zulässig und zu berücksichtigen. Sie können allerdings die Wirkung der jeweiligen gesetzlichen Regelung, die Anlass und Ziel dieser Gestaltung ist, in einer Weise einengen - bei steuerbegründenden Normen - oder ausdehnen - bei Steuerbefreiungen -, dass der Gesetzeszweck seine Tauglichkeit als Rechtfertigungsgrund einer Ungleichbehandlung verliert. Relevanz für die Gültigkeit einer Norm erlangen steuerliche Gestaltungen allerdings nur, wenn sie nicht ersichtlich auf den atypischen Einzelfall beschränkt sind; unerwünschte, wenn auch nicht rechtsmissbräuchliche Gestaltungen im Einzelfall berühren die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nicht.

255

Ob der Gesetzgeber diese nach der Intention des Gesetzes unerwünschten Gestaltungen vorhersehen konnte, ist dabei unerheblich. Sofern sie durch die Fachgerichte nicht als missbräuchliche Gestaltungen im Sinne des § 42 AO sanktioniert werden, ist das Gesetz auch unter Berücksichtigung solcher Anwendungsmöglichkeiten Gegenstand verfassungsgerichtlicher Überprüfung. Die Finanzgerichte sind allerdings bei der Auslegung und Anwendung des § 42 AO nach Möglichkeit gehalten, mit Hilfe dieser Bestimmung über den Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Steuerrecht solchen Gestaltungspraktiken entgegen zu wirken, die sonst zur Verfassungswidrigkeit einer Norm führen (vgl. BVerfGE 22, 156 <161>; 29, 104 <118>). Die Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit derartiger zur Verfassungswidrigkeit der Norm führender Gestaltungen kann allerdings bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Folgen des festgestellten Verfassungsverstoßes, insbesondere im Hinblick auf die Anordnung einer zeitweisen Weitergeltung der Regelung berücksichtigt werden.

256

bb) §§ 13a und 13b ErbStG sind gleichheitswidrig, soweit sie die vom Bundesfinanzhof beanstandete Gestaltung zur Umgehung der Lohnsummenpflicht zulassen. Indem § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG es zulässt, dass durch vorherige Teilung des durch Schenkung oder Vererbung übertragenen Betriebs die Bindung an die Lohnsumme umgangen wird, obwohl der Betrieb ursprünglich über 20 Beschäftigte hatte, verstößt die Vorschrift gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

257

Bereits die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Pflicht zur Einhaltung der Mindestlohnsumme hat sich als unverhältnismäßige Privilegierung erwiesen (s. oben b bb (3)). Dies gilt erst recht, soweit § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG Gestaltungen zulässt, welche die unentgeltliche Übertragung von Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten ohne Einhaltung der Lohnsummenvorschrift ermöglichen. Dadurch wird die bereits für den gesetzlichen Regelfall festgestellte Unangemessenheit der Benachteiligung von Erwerbern betrieblichen Vermögens, die an die Lohnsumme gebunden sind, und von Erwerbern nicht begünstigten Vermögens verstärkt, deren Belastung mit der Erbschaftsteuer im Verhältnis zu den davon Verschonten noch weniger gerechtfertigt ist, wenn diese ohne hinreichende Rechtfertigung von der Einhaltung der Lohnsummenvorschrift freigestellt werden.

258

Der Bundesfinanzhof beanstandet in seinem Vorlagebeschluss, dass das Gesetz Gestaltungen offen stehe, die es in vielen Fällen ermöglichten, den Verschonungsabschlag auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten zu erhalten, ohne dass es für sie auf die Entwicklung der Lohnsummen und damit auch nicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen in dem Zeitraum nach dem Erwerb ankomme (vgl. BFHE 238, 241 <276 Rn. 145 ff.>). Er führt dazu als Gestaltungsbeispiel an, dass ein Betrieb mit mehr als 20 Beschäftigten vor der Verwirklichung des Steuertatbestands bei gleichen Beteiligungsverhältnissen in eine Besitzgesellschaft mit nicht mehr als 20 Beschäftigten, bei der das Betriebsvermögen konzentriert wird, und in eine Betriebsgesellschaft, deren Betriebsvermögen nach Berücksichtigung der Verbindlichkeiten keinen oder einen nur sehr geringen Steuerwert hat und die eine beliebige Zahl von Beschäftigten haben kann, aufgespalten wird. Die Anforderungen an die Entwicklung der Lohnsumme spielten dann bei der Besitzgesellschaft keine Rolle. Auch im Hinblick auf die Betriebsgesellschaft sei die Lohnsummenregelung mangels der Übertragung von werthaltigem Betriebsvermögen im Ergebnis unbeachtlich. Nach den Angaben des Bundesministeriums der Finanzen liegt die Zahl solcher Gestaltungsfälle jedenfalls über der für eine Beeinflussung der Gesetzeslage relevanten Bagatellgrenze.

259

cc) §§ 13a und 13b ErbStG sind gleichheitswidrig, soweit sie die vom Bundesfinanzhof beanstandeten Gestaltungen in Konzernstrukturen zur Umgehung der Verwaltungsvermögensgrenzwerte zulassen. Indem § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG bei mehrstöckigen Gesellschaftsbeteiligungen Gestaltungen zulässt, nach denen in solchen Konzernstrukturen trotz eines Gesamtanteils von über 50 % an Verwaltungsvermögen oder von über 10 % im Falle der Vollverschonung aus den verschiedenen Beteiligungsebenen ein Verschonungsabschlag gewährt wird, verstößt die Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

260

(1) Zum Verwaltungsvermögen gehören gemäß § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG unter anderem auch Beteiligungen an Gesellschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 EStG sowie Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht unter Nummer 2 fallen, wenn bei diesen Gesellschaften das Verwaltungsvermögen mehr als 50 % beträgt.

261

Danach werden Beteiligungen an dem durch Erbschaft oder Schenkung erworbenen Vermögen an (in- und ausländischen) Personen- und Kapitalgesellschaften - wenn bei letzteren die unmittelbare Beteiligung am Nennkapital mehr als 25 % beträgt - dem Verwaltungsvermögen zugeordnet, sofern auf der Ebene der Beteiligungsgesellschaft das Verwaltungsvermögen mehr als 50 % beträgt. Der Umfang der Beteiligung ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Die Beurteilung der Frage, ob bei einer Beteiligung die schädliche 50 %-Grenze des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG überschritten ist, hat für jede Beteiligungsebene gesondert zu erfolgen. Da der Verwaltungsvermögenstest auf Ebene der Beteiligungsgesellschaften jeweils dem "Alles-oder-Nichts-Prinzip" folgt, ist die Beteiligung an einer Gesellschaft insgesamt nicht dem Verwaltungsvermögen zuzuordnen, wenn dort der Anteil an Verwaltungsvermögen 50 % oder weniger beträgt. Die Prüfung hat jeweils an der untersten Beteiligungsstufe zu beginnen. Bei mehrstufigen Konzernstrukturen kann dies zu einem Kaskadeneffekt führen. Als Folge der Einordnung einer Beteiligung auf unterer Stufe mit einem Verwaltungsvermögensanteil von bis zu 50 % entsteht insgesamt begünstigtes Vermögen, das auf der nächsthöheren Beteiligungsstufe vollständig als begünstigtes Vermögen gewertet wird, obwohl bei einer Gesamtbetrachtung des Konzerns der Verwaltungsvermögensanteil überwiegt.

262

Der Grenzwert von maximal 50 % Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG auf der Ebene von Untergesellschaften gilt auch dann in dieser Höhe, wenn der Steuerpflichtige die vollständige Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 8 ErbStG gewählt hat. Zwar darf bei der Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG in Verbindung mit § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG das Verwaltungsvermögen nicht mehr als 10 % betragen. Dieser Grenzwert bezieht sich allerdings nur auf die unmittelbar erworbenen wirtschaftlichen Einheiten des begünstigten Vermögens. Wenn in einer solchen wirtschaftlichen Einheit Anteile an Kapitalgesellschaften von mehr als 25 % oder Beteiligungen an Personengesellschaften (Untergesellschaften) gehalten werden, findet auf diese dagegen der höhere Grenzwert von 50 % für das Verwaltungsvermögen Anwendung (vgl. Weinmann, in: Moench/Weinmann, ErbStG, BewG, § 13b ErbStG Rn. 185 ; Hannes/Onderka, ZEV 2009, S. 11 <13 f.>; Hannes/Steger, ErbStB 2009, S. 113 <119>; Schulte/Birnbaum/Hinkers, BB 2009, S. 300 <302 f.>).

263

(2) Der Bundesfinanzhof hat in seinem Vorlagebeschluss unter Hinweis auf diese Regelungszusammenhänge beanstandet, dass der nach seiner Auffassung ohnehin schon verfassungswidrige Begünstigungsüberhang durch die Verwaltungsvermögensgrenze in Höhe von 50 % dadurch erweitert werde, dass sich durch eine einfache, durchaus verbreitete, mehrstufige Konzernstruktur der unter die Verschonungsregelung fallende Anteil des Verwaltungsvermögens am Konzernvermögen mit jeder weiteren Beteiligungsstufe deutlich erhöhen lasse, ohne dass dies der Gewährung der Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG entgegenstehe (vgl. BFHE 238, 241 <266 Rn. 102 ff.>). Danach wird ein Beteiligungserwerb noch steuerlich gefördert, bei dem im Ergebnis der Gesamtwert des auf allen Ebenen vorhandenen Verwaltungsvermögens den des "echten" Betriebsvermögens um das Fünfzehnfache übersteigt (vgl. BFHE 238, 241 <267 Rn. 112>), oder - in der Gestaltungsvariante - eine Vollverschonung auch noch bei einem Anteil von über 90 % Verwaltungsvermögen im Gesamtbetrieb gewährt wird (vgl. BFHE 238, 241 <267 Rn. 114>). Selbst wenn der Erblasser oder Schenker bewusst solche dem Erwerber steuergünstige Konzernstrukturen herbei führt, sieht der Bundesfinanzhof darin keine missbräuchlichen Gestaltungen im Sinne von § 42 AO, sondern die Folgen einer verfehlten Gesetzestechnik (vgl. BFHE 238, 241 <268 Rn. 116>).

264

(3) Indem § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG es zulässt, dass auch Vermögen mit einem Verwaltungsvermögensanteil von im Ergebnis weit über 50 % nach §§ 13a und 13b ErbStG begünstigt wird, verstärkt die Vorschrift den ohnehin bereits im Hinblick auf die Grundform der 50 %-Regel in § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG festgestellten Gleichheitsverstoß.

265

(a) Im Ausgangspunkt ist das hinter § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG stehende Anliegen allerdings berechtigt, zur Bestimmung des förderungswürdigen Vermögens auch den durch Erbschaft oder Schenkung erworbenen Beteiligungsbesitz bei der Ermittlung des Verwaltungsvermögensanteils in den Blick zu nehmen. Dies ist erforderlich, um das Ziel des Gesetzgebers, nur überwiegend produktives Vermögen in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen zu lassen (vgl. BTDrucks 16/7918, S. 35 und dazu bereits oben 3. d aa), vor Umgehungen zu bewahren, die es ansonsten gerade in Konzernstrukturen besonders leicht ermöglichten, Verwaltungsvermögen in Tochtergesellschaften auszugliedern.

266

(b) Dass Erben oder Beschenkte von Gesellschaftsbeteiligungen im Sinne von § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG bei entsprechender Beteiligungsstaffelung Betriebsvermögen zu 85 % oder sogar zu 100 % steuerbegünstigt erwerben können, obwohl es bei einer Gesamtbetrachtung zu weit über 50 % (oder bei der Optionsverschonung zu weit über 10 %) aus Verwaltungsvermögen besteht, führt zu einer gravierenden Ungleichbehandlung gegenüber jenen, die außerhalb einer solchen Beteiligungsstaffelung bei einer Überschreitung der 50 %- oder 10 %-Grenze ansonsten nicht in den Genuss einer Steuerverschonung kommen. Die Vorschrift verstärkt zudem die in der Grundregel über das Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG angelegte Ungleichbehandlung zwischen begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen, weil sie zulässt, dass beim Übergang grundsätzlich begünstigten Vermögens in noch größerem Umfang, als nach dieser Grundentscheidung vorgesehen, eigentlich nicht begünstigungsfähiges Vermögen zum begünstigten gezählt wird (s. dazu bereits oben 3. d bb).

267

(c) Die Privilegierung gegenüber jenen Erben von grundsätzlich begünstigtem Vermögen, die zur Erlangung der Steuerverschonung strikt an die 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG gebunden sind, ist nicht gerechtfertigt, weil die solchen Gestaltungen offene Norm damit keines der mit der Differenzierung zwischen produktivem und nicht produktivem Vermögen verfolgten legitimen Ziele in einem Maße fördert, das diese Ungleichbehandlungen aufwiegen könnte.

268

(aa) Sie sind hier noch weniger als bei der 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG (s. oben 3. d ee (2)) durch das mit dem Ausschluss des Verwaltungsvermögens verfolgte Regelungsziel gerechtfertigt, die Verschonung auf förderungswürdiges Vermögen zu begrenzen und nicht förderungswürdiges Vermögen davon auszuschließen. Ausgehend davon, dass der Gesetzgeber das in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG umschriebene Verwaltungsvermögen für grundsätzlich nicht förderungswürdig hält und sich dieses auch der Sache nach nicht von nicht begünstigten nichtbetrieblichen Vermögen unterscheidet, ist in den von § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG erfassten Beteiligungsfällen bei Konzernstrukturen noch weniger als im Grundfall der 50 %-Regelung des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG (s. oben 3. d ee (2) (a)) erkennbar, inwieweit das hiernach mögliche Ergebnis, demzufolge erworbene Beteiligungen mit einem Gesamtanteil von weit über 50 % Verwaltungsvermögen begünstigt werden können, dem Ziel zu dienen vermag, die Verschonung auf förderungswürdiges Vermögen zu begrenzen. Ebenso wenig zu rechtfertigen ist im Übrigen das Ergebnis eines nach § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG nicht auszuschließenden gegenteiligen Kaskadeneffekts, der - insoweit allerdings nicht als Folge einer steuerlichen Gestaltung sondern ungewollt - dazu führen kann, dass in mehrfach gestuften Beteiligungsverhältnissen sich auf der für die Inanspruchnahme des Verschonungsabschlags maßgeblichen obersten Gesellschaftsstufe ein Verwaltungsvermögensanteil von über 50 % ergibt, obwohl der Anteil an solchem nicht förderungswürdigen Vermögen in der Summe aller Beteiligungen weit unter 50 % liegt.

269

(bb) Es liegt auf der Hand, dass die aufgezeigten schwerwiegenden Ungleichbehandlungen, die namentlich durch steuerliche Gestaltungen auf der Grundlage von § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG herbeigeführt werden können (vgl. BTDrucks 16/8547, S. 5 f. und BRDrucks 318/10, S. 152), auch nicht mit dem ursprünglichen Ziel dieser Bestimmung gerechtfertigt werden können, steuerliche Umgehungsgestaltungen in Bezug auf den Verwaltungsvermögenstest zu vermeiden. In der vorliegenden Form lädt die Norm zu solchen Gestaltungen geradezu ein (ähnlich bereits zu § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG oben 3. d ee (2) (b)).

270

(cc) Die durch § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG eröffneten Möglichkeiten, den zulässigen Verwaltungsvermögensanteil durch entsprechende Konzerngestaltungen zu erhöhen, sind weder unter Pauschalierungsgesichtspunkten noch durch Gründe der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt. Die Verwaltungsvermögensquote muss, schon um § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG ordnungsgemäß anzuwenden, ohnehin auf der Ebene jeder Beteiligungsgesellschaft gesondert ermittelt werden. Selbst wenn eine Vereinfachung darin gesehen werden könnte, dass es nach der geltenden Rechtslage in eindeutigen Fällen, in denen ein Unter- oder Überschreiten der 50 %-Grenze des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG offensichtlich ist, keiner genaueren Bestimmung der konkreten Verwaltungsvermögensquote bedarf, hätte sie doch kein solches Gewicht, das die erhebliche Besserstellung der Verschonung von Erwerben mit in der Summe weit über 50 % - oder bei der Vollverschonung weit über 10 % - Verwaltungsvermögen rechtfertigen könnte.

271

dd) §§ 13a und 13b ErbStG sind gleichheitswidrig, soweit sie die Begünstigung der vom Bundesfinanzhof angeführten "Cash-Gesellschaften" zulassen. Die Bestimmungen des § 13b Abs. 1 und 2 ErbStG in der bis zum Inkrafttreten des neu durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26. Juni 2013 (BGBl I S. 1809) eingefügten § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG geltenden Fassung über die Abgrenzung zwischen begünstigtem Vermögen und nicht begünstigtem Verwaltungsvermögen verstoßen gegen Art. 3 Abs. 1 GG, indem sie rein vermögensverwaltende Gesellschaften, deren Vermögen ausschließlich aus Geldforderungen besteht - wie die sogenannte Cash-GmbH -, zum begünstigten Vermögen zählen.

272

(1) Unter einer "Cash-GmbH" ist nach der Darstellung des Bundesfinanzhofs in seinem Vorlagebeschluss eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu verstehen, deren Vermögen ausschließlich aus nicht zum Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG gehörenden Geldforderungen besteht (vgl. BFHE 238, 241 <268 Rn. 117>). Gemäß § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG zählen zwar Wertpapiere sowie vergleichbare Forderungen zum Verwaltungsvermögen, wenn sie nicht dem Hauptzweck des Gewerbebetriebs, eines Kreditinstitutes, eines Finanzdienstleistungsinstitutes oder eines Versicherungsunternehmens zuzurechnen sind. Geldforderungen wie etwa Sichteinlagen, Sparanlagen und Festgeldkonten bei Kreditinstituten sowie Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und Forderungen an verbundene Unternehmen sowie Bargeld gehören nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (vgl. BFHE 238, 241 <248 Rn. 38, 268 Rn. 117 und 271 Rn. 127>), die insoweit mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum (s. dazu die Nachweise in BFHE 238, 241 <248 Rn. 38>) und der Praxis der Finanzverwaltung (vgl. R E 13b.17 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 2011 und insbesondere H E 13b.17 der Hinweise zu den ErbStR 2011) übereinstimmt, nicht zu den Wertpapieren und sonstigen vergleichbaren Forderungen und sind somit kein Verwaltungsvermögen.

273

Damit konnten bis zum Wirksamwerden der Neuregelung des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG zum 7. Juni 2013 - mithin in dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum - Anteile an einer zu mehr als 25 % vom Erblasser oder Schenker gehaltenen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG), deren Vermögen ausschließlich aus Geldforderungen bestand, bei Beachtung der Behaltensregelung des § 13a Abs. 5 ErbStG weitgehend oder vollständig steuerfrei übertragen werden. Die für junges Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG vorgesehene Vorbesitzzeit galt für dieses Geldvermögen nicht, da gerade kein Verwaltungsvermögen vorlag. Der Bundesfinanzhof weist zudem darauf hin, dass es bei der Übertragung solcher GmbH-Anteile auf die Erreichung bestimmter Lohnsummen und somit die Erhaltung von Arbeitsplätzen nach dem Erwerb regelmäßig nicht ankomme, weil eine "Cash-GmbH" kaum je mehr als 20 Beschäftigte habe (vgl. BFHE 238, 241 <268 Rn. 117>). Dasselbe Ergebnis wie bei einer "Cash-GmbH" konnte nach den Ausführungen des Bundesfinanzhofs auch über eine lediglich vermögensverwaltende, aber gewerblich geprägte Personengesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG erreicht werden (vgl. BFHE 238, 241 <269 Rn. 119> unter Hinweis auf § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).

274

(2) Soweit die durch das Gesetz eröffnete Gestaltungsmöglichkeit dazu eingesetzt wird, durch Einbringung an sich nicht begünstigten privaten Geldvermögens in eine "Cash-Gesellschaft" begünstigtes Betriebs- oder Gesellschaftsvermögen zu schaffen, begründet das eine Besserstellung dieses Geldvermögens gegenüber sonstigem nicht begünstigten, weil nicht betrieblichem Geldvermögen wie auch gegenüber sonstigem Verwaltungsvermögen. Die Zulassung von "Cash-Gesellschaften" verschärft zudem die Ungleichbehandlung zwischen begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen entsprechend der Grundunterscheidung der Verschonungsregelung, indem der Bereich begünstigten Vermögens insoweit unter Verzicht auf die eingrenzende Wirkung der Lohnsummenregelung ausgedehnt wird.

275

(3) Für die steuerliche Privilegierung von Geldvermögen in einer ausschließlich vermögensverwaltenden "Cash-Gesellschaft" sprechen offensichtlich keine Gründe von solchem Gewicht, dass sie die damit verbundene erhebliche - weil in Bezug auf das betroffene Geldvermögen vollständige und in der Höhe unbegrenzte - Besserstellung gegenüber sonstigem nicht betrieblichem Geldvermögen oder sonstigem Verwaltungsvermögen tragen könnten. Auf die Frage der Eignung oder Erforderlichkeit dieser Differenzierung kommt es daher nicht an.

276

Die mit den Bestimmungen über das Verwaltungsvermögen verfolgten legitimen Ziele, grundsätzlich nur produktives Vermögen in dem dort umschriebenen Sinn zu fördern und Umgehungsstrategien zu verhindern (s. oben 3. d cc), werden mit der gesetzlich nicht unterbundenen Zuordnung der "Cash-Gesellschaften" zum begünstigten Vermögen gerade nicht gefördert. Indem über die Figur der "Cash-Gesellschaften" das gesamte Geldvermögen dieser Unternehmen als steuerlich begünstigt behandelt wird, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um für die Liquidität des Betriebs notwendige Finanzmittel handelt, wird dieses Geldvermögen gegenüber sonstigem, nicht in einen Betrieb eingebrachtem Geldvermögen wie auch gegenüber Verwaltungsvermögen ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund substantiell besser gestellt. In eine ausschließlich vermögensverwaltende "Cash-Gesellschaft" eingebrachtes Geldvermögen ist im Allgemeinen ebenso wenig risikobehaftetes, produktives Betriebsvermögen wie das sonstige in § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG als grundsätzlich nicht förderungswürdig angesehene Verwaltungsvermögen. Der Erhalt solcher "Cash-Gesellschaften" dient in aller Regel auch nicht der Sicherung von Arbeitsplätzen, weil solche dort typischerweise nicht in nennenswerter Zahl vorhanden sind und deshalb bei deren Erwerb auch keine Bindung an die Lohnsummenregel besteht. Deshalb gibt es keine Rechtfertigung, sie dem Erwerb sonstigen begünstigten Vermögens gleich zu behandeln, dessen Verschonung von der Erbschaftsteuer dem Erhalt der Arbeitsplätze und dem Bestand von in personaler Verantwortung geführten Betrieben in Deutschland dienen soll (s. oben 2. c).

277

Die Gleichheitswidrigkeit der undifferenzierten und unbegrenzten steuerlichen Förderung von Geldvermögen, sofern es in einen als Personen- oder Kapitalgesellschaft organisierten Betrieb eingebracht ist, steht einer Ausgestaltung der Verschonungsregelung nicht entgegen, die der grundsätzlich für jeden Betrieb bestehenden Notwendigkeit liquider Mittel angemessen Rechnung trägt. Dies näher zu bestimmen, ist Aufgabe des Gesetzgebers, welcher dieser nunmehr mit dem neuen § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG nachgekommen ist, der allerdings nicht Gegenstand der Vorlage ist. Dabei steht ihm ein beträchtlicher Einschätzungs- und Typisierungsspielraum zu, der aber eben nicht die vollständige Freistellung jeglichen Geldvermögens in unbegrenzter Höhe und ohne Rücksicht auf möglicherweise auch nur typisierend angenommene betriebliche Erfordernisse trägt.

C.

I.

278

1. Die Bestimmungen über die Verschonung des unentgeltlichen Erwerbs begünstigten Vermögens von der Schenkung- und Erbschaftsteuer in §§ 13a und 13b ErbStG sind mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen.

279

Gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen außerdem die Freistellung von der Pflicht zur Einhaltung der Lohnsummenregelung nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG als Voraussetzung der Verschonung, soweit sie für Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten gilt, und die Regelung über das Verwaltungsvermögen in § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG, soweit sie bei Vorliegen der übrigen Förderbedingungen begünstigtes Vermögen (vgl. § 13b Abs. 1 ErbStG) selbst dann insgesamt in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen lässt, wenn es bis zu 50 % aus vom Gesetz als grundsätzlich nicht förderungswürdig angesehenem Verwaltungsvermögen besteht.

280

§§ 13a und 13b ErbStG sind schließlich nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, soweit sie zu nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen führende steuerliche Gestaltungen zulassen oder jedenfalls bis zum 6. Juni 2013 zuließen, nämlich die exzessive Ausnutzung der Befreiung von der Lohnsummenpflicht durch die Aufspaltung in Besitz- und Betriebsgesellschaft, die Umgehung der 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG für Verwaltungsvermögen durch Nutzung von Konzernstrukturen und die Begünstigung von Geldvermögen durch die Schaffung von "Cash-Gesellschaften".

281

2. Die festgestellten Verfassungsverstöße betreffen für sich genommen die §§ 13a und 13b ErbStG zwar jeweils nur in Teilbereichen, erfassen damit aber die gesamte Verschonungsregelung in ihrem Kern. Die Bestimmung über die Lohnsumme ist ein wesentlicher Baustein in dem Verschonungskonzept, mit dem der Gesetzgeber das Ziel des Arbeitsplatzerhalts sicherstellen will. Die Sicherung der Arbeitsplätze ist neben dem Schutz der in personaler Verantwortung geführten Betriebe in Deutschland der zentrale Rechtfertigungsgrund für die umfassende Steuerfreistellung betrieblichen Vermögens. Auch die Bestimmungen über das Verwaltungsvermögen sind ein wesentlicher Bestandteil der vom Gesetzgeber mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz geschaffenen Verschonungsregelung für die unentgeltliche Betriebsübertragung. Die Notwendigkeit, zumindest eine Bedürfnisprüfung ab einer bestimmten Größenordnung übertragenen Vermögens einzuführen, um die Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung begünstigten Vermögens gegenüber nicht begünstigtem Vermögen zu wahren, betrifft die Verschonungsregelung für einen Teilbereich schließlich in ihrer Grundstruktur.

282

Mit den festgestellten Gleichheitsverstößen erweisen sich wichtige Bausteine der Gesamtregelung als verfassungswidrig. Ohne sie können die restlichen - nicht beanstandeten - Regelungsbestandteile der §§ 13a und 13b ErbStG nicht sinnvoll angewandt werden. Jedenfalls würde dies zu Ergebnissen führen, die vom Gesetzgeber so nicht gewollt sind (vgl. BVerfGE 8, 274 <301>). Ein verfassungsgemäßer Zustand kann daher nur durch eine umfassende Nachbesserung oder grundsätzliche Neukonzeption der Gesamtverschonungsregelung herbeigeführt werden. Die festgestellten Gleichheitsverstöße erfassen folglich die §§ 13a und 13b ErbStG insgesamt. Dies gilt für die Vorschriften in ihrer Ursprungsfassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008 (BGBl I S. 3018), darüber hinaus aber auch für die Folgefassungen. Denn die Schließung der Gesetzeslücke betreffend die "Cash-Gesellschaften" durch den mit dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26. Juni 2013 eingefügten § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG hat diesen Mangel zwar beseitigt, die Verfassungswidrigkeit der anderen Gestaltungsmöglichkeiten, der uneingeschränkten Begünstigung sehr großer Vermögen, der Lohnsummenregelung und der Verwaltungsvermögensgrenze im Übrigen aber unberührt gelassen.

283

Die Gesamtverfassungswidrigkeit der Besteuerung des Unternehmensübergangs nach Maßgabe der §§ 13a und 13b ErbStG bei Erbschaft und Schenkung erfasst notwendig auch die Besteuerung des unentgeltlichen Übergangs von nicht begünstigtem (Privat-)Vermögen. Entfallen nämlich die steuerbegünstigenden Vorschriften der §§ 13a und 13b ErbStG, könnten nicht stattdessen die allgemeinen Regeln über den erbschaftsteuerlichen Zugriff auf Erbe oder Schenkung auch für den Übergang von Betrieben Anwendung finden. Eine Belastung aller Unternehmensübergänge nach den allgemeinen erbschaftsteuerrechtlichen Grundsätzen ohne unternehmensspezifische Privilegierungen widerspräche offensichtlich dem in dem Steuerverschonungskonzept der §§ 13a und 13b ErbStG zum Ausdruck gekommenen - und im Grundsatz verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstandenden (dazu B. III. 2.) - Willen des Gesetzgebers. Auf der anderen Seite fehlt es für einen völligen Verzicht auf die Besteuerung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens im Falle der Verfassungswidrigkeit von §§ 13a und 13b ErbStG an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage wie auch an einem hinreichenden Rechtfertigungsgrund für eine derart umfassende Steuerbefreiung. Ohne eine vom Willen des Gesetzgebers getragene Besteuerungsregelung für Unternehmensübergänge ist eine lastengerechte Erhebung der Erbschaftsteuer in den übrigen Fällen jedoch ebenfalls nicht ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG möglich.

284

Dem wird durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des vom Bundesfinanzhof vorgelegten § 19 Abs. 1 ErbStG Rechnung getragen. Diese Regelung, welche die Besteuerung begünstigten wie nicht begünstigten Vermögens gleichermaßen betrifft, ist daher ebenfalls für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG zu erklären. Damit ist die Erhebung der Erbschaftsteuer auch für den Übergang von Privatvermögen blockiert.

II.

285

Allerdings bleibt es hier bei der bloßen Feststellung der Unvereinbarkeit der §§ 13a und 13b und des § 19 Abs. 1 ErbStG mit Art. 3 Abs. 1 GG. Zugleich wird die begrenzte Fortgeltung dieser Normen angeordnet und dem Gesetzgeber die Neuregelung binnen einer angemessenen Frist aufgegeben.

286

1. Die bloße Unvereinbarkeitserklärung einer verfassungswidrigen Norm ist regelmäßig geboten, wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Das ist grundsätzlich bei Verletzungen des Gleichheitssatzes der Fall (vgl. BVerfGE 99, 280 <298>; 105, 73 <133>; 107, 27 <57>; 117, 1 <69>; 122, 210 <245>; 126, 400 <431>; stRspr). Stellt das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit einer Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG fest, folgt daraus in der Regel die Verpflichtung des Gesetzgebers, rückwirkend, bezogen auf den in der gerichtlichen Feststellung genannten Zeitpunkt, die Rechtslage verfassungsgemäß umzugestalten (vgl. etwa BVerfGE 105, 73 <133 f.> m.w.N.). Hierzu kann das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Frist setzen (vgl. BVerfGE 117, 1 <70>). Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen die Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen (vgl. BVerfGE 73, 40 <101>; 105, 73 <134>; 126, 400 <431>).

287

Im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschlossenen Veranlagung hat das Bundesverfassungsgericht allerdings wiederholt die weitere Anwendbarkeit verfassungswidriger Normen für gerechtfertigt erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist eingeräumt, um binnen angemessener Zeit verfassungsgemäße Regelungen zu erlassen (vgl. etwa BVerfGE 87, 153 <178>; 93, 121 <148 f.>; 123, 1 <38>; 125, 175 <258>).

288

2. a) Der Senat hält es danach für geboten, die §§ 13a und 13b in Verbindung mit § 19 Abs. 1 ErbStG lediglich für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG zu erklären und zugleich deren Fortgeltung anzuordnen.

289

Die aus einem solchen Ausspruch folgende Nichtanwendbarkeit der Bestimmungen, verbunden mit der Pflicht des Gesetzgebers zur - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats - rückwirkenden Neuregelung brächte erhebliche haushaltswirtschaftliche Unsicherheiten und nach einer solchen Neuregelung gravierende verwaltungstechnische Probleme bei der dann gebotenen Rückabwicklung mit sich. Während der in diesem Fall regellosen Übergangszeit bis zur Neugestaltung der Bestimmungen könnten Erb- und Schenkungsfälle steuerrechtlich nicht abgewickelt werden.

290

Mangels gültiger Regelung bliebe während der Übergangszeit auch das Aufkommen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer nach Grund und Umfang im Unklaren. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer leistet zwar nur einen untergeordneten Beitrag zum Gesamtsteueraufkommen. Als Steuer, deren Aufkommen ausschließlich den Ländern zufließt (Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG), kommt ihr aber für die finanzielle Ausstattung der Länder erhebliche Bedeutung zu; in den Jahren 2012 und 2013 machte sie annähernd 30 % des Aufkommens an Ländersteuern aus (vgl. Tabellarische Übersicht der kassenmäßigen Steuereinnahmen nach Steuerarten und Gebietskörperschaften in den Kalenderjahren 2010 bis 2013 des Bundesministeriums der Finanzen).

291

Schwer erträglich wäre die Ungewissheit über den Inhalt der künftigen, dann mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Verkündung des Urteils in Kraft zu setzenden Regeln des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts aber vor allem für die Inhaber von Unternehmen und ihre künftigen Erben oder sonstigen Nachfolger. Sie haben ein berechtigtes Interesse an einer verlässlichen Rechtsgrundlage für die Nachfolgeplanung auch in steuerrechtlicher Hinsicht.

292

b) Mit Rücksicht auf die vorstehenden Erwägungen ordnet der Senat die Fortgeltung der für gleichheitswidrig befundenen Normen bis zu einer Neuregelung an. Die Fortgeltung der beanstandeten Vorschriften ist auch deshalb hinnehmbar, weil der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26. Juni 2013 eine der Hauptlücken für unerwünschte steuerliche Gestaltungen durch "Cash-Gesellschaften" weitgehend geschlossen hat. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Anordnung der Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen keinen Vertrauensschutz gegen eine auf den Zeitpunkt der Verkündung dieses Urteils bezogene rückwirkende Neuregelung begründet, die einer exzessiven Ausnutzung gerade der als gleichheitswidrig befundenen Ausgestaltungen der §§ 13a und 13b ErbStG die Anerkennung versagt.

293

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 30. Juni 2016 zu treffen.

294

Die Entscheidung ist im Ergebnis und in der Begründung einstimmig ergangen; die weitere Begründung, die drei Mitglieder des Senats in ihrer abweichenden Meinung der Entscheidung beigefügt haben, bleibt hiervon unberührt.

Abw. Meinung

1

Wir stimmen der Entscheidung zu, sind aber der Ansicht, dass zu ihrer Begründung ein weiteres Element gehört: Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Die Beurteilung der mit den angegriffenen Vorschriften bewirkten Ungleichbehandlungen im Lichte des Sozialstaatsprinzips sichert die Entscheidung weiter ab und macht ihre Gerechtigkeitsdimension erst voll sichtbar.

2

1. Die Erbschaftsteuer ist ein Beitrag zur Herstellung sozialer Chancengleichheit, die sich in einer freien Ordnung nicht von selbst herstellt. Die freie Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik beruht auf der für den modernen Staat selbstverständlichen Annahme der rechtlichen Freiheit und Gleichheit aller Bürger. Mit dieser durch die Verfassung gewährleisteten Grundlegung des Gemeinwesens in der Freiheit und Besonderheit des Einzelnen werden gesellschaftliche Ordnungsbildung und Entwicklung weitgehend dem freien Spiel der Konkurrenz und sich hierbei bildender Unterscheidungen überlassen. Die rechtliche Gleichheit verbunden mit der individuellen Handlungs- und Erwerbsfreiheit und der Garantie des Eigentums entbindet eine weitreichende Dynamik und führt unweigerlich zur Entstehung materieller Ungleichheit unter den Bürgern. Dies ist gewollt und elementarer Inhalt einer freiheitlichen Rechtsordnung. Insoweit bedarf es aber eines Ausgleichs. Dies gilt insbesondere für die Eigentumsordnung, denn im Eigentum gerinnt die Ungleichheit der freigesetzten Gesellschaft zur Materie und wird Ausgangspunkt neuer Ungleichheiten (vgl. Sondervotum Böckenförde zur Vermögensteuer, BVerfGE 93, 149 <162 f.>).

3

Das Grundgesetz hat mit seiner Verpflichtung aller öffentlicher Gewalt auf das Sozialstaatsprinzip die Ausrichtung auf soziale Gerechtigkeit zu einem leitenden Prinzip aller staatlichen Maßnahmen erhoben (vgl. BVerfGE 5, 85 <198>, auch BVerfGE 52, 303 <348>; 134, 1 <14 f. Rn. 41 f.>). Die Erbschaftsteuer dient deshalb nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst. Dass hier auch in Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eine Herausforderung liegt, zeigt die Entwicklung der tatsächlichen Vermögensverteilung. Verwies schon Böckenförde in seinem Sondervotum für das Jahr 1993 darauf, dass 18,4 % der privaten Haushalte über 60 % des gesamten Nettogeldvermögens verfügten (BVerfGE 93, 149 <164>), lag dieser Anteil bereits im Jahr 2007 in den Händen von nur noch 10 % (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Lebenslagen in Deutschland - Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung, Aktualisierung der Berichterstattung über die Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland, Endbericht, 2011, S. 138). Gerade die Konzentration des Vermögens im obersten Dezil ist im vergangenen Jahrzehnt stark gestiegen, wobei das wahre Ausmaß an Ungleichheit bei der Verteilung des Vermögens auch mit diesen Zahlen noch nicht voll erfasst ist, weil die Haushalte mit dem besonders großen Vermögen mangels von den Betroffenen zu erlangender Zahlen nicht berücksichtigt werden konnten (Nachweise in: DIW Wochenbericht 9 [2014], S. 151 <154 f.>). Demgegenüber verfügten rund 28 % der erwachsenen Bevölkerung im Jahr 2012 über kein beziehungsweise ein negatives Vermögen, wobei dieser Anteil seit dem Jahr 2002 ebenfalls signifikant angestiegen ist (vgl. DIW Wochenbericht 9 [2014], S. 151 <153>). Der für die Vermögensverteilung international herangezogene Gini-Koeffizient ist entsprechend von 0,62 im Jahr 1993 auf 0,78 im Jahr 2012 gestiegen, sodass Deutschland gegenwärtig innerhalb der Eurozone den höchsten Grad an Ungleichheit bei der Verteilung des Vermögens aufweist. Als Ursache für die wachsende Ungleichheit lässt sich nach der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausmachen, dass gerade die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen im Vergleich zu den Arbeitnehmerentgelten überdurchschnittlich gestiegen sind (vgl. DIW Wochenbericht 9 [2014], S. 151 <157 f.>).

4

Die Erbschaftsteuer bestimmt und beschränkt in Blick hierauf den Inhalt des in Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Erbrechts. Sie wirkt damit der Gefahr entgegen, dass durch eine zunehmende Ungleichverteilung von Mitteln die Chancen auf gesellschaftliche wie politische Teilhabe auseinanderdriften und sich so letztlich Einfluss und Macht zunehmend unabhängig von individueller Leistung verfestigen und an Herkunft gebunden sind. Mit diesem Zweck ist die Erbschaftsteuer ein Instrument, mit dem der Staat ungleichen Lebenschancen entgegenwirkt. Der mit ihr ins Werk gesetzte Ausgleich trägt dazu bei, dass persönliche Freiheitswahrnehmung und Fähigkeiten nicht nur abstrakt, sondern real die Grundlage unserer Ordnung bleiben und sich so Freiheit und Gleichheit auch in der Lebenswirklichkeit verbinden.

5

2. Die Schaffung eines Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik - nicht aber in ihrem Belieben. Mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG nimmt das Grundgesetz den Gesetzgeber in die Pflicht, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen (vgl. BVerfGE 22, 180 <204>). Ungeachtet der hier nicht zu entscheidenden Frage, ob beziehungsweise unter welchen Umständen der Gesetzgeber auf die Erhebung einer Erbschaftsteuer verzichten könnte, trägt er dieser Pflicht mit der Erbschaftsteuer jedenfalls im Rahmen des geltenden Steuer- und Sozialsystems Rechnung. Dies wirkt sich auch auf die Anforderungen an deren Ausgestaltung aus. Begründet er durch Befreiungen, wie sie im vorliegenden Verfahren zu beurteilen sind, Ungleichbehandlungen, unterliegen diese einer umso größeren Rechtfertigungslast, je mehr sie geeignet sind, soziale Ungleichheiten zu verfestigen.

6

Wie der Senat schon für die Gleichheitsprüfung betont, belässt die Verfassung dem Gesetzgeber dabei freilich einen weiten Spielraum. Der Gesetzgeber ist insoweit aber auch aufgrund seiner Bindung an Art. 20 Abs. 1 GG nicht nur berechtigt, Ererbtes und Schenkungen steuerlich zu belasten, sondern auch besonderen Rechtfertigungsanforderungen unterworfen, je mehr von dieser Belastung jene ausgenommen werden, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen leistungsfähiger sind als andere. Die vom Senat entwickelten Rechtfertigungsanforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG für die privilegierende Befreiung von unternehmerischen Vermögen von der Erbschaftsteuer erhalten hierdurch eine weitere verfassungsrechtliche Grundierung. So hat es auch eine sozialstaatliche Dimension, wenn - wie in der Entscheidung im Einzelnen dargelegt - Verschonungsregeln so gestaltet sein müssen, dass mit ihrer Hilfe nicht zugleich auch im großen Umfang nicht unternehmerisches Privatvermögen der Erbschaftsteuer entzogen werden kann oder durch Gestaltungsmöglichkeiten die gemeinnützigen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Ziele der Befreiungen umgangen werden können. Eine solche sozialstaatliche Dimension hat vor allem aber auch der vom Senat anerkannte zunehmende Rechtfertigungsbedarf in Abhängigkeit von dem Maß der Ungleichbehandlung und damit dem Umfang des verschonten Vermögens. Werden gerade diejenigen verschont, die als erfolgreiche Unternehmer über die größten Vermögen und damit auch über erheblichen Einfluss auf das Gemeinwesen verfügen, und wird gerade ihnen ermöglicht, dieses Vermögen unter Befreiung der sonst nach Leistungsfähigkeit auferlegten Lasten an Dritte, insbesondere an Familienmitglieder, weiterzureichen, ohne dass diese hierfür eigene Leistung oder Fähigkeiten eingebracht hätten, verfestigt und verstärkt dies die ökonomische Ungleichheit. Die in der Entscheidung entwickelten Maßgaben tragen demgegenüber dazu bei, dass Verschonungsregelungen nicht zur Anhäufung und Konzentration größter Vermögen in den Händen Weniger führen.

7

Zu Recht allerdings hebt die Entscheidung hervor, dass auch bei dem Erwerb sehr großer und größter Vermögen Steuerbefreiungen gerechtfertigt sein können. Dies verlangt aber, dass die Verschonung im Einzelfall zur Erhaltung von Arbeitsplätzen oder sonst zum gemeinen Wohl und damit zur Verwirklichung des Sozialstaates tatsächlich erforderlich ist. Nur dann ist die durch sie begründete Ungleichbehandlung gerechtfertigt. Das Sozialstaatsprinzip strahlt so in den Gleichheitssatz hinein.

Tenor

Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. April 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Mai 2010 geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2006 und die Widerspruchsbescheide vom 16. Mai 2007 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) bei Eltern im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder zu reduzieren sind.

2

Die Klägerin und der Kläger - verheiratete Eltern ihrer drei 1990, 1992 und 1995 geborenen Kinder - waren bei der Beigeladenen zu 3. versicherungspflichtig beschäftigt und Mitglied der beklagten Krankenkasse sowie bei der Beigeladenen zu 1. pflege- und bei der Beigeladenen zu 2. rentenversichert; seit Juli 2010 ist die Klägerin anderweit beschäftigt.

3

Im Juli 2006 beantragten die Kläger bei der Beklagten als Einzugsstelle unter Bezugnahme auf das Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - zur sPV (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2, im Folgenden: sPV-Urteil) mit Blick auf die Betreuungs- und Erziehungsleistungen für ihre Kinder die beitragsmindernde Berücksichtigung ihres Unterhalts in den oben genannten Versicherungszweigen. Dies lehnte die Beklagte ab, da der Gesetzgeber seinen Pflichten aus dem sPV-Urteil mit Schaffung des Kinder-Berücksichtigungsgesetzes (KiBG) vom 15.12.2004 (BGBl I 3448; KiBG) nachgekommen sei (ua Einführung eines Beitragszuschlags für Kinderlose von 0,25 Beitragssatzpunkten in der sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI - Art 1 Nr 1 KiBG) und die Versicherungsträger an die gesetzlichen Vorgaben gebunden seien (Bescheid vom 20.7.2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16.5.2007).

4

Das SG hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 11.5.2010).

5

Im anschließenden Berufungsverfahren haben die Kläger begehrt, dass die Sozialversicherungsbeiträge nur nach der "Hälfte der bisherigen Bemessung" erhoben werden, hilfsweise, dass bei der Beitragsbemessung 833 Euro je Kind und Monat bzw (weiter) hilfsweise, dass ein Betrag in Höhe des steuerlichen Existenzminimums abgezogen wird. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beitragsbemessung bei den Klägern entspreche den gesetzlichen Regelungen. Diese Regelungen verstießen nicht gegen Art 6 Abs 1 iVm Art 3 GG, weil der Gesetzgeber einen weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum habe. Als Konkretisierung und Ausformung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages nach Art 6 Abs 1 GG sei dabei auch der Familienlastenausgleich zu berücksichtigen, selbst wenn sich die additive Höhe der hierdurch bewirkten Entlastung von Familien nicht konkret beziffern lasse. Der Gesetzgeber habe das Verfassungsrecht bei der Ausgestaltung der Teilsysteme der Sozialversicherung beachtet, weil er den Familienlastenausgleich durch zahlreiche Vorschriften ausgebaut (zB Kindererziehungszeiten in der GRV; kostenfreie Familienversicherung in der GKV) und er die Entscheidung des BVerfG für die sPV mit dem KiBG zudem beanstandungsfrei umgesetzt habe. Das BVerfG selbst habe die Erwägungen des sPV-Urteils in der Folgezeit nicht auf andere Sozialversicherungszweige übertragen, sondern sei - in einem Urteil zur Alterssicherung der Landwirte (BVerfGE 109, 96 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2)- davon sogar abgerückt. Auch das BSG habe aus dem sPV-Urteil keinen verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf für andere Sozialversicherungszweige hergeleitet. Einer Beweiserhebung habe es bei alledem weder unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs der Kläger noch unter demjenigen der Amtsermittlungspflicht bedurft, insbesondere nicht zu der von den Klägern postulierten Pflicht, durch Sachverständige einzelne "Transfersalden" für Kinder zu ermitteln. Da der Familienlastenausgleich durch zahlreiche Regelungen des Sozialrechts und des Steuerrechts bewirkt werde, komme es auf solche Ermittlungen wegen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht an. Der Familienlastenausgleich sei nicht isoliert auf das Sozialversicherungsrecht bezogen (Urteil vom 24.4.2012).

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger - mit umfänglichem Vorbringen - im Wesentlichen, das LSG habe verkannt, dass die einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen zur Beitragsbemessung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstießen, soweit versicherte Eltern mit gleich hohen Beiträgen wie kinderlose Versicherte belastet würden. Konkret rügen sie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in Bezug auf die GRV durch § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 der Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze in der GRV für das Jahr 2012(vom 19.12.2011, BGBl I 2795; Beitragssatzverordnung 2012 - BSV 2012), hinsichtlich der GKV durch § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V, und im Hinblick auf die sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI sowie durch § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1 SGB XI und § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V.

7

Das BVerfG habe sich in seinem sPV-Urteil von einem leistungsrechtlichen Ansatz distanziert. Es diskutiere dort die unzureichende Kompensation der Erziehungslasten nicht mehr unter dem Aspekt der allgemeinen leistungsrechtlichen Förderungspflicht des Staates (Art 6 Abs 1 GG), sondern als Gleichheits- und Teilhabeproblem (Art 3 Abs 1 GG) unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz werde zu einem Grundrecht auf "intragene-rationelle Gleichbehandlung" fortentwickelt.

8

Die Systeme der GRV, GKV und sPV erfüllten die Voraussetzungen, die das BVerfG für eine zu beanstandende fehlende Differenzierung im Beitragsrecht zwischen Eltern und Kinderlosen aufgestellt habe (= Abdeckung eines in einem geschlossenen intergenerationellen System erfassten Risikos, das überproportional im Alter auftrete und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert werde; Absehbarkeit, dass ein signifikanter Teil der Versicherten kinderlos bleibe). Das sPV-Urteil sei auch auf die GRV und die GKV zu übertragen: GRV und GKV deckten als umlagefinanzierte Systeme ebenso wie die sPV ein Risiko ab, das überproportional im Alter auftrete. Die Mindestgeschlossenheit der Systeme folge in Zusammenschau mit der Rechtsprechung des BVerfG zur Alterssicherung der Landwirte daraus, dass 87 % der Bevölkerung in der sPV, 80 % der erwerbstätigen Bevölkerung in der GRV und 90 % der Bevölkerung in der GKV versichert seien. Zudem sei die Geburtenrate von 2,49 Kindern je Frau - Mitte der 1960er Jahre - auf mittlerweile 1,3 Kinder gesunken. Da die Kindererziehung für die Funktionsfähigkeit der Systeme genauso bedeutsam sei wie die Beiträge, erhielten Kinderlose in allen drei Sozialversicherungssystemen einen spezifischen, systembedingten Vorteil, der nach der Rechtsprechung des BVerfG auch innerhalb des jeweiligen Systems ausgeglichen werden müsse. Die Pflicht zum Ausgleich bestehe nur auf der Beitragsseite, da die Belastung der Eltern in der Erwerbsphase auftrete und auch in diesem Zeitraum ausgeglichen werden müsse.

9

In Bezug auf die einzelnen Sozialversicherungsteilsysteme gelte Folgendes: In der GRV müsse die Umsetzung der Maßstäbe aus dem sPV-Urteil des BVerfG systemimmanent erfolgen. Die Rechtsprechung des BVerfG sei insoweit bindend (§ 31 BVerfGG). Die in der GRV anerkannten Kindererziehungszeiten seien für die Annahme eines Vorteilsausgleichs strukturell ungeeignet und stellten auch keinen echten Vorteilsausgleich dar, weil die Beiträge hierfür der Bund leiste (§ 177 Abs 1 SGB VI); dh alle Steuerpflichtigen und nicht nur Kinderlose. Gleichzeitig bestehe eine Benachteiligung der Eltern im Leistungsrecht. Diese erlitten durch die Unterbrechungen und Einschränkungen der Erwerbsbiografie (zB Teilzeitarbeit) vielfach Verluste an persönlichen Entgeltpunkten, die nicht durch Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI)kompensiert würden. Das Argument, die demografische Entwicklung sei ein gesamtgesellschaftliches Problem und müsse abgabenpolitisch steuerfinanziert auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gelöst werden, sei ohne verfassungsrechtliche Relevanz.

10

Auch in der GKV müsse ein systeminterner Vorteilsausgleich gesucht werden. Die Möglichkeit der beitragsfreien Familienversicherung (§ 10 SGB V) reiche insoweit nicht aus. Diese Begünstigung wiege nach den bindenden Ausführungen des BVerfG den mit der Erziehungsleistung zusätzlich erbrachten generativen Beitrag und den damit erlittenen Nachteil gegenüber Kinderlosen nicht auf.

11

Das Beitragsrecht in der sPV sei auch nach den Änderungen durch das KiBG verfassungswidrig. Insbesondere fehle im geltenden Recht die - auf der Grundlage des sPV-Urteils gebotene - Berücksichtigung der Anzahl der Kinder bei der Beitragsbemessung. Mit mehreren Kindern werde nämlich ein größerer generativer Beitrag für die Funktionsfähigkeit des Systems erbracht als mit nur einem Kind.

12

Die Kläger untermauern ihre Auffassung durch Gutachten der Bertelsmann-Stiftung (Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013; Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013).

13

Überdies rügen die Kläger einen Verstoß des LSG gegen seine Amtsermittlungspflicht. Es sei bei seiner Prüfung von Art 6 Abs 1 GG ausgegangen. Zu Unrecht habe es die Frage, ob die staatliche Familienförderung offensichtlich unangemessen sei und dem Förderungsgebot aus Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genüge, als eine Frage einer Gesamtabwägung aufgefasst, ohne Ermittlungen zu den konkreten Belastungen durch die Erziehung und Betreuung von Kindern vorzunehmen. Insoweit habe das LSG selbst eingeräumt, zu einer konkreten Bezifferung der additiven Höhe der durch die legislativen Maßnahmen bewirkten Entlastung der Familien nicht in der Lage zu sein. Angesichts der von ihnen (den Klägern) vorlegten Gutachten und Aufsätzen habe sich das LSG zu Ermittlungen "zu den Realitäten des Familienlastenausgleichs" gedrängt sehen müssen, diese aber verfahrensfehlerhaft unterlassen.

14

Mit Schriftsatz vom 11.8.2015 haben die Kläger - nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist - Tabellen zu "Durchschnittlichen Leistungsausgaben Frauen/Männer im Alter von 0 bis 90 Jahren" vorgelegt, die als "generelle Tatsachen" von Amts wegen zu berücksichtigen seien.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Kläger im Revisionsverfahren wird vor allem auf Blatt 25 bis 102, Blatt 165 bis 173, Blatt 201 bis 224, 227/228 und Blatt 232 bis 244 der Revisionsakte verwiesen.

16

Die Kläger beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. April 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Mai 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Mai 2007 aufzuheben sowie festzustellen, dass die monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab 1. Juli 2006 nicht über eine Höhe von 50 vH der gegenwärtigen Bemessung zu erheben sind,

hilfsweise festzustellen,
dass die Beitragsbemessung unter Abzug eines Betrags von 833 Euro je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage monatlich erfolgen muss,

weiter hilfsweise festzustellen,
dass die Beitragsbemessung unter Abzug des in § 32 Abs 6 EStG genannten Betrags je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage erfolgen muss,

hilfsweise den Rechtsstreit gemäß Art 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die die Beitragspflicht und die Höhe der Beiträge zur Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung regelnden Vorschriften (§§ 157, 161 Abs 1, 162 Nr 1 SGB VI, §§ 223 Abs 2, 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 sowie § 241 SGB V und §§ 54 Abs 2 Satz 1, 55 Abs 1 und 3 Satz 1, 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI iVm § 226 SGB V) unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - mit den Grundrechten der Kläger aus den Art 3, 6, 20 und 28 (Sozialstaatsprinzip) GG vereinbar sind;

weiter hilfsweise, das angefochtene Urteil mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückzuverweisen.

17

Die Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.

18

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

19

Die Beigeladenen zu 1. und zu 3. stellen keine Anträge. Die Beigeladene zu 3. schließt sich vollumfänglich der Revisionsbegründung der Kläger an.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten aller Instanzen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Die zulässige Revision der Kläger ist im Wesentlichen unbegründet.

22

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind der mit der Anfechtungsklage angegriffene Bescheid der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle vom 20.7.2006 in der Gestalt ihrer Widerspruchsbescheide vom 16.5.2007, in denen sie festgestellt hat, dass es für die von den Klägern erstrebte Beitragsminderung keine Rechtsgrundlage gebe. Zu befinden ist außerdem über einen Feststellungsantrag. Streitig ist die Höhe der Beiträge zur GRV, GKV und sPV für den Zeitraum vom 1.7.2006 (= Monat der Antragstellung bei der Beklagten als Beginn) bis 24.4.2012 (= Tag der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen als Endzeitpunkt; vgl dazu allgemein zB BSGE 110, 62 = SozR 4-2500 § 240 Nr 16, RdNr 19; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 21). Für den Kläger zu 1. ist bezüglich der Beiträge zur GKV und zur sPV allerdings nur die Zeit bis 31.12.2010 im Streit, weil er nur bis zu diesem Zeitpunkt versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten und auch der Beigeladenen zu 1. (vgl § 48 Abs 1 S 1 SGB XI) war.

23

2. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 Alt 1, § 55 Abs 1 Nr 1, Abs 2 SGG zulässig(vgl zB BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff, unter Hinweis auf BSG SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 15 ff). Der Anfechtungsklage steht unter dem Blickwinkel ihrer Statthaftigkeit nicht entgegen, dass sich die Beklagte in ihren Bescheiden darauf beschränkt hat, allgemein nur die Belastung der Kläger mit Beiträgen "festzustellen". Sie hat damit für die Kläger objektiv erkennbar eine einseitige und konkrete, verbindliche, der Rechtsbeständigkeit fähige Feststellung getroffen; allein hierauf kommt es für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage an (vgl BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff).

24

3. Auf die Anfechtungsklage der Kläger sind die angefochtenen Bescheide aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind. Dementsprechend sind die Urteile des LSG und SG zu ändern; insoweit muss die Revision der Kläger (teilweise) erfolgreich sein.

25

Mit diesen Bescheiden hat die Beklagte nämlich entgegen den einschlägigen Regelungen des materiellen Rechts zu Unrecht nur über die Beitragstragungspflicht und das Fehlen der Möglichkeit zu einer Beitragsreduzierung entschieden und sich dabei auf bloße allgemeine rechtliche Hinweise zur Bemessung und Tragung der Beiträge in der Sozialversicherung beschränkt. Sie hat dagegen - anders als hier erforderlich - nicht über die konkrete Beitragshöhe selbst entschieden.

26

Nach der Rechtsprechung des Senats ist einer Krankenkasse in ihrer Funktion als Einzugsstelle ua die Aufgabe übertragen, in gesetzlicher Verfahrens- und Prozessstandschaft (vgl zur Entwicklung BSG SozR 3-2400 § 28h Nr 9) anstelle der hierfür originär zuständigen Träger über die Beitragshöhe zu entscheiden (§ 28h Abs 2 S 1 SGB IV). Gegenüber Pflichtversicherten wegen Beschäftigung, die - wie die Kläger - nicht selbst Beitragsschuldner sind (vgl § 28e Abs 1 S 1 SGB IV), kommt bei der Entscheidung über die Beitragspflicht als festsetzungsfähige Rechtsfolge nur die betragsmäßig konkrete Feststellung der von ihnen zu tragenden Beitragsanteile in Betracht (vgl BSG SozR 4-2500 § 7 Nr 1 RdNr 17 mwN). Die hierfür relevanten Umstände - wie die beitragspflichtigen Einnahmen und der Beitragssatz -, zu denen die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zum Teil Aussagen gemacht hat, sind jeweils nur reine Berechnungs- bzw Begründungselemente und daher in der Regel auch nicht selbst einer Festlegung durch Verwaltungsakt (§ 31 S 1 SGB X) zugänglich. Hieran hält der Senat fest (zur Problematik allgemein auch bereits: BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff; BSG Urteil vom 17.12.2014 - B 12 KR 23/12 R - Juris RdNr 18 f).

27

4. Die neben der - mithin erfolgreichen - Anfechtungsklage erhobene Feststellungsklage ist zulässig (dazu a), aber sowohl hinsichtlich ihres Hauptantrages und hinsichtlich der im Rahmen des Hauptantrages ergänzend gestellten Hilfsanträge, aber auch hinsichtlich der übrigen Hilfsanträge unbegründet. Die Feststellungsklage hat keinen Erfolg, weil die Bemessung der Beiträge der Kläger den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des jeweiligen Beitragsrechts entspricht (dazu b). Diese gesetzlichen Bestimmungen im Recht der GRV (dazu 5.), der GKV (dazu 6.) und der sPV (dazu 7.) sind auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG iVm § 13 Nr 11, §§ 80 ff Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bedurfte es daher nicht.

28

a) Das für eine zulässige Feststellungsklage erforderliche besondere Interesse der Kläger an der baldigen Feststellung iS von § 55 Abs 1 SGG ist nicht durch Zeitablauf erloschen. Die begehrte Feststellung der konkreten Beitragsbelastung für den (mittlerweile) zurückliegenden Zeitraum hat nämlich ua Bedeutung für einen möglicherweise von den Klägern künftig geltend gemachten Beitragserstattungsanspruch (vgl zum Feststellungsinteresse BSG Urteil vom 18.5.1983 - 12 RK 28/82 - Juris RdNr 16; allgemein Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 55 RdNr 15).

29

b) Die Feststellungsklage bleibt im Hauptantrag der Kläger zur Beitragsbemessung sowie in Bezug auf ihre Hilfsanträge ohne Erfolg. Die feststellenden Ausführungen der Beklagten zur Beitragsbemessung erfolgten in den Zweigen der GRV, der GKV und der sPV in Einklang mit den dafür einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften (ua § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 BSV 2012; § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V; § 55 Abs 3 S 1 SGB XI, § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1, § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V, hier anzuwenden in den jeweils zum Zeitpunkt der Beitragserhebung in der streitigen Zeit vom 1.7.2006 bis 24.4.2012 geltenden Fassungen). Dass die von der Beklagten vorgenommene bzw für zutreffend erachtete Beitragsbemessung in Einklang mit den einfachgesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen stand, ist zwischen den Beteiligten außer Streit.

30

5. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften des Beitragsrechts der GRV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Rentenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder in der von den Klägern geforderten Weise zu mindern ist (dazu b).

31

a) Abhängig beschäftigte Versicherte - wie die Kläger - haben sich während der Dauer der Beschäftigung in aller Regel durch die hälftige Tragung der nach ihrem Bruttoentgelt bemessenen Beitragslast an den Ausgaben der GRV zu beteiligen. Das ergibt sich einfachgesetzlich aus den Vorschriften des Vierten Kapitels (§§ 153 ff) des SGB VI (diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB VI im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung). Einnahmen der allgemeinen Rentenversicherung sind hiernach insbesondere die Beiträge und die Zuschüsse des Bundes (§ 153 Abs 2 SGB VI). Die Beiträge werden nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von der Beitragsbemessungsgrundlage erhoben, die nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird (§ 157 SGB VI). Beitragsbemessungsgrundlage für Versicherungspflichtige sind die beitragspflichtigen Einnahmen (§ 161 Abs 1 SGB VI), die bei Beschäftigten wie den Klägern aus dem Arbeitsentgelt bestehen (§ 162 Nr 1 SGB VI). Beitragssatz und Beitragsbemessungsgrenze sind von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung festzusetzen (§ 160 SGB VI). Insoweit ist § 158 SGB VI trotz mehrfacher Änderungen durchgehend zu entnehmen, dass der Beitragssatz grundsätzlich so festzusetzen ist, dass die voraussichtlichen Beitragseinnahmen ausreichen, um die voraussichtlichen Ausgaben zu decken (und sicherzustellen, dass die Mittel der Schwankungsreserve dem gesetzlich bestimmten Betrag entsprechen). Unter Zugrundelegung des hiernach festgesetzten jeweiligen Beitragssatzes und des bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts der Kläger ergibt sich die sie neben dem Arbeitgeber treffende hälftige Beitragslast.

32

b) Die Kläger können nicht verlangen, von dieser Beitragsbelastung entgegen der einfachgesetzlichen Rechtslage deshalb in dem beantragten Umfang freigestellt zu werden, weil sie bereits durch Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems erbracht hätten und andernfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) und den dort enthaltenen Regelungsauftrag/Normprüfungsauftrag an den Gesetzgeber nicht berufen; das Beitragsrecht der GRV ist von der Bindungswirkung dieser Entscheidung (§ 31 BVerfGG) sachlich nicht erfasst (dazu aa). Der Senat ist auch unter Würdigung der Ausführungen des BVerfG in einem weiteren verfassungs-/gleichheitsrechtlichen Zusammenhang nicht davon überzeugt, dass (allein) die von den Klägern geforderte Ausgestaltung des Beitragsrechts der GRV im Hinblick auf Art 6 Abs 1 GG (dazu bb) bzw Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG (dazu cc) von Verfassungs wegen geboten ist. Es ist deshalb unzutreffend, dass - wie die Kläger meinen - "sämtliche der vom BVerfG im Beitragskinderurteil als wesentlich identifizierten und zur Verfassungswidrigkeit der sPV führenden Elemente in gleicher Weise und erst recht auch bei der … GRV wirken".

33

aa) Das sPV-Urteil des BVerfG ist nicht insoweit auf das Beitragsrecht der GRV "übertragbar", als Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG Gesetzeskraft haben und insbesondere nach § 31 Abs 1 BVerfGG auch für die Fachgerichte bindend sind. Das BVerfG hat nach dem Tenor des sPV-Urteils die seinerzeit geltenden Beitragsvorschriften der § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 S 1 und 2 sowie § 57 SGB XI als mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG nicht vereinbar angesehen, soweit Versicherte der sPV, die Kinder betreuen und erziehen, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Versicherte ohne Kinder belastet wurden(hierzu im Einzelnen unter 7. a>). Die Entscheidung hatte also die Pflegeversicherung und deren beitragsrechtliche Normen zum Gegenstand. Nur für diese entfaltet sie Bindungswirkung (§ 31 Abs 1 BVerfGG). Im sPV-Urteil hat das BVerfG nicht etwa gleichzeitig das rentenrechtliche Konzept eines Ausgleichs des Aufwandes für Kinder (allein) auf der Leistungsseite aufgegeben (so schon BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 41 ff, 50). Die Bindungswirkung bezieht sich nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG auf die Entscheidungsformel und die tragenden Gründe. Allerdings - und das ist entscheidend - ist Gegenstand der Bindungswirkung die "konkrete" Entscheidung (so ausdrücklich zB BVerfGE 104, 151, 197). Das BVerfG geht davon aus, dass auch die "tragenden Entscheidungsgründe" nur in Ansehung des konkreten Streitgegenstandes und nur im Hinblick auf künftige gleichgelagerte Fälle, mithin in concreto binden (so zB Rennert in Umbach/Clemens, BVerfGG, 1. Aufl 1992, § 31 RdNr 72, mwN aus der Rspr des BVerfG).

34

bb) Die hier einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV stehen nicht im Widerspruch zu Art 6 Abs 1 GG.

35

Der besondere Schutz der Familie, zu dem Art 6 Abs 1 GG den Staat verpflichtet, hält den Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich an, jede zusätzliche finanzielle Belastung der Familie zu vermeiden. Der Staat ist auch nicht durch die in Art 6 Abs 1 GG enthaltene Pflicht zur Förderung der Familie gehalten, die Beitragslast auszugleichen. Die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen steht unter dem Vorbehalt des Möglichen und im Kontext anderweitiger Fördernotwendigkeiten. Der Gesetzgeber hat im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nur unter Abwägung aller Belange lässt sich ermitteln, ob die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genügt. Demgemäß lässt sich aus der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Aus dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen, lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl BVerfGE 103, 242, 258 ff = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13 f; BVerfGE 87, 1, 35 f = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 6; aus späterer Zeit BVerfGE 107, 205, 212 = SozR 4-2500 § 10 Nr 1 RdNr 28; BVerfGE 110, 412, 445). Dem hat sich der Senat bereits in seinen Urteilen vom 5.7.2006 angeschlossen (vgl stellvertretend BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 49; zur Bedeutung des aus Art 6 Abs 1 GG folgenden Förderungsgebots als Prüfungsmaßstab zuletzt BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 15/13 R - Juris RdNr 31). Hieran hält er fest.

36

cc) Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass die beitragsrechtlichen Vorschriften der GRV gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstoßen, soweit der Rentenversicherungsbeitrag der von den Klägern repräsentierten Personengruppe - versicherte Eltern mit Kindern - danach nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder im geforderten Umfang zu reduzieren ist. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung entspricht die GRV in ihren wesentlichen Strukturmerkmalen nicht den Anforderungen, die das BVerfG im sPV-Urteil für ein verfassungsrechtliches Gebot der beitragsrechtlichen Differenzierung zwischen Versicherten mit und solchen ohne Kinder aufgestellt hat; denn es fehlt an der Mindestgeschlossenheit dieses Sozialversicherungs(teil)systems (dazu <1>). Unabhängig davon läge auch deshalb kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vor, weil eine Gleichbehandlung bzw benachteiligende Ungleichbehandlung von Personen wie den Klägern im Beitragsrecht (gerade) der GRV in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt wäre (dazu <2>).

37

(1) Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG ist nach dem sPV-Urteil des BVerfG durch die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Pflegeversicherungsbeiträgen - auch nach Auffassung der Kläger - nur verletzt, wenn

        

1.    

das Sozialversicherungssystem ein Risiko abdeckt, das überproportional im Alter auftritt und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert wird,

        

2.    

das Sozialversicherungssystem eine Mindestgeschlossenheit aufweist (zu dieser Voraussetzung auch: BVerfGE 109, 96, 127 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2 RdNr 83) und

        

3.    

absehbar ist, dass ein signifikanter Teil der Versicherten keine Kinder bekommt.

38

Es kann offenbleiben, ob die GRV die erste und die dritte der vom BVerfG aufgestellten Voraussetzungen erfüllt. Jedenfalls weist die GRV nicht die geforderte Mindestgeschlossenheit auf, weil nicht angenommen werden kann, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft Beitragszahler in der GRV sein wird. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung besteht keine "rechtlich fundierte Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder der Beitragszahler in dem Sicherungssystem der GRV zukünftig selbst Beiträge leisten und dadurch zum Fortbestand des Systems beitragen werden".

39

Im sPV-Urteil hat das BVerfG entschieden, dass die Betreuungs- und Erziehungsleistung in der sPV auch in Zukunft nachhaltig zum Tragen und den kinderlosen Versicherten der sPV zugutekommt, weil dort aufgrund der umfassenden gesetzlichen Versicherungspflicht in jedem Fall eine Versicherung entweder in der sozialen oder in der privaten Pflegeversicherung begründet wird. Dies trifft auf die GRV nicht zu (in diesem Sinne bereits BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 58). Ein "generativer Beitrag" führt allenfalls dann zu einem "Vorteil im Versicherungsfall" für Kinderlose aus der Zahlung der Beiträge nachwachsender Generationen, wenn diese später auch tatsächlich Beiträge erbringen (so das BVerfG im sPV-Urteil: BVerfGE 103, 242, 264 f = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17 f). Es reicht dafür entgegen der Ansicht der Kläger nicht aus, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft "überhaupt" Mitglied der GRV wird, sondern es kommt darauf an, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft voraussichtlich auch "Beitragszahler" in der GRV sein wird; denn im Wesentlichen finanzieren im geltenden Umlagesystem nur die (aktuellen) Beitragszahler die (aktuellen) Leistungen an die Rentner.

40

Eine solche "rechtlich fundierte Wahrscheinlichkeit", dass Kinder von Beitragszahlern in Zukunft durch eigene Rentenversicherungsbeiträge zum Fortbestand der GRV beitragen werden, kann jedenfalls für den vorliegend streitigen Zeitraum der Jahre 2006 bis 2012 nicht angenommen werden, weil es sich nach den öffentlich zugänglichen statistischen Daten vielmehr so verhält, dass etwa die Hälfte der potentiellen Beitragszahler - obwohl statistisch als "Versicherte" geführt - tatsächlich keine Beiträge zur GRV zahlt bzw wenn, dann nur in einem geringfügigen Umfang. Beruhend auf den Beobachtungen aus der Vergangenheit und bei unveränderten Annahmen über die zukünftige Entwicklung muss davon ausgegangen werden, dass seinerzeit - im streitigen Zeitraum - betreute und erzogene Kinder als spätere Rentenversicherte das System der GRV jedenfalls nicht (wie vom BVerfG gefordert) zu einem "wesentlichen Anteil" bzw "maßgeblich" stützen werden. Insoweit kann auch nicht davon gesprochen werden, dass eine aktuelle "Leistung" durch die Betreuung und Erziehung von Kindern in der GRV in Zukunft "nachhaltig" zum Tragen und Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern zugutekommen wird.

41

So waren beispielsweise im Jahr 2006 rund 51,97 Mio Menschen in der GRV ohne Rentenbezug versichert, davon 35,02 Mio "aktiv" und 16,95 Mio "passiv" (zur Verteilung zwischen aktiv und passiv Versicherten in den Jahren ab 2006: DRV Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen, Oktober 2015, S 14). Als "Versicherte" der GRV werden statistisch alle Personen bezeichnet, die einen Leistungsanspruch ihr gegenüber erworben haben. Die Versicherten mit Rentenbezug werden in den Rentenstatistiken erfasst und als "Rentenzahlfall" bzw bei personeller Zuordnung als "Rentner" bezeichnet. Gegenstand der Versichertenstatistik sind hingegen im Allgemeinen die Versicherten ohne Rentenbezug, die aktuell Rentenanwartschaften erwerben oder zu einem früheren Zeitpunkt erworben haben. Zu den "aktiv Versicherten" zählen alle Beitragszahler, aber auch sog Anrechnungszeitversicherte. Dies sind Versicherte mit Zeiten, für die grundsätzlich keine Beiträge zur GRV gezahlt werden (vgl § 58 SGB VI). Die Anrechnungszeitversicherten werden in den angegebenen Zahlen nicht separat ausgewiesen. Bei den "passiv Versicherten" handelt es sich um (lebende) Versicherte ohne Rentenbezug, deren Versichertenkonten aktuell keine Einträge aus aktiver Versicherung aufweisen, für die aber in den Zeiten davor mindestens ein versicherungspflichtiger Tatbestand oder ein Bonus aus einem Versorgungsausgleich gespeichert ist. In Abhängigkeit davon, ob solche Einträge innerhalb des Berichtsjahres oder davor liegen, unterscheidet man bei den passiv Versicherten zwischen Übergangsfällen und latent Versicherten, die wiederum nicht separat ausgewiesen wurden (zu den Definitionen: Kaldybajewa/Kruse/Strobel, RV aktuell 2009, 83; DRV Bund, Versichertenbericht 2014, S 11 ff, 18). Von den aktiv versicherten Personen waren im Jahr 2006 5,55 Mio Leistungsempfänger nach dem SGB III/SGB II, die ihre Beiträge nicht selbst tragen. Das bedeutet, dass von den 51,97 Mio Menschen ca 22,5 Mio Menschen (16,95 Mio passiv Versicherte plus 5,55 Mio Leistungsempfänger nach dem SGB II/III) nicht selbst oder tatsächlich keine Rentenversicherungsbeiträge im Berichtszeitraum bzw am Stichtag leisteten. Das sind immerhin 43 % aller Versicherten ohne Rentenbezug. Hierin sind die 5,1 Mio geringfügig Beschäftigten unter den aktiv Versicherten noch nicht eingerechnet. Unter Einrechnung auch dieser Personengruppe ergeben sich sogar 53 %, die nahezu keine Beiträge entrichten (zu dieser Problematik bereits Althammer/Klammer, Ehe und Familie in der Steuerrechts- und Sozialordnung, Tübingen 2006, S 151; Estelmann, SGb 2002, 245, 253; zu der Verteilung zwischen aktiv und passiv Versicherten in den Jahren ab 2006 vgl erneut DRV Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen, aaO, S 14).

42

Ein ähnliches Bild ergeben die Zahlen des Jahres 2012. In diesem Jahr waren 35,71 Mio Menschen aktiv und 16,96 Mio Menschen passiv ohne Rentenbezug in der GRV versichert. Unter den aktiv Versicherten waren 926 406 Menschen Bezieher von Arbeitslosengeld nach dem SGB III und 2,5 Mio Anrechnungszeitversicherte (zu diesen Zahlen: DRV Bund, Versichertenbericht 2014, S 6). Von 52,67 Mio "Versicherten" zahlten also ca 20,39 Mio Menschen nicht selbst oder tatsächlich keine Rentenversicherungsbeiträge. Dies sind immerhin 38,7 % aller Versicherten. Berücksichtigt sind dabei noch nicht die 5,23 Mio geringfügig Beschäftigten unter den aktiv Versicherten, diese eingerechnet ergeben sogar 48,65 %.

43

(2) Unabhängig von einer "an der Argumentationsstruktur" des sPV-Urteils des BVerfG "orientierten" Würdigung ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe auch in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt (hierzu allgemein: BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12; BVerfGK 12, 81, 83 mwN; Boysen in von Münch/Kunig, GG-Kommentar, 6. Aufl 2012, Art 3 RdNr 102).

44

Art 3 Abs 1 GG gebietet es, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu regeln (vgl zB BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12). Es kann offenbleiben, ob die vorliegende Konstellation unter dem Aspekt einer Gleich- oder Ungleichbehandlung betrachtet wird (vgl Ebsen, VSSR 2004, 3, 11 f). Unter beiden Aspekten kommt es nämlich entscheidend auf das Kriterium der Betreuung und Erziehung von Kindern an. Für die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung spielt die Einordnung als Gleich- oder Ungleichbehandlung vorliegend jedenfalls keine Rolle. Es genügt in beiden Fällen das Vorliegen eines sachlichen Grundes zur Rechtfertigung. Als Grund für eine Ungleichbehandlung kommt jede vernünftige Erwägung in Betracht. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist zu verneinen, wenn ein vernünftiger Grund für die Gleichbehandlung fehlt bzw die tatsächlichen Ungleichheiten so bedeutsam sind, dass ihre Nichtbeachtung gegen eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise verstößt (BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12). Innerhalb dieser Grenzen ist der Gesetzgeber in seiner Entscheidung frei. Allerdings kann sich eine weitergehende Einschränkung aus anderen Verfassungsnormen ergeben. Insbesondere ist bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Beitragsregelungen, die Personen mit und ohne Kinder gleich behandeln oder zum Nachteil der Familie differenzieren, der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach Art 6 Abs 1 GG der Familie schuldet (BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12; BVerfGE 87, 1, 37 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7). Jedoch verfügt der Gesetzgeber auch dabei über einen nicht unerheblichen Gestaltungsrahmen. Er darf nicht nur die jeweilige Haushaltslage und die finanzielle Situation der GRV, sondern auch über Jahrzehnte gewachsene und bewährte Prinzipien im komplexen System der GRV berücksichtigen (BVerfGK 12, 81, 83 mwN).

45

Hiervon ausgehend stellt die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Rentenversicherungsbeiträgen für Versicherte mit Kindern keine die Vorgaben von Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG missachtende Gleich- bzw Ungleichbehandlung dar. Der Gesetzgeber hat jedenfalls die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil er die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen hat (dazu ). Überdies sind ein in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegender "Beitrag" und der monetäre Beitrag in der GRV weder gleichartig noch gleichwertig (dazu ). Ein sachlicher Grund für die Nichtberücksichtigung der Kindererziehungsleistung im Beitragsrecht der GRV liegt weiterhin darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für Kinder als Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen der GRV darstellt (dazu ). Auch könnte eine Berücksichtigung im Beitragsrecht zu anderen verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen führen (dazu ). Letztlich rechtfertigt der Strukturunterschied zwischen GRV und sPV im Hinblick auf die Leistungsbemessung eine Nichtberücksichtigung von Kinderbetreuung und -erziehung im Beitragsrecht der GRV (dazu ).

46

(a) Der Gesetzgeber hat bereits deshalb die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil er seit Ergehen des "Trümmerfrauen"-Urteils (BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1) in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente in das Leistungsspektrum gerade der GRV eingefügt und die durch Kindererziehung entstehenden Nachteile so - entgegen der Auffassung der Kläger - systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen hat. Auf den Ausgleich eines von den Klägern angeführten "externen Effektes" eines Kindes für die GRV kommt es hierfür insoweit nicht an.

47

(aa) Der Senat hat schon in seinen Urteilen vom 5.7.2006 einen Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern im Leistungsrecht der GRV als systemgerecht und ausreichend bestätigt (BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 51; ebenso Hase, Sozialversicherung und Familie zwischen sozialem Ausgleich und staatlicher Verantwortung, DRV-Schriften 46 <2003>, 29, 64; Ruland, NJW 2001, 1673, 1674; ders, FamRZ 2004, 493, 494; aA Kingreen, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes 57 <2008>, 71, 90, 94; Lenze, NZS 2007, 407, 409; dazu auch Estelmann, SGb 2002, 245, 253). Daran hält der Senat fest. Unter diese Leistungen, die auch in den vorliegend streitigen Jahren fortwirkten, fallen insbesondere:

        

•       

große Witwen- oder Witwerrente bei Kindererziehung (§ 46 Abs 2 S 1 Nr 1 und § 243 Abs 2 und Abs 3 SGB VI),

        

•       

Erziehungsrente (§§ 47, 243a SGB VI),

        

•       

Kindererziehungszeiten (§ 3 S 1 Nr 1 iVm §§ 56, 249, 249a SGB VI),

        

•       

Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§ 57 SGB VI),

        

•       

Anrechnungszeiten für Schwangerschaft oder Mutterschaft (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI),

        

•       

Zuschlag für Zeiten der Kindererziehung bei Witwen- und Witwerrenten (§ 78a SGB VI),

        

•       

Kinderzuschuss (§ 270 SGB VI),

        

•       

Leistungen für Kindererziehung an Mütter der Geburtenjahrgänge vor 1921 (§§ 294 bis 299 SGB VI),

        

•       

Zuzahlungsfreiheit für unter 18-jährige bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und bei sonstigen Leistungen (§ 32 Abs 1 SGB VI).

48

Zu den einzelnen seit dem "Trümmerfrauen"-Urteil des BVerfG in Ansehung von Betreuung und Erziehung von Kindern eingeführten Leistungen der GRV wird für den Zeitraum von 1992 bis 2004 im Übrigen ergänzend auf den Bericht der Bundesregierung (Unterrichtung durch die Bundesregierung - Bericht der Bundesregierung zur Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sozialen Pflegeversicherung vom 3. April 2001 <1 BvR 1629/94> für andere Zweige der Sozialversicherung vom 4.11.2004, BT-Drucks 15/4375 , S 6 ff) verwiesen.

49

Die den vorstehenden Ausführungen des Senats zugrunde liegende Beurteilung, dass auf einen Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern im Leistungsrecht der GRV als systemgerecht abgestellt werden darf, hat das BVerfG für den Bereich der landwirtschaftlichen Alterssicherung als verfassungsgemäß bestätigt; ein Ausgleich ist demnach - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht nur im Beitragsrecht möglich. So hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung (BVerfGE 109, 96, 127 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2 RdNr 84 ff) einen Verstoß des Beitragsrechts der landwirtschaftlichen Alterssicherung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG auch unter Berücksichtigung seines sPV-Urteils ua deshalb verneint, weil in der Alterssicherung "im Unterschied zur sozialen Pflegeversicherung die Erziehungsleistung … nicht unberücksichtigt (bleibt). Zeiten der Kindererziehung wirken sich … im Zusammenhang mit der Erfüllung der Wartezeit rechtsbegründend nach § 17 Abs 1 Satz 2 Nr 1 ALG in Verbindung mit § 56 Abs 1 SGB VI aus. Auch hat der Landwirtsehegatte auf Grund von Zeiten der Kindererziehung Zugang zur gesetzlichen Rente …". Diese Argumentation lässt darauf schließen, dass das BVerfG die Regelungen des Rentenrechts als mit dem GG insoweit vereinbar angesehen hat (vgl Ruland, SDSRV 57 <2008>, 53, 57) und macht deutlich, dass auch das BVerfG für die GRV von einem ausreichenden Ausgleich der Kindererziehung auf der Leistungsseite ausgeht (zum Verhältnis dieser Entscheidung zum sPV-Urteil vgl BSG <13. Senat> SozR 4-2600 § 70 Nr 2 RdNr 37). Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten fügt sich in die Struktur der Rentenversicherung ein (BVerfG BVerfGK 12, 81, 83).

50

(bb) Auf den Ausgleich eines "externen Effektes" eines Kindes für die GRV kommt es dabei - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht an. Positive "'externe Effekte' der Erziehung und Ausbildung von Kindern" werden nach Ansicht eines von den Klägern angeführten Gutachtens (Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013, S 27) erzeugt, "wenn ein Gutteil der Erträge der dabei vorgenommenen Humankapitalinvestitionen nicht den Finanziers (etwa den Eltern, soweit diese die Kosten der Erziehung und Ausbildung der Kinder überwiegend selbst tragen), sondern Dritten (nämlich allen Angehörigen der Rentnergeneration, unabhängig von ihrer individuellen Beteiligung an der Humankapitalbildung) zugutekommen". Sie entstehen also, wenn sich für "durchschnittliche Kinder" aus heutiger Sicht ein Überschuss aller von ihnen geleisteten Sozialversicherungsbeiträge und Steuern über die von ihnen in Anspruch genommenen Geld- und Sachleistungen ergibt (vgl Werding, aaO, S 89, 47). Entscheidend ist demgegenüber vielmehr, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in deren Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird. Vor diesem Hintergrund veranlasst das von den Klägern vorgelegte Gutachten (Werding, aaO, S 47, 84) den Senat nicht dazu, das Beitragsrecht der GRV insoweit für verfassungswidrig zu halten. Entscheidend ist demgegenüber vielmehr, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in deren Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird.

51

In dem Gutachten wird aus sozialökonomischer Sicht der Versuch unternommen, innerhalb bestimmter als modellhaft angenommener Rahmenbedingungen einen "externen Vorteil" von Kindern für die GRV zu beziffern. Der Ausgleich eines "externen Effektes" eines Kindes ist jedoch verfassungsrechtlich nicht geboten. Zwar besteht der generative Beitrag nach den Ausführungen des BVerfG im sPV-Urteil in der pekuniären Beitragsleistung, die die heutigen Kinder in der Zukunft erbringen werden (vgl Estelmann, SGb 2002, 245, 254). Es soll der Vorteil ausgeglichen werden, der Versicherten ohne Kinder im Versicherungsfall erwächst. Dieser Vorteil soll sich aber in der Erziehungsleistung der Eltern spiegeln, die wegen der Erziehung zu ihrem Nachteil - im Vergleich zu Kinderlosen - auf Konsum und Vermögensbildung verzichten (BVerfGE 103, 242, 264 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17). Dieser Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung entsteht wiederum durch die Kosten, die sich ergeben, wenn sich Eltern der Erziehung widmen und auf eine Berufstätigkeit verzichten oder dieser nur eingeschränkt nachgehen, durch Betreuungskosten oder sonstige Kosten, die mit der Betreuung und Erziehung von Kindern zusammenhängen. So formuliert das BVerfG ausdrücklich, dass die mit der Erziehungsleistung verbundene Belastung der Eltern, die in deren Erwerbsphase auftritt, auch in diesem Zeitraum auszugleichen ist (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22). Demnach können zum Ausgleich des Nachteils aber auch alle familienfördernden Elemente mitberücksichtigt werden, dh auch solche, die in anderen Bereichen als der GRV seit jeher vorhanden sind bzw sukzessive eingeführt wurden und die die "Nachteile", die Eltern durch die Betreuung und Erziehung von Kindern in der Erwerbsphase entstehen, vermindern (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 251). Zu den vielfältigen derartigen Leistungen für die Zeit von 1992 bis 2004 ist ebenfalls auf den Bericht der Bundesregierung (aaO, BT-Drucks 15/4375) zu verweisen. Leistungen für Familien außerhalb der GRV in den Jahren nach 2004 werden im Einzelnen in den Sozialberichten der Bundesregierung aufgeführt (vgl Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2005, BT-Drucks 15/5955, S 21, 37 f, 94 ff, 100; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2009, BT-Drucks 16/13830, S 20 ff, 57, 64, 74 ff, 79, 83, 86, 96, 109 f, 113, 117, 127 f, 132 f, 135, 190 f; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Nationaler Sozialbericht 2012, BT-Drucks 17/12649, S 7, 9 ff; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2013, BT-Drucks 17/14332, S 21, 41, 45 ff, 54, 57, 60, 99, 101, 149 f).

52

Die - auch von den Klägern angeführte - Untersuchung von Schmähl/Rothgang/Viebrok (Berücksichtigung von Familienleistungen in der Alterssicherung - Analyse und Folgerungen aus ökonomischer Sicht, DRV-Schriften Band 65 <2006> 106) weist insoweit zutreffend darauf hin, dass das BVerfG in seinem sPV-Urteil (gerade) "nicht versucht hat, das Zusammenspiel von elterlichen, staatlichen, betrieblichen und anderen Erziehungsleistungen zu durchdringen und auf dieser Basis den Beitrag der Eltern und damit den externen Effekt ihrer Kindererziehungsleistungen zu beziffern" (vgl ebenda). Gleiches ist auch im vorliegenden Rechtsstreit bedeutsam, weil es nach den dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben jedenfalls keine zwingende Notwendigkeit für eine Berücksichtigung des "externen Effekts" gibt. Darüber hinaus machen diese - ebenfalls aus dem Bereich der Sozialökonomie stammenden - Autoren deutlich, dass der externe Effekt selbst bei fachspezifischer Analyse nicht betragsmäßig beziffert werden kann.

53

(b) Die beitragsrechtliche Differenzierung bzw Gleichbehandlung ist auch deshalb gerechtfertigt, weil ein in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegender "Beitrag" und der Finanzbeitrag in der GRV weder gleichartig noch gleichwertig sind; denn mit der Erziehungsleistung wird für die - aktuell - zu finanzierenden Renten weder ein unmittelbarer noch ein mittelbarer Beitrag geleistet. Der Beitrag zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der GRV, der in Form von Kindererziehung geleistet wird, kann im Unterschied zu den "echten" monetären Beiträgen der Erwerbstätigen nicht sogleich wieder in Form von Rentenzahlungen an die nicht mehr Erwerbstätigen ausgeschüttet werden (BVerfGE 87, 1, 40 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 9 <"Trümmerfrauen-Urteil">; im Ergebnis auch Ruland, NJW 2001, 1673, 1677). Im (einfachrechtlichen) Rentenrecht gibt es keine dokumentierte und fixierte Sonderbeziehung zwischen aktiv erwerbstätiger Generation und nachwachsender Generation. Eine solche Sonderbeziehung besteht nur zwischen der jeweiligen Generation der aktiv Erwerbstätigen einerseits und der jeweils aktuellen Rentnergeneration andererseits. Mit anderen Worten: Mit "generativen Beiträgen" (durch Kindererziehung) können aktuelle Renten nicht bezahlt werden. Dies hat der Senat bereits entschieden (BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 57 f). Daran hält er fest.

54

Dieser Befund der fehlenden Möglichkeit der Gleichsetzung eines "monetären" mit dem "generativen" Beitrag (aA Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 88 f) wird auch nicht durch einen Rückgriff auf den durch die Betreuungs- und Erziehungsleistung entstehenden "Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung" als Vergleichsmaßstab bzw "gemeinsamer Nenner" (so Lenze, NZS 2007, 407, 408) in Frage gestellt. Hierbei handelt es sich nur um eine "Umformulierung" desselben Sachverhalts, weil der "Verzicht" gerade durch den Aufwand für Beiträge bzw durch das durch die Betreuungs- und Erziehungsleistung verminderte Einkommen der Eltern entsteht; dh der Aufwand der Eltern für die Beitrags- bzw die Betreuungs- und Erziehungsleistung geht auf der anderen Seite zwingend mit einem Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung einher.

55

(c) Ein sachlicher Grund für die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Rentenversicherungsbeiträgen für Versicherte mit Kindern liegt weiter darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern als Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen der GRV darstellt. Ein solcher von den Klägern geforderter Ausgleich wäre keine "systemspezifische" Aufgabe der GRV.

56

Die GRV ist für ihren Fortbestand auf nachwachsende Beitragszahler ebenso angewiesen, wie das Staatswesen für seinen Fortbestand auf ein nachwachsendes Staatsvolk. Auch wenn sich derartige allgemeine Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit des Staates (auch) innerhalb des Systems der GRV auswirken, handelt es sich doch nur bei "genuin innerhalb des GRV-Systems entstehenden Auswirkungen um systemspezifische" (vgl BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52; unter Hinweis Haass, KJ 2002, 104, 108 f). Im bestehenden Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland liegt es verteilungs- und ordnungspolitisch näher - bzw ist jedenfalls verfassungsrechtlich auch aus heutiger Sicht nicht zu beanstanden -, wenn der von den Klägern erstrebte Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern als Teil des Ganzen durch Maßnahmen im Steuerrecht gelöst wird (vgl ebenso: Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 7, 13; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, Bericht der Kommission, 2003, S 114 f; aus der Literatur: Ruland, NJW 2001, 1673, 1677; ders, SDSRV 57 <2008>, 53; Haass, KJ 2002, 104, 107; Ebsen, VSSR 2004, 3, 17; Hase, VSSR 2004, 55, 68; Axer, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft - DStJG - 29 <2006>, 175, 192).

57

Dies hat der Senat bereits in seinen Urteilen vom 5.7.2006 entschieden (stellvertretend BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52 ff). Die GRV darf nicht Aufgaben der Gesamtgesellschaft lösen (vgl BVerfGE 75, 108, 148). Jede staatliche Gemeinschaft ist auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen angewiesen, weshalb an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Das allein gebietet es nicht, diese Betreuungs- und Erziehungsleistung zugunsten der Familien in einem bestimmten sozialen Leistungssystem zu berücksichtigen (BVerfGE 103, 242, 265 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 18). Dieses Argument ist deshalb (gerade) nicht - wie die Kläger meinen - im Hinblick auf die Bindungswirkung des sPV-Urteils nach § 31 BVerfGG für die GRV ohne verfassungsrechtliche Relevanz. Das Teilsystem der GRV kann die Elemente des dieses System fördernden und fordernden Umfeldes nicht selbst steuern oder intern ausgleichen; wer es unternimmt, innerhalb des Systems dessen äußere Voraussetzungen zu korrigieren, bewegt sich logisch außerhalb eines Systemausgleichs. Die Probleme des Ausgleichs des Aufwandes für Kinder sind Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen jedweder Altersvorsorge bzw Zukunftsfähigkeit jeder Gemeinschaft und damit keine spezifische Aufgabe der GRV (vgl erneut BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52 ff). Hieran hält der Senat fest.

58

(d) Die Berücksichtigung einer auf der Betreuungs- und Erziehungsleistung beruhenden Vorleistung im Recht der GRV könnte ferner zu verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen an anderer Stelle führen (vgl hierzu die Nachweise in BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 58). Ein solcher Binnenausgleich auf der Beitragsseite könnte Eltern benachteiligen, die einen gleich hohen Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern haben, aber nicht Mitglied der GRV sind und daher für ihre Altersvorsorge selbst (privat) zu sorgen haben (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 5, 7; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Stellungnahme des Sozialbeirats, aaO, BT-Drucks 14/6099, S 8; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, aaO; Ruland, NJW 2001, 1673, 1675). Umgekehrt könnten Kinderlose, die nicht Versicherte der GRV sind, nicht an diesem Ausgleich teilnehmen (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, BT-Drucks 15/4375, S 5; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, aaO; Ruland, NJW 2001, 1673, 1674; Ebsen, Jura 2002, 401, 404; ders VSSR 2004, 3, 17; kritisch hierzu Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 90).

59

Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass es vorliegend "nur" um den Ausgleich von Betreuungs- und Erziehungsleistungen von in der GRV versicherten Eltern gehe: Zum einen verkennt dies den - wie dargestellt - übergreifenden Charakter der Betreuungs- und Erziehungsleistungen von Eltern. Zum anderen könnte es selbst bei einer Betrachtung nur innerhalb der GRV zu einer verfassungsrechtlich schwer zu rechtfertigenden Umverteilung von niedrigen zu höheren Einkommen kommen, weil besserverdienende Kindererziehende durch die Beitragsentlastung stärker begünstigt würden als Kindererziehende mit geringerem Einkommen. Bei Kinderlosen könnte es zu einer Privilegierung von gut verdienenden gegenüber weniger gut verdienenden Versicherten kommen. Dies alles würde aus dem Umstand folgen, dass das beitragspflichtige Einkommen in der GRV durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt ist (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 5). Allgemein ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass jedwede Änderung im Recht der GRV als einem auf lange Sicht angelegten System der sozialen Alterssicherung vielfältige verfassungsrechtliche Risiken und Folgewirkungen beinhalten würde. Den Sozialgesetzgeber trifft insoweit auch eine gewisse Schutzverpflichtung zugunsten des selbstgesetzten Systems (vgl hierzu Papier, DRV 2001, 350, 358).

60

(e) Schließlich ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe auch wegen des grundsätzlichen strukturellen Unterschieds zwischen sPV und GRV im Hinblick auf die Leistungsbemessung gerechtfertigt. Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern abhängig vom jeweils bestehenden Pflegebedarf (vgl §§ 36 ff SGB XI). Auch besteht der Leistungsanspruch grundsätzlich bereits - ohne Wartezeit - mit Beginn des Versicherungsschutzes in vollem Umfang (vgl schon Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 6 ff; Hase, Sozialversicherung und Familie zwischen sozialem Ausgleich und staatlicher Verantwortung, DRV-Schriften 46 <2003>, 29, 61; Ruland, SDSRV 57 <2008>, 53, 57). Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Hiervon unterscheidet sich das Leistungsrecht in der GRV strukturell. Hier sind die Rentenleistungen hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig (vgl § 63 SGB VI). Ein systeminterner Nachteilsausgleich im Beitragsrecht der GRV mag bei alledem "nicht verfassungsrechtlich unzulässig" sein, verfassungsgeboten - wie die Kläger meinen - ist er jedoch nicht.

61

6. Der Senat ist auch nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GKV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Krankenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder in der von den Klägern verlangten Weise zu reduzieren ist (dazu b).

62

a) Nach §§ 241 ff SGB V(diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB V im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung) sind Krankenversicherungsbeiträge nach einem Beitragssatz zu erheben, der in Hundertsteln der beitragspflichtigen Einnahmen festgesetzt wird. Der allgemeine Beitragssatz war anfänglich krankenkassenindividuell verschieden und wird seit dem 1.1.2009 bundeseinheitlich festgelegt. Für bestimmte Versicherte sieht das Beitragsrecht der GKV ermäßigte bzw besondere Beitragssätze vor (§§ 243 ff SGB V). Nach § 223 Abs 2 S 1 SGB V werden die Krankenversicherungsbeiträge nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen. Welche Einnahmen hierunter fallen, wird bei versicherungspflichtig Beschäftigten durch § 226 Abs 1 SGB V bestimmt. Der Umfang der beitragspflichtigen Einnahmen ist nach unten durch eine Bagatellgrenze (§ 226 Abs 2 SGB V) und nach oben durch die Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 Abs 3 S 1 SGB V) beschränkt. Die Krankenversicherungsbeiträge werden bei Beschäftigten von diesen und ihren Arbeitgebern im Grundsatz jeweils zur Hälfte getragen (§ 249b SGB V).

63

b) Die Kläger können nicht beanspruchen, von ihren auf dieser Gesetzeslage beruhenden Krankenversicherungsbeiträgen deshalb im geforderten Umfang entlastet zu werden, weil sie ihrer Auffassung nach bereits durch die Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems der GKV erbracht hätten und anderenfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG nicht berufen, weil das Beitragsrecht der GKV von der Bindungswirkung dieses Urteils (§ 31 BVerfGG) nicht erfasst wird (vgl bereits - zum Beitragsrecht der GRV - oben 5. b> aa>). Auch können sich die Kläger nicht mit Erfolg auf das aus Art 6 Abs 1 GG folgende Gebot zur Förderung der Familie stützen (so schon - zum Beitragsrecht der GRV - oben 5. b> bb>).

64

Der Senat ist schließlich nicht davon überzeugt, dass die hier einschlägigen beitragsrechtlichen Vorschriften der GKV in ihrer Anwendung auf Personen wie die Kläger Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verletzen. Entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht ist bereits zweifelhaft, ob die GKV alle vom BVerfG in seinem sPV-Urteil aufgestellten Voraussetzungen für einen - von ihnen so bezeichneten - "intergenerationellen" Gleichheitsverstoß erfüllt; fraglich ist nämlich vor allem, ob die GKV ein versichertes Risiko abdeckt, das "überproportional" im Alter auftritt und durch Beiträge der nachwachsenden Generation finanziert wird (dazu aa). Unabhängig davon ergäbe sich auch deshalb kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG, weil bei Prüfung in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Zusammenhang für eine Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe im Beitragsrecht der GKV rechtfertigende Sachgründe vorliegen (dazu bb).

65

aa) Würden die im sPV-Urteil aufgestellten Voraussetzungen, bei deren Vorliegen das BVerfG einen Verstoß der beitragsrechtlichen Vorschriften der sPV gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG angenommen hat, auf die GKV "übertragen", so wäre eine Verletzung des Gleichheitssatzes durch deren einschlägige gesetzliche Beitragsvorschriften nach diesen Maßstäben zumindest zweifelhaft. Anders als die Kläger meinen, ist die "Übertragbarkeit" des sPV-Urteils auf die GKV nämlich nicht schon deshalb "weniger problematisch", weil sich die Organisations- und Finanzierungsstrukturen der sPV und der GKV "weitgehend entsprechen". Dies mag bezogen auf die Organisations- und Finanzierungsstrukturen zutreffen. Ein erheblicher Unterschied besteht jedoch bei dem jeweils versicherten Risiko.

66

Im sPV-Urteil hat das BVerfG ausgeführt, es ist entscheidend, dass "der durch den Eintritt des Versicherungsfalls verursachte finanzielle Bedarf überproportional häufig in der Großelterngeneration (60 Jahre und älter) auftritt" (BVerfG, 103, 242, 263 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 16). Als Lebensrisiko betrifft das Risiko einer Erkrankung alle Altersgruppen der Gesellschaft; Entsprechendes gilt für das in der GKV versicherte Risiko, die durch Krankheit bedingten (Krankheits-)Aufwendungen und ggf Verdienstausfälle finanziell nicht tragen zu können. Zwar steigen die Krankheitskosten pro Kopf nach den öffentlich, dh für jedermann verfügbaren statistischen Daten allgemein - unabhängig von der Zugehörigkeit zur GKV - grundsätzlich im Alter deutlich an.

67

So lagen die Krankheitskosten etwa im Jahr 2006 für Einwohner unter 15 Jahren bei jährlich 1240 Euro, bei Einwohnern zwischen 15 und 30 Jahren bei 1180 Euro, bei den 30 bis 45-jährigen bei 1600 Euro, bei den 45 bis 65-jährigen bei 2930 Euro, bei den 65 bis 85-jährigen bei 6140 Euro und bei Einwohnern von 85 Jahren und älter bei 14 440 Euro (Statistisches Bundesamt, Gesundheit - Krankheitskosten, Wiesbaden 2010, S 14). Das allgemeine Ausgabenvolumen stellte sich im Jahr 2006 jedoch so dar, dass für die Gruppe der unter 65 Jahre alten Personen Krankheitskosten von insgesamt rund 124,7 Mrd Euro entstanden sind, für die Gruppe der 65-jährigen und älter aber "nur" rund 111,9 Mrd Euro ( https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/tabelleErgebnis/23631-0002 , recherchiert am 8.9.2015). Für das Jahr 2008 galt Folgendes: Die Krankheitskosten für Einwohner unter 15 Jahren lagen bei jährlich 1360 Euro, bei Einwohnern zwischen 15 und 30 Jahren bei 1320 Euro, bei den 30 bis 45-jährigen bei 1700 Euro, bei den 45 bis 65-jährigen bei 3010 Euro, bei den 65 bis 85-jährigen bei 6520 Euro und bei Einwohnern von 85 Jahren und älter bei 14 840 Euro (Statistisches Bundesamt, aaO, S 14). Das allgemeine Ausgabenvolumen stellte sich im Jahr 2008 jedoch so dar, dass für die Gruppe der unter 65 Jahre alten Personen Krankheitskosten von insgesamt rund 131,2 Mrd Euro entstanden sind, für die Gruppe der 65-jährigen und älter aber "nur" rund 123,1 Mrd Euro ( https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/
tabelleErgebnis/23631-0002 , recherchiert am 8.9.2015). Öffentlich zugängliche Statistiken für die Jahre ab 2009 sind in der hier angegebenen Form nicht ersichtlich, was sich ua dadurch erklärt, dass nur bis 2008 die Zuteilung der Mittel an die Krankenkassen ua nach den durchschnittlichen altersabhängigen Leistungsausgaben erfolgte und diese dementsprechend altersabhängig ermittelt wurden. Seit 2009 werden die Mittel im Risikostrukturausgleich in erster Linie morbiditätsorientiert vergeben. Die altersabhängigen Gesundheitsausgaben werden seit 2009 vom Bundesversicherungsamt nur auf Stichprobenbasis ermittelt (vgl Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013, S 33).

68

Der überwiegende Teil der Gesamtkosten (Krankheitskosten) entstand nach den vorstehenden Ausführungen in der Generation der Erwerbstätigen selbst, und nicht - wie vom BVerfG im sPV-Urteil gefordert (BVerfGE 103, 242, 263 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 16 f)- "überproportional" in der Generation der Älteren/Nichterwerbstätigen. Hinzu kommt speziell im Beitragsrecht der GKV, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Krankheitskosten von der nicht mehr erwerbstätigen Generation selbst getragen wird, weil auch Rentner selbst Beiträge zur GKV aufbringen, sodass hier gerade keine eindeutige "überproportionale" Umverteilung von der jungen zur alten Generation erfolgt (vgl hierzu bereits BSG <1. Senat> BSGE 92, 46 RdNr 33 = SozR 4-2500 § 61 Nr 1 RdNr 34; Lenze, EuGRZ 2001, 280, 282 Fn 16). Entsprechend wies die Bundesregierung in einer Unterrichtung des Deutschen Bundestages am 4.11.2004 darauf hin, dass Rentner in der sPV nur ca 25 % ihrer Leistungsausgaben durch Beitragszahlungen selbst aufbringen, jedoch mehr als 80 % der Gesamtausgaben verursachen. Demgegenüber liegt der Eigenfinanzierungsanteil von Rentnern in der GKV immerhin bei ca 46 % ihrer Leistungsausgaben (vgl Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 8).

69

bb) Dessen ungeachtet ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Ungleichbehandlung der Kläger in der GKV auch in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt. In Anwendung der aus Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vom BVerfG entnommenen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (dazu oben 5. b> cc> <2>) stellt die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung der Krankenversicherungsbeiträge für Versicherte mit Kindern keinen Gleichheitsverstoß dar. Der Gesetzgeber hat auch im Beitragsrecht der GKV jedenfalls die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt (zu dieser Voraussetzung siehe bereits die Nachweise oben unter 5. b> cc> <2>), weil er die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile bereits im Beitrags- bzw Leistungsrecht der GKV ausgeglichen hat (dazu im Folgenden <1>). Überdies sind der "Erziehungsbeitrag" einerseits und der Finanzbeitrag andererseits auch in der GKV nicht gleichartig oder gleichwertig (dazu <2>). Ein sachlicher Grund für das Fehlen einer weitergehenden Berücksichtigung der Kindererziehungsleistung im Beitragsrecht der GKV liegt weiter darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern auch in der GKV als Teil ihrer allgemeinen Rahmenbedingungen darstellt (dazu <3>). Schließlich könnte eine Berücksichtigung dieses Aufwandes im Beitragsrecht der GKV ebenso wie in der GRV zu anderen verfassungsrechtlich problematischen Verwerfungen führen (dazu <4>).

70

(1) Der Gesetzgeber hat bereits deshalb die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil im Recht der GKV in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente bestehen und er die durch Kinderbetreuung und -erziehung entstehenden Nachteile so - entgegen der Auffassung der Kläger - bereits im Beitrags- bzw Leistungsrecht der GKV ausgeglichen hat (Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375 S 7 ff; ebenso Axer, DStJG 29 <2006>, 175, 198 mwN; Plagemann, ZIP 2001, 1041, 1045; zweifelnd Rothgang, SF 2001, 121, 123). Wie schon oben zum Beitragsrecht der GRV unter 5 b) cc) (2) ausgeführt, kommt es für die Frage nach einer Kompensation der Nachteile darauf an, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in der Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird. Das BVerfG verlangt in seinem sPV-Urteil gerade nicht den Ausgleich des Vorteils der Kinderlosen im Versicherungsfall, also des Transfers, den die heutigen Kinder als zukünftige Beitragszahler zugunsten der kinderlosen Versicherten im Rentenalter werden erbringen müssen (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 252). Die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung verbundene Belastung der Eltern, die in deren Erwerbsphase auftritt, ist auch in diesem Zeitraum auszugleichen (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22). Familienfördernde Elemente im System der GKV sind - zusammengefasst -:

        

•       

Beitragsfreie Familienversicherung (§ 10 SGB V),

        

•       

Krankengeld bei Erkrankung des Kindes (§ 45 SGB V),

        

•       

Anspruch auf Haushaltshilfe (§ 38 SGB V),

        

•       

keine Zuzahlungspflicht für Kinder (§ 39 Abs 4, § 40 Abs 5, 6 SGB V),

        

•       

Minderung der Belastungsgrenze für Zuzahlungen (§ 62 Abs 2 SGB V),

        

•       

Fortbestehen der Pflichtmitgliedschaft bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, Bezug von Erziehungsgeld oder Elterngeld oder bei Inanspruchnahme von Elternzeit (§ 192 Abs 1 Nr 2 SGB V),

        

•       

Beitragsfreiheit bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, Bezug von Erziehungsgeld oder von Elterngeld (§ 224 Abs 1 SGB V),

        

•       

Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft (früher: §§ 195 bis 200 RVO, seit 30.10.2012: §§ 24c bis 24i SGB V).

71

Das Beitragsrecht und Leistungsspektrum der GKV ist daher bereits spezifisch familien- und kinderorientiert; demzufolge ist die Solidarkomponente in der GKV zugunsten von Versicherten mit Kindern und Familien - de lege lata - erheblich stärker ausgeprägt als in der sPV. Dass mit der Berücksichtigung dieser Elemente - wie die Kläger meinen - lediglich eine "Symmetrie im Lebenslängsschnitt hergestellt" werde mit der Folge, dass diese Vergünstigungen als Kompensationen zwischen Eltern und Kinderlosen ausscheiden, erschließt sich daher nicht. Zu den Leistungen für kindererziehende Familien verweist der Senat ergänzend für die Zeit bis 2004 auf den Bericht der Bundesregierung (aaO, BT-Drucks 15/4375, S 7 ff), für die Zeit nach 2004 verweist er ergänzend auf die Sozialberichte der Bundesregierung (Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2005, BT-Drucks 15/5955, S 21, 37, 94 ff, 100; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2009, BT-Drucks 16/13830, S 20 ff, 57, 64, 74 ff, 79, 83, 86, 96, 109 f, 113, 117, 127 f, 132 f, 135, 190 f; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Nationaler Sozialbericht 2012, BT-Drucks 17/12649, S 7, 9 ff; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2013, BT-Drucks 17/14332, S 21, 41, 45 ff, 54, 57, 60, 99, 101, 149 f).

72

Neben anderen Vergünstigungen rechtfertigt vor allem die beitragsfreie Familienversicherung (§ 10 SGB V), dass von einer weiteren Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der GKV abgesehen werden durfte (siehe auch Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375 S 7 ff; Plagemann, ZIP 2001, 1041, 1045; Axer, DStJG 29 <2006>, 175, 198 mwN). Die Familienversicherung in der GKV reicht weiter als in der sPV, weil die Leistungen im Krankheitsfall von Kindern und beitragsfrei versicherten Ehegatten auch häufiger in Anspruch genommen werden. Ohne die Familienversicherung müssten Eltern Beiträge für Kinder aufbringen oder für Behandlungskosten bei Eintritt des Versicherungsfalles selbst aufkommen. Dem steht auch nicht das Ergebnis des von den Klägern vorgelegten Gutachtens (Niehaus, aaO) entgegen; danach soll die "Durchschnittsfamilie" mehr an Beiträgen in die GKV einzahlen als sie Leistungen in Anspruch nimmt; dieses Verhältnis soll sich erst ab dem vierten Kind umkehren. Selbst wenn man diesen Befund als richtig unterstellt und die der Untersuchung zugrunde gelegten (volkswirtschaftlichen) Parameter bzw den durch Zahlenwerte konkretisierten Rahmen der Studie für zutreffend hält, ist der Ansatzpunkt dieser Untersuchung problematisch und macht aus der "beitragsfreien Familienversicherung" - entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht - keine solche, in der Beiträge (mittelbar) eben doch entrichtet werden müssen. Die "Simulationsrechnung" berücksichtigt nicht, dass die GKV eine Risikoabsicherung bietet, also im weiteren Sinne eine Risikoversicherung ist. Durch seine Beiträge "erkauft" der Versicherte für sich und seine Mitversicherten, dass er bzw sie bei Eintritt des Versicherungsfalles gegen das Risiko "Krankheit" verbunden mit Krankheitskosten abgesichert ist und sind und entsprechende Leistungen in Anspruch nehmen kann und können. Allein schon hierin besteht ein wirtschaftlicher Wert. Ob sich das Risiko tatsächlich verwirklicht und falls ja, in welchem Umfang, ist für die Beitragsbemessung unerheblich; Beiträge in der GKV sind bezogen auf den einzelnen Versicherten ausschließlich einnahmenorientiert.

73

(2) Für die hier zu prüfende Differenzierung bzw Gleichbehandlung im Beitragsrecht der GKV besteht auch deshalb ein rechtfertigender Grund, weil der in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegende "Beitrag" und der Finanzbeitrag in der GKV nicht gleichartig oder gleichwertig sind. Auf die bereits oben zum Beitragsrecht der GRV gemachten Ausführungen wird insoweit verwiesen (oben 5. b> cc> <2> ). Es fehlt auch in der GKV an der Gleichartigkeit, weil mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung für die - aktuell - zu finanzierenden Leistungen der GKV weder ein unmittelbarer noch ein mittelbarer Beitrag geleistet wird. Der Beitrag zur Aufrechterhaltung der GKV, der in Form von Kinderbetreuung und -erziehung geleistet wird, kann im Unterschied zu den "greifbaren" monetären Beiträgen nicht sogleich wieder als Leistung an Leistungsberechtigte gewährt werden. Ebenso wie in der GRV geht es - entgegen der Auffassung der Kläger - auch hier weiterhin um die Frage einer Gleichsetzung von monetären mit generativen Beiträgen (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 249; Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 88 f). Der Rückgriff auf den mit der Erziehungsleistung einhergehenden "Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung" als Vergleichsmaßstab bzw "gemeinsamer Nenner" (so Lenze, NZS 2007, 407, 408) verhilft dem Begehren der Kläger auch in der GKV nicht zum Erfolg, weil dieser "Verzicht" gerade aus dem Aufwand für die Kinderbetreuung und -erziehung bzw aus der Aufbringung der Beiträge stammt.

74

(3) Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der einschlägigen beitragsrechtlichen Bestimmungen am Maßstab des Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG ist überdies zu berücksichtigen, dass sich der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern auch in der GKV als Teil ihrer allgemeinen Rahmenbedingungen darstellt. Sein Ausgleich ist keine spezifische Aufgabe der GKV und muss daher nicht zwingend durch eine weitergehende Berücksichtigung der Kinderbetreuungs- und -erziehungsleistung im Beitragsrecht der GKV vorgenommen werden. Auf die obigen Ausführungen zum Beitragsrecht der GRV (oben 5. b> cc> <2>) wird insoweit verwiesen. Auch für die GKV gilt, dass sie nicht Aufgaben der Gesamtgesellschaft zu lösen hat. Wie bereits angesprochen führt das BVerfG in seinem sPV-Urteil aus, dass auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen jede staatliche Gemeinschaft angewiesen ist und so an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Das allein gebietet es nicht, diese Erziehungsleistung zugunsten der Familien in einem bestimmten sozialen Leistungssystem zu berücksichtigen (BVerfGE 103, 242, 265 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 18).

75

(4) Zu bedenken ist schließlich, dass eine von den Klägern erstrebte besondere Berücksichtigung der Betreuung und Erziehung von Kindern auch im Beitragsrecht der GKV zu anderen verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen führen könnte, weil sie neue Gleichbehandlungsprobleme nach sich zöge. Auch insoweit ist auf die bereits oben gemachten Ausführungen zur GRV zu verweisen (oben 5. b> cc> <2> ). Die Berücksichtigung auf der Beitragsseite könnte auch in der GKV solche Eltern benachteiligen, die nicht Mitglied der GKV sind. Zudem könnten Kinderlose, die nicht Mitglied der GKV sind, nicht an einem Ausgleich teilnehmen. Schließlich könnte die von den Klägern geforderte Ausgestaltung des Beitragsrechts auch in der GKV eine Umverteilung von niedrigen zu höheren Einkommen zur Folge haben. Zum einen könnten im System besserverdienende Kindererziehende durch die Beitragsentlastung stärker begünstigt werden als Kindererziehende mit geringerem Einkommen. Zum anderen käme es möglicherweise bei Kinderlosen zu einer Privilegierung von gut verdienenden gegenüber weniger gut verdienenden Versicherten. Dass dies eintreten kann, beruht auf dem Umstand, dass die beitragspflichtigen Einnahmen auch in der GKV durch eine Beitragsbemessungsgrenze begrenzt sind. Bei alledem kommt in der GKV hinzu, dass die Berücksichtigung der Kinderkomponente innerhalb dieses Systems auf der Beitragsseite Personen, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei sind und das System daher verlassen können (vgl § 6 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 6, § 9 SGB V), an einem kinderbetreuungs- und kindererziehungsbezogenen Ausgleich gar nicht beteiligen würde.

76

7. Der Senat ist schließlich nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass die hier maßgebenden Bestimmungen des Beitragsrechts der sPV unter Einschluss ihrer Änderungen in Umsetzung des sPV-Urteils (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Pflegeversicherungsbeitrag von Versicherten mit Kindern nicht - wie von den Klägern gefordert - zu ermäßigen ist (dazu b).

77

a) Die Bemessung der (eigenen) Beiträge der Kläger zur sPV ohne Berücksichtigung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder - im Umfang eines fixen Betrages bzw gestaffelt nach der Kinderzahl - steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften.

78

Nach § 54 Abs 2 S 1 SGB XI(diese wie auch die nachfolgenden Bestimmungen des SGB XI im Wesentlichen in der bis heute fortgeltenden Fassung vom 26.5.1994, BGBl I 1014) werden die Pflegeversicherungsbeiträge nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§ 55 SGB XI) erhoben. § 55 Abs 1 SGB XI regelt den Beitragssatz. Er betrug in der hier streitigen Zeit 1,7 vH bzw ab 1.7.2008 1,95 vH der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder. Nach § 55 Abs 3 S 1 SGB XI(eingefügt durch Art 1 KiBG vom 15.12.2004, BGBl I 3448) erhöht sich der Beitragssatz nach Abs 1 S 1 und 2 für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in dem sie das 23. Lebensjahr vollendet haben, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose). Den Beitragszuschlag für Kinderlose tragen grundsätzlich die Mitglieder (§ 58 Abs 1 S 3, § 59 Abs 5 SGB XI). Kein Beitragszuschlag ist nach § 55 Abs 3 S 2 SGB XI von versicherten Eltern iS des § 56 Abs 1 S 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 2 und 3 SGB I zu entrichten. Keinen Beitragszuschlag zahlen auch vor dem 1.1.1940 geborene Versicherte, Wehr- und Zivildienstleistende und Bezieher von Arbeitslosengeld II (§ 55 Abs 3 S 7 SGB XI). § 57 Abs 1 S 1 SGB XI bestimmt, dass bei Mitgliedern der Pflegekasse, die in der GKV pflichtversichert sind, für die Beitragsbemessung ua § 226 SGB V gilt. Nach § 58 Abs 1 S 1 SGB XI tragen die in der GKV versicherungspflichtigen Beschäftigten und ihre Arbeitgeber die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge jeweils zur Hälfte. Dass Pflegeversicherungsbeiträge der Kläger im Zeitraum von 2006 bis 2012 in zutreffender Anwendung dieser Vorschriften erhoben wurden, ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit.

79

Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen über den Beitragszuschlag für Kinderlose das sPV-Urteil des BVerfG (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) umgesetzt (vgl dazu bereits BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 10). Das BVerfG hatte in dieser Entscheidung die damaligen beitragsrechtlichen Vorschriften der § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 S 1 und Abs 2 sowie § 57 SGB XI für unvereinbar mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG erklärt, soweit Mitglieder der sPV mit Kindern mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag belastet wurden wie Mitglieder ohne Kinder. Es hat ausgeführt, dass Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG dadurch verletzt ist, dass die Betreuung und Erziehung von Kindern als konstitutive Leistung für das Pflegeversicherungssystem bei der Bemessung von Beiträgen beitragspflichtiger Versicherter keine Berücksichtigung findet. Dadurch wird - so das BVerfG - die Gruppe der Versicherten mit Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sPV, die aus dieser Betreuungs- und Erziehungsleistung im Fall ihrer Pflegebedürftigkeit Nutzen ziehen, in verfassungswidriger Weise benachteiligt. Wird dieser "generative Beitrag" nicht mehr in der Regel von allen Versicherten erbracht, führt dies zu einer spezifischen Belastung kindererziehender Versicherter im Pflegeversicherungssystem, deren benachteiligende Wirkung auch innerhalb dieses Systems auszugleichen ist.

80

Das BVerfG hat damit verbindlich entschieden, dass der Nachteil kindererziehender Versicherter bzw der Vorteil kinderloser Versicherter in der sPV systemspezifisch beitragsrechtlich zu kompensieren ist. Für die vom BVerfG geforderte beitragsrechtliche Kompensation des Nachteils kindererziehender Versicherter in der sPV hat der Gesetzgeber allerdings nicht die (eigenen) Beiträge der Versicherten mit Kindern - etwa (allein) anknüpfend an den Tatbestand ihrer Elternschaft oder sogar in Abhängigkeit von der Kinderzahl - reduziert, sondern die Beiträge für Kinderlose um 0,25 Beitragssatzpunkte erhöht.

81

b) Die Kläger können nicht unter Hinweis auf das sPV-Urteil, dh Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabes durch das BVerfG, beanspruchen, wegen des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder beitragsrechtlich weitergehend - als mit dem KiBG bereits geschehen - entlastet zu werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers durch das sPV-Urteil in der von ihnen behaupteten Weise eingeschränkt war (dazu aa). Bei der Ausfüllung des ihm insoweit zustehenden Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber die ihm eingeräumte Befugnis zur Generalisierung und Typisierung bei der Ordnung von Massenerscheinungen nicht überschritten (dazu bb).

82

aa) Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung stellt das BVerfG in seinem sPV-Urteil nicht auf die "Zahl der generativen Beiträge" ab und hat der Gesetzgeber des KiBG dieses Urteil auch nicht missachtet, weil § 55 Abs 3 SGB XI "lediglich einen Beitragszuschlag für Kinderlose anordnet, aber keine Differenzierung nach der Kinderzahl enthält". Der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers war durch das sPV-Urteil nicht in der von den Klägern behaupteten Weise verengt.

83

Wie der Senat bereits entschieden hat (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 15, 17) hat die Entscheidung des Gesetzgebers, Kinderlose mit einem erhöhten Beitrag zu belasten, Versicherte mit Kindern aber ohne Unterscheidung nach der Kinderzahl, (allein) in Anknüpfung an ihre Elterneigenschaft weiter Pflegeversicherungsbeiträge nach dem bisherigen Beitragssatz zahlen zu lassen, die vom BVerfG geforderte relative Beitragsentlastung bewirkt. Es ist nicht erkennbar, dass danach verfassungsrechtlich zusätzlich eine Reduzierung der (eigenen) Pflegeversicherungsbeiträge von Eltern ggf in Abhängigkeit von der Zahl der Kinder - etwa (auch) durch den Abzug von Absetzungsbeträgen je Kind von der Bemessungsgrundlage - geboten gewesen wäre. An dieser Bewertung des sPV-Urteils hält der Senat fest. Die von den Klägern geforderte Regelung würde demgegenüber zu Beitragsausfällen führen, die mit Beitragssatzerhöhungen für andere Pflegeversicherte kompensiert werden müssten; bei angestrebter Beibehaltung des Beitragsaufkommens hätte das zur Folge, dass Kinderlose (noch) höhere Pflegeversicherungsbeiträge zahlen müssten (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 15).

84

Zwar formuliert das BVerfG im sPV-Urteil, dass den Versicherten ohne Kinder im Versicherungsfall ein Vorteil aus der Erziehungsleistung anderer beitragspflichtiger Versicherter erwächst, die wegen der Erziehung zu ihrem Nachteil auf Konsum und Vermögensbildung verzichten (BVerfGE 103, 242, 264 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17 mwN). An anderer Stelle wird ausgeführt, dass der danach zwischen Eltern und kinderlosen Personen vorzunehmende Ausgleich jedenfalls durch Regelungen erfolgen muss, die die Elterngeneration während der Zeit der Betreuung und Erziehung entlasten; denn die Beiträge, die von der heutigen Kindergeneration später im Erwachsenenalter auch zugunsten pflegebedürftiger kinderloser Versicherter geleistet werden, basieren maßgeblich auf den Erziehungsleistungen ihrer heute versicherungspflichtigen Eltern. Die hiermit verbundene Belastung der Eltern tritt in deren Erwerbsphase auf und ist deshalb auch in diesem Zeitraum auszugleichen (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22 mwN).

85

Vor diesem Hintergrund ist den Klägern zwar einzuräumen, dass die Erziehung von mehreren Kindern auch zu entsprechend größeren Erziehungslasten führt und "Konsumverzicht und Vermögensbildung nicht nur abhängig vom Einkommen, sondern insbesondere auch von der Kinderzahl größer oder kleiner ausfallen" (so auch die Ausführungen des Bundesrates in seiner Unterrichtung des Bundestages über die Anrufung des Vermittlungsausschusses zum KiBG: BT-Drucks 15/4176 unter a; ebenso Bauer/Krämer, NJW 2005, 180, 181 f). Das BVerfG zieht jedoch in seinen Ausführungen gerade nicht den Schluss, dass ein Nachteilsausgleich nur durch eine Beitragsentlastung der Eltern - ggf gestaffelt nach der Kinderzahl - erfolgen könne. Vielmehr verweist es darauf, dass dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten offenstehen, die Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Das GG verpflichtet den Gesetzgeber - so das BVerfG - lediglich dazu, beitragspflichtige Versicherte mit einem oder mehreren Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sPV bei der Bemessung der Beiträge relativ zu entlasten. Insoweit ist er von Verfassungs wegen verpflichtet, eine Lösung zu wählen, die Unterhaltsverpflichtete bereits ab dem ersten Kind relativ entlastet. Das ist zwar nicht in der Weise geschehen, dass eine individuelle, die jeweilige konkrete Familiensituation erfassende Beitragsvergünstigung für versicherte Eltern gewährt wird, sondern indem kinderlosen Versicherten generalisierend eine zusätzliche Belastung in Form eines höheren Beitragssatzes allgemein auferlegt wird.

86

bb) War der Gesetzgeber danach in den geschilderten Grenzen frei zu entscheiden, wie er Versicherte mit einem Kind oder mehreren Kindern im Hinblick auf ihren Betreuungs- und Erziehungsaufwand gegenüber kinderlosen Mitgliedern bei der Bemessung der Pflegeversicherungsbeiträge relativ entlastete, so hat er hier bei der Ausgestaltung eines den verfassungsgerichtlichen Vorgaben entsprechenden Beitragsrechts der sPV durch das KiBG die ihm von Verfassungs wegen im Sozialrecht gezogenen Grenzen für generalisierende bzw typisierende Regelungen eingehalten (vgl allgemein zu der hier bestehenden Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers BVerfG SozR 4-3300 § 55 Nr 3 RdNr 9-11).

87

Jede Norm muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie bei der Beitragsbemessung in der sPV (vgl - zur Beitragsbemessung bei freiwillig Versicherten der GKV - BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 15/13 R - Juris RdNr 39, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 240 Nr 25 vorgesehen) sind generalisierende, typisierende und pauschalierende Regeln allgemein als notwendig anerkannt und vom BVerfG im Grundsatz ständig als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden (vgl BVerfGE 17, 1, 23; aus der letzten Zeit BVerfGE 113, 167, 236; stRspr); der Gesetzgeber ist dabei gezwungen, aber auch berechtigt, sich am Regelfall zu orientieren. Unbedenklich ist eine Typisierung aber nur, soweit eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen benachteiligt wird und der Grundrechtsverstoß nicht sehr intensiv ist (vgl BVerfGE 26, 265, 275 f; aus jüngerer Zeit BVerfGE 133, 377, 413); wesentlich für die Zulässigkeit einer typisierenden Regelung ist hierbei auch, ob eine durch sie entstehende Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wäre (vgl BVerfGE 63, 119, 128; BVerfGE 133, 377, 413).

88

Hieran gemessen ist die Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Bemessung der Beiträge zur sPV von Mitgliedern mit Kindern nicht nach der Kinderzahl zu differenzieren, nicht zu beanstanden. Das Gesetz behandelt die von den Klägern repräsentierte Personengruppe - Eltern mit drei Kindern - und Eltern mit (nur) einem Kind oder zwei Kindern zwar gleich, weil alle Eltern weiter Pflegeversicherungsbeiträge nach dem bisherigen Beitragssatz bzw ohne Absetzungen für Kinder von der Bemessungsgrundlage zahlen. Die hierdurch entstehenden Härten und Ungerechtigkeiten sind jedoch hinzunehmen.

89

Der Senat hat bereits entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Beitragsrechts in der sPV durch das KiBG vom Regelfall ausgegangen ist und so die vom BVerfG geforderte relative Entlastung gegenüber Kinderlosen an das (bloße) Vorhandensein bereits eines Kindes knüpfen sowie ab dessen Geburt eine dauerhafte Beitragsentlastung vorsehen durfte (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 17). So lebten im Jahr 2006 in 16 % aller Privathaushalte ein Kind, in 11,4 % aller Privathaushalte zwei Kinder, in 2,9 % der Privathaushalte - wie die Kläger einen führen - drei Kinder, in 0,6 % vier Kinder und in 0,2 % fünf Kinder und mehr (Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit - Haushalte und Familien - Ergebnisse des Mikrozensus 2006, 2008). Die Situation stellte sich im Jahr 2012 ähnlich dar: In 15,1 % aller Privathaushalte lebte ein Kind, in 10,6 % aller Privathaushalte lebten zwei Kinder, in 2,6 % drei Kinder, in 0,5 % vier Kinder und in 0,2 % fünf Kinder und mehr (Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit - Haushalte und Familien - Ergebnisse des Mikrozensus 2012, 2013, S 27). Die geforderte Berücksichtigung des "generativen Beitrags" reicht vor diesem Hintergrund aus, um typisierend an die Stellung als Eltern als solche, dh die Elterneigenschaft, anzuknüpfen, ohne dass etwa nach tatsächlichem Umfang oder tatsächlicher Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung differenziert werden müsste; die Entlastung kann bei der Beitragsbemessung durch die Berücksichtigung allein der Tatsache geschehen, dass bei einem Versicherten betreuungs- bzw erziehungsbedürftige Kinder vorhanden sind. Auch das hat der Senat in der genannten Entscheidung bereits ausgeführt (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 17). Nichts anderes kann für einen tatsächlich erhöhten Umfang bzw eine tatsächlich längere Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung infolge einer größeren Kinderzahl gelten. Soweit gesetzliche Verallgemeinerungen auf einer möglichst weiten, alle betroffenen Personengruppen einschließenden Beobachtung aufbauen, ist der Gesetzgeber nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (BVerfGE 96, 1, 6 mwN; zuletzt BVerfGE 133, 377, 412 mwN).

90

8. Die Klage ist schließlich auch hinsichtlich des Hilfsantrages der Kläger unbegründet, das angefochtene Urteil des LSG mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

91

Eine solche Verfahrensweise kommt nach § 170 Abs 2 S 1 und 2 SGG nur in Betracht, wenn die Revision zwar begründet, eine Entscheidung des BSG in der Sache aber - etwa weil zur Gewährleistung eines verfahrensfehlerfreien sozialgerichtlichen Prozesses in tatsächlicher Hinsicht noch Feststellungen zu treffen sind(vgl zB Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 170 RdNr 7 ff mwN)- "untunlich" ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

92

Ein Verfahrensmangel - hier ein von den Klägern geltend gemachter Verstoß des LSG gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) -, der ggf zur Aufhebung des Urteils des LSG führen müsste, ist nicht gegeben, weil sich das LSG als Tatsachengericht ausgehend von seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung nicht gedrängt fühlen musste, weitere Ermittlungen anzustellen (zu den Voraussetzungen: zB BSGE 40, 49, 50 = SozR 3100 § 30 Nr 7 S 33 f).

93

Das BVerfG hat in seinem sPV-Urteil (BVerfGE 103, 242, 259 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13)entschieden, dass die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen unter dem Vorbehalt des Möglichen und im Kontext anderweitiger Fördernotwendigkeiten steht. Der Gesetzgeber hat danach unter Ausübung des ihm insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums im Interesse des Gemeinwohls - wie bereits oben wiederholt ausgeführt - neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nur unter Abwägung aller Belange lässt sich ermitteln, ob die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genügt. Konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme und somit auch für die Sozialversicherungszweige lassen sich hieraus - so das BVerfG im sPV-Urteil (BVerfGE 103, 242, 259 f = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13 f)- gerade nicht ableiten.

94

Dies bedeutet indessen, dass eine Prüfung nach verfassungsrechtlichen Maßstäben "nur" eine Gesamtabwägung aller Gemeinschaftsbelange erfordert. Demzufolge kommt es in diesem Zusammenhang gerade nicht entscheidend auf einen konkret bezifferten "externen Effekt" eines Kindes an - also darauf, in welchem Maße die Beiträge, die ein Kind im Verlaufe seines Lebens im jeweiligen Sozialversicherungszweig entrichtet, die von ihm in Anspruch genommenen Leistungen übersteigt (so aber am Beispiel der GRV Werding, aaO; allgemein: Adrian, Die ökonomischen Ursachen der niedrigen Fertilität in Deutschland, Beitrag für DGD-Jahrestagung 2012, vom 14. bis 16. März 2012 in Berlin) - oder ob möglicherweise mehr durch Familien an Beiträgen unter Berücksichtigung der Kosten in die Sozialversicherungszweige eingezahlt wird, als an Leistungen in Anspruch genommen werden (dazu zur GKV: Niehaus, aaO; zur GRV: Loos, Kurzgutachten zum Thema "Transferausbeutung der Familien durch die Gesetzlichen Sozialversicherungen - am Beispiel der Gesetzlichen Rentenversicherung", Bl 254 ff der LSG-Akte) an. Zu entsprechenden weitergehenden Ermittlungen war das LSG daher nicht verpflichtet.

95

9. Auch der Senat war - vor dem Hintergrund der vorstehend unter 8. gemachten Ausführungen - nicht gehalten, in eigene Ermittlungen einzutreten bzw insoweit auf die von den Klägern für entscheidungserheblich angesehenen und als allgemeine Tatsachen bewerteten Umstände einzugehen bzw diesen weiter nachzugehen. Es fehlt insoweit aus den oben wiederholt dargelegten rechtlichen Erwägungen an der Entscheidungserheblichkeit für den Ausgang des Rechtsstreits.

96

10. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dabei hat der Senat nach billigem Ermessen davon abgesehen, den Klägern trotz ihres Obsiegens mit ihrer Anfechtungsklage gegen die Beklagte einen Anspruch auf teilweise Kostenerstattung einzuräumen. Denn die erfolgte Aufhebung der Bescheide beruht auf rechtlichen Erwägungen, auf die sich die Kläger im Rechtsstreit nicht einmal gestützt haben. Entscheidend und offenkundig prägend für den Ausgang des Revisionsverfahrens ist es vielmehr, dass die Kläger mit ihrem Begehren in der Sache in allen Punkten nicht durchgedrungen sind.

(1) Versicherungspflichtig sind

1.
Jugendliche, die in Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation nach § 51 des Neunten Buches Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten, die ihnen eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen sollen, sowie Personen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe für eine Erwerbstätigkeit befähigt werden sollen,
2.
Personen, die nach Maßgabe des Wehrpflichtgesetzes, des § 58b des Soldatengesetzes oder des Zivildienstgesetzes Wehrdienst oder Zivildienst leisten und während dieser Zeit nicht als Beschäftigte versicherungspflichtig sind,
3.
(weggefallen)
3a.
(weggefallen)
4.
Gefangene, die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung (§§ 43 bis 45, 176 und 177 des Strafvollzugsgesetzes) erhalten oder Ausbildungsbeihilfe nur wegen des Vorrangs von Leistungen zur Förderung der Berufsausbildung nach diesem Buch nicht erhalten; das Versicherungspflichtverhältnis gilt während arbeitsfreier Sonnabende, Sonntage und gesetzlicher Feiertage als fortbestehend, wenn diese Tage innerhalb eines zusammenhängenden Arbeits- oder Ausbildungsabschnittes liegen. Gefangene im Sinne dieses Buches sind Personen, die im Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung oder einstweilig nach § 126a Abs. 1 der Strafprozeßordnung untergebracht sind,
5.
Personen, die als nicht satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genossenschaften oder ähnlicher religiöser Gemeinschaften für den Dienst in einer solchen Genossenschaft oder ähnlichen religiösen Gemeinschaft außerschulisch ausgebildet werden.

(2) Versicherungspflichtig sind Personen in der Zeit, für die sie

1.
von einem Leistungsträger Mutterschaftsgeld, Krankengeld, Versorgungskrankengeld, Verletztengeld oder von einem Träger der medizinischen Rehabilitation Übergangsgeld beziehen,
2.
von einem privaten Krankenversicherungsunternehmen Krankentagegeld beziehen,
2a.
von einem privaten Krankenversicherungsunternehmen, von einem Beihilfeträger des Bundes, von einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Träger von Kosten in Krankheitsfällen auf Bundesebene, von dem Träger der Heilfürsorge im Bereich des Bundes, von dem Träger der truppenärztlichen Versorgung oder von einem öffentlich-rechtlichen Träger von Kosten in Krankheitsfällen auf Landesebene, soweit Landesrecht dies vorsieht, Leistungen für den Ausfall von Arbeitseinkünften im Zusammenhang mit einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen beziehen,
2b.
von einer Pflegekasse, einem privaten Versicherungsunternehmen, der Festsetzungsstelle für die Beihilfe oder dem Dienstherrn Pflegeunterstützungsgeld beziehen oder
3.
von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehen,
wenn sie unmittelbar vor Beginn der Leistung versicherungspflichtig waren oder Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung nach diesem Buch hatten.

(2a) Versicherungspflichtig sind Personen in der Zeit, in der sie ein Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, wenn sie

1.
unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig waren oder Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung nach diesem Buch hatten und
2.
sich mit dem Kind im Inland gewöhnlich aufhalten oder bei Aufenthalt im Ausland Anspruch auf Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz oder Bundeskindergeldgesetz haben oder ohne die Anwendung des § 64 oder § 65 des Einkommensteuergesetzes oder des § 3 oder § 4 des Bundeskindergeldgesetzes haben würden.
Satz 1 gilt nur für Kinder
1.
der oder des Erziehenden,
2.
seiner nicht dauernd getrennt lebenden Ehegattin oder ihres nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder
3.
ihrer nicht dauernd getrennt lebenden Lebenspartnerin oder seines nicht dauernd getrennt lebenden Lebenspartners.
Haben mehrere Personen ein Kind gemeinsam erzogen, besteht Versicherungspflicht nur für die Person, der nach den Regelungen des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung die Erziehungszeit zuzuordnen ist (§ 56 Abs. 2 des Sechsten Buches).

(2b) Versicherungspflichtig sind Personen in der Zeit, in der sie als Pflegeperson einen Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne des Elften Buches, der Leistungen aus der Pflegeversicherung nach dem Elften Buch oder Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch oder gleichartige Leistungen nach anderen Vorschriften bezieht, nicht erwerbsmäßig wenigstens zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage in der Woche, in seiner häuslichen Umgebung pflegen, wenn sie unmittelbar vor Beginn der Pflegetätigkeit versicherungspflichtig waren oder Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung nach diesem Buch hatten. Versicherungspflicht besteht auch, wenn die Voraussetzungen durch die Pflege mehrerer Pflegebedürftiger erfüllt werden.

(3) Nach Absatz 1 Nr. 1 ist nicht versicherungspflichtig, wer nach § 25 Abs. 1 versicherungspflichtig ist. Nach Absatz 1 Nr. 4 ist nicht versicherungspflichtig, wer nach anderen Vorschriften dieses Buches versicherungspflichtig ist. Versicherungspflichtig wegen des Bezuges von Mutterschaftsgeld nach Absatz 2 Nr. 1 ist nicht, wer nach Absatz 2a versicherungspflichtig ist. Nach Absatz 2 Nr. 2 ist nicht versicherungspflichtig, wer nach Absatz 2 Nr. 1 versicherungspflichtig ist oder während des Bezugs von Krankentagegeld Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch hat. Nach Absatz 2a und 2b ist nicht versicherungspflichtig, wer nach anderen Vorschriften dieses Buches versicherungspflichtig ist oder während der Zeit der Erziehung oder Pflege Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch hat; Satz 3 bleibt unberührt. Trifft eine Versicherungspflicht nach Absatz 2a mit einer Versicherungspflicht nach Absatz 2b zusammen, geht die Versicherungspflicht nach Absatz 2a vor.

(4) (weggefallen)

Tenor

Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Juni 2010 geändert.

Die Bescheide der Beklagten vom 3. Februar 2004 und der Widerspruchsbescheid vom 1. November 2006 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Hälfte der Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) bei Eltern im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder zu reduzieren sind.

2

Die Kläger sind verheiratete Eltern ihrer 1990, 1993 und 1996 geborenen Kinder. Die Klägerin ist bei der Beigeladenen zu 4. als Krankenschwester teilzeit-, der Kläger ist beim Beigeladenen zu 3. als Gemeindereferent beschäftigt. Sie sind bei der Beigeladenen zu 1. pflege- und bei der Beigeladenen zu 2. rentenversichert. Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse, der Kläger war dort bis Ende 2010 Mitglied, danach war er in der GKV versicherungsfrei.

3

Am 28.1.2004 beantragten die Kläger bei der Beklagten auf die Erhebung von Beiträgen zur GRV zu verzichten, hilfsweise einen Beitragsnachlass zur gewähren. Mit Bescheiden vom 3.2.2004 lehnte die Beklagte gegenüber den Klägern die Anträge ab. Hiergegen legten die Kläger am 25.2.2004 Widerspruch ein und verwiesen zur Begründung auf das Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - zur sPV (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2, im Folgenden: sPV-Urteil) und auf die Begründung in den Verfahren, die am 23.9.2003 vor dem BSG verhandelt wurden (B 12 RA 7/01 R ua). Gleichzeitig erklärten sie ihr Einverständnis mit einem Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BSG, worauf die Beklagte den Widerspruch zunächst nicht weiterbearbeitete. Am 25.7.2006 erhoben die Kläger beim SG Untätigkeitsklage. Hierauf wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006 Bezug nehmend auch auf einen Antrag der Kläger vom 17.12.2005 den Widerspruch gegen die Bescheide vom 3.2.2004 zurück.

4

Daraufhin nahmen die Kläger die Untätigkeitsklage zurück, erhoben jedoch gleichzeitig beim SG Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17.6.2010).

5

Im anschließenden Berufungsverfahren haben die Kläger begehrt, dass die Sozialversicherungsbeiträge nur nach der "Hälfte der bisherigen Bemessung" erhoben werden, hilfsweise, dass bei der Beitragsbemessung 833 Euro je Kind und Monat bzw (weiter) hilfsweise, dass ein Betrag in Höhe des steuerlichen Existenzminimums abgezogen wird. Das LSG hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen (Urteil vom 27.1.2012). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beitragsbemessung entspreche den gesetzlichen Regelungen. Diese verstießen nicht gegen Art 6 Abs 1 iVm Art 3 GG, weil der Gesetzgeber einen weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum habe. Als Konkretisierung und Ausformung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages nach Art 6 Abs 1 GG sei dabei auch der Familienlastenausgleich zu berücksichtigen, selbst wenn sich die additive Höhe der hierdurch bewirkten Entlastung von Familien nicht konkret beziffern lasse. Der Gesetzgeber habe das Verfassungsrecht bei der Ausgestaltung der Teilsysteme der Sozialversicherung beachtet, weil er den Familienlastenausgleich durch zahlreiche Vorschriften ausgebaut (zB Kindererziehungszeiten in der GRV; kostenfreie Familienversicherung in der GKV) und er die Entscheidung des BVerfG für die sPV mit dem Gesetz zur Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung (Kinder-Berücksichtigungsgesetz ) zudem beanstandungsfrei umgesetzt habe. Das BVerfG selbst habe die Erwägungen des sPV-Urteils in der Folgezeit nicht auf andere Sozialversicherungszweige übertragen, sondern sei - in einem Urteil zur Alterssicherung der Landwirte (BVerfGE 109, 96 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2) - davon sogar abgerückt. Auch das BSG habe aus dem sPV-Urteil keinen verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf für andere Sozialversicherungszweige hergeleitet. Einer Beweiserhebung habe es bei alledem weder unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs der Kläger noch unter demjenigen der Amtsermittlungspflicht bedurft, insbesondere nicht zu der von den Klägern postulierten Pflicht, durch Sachverständige einzelne "Transfersalden" für Kinder zu ermitteln. Da der Familienlastenausgleich durch zahlreiche Regelungen des Sozialrechts und des Steuerrechts bewirkt werde, komme es auf solche Ermittlungen wegen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht an. Der Familienlastenausgleich sei nicht isoliert auf das Sozialversicherungsrecht bezogen.

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger - mit umfänglichem Vorbringen - im Wesentlichen, das LSG habe verkannt, dass die einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen zur Beitragsbemessung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstießen, soweit versicherte Eltern mit gleich hohen Beiträgen wie kinderlose Versicherte belastet würden. Konkret rügen sie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in Bezug auf die GRV durch § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 der Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze in der GRV für das Jahr 2012(vom 19.12.2011, BGBl I 2795, Beitragssatzverordnung 2012 - BSV 2012), hinsichtlich der GKV durch § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V, und im Hinblick auf die sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI sowie durch § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1 SGB XI und § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V.

7

Das BVerfG habe sich in seinem sPV-Urteil von einem leistungsrechtlichen Ansatz distanziert. Es diskutiere dort die unzureichende Kompensation der Erziehungslasten nicht mehr unter dem Aspekt der allgemeinen leistungsrechtlichen Förderungspflicht des Staates (Art 6 Abs 1 GG), sondern als Gleichheits- und Teilhabeproblem (Art 3 Abs 1 GG) unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz werde zu einem Grundrecht auf "intragene-rationelle Gleichbehandlung" fortentwickelt. Die Systeme der GRV, GKV und sPV erfüllten die Voraussetzungen, die das BVerfG für eine zu beanstandende fehlende Differenzierung im Beitragsrecht zwischen Eltern und Kinderlosen aufgestellt habe (= Abdeckung eines in einem geschlossenen intergenerationellen System erfassten Risikos, das überproportional im Alter auftrete und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert werde; Absehbarkeit, dass ein signifikanter Teil der Versicherten kinderlos bleibe). Das sPV-Urteil sei auch auf die GRV und die GKV zu übertragen: GRV und GKV deckten als umlagefinanzierte Systeme ebenso wie die sPV ein Risiko ab, das überproportional im Alter auftrete. Die geforderte Mindestgeschlossenheit sei ebenso gegeben, wie die Absehbarkeit fehlender generativer Beiträge. In der GRV müsse die Umsetzung der Maßstäbe aus dem sPV-Urteil des BVerfG systemimmanent erfolgen. Die Rechtsprechung des BVerfG sei insoweit bindend (§ 31 BVerfGG). Die in der GRV anerkannten Kindererziehungszeiten seien für die Annahme eines Vorteilsausgleichs strukturell ungeeignet und stellten auch keinen echten Vorteilsausgleich dar, weil die Beiträge hierfür der Bund leiste (§ 177 Abs 1 SGB VI); dh alle Steuerpflichtigen und nicht nur Kinderlose. Gleichzeitig bestehe eine Benachteiligung der Eltern im Leistungsrecht. Diese erlitten durch die Unterbrechungen und Einschränkungen der Erwerbsbiografie (zB Teilzeitarbeit) vielfach Verluste an persönlichen Entgeltpunkten, die nicht durch Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI) kompensiert würden. Das Argument, die demografische Entwicklung sei ein gesamtgesellschaftliches Problem und müsse abgabenpolitisch steuerfinanziert auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gelöst werden, sei ohne verfassungsrechtliche Relevanz. Neben der GRV müsse aber auch in der GKV ein systeminterner Vorteilsausgleich gesucht werden. Die Möglichkeit der beitragsfreien Familienversicherung (§ 10 SGB V) reiche insoweit nicht aus. Das Beitragsrecht in der sPV sei auch nach den Änderungen durch das KiBG verfassungswidrig. Insbesondere fehle im geltenden Recht die - auf der Grundlage des sPV-Urteils gebotene - Berücksichtigung der Anzahl der Kinder bei der Beitragsbemessung. Die Kläger untermauern ihre Auffassung durch Gutachten der Bertelsmann-Stiftung (Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013; Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013).

8

Im Schriftsatz vom 20.7.2016 führen die Kläger ua ergänzend aus, die konkrete Beitragshöhe sei zwischen den Beteiligten bekannt und als gesetzeskonform völlig unstreitig; streitig sei nur die Frage, ob die Gesetzesgrundlage verfassungskonform sei. Für die vorliegende Konstellation einer Normenkontrolle gehe die Senatsrechtsprechung (Hinweis auf BSG Urteile vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R ua - und 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R -) ins Leere. Es könne nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein, den Beteiligten einen völlig sinnlosen Arbeitsaufwand abzuverlangen, der letztlich wiederum nur die längst bekannten und völlig unstreitigen Ergebnisse zu Tage fördern könne und ohne jeglichen Belang für die zu entscheidende Rechtsfrage sei.

9

Im Schriftsatz vom 10.8.2016 tragen die Kläger in Kenntnis des Senatsurteils vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) ua ergänzend vor: Der Senat habe zwar die von den Klägern umschriebenen Voraussetzungen seiner damaligen Entscheidung zugrunde gelegt, das sPV-Urteil des BVerfG "nach wie vor marginalisiert" bzw es in "zum Teil sinnentstellender Weise" interpretiert. Der Revision gehe es um eine Sozialversicherung, die alle unabhängig davon schütze, wie sie leben, und wie die Lasten, die durch dieses Schutzversprechen ausgelöst würden, gleichmäßig verteilt würden. Dies sei nur möglich, wenn damit begonnen würde, den "historischen Konstruktionsfehler einer voremanzipatorischen Struktur zu korrigieren", die geprägt sei von der Alleinverdienerehe. Im Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) habe der Senat die Mindestgeschlossenheit im System der GRV "in einer geradezu abenteuerlichen Argumentation" verneint. Die GRV spiegele konzeptionell den Lebenslängsschnitt. Demgegenüber habe das BSG lediglich eine Querschnittsbetrachtung vorgenommen. Es müsse bei der Frage der Mindestgeschlossenheit auf Versicherte und nicht auf Beitragszahler abgestellt werden. So habe das BVerfG im sPV-Urteil nicht auf Beitragszahler, sondern auf Versicherte abgestellt und im Urteil zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung auf den Versichertengrad verwiesen. Für die "breitbasige allgemeine Rentenversicherung" trage nicht der Einwand, dass Kinder von Versicherten möglicherweise später keine Mitglieder würden. Eine fehlende Mindestgeschlossenheit ließe sich nur bejahen, wenn man das sPV-Urteil des BVerfG in Frage stellen würde. Der Senat habe sich schon im Ausgangspunkt außerhalb der verfassungsrechtlichen Grundrechtsdogmatik positioniert, indem er nach der durch das sPV-Urteil des BVerfG vorgegebenen gleichheitsrechtlichen Prüfung eine zweite Prüfung von Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vorgenommen habe. Der Senat habe zu Unrecht das eigentliche "Referenzurteil" trotz § 31 Abs 1, Abs 2 S 2 BVerfGG schlicht abgelehnt. Die Aussage, der Gesetzgeber habe die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen, würde auch durch ihre ständige Wiederholung nicht richtig. Gemäß dem sPV-Urteil des BVerfG sei vielmehr ein Vorteilsausgleich im Beitragsrecht erforderlich. Anderenfalls missachte man den "grundlegenden Paradigmenwechsel" zwischen dem Trümmerfrauenurteil und dem sPV-Urteil des BVerfG. Zu Unrecht habe der Senat versucht, die These des sPV-Urteils von der Gleichwertigkeit des monetären und des "generativen" Beitrags zu erschüttern. Gleiches gelte für die Hinweise auf die gesamtgesellschaftliche Aufgabenstellung und die Möglichkeit neuer Verwerfungen. Zur GKV habe der Senat in seinem Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) "überraschend" ausgeführt, dass der überwiegende Teil der Gesamtkosten in der Generation der Erwerbstätigen auftrete und nicht wie vom BVerfG in dessen sPV-Urteil gefordert "überproportional" in der Generation der Älteren/Nichterwerbstätigen. Dem läge ein grundlegender methodischer Fehler zugrunde, weil die beiden Vergleichsgruppen unterschiedlich groß seien. Zu Unrecht habe der Senat auch in der GKV auf einen "obskuren" weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext zurückgegriffen. Die Heranziehung der beitragsfreien Familienversicherung als eines von mehreren familienfördernden Elementen sei nach den Vorgaben im sPV-Urteil ausgeschlossen. Der Hinweis auf die Ungewissheit des Eintritts des in der GKV versicherten Risikos sei unverständlich, weil dies für jede Versicherung gelte. Zur sPV habe sich der Senat in seinem Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) zu Unrecht auf das KiBG und eine dem Gesetzgeber zukommende Befugnis, typisierende Regelungen zu schaffen, gestützt. Es sei sehr wohl verfassungsrechtlich und nach den Vorgaben des BVerfG geboten, nach der Zahl der Kinder zu differenzieren.

10

In einem weiteren Schriftsatz vom 17.8.2016 befassen sich die Kläger mit zwei im Nachgang zum Urteil des Senats vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) verfassten sozialrechtlichen Aufsätzen (Ruland, NZS 2016, 361; Seiler, NZS 2016, 641). Mit Telefax vom 18.7.2017 übersandten die Kläger den Entwurf einer Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung sowie eine Stellungnahme zu einem weiteren sozialrechtlichen Aufsatz (Kaltenstein, SGb 2017, 301).

11

Die Kläger haben wiederholt umfangreiche Unterlagen vorgelegt: Mit Schriftsätzen vom 20.7.2016 und 10.8.2016 ua Stellungnahmen von Prof. Dr. Werding vom 9.3.2016 sowie weitere Schriftstücke, ua die Abschrift einer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Senats vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77). Mit Schriftsatz vom 18.2.2017 wurde eine weitere Stellungnahme von Prof. Dr. Werding vom 9.1.2017 vorgelegt. Mit Telefax vom 18.7.2017 übersandten die Kläger einen Schriftwechsel aus den Jahren 1988/1989 sowie eine Abhandlung des Deutschen Familienverbands zum "Horizontalen Vergleich 2017". In einem Telefax vom 19.7.2017 gaben die Kläger eine Stellungnahme von Prof. Birg wieder.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Kläger im Revisionsverfahren wird vor allem auf Blatt 26 bis 99, Blatt 182 bis 240, Blatt 242 bis 337, Blatt 378 bis 383, Blatt 392 bis 396, Blatt 412 bis 441 und Blatt 473 bis 474 der Revisionsakte verwiesen.

13

Die Kläger beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Juni 2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 3. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. November 2006 aufzuheben sowie festzustellen, dass die monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab 1. Januar 2005 nicht über eine Höhe von 50 vH der gegenwärtigen Bemessung zu erheben sind,
hilfsweise
festzustellen, dass die Beitragsbemessung unter Abzug eines Betrags von 833 Euro je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage monatlich erfolgen muss,
weiter hilfsweise
festzustellen, dass die Beitragsbemessung unter Abzug des in § 32 Abs 6 EStG genannten Betrags je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage erfolgen muss,
hilfsweise
den Rechtsstreit gemäß Art 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die die Beitragspflicht und die Höhe der Beiträge zur Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung regelnden Vorschriften (§§ 157, 161 Abs 1, 162 Nr 1 SGB VI, §§ 223 Abs 2, 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 sowie § 241 SGB V und §§ 54 Abs 2 Satz 1, 55 Abs 1 und 3 Satz 1, 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI iVm § 226 SGB V) unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - mit den Grundrechten der Kläger aus den Art 3, 6, 20 und 28 (Sozialstaatsprinzip) GG vereinbar sind.

14

Die Beigeladene zu 2. beantragt,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.

15

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

16

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
dir Revision zurückzuweisen.

17

Die Beigeladenen zu 1., 3. und 4. stellen keine Anträge.

18

Durch Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 4.7.2014 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass erstmals im Widerspruchsverfahren über das Begehren der Kläger in Bezug auf die Beitragsbemessung in der GKV und sPV entschieden wurde. Dies werfe Fragen der funktionellen und sachlichen Zuständigkeit auf. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG könne sich eine Auseinandersetzung mit den zur Entscheidung gestellten materiell-rechtlichen Fragen möglicherweise erübrigen. Durch Beschluss vom 21.8.2014 wurde das Ruhen des Verfahrens und durch Beschluss vom 5.11.2015 die Fortsetzung des Verfahrens angeordnet.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten aller Instanzen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Die Revision der Kläger ist zulässig.

21

Das LSG hat die Revision gegen sein Urteil vom 27.1.2012 in vollem Umfang zugelassen. Zwar hat es zur Begründung ausgeführt, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sei deshalb gegeben, weil es zur GKV noch keine Rechtsprechung des BSG zu der Frage der Freistellung von der Beitragspflicht für Kinder erziehende Versicherte gebe. Weder dieser Begründung noch dem Tenor des LSG-Urteils ("Die Revision wird zugelassen.") kann jedoch eine Beschränkung der Rechtsmittelzulassung auf die GKV entnommen werden.

22

Die Revision ist allerdings im Wesentlichen unbegründet.

23

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind die mit der Anfechtungsklage angegriffenen Bescheide der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle vom 3.2.2004 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 1.11.2006, in denen sie die von den Klägern erstrebte Beitragsminderung abgelehnt hat, weil es hierfür keine Rechtsgrundlage gebe. Zu befinden ist außerdem über einen Feststellungsantrag.

24

Streitig ist die Höhe der Beiträge zur GRV für den Zeitraum vom 1.1.2004 (= Monat der Antragstellung bei der Beklagten als Beginn) bis 27.1.2012 (= Tag der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen als Endzeitpunkt; vgl dazu allgemein zB BSGE 110, 62 = SozR 4-2500 § 240 Nr 16, RdNr 19; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 55 RdNr 21).

25

2. Statthafte Klageart für das klägerische Begehren ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 Alt 1, § 55 Abs 1 Nr 1, Abs 2 SGG(vgl zB BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff, unter Hinweis auf BSG SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 15 ff).

26

3. Auf die Anfechtungsklage der Kläger sind die angefochtenen Bescheide aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind. Dementsprechend sind die Urteile des LSG und SG zu ändern; insoweit muss die Revision der Kläger (teilweise) erfolgreich sein.

27

Mit den Ausgangsbescheiden vom 3.2.2004 und dem Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006 hat die Beklagte entgegen den einschlägigen Regelungen des materiellen Rechts zu Unrecht nur über die Beitragstragungspflicht und das Fehlen der Möglichkeit zu einer Beitragsreduzierung in der Sozialversicherung entschieden und sich dabei auf bloße allgemeine rechtliche Hinweise zur Bemessung und Tragung der Beiträge beschränkt. Sie hat dagegen - anders als hier erforderlich - nicht über die konkrete Beitragshöhe in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung selbst entschieden (vgl hierzu ausführlich BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 26 mwN sowie Urteil vom 20.7.2017 - B 12 KR 13/15 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Da der Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006 schon aus diesem Grund rechtswidrig ist, kommt es auf die Frage einer darüber hinausgehenden Rechtswidrigkeit aufgrund der erstmaligen Entscheidung zur Beitragserhebung in der GKV und sPV im Widerspruchsverfahren (vgl zu dieser Problematik BSG Urteil vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R - RdNr 15, Juris mwN) nicht an.

28

4. Die neben der erfolgreichen Anfechtungsklage erhobene Feststellungsklage ist nur hinsichtlich der GRV zulässig. Die Feststellungsklage ist unzulässig, soweit sie die Beitragserhebung in der GKV und sPV betrifft. Insoweit fehlt es an einer Verwaltungsentscheidung der zuständigen Behörde über einen entsprechenden Feststellungsantrag.

29

Solange die sachlich zuständige Ausgangsbehörde der Beklagten nicht über den erhobenen Feststellungsanspruch entschieden hat, kann ein Versicherter, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde, kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben (vgl BSG Urteil vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R - RdNr 12, Juris mwN; vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 55 RdNr 3b mwN). Deshalb ist in der Regel eine Feststellungsklage ohne vorangegangenes Verwaltungsverfahren unzulässig (vgl Groß/Castendiek in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Aufl 2017, § 55 RdNr 26). Dies gilt in besonderem Maße, wenn um die Beitragshöhe gestritten wird. Die Einzugsstelle ist gehalten, streitige Beitragsforderungen jedenfalls gegenüber Beitragsschuldnern, die natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts sind, durch Verwaltungsakt geltend zu machen; diese Personen können auf eine solche Beitragskonkretisierung mittels Verwaltungsakt nicht dadurch verzichten, dass sie unmittelbar auf Feststellung klagen. Entsprechend sind auch Arbeitgeber und Versicherte selbst zunächst auf ein Verwaltungsverfahren zu verweisen (BSG Urteil vom 22.5.1985 - 12 RK 30/84 - BSGE 58, 150, 152 = SozR 1500 § 55 Nr 27 S 22). Etwas anderes gilt nur, wenn nach Durchführung eines Verwaltungsverfahrens die Feststellungsklage im Vergleich zur Anfechtungsklage eine umfassendere Klärung des Rechtsverhältnisses ermöglicht oder wenn nur noch die mit der Anfechtungsklage verbundene Feststellungsklage eine Entscheidung in der Sache zulässt (BSG Urteil vom 9.10.1984 - 12 RK 18/83 - BSGE 57, 184, 186 = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 40 mwN). - Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Vorliegend haben die Kläger ihre ursprünglichen Anträge vom 26.1.2004 allein auf die Beitragserhebung in der GRV bezogen. Hierüber hat die Beklagte in ihren Ausgangsbescheiden vom 3.2.2004 entschieden. Erst im Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses der Beklagten vom 1.11.2006 waren die Regelungen des KiBG und damit - zumindest konkludent - die Beitragserhebung in der sPV gegenständlich. Zwar wird darin auch ein Schreiben der Kläger vom 17.12.2005 erwähnt. Das Schreiben befindet sich jedoch nicht in der Verwaltungsakte der Beklagten und hat diese - ausweislich eines Schreibens des SG Freiburg im Verfahren S 5 KR 3636/06 vom 12.9.2006 auch gar nicht erreicht. Jedenfalls vermag eine Ausdehnung des Begehrens der Kläger im Hinblick auf eine "Beitragsreduzierung" in der GKV und sPV die insoweit fehlende Entscheidung der Ausgangsbehörde durch einen Verwaltungsakt nicht zu ersetzen. Auch angesichts der bisherigen Verfahrensdauer ist ausnahmsweise ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Kläger hinsichtlich der GKV und sPV nicht anzuerkennen, weil sich ihr ursprünglicher Antrag ausdrücklich nur auf einen Beitragsverzicht bzw eine Beitragsreduzierung in der GRV bezogen hat. Erst im Laufe des (zunächst ruhenden) Widerspruchs- und späteren Klageverfahrens, vor allem aber im Berufungsverfahren haben die Kläger ihre Anträge - soweit der erste erweiternde Antrag dem Widerspruchsausschuss der Beklagten überhaupt vorlag - auch auf die GKV und sPV ausgedehnt und präzisiert. Damit fehlt es vorliegend hinsichtlich der Beitragserhebung in der GKV und sPV an einem berechtigten Feststellungsinteresse der Kläger.

30

5. Die hinsichtlich der GRV zulässige Feststellungsklage hat im Haupt- sowie hinsichtlich aller Hilfsanträge keinen Erfolg, weil die Bemessung der Beiträge der Kläger in der GRV den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV entspricht.

31

Die feststellenden Ausführungen der Beklagten zur Beitragsbemessung in der GRV stehen einfachrechtlich betrachtet in Einklang mit den dafür einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften. Dies sind ua § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 BSV 2012, hier anzuwenden in den jeweils zum Zeitpunkt der Beitragserhebung in der streitigen Zeit vom 1.1.2004 bis 27.1.2012 geltenden Fassungen. Danach ergibt sich der Beitrag, indem der jeweils gültige Beitragssatz mit der Beitragsbemessungsgrundlage, regelmäßig dem Bruttoarbeitsentgelt, vervielfacht wird. Freibeträge, insbesondere Kinderfreibeträge, mindern die Beitragsbemessungsgrundlage nicht. Die Beiträge werden von den Versicherten und ihren Arbeitgebern je zur Hälfte getragen. Eine Beitragsreduzierung für Versicherte mit Kindern oder erhöhte Beiträge für Versicherung ohne Kinder sind nicht vorgesehen.

32

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die von der Beklagten vorgenommene bzw für zutreffend erachtete Beitragsbemessung in Einklang mit den einfachgesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen stand. Streitig ist allein die Verfassungsmäßigkeit dieser beitragsrechtlichen Bestimmungen.

33

6. Die gesetzlichen Bestimmungen im Recht der GRV sowie ihre Anwendung im konkreten Einzelfall sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG iVm § 13 Nr 11, §§ 80 ff BVerfGG bedurfte es daher nicht. Der Senat ist wie bereits in den früheren Entscheidungen aus den Jahren 2006 (ua BSG Urteil vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R - SozR 4-2600 § 157 Nr 1) und 2015 (BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) nicht davon überzeugt, dass die hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften des Beitragsrechts der GRV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Rentenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder (dazu b) in der von den Klägern geforderten Weise zu mindern ist (dazu c).

34

a) Abhängig beschäftigte Versicherte - wie die Kläger - haben sich während der Dauer der Beschäftigung in aller Regel durch die hälftige Tragung der nach ihrem Bruttoentgelt bemessenen Beitragslast an den Ausgaben der GRV zu beteiligen. Das ergibt sich einfachgesetzlich aus den Vorschriften des Vierten Kapitels (§§ 153 ff) des SGB VI (diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB VI im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung). Einnahmen der allgemeinen Rentenversicherung sind hiernach insbesondere die Beiträge und die Zuschüsse des Bundes (§ 153 Abs 2 SGB VI). Die Beiträge werden nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von der Beitragsbemessungsgrundlage erhoben, die nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird (§ 157 SGB VI). Beitragsbemessungsgrundlage für Versicherungspflichtige sind die beitragspflichtigen Einnahmen (§ 161 Abs 1 SGB VI), die bei Beschäftigten wie den Klägern aus dem Arbeitsentgelt bestehen (§ 162 Nr 1 SGB VI). Beitragssatz und Beitragsbemessungsgrenze sind von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung festzusetzen (§ 160 SGB VI). Insoweit ist § 158 SGB VI trotz mehrfacher Änderungen durchgehend zu entnehmen, dass der Beitragssatz grundsätzlich so festzusetzen ist, dass die voraussichtlichen Beitragseinnahmen ausreichen, um die voraussichtlichen Ausgaben zu decken (und sicherzustellen, dass die Mittel der Schwankungsreserve dem gesetzlich bestimmten Betrag entsprechen). Unter Zugrundelegung des hiernach festgesetzten jeweiligen Beitragssatzes und des bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts der Kläger ergibt sich die Versicherte neben dem Arbeitgeber treffende hälftige Beitragslast.

35

b) Die Kläger weisen zutreffend darauf hin, dass Versicherte mit Kindern im Vergleich zu Versicherten ohne Kinder im Allgemeinen in ganz besonderem Maße zur Leistungsfähigkeit des Systems der GRV und dessen Nachhaltigkeit beitragen. Das umlagefinanzierte System der GRV funktioniert dauerhaft nur dann, wenn es stets genügend leistungsfähige Beitragszahler gibt, die für die Renten der jeweiligen Rentnergeneration aufkommen können. Ein nachhaltig gestaltetes System der Altersvorsorge setzt voraus, dass der gegenwärtige und zukünftige Sozialaufwand, der für die Gewährung rechtlich verbürgter Sozialleistungen wie Renten erforderlich ist, aus dem zum jeweiligen Zeitpunkt erwirtschaftete Volkseinkommen aufgebracht werden kann. Dies setzt voraus, dass es auch in Zukunft hinreichend viele Erwerbstätige und die Möglichkeit zu produktivem Erwerbsverhalten gibt. Die heute geborenen Kinder müssen - soll das System funktionieren - auch in Zukunft arbeiten können, arbeiten wollen und ausreichend produktive Arbeitsplätze oder sonstige sozialversicherungspflichtige Erwerbsmöglichkeiten vorfinden. Werden nicht ausreichend viele Kinder geboren und wird nicht in ausreichendem Maße für ihr künftiges Erwerbspotential vorgesorgt (Erziehung, Bildung, Infrastruktur, produktive Arbeitsplätze etc), ist die Stabilität des Systems gefährdet. Versicherte mit Kindern leisten insoweit bei typisierender Betrachtung im Allgemeinen mehr für die Nachhaltigkeit des Systems als Versicherte ohne Kinder, denn Versicherte mit Kindern und Versicherte ohne Kinder finanzieren durch ihre monetären Beiträge zwar die aktuellen Renten mit. Versicherte mit Kindern sorgen aber in besonderer Weise dafür, dass es auch künftig Beitragszahler gibt, die künftige Renten finanzieren können. Sie leisten damit zusätzlich zu ihren monetären Beiträgen einen generativen Beitrag. Unbestreitbar ist auch, dass Versicherte mit Kindern und dem damit verbundenen Betreuungs- und Erziehungsaufwand - bei wiederum typisierender Betrachtung - regelmäßig Einschränkungen persönlicher und finanzieller Art unterliegen, denen Versicherte ohne Kinder nicht unterliegen.

36

Zwischen Versicherten mit und ohne Kinder(n) bestehen erhebliche Unterschiede. Und obwohl Versicherte mit Kindern einen sog generativen Beitrag leisten, sind sie nach denselben Vorschriften zur Beitragszahlung in der GRV verpflichtet wie Versicherte ohne Kinder.

37

c) Die Kläger können jedoch nicht verlangen, von dieser Beitragsbelastung entgegen der einfachgesetzlichen Rechtslage deshalb in dem beantragten Umfang freigestellt zu werden, weil sie bereits durch Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems erbracht hätten und andernfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG und den dort enthaltenen Regelungsauftrag/Normprüfungsauftrag an den Gesetzgeber nicht berufen. Der Senat ist - was den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeht - im vorliegenden Fall nicht strikt und ausschließlich an die Maßstäbe im sPV-Urteil des BVerfG gebunden (dazu aa). Vielmehr sind die von den Klägern beanstandeten Regelungen des Beitragsrechts der GRV unter Beachtung der Ausführungen des BVerfG im sPV-Urteil in erster Linie anhand der vom BVerfG zum allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG - dazu bb) iVm mit dem Familienförderungsgebot des Art 6 GG (Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG - dazu cc) zu prüfen. Eine Verfassungswidrigkeit kann der Senat dabei auch in Kenntnis des zwischenzeitlichen umfangreichen Vorbringens der Kläger, der vorgelegten Stellungnahmen und der zum Senatsurteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) veröffentlichten sozialrechtlichen Literatur (vgl ua Blüggel, jurisPR-SozR 11/2016 Anm 2; Lenze, NVwZ 2015, 1658; Lenze, SGb 2017, 130; Ruland, NZS 2016, 361; Seiler, NZS 2016, 641; Wenner, SozSich 2015, 344) nicht erkennen.

38

aa) Das BVerfG hat im sPV-Urteil im Tenor ausgeführt, dass die beitragsrechtlichen Regelungen der sPV mit dem GG nicht vereinbar sind, "soweit Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden". Es bleibe dem Gesetzgeber überlassen, wie er die Betreuungs- und Erziehungsleistung bei der Beitragsbemessung von beitragspflichtigen Versicherten mit Kindern berücksichtige. Spätestens bis zum 31.12.2004 habe der Gesetzgeber eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen. Bei der Bemessung der Frist sei berücksichtigt worden, dass die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sein werde (BVerfG sPV-Urteil, Juris RdNr 69).

39

Das sPV-Urteil des BVerfG ist auf das Beitragsrecht der GRV nicht "1 : 1" übertragbar. Zwar kommt den Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 1 BVerfGG Gesetzeskraft und nach § 31 Abs 1 BVerfGG Bindungswirkung zu. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) dargelegt, dass das sPV-Urteil auf das Beitragsrecht der GRV nicht im Wege der den Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG zukommenden Gesetzeskraft und der ihnen nach § 31 Abs 1 BVerfGG zukommenden Bindungswirkung "übertragbar" ist, weil es ausweislich des Tenors nur zur Pflegeversicherung und deren beitragsrechtliche Normen ergangen ist(BSG aaO RdNr 33). Hieran hält der Senat fest.

40

Hinzu kommt, dass die GRV in ihren wesentlichen Strukturprinzipien nicht den Anforderungen entspricht, die das BVerfG im sPV-Urteil für ein verfassungsrechtliches Gebot der beitragsrechtlichen Differenzierung zwischen Versicherten mit und solchen ohne Kinder aufgestellt hat. Insbesondere hatte das BVerfG im sPV-Urteil darauf abgestellt, dass eine Berücksichtigung des generativen Beitrags im Leistungsrecht der Pflegeversicherung nicht in Betracht kommt (BVerfG sPV-Urteil RdNr 71). In der GRV ist dies strukturell bereits anders (hierzu bb) (e)).

41

bb) Der allgemeine Gleichheitssatz in Art 3 Abs 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl zB BVerfGE 112, 268, 279; stRspr). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl BVerfGE 79, 1, 17; 126, 400, 416 mwN). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (BVerfGE 129, 49, 68; 133, 1, 13 RdNr 44). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl BVerfGE 110, 274, 291; stRspr). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl BVerfGE 75, 108, 157 = SozR 5425 § 1 Nr 1 S 11; BVerfGE 93, 319, 348 f; 107, 27, 46; 126, 400, 416; 129, 49, 69; 132, 179, 188 RdNr 30). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 129, 49, 69; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42) oder je mehr sie sich denen des Art 3 Abs 3 GG annähern (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 124, 199, 220; 129, 49, 69; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 111, 176, 184 = SozR 4-7833 § 1 Nr 4 RdNr 26; BVerfGE 129, 49, 69; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42).

42

Vorliegend geht es um die Frage, ob der Gesetzgeber im Beitragsrecht der GRV wesentlich Ungleiches ohne hinreichende sachliche Gründe gleichbehandelt. Denn das Beitragsrecht sieht für Versicherte ohne Kinder und für Versicherte mit Kindern keine unterschiedlichen Regelungen vor; weder erhalten Versicherte mit Kindern einen - wie auch immer gearteten - Beitragsrabatt noch werden ihre Beiträge nach einer niedrigeren Bemessungsgrundlage oder einem geringeren Beitragssatz als bei Versicherten ohne Kinder berechnet.

43

Der Senat legt seiner Prüfung einen strengen Prüfungsmaßstab zugrunde, denn den Versicherten steht es nicht frei, an dem die GRV prägenden Umlageverfahren teilzunehmen. Vielmehr ordnet das Gesetz ua für abhängig Beschäftigte, zu denen die Kläger gehören, Versicherungs- und Beitragspflicht an. Dies ist verfassungsrechtlich betrachtet ein Eingriff in die durch Art 2 Abs 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit (vgl BVerfG Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 18 = Juris RdNr 49, mwN). Danach ist das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen, wenn der Gesetzgeber Personen der Pflichtversicherung in einem System der sozialen Sicherheit unterwirft.

44

Auch unter Zugrundelegung eines strengen, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Prüfungsmaßstabs ist es gerechtfertigt und verfassungsrechtlich nicht geboten, dass der Gesetzgeber im Beitragsrecht der GRV zwischen Versicherten mit und ohne Kinder(n) in der Weise differenziert, dass Versicherte ohne Kinder geringere Beiträge als Versicherte mit Kindern zu zahlen haben. Dabei verkennt der Senat nicht, dass Versicherte mit Kindern in der GRV - ebenso wie in der sPV - anders als Versicherte ohne Kinder nicht nur einen pekuniären, sondern - wie bereits ausgeführt wurde - auch einen generativen Beitrag leisten, der für das Funktionieren des Umlageverfahrens unabdingbar ist.

45

Für die fehlende Differenzierung im Beitragsrecht der GRV gibt es hinreichende sachliche Gründe. Der Gesetzgeber hat insoweit die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt.

46

(a) Das Gesetz berücksichtigt den generativen Beitrag von Versicherten mit Kindern und allgemeinen Familienlasten zwar nicht im Beitragsrecht der GRV. Entgegen der Auffassung der Kläger ist aber eine alleinige Fokussierung auf das Beitragsrecht der GRV nicht durch das sPV-Urteil des BVerfG vorgegeben (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 49, 60).

47

(b) Das Recht der GRV berücksichtigt die generative Leistung in Form verschiedener familienfördernder Elemente zugunsten Versicherter mit Kindern in erster Linie innerhalb der GRV im Leistungsrecht, darüber hinaus aber auch in anderen Zweigen der Sozialversicherung, in weiteren Bereichen des Sozialrechts sowie in sonstigen Rechtsgebieten wie etwa dem Steuerrecht oder in Form kostenloser Schul-, Fachschul- und Hochschulausbildung. Der Senat verkennt dabei nicht, dass auch Versicherte mit Kindern mit ihren Steuern und Beiträgen ihrerseits in erheblichem Umfang selbst zur Finanzierung von familienfördernden Leistungen beitragen.

48

Im Leistungsrecht gerade der GRV erhalten Versicherte mit Kindern für die durch Kindererziehung entstehenden Nachteile einen systemimmanenten Ausgleich zB durch Kindererziehungszeiten (§ 3 S 1 Nr 1 iVm §§ 56, 249, 249a SGB VI), Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung im Umfang von zwei - bzw ab Jahrgang 1992 drei - Jahren für jedes Kind (§ 57 SGB VI), Anrechnungszeiten für Schwangerschaft oder Mutterschaft (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI), Zuschlag für Zeiten der Kindererziehung bei Witwen- und Witwerrenten (§ 78a SGB VI), Kinderzuschuss (§ 270 SGB VI), große Witwen- oder Witwerrente bei Kindererziehung (§ 46 Abs 2 S 1 Nr 1 und § 243 Abs 2 und Abs 3 SGB VI), Erziehungsrente (§§ 47, 243a SGB VI; vgl ausführlich Buntenbach, Leistungen der Rentenversicherung für Kindererziehung, DRV-Schriften, Band 108, S 19).

49

(c) Der Senat ist davon überzeugt, dass der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums gesellschaftliche Entwicklungen gerade auch mit Blick auf Familien und deren Bedürfnisse berücksichtigt. Er gewährleistet durch die Gewährung von Leistungen vor allem in der GRV eine verfassungsgemäße Behandlung auch der Versicherten mit Kindern. Dass Versicherte mit Kindern durch familienfördernde Leistungen durch den Gesetzgeber "auf Euro und Cent" so gestellt werden müssten, als hätten sie keine Kinder, ist Wortlaut, Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften des Grundgesetzes (hier insbesondere Art 3 Abs 1 und 3 GG) ebenso wenig zu entnehmen, wie der Rechtsprechung des BVerfG hierzu.

50

Das BVerfG hat im sPV-Urteil ausgeführt, bei der Bemessung der Umsetzungsfrist habe der Senat berücksichtigt, dass die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sei (BVerfG sPV-Urteil RdNr 69). Die Bundesregierung hat diesen sich aus dem sPV-Urteil des BVerfG ergebenden Prüfauftrag angenommen (siehe BT-Drucks 14/6099 und BT-Drucks 15/4375). Sie hat im November 2002 in Gestalt des damaligen Ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung die Kommission "Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme" eingerichtet. Diese hat sich ua auch dieser Thematik angenommen und gelangte zu dem Ergebnis, dass der vom Gesetzgeber beschrittene Weg, Kindererziehung auf der Leistungsseite zu honorieren, sachgerecht sei.

51

Der Gesetzgeber hat zur Beseitigung der verfassungswidrigen Lage in der sPV den Pflegeversicherungsbeitrag für Versicherte ohne Kinder erhöht. Der Gesetzgeber hat indessen davon abgesehen, den generativen Beitrag auch in der GRV in entsprechender Weise zu berücksichtigen. Er überschreitet damit nach Überzeugung des Senats in der GRV die sich aus Art 3 Abs 1 GG ergebenden Grenzen seines Gestaltungsspielraums nicht.

52

(d) Vor allem wird durch das geltende Recht ein Eingriff in das Beitragsrecht der GRV und der die GRV prinzipiell prägenden Beziehung von erbrachter Beitragsleistung und späterer (Renten-)Leistung verhindert. Rentenleistungen sind hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig (vgl § 63 SGB VI). Dieses Prinzip fördert, weil es für jedermann ohne Weiteres nachvollziehbar ist, die Akzeptanz des Vorsorgesystems GRV.

53

(e) Zudem unterscheidet sich hierdurch das Leistungsrecht der GRV auch strukturell wesentlich von demjenigen der sPV: Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern bedarfsbezogen. Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV - anders als in der GRV geschehen - von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Entgegen der Auffassung der Kläger hält der Senat daran fest, dass es keine verfassungsrechtliche Verpflichtung gibt, den von den Klägern erstrebten Nachteilsausgleich allein im Beitragsrecht der GRV bzw kumulativ beitrags- und leistungsrechtlich in der GRV zu verwirklichen (so bereits BSG Urteil vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R - SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 51; BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 47, 49). Soweit angenommen wird, das BVerfG habe demgegenüber in seinem sPV-Urteil diesbezüglich einen "qualitativen Sprung" (so Lenze, SGb 2017, 130, 133) zu den Ausführungen im Trümmerfrauenurteil (BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1) gemacht bzw - so die Kläger - einen "grundlegenden Paradigmenwechsel" vorgenommen, teilt der Senat diese Ansicht erneut nicht (vgl insoweit BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 60). Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern bedarfsbezogen. Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Hiervon unterscheidet sich das Leistungsrecht in der GRV strukturell, weil danach Rentenleistungen hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig sind (vgl § 63 SGB VI).

54

(f) Es ist nicht Sache des Revisionsgerichts darüber zu befinden, ob der Gesetzgeber seiner Pflicht, Versicherte mit Kindern mit Blick auf das Familienförderungsgebot "besser" durch Entlastungen der Versicherten auf der Beitragsseite statt - wie zB durch den Ausbau von Kindererziehungszeiten - auf der Leistungsseite nachgekommen wäre, ob der Gesetzgeber - mit anderen Worten - "die beste Lösung" gewählt hat. Eine zulässige Vorlage an das BVerfG kommt nur dann in Betracht, wenn das vorlegende Gericht von der Unvereinbarkeit der zur Prüfung gestellten Regelung mit der Verfassung ausgeht (vgl ua BVerfG Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136 RdNr 93 mwN). Bloße Zweifel sind nicht ausreichend. Erst recht würde es für eine zulässige Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG nicht ausreichen, wenn das Gericht lediglich eine andere, stärker familienfördernde gesetzliche Ausgestaltung des Beitragsrechts der GRV bzw der Sozialversicherung insgesamt für sozialpolitisch wünschenswert halten würde. Dies gilt auch hinsichtlich der von den Klägern thematisierten sozial- und gesellschaftspolitisch zukunftsgerichteten Angemessenheit der GRV aus volkswirtschaftlich/ökonomischer Sicht. Demzufolge bedarf ua die Frage, ob bei der Prüfung der Mindestgeschlossenheit der GRV (hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 36 ff) eine Quer- oder Längsschnittbetrachtung ökonomisch sinnvoller wäre (hierzu Stellungnahme Werding vom 9.3.2016 S 3 f), keiner Entscheidung. Es ist Aufgabe des dazu berufenen parlamentarischen Gesetzgebers, gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Entwicklungen zu beobachten und aus ihrer wissenschaftlichen Analyse Rückschlüsse für die künftige Ausgestaltung des Sozialversicherungssystems zu ziehen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass Versicherte mit Kindern insoweit - aus ihrer subjektiven Sicht verständlich - weitergehende rechts- und familienpolitische Forderungen stellen. Deren Erfüllung ist verfassungsrechtlich jedoch nicht zwingend geboten.

55

cc) Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV stehen auch nicht im Widerspruch zu Art 6 Abs 1 GG iVm Art 3 GG. Denn der besondere Schutz der Familie, zu dem Art 6 Abs 1 GG den Staat verpflichtet, hält den Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich an, jede zusätzliche finanzielle Belastung der Familie zu vermeiden. Der Staat ist durch die in Art 6 Abs 1 GG enthaltene Pflicht zur Förderung der Familie auch nicht gehalten, gerade die Beitragslast von Versicherten mit Kindern auszugleichen. Der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ist zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich zu entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Aus dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen, lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 35 mwN).

56

Im Übrigen ist festzustellen, dass das Gesetz zahlreiche derartige Leistungen vorsieht. Zu nennen sind ua familienfördernde und familienentlastende Leistungen in anderen Bereichen des Sozialversicherungsrechts, des Sozialrechts und in anderen Rechtsbereichen zB die Gewährung von Versicherungspflichtzeiten im Arbeitsförderungsrecht für die Zeit der Kindererziehung (§ 26 Abs 2a SGB III), die Gewährung von Elterngeld und zuvor Erziehungsgeld (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, zuvor Bundeserziehungsgeldgesetz) oder die Gewährung von Kindergeld (Bundeskindergeldgesetz) oder bzw Kinderfreibeträgen im Steuerrecht (Einkommensteuergesetz).

57

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen.

(2) Das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen wird in Entgeltpunkte umgerechnet. Die Versicherung eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens in Höhe des Durchschnittsentgelts eines Kalenderjahres (Anlage 1) ergibt einen vollen Entgeltpunkt.

(3) Für beitragsfreie Zeiten werden Entgeltpunkte angerechnet, deren Höhe von der Höhe der in der übrigen Zeit versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen abhängig ist.

(4) Das Sicherungsziel der jeweiligen Rentenart im Verhältnis zu einer Altersrente wird durch den Rentenartfaktor bestimmt.

(5) Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer werden durch einen Zugangsfaktor vermieden.

(6) Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert vervielfältigt werden.

(7) Der aktuelle Rentenwert wird entsprechend der Entwicklung des Durchschnittsentgelts unter Berücksichtigung der Veränderung des Beitragssatzes zur allgemeinen Rentenversicherung jährlich angepasst.

Tenor

Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Juni 2010 geändert.

Die Bescheide der Beklagten vom 3. Februar 2004 und der Widerspruchsbescheid vom 1. November 2006 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Hälfte der Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) bei Eltern im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder zu reduzieren sind.

2

Die Kläger sind verheiratete Eltern ihrer 1990, 1993 und 1996 geborenen Kinder. Die Klägerin ist bei der Beigeladenen zu 4. als Krankenschwester teilzeit-, der Kläger ist beim Beigeladenen zu 3. als Gemeindereferent beschäftigt. Sie sind bei der Beigeladenen zu 1. pflege- und bei der Beigeladenen zu 2. rentenversichert. Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse, der Kläger war dort bis Ende 2010 Mitglied, danach war er in der GKV versicherungsfrei.

3

Am 28.1.2004 beantragten die Kläger bei der Beklagten auf die Erhebung von Beiträgen zur GRV zu verzichten, hilfsweise einen Beitragsnachlass zur gewähren. Mit Bescheiden vom 3.2.2004 lehnte die Beklagte gegenüber den Klägern die Anträge ab. Hiergegen legten die Kläger am 25.2.2004 Widerspruch ein und verwiesen zur Begründung auf das Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - zur sPV (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2, im Folgenden: sPV-Urteil) und auf die Begründung in den Verfahren, die am 23.9.2003 vor dem BSG verhandelt wurden (B 12 RA 7/01 R ua). Gleichzeitig erklärten sie ihr Einverständnis mit einem Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BSG, worauf die Beklagte den Widerspruch zunächst nicht weiterbearbeitete. Am 25.7.2006 erhoben die Kläger beim SG Untätigkeitsklage. Hierauf wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006 Bezug nehmend auch auf einen Antrag der Kläger vom 17.12.2005 den Widerspruch gegen die Bescheide vom 3.2.2004 zurück.

4

Daraufhin nahmen die Kläger die Untätigkeitsklage zurück, erhoben jedoch gleichzeitig beim SG Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17.6.2010).

5

Im anschließenden Berufungsverfahren haben die Kläger begehrt, dass die Sozialversicherungsbeiträge nur nach der "Hälfte der bisherigen Bemessung" erhoben werden, hilfsweise, dass bei der Beitragsbemessung 833 Euro je Kind und Monat bzw (weiter) hilfsweise, dass ein Betrag in Höhe des steuerlichen Existenzminimums abgezogen wird. Das LSG hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen (Urteil vom 27.1.2012). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beitragsbemessung entspreche den gesetzlichen Regelungen. Diese verstießen nicht gegen Art 6 Abs 1 iVm Art 3 GG, weil der Gesetzgeber einen weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum habe. Als Konkretisierung und Ausformung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages nach Art 6 Abs 1 GG sei dabei auch der Familienlastenausgleich zu berücksichtigen, selbst wenn sich die additive Höhe der hierdurch bewirkten Entlastung von Familien nicht konkret beziffern lasse. Der Gesetzgeber habe das Verfassungsrecht bei der Ausgestaltung der Teilsysteme der Sozialversicherung beachtet, weil er den Familienlastenausgleich durch zahlreiche Vorschriften ausgebaut (zB Kindererziehungszeiten in der GRV; kostenfreie Familienversicherung in der GKV) und er die Entscheidung des BVerfG für die sPV mit dem Gesetz zur Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung (Kinder-Berücksichtigungsgesetz ) zudem beanstandungsfrei umgesetzt habe. Das BVerfG selbst habe die Erwägungen des sPV-Urteils in der Folgezeit nicht auf andere Sozialversicherungszweige übertragen, sondern sei - in einem Urteil zur Alterssicherung der Landwirte (BVerfGE 109, 96 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2) - davon sogar abgerückt. Auch das BSG habe aus dem sPV-Urteil keinen verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf für andere Sozialversicherungszweige hergeleitet. Einer Beweiserhebung habe es bei alledem weder unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs der Kläger noch unter demjenigen der Amtsermittlungspflicht bedurft, insbesondere nicht zu der von den Klägern postulierten Pflicht, durch Sachverständige einzelne "Transfersalden" für Kinder zu ermitteln. Da der Familienlastenausgleich durch zahlreiche Regelungen des Sozialrechts und des Steuerrechts bewirkt werde, komme es auf solche Ermittlungen wegen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht an. Der Familienlastenausgleich sei nicht isoliert auf das Sozialversicherungsrecht bezogen.

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger - mit umfänglichem Vorbringen - im Wesentlichen, das LSG habe verkannt, dass die einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen zur Beitragsbemessung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstießen, soweit versicherte Eltern mit gleich hohen Beiträgen wie kinderlose Versicherte belastet würden. Konkret rügen sie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in Bezug auf die GRV durch § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 der Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze in der GRV für das Jahr 2012(vom 19.12.2011, BGBl I 2795, Beitragssatzverordnung 2012 - BSV 2012), hinsichtlich der GKV durch § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V, und im Hinblick auf die sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI sowie durch § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1 SGB XI und § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V.

7

Das BVerfG habe sich in seinem sPV-Urteil von einem leistungsrechtlichen Ansatz distanziert. Es diskutiere dort die unzureichende Kompensation der Erziehungslasten nicht mehr unter dem Aspekt der allgemeinen leistungsrechtlichen Förderungspflicht des Staates (Art 6 Abs 1 GG), sondern als Gleichheits- und Teilhabeproblem (Art 3 Abs 1 GG) unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz werde zu einem Grundrecht auf "intragene-rationelle Gleichbehandlung" fortentwickelt. Die Systeme der GRV, GKV und sPV erfüllten die Voraussetzungen, die das BVerfG für eine zu beanstandende fehlende Differenzierung im Beitragsrecht zwischen Eltern und Kinderlosen aufgestellt habe (= Abdeckung eines in einem geschlossenen intergenerationellen System erfassten Risikos, das überproportional im Alter auftrete und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert werde; Absehbarkeit, dass ein signifikanter Teil der Versicherten kinderlos bleibe). Das sPV-Urteil sei auch auf die GRV und die GKV zu übertragen: GRV und GKV deckten als umlagefinanzierte Systeme ebenso wie die sPV ein Risiko ab, das überproportional im Alter auftrete. Die geforderte Mindestgeschlossenheit sei ebenso gegeben, wie die Absehbarkeit fehlender generativer Beiträge. In der GRV müsse die Umsetzung der Maßstäbe aus dem sPV-Urteil des BVerfG systemimmanent erfolgen. Die Rechtsprechung des BVerfG sei insoweit bindend (§ 31 BVerfGG). Die in der GRV anerkannten Kindererziehungszeiten seien für die Annahme eines Vorteilsausgleichs strukturell ungeeignet und stellten auch keinen echten Vorteilsausgleich dar, weil die Beiträge hierfür der Bund leiste (§ 177 Abs 1 SGB VI); dh alle Steuerpflichtigen und nicht nur Kinderlose. Gleichzeitig bestehe eine Benachteiligung der Eltern im Leistungsrecht. Diese erlitten durch die Unterbrechungen und Einschränkungen der Erwerbsbiografie (zB Teilzeitarbeit) vielfach Verluste an persönlichen Entgeltpunkten, die nicht durch Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI) kompensiert würden. Das Argument, die demografische Entwicklung sei ein gesamtgesellschaftliches Problem und müsse abgabenpolitisch steuerfinanziert auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gelöst werden, sei ohne verfassungsrechtliche Relevanz. Neben der GRV müsse aber auch in der GKV ein systeminterner Vorteilsausgleich gesucht werden. Die Möglichkeit der beitragsfreien Familienversicherung (§ 10 SGB V) reiche insoweit nicht aus. Das Beitragsrecht in der sPV sei auch nach den Änderungen durch das KiBG verfassungswidrig. Insbesondere fehle im geltenden Recht die - auf der Grundlage des sPV-Urteils gebotene - Berücksichtigung der Anzahl der Kinder bei der Beitragsbemessung. Die Kläger untermauern ihre Auffassung durch Gutachten der Bertelsmann-Stiftung (Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013; Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013).

8

Im Schriftsatz vom 20.7.2016 führen die Kläger ua ergänzend aus, die konkrete Beitragshöhe sei zwischen den Beteiligten bekannt und als gesetzeskonform völlig unstreitig; streitig sei nur die Frage, ob die Gesetzesgrundlage verfassungskonform sei. Für die vorliegende Konstellation einer Normenkontrolle gehe die Senatsrechtsprechung (Hinweis auf BSG Urteile vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R ua - und 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R -) ins Leere. Es könne nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein, den Beteiligten einen völlig sinnlosen Arbeitsaufwand abzuverlangen, der letztlich wiederum nur die längst bekannten und völlig unstreitigen Ergebnisse zu Tage fördern könne und ohne jeglichen Belang für die zu entscheidende Rechtsfrage sei.

9

Im Schriftsatz vom 10.8.2016 tragen die Kläger in Kenntnis des Senatsurteils vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) ua ergänzend vor: Der Senat habe zwar die von den Klägern umschriebenen Voraussetzungen seiner damaligen Entscheidung zugrunde gelegt, das sPV-Urteil des BVerfG "nach wie vor marginalisiert" bzw es in "zum Teil sinnentstellender Weise" interpretiert. Der Revision gehe es um eine Sozialversicherung, die alle unabhängig davon schütze, wie sie leben, und wie die Lasten, die durch dieses Schutzversprechen ausgelöst würden, gleichmäßig verteilt würden. Dies sei nur möglich, wenn damit begonnen würde, den "historischen Konstruktionsfehler einer voremanzipatorischen Struktur zu korrigieren", die geprägt sei von der Alleinverdienerehe. Im Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) habe der Senat die Mindestgeschlossenheit im System der GRV "in einer geradezu abenteuerlichen Argumentation" verneint. Die GRV spiegele konzeptionell den Lebenslängsschnitt. Demgegenüber habe das BSG lediglich eine Querschnittsbetrachtung vorgenommen. Es müsse bei der Frage der Mindestgeschlossenheit auf Versicherte und nicht auf Beitragszahler abgestellt werden. So habe das BVerfG im sPV-Urteil nicht auf Beitragszahler, sondern auf Versicherte abgestellt und im Urteil zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung auf den Versichertengrad verwiesen. Für die "breitbasige allgemeine Rentenversicherung" trage nicht der Einwand, dass Kinder von Versicherten möglicherweise später keine Mitglieder würden. Eine fehlende Mindestgeschlossenheit ließe sich nur bejahen, wenn man das sPV-Urteil des BVerfG in Frage stellen würde. Der Senat habe sich schon im Ausgangspunkt außerhalb der verfassungsrechtlichen Grundrechtsdogmatik positioniert, indem er nach der durch das sPV-Urteil des BVerfG vorgegebenen gleichheitsrechtlichen Prüfung eine zweite Prüfung von Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vorgenommen habe. Der Senat habe zu Unrecht das eigentliche "Referenzurteil" trotz § 31 Abs 1, Abs 2 S 2 BVerfGG schlicht abgelehnt. Die Aussage, der Gesetzgeber habe die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen, würde auch durch ihre ständige Wiederholung nicht richtig. Gemäß dem sPV-Urteil des BVerfG sei vielmehr ein Vorteilsausgleich im Beitragsrecht erforderlich. Anderenfalls missachte man den "grundlegenden Paradigmenwechsel" zwischen dem Trümmerfrauenurteil und dem sPV-Urteil des BVerfG. Zu Unrecht habe der Senat versucht, die These des sPV-Urteils von der Gleichwertigkeit des monetären und des "generativen" Beitrags zu erschüttern. Gleiches gelte für die Hinweise auf die gesamtgesellschaftliche Aufgabenstellung und die Möglichkeit neuer Verwerfungen. Zur GKV habe der Senat in seinem Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) "überraschend" ausgeführt, dass der überwiegende Teil der Gesamtkosten in der Generation der Erwerbstätigen auftrete und nicht wie vom BVerfG in dessen sPV-Urteil gefordert "überproportional" in der Generation der Älteren/Nichterwerbstätigen. Dem läge ein grundlegender methodischer Fehler zugrunde, weil die beiden Vergleichsgruppen unterschiedlich groß seien. Zu Unrecht habe der Senat auch in der GKV auf einen "obskuren" weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext zurückgegriffen. Die Heranziehung der beitragsfreien Familienversicherung als eines von mehreren familienfördernden Elementen sei nach den Vorgaben im sPV-Urteil ausgeschlossen. Der Hinweis auf die Ungewissheit des Eintritts des in der GKV versicherten Risikos sei unverständlich, weil dies für jede Versicherung gelte. Zur sPV habe sich der Senat in seinem Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) zu Unrecht auf das KiBG und eine dem Gesetzgeber zukommende Befugnis, typisierende Regelungen zu schaffen, gestützt. Es sei sehr wohl verfassungsrechtlich und nach den Vorgaben des BVerfG geboten, nach der Zahl der Kinder zu differenzieren.

10

In einem weiteren Schriftsatz vom 17.8.2016 befassen sich die Kläger mit zwei im Nachgang zum Urteil des Senats vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) verfassten sozialrechtlichen Aufsätzen (Ruland, NZS 2016, 361; Seiler, NZS 2016, 641). Mit Telefax vom 18.7.2017 übersandten die Kläger den Entwurf einer Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung sowie eine Stellungnahme zu einem weiteren sozialrechtlichen Aufsatz (Kaltenstein, SGb 2017, 301).

11

Die Kläger haben wiederholt umfangreiche Unterlagen vorgelegt: Mit Schriftsätzen vom 20.7.2016 und 10.8.2016 ua Stellungnahmen von Prof. Dr. Werding vom 9.3.2016 sowie weitere Schriftstücke, ua die Abschrift einer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Senats vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77). Mit Schriftsatz vom 18.2.2017 wurde eine weitere Stellungnahme von Prof. Dr. Werding vom 9.1.2017 vorgelegt. Mit Telefax vom 18.7.2017 übersandten die Kläger einen Schriftwechsel aus den Jahren 1988/1989 sowie eine Abhandlung des Deutschen Familienverbands zum "Horizontalen Vergleich 2017". In einem Telefax vom 19.7.2017 gaben die Kläger eine Stellungnahme von Prof. Birg wieder.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Kläger im Revisionsverfahren wird vor allem auf Blatt 26 bis 99, Blatt 182 bis 240, Blatt 242 bis 337, Blatt 378 bis 383, Blatt 392 bis 396, Blatt 412 bis 441 und Blatt 473 bis 474 der Revisionsakte verwiesen.

13

Die Kläger beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Juni 2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 3. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. November 2006 aufzuheben sowie festzustellen, dass die monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab 1. Januar 2005 nicht über eine Höhe von 50 vH der gegenwärtigen Bemessung zu erheben sind,
hilfsweise
festzustellen, dass die Beitragsbemessung unter Abzug eines Betrags von 833 Euro je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage monatlich erfolgen muss,
weiter hilfsweise
festzustellen, dass die Beitragsbemessung unter Abzug des in § 32 Abs 6 EStG genannten Betrags je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage erfolgen muss,
hilfsweise
den Rechtsstreit gemäß Art 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die die Beitragspflicht und die Höhe der Beiträge zur Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung regelnden Vorschriften (§§ 157, 161 Abs 1, 162 Nr 1 SGB VI, §§ 223 Abs 2, 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 sowie § 241 SGB V und §§ 54 Abs 2 Satz 1, 55 Abs 1 und 3 Satz 1, 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI iVm § 226 SGB V) unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - mit den Grundrechten der Kläger aus den Art 3, 6, 20 und 28 (Sozialstaatsprinzip) GG vereinbar sind.

14

Die Beigeladene zu 2. beantragt,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.

15

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

16

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
dir Revision zurückzuweisen.

17

Die Beigeladenen zu 1., 3. und 4. stellen keine Anträge.

18

Durch Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 4.7.2014 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass erstmals im Widerspruchsverfahren über das Begehren der Kläger in Bezug auf die Beitragsbemessung in der GKV und sPV entschieden wurde. Dies werfe Fragen der funktionellen und sachlichen Zuständigkeit auf. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG könne sich eine Auseinandersetzung mit den zur Entscheidung gestellten materiell-rechtlichen Fragen möglicherweise erübrigen. Durch Beschluss vom 21.8.2014 wurde das Ruhen des Verfahrens und durch Beschluss vom 5.11.2015 die Fortsetzung des Verfahrens angeordnet.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten aller Instanzen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Die Revision der Kläger ist zulässig.

21

Das LSG hat die Revision gegen sein Urteil vom 27.1.2012 in vollem Umfang zugelassen. Zwar hat es zur Begründung ausgeführt, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sei deshalb gegeben, weil es zur GKV noch keine Rechtsprechung des BSG zu der Frage der Freistellung von der Beitragspflicht für Kinder erziehende Versicherte gebe. Weder dieser Begründung noch dem Tenor des LSG-Urteils ("Die Revision wird zugelassen.") kann jedoch eine Beschränkung der Rechtsmittelzulassung auf die GKV entnommen werden.

22

Die Revision ist allerdings im Wesentlichen unbegründet.

23

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind die mit der Anfechtungsklage angegriffenen Bescheide der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle vom 3.2.2004 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 1.11.2006, in denen sie die von den Klägern erstrebte Beitragsminderung abgelehnt hat, weil es hierfür keine Rechtsgrundlage gebe. Zu befinden ist außerdem über einen Feststellungsantrag.

24

Streitig ist die Höhe der Beiträge zur GRV für den Zeitraum vom 1.1.2004 (= Monat der Antragstellung bei der Beklagten als Beginn) bis 27.1.2012 (= Tag der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen als Endzeitpunkt; vgl dazu allgemein zB BSGE 110, 62 = SozR 4-2500 § 240 Nr 16, RdNr 19; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 55 RdNr 21).

25

2. Statthafte Klageart für das klägerische Begehren ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 Alt 1, § 55 Abs 1 Nr 1, Abs 2 SGG(vgl zB BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff, unter Hinweis auf BSG SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 15 ff).

26

3. Auf die Anfechtungsklage der Kläger sind die angefochtenen Bescheide aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind. Dementsprechend sind die Urteile des LSG und SG zu ändern; insoweit muss die Revision der Kläger (teilweise) erfolgreich sein.

27

Mit den Ausgangsbescheiden vom 3.2.2004 und dem Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006 hat die Beklagte entgegen den einschlägigen Regelungen des materiellen Rechts zu Unrecht nur über die Beitragstragungspflicht und das Fehlen der Möglichkeit zu einer Beitragsreduzierung in der Sozialversicherung entschieden und sich dabei auf bloße allgemeine rechtliche Hinweise zur Bemessung und Tragung der Beiträge beschränkt. Sie hat dagegen - anders als hier erforderlich - nicht über die konkrete Beitragshöhe in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung selbst entschieden (vgl hierzu ausführlich BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 26 mwN sowie Urteil vom 20.7.2017 - B 12 KR 13/15 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Da der Widerspruchsbescheid vom 1.11.2006 schon aus diesem Grund rechtswidrig ist, kommt es auf die Frage einer darüber hinausgehenden Rechtswidrigkeit aufgrund der erstmaligen Entscheidung zur Beitragserhebung in der GKV und sPV im Widerspruchsverfahren (vgl zu dieser Problematik BSG Urteil vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R - RdNr 15, Juris mwN) nicht an.

28

4. Die neben der erfolgreichen Anfechtungsklage erhobene Feststellungsklage ist nur hinsichtlich der GRV zulässig. Die Feststellungsklage ist unzulässig, soweit sie die Beitragserhebung in der GKV und sPV betrifft. Insoweit fehlt es an einer Verwaltungsentscheidung der zuständigen Behörde über einen entsprechenden Feststellungsantrag.

29

Solange die sachlich zuständige Ausgangsbehörde der Beklagten nicht über den erhobenen Feststellungsanspruch entschieden hat, kann ein Versicherter, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde, kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben (vgl BSG Urteil vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R - RdNr 12, Juris mwN; vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 55 RdNr 3b mwN). Deshalb ist in der Regel eine Feststellungsklage ohne vorangegangenes Verwaltungsverfahren unzulässig (vgl Groß/Castendiek in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Aufl 2017, § 55 RdNr 26). Dies gilt in besonderem Maße, wenn um die Beitragshöhe gestritten wird. Die Einzugsstelle ist gehalten, streitige Beitragsforderungen jedenfalls gegenüber Beitragsschuldnern, die natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts sind, durch Verwaltungsakt geltend zu machen; diese Personen können auf eine solche Beitragskonkretisierung mittels Verwaltungsakt nicht dadurch verzichten, dass sie unmittelbar auf Feststellung klagen. Entsprechend sind auch Arbeitgeber und Versicherte selbst zunächst auf ein Verwaltungsverfahren zu verweisen (BSG Urteil vom 22.5.1985 - 12 RK 30/84 - BSGE 58, 150, 152 = SozR 1500 § 55 Nr 27 S 22). Etwas anderes gilt nur, wenn nach Durchführung eines Verwaltungsverfahrens die Feststellungsklage im Vergleich zur Anfechtungsklage eine umfassendere Klärung des Rechtsverhältnisses ermöglicht oder wenn nur noch die mit der Anfechtungsklage verbundene Feststellungsklage eine Entscheidung in der Sache zulässt (BSG Urteil vom 9.10.1984 - 12 RK 18/83 - BSGE 57, 184, 186 = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 40 mwN). - Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Vorliegend haben die Kläger ihre ursprünglichen Anträge vom 26.1.2004 allein auf die Beitragserhebung in der GRV bezogen. Hierüber hat die Beklagte in ihren Ausgangsbescheiden vom 3.2.2004 entschieden. Erst im Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses der Beklagten vom 1.11.2006 waren die Regelungen des KiBG und damit - zumindest konkludent - die Beitragserhebung in der sPV gegenständlich. Zwar wird darin auch ein Schreiben der Kläger vom 17.12.2005 erwähnt. Das Schreiben befindet sich jedoch nicht in der Verwaltungsakte der Beklagten und hat diese - ausweislich eines Schreibens des SG Freiburg im Verfahren S 5 KR 3636/06 vom 12.9.2006 auch gar nicht erreicht. Jedenfalls vermag eine Ausdehnung des Begehrens der Kläger im Hinblick auf eine "Beitragsreduzierung" in der GKV und sPV die insoweit fehlende Entscheidung der Ausgangsbehörde durch einen Verwaltungsakt nicht zu ersetzen. Auch angesichts der bisherigen Verfahrensdauer ist ausnahmsweise ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Kläger hinsichtlich der GKV und sPV nicht anzuerkennen, weil sich ihr ursprünglicher Antrag ausdrücklich nur auf einen Beitragsverzicht bzw eine Beitragsreduzierung in der GRV bezogen hat. Erst im Laufe des (zunächst ruhenden) Widerspruchs- und späteren Klageverfahrens, vor allem aber im Berufungsverfahren haben die Kläger ihre Anträge - soweit der erste erweiternde Antrag dem Widerspruchsausschuss der Beklagten überhaupt vorlag - auch auf die GKV und sPV ausgedehnt und präzisiert. Damit fehlt es vorliegend hinsichtlich der Beitragserhebung in der GKV und sPV an einem berechtigten Feststellungsinteresse der Kläger.

30

5. Die hinsichtlich der GRV zulässige Feststellungsklage hat im Haupt- sowie hinsichtlich aller Hilfsanträge keinen Erfolg, weil die Bemessung der Beiträge der Kläger in der GRV den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV entspricht.

31

Die feststellenden Ausführungen der Beklagten zur Beitragsbemessung in der GRV stehen einfachrechtlich betrachtet in Einklang mit den dafür einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften. Dies sind ua § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 BSV 2012, hier anzuwenden in den jeweils zum Zeitpunkt der Beitragserhebung in der streitigen Zeit vom 1.1.2004 bis 27.1.2012 geltenden Fassungen. Danach ergibt sich der Beitrag, indem der jeweils gültige Beitragssatz mit der Beitragsbemessungsgrundlage, regelmäßig dem Bruttoarbeitsentgelt, vervielfacht wird. Freibeträge, insbesondere Kinderfreibeträge, mindern die Beitragsbemessungsgrundlage nicht. Die Beiträge werden von den Versicherten und ihren Arbeitgebern je zur Hälfte getragen. Eine Beitragsreduzierung für Versicherte mit Kindern oder erhöhte Beiträge für Versicherung ohne Kinder sind nicht vorgesehen.

32

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die von der Beklagten vorgenommene bzw für zutreffend erachtete Beitragsbemessung in Einklang mit den einfachgesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen stand. Streitig ist allein die Verfassungsmäßigkeit dieser beitragsrechtlichen Bestimmungen.

33

6. Die gesetzlichen Bestimmungen im Recht der GRV sowie ihre Anwendung im konkreten Einzelfall sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG iVm § 13 Nr 11, §§ 80 ff BVerfGG bedurfte es daher nicht. Der Senat ist wie bereits in den früheren Entscheidungen aus den Jahren 2006 (ua BSG Urteil vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R - SozR 4-2600 § 157 Nr 1) und 2015 (BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) nicht davon überzeugt, dass die hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften des Beitragsrechts der GRV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Rentenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder (dazu b) in der von den Klägern geforderten Weise zu mindern ist (dazu c).

34

a) Abhängig beschäftigte Versicherte - wie die Kläger - haben sich während der Dauer der Beschäftigung in aller Regel durch die hälftige Tragung der nach ihrem Bruttoentgelt bemessenen Beitragslast an den Ausgaben der GRV zu beteiligen. Das ergibt sich einfachgesetzlich aus den Vorschriften des Vierten Kapitels (§§ 153 ff) des SGB VI (diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB VI im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung). Einnahmen der allgemeinen Rentenversicherung sind hiernach insbesondere die Beiträge und die Zuschüsse des Bundes (§ 153 Abs 2 SGB VI). Die Beiträge werden nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von der Beitragsbemessungsgrundlage erhoben, die nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird (§ 157 SGB VI). Beitragsbemessungsgrundlage für Versicherungspflichtige sind die beitragspflichtigen Einnahmen (§ 161 Abs 1 SGB VI), die bei Beschäftigten wie den Klägern aus dem Arbeitsentgelt bestehen (§ 162 Nr 1 SGB VI). Beitragssatz und Beitragsbemessungsgrenze sind von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung festzusetzen (§ 160 SGB VI). Insoweit ist § 158 SGB VI trotz mehrfacher Änderungen durchgehend zu entnehmen, dass der Beitragssatz grundsätzlich so festzusetzen ist, dass die voraussichtlichen Beitragseinnahmen ausreichen, um die voraussichtlichen Ausgaben zu decken (und sicherzustellen, dass die Mittel der Schwankungsreserve dem gesetzlich bestimmten Betrag entsprechen). Unter Zugrundelegung des hiernach festgesetzten jeweiligen Beitragssatzes und des bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts der Kläger ergibt sich die Versicherte neben dem Arbeitgeber treffende hälftige Beitragslast.

35

b) Die Kläger weisen zutreffend darauf hin, dass Versicherte mit Kindern im Vergleich zu Versicherten ohne Kinder im Allgemeinen in ganz besonderem Maße zur Leistungsfähigkeit des Systems der GRV und dessen Nachhaltigkeit beitragen. Das umlagefinanzierte System der GRV funktioniert dauerhaft nur dann, wenn es stets genügend leistungsfähige Beitragszahler gibt, die für die Renten der jeweiligen Rentnergeneration aufkommen können. Ein nachhaltig gestaltetes System der Altersvorsorge setzt voraus, dass der gegenwärtige und zukünftige Sozialaufwand, der für die Gewährung rechtlich verbürgter Sozialleistungen wie Renten erforderlich ist, aus dem zum jeweiligen Zeitpunkt erwirtschaftete Volkseinkommen aufgebracht werden kann. Dies setzt voraus, dass es auch in Zukunft hinreichend viele Erwerbstätige und die Möglichkeit zu produktivem Erwerbsverhalten gibt. Die heute geborenen Kinder müssen - soll das System funktionieren - auch in Zukunft arbeiten können, arbeiten wollen und ausreichend produktive Arbeitsplätze oder sonstige sozialversicherungspflichtige Erwerbsmöglichkeiten vorfinden. Werden nicht ausreichend viele Kinder geboren und wird nicht in ausreichendem Maße für ihr künftiges Erwerbspotential vorgesorgt (Erziehung, Bildung, Infrastruktur, produktive Arbeitsplätze etc), ist die Stabilität des Systems gefährdet. Versicherte mit Kindern leisten insoweit bei typisierender Betrachtung im Allgemeinen mehr für die Nachhaltigkeit des Systems als Versicherte ohne Kinder, denn Versicherte mit Kindern und Versicherte ohne Kinder finanzieren durch ihre monetären Beiträge zwar die aktuellen Renten mit. Versicherte mit Kindern sorgen aber in besonderer Weise dafür, dass es auch künftig Beitragszahler gibt, die künftige Renten finanzieren können. Sie leisten damit zusätzlich zu ihren monetären Beiträgen einen generativen Beitrag. Unbestreitbar ist auch, dass Versicherte mit Kindern und dem damit verbundenen Betreuungs- und Erziehungsaufwand - bei wiederum typisierender Betrachtung - regelmäßig Einschränkungen persönlicher und finanzieller Art unterliegen, denen Versicherte ohne Kinder nicht unterliegen.

36

Zwischen Versicherten mit und ohne Kinder(n) bestehen erhebliche Unterschiede. Und obwohl Versicherte mit Kindern einen sog generativen Beitrag leisten, sind sie nach denselben Vorschriften zur Beitragszahlung in der GRV verpflichtet wie Versicherte ohne Kinder.

37

c) Die Kläger können jedoch nicht verlangen, von dieser Beitragsbelastung entgegen der einfachgesetzlichen Rechtslage deshalb in dem beantragten Umfang freigestellt zu werden, weil sie bereits durch Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems erbracht hätten und andernfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG und den dort enthaltenen Regelungsauftrag/Normprüfungsauftrag an den Gesetzgeber nicht berufen. Der Senat ist - was den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeht - im vorliegenden Fall nicht strikt und ausschließlich an die Maßstäbe im sPV-Urteil des BVerfG gebunden (dazu aa). Vielmehr sind die von den Klägern beanstandeten Regelungen des Beitragsrechts der GRV unter Beachtung der Ausführungen des BVerfG im sPV-Urteil in erster Linie anhand der vom BVerfG zum allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG - dazu bb) iVm mit dem Familienförderungsgebot des Art 6 GG (Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG - dazu cc) zu prüfen. Eine Verfassungswidrigkeit kann der Senat dabei auch in Kenntnis des zwischenzeitlichen umfangreichen Vorbringens der Kläger, der vorgelegten Stellungnahmen und der zum Senatsurteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) veröffentlichten sozialrechtlichen Literatur (vgl ua Blüggel, jurisPR-SozR 11/2016 Anm 2; Lenze, NVwZ 2015, 1658; Lenze, SGb 2017, 130; Ruland, NZS 2016, 361; Seiler, NZS 2016, 641; Wenner, SozSich 2015, 344) nicht erkennen.

38

aa) Das BVerfG hat im sPV-Urteil im Tenor ausgeführt, dass die beitragsrechtlichen Regelungen der sPV mit dem GG nicht vereinbar sind, "soweit Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden". Es bleibe dem Gesetzgeber überlassen, wie er die Betreuungs- und Erziehungsleistung bei der Beitragsbemessung von beitragspflichtigen Versicherten mit Kindern berücksichtige. Spätestens bis zum 31.12.2004 habe der Gesetzgeber eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen. Bei der Bemessung der Frist sei berücksichtigt worden, dass die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sein werde (BVerfG sPV-Urteil, Juris RdNr 69).

39

Das sPV-Urteil des BVerfG ist auf das Beitragsrecht der GRV nicht "1 : 1" übertragbar. Zwar kommt den Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 1 BVerfGG Gesetzeskraft und nach § 31 Abs 1 BVerfGG Bindungswirkung zu. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - (BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77) dargelegt, dass das sPV-Urteil auf das Beitragsrecht der GRV nicht im Wege der den Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG zukommenden Gesetzeskraft und der ihnen nach § 31 Abs 1 BVerfGG zukommenden Bindungswirkung "übertragbar" ist, weil es ausweislich des Tenors nur zur Pflegeversicherung und deren beitragsrechtliche Normen ergangen ist(BSG aaO RdNr 33). Hieran hält der Senat fest.

40

Hinzu kommt, dass die GRV in ihren wesentlichen Strukturprinzipien nicht den Anforderungen entspricht, die das BVerfG im sPV-Urteil für ein verfassungsrechtliches Gebot der beitragsrechtlichen Differenzierung zwischen Versicherten mit und solchen ohne Kinder aufgestellt hat. Insbesondere hatte das BVerfG im sPV-Urteil darauf abgestellt, dass eine Berücksichtigung des generativen Beitrags im Leistungsrecht der Pflegeversicherung nicht in Betracht kommt (BVerfG sPV-Urteil RdNr 71). In der GRV ist dies strukturell bereits anders (hierzu bb) (e)).

41

bb) Der allgemeine Gleichheitssatz in Art 3 Abs 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl zB BVerfGE 112, 268, 279; stRspr). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl BVerfGE 79, 1, 17; 126, 400, 416 mwN). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (BVerfGE 129, 49, 68; 133, 1, 13 RdNr 44). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl BVerfGE 110, 274, 291; stRspr). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl BVerfGE 75, 108, 157 = SozR 5425 § 1 Nr 1 S 11; BVerfGE 93, 319, 348 f; 107, 27, 46; 126, 400, 416; 129, 49, 69; 132, 179, 188 RdNr 30). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 129, 49, 69; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42) oder je mehr sie sich denen des Art 3 Abs 3 GG annähern (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 124, 199, 220; 129, 49, 69; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl BVerfGE 88, 87, 96; 111, 176, 184 = SozR 4-7833 § 1 Nr 4 RdNr 26; BVerfGE 129, 49, 69; 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42).

42

Vorliegend geht es um die Frage, ob der Gesetzgeber im Beitragsrecht der GRV wesentlich Ungleiches ohne hinreichende sachliche Gründe gleichbehandelt. Denn das Beitragsrecht sieht für Versicherte ohne Kinder und für Versicherte mit Kindern keine unterschiedlichen Regelungen vor; weder erhalten Versicherte mit Kindern einen - wie auch immer gearteten - Beitragsrabatt noch werden ihre Beiträge nach einer niedrigeren Bemessungsgrundlage oder einem geringeren Beitragssatz als bei Versicherten ohne Kinder berechnet.

43

Der Senat legt seiner Prüfung einen strengen Prüfungsmaßstab zugrunde, denn den Versicherten steht es nicht frei, an dem die GRV prägenden Umlageverfahren teilzunehmen. Vielmehr ordnet das Gesetz ua für abhängig Beschäftigte, zu denen die Kläger gehören, Versicherungs- und Beitragspflicht an. Dies ist verfassungsrechtlich betrachtet ein Eingriff in die durch Art 2 Abs 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit (vgl BVerfG Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 18 = Juris RdNr 49, mwN). Danach ist das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen, wenn der Gesetzgeber Personen der Pflichtversicherung in einem System der sozialen Sicherheit unterwirft.

44

Auch unter Zugrundelegung eines strengen, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Prüfungsmaßstabs ist es gerechtfertigt und verfassungsrechtlich nicht geboten, dass der Gesetzgeber im Beitragsrecht der GRV zwischen Versicherten mit und ohne Kinder(n) in der Weise differenziert, dass Versicherte ohne Kinder geringere Beiträge als Versicherte mit Kindern zu zahlen haben. Dabei verkennt der Senat nicht, dass Versicherte mit Kindern in der GRV - ebenso wie in der sPV - anders als Versicherte ohne Kinder nicht nur einen pekuniären, sondern - wie bereits ausgeführt wurde - auch einen generativen Beitrag leisten, der für das Funktionieren des Umlageverfahrens unabdingbar ist.

45

Für die fehlende Differenzierung im Beitragsrecht der GRV gibt es hinreichende sachliche Gründe. Der Gesetzgeber hat insoweit die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt.

46

(a) Das Gesetz berücksichtigt den generativen Beitrag von Versicherten mit Kindern und allgemeinen Familienlasten zwar nicht im Beitragsrecht der GRV. Entgegen der Auffassung der Kläger ist aber eine alleinige Fokussierung auf das Beitragsrecht der GRV nicht durch das sPV-Urteil des BVerfG vorgegeben (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 49, 60).

47

(b) Das Recht der GRV berücksichtigt die generative Leistung in Form verschiedener familienfördernder Elemente zugunsten Versicherter mit Kindern in erster Linie innerhalb der GRV im Leistungsrecht, darüber hinaus aber auch in anderen Zweigen der Sozialversicherung, in weiteren Bereichen des Sozialrechts sowie in sonstigen Rechtsgebieten wie etwa dem Steuerrecht oder in Form kostenloser Schul-, Fachschul- und Hochschulausbildung. Der Senat verkennt dabei nicht, dass auch Versicherte mit Kindern mit ihren Steuern und Beiträgen ihrerseits in erheblichem Umfang selbst zur Finanzierung von familienfördernden Leistungen beitragen.

48

Im Leistungsrecht gerade der GRV erhalten Versicherte mit Kindern für die durch Kindererziehung entstehenden Nachteile einen systemimmanenten Ausgleich zB durch Kindererziehungszeiten (§ 3 S 1 Nr 1 iVm §§ 56, 249, 249a SGB VI), Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung im Umfang von zwei - bzw ab Jahrgang 1992 drei - Jahren für jedes Kind (§ 57 SGB VI), Anrechnungszeiten für Schwangerschaft oder Mutterschaft (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI), Zuschlag für Zeiten der Kindererziehung bei Witwen- und Witwerrenten (§ 78a SGB VI), Kinderzuschuss (§ 270 SGB VI), große Witwen- oder Witwerrente bei Kindererziehung (§ 46 Abs 2 S 1 Nr 1 und § 243 Abs 2 und Abs 3 SGB VI), Erziehungsrente (§§ 47, 243a SGB VI; vgl ausführlich Buntenbach, Leistungen der Rentenversicherung für Kindererziehung, DRV-Schriften, Band 108, S 19).

49

(c) Der Senat ist davon überzeugt, dass der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums gesellschaftliche Entwicklungen gerade auch mit Blick auf Familien und deren Bedürfnisse berücksichtigt. Er gewährleistet durch die Gewährung von Leistungen vor allem in der GRV eine verfassungsgemäße Behandlung auch der Versicherten mit Kindern. Dass Versicherte mit Kindern durch familienfördernde Leistungen durch den Gesetzgeber "auf Euro und Cent" so gestellt werden müssten, als hätten sie keine Kinder, ist Wortlaut, Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften des Grundgesetzes (hier insbesondere Art 3 Abs 1 und 3 GG) ebenso wenig zu entnehmen, wie der Rechtsprechung des BVerfG hierzu.

50

Das BVerfG hat im sPV-Urteil ausgeführt, bei der Bemessung der Umsetzungsfrist habe der Senat berücksichtigt, dass die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sei (BVerfG sPV-Urteil RdNr 69). Die Bundesregierung hat diesen sich aus dem sPV-Urteil des BVerfG ergebenden Prüfauftrag angenommen (siehe BT-Drucks 14/6099 und BT-Drucks 15/4375). Sie hat im November 2002 in Gestalt des damaligen Ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung die Kommission "Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme" eingerichtet. Diese hat sich ua auch dieser Thematik angenommen und gelangte zu dem Ergebnis, dass der vom Gesetzgeber beschrittene Weg, Kindererziehung auf der Leistungsseite zu honorieren, sachgerecht sei.

51

Der Gesetzgeber hat zur Beseitigung der verfassungswidrigen Lage in der sPV den Pflegeversicherungsbeitrag für Versicherte ohne Kinder erhöht. Der Gesetzgeber hat indessen davon abgesehen, den generativen Beitrag auch in der GRV in entsprechender Weise zu berücksichtigen. Er überschreitet damit nach Überzeugung des Senats in der GRV die sich aus Art 3 Abs 1 GG ergebenden Grenzen seines Gestaltungsspielraums nicht.

52

(d) Vor allem wird durch das geltende Recht ein Eingriff in das Beitragsrecht der GRV und der die GRV prinzipiell prägenden Beziehung von erbrachter Beitragsleistung und späterer (Renten-)Leistung verhindert. Rentenleistungen sind hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig (vgl § 63 SGB VI). Dieses Prinzip fördert, weil es für jedermann ohne Weiteres nachvollziehbar ist, die Akzeptanz des Vorsorgesystems GRV.

53

(e) Zudem unterscheidet sich hierdurch das Leistungsrecht der GRV auch strukturell wesentlich von demjenigen der sPV: Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern bedarfsbezogen. Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV - anders als in der GRV geschehen - von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Entgegen der Auffassung der Kläger hält der Senat daran fest, dass es keine verfassungsrechtliche Verpflichtung gibt, den von den Klägern erstrebten Nachteilsausgleich allein im Beitragsrecht der GRV bzw kumulativ beitrags- und leistungsrechtlich in der GRV zu verwirklichen (so bereits BSG Urteil vom 5.7.2006 - B 12 KR 20/04 R - SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 51; BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 47, 49). Soweit angenommen wird, das BVerfG habe demgegenüber in seinem sPV-Urteil diesbezüglich einen "qualitativen Sprung" (so Lenze, SGb 2017, 130, 133) zu den Ausführungen im Trümmerfrauenurteil (BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1) gemacht bzw - so die Kläger - einen "grundlegenden Paradigmenwechsel" vorgenommen, teilt der Senat diese Ansicht erneut nicht (vgl insoweit BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 60). Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern bedarfsbezogen. Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Hiervon unterscheidet sich das Leistungsrecht in der GRV strukturell, weil danach Rentenleistungen hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig sind (vgl § 63 SGB VI).

54

(f) Es ist nicht Sache des Revisionsgerichts darüber zu befinden, ob der Gesetzgeber seiner Pflicht, Versicherte mit Kindern mit Blick auf das Familienförderungsgebot "besser" durch Entlastungen der Versicherten auf der Beitragsseite statt - wie zB durch den Ausbau von Kindererziehungszeiten - auf der Leistungsseite nachgekommen wäre, ob der Gesetzgeber - mit anderen Worten - "die beste Lösung" gewählt hat. Eine zulässige Vorlage an das BVerfG kommt nur dann in Betracht, wenn das vorlegende Gericht von der Unvereinbarkeit der zur Prüfung gestellten Regelung mit der Verfassung ausgeht (vgl ua BVerfG Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136 RdNr 93 mwN). Bloße Zweifel sind nicht ausreichend. Erst recht würde es für eine zulässige Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG nicht ausreichen, wenn das Gericht lediglich eine andere, stärker familienfördernde gesetzliche Ausgestaltung des Beitragsrechts der GRV bzw der Sozialversicherung insgesamt für sozialpolitisch wünschenswert halten würde. Dies gilt auch hinsichtlich der von den Klägern thematisierten sozial- und gesellschaftspolitisch zukunftsgerichteten Angemessenheit der GRV aus volkswirtschaftlich/ökonomischer Sicht. Demzufolge bedarf ua die Frage, ob bei der Prüfung der Mindestgeschlossenheit der GRV (hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 36 ff) eine Quer- oder Längsschnittbetrachtung ökonomisch sinnvoller wäre (hierzu Stellungnahme Werding vom 9.3.2016 S 3 f), keiner Entscheidung. Es ist Aufgabe des dazu berufenen parlamentarischen Gesetzgebers, gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Entwicklungen zu beobachten und aus ihrer wissenschaftlichen Analyse Rückschlüsse für die künftige Ausgestaltung des Sozialversicherungssystems zu ziehen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass Versicherte mit Kindern insoweit - aus ihrer subjektiven Sicht verständlich - weitergehende rechts- und familienpolitische Forderungen stellen. Deren Erfüllung ist verfassungsrechtlich jedoch nicht zwingend geboten.

55

cc) Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV stehen auch nicht im Widerspruch zu Art 6 Abs 1 GG iVm Art 3 GG. Denn der besondere Schutz der Familie, zu dem Art 6 Abs 1 GG den Staat verpflichtet, hält den Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich an, jede zusätzliche finanzielle Belastung der Familie zu vermeiden. Der Staat ist durch die in Art 6 Abs 1 GG enthaltene Pflicht zur Förderung der Familie auch nicht gehalten, gerade die Beitragslast von Versicherten mit Kindern auszugleichen. Der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ist zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich zu entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Aus dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen, lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R - BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77, RdNr 35 mwN).

56

Im Übrigen ist festzustellen, dass das Gesetz zahlreiche derartige Leistungen vorsieht. Zu nennen sind ua familienfördernde und familienentlastende Leistungen in anderen Bereichen des Sozialversicherungsrechts, des Sozialrechts und in anderen Rechtsbereichen zB die Gewährung von Versicherungspflichtzeiten im Arbeitsförderungsrecht für die Zeit der Kindererziehung (§ 26 Abs 2a SGB III), die Gewährung von Elterngeld und zuvor Erziehungsgeld (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, zuvor Bundeserziehungsgeldgesetz) oder die Gewährung von Kindergeld (Bundeskindergeldgesetz) oder bzw Kinderfreibeträgen im Steuerrecht (Einkommensteuergesetz).

57

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Kläger werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. April 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Mai 2010 geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2006 und die Widerspruchsbescheide vom 16. Mai 2007 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) bei Eltern im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder zu reduzieren sind.

2

Die Klägerin und der Kläger - verheiratete Eltern ihrer drei 1990, 1992 und 1995 geborenen Kinder - waren bei der Beigeladenen zu 3. versicherungspflichtig beschäftigt und Mitglied der beklagten Krankenkasse sowie bei der Beigeladenen zu 1. pflege- und bei der Beigeladenen zu 2. rentenversichert; seit Juli 2010 ist die Klägerin anderweit beschäftigt.

3

Im Juli 2006 beantragten die Kläger bei der Beklagten als Einzugsstelle unter Bezugnahme auf das Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - zur sPV (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2, im Folgenden: sPV-Urteil) mit Blick auf die Betreuungs- und Erziehungsleistungen für ihre Kinder die beitragsmindernde Berücksichtigung ihres Unterhalts in den oben genannten Versicherungszweigen. Dies lehnte die Beklagte ab, da der Gesetzgeber seinen Pflichten aus dem sPV-Urteil mit Schaffung des Kinder-Berücksichtigungsgesetzes (KiBG) vom 15.12.2004 (BGBl I 3448; KiBG) nachgekommen sei (ua Einführung eines Beitragszuschlags für Kinderlose von 0,25 Beitragssatzpunkten in der sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI - Art 1 Nr 1 KiBG) und die Versicherungsträger an die gesetzlichen Vorgaben gebunden seien (Bescheid vom 20.7.2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16.5.2007).

4

Das SG hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 11.5.2010).

5

Im anschließenden Berufungsverfahren haben die Kläger begehrt, dass die Sozialversicherungsbeiträge nur nach der "Hälfte der bisherigen Bemessung" erhoben werden, hilfsweise, dass bei der Beitragsbemessung 833 Euro je Kind und Monat bzw (weiter) hilfsweise, dass ein Betrag in Höhe des steuerlichen Existenzminimums abgezogen wird. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beitragsbemessung bei den Klägern entspreche den gesetzlichen Regelungen. Diese Regelungen verstießen nicht gegen Art 6 Abs 1 iVm Art 3 GG, weil der Gesetzgeber einen weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum habe. Als Konkretisierung und Ausformung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages nach Art 6 Abs 1 GG sei dabei auch der Familienlastenausgleich zu berücksichtigen, selbst wenn sich die additive Höhe der hierdurch bewirkten Entlastung von Familien nicht konkret beziffern lasse. Der Gesetzgeber habe das Verfassungsrecht bei der Ausgestaltung der Teilsysteme der Sozialversicherung beachtet, weil er den Familienlastenausgleich durch zahlreiche Vorschriften ausgebaut (zB Kindererziehungszeiten in der GRV; kostenfreie Familienversicherung in der GKV) und er die Entscheidung des BVerfG für die sPV mit dem KiBG zudem beanstandungsfrei umgesetzt habe. Das BVerfG selbst habe die Erwägungen des sPV-Urteils in der Folgezeit nicht auf andere Sozialversicherungszweige übertragen, sondern sei - in einem Urteil zur Alterssicherung der Landwirte (BVerfGE 109, 96 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2)- davon sogar abgerückt. Auch das BSG habe aus dem sPV-Urteil keinen verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf für andere Sozialversicherungszweige hergeleitet. Einer Beweiserhebung habe es bei alledem weder unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs der Kläger noch unter demjenigen der Amtsermittlungspflicht bedurft, insbesondere nicht zu der von den Klägern postulierten Pflicht, durch Sachverständige einzelne "Transfersalden" für Kinder zu ermitteln. Da der Familienlastenausgleich durch zahlreiche Regelungen des Sozialrechts und des Steuerrechts bewirkt werde, komme es auf solche Ermittlungen wegen des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht an. Der Familienlastenausgleich sei nicht isoliert auf das Sozialversicherungsrecht bezogen (Urteil vom 24.4.2012).

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger - mit umfänglichem Vorbringen - im Wesentlichen, das LSG habe verkannt, dass die einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen zur Beitragsbemessung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstießen, soweit versicherte Eltern mit gleich hohen Beiträgen wie kinderlose Versicherte belastet würden. Konkret rügen sie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in Bezug auf die GRV durch § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 der Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze in der GRV für das Jahr 2012(vom 19.12.2011, BGBl I 2795; Beitragssatzverordnung 2012 - BSV 2012), hinsichtlich der GKV durch § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V, und im Hinblick auf die sPV durch § 55 Abs 3 S 1 SGB XI sowie durch § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1 SGB XI und § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V.

7

Das BVerfG habe sich in seinem sPV-Urteil von einem leistungsrechtlichen Ansatz distanziert. Es diskutiere dort die unzureichende Kompensation der Erziehungslasten nicht mehr unter dem Aspekt der allgemeinen leistungsrechtlichen Förderungspflicht des Staates (Art 6 Abs 1 GG), sondern als Gleichheits- und Teilhabeproblem (Art 3 Abs 1 GG) unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz werde zu einem Grundrecht auf "intragene-rationelle Gleichbehandlung" fortentwickelt.

8

Die Systeme der GRV, GKV und sPV erfüllten die Voraussetzungen, die das BVerfG für eine zu beanstandende fehlende Differenzierung im Beitragsrecht zwischen Eltern und Kinderlosen aufgestellt habe (= Abdeckung eines in einem geschlossenen intergenerationellen System erfassten Risikos, das überproportional im Alter auftrete und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert werde; Absehbarkeit, dass ein signifikanter Teil der Versicherten kinderlos bleibe). Das sPV-Urteil sei auch auf die GRV und die GKV zu übertragen: GRV und GKV deckten als umlagefinanzierte Systeme ebenso wie die sPV ein Risiko ab, das überproportional im Alter auftrete. Die Mindestgeschlossenheit der Systeme folge in Zusammenschau mit der Rechtsprechung des BVerfG zur Alterssicherung der Landwirte daraus, dass 87 % der Bevölkerung in der sPV, 80 % der erwerbstätigen Bevölkerung in der GRV und 90 % der Bevölkerung in der GKV versichert seien. Zudem sei die Geburtenrate von 2,49 Kindern je Frau - Mitte der 1960er Jahre - auf mittlerweile 1,3 Kinder gesunken. Da die Kindererziehung für die Funktionsfähigkeit der Systeme genauso bedeutsam sei wie die Beiträge, erhielten Kinderlose in allen drei Sozialversicherungssystemen einen spezifischen, systembedingten Vorteil, der nach der Rechtsprechung des BVerfG auch innerhalb des jeweiligen Systems ausgeglichen werden müsse. Die Pflicht zum Ausgleich bestehe nur auf der Beitragsseite, da die Belastung der Eltern in der Erwerbsphase auftrete und auch in diesem Zeitraum ausgeglichen werden müsse.

9

In Bezug auf die einzelnen Sozialversicherungsteilsysteme gelte Folgendes: In der GRV müsse die Umsetzung der Maßstäbe aus dem sPV-Urteil des BVerfG systemimmanent erfolgen. Die Rechtsprechung des BVerfG sei insoweit bindend (§ 31 BVerfGG). Die in der GRV anerkannten Kindererziehungszeiten seien für die Annahme eines Vorteilsausgleichs strukturell ungeeignet und stellten auch keinen echten Vorteilsausgleich dar, weil die Beiträge hierfür der Bund leiste (§ 177 Abs 1 SGB VI); dh alle Steuerpflichtigen und nicht nur Kinderlose. Gleichzeitig bestehe eine Benachteiligung der Eltern im Leistungsrecht. Diese erlitten durch die Unterbrechungen und Einschränkungen der Erwerbsbiografie (zB Teilzeitarbeit) vielfach Verluste an persönlichen Entgeltpunkten, die nicht durch Kindererziehungszeiten (§ 56 SGB VI)kompensiert würden. Das Argument, die demografische Entwicklung sei ein gesamtgesellschaftliches Problem und müsse abgabenpolitisch steuerfinanziert auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gelöst werden, sei ohne verfassungsrechtliche Relevanz.

10

Auch in der GKV müsse ein systeminterner Vorteilsausgleich gesucht werden. Die Möglichkeit der beitragsfreien Familienversicherung (§ 10 SGB V) reiche insoweit nicht aus. Diese Begünstigung wiege nach den bindenden Ausführungen des BVerfG den mit der Erziehungsleistung zusätzlich erbrachten generativen Beitrag und den damit erlittenen Nachteil gegenüber Kinderlosen nicht auf.

11

Das Beitragsrecht in der sPV sei auch nach den Änderungen durch das KiBG verfassungswidrig. Insbesondere fehle im geltenden Recht die - auf der Grundlage des sPV-Urteils gebotene - Berücksichtigung der Anzahl der Kinder bei der Beitragsbemessung. Mit mehreren Kindern werde nämlich ein größerer generativer Beitrag für die Funktionsfähigkeit des Systems erbracht als mit nur einem Kind.

12

Die Kläger untermauern ihre Auffassung durch Gutachten der Bertelsmann-Stiftung (Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013; Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013).

13

Überdies rügen die Kläger einen Verstoß des LSG gegen seine Amtsermittlungspflicht. Es sei bei seiner Prüfung von Art 6 Abs 1 GG ausgegangen. Zu Unrecht habe es die Frage, ob die staatliche Familienförderung offensichtlich unangemessen sei und dem Förderungsgebot aus Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genüge, als eine Frage einer Gesamtabwägung aufgefasst, ohne Ermittlungen zu den konkreten Belastungen durch die Erziehung und Betreuung von Kindern vorzunehmen. Insoweit habe das LSG selbst eingeräumt, zu einer konkreten Bezifferung der additiven Höhe der durch die legislativen Maßnahmen bewirkten Entlastung der Familien nicht in der Lage zu sein. Angesichts der von ihnen (den Klägern) vorlegten Gutachten und Aufsätzen habe sich das LSG zu Ermittlungen "zu den Realitäten des Familienlastenausgleichs" gedrängt sehen müssen, diese aber verfahrensfehlerhaft unterlassen.

14

Mit Schriftsatz vom 11.8.2015 haben die Kläger - nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist - Tabellen zu "Durchschnittlichen Leistungsausgaben Frauen/Männer im Alter von 0 bis 90 Jahren" vorgelegt, die als "generelle Tatsachen" von Amts wegen zu berücksichtigen seien.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Kläger im Revisionsverfahren wird vor allem auf Blatt 25 bis 102, Blatt 165 bis 173, Blatt 201 bis 224, 227/228 und Blatt 232 bis 244 der Revisionsakte verwiesen.

16

Die Kläger beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. April 2012 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Mai 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Mai 2007 aufzuheben sowie festzustellen, dass die monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab 1. Juli 2006 nicht über eine Höhe von 50 vH der gegenwärtigen Bemessung zu erheben sind,

hilfsweise festzustellen,
dass die Beitragsbemessung unter Abzug eines Betrags von 833 Euro je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage monatlich erfolgen muss,

weiter hilfsweise festzustellen,
dass die Beitragsbemessung unter Abzug des in § 32 Abs 6 EStG genannten Betrags je Kind von der Beitragsbemessungsgrundlage erfolgen muss,

hilfsweise den Rechtsstreit gemäß Art 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die die Beitragspflicht und die Höhe der Beiträge zur Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung regelnden Vorschriften (§§ 157, 161 Abs 1, 162 Nr 1 SGB VI, §§ 223 Abs 2, 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 sowie § 241 SGB V und §§ 54 Abs 2 Satz 1, 55 Abs 1 und 3 Satz 1, 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI iVm § 226 SGB V) unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - mit den Grundrechten der Kläger aus den Art 3, 6, 20 und 28 (Sozialstaatsprinzip) GG vereinbar sind;

weiter hilfsweise, das angefochtene Urteil mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückzuverweisen.

17

Die Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.

18

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

19

Die Beigeladenen zu 1. und zu 3. stellen keine Anträge. Die Beigeladene zu 3. schließt sich vollumfänglich der Revisionsbegründung der Kläger an.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten aller Instanzen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Die zulässige Revision der Kläger ist im Wesentlichen unbegründet.

22

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind der mit der Anfechtungsklage angegriffene Bescheid der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle vom 20.7.2006 in der Gestalt ihrer Widerspruchsbescheide vom 16.5.2007, in denen sie festgestellt hat, dass es für die von den Klägern erstrebte Beitragsminderung keine Rechtsgrundlage gebe. Zu befinden ist außerdem über einen Feststellungsantrag. Streitig ist die Höhe der Beiträge zur GRV, GKV und sPV für den Zeitraum vom 1.7.2006 (= Monat der Antragstellung bei der Beklagten als Beginn) bis 24.4.2012 (= Tag der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen als Endzeitpunkt; vgl dazu allgemein zB BSGE 110, 62 = SozR 4-2500 § 240 Nr 16, RdNr 19; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 21). Für den Kläger zu 1. ist bezüglich der Beiträge zur GKV und zur sPV allerdings nur die Zeit bis 31.12.2010 im Streit, weil er nur bis zu diesem Zeitpunkt versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten und auch der Beigeladenen zu 1. (vgl § 48 Abs 1 S 1 SGB XI) war.

23

2. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 Alt 1, § 55 Abs 1 Nr 1, Abs 2 SGG zulässig(vgl zB BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff, unter Hinweis auf BSG SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 15 ff). Der Anfechtungsklage steht unter dem Blickwinkel ihrer Statthaftigkeit nicht entgegen, dass sich die Beklagte in ihren Bescheiden darauf beschränkt hat, allgemein nur die Belastung der Kläger mit Beiträgen "festzustellen". Sie hat damit für die Kläger objektiv erkennbar eine einseitige und konkrete, verbindliche, der Rechtsbeständigkeit fähige Feststellung getroffen; allein hierauf kommt es für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage an (vgl BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff).

24

3. Auf die Anfechtungsklage der Kläger sind die angefochtenen Bescheide aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind. Dementsprechend sind die Urteile des LSG und SG zu ändern; insoweit muss die Revision der Kläger (teilweise) erfolgreich sein.

25

Mit diesen Bescheiden hat die Beklagte nämlich entgegen den einschlägigen Regelungen des materiellen Rechts zu Unrecht nur über die Beitragstragungspflicht und das Fehlen der Möglichkeit zu einer Beitragsreduzierung entschieden und sich dabei auf bloße allgemeine rechtliche Hinweise zur Bemessung und Tragung der Beiträge in der Sozialversicherung beschränkt. Sie hat dagegen - anders als hier erforderlich - nicht über die konkrete Beitragshöhe selbst entschieden.

26

Nach der Rechtsprechung des Senats ist einer Krankenkasse in ihrer Funktion als Einzugsstelle ua die Aufgabe übertragen, in gesetzlicher Verfahrens- und Prozessstandschaft (vgl zur Entwicklung BSG SozR 3-2400 § 28h Nr 9) anstelle der hierfür originär zuständigen Träger über die Beitragshöhe zu entscheiden (§ 28h Abs 2 S 1 SGB IV). Gegenüber Pflichtversicherten wegen Beschäftigung, die - wie die Kläger - nicht selbst Beitragsschuldner sind (vgl § 28e Abs 1 S 1 SGB IV), kommt bei der Entscheidung über die Beitragspflicht als festsetzungsfähige Rechtsfolge nur die betragsmäßig konkrete Feststellung der von ihnen zu tragenden Beitragsanteile in Betracht (vgl BSG SozR 4-2500 § 7 Nr 1 RdNr 17 mwN). Die hierfür relevanten Umstände - wie die beitragspflichtigen Einnahmen und der Beitragssatz -, zu denen die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zum Teil Aussagen gemacht hat, sind jeweils nur reine Berechnungs- bzw Begründungselemente und daher in der Regel auch nicht selbst einer Festlegung durch Verwaltungsakt (§ 31 S 1 SGB X) zugänglich. Hieran hält der Senat fest (zur Problematik allgemein auch bereits: BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 35 ff; BSG Urteil vom 17.12.2014 - B 12 KR 23/12 R - Juris RdNr 18 f).

27

4. Die neben der - mithin erfolgreichen - Anfechtungsklage erhobene Feststellungsklage ist zulässig (dazu a), aber sowohl hinsichtlich ihres Hauptantrages und hinsichtlich der im Rahmen des Hauptantrages ergänzend gestellten Hilfsanträge, aber auch hinsichtlich der übrigen Hilfsanträge unbegründet. Die Feststellungsklage hat keinen Erfolg, weil die Bemessung der Beiträge der Kläger den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des jeweiligen Beitragsrechts entspricht (dazu b). Diese gesetzlichen Bestimmungen im Recht der GRV (dazu 5.), der GKV (dazu 6.) und der sPV (dazu 7.) sind auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG iVm § 13 Nr 11, §§ 80 ff Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bedurfte es daher nicht.

28

a) Das für eine zulässige Feststellungsklage erforderliche besondere Interesse der Kläger an der baldigen Feststellung iS von § 55 Abs 1 SGG ist nicht durch Zeitablauf erloschen. Die begehrte Feststellung der konkreten Beitragsbelastung für den (mittlerweile) zurückliegenden Zeitraum hat nämlich ua Bedeutung für einen möglicherweise von den Klägern künftig geltend gemachten Beitragserstattungsanspruch (vgl zum Feststellungsinteresse BSG Urteil vom 18.5.1983 - 12 RK 28/82 - Juris RdNr 16; allgemein Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 55 RdNr 15).

29

b) Die Feststellungsklage bleibt im Hauptantrag der Kläger zur Beitragsbemessung sowie in Bezug auf ihre Hilfsanträge ohne Erfolg. Die feststellenden Ausführungen der Beklagten zur Beitragsbemessung erfolgten in den Zweigen der GRV, der GKV und der sPV in Einklang mit den dafür einschlägigen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften (ua § 157, § 161 Abs 1, § 162 Nr 1 SGB VI sowie § 1 BSV 2012; § 223 Abs 2, § 226 Abs 1 S 1 Nr 1, § 241 SGB V; § 55 Abs 3 S 1 SGB XI, § 54 Abs 2 S 1, § 55 Abs 1, § 57 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 226 SGB V, hier anzuwenden in den jeweils zum Zeitpunkt der Beitragserhebung in der streitigen Zeit vom 1.7.2006 bis 24.4.2012 geltenden Fassungen). Dass die von der Beklagten vorgenommene bzw für zutreffend erachtete Beitragsbemessung in Einklang mit den einfachgesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen stand, ist zwischen den Beteiligten außer Streit.

30

5. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften des Beitragsrechts der GRV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Rentenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder in der von den Klägern geforderten Weise zu mindern ist (dazu b).

31

a) Abhängig beschäftigte Versicherte - wie die Kläger - haben sich während der Dauer der Beschäftigung in aller Regel durch die hälftige Tragung der nach ihrem Bruttoentgelt bemessenen Beitragslast an den Ausgaben der GRV zu beteiligen. Das ergibt sich einfachgesetzlich aus den Vorschriften des Vierten Kapitels (§§ 153 ff) des SGB VI (diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB VI im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung). Einnahmen der allgemeinen Rentenversicherung sind hiernach insbesondere die Beiträge und die Zuschüsse des Bundes (§ 153 Abs 2 SGB VI). Die Beiträge werden nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von der Beitragsbemessungsgrundlage erhoben, die nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird (§ 157 SGB VI). Beitragsbemessungsgrundlage für Versicherungspflichtige sind die beitragspflichtigen Einnahmen (§ 161 Abs 1 SGB VI), die bei Beschäftigten wie den Klägern aus dem Arbeitsentgelt bestehen (§ 162 Nr 1 SGB VI). Beitragssatz und Beitragsbemessungsgrenze sind von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung festzusetzen (§ 160 SGB VI). Insoweit ist § 158 SGB VI trotz mehrfacher Änderungen durchgehend zu entnehmen, dass der Beitragssatz grundsätzlich so festzusetzen ist, dass die voraussichtlichen Beitragseinnahmen ausreichen, um die voraussichtlichen Ausgaben zu decken (und sicherzustellen, dass die Mittel der Schwankungsreserve dem gesetzlich bestimmten Betrag entsprechen). Unter Zugrundelegung des hiernach festgesetzten jeweiligen Beitragssatzes und des bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts der Kläger ergibt sich die sie neben dem Arbeitgeber treffende hälftige Beitragslast.

32

b) Die Kläger können nicht verlangen, von dieser Beitragsbelastung entgegen der einfachgesetzlichen Rechtslage deshalb in dem beantragten Umfang freigestellt zu werden, weil sie bereits durch Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems erbracht hätten und andernfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) und den dort enthaltenen Regelungsauftrag/Normprüfungsauftrag an den Gesetzgeber nicht berufen; das Beitragsrecht der GRV ist von der Bindungswirkung dieser Entscheidung (§ 31 BVerfGG) sachlich nicht erfasst (dazu aa). Der Senat ist auch unter Würdigung der Ausführungen des BVerfG in einem weiteren verfassungs-/gleichheitsrechtlichen Zusammenhang nicht davon überzeugt, dass (allein) die von den Klägern geforderte Ausgestaltung des Beitragsrechts der GRV im Hinblick auf Art 6 Abs 1 GG (dazu bb) bzw Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG (dazu cc) von Verfassungs wegen geboten ist. Es ist deshalb unzutreffend, dass - wie die Kläger meinen - "sämtliche der vom BVerfG im Beitragskinderurteil als wesentlich identifizierten und zur Verfassungswidrigkeit der sPV führenden Elemente in gleicher Weise und erst recht auch bei der … GRV wirken".

33

aa) Das sPV-Urteil des BVerfG ist nicht insoweit auf das Beitragsrecht der GRV "übertragbar", als Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG Gesetzeskraft haben und insbesondere nach § 31 Abs 1 BVerfGG auch für die Fachgerichte bindend sind. Das BVerfG hat nach dem Tenor des sPV-Urteils die seinerzeit geltenden Beitragsvorschriften der § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 S 1 und 2 sowie § 57 SGB XI als mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG nicht vereinbar angesehen, soweit Versicherte der sPV, die Kinder betreuen und erziehen, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Versicherte ohne Kinder belastet wurden(hierzu im Einzelnen unter 7. a>). Die Entscheidung hatte also die Pflegeversicherung und deren beitragsrechtliche Normen zum Gegenstand. Nur für diese entfaltet sie Bindungswirkung (§ 31 Abs 1 BVerfGG). Im sPV-Urteil hat das BVerfG nicht etwa gleichzeitig das rentenrechtliche Konzept eines Ausgleichs des Aufwandes für Kinder (allein) auf der Leistungsseite aufgegeben (so schon BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 41 ff, 50). Die Bindungswirkung bezieht sich nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG auf die Entscheidungsformel und die tragenden Gründe. Allerdings - und das ist entscheidend - ist Gegenstand der Bindungswirkung die "konkrete" Entscheidung (so ausdrücklich zB BVerfGE 104, 151, 197). Das BVerfG geht davon aus, dass auch die "tragenden Entscheidungsgründe" nur in Ansehung des konkreten Streitgegenstandes und nur im Hinblick auf künftige gleichgelagerte Fälle, mithin in concreto binden (so zB Rennert in Umbach/Clemens, BVerfGG, 1. Aufl 1992, § 31 RdNr 72, mwN aus der Rspr des BVerfG).

34

bb) Die hier einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GRV stehen nicht im Widerspruch zu Art 6 Abs 1 GG.

35

Der besondere Schutz der Familie, zu dem Art 6 Abs 1 GG den Staat verpflichtet, hält den Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich an, jede zusätzliche finanzielle Belastung der Familie zu vermeiden. Der Staat ist auch nicht durch die in Art 6 Abs 1 GG enthaltene Pflicht zur Förderung der Familie gehalten, die Beitragslast auszugleichen. Die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen steht unter dem Vorbehalt des Möglichen und im Kontext anderweitiger Fördernotwendigkeiten. Der Gesetzgeber hat im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nur unter Abwägung aller Belange lässt sich ermitteln, ob die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genügt. Demgemäß lässt sich aus der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Aus dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen, lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl BVerfGE 103, 242, 258 ff = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13 f; BVerfGE 87, 1, 35 f = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 6; aus späterer Zeit BVerfGE 107, 205, 212 = SozR 4-2500 § 10 Nr 1 RdNr 28; BVerfGE 110, 412, 445). Dem hat sich der Senat bereits in seinen Urteilen vom 5.7.2006 angeschlossen (vgl stellvertretend BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 49; zur Bedeutung des aus Art 6 Abs 1 GG folgenden Förderungsgebots als Prüfungsmaßstab zuletzt BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 15/13 R - Juris RdNr 31). Hieran hält er fest.

36

cc) Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass die beitragsrechtlichen Vorschriften der GRV gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstoßen, soweit der Rentenversicherungsbeitrag der von den Klägern repräsentierten Personengruppe - versicherte Eltern mit Kindern - danach nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder im geforderten Umfang zu reduzieren ist. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung entspricht die GRV in ihren wesentlichen Strukturmerkmalen nicht den Anforderungen, die das BVerfG im sPV-Urteil für ein verfassungsrechtliches Gebot der beitragsrechtlichen Differenzierung zwischen Versicherten mit und solchen ohne Kinder aufgestellt hat; denn es fehlt an der Mindestgeschlossenheit dieses Sozialversicherungs(teil)systems (dazu <1>). Unabhängig davon läge auch deshalb kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vor, weil eine Gleichbehandlung bzw benachteiligende Ungleichbehandlung von Personen wie den Klägern im Beitragsrecht (gerade) der GRV in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt wäre (dazu <2>).

37

(1) Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG ist nach dem sPV-Urteil des BVerfG durch die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Pflegeversicherungsbeiträgen - auch nach Auffassung der Kläger - nur verletzt, wenn

        

1.    

das Sozialversicherungssystem ein Risiko abdeckt, das überproportional im Alter auftritt und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert wird,

        

2.    

das Sozialversicherungssystem eine Mindestgeschlossenheit aufweist (zu dieser Voraussetzung auch: BVerfGE 109, 96, 127 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2 RdNr 83) und

        

3.    

absehbar ist, dass ein signifikanter Teil der Versicherten keine Kinder bekommt.

38

Es kann offenbleiben, ob die GRV die erste und die dritte der vom BVerfG aufgestellten Voraussetzungen erfüllt. Jedenfalls weist die GRV nicht die geforderte Mindestgeschlossenheit auf, weil nicht angenommen werden kann, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft Beitragszahler in der GRV sein wird. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung besteht keine "rechtlich fundierte Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder der Beitragszahler in dem Sicherungssystem der GRV zukünftig selbst Beiträge leisten und dadurch zum Fortbestand des Systems beitragen werden".

39

Im sPV-Urteil hat das BVerfG entschieden, dass die Betreuungs- und Erziehungsleistung in der sPV auch in Zukunft nachhaltig zum Tragen und den kinderlosen Versicherten der sPV zugutekommt, weil dort aufgrund der umfassenden gesetzlichen Versicherungspflicht in jedem Fall eine Versicherung entweder in der sozialen oder in der privaten Pflegeversicherung begründet wird. Dies trifft auf die GRV nicht zu (in diesem Sinne bereits BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 58). Ein "generativer Beitrag" führt allenfalls dann zu einem "Vorteil im Versicherungsfall" für Kinderlose aus der Zahlung der Beiträge nachwachsender Generationen, wenn diese später auch tatsächlich Beiträge erbringen (so das BVerfG im sPV-Urteil: BVerfGE 103, 242, 264 f = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17 f). Es reicht dafür entgegen der Ansicht der Kläger nicht aus, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft "überhaupt" Mitglied der GRV wird, sondern es kommt darauf an, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder in Zukunft voraussichtlich auch "Beitragszahler" in der GRV sein wird; denn im Wesentlichen finanzieren im geltenden Umlagesystem nur die (aktuellen) Beitragszahler die (aktuellen) Leistungen an die Rentner.

40

Eine solche "rechtlich fundierte Wahrscheinlichkeit", dass Kinder von Beitragszahlern in Zukunft durch eigene Rentenversicherungsbeiträge zum Fortbestand der GRV beitragen werden, kann jedenfalls für den vorliegend streitigen Zeitraum der Jahre 2006 bis 2012 nicht angenommen werden, weil es sich nach den öffentlich zugänglichen statistischen Daten vielmehr so verhält, dass etwa die Hälfte der potentiellen Beitragszahler - obwohl statistisch als "Versicherte" geführt - tatsächlich keine Beiträge zur GRV zahlt bzw wenn, dann nur in einem geringfügigen Umfang. Beruhend auf den Beobachtungen aus der Vergangenheit und bei unveränderten Annahmen über die zukünftige Entwicklung muss davon ausgegangen werden, dass seinerzeit - im streitigen Zeitraum - betreute und erzogene Kinder als spätere Rentenversicherte das System der GRV jedenfalls nicht (wie vom BVerfG gefordert) zu einem "wesentlichen Anteil" bzw "maßgeblich" stützen werden. Insoweit kann auch nicht davon gesprochen werden, dass eine aktuelle "Leistung" durch die Betreuung und Erziehung von Kindern in der GRV in Zukunft "nachhaltig" zum Tragen und Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern zugutekommen wird.

41

So waren beispielsweise im Jahr 2006 rund 51,97 Mio Menschen in der GRV ohne Rentenbezug versichert, davon 35,02 Mio "aktiv" und 16,95 Mio "passiv" (zur Verteilung zwischen aktiv und passiv Versicherten in den Jahren ab 2006: DRV Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen, Oktober 2015, S 14). Als "Versicherte" der GRV werden statistisch alle Personen bezeichnet, die einen Leistungsanspruch ihr gegenüber erworben haben. Die Versicherten mit Rentenbezug werden in den Rentenstatistiken erfasst und als "Rentenzahlfall" bzw bei personeller Zuordnung als "Rentner" bezeichnet. Gegenstand der Versichertenstatistik sind hingegen im Allgemeinen die Versicherten ohne Rentenbezug, die aktuell Rentenanwartschaften erwerben oder zu einem früheren Zeitpunkt erworben haben. Zu den "aktiv Versicherten" zählen alle Beitragszahler, aber auch sog Anrechnungszeitversicherte. Dies sind Versicherte mit Zeiten, für die grundsätzlich keine Beiträge zur GRV gezahlt werden (vgl § 58 SGB VI). Die Anrechnungszeitversicherten werden in den angegebenen Zahlen nicht separat ausgewiesen. Bei den "passiv Versicherten" handelt es sich um (lebende) Versicherte ohne Rentenbezug, deren Versichertenkonten aktuell keine Einträge aus aktiver Versicherung aufweisen, für die aber in den Zeiten davor mindestens ein versicherungspflichtiger Tatbestand oder ein Bonus aus einem Versorgungsausgleich gespeichert ist. In Abhängigkeit davon, ob solche Einträge innerhalb des Berichtsjahres oder davor liegen, unterscheidet man bei den passiv Versicherten zwischen Übergangsfällen und latent Versicherten, die wiederum nicht separat ausgewiesen wurden (zu den Definitionen: Kaldybajewa/Kruse/Strobel, RV aktuell 2009, 83; DRV Bund, Versichertenbericht 2014, S 11 ff, 18). Von den aktiv versicherten Personen waren im Jahr 2006 5,55 Mio Leistungsempfänger nach dem SGB III/SGB II, die ihre Beiträge nicht selbst tragen. Das bedeutet, dass von den 51,97 Mio Menschen ca 22,5 Mio Menschen (16,95 Mio passiv Versicherte plus 5,55 Mio Leistungsempfänger nach dem SGB II/III) nicht selbst oder tatsächlich keine Rentenversicherungsbeiträge im Berichtszeitraum bzw am Stichtag leisteten. Das sind immerhin 43 % aller Versicherten ohne Rentenbezug. Hierin sind die 5,1 Mio geringfügig Beschäftigten unter den aktiv Versicherten noch nicht eingerechnet. Unter Einrechnung auch dieser Personengruppe ergeben sich sogar 53 %, die nahezu keine Beiträge entrichten (zu dieser Problematik bereits Althammer/Klammer, Ehe und Familie in der Steuerrechts- und Sozialordnung, Tübingen 2006, S 151; Estelmann, SGb 2002, 245, 253; zu der Verteilung zwischen aktiv und passiv Versicherten in den Jahren ab 2006 vgl erneut DRV Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen, aaO, S 14).

42

Ein ähnliches Bild ergeben die Zahlen des Jahres 2012. In diesem Jahr waren 35,71 Mio Menschen aktiv und 16,96 Mio Menschen passiv ohne Rentenbezug in der GRV versichert. Unter den aktiv Versicherten waren 926 406 Menschen Bezieher von Arbeitslosengeld nach dem SGB III und 2,5 Mio Anrechnungszeitversicherte (zu diesen Zahlen: DRV Bund, Versichertenbericht 2014, S 6). Von 52,67 Mio "Versicherten" zahlten also ca 20,39 Mio Menschen nicht selbst oder tatsächlich keine Rentenversicherungsbeiträge. Dies sind immerhin 38,7 % aller Versicherten. Berücksichtigt sind dabei noch nicht die 5,23 Mio geringfügig Beschäftigten unter den aktiv Versicherten, diese eingerechnet ergeben sogar 48,65 %.

43

(2) Unabhängig von einer "an der Argumentationsstruktur" des sPV-Urteils des BVerfG "orientierten" Würdigung ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe auch in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt (hierzu allgemein: BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12; BVerfGK 12, 81, 83 mwN; Boysen in von Münch/Kunig, GG-Kommentar, 6. Aufl 2012, Art 3 RdNr 102).

44

Art 3 Abs 1 GG gebietet es, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu regeln (vgl zB BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12). Es kann offenbleiben, ob die vorliegende Konstellation unter dem Aspekt einer Gleich- oder Ungleichbehandlung betrachtet wird (vgl Ebsen, VSSR 2004, 3, 11 f). Unter beiden Aspekten kommt es nämlich entscheidend auf das Kriterium der Betreuung und Erziehung von Kindern an. Für die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung spielt die Einordnung als Gleich- oder Ungleichbehandlung vorliegend jedenfalls keine Rolle. Es genügt in beiden Fällen das Vorliegen eines sachlichen Grundes zur Rechtfertigung. Als Grund für eine Ungleichbehandlung kommt jede vernünftige Erwägung in Betracht. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist zu verneinen, wenn ein vernünftiger Grund für die Gleichbehandlung fehlt bzw die tatsächlichen Ungleichheiten so bedeutsam sind, dass ihre Nichtbeachtung gegen eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise verstößt (BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12). Innerhalb dieser Grenzen ist der Gesetzgeber in seiner Entscheidung frei. Allerdings kann sich eine weitergehende Einschränkung aus anderen Verfassungsnormen ergeben. Insbesondere ist bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Beitragsregelungen, die Personen mit und ohne Kinder gleich behandeln oder zum Nachteil der Familie differenzieren, der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach Art 6 Abs 1 GG der Familie schuldet (BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 12; BVerfGE 87, 1, 37 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7). Jedoch verfügt der Gesetzgeber auch dabei über einen nicht unerheblichen Gestaltungsrahmen. Er darf nicht nur die jeweilige Haushaltslage und die finanzielle Situation der GRV, sondern auch über Jahrzehnte gewachsene und bewährte Prinzipien im komplexen System der GRV berücksichtigen (BVerfGK 12, 81, 83 mwN).

45

Hiervon ausgehend stellt die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Rentenversicherungsbeiträgen für Versicherte mit Kindern keine die Vorgaben von Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG missachtende Gleich- bzw Ungleichbehandlung dar. Der Gesetzgeber hat jedenfalls die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil er die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen hat (dazu ). Überdies sind ein in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegender "Beitrag" und der monetäre Beitrag in der GRV weder gleichartig noch gleichwertig (dazu ). Ein sachlicher Grund für die Nichtberücksichtigung der Kindererziehungsleistung im Beitragsrecht der GRV liegt weiterhin darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für Kinder als Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen der GRV darstellt (dazu ). Auch könnte eine Berücksichtigung im Beitragsrecht zu anderen verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen führen (dazu ). Letztlich rechtfertigt der Strukturunterschied zwischen GRV und sPV im Hinblick auf die Leistungsbemessung eine Nichtberücksichtigung von Kinderbetreuung und -erziehung im Beitragsrecht der GRV (dazu ).

46

(a) Der Gesetzgeber hat bereits deshalb die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil er seit Ergehen des "Trümmerfrauen"-Urteils (BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1) in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente in das Leistungsspektrum gerade der GRV eingefügt und die durch Kindererziehung entstehenden Nachteile so - entgegen der Auffassung der Kläger - systemgerecht bereits im Leistungsrecht der GRV ausgeglichen hat. Auf den Ausgleich eines von den Klägern angeführten "externen Effektes" eines Kindes für die GRV kommt es hierfür insoweit nicht an.

47

(aa) Der Senat hat schon in seinen Urteilen vom 5.7.2006 einen Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern im Leistungsrecht der GRV als systemgerecht und ausreichend bestätigt (BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 51; ebenso Hase, Sozialversicherung und Familie zwischen sozialem Ausgleich und staatlicher Verantwortung, DRV-Schriften 46 <2003>, 29, 64; Ruland, NJW 2001, 1673, 1674; ders, FamRZ 2004, 493, 494; aA Kingreen, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes 57 <2008>, 71, 90, 94; Lenze, NZS 2007, 407, 409; dazu auch Estelmann, SGb 2002, 245, 253). Daran hält der Senat fest. Unter diese Leistungen, die auch in den vorliegend streitigen Jahren fortwirkten, fallen insbesondere:

        

•       

große Witwen- oder Witwerrente bei Kindererziehung (§ 46 Abs 2 S 1 Nr 1 und § 243 Abs 2 und Abs 3 SGB VI),

        

•       

Erziehungsrente (§§ 47, 243a SGB VI),

        

•       

Kindererziehungszeiten (§ 3 S 1 Nr 1 iVm §§ 56, 249, 249a SGB VI),

        

•       

Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§ 57 SGB VI),

        

•       

Anrechnungszeiten für Schwangerschaft oder Mutterschaft (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI),

        

•       

Zuschlag für Zeiten der Kindererziehung bei Witwen- und Witwerrenten (§ 78a SGB VI),

        

•       

Kinderzuschuss (§ 270 SGB VI),

        

•       

Leistungen für Kindererziehung an Mütter der Geburtenjahrgänge vor 1921 (§§ 294 bis 299 SGB VI),

        

•       

Zuzahlungsfreiheit für unter 18-jährige bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und bei sonstigen Leistungen (§ 32 Abs 1 SGB VI).

48

Zu den einzelnen seit dem "Trümmerfrauen"-Urteil des BVerfG in Ansehung von Betreuung und Erziehung von Kindern eingeführten Leistungen der GRV wird für den Zeitraum von 1992 bis 2004 im Übrigen ergänzend auf den Bericht der Bundesregierung (Unterrichtung durch die Bundesregierung - Bericht der Bundesregierung zur Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sozialen Pflegeversicherung vom 3. April 2001 <1 BvR 1629/94> für andere Zweige der Sozialversicherung vom 4.11.2004, BT-Drucks 15/4375 , S 6 ff) verwiesen.

49

Die den vorstehenden Ausführungen des Senats zugrunde liegende Beurteilung, dass auf einen Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern im Leistungsrecht der GRV als systemgerecht abgestellt werden darf, hat das BVerfG für den Bereich der landwirtschaftlichen Alterssicherung als verfassungsgemäß bestätigt; ein Ausgleich ist demnach - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht nur im Beitragsrecht möglich. So hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung (BVerfGE 109, 96, 127 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2 RdNr 84 ff) einen Verstoß des Beitragsrechts der landwirtschaftlichen Alterssicherung gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG auch unter Berücksichtigung seines sPV-Urteils ua deshalb verneint, weil in der Alterssicherung "im Unterschied zur sozialen Pflegeversicherung die Erziehungsleistung … nicht unberücksichtigt (bleibt). Zeiten der Kindererziehung wirken sich … im Zusammenhang mit der Erfüllung der Wartezeit rechtsbegründend nach § 17 Abs 1 Satz 2 Nr 1 ALG in Verbindung mit § 56 Abs 1 SGB VI aus. Auch hat der Landwirtsehegatte auf Grund von Zeiten der Kindererziehung Zugang zur gesetzlichen Rente …". Diese Argumentation lässt darauf schließen, dass das BVerfG die Regelungen des Rentenrechts als mit dem GG insoweit vereinbar angesehen hat (vgl Ruland, SDSRV 57 <2008>, 53, 57) und macht deutlich, dass auch das BVerfG für die GRV von einem ausreichenden Ausgleich der Kindererziehung auf der Leistungsseite ausgeht (zum Verhältnis dieser Entscheidung zum sPV-Urteil vgl BSG <13. Senat> SozR 4-2600 § 70 Nr 2 RdNr 37). Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten fügt sich in die Struktur der Rentenversicherung ein (BVerfG BVerfGK 12, 81, 83).

50

(bb) Auf den Ausgleich eines "externen Effektes" eines Kindes für die GRV kommt es dabei - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht an. Positive "'externe Effekte' der Erziehung und Ausbildung von Kindern" werden nach Ansicht eines von den Klägern angeführten Gutachtens (Werding, Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung: Das Umlageverfahren auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013, S 27) erzeugt, "wenn ein Gutteil der Erträge der dabei vorgenommenen Humankapitalinvestitionen nicht den Finanziers (etwa den Eltern, soweit diese die Kosten der Erziehung und Ausbildung der Kinder überwiegend selbst tragen), sondern Dritten (nämlich allen Angehörigen der Rentnergeneration, unabhängig von ihrer individuellen Beteiligung an der Humankapitalbildung) zugutekommen". Sie entstehen also, wenn sich für "durchschnittliche Kinder" aus heutiger Sicht ein Überschuss aller von ihnen geleisteten Sozialversicherungsbeiträge und Steuern über die von ihnen in Anspruch genommenen Geld- und Sachleistungen ergibt (vgl Werding, aaO, S 89, 47). Entscheidend ist demgegenüber vielmehr, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in deren Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird. Vor diesem Hintergrund veranlasst das von den Klägern vorgelegte Gutachten (Werding, aaO, S 47, 84) den Senat nicht dazu, das Beitragsrecht der GRV insoweit für verfassungswidrig zu halten. Entscheidend ist demgegenüber vielmehr, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in deren Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird.

51

In dem Gutachten wird aus sozialökonomischer Sicht der Versuch unternommen, innerhalb bestimmter als modellhaft angenommener Rahmenbedingungen einen "externen Vorteil" von Kindern für die GRV zu beziffern. Der Ausgleich eines "externen Effektes" eines Kindes ist jedoch verfassungsrechtlich nicht geboten. Zwar besteht der generative Beitrag nach den Ausführungen des BVerfG im sPV-Urteil in der pekuniären Beitragsleistung, die die heutigen Kinder in der Zukunft erbringen werden (vgl Estelmann, SGb 2002, 245, 254). Es soll der Vorteil ausgeglichen werden, der Versicherten ohne Kinder im Versicherungsfall erwächst. Dieser Vorteil soll sich aber in der Erziehungsleistung der Eltern spiegeln, die wegen der Erziehung zu ihrem Nachteil - im Vergleich zu Kinderlosen - auf Konsum und Vermögensbildung verzichten (BVerfGE 103, 242, 264 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17). Dieser Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung entsteht wiederum durch die Kosten, die sich ergeben, wenn sich Eltern der Erziehung widmen und auf eine Berufstätigkeit verzichten oder dieser nur eingeschränkt nachgehen, durch Betreuungskosten oder sonstige Kosten, die mit der Betreuung und Erziehung von Kindern zusammenhängen. So formuliert das BVerfG ausdrücklich, dass die mit der Erziehungsleistung verbundene Belastung der Eltern, die in deren Erwerbsphase auftritt, auch in diesem Zeitraum auszugleichen ist (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22). Demnach können zum Ausgleich des Nachteils aber auch alle familienfördernden Elemente mitberücksichtigt werden, dh auch solche, die in anderen Bereichen als der GRV seit jeher vorhanden sind bzw sukzessive eingeführt wurden und die die "Nachteile", die Eltern durch die Betreuung und Erziehung von Kindern in der Erwerbsphase entstehen, vermindern (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 251). Zu den vielfältigen derartigen Leistungen für die Zeit von 1992 bis 2004 ist ebenfalls auf den Bericht der Bundesregierung (aaO, BT-Drucks 15/4375) zu verweisen. Leistungen für Familien außerhalb der GRV in den Jahren nach 2004 werden im Einzelnen in den Sozialberichten der Bundesregierung aufgeführt (vgl Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2005, BT-Drucks 15/5955, S 21, 37 f, 94 ff, 100; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2009, BT-Drucks 16/13830, S 20 ff, 57, 64, 74 ff, 79, 83, 86, 96, 109 f, 113, 117, 127 f, 132 f, 135, 190 f; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Nationaler Sozialbericht 2012, BT-Drucks 17/12649, S 7, 9 ff; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2013, BT-Drucks 17/14332, S 21, 41, 45 ff, 54, 57, 60, 99, 101, 149 f).

52

Die - auch von den Klägern angeführte - Untersuchung von Schmähl/Rothgang/Viebrok (Berücksichtigung von Familienleistungen in der Alterssicherung - Analyse und Folgerungen aus ökonomischer Sicht, DRV-Schriften Band 65 <2006> 106) weist insoweit zutreffend darauf hin, dass das BVerfG in seinem sPV-Urteil (gerade) "nicht versucht hat, das Zusammenspiel von elterlichen, staatlichen, betrieblichen und anderen Erziehungsleistungen zu durchdringen und auf dieser Basis den Beitrag der Eltern und damit den externen Effekt ihrer Kindererziehungsleistungen zu beziffern" (vgl ebenda). Gleiches ist auch im vorliegenden Rechtsstreit bedeutsam, weil es nach den dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben jedenfalls keine zwingende Notwendigkeit für eine Berücksichtigung des "externen Effekts" gibt. Darüber hinaus machen diese - ebenfalls aus dem Bereich der Sozialökonomie stammenden - Autoren deutlich, dass der externe Effekt selbst bei fachspezifischer Analyse nicht betragsmäßig beziffert werden kann.

53

(b) Die beitragsrechtliche Differenzierung bzw Gleichbehandlung ist auch deshalb gerechtfertigt, weil ein in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegender "Beitrag" und der Finanzbeitrag in der GRV weder gleichartig noch gleichwertig sind; denn mit der Erziehungsleistung wird für die - aktuell - zu finanzierenden Renten weder ein unmittelbarer noch ein mittelbarer Beitrag geleistet. Der Beitrag zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der GRV, der in Form von Kindererziehung geleistet wird, kann im Unterschied zu den "echten" monetären Beiträgen der Erwerbstätigen nicht sogleich wieder in Form von Rentenzahlungen an die nicht mehr Erwerbstätigen ausgeschüttet werden (BVerfGE 87, 1, 40 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 9 <"Trümmerfrauen-Urteil">; im Ergebnis auch Ruland, NJW 2001, 1673, 1677). Im (einfachrechtlichen) Rentenrecht gibt es keine dokumentierte und fixierte Sonderbeziehung zwischen aktiv erwerbstätiger Generation und nachwachsender Generation. Eine solche Sonderbeziehung besteht nur zwischen der jeweiligen Generation der aktiv Erwerbstätigen einerseits und der jeweils aktuellen Rentnergeneration andererseits. Mit anderen Worten: Mit "generativen Beiträgen" (durch Kindererziehung) können aktuelle Renten nicht bezahlt werden. Dies hat der Senat bereits entschieden (BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 57 f). Daran hält er fest.

54

Dieser Befund der fehlenden Möglichkeit der Gleichsetzung eines "monetären" mit dem "generativen" Beitrag (aA Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 88 f) wird auch nicht durch einen Rückgriff auf den durch die Betreuungs- und Erziehungsleistung entstehenden "Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung" als Vergleichsmaßstab bzw "gemeinsamer Nenner" (so Lenze, NZS 2007, 407, 408) in Frage gestellt. Hierbei handelt es sich nur um eine "Umformulierung" desselben Sachverhalts, weil der "Verzicht" gerade durch den Aufwand für Beiträge bzw durch das durch die Betreuungs- und Erziehungsleistung verminderte Einkommen der Eltern entsteht; dh der Aufwand der Eltern für die Beitrags- bzw die Betreuungs- und Erziehungsleistung geht auf der anderen Seite zwingend mit einem Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung einher.

55

(c) Ein sachlicher Grund für die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung von Rentenversicherungsbeiträgen für Versicherte mit Kindern liegt weiter darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern als Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen der GRV darstellt. Ein solcher von den Klägern geforderter Ausgleich wäre keine "systemspezifische" Aufgabe der GRV.

56

Die GRV ist für ihren Fortbestand auf nachwachsende Beitragszahler ebenso angewiesen, wie das Staatswesen für seinen Fortbestand auf ein nachwachsendes Staatsvolk. Auch wenn sich derartige allgemeine Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit des Staates (auch) innerhalb des Systems der GRV auswirken, handelt es sich doch nur bei "genuin innerhalb des GRV-Systems entstehenden Auswirkungen um systemspezifische" (vgl BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52; unter Hinweis Haass, KJ 2002, 104, 108 f). Im bestehenden Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland liegt es verteilungs- und ordnungspolitisch näher - bzw ist jedenfalls verfassungsrechtlich auch aus heutiger Sicht nicht zu beanstanden -, wenn der von den Klägern erstrebte Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern als Teil des Ganzen durch Maßnahmen im Steuerrecht gelöst wird (vgl ebenso: Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 7, 13; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, Bericht der Kommission, 2003, S 114 f; aus der Literatur: Ruland, NJW 2001, 1673, 1677; ders, SDSRV 57 <2008>, 53; Haass, KJ 2002, 104, 107; Ebsen, VSSR 2004, 3, 17; Hase, VSSR 2004, 55, 68; Axer, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft - DStJG - 29 <2006>, 175, 192).

57

Dies hat der Senat bereits in seinen Urteilen vom 5.7.2006 entschieden (stellvertretend BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52 ff). Die GRV darf nicht Aufgaben der Gesamtgesellschaft lösen (vgl BVerfGE 75, 108, 148). Jede staatliche Gemeinschaft ist auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen angewiesen, weshalb an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Das allein gebietet es nicht, diese Betreuungs- und Erziehungsleistung zugunsten der Familien in einem bestimmten sozialen Leistungssystem zu berücksichtigen (BVerfGE 103, 242, 265 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 18). Dieses Argument ist deshalb (gerade) nicht - wie die Kläger meinen - im Hinblick auf die Bindungswirkung des sPV-Urteils nach § 31 BVerfGG für die GRV ohne verfassungsrechtliche Relevanz. Das Teilsystem der GRV kann die Elemente des dieses System fördernden und fordernden Umfeldes nicht selbst steuern oder intern ausgleichen; wer es unternimmt, innerhalb des Systems dessen äußere Voraussetzungen zu korrigieren, bewegt sich logisch außerhalb eines Systemausgleichs. Die Probleme des Ausgleichs des Aufwandes für Kinder sind Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen jedweder Altersvorsorge bzw Zukunftsfähigkeit jeder Gemeinschaft und damit keine spezifische Aufgabe der GRV (vgl erneut BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 52 ff). Hieran hält der Senat fest.

58

(d) Die Berücksichtigung einer auf der Betreuungs- und Erziehungsleistung beruhenden Vorleistung im Recht der GRV könnte ferner zu verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen an anderer Stelle führen (vgl hierzu die Nachweise in BSG SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 58). Ein solcher Binnenausgleich auf der Beitragsseite könnte Eltern benachteiligen, die einen gleich hohen Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern haben, aber nicht Mitglied der GRV sind und daher für ihre Altersvorsorge selbst (privat) zu sorgen haben (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 5, 7; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Stellungnahme des Sozialbeirats, aaO, BT-Drucks 14/6099, S 8; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, aaO; Ruland, NJW 2001, 1673, 1675). Umgekehrt könnten Kinderlose, die nicht Versicherte der GRV sind, nicht an diesem Ausgleich teilnehmen (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, BT-Drucks 15/4375, S 5; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, aaO; Ruland, NJW 2001, 1673, 1674; Ebsen, Jura 2002, 401, 404; ders VSSR 2004, 3, 17; kritisch hierzu Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 90).

59

Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass es vorliegend "nur" um den Ausgleich von Betreuungs- und Erziehungsleistungen von in der GRV versicherten Eltern gehe: Zum einen verkennt dies den - wie dargestellt - übergreifenden Charakter der Betreuungs- und Erziehungsleistungen von Eltern. Zum anderen könnte es selbst bei einer Betrachtung nur innerhalb der GRV zu einer verfassungsrechtlich schwer zu rechtfertigenden Umverteilung von niedrigen zu höheren Einkommen kommen, weil besserverdienende Kindererziehende durch die Beitragsentlastung stärker begünstigt würden als Kindererziehende mit geringerem Einkommen. Bei Kinderlosen könnte es zu einer Privilegierung von gut verdienenden gegenüber weniger gut verdienenden Versicherten kommen. Dies alles würde aus dem Umstand folgen, dass das beitragspflichtige Einkommen in der GRV durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt ist (vgl hierzu Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 5). Allgemein ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass jedwede Änderung im Recht der GRV als einem auf lange Sicht angelegten System der sozialen Alterssicherung vielfältige verfassungsrechtliche Risiken und Folgewirkungen beinhalten würde. Den Sozialgesetzgeber trifft insoweit auch eine gewisse Schutzverpflichtung zugunsten des selbstgesetzten Systems (vgl hierzu Papier, DRV 2001, 350, 358).

60

(e) Schließlich ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe auch wegen des grundsätzlichen strukturellen Unterschieds zwischen sPV und GRV im Hinblick auf die Leistungsbemessung gerechtfertigt. Geld- und Pflegesachleistungen in der sPV sind nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogen, sondern abhängig vom jeweils bestehenden Pflegebedarf (vgl §§ 36 ff SGB XI). Auch besteht der Leistungsanspruch grundsätzlich bereits - ohne Wartezeit - mit Beginn des Versicherungsschutzes in vollem Umfang (vgl schon Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 6 ff; Hase, Sozialversicherung und Familie zwischen sozialem Ausgleich und staatlicher Verantwortung, DRV-Schriften 46 <2003>, 29, 61; Ruland, SDSRV 57 <2008>, 53, 57). Der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern kann daher in der sPV von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden. Hiervon unterscheidet sich das Leistungsrecht in der GRV strukturell. Hier sind die Rentenleistungen hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme und hinsichtlich ihrer Höhe von der individuellen Versicherungsbiografie, einschließlich der konkreten Beitragsleistung abhängig (vgl § 63 SGB VI). Ein systeminterner Nachteilsausgleich im Beitragsrecht der GRV mag bei alledem "nicht verfassungsrechtlich unzulässig" sein, verfassungsgeboten - wie die Kläger meinen - ist er jedoch nicht.

61

6. Der Senat ist auch nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts der GKV (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Krankenversicherungsbeitrag von Eltern nicht im Hinblick auf den Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder in der von den Klägern verlangten Weise zu reduzieren ist (dazu b).

62

a) Nach §§ 241 ff SGB V(diese wie auch die folgenden Bestimmungen des SGB V im Wesentlichen in bis heute fortgeltender Fassung) sind Krankenversicherungsbeiträge nach einem Beitragssatz zu erheben, der in Hundertsteln der beitragspflichtigen Einnahmen festgesetzt wird. Der allgemeine Beitragssatz war anfänglich krankenkassenindividuell verschieden und wird seit dem 1.1.2009 bundeseinheitlich festgelegt. Für bestimmte Versicherte sieht das Beitragsrecht der GKV ermäßigte bzw besondere Beitragssätze vor (§§ 243 ff SGB V). Nach § 223 Abs 2 S 1 SGB V werden die Krankenversicherungsbeiträge nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen. Welche Einnahmen hierunter fallen, wird bei versicherungspflichtig Beschäftigten durch § 226 Abs 1 SGB V bestimmt. Der Umfang der beitragspflichtigen Einnahmen ist nach unten durch eine Bagatellgrenze (§ 226 Abs 2 SGB V) und nach oben durch die Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 Abs 3 S 1 SGB V) beschränkt. Die Krankenversicherungsbeiträge werden bei Beschäftigten von diesen und ihren Arbeitgebern im Grundsatz jeweils zur Hälfte getragen (§ 249b SGB V).

63

b) Die Kläger können nicht beanspruchen, von ihren auf dieser Gesetzeslage beruhenden Krankenversicherungsbeiträgen deshalb im geforderten Umfang entlastet zu werden, weil sie ihrer Auffassung nach bereits durch die Tragung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder ausreichend Vorleistungen zugunsten des Systems der GKV erbracht hätten und anderenfalls gegenüber Versicherten ohne Kinder bzw solchen mit weniger Kindern gleichheitswidrig benachteiligt würden. Sie können sich auf das sPV-Urteil des BVerfG nicht berufen, weil das Beitragsrecht der GKV von der Bindungswirkung dieses Urteils (§ 31 BVerfGG) nicht erfasst wird (vgl bereits - zum Beitragsrecht der GRV - oben 5. b> aa>). Auch können sich die Kläger nicht mit Erfolg auf das aus Art 6 Abs 1 GG folgende Gebot zur Förderung der Familie stützen (so schon - zum Beitragsrecht der GRV - oben 5. b> bb>).

64

Der Senat ist schließlich nicht davon überzeugt, dass die hier einschlägigen beitragsrechtlichen Vorschriften der GKV in ihrer Anwendung auf Personen wie die Kläger Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verletzen. Entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht ist bereits zweifelhaft, ob die GKV alle vom BVerfG in seinem sPV-Urteil aufgestellten Voraussetzungen für einen - von ihnen so bezeichneten - "intergenerationellen" Gleichheitsverstoß erfüllt; fraglich ist nämlich vor allem, ob die GKV ein versichertes Risiko abdeckt, das "überproportional" im Alter auftritt und durch Beiträge der nachwachsenden Generation finanziert wird (dazu aa). Unabhängig davon ergäbe sich auch deshalb kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG, weil bei Prüfung in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Zusammenhang für eine Gleichbehandlung bzw Benachteiligung der von den Klägern repräsentierten Personengruppe im Beitragsrecht der GKV rechtfertigende Sachgründe vorliegen (dazu bb).

65

aa) Würden die im sPV-Urteil aufgestellten Voraussetzungen, bei deren Vorliegen das BVerfG einen Verstoß der beitragsrechtlichen Vorschriften der sPV gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG angenommen hat, auf die GKV "übertragen", so wäre eine Verletzung des Gleichheitssatzes durch deren einschlägige gesetzliche Beitragsvorschriften nach diesen Maßstäben zumindest zweifelhaft. Anders als die Kläger meinen, ist die "Übertragbarkeit" des sPV-Urteils auf die GKV nämlich nicht schon deshalb "weniger problematisch", weil sich die Organisations- und Finanzierungsstrukturen der sPV und der GKV "weitgehend entsprechen". Dies mag bezogen auf die Organisations- und Finanzierungsstrukturen zutreffen. Ein erheblicher Unterschied besteht jedoch bei dem jeweils versicherten Risiko.

66

Im sPV-Urteil hat das BVerfG ausgeführt, es ist entscheidend, dass "der durch den Eintritt des Versicherungsfalls verursachte finanzielle Bedarf überproportional häufig in der Großelterngeneration (60 Jahre und älter) auftritt" (BVerfG, 103, 242, 263 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 16). Als Lebensrisiko betrifft das Risiko einer Erkrankung alle Altersgruppen der Gesellschaft; Entsprechendes gilt für das in der GKV versicherte Risiko, die durch Krankheit bedingten (Krankheits-)Aufwendungen und ggf Verdienstausfälle finanziell nicht tragen zu können. Zwar steigen die Krankheitskosten pro Kopf nach den öffentlich, dh für jedermann verfügbaren statistischen Daten allgemein - unabhängig von der Zugehörigkeit zur GKV - grundsätzlich im Alter deutlich an.

67

So lagen die Krankheitskosten etwa im Jahr 2006 für Einwohner unter 15 Jahren bei jährlich 1240 Euro, bei Einwohnern zwischen 15 und 30 Jahren bei 1180 Euro, bei den 30 bis 45-jährigen bei 1600 Euro, bei den 45 bis 65-jährigen bei 2930 Euro, bei den 65 bis 85-jährigen bei 6140 Euro und bei Einwohnern von 85 Jahren und älter bei 14 440 Euro (Statistisches Bundesamt, Gesundheit - Krankheitskosten, Wiesbaden 2010, S 14). Das allgemeine Ausgabenvolumen stellte sich im Jahr 2006 jedoch so dar, dass für die Gruppe der unter 65 Jahre alten Personen Krankheitskosten von insgesamt rund 124,7 Mrd Euro entstanden sind, für die Gruppe der 65-jährigen und älter aber "nur" rund 111,9 Mrd Euro ( https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/tabelleErgebnis/23631-0002 , recherchiert am 8.9.2015). Für das Jahr 2008 galt Folgendes: Die Krankheitskosten für Einwohner unter 15 Jahren lagen bei jährlich 1360 Euro, bei Einwohnern zwischen 15 und 30 Jahren bei 1320 Euro, bei den 30 bis 45-jährigen bei 1700 Euro, bei den 45 bis 65-jährigen bei 3010 Euro, bei den 65 bis 85-jährigen bei 6520 Euro und bei Einwohnern von 85 Jahren und älter bei 14 840 Euro (Statistisches Bundesamt, aaO, S 14). Das allgemeine Ausgabenvolumen stellte sich im Jahr 2008 jedoch so dar, dass für die Gruppe der unter 65 Jahre alten Personen Krankheitskosten von insgesamt rund 131,2 Mrd Euro entstanden sind, für die Gruppe der 65-jährigen und älter aber "nur" rund 123,1 Mrd Euro ( https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/
tabelleErgebnis/23631-0002 , recherchiert am 8.9.2015). Öffentlich zugängliche Statistiken für die Jahre ab 2009 sind in der hier angegebenen Form nicht ersichtlich, was sich ua dadurch erklärt, dass nur bis 2008 die Zuteilung der Mittel an die Krankenkassen ua nach den durchschnittlichen altersabhängigen Leistungsausgaben erfolgte und diese dementsprechend altersabhängig ermittelt wurden. Seit 2009 werden die Mittel im Risikostrukturausgleich in erster Linie morbiditätsorientiert vergeben. Die altersabhängigen Gesundheitsausgaben werden seit 2009 vom Bundesversicherungsamt nur auf Stichprobenbasis ermittelt (vgl Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, Gütersloh, 2013, S 33).

68

Der überwiegende Teil der Gesamtkosten (Krankheitskosten) entstand nach den vorstehenden Ausführungen in der Generation der Erwerbstätigen selbst, und nicht - wie vom BVerfG im sPV-Urteil gefordert (BVerfGE 103, 242, 263 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 16 f)- "überproportional" in der Generation der Älteren/Nichterwerbstätigen. Hinzu kommt speziell im Beitragsrecht der GKV, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Krankheitskosten von der nicht mehr erwerbstätigen Generation selbst getragen wird, weil auch Rentner selbst Beiträge zur GKV aufbringen, sodass hier gerade keine eindeutige "überproportionale" Umverteilung von der jungen zur alten Generation erfolgt (vgl hierzu bereits BSG <1. Senat> BSGE 92, 46 RdNr 33 = SozR 4-2500 § 61 Nr 1 RdNr 34; Lenze, EuGRZ 2001, 280, 282 Fn 16). Entsprechend wies die Bundesregierung in einer Unterrichtung des Deutschen Bundestages am 4.11.2004 darauf hin, dass Rentner in der sPV nur ca 25 % ihrer Leistungsausgaben durch Beitragszahlungen selbst aufbringen, jedoch mehr als 80 % der Gesamtausgaben verursachen. Demgegenüber liegt der Eigenfinanzierungsanteil von Rentnern in der GKV immerhin bei ca 46 % ihrer Leistungsausgaben (vgl Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375, S 8).

69

bb) Dessen ungeachtet ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung bzw Ungleichbehandlung der Kläger in der GKV auch in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext sachlich gerechtfertigt. In Anwendung der aus Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vom BVerfG entnommenen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (dazu oben 5. b> cc> <2>) stellt die Nichtberücksichtigung eines in der Betreuung und Erziehung liegenden "generativen Beitrags" bei der Bemessung der Krankenversicherungsbeiträge für Versicherte mit Kindern keinen Gleichheitsverstoß dar. Der Gesetzgeber hat auch im Beitragsrecht der GKV jedenfalls die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt (zu dieser Voraussetzung siehe bereits die Nachweise oben unter 5. b> cc> <2>), weil er die durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile bereits im Beitrags- bzw Leistungsrecht der GKV ausgeglichen hat (dazu im Folgenden <1>). Überdies sind der "Erziehungsbeitrag" einerseits und der Finanzbeitrag andererseits auch in der GKV nicht gleichartig oder gleichwertig (dazu <2>). Ein sachlicher Grund für das Fehlen einer weitergehenden Berücksichtigung der Kindererziehungsleistung im Beitragsrecht der GKV liegt weiter darin, dass sich der Ausgleich des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern auch in der GKV als Teil ihrer allgemeinen Rahmenbedingungen darstellt (dazu <3>). Schließlich könnte eine Berücksichtigung dieses Aufwandes im Beitragsrecht der GKV ebenso wie in der GRV zu anderen verfassungsrechtlich problematischen Verwerfungen führen (dazu <4>).

70

(1) Der Gesetzgeber hat bereits deshalb die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt, weil im Recht der GKV in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente bestehen und er die durch Kinderbetreuung und -erziehung entstehenden Nachteile so - entgegen der Auffassung der Kläger - bereits im Beitrags- bzw Leistungsrecht der GKV ausgeglichen hat (Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375 S 7 ff; ebenso Axer, DStJG 29 <2006>, 175, 198 mwN; Plagemann, ZIP 2001, 1041, 1045; zweifelnd Rothgang, SF 2001, 121, 123). Wie schon oben zum Beitragsrecht der GRV unter 5 b) cc) (2) ausgeführt, kommt es für die Frage nach einer Kompensation der Nachteile darauf an, inwieweit die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung der Eltern verbundene Belastung, die in der Erwerbsphase auftritt, ausgeglichen wird. Das BVerfG verlangt in seinem sPV-Urteil gerade nicht den Ausgleich des Vorteils der Kinderlosen im Versicherungsfall, also des Transfers, den die heutigen Kinder als zukünftige Beitragszahler zugunsten der kinderlosen Versicherten im Rentenalter werden erbringen müssen (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 252). Die mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung verbundene Belastung der Eltern, die in deren Erwerbsphase auftritt, ist auch in diesem Zeitraum auszugleichen (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22). Familienfördernde Elemente im System der GKV sind - zusammengefasst -:

        

•       

Beitragsfreie Familienversicherung (§ 10 SGB V),

        

•       

Krankengeld bei Erkrankung des Kindes (§ 45 SGB V),

        

•       

Anspruch auf Haushaltshilfe (§ 38 SGB V),

        

•       

keine Zuzahlungspflicht für Kinder (§ 39 Abs 4, § 40 Abs 5, 6 SGB V),

        

•       

Minderung der Belastungsgrenze für Zuzahlungen (§ 62 Abs 2 SGB V),

        

•       

Fortbestehen der Pflichtmitgliedschaft bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, Bezug von Erziehungsgeld oder Elterngeld oder bei Inanspruchnahme von Elternzeit (§ 192 Abs 1 Nr 2 SGB V),

        

•       

Beitragsfreiheit bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, Bezug von Erziehungsgeld oder von Elterngeld (§ 224 Abs 1 SGB V),

        

•       

Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft (früher: §§ 195 bis 200 RVO, seit 30.10.2012: §§ 24c bis 24i SGB V).

71

Das Beitragsrecht und Leistungsspektrum der GKV ist daher bereits spezifisch familien- und kinderorientiert; demzufolge ist die Solidarkomponente in der GKV zugunsten von Versicherten mit Kindern und Familien - de lege lata - erheblich stärker ausgeprägt als in der sPV. Dass mit der Berücksichtigung dieser Elemente - wie die Kläger meinen - lediglich eine "Symmetrie im Lebenslängsschnitt hergestellt" werde mit der Folge, dass diese Vergünstigungen als Kompensationen zwischen Eltern und Kinderlosen ausscheiden, erschließt sich daher nicht. Zu den Leistungen für kindererziehende Familien verweist der Senat ergänzend für die Zeit bis 2004 auf den Bericht der Bundesregierung (aaO, BT-Drucks 15/4375, S 7 ff), für die Zeit nach 2004 verweist er ergänzend auf die Sozialberichte der Bundesregierung (Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2005, BT-Drucks 15/5955, S 21, 37, 94 ff, 100; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2009, BT-Drucks 16/13830, S 20 ff, 57, 64, 74 ff, 79, 83, 86, 96, 109 f, 113, 117, 127 f, 132 f, 135, 190 f; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Nationaler Sozialbericht 2012, BT-Drucks 17/12649, S 7, 9 ff; Unterrichtung durch die Bundesregierung - Sozialbericht 2013, BT-Drucks 17/14332, S 21, 41, 45 ff, 54, 57, 60, 99, 101, 149 f).

72

Neben anderen Vergünstigungen rechtfertigt vor allem die beitragsfreie Familienversicherung (§ 10 SGB V), dass von einer weiteren Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der GKV abgesehen werden durfte (siehe auch Bericht der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/4375 S 7 ff; Plagemann, ZIP 2001, 1041, 1045; Axer, DStJG 29 <2006>, 175, 198 mwN). Die Familienversicherung in der GKV reicht weiter als in der sPV, weil die Leistungen im Krankheitsfall von Kindern und beitragsfrei versicherten Ehegatten auch häufiger in Anspruch genommen werden. Ohne die Familienversicherung müssten Eltern Beiträge für Kinder aufbringen oder für Behandlungskosten bei Eintritt des Versicherungsfalles selbst aufkommen. Dem steht auch nicht das Ergebnis des von den Klägern vorgelegten Gutachtens (Niehaus, aaO) entgegen; danach soll die "Durchschnittsfamilie" mehr an Beiträgen in die GKV einzahlen als sie Leistungen in Anspruch nimmt; dieses Verhältnis soll sich erst ab dem vierten Kind umkehren. Selbst wenn man diesen Befund als richtig unterstellt und die der Untersuchung zugrunde gelegten (volkswirtschaftlichen) Parameter bzw den durch Zahlenwerte konkretisierten Rahmen der Studie für zutreffend hält, ist der Ansatzpunkt dieser Untersuchung problematisch und macht aus der "beitragsfreien Familienversicherung" - entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht - keine solche, in der Beiträge (mittelbar) eben doch entrichtet werden müssen. Die "Simulationsrechnung" berücksichtigt nicht, dass die GKV eine Risikoabsicherung bietet, also im weiteren Sinne eine Risikoversicherung ist. Durch seine Beiträge "erkauft" der Versicherte für sich und seine Mitversicherten, dass er bzw sie bei Eintritt des Versicherungsfalles gegen das Risiko "Krankheit" verbunden mit Krankheitskosten abgesichert ist und sind und entsprechende Leistungen in Anspruch nehmen kann und können. Allein schon hierin besteht ein wirtschaftlicher Wert. Ob sich das Risiko tatsächlich verwirklicht und falls ja, in welchem Umfang, ist für die Beitragsbemessung unerheblich; Beiträge in der GKV sind bezogen auf den einzelnen Versicherten ausschließlich einnahmenorientiert.

73

(2) Für die hier zu prüfende Differenzierung bzw Gleichbehandlung im Beitragsrecht der GKV besteht auch deshalb ein rechtfertigender Grund, weil der in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegende "Beitrag" und der Finanzbeitrag in der GKV nicht gleichartig oder gleichwertig sind. Auf die bereits oben zum Beitragsrecht der GRV gemachten Ausführungen wird insoweit verwiesen (oben 5. b> cc> <2> ). Es fehlt auch in der GKV an der Gleichartigkeit, weil mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung für die - aktuell - zu finanzierenden Leistungen der GKV weder ein unmittelbarer noch ein mittelbarer Beitrag geleistet wird. Der Beitrag zur Aufrechterhaltung der GKV, der in Form von Kinderbetreuung und -erziehung geleistet wird, kann im Unterschied zu den "greifbaren" monetären Beiträgen nicht sogleich wieder als Leistung an Leistungsberechtigte gewährt werden. Ebenso wie in der GRV geht es - entgegen der Auffassung der Kläger - auch hier weiterhin um die Frage einer Gleichsetzung von monetären mit generativen Beiträgen (aA Estelmann, SGb 2002, 245, 249; Kingreen, SDSRV 57 <2008>, 71, 88 f). Der Rückgriff auf den mit der Erziehungsleistung einhergehenden "Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung" als Vergleichsmaßstab bzw "gemeinsamer Nenner" (so Lenze, NZS 2007, 407, 408) verhilft dem Begehren der Kläger auch in der GKV nicht zum Erfolg, weil dieser "Verzicht" gerade aus dem Aufwand für die Kinderbetreuung und -erziehung bzw aus der Aufbringung der Beiträge stammt.

74

(3) Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der einschlägigen beitragsrechtlichen Bestimmungen am Maßstab des Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG ist überdies zu berücksichtigen, dass sich der Aufwand für die Betreuung und Erziehung von Kindern auch in der GKV als Teil ihrer allgemeinen Rahmenbedingungen darstellt. Sein Ausgleich ist keine spezifische Aufgabe der GKV und muss daher nicht zwingend durch eine weitergehende Berücksichtigung der Kinderbetreuungs- und -erziehungsleistung im Beitragsrecht der GKV vorgenommen werden. Auf die obigen Ausführungen zum Beitragsrecht der GRV (oben 5. b> cc> <2>) wird insoweit verwiesen. Auch für die GKV gilt, dass sie nicht Aufgaben der Gesamtgesellschaft zu lösen hat. Wie bereits angesprochen führt das BVerfG in seinem sPV-Urteil aus, dass auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen jede staatliche Gemeinschaft angewiesen ist und so an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Das allein gebietet es nicht, diese Erziehungsleistung zugunsten der Familien in einem bestimmten sozialen Leistungssystem zu berücksichtigen (BVerfGE 103, 242, 265 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 18).

75

(4) Zu bedenken ist schließlich, dass eine von den Klägern erstrebte besondere Berücksichtigung der Betreuung und Erziehung von Kindern auch im Beitragsrecht der GKV zu anderen verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen führen könnte, weil sie neue Gleichbehandlungsprobleme nach sich zöge. Auch insoweit ist auf die bereits oben gemachten Ausführungen zur GRV zu verweisen (oben 5. b> cc> <2> ). Die Berücksichtigung auf der Beitragsseite könnte auch in der GKV solche Eltern benachteiligen, die nicht Mitglied der GKV sind. Zudem könnten Kinderlose, die nicht Mitglied der GKV sind, nicht an einem Ausgleich teilnehmen. Schließlich könnte die von den Klägern geforderte Ausgestaltung des Beitragsrechts auch in der GKV eine Umverteilung von niedrigen zu höheren Einkommen zur Folge haben. Zum einen könnten im System besserverdienende Kindererziehende durch die Beitragsentlastung stärker begünstigt werden als Kindererziehende mit geringerem Einkommen. Zum anderen käme es möglicherweise bei Kinderlosen zu einer Privilegierung von gut verdienenden gegenüber weniger gut verdienenden Versicherten. Dass dies eintreten kann, beruht auf dem Umstand, dass die beitragspflichtigen Einnahmen auch in der GKV durch eine Beitragsbemessungsgrenze begrenzt sind. Bei alledem kommt in der GKV hinzu, dass die Berücksichtigung der Kinderkomponente innerhalb dieses Systems auf der Beitragsseite Personen, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei sind und das System daher verlassen können (vgl § 6 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 6, § 9 SGB V), an einem kinderbetreuungs- und kindererziehungsbezogenen Ausgleich gar nicht beteiligen würde.

76

7. Der Senat ist schließlich nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass die hier maßgebenden Bestimmungen des Beitragsrechts der sPV unter Einschluss ihrer Änderungen in Umsetzung des sPV-Urteils (dazu a) verfassungswidrig sind, soweit danach der Pflegeversicherungsbeitrag von Versicherten mit Kindern nicht - wie von den Klägern gefordert - zu ermäßigen ist (dazu b).

77

a) Die Bemessung der (eigenen) Beiträge der Kläger zur sPV ohne Berücksichtigung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder - im Umfang eines fixen Betrages bzw gestaffelt nach der Kinderzahl - steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften.

78

Nach § 54 Abs 2 S 1 SGB XI(diese wie auch die nachfolgenden Bestimmungen des SGB XI im Wesentlichen in der bis heute fortgeltenden Fassung vom 26.5.1994, BGBl I 1014) werden die Pflegeversicherungsbeiträge nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§ 55 SGB XI) erhoben. § 55 Abs 1 SGB XI regelt den Beitragssatz. Er betrug in der hier streitigen Zeit 1,7 vH bzw ab 1.7.2008 1,95 vH der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder. Nach § 55 Abs 3 S 1 SGB XI(eingefügt durch Art 1 KiBG vom 15.12.2004, BGBl I 3448) erhöht sich der Beitragssatz nach Abs 1 S 1 und 2 für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in dem sie das 23. Lebensjahr vollendet haben, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose). Den Beitragszuschlag für Kinderlose tragen grundsätzlich die Mitglieder (§ 58 Abs 1 S 3, § 59 Abs 5 SGB XI). Kein Beitragszuschlag ist nach § 55 Abs 3 S 2 SGB XI von versicherten Eltern iS des § 56 Abs 1 S 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 2 und 3 SGB I zu entrichten. Keinen Beitragszuschlag zahlen auch vor dem 1.1.1940 geborene Versicherte, Wehr- und Zivildienstleistende und Bezieher von Arbeitslosengeld II (§ 55 Abs 3 S 7 SGB XI). § 57 Abs 1 S 1 SGB XI bestimmt, dass bei Mitgliedern der Pflegekasse, die in der GKV pflichtversichert sind, für die Beitragsbemessung ua § 226 SGB V gilt. Nach § 58 Abs 1 S 1 SGB XI tragen die in der GKV versicherungspflichtigen Beschäftigten und ihre Arbeitgeber die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge jeweils zur Hälfte. Dass Pflegeversicherungsbeiträge der Kläger im Zeitraum von 2006 bis 2012 in zutreffender Anwendung dieser Vorschriften erhoben wurden, ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit.

79

Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen über den Beitragszuschlag für Kinderlose das sPV-Urteil des BVerfG (BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) umgesetzt (vgl dazu bereits BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 10). Das BVerfG hatte in dieser Entscheidung die damaligen beitragsrechtlichen Vorschriften der § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 S 1 und Abs 2 sowie § 57 SGB XI für unvereinbar mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG erklärt, soweit Mitglieder der sPV mit Kindern mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag belastet wurden wie Mitglieder ohne Kinder. Es hat ausgeführt, dass Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG dadurch verletzt ist, dass die Betreuung und Erziehung von Kindern als konstitutive Leistung für das Pflegeversicherungssystem bei der Bemessung von Beiträgen beitragspflichtiger Versicherter keine Berücksichtigung findet. Dadurch wird - so das BVerfG - die Gruppe der Versicherten mit Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sPV, die aus dieser Betreuungs- und Erziehungsleistung im Fall ihrer Pflegebedürftigkeit Nutzen ziehen, in verfassungswidriger Weise benachteiligt. Wird dieser "generative Beitrag" nicht mehr in der Regel von allen Versicherten erbracht, führt dies zu einer spezifischen Belastung kindererziehender Versicherter im Pflegeversicherungssystem, deren benachteiligende Wirkung auch innerhalb dieses Systems auszugleichen ist.

80

Das BVerfG hat damit verbindlich entschieden, dass der Nachteil kindererziehender Versicherter bzw der Vorteil kinderloser Versicherter in der sPV systemspezifisch beitragsrechtlich zu kompensieren ist. Für die vom BVerfG geforderte beitragsrechtliche Kompensation des Nachteils kindererziehender Versicherter in der sPV hat der Gesetzgeber allerdings nicht die (eigenen) Beiträge der Versicherten mit Kindern - etwa (allein) anknüpfend an den Tatbestand ihrer Elternschaft oder sogar in Abhängigkeit von der Kinderzahl - reduziert, sondern die Beiträge für Kinderlose um 0,25 Beitragssatzpunkte erhöht.

81

b) Die Kläger können nicht unter Hinweis auf das sPV-Urteil, dh Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG in der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabes durch das BVerfG, beanspruchen, wegen des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes für Kinder beitragsrechtlich weitergehend - als mit dem KiBG bereits geschehen - entlastet zu werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers durch das sPV-Urteil in der von ihnen behaupteten Weise eingeschränkt war (dazu aa). Bei der Ausfüllung des ihm insoweit zustehenden Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber die ihm eingeräumte Befugnis zur Generalisierung und Typisierung bei der Ordnung von Massenerscheinungen nicht überschritten (dazu bb).

82

aa) Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung stellt das BVerfG in seinem sPV-Urteil nicht auf die "Zahl der generativen Beiträge" ab und hat der Gesetzgeber des KiBG dieses Urteil auch nicht missachtet, weil § 55 Abs 3 SGB XI "lediglich einen Beitragszuschlag für Kinderlose anordnet, aber keine Differenzierung nach der Kinderzahl enthält". Der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers war durch das sPV-Urteil nicht in der von den Klägern behaupteten Weise verengt.

83

Wie der Senat bereits entschieden hat (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 15, 17) hat die Entscheidung des Gesetzgebers, Kinderlose mit einem erhöhten Beitrag zu belasten, Versicherte mit Kindern aber ohne Unterscheidung nach der Kinderzahl, (allein) in Anknüpfung an ihre Elterneigenschaft weiter Pflegeversicherungsbeiträge nach dem bisherigen Beitragssatz zahlen zu lassen, die vom BVerfG geforderte relative Beitragsentlastung bewirkt. Es ist nicht erkennbar, dass danach verfassungsrechtlich zusätzlich eine Reduzierung der (eigenen) Pflegeversicherungsbeiträge von Eltern ggf in Abhängigkeit von der Zahl der Kinder - etwa (auch) durch den Abzug von Absetzungsbeträgen je Kind von der Bemessungsgrundlage - geboten gewesen wäre. An dieser Bewertung des sPV-Urteils hält der Senat fest. Die von den Klägern geforderte Regelung würde demgegenüber zu Beitragsausfällen führen, die mit Beitragssatzerhöhungen für andere Pflegeversicherte kompensiert werden müssten; bei angestrebter Beibehaltung des Beitragsaufkommens hätte das zur Folge, dass Kinderlose (noch) höhere Pflegeversicherungsbeiträge zahlen müssten (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 15).

84

Zwar formuliert das BVerfG im sPV-Urteil, dass den Versicherten ohne Kinder im Versicherungsfall ein Vorteil aus der Erziehungsleistung anderer beitragspflichtiger Versicherter erwächst, die wegen der Erziehung zu ihrem Nachteil auf Konsum und Vermögensbildung verzichten (BVerfGE 103, 242, 264 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 17 mwN). An anderer Stelle wird ausgeführt, dass der danach zwischen Eltern und kinderlosen Personen vorzunehmende Ausgleich jedenfalls durch Regelungen erfolgen muss, die die Elterngeneration während der Zeit der Betreuung und Erziehung entlasten; denn die Beiträge, die von der heutigen Kindergeneration später im Erwachsenenalter auch zugunsten pflegebedürftiger kinderloser Versicherter geleistet werden, basieren maßgeblich auf den Erziehungsleistungen ihrer heute versicherungspflichtigen Eltern. Die hiermit verbundene Belastung der Eltern tritt in deren Erwerbsphase auf und ist deshalb auch in diesem Zeitraum auszugleichen (BVerfGE 103, 242, 270 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 22 mwN).

85

Vor diesem Hintergrund ist den Klägern zwar einzuräumen, dass die Erziehung von mehreren Kindern auch zu entsprechend größeren Erziehungslasten führt und "Konsumverzicht und Vermögensbildung nicht nur abhängig vom Einkommen, sondern insbesondere auch von der Kinderzahl größer oder kleiner ausfallen" (so auch die Ausführungen des Bundesrates in seiner Unterrichtung des Bundestages über die Anrufung des Vermittlungsausschusses zum KiBG: BT-Drucks 15/4176 unter a; ebenso Bauer/Krämer, NJW 2005, 180, 181 f). Das BVerfG zieht jedoch in seinen Ausführungen gerade nicht den Schluss, dass ein Nachteilsausgleich nur durch eine Beitragsentlastung der Eltern - ggf gestaffelt nach der Kinderzahl - erfolgen könne. Vielmehr verweist es darauf, dass dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten offenstehen, die Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Das GG verpflichtet den Gesetzgeber - so das BVerfG - lediglich dazu, beitragspflichtige Versicherte mit einem oder mehreren Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sPV bei der Bemessung der Beiträge relativ zu entlasten. Insoweit ist er von Verfassungs wegen verpflichtet, eine Lösung zu wählen, die Unterhaltsverpflichtete bereits ab dem ersten Kind relativ entlastet. Das ist zwar nicht in der Weise geschehen, dass eine individuelle, die jeweilige konkrete Familiensituation erfassende Beitragsvergünstigung für versicherte Eltern gewährt wird, sondern indem kinderlosen Versicherten generalisierend eine zusätzliche Belastung in Form eines höheren Beitragssatzes allgemein auferlegt wird.

86

bb) War der Gesetzgeber danach in den geschilderten Grenzen frei zu entscheiden, wie er Versicherte mit einem Kind oder mehreren Kindern im Hinblick auf ihren Betreuungs- und Erziehungsaufwand gegenüber kinderlosen Mitgliedern bei der Bemessung der Pflegeversicherungsbeiträge relativ entlastete, so hat er hier bei der Ausgestaltung eines den verfassungsgerichtlichen Vorgaben entsprechenden Beitragsrechts der sPV durch das KiBG die ihm von Verfassungs wegen im Sozialrecht gezogenen Grenzen für generalisierende bzw typisierende Regelungen eingehalten (vgl allgemein zu der hier bestehenden Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers BVerfG SozR 4-3300 § 55 Nr 3 RdNr 9-11).

87

Jede Norm muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie bei der Beitragsbemessung in der sPV (vgl - zur Beitragsbemessung bei freiwillig Versicherten der GKV - BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 15/13 R - Juris RdNr 39, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 240 Nr 25 vorgesehen) sind generalisierende, typisierende und pauschalierende Regeln allgemein als notwendig anerkannt und vom BVerfG im Grundsatz ständig als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden (vgl BVerfGE 17, 1, 23; aus der letzten Zeit BVerfGE 113, 167, 236; stRspr); der Gesetzgeber ist dabei gezwungen, aber auch berechtigt, sich am Regelfall zu orientieren. Unbedenklich ist eine Typisierung aber nur, soweit eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen benachteiligt wird und der Grundrechtsverstoß nicht sehr intensiv ist (vgl BVerfGE 26, 265, 275 f; aus jüngerer Zeit BVerfGE 133, 377, 413); wesentlich für die Zulässigkeit einer typisierenden Regelung ist hierbei auch, ob eine durch sie entstehende Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wäre (vgl BVerfGE 63, 119, 128; BVerfGE 133, 377, 413).

88

Hieran gemessen ist die Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Bemessung der Beiträge zur sPV von Mitgliedern mit Kindern nicht nach der Kinderzahl zu differenzieren, nicht zu beanstanden. Das Gesetz behandelt die von den Klägern repräsentierte Personengruppe - Eltern mit drei Kindern - und Eltern mit (nur) einem Kind oder zwei Kindern zwar gleich, weil alle Eltern weiter Pflegeversicherungsbeiträge nach dem bisherigen Beitragssatz bzw ohne Absetzungen für Kinder von der Bemessungsgrundlage zahlen. Die hierdurch entstehenden Härten und Ungerechtigkeiten sind jedoch hinzunehmen.

89

Der Senat hat bereits entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Beitragsrechts in der sPV durch das KiBG vom Regelfall ausgegangen ist und so die vom BVerfG geforderte relative Entlastung gegenüber Kinderlosen an das (bloße) Vorhandensein bereits eines Kindes knüpfen sowie ab dessen Geburt eine dauerhafte Beitragsentlastung vorsehen durfte (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 17). So lebten im Jahr 2006 in 16 % aller Privathaushalte ein Kind, in 11,4 % aller Privathaushalte zwei Kinder, in 2,9 % der Privathaushalte - wie die Kläger einen führen - drei Kinder, in 0,6 % vier Kinder und in 0,2 % fünf Kinder und mehr (Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit - Haushalte und Familien - Ergebnisse des Mikrozensus 2006, 2008). Die Situation stellte sich im Jahr 2012 ähnlich dar: In 15,1 % aller Privathaushalte lebte ein Kind, in 10,6 % aller Privathaushalte lebten zwei Kinder, in 2,6 % drei Kinder, in 0,5 % vier Kinder und in 0,2 % fünf Kinder und mehr (Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit - Haushalte und Familien - Ergebnisse des Mikrozensus 2012, 2013, S 27). Die geforderte Berücksichtigung des "generativen Beitrags" reicht vor diesem Hintergrund aus, um typisierend an die Stellung als Eltern als solche, dh die Elterneigenschaft, anzuknüpfen, ohne dass etwa nach tatsächlichem Umfang oder tatsächlicher Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung differenziert werden müsste; die Entlastung kann bei der Beitragsbemessung durch die Berücksichtigung allein der Tatsache geschehen, dass bei einem Versicherten betreuungs- bzw erziehungsbedürftige Kinder vorhanden sind. Auch das hat der Senat in der genannten Entscheidung bereits ausgeführt (BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2, RdNr 17). Nichts anderes kann für einen tatsächlich erhöhten Umfang bzw eine tatsächlich längere Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung infolge einer größeren Kinderzahl gelten. Soweit gesetzliche Verallgemeinerungen auf einer möglichst weiten, alle betroffenen Personengruppen einschließenden Beobachtung aufbauen, ist der Gesetzgeber nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (BVerfGE 96, 1, 6 mwN; zuletzt BVerfGE 133, 377, 412 mwN).

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8. Die Klage ist schließlich auch hinsichtlich des Hilfsantrages der Kläger unbegründet, das angefochtene Urteil des LSG mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

91

Eine solche Verfahrensweise kommt nach § 170 Abs 2 S 1 und 2 SGG nur in Betracht, wenn die Revision zwar begründet, eine Entscheidung des BSG in der Sache aber - etwa weil zur Gewährleistung eines verfahrensfehlerfreien sozialgerichtlichen Prozesses in tatsächlicher Hinsicht noch Feststellungen zu treffen sind(vgl zB Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 170 RdNr 7 ff mwN)- "untunlich" ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

92

Ein Verfahrensmangel - hier ein von den Klägern geltend gemachter Verstoß des LSG gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) -, der ggf zur Aufhebung des Urteils des LSG führen müsste, ist nicht gegeben, weil sich das LSG als Tatsachengericht ausgehend von seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung nicht gedrängt fühlen musste, weitere Ermittlungen anzustellen (zu den Voraussetzungen: zB BSGE 40, 49, 50 = SozR 3100 § 30 Nr 7 S 33 f).

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Das BVerfG hat in seinem sPV-Urteil (BVerfGE 103, 242, 259 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13)entschieden, dass die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen unter dem Vorbehalt des Möglichen und im Kontext anderweitiger Fördernotwendigkeiten steht. Der Gesetzgeber hat danach unter Ausübung des ihm insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums im Interesse des Gemeinwohls - wie bereits oben wiederholt ausgeführt - neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nur unter Abwägung aller Belange lässt sich ermitteln, ob die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG nicht mehr genügt. Konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme und somit auch für die Sozialversicherungszweige lassen sich hieraus - so das BVerfG im sPV-Urteil (BVerfGE 103, 242, 259 f = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S 13 f)- gerade nicht ableiten.

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Dies bedeutet indessen, dass eine Prüfung nach verfassungsrechtlichen Maßstäben "nur" eine Gesamtabwägung aller Gemeinschaftsbelange erfordert. Demzufolge kommt es in diesem Zusammenhang gerade nicht entscheidend auf einen konkret bezifferten "externen Effekt" eines Kindes an - also darauf, in welchem Maße die Beiträge, die ein Kind im Verlaufe seines Lebens im jeweiligen Sozialversicherungszweig entrichtet, die von ihm in Anspruch genommenen Leistungen übersteigt (so aber am Beispiel der GRV Werding, aaO; allgemein: Adrian, Die ökonomischen Ursachen der niedrigen Fertilität in Deutschland, Beitrag für DGD-Jahrestagung 2012, vom 14. bis 16. März 2012 in Berlin) - oder ob möglicherweise mehr durch Familien an Beiträgen unter Berücksichtigung der Kosten in die Sozialversicherungszweige eingezahlt wird, als an Leistungen in Anspruch genommen werden (dazu zur GKV: Niehaus, aaO; zur GRV: Loos, Kurzgutachten zum Thema "Transferausbeutung der Familien durch die Gesetzlichen Sozialversicherungen - am Beispiel der Gesetzlichen Rentenversicherung", Bl 254 ff der LSG-Akte) an. Zu entsprechenden weitergehenden Ermittlungen war das LSG daher nicht verpflichtet.

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9. Auch der Senat war - vor dem Hintergrund der vorstehend unter 8. gemachten Ausführungen - nicht gehalten, in eigene Ermittlungen einzutreten bzw insoweit auf die von den Klägern für entscheidungserheblich angesehenen und als allgemeine Tatsachen bewerteten Umstände einzugehen bzw diesen weiter nachzugehen. Es fehlt insoweit aus den oben wiederholt dargelegten rechtlichen Erwägungen an der Entscheidungserheblichkeit für den Ausgang des Rechtsstreits.

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10. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dabei hat der Senat nach billigem Ermessen davon abgesehen, den Klägern trotz ihres Obsiegens mit ihrer Anfechtungsklage gegen die Beklagte einen Anspruch auf teilweise Kostenerstattung einzuräumen. Denn die erfolgte Aufhebung der Bescheide beruht auf rechtlichen Erwägungen, auf die sich die Kläger im Rechtsstreit nicht einmal gestützt haben. Entscheidend und offenkundig prägend für den Ausgang des Revisionsverfahrens ist es vielmehr, dass die Kläger mit ihrem Begehren in der Sache in allen Punkten nicht durchgedrungen sind.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Der Träger der Rentenversicherung führt für jeden Versicherten ein Versicherungskonto, das nach der Versicherungsnummer geordnet ist. In dem Versicherungskonto sind die Daten, die für die Durchführung der Versicherung sowie die Feststellung und Erbringung von Leistungen einschließlich der Rentenauskunft erforderlich sind, zu speichern. Ein Versicherungskonto darf auch für Personen geführt werden, die nicht nach den Vorschriften dieses Buches versichert sind, soweit es für die Feststellung der Versicherungs- oder Beitragspflicht und für Prüfungen bei Arbeitgebern (§ 28p des Vierten Buches) erforderlich ist.

(2) Der Träger der Rentenversicherung hat darauf hinzuwirken, dass die im Versicherungskonto gespeicherten Daten vollständig und geklärt sind. Die Daten sollen so gespeichert werden, dass sie jederzeit abgerufen und auf maschinell verwertbaren Datenträgern oder durch Datenübertragung übermittelt werden können. Stellt der Träger der Rentenversicherung fest, dass für einen Beschäftigten mehrere Beschäftigungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8a des Vierten Buches gemeldet oder die Zeitgrenzen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 des Vierten Buches überschritten sind, überprüft er unverzüglich diese Beschäftigungsverhältnisse. Stellen die Träger der Rentenversicherung fest, dass eine Beschäftigung infolge einer Zusammenrechnung versicherungspflichtig ist, sie jedoch nicht oder als versicherungsfrei gemeldet worden ist, teilen sie diese Beschäftigung mit den notwendigen Daten der Einzugsstelle mit. Satz 4 gilt entsprechend, wenn die Träger der Rentenversicherung feststellen, dass beim Zusammentreffen mehrerer Beschäftigungsverhältnisse die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschriften über den Übergangsbereich nicht oder nicht mehr vorliegen.

(3) Der Träger der Rentenversicherung unterrichtet die Versicherten regelmäßig über die in ihrem Versicherungskonto gespeicherten Sozialdaten, die für die Feststellung der Höhe einer Rentenanwartschaft erheblich sind (Versicherungsverlauf).

(4) Versicherte sind verpflichtet, bei der Klärung des Versicherungskontos mitzuwirken, insbesondere den Versicherungsverlauf auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen, alle für die Kontenklärung erheblichen Tatsachen anzugeben und die notwendigen Urkunden und sonstigen Beweismittel beizubringen.

(5) Hat der Versicherungsträger das Versicherungskonto geklärt oder hat der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen, stellt der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest. Bei Änderung der dem Feststellungsbescheid zugrunde liegenden Vorschriften ist der Feststellungsbescheid durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden. Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten wird erst bei Feststellung einer Leistung entschieden.

(1) Mit der Klage kann begehrt werden

1.
die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,
2.
die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,
3.
die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes ist,
4.
die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts,
wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

(2) Unter Absatz 1 Nr. 1 fällt auch die Feststellung, in welchem Umfang Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind.

(3) Mit Klagen, die sich gegen Verwaltungsakte der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch richten, kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Erwerbstätigkeit als Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausgeübt wird.

(1) Für Beitragszeiten werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für dasselbe Kalenderjahr geteilt wird. Für das Kalenderjahr des Rentenbeginns und für das davor liegende Kalenderjahr wird als Durchschnittsentgelt der Betrag zugrunde gelegt, der für diese Kalenderjahre vorläufig bestimmt ist.

(1a) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 werden Entgeltpunkte für Beitragszeiten aus einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 aus dem Arbeitsentgelt ermittelt.

(2) Kindererziehungszeiten erhalten für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte (Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten). Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten sind auch Entgeltpunkte, die für Kindererziehungszeiten mit sonstigen Beitragszeiten ermittelt werden, indem die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b.

(3) Aus der Zahlung von Beiträgen für Arbeitsentgelt aus nach § 23b Abs. 2 Satz 1 bis 4 des Vierten Buches aufgelösten Wertguthaben werden zusätzliche Entgeltpunkte ermittelt, indem dieses Arbeitsentgelt durch das vorläufige Durchschnittsentgelt (Anlage 1) für das Kalenderjahr geteilt wird, dem das Arbeitsentgelt zugeordnet ist. Die so ermittelten Entgeltpunkte gelten als Entgeltpunkte für Zeiten mit vollwertigen Pflichtbeiträgen nach dem 31. Dezember 1991.

(3a) Sind mindestens 25 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten vorhanden, werden für nach dem Jahr 1991 liegende Kalendermonate mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder mit Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Entgeltpunkte zusätzlich ermittelt oder gutgeschrieben. Diese betragen für jeden Kalendermonat

a)
mit Pflichtbeiträgen die Hälfte der hierfür ermittelten Entgeltpunkte, höchstens 0,0278 an zusätzlichen Entgeltpunkten,
b)
in dem für den Versicherten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für ein Kind mit entsprechenden Zeiten für ein anderes Kind zusammentreffen, 0,0278 an gutgeschriebenen Entgeltpunkten, abzüglich des Wertes der zusätzlichen Entgeltpunkte nach Buchstabe a.
Die Summe der zusätzlich ermittelten und gutgeschriebenen Entgeltpunkte ist zusammen mit den für Beitragszeiten und Kindererziehungszeiten ermittelten Entgeltpunkten auf einen Wert von höchstens 0,0833 Entgeltpunkte begrenzt.

(4) Ist für eine Rente wegen Alters die voraussichtliche beitragspflichtige Einnahme für den verbleibenden Zeitraum bis zum Beginn der Rente wegen Alters vom Rentenversicherungsträger errechnet worden (§ 194 Absatz 1 Satz 6, Abs. 2 Satz 2), sind für diese Rente Entgeltpunkte daraus wie aus der Beitragsbemessungsgrundlage zu ermitteln. Weicht die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme von der durch den Rentenversicherungsträger errechneten voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme ab, bleibt sie für diese Rente außer Betracht. Bei einer Beschäftigung im Übergangsbereich (§ 20 Absatz 2 des Vierten Buches) ab dem 1. Juli 2019 treten an die Stelle der voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 1 das voraussichtliche Arbeitsentgelt und an die Stelle der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahme nach Satz 2 das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt.

(5) Für Zeiten, für die Beiträge aufgrund der Vorschriften des Vierten Kapitels über die Nachzahlung gezahlt worden sind, werden Entgeltpunkte ermittelt, indem die Beitragsbemessungsgrundlage durch das Durchschnittsentgelt des Jahres geteilt wird, in dem die Beiträge gezahlt worden sind.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.