Bundesgerichtshof Urteil, 28. Juni 2018 - 3 StR 23/18

bei uns veröffentlicht am28.06.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 23/18
vom
28. Juni 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen Raubes mit Todesfolge
ECLI:DE:BGH:2018:280618U3STR23.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Juni 2018, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Gericke als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg, Hoch, Dr. Leplow als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt aus Köln als Verteidiger der Angeklagten R. ,
Rechtsanwalt aus Krefeld als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt R. aus Mönchengladbach als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt aus Essen für die Nebenklägerin,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten R. , C. und S. gegen das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 28. Juli 2017 werden verworfen. 2. Die Angeklagten R. , C. und S. haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die den Angeklagten R. , C. , S. und K. dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Raubes mit Todesfolge zu Jugendstrafen von sieben Jahren und neun Monaten (R. und C. ), sieben Jahren und drei Monaten (K. ) und sechs Jahren und sechs Monaten (S. ) sowie den Mitangeklagten Ra. wegen besonders schweren Raubes zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Revisionen der Angeklagten R. , C. und S. , die sich jeweils auf die allgemeine Sachrüge stützen. Die Angeklagte R. hat zudem mehrere Verfahrensrügen erhoben. Die Staatsanwaltschaft hat zuungunsten der vier Angeklagten R. , C. , S. und K. Revision eingelegt , mit der sie die Verletzung materiellen Rechts geltend macht. Sämtliche Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
2
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Nachdem der Angeklagte K. einen Hinweis erhalten hatte, dass sich im Haus des später Getöteten ein Tresor mit Bargeld in Höhe von 80.000 € befinde, und dies im Freundeskreis besprochen hatte, beschlossen die Angeklagten und der nicht revidierende Mitangeklagte Ra. , jenen in seinem Haus zu überfallen und ihm unter Gewaltanwendung den Tresorschlüssel abzunehmen, um das im Tresor befindliche Geld, aber auch weiteres gegebenenfalls im Haus aufzufindendes Geld oder andere Wertgegenstände zu erlangen. Dabei gingen sie davon aus, dass es sich bei dem 81jährigen später Getöteten um einen älteren Mann handeln würde, der ihnen körperlich nicht mehr gewachsen sei und den sie leicht überwältigen könnten. Sie begaben sich deshalb zu dessen Anwesen. Dort angekommen folgten die Angeklagten C. und S. ihrem Opfer, das gerade mit dem Entladen seines Pkw befasst war, ins Haus, wo sie es dem gemeinsamen Tatplan entsprechend noch im Hausflur übermannten. Während der Angeklagte S. die Rollläden herunterließ , hielt der Angeklagte C. den auf den Boden liegenden später Getöteten im sogenannten Schwitzkasten fest und schlug mit Fäusten auf ihn ein. Zu diesem Zeitpunkt betraten die Angeklagten R. und K. das Haus, während der Mitangeklagte Ra. , dem zwischenzeitlich Bedenken gekommen waren, zum Fahrzeug zurückging, um dort auf die anderen zu warten und die spätere Flucht zu erleichtern. Als die Angeklagten K. und S. bemerkten, dass der später Getötete sich wider Erwarten zur Wehr setzte, schlugen auch sie mit Fäusten auf dessen Kopf und Oberkörper ein, um seine Gegenwehr schnell und effektiv zu brechen. Schließlich gelang es dem Angeklagten C. , ihn bäuchlings auf den Boden zu bringen und sich auf seinen Rücken zu setzen, während er ihn weiterhin im "Schwitzkasten" hielt. Dabei nahm er ihm die Armbanduhr ab.
4
Derweil durchsuchten die Angeklagten R. , K. und S. das Anwesen, wobei S. eine Schachtel Zigaretten einsteckte. Schließlich fanden sie auch den Tresorschlüssel, mit dem sie den Geldschrank öffneten, der aber leer war. Dagegen gelang es ihnen nicht, den Waffenschrank aufzumachen , der einem schmalen Tresor ähnelte und in dem sie Bargeld vermuteten. Deshalb begab sich jedenfalls dieAngeklagte R. zu dem Opfer zurück, auf das sie und der Angeklagte C. - wie auch die anderen erkannten - mit nun verstärkter Gewalt, der Angeklagte C. mittels Schlägen und Tritten, die Angeklagte R. auch mit einem Elektroschockgerät, das sie gegen Kopf und Hals des später Getöteten führte, einwirkten, um mit dessen Hilfe doch noch an das in Aussicht genommene Bargeld zu gelangen. Schließlich zog der Angeklagte C. den Kopf seines nach wie vor auf dem Bauch liegenden, inzwischen schwer verletzten und heftig blutenden Opfers, dessen Hals er weiterhin mit der Armbeuge umfasst hielt, nach hinten, so dass der 6. Halswirbel brach und die Luftzufuhr unterbrochen wurde, was zu dessen Tod führte. Allen vier Angeklagten war die Möglichkeit bewusst, dass das betagte Opfer durch die angewandte Gewalt versterben könnte. Dennoch billigten sie die gegenüber dem ursprünglichen Plan erhöhte Gewalteinwirkung im Hinblick auf die in Aussicht genommene Beute. Dagegen konnte nicht festgestellt werden, dass sie den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen hätten. Als dieser gleichwohl eintrat, verließen sie überstürzt das Haus. Das Landgericht ist zugunsten der Angeklagten davon ausgegangen, dass der Getötete zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben war.

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II. Die Revision der Staatsanwaltschaft
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Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg. Insbesondere hat das Landgericht aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung einen bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten verneint.
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1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor Annahme eines bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissensals auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind. Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Vorsatzes nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen ; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt daher allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze ver- stößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre (BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242, 243). Dieselben Grundsätze gelten für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem , wie er sie im Einzelfall bewertet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen (vgl. zu alledem BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76 f. mwN).
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2. Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Strafkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze. Das Landgericht hat in seine Überlegungen eingestellt, dass die Angeklagten mit massiver Gewalt auf das ältere, wenn auch entgegen den Erwartungen nicht gebrechliche Opfer einwirkten, weshalb ihnen dessen mögliches Versterben bewusst gewesen sei. Selbst wenn dieser "immensen" Gewalteinwirkung Indizwirkung auch für die Billigung des tödlichen Erfolgs zukomme, lasse sich gleichwohl bei keinem der Angeklagten feststellen, dass er den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen hätte. Hiergegen spreche bereits das Motiv für die - nach dem Öffnen des Tresors und der Feststellung , dass dieser leer war - verstärkte und letztlich tödlich wirkende Gewaltanwendung. Denn die Täter hätten die Gewalttätigkeiten deshalb gesteigert, weil sie allein hierin eine Möglichkeit gesehen hätten, mit Hilfe des später Getöteten doch noch an das in der Wohnung vermutete Bargeld zu gelangen. Außerdem spreche das überstürzte Verlassen des Tatorts nach der Feststellung der Leblosigkeit des am Boden liegenden Opfers gegen eine Billigung des tödlichen Erfolgs. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang rechtsfehlerfrei festgestellt , dass der Getötete zum Fluchtzeitpunkt jedenfalls aus Sicht eines medizinischen Laien verstorben war. Die unmittelbar einsetzende Flucht der Angeklagten , die mehrere im Hause befindliche Bargeldbeträge - etwa in der auf dem Küchentisch liegenden Geldbörse - zurückließen und sich gegen eine mögliche Beobachtung durch Nachbarn oder Passanten nicht absicherten, erkläre sich damit, dass die Angeklagten über ein Geschehen erschrocken seien, das sie keinesfalls gewollt hätten.
9
Die Strafkammer hat somit bedacht, dass es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen naheliegt, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen, und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Urteil vom 19. April 2016 - 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204). Sie hat dennoch das Willenselement des Vorsatzes mit nachvollziehender Begründung verneint. Die von der Strafkammer gezogenen Schlüsse sind möglich. Soweit die Revision geltend gemacht hat, das Landgericht hätte erwägen müssen, ob nicht etwa der Versuch, doch noch das Bargeld zu erlangen, sondern Verärgerung über den Geschädigten Grund für die verstärkte Gewalteinwirkung waren, erweist sich die Würdigung der Beweise und Indizien nicht als lückenhaft. Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Motive für den gesteigerten Einsatz der gegen das Opfer ausgeübten Gewalt nach Öffnen des Tresors nicht unmittelbar auf die Einlassungen der Angeklagten, die sich hierzu nicht geäußert haben, stützen können. Es hat aber - wie eine Gesamtschau der Urteilsgründe ergibt - unter Berücksichtigung der zeitlichen Abfolge, wonach jedenfalls die Angeklagte R. nach der Feststellung, dass der Tresor leer und der einem Tresor ähnelnde Waffenschrank nicht zu öffnen war, zu dem später Getöteten zurück- ging und zusammen mit dem Angeklagten C. mit verstärkter Gewalt auf jenen einwirkte, sowie mit der Überlegung, dass in dieser Situation ausschließlich mit dessen Hilfe noch die im Haus vermutete Bargeldsumme erlangt werde konnte, den Schluss gezogen, dass mit der gesteigerten Gewalteinwirkung die Mithilfe des Opfers erzwungen werden sollte. Dieser Schluss ist möglich und nicht fernliegend. Andere Motive für die Erhöhung des Gewalteinsatzes mögen denkbar sein. Sie lagen indes nicht in einem Maße nahe, dass ihre Nichterörterung durch das Landgericht eine Lücke in der Beweiswürdigung darstellte. Welches Gewicht das Tatgericht diesem Beweisanzeichen für das voluntative Vorsatzelement zugewiesen hat, entzieht sich revisionsgerichtlicher Überprüfung. Auch soweit der Generalbundesanwalt darauf verwiesen hat, das Zurücklassen einiger im Haus befindlicher Bargeldbeträge deute nicht unbedingt auf eine überstürzte Flucht aus Erschütterung über das tödliche Geschehen hin, da nicht festgestellt sei, dass die Angeklagten diese Beträge überhaupt bemerkt hätten, hat er ebenfalls keinen sachlich-rechtlichen Mangel aufgezeigt, da letztendlich das eilige Verlassen des Hauses die Angeklagten auch daran gehindert haben kann, von der Suche nach weiteren Bargeldbeträgen abzusehen.
10
Da das Landgericht fehlerfrei festgestellt hat, dass der Getötete zum Zeitpunkt des Verlassens des Anwesens durch die Angeklagten bereits verstorben war bzw. diese ihn für tot hielten, erübrigten sich auch Erörterungen dazu, ob ein Tötungsdelikt darin gesehen werden könnte, dass die Angeklagten ihr Opfer ohne Hilfe zurückließen.
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III. Die Revisionen der Angeklagten
12
Die Rechtsmittel der Angeklagten haben ebenfalls keinen Erfolg.
13
1. Die durch die allgemeinen Sachrügen veranlasste Überprüfung des Urteils hat auch zum Nachteil der Angeklagten keine sachlich-rechtlichen Mängel ergeben. Insbesondere hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die Angeklagten mit ihrer Tat den Tod des betagten Opfers leichtfertig verursacht haben. Die Rechtsmittel erweisen sich mithin insoweit als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
14
2. Auch die Verfahrensrügen der Angeklagten R. verhelfen ihrer Revision nicht zum Erfolg.
15
a) Die Rügen, die Jugendkammer sei fehlerhaft besetzt gewesen und ein Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit der gesamten Jugendkammer sei rechtsfehlerhaft als unzulässig zurückgewiesen worden, sind aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen bereits unzulässig, wären aber auch unbegründet.
16
b) Auch die Rüge, das Urteil beruhe auf den unter Verstoß gegen § 136a StPO gewonnenen Einlassungen der Angeklagten gegenüber der Polizei, erweist sich als teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
17
aa) Soweit das Rügevorbringen auch ergeben sollte, dass nach Auffassung der Verteidigung die Revisionsführerin im Rahmen der polizeilichen Vernehmung nur unzureichend belehrt und ihre Verteidigung durch einen Rechtsanwalt behindert worden sei, ist eine Beanstandung, mit der die Unverwertbarkeit der Angaben der Angeklagten und der Mitangeklagten Ra. und S. wegen dieser Mängel geltend gemacht würde, nicht erhoben. Die Stoßrichtung der Verfahrensrüge geht allein dahin, dass bei der Festnahme der Angeklagten der Richtervorbehalt bewusst umgangen worden bzw. die Vorführung der Festgenommenen vor den Ermittlungsrichter nicht rechtzeitig gewesen sei. Deshalb habe die Vernehmung der Beschuldigten in einer den in § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO genannten Umständen vergleichbaren Zwangslage stattgefunden und die Einlassungen hätten in Anlehnung an § 136a Abs. 3 StPO bei der Urteilsfindung nicht verwertet werden dürfen.
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bb) Im Hinblick auf diese letztgenannte Rüge ist auf der Grundlage des Revisionsvorbringens, das durch die Urteilsgründe ergänzt werden kann, die der Senat im Rahmen der gleichzeitig erhobenen Sachrüge zur Kenntnis nehmen darf, von folgenden Verfahrenstatsachen auszugehen:
19
Am Morgen des 28. Januar 2015 fanden bei allen Angeklagten, dem nicht revidierenden Mitangeklagten sowie zwei weiteren Beschuldigten Hausdurchsuchungen statt, die durch am Vortag erlassene richterliche Durchsuchungsbeschlüsse angeordnet worden waren. Die Angeklagten und die weiteren Beschuldigten, die Mütter der Angeklagten R. und K. , wurden "in der Folge" vorläufig festgenommen und nach den entsprechenden Belehrungen nach § 136 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO vernommen, wobei sie sich zur Sache einließen. Danach wurden die Vernehmungsprotokolle dem Ermittlungsleiter übergeben und ihr Inhalt in einer Teamsitzung von den ermittelnden Polizeibeamten besprochen, die am Folgetag Nachvernehmungen unter Vorhalt der Angaben der Mitbeschuldigten durchführten. Danach wurden die Angeklagten noch in der Frist des § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO am 29. Januar 2015 dem Haftrichter vorgeführt, der auf Antrag der Staatsanwaltschaft die entsprechenden Haftbefehle erließ. Die Mütter der Angeklagten R. und K. waren bereits nach ihren Vernehmungen am 28. Januar 2015 wieder entlassen worden.
20
Die Revision wertet dieses Vorgehen der Ermittlungsbehörden in zweifacher Hinsicht als eine bewusste Umgehung des Richtervorbehalts in Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 MRK: Zum einen habe spätestens bei Erlass der Durchsuchungsbeschlüsse nicht nur der hierfür erforderliche einfache , sondern ebenso ein dringender Tatverdacht vorgelegen, so dass bereits vor der Durchsuchungsaktion und den ihr folgenden Festnahmen Haftbefehle hätten eingeholt werden können. Deshalb sei für die in ermittlungsbehördlicher Eilkompetenz durchgeführte Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO kein Raum gewesen. Zum anderen hätte die Polizei die Angeklagten nach der Festnahme nicht vernehmen dürfen, sondern zunächst unverzüglich dem Haftrichter vorführen müssen (§ 128 Abs. 1 Satz 1 StPO).
21
cc) Mit diesem Vorbringen dringt die Revision nicht durch.
22
(1) Soweit die Revision eine Verletzung des Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen darin sieht, dass die Ermittlungsbehörden trotz eines bereits im Vorfeld der Festnahmen gegebenen dringenden Tatverdachts keine richterlichen Haftbefehle eingeholt, sondern die Beschuldigten aufgrund ihrer nach § 127 Abs. 2 StPO gegebenen Eilkompetenz vorläufig festgenommen hätten, ist die Verfahrensrüge unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dem Revisionsvorbringen kann nämlich - auch unter Einbeziehung der im Urteil mitgeteilten Verfahrenstatsachen - nicht entnommen werden, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls bereits vor der Durchsuchung und den anschließenden Vernehmungen vorgelegen haben. Insbesondere versäumt es die Revision die Tatsachen vorzutragen, die den Ermittlungsbehörden schon vor Beginn der Durchsuchungsaktion Anhaltspunkte für den dringenden Tatverdacht hätten liefern können. Allein dass die Durchsuchungen am Morgen des 28. Januar 2015 nach mehrmonatigen Ermittlungen sorgfältig vorbereitetet worden waren und aus der Sicht des Ermittlungsrichters gegen sämtliche sieben Beschuldigte ein die Anordnung der Hausdurchsuchung rechtfertigender einfacher Tatverdacht vorgelegen hat, genügt für die Annahme, dass auch bereits ein dringender, den Erlass von Haftbefehlen erlaubender Tatverdacht gegeben gewesen ist, nicht. Auch den Urteilsgründen ist nur zu entnehmen, dass die Ermittlungsbehörden zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsbeschlüsse von einem aus den fünf Angeklagten und den Müttern der Angeklagten R. und K. bestehenden Täterkreis ausgingen, aber über keine Kenntnisse von den Vorgängen im Haus des später Getöteten und über die Rollenverteilung der Täter verfügten. Zudem war den Ermittlungsbehörden zum Zeitpunkt der Durchsuchung zwar bekannt, dass einer der fünf bzw. sieben Beschuldigten nicht im Haus des Getöteten gewesen war und deshalb möglicherweise als Mittäter an der Raubtat und dem Tötungsdelikt ausschied. Welcher Beschuldigte das Anwesen nicht betreten hatte und ob diesem gleichwohl eine den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigende Beteiligung an der Tat vorzuwerfen war, war vor den Einlassungen der Beschuldigten allerdings offen. Gegen das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts bereits am Vortag der Durchsuchungen spricht vielmehr, dass in den späteren Haftbefehlsanträgen dieser insbesondere auf das Ergebnis der polizeilichen Vernehmungen gestützt worden ist.
23
Zwar setzt auch eine Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO voraus, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls und damit ein dringender Tatverdacht vorliegen. Das Revisionsvorbringen verhält sich aber nicht dazu, ob die Angeklagten und die übrigen Beschuldigten gleich zu Beginn der Durchsuchungen oder aber später aufgrund gegebenenfalls neu gewonnener Erkenntnisse vorläufig festgenommen worden sind ("in der Folge").
24
Da insoweit eine zulässige Verfahrensrüge nicht vorliegt, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die Festnahme auf der Grundlage eines bereits erlassenen Haftbefehls und damit das Verfahren nach § 115 StPO im Hinblick auf Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 MRK Vorrang vor der ermittlungsbehördlichen Eilkompetenz nach § 127 Abs. 2 StPO hat (LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 127 Rn. 36; vgl. insoweit auch BGH, Urteil vom 17. November 1989 - 2 StR 418/89, NJW 1990, 1188 f.).
25
(2) Soweit nach Auffassung der Revision ein ein Verwertungsverbot begründender Verfahrensverstoß darin zu sehen sei, dass die Angeklagten nach ihrer vorläufigen Festnahme vor der Vorführung vor den Ermittlungsrichter zunächst polizeilich mehrfach vernommen worden sind, ist die Rüge unbegründet. Zwar verlangen § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO, Art. 104 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG, dass der Beschuldigte "unverzüglich" dem Richter vorgeführt wird. Dass dies spätestens am nächsten Tag, d.h. bis zum Ende des auf die Festnahme folgenden Tages, geschehen muss, ändert am Erfordernis der Unverzüglichkeit nichts (BVerfG, Beschluss vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, juris Rn. 19 ff. mwN). Doch darf die Vorführung nach vorläufiger Festnahme durch die Ermittlungsbehörden hinausgeschoben werden, soweit dies sachdienlich erscheint (vgl. KK-Schultheis, StPO, 7. Aufl., § 128 Rn. 5). Denn anders als bei der Festnahme auf der Grundlage eines bereits vorliegenden Haftbefehls, bei dem die Ermittlungsbeamten - mitunter ohne nähere Sachverhaltskenntnis und Entscheidungsbefugnis - den richterlichen Beschluss lediglich vollziehen und deshalb den Festgenommenen "unverzüglich" dem Richter vorzuführen haben (§ 115 Abs. 1 StPO; vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 1995 - 5 StR 547/94, StV 1995, 283; vom 20. Oktober 2014 - 5 StR 176/14, BGHSt 60, 38, 43), war der Richter bei der vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO mit der Sache noch nicht befasst. In diesen Fällen verbleibt den Ermittlungsbehörden ein gewisser zeitlicher Spielraum, in dem sie vor einer möglichen Vorführung des Beschuldigten vor den Richter weitere Ermittlungsbefugnisse und -pflichten haben. Denn die mit der Aufklärung des Sachverhalts be- traute festnehmende Behörde hat zunächst - je nach Sachlage unter Vornahme weiterer Ermittlungen - zu entscheiden, ob die vorläufig festgenommene Person wieder freizulassen oder tatsächlich dem Ermittlungsrichter vorzuführen ist; im letzteren Fall muss sie dem Richter eine möglichst umfassende Grundlage für seine Entscheidung unterbreiten. Es wird deshalb in vielen Fällen sachgerecht sein, den Beschuldigten, der - wie vorliegend - nach ordnungsgemäßer Belehrung zu einer Einlassung bereit ist, nach Erklärung der vorläufigen Festnahme (weiterhin) zu vernehmen, um dann darüber zu befinden, ob ein Haftbefehl zu beantragen ist und welche Umstände, die dessen Erlass begründen können, dem Richter darzulegen sind. Damit wird dem Beschuldigten gleichzeitig ermöglicht , die Verdachtslage in seinem Sinne zu beeinflussen und etwaige Haftgründe zu entkräften, so dass gegebenenfalls auf die Stellung eines Haftbefehlsantrags sogar verzichtet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1989 - 2 StR 418/89, NJW 1990, 1188). Dass diese Grundsätze vorliegend befolgt wurden, zeigt insbesondere der Umstand, dass die ehemaligen Mitbeschuldigten , die Mütter der Angeklagten R. und K. , nach ihren Vernehmungen entlassen wurden.
26
Da das Vorgehen der Ermittlungsbehörden vorliegend somit im Hinblick auf den Richtervorbehalt nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 MRK, § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO keiner Beanstandung unterliegt, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen das Gebot der "Unverzüglichkeit" der Vorführung überhaupt ein Verwertungsverbot nach sich zieht (zu § 115 StPO vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 1995 - 5 StR 547/94, StV 1995, 283).
Gericke Spaniol Berg Hoch Leplow

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als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. November 2012 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die der Generalbundesanwalt vertritt, rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet im Einzelnen die Ablehnung des (bedingten) Tötungsvorsatzes der Angeklagten durch das Landgericht. Das Rechtsmittel ist unbegründet; die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachbeschwerde ergibt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten oder zulasten (§ 301 StPO) der Angeklagten.

I.

2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Am Morgen des 17. September 2011 kam es in der Nähe einer Diskothek in A. zunächst zu einem verbalen Konflikt zwischen einer Gruppe um die - erheblich alkoholisierten und in ihrer Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB erheblich verminderten - Angeklagten und dem Geschädigten S.. Dieser begab sich danach zum Eingangsbereich der Diskothek und setzte sich auf die dortigen Stufen. Nachdem die Angeklagten und zwei ihrer Begleiter ein Taxi bestiegen hatten und aus diesem Fahrzeug heraus beim Vorbeifahren an dem Geschädigten und dessen Bekannten K. ein sogenannter "Stinkefinger" gezeigt worden war, stand K. auf, folgte dem Taxi und schlug gegen die Scheibe, um die Insassen zu einer Klärung aufzufordern. Die Insassen des Taxis stiegen aus. Einer von ihnen, der Zeuge Sch. , begab sich sogleich zum Zeugen K. , worauf sich zwischen diesen beiden eine verbale Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen ergab. Der Geschädigte ging in die Richtung der Streitenden, um K. aus der Auseinandersetzung herauszuholen. Daraufhin kam es zwischen dem Angeklagten D. und dem Geschädigten ebenfalls zu Beleidigungen und zu einem Gerangel. Schließlich versetzte der Angeklagte D. dem Geschädigten zwei bis drei gezielte heftige Faustschläge in das Gesicht, wodurch dieser zu Boden ging. Der Angeklagte D. beugte sich sodann herunter und schlug jedenfalls ein weiteres Mal mit der Faust auf den Oberkörper oder in das Gesicht des Geschädigten, wobei dieser versuchte, sich durch seine Hände und Arme vor der Wucht der Schläge zu schützen. Der Angeklagte G. , der sich bis dahin irgendwo im Umfeld des Geschehens aufgehalten hatte, ohne selbst einzugreifen, kam hinzu, als der Geschädigte bereits am Boden lag, um mit seinem Freund D. gemeinsam auf den Geschädigten einzuwirken. Der Angeklagte G. trat aus dem Lauf heraus mit der Innenseite seines mit Straßenturnschuhen beschuhten linken Fußes wuchtig gegen den Kopf des Geschädigten. In schneller Abfolge folgten von diesem Angeklagten ausgeführte vier bis fünf weitere Tritte in das Gesicht des am Boden Liegenden. Der Angeklagte D. , der leichte Straßenturnschuhe trug, nahm dies wahr, billigte das Vorgehen seines Freundes G. und trat nunmehr ebenfalls zwei- bis dreimal heftig auf das sich nicht mehr wehrende Opfer ein. Die Tritte gingen jedenfalls auch gezielt auf den Kopf des Opfers. Sie waren wuchtig und potentiell lebensbedrohlich, ohne dass es allerdings zu einer konkreten Lebensgefahr kam. Schließlich ließ der Angeklagte D. von dem Geschädigten ab und lief, sich die Jacke über den Kopf ziehend, in Richtung einer nahegelegenen Tankstelle davon. Der Angeklagte G. führte noch einen Tritt aus und flüchtete dann, sich seine Jacke ebenfalls über den Kopf ziehend, unmittelbar hinter dem Angeklagten D. her. Bei der Tankstelle blieben sie gut sichtbar stehen.
4
Infolge der Gewalteinwirkung durch die Angeklagten erlitt der Geschädigte im Wesentlichen eine Fraktur des Orbitabogens links, eine Kieferhöhlenfraktur links sowie eine Nasenbeinfraktur. Er verlor insgesamt drei Zähne. Im Bereich des linken Auges bis hinunter zum Jochbogen hatte er ein sogenanntes Monokelhämatom. Der Geschädigte verbrachte einen Tag im Krankenhaus; er litt auch danach noch in erheblichen Umfang und längere Zeit an den psychischen Folgen der Tat, die auch zum Verlust seines Arbeitsplatzes führten.
5
2. Den Schuldspruch hat das Landgericht auf § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB gestützt. Die Angeklagten hätten jedenfalls billigend in Kauf genommen, mit ihren wuchtigen Tritten gegen den Kopf des Geschädigten er- hebliche Körperverletzungen hervorzurufen. Demgegenüber hat das Landgericht nicht sicher feststellen können, "dass der vor Beginn der Tathandlung gefasste Entschluss einen Tötungsvorsatz enthielt" oder die Angeklagten "im Verlauf der Geschehnisse einen Tötungsvorsatz fassten". Die Jugendkammer hat daher den Tatbestand des versuchten Totschlags nicht festzustellen vermocht. Dies hat das Landgericht ausführlich und im Einzelnen begründet. Dabei hat es sich davon überzeugt, dass das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes bei den Angeklagten gegeben war, aber unter Abwägung der festgestellten Gesamtumstände das Vorliegen des Willenselementes des bedingten Tötungsvorsatzes bei beiden Angeklagten nicht ohne vernünftige Zweifel festzustellen vermocht.

II.

6
Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Beweiswürdigung , auf welcher die Überzeugung der Jugendkammer beruht, ein auch nur bedingter Tötungsvorsatz sei nicht zweifelsfrei festzustellen, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
7
1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor Annahme eines bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens - als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind. Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Vorsatzes nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt daher allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen , wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre.
8
Gleichermaßen allein Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen. Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich gewesen sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Umstandes, die einer Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung widerspräche.
9
Dieselben Grundsätze gelten für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. zu alledem BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76 f. mwN).
10
Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten.
11
2. Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Jugendkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze. Die Beschwerdeführerin beanstandet die Beweiswürdigung weitgehend mit eigenen Wertungen; damit kann die Revision regelmäßig nicht erfolgreich begründet werden. Im Einzelnen:
12
Das Landgericht ist bei seiner Würdigung der Feststellungen und Beweisanzeichen von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Jugendkammer habe den Indizwert der Tritte gegen den Kopf des Geschädigten und das äußere Tatgeschehen für das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes zu gering bewertet, zeigt sie einen Rechtsfehler nicht auf. Die Gewichtung der objektiven Tatumstände und die Bewertung ihrer Bedeutung für den subjektiven Tatbestand sind allein dem Tatrichter vorbehalten. Dies gilt auch bei Tritten des Täters gegen den Kopf des Opfers, die nicht stets und gleichsam automatisch den Schluss auf das Vorliegen eines (bedingten) Tötungsvorsatzes begründen. Auch die Einordnung und Würdigung der - ambivalenten - Beweisanzeichen einer erheblichen Alkoholisierung und eines spontanen Handelns in affektiver Erregung obliegen dem Tatrichter (BGH, aaO, juris Rn. 16). Zudem ist anerkannt, dass insbesondere bei spontanen , unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten darauf geschlossen werden kann, dass das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338 mwN). Ebenso dem Tatrichter vorbehalten ist die Entscheidung, welcher Stellenwert dem Nachtatverhalten des Täters im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung beizumessen ist. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten nach der Tat, das nach den Feststellungen nicht nur von einer Flucht unter Verbergen des Gesichts, sondern auch durch ein sichtbares Verbleiben in der Nähe des Tatortes gekennzeichnet war, unter Heranziehung aller insoweit maßgeblichen Gesichtspunkte rechtsfehlerfrei gewürdigt. Der Senat kann mit Blick auf die Urteilsgründe ausschließen, dass die Jugendkammer bei der Bewertung der Verletzungen des Geschädigten die von ihr festgestellten Gesichtsschädelfrakturen außer Acht gelassen hat. Die Würdigung des Landgerichts, es könne trotz der Heftigkeit der Tritte nicht ausgeschlossen werden, dass die - fußballerisch erfahrenen - Angeklagten nicht mit der ihnen möglichen vollen Wucht auf den Kopf des Opfers eintraten, stellt angesichts der hierfür herangezogenen Umstände eine mögliche Schlussfolgerung dar; diese ist - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - nach Maßgabe der dargelegten Grundsätze revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
13
Auch im Übrigen hat die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben.
Schäfer Pfister Hubert Mayer Gericke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 140/12
vom
20. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20. September 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 29. September 2011 werden verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch und durch das Rechtsmittel des Nebenklägers entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Der Nebenkläger trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren durch die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen jedoch die Staatskasse und der Nebenkläger je zur Hälfte. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger stützen ihre zu Unguns- ten des Angeklagten eingelegten Revisionen auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts; der Nebenkläger beanstandet zudem das Verfahren. Beide erstreben eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen tateinheitlich hinzutretenden versuchten Totschlags. Der Nebenkläger ist außerdem der Meinung, dass das Landgericht den Angeklagten nicht der gefährlichen, sondern der schweren Körperverletzung hätte schuldig sprechen müssen. Sämtliche Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
2
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der sich unwohl fühlende Angeklagte nahm am Morgen des 20. Mai 2011 zwei Tabletten zu je 10 mg Diazepam ein. Um die Mittagszeit ging er zum Angeln. Nach seiner Rückkehr gegen 16.30 Uhr nahm er nochmals ein bis zwei dieser Tabletten zu sich und begab sich kurz darauf in eine Gaststätte, wo er Bier in nicht mehr feststellbarer Menge trank. Von dort ließ er sich zwischen 22.00 und 23.00 Uhr in bereits angetrunkenem Zustand mit dem Taxi zu einem Vereinslokal bringen. Das mittags eingesteckte Anglermesser, ein Klappmesser mit 7 cm langer Klinge, befand sich noch in seiner Hosentasche.
4
In dem Vereinslokal traf der Angeklagte auf den ihm flüchtig bekannten Nebenkläger. Dessen Cousin unterhielt, wie der Angeklagte wusste, eine Beziehung zu einer Frau C. , mit der sich der Angeklagte in seiner frühen Jugendzeit mehrfach getroffen hatte. Der Angeklagte trank Bier und Korn und unterhielt sich dabei über längere Zeit hinweg in freundschaftlicher Weise mit dem Nebenkläger. Auf wiederholte Versuche des Angeklagten, das Gespräch auf den Cousin und Frau C. zu lenken, reagierte der Nebenkläger indes abweisend. Hierdurch geriet der Angeklagte zunehmend "in Rage". Eine sich deswegen entwickelnde verbale Auseinandersetzung konnte ein anderer Gast durch beruhigendes Einwirken auf den Angeklagten zunächst beenden. Anschließend sprachen der Angeklagte und der Nebenkläger wiederum gemeinsam , zeitweise Arm in Arm an der Theke stehend, dem Alkohol zu.
5
Gegen 2.00 Uhr flammte der Streit zwischen dem mittlerweile stark betrunkenen Angeklagten und dem Nebenkläger jedoch erneut auf. Der Nebenkläger wandte sich schließlich ab und ging zur Toilette. Als er den Gastraum wieder betrat, schnitt ihm der Angeklagte unvermittelt mit dem Anglermesser in die rechte Gesichtshälfte. Der Nebenkläger empfand dies wie einen Schlag, fiel zu Boden und versuchte wegzukrabbeln. Der Angeklagte folgte ihm und stach, ohne ein Wort zu äußern, über ihm stehend insgesamt dreizehn Mal wahllos im Bereich des Gesichts, der Schulter, des Rückens und des Gesäßes auf ihn ein. Anschließend lief er weg, ohne sich um den am Boden liegenden Verletzten zu kümmern. Ein Stich unterhalb des linken Schulterblatts drang mindestens 2,6 cm tief ein, eröffnete den Brustkorb, verletzte die Lunge und rief einen TeilPneumothorax hervor, der indes erfolgreich notfallmedizinisch behandelt werden konnte. Akute Lebensgefahr bestand nicht. Die weiteren Stiche, deren Tiefe das Landgericht nicht hat feststellen können, waren demgegenüber auch potentiell nicht lebensbedrohlich. Dem Nebenkläger verblieben vierzehn Narben im Rückenbereich, zwei davon aufgrund der bei der Notfallbehandlung angelegten Drainage, eine deutlich sichtbare 3 cm lange und ca. 0,5 cm breite Narbe an der rechten Wange sowie eine weitere von der Wange zum Halsbereich hinabführende Narbe im Gesicht.
6
Infolge des genossenen Alkohols und der eingenommenen Medikamente war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit erheblich eingeschränkt. Gleichwohl erkannte der Angeklagte, dass die Messerstiche gegen den Nebenkläger allgemein geeignet waren, dessen Leben zu gefährden, da sie Körperhöhlen eröffnen, lebenswichtige innere Organe verletzen oder Arterien perforieren konnten.
7
2. Demgegenüber hat sich das Landgericht nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte bei seinem Handeln mit tödlichen Verletzungen des Nebenklägers wenigstens rechnete und solche billigend in Kauf nahm. Seine Zweifel hieran gründet es auf die nachfolgenden Erwägungen:
8
Zwar sei es zunächst ein deutliches, für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz sprechendes Beweisanzeichen, dass der Angeklagte dem Nebenkläger insgesamt vierzehn, überwiegend gegen den Rumpfbereich gerichtete Messerstiche beigebracht habe, denn damit habe er Gewalthandlungen verübt, deren Lebensbedrohlichkeit allgemein bekannt sei. Insgesamt zeige der äußere Geschehensablauf jedoch auch Umstände auf, die gegen einen Tötungsvorsatz des Angeklagten sprächen. Diese seien mit in Bedacht zu nehmen, denn die Entscheidung über die innere Tatseite könne nicht allein anhand der Gefährlichkeit der Tathandlung getroffen werden, sondern erfordere eine umfassende Würdigung des gesamten objektiven und subjektiven Tatbildes.
9
Eingeleitet habe der Angeklagte den Angriff mit einem Schnitt in die Wange des Nebenklägers, der für sich schon nicht als eine lebensbedrohliche Gewalthandlung angesehen werden könne. Von einem Einsatz des Messers gegen den Oberkörper des Nebenklägers habe er, obwohl möglich, abgesehen. Dies belege, dass es dem Angeklagten jedenfalls zunächst nur darum gegangen sei, dem Nebenkläger eine äußerlich sichtbare Verletzung beizubringen. Es sei aber auch nicht erweislich, dass der Angeklagte, als er anschließend auf den Körper des am Boden befindlichen Nebenklägers eingestochen habe, ent- gegen seiner ursprünglichen Willensrichtung nunmehr mit tödlichen Verletzungen des Nebenklägers gerechnet und solche billigend in Kauf genommen habe. Gegen einen solchen Vorsatzwechsel spreche einmal, dass die Stiche insgesamt unkoordiniert geblieben seien und sich auch gegen Körperteile gerichtet hätten, bei denen lebensbedrohliche Verletzungen nicht zu erwarten gewesen seien. Weiter habe die Länge der Messerklinge lediglich 7 cm betragen; nach deren Beschaffenheit sei auch die Einstichbreite verhältnismäßig gering geblieben. Zudem habe sich der Angeklagte einer bei einer Körpergröße von 1,76 m und einem Gewicht von 125 kg stark fettleibigen Person gegenüber gesehen, bei der vermehrt schützendes Fettgewebe zu erwarten gewesen sei. Schließlich sei, was den Stich in den Brustkorb betreffe, lediglich eine Tiefe von 2,6 cm sicher nachzuweisen; zugunsten des Angeklagten müsse davon ausgegangen werden, dass auch die anderen Stiche nicht tiefer reichten. Zumindest nicht für einen Tötungsvorsatz spreche, dass der Angeklagte die Tat ohne Sicherungstendenzen begangen, sich in einer alkoholenthemmten Atmosphäre spontan und ohne vorherige Planung zur Tat entschlossen und nicht über einen einsichtigen Beweggrund für die Tötung eines Menschen verfügt habe.
10
Die Einlassung des Angeklagten bleibe unergiebig, denn dieser habe lediglich erklärt, sich an das Tatgeschehen nicht erinnern zu können. Ebenso wenig seien tatbegleitende Äußerungen des Angeklagten festzustellen, die einen Schluss auf seine Willensrichtung erlaubt hätten.
11
II. Revision der Staatsanwaltschaft
12
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet, denn die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge deckt keine Rechtsfehler zugunsten oder zulasten (§ 301 StPO) des Angeklagten auf. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin begegnet die Beweiswürdigung, auf welcher die Überzeugung der Strafkammer gründet, es sei lediglich ein Körperverletzungs -, nicht aber ein auch nur bedingter Tötungsvorsatz festzustellen, keinen rechtlichen Bedenken.
13
1. a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt , weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement , umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind (BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372).
14
b) Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. April 2012 - 4 StR 599/11 mwN).
15
c) Gleichermaßen Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens - als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443) und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet (BGH, Urteile vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ- RR 2010, 144; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge vielmehr eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Indizes, die einer unzulässigen Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) widerspräche.
16
d) Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten. Dies gilt auch für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet , rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. So kann eine Alkoholbeeinflussung des Täters von Rechts wegen den Schluss auf eine verminderte Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen oder auf fehlendes Bewusstsein von Umständen, die gegen einen tödlichen Ausgang des Geschehens sprechen, ebenso tragen wie umgekehrt den Schluss auf ein unüberlegtes Handeln, bei dem sich der Täter nahe liegender tödlicher Folgen nicht bewusst wird. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, den- selben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326).
17
2. Daran gemessen ist gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts nichts zu erinnern. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Strafkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze.
18
Das Landgericht hat zunächst eine objektiv gefährliche Gewalthandlung des Angeklagten festgestellt und darin ein deutliches Indiz sowohl für das Wissens - als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes gesehen. Gleichwohl hat es sich im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aller Tatumstände vom Vorliegen des - wie sich aus den Urteilsgründen hinreichend erschließt - erforderlichen Willenselementes nicht überzeugen können. Seine Zweifel hat es nicht nur auf die Beschaffenheit des verwendeten Messers gegründet , sondern auch darauf, dass der den Stichen gegen den Rumpf des Nebenklägers unmittelbar vorausgegangene Stich in die Wange offensichtlich nur von Verletzungsvorsatz getragen war, dass der Angeklagte die weiteren Stiche eher ungezielt führte, dass der Nebenkläger erkennbar über schützendes Fettgewebe verfügte und dass die nachweisbare Stichtiefe im Verhältnis zur Klingenlänge eher gering blieb, was ohne weiteres gegen wuchtig geführte Stiche spricht. Schließlich hat das Landgericht auch geprüft, ob die Motivlage, tatbegleitende Äußerungen oder Sicherungsmaßnahmen des Angeklagten zu einer anderen Beurteilung führen, und in diesem Zusammenhang Umstände, die für einen Tötungsvorsatz sprechen, rechtsfehlerfrei verneint.
19
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts hat das Landgericht in hinreichender Weise auch den Umstand in seine Betrachtung mit einbezogen, dass der Angeklagte unter dem Einfluss von Alkohol stand. In der Gesamtschau der Beweisanzeichen hat es die alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten als Hinweis auf eine unüberlegte Spontantat gesehen, die nicht für einen bedingten Tötungsvorsatz spreche. Diese tatrichterliche Bewertung ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Danach bedurfte es auch keiner besonderen Prüfung mehr, ob die Alkoholbeeinflussung - im Gegensatz dazu - deshalb ein den Angeklagten belastendes Indiz darstellt, weil er möglicherweise nicht mehr in der Lage war, die festgestellten gefahrmindernden Umstände zu erkennen, oder weil seine Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen herabgesetzt gewesen sein könnte.
20
III. Revision des Nebenklägers
21
Auch die Revision des Nebenklägers bleibt ohne Erfolg.
22
1. Die Rüge, das Landgericht habe seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) dadurch verletzt, dass es davon absah, die in dem Vereinslokal zur Tatzeit als Bedienung tätige Zeugin Z. in der Hauptverhandlung zu vernehmen, ist unbegründet.
23
a) Der Rüge liegt zugrunde: Die Zeugin war zum Hauptverhandlungstermin am 24. August 2008 trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen. Die Strafkammer beschloss zunächst die Vorführung der Zeugin, regte später aber an, stattdessen die Niederschriften über deren polizeiliche und richterliche Vernehmungen im Ermittlungsverfahren zu verlesen. Hiermit erklärten sich sämtliche Verfahrensbeteiligte einverstanden, weshalb die genannten Niederschriften nach entsprechendem Gerichtsbeschluss gemäß "§ 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO" verlesen wurden.
24
Nach Ansicht des Beschwerdeführers wäre das Landgericht gehalten gewesen, die Zeugin in der Hauptverhandlung zur Beschaffenheit der Tatwaffe zu vernehmen. Insoweit habe es sich ausweislich der Urteilsgründe ausschließlich auf die Einlassung des Angeklagten gestützt, der zwar geltend gemacht habe, sich an eine Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger nicht erinnern zu können, aber eingeräumt habe, es könne sein, dass er sein Anglermesser mit orangefarbenem Griff und mit einer Klinge von ca. 7 cm Länge noch bei sich gehabt habe. Demgegenüber habe die Zeugin bei ihrer richterlichen Vernehmung ausgesagt, sie habe vor der Tat einen "gelb-silbernen" Gegenstand, nach ihrem Eindruck ein Klappmesser, "etwa 5 - 10 cm" aus der Hosentasche des Angeklagten herausragen gesehen. Wäre die Zeugin in der Hauptverhandlung vernommen worden, hätte sie - so der Beschwerdeführer - ausgesagt, dass es sich bei dem mitgeführten Messer nicht um das ihr bekannte orangefarbene Anglermesser des Angeklagten gehandelt habe, sondern um dessen ihr ebenfalls bekanntes gelbes, mit silbernen Verzierungen versehenes "Ausgehmesser". Dieses habe eine ca. 12 cm lange Klinge und diene dem Angeklagten nach eigenem Bekunden dazu, sich "Probleme vom Hals" zu halten.
25
b) Anders als behauptet kann der Beschwerdeführer nicht aufzeigen, dass sich das Landgericht aufgrund des Inhalts der verlesenen Niederschriften dazu hätte gedrängt sehen müssen, durch Vernehmung der Zeugin weitere Ermittlungen zur Beschaffenheit der Tatwaffe anzustellen. Weder aus der Aussage der Zeugin bei der Polizei noch aus ihrer Aussage vor dem Ermittlungsrichter ergeben sich greifbare Anhaltspunkte dafür, dass sie Kenntnis davon gehabt hätte, über welche Messer der Angeklagte verfügte, wie diese im einzelnen beschaffen waren und wozu sie ihm dienten. Vor diesem Hintergrund ist das Landgericht nach Würdigung der Einlassung des Angeklagten und der Bekundungen der Zeugin zu dem revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gelangt, dass die der Zeugin mögliche Beschreibung der Tatwaffe der vom Angeklagten hierzu abgegebenen Erklärung nicht den Boden zu entziehen vermag.
26
2. Soweit der Beschwerdeführer mit der Sachrüge die Beweiswürdigung des Landgerichts zur inneren Tatseite des Angeklagten beanstandet, verweist der Senat auf die Ausführungen zur Revision der Staatsanwaltschaft (oben II.).
27
3. Die Rüge, das Landgericht hätte den Angeklagten statt der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB) schuldig sprechen müssen, bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
28
IV. Revision des Angeklagten
29
Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Becker Schäfer Mayer
Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 498/15
vom
19. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes mit Todesfolge
ECLI:DE:BGH:2016:190416U5STR498.15.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. April 2016, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander als Vorsitzender, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König, Richter Dr. Berger, Richter Bellay als beisitzende Richter, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwältin F. als Verteidigerin, Rechtsanwalt H. als Vertreter der Nebenklägerin T. , Rechtsanwalt P. als Vertreter des Nebenklägers D. , Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. April 2015 aufgehoben, jedoch haben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen Bestand.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Mit ihren auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen beanstanden die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger, dass das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht festgestellt hat. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gewann der gesondert Verfolgte Pa. im Mai 2014 den in Polen vielfach wegen Raub- und Einbruchdiebstahlstaten vorbestraften Angeklagten für die Beteiligung an einem Raubüberfall auf die 84-jährige alleinstehende Dut. . Pa. hatte deren Wohnung und Lebensgewohnheiten zuvor über längere Zeit ausgekundschaftet. Ihm war bekannt, dass sie größere Mengen Bargeld und Schmuck in ihrer Wohnung aufbewahrte. Er wusste ferner, dass sie körperlich gebrechlich war und sich außerhalb ihrer Wohnung nur mit einer Gehhilfe fortbewegen konnte. Pa. wollte den Überfall mit dem gesondert Verfolgten W. und weiteren Personen begehen und hatte dem Angeklagten die Örtlichkeit gezeigt. Nach seinem Plan sollte eine Person an der Wohnungstür klingeln , um sich mit ihm und einem Komplizen unter einem Vorwand Zutritt zur Wohnung zu verschaffen. Gleichzeitig sollte der Angeklagte bei geöffneter Balkontür über den Balkon in die Wohnung einsteigen. Falls Dut. die Wohnungstür nicht öffnen würde, sollte der Angeklagte sie überwältigen und Hilferufe möglichst verhindern. Den übrigen Tatbeteiligten sollte er von innen Einlass verschaffen.
3
Der Angeklagte versuchte in der Folgezeit, den Zeugen C. für eine Tatbeteiligung zu gewinnen. Er zeigte ihm vor Ort, wie er über den Balkon in die Wohnung gelangen wolle, und erklärte, die Überfallene knebeln und bei Bedarf fesseln zu müssen. C. lehnte das Ansinnen des Angeklagten ab und warnte ihn, dass bei dem Überfall auf eine betagte Frau ein „Unglück“ ge- schehen könne, beispielsweise wenn sie einen Herzanfall erleide. Diese Be- denken schob der Angeklagte mit der Hoffnung auf einen „guten“ Ausgang bei- seite.
4
Am Nachmittag des 17. Juni 2014 schien Pa. die Gelegenheit günstig. Er begab sich mit dem Angeklagten und W. zum Wohnhaus des Tatopfers. Spätestens dort kamen noch die in die Tatplanung eingebundene gesondert Verfolgte S. und ein unbekannter Mittäter hinzu. Ein Tatbeteiligter klingelte an der Haustür. Währenddessen stieg der unmaskierte Angeklagte auf den Balkon und betrat durch die offenstehende Balkontür das Wohnzimmer , wo er auf Dut. traf. Um Hilferufe zu unterbinden, nahm er sie von hinten in eine Art „Schwitzkasten“ und übte mit seinem Arm Druck auf ihren Hals aus. Dut. versuchte, sich aus dem Griff des Angeklagten zu befreien. Es gelang ihr, noch mindestens zweimal um Hilfe zu rufen.
5
Neben dem Angeklagten gelangten zumindest Pa. und der unbekannte Mittäter in die Wohnung, während W. und S. sich jedenfalls in ihrer unmittelbaren Nähe aufhielten und die Tatbegehung absicherten. Zumindest der Angeklagte und der unbekannte Mittäter wirkten gewaltsam auf die sich unerwartet heftig wehrende Dut. ein, die dabei erheblich im Gesicht und am Hinterkopf verletzt wurde. Sie wollten die Geschädigte ruhigstellen und dazu zwingen, den Aufbewahrungsort von Wertgegenständen und des Schlüssels zu einem Wandtresor sowie die PIN für die zu ihrem Girokonto gehörenden Bank- und Kreditkarten preiszugeben. Nachdem dies gelungen war, knebelte der Angeklagte sie mit einem Tuch. Beim Hineindrücken des Knebels in die Mundhöhle klappte die Zunge nach hinten in den Rachenbereich und verlegte die Atemwege vollständig. Zudem verknotete der Angeklagte oder ein Mittäter eine Decke fest um ihren Hals. Nach ihrer Misshandlung und Knebelung verbrachte der Angeklagte die Geschädigte ins Badezimmer, legte sie auf dem Fußboden ab und bedeckte ihren Kopf mit einer Decke.
6
Spätestens durch diese Einwirkung auf den Kehlkopfbereich der Geschädigten wurde eine Fraktur des Schildknorpelfortsatzes herbeigeführt. Bei der massiven körperlichen Misshandlung verlor sie ihre beiden Zahnprothesen und erlitt einen acht Zentimeter langen Einriss des Mundwinkels. Sie bekam aufgrund der Knebelung keine Luft mehr und wurde innerhalb von 15 Sekunden bewusstlos. Infolge der Verlegung ihrer Atemwege in Verbindung mit der Gewalteinwirkung gegen ihren Hals durch die fest um ihn verknotete Decke verstarb sie innerhalb von drei Minuten.
7
Noch während der Angeklagte und ein Mittäter auf die Geschädigte gewaltsam einwirkten, begannen die übrigen Täter mit der Suche nach Wertgegenständen , an der sich anschließend auch der Angeklagte beteiligte. Nachdem die Täter bemerkt hatten, dass das Opfer verstorben war, brachen sie die Tatausführung ab und flüchteten.
8
2. Vom Vorliegen eines (bedingten) Tötungsvorsatzes hat sich das Landgericht nicht überzeugen können. Der Angeklagte habe bei Knebelung der Geschädigten nicht beabsichtigt, sie zu töten. Er habe es zwar für möglich gehalten , dass sie infolge der ersichtlich lebensgefährdenden Gewalteinwirkung versterben könne. Vor allem das hohe Alter und die erkennbar beeinträchtigte gesundheitliche Verfassung der Geschädigten hätten die Gefahr eines tödlichen Ausgangs naheliegend erscheinen lassen. Ob der Angeklagte den Tod der Geschädigten billigend in Kauf genommen oder sich damit zumindest abgefunden habe, habe sich aber nicht sicher feststellen lassen. Ihm sei es vornehmlich darum gegangen, die Geschädigte durch die Knebelung ruhigzustellen. Nach allgemeiner Vorstellung werde eine auch massive Knebelung in der Regel nicht als naheliegend oder typischerweise todesverursachende Gewalteinwirkung angesehen (UA S. 19, 59). Andere, viel eher todesursächliche Gewalthandlun- gen seien nicht angewendet worden. Nicht auszuschließen sei, dass der Angeklagte aufgrund der unerwartet starken Gegenwehr der Geschädigten und der hierdurch unvermittelt eskalierenden Tatsituation überfordert gewesen sei und die Heftigkeit der Knebelung sowie die dadurch verursachte Todesgefahr nicht vollständig erkannt habe (UA S. 20, 58 f.). Auch der Umstand, dass der Angeklagte der Geschädigten wegen der Gefahr des Wiedererkennens der Täter eine Decke über den Kopf gelegt habe, spreche dafür, dass der Angeklagte auf ein Überleben der Geschädigten vertraut habe (UA S. 59).

II.


9
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Tötungsvorsatz hält – trotz des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401; vom 4. April 2013 – 3 StR 37/13, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 64) – sachlich -rechtlicher Überprüfung nicht stand.
10
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, weiter dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26; vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14, NStZ-RR 2015, 172 mwN). Eine hohe und zudem anschauliche konkrete Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen stellt mithin auf beiden Vorsatzebenen das wesentliche auf bedingten Tötungsvorsatz hinweisende Beweisanzeichen dar (vgl. MüKo-StGB/Schneider, 2. Aufl. § 212 Rn. 65 mwN). Allerdings können im Einzelfall das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes fehlen, wenn etwa dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen , das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung etwa bei Affekt oder alkoholischer Beeinflussung nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements ) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Beide Elemente müssen tatsachenfundiert getrennt voneinander geprüft werden (BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR558/11, aaO, S. 187 Rn. 27; vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NJW 2014, 3382, 3383 mit krit. Anm. Lohmann, NStZ 2015, 580; vgl. zum Vertrauenskriterium als zentralem Abgrenzungsmerkmal auf der voluntativen Vorsatzebene MüKo-StGB/Schneider, aaO Rn. 64 f.).
11
Die Prüfung, ob bedingter Vorsatz vorliegt, erfordert bei Tötungsdelikten insbesondere dann, wenn das Tatgericht allein oder im Wesentlichen aus äußeren Umständen auf die innere Einstellung eines Angeklagten zur Tat schließen muss, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. insbesondere zur Würdigung des voluntativen Vorsatzelements BGH, Urteile vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 188 Rn. 29; vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216; vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80, jeweils mwN), wobei schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht erstrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes rechtfertigt (vgl. MüKo-StGB/Schneider, aaO Rn. 67 mwN).
12
b) Das Landgericht hat bei seiner Gesamtbetrachtung zwar im Ausgangspunkt nicht verkannt, dass die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Lebensgefährlichkeit der Tathandlung ein maßgebliches Indiz für bedingten Vorsatz ist. Angesichts der hierzu widersprüchlichen Ausführungen wird jedoch schon nicht hinreichend deutlich, ob die Schwurgerichtskammer bereits Zweifel daran hatte, dass der Angeklagte den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkannte, oder erst daran, dass er ihn billigte oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfand.
13
Während eingangs der beweiswürdigenden Ausführungen zur subjektiven Tatseite – den Feststellungen unter II.3.3 der Urteilsgründe entsprechend – die Überzeugung der Schwurgerichtskammer begründet wird, der Angeklagte habe es für möglich gehalten, durch die Knebelung der Geschädigten schlimmstenfalls deren Tod herbeizuführen, und Zweifel lediglich im Hinblick auf das Willenselement des Tötungsvorsatzes festgehalten werden (UA S. 57), begründet das Landgericht nachfolgend solche Zweifel anhand von Tatumstän- den, aufgrund derer der Angeklagte nicht in der Lage gewesen sei, „sein als lebensgefährlich erkanntes Handeln und dessen Folgen unter den besonderen Umständen der konkreten Tatsituation gedanklich in vollem Umfang zu erfas- sen und adäquat zu bewerten“ (UA S. 58). Mit dieser Umschreibung der vom Landgericht angenommenen Situation des Angeklagten bei Tatbegehung ist allerdings allein das Wissenselement des Tötungsvorsatzes angesprochen wie auch mit den hierzu angeführten Umständen eines sich für den Angeklagten unerwartet entwickelnden Tatablaufs und einer nicht ausschließbaren Wirkung zuvor (zur Ermutigung) konsumierten Alkohols. Das Landgericht hält es deshalb für möglich, der Angeklagte könne fehlerhaft davon ausgegangen sein, „seine Gewalteinwirkung bei der Knebelung der Geschädigten ihrer Intensität nach noch so bemessen zu haben, dass diese nicht zu Tode kommt“ (UA S. 59).
14
c) Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte trotz der konkreten Lebensgefährlichkeit der Knebelung ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben könnte, das Opfer werde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt. Sie liegen bei dem Tatgeschehen auch eher fern.
15
aa) Entgegen der Auffassung des Landgerichts spricht gegen die Billigung des Todes insbesondere nicht der Umstand, dass der Angeklagte der im Badezimmer abgelegten Geschädigten noch eine Decke über den Kopf legte. Das Landgericht hat – der Einlassung des Angeklagten folgend (UA S. 31) – die Feststellung getroffen, er habe mit seinem Vorgehen die Geschädigte an der Beobachtung des weiteren Geschehens in der Wohnung und an einer späteren Wiedererkennung eines der Täter hindern wollen (UA S. 19). Die Realisierung einer Wiedererkennungsgefahr wertet das Landgericht als Anzeichen dafür, dass der Angeklagte „darauf vertraute, die Geschädigte werde überleben“ (UA S. 59). Die Beweiswürdigung ist insoweit zumindest lückenhaft.
16
Das Landgericht hätte sich mit der Feststellung auseinandersetzen müssen , dass der Angeklagte die Tat ohne Maskierung beging und im Wohnzimmer auf die Geschädigte traf (UA S. 16), die ihm dort – seiner Einlassung in der Hauptverhandlung gemäß (UA S. 30) – entgegenkam. Auch die Feststellungen, dass der Angeklagte und seine Mittäter mit massiver Gewalt auf die Geschädigte auch deshalb einwirkten, um sie zur Preisgabe von Verstecken und PIN zu nötigen, und die übrigen Tatbeteiligten die Wohnung schon nach Beute durch- suchten, während der Angeklagte noch mit ihr „befasst“ war, legen nahe, dass sie die Tatbeteiligten bereits gesehen hatte. Nicht zuletzt stand der vom Angeklagten behaupteten Besorgnis, die Geschädigte könne das Tatgeschehen vom Badezimmer aus noch weiter beobachten, der rechtsmedizinische Befund entgegen , dass sie nach ihrer Knebelung bereits innerhalb von 15 Sekunden bewusstlos geworden war.
17
bb) Auch die abstrakten, nicht durch einen Erfahrungssatz gestützten und ohnehin eher die kognitive Seite des Vorsatzes betreffenden Erwägungen zur Gewalteinwirkung durch Knebelung eines Opfers, die „typischerweise dazu dient, dieses nur vorübergehend daran zu hindern, sich verbal durch Hilferufe bemerkbar zu machen (…) und auch nicht von vornherein die Atmung durch die Nase (hindert)“ (UA S. 59), sind nicht geeignet, die Annahme eines ernsthaften Vertrauens auf ein Ausbleiben des Todes der Geschädigten zu begründen. Insofern lösen sich die Ausführungen des Landgerichts von seinen zu den todesursächlichen Gewalthandlungen getroffenen Feststellungen, wonach der Knebel mit massiver Gewalt tief in den Rachen hineingeschoben (UA S. 18, 58), zusätzlich zur Knebelung komprimierend auf den Kehlkopfbereich durch die fest um den Hals verknotete Decke eingewirkt wurde (UA S. 19) und die Knebelung schon alsbald zur Bewusstlosigkeit des Opfers führte.
18
2. Der aufgezeigte Rechtsmangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Jedoch können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben. Ergänzende, ihnen nicht widersprechende Feststellungen durch das neue Tatgericht sind zulässig.
Sander Dölp König
Berger Bellay

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten darf nicht beeinträchtigt werden durch Mißhandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen Eingriff, durch Verabreichung von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung oder durch Hypnose. Zwang darf nur angewandt werden, soweit das Strafverfahrensrecht dies zuläßt. Die Drohung mit einer nach seinen Vorschriften unzulässigen Maßnahme und das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils sind verboten.

(2) Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten beeinträchtigen, sind nicht gestattet.

(3) Das Verbot der Absätze 1 und 2 gilt ohne Rücksicht auf die Einwilligung des Beschuldigten. Aussagen, die unter Verletzung dieses Verbots zustande gekommen sind, dürfen auch dann nicht verwertet werden, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt.

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

(1) Der Festgenommene ist, sofern er nicht wieder in Freiheit gesetzt wird, unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme, dem Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk er festgenommen worden ist, vorzuführen. Der Richter vernimmt den Vorgeführten gemäß § 115 Abs. 3.

(2) Hält der Richter die Festnahme nicht für gerechtfertigt oder ihre Gründe für beseitigt, so ordnet er die Freilassung an. Andernfalls erläßt er auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder, wenn ein Staatsanwalt nicht erreichbar ist, von Amts wegen einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl. § 115 Abs. 4 gilt entsprechend.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.

(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.

(3) Ist eine Straftat nur auf Antrag verfolgbar, so ist die vorläufige Festnahme auch dann zulässig, wenn ein Antrag noch nicht gestellt ist. Dies gilt entsprechend, wenn eine Straftat nur mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgbar ist.

(4) Für die vorläufige Festnahme durch die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes gelten die §§ 114a bis 114c entsprechend.

(1) Der Festgenommene ist, sofern er nicht wieder in Freiheit gesetzt wird, unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme, dem Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk er festgenommen worden ist, vorzuführen. Der Richter vernimmt den Vorgeführten gemäß § 115 Abs. 3.

(2) Hält der Richter die Festnahme nicht für gerechtfertigt oder ihre Gründe für beseitigt, so ordnet er die Freilassung an. Andernfalls erläßt er auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder, wenn ein Staatsanwalt nicht erreichbar ist, von Amts wegen einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl. § 115 Abs. 4 gilt entsprechend.

(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.

(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.

(3) Ist eine Straftat nur auf Antrag verfolgbar, so ist die vorläufige Festnahme auch dann zulässig, wenn ein Antrag noch nicht gestellt ist. Dies gilt entsprechend, wenn eine Straftat nur mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgbar ist.

(4) Für die vorläufige Festnahme durch die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes gelten die §§ 114a bis 114c entsprechend.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.

(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.

(3) Ist eine Straftat nur auf Antrag verfolgbar, so ist die vorläufige Festnahme auch dann zulässig, wenn ein Antrag noch nicht gestellt ist. Dies gilt entsprechend, wenn eine Straftat nur mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgbar ist.

(4) Für die vorläufige Festnahme durch die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes gelten die §§ 114a bis 114c entsprechend.

(1) Wird der Beschuldigte auf Grund des Haftbefehls ergriffen, so ist er unverzüglich dem zuständigen Gericht vorzuführen.

(2) Das Gericht hat den Beschuldigten unverzüglich nach der Vorführung, spätestens am nächsten Tage, über den Gegenstand der Beschuldigung zu vernehmen.

(3) Bei der Vernehmung ist der Beschuldigte auf die ihn belastenden Umstände und sein Recht hinzuweisen, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ihm ist Gelegenheit zu geben, die Verdachts- und Haftgründe zu entkräften und die Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen.

(4) Wird die Haft aufrechterhalten, so ist der Beschuldigte über das Recht der Beschwerde und die anderen Rechtsbehelfe (§ 117 Abs. 1, 2, § 118 Abs. 1, 2, § 119 Abs. 5, § 119a Abs. 1) zu belehren. § 304 Abs. 4 und 5 bleibt unberührt.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.

(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.

(3) Ist eine Straftat nur auf Antrag verfolgbar, so ist die vorläufige Festnahme auch dann zulässig, wenn ein Antrag noch nicht gestellt ist. Dies gilt entsprechend, wenn eine Straftat nur mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgbar ist.

(4) Für die vorläufige Festnahme durch die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes gelten die §§ 114a bis 114c entsprechend.

(1) Der Festgenommene ist, sofern er nicht wieder in Freiheit gesetzt wird, unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme, dem Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk er festgenommen worden ist, vorzuführen. Der Richter vernimmt den Vorgeführten gemäß § 115 Abs. 3.

(2) Hält der Richter die Festnahme nicht für gerechtfertigt oder ihre Gründe für beseitigt, so ordnet er die Freilassung an. Andernfalls erläßt er auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder, wenn ein Staatsanwalt nicht erreichbar ist, von Amts wegen einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl. § 115 Abs. 4 gilt entsprechend.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Wird der Beschuldigte auf Grund des Haftbefehls ergriffen, so ist er unverzüglich dem zuständigen Gericht vorzuführen.

(2) Das Gericht hat den Beschuldigten unverzüglich nach der Vorführung, spätestens am nächsten Tage, über den Gegenstand der Beschuldigung zu vernehmen.

(3) Bei der Vernehmung ist der Beschuldigte auf die ihn belastenden Umstände und sein Recht hinzuweisen, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ihm ist Gelegenheit zu geben, die Verdachts- und Haftgründe zu entkräften und die Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen.

(4) Wird die Haft aufrechterhalten, so ist der Beschuldigte über das Recht der Beschwerde und die anderen Rechtsbehelfe (§ 117 Abs. 1, 2, § 118 Abs. 1, 2, § 119 Abs. 5, § 119a Abs. 1) zu belehren. § 304 Abs. 4 und 5 bleibt unberührt.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Regelmäßig keine notwendige Verteidigung im Ermittlungsverfahren
schon vor einer verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten
nach dessen Ergreifung aufgrund eines Haftbefehls
wegen Mordverdachts.
BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2014 – 5 StR 176/14
LG Berlin –
BESCHLUSS
5 StR 176/14
vom
20. Oktober 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Oktober 2014 beschlossen
:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 25. Oktober 2013 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und
die dem Nebenkläger durch ihre Revision entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel vermag aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgeführten Gründen nicht durchzudringen. Der ergänzenden Erörterung bedarf Folgendes:
2
1. Die Revision beanstandet, dass die Angeklagte unter „Verletzung der § 163a Abs. 3 Satz 2, § 136 Abs. 2, § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO, Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK“ ohne Beiordnung eines Verteidigers zweimal polizeilich und einmal durch den Haftrichter vernommen worden sei. Trotz eines daraus resultierenden Beweisverwertungsverbots seien die Vernehmungsbeamten und der Ermittlungsrichter gegen den Widerspruch der Verteidigung in der Hauptverhandlung über den Inhalt der Vernehmungen vernommen und ein Teil der Feststellungen auf deren Aussagen gestützt worden.
3
a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
4
Am 12. September 2001 wurde die 63 Jahre alte D. gewaltsam getötet in ihrer Wohnung aufgefunden. Die Ermittlungen verliefen zunächst ergebnislos. Nach deren Wiederaufnahme im Dezember 2012 ergab ein DNSAbgleich einer Speichelprobe der Angeklagten Übereinstimmung unter anderem mit in der Hand der Getöteten gefundenen Haaren. Gegen die Angeklagte wurde am 27. Februar 2013 Haftbefehl erlassen. Am 5. März 2013 wurde sie festgenommen und zur Berliner Mordkommission verbracht. Noch am selben Tag und am Vormittag des folgenden Tages wurde sie jeweils nach ordnungsgemäßer Belehrung auch über ihr Recht auf Verteidigerkonsultation vernommen. Anschließend wurde sie dem Haftrichter vorgeführt. Nach weiterer korrekter Belehrung war sie aussagebereit, erklärte, keinen Anwalt zu benötigen und noch nie einen benötigt zu haben. Zur Sache bekundet sie, sie habe schon bei der Polizei ausgesagt. Was sie dort gesagt habe, sei zutreffend. Auf Vorhalt einer Passage aus einem Vernehmungsprotokoll bekundete sie, dass sie es ja gewesen sein müsse. Sie sei da gewesen und habe die Frau angegriffen. Weiter wolle sie jetzt nichts sagen. Der Ermittlungsrichter ordnete den Vollzug des Haftbefehls an und bestellte der Angeklagten einen Pflichtverteidiger.
5
Am zweiten Hauptverhandlungstag (18. September 2013) widersprach der Verteidiger vorab der Verwertung der polizeilichen und richterlichen Vernehmungen. Nach Herbeiführung von Gerichtsbeschlüssen (§ 238 Abs. 2 StPO) wurden die Polizeibeamten und der Ermittlungsrichter vernommen. Ein weiterer Verwertungswiderspruch erfolgte nicht.
6
b) Die Rüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts bedurfte es keines gesonderten (zweiten) Verwertungswiderspruchs im Anschluss an die Vernehmung der ge- nannten Beweispersonen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Widerspruch nämlich grundsätzlich auch umfassend vorab erklärt werden; in diesem Fall muss ihn der Verteidiger nach Abschluss der Zeugenvernehmung nicht noch einmal ausdrücklich wiederholen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2003 – 5 StR 307/03, NStZ 2004, 389; Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 StR 435/12, NJW 2013, 2769, 2771 f., insoweit in BGHSt 58, 301 nicht abgedruckt; KK/Diemer, StPO, 7. Aufl., § 136 Rn. 28). Der durch die Verteidigung erhobene Widerspruch wird auch ansonsten den Anforderungen gerecht.
7
Der Senat kann dahingestellt lassen, ob anderes zu gelten hätte, wenn sich bei freibeweislicher Klärung von der Verteidigung erhobener Beanstandungen etwa gewichtige Anhaltspunkte für deren Haltlosigkeit ergeben haben würden. Dies könnte im vorliegenden Fall für den nach rechtsfehlerfreier Würdigung der Schwurgerichtskammer durch die Beweisaufnahme widerlegten und von der Verteidigung mit der Revision nicht weiterverfolgten Vortrag gelten, die Vernehmungsbeamten hätten die irrige Annahme der Angeklagten ausgenutzt, nicht den Rat eines Verteidigers in Anspruch nehmen zu können, weil sie sich einen solchen nicht zu leisten vermöge. Indessen stützt sich die Revision auf die Erwägung, die Staatsanwaltschaft hätte vor einer Vernehmung zwingend auf die Beiordnung eines Verteidigers hinwirken müssen (§ 141 Abs. 3 Satz 2 StPO). Dieser Gesichtspunkt wurde durch die Vernehmungen aber nicht berührt.
8
c) Die Rüge ist unbegründet.
9
aa) Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass nach geltendem Recht (§ 141 Abs. 3 Satz 2 StPO) auch mit Bedacht auf Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK keine Pflicht besteht, dem Beschuldigten stets bereits frühzeitig im Ermittlungsverfahren, etwa beginnend mit dem dringenden Verdacht eines (auch schweren) Verbrechens, einen Verteidiger zu bestellen (BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2002 – 5 StR 588/01, BGHSt 47, 233, 236 f.; vom 17. Dezember 2003 – 5 StR 501/03, BGHR StPO § 141 Bestellung 8; vom 19. Oktober 2005 – 1 StR 117/05, NStZ-RR 2006, 181, 182; vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1010). Das gilt auch dann, wenn ein Haftbefehl besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2003 – 5 StR 501/03, aaO).
10
Von dieser Rechtsprechung abzurücken, besteht kein Anlass. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2274) den Zeitpunkt der rechtlich zwingenden Bestellung eines Pflichtverteidigers in § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO in Kenntnis der bestehenden Rechtsprechung bewusst auf den Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft festgelegt hat. Nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO hat die Verteidigerbestellung „unverzüglich“ zuerfolgen, sofern der Haftbefehl nach seiner Verkündung nicht außer Vollzug gesetzt wird (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13097, S. 19). Erst mit der Aufrechterhaltung der Haft nach § 115 Abs. 4 Satz 1 StPO liegt eine Vollstreckung der Untersuchungshaft im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vor. Forderungen, frühere Ereignisse, wofür beispielsweise der Erlass eines Haftbefehls oder die Ergreifung des Beschuldigten in Betracht gekommen wären, haben sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht, aaO, S. 16 f.; siehe auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 – 5 StR 588/01, aaO, S. 237; Jahn in Festschrift Rissing-van Saan, 2011, S. 275, 277 f. mwN).
11
bb) Diesen gesetzlichen Vorgaben wurde hier mit der sofortigen Verteidigerbestellung nach Anordnung des Vollzugs der Untersuchungshaft entsprochen. Besonderheiten, etwa die Durchführung einer beweissichernden ermittlungsrichterlichen Vernehmung eines wesentlichen Belastungszeugen in Abwesenheit des Beschuldigten (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 99 f.), waren nicht gegeben. Der Umstand allein, dass die bislang unbestrafte Angeklagte über keine Erfahrungen mit der Strafjustiz verfügte und mit einem Mordvorwurf konfrontiert wurde, genügt für die Annahme einer von der Verteidigung geltend gemachten Ermessensreduktion auf Null auf Seiten der Staatsanwaltschaft in Richtung auf sofortige Verteidigerbestellung nicht.
12
cc) Allerdings haben die Polizeibeamten gegen § 115 Abs. 1 StPO verstoßen , indem sie die Angeklagte nach ihrer Ergreifung nicht unverzüglich dem zuständigen Gericht vorgeführt, die Vorführung vielmehr zum Zweck der Durchführung polizeilicher Beschuldigtenvernehmungen aufgeschoben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 1995 – 5 StR 547/94, BGHR StPO § 128 Abs. 1 Vorführungsfrist 2; Urteil vom 17. November 1989 – 2 StR 418/89, NJW 1990, 1188). Dieser Verfahrensfehler verengt jedoch nicht den der Staatsanwaltschaft in § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO übertragenen Beurteilungsspielraum betreffend das Hinwirken auf sofortige Verteidigerbestellung. Vielmehr wäre es – sofern eingebunden – deren Pflicht gewesen, nachhaltig für die Wahrung des Unverzüglichkeitsgebots nach § 115 Abs. 1 StPO Sorge zu tragen. Infolge der in erster Linie auf Gewährleistung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG zielenden Schutzrichtung des § 115 Abs. 1 StPO (vgl. BVerfG [Kammer], NStZ 1994, 551, 552; LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 115 Rn. 1), die das Interesse an frühzeitiger Verteidigerbestellung (vgl. auch KK/Graf, StPO, 7. Aufl., § 115 Rn. 1a) gleichsam als Reflex mit umfasst, ver- mag die Verletzung dieser Vorschrift den Zeitpunkt rechtlich zwingender Verteidigerbestellung aber nicht vorzuverlagern.
13
Ein Verwertungsverbot wäre freilich anzunehmen, wenn die Polizeibeamten die gebotene Vorführung bewusst unterlassen hätten, um die Verteidigerbestellung durch den Haftrichter zu umgehen. Dafür sind jedoch keine Anhaltspunkte vorhanden. Hiergegen spricht vielmehr, dass der Haftrichter nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers die aussagebereite Beschuldigte – wie geschehen – in dem in § 115 Abs. 2 StPO bezeichneten Zeitrahmen vor Vollstreckung der Untersuchungshaft ohne vorherige Verteidigerbestellung hat vernehmen dürfen. Es liegt die Annahme nahe, dass die Beamten hier in bloßer Verkennung des § 115 Abs. 1 StPO bestrebt waren, dem zuständigen Gericht eine tragfähige Grundlage für seine Entscheidung über den Vollzug der Untersuchungshaft zu vermitteln.
14
2. Die Verletzung des in § 115 Abs. 1 StPO normierten Unverzüglichkeitsgebots hat die Revision, was sie in ihrer Erwiderung auf die diesen Gesichtspunkt hervorhebende Zuschrift des Generalbundesanwalts auch nicht in Abrede gestellt hat, nicht in einer Verfahrensrüge beanstandet, sich vielmehr ausdrücklich auf die Rüge unterlassener Verteidigerbestellung beschränkt. Damit ist dem Senat die Prüfung verwehrt, ob dieser Verfahrensfehler etwa zur Unverwertbarkeit der von der Angeklagten vor der Polizei, unter Umständen auch vor dem Haftrichter gemachten Angaben hätte führen müssen; hiergegen sprächen die Einhaltung immerhin der in Art. 104 Abs. 3 GG bestimmten Frist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 1995 – 5 StR 547/94, aaO), die nach Vorführung vor den Haftrichter und korrekter Belehrung gleichwohl erfolgte Aussage der Angeklagten, die den Beistand eines Verteidigers ausdrücklich nicht begehrte , sowie die Schwere des Tatvorwurfs. Die Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang des Revisionsgerichts; einem Revisionsführer steht es wegen seiner Dispositionsbefugnis zu, ein Prozessgeschehen nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu rügen, einen etwa zusätzlich begangenen Verfahrensverstoß aber hinzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2013 – 5 StR 318/13, NStZ 2013, 671; Beschluss vom 29. November 2013 – 1 StR 200/13, NStZ 2014, 221, jeweils mwN).
15
Darüber hinaus wäre die Revision mit einer etwa erhobenen diesbezüglichen Verfahrensrüge auch ausgeschlossen. Denn die Verteidigung hat schon den in der Hauptverhandlung erhobenen Verwertungswiderspruch nicht (auch) auf die Verletzung des Unverzüglichkeitsgebots gestützt, was insoweit eine Rügepräklusion nach sich ziehen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2007 – 1 StR 273/07, BGHSt 52, 38, 42 ff.; Mosbacher in Festschrift Rissing-van Saan, 2011, S. 357, 375 f.).
16
3. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der durch die Angeklagte erhobenen Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben. Der Senat kann angesichts mangelnden Beruhens dahingestellt lassen , ob angesichts der konkreten Gegebenheiten (glaubhaftes Geständnis der Angeklagten, weitere belastende Indizien) die Mitteilung nur des Ergebnisses des DNA-Gutachtens (Übereinstimmung mit der DNA der Angeklagten) hier ausnahmsweise genügen würde (vgl. zu den Anforderungen BGH, Urteile vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NJW 2014, 2454; vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212).
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(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.

(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.

(3) Ist eine Straftat nur auf Antrag verfolgbar, so ist die vorläufige Festnahme auch dann zulässig, wenn ein Antrag noch nicht gestellt ist. Dies gilt entsprechend, wenn eine Straftat nur mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgbar ist.

(4) Für die vorläufige Festnahme durch die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes gelten die §§ 114a bis 114c entsprechend.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Der Festgenommene ist, sofern er nicht wieder in Freiheit gesetzt wird, unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme, dem Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk er festgenommen worden ist, vorzuführen. Der Richter vernimmt den Vorgeführten gemäß § 115 Abs. 3.

(2) Hält der Richter die Festnahme nicht für gerechtfertigt oder ihre Gründe für beseitigt, so ordnet er die Freilassung an. Andernfalls erläßt er auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder, wenn ein Staatsanwalt nicht erreichbar ist, von Amts wegen einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl. § 115 Abs. 4 gilt entsprechend.

(1) Wird der Beschuldigte auf Grund des Haftbefehls ergriffen, so ist er unverzüglich dem zuständigen Gericht vorzuführen.

(2) Das Gericht hat den Beschuldigten unverzüglich nach der Vorführung, spätestens am nächsten Tage, über den Gegenstand der Beschuldigung zu vernehmen.

(3) Bei der Vernehmung ist der Beschuldigte auf die ihn belastenden Umstände und sein Recht hinzuweisen, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ihm ist Gelegenheit zu geben, die Verdachts- und Haftgründe zu entkräften und die Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen.

(4) Wird die Haft aufrechterhalten, so ist der Beschuldigte über das Recht der Beschwerde und die anderen Rechtsbehelfe (§ 117 Abs. 1, 2, § 118 Abs. 1, 2, § 119 Abs. 5, § 119a Abs. 1) zu belehren. § 304 Abs. 4 und 5 bleibt unberührt.