vorgehend
Amtsgericht Merzig, 23 C 75/06, 28.04.2006
Landgericht Saarbrücken, 2 S 114/06, 10.07.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 230/07 Verkündet am:
16. April 2008
Ring,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Keine Rechtsscheinhaftung des Mitglieds einer anwaltlichen Scheinsozietät für Forderungen
, die nicht die anwaltstypische - rechtsberatende oder rechtsvertretende -
Tätigkeit betreffen.
BGH, Urteil vom 16. April 2008 - VIII ZR 230/07 - LG Saarbrücken
AG Merzig
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. April 2008 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Wolst
sowie die Richterinnen Hermanns, Dr. Milger und Dr. Hessel

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 10. Juli 2007 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin vertreibt und repariert Computeranlagen. Die Beklagte war als Rechtsanwältin in der ehemaligen Rechtsanwaltskanzlei S. angestellt, die ihre EDV-Ausstattung von der Klägerin erwarb. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Bezahlung zweier Rechnungen vom 24. Dezember 2002 in Höhe von 1.780 € Restkaufpreis für eine an die Kanzlei gelieferte PCAnlage sowie von 877,10 € Reparaturkosten für einen Server nebst Zinsen und vorgerichtlichen Mahnkosten in Anspruch. Lieferung und Rechnungsstellung erfolgten an die Rechtsanwaltskanzlei S. . Die Beklagte wurde auf dem Briefkopf der Kanzlei ohne haftungseinschränkenden Zusatz wie eine Sozia (Gesellschafterin der Anwaltssozietät) geführt. Von diesem Briefkopf hatte einer der Geschäftsführer der Klägerin Kenntnis, weil er in einem Rechtsstreit von der Rechtsanwaltskanzlei vertreten wurde.
2
Das Amtsgericht hat der Klage auf Zahlung von 2.667,10 € nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

3
Die Revision hat keinen Erfolg; sie ist trotz der Säumnis der Beklagten durch kontradiktorisches Urteil zurückzuweisen (BGH, Urteil vom 14. Juli 1967 - V ZR 112/64, NJW 1967, 2162).

I.

4
Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
5
Der Klägerin stehe weder nach § 433 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 128 HGB analog ein Anspruch auf Zahlung des restlichen Kaufpreises noch gemäß §§ 631, 632 BGB in Verbindung mit § 128 HGB analog ein Anspruch auf Zahlung restlichen Werklohns zu.
6
Nicht die Beklagte, sondern die Sozietät als Gesellschaft bürgerlichen Rechts sei Vertragspartnerin der Klägerin geworden. Die Beklagte, die unstreitig keine Gesellschafterin der Anwaltssozietät gewesen sei, hafte auch nicht nach Rechtsscheingrundsätzen.
7
Von den im Briefkopf der Schriftsätze einer Kanzlei aufgeführten Rechtsanwälten könne nicht ohne weiteres angenommen werden, dass sie Vertrags- partner bei Rechtsgeschäften würden, die andere Gegenstände als Anwaltsverträge mit Mandanten beträfen. Hier sei es nicht um einen Anwaltsvertrag gegangen , sondern lediglich um Rechtsgeschäfte, die die Büroeinrichtung beträfen. Unstreitig sei im Rahmen der streitgegenständlichen Vertragsverhandlungen nicht Papier mit dem Briefkopf der Kanzlei verwendet worden. Weder die Stellung der Beklagten als Ansprechpartnerin für PC-Angelegenheiten in der Kanzlei noch ihr Erscheinen im Geschäftslokal der Klägerin nach Vertragsschluss und die Übergabe eines Schecks über 500 € zur Begleichung der offenen Kaufpreisforderung für den PC unter Zusage weiterer Zahlungen ließen Rückschlüsse auf einen bei Vertragsschluss gesetzten Rechtsschein einer Gesellschafterstellung der Beklagten zu.

II.

8
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Klägerin steht kein Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu. Die Beklagte ist weder Vertragspartnerin der Klägerin geworden, noch haftet sie als "Scheinsozia" nach den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht (BGHZ 70, 247, 249).
9
1. Zutreffend - und von der Revision unangegriffen - hat das Berufungsgericht festgestellt, dass aus den die PC-Anlage betreffenden Verträgen die Sozietät, bei der die Beklagte damals als angestellte Rechtsanwältin tätig war, verpflichtet werden sollte und verpflichtet wurde.
10
2. Die Beklagte haftet aus den mit der Anwaltssozietät S. geschlossenen Verträgen entgegen der Ansicht der Revision auch nicht nach den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen der Scheinsozietät. Diese betreffen den Fall, dass mehrere Rechtsanwälte, zwischen denen keine Sozietät, sondern nur ein Anstellungsverhältnis besteht, nach außen hin durch gemeinsame Briefbögen, Stempel usw. den Anschein einer Sozietät erwecken und dadurch gegenüber dem Rechtsverkehr den Anschein erzeugen, dass der einzelne handelnde Rechtsanwalt sie sämtlich vertritt. An diesem von ihnen gesetzten Rechtsschein müssen sich deshalb alle Rechtsanwälte festhalten lassen. Dies ergibt sich aus den von der Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätzen zur sogenannten Duldungs- und Anscheinsvollmacht (BGHZ 70, 247, 249). Die Rechtsfigur der Scheinsozietät dient indessen allein dazu, im Interesse der Mandantschaft um deren Vertrauensschutzes willen unter Haftungsgesichtspunkten auf den erweckten Anschein abzustellen (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2000 - WpSt (R) 1/00, NJW 2001, 165, unter II 1 b). Fehler eines Scheinsozius bei der Bearbeitung eines Mandats werden als solche der Sozietät behandelt (BGH, Urteil vom 3. Mai 2007 - IX ZR 218/05, NJW 2007, 2490, Tz. 20). Die Haftung eines Mitglieds einer Scheinsozietät setzt ein Mandatsverhältnis und damit eine anwaltstypische Tätigkeit voraus. Eine anwaltstypische Tätigkeit liegt jedoch dann nicht vor, wenn keine rechtsberatende oder rechtsvertretende Tätigkeit damit verbunden ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 1999 - IX ZR 338/97, NJW 1999, 3040, unter I 3 b aa; OLG Celle, NJW 2006, 3431, 3433; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 164 Rdnr. 6). So ist es hier. Der Kauf einer PC-Anlage und deren Reparatur stellen, auch wenn sie für ein Anwaltsbüro erfolgen, keine anwaltstypischen Tätigkeiten dar.
11
3. Nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts sind auch im Übrigen - außerhalb einer Mandatsbeziehung zur Klägerin - keine Anhaltspunkte für eine Rechtsscheinhaftung der Beklagten für den von der Rechtsanwaltssozietät S. zu zahlenden Restkaufpreis und Werklohn ersichtlich. Übergangenen Sachvortrag hierzu zeigt die Revision nicht auf. Ball Dr. Wolst Hermanns Dr. Milger Dr. Hessel
Vorinstanzen:
AG Merzig, Entscheidung vom 28.04.2006 - 23 C 75/06 -
LG Saarbrücken, Entscheidung vom 10.07.2007 - 2 S 114/06 -

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(1) Auf einen Dienstvertrag oder einen Werkvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat, finden, soweit in diesem Untertitel nichts Abweichendes bestimmt wird, die Vorschriften der §§ 663, 665 bis 670, 672 bis 674 und, wenn dem Verpflichteten das Recht zusteht, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen, auch die Vorschriften des § 671 Abs. 2 entsprechende Anwendung.

(2) Wer einem anderen einen Rat oder eine Empfehlung erteilt, ist, unbeschadet der sich aus einem Vertragsverhältnis, einer unerlaubten Handlung oder einer sonstigen gesetzlichen Bestimmung ergebenden Verantwortlichkeit, zum Ersatz des aus der Befolgung des Rates oder der Empfehlung entstehenden Schadens nicht verpflichtet.

(3) Ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, die Anmeldung oder Registrierung des anderen Teils zur Teilnahme an Gewinnspielen zu bewirken, die von einem Dritten durchgeführt werden, bedarf der Textform.

(1) Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen.

(2) Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen.

Die Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich. Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam.

(1) Durch den Werkvertrag wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes, der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Werkvertrags kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein.

(1) Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Herstellung des Werkes den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.

(2) Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.

(3) Ein Kostenanschlag ist im Zweifel nicht zu vergüten.

Die Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich. Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam.