Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juli 2019 - 5 StR 393/18
Gericht
Richter
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof S. , Richter am Landgericht K.
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, sich durch die Förderung des Suizids der 44-jährigen D. sowie das spätere Unterlassen von Maßnahmen zu deren Rettung der Tötung auf Verlangen strafbar gemacht zu haben (vgl. KG, StV 2018, 304). Mit ihrer gegen den Freispruch gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
- 2
- 1. Das Landgericht hat festgestellt:
- 3
- D. litt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr an einem nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Reiz-Darm-Syndrom. Eine Besserung ihres Gesundheitszustands konnte sie auch durch das Ausschöpfen zahlreicher klassischer und alternativer Behandlungsmöglichkeiten nicht erlangen. Daneben litt sie seit ihrer Pubertät unter rezidivierenden Harnwegsinfektionen und wiederkehrenden Analfisteln und zeigte zudem psychische Auffälligkeiten. Im Laufe ihres Lebens war sie bei verschiedenen Psychotherapeuten in Behandlung. Aufgrund ihres Gesundheitszustands war sie – obgleich an sich lebenslustig – jedenfalls in der Zeit vor ihrem Tod reaktiv depressiv. Sie hatte mehrfach Suizidversuche unternommen und beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Tod.
- 4
- Da ihr das Leben unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien , wandte sie sich am 8. Februar 2013 mit der Bitte an den Angeklagten, ihren Hausarzt, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. Der Angeklagte gab dieser Bitte nach, weil ihm die lange Kranken- und Leidensgeschichte sowie die erfolglosen Therapieversuche bekannt waren und er der Überzeugung war, dass ein Arzt eine Patientin, die er über Jahre behandelt hat, auch in einer solchen Situation nicht allein lassen dürfe. Er stellte zwei Privatrezepte über eine nicht näher bekannte Menge des Medikaments Luminal aus, von denen er mindestens eines selbst einlöste und der später Verstorbenen das Medikament übergab. Während seines letzten Hausbesuchs bei Frau D. am 15. Februar 2013 traf er diese tief verzweifelt und zur Selbsttötung fest entschlossen , aus seiner Sicht aber voll geschäftsfähig an. Bei diesem Besuch übergab Frau D.
- 5
- Am 16. Februar 2013, jedenfalls vor 14 Uhr, nahm Frau D. „bei klarem Verstand und in dem vollen Bewusstsein, was sie tat“ (UAS. 5), eine unbekannte, aber tödliche Menge Luminal ein. Den Angeklagten informierte sie hierüber, wie zuvor vereinbart, per Kurznachricht. Wenig später begab sich der Angeklagte in ihre Wohnung und fand sie in einem tief komatösen Zustand mit normalen Vitalwerten auf dem Rücken liegend in ihrem Bett vor. Da er sich dem Sterbewunsch D. s verpflichtet fühlte, unternahm er keine Rettungsversuche, sondern prüfte lediglich Puls, Pupillenreflexe und Atmung. Er suchte Frau D. noch einmal am Abend desselben Tages, zu drei Zeitpunkten am 17. Februar 2013 sowie zu drei weiteren Zeitpunkten am 18. Februar 2013 auf. Bei den beiden letzten Besuchen befand sich Frau
D.
bereits in einem präfinalen Zustand.- 6
- Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, aber jedenfalls nachdem Frau D. ins Koma gefallen war und vor ihrem Versterben, verabreichte der Angeklagte ihr mindestens einmal eine Ampulle Metoclopramid, um ein Erbrechen zu verhindern. Bei einem Erbrechen wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem früheren Todeseintritt gekommen, da die später Verstorbene entweder aufgrund der Rückenlage an dem Erbrochenen erstickt wäre oder aber das Erbrechen dazu geführt hätte, dass sie kurzzeitig nochmals eine größere Menge des Phenobarbitals (dem Wirkstoff von Luminal) hätte absorbieren können, was die Vergiftung beschleunigt hätte. Darüber hinaus spritzte der Angeklagte ihr Buscopan, ein in der Palliativmedizin eingesetztes krampflösendes Medikament. So wollte er sicherstellen, dass es nicht zu unnötigen Schmerzen bei der Sterbenden kommt.
- 7
- Am Morgen des 18. Februar 2013 rief die Mutter der Suizidentin beim Angeklagten an und erklärte, die Zeugin P. , eine Freundin ihrer Tochter, mache sich Sorgen, weil sie diese nicht habe erreichen können, und habe sich auf den Weg zu deren Wohnung gemacht. Daraufhin informierte der Angeklagte die Mutter und die Zeugin P. darüber, dass Frau D. Tabletten eingenommen habe, im Sterben liege und nichts unternommen werden solle, weil sie dies nicht gewollt habe. Gegen 21 Uhr teilte Frau D. s Sohn, der Zeuge F. , der zuvor von seiner Großmutter über den Zustand der Mutter unterrichtet worden war, dem Angeklagten mit, dass er sofort aus Stuttgart anreisen wolle. Es wurde ein Treffen in Frau D. s Wohnung verabredet.
- 8
- Am 19. Februar 2013 gegen 4:30 Uhr stellte der Angeklagte den Tod D. s fest und füllte den Leichenschauschein aus. Als Todesart kreuzte er „natürlicher Tod“ an und trug als Todesursachen handschriftlich „Nierenversagen“ , „Tabletten-Intoxikation“ und „Depression“ ein. Ob die Verstorbe- ne nach der Einnahme des Luminals bei sofortiger medizinischer Behandlung noch hätte gerettet werden können, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen.
- 9
- 2. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten unter sämtlichen in Betracht kommenden Gesichtspunkten jeweils aus rechtlichen Gründen verneint. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Auch zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit Frau D. s sei der Angeklagte nicht verpflichtet gewesen. Denn deren freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts habe eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen. Eine solche ergebe sich auch nicht aus § 323c Abs. 1 StGB, da eine freiverantwortliche Selbsttötung keinen Unglücksfall darstelle.
II.
- 10
- Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.
- 11
- 1. Der Angeklagte hat sich nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts durch aktives Tun (§ 212 Abs. 1 StGB oder § 216 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.
- 12
- a) Der im Verschaffen des Zugangs zu den todbringenden Medikamenten liegende Tatbeitrag des Angeklagten stellt sich bei der gebotenen normativen Betrachtung als straflose Hilfeleistung zur eigenverantwortlich verwirklichten Selbsttötung D. s dar.
- 13
- aa) Für die Abgrenzung einer straflosen Beihilfe zur Selbsttötung von der täterschaftlichen Tötung eines anderen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblich, wer in Vollzug des Gesamtplans die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen ausübt (BGH, Urteile vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, 139 f.; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 284; vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NJW 2003, 2326, 2327; vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; Beschluss vom 25. November 1986 – 1 StR 613/86, NJW 1987, 1092). Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt da- gegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe (vgl., jeweils mwN, BGH, Urteile vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; vom heutigen Tag – 5 StR 132/18 zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
- 14
- Letzteres ist hier der Fall. Frau D. übte, solange sie bei Bewusstsein war, allein die Herrschaft über das zu ihrem Tod führende Geschehen aus, indem sie freiverantwortlich die ihren Tod verursachende Dosis des Medikaments einnahm.
- 15
- bb) Dem Angeklagten kann die Selbsttötungshandlung auch nicht nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden.
- 16
- (1) Eine Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst kann unter anderem gegeben sein, wenn dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.; vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 und vom heutigen Tag – 5 StR 132/18; Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Befindet sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13).
- 17
- Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f., und vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532). Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 603). Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80, NJW 1981, 932; vom 28. Oktober 1982 – 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205, 206; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290, und vom 7. Oktober 2010 – 3StR 168/10; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 43; vom 3. Dezember 1985 – 5 StR 637/85, JZ 1987, 474; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Vor § 211 Rn. 13b; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 216 Rn. 22). Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist (vgl. BGH, Urteile vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340, 341, und vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86; MüKo-StGB/Schneider, aaO, Rn. 19).
- 18
- (2) Gemessen hieran ist die auf rechtsfehlerfreien Feststellungen beruhende Wertung des Landgerichts, Frau D. habe ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizite freiverantwortlich gebildet und umgesetzt, im Ergebnis nicht zu beanstanden.
- 19
- Die Strafkammer stützt sich insofern nicht allein auf die Einschätzung des Angeklagten, der Frau D. seit vielen Jahren behandelte und daher mit ihrer Persönlichkeit sowie ihrer Leidensgeschichte in besonderem Maße vertraut war. Es kann dahingestellt bleiben, ob für die Wertung der Freiverantwortlichkeit gleichwohl allein die Anschauung des – soweit erkennbar – nicht in den Bereichen der Psychiatrie und Psychologie ausgebildeten Angeklagten zur Wahrung der Kognitionspflicht genügen würde (vgl. dazu BGH, Urteile vom 26. Januar 2017 – 3 StR 479/16, NStZ 2017, 410; vom 20. September 2018 – 3StR 195/18; vom 10. Oktober 2018 – 2 StR 253/18; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 264 Rn. 28). Denn die Strafkammer setzt sich darüber hinaus eingehend mit der mehrjährigen Krankheitsgeschichte der Suizidentin auseinander und zieht dabei die Aussagen von Angehörigen und Bekannten zur Entwicklung ihrer Krankheit und ihres seelischen Zustands heran. Auch ihnen gegenüber hatte Frau D. über jeweils längere Zeiträume unabhängig voneinander ihren Todeswunsch geäußert.
- 20
- Zwar erscheint es danach nicht ausgeschlossen, dass Frau
D.
– durch ihrfortwährendes körperliches Leiden zermürbt – im Zeitpunkt ihrer Selbsttötung aufgrund einer „tiefen Verzweiflung“ psychisch beeinträchtigt war. Indes lassen sich dem Urteil keine Umstände entnehmen, die zur Annahme einer Aufhebung ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit hätten zwingen müssen oder auf ein Handeln aus einer bloßen „depressiven Augenblicksstimmung“ hindeuteten. Vielmehr hatte sie sich intensiv mit dem Thema Tod auseinandergesetzt , im Laufe der Jahre bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen , ihren Freundinnen sowie ihrer Mutter und ihrem Sohn mehrmals den Sterbewunsch mitgeteilt und sich bereits ab Dezember 2012 von ihren Freundinnen verabschiedet. Ihr Entschluss beruhte mithin auf einer über die Zeit hin-weg entwickelten und durch ihr Leiden bedingten „Lebensmüdigkeit“ (vgl. UA S. 15); sie hatte einen „langjährigen ernsthaften Todeswunsch“ (UA S. 16).
- 21
- (3) Auch unter Zugrundelegung der innerhalb des Schrifttums für einen freiverantwortlichen Suizidentschluss formulierten Kriterien ist von einem solchen auszugehen (dazu Urteil des Senats vom heutigen Tage – 5 StR132/18 mit zahlreichen Nachweisen; zusammenfassend auch MüKo-StGB/Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 37 ff.). Frau D. befand sich nicht in einem Zustand , der entsprechend §§ 19, 20, 35 StGB zu einem Verantwortlichkeitsausschluss führen würde. Vielmehr war sie nach Ausschöpfung sämtlicher, auf Linderung ihrer Schmerzen gerichteter Therapien fest entschlossen, aus dem Leben zu scheiden, weil es ihr unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien. Dieser durch das Landgericht als „Bilanzselbstmord“ (UA S. 16) gewertete , auf rationaler Reflexion beruhende Entschluss kennzeichnet eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit geprägte innere Haltung und ist daher auch nach den Grundsätzen der Einwilligung als freiverantwortlich zu werten. Die dem Entschluss zugrundeliegende Motivation, über viele Jahre hinweg erduldeten Schmerzen ein Ende zu setzen, ist – wenn sie nicht ihrerseits auf eine die Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausschließende Erkrankung zurückzuführen ist – einer näheren Überprüfung schon deshalb nicht zugänglich, weil sich das Empfinden von Schmerzen als innerer, höchstpersönlicher Vorgang der für eine wertende Beurteilung erforderlichen Objektivierung entzieht.
- 22
- b) Das Verabreichen muskelentspannender Medikamente während des Sterbens war nach den Feststellungen bereits nicht kausal für den eingetretenen Todeserfolg. Die Medikamentengabe hat den Sterbeprozess weder beschleunigt , noch einen neuen tödlichen Kausalverlauf in Gang gesetzt.
- 23
c) Schließlich ist der Angeklagte auch nicht deswegen eines vollendeten, aktiv begangenen Tötungsdelikts schuldig, weil er die Zeugin P. und den Zeugen F. in Telefongesprächen über den jeweils aktuellen Zustand der Suizidentin und deren Todeswunsch unterrichtete. Er hat damit schon nicht in strafbarer Weise Rettungsbemühungen verhindert, weil die Zeugen keine solchen unternommen hatten, mithin kein rettender Kausalverlauf in Gang gesetzt war, der ohne das Eingreifen des Angeklagten zu einer unmittelbaren Rettung der Suizidentin geführt hätte (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 159; Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl., § 9 Rn. 9; Gropp, Gedächtnisschrift Schlüchter, S. 173, 179). Vielmehr beschlossen die Zeugen nach den Telefonaten „jeder für sich …, den Wunsch der später Verstorbenen zu respektieren und untätig zu bleiben“ (UA S. 20).
- 24
- 2. Eine an das Unterlassen von Bemühungen zur Rettung der von ihm bewusstlos vorgefundenen Suizidentin anknüpfende Bestrafung des Angeklagten wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen kam schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht. Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass das Leben der Suizidentin durch alsbald nach der Einnahme von Tabletten eingeleitete Maßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (vgl. BGH, Urteil vom heutigen Tage – 5 StR 132/19 mwN).
- 25
- 3. Der Angeklagte hat sich auch nicht wegen versuchter Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht, denn er war nicht mehr Garant für Frau D. s Leben.
- 26
- a) Allerdings hatte er Frau D. viele Jahre als Hausarzt betreut und befand sich aufgrund der Übernahme ihrer ärztlichen Behandlung und des damit einhergehenden Vertrauensverhältnisses zunächst in einer besonderen Schutzposition für deren Leib und Leben (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 377; Schönke/Schröder/Bosch, aaO, § 13 Rn. 28a). Diese Pflichtenstellung als Hausarzt endete spätestens, als Frau D. ihren Sterbewunsch (nochmals) äußerte und diesen mit der von dem Angeklagten akzeptierten Bitte verband, er solle „sie nach Einnahme der Tabletten zu Hause betreuen“. Entsprechend dieser Vereinbarung oblag es ihm nur noch, als Sterbebegleiter etwaige Leiden oder Schmerzen während des Sterbens zu lindern oder zu verhindern (vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 494/82, NStZ 1983, 117, 118; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532; LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 216 Rn. 29, 31 f.; MüKo-StGB/ Schneider, aaO, § 216 Rn. 66; SSW-StGB/Momsen, 4. Aufl., § 216 Rn. 11; Saliger, medstra 2015, 132, 136; Berghäuser, ZStW 2016, 741,
749).
- 27
- b) Für diese Wertung sprechen folgende Erwägungen:
- 28
- aa) Die (Patienten-)Autonomie, die Entscheidungen über das Geschehenlassen des eigenen Sterbens umfasst, hat in der jüngeren Vergangenheit in Abwägung mit dem Auftrag zum Schutz des menschlichen Lebens (vgl. BVerfGE 88, 203) eine erhebliche Aufwertung erfahren.
- 29
- (1) Nach dem Grundgesetz ist jeder Mensch grundsätzlich frei, über den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Gutdünken zu entscheiden (BVerfG, NJW 2017, 53, 56). Die Rechtsprechung leitet aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine „Freiheit zur Krankheit“ ab, die es grundsätzlich einschließt, Heilbehandlungen auch dann abzulehnen, wenn sie medizinisch angezeigt sind (vgl. BVerfG, aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226, 236; jeweils unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG: BVerfGE 128, 282, 304; 129, 269, 280; 133, 112, 131). Selbst bei lebenswichtigenärztlichen Maßnahmen schützt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine Entschließung , die aus medizinischen Gründen unvertretbar erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1984 – VI ZR 174/82, BGHZ 90, 103, 111). Das Grundgesetz garantiert dem Individuum das Recht, in Bezug auf die eigene Person aus medizinischer Sicht Unvernünftiges zu tun und sachlich Gebotenes zu unterlassen (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Jeder einwilligungsfähige Kranke hat es danach in der Hand, eine lebensrettende Behandlung zu untersagen und so über das eigene Leben zu verfügen (vgl. Kutzer, ZRP 2012, 135, 136).
- 30
- (2) Darüber hinausgehend gebietet es die Würde des Menschen, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2003 – XII ZB 2/03, BGHZ 154, 205). Mit der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in § 1901a BGB durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2286) hat der Gesetzgeber die Verbindlichkeit des Willens des Patienten für Behandlungsentscheidungen über den Zeitpunkt des Eintritts seiner Einwilligungsunfähigkeit hinaus klarstellend anerkannt, wobei es auf Art und Stadium der Erkrankung nicht ankommt (§ 1901a Abs. 3 BGB). Dabei ging auch er davon aus, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen „das Recht zur Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen unabhängig von der ärztlichen Indi- kation der Behandlung“ einschließt (BT-Drucks.16/8442, S. 8). Der Bundesge- richtshof hat demgemäß einen Behandlungsabbruch – losgelöst von der Begehungsform – als gerechtfertigt angesehen, wenn er in Ansehung von § 1901a BGB dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191, 199, 203 f.).
- 31
- (3) Weitergehend leitet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 EMRK das Recht einer Person her zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden soll (EGMR, NJW 2011, 3773, 3774; 2013, 2953,2955 f.). Auch wenn im Bereich der Konventionsstaaten derzeit kein Konsens hinsichtlich der Frage der Strafbarkeit eines assistierten Suizids besteht und deshalb den nationalen Gerichten in diesem Zusammenhang ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt ist (EGMR, aaO), kommt der Auslegung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch den EGMR im Rahmen der verfassungs- und konventionskonformen Anwendung der §§ 216, 13 StGB eine Orientierungs- und Leitfunktion zu (vgl. zu den Auswirkungen der Rechtsprechung des EGMR auf die Rechtsanwendung durch die nationalen Gerichte BVerfGE 111, 307, 320; 128, 326, 368 ff.; BVerfG, NJW 2019, 41, 43).
- 32
- (4) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EGMR hat das Bundesverwaltungsgericht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen entnommen, „zu entscheiden wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ Hiermit sei die ausnahmslose Beschränkung des Zugangs zu die schmerzlose und sichere Selbsttötung ermöglichenden Betäubungsmitteln im Falle einer durch seine Krankheit begründeten extremen Notlage des Suizidwilligen unvereinbar (BVerwGE 158, 142, 152; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2019 – 3 C 6/17).
- 33
- (5) Die herrschende Auffassung im Schrifttum entnimmt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Suizidenten einen unterschiedlich weitgehenden „Anspruch, in Ruhe sterben zu können“ (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, 84. EL, Art. 2 Abs. 1 Rn. 205; Müller-Terpitz in Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., § 147 Rn. 101; Roxin, NStZ 2016, 185, 186; Saliger, medstra 2015, 132, 135; Gärditz, ZfL 2017, 38, 41 f.). Deshalb könne ein Arzt oder ein Dritter, der den ernstlichen Wunsch nach Behandlungseinstellung achtet, nicht wegen eines Tötungsdelikts belangt werden (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, aaO).
- 34
- bb) In Anbetracht der solchermaßen im Laufe der rechtlichen Entwicklung gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung des Einzelnen auch bei Entscheidungen über sein eigenes Leben kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, der die Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Da Frau D. ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits freiverantwortlich gebildet und umgesetzt hat und sich keine Hinweise auf eine Änderung ihres Sterbewillens ergeben , brauchte der Angeklagte Maßnahmen zu ihrer Rettung nicht zu ergreifen.
- 35
- c) Dies gilt auch hinsichtlich einer etwaigen Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem Tun, insbesondere dem Verschaffen der Medikamente. Denn Frau D. hat im Anschluss hieran die Tabletten freiverantwortlich selbst eingenommen, so dass das Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten des Angeklagten gegebenenfalls erhöhten Gefahr allein in ihrem Verantwortungsbereich lag (vgl. hierzu sowie zur Garantenstellung aus Ingerenz im Übrigen BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
- 36
- d) Der Senat weicht mit dieser Ansicht nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise von der Entscheidung des 3. Strafsenats vom 4. Juli 1984 (3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 374) ab. Mit der Beendigung der Garantenstellung als Hausarzt und der Vereinbarung einer bloßen Sterbebegleitung unterscheidet sich der vorliegende Fall in tatsächlicher Hinsicht von dem dem Urteil des 3. Strafsenats (aaO) zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem eine abschließende Abrede über Fortbestand und Art des ArztPatienten -Verhältnisses noch nicht getroffen worden war.
- 37
- 4. Das Landgericht hat auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) zutreffend verneint. Entgegen seiner Rechtsansicht stellt die Situation einer Selbsttötung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar auch im Falle ihrer Freiverantwortlichkeit einen Unglücksfall im Sinne von § 323c Abs. 1 StGB dar, der für jedermann in den Grenzen des Erforderlichen und Zumutbaren eine auf die Vornahme von Rettungshandlungen gerichtete Hilfspflicht begründet. Eine dem geäußerten Willen Frau D. s zuwiderlaufenden Hilfeleistung war dem Angeklagten aber nicht zumutbar (vgl. dazu BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
- 38
- 5. Eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a und b i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG sowie § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler abgelehnt (UA S. 18). Mutzbauer Sander Schneider König Köhler
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Annotations
(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Strafgesetzbuch - StGB | § 323c Unterlassene Hilfeleistung; Behinderung von hilfeleistenden Personen
(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.
Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
(1) Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies gilt nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Täter nicht mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte.
(2) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.
(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.
(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.
(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.
(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.
Strafgesetzbuch - StGB | § 323c Unterlassene Hilfeleistung; Behinderung von hilfeleistenden Personen
(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.
(1) Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist. Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Die in Anlagen I und II bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nicht verschrieben, verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden.
(1a) Zur Deckung des nicht aufschiebbaren Betäubungsmittelbedarfs eines ambulant versorgten Palliativpatienten darf der Arzt diesem die hierfür erforderlichen, in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel in Form von Fertigarzneimitteln nur dann überlassen, soweit und solange der Bedarf des Patienten durch eine Verschreibung nicht rechtzeitig gedeckt werden kann; die Höchstüberlassungsmenge darf den Dreitagesbedarf nicht überschreiten. Der Bedarf des Patienten kann durch eine Verschreibung nicht rechtzeitig gedeckt werden, wenn das erforderliche Betäubungsmittel
- 1.
bei einer dienstbereiten Apotheke innerhalb desselben Kreises oder derselben kreisfreien Stadt oder in einander benachbarten Kreisen oder kreisfreien Städten nicht vorrätig ist oder nicht rechtzeitig zur Abgabe bereitsteht oder - 2.
obwohl es in einer Apotheke nach Nummer 1 vorrätig ist oder rechtzeitig zur Abgabe bereitstünde, von dem Patienten oder den Patienten versorgenden Personen nicht rechtzeitig beschafft werden kann, weil - a)
diese Personen den Patienten vor Ort versorgen müssen oder auf Grund ihrer eingeschränkten Leistungsfähigkeit nicht in der Lage sind, das Betäubungsmittel zu beschaffen, oder - b)
der Patient auf Grund der Art und des Ausmaßes seiner Erkrankung dazu nicht selbst in der Lage ist und keine Personen vorhanden sind, die den Patienten versorgen.
- 1.
den Namen des Patienten sowie den Ort, das Datum und die Uhrzeit der Behandlung, - 2.
den Namen der Apotheke und des kontaktierten Apothekers oder der zu seiner Vertretung berechtigten Person, - 3.
die Bezeichnung des angefragten Betäubungsmittels, - 4.
die Angabe der Apotheke, ob das Betäubungsmittel zum Zeitpunkt der Anfrage vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht, - 5.
die Angaben über diejenigen Tatsachen, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 ergibt.
- 1.
das Datum und die Uhrzeit der Anfrage, - 2.
den Namen des Arztes, - 3.
die Bezeichnung des angefragten Betäubungsmittels, - 4.
die Angabe gegenüber dem Arzt, ob das Betäubungsmittel zum Zeitpunkt der Anfrage vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht.
(1b) Abweichend von Absatz 1 dürfen die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel durch Notfallsanitäter im Sinne des Notfallsanitätergesetzes ohne vorherige ärztliche Anordnung im Rahmen einer heilkundlichen Maßnahme verabreicht werden, wenn diese nach standardisierten ärztlichen Vorgaben handeln, ein Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann und die Verabreichung zur Abwendung von Gefahren für die Gesundheit oder zur Beseitigung oder Linderung erheblicher Beschwerden erforderlich ist. Die standardisierten ärztlichen Vorgaben müssen
- 1.
den handelnden Notfallsanitätern in Textform vorliegen, - 2.
Regelungen zu Art und Weise der Verabreichung enthalten und - 3.
Festlegungen darüber treffen, in welchen Fällen das Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann.
(2) Die nach Absatz 1 verschriebenen Betäubungsmittel dürfen nur im Rahmen des Betriebs einer Apotheke und gegen Vorlage der Verschreibung abgegeben werden. Diamorphin darf nur vom pharmazeutischen Unternehmer und nur an anerkannte Einrichtungen nach Absatz 3 Satz 2 Nummer 2a gegen Vorlage der Verschreibung abgegeben werden. Im Rahmen des Betriebs einer tierärztlichen Hausapotheke dürfen nur die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel und nur zur Anwendung bei einem vom Betreiber der Hausapotheke behandelten Tier abgegeben werden.
(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Verschreiben von den in Anlage III bezeichneten Betäubungsmitteln, ihre Abgabe auf Grund einer Verschreibung und das Aufzeichnen ihres Verbleibs und des Bestandes bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, in Apotheken, tierärztlichen Hausapotheken, Krankenhäusern, Tierkliniken, Alten- und Pflegeheimen, Hospizen, Einrichtungen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, Einrichtungen der Rettungsdienste, Einrichtungen, in denen eine Behandlung mit dem Substitutionsmittel Diamorphin stattfindet, und auf Kauffahrteischiffen zu regeln, soweit es zur Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Insbesondere können
- 1.
das Verschreiben auf bestimmte Zubereitungen, Bestimmungszwecke oder Mengen beschränkt, - 2.
das Verschreiben von Substitutionsmitteln für Drogenabhängige von der Erfüllung von Mindestanforderungen an die Qualifikation der verschreibenden Ärzte abhängig gemacht und die Festlegung der Mindestanforderungen den Ärztekammern übertragen, - 2a.
das Verschreiben von Diamorphin nur in Einrichtungen, denen eine Erlaubnis von der zuständigen Landesbehörde erteilt wurde, zugelassen, - 2b.
die Mindestanforderungen an die Ausstattung der Einrichtungen, in denen die Behandlung mit dem Substitutionsmittel Diamorphin stattfindet, festgelegt, - 3.
Meldungen - a)
der verschreibenden Ärzte an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über das Verschreiben eines Substitutionsmittels für einen Patienten in anonymisierter Form, - b)
der Ärztekammern an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über die Ärzte, die die Mindestanforderungen nach Nummer 2 erfüllen und
Mitteilungen - c)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die zuständigen Überwachungsbehörden und an die verschreibenden Ärzte über die Patienten, denen bereits ein anderer Arzt ein Substitutionsmittel verschrieben hat, in anonymisierter Form, - d)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die zuständigen Überwachungsbehörden der Länder über die Ärzte, die die Mindestanforderungen nach Nummer 2 erfüllen, - e)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die obersten Landesgesundheitsbehörden über die Anzahl der Patienten, denen ein Substitutionsmittel verschrieben wurde, die Anzahl der Ärzte, die zum Verschreiben eines Substitutionsmittels berechtigt sind, die Anzahl der Ärzte, die ein Substitutionsmittel verschrieben haben, die verschriebenen Substitutionsmittel und die Art der Verschreibung
sowie Art der Anonymisierung, Form und Inhalt der Meldungen und Mitteilungen vorgeschrieben, - 4.
Form, Inhalt, Anfertigung, Ausgabe, Aufbewahrung und Rückgabe des zu verwendenden amtlichen Formblattes für die Verschreibung, das Verfahren für die Verschreibung in elektronischer Form sowie Form und Inhalt der Aufzeichnungen über den Verbleib und den Bestand der Betäubungsmittel festgelegt und - 5.
Ausnahmen von § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c für die Ausrüstung von Kauffahrteischiffen erlassen werden.
(1) Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes sind die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen.
(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, nach Anhörung von Sachverständigen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III zu ändern oder zu ergänzen, wenn dies
- 1.
nach wissenschaftlicher Erkenntnis wegen der Wirkungsweise eines Stoffes, vor allem im Hinblick auf das Hervorrufen einer Abhängigkeit, - 2.
wegen der Möglichkeit, aus einem Stoff oder unter Verwendung eines Stoffes Betäubungsmittel herstellen zu können, oder - 3.
zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Verkehrs mit Betäubungsmitteln oder anderen Stoffen oder Zubereitungen wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit
(3) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt in dringenden Fällen zur Sicherheit oder zur Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Stoffe und Zubereitungen, die nicht Arzneimittel oder Tierarzneimittel sind, in die Anlagen I bis III aufzunehmen, wenn dies wegen des Ausmaßes der mißbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit erforderlich ist. Eine auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassene Verordnung tritt nach Ablauf eines Jahres außer Kraft.
(4) Das Bundesministerium für Gesundheit (Bundesministerium) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis III oder die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen zu ändern, soweit das auf Grund von Änderungen der Anhänge zu dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Februar 1977 (BGBl. II S. 111) und dem Übereinkommen von 1971 über psychotrope Stoffe (BGBl. 1976 II S. 1477) (Internationale Suchtstoffübereinkommen) oder auf Grund von Änderungen des Anhangs des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (ABl. L 335 vom 11.11.2004, S. 8), der durch die Richtlinie (EU) 2017/2103 (ABl. L 305 vom 21.11.2017, S. 12) geändert worden ist, erforderlich ist.