Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Apr. 2017 - XII ZB 100/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. April 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Für den Betroffenen war 2012 eine Betreuung eingerichtet worden und zunächst Herr M. J. als Berufsbetreuer bestellt. Nachdem er Jahresberichte und Rechnungslegungen nicht fristgerecht bei Gericht eingereicht hatte, entließ das Amtsgericht den Betreuer M. J. wegen fehlender Eignung und bestellte den Beteiligten zu 2 als neuen Berufsbetreuer. Die dagegen vom Betroffenen eingelegte Beschwerde wies das Landgericht zurück.
- 2
- Nach Ablauf der Überprüfungsfrist für die Betreuung hat das Amtsgericht ein Gutachten über die weitere Notwendigkeit der Betreuung eingeholt. Aufgrund festgestellter Diagnose einer Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen des Betroffenen sowie des Verdachts auf leichte Intelligenzminderung mit geringfügiger Verhaltensstörung hat die Gutachterin eine Fortsetzung der Betreuung als dringend notwendig bezeichnet.
- 3
- Dem Gutachten folgend hat das Amtsgericht die Betreuung um drei Jahre verlängert, und zwar mit dem (neu festgelegten) Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge , Vermögenssorge sowie der Vertretung vor Ämtern und Behörden , Körperschaften, Gerichten und Dritten einschließlich Antragstellungen und Geltendmachung von Ansprüchen. Im Anschluss daran hat der Betreuer mitgeteilt , dass er keinen Kontakt zu dem Betroffenen habe und dieser offensichtlich auf ausreichende andere Hilfen zurückgreifen könne.
- 4
- Der Betroffene hat gegen den Verlängerungsbeschluss Beschwerde eingelegt , mit der er vorgebracht hat, dass er sich nicht an den aktuellen Betreuer gewöhnen könne, sondern weiterhin mit dem früheren Betreuer M. J. zusammenarbeiten wolle, der ihn auch aktuell weiterhin unterstütze. Die Vermögenssorge könne er allein regeln. Im Wege der Teilabhilfe hat das Amtsgericht den Aufgabenkreis der Betreuung hinsichtlich der Vermögenssorge auf die Abwehr einer Forderung der AOK in Höhe von ca. 11.500 € eingeschränkt. Das Landgericht hat die Betreuung insgesamt aufgehoben. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
II.
- 5
- Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
- 6
- 1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Betreuung seien "ganz offensichtlich" weggefallen. Die Betreuung gehe in der derzeitigen Form ins Leere, da der Betroffene bewusst keinen Kontakt zum Betreuer halte. Er könne soziale und beratende Hilfen des Gesundheitsamts sowie verschiedener Vereine in Anspruch nehmen. Dies gelte auch für die gegen den Betroffenen geltend gemachten Ansprüche der AOK. In dem vorliegenden Beschwerdeverfahren habe er gezeigt, dass er ohne Weiteres die Hilfen einer Rechtsanwältin in Anspruch nehmen könne. Auf einen Betreuer sei er hierbei offenkundig auch nicht angewiesen. Einen Betreuer , der bei der Prüfung der Ansprüche seinerseits einen Rechtsanwalt beauftragen müsse, brauche der Betroffene ohnehin nicht.
- 7
- Insgesamt gebe es keine Veranlassung, gegen den geäußerten natürlichen Willen des Betroffenen die Betreuung in der derzeitigen Form aufrecht zu erhalten. Vielmehr sei schon wegen § 1896 Abs. 1a BGB der freie Wille des Betroffenen vorrangig zu beachten.
- 8
- 2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
- 9
- a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verstößt der angefochtene Beschluss nicht gegen das verfahrensrechtliche Verschlechterungsverbot. Das Beschwerdegericht tritt nämlich in vollem Umfang an die Stelle des Erstgerichts (§ 68 Abs. 3 FamFG) und entscheidet unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstands zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung über die Sache neu.
- 10
- aa) Dabei ist zwar die Entscheidungskompetenz des Beschwerdegerichts durch den Beschwerdegegenstand begrenzt; das Beschwerdegericht darf nur insoweit über eine Angelegenheit entscheiden, als sie in der Beschwerdeinstanz angefallen ist. Aus diesem Grund ist eine Erweiterung des Aufgabenkreises im Beschwerdeverfahren von vornherein wegen des Verschlechterungsverbots unzulässig, wenn allein der Betroffene gegen die Betreuerbestellung Beschwerde eingelegt hat (Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2013 - XII ZB 280/11 - FamRZ 2014, 378 Rn. 9 f. mwN).
- 11
- Ebenso verhält es sich, wenn das Betreuungsgericht auf einen Aufhebungsantrag des Betroffenen den Aufgabenkreis des Betreuers oder auch den Umfang des Einwilligungsvorbehalts einschränkt und nur der Betroffene mit dem Ziel Beschwerde einlegt, eine Aufhebung auch im Übrigen zu erreichen. In diesem Fall erwächst die erstgerichtliche Entscheidung mit Ablauf der Rechtsmittelfrist in formeller Rechtskraft, soweit durch sie die Betreuung oder der Einwilligungsvorbehalt in Wegfall kommt, so dass die Betreuung in diesem Umfang nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens wird und es dem Beschwerdegericht insoweit an der Entscheidungskompetenz fehlt (Senatsbeschluss vom 3. Dezember 2014 - XII ZB 355/14 - FamRZ 2015, 486 Rn. 25).
- 12
- Schließlich kann die Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem eine Betreuung errichtet wird, wirksam auf die Betreuerauswahl beschränkt werden. Das Beschwerdegericht hat dann nicht über die Rechtmäßigkeit der Betreuungsanordnung zu befinden (Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 493/15 - FamRZ 2016, 626 Rn. 9 mwN).
- 13
- bb) Anders liegt der Fall hingegen, wenn der Betroffene seine Beschwerde gegen den Beschluss über die Verlängerung der Betreuung - wie hier - mit der Erklärung verbunden hat, dass er sich ausschließlich eine Zusammenarbeit mit einem bestimmten, nicht jedoch mit einem anderen Betreuer vorstellen könne. Denn mit einer solchen Erklärung wird die Beschwerde nicht wirksam auf die Betreuerauswahl beschränkt.
- 14
- b) Auch in der Sache bleibt die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
- 15
- Eine bestehende Betreuung ist aufzuheben, wenn ein Betroffener, der in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen, zwar grundsätzlich mit der Fortführung einer für ihn eingerichteten Betreuung einverstanden ist, dies aber mit der Bedingung verknüpft, dass eine Person zum Betreuer bestellt wird, die aus Sicht des Betreuungsgerichts für die Übernahme des Betreueramts ungeeignet ist. In diesem Fall widerspräche die Fortführung der Betreuung mit einem anderen als dem gewünschten Betreuer dem freien Willen des Betroffenen. Die Entscheidung des Betroffenen muss auch dann respektiert werden, wenn die Fortführung der bestehenden Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre. Deshalb ist in diesem Fall auch bei bestehender Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen und fortbestehendem Betreuungsbedarf die Betreuung gemäß § 1908 d Abs. 1 BGB aufzuheben (Senatsbeschluss vom 7. Dezember 2016 - XII ZB 346/16 - FamRZ 2017, 473 Rn. 8 mwN).
- 16
- Dass die Annahme eines freien Willens des Betroffenen nicht auf tragfähigen Feststellungen beruhe (§ 26 FamFG), wird von der Rechtsbeschwerde nicht gerügt.
- 17
- Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen , weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Vorinstanzen:
AG Rostock, Entscheidung vom 22.03.2016 - 9 XVII 718/15 -
LG Rostock, Entscheidung vom 26.10.2016 - 3 T 259/16 (3) -
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Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Das Beschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden. Es darf die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat. Das Gleiche gilt, soweit das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig wäre und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt. Das Gericht des ersten Rechtszugs hat die rechtliche Beurteilung, die das Beschwerdegericht der Aufhebung zugrunde gelegt hat, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist zu begründen.
(3) Für die Beschwerdeentscheidung gelten im Übrigen die Vorschriften über den Beschluss im ersten Rechtszug entsprechend.
(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.
(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.
(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:
- 1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder - 3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.