Bundesgerichtshof Urteil, 28. Juni 2016 - 1 StR 5/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:280616U1STR5.16.0
bei uns veröffentlicht am28.06.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 5/16
vom
28. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:280616U1STR5.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Juni 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. September 2015 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Auf die Revision des Angeklagten wird das oben genannte Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben , soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den jugendlichen Angeklagten wegen Verschaffens des Besitzes von kinderpornographischen Schriften in Tatmehrheit mit drei sachlich zusammentreffenden Fällen des Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Von weiteren Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, des Verschaffens des Besitzes von kinderpornographischen Schriften und des Besitzes kinderpornographischer Schriften hat es den Angeklagten aus „tatsächlichen Gründen“ freigesprochen.
2
Die auf die Verletzung materiellen Rechts und einer Verfahrensbeanstandung gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten wendet sich gegen den Teilfreispruch und die Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Revisionen haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

A.


3
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Der im September 1998 geborene Angeklagte zeigte bereits im Vorschulalter Verhaltensauffälligkeiten, die psychiatrische Interventionen nach sich zogen. Nach ambulanten und teilstationären Behandlungen erfolgte im Jahre 2006 eine mehrmonatige stationäre Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik. Anschließend war der Angeklagte bis Juni 2012 stationär in einer intensivtherapeutischen Gruppe untergebracht. Nachdem sich bereits im Jahre 2006 sexualisierende Verhaltensweisen gezeigt hatten, verstärkten sich diese in der Folge immer mehr. Im Alter von neun Jahren kam es zu ersten sexuellen Handlungen mit anderen in der Einrichtung untergebrachten Kindern; deren Frequenz steigerte sich im Laufe des nächsten Jahres dahin, dass der Angeklagte fast täglich sexuellen Verkehr mit anderen Kindern hatte. Daneben fiel der Angeklagte während des Heimaufenthalts durch Diebstähle und Brandlegungen auf.
5
Im Anschluss an die Heimunterbringung lebte der Angeklagte überwiegend zu Hause, unterbrochen von Zeiten der Unterbringung in psychiatrischen Kliniken. Versuche, den Angeklagten in einem Heim unterzubringen, scheiterten an dessen Verhaltensauffälligkeiten. Die Familie bekam aber während des Aufenthalts des Angeklagten eine intensiv-sozialpädagogische Einzelbetreuung. In dieser Zeit kam es zu massiven Bedrohungen gegenüber Lehrern. Der Betreuer übergab am 5. März 2013 der Polizei ein Notebook „Toshiba“ des Angeklagten , auf dem sich von diesem heruntergeladene Bilder befanden, die sexuelle Handlungen zwischen Kindern zum Gegenstand hatten. Dennoch beschaffte sich der Angeklagte immer wieder neue Computer und lud kinderpornographische Bilder aus dem Internet herunter. Infolge der Sicherstellung des Notebooks war der Angeklagte jedoch so weit nachgereift, dass er bei der Begehung der folgenden Taten verantwortlich im Sinne des § 3 Satz 1 JGG war:
6
a) Am 28. Mai 2013 übermittelte der Angeklagte aufgrund einheitlichen Tatentschlusses innerhalb von elf Minuten drei E-Mails an L. , denen insgesamt neun kinderpornographische Fotos angehängt waren.
7
b) Am Folgetag wurden im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung bei dem Angeklagten ein Computer „Dell 62“ und ein USB-Stick „Sandisk“ sichergestellt , auf denen sich – wie der Angeklagte wusste – zwölf kinderpornographische Fotos befanden.
8
c) Am 22. Juli 2014 übergab die Mutter des Angeklagten der Polizei des- sen Computer „Dell 65“ und einen USB-Stick „16 GB“. Hierauf befanden sich 21 kinderpornographische Fotos.
9
d) Am 12. August 2014 wurde im Rahmen einer weiteren Wohnungs- durchsuchung ein Computer „Fujitsu“ des Angeklagten sichergestellt, auf dem sich – wie er ebenfalls wusste – mindestens 21 kinderpornographische Bilder befanden.
10
2. Das sachverständig beratene Landgericht ist vom Vorliegen einer Autismus -Spektrum-Störung in Kombination mit einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens sowie einer psycho-sexuellen Entwicklungsstörung ausgegangen. Diese Störung erfülle im Hinblick auf den langandauernden Verlauf und den klinischen Schweregrad das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit. Die Einsichtsfähigkeit sei hiervon jedoch nicht berührt, vielmehr sei von einer erheblich eingeschränkten Fähigkeit des Angeklagten zur Impulskontrolle mit mangelnden Hemmungsmechanismen und einer nicht angemessenen Reife der Impulskontrolle auszugehen, was „im Tatzeitraum“ zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt habe.
11
3. Die Voraussetzungen einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht mit der Begründung abge- lehnt, dass keine „hands-on-Delikte“ als Verurteilungsgrundlage verwertbar ge- wesen und die verbleibenden Anlasstaten nicht ausreichend erheblich seien. Zudem seien künftig keine Taten mehr zum Nachteil von Kindern zu erwarten, da der Angeklagte seine Interessen auf etwa gleichaltrige Sexualpartner verlagere.
12
II. 1. Aufgrund der unverändert zugelassenen Anklageschrift lagen dem Angeklagten darüber hinaus die folgenden Taten zur Last:
13
Am 30. Oktober 2012 habe er M. wissentlich ein kinderpornographisches Bild per E-Mail übermittelt (Ziffer 1. der Anklageschrift).
14
Der Angeklagte habe im Oktober 2012 in einem Aufzug eines Feuerwehrhauses an dem am 4. Januar 2000 geborenen Geschädigten H. Oralverkehr vollzogen (Ziffer 2.1 der Anklageschrift).
15
Ebenfalls im Oktober 2012 habe er an H. in einem Waldstück bei der Schule in zwei Fällen Oralverkehr teilweise bis zum Samenerguss vollzogen (Ziffer 2.2 der Anklageschrift).
16
Wiederum im Oktober 2012 habe er an H. im elterlichen Badezimmer oralen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss ausgeführt (Ziffer 2.3 der Anklageschrift).
17
Darüber hinaus habe der Angeklagte am 16. Februar 2013 an den Zeugen B. per E-Mail 25 kinderpornographische Bilder übermittelt (Ziffer 3. der Anklageschrift).
18
Am 5. März 2013 habe der Betreuer des Angeklagten dessen Notebook der Polizei übergeben, auf welchem sich – wie der Angeklagte wusste – 40 von ihm aus dem Internet heruntergeladene kinderpornographische Bilder befanden (Ziffer 4. der Anklageschrift).
19
2. Das Landgericht hat das diesen Anklagevorwürfen zugrunde liegende tatsächliche Geschehen im Wesentlichen entsprechend dem Anklagevorwurf festgestellt, dabei aber für die Anklagevorwürfe zu 2.2 und 2.3 als Tatzeitpunkt März bzw. April 2013 für möglich erachtet. Jedenfalls aber hat es sich nicht da- von überzeugen können, dass der Angeklagte zu diesen Tatzeitpunkten gemäß § 3 JGG reif genug war, das Unrecht der vorgenannten Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

B.

Revision der Staatsanwaltschaft
20
I. Verfahrensrüge
21
Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Aufklärungsrüge, mit der die ungenügende Ausschöpfung des psychiatrischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung gerügt wird, erweist sich bereits als unzulässig.
22
1. Dies gilt schon deswegen, weil Inhalt und Ergebnis der den Sachverständigen betreffenden Beweisaufnahme nicht mit den Mitteln des Revisionsrechts feststellbar sind (vgl. hierzu nur BGH, Urteil vom 3. Juli 1962 – 1 StR 157/62, BGHSt 17, 351, 352 f.; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 364 mwN). Ein Beweis für die Richtigkeit der Behauptung, der Sachverständige sei zur sittlichen und geistigen Reife des Angeklagten bei den Taten nicht gehört worden, ergibt sich aus den Urteilsgründen entgegen der Ansicht der Revisionsführerin nicht mit der erforderlichen Klarheit. Auch soweit es in den Urteilsgründen heißt, dass die vom Sachverständigen beurteilte – und bejahte – Einsichtsfähigkeit diejenige im Sinne des § 21 StGB betreffe und getrennt von der altersentwicklungsbedingten – von der Strafkammer verneinten – Einsichtsfähigkeit zu sehen sei, belegt dies nicht den Inhalt der Vernehmung des Sachverständigen. Vielmehr kann diese Ausführung auch allein der Erklärung geschuldet sein, wieso die sachverständigen Ausführungen zu den Voraussetzungen des § 21 StGB nicht im Widerspruch zu dem Ergebnis der Prü- fung des § 3 Satz 1 JGG stehen, ohne dass es einen tragfähigen Schluss auf den Inhalt der Beweisaufnahme gestattet.
23
2. Zudem sind aber auch die Vortragserfordernisse gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht eingehalten. Denn die Revisionsführerin unterlässt es, das vorbereitende schriftliche Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen vollständig vorzutragen. Allein anhand der aus dem Zusammenhang gerissenen einzelnen Auszüge aus dem Gutachten kann der Senat nicht beurteilen, ob sich das Landgericht angesichts des vorbereitenden Gutachtens zur Vernehmung des Sachverständigen zu den Voraussetzungen des § 3 Satz 1 JGG hätte gedrängt sehen müssen.
24
II. Sachrüge
25
1. Der Teilfreispruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Soweit das Landgericht die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten nach § 3 Satz 1 JGG insoweit nicht feststellen konnte, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
26
a) Nach § 3 Satz 1 JGG ist ein Jugendlicher strafrechtlich verantwortlich, wenn positiv feststeht, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug gewesen ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Ob die erforderliche Verantwortungsreife gegeben ist, hat der Tatrichter auf der Grundlage seiner Feststellungen zur persönlichen Entwicklung des Jugendlichen, zu dessen Persönlichkeit zur Tatzeit und den Umständen der konkreten Tat – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe (vgl. § 43 Abs. 2 JGG) – wertend zu beurteilen. Kann die nach § 3 Satz 1 JGG erforderliche Einsichts- und Handlungsreife nicht sicher festgestellt werden , scheidet ein Schuldspruch aus (vgl. BGH, Urteile vom 13. Dezember 2012 – 4 StR 271/12, NStZ 2013, 286 und vom 3. Februar 2005 – 4 StR 492/04, ZJJ 2005, 205 mit Anm. Ostendorf; Eisenberg, JGG, 18. Aufl., § 3 Rn. 4; Münch KommStGB/Altenhain/Laue, 2. Aufl., § 3 JGG Rn. 5).
27
b) Das Landgericht hat diesen Maßstab zugrunde gelegt. Dementsprechend ist es zutreffend davon ausgegangen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 JGG für jede Tat gesondert zu prüfen ist und von mehreren Einzelfaktoren abhängig sein kann. Hervorgehoben hat es das Alter des Täters, die Tatumstände und bisherige erzieherische Beeinträchtigungen, insbesondere durch die Heimunterbringung.
28
Hinsichtlich der Reife für die auf kinderpornographische Schriften bezogenen Taten hat es den schon früh begonnenen und häufigen sexuellen Kontakten des Angeklagten mit anderen Kindern während seines Heimaufenthalts ausschlaggebende Bedeutung zugemessen. Dieser habe mit den pornographischen Bildern auf seinem Computer Darstellungen von genau dem besessen, was er seit seinem neunten Lebensjahr selbst erlebt habe und für ihn „normaler“ Alltag gewesen sei. Die Sozialisation sowie die geistige und sittliche Ent- wicklung des Angeklagten seien unter dem Eindruck frühzeitiger sexueller Kontakte mit anderen Kindern erfolgt. Dieser Eindruck habe nach der Rückkehr in das Elternhaus fortgewirkt. Erst durch die Übergabe des Notebooks am 5. März 2013 sei er dahingehend nachgereift, dass er begriffen habe, der Besitz kinderpornographischer Bilder sei verboten.
29
Für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 3 JGG hinsichtlich der sexuellen Handlungen mit H. hat das Landgericht an diese Überlegungen angeknüpft und einen Reifeprozess nach der Heimentlassung bis zu diesen Taten, auch wenn sie im März oder April 2014 stattgefunden haben sollten , nicht erkennen können. Hierzu hat es ausgeführt, dass der Angeklagte mit der ersten sexuellen Handlung an H. – nur vier Monate nach der Heimentlassung und einen Monat nach dem 14. Geburtstag des Angeklagten – das zuvor im Heim erlebte Verhalten fortgesetzt habe. Es habe sich zudem um Ausdruck von Zuneigung gehandelt. Ein Anlass in der Lebensgeschichte, der ihm verdeutlicht hätte, dass diese Handlungen verboten sind, sei nicht ersichtlich. Für die beiden später gelagerten sexuellen Handlungen komme hinzu, dass der Geschädigte die sexuellen Handlungen zugelassen habe oder die Initiative von ihm ausgegangen sei, so dass sein Verhalten keinen Beitrag zu der Erkenntnisreife des Angeklagten geliefert habe, Verbotenes zu tun. Ein äußerer Anlass für einen Reifeprozess bis zu diesen weiteren sexuellen Kontakten liege nicht vor.
30
c) Diese Ausführungen zeigen keine Rechtsfehler auf. Sie gehen von einem zutreffenden Maßstab aus und sind insbesondere nicht lückenhaft. Das Landgericht hat alle Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen und dabei nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. April 2015 – 3 StR 635/14). Hierbei durfte es den Tatumständen, wonach die sexuellen Handlungen Ausdruck von Zuneigung waren und die Initiative auch vom Geschädigten ausging, im Rahmen der Gesamtwürdigung Bedeutung zumessen. Es ist auch nicht zu befürchten, dass das Landgericht die langjährigen therapeutischen Interventionen vor dem Hintergrund der schon früh aufgetretenen sexualisierten Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten aus dem Blick verloren haben könnte. Dem steht schon entgegen, dass es sich ausdrücklich mit den Erlebnissen des Angeklagten während der Heimunterbringung auseinandergesetzt hat. Dass es hieraus Schlüsse gezogen hat, die die Revisionsführerin als lebensfremd erachtet, zeigt noch keine Lückenhaftigkeit auf, sondern ist Gegenstand der dem Tatgericht obliegenden Würdigung, die vom Revisionsgericht auch dann hinzunehmen ist, wenn eine andere Bewertung möglich gewesen wäre. Das Landgericht hat ausweislich der Urteilsgründe geprüft, ob es einen Anlass gegeben hat, der dem Angeklagten das Verbotensein seiner Handlungen verdeutlicht hätte, dies unter Berücksichtigung auch der langjährigen therapeutischen Bemühungen aber verneint. Das Urteil enthält keine Umstände, die diesem tatgerichtlichen Schluss den Boden entziehen. Zwar ist festgestellt, dass die Initiative zu den sexuellen Handlungen während der Heimunterbringung meist vom Angeklagten ausging. Hieraus hätte aber entgegen der Ansicht der Revisionsführerin nicht der Schluss gezogen werden müssen, dem Angeklagten – immerhin war er während dieser Zeit im Heim unter 14 Jahren, mithin strafunmündig – sei das Verbotensein solcher Handlungen vermittelt worden und dies habe in ihm die nach § 3 JGG erforderliche Reife geweckt.
31
2. Jedoch hält die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Gefährlichkeitsprognose weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
32
a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt allerdings nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 und vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 34; Urteil vom 28. Oktober 2015 – 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 – 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015,169; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27).
33
b) Diesen Anforderungen werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht.
34
aa) Indem es für die Ablehnung der Maßregel darauf abstellt, die abgeurteilten Anlasstaten seien nicht ausreichend erheblich, lässt dies die Anwendung eines unzutreffenden Maßstabs besorgen. Denn die Anlasstaten selbst müssen nicht erheblich sein (BGH, Urteile vom 15. August 2013 – 4 StR 179/13 und vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341). Maßgeblich ist vielmehr, welche Taten künftig von dem Täter infolge seines Zustands zu erwarten und ob diese erheblich sind. Bei Abweichungen vom Schweregrad der Anlasstaten ist aber eine besonders sorgfältige Darlegung der Gefährlichkeitsprognose erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 2013 – 5 StR 120/13, BGHSt 58, 242; Urteile vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 und vom 23. Januar 1986 – 4 StR 620/85, NStZ 1986, 237).
35
bb) Durch den unzutreffenden Maßstab verfehlt das Landgericht auch die Anforderungen an die Prognose zukünftigen delinquenten Verhaltens. So wurde eine die Krankheits- und Delinquenzgeschichte des Angeklagten in den Blick nehmende Gesamtwürdigung nicht erkennbar vorgenommen. Dabei hätten die rechtswidrigen Taten zulasten von H. Berücksichtigung finden müssen, auch wenn es den Angeklagten insoweit aus rechtlichen Gründen freigesprochen hat. Denn maßgeblich für die Beurteilung krankheitsbedingter Gefährlichkeit sind in erster Linie zu Tage getretene tatsächliche Verhaltens- weisen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2014 – 1 StR 116/14). Zudem hätte in den Blick genommen werden müssen, dass der Angeklagte im zwar noch strafunmündigen Alter mit Brandlegungen und später mit „massiven“ Bedrohungen aufgefallen ist. Eine Auseinandersetzung damit, inwieweit die in diesem Verhalten zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit auch unter Berücksichtigung der festgestellten Nachreifung noch fortwirkt, fehlt jedoch.
36
Allein der Hinweis auf eine Interessenverlagerung des Angeklagten auf etwa gleichartige Sexualpartner vermag diese Würdigung nicht zu ersetzen. Dies gilt schon allein deswegen, weil eine Interessenverlagerung des Angeklagten nicht belegt ist. Vielmehr ist ein gewisses Spannungsverhältnis zu den Feststellungen im Übrigen auszumachen, wonach der Angeklagte noch im August 2014 kinderpornographisches Material besessen und sich in der Folge überwiegend nicht auf freiem Fuß befunden hat.
37
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer am zutreffenden Maßstab orientierten Gefährlichkeitsprognose auch unter Berücksichtigung der Nachreifung des Angeklagten die Voraussetzungen des § 63 StGB festgestellt hätte.
38
3. Die Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft erweist sich danach als unzulässig. Die Aufhebung des Absehens von der Maßregel nach § 63 StGB zieht die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs nach sich. Denn gemäß § 5 Abs. 3 JGG ist über die Verhängung von Jugendstrafe und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur aufgrund einheitlicher Betrachtung zu entscheiden (dazu BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 – 2 StR 135/07), so dass auch die verhängte Jugendstrafe keinen Bestand haben kann.

C.

Revision des Angeklagten
39
Auf die Revision des Angeklagten kann die Verurteilung wegen des Verschaffens des Besitzes von kinderpornographischen Schriften in Tatmehrheit mit drei Fällen des Besitzes kinderpornographischer Schriften keinen Bestand haben.
40
Das Landgericht hat zum Inhalt der kinderpornographischen Schriften keinerlei Feststellungen getroffen, sondern lediglich unter Wiedergabe des Gesetzeswortlauts ausgeführt, dass es sich um kinderpornographische Fotos gehandelt habe, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben und ausschließlich reale sexuelle Handlungen von oder an Kindern zum Gegenstand haben. Das Urteil enthält – wegen der Einzelheiten – auch keine Bezugnahme auf bei den Akten befindliche Abbildungen (vgl. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO), so dass dem Revisionsgericht die Überprüfung des Schuldspruchs verwehrt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2007 – 2 StR 279/07).

D.


41
1. Das nun zuständige Tatgericht wird zunächst zu prüfen haben, ob es sich erneut vom Vorliegen strafbarer, mithin im Zustand der gemäß § 3 JGG erforderlichen Reife begangener Besitz- bzw. Besitzverschaffungshandlungen überzeugen kann. Dabei kann die durch das Gesetz vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10, 12) neu gefasste Vorschrift des § 184b StGB nach Maßgabe des § 2 StGB in der Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3007, 3009), geändert durch Gesetz vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2149, 2150), Anwendung finden. Für die konkurrenzrechtliche Beurteilung wird zu beachten sein, ob die den einzelnen Taten zugeordneten Bilder aufgrund eines neuen Tatentschlusses auf die sukzessive sichergestellten Speichermedien gelangt sind (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 – 3 StR 215/08, NStZ 2009, 208).
42
2. Sollten strafbare Besitz- bzw. Besitzverschaffungstaten festgestellt werden, wären die Voraussetzungen des § 63 StGB bezogen auf diese Anlasstaten zu prüfen. Der Senat braucht daher hier nicht zu entscheiden, ob er der Ansicht folgen könnte, beim Zusammentreffen entwicklungsbedingter und psychopathologischer Zustände, die einerseits eine fehlende Verantwortlichkeit nach § 3 JGG, andererseits einen Zustand im Sinne des § 21 StGB begründen, sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anzuordnen, soweit deren Voraussetzungen vorliegen (BGH, Urteil vom 29. Januar 1975 – 2 StR 579/74, BGHSt 26, 67; Thüringer OLG, Beschluss vom 29. Januar 2007 – 1 Ws 16/07, NStZ-RR 2007, 217; a.A. OLG Karlsruhe, Urteil vom 17. Februar 2000 – 2 Ss 225/99, Die Justiz 2000, 151 [zum Verhältnis bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB]; Renzikowski, NJW 1990, 2905, 2910 Fn. 67; Übersicht zum Meinungsstand bei Eisenberg, aaO § 3 Rn. 35 ff.).
43
3. Sollte sich, was nahe liegt, auf dieser Grundlage erneut ergeben, dass der Angeklagte bei der Begehung dieser Taten aufgrund eines andauernden psychischen Defekts vermindert schuldfähig war und die Begehung dieser Taten auf dem angenommenen Defekt beruhten, wird eine umfassende Gefährlichkeitsprognose entsprechend der oben aufgezeigten Maßgaben erforderlich. Dabei hat das neue Tatgericht aber Feststellungen dazu zu treffen, ob der An- geklagte die Taten, für die er für nicht verantwortlich erachtet worden ist, begangen hat. Ein Rückgriff auf die Feststellungen des den Angeklagten freisprechenden Urteilsteils ist dem Gericht verwehrt, da der Angeklagte sich gegen die darin getroffenen Feststellungen nicht wehren konnte (vgl. hierzu zuletzt BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 56/15, NJW 2016, 728). Sollte es dann im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose erneut delinquente Verhaltensweisen im strafunmündigen Zustand zu würdigen haben, wird es insbesondere in den Blick zu nehmen haben, wie sich eine gegebenenfalls eingetretene Nachreifung auswirkt.
44
Im Hinblick auf eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB wird darüber hinaus infolge der Ziele eines Strafverfahrens gegen Jugendliche (Schutz, Förderung und Integration des Jugendlichen) stets besonders eingehend zu prüfen sein, ob die Maßregel erforderlich ist oder weniger einschneidende Maßnahmen ausreichen (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 1991 – 4 StR 89/91, BGHSt 37, 373).
45
4. Für die gegebenenfalls erforderliche Strafzumessungsentscheidung weist der Senat auf die vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend aufgezeigten Begründungserfordernisse für die Bemessung von Jugendstrafe hin. Raum Graf Cirener Radtke Mosbacher

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 179/13 vom 15. August 2013 in der Strafsache gegen wegen Beleidigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. August 2013, an der teilgenommen haben: Vorsitzende

Bundesgerichtshof Urteil, 02. Apr. 2015 - 3 StR 635/14

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Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juli 2008 - 3 StR 215/08

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Bundesgerichtshof Urteil, 28. Okt. 2015 - 1 StR 142/15

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Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Okt. 2015 - 1 StR 56/15

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Bundesgerichtshof Urteil, 29. Sept. 2015 - 1 StR 287/15

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Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Jan. 2015 - 4 StR 514/14

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Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Juni 2014 - 4 StR 111/14

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR111/14 vom 16. Juni 2014 in der Strafsache gegen wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am
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Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2018 - 3 StR 180/18

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Bundesgerichtshof Urteil, 28. März 2018 - 2 StR 311/17

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Referenzen

Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie das Familiengericht.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie das Familiengericht.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie das Familiengericht.

(1) Nach Einleitung des Verfahrens sollen so bald wie möglich die Lebens- und Familienverhältnisse, der Werdegang, das bisherige Verhalten des Beschuldigten und alle übrigen Umstände ermittelt werden, die zur Beurteilung seiner seelischen, geistigen und charakterlichen Eigenart dienen können. Der Erziehungsberechtigte und der gesetzliche Vertreter, die Schule und der Ausbildende sollen, soweit möglich, gehört werden. Die Anhörung der Schule oder des Ausbildenden unterbleibt, wenn der Jugendliche davon unerwünschte Nachteile, namentlich den Verlust seines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, zu besorgen hätte. § 38 Absatz 6 und § 70 Absatz 2 sind zu beachten.

(2) Soweit erforderlich, ist eine Untersuchung des Beschuldigten, namentlich zur Feststellung seines Entwicklungsstandes oder anderer für das Verfahren wesentlicher Eigenschaften, herbeizuführen. Nach Möglichkeit soll ein zur Untersuchung von Jugendlichen befähigter Sachverständiger mit der Durchführung der Anordnung beauftragt werden.

Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie das Familiengericht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 271/12
vom
13. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu Ziff. 1 Verdachts des versuchten Mordes u.a.
zu Ziff. 2 Verdachts der Anstiftung zum versuchten Mord u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Quentin,
Reiter
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt für den Angeklagten J. ,
Rechtsanwalt für den Angeklagten H.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27. Februar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den zur Tatzeit ca. 16 Jahre und 10 Monate alten Angeklagten J. vom Vorwurf des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr freigesprochen, weil es bei ihm die erforderliche strafrechtliche Verantwortlichkeit gemäß § 3 Satz 1 JGG nicht festzustellen vermochte und eine Unterbringung nach § 63 StGB nicht in Betracht kam. Dem zur Tatzeit ca. 17 Jahre und 8 Monate alten Angeklagten H. lag Anstiftung zu den von dem Angeklagten J. begangenen Delikten zur Last. Er wurde freigesprochen, weil eine Tatbeteiligung nicht erweislich war. Gegen beide Freisprüche haben die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Revision eingelegt. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
1. In der unverändert zugelassenen Anklageschrift vom 11. Juli 2011 wird dem Angeklagten J. vorgeworfen, am 21. April 2010 gegen 18.40 Uhr mit bedingtem Tötungsvorsatz einen mit Bauschutt gefüllten 10-Liter-Eimer von einer Brücke auf die Bundesautobahn A 1 geworfen und dadurch den in seinem Pkw auf der mittleren Fahrspur fahrenden Nebenkläger verletzt zu haben. Dem Angeklagten H. wird zur Last gelegt, den Angeklagten J. zu dem Eimerwurf aufgefordert zu haben.
3
2. Nach den Feststellungen befanden sich die miteinander befreundeten Angeklagten gemeinsam auf dem Heimweg, der sie über eine Autobahnbrücke führte. Kurz vor Beginn der Brücke standen mehrere mit Bauschutt gefüllte Eimer. Der Angeklagte J. nahm einen dieser Eimer an sich und ging zusammen mit dem Angeklagten H. bis zur Mitte der Brücke. Dort ließ sich der Angeklagte H. den Eimer von dem Angeklagten J. geben. Anschließend gab er den Eimer dem Angeklagten J. zurück oder stellte ihn vor dem Angeklagten J. ab, der den Eimer sodann wieder an sich nahm. Dann sagte der Angeklagte H. etwas zu dem Angeklagten J. ; der Inhalt konnte nicht festgestellt werden. Direkt nach dieser Äußerung warf der Angeklagte J. den Eimer über das Brückengeländer auf die zu diesem Zeitpunkt „nicht übermäßig“ befahrene Autobahn. Der noch weitgehend gefüllte Eimer durchschlug die Frontscheibe des Pkw des Nebenklägers, der mit 100 - 120 km/h auf dem mittleren Fahrstreifen fuhr. Bauschutt und Teile des Eimers wurden in das Wageninnere geschleudert. Ein keilförmiges, etwa 20 cm langes Teil des Eimers blieb wie ein Wurfgeschoss in der Abdichtung des Fensters der Fahrertür stecken. Der von dem Eimerwurf überraschte Nebenkläger wurde von den eindringenden Teilen lediglich gestreift und erlitt multiple ober- flächliche Schürfwunden. Er vermochte sein Fahrzeug kontrolliert auf dem Standstreifen zum Stehen zu bringen; an seinem Pkw entstand ein Sachschaden in Höhe von 5.500 Euro. Beide Angeklagte liefen auf getrennten Wegen davon.
4
Der Angeklagte J. wusste, dass durch den Eimerwurf ein Mensch verletzt werden konnte. Ebenso erkannte er, dass das Werfen des Eimers auf die Autobahn generell geeignet war, das Leben eines Menschen zu gefährden. All dies nahm er auch billigend in Kauf. Dass er auch den Tod eines anderen Menschen billigend in Kauf nahm, konnte das Landgericht dagegen nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Der Angeklagte J. erkannte weiterhin , dass der Wurf des Eimers auf die Autobahn die Verkehrsgefahr so ge- steigert hat, „dass konkrete Gefahren deutlich wahrscheinlicher“ und Leib oder Leben eines anderen Menschen bzw. fremde Sachen von bedeutendemWert gefährdet wurden. Auch dies nahm er zumindest billigend in Kauf.

II.


5
Der Freispruch des Angeklagten J. ist aufzuheben, weil die Erwägungen , mit denen das Landgericht eine strafrechtliche Verantwortlichkeit (§ 3 Satz 1 JGG) verneint hat, rechtlicher Überprüfung nicht standhalten.
6
1. Das sachverständig beratene Landgericht hat bei dem Angeklagten J. die nach § 3 Satz 1 JGG erforderliche Einsichtsfähigkeit bejaht. Es ist jedoch – auch insoweit den angehörten Sachverständigen folgend – zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte nicht über das bei Jugendlichen mit durchschnittlichem Entwicklungsstand zu fordernde Hemmungsvermögen ver- fügt habe und seine „Handlungsfähigkeit“ deshalb „eingeschränkt“ gewesen sei; Grund hierfür sei im Wesentlichen eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung, welche sich vermutlich auf dem Boden einer sozialen Bindungsstörung im Kindesalter entwickelt habe und sich unter anderem in erheblichen Schwächen im auditiven Verständnis und im Bereich der sprachlichen Verarbeitungsgeschwindigkeit sowie in einer Neigung zur Unterordnung zeige (UA 39 f., 40 f.). § 3 Satz 1 JGG setze eine positive Feststellung der „Handlungsfähigkeit“ voraus. Diese sei nicht mehr sicher möglich, wenn die „Handlungsfähigkeit“, wie hier, beschränkt sei. Für diesen Fall müsse zu Gunsten des Angeklagten die „Hand- lungsfähigkeit“ und damit die strafrechtliche Verantwortlichkeit verneint werden (UA 42).
7
Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht allein in der Feststellung von entwicklungsbedingten Einschränkungen der Handlungsreife ein Hindernis für die Annahme einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach § 3 Satz 1 JGG gesehen hat. Dies trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu.
8
Nach § 3 Satz 1 JGG ist ein Jugendlicher strafrechtlich verantwortlich, wenn positiv feststeht, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug gewesen ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Ob die erforderliche Verantwortungsreife gegeben ist, hat der Tatrichter auf der Grundlage seiner Feststellungen zur persönlichen Entwicklung des Jugendlichen, zu dessen Persönlichkeit zur Tatzeit und den Umständen der konkreten Tat – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe (vgl. § 43 Abs. 2 JGG) – wertend zu beurteilen. Kann die nach § 3 Satz 1 JGG erforderliche Einsichts- und Handlungsreife nicht sicher festgestellt werden , scheidet ein Schuldspruch aus (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 2005 – 4 StR 492/04, ZJJ 2005, 205; Eisenberg, 16. Aufl., § 3 Rn. 4; Münch- KommStGB/Altenhain, § 3 JGG Rn. 5; Streng, Jugendstrafrecht, 3. Aufl., Rn. 47; Bohnert, NStZ 1988, 249).
9
Das sich aus § 3 Satz 1 JGG ergebende Erfordernis, die entwicklungsbedingte Handlungsreife in Bezug auf die konkrete Rechtsgutsverletzung positiv feststellen zu müssen, stellt an den Tatrichter zwar besondere Erkenntnis- und Begründungsanforderungen (vgl. Bohnert, NStZ 1988, 249; Streng, DVJJJournal 1997, 379, 380), doch folgt aus ihm nicht, dass eine entsprechende Annahme nur noch dann getroffen werden kann, wenn keine reifebedingten Einschränkungen vorliegen. Auch eine aufgrund von Reifedefiziten eingeschränkte Fähigkeit, nach der vorhandenen Einsicht in das Unrecht der Tat zu handeln, begründet die Annahme strafrechtlicher Verantwortlichkeit gemäß § 3 Satz 1 JGG, wenn der Jugendliche „reif genug“ ist (so der Wortlaut von § 3 Satz 1 JGG). Feststellungen bzw. Wertungen hierzu hat das Landgericht nicht getroffen. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
10
2. Das Urteil war trotz des auf die Bewertung der Verantwortungsreife beschränkten Rechtsfehlers im Ganzen aufzuheben. Eine Aufrechterhaltung von belastenden Feststellungen kam nicht in Betracht, weil der Angeklagte J. aufgrund des Freispruchs an einer Anfechtung des Urteils gehindert war (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2000 – 3 StR 595/99, insoweit in NStZ-RR 2000, 300 nicht abgedruckt; Beschluss vom 15. Dezember 1999 – 5 StR 537/99; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 353 Rn. 15a).

III.


11
Der Freispruch des Angeklagten H. hat keinen Bestand, weil die Urteilsgründe den Anforderungen des § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO nicht genügen.
12
1. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen müssen die Urteilsgründe dem Revisionsgericht eine umfassende rechtliche Nachprüfung der freisprechenden Entscheidung ermöglichen (BGH, Urteil vom 26. April 1990 – 4 StR 24/90, BGHSt 37, 21, 22; Urteil vom 26. September 1989 – 1 StR 299/89, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2). Dazu ist es in der Re- gel erforderlich, dass die für erwiesen und die nicht für erwiesen erachteten Tatsachen eindeutig bezeichnet werden (BGH, Urteil vom 17. Mai 1990 – 4 StR 208/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 4; KK-StPO/Engelhardt, 6. Aufl., § 267 Rn. 41). Hieran fehlt es.
13
In den unter II.1a) der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen zum Sachverhalt findet sich keine Aussage darüber, was die Angeklagten vor dem Erreichen der Brückenmitte miteinander gesprochen haben (UA 5). In der sich anschließenden Beweiswürdigung gibt das Landgericht die Tatschilderung des Angeklagten H. wieder. Danach hat der Angeklagte H. angegeben, noch vor dem Erreichen der Brückenmitte von dem Angeklagten J. gefragt worden zu sein, ob er den Eimer werfen solle. Hierauf habe er unüberlegt ge- antwortet: „Mach doch“. Nachdem er etwa in Höhe der Mitte der Autobahn den Eimer selbst in die Hand genommen und anschließend an J. zurückgegeben habe, sei er einige Schritte weiter gegangen. Dabei habe er zu J. gesagt , dass er den Eimer nicht werfen solle (UA 10). Das Landgericht geht davon aus, dass dem Angeklagten H. diese Einlassung nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit widerlegt werden kann. Eine „Überführung“ allein aufgrund seiner eigenen Angaben sei jedoch nicht möglich, weil der unüberlegten oder aus Spaß getätigten Äußerung „Mach doch“ weder eine Aufforderung zum Wurf des Eimers, noch das Bestärken eines bereits vorhandenen Tatentschlusses hinreichend sicher entnommen werden könne (UA 11). In der rechtlichen Würdigung heißt es dazu, dass „unabhängig vom Inhalt der Äußerung“ nicht davon auszugehen sei, dass der Angeklagte H. durch die Äußerung bei dem Angeklagten J. den Entschluss zum Werfen des Eimers hervorgerufen oder einen etwaigen vorhandenen Entschluss bestärkt hat (UA 24 f.). Bei der Erörterung der Frage, ob eine Garantenpflicht aus Inge- renz bestanden hat, bezeichnet es das Landgericht als „nicht ausschließbar“, dass der Angeklagte H. auf die Frage des Angeklagten J. , ob er den Eimer werfen solle, mit den Worten „Mach doch“ geantwortet hat (UA 25).
14
Diese Ausführungen lassen, ungeachtet der „durchgehenden“ Schilderung des Angeklagten J. , dass er den Angeklagten H. vor dem Wurf dahin verstanden habe, dass er den Eimer werfen solle (UA 23), nicht mit der gebotenen Klarheit erkennen, ob die für die Beurteilung der Strafbarkeit des Angeklagten H. bedeutsame Äußerung „Mach doch“ und die vorangehende Frage des Angeklagten J. , ob er den Eimer werfen solle, objektiv festgestellt sind. Das Urteil bietet daher in tatsächlicher Hinsicht keine geeignete Grundlage für eine revisionsrechtliche Überprüfung, zumal für eine Anstiftung dolus eventualis ausreicht und nicht erforderlich ist, dass der Anstiftende die Anstiftung ernst meint oder die Kausalität ernstlich gewollt haben muss (BGH, Urteil vom 10. Juni 1998 – 3 StR 113/98, BGHSt 44, 99, 102).
15
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
16
Sollte der neue Tatrichter zu der Feststellung gelangen, dass der Angeklagte H. den Angeklagten J. durch eine entsprechende Äußerung zu dem Eimerwurf aufgefordert oder in seinem Entschluss den Eimer zu werfen bestärkt hat, wird – falls ein dolus eventualis nicht festgestellt werden kann – die Annahme einer Beihilfe durch Unterlassen auf der Grundlage einer Garantenstellung wegen der tatsächlichen Herbeiführung einer Gefahrenlage (Inge- renz) zu erörtern sein. Äußerungen, die objektiv den Tatbestand der Anstiftung (§ 26 StGB) oder der (psychischen) Beihilfe (§ 27 StGB) erfüllen, sind pflichtwidrig und daher grundsätzlich geeignet eine Garantenstellung zu begründen. Von einem sozialüblichen Verhalten kann in diesem Fall allein aufgrund des objektiven Pflichtverstoßes nicht mehr gesprochen werden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 1986 – 4 StR 150/86, BGHSt 34, 82, 84).
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Quentin Reiter

Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie das Familiengericht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 5 / 1 4
vom
2. April 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. April 2015,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 7. August 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Beleidigung zu der Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu jeweils 15 € verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte, wirksam auf den Teilfreispruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
2
Nach den Feststellungen trank die damals dreizehnjährige Nebenklägerin in der Nacht zum 5. Juli 2012 in der gemeinsam von ihrer Tante und dem Angeklagten bewohnten Wohnung eine große Menge Alkohol. Anschließend wurde sie u.a. von ihrer Mutter zu Bett gebracht. Das Landgericht hat sich nicht die Überzeugung verschaffen können, dass der Angeklagte in der Nacht das Kinderzimmer, in dem die Nebenklägerin allein schlief, aufsuchte, diese an der Brust berührte, mit dem Finger in ihre Scheide eindrang und schließlich mit ihr den Geschlechtsverkehr ausübte.
3
Der Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung hat keinen Bestand, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts erweist sich als lückenhaft. Das Urteil lässt nicht erkennen, dass die Strafkammer alle Umstände , die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen und dabei nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (zu diesen Erfordernissen etwa BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, juris Rn. 8).
4
Der Angeklagte hat den Vorwurf bestritten. Von der Glaubhaftigkeit der ihn belastenden Aussage der Nebenklägerin hat sich das Landgericht entgegen dem Ergebnis eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens nicht zu überzeugen vermocht, weil ihre Wahrnehmungsfähigkeit aufgrund ihrer erheblichen Alkoholisierung zum angeblichen Tatzeitpunkt möglicherweise beeinträchtigt gewesen sei. Den Urteilsgründen ist allerdings nicht zu entnehmen, ob die Strafkammer sich bei der Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin damit auseinandergesetzt hat, dass der Angeklagte bei der als Beleidigung abgeurteilten Tat ein dem von ihr geschilderten ähnliches Verhalten zeigte. Bei diesem Vorfall, der einige Monate nach dem von der Nebenklägerin berichteten Geschehen stattfand, betrat der Angeklagte das Zimmer ihrer älteren, damals sechzehnjährigen Schwester und berührte diese an Brust und Gesäß. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Nebenklägerin einer Freundin und ihrer Mutter bereits von einem sexuellen Missbrauch durch den Angeklagten berichtet. Das - vom Angeklagten eingeräumte - Verhalten gegenüber der Schwester der Nebenklägerin, das deutliche Parallelen zu dem Tatvorwurf auf- weist, von dem das Landgericht den Angeklagten freigesprochen hat, hätte die Strafkammer in ihre Beweiswürdigung einstellen müssen.
Schäfer RiBGH Hubert ist wegen Mayer Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Schäfer Gericke Spaniol

Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie das Familiengericht.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR111/14
vom
16. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. Juni 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 4. Oktober 2013 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit Nachstellung, in drei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte , und in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat dieses Urteil mit den Feststellungen – mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen der Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin und der vorsätzlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Zeugin B. – aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr freigesprochen und erneut seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
2
Dagegen wendet sich der Angeklagte und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.


3
Der Rüge der Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO bleibt der Erfolg bereits aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 24. März 2014 versagt.

II.


4
1. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer hat im angefochtenen Urteil folgende ergänzende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
a) Die Nebenklägerin erregte zu Beginn des Tatzeitraums die Aufmerksamkeit des Angeklagten, als sie 1999 in eine Wohnung zog, die der seinen gegenüber lag. Zuvor hatte keine Bekanntschaft zwischen ihnen bestanden. Obwohl die Nebenklägerin eindeutig zum Ausdruck gebracht hatte, dass sie keine nähere Beziehung zum Angeklagten wollte, glaubte dieser an eine gemeinsame Zukunft und sah sich – infolge seiner psychischen Erkrankung – dazu auch berechtigt, da die Nebenklägerin ihm entsprechende „Signale gesandt“ und auch das „passende Sternzeichen“ habe. Daher unternahm er eine große Zahl von Kontaktversuchen, durch die die Nebenklägerin in ihrer Lebensgestaltung zunehmend beeinträchtigt wurde. Zu den Nachstellungshandlungen im Einzelnen wird auf die durch den Beschluss des Senats vom 19. Dezember 2012 (4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145) im ersten Rechtsgang aufrecht erhaltenen Feststellungen des Landgerichts zum äußeren Tatgeschehen Bezug ge- nommen. Wegen Schwierigkeiten im Verhältnis zum Vater ihres Sohnes, aber auch wegen des Verhaltens des Angeklagten, suchte die Nebenklägerin ab dem Jahr 2000 eine Psychotherapeutin auf. Die mit dieser verabredete Strategie , den Angeklagten zu ignorieren, scheiterte unter anderem daran, dass er sich ihr bei Erledigungen oder Spaziergängen häufig in den Weg stellte und sie auch mit dem Pkw verfolgte. Da dieses Verhalten des Angeklagten nicht nachließ , zog die Nebenklägerin im Jahr 2003 in eine etwa drei Kilometer entfernt liegende Wohnung, wodurch sich ihr Arbeitsweg verlängerte und ihr Sohn nunmehr mit dem Bus zur Schule fahren musste.
6
Nachdem der Angeklagte im Frühjahr 2005 den neuen Wohnort der Nebenklägerin herausgefunden hatte, setzte er seine Nachstellungshandlungen fort, weshalb die Nebenklägerin erneut die in der Zwischenzeit eingestellten Sicherungsmaßnahmen ergriff, z.B. indem sie nur noch in Begleitung Fahrrad fuhr. Ab Anfang 2009 intensivierten sich die Handlungen des Angeklagten, so dass sich die Nebenklägerin wieder in psychotherapeutische Behandlung begeben musste; es wurde eine deutliche Chronifizierung ihrer Angstzustände festgestellt. Die Nebenklägerin äußerte Selbstmordgedanken und erklärte, sie wisse nicht, wie sie weiterleben solle, wenn der Angeklagte von seinen Handlungen nicht ablasse und sie für den Rest ihres Lebens auf die von ihr ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen angewiesen sei. Ab 2011 steigerte sich die depressive , inzwischen mit Medikamenten behandelte Erkrankung der Nebenklägerin zu einer mittelschweren bis schweren Ausprägung und ging auch mit einer allgemeinen Antriebsminderung einher. Die Nebenklägerin litt fast täglich unter Panikattacken und nächtlichem Herzrasen; phasenweise war sie zu einer aktiven Teilnahme am Alltagsleben nicht mehr in der Lage. Zur Verschärfung der Situation trug auch die Tatsache bei, dass der Angeklagte ab Februar 2010 am Arbeitsplatz der Nebenklägerin erschien, so dass auch ihr berufliches Um- feld in die Sicherheitsmaßnahmen einbezogen werden musste. Ihr Arbeitsplatz wurde auf ihren Wunsch in einen schwerer zugänglichen Bereich des Firmengebäudes verlegt, auf dem Weg von und zu ihrem Pkw ließ sich die Nebenklägerin regelmäßig von einem Arbeitskollegen begleiten. Depressive Schübe verursachten in mehreren Fällen länger andauernde Arbeitsunfähigkeit. Als besonders belastend empfand die Nebenklägerin dabei zusätzlich die Szenen, die sich jeweils abspielten, wenn der Angeklagte durch Polizeibeamte oder andere Personen zum Verlassen des jeweiligen Ortes aufgefordert wurde, da er nie freiwillig Platzverweisen folgte und sein Verhalten auch nach Erlass von Abstandsverfügungen , Platzverweisen und zweimaliger Ordnungshaft fortsetzte.
7
b) Bereits im Zeitraum zwischen 1991 und 2000 hatte der Angeklagte ein ähnliches Verhalten gegenüber der damaligen Geschädigten T. gezeigt, die er 1984 zufällig über ihren Zwillingsbruder beim Tennisspielen kennen gelernt hatte. Nach Heirat der Geschädigten mit dem Zeugen F. im Jahr 1991 hatte er ständige Kontaktversuche zu ihr unternommen und sich auch durch massive Ansprachen, anwaltliche Schreiben, Unterlassungsverfügungen und regelmäßige Konflikte mit der Polizei davon nicht abhalten lassen. Er hatte ihr unzählige Briefe und CDs geschickt, sie mit dem Fahrrad oder mit dem Pkw auf dem Weg zur Arbeit verfolgt, wobei er sie teilweise durch dichtes Auffahren bedrängt hatte, so dass sie sich durch den Angeklagten regelrecht „gejagt“ gefühlt hatte. Dieses Verhalten hatte der Angeklagte – zeitweise täglich – auch fortgesetzt, als die Zeugin erkennbar schwanger war. Nach der Geburt der Tochter der Geschädigten im Jahr 1995 hatte der Angeklagte sein nachstellendes Verhalten auch auf das Kind erstreckt. Mehrere Wohnortwechsel hatten den Angeklagten von seinem Verhalten nicht abgehalten; zu Konfrontationen mit der Polizei war es in über 20 Fällen gekommen.
8
c) Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dem Angeklagten könne hinsichtlich der festgestellten Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin und der Körperverletzungshandlungen zum Nachteil der Zeugin B. kein Schuldvorwurf gemacht werden, da er zum Zeitpunktder Taten auf Grund einer undifferenzierten Schizophrenie, die mit massiven formalen Denkstörungen sowie inhaltlichen Denkstörungen in Form eines Wahns einhergehe, im Sinne von § 20 StGB schuldunfähig gewesen sei. Seine Geistestätigkeit sei während der gesamten hier in Rede stehenden Zeiträume krankheitsbedingt derart beeinträchtigt gewesen, dass er das Unzutreffende seiner Gedankengänge und die Realitätsferne seiner von ihm als „logisch“ bezeichneten Schlussfolgerungen nicht mit dem in der Gesellschaft geltenden Norm- und Wertesystem habe abgleichen und daher das Unrecht seines Handelns nicht habe erkennen können. Die im Rahmen der stationären Unterbringung abgegebene und in der Hauptverhandlung wiederholte Erklärung, er werde die Nebenklägerin nunmehr in Ruhe lassen und sich in therapeutische Behandlung begeben, sei taktisch motiviert und bezwecke allein die Vermeidung der Unterbringung, die er als ungerechte Behandlung empfinde.
9
2. Zu den Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat das Landgericht, ebenfalls sachverständig beraten, ausgeführt, es bestehe die deutlich erhöhte Gefahr, dass sich der Angeklagte in Freiheit entweder erneut der Nebenklägerin zuwenden oder einen Wechsel seines Tatopfers vornehmen werde. Von einer Gefahr für die Allgemeinheit sei schon deshalb auszugehen, weil, anders als in vielen anderen Fällen der Nachstellung, keine vorherige Beziehung zwischen dem Angeklagten und seinem Tatopfer bestanden habe. Die Zufälligkeit der Auswahl seines Opfers lasse es als sehr wahrscheinlich erscheinen, dass sich der Angeklagte auch einer anderen fremden Frau zuwenden werde, wenn er nach seiner eige- nen, irrationalen Logik zu der Ansicht komme, dies sei für ihn die ideale Frau. Die hohe Wahrscheinlichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung bei zukünftigen Opfern einer Nachstellung ergebe sich generell aus der Dynamik einer derartigen Tat, im konkreten Fall aber auch aus den Besonderheiten des Wesens und der Erkrankung des Angeklagten und aus der Hartnäckigkeit, Engmaschigkeit und Penetranz der Tatbegehung. Dies schließe auch Folgen für die Opfer entsprechend den in § 238 Abs. 2 StGB erfassten schweren Gesundheitsbeschädigungen ein: Die von der Nebenklägerin wie auch von der Zeugin T. berichteten regelmäßigen Panikattacken, schweren Schlafstörungen und – im Fall der Nebenklägerin – auch Suizidgedanken bei einer Nachstellung wie der durch den Angeklagten begangenen sei nicht nur typisch, sondern zu erwarten. Zwar ließen sich die meisten Betroffenen vom Gedanken des Selbstmordes durch eine psychotherapeutische Begleitung wieder abbringen; ohne diese Begleitung sei es aber durchaus mehrfach zu Suiziden oder Suizidversuchen gekommen.
10
Mildere Maßnahmen zur Abwendung der vom Angeklagten für die Allgemeinheit ausgehenden Gefahr seien mangels gegenwärtiger Therapierbarkeit und Krankheitseinsicht nicht ersichtlich. Ob die Therapiebereitschaft unter Einnahme von Medikamenten erreicht werden könne, sei unsicher. Selbst dann sei beim Angeklagten noch keine Einsicht in das Unrecht der Tat erreicht.

III.


11
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
12
1. Die Strafkammer hat beim Angeklagten eine geistige Erkrankung aus dem Formenkreis der Schizophrenie mit massiven formalen und inhaltlichen Denkstörungen als nicht nur vorübergehenden, sondern überdauernden Defekt vom Schweregrad des § 20 StGB rechtsfehlerfrei festgestellt. Auch der symptomatische Zusammenhang zwischen den Anlasstaten und der festgestellten psychischen Erkrankung ist hinreichend belegt.
13
2. Die Erwägungen des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose halten – jedenfalls im Ergebnis – rechtlicher Nachprüfung stand.
14
a) Zwar begegnet die Annahme der Strafkammer, vom Angeklagten seien mit höherer Wahrscheinlichkeit Nachstellungstaten mit dem Schweregrad des Qualifikationstatbestands des § 238 Abs. 2 StGB zu erwarten, durchgrei- fenden rechtlichen Bedenken.
15
aa) Insoweit verfehlt die Strafkammer die Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Gefährlichkeitsprognose im Sinne von § 63 StGB.
16
Diese ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 und vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12). Die Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür, dass der Täter infolge seines Zustandes in Zukunft Taten von erheblicher Bedeutung begehen wird, muss der Tatrichter dabei nicht nur auf der Grundlage einer Gesamtschau der konkreten Tatumstände der Anlasstaten hinreichend darlegen (Senatsurteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 29); er muss auch konkrete Anhaltspunkte benennen, die die Erwartung künftiger Straftaten in ihrer jeweils für ausreichend wahrscheinlich gehaltenen Handlungsmodalität begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232).
17
bb) Das Landgericht stützt seine Prognose hier aber maßgeblich nur auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, wonach Gesundheitsbeschädigungen wie die von der Nebenklägerin glaubhaft geschilderten Panikattacken, schweren Schlafstörungen sowie die Gefahr des Todes durch (ernstliche) Gedanken an Suizid seiner beruflichen Erfahrung nach als typische Folgen der festgestellten Nachstellungshandlungen zu erwarten seien. Diese aus medizinischer Sicht – notwendigerweise – abstrahierende Betrachtung vermag den erforderlichen Beleg für künftige konkrete Gefahren im Sinne des § 238 Abs. 2 StGB im vorliegenden Fall schon im Hinblick auf die Variationsbreite denkbarer Opferreaktionen nicht zu ersetzen. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte gezielt psychisch labile Tatopfer auswählt, enthält das Urteil nicht.
18
b) Dieser Mangel der Gefahrprognose führt jedoch nicht zur Rechtsfehlerhaftigkeit der Unterbringungsanordnung. Dass die Urteilsfeststellungen hier lediglich eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung weiterer Straftaten im Sinne von § 238 Abs. 1 StGB belegen, so dass nur der Strafrahmen von Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe eröffnet ist, steht dem nicht entgegen.
19
aa) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der stän- digen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen , den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, Tz. 43 mwN). Auch wenn dem Gesetz in diesem Zusammenhang eine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände nicht entnommen werden kann, können wegen des außerordentlich beschwerenden Charakters der Maßregel nach § 63 StGB und mit Blick darauf, dass deren Anordnung und Fortdauer vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht werden (§ 62 StGB), Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, nicht ohne Weiteres dem Bereich der Taten von erheblicher Bedeutung zugerechnet werden (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31, Tz. 21 mwN). Hierzu gehört neben den Tatbeständen der Nötigung (§ 240 StGB), der Bedrohung (§ 241 StGB) und der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) generell auch die Nachstellung im Sinne von § 238 Abs. 1 StGB, sofern sie nicht mit aggressiven Übergriffen einhergeht (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31, Tz. 21, 28; Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2013 aaO und vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08, RuP 2008, 226, 227; vgl. auch Senatsbeschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 für die Bedrohung). Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus dem Delikt selbst, wie etwa bei Verbrechen, kommt der zu befürchtenden konkreten Ausgestaltung der Taten maßgebliche Bedeutung zu (vgl. Senatsurteil vom 12. Juni 2008 aaO).
20
bb) Vor dem Hintergrund der Feststellungen vor allem zur Anlasstat belegen die Urteilsgründe, dass die vom Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden weiteren Nachstellungshandlungen schon im Hinblick auf deren tatauslösende Umstände zu den erheblichen Taten zu rechnen sind, weil sie geeignet sind, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Insoweit hat das Landgericht, dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, maßgeblich darauf abgestellt, dass die Anlasstat nicht, wie in Nachstellungsfällen erfahrungsgemäß der Regelfall, aus einer länger bestehenden, sich krisenhaft entwickelnden Paarbeziehung erwachsen ist, der Angeklagte die Nebenklägerin vielmehr völlig zufällig und ausschließlich durch sein wahnhaftes Erleben beeinflusst ausgewählt hat. Das Landgericht hat ferner eingehend festgestellt, dass – zeitlich unmittelbar vor bzw. zeitweise sogar parallel zu der Anlasstat – die Zeugin T. in ähnlicher Weise das zufällige Opfer lang andauernder Nachstellungen durch den Angeklagten wurde. Es kommt hinzu, dass der Angeklagte sowohl die Anlasstat als auch die Nachstellungshandlungen gegenüber der Zeugin T. über einen ungewöhnlich langen Zeitraum hinweg ausführte und sie in beiden Fällen trotz vielfacher Interventionen durch Polizei und Justiz jeweils unbeirrt fortsetzte. Zumindest der Fall, in dem sich der Angeklagte der Nebenklägerin anlässlich einer Fahrt mit dem Fahrrad auf einsamer Strecke plötzlich in den Weg stellte, kommt einem körperlich-aggressiven Übergriff nahe; daneben hat das Landgericht zahlreiche, zum Teil täglich stattfindende Nachstellungshandlungen in Form persönlicher Konfrontationen in unmittelbarer Nähe von Wohnung und Arbeitsstelle der Nebenklägerin festgestellt. Dass mildere Mittel als der Vollzug der Maßregel nach Ausschöpfung anderer Maßnahmen wie – mehrfach vollstreckter – Ordnungshaft bei dem therapieunfähigen Angeklagten nicht in Betracht kommen, hat die Strafkammer ebenfalls rechtsfehlerfrei dargelegt.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 2 5 5 / 1 5
vom
3. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. September 2015 gemäß
§ 154a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 22. Dezember 2014 wird
a) dieses im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des Sich-Verschaffens von kinderpornographischen Schriften in elf Fällen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit Sich-Verschaffen von jugendpornographischen Schriften, sowie des Sich-Verschaffens von jugendpornographischen Schriften in 15 Fällen schuldig ist;
b) der Vorwurf der „Änderung“ einerVideodatei mit jugendpornographischem Inhalt am 27. Februar 2013 (Fall A.I.30. der Urteilsgründe) von der Verfolgung ausgenommen;
c) dieses im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in 24 Fällen und wegen Besitzes jugendpornographischer Schriften in 68 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet und ein vom Angeklagten genutztes – näher bezeichnetes – Laptop eingezogen.
2
Seine dagegen gerichtete, auf eine Verfahrensrüge und die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Der Angeklagte war 1985 wegen verschiedener Sexualstraftaten zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden. Nach Verbüßung der Freiheitsstrafe wurde seit 1988 die Maßregel vollzogen, bis der Vollzug durch eine auf Unverhältnismäßigkeit gestützte Erledigungserklärung am 19. November 2013 beendet wurde.
5
2. Die ersten hier verfahrensgegenständlichen Taten beging der Angeklagte in einer Lockerungsphase während laufenden Maßregelvollzugs. Er befand sich ab August 2012 in einer betreuten Einrichtung zum Zweck des Probewohnens. In dieser Zeit gelangte er in den Besitz eines Laptops, den er entgegen den Lockerungsbedingungen des Maßregelvollzugs der Vollzugseinrichtung nicht anzeigte. In dem Zeitraum zwischen dem 15. und dem 27. Februar 2013 verschaffte sich der Angeklagte 29 Bild- und drei Videodateien, die jeweils im Einzelnen festgestellte jugendpornographische Inhalte hatten (Fälle A.I. der Urteilsgründe). Die Dateien speicherte er auf der Festplatte des von ihm genutzten Laptops.
6
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten jeweils als Besitz jugendpornographischer Schriften gemäß § 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 2 StGB gewertet und ihn deshalb insoweit wegen 32 Fällen dieses Delikts schuldig gesprochen.
7
3. Nach der Beendigung des Maßregelvollzugs verschaffte sich der Angeklagte im Zeitraum zwischen dem 24. November 2013 und dem 23. März 2014 insgesamt 21 Bild- und drei Videodateien mit kinderpornographischen Abbildungen sowie sechs Bild- und 30 Videodateien mit jugendpornographischen Darstellungen, deren Inhalte das Tatgericht jeweils näher festgestellt hat. Die Dateien speicherte er auf verschiedenen Speichermedien, wie etwa der Festplatte eines Laptops aber auch auf externen Speichermedien wie USBSticks (Fälle A.II. der Urteilsgründe). Insoweit erfolgte eine Verurteilung wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften (§ 184b Abs. 4 Satz 2 StGB) in 24 Fällen und wegen Besitzes jugendpornographischer Schriften (§ 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 2 StGB) in 36 Fällen.
8
4. Sachverständig beraten hat das Landgericht bei dem Angeklagten eine sexuelle Devianz in Form einer Pädophilie sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit vornehmlich schizoiden, selbstunsicheren und schizotypen Zügen festgestellt, die es als „schwere andere seelische Abartigkeit“ i.S.v. § 20 StGB gewertet hat. Aufgrund dieser Störungen sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei den Taten sicher erheblich beeinträchtigt, nicht jedoch aufgehoben gewesen.

II.


9
1. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 24. Juni 2015 zutreffend aufgezeigt hat, tragen die auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung zu den Tatgeschehen getroffenen Feststellungen deren rechtliche Bewertung durch das Landgericht nicht.
10
a) Nach den Feststellungen hat sich der Angeklagte sämtliche der verfahrensgegenständlichen Bild- und Videodateien durch Herunterladen und Speichern auf verschiedenen internen oder externen Speichermedien selbst verschafft und dadurch den Tatbestand von § 184b Abs. 4 Satz 1 bzw. § 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 1 StGB verwirklicht. Gegenüber dem Sich-Verschaffen gemäß § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB tritt der vom Landgericht dem Schuldspruch u.a. zugrunde gelegte Besitztatbestand gemäß § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB als subsidiärer Auffangtatbestand zurück (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2008 – 3 StR 215/08, NStZ 2009, 208; vom 4. August 2009 – 3 StR 174/09 Rn. 25, StV 2010, 294; vom 8. Februar 2012 – 4 StR 657/11 Rn. 3, StV 2012, 540). Für den in der tatbestandlichen Struktur und der Schutzrichtung weitgehend übereinstimmenden § 184c Abs. 4 Satz 1 StGB gilt im Verhältnis des Sich-Verschaffens (§ 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 1 StGB) zu dem Besitz (§ 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 2 StGB) jugendpornographischer Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) nichts anderes. Der Angeklagte war daher jeweils wegen SichVerschaffens von kinder- bzw. jugendpornographischen Schriften zu verurteilen (zur Bezeichnung dieses verwirklichten Tatbestandes in der Entscheidungsformel siehe BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 – 4 StR 657/11 Rn. 4, StV 2012, 540).
11
b) Wegen des Wertungsfehlers bei der Bestimmung des verwirklichten Straftatbestandes tragen die Feststellungen auch die vom Landgericht angenommene Anzahl der Taten im materiell-rechtlichen Sinne nicht. Lädt der Täter im Verlaufe einer Internetsitzung jeweils mehrere Dateien mit kinderpornographischem Inhalt auf seinen Computer herunter, handelt es sich aufgrund natürlicher Handlungseinheit jeweils lediglich um eine Tat des Sich-Verschaffens im Sinne von § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 – 3StR 215/08, NStZ 2009, 208; BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 4 StR 258/13 Rn. 14; BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – 4 StR 342/14 Rn. 8; siehe auch BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 – 2 StR 166/14 Rn. 4). Entsprechendes gilt für § 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 1 StGB.
12
Soweit das Landgericht – zudem bezogen auf den jeweiligen Besitztatbestand – die Annahme jeweils einzelner Taten pro Bild- bzw. Videodatei mit jeweils „gesonderten Tatentschlüssen“ begründen will (UA S. 3), wird diese Feststellung nicht tragfähig belegt. Aus den im Einzelnen mitgeteilten Daten der Erzeugung der entsprechenden Dateien ergibt sich, dass bei nahezu allen Sitzungen zwischen dem Herunterladen mehrerer Dateien jeweils lediglich Sekunden oder Minuten lagen. Das deutet nicht auf jeweils neue Tatentschlüsse hin. Weitere Umstände, auf die sich die entsprechende Feststellung des Land- gerichts stützen könnte, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Da sich weitere Feststellungen insoweit auch nicht treffen lassen werden, ist unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von lediglich einer Tat des Sich-Verschaffens pro einheitlicher Internetsitzung auszugehen (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – 4 StR 342/14 Rn. 8 mwN).
13
c) Auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen über die konkreten Erzeugungsdaten der fraglichen Dateien und der sich daraus ergebenden Anzahl der einzelnen einheitlichen Internetsitzungen hat der Senat den Schuldspruch nach Maßgabe der detaillierten Aufstellung in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts wie aus der Beschlussformel ersichtlich geändert. § 265 StPO steht nicht entgegen. Der Angeklagte hätte sich weder im Hinblick auf die rechtliche Bewertung der Taten noch deren Anzahl erfolgreicher als geschehen verteidigen können.
14
2. Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts hat der Senat den Vorwurf im Fall A.I.30. der Urteilsgründe gemäß § 154a Abs. 2 StPO von der Verfolgung ausgenommen. Das Landgericht hat insoweit – abweichend von den übrigen verfahrensgegenständlichen Fällen – lediglich ein Datum der Änderung (27. Februar 2013 – 17:46:34 Uhr) und nicht der Erzeugung der betroffenen Videodatei feststellen können (UA S. 5). Damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem bereits ein Sich-Verschaffen im Sinne von § 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 1 StGB bezüglich einer verfahrensgegenständlichen Tat vorausgegangen ist. Eine weitere Aufklärung ist verfahrensökonomisch nicht veranlasst; eine für diesen Tatteil in Frage kommende Strafe fiele neben den für die sonstigen verfahrensgegenständlichen Taten zu verhängenden Strafen nicht beträchtlich ins Gewicht (§ 154a Abs. 1 Satz 1 StPO).

III.


15
1. Die Änderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
16
2. Im Hinblick auf die erhebliche Änderung der Anzahl der Anlasstaten hebt der Senat auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) auf.
17
a) Eine Unterbringung gemäß § 63 StGB darf lediglich dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustandes in der Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschluss vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 76 f. mwN; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 63 Rn. 15 und 16 mwN). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist im Rahmen einer Gefährlichkeitsprognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu beurteilen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 – 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169 f. mwN).
18
Für die Erwartung zukünftiger Straftaten, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens befürchten lassen, brauchen zwar die verfahrensgegenständlichen Anlasstaten selbst nicht erheblich zu sein (BGH, Beschluss vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 76 f.). Die zu erwartenden Taten müssen aber, um schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen zu lassen, grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH aaO sowie BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 – 2 StR 161/08; vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; vom 6. März 2013 – 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht von vornherein ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschlüsse vom 6. März 2013 – 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.; vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 76 f.). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH jeweils aaO).
19
b) Wegen der vorstehend dargelegten Bedeutung der Anlasstaten im Rahmen der der Gefährlichkeitsprognose zugrunde liegenden Gesamtwürdigung bedarf es angesichts der gravierenden Änderung der Anzahl der Anlasstaten trotz des unveränderten Tatbildes unter den Verhältnissen des konkreten Einzelfalls einer Aufhebung auch des Maßregelausspruchs. Da die Anlasstaten selbst in der modifizierten rechtlichen Bewertung allenfalls knapp den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen, muss dem neuen Tatrichter die Möglichkeit eröffnet werden, die in solchen Konstellationen erforderliche besonders umfassende und sorgfältige Gefährlichkeitsprognose eigenständig vornehmen zu können.
20
c) Das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB ist nach den zu den Tatgeschehen und zur Person des Angeklagten getroffenen Feststellungen auch nicht von vornherein ausgeschlossen.
21
aa) Soweit das sachverständig beratene Landgericht sicher eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) aufgrund einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ angenommen hat,die es auf eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (hier nach ICD-10: F61.9) und Pädophilie (ICD-10: F65.4) gestützt hat, wäre dies entgegen der Auffassung der Revision im rechtlichen Ausgangspunkt nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar nicht jede Form sexueller Devianz, wie etwa Pädophilie, ohne weiteres das Eingangsmerkmal der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ ausfüllen. Die Störung kann aber im Einzelfall den Schwere- grad des Eingangsmerkmals erreichen; eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit kann insbesondere dann gegeben sein, wenn abweichende Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau des Raffinements und durch gedankliche Einengung der Praktiken auszeichnen (BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2007 – 4StR 242/07, NStZ-RR 2007, 337; vom 6. Juli 2010 – 4 StR 283/10 Rn. 4). Das kann bei dem Angeklagten in Betracht kommen.
22
bb) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 62 StGB) stünde einer Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ebenfalls nicht zwingend entgegen. Anders als der Generalbundesanwalt meint, kommt jedenfalls dem Umstand, dass der frühere Vollzug der 1985 angeordneten Unterbringung gemäß § 63 StGB wegen Unverhältnismäßigkeit beendet worden ist, grundsätzlich keine unmittelbare Bedeutung für die Voraussetzungen der Unterbringung wegen der Begehung der jetzigen Anlasstaten zu. Ob die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB im gegenständlichen Verfahren verhältnismäßig wäre, bestimmt sich nach der Bedeutung der jetzigen Anlasstaten sowie derjenigen der zu erwartenden Taten und dem von dem Täter ausgehenden Grad der Gefährlichkeit (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 62 Rn. 3 – 5). Bei der Erledigungserklärung nach § 67d Abs. 6 Satz 1 Var. 2 StGB wegen Un- verhältnismäßigkeit des (weiteren) Vollzugs einer angeordneten Maßregel kommt es als Abwägungsfaktor zwar auch auf Grad und Art der zukünftigen Gefährlichkeit des Untergebrachten an. Maßgebend ist im Rahmen der Erledigungserklärung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 Var. 2 StGB jedoch vor allem, dass bei langandauernden Unterbringungen der Freiheitsanspruch des Untergebrachten zunehmendes Gewicht erhält (siehe etwa BVerfGE 70, 297, 315; BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 19. November2012 – 2 BvR 193/12, StV 2014, 148, 150 sowie Veh in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 2, § 67d Rn. 21 mwN). Gerade dieser Aspekt ist für die Verhältnismäßigkeit der erneuten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen neuer Anlasstaten dagegen nicht von Bedeutung.
23
3. Der Senat hebt auch die an sich rechtsfehlerfreie Einziehungsentscheidung auf. Wird dem Angeklagten im Wege der Einziehung ein werthaltiger Gegenstand entzogen, ist dies regelmäßig für die Strafzumessung und im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller den Angeklagten treffenden Rechtsfolgen von Bedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012 – 3 StR 470/11, NStZ-RR 2012, 169 mwN). Die Aufhebung der Einziehungsentscheidung gestattet dem neuen Tatrichter eine solche Gesamtbetrachtung sämtlicher in Frage kommenden Rechtsfolgen.
24
4. Um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu sämtlichen Voraussetzungen des § 63 StGB zu ermöglichen, hebt der Senat die Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Wegen der Doppelrelevanz erfasst dies die Feststellungen zur eingeschränkten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) als Strafzumessungsgesichtspunkt für die Anlasstaten ebenfalls. Wegen der Verknüpfung der Strafzumessung mit der Einziehung von Tatmitteln war die Aufhebung auch auf die die Einziehungsentscheidung betreffenden Feststellungen zu beziehen.
25
5. Angesichts der Aufhebung der Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch aufgrund der Sachrüge kommt es auf die erhobene Verfahrensrüge nicht mehr an. Diese betraf allein die Frage der verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten.

IV.


26
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
27
Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) steht bei der Neufestsetzung der Einzelstrafen für die geringere Anzahl von materiellrechtlichen Taten einer Erhöhung der höchsten im ersten Rechtsgang für die Taten verhängten Einzelstrafen nicht entgegen. Allerdings darf die Summe der neuen Einzelstrafen ebenso wenig zum Nachteil des Angeklagten verändert werden, wie die neu zu bestimmende Gesamtstrafe (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – 4 StR 342/14 Rn. 13 mwN).
Vorsitzender Richter am Richter am BundesgerichtsBundesgerichtshof Dr. Raum hof Prof. Dr. Graf ist wegen ist wegen Urlaubsabwesenheit Urlaubsabwesenheit an der an der Unterschrift gehindert. Unterschrift gehindert. Rothfuß Rothfuß Rothfuß Cirener Radtke

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 1 4 2 / 1 5
vom
28. Oktober 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Oktober
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Mosbacher
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11. November 2014 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

A.

2
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Dem Beschuldigten war die Geschädigte bereits seit etwa 20 Jahren vom Sehen und von flüchtigen Gesprächen bekannt. Im Sommer 2013 kam es zum Ausbruch einer psychotischen Erkrankung beim Beschuldigten, in deren Zuge er einen auf die Geschädigte bezogenen Liebeswahn entwickelte. Im Sommer 2013 kam es zu einem Treffen zwischen dem Beschuldigten und der Geschädigten in einem Café, bei dem sie ihm erklärte, nichts mit ihm zu tun haben zu wollen. Dies konnte der Beschuldigte nicht akzeptieren. An einem Tag im September 2013 packte er die Geschädigte mit schmerzhaften Folgen am Handgelenk, um mit ihr reden zu können. In der Folgezeit passte er sie täglich an ihrer Arbeitsstelle – die in unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung lag – oder auf ihrem Nachhauseweg ab. Deswegen beantragte die Geschädigte im Februar 2014 den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 1 GewSchG, die am 10. Februar 2014 erging. Mit diesem dem Beschuldigten am 13. Februar 2014 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts München wurde ihm untersagt, mit der Geschädigten Kontakt aufzunehmen.
4
Der Beschuldigte suchte in 14 Fällen zur Geschädigten Kontakt, indem er sie an ihrer Arbeitsstelle aufsuchte oder sie dort anzurufen versuchte. Zehn dieser Fälle ereigneten sich nach dem 13. Februar 2014, wobei er trotz Kenntnis des Beschlusses des Amtsgerichts München vom 10. Februar 2014 handelte. In dem letzten dieser Fälle versuchte er am 26. Februar 2014, sie „gewalt- sam aus der Praxis zu zerren“, in der sie als Arzthelferin arbeitete. Die Geschä- digte versetzte dem Beschuldigten eine Ohrfeige. Sie selber erlitt dabei Schmerzen.
5
Die Geschädigte ist aufgrund dieser Vorfälle psychisch stark angeschlagen. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und Angstzuständen.
6
Der Beschuldigte litt zu den Tatzeitpunkten an einer paranoiden Schizophrenie , was zu einer krankheitsbedingten erheblichen Beeinträchtigung des Motivationsgefüges führte und die Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB aufhob. Nachdem während der vorläufigen Unterbringung der Beschuldigte erstmals auf ein geeignetes Medikament eingestellt worden war, zeigte er sich behandlungseinsichtig und erschüttert über die Folgen seines Verhaltens.
7
II. 1. Das Landgericht hat die Taten als vorsätzliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit 14 Fällen der Nachstellung, diese in zehn Fällen jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz, und in einem Fall weiter in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 230 Abs. 1, § 238 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 4, §§ 52, 53 StGB, §§ 1, 4 GewSchG gewertet, die der Beschuldigte rechtswidrig, aber im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat.
8
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB zur Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es nicht angenommen. Zwar gingen die Taten auf einen dauerhaften Zustand, nämlich die paranoide Schizophrenie , zurück. Jedoch ergebe die Gefahrenprognose, dass von dem Beschuldigten infolge dieser Erkrankung keine erheblichen rechtswidrigen Taten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten seien. Hierzu hat es darauf abgestellt, dass der Beschuldigte zwar aufdringlich und lästig gehandelt habe, was zu erheblichen psychischen Folgen bei der Geschädigten geführt habe, jedoch habe er über das beharrliche Nachstellen hinaus keine gesteigerte kriminelle Energie aufgewandt und keine gesteigerte körperliche Aggressivität gezeigt. Die Schwelle zur Vollendung der Körperverletzungsdelikte sei nur deswegen überschritten worden, weil sich die Geschädigte nachvollziehbarerweise aus dem Griff des Beschuldigten herausgewunden und deswegen Schmerzen erlitten hätte. Selbst die Ohrfeige der Geschädigten habe zu keiner weiteren Gewaltanwendung durch ihn geführt. Unter Berücksichtigung auch weiterer Umstände aus seinem Vorleben könne aus seinem bisherigen Verhal- ten nicht auf die zukünftige Begehung solcher Taten geschlossen werden, die die Grenze zur Erheblichkeit überschreiten.

B.

9
Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
10
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen , den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571; vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15). Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus dem Delikt selbst, wie etwa bei Verbrechen, kommt der zu befürchtenden konkreten Ausgestaltung der Taten maßgebliche Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 mwN; Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15). Die sich hieraus ergebenden Darlegungserfordernisse hat das Landgericht eingehalten.
11
a) Zwar versäumt es, das Eingangsmerkmal des § 20 StGB für den Zustand des Beschuldigten ausdrücklich zu benennen, worauf grundsätzlich nicht verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15). Jedoch ist neben der psychiatrischen Diagnose ausführlich dargelegt, dass bei dem Beschuldigten eine dauerhafte Erkrankung vorliegt, wie die daraus resultierenden psychischen Symptome sich auf die Schuldfähigkeit ausgewirkt haben und warum die Anlasstaten auf diesen Zustand zurückzuführen sind. Danach ist nicht nur hinreichend klar, dass das Landgericht vom Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung ausgegangen ist, sondern auch belegt, dass es für die Gefährlichkeitsprognose den Defektzustand des Beschuldigten mit dem angemessenen Gewicht eingestellt hat.
12
b) Das sachverständig beratene Landgericht hat die Gefährlichkeitsprognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten auf der Grundlage einer Gesamtschau der konkreten Tatumstände entwickelt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 29; Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571). Hierbei hat es keine relevanten Aspekte außer Acht gelassen oder nur verkürzt in die Würdigung eingestellt.
13
So hat es den Umstand der nur losen Bekanntschaft zwischen Täter und Opfer in den Blick genommen, wie die Darstellung der Entwicklung der Bekanntschaft zwischen beiden belegt. Auch die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten hat es ausreichend dargelegt und erwogen. Hierbei durfte es das konkrete Gewicht und die Besonderheiten der Entwicklung der begangenen Körperverletzungsdelikte berücksichtigen. Es hat dabei auch eine Verstärkung der zu erwartenden Aggressivität aufgrund des möglichen Opferver- haltens bedacht, aber im Hinblick auf die Reaktion des Beschuldigten auf die Ohrfeige der Geschädigten nicht für wahrscheinlich gehalten. Die erheblichen psychischen Auswirkungen hat es in die Abwägung eingestellt, die ausführlichen Darlegungen hierzu lassen nicht besorgen, dass es diese zu gering gewichtet haben könnte. Dass das Landgericht auf dieser Grundlage keine konkreten Anhaltspunkte für die Erwartung künftiger Taten in ihrer jeweils für ausreichend wahrscheinlich gehaltenen Handlungsmodalität gefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232; Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571), ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Raum Jäger Cirener Mosbacher Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR514/14
vom
28. Januar 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 28. Januar 2015 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 24. Juni 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen fühlte sich der Beschuldigte, der über der Ergotherapiepraxis der Frau P. wohnte, dadurch gestört, dass die Praxistüren geknallt würden. Er sprach die Praxisinhaberin mehrfach darauf an und hing entsprechende Zettel an die Eingangstür oder warf sie in den Briefkasten. Am Tattag, dem 21. Juni 2012, schnitt der Beschuldigte die Hecke, als eine Frau vor dem Haus die Tür ihres Fahrzeugs zuschlug. Der Beschuldigte war der Ansicht , sie habe dies absichtlich demonstrativ laut getan, und rief ihr zu: "Um- weltverschmutzung nach § 325a! Sie sind nur Gast hier". Die dadurch erheblich verängstigte Autofahrerin erzählte Frau P. von dem Vorfall. Herr P. begab sich daraufhin zur Wohnung des Beschuldigten, um ihn darauf anzusprechen. Der Beschuldigte packte Herrn P. in schmerzhafter Weise am rechten Arm und am Hals und führte ihn die Treppe hinab. Als der herbeigeeilte Ehemann der Vermieterin, Herr G. , versuchte, Herrn P. aus dem Griff zu befreien, stieß ihn der Beschuldigte mit dem Ellenbogen in den Rücken und schleuderte ihn dadurch gegen die Wand. Herr G. erlitt eine stark blutende Platzwunde über dem Auge. Die Vermieterin, Frau G. - K. , schubste der Beschuldigte die Treppe hoch, so dass sie auf die Stufen prallte. Herr P. begab sich nun "freiwillig" wieder in den Haltegriff. Als die herbeigerufene Polizei eintraf, sagte der Beschuldigte: "Ich hab den Verbrecher ! Ich übergebe Ihnen den Mann nach § 127 StPO!"
3
Ein weiterer Vorfall, der nicht Gegenstand der Antragsschrift ist, ereignete sich etwa einen Monat vor Beginn der mündlichen Hauptverhandlung. Der Beschuldigte nahm einen Schüler, der an einer Bushaltestelle seine Zigarettenkippe in einen Abfallbehälter werfen wollte, in den Schwitzkasten und schlug ihn auf den Hinterkopf und den Arm, um ihn zu veranlassen, die Kippe in die Gosse zu werfen.
4
Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten als vorsätzliche Körperverletzung in drei Fällen zum Nachteil der Zeugen P. , G. und G. -K. gewertet. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Einschätzung der Gefährlichkeitsprognose hat sich das Landgericht dem angehörten Sachverständigen O. angeschlossen. Danach litt der Beschuldigte zur Tatzeit an einer exazerbierten schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen. Unter dem Einfluss von paranoid-wahnhaftem Erleben sei er nicht fähig gewesen, das Unrecht seines Verhaltens zu erkennen und danach zu handeln. Mangels tragfähiger Krankheits- und Behandlungseinsicht sowie ausreichender Compliance seien im Rahmen der regelmäßig auftretenden paranoid -wahnhaften und manischen Exazerbationen weitere Straftaten zu erwarten , wobei es sich durchaus auch um Delikte handeln könne, bei denen Menschen verletzt werden.

II.


5
Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.
6
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2003 - 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232). Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (BGH, Beschluss vom 29. August 2012 - 4 StR 205/12, NStZ-RR 2012, 367; Urteil vom 6. März 1986 - 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27).
7
Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142; Be- schluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, Rn. 8; Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 - 5 StR 229/10, Rn. 8; Urteil vom 21. Januar 1997 - 1 StR 622/96, BGHR StGB § 63 Zustand 20). Die Urteilsgründe beschränken sich auf eine Mitteilung der Diagnose und allgemein gehaltene Ausführungen über die gewöhnlich bei diesem Krankheitsbild zu beobachtenden Auffälligkeiten. Inwieweit der Beschuldigte konkret aufgrund Wahnerlebens handelte, wird nicht dargestellt, vielmehr lassen die Urteilsgründe offen, ob sich der Beschuldigte von "vermeintlichen oder tatsächlichen" Beeinträchtigungen belästigt fühlte, als es zu den ihm vorgeworfenen Taten gekommen ist. Dass sein psychischer Zustand andauernd gestört war, wird nicht näher aufgezeigt. Allein der Umstand, dass bereits dem Urteil vom 2. März 2007, durch das die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt worden war, die Diagnose einer schizoaffektiven Psychose mit manischer Auslenkung zugrunde lag, reicht hierfür nicht.
8
2. Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Ob eine zu erwartende Straftat zu einerschweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Be- schluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, Rn. 10; Urteil vom 17. November 1999 - 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27).
10
Diesen Anforderungen werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Eine die Biographie des Beschuldigten und seine Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung wurde nicht erkennbar vorgenommen. Dabei hätte Berücksichtigung finden müssen, dass der inzwischen 48 Jahre alte Beschuldigte seit dem Jahr 1999 unter psychischen Störungen leidet und zuvor nur im Jahr 2005 strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Ob er die Bewährungszeit aus dem Urteil vom 2. März 2007 durchgestanden hat, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Aus den Gründen jenes früheren Urteils ergibt sich, dass der Betreuer des Beschuldigten auch für den Wirkungskreis Gesundheitssorge einschließlich der Zuführung zu einer Zwangsmedikation und das Aufenthaltsbestimmungsrecht bestellt war. Zu diesem Umstand verhalten sich die aktuellen Urteilsgründe nicht. Auch wäre das Landgericht gehalten gewesen , näher auf die Schwere und den bisherigen Verlauf der angenommenen schizoaffektiven Störung einzugehen. Derartige Erkrankungen verlaufen phasenhaft , wobei es zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann, in denen keine psychischen Beeinträchtigungen zu beobachten sind (Hoff/Sass in: Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, S. 84 f.; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 181 f.; MüllerIsberner /Venzlaff in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl., S. 181 f.). Es hätte daher näherer Darlegung bedurft, mit welcher Häufigkeit es in der Vergangenheit bei dem Beschuldigten zu Krankheitsphasen gekommen ist und welche prognoserelevanten Schlüsse daraus zu ziehen sind.

III.


11
Sollte der neue Tatrichter - was nahe liegt - wieder zu der Annahme gelangen , dass der Beschuldigte bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines andauernden psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung dieser Taten auf dem angenommenen Defekt beruhte , wird er sich, falls die Unterbringungsanordnung aus dem Urteil vom 2. März 2007 noch nicht erlassen sein sollte, auch mit der Notwendigkeit einer neuerlichen Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB auseinanderzusetzen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 - 4 StR 85/14 mwN).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Bender Quentin

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 179/13
vom
15. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Beleidigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. August
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 14. Dezember 2012 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte der Beleidigung in acht Fällen und des Missbrauchs von Notrufen schuldig ist.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beleidigung in neun Fällen und wegen Missbrauchs von Notrufen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es unbegründet.

I.


2
Der Senat hat das Verfahren in der Hauptverhandlung auf Antrag des Generalbundesanwalts durch Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall 1 der Anklage 36 Js 190/12 wegen Beleidigung verurteilt worden ist. Dies führt zur entsprechenden Änderung des Schuld- spruchs und zum Wegfall der wegen dieser Tat verhängten Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten.
3
In dem nach der Verfahrensbeschränkung verbliebenen Umfang hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4
Die Gesamtfreiheitsstrafe kann trotz des Wegfalls der im Fall 1 der Anklage 36 Js 190/12 verhängten Einzelstrafe bestehen bleiben. Angesichts der verbleibenden Einzelfreiheitsstrafen von zweimal vier Monaten und siebenmal drei Monaten schließt der Senat aus, dass das Landgericht ohne die in dem eingestellten Fall verhängte Einzelstrafe zu einer niedrigeren Gesamtstrafe gelangt wäre.

II.


5
1. Der jetzt 59 Jahre alte Angeklagte ist mehrfach u.a. wegen sexuell motivierter Taten vorbestraft und war auch bereits in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht:
6
Am 9. März 1999 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht W. wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Er hatte nachts an einer Bushaltestelle eine Frau mit den Worten „na, hast du heu- te schon gebumst?“ angesprochen und in den Schritt gefasst. Zwei Tage später war er auf dem Fahrrad an zwei Frauen vorbeigefahren und hatte unvermittelt einer mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen.
7
Am 30. November 2001 wurden gegen den Angeklagten vom Landgericht Bochum zwei Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten und von zwei Jahren verhängt sowie die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Verurteilung lagen u.a. folgende Fälle der Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und der Beleidigung zu Grunde: Am 12. Mai 2001 gegen 23.10 Uhr war der Angeklagte am Omnibusbahnhof in W. an ein fünfzehnjähriges Mädchen herangetreten und hatte sie gefragt „soll ich dir meinen Samen in deine Unterhose tun?“. Am9. Juni 2001 gegen 1.30 Uhr nachts hatte er sich einer Frau auf einem Fahrrad auf der Bahnhofstrafe in W. genähert und sie angesprochen: „Ich habe die Vorhaut zurückgezogen , hast Du Lust?“. Als ihn die Frau aufforderte, zu verschwinden, hatte ihr der Angeklagte in die Pedale getreten, sie mit den Worten „Du alte Hure“ beschimpft und ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Am selben Tag um 14.45 Uhr war er mit dem Fahrrad auf einen Schulhof gefahren und hatte sich zwei spielenden achtjährigen Mädchen genähert. Er hatte sie gefragt, ob sie beschnitten seien und ob er mal gucken solle. Als die beiden Mädchen zu einem Klettergerüst gingen, hatte er sich entfernt. Bei allen Taten war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten wegen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung , einer Störung der Sexualpräferenz und Pädophilie erheblich vermindert.
8
Die Maßregel wurde ab März 2002 in der Sozialtherapeutischen Anstalt L. vollzogen. Das Oberlandesgericht H. erklärte die Unterbringung zum 30. November 2011 aus Verhältnismäßigkeitsgründen für erledigt, der Strafrest wurde zur Bewährung ausgesetzt und es trat Führungsaufsicht ein. Zur Begründung führte das Oberlandesgericht aus, dass sich aus den Stellungnahmen der Klinik und den vorliegenden Sachverständigengutachten die Gefahr erheblicher Straftaten nicht ableiten lasse.
9
Nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug verbrachte der Angeklagte einen großen Teil seiner Zeit damit, durch die Stadt zu laufen und nach Mädchen und Frauen Ausschau zu halten, die ihn sexuell ansprachen. Er onanierte zwei- bis dreimal pro Woche, wobei er sich u.a. vorstellte, selbst eine Beschneidung an einem zwölf bis dreizehn Jahre alten Mädchen vorzunehmen oder ein solches Mädchen überall anzufassen und dann den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuüben. Bei Telefonaten oder persönlichen Kontakten konfrontierte er Frauen und Mädchen mit obszönen Aussagen, um sich durch deren Demütigung und Angst zu erregen und dann zu onanieren. Der Angeklagte empfand seine annähernd täglich auftretenden Fantasien als sehr drängend, wobei er zuletzt auch den Drang verspürte, die Angesprochenen berühren zu müssen.
10
2. Der Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung in acht Fällen im vorliegenden Verfahren liegen im Wesentlichen folgende Feststellungen zu Grunde:
11
Der Angeklagte rief im Zeitraum vom 20. Dezember 2011 bis zum 21. Mai 2012 in sieben Fällen bei Frauen an mit Aussagen wie: „Hattest du heu- te unten schon einen drin?“, „Ich möchte meinen Samen bei dir los werden“ oder „ich will dich ficken“. Einer Frau sagte er, dass er sie beschneiden wolle. Am 29. Mai 2012 sprach er eine Frau an einer Bushaltestelle an und fragte mehrfach „Magst Du gerne vögeln?“. Als die Frau drohte, die Polizei zu rufen, erklärte der Angeklagte, dass sie das ruhig machen solle und berührte sie anschließend gezielt an der rechten Hüfte. Bei allen Taten war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert. Das Landgericht hat weitere ähnliche angeklagte Vorwürfe festgestellt. So hatte der Angeklagte u.a. bei zwei Gelegenheiten ein zehn und ein elf Jahre altes Mädchen sexuell motiviert angesprochen. Diese Fälle wurden nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
12
3. Nach dem Gutachten der Sachverständigen liegt beim Angeklagten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung beruhend auf einer schizoiden Persönlichkeit und schweren dissozialen Auffälligkeiten sowie eine insbesondere von nicht kontrollierbaren sadistischen Neigungen geprägte sexuelle Devianz vor, welche das Ausmaß einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erreichen. Die Sachverständige stützte sich bei ihrer Diagnose maßgeblich auf die Angaben des Angeklagten im Rahmen der Exploration. Nach seinen eigenen Schilderungen habe der Angeklagte ab dem Alter von dreizehn oder vierzehn Jahren sexuelle Erregung verspürt, wenn er fremden Frauen auf das Gesäß geschlagen habe. Bei der Masturbation spiele in seinen sexuellen Fantasien die Demütigung und Angst von Frauen und Mädchen eine erhebliche Rolle. Er sei selbst erleichtert darüber, dass noch nichts Schlimmeres passiert sei. Er stelle sich seit ca. fünfzehn Jahren insbesondere vor, dass er selbst junge Mädchen beschneide , was ihn in besonderem Maße errege, sexuelle Fantasien im Zusammenhang mit Kindern habe er etwa seit dem 30. Lebensjahr. Seine sexuellen Wünsche empfinde er als sehr drängend und für ihn nicht beherrschbar.
13
Das Landgericht hat die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bejaht. Bei der kombinierten Persönlichkeitsstörung und der sexuellen Devianz handele es sich um einen länger dauernden Zustand im Sinne des § 63 StGB. Die Persönlichkeitsstörung und die sexuelle Devianz seien sehr verfestigt. Das Krankheitsbild sei trotz der fast zehn Jahre währenden Unterbringung im Maßregelvollzug als nahezu untherapiert anzusehen. Das Krankheitsbild mache es konkret wahrscheinlich, dass der Angeklagte zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde.
Der Angeklagte habe gegenüber der Sachverständigen geschildert, dass es ihm oftmals nicht gelinge, seine Fantasien zu unterdrücken. Dann habe es ihm zunächst genügt, Telefonanrufe mit obszönem Inhalt zu tätigen. Zuletzt habe er aber das Gefühl gehabt, er müsse jemanden berühren, eine Handlungskontrolle werde für ihn zunehmend schwerer. Er sei selbst erleichtert, dass es noch nicht zu weiter gehenden Taten als den angeklagten gekommen sei. Angesichts dessen bestehe die konkrete Gefahr, dass der Angeklagte seine Fantasien in weiter gehender Weise umsetzen werde. Es seien erhebliche Taten – gefährliche Körperverletzungen, Vergewaltigungen, sexueller Missbrauch von Kindern – konkret wahrscheinlich. Da der Angeklagte insbesondere auf Kinder zugehe, bestehe die jederzeitige Gefahr, dass er bei einem aus seiner Sicht geeigneten Opfer seine Körperverletzungs- und Missbrauchsvorstellungen umsetze.

III.


14
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die für den Angeklagten ungünstige Gefährlichkeitsprognose beruht auf einer umfassenden Gesamtwürdigung der rechtsfehlerfrei festgestellten Tatsachen und weist keinen Wertungsfehler auf.
15
Wegen der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) rechtfertigen nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. BGH, Urteile vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 und vom 15. August 2007 – 2 StR 309/07, NStZ 2008, 210, 212). Die Anlasstat selbst muss dabei nicht erheblich im Sinne des § 63 StGB sein. Maßgeblich ist vielmehr, welche Taten künftig von dem Täter infolge sei- nes Zustandes zu erwarten sind und ob diese erheblich im Sinne des § 63 StGB sind (vgl. BGH, Urteile vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563 und vom 11. September 2008 – 4 StR 284/08; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 63 Rn. 3). Allerdings bedarf die Gefährlichkeitsprognose einer besonders sorgfältigen Darlegung, wenn die Anlasstaten nach ihrem Gewicht dem unteren Bereich strafbaren Verhaltens zuzuordnen sind (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 – 4 StR 485/99). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Begehung schwerer Delikte durch den Angeklagten bejaht.
16
Das sachverständig beratene Landgericht hat bei seiner Prüfung die wesentlichen prognoserelevanten Umstände bedacht. Dabei hat es zu Recht auch die Sachverhalte, die den eingestellten Taten zugrunde liegen, in seine Prüfung einbezogen, da sie rechtsfehlerfrei festgestellt worden sind.
17
Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass die Strafkammer bei der Gesamtabwägung maßgeblich auf die Schilderungen des Angeklagten abgestellt hat und davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug zunehmend von gewaltbesetzten, gegen schwache Opfer gerichteten sexuellen Fantasien bedrängt wird, seine Fähigkeit, entsprechende Handlungsantriebe zu beherrschen, stetig abnimmt und zuletzt der Drang, „jemanden zu berühren“, beim Angeklagten vorherrschend wurde. Die Schilderungen des Angeklagten korrespondieren mit der Feststellung, dass er einen Großteil seiner Zeit damit verbrachte, nach Mädchen und Frauen, die ihn sexuell ansprechen, Ausschau zu halten und bei der letzten Tat über die sexuelle Beschimpfung und Herabwürdigung hinaus auch den Körperkontakt zu dem Tatopfer suchte. Das Landgericht hat dabei nicht verkannt, dass es in der Zeit zwischen der Entlassung des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug und sei- ner erneuten vorläufigen Unterbringung – also in etwa elf Monaten – dennoch nicht zu erheblichen Delikten gekommen ist. In Übereinstimmung mit der Sachverständigen ist es aber rechtlich beanstandungsfrei vor dem Hintergrund der drängenden Gewaltfantasien des Angeklagten und der Umstände der letzten Tat nachvollziehbar zu der Überzeugung gelangt, dass bei ihm ein vollständiger Zusammenbruch der Impuls- und Handlungskontrolle jederzeit möglich und deshalb damit zu rechnen ist, dass der Angeklagte erhebliche Gewaltdelikte, insbesondere (gefährliche) Körperverletzungen, Vergewaltigungen und sexuelle Missbrauchstaten, mithin erhebliche Taten im Sinne des § 63 StGB begehen wird.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 2 8 7 / 1 5
vom
29. September 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. September
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 2. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer unbeschränkten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, insgesamt die Verletzung materiellen Rechts, wobei sie die Anordnung der vom Landgericht abgelehnten Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anstrebt.
2
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat weitgehend Erfolg.

I.

3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
Der Beschuldigte, der bereits sieben Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, davon auch zweimal wegen Körperverletzungsdelikten und zweimal wegen Bedrohung, wobei eine der Bedrohungen mit einem gefährlichen Gegenstand vorgenommen wurde, leidet an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung des impulsiven Typs (ICD-10: F60.30) und erheblichem Alkoholmissbrauch.
5
Am 3. Juni 2014 konsumierte er nach einem für ihn enttäuschenden Gang zum Arbeitsamt unbekannte Mengen an Bier und Schnaps. Als seine Ehefrau ihm gegen 16.00 Uhr begegnete, beschimpfte der erheblich alkoholi- sierte Beschuldigte sie als „Schlampe“ und dass sie mit anderen Männern schlafe, und folgte ihr auf ihrem Weg zur Bank. Hierbei passierte er den Biergarten eines Spielcenters, in dem sich die Gäste unterhielten und lachten. Der Beschuldigte war der Ansicht, die besagten Biergartengäste würden über ihn lachen, und ging nach Hause, um ein Samuraischwert (Gesamtlänge 98,5 cm, Klingenlänge 69,5 cm) und eine Machete (Gesamtlänge 49 cm, Klingenlänge 36,5 cm) zu holen. Hiermit fuchtelnd stellte er sich gegen 17.00 Uhr vor den Biergarten und rief den circa fünf bis sieben Metern entfernten Biergartengäs- ten, die seines Erachtens zuvor über ihn gelacht hatten, zu: „Dein Kopf gehört mir“ sowie „Rufts die Polizei“. Der Beschuldigte wollte sichmit dieser Drohung rächen, jedoch niemandem wirklich den Kopf abschlagen. Die Geschädigten verließen hierauf den Biergarten und riefen um 17.02 Uhr die Polizei, während der Beschuldigte in seine benachbarte Wohnung zurückkehrte und eine Langwaffe , Modell Carcano 1891, 6,5 mm Kaliber, bei der das Patronenlager ver- schlossen war, so dass die Waffe nicht mehr zum Verschießen von Munition geeignet war, holte.
6
Wieder am Biergarten angekommen richtete der Beschuldigte die Waffe auf die dort ermittelnden Polizeibeamten, PHM R. , PK W. und POK S. , und rief diesen zu, dass es sich um eine scharfe Waffe handele , die geladen sei, und er auch mit dieser umgehen könne. Daraufhin gingen die Polizeibeamten in Deckung und konnten ihre Ermittlungen nicht fortsetzen. Der Beschuldigte legte die Langwaffe ab und nahm erneut das Samuraischwert und die Machete zur Hand, ging mit diesen zur nächsten Kreuzung und forderte mit dem Samuraischwert und der Machete fuchtelnd wiederholt die Polizeibeamten auf, ihn zu erschießen. Dabei ging er zunächst aggressiv auf PHM R. zu, der rückwärts wich und den Beschuldigten aufforderte, die Messer wegzulegen. Als der Beschuldigte sich kurzzeitig neben dem Polizeibus niederkniete , erweckte er den Eindruck, er würde aufgeben, stand dann jedoch wieder auf und ging - erneut mit Samuraischwert und Machete in der Hand - diesmal auf POK S. mit der Forderung zu, ihn zu erschießen. POK S. wich circa 15 Meter mit gezückter Waffe zurück, aber der Beschuldigte schloss immer weiter auf. Auch PHM R. , PHM A. und PK W. hatten jeweils die Dienstwaffe gezückt und waren schussbereit. Als der Beschuldigte nur noch circa zwei Meter von POK S. entfernt war, feuerte PHM R. auf den Beschuldigten. Das Projektil ging durch den rechten Oberschenkel des Beschuldigten und schlug letztlich im linken Knie ein. Da der Beschuldigte nicht direkt zu Boden ging, folgten zwei weitere Schüsse, bis der Beschuldigte überwältigt werden konnte.
7
Der Beschuldigte hatte nach den Feststellungen des Landgerichts nicht vor, einen der Polizeibeamten zu verletzen und erachtete dies, da er die Messer zuletzt nach unten gerichtet hielt, auch nicht für möglich. Er wollte mit sei- nem Vorgehen ausschließlich die vier Polizeibeamten zur Schussabgabe auf ihn zwingen. Eine Blutprobe des Beschuldigten ergab im Wege der Rückrechnung eine maximale BAK von 2,6 Promille zum Tatzeitpunkt. Die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten war bei der Tat aufgrund einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen sowie eines leicht- bis mittelgradigen Rauschzustands mit kognitiven Funktionseinbußen wie Stimmungslabilität und deutlichen Aufmerksamkeitsstörungen sicher erheblich vermindert (§ 21 StGB) und nicht ausschließbar aufgehoben (§ 20 StGB).
8
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat das Landgericht abgelehnt.

II.

9
Das Urteil hält materiell-rechtlicher Nachprüfung weitgehend nicht stand.
10
1. Die Ablehnung der Maßregelanordnung nach § 63 StGB weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
11
a) Das sachverständig beratene Landgericht hat festgestellt, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei den am 3. Juni 2014 begangenen Taten in Folge einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen sowie eines leicht- bis mittelgradigen Rauschzustands mit kognitiven Funktionseinbußen wie Stimmungslabilität und deutlichen Aufmerksamkeitsstörungen sicher erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB und nicht ausschließbar sogar aufgehoben im Sinne des § 20 StGB war. Hierbei teilt das landgerichtliche Urteil jedoch nicht mit (wie aber erforderlich, vgl. u.a. BGH, Be- schluss vom 21. Juli 2015 - 2 StR 163/15), welches Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB vorliegend erfüllt ist und ob es sich dabei nur um eine vorübergehende Störung oder einen länger andauernden Defektzustand gehandelt hat. Dabei muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 18.November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 76 mwN). Dies kann schon deshalb nicht offen bleiben, weil die im Rahmen des § 63 StGB zu erstellende Gefährlichkeitsprognose maßgeblich an den Zustand des Betroffenen anknüpft (BGH, Beschluss vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77) und eine Unterbringung nach § 63 StGB nur in Betracht kommt, wenn eine länger andauernde Beeinträchtigung der geistigen oder seelischen Gesundheit vorliegt. Vorübergehende Defekte genügen nicht (BGH, Urteil vom 10. August 2005 - 2 StR 209/05, NStZ-RR 2005, 370, 371; van Gemmeren in MüKoStGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 31; Schöch in Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 63 Rn. 8). Auch bei Zusammenwirken von Persönlichkeitsstörung und Alkoholkonsum kann eine Unterbringung nach § 63 StGB angebracht sein, wenn der Beschuldigte an einer krankhaften Alkoholsucht leidet, in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist oder an einer länger andauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 1. April 2014 - 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207). Die Ausführungen des Landgerichts hierzu ermöglichen jedoch keine abschließende Beurteilung, ob ein solcher Fall hier gegeben ist.
12
b) Bei der Prüfung der Maßregelanordnung führt das Landgericht weiter aus, der Beschuldigte habe zwar im Zustand sicher verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) rechtswidrige Taten begangen, nämlich Bedrohungen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Nötigung und versuchte Nötigungen, und es müsse bei dem Beschuldigten auch künftig mit vergleichbaren Taten gerechnet werden. Gleichwohl lehnt es die Maßregelanordnung ab, weil es - sich dem Sachverständigen diesbezüglich anschließend - keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür erkenne, dass der Beschuldigte künftig eine versuchte oder vollendete Körperverletzung begehen werde. Unter Berücksichtigung der Vorstrafen des Beschuldigten und der hiesigen Tatbegehung, die ebenfalls nicht auf eine Körperverletzung, sondern nur auf Bedrohungs-, Nötigungs- und Widerstandshandlungen abzielte, sei auch für die Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades nur mit Bedrohungs- und Nötigungsdelikten zu rechnen.
13
Zutreffend hat das Landgericht zwar erkannt, dass die Anlasstat selber nicht erheblich im Sinne des § 63 StGB sein muss. Maßgeblich ist vielmehr, welche Taten künftig von dem Täter infolge seines Zustands zu erwarten sind und ob diese erheblich sind (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 15. August 2013 - 4 StR 179/13). Die Ausführungen des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose lassen jedoch besorgen, dass es einen zu strengen Maßstab angelegt und verkannt hat, dass es nicht zwingend einer Körperverletzung als künftig zu erwartender Straftat bedarf. Bereits der erneut zu erwartende Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, bei dem jedenfalls von einem unbenannten besonders schweren Fall gemäß § 113 Abs. 2 Satz 1 StGB auszugehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 1972 - 2 StR 264/72), kann als mittlere Kriminalität gewertet werden. Ohnehin müssen die zu erwartenden Taten zwar grundsätzlich im Bereich mittlerer Kriminalität liegen, jedoch ist eine Unterbringung nach § 63 StGB auch unter dieser Schwelle nicht völlig ausgeschlossen. Dann ist allerdings eine besonders sorgfältige Darlegung der Gefährlichkeitsprognose und der konkreten Ausgestaltung der Taten erforderlich (BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2014 - 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571, 573; vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75 und vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.). Auch Todesdrohungen können eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechtsfriedens darstellen, insbesondere wenn diese unter Einsatz gefährlicher Gegenstände ausgesprochen werden (vgl. auch BGH, Beschluss vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77) und den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden beeinträchtigen , da die Bedrohung aus Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt (BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 - 1 StR 116/14; Beschlüsse vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271, 272 und vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, StraFo 2008, 300, 301).
14
Vorliegend hat sich das Landgericht weder mit der Tatsache, dass sich der Beschuldigte mit einem Samuraischwert und einer Machete bis auf zwei Meter POK S. näherte und mit diesen Gegenständen bereits zuvor die Gäste des Biergartens mit einem derart massiven Auftreten bedroht hatte, dass diese sich ins Gebäude in Sicherheit brachten, noch mit dem Umstand, dass der Beschuldigte zwischenzeitlich eine für die Betroffenen nicht erkennbar funktionsunfähige Langwaffe zur Unterstreichung seiner Drohungen verwendete , auseinandergesetzt. Auch die Vorstrafen des Beschuldigten, unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten und Bedrohungen mit gefährlichen Gegenständen , bleiben in diesem Zusammenhang unerörtert. Dies genügt nicht den Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Ablehnung der Unterbringung nach § 63 StGB.
15
Das Übermaßverbot nach § 62 StGB würde hier einer Anordnung gemäß § 63 StGB nicht grundsätzlich entgegenstehen. Bei einer Abwägung der Gefahr für die Allgemeinheit aufgrund der vom Beschuldigten begangenen und zu erwartenden Taten gegenüber willkürlichen Opfern und des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht der von der Maßregel nach § 63 StGB Betroffenen stünde dieser Eingriff nicht von vorneherein außer Verhältnis (vgl. auch BGH, Urteil vom 30. November 2011 - 1 StR 341/11).
16
Die Ablehnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB ist auch nicht deshalb hinzunehmen, weil eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet worden ist. Da das Landgericht sich nicht dazu verhält, ob in erster Linie die Behandlung der Persönlichkeitsstörung oder des Alkoholmissbrauchs oder beider Phänomene erforderlich ist, können die Voraussetzungen des § 72 StGB ebenfalls nicht überprüft werden.
17
2. Die Anordnung der Unterbringung in einer Enziehungsanstalt nach § 64 StGB ist ohnehin nicht frei von Rechtsfehlern. Die Bejahung einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB begegnet rechtlichen Bedenken. Das Landgericht setzt sich insoweit über den Sachver- ständigen hinweg, der „Zweifel geäussert (hat), ob der Beschuldigte kognitiv und intellektuell in der Lage sei, eine Entziehungsbehandlung erfolgreich durchzustehen“ (UA S. 15). Genauere Ausführungen zu den wesentlichen An- knüpfungspunkten und Ausführungen des Sachverständigen lässt das landgerichtliche Urteil jedoch vermissen und verhält sich auch nicht zu der vom Sachverständigen für erforderlich gehaltenen testpsychologischen Zusatzuntersuchung. Zwar darf das Landgericht von der Einschätzung des Sachverständigen abweichen, doch hätte es sich dafür erschöpfend mit dessen Ausführungen auseinandersetzen und diese im Einzelnen darlegen müssen, da andernfalls dem Revisionsgericht eine Prüfung nicht möglich ist, ob der Tatrichter das Gut- achten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat sowie woher sich sein besseres Fachwissen ergibt, nachdem er zuvor glaubte, sachverständiger Beratung zu bedürfen (BGH, Urteile vom 12. Juni 2001 - 1 StR 190/01 und vom 10. Dezember 2009 - 4 StR 435/09, NStZ-RR 2010, 105, 106; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05, NStZ-RR 2006, 242, 243). Dem genügt der bloße Verweis auf die Ernüchterung des Beschuldigten durch die eigenen Verletzungen als Tatfolgen und die dadurch bedingte Therapiebereitschaft nicht.
18
Ohne eine Bestimmung des Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20, 21 StGB einerseits und nähere Ausführungen zur Therapierbarkeit der Persönlichkeitsstörung und des Alkoholmissbrauchs andererseits ist die erforderliche Grundlage für die Beurteilung der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht nicht gegeben (vgl. z.B. auch BGH, Urteil vom 11. August 2011 - 4 StR 267/11).
19
3. Das angefochtene Urteil war daher (sowohl als die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet als auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt worden war) aufzuheben.
20
Die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass erneut eine Unterbringung des Beschuldigten angeordnet wird.
21
4. Von der Aufhebung nicht betroffen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die deshalb bestehen bleiben. Denn die diesen Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Insoweit war die Revision zu verwerfen. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen. Rothfuß Jäger Cirener Radtke Fischer
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Vertikale Teilrechtskraft im Sicherungsverfahren.
BGH, Beschluss vom 9. April 2013 5 StR 120/13
LG Kiel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 9. April 2013
im Sicherungsverfahren
gegen
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. April 2013

beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 9. November 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat gegen den 37-jährigen Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg. Die Unterbringungsentscheidung ist nicht tragfähig begründet.
2
1. Nach den Feststellungen leidet der Beschuldigte seit vielen Jahren an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Seit seiner Jugend wurde er immer wiederkehrend in teilweise kurzen Abständen in psychiatrischen Krankenhäusern – oft auch in geschlossenen Unterbringungsformen – behandelt ; im Übrigen lebte er weitgehend in Übergangs- oder Rehabilitationseinrichtungen. Aufgrund seiner Psychose trat der Beschuldigte im Zeitraum Juli 2011 bis Februar 2012 in elf Fällen in E. und R. in der Öffentlichkeit Personen weitgehend grundlos in aggressiver, bedrohlicher Weise gegenüber. Dabei kam es in drei Fällen zu Beleidigungen der Zeugen, in einem Fall in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, in einem weiteren Fall zu einer Nötigungshandlung, in deren Zusammenhang der Beschuldigte einen Krummdolch hervorzog. In zwei Fällen verletzte der Beschuldigte einen Freund, von dem er sich beleidigt fühlte (Wurf einer Bierflasche in Richtung des Zeugen, die diesen an der Stirn traf; Faustschlag ins Gesicht).Bei fünf von der Antragsschrift zum Verfahrensgegenstand gemachten Vorfällen konnte letztlich kein tatbestandsmäßiges Verhalten festgestellt werden.
3
Das Landgericht ist zu dem Schluss gekommen, dass der Beschuldigte bei allen Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit handelte, „da jeweils nicht ausgeschlossen werden konnte“, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten aufgehoben war (UA S. 29). Es stützt sich dabei auf das Gutachten eines forensisch-psychiatrischen Sachverständigen, der ebenfalls nicht ausgeschlossen hat, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten wahnbedingt aufgehoben gewesen sei. Dies sei bei fünf der festgestellten Vorfälle „hochwahrscheinlich“ so gewesen; sie „schienen mit paranoidem Erleben zusammenzuhängen“. Eine große Rolle würden „zusätzlich die erheblichen affektiven und Impulskontrollstörungsaspekte der Erkrankung“ spielen; dadurch seien letztlich alle festgestellten Vorfälle „psychosebedingt“ (UA S. 32). Der Sachverständige sieht „ein hohes Risiko für erneute, mindestens schwere Körperverletzungsdelikte mit Drohungen und Beleidigungen“, wobei auch eine Eskalation hin zu Delikten gegen das Leben möglich erscheine (UA S. 35). Der Beschuldigte habe sich im Februar 2012 erstmals bewaffnet. Falls er nicht behandelt werde und „der Wahn weitergehe“, sei der Einsatz eines Messers oder einer anderen Waffe in zukünftig von dem Beschuldigten wiederum als bedrohlich empfundenen Situationen hochwahrscheinlich (UA S. 36). Ob es dann zu Körperverletzungs- und Bedrohungsdelikten komme, hänge von Zufälligkeiten ab, insbesondere von der Reaktion der konfrontierten Personen.
4
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die Unterbringung nach § 63 StGB setzt die zweifelsfreie Feststellung der Voraussetzungen der § 20 oder § 21 StGB voraus. Bereits dies ist unzulänglich belegt.
6
Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 20 StGB nur für „nicht ausschließbar“ gehalten.Es ist nicht einmal zwingend, dass wenigstens in den Fällen, in denen der Sachverständige die Aufhebung der Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten als „hochwahrscheinlich“ beurteilt hat, jedenfalls die Voraussetzungen des § 21 StGB in der Form erheblicher Einschränkung der Steuerungsfähigkeit sicher vorlagen. Zudem beträfe dies nur zwei der Vorfälle , die einen Straftatbestand erfüllten, aber lediglich als Beleidigung, Hausfriedensbruch oder Nötigung einzuordnen waren.
7
Die einzig schwereren, in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichenden Taten hat der Beschuldigte zu Lasten seines Freundes, des Zeugen H. , begangen. Es ist aus dem Urteil nicht ersichtlich, dass diese auf paranoidem Erleben beruhen. Zwar mag naheliegen, dass sie durch die mit der Erkrankung des Beschuldigten einhergehende Impulskontrollstörung mitbedingt sind und insoweit eine – zumindest – erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten in Frage kommt. Hiermit setzt sich jedoch das Urteil nicht auseinander.
8
b) Die Anordnung der Maßregel ist auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten (§ 62 StGB) nicht rechtsbedenkenfrei.
9
Da die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Betroffenen wegen ihrer unbestimmten Dauer außerordentlich beschwert, darf sie nur angeordnet werden, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Es muss wahrscheinlich sein, dass der Rechtsfrieden durch neue Taten schwer gestört wird. Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn sie außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stünde (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 – 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300 mwN).
10
Die im Urteil festgestellten Vorfälle sind – soweit sie überhaupt einen Straftatbestand erfüllen – überwiegend nicht dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Anderes könnte allein für die Taten des Beschuldigten zum Nachteil seines Freundes H. gelten. Bei der Beurteilung ihres Gewichts ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese Taten Folgen von Streitigkeiten nach gemeinsamem Alkoholkonsum waren und der Geschädigte dem Beschuldigten noch in der Hauptverhandlung „freundschaftlich zugewandt“ war (UA S. 25).
11
Zwar setzt die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht grundsätzlich voraus, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Ist dies nicht der Fall, bedarf jedoch die Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältiger Darlegung (vgl. BGH, Urteile vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, und vom 23. Januar 1986 – 4 StR 620/85, NStZ 1986, 237). Daran fehlt es hier.
12
Im Rahmen der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten hätte sich das Landgericht auch damit auseinandersetzen müssen, dass dieser – ungeachtet immer wieder aufgetretenen aggressiven und bedrohlichen Verhaltens – neben zwei nicht näher geschilderten Körperverletzungsdelikten , die einer Verurteilung aus dem Jahr 1995 zugrunde liegen, lediglich im Jahr 2004 wegen einer zum Nachteil eines behandelnden Arztes begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde , neben der seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Hinblick auf diese Verurteilung wurde ein weiteres Strafverfahren wegen Körperverletzung zu Lasten eines Mitbewohners in einer Wohneinrichtung vorläufig eingestellt. Die Bewährungsstrafe wurde im Februar 2008 erlassen. Damit trat gemäß § 67g Abs. 5 i.V.m. § 68g Abs. 3 Satz 1 StGB auch die Erledigung der ausgesetzten Maßregel ein. Das im angefochtenen Urteil schon für die damalige Bewährungszeit geschilderte fortgesetzte regelwidrige und aggressive Verhalten des Beschuldigten wurde demnach nicht als so gravierend beurteilt, dass es zu einem Widerruf oder – jedenfalls soweit ersichtlich – auch nur zu einer Verlängerung der Bewährungsfrist geführt hätte.
13
3. Die Frage der Unterbringung bedarf deshalb der nochmaligen Prüfung und Entscheidung. Der Senat hat von einer Aufrechterhaltung der Feststellungen zu dem jeweiligen Geschehen der im Urteil unter II. geschilderten Vorfälle abgesehen, weil die Begleitumstände zur Feststellung des psychischen Zustandes des Beschuldigten ohnehin neuer Aufklärung bedürfen.
14
Diejenigen Vorfälle, die Gegenstand der Antragsschrift waren, jedoch im angefochtenen Urteil als nicht tatbestandsmäßig angesehen worden sind, können indes nicht mehr als Anlasstaten für die Unterbringung nach § 63 StGB herangezogen werden. Insoweit kann der Beschuldigte nicht schlechter stehen als ein teilfreigesprochener Angeklagter im Strafverfahren, der sich mit seiner Revision mangels Beschwer gegen den Teilfreispruch nicht wenden kann (sogenannte vertikale Teilrechtskraft, vgl. zum Begriff Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., Einl. K Rn. 68). Nach § 414 Abs. 1 StPO gelten auch für die Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft eines im selbständigen Sicherungsverfahren ergangenen Urteils die allgemeinen strafverfahrensrechtlichen Regeln. Auch wenn über die Anordnung der Maßregel oder die Ablehnung des Antrags der Staatsanwaltschaft im Sicherungsverfahren nur einheitlich entschieden werden kann, handelt es sich bei den einzelnen in der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft geschilderten Vorfällen um selbständige Prozessgegenstände, über die durch das angefochtene Urteil , soweit sie nicht für tatbestandsmäßig erachtet wurden, abschließend entschieden ist. Allerdings können sie – aufgrund neuer Feststellungen – vom neuen Tatgericht bei der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten mitberücksichtigt werden.
Basdorf Sander Schneider
Dölp Bellay

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 135/07
vom
27. Juni 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. Juni 2007 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 4. Dezember 2006 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und versuchter Vergewaltigung zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt , deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Seine auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken. Die Verfahrensrügen sind, soweit sie zulässig erhoben sind, unbegründet. Die Revision wendet sich mit ihnen, ebenso wie mit der Sachrüge, letztlich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts. Diese lässt einen durchgreifenden Rechtsfehler aber nicht erkennen. Die Jugendkammer hat die Besonderheiten des Falles gesehen und ausführlich in den Urteilsgründen erörtert. Die für den Angeklagten sprechenden Indizien hat sie gesehen, jedoch die belastende Aussage der Nebenklägerin auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung, die Rechtsfehler nicht erkennen lässt, als glaubhaft angesehen. Diese Würdigung ist vom Revisionsgericht hinzunehmen; dass auch andere Schlüsse möglich gewesen wären, steht dem nicht entgegen.
3
2. Auch die Zumessung der Jugendstrafe weist für sich allein keinen Rechtsfehler auf. Jedoch war, entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts , der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben, weil das Landgericht mit nicht tragfähiger Begründung von der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB abgesehen hat. Die Nichtanordnung ist, auch nach Zustellung des Antrags der Bundesanwaltschaft, vom Revisionsangriff nicht ausgenommen worden.
4
a) Nach den Feststellungen der Jugendkammer leidet der inzwischen 21jährige Angeklagte aufgrund einer perinatalen Hirnschädigung (UA S. 24) an einem hirnorganischen Psychosyndrom, das als krankhafte seelische Störung im Sinne von § 20 StGB einzuordnen ist und zur erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei den gegen die Lebensgefährtin des Vaters des Angeklagten gerichteten Taten geführt hat. Er zeigt ausgeprägte Symptome des sog. Asperger-Syndroms, einer Form des Autismus, sowie des sog. TouretteSyndroms (UA S. 4, 24). Seit früher Kindheit zeigte er erhebliche Verhaltensauffälligkeiten , namentlich unkontrolliert aggressives Verhalten; er war vielfach zur stationären Behandlung in Heimen, Krankenhäusern und JugendhilfeEinrichtungen untergebracht. Zum Zeitpunkt des Urteils war keine therapeuti- sche Einrichtung ersichtlich, die zur Aufnahme des Angeklagten bereit wäre (UA S. 6).
5
b) Zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht nach Vernehmung einer Sachverständigen ausgeführt, bei psychologischen Testverfahren ("kriminelle Persönlichkeit" und Neigung zu Gewalttaten ) habe der Angeklagte mittlere Punktwerte erreicht, beim Test "Vorhersage sexueller Gewalttaten" nur einen geringen Punktwert. Die Sachverständige habe die Gefahr weiterer Gewalttaten als "mittelgradig bis hoch" eingeschätzt. Dies erfülle die Voraussetzungen des § 63 StGB nicht; denn hiernach sei eine "hochgradige Wahrscheinlichkeit weiterer Sexualstaftaten" Voraussetzung für die Maßregelanordnung (UA S. 30 f.).
6
Diese Ausführungen rechtfertigen die Ablehnung einer Anordnung nach § 63 StGB nicht. Soweit sich das Landgericht auf die Ergebnisse von Testverfahren stützt, fehlen schon Darlegungen zur Bewertung der angewandten Verfahren und zum Beweiswert der Ergebnisse. Soweit - was aus den Urteilsgründen nicht klar wird - der Tatrichter von der Beurteilung der Sachverständigen abgewichen ist, fehlen Hinweise darauf, aus welchen Gründen und aufgrund welcher eigenen Sachkunde dies geschehen ist. Schließlich legen die Ausführungen des Urteils die Annahme nahe, das Landgericht sei von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen und habe der Entscheidung überspannte Anforderungen zugrunde gelegt. § 63 StGB setzt weder die Gefahr weiterer gleichartiger Taten noch eine vom Landgericht für erforderlich gehaltene hochgradige Wahrscheinlichkeit voraus (vgl. Tröndle/Fischer StGB § 63 Rdn. 15 ff. mit Nachw. zur Rspr.).
7
c) Aus § 5 Abs. 3 JGG folgt, dass über die Verhängung von Jugendstrafe und die Anordnung der freiheitsentziehenden Maßregel nur aufgrund einheitli- cher Betrachtung entschieden werden kann. Der Rechtsfolgenausspruch war daher insgesamt aufzuheben. Bode Otten Ernemann Fischer Ri'inBGH Roggenbuck ist durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. Bode

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie das Familiengericht.

(1) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
einen kinderpornographischen Inhalt verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht; kinderpornographisch ist ein pornographischer Inhalt (§ 11 Absatz 3), wenn er zum Gegenstand hat:
a)
sexuelle Handlungen von, an oder vor einer Person unter vierzehn Jahren (Kind),
b)
die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder
c)
die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes,
2.
es unternimmt, einer anderen Person einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zugänglich zu machen oder den Besitz daran zu verschaffen,
3.
einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, herstellt oder
4.
einen kinderpornographischen Inhalt herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 oder der Nummer 2 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, soweit die Tat nicht nach Nummer 3 mit Strafe bedroht ist.
Gibt der kinderpornographische Inhalt in den Fällen von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 4 kein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und gibt der Inhalt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen.

(3) Wer es unternimmt, einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen oder wer einen solchen Inhalt besitzt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

(4) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 Nummer 1 strafbar.

(5) Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 3 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung von Folgendem dienen:

1.
staatlichen Aufgaben,
2.
Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle ergeben, oder
3.
dienstlichen oder beruflichen Pflichten.

(6) Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 und Satz 2 gilt nicht für dienstliche Handlungen im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, wenn

1.
die Handlung sich auf einen kinderpornographischen Inhalt bezieht, der kein tatsächliches Geschehen wiedergibt und auch nicht unter Verwendung einer Bildaufnahme eines Kindes oder Jugendlichen hergestellt worden ist, und
2.
die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(7) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 oder 3 oder Absatz 3 bezieht, werden eingezogen. § 74a ist anzuwenden.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 215/08
vom
10. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. Juli 2008 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 27. Februar 2008 wird verworfen; jedoch wird der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen II. 2. und 3. der Urteilsgründe des Sich-Verschaffens kinderpornographischer Schriften schuldig ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in einem Fall sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Sie führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs wegen des Umgangs mit kinderpornographischen Schriften.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts betrachtete der Angeklagte im Juni 2007 kinderpornographische Seiten im Internet. Dabei wurden ohne sein Zutun aber mit seinem Wissen entsprechende Bilddateien auf der Festplatte seines Computers gespeichert. Einen Monat später lud er zwei Videodateien, die ebenfalls den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern darstellten, aus dem Internet auf seinen Computer herunter. Der Vorgang blieb unvollständig, die Filme konnten jedoch abgespielt werden.
3
Damit hat sich der Angeklagte in zwei Fällen kinderpornographische Schriften, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, verschafft (§ 184 b Abs. 4 Satz 1 StGB). Soweit der Angeklagte dabei im Verlauf einer Internetsitzung jeweils mehrere Dateien auf seinen Computer heruntergeladen hat, liegt jeweils nur eine Tat im Rechtssinn vor. Die zeitlich deutlich auseinander liegenden , jeweils auf Grund eines gesonderten Tatentschlusses erfolgten Beschaffungsvorgänge stehen dagegen zueinander in Tatmehrheit.
4
Eine - vom Landgericht angenommene - Strafbarkeit wegen Besitzes dieser Schriften (§ 184 b Abs. 4 Satz 2 StGB) kommt hingegen hier nicht in Betracht. Beim Besitz handelt es sich um einen Auffangtatbestand. Er folgt zwar zwangsläufig dem Sich-Verschaffen von Schriften - d. h. der erfolgreichen Begehungsform des Unternehmensdelikts gemäß § 184 b Abs. 4 Satz 1 StGB - nach. Die Besitzverschaffung ist am illegalen Markt der Kinderpornographie jedoch das gefährdungsintensivere Delikt. Der Besitz der Schriften tritt deshalb hinter ihr zurück (Hörnle in MünchKomm-StGB § 184 b Rdn. 35). Diese Betrachtung entspricht derjenigen im Betäubungsmittelstrafrecht. Auch dort ist der Besitz Auffangtatbestand. Eine Bestrafung kann nur erfolgen, wenn andere umfassendere Formen des strafbaren Umgangs mit Betäubungsmitteln nicht nachgewiesen werden können (vgl. Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 801, 897 m. w. N.).
5
Dies hat Auswirkungen auf die Beurteilung der Konkurrenz zwischen den beiden Taten des Sich-Verschaffens: Verschafft sich der Täter durch mehrere Handlungen jeweils den Besitz kinderpornographischer Bilddateien und speichert diese auf demselben Computer ab, so ist das subsidiäre Delikt des Besitzes nicht in der Lage, diese selbständigen Verschaffungstaten miteinander zu einer Tat zu verklammern (im Ergebnis ebenso BayObLG NJW 2003, 839, 840, das allerdings Tateinheit von Besitz und Sich-Verschaffen hinsichtlich der jeweils durch eine Handlung verschafften Dateien annimmt).
6
Soweit der Senat in seiner Entscheidung NStZ 2005, 444 ausgesprochen hat, eine Mehrzahl von Beschaffungs- und anschließenden Weitergabehandlungen werde durch den sie verbindenden Besitz der kinderpornographischen Dateien zu einer einheitlichen Straftat verklammert, gilt Folgendes: Eine Klammerwirkung des Besitzes hinsichtlich einer Datei bezüglich des vorangehenden Sich-Verschaffens und des anschließenden Dritt-Verschaffens kommt seit der Änderung der Rechtslage (Gesetz vom 27. Dezember 2003 [BGBI I S. 3007] mit Wirkung vom 1. April 2004) nicht mehr in Betracht, da die angedrohte Strafobergrenze für das Dritt-Verschaffen in § 184 b Abs. 2 StGB auf fünf Jahre angehoben worden ist (so auch Hörnle aaO; Lenckner/Perron/Eisele in Schönke /Schröder, StGB 27. Aufl. § 184 b Rdn. 19). Für die Annahme von Tateinheit mehrerer Taten des Sich-Verschaffens durch einen sich anschließenden einheitlichen Besitz der verschiedenen kinderpornographischen Dateien im Wege der Klammerwirkung ist kein Raum mehr, wenn - wie es der Senat in Anlehnung an die betäubungsmittelrechtliche Betrachtung des Besitzes nunmehr tut - der Besitz nur noch als subsidiär angesehen wird.
7
Der Senat hat den Schuldspruch geändert. Der Rechtsfolgenausspruch bleibt davon unberührt.
Becker Miebach Pfister von Lienen Sost-Scheible

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie das Familiengericht.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 56/15
vom
14. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Oktober 2015 gemäß
§ 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 14. August 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Die Revision des Angeklagten richtet sich gegen das freisprechende Urteil des Landgerichts Regenburg vom 14. August 2014, durch dessen Entscheidungsgründe sich der Angeklagte beschwert sieht.
2
Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unzulässig.

I.


3
Das Landgericht Regensburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 14. August 2014 freigesprochen und ihm für näher bezeichnete Zeiträume der Unterbringung eine Entschädigung zugesprochen.
4
1. Der Angeklagte war zunächst durch Urteil des Landgerichts NürnbergFürth vom 8. August 2006 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und von den angeklagten Tatvorwürfen zum Teil aus rechtlichen und zum Teil aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Das Landgericht NürnbergFürth hatte die Vorwürfe der gefährlichen Körperverletzung am 12. August 2001, der Körperverletzung mit Freiheitsberaubung am 31. Mai 2002 und der Sachbeschädigung in acht Fällen im Zeitraum zwischen dem 31. Dezember 2004 und dem 1. Februar 2005 in tatsächlicher Hinsicht für erwiesen erachtet, die Schuldfähigkeit des Angeklagten dabei jedoch für nicht ausschließbar aufgehoben gehalten. Von dem weiteren Vorwurf des Diebstahls am 23. November 2002 hatte sich das Landgericht Nürnberg-Fürth in tatsächlicher Hinsicht nicht zu überzeugen vermocht. Sachverständig beraten war das Landgericht Nürnberg -Fürth ferner zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte werde auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen und sei daher für die Allgemeinheit gefährlich. Es hatte deshalb seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.
5
Die Revision des Angeklagten gegen die Anordnung dieser Maßregel hat der Senat mit Beschluss vom 13. Februar 2007 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
6
Die Anträge des Angeklagten wie auch der Staatsanwaltschaft Regensburg , die Wiederaufnahme des Verfahrens zuzulassen und die Erneuerung der Hauptverhandlung anzuordnen, hat das Landgericht Regensburg mit Beschluss vom 24. Juli 2013 als unzulässig verworfen. Auf die sofortigen Beschwerden der beiden Antragsteller hat das Oberlandesgericht Nürnberg die Wiederaufnahme des Verfahrens mit Beschluss vom 6. August 2013 zugelassen, die Erneuerung der Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts Regensburg zurückverwiesen. Die erneute Hauptverhandlung ist dabei auf die beiden Vorwürfe der Körperverletzung sowie die Vorwürfe der Sachbeschädigung beschränkt worden; der Freispruch vom Vorwurf des Diebstahls ist rechtskräftig verblieben.
7
2. Das Landgericht Regensburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 14. August 2014 freigesprochen, ohne eine Maßregel anzuordnen. Die Vorwürfe der Körperverletzung mit Freiheitsberaubung vom 31. Mai 2002 sowie der Sachbeschädigung in den Jahren 2004 und 2005 hat es nach der Beweiswürdigung als nicht erwiesen angesehen und den Angeklagten insoweit aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Im Hinblick auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung vom 12. August 2001 ist das Landgericht Regensburg zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte habe den gesetzlichen Tatbestand vorsätzlich und rechtswidrig erfüllt, habe im Tatzeitpunkt aber nicht ausschließbar ohne Schuld im Sinne des § 20 StGB gehandelt. Der Freispruch des Angeklagten von diesem Vorwurf fußt auf diesen rechtlichen Erwägungen.
8
3. Der Angeklagte beanstandet nunmehr mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Revision seine Freisprechung, soweit diese (nur) aus Rechtsgründen erfolgt ist; die für die Zulässigkeit seines Rechtsmittels erforderliche Be- schwer leitet er aus den vom Landgericht Regensburg zum objektiven Tatgeschehen getroffenen Feststellungen ab.

II.


9
Die Revision des Angeklagten ist unzulässig und war daher gemäß § 349 Abs. 1 StPO zu verwerfen.
10
Die Freisprechung wegen nicht erwiesener Schuldfähigkeit im Sinne von § 20 StGB beschwert den Angeklagten nicht. Sie kann deshalb von ihm nicht mit der Revision angefochten werden.
11
1. Ein Angeklagter kann eine Entscheidung nur dann zulässig anfechten, wenn er durch sie beschwert ist. Dies bedeutet, dass die Urteilsformel einen unmittelbaren Nachteil für den „Beschwerten“ enthalten muss, der seine Rechte und geschützten Interessen unmittelbar beeinträchtigt. Es genügt nicht, wenn ihn nur der Inhalt der Urteilsgründe in irgendeiner Weise belastet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1955 – 5 StR 499/54, BGHSt 7, 153 ff. [Freisprechung aus sachlichen Gründen]; Urteil vom 26. März 1959 – 2 StR 566/58, BGHSt 13, 75, 76 f. [Einstellung wegen Verjährung]; Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374, 376 ff.; Urteil vom 4. Mai 1970 – AnwSt (R) 6/69, BGHSt 23, 257, 259 [Verurteilung vor dem Ehrengericht ]; Urteil vom 21. März 1979 – 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 330 f. [Nichtanordnung der Maßregel nach § 64 StGB]; Beschluss vom 18. August 2015 – 3 StR 304/15 [Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB]; KG, Beschluss vom 11. Juli 2014 – 2 Ws 252/14141 AR 316/14; OLG München NJW 1981, 2208; zuvor bereits RGSt 4, 355, 359).
12
a) Bei dem Erfordernis der Tenorbeschwer handelt es sich um ein richterrechtlich entwickeltes Rechtsmittelerfordernis, hinter dessen historischer Entstehung der Gedanke vom staatlichen Strafanspruch steht. Die Aufgabe eines Strafverfahrens liegt in der justizförmigen Prüfung, ob gegen den Angeklagten ein staatlicher Strafanspruch besteht (vgl. BVerfGE 80, 244, 255; 95, 96, 140; BGH, Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374, 378; und vom 18. März 2015 – 2 StR 656/13, Rn. 13, NJW-Spezial 2015, 569 f.). Kann keine strafbare Tat festgestellt werden und kommt keine Maßregel der Besserung und Sicherung in Betracht, so ist damit die Aufgabe der Strafrechtspflege im einzelnen Strafverfahren grundsätzlich erfüllt. Dem Angeklagten mag im Einzelfall zwar daran liegen, aus einem bestimmten Grund – etwa wegen erwiesener Unschuld – freigesprochen zu werden. Insoweit stehen seinem Verlangen aber die Interessen der staatlichen Rechtspflege entgegen, der die Feststellung genügt, dass gegen den Angeklagten kein Strafanspruch besteht und keine Maßregel in Betracht kommt. So wird etwa auch bei nicht hinreichendem Tatverdacht gegen den Angeschuldigten das Hauptverfahren nicht eröffnet (§ 203 StPO), selbst wenn dieser das Interesse haben sollte, sich öffentlich von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu reinigen. Die allgemeine Aufgabe der Strafrechtspflege zwingt aus prozesswirtschaftlichen Gründen zur Beschränkung im einzelnen Strafverfahren, insbesondere um eine uferlose Ausweitung der Beweisaufnahme zu vermeiden. Hat der Angeklagte daher keinen Anspruch darauf, aus einem bestimmten Grund freigesprochen zu werden, so kann ihm auch nicht das Recht zustehen, einen solchen Anspruch durch ein Rechtsmittel geltend zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374, 380). Etwaige durch die Entscheidungsgründe des Tatgerichts verursachte Folgen tatsächlicher Art würden durch ein Rechtsmittel ohnehin nicht rückgängig gemacht werden können (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 18. August 2015 – 3 StR 304/15).
13
Eine Beschwer kann sich deshalb für den Angeklagten nur aus der Entscheidungsformel des Urteils ergeben. Ein ihm günstigeres Ergebnis als die Freisprechung kann der Angeklagte nicht erzielen. Sonstige Rechts- und Interessenverletzungen durch die Gründe der Entscheidung, die nur die „Unterla- gen des Urteils“ bilden (vgl. RGSt 4, 355, 359), sind der Überprüfung durch ein Rechtsmittelgericht demgegenüber entzogen. Auch mittelbare Folgen des Verfahrens , etwa der gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 BZRG zwingende Registereintrag oder Verwaltungsangelegenheiten, begründen keine Beschwer, die zur Zulässigkeit der Revision führt. Dem hat sich das Schrifttum überwiegend angeschlossen (vgl. Cirener in: Graf, StPO, 2. Aufl., § 296 Rn. 8; Hannich in: Karlsruher Kommentar, 7. Aufl., vor § 296 Rn. 5a; Jesse in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., vor § 296 Rn. 57; Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., vor § 296 Rn. 11 und 13; Krack, Die Rehabilitierung des Beschuldigten im Strafverfahren, S. 186 ff. und S. 194 ff.; Radtke in: FS für Roxin, Bd. 2, S. 1419, 1427 ff.).
14
Auf den Fall der Freisprechung wegen Schuldunfähigkeit hat der Bundesgerichtshof diese Grundsätze in der Vergangenheit bereits angewendet und dem Angeklagten die Rechtsmittelbefugnis mangels Beschwer verwehrt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374, 376 ff.). Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
15
b) Nach Maßgabe dessen ist der Angeklagte durch das freisprechende Urteil der Strafkammer nicht beschwert. Eine Beschwer ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Strafkammer in tatsächlicher Hinsicht für den Angeklagten nachteilige Feststellungen zu dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung am 12. August 2001 getroffen und die Freisprechung in Anwendung des Zweifelssatzes auf die Schuldunfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 20 StGB gestützt hat.
16
aa) Erfolgt ein Freispruch aus rechtlichen Gründen, sind Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in den Urteilsgründen aus Rechtsgründen erforderlich und geboten. Dies gilt mit Blick auf die für den Angeklagten und die Staatsanwaltschaft gleichermaßen bestehende Rechtsmittelbefugnis in besonderem Maße in Konstellationen wie der vorliegenden, wenn der Freispruch wegen fehlender Schuldfähigkeit erfolgt. Denn Schuld im Sinne von § 20 StGB bedeutet Vorwerfbarkeit und ist ein Rechtsbegriff, keine empirisch-medizinische Diagnose. Für deren Vorliegen kommt es auf den Zustand des Angeklagten bei Begehung der Tat (§ 8 StGB) an; sein Zustand ist genau für diesen Zeitpunkt festzustellen und zu bewerten (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 77; und vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45,

53).


17
So setzt die rechtsfehlerfreie Anwendung des auch für die Frage der (vollen ) Schuldfähigkeit geltenden Zweifelssatzes die umfassende Prüfung des Vorliegens und der Schwere eines festgestellten Eingangsmerkmals des § 20 StGB voraus. Hat ein Sachverständiger eine schwere Abartigkeit weder bejaht noch ausgeschlossen, liegt ein Rechtsfehler vor, wenn der Tatrichter “deshalb” “zu- gunsten” des Angeklagten ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchti- gung dessen Hemmungsvermögens ausgeht. Die Urteilsgründe müssen sich vielmehr dazu verhalten, in welchem Ausmaß sich das Eingangsmerkmal beim Tatentschluss oder der Tatausführung ausgewirkt hat. Etwa das Gewicht der Tat und die dadurch beeinflusste Höhe der von ihr ausgehenden Hemmschwelle können dabei für die Beurteilung Bedeutung gewinnen. Sie müssen deshalb festgestellt und in den Urteilsgründen in für das Revisionsgericht nachprüfbarer Weise dargelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 1960 – 2 StR 640/59, BGHSt 14, 114, 116; vom 21. September 1982 – 1 StR 489/82, NJW 1983, 350; und vom 6. Mai 1997 – 1 StR 17/97, NStZ 1997, 485, 486; Beschluss vom 28. Oktober 2009 – 2 StR 383/09, NStZ-RR 2010, 73, 74).
18
Auch der allgemein anerkannte Grundsatz, dass die Schuldfähigkeit regelmäßig nur in Beziehung auf einen bestimmten Straftatbestand, nicht aber unabhängig von diesem beurteilt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 1960 – 2 StR 640/59, BGHSt 14, 114, 116; und vom 21. September 1982 – 1 StR489/82, NJW 1983, 350), erfordert Feststellungen zum Tatgeschehen im Urteil. Vor allem die Frage der Hemmungsfähigkeit lässt sich bei den verschiedenartigen Straftaten nur selten einheitlich beantworten. So kann ein Betrunkener , der seinen Geschlechtstrieb nicht mehr zu beherrschen vermag und deshalb im Rausch den Versuch einer Sexualstraftat begeht, möglicherweise sehr wohl noch fähig sein, Hemmungen gegenüber einem Raubmotiv einzuschalten ; wer sich infolge seines Rausches schuldlos zu einer Beleidigung hinreißen lässt, kann für eine gefährliche Körperverletzung noch verantwortlich sein (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 1960 – 2 StR 640/59, BGHSt 14, 114, 116).
19
Soweit entsprechende Feststellungen für den freigesprochenen Angeklagten ungünstig sind und ihn in tatsächlicher Hinsicht beschweren, hat der Gesetzgeber dies grundsätzlich als Folge des justizförmigen Strafverfahrens hingenommen.
20
bb) Diesen Erwägungen hat das Landgericht in dem angegriffenen Urteil Rechnung getragen. Es hat in nicht zu beanstandender Weise dargelegt, von welchem Tatablauf es im Hinblick auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung am 12. August 2001 ausgegangen ist. Dabei hat das Landgericht die Feststellungen auf das aus Rechtsgründen Erforderliche beschränkt. Es hat seine Darstellung des Tatgeschehens und der Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin sachlich gehalten und sich weitgehend auf die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen beschränkt. Diese Feststellun- gen bilden die von Gesetzes wegen notwendige „Unterlage“ (vgl.RGSt 4, 355, 359 f.) der Entscheidungsformel. Sie vermittelt dem Angeklagten keine Rechtsmittelbefugnis.
21
2. Aus verfassungsrechtlichen Vorgaben, die in extrem gelagerten Ausnahmefällen zu einer Durchbrechung dieser Grundsätze führen können, ergibt sich vorliegend nichts anderes. Das Bundesverfassungsgericht hält den einfachrechtlichen Grundsatz der Tenorbeschwer nicht nur in ständiger Rechtsprechung für verfassungsgemäß, sondern hat diesen auf die Prüfung der Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden sogar jedenfalls grundsätzlich übertragen (vgl. BVerfGE 28, 151, 160 f.; BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 2012 – 2 BvR 800/12, 2 BvR 12 BvR 1003/12 (3. Kammer des 2. Senats), Rn. 8 mwN, juris).
22
a) Die Gestaltung des strafprozessualen Rechtsmittelverfahrens und die Auslegung der dafür geltenden Rechtsnormen (§§ 296 ff. StPO) ist originäre Anwendung des einfachen Rechts. Einen verfassungsrechtlich verbürgten An- spruch auf Rechtsmittelkontrolle durch eine übergeordnete Instanz schlechthin gibt es nicht (vgl. BVerfGE 4, 74, 94 f.; 6, 7, 12).
23
b) Indes kann in seltenen Ausnahmefällen auch ein freisprechendes Urteil durch die Art seiner Begründung Grundrechte verletzen (vgl. BVerfGE 6, 7, 9; 28, 151, 160). So kann in einzelnen Ausführungen der Entscheidungsgründe eine Grundrechtsverletzung dann erblickt werden, wenn sie – für sich genommen – den Angeklagten so schwer belasten, dass eine erhebliche, ihm nicht zumutbare Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Bereichs festzustellen ist, die durch den Freispruch nicht aufgewogen wird. Das ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidungsgründe einzelne, den Beschwerde- führer belastende oder für ihn „unbequeme“ Ausführungen enthalten (vgl. BVerfGE 28, 151, 161).
24
c) Unter Anwendung dieser Maßstäbe liegt ein Ausnahmefall, der zum Zwecke der Wahrung der verfassungsmäßig verbürgten Rechte des Angeklagten einfachrechtlich die Zulässigkeit seiner Revision zur Folge hat, nicht vor. Wie bereits dargelegt, beschränken sich die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen auf das gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO für die Überprüfung der Urteilsgründe auf Rechtsfehler erforderliche Maß. Aus welchen Feststellungen genau sich eine schlechthin unerträgliche Beschwer für den Angeklagten ergeben soll, legt auch die Revision nicht dar. Ihr Vortrag, das Urteil enthalte „seitenweise negative Aussagen über den Revisionsführer“ (RB S. 5) und setze diesen dem Vorwurf des „gefährlichen Gewaltverbrechers“ (RB S. 15)aus, belegen dies nicht. Für den Angeklagten schlicht unangenehme Aussagen reichen nicht aus. Auch aus der Medienwirksamkeit des Strafverfahrens kann sich eine Beschwer im genannten Sinne nicht ergeben, denn diese ist nicht Folge des Urteils und der Entscheidungsgründe selbst. Beeinträchtigungen des Angeklag- ten aufgrund öffentlicher Berichterstattung können im Falle seiner Verurteilung im Rahmen der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen sein, wenn der Druck der medialen Berichterstattung erheblich über das hinaus geht, was jeder Straftäter über sich ergehen lassen muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2007 – 1 StR 164/07, NStZ-RR 2008, 343, 344). Die damit einhergehende seelische Belastung eines Angeklagten kann unter Umständen das Maß des staatlichen Strafanspruchs beeinflussen, seine Rechtsmittelbefugnis bleibt davon indessen unberührt.
25
3. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gibt gleichfalls keinen Anlass, das Erfordernis der Tenorbeschwer für die Zulässigkeit der strafprozessualen Revision aufzugeben.
26
a) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann die durch Art. 6 Abs. 2 MRK garantierte Unschuldsvermutung auch durch ein freisprechendes Urteil verletzt werden. Es soll dafür nicht nur auf den Tenor der freisprechenden Entscheidung, sondern auch auf die Urteilsbegründung ankommen. Ein Konventionsverstoß kann etwa zu bejahen sein, wenn das nationale Gericht im Fall des Freispruchs aus sachlichen Gründen durch die Urteilsgründe zum Ausdruck bringt, es sei von der Schuld des Angeklagten tatsächlich überzeugt (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Januar 2015 – 48144/09 – Cleve/Deutschland).
27
Bereits zuvor hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 MRK bejaht, wenn eine Gerichtsentscheidung oder die Äußerung eines Amtsträgers nach seiner Bewertung zu erkennen gab, eine einer Straftat angeklagte Person sei schuldig, obwohl der gesetzliche Beweis ihrer Schuld noch nicht erbracht war. Dabei hat der Gerichtshof der konkreten Wortwahl der jeweils angegriffenen Entscheidung maßgebliche Bedeutung beigemessen und diese im Kontext mit der gegebenen Verfahrenslage gewürdigt (vgl. EGMR, Slg. 2000-X Nr. 39, 41 – Daktaras/ Litauen; EGMR, NJW 2004, 43 Nr. 54, 56 – Böhmer/Deutschland; EGMR, Urteil vom 27. Februar 2007 – 65559/01 Nr. 88 f. – Nešťák/Slowakei; EGMR, Urteil vom 23. Oktober 2008 – 13470/02 Nr. 94 – Khuzhin u.a./Russland; EGMR, Urteil vom 2. Juni 2009 – 24528/02 Nr. 45 ff. – Borovský/Slowakei).
28
Die Garantie des Art. 6 Abs. 2 MRK hat der Gerichtshof dabei vornehmlich in Fällen für verletzt erachtet, in denen der Beschwerdeführer einer Straftat nur verdächtig war, ohne ihretwegen rechtskräftig verurteilt zu sein. Der Gerichtshof hat dabei abermals betont, die Wortwahl der Entscheidung sei im Zusammenhang mit den besonderen Umständen, unter denen die angegriffene Äußerung gemacht wurde, zu bewerten. So hat der Gerichtshof eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 MRK abgelehnt, soweit eine faktische Belastung des Beschwerdeführers für die justizförmige Durchführung des Verfahrens erforderlich oder dessen zwangsläufige Folge war (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Januar 2015 – 48144/09 – Cleve/Deutschland; Urteil vom 27. Februar 2014 – 17103/10 – Karaman/Deutschland, Rn. 63 mwN; Slg. 2013 Nr. 126 – Allen/Vereinigtes Königreich

).


29
b) Der im nationalen Recht geltende Grundsatz der Tenorbeschwer steht zu dieser Rechtsprechung nicht in Widerspruch; er fügt sich in seiner richterrechtlichen Ausprägung sogar in diese ein.
30
aa) Ein Anspruch des Betroffenen auf einen Instanzenzug im Strafverfahren schlechthin lässt sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht ableiten. Art. 6 MRK garantiert bereits nicht das Recht auf ein bestimmtes Ergebnis eines Strafverfahrens, etwa nicht auf Verurteilung oder Freispruch wegen einer angeklagten Straftat (vgl. EGMR, Urteil vom 26. August 2003 – 59493/00 – Withey/Vereinigtes Königreich; Urteil vom 3. Dezember 2009 − 8917/05 − Kart/Türkei, NJOZ 2011, 619, 621). Die Bereitstellung und Ausgestaltung des Instanzenzugs ist vielmehr der Regelung durch den nationalen Gesetzgeber unter Wahrung der von der Konvention vorgesehenen Verfahrensgarantien vorbehalten.
31
bb) Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 15. Januar 2015 (Nr. 48144/09 – Cleve/Deutschland) lässt sich für die hier vorliegende Konstellation nichts Gegenteiliges ableiten.
32
(1.) Dies gilt zum einen deshalb, weil der Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht andere Umstände zugrunde lagen. Der dem Gerichtshof vorgelegte Sachverhalt war dadurch gekennzeichnet, dass sich das erkennende nationale Gericht nach Abschluss der Beweisaufnahme keine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten verschafft und diesen aus sachlichen Gründen freigesprochen hatte. Die schriftlichen Urteilsgründe standen hierzu aber in Diskrepanz , denn sie enthielten Äußerungen, aus denen hervorging, der Angeklagte habe die ihm vorgeworfenen Handlungen tatsächlich begangen, lediglich fehle wegen einer unzureichenden Zeugenaussage die hinreichende Gewissheit hinsichtlich eines bestimmten, für die Verurteilung erforderlichen Tathergangs (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Januar 2015 – 48144/09 – Cleve/Deutschland, Nr. 57 f.).
33
So liegt es hier nicht. Das Landgericht hat den Angeklagten vorliegend nicht aus sachlichen, sondern aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die Überzeugung von einem bestimmten äußeren Ablauf der angeklagten Tat hat sich das Landgericht verschafft; Zweifel verblieben (nur) an der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Eine der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 15. Januar 2015 vergleichbare Divergenz zwischen dem Tenor und den Gründen des Urteils besteht deshalb nicht. Wie oben ausgeführt war das Landgericht zur rechtsfehlerfreien Anwendung des § 20 StGB sogar gehalten, den für erwiesen erachteten Tatablauf und den Zustand des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt im Urteil darzulegen.
34
(2.) Darüber hinaus ist die Entscheidung des Gerichtshofs vom 15. Januar 2015 im Kontext mit seiner seit langem gefestigten Rechtsprechung in den Blick zu nehmen, wonach es für die Verletzung der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK entscheidend auf Wortwahl und Formulierung der Urteilsgründe unter Betrachtung der konkreten Verfahrenssituation ankommt. Hieran hat der Gerichtshof unverändert angeknüpft und der Wortwahl der gerichtlichen Äußerungen das maßgebliche Gewicht beigemessen (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Januar 2015 – 48144/09 – Cleve/Deutschland, Nr. 54 f.).
35
Nach Maßgabe dessen ist die Revision des Angeklagten hier nicht ausnahmsweise zulässig, denn eine übermäßige Beschwer liegt bei Gesamtwürdigung der getroffenen Formulierungen nach Freispruch aus rechtlichen Gründen nicht vor. An dieser Stelle fügt sich der Grundsatz der Tenorbeschwer in die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte überdies zwanglos ein, denn eine Ausnahme von der Formalbeschwer für extrem gelagerte Fälle, in denen sich die Belastung des Angeklagten aus Begleitumständen, etwa der Wortwahl des Tatgerichts, ergibt, sieht bereits die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit jeher vor (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1955 – 5 StR499/54, BGHSt 7, 153 ff.; Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374; vgl. BGHSt 13, 75, 77; 16, 374; 23, 257, 259; 28, 327, 330; Beschluss vom 18. August 2015 – 3 StR 304/15).
36
c) Im Übrigen hat auch das Bundesverfassungsgericht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 15. Januar 2015 am Erfordernis der Tenorbeschwer nach verfassungsrechtlichen Maßstäben festgehalten (vgl. BVerfG, NZA 2015, 1117, 1119 mwN).
37
4. All dies unbeschadet wäre die Revision des Angeklagten auch unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Beweiswürdigung lässt angesichts des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs des Revisionsgerichts Rechtsfehler nicht erkennen. Graf Cirener Radtke RiBGH Prof. Dr. Mosbacher Fischer ist infolge Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Graf

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.