Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juli 2016 - VIII ZB 55/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:120716BVIIIZB55.15.0
bei uns veröffentlicht am12.07.2016
vorgehend
Amtsgericht Spandau, 3 C 359/14, 14.11.2014
Landgericht Berlin, 18 S 306/14, 26.05.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 55/15
vom
12. Juli 2016
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2016:120716BVIIIZB55.15.0

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juli 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterinnen Dr. Hessel und Dr. Fetzer sowie die Richter Dr. Bünger und Kosziol

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der Zivilkammer 18 des Landgerichts Berlin vom 26. Mai 2015 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 944,58 €

Gründe:

1
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts, die Berufung sei im Hinblick auf die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unzulässig , verletzt den Kläger in seinem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 11. Januar 2011 - VIII ZB 62/10, WuM 2011, 177 Rn. 3; vom 8. Oktober 2013 - VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rn. 8; vom 14. Juni 2016 - VIII ZB 4/16, juris Rn. 3; jeweils mwN).
2
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Berufung des Klägers kann mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht als unzulässig verworfen werden, denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung die Wertgrenze von 600 Euro (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
3
a) Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen , dass sich der Wert der Beschwer des Rechtsmittelführers nach einer einseitigen Erledigungserklärung in aller Regel - und so auch hier - nach der Summe der bis zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung entstandenen Kosten richtet (BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2015 - V ZA 23/14, juris Rn. 2 mwN; vom 18. Juni 2015 - V ZR 224/14, NJW 2015, 3173 Rn. 3; st. Rspr.). An die Stelle des Sachinteresses tritt für beide Parteien das Kosteninteresse (BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2015 - V ZA 23/14, aaO; vom 18. Juni 2015 - V ZR 224/15, aaO).
4
b) Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, das für die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO maßgebliche Kosteninteresse belaufe sich auf nicht mehr als 600 €, weil die in erster Instanz entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten nach einem Gebührenstreitwert in Höhe von (nur) 911,04 € zu berechnen seien.
5
aa) Anders als das Berufungsgericht offenbar meint, ist der Antrag des Klägers schon nicht allein auf die Feststellung eines Zurückbehaltungsrechts wegen Mängeln der Wohnung gerichtet. Vielmehr ist der erstinstanzliche Antrag des Klägers vorrangig als Antrag auf Feststellung zu verstehen, die monatliche Miete sei bis zur Beseitigung der im Einzelnen benannten Mängel um 75,92 € gemindert.
6
Die Auslegung von Prozesshandlungen, welche das Rechtsbeschwerdegericht selbst vornehmen kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 28. Februar 1996 - VIII ZR 241/94, NJW 1996, 1962 unter III 1 a; vom 18. Juni 1996 - VI ZR 325/95, NJW-RR 1996, 1210 unter II 2; jeweils mwN; Beschluss vom 9. Juli 2014 - VII ZB 9/13, NJW 2014, 2732 Rn. 11), orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Prozesspartei entspricht, wobei diese nicht unter allen Umständen am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festzuhalten ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 310; vom 5. Oktober 2010 - VI ZR 257/08, NJW 2010, 3779 Rn. 4; Beschluss vom 11. September 2012 - XI ZB 8/12, juris Rn. 8; jeweils mwN).
7
Danach begehrt der Kläger primär die Feststellung einer Mietminderung und macht die Feststellung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 320 Abs. 1 BGB lediglich darüber hinaus geltend, soweit die Miete nicht bereits kraft Gesetzes um den von ihm einbehaltenen Betrag von monatlich 75,92 € gemindert ist (zu dieser Möglichkeit vgl. Senatsurteil vom 17. Juni 2015 - VIII ZR 19/14, BGHZ 206, 1, Rn. 49 mwN). Das ergibt sich bereits daraus, dass er zur Begründung seines Antrags in der Klageschrift vorgetragen hat, er habe die Beklagten vorprozessual ohne Erfolg auf ein Minderungs- und Zurückbehaltungsrecht hingewiesen. In dem hierzu von ihm vorgelegten vorprozessualen Schreiben vom 20. Mai 2014 heißt es zudem ausdrücklich, es werde "sowohl ein Minderungs - als auch ein Zurückbehaltungsrecht" bis zur Höhe von 75,92 € geltend gemacht. Darüber hinaus hat der Kläger mit Schriftsatz vom 29. August 2014 betont, er habe ein rechtliches Interesse an der Feststellung, dass er "zu einer Mietminderung berechtigt" sei.
8
Demgegenüber bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte für die Annahme , dem Kläger wäre nur an der Feststellung eines Rechts zur (vorübergehenden ) Leistungsverweigerung im Sinne des § 320 Abs. 1 BGB gelegen, ohne dass es ihm auf den endgültigen (teilweisen) Entfall seiner Leistungspflicht gemäß § 536 Abs. 1 BGB aufgrund der geltend gemachten Mängel ankäme.
9
bb) Der Gebührenstreitwert des Antrags eines Mieters auf Feststellung, die Miete sei gemindert, ist - wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat - gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der geltend gemachten Mietminderung zu bemessen (Senatsbeschluss vom 14. Juni 2016 - VIII ZR 43/15, unter II 1 b, zur Veröffentlichung vorgesehen). Entgegen einer teilweise in der Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht, auf die auch das Berufungsgericht in einer Hilfserwägung abgestellt hat (vgl. die Nachweise im vorgenannten Senatsbeschluss unter II 1 a), scheidet eine analoge Anwendung des § 41 Abs. 5 GKG aus, da eine planwidrige Regelungslücke nicht vorliegt (Senatsbeschluss vom 14. Juni 2016 - VIII ZR 43/15, unter II 1 b bb, zur Veröffentlichung bestimmt). Danach beträgt der Gebührenstreitwert der ersten Instanz hier 3.188,64 €, denn der Kläger macht eine monatliche Minderung der Miete um 75,92 € geltend.
10
Dementsprechend liegt das Kosteninteresse bei mehr als 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), denn es sind - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht - Gerichts- und Anwaltsgebühren in Höhe von insgesamt 944,58 € entstanden , nämlich Gerichtsgebühren in Höhe von 381 € (KV GKG Nr. 1210) sowie Anwaltskosten für den allein anwaltlich vertretenen Kläger in Höhe von insgesamt 563,58 € (1,3 Verfahrensgebühr gemäß VV RVG Nr. 3100 in Höhe von 327,60 €; 0,5 Terminsgebühr gemäß VV RVG Nr. 3105, 3104 in Höhe von 126 €; Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß VV RVG Nr. 7002 in Höhe von 20 €; Umsatzsteuer gemäß VV RVG Nr. 7008 in Höhe von 89,98 €). Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Fetzer Dr. Bünger Kosziol
Vorinstanzen:
AG Berlin-Spandau, Entscheidung vom 14.11.2014 - 3 C 359/14 -
LG Berlin, Entscheidung vom 26.05.2015 - 18 S 306/14 -

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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt.

(2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder
2.
das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.

(3) Der Berufungskläger hat den Wert nach Absatz 2 Nr. 1 glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf er nicht zugelassen werden.

(4) Das Gericht des ersten Rechtszuges lässt die Berufung zu, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und
2.
die Partei durch das Urteil mit nicht mehr als 600 Euro beschwert ist.
Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

8
1. Die kraft Gesetzes statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip ). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 77, 275, 284; 88, 118, 123; BVerfG, NJW 2005, 814, 815; BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227; vom 25. September 2012 - VIII ZB 22/12, NJW 2013, 237 Rn. 7; vom 19. März 2013 - VIII ZB 45/12, NJW 2013, 2361 Rn. 7; jeweils mwN). Indem das Berufungsgericht ohne eine ausreichende Prüfung der Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsschrift die Berufung als unzulässig verworfen hat, hat es der Beklagten den Zugang zur Berufungsinstanz unzulässig verwehrt.
3
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen und damit den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, denn es hat den Beklagten den Zugang zur Berufungsinstanz in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 8. April 2014 - VIII ZB 30/13, WuM 2014, 427 Rn. 7 mwN).

(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt.

(2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder
2.
das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.

(3) Der Berufungskläger hat den Wert nach Absatz 2 Nr. 1 glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf er nicht zugelassen werden.

(4) Das Gericht des ersten Rechtszuges lässt die Berufung zu, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und
2.
die Partei durch das Urteil mit nicht mehr als 600 Euro beschwert ist.
Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

2
1. Nach einer einseitigen Erledigungserklärung richtet sich die Beschwer des Rechtsmittelführers in aller Regel - und auch hier - nach der Summe der bis zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung entstandenen Kosten (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 1996 - VII ZR 143/94, NJW-RR 1996, 1210; vom 30. September 1998 - XII ZR 163/98, NZM 1999, 21; vom 17. Juni 2003 - XI ZR 242/02, BGHR EGZPO § 26 Nr. 8 Beschwer 1; vom 13. Juli 2005 - XII ZR 295/02, NJW-RR 2005, 1728; vom 30. Januar 2008 - XII ZR 146/06, GuT 2008, 144, jeweils mwN). An die Stelle des Sachinteresses tritt für beide Parteien das Kosteninteresse.
3
1. Maßgebend für den Wert der Beschwer im Rechtsmittelverfahren ist das Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Nach einer einseitigen Erledigungserklärung richtet sich die Beschwer des Rechtsmittelführers in aller Regel - und auch hier - nach der Summe der bis zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung entstandenen Kosten. An die Stelle des Sachinteresses tritt für beide Parteien das Kosteninteresse (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 29. Januar 2015 - V ZA 23/14, juris Rn. 2 mwN).
2
1. Nach einer einseitigen Erledigungserklärung richtet sich die Beschwer des Rechtsmittelführers in aller Regel - und auch hier - nach der Summe der bis zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung entstandenen Kosten (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 1996 - VII ZR 143/94, NJW-RR 1996, 1210; vom 30. September 1998 - XII ZR 163/98, NZM 1999, 21; vom 17. Juni 2003 - XI ZR 242/02, BGHR EGZPO § 26 Nr. 8 Beschwer 1; vom 13. Juli 2005 - XII ZR 295/02, NJW-RR 2005, 1728; vom 30. Januar 2008 - XII ZR 146/06, GuT 2008, 144, jeweils mwN). An die Stelle des Sachinteresses tritt für beide Parteien das Kosteninteresse.

(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt.

(2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder
2.
das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.

(3) Der Berufungskläger hat den Wert nach Absatz 2 Nr. 1 glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf er nicht zugelassen werden.

(4) Das Gericht des ersten Rechtszuges lässt die Berufung zu, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und
2.
die Partei durch das Urteil mit nicht mehr als 600 Euro beschwert ist.
Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

Tenor

Auf die Beschwerden der Schuldnerin werden der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Landgerichts Oldenburg vom 5. Oktober 2012 sowie die Beschlüsse der 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 10. Dezember 2012 und des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 22. Januar 2013 unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel teilweise aufgehoben, soweit der Gläubigerin die Ansprüche der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin zu 1 zur Einziehung überwiesen worden sind. Insoweit wird der Antrag der Gläubigerin auf Erlass eines Überweisungsbeschlusses zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

I.

1

Das Landgericht hat gegen die Schuldnerin einen Arrestbefehl erlassen, mit dem wegen eines Anspruchs der Gläubigerin in Höhe von 464.067 € zuzüglich Zinsen der dingliche Arrest in das Vermögen der Schuldnerin angeordnet

worden ist. Auf Antrag der Gläubigerin hat das Landgericht - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - die angeblichen Forderungen der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin zu 1 (im Folgenden: Drittschuldnerin) "aus den notariellen Angeboten" des Notars D. zum Abschluss von Grundstücksübertragungsverträgen vom 18. und vom 23. Juni 2005 "auf Übertragung des Eigentums" an den darin näher bezeichneten Grundstücken gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen. Gleichzeitig hat es angeordnet, dass die Grundstücke an den zu bestellenden Sequester herauszugeben und aufzulassen sind.

2

Das Landgericht hat die Erinnerung der Schuldnerin zurückgewiesen, mit der diese beantragt hat, den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufzuheben und den Antrag der Gläubigerin auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zurückzuweisen. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist ebenfalls ohne Erfolg geblieben.

3

Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihren im Erinnerungsverfahren gestellten Antrag weiter.

II.

4

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg, soweit sich die Schuldnerin dagegen wendet, dass die gepfändeten Forderungen gegen die Drittschuldnerin der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen worden sind. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde unbegründet.

5

1. Das Beschwerdegericht führt aus, ausweislich der Formulierung in den Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen sei Gegenstand der Pfändung der Anspruch der Schuldnerin auf Eigentumsverschaffung. Dessen Pfändbarkeit sei nicht mangels Übertragbarkeit gemäß § 857 ZPO in Verbindung mit § 851 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen. Der Anspruch auf Annahme des Angebots zum Abschluss eines Grundstücksübertragungsvertrages sei im vorliegenden Fall pfändbar. Abgesehen von der Übernahme der Darlehensverbindlichkeiten habe die Schuldnerin ausweislich der notariellen Urkunden eine Gegenleistung nicht erbringen sollen. Es handele sich nicht um eine Schenkung, weil die Grundstücksüberlassung im Hinblick auf Leistungen erfolge, die die Schuldnerin für das Grundstück erbracht habe. Würde man die Pfändbarkeit des Rechts der Schuldnerin, die Vertragsangebote der Drittschuldnerin anzunehmen, verneinen, wäre die Zwangsvollstreckung in die Grundstücke faktisch ausgeschlossen.

6

2. Dies hält der rechtlichen Überprüfung nur teilweise stand.

7

a) Das Beschwerdegericht geht im Ergebnis zu Recht davon aus, dass die künftigen Ansprüche der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin auf Übertragung des Eigentums an den beiden Grundstücken wirksam gepfändet worden sind. Dies ergibt die Auslegung des Antrags der Gläubigerin. Der Anspruch ergibt sich nicht "aus den notariellen Vertragsangeboten" zum Abschluss von Grundstücksübertragungsverträgen, sondern nach Annahme dieser Angebote aus den damit zustande gekommenen Erwerbsverträgen. Anders kann der Antrag der Gläubigerin auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht verstanden werden.

8

Die Pfändung dieser Ansprüche richtet sich allerdings nicht - wie das Beschwerdegericht meint - nach § 857 ZPO, sondern nach den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in Ansprüche, welche die Herausgabe oder Leistung körperlicher Sachen zum Gegenstand haben, §§ 846 ff. ZPO. Der sogar durch eine Auflassungsvormerkung sicherbare, lediglich von der Annahme des Vertragsangebots durch den Schuldner abhängige Anspruch auf Übertragung des Eigentums an einem näher bezeichneten Grundstück kann gemäß §§ 846, 848 Abs. 1 ZPO wirksam gepfändet werden (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 - IX ZR 102/02, BGHZ 154, 64, 66 f.).

9

Die Pfändbarkeit der auf Übertragung des Eigentums an den bezeichneten Grundstücken gerichteten Ansprüche der Schuldnerin ist nicht nach § 851 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist eine Forderung in Ermangelung besonderer Vorschriften der Pfändung nur insoweit unterworfen, als sie übertragbar ist. Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Es handelt sich nicht um höchstpersönliche Ansprüche der Schuldnerin. Den Ansprüchen kommt die Eigenschaft als höchstpersönliche nicht deswegen zu, weil der Schuldnerin die Ansprüche auf Übertragung des Eigentums als Gegenleistung für die von ihr auf das Grundstück erbrachten Investitionen zugewendet worden sind. Eine Zweckbindung der Eigentumsübertragungsansprüche, die ihre Übertragbarkeit nach § 399 1. Fall BGB ausschließen würde, ist damit nicht verbunden. Ein Abtretungshindernis nach § 399 1. Fall BGB ist im Übrigen nicht gegeben. Mit der Übertragung der Forderung, die auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück gerichtet ist, wird der Inhalt der Leistung nicht geändert.

10

b) Rechtsfehlerhaft hält das Beschwerdegericht den angefochtenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Landgerichts auch insoweit für rechtmäßig, als der Gläubigerin die gepfändeten Forderungen der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin zur Einziehung überwiesen worden sind. Der vom Landgericht als Arrestgericht auf der Grundlage des Arrestbefehls erlassene Überweisungsbeschluss ist nichtig, weil es von vornherein an einem geeigneten Titel fehlte. Der Arrest dient ausschließlich der Sicherung der Zwangsvollstreckung, nicht jedoch der Befriedigung des Gläubigers. Demzufolge wird die Vollziehung des Arrestes in Forderungen durch Pfändung bewirkt, § 930 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Eine Überweisung einer aufgrund eines Arrestes gepfändeten Forderung ist dagegen schlechthin ausgeschlossen. Einem gleichwohl erlassenen Überweisungsbeschluss kommt keinerlei Wirkung zu. Er ist nicht lediglich anfechtbar, sondern nichtig (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992 - IX ZR 226/91, BGHZ 121, 98, 101; Urteil vom 4. April 1977 - VIII ZR 217/75, BGHZ 68, 289, 292).

11

c) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts ist der Antrag der Gläubigerin auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht darauf gerichtet, das Recht der Schuldnerin zu pfänden, die Annahme der notariellen Vertragsangebote gegenüber der Drittschuldnerin zu erklären. Der Senat kann den Antrag der Gläubigerin als Prozesserklärung selbst auslegen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 1996 - VI ZR 325/95, NJW-RR 1996, 1210, 1211 m.w.N.). Nach dem Wortlaut des Antrags sind Gegenstand der zu bewirkenden Pfändung lediglich die auf Übertragung des Eigentums an den näher bezeichneten Grundstücken gerichteten Ansprüche der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin. Der Antrag der Gläubigerin kann dagegen nicht erweiternd dahin ausgelegt werden, dass zugleich das Annahmerecht der Schuldnerin gepfändet werden sollte. Für eine Rechtspfändung nach § 857 ZPO bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Das Recht, durch eine Willenserklärung einen Anspruch auf Übertragung des Grundstückseigentums zur Entstehung zu bringen, ist darüber hinaus nicht mit dem Eigentumsübertragungsanspruch gleichzusetzen, der dem Berechtigten nach Ausübung dieses Rechts zusteht. Die Pfändung des Eigentumsübertragungsanspruchs erfasst danach nicht ohne weiteres auch das Recht des Schuldners, das Vertragsangebot der Drittschuldnerin anzunehmen und den Anspruch dadurch zum Entstehen zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 - IX ZR 102/02, BGHZ 154, 64, 67). Auf die vom Beschwerdegericht und von der Rechtsbeschwerde für erheblich gehaltene Frage, ob das der Schuldnerin eingeräumte Recht, ein notarielles Vertragsangebot zum Abschluss eines Grundstücksübertragungsvertrags anzunehmen, übertragbar und damit gemäß § 851 Abs. 1 ZPO pfändbar ist, kommt es danach für die Entscheidung nicht an.

III.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Eick                     Safari Chabestari                         Halfmeier

          Jurgeleit                                 Graßnack

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 437/99 Verkündet am:
19. Januar 2001
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
-----------------------------------
Ist bei einem auf entgeltlichen Erwerb eines Grundstücks gerichteten Rechtsgeschäft
das Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, so
ist der Schluß auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten auch dann zulässig
, wenn er keine Kenntnis von dem Wertverhältnis hat.
Die damit begründete tatsächliche Vermutung hat der Tatrichter bei der Beweiswürdigung
zu berücksichtigen. Sie kann nur dann nicht zur Anwendung kommen, wenn
sie im Einzelfall durch besondere Umstände erschüttert ist.
Auch wenn für den Begünstigten die Voraussetzungen des § 819 Abs. 1 BGB nicht
erfüllt sind, findet die Saldotheorie zum Nachteil der durch ein wucherähnliches und
nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidriges Geschäft benachteiligten Partei keine Anwendung.
Wird auf Rechtsmittel einer Klage im Hauptantrag stattgegeben, so ist die in der Vorinstanz
auf einen Hilfsantrag ergangene Verurteilung auch dann von Amts wegen
aufzuheben, wenn diese mit einer unselbständigen Anschlußberufung angefochten
wurde. Die unselbständige Anschlußberufung ist aber so zu verstehen, daß sie nur
unter der Bedingung eingelegt ist, daß die gegen die Abweisung des Hauptantrages
gerichtete Hauptberufung ohne Erfolg bleibt.
BGH, Urt. v. 19. Januar 2001 - V ZR 437/99 - OLG Düsseldorf
LG Mönchengladbach
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die
Richter Schneider, Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein und Dr. Gaier

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 10. November 1999 teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefaßt: Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels und Abweisung der Klage im übrigen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 17. Dezember 1996 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt: Die Beklagten werden verurteilt, die Auflassung des im Grundbuch des Amtsgerichts M. von M -L. ,Blatt , eingetragenen Grundbesitzes Gemarkung M. -L. ,Flur , Flurstükke , und an die Klägerin zu erklären und die Eintragung der Eigentumsänderung in das Grundbuch zu bewilligen. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 1/10 und die Beklagten 9/10. Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin verlangt von den Beklagten Rückauflassung, hilfsweise Grundbuchberichtigung, weiter hilfsweise Duldung der Zwangsvollstreckung hinsichtlich dreier zusammen 3.005 m² großer Grundstücke in M. - V. . Die Grundstücke, von denen eines seit 1963 mit einem 3-FamilienHaus bebaut ist, standen im Eigentum der am 31. Juli 1907 geborenen und am 5. August 1991 verstorbenen Mutter der Klägerin. Die Klägerin, die im Testament ihrer Mutter nicht berücksichtigt worden war, erwarb durch notarielle Urkunde den gesamten Nachlaß im Wege des Erbschaftskaufs von der Alleinerbin.
Die Mutter der Klägerin verkaufte die Grundstücke mit notariellem Vertrag vom 15. Mai 1990 an die Beklagten zu je ½ zum Preis von 100.000 DM. Außerdem verpflichteten sich die Beklagten, ab Juni 1990 eine lebenslange, wertgesicherte monatliche Rente in Höhe von 1.400 DM an die Mutter der Klägerin zu zahlen, und bestellten eine entsprechende Reallast. Die Beklagten räumten ferner der Mutter der Klägerin ein lebenslanges unentgeltliches Wohnungsrecht an allen Räumen im ersten Obergeschoß mit der Verpflichtung ein, bis auf die Stromkosten alle Nebenkosten zu tragen.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Kaufvertrag vom 15. Mai 1990 sei als wucherähnliches Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Sie hat behauptet, das Grundstück habe einen Wert von mindestens 860.000 DM gehabt; als Gegenleistung seien neben dem Barkaufpreis von 100.000 DM nur noch 66.500 DM für die kapitalisierte Rente und 37.958 DM für das kapitalisierte
Wohnungsrecht aufgewandt worden. Es komme hinzu, daß die Beklagten über den Gesundheitszustand der Erblasserin, die seit 1988 an Lymphknotenkrebs erkrankt gewesen sei und Ende 1988 einen Schlaganfall erlitten habe, informiert gewesen seien. Außerdem sei, so hat die Klägerin behauptet, ihre Mutter bei Abschluß des Kaufvertrages geschäftsunfähig gewesen.
Die Klage ist in erster Instanz nur im Hilfsantrag in Höhe eines Teilbetrages von 69.886,20 DM erfolgreich gewesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung der Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat im wesentlichen Erfolg.

I.


Das Berufungsgericht verneint die Nichtigkeit des Kaufvertrages wegen Wuchers. Es fehle jedenfalls an den subjektiven Voraussetzungen. Hierfür sei erforderlich, daß der Wucherer das objektiv auffällige Mißverhältnis und die objektive Ausbeutungssituation bei dem Benachteiligten kenne und sich diese Situation vorsätzlich zunutze mache. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe sich nicht feststellen lassen, daß den Beklagten das Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sowie eine Schwächesituation der Erblasserin bekannt gewesen sei. Auch die subjektiven Voraussetzungen für ein sit-
tenwidriges Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB seien nicht erfüllt. Zwar möge ein grobes, besonders krasses Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegen, es sei aber für die Annahme eines wucherähnlichen Geschäfts erforderlich, daß dem Begünstigten die objektiven Werte bekannt seien. Der Schluß von einem groben Mißverhältnis auf eine verwerfliche Gesinnung könne nur dann gezogen werden, wenn dem Begünstigten bewußt sei, daß er ein außergewöhnliches Zugeständnis erfahre. Dieses Bewußtsein lasse sich jedoch nicht feststellen. Schließlich habe die Klägerin auch die von ihr behauptete Geschäftsunfähigkeit der Erblasserin bei Abschluß des Kaufvertrages und Erklärung der Auflassung nicht nachweisen können.

II.


Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin von den Beklagten die mit dem Hauptantrag verfolgte Rückauflassung verlangen. Die Klägerin hat den zunächst der Erblasserin zustehenden und nach dem Erbfall auf die Alleinerbin übergegangenen Anspruch im Wege der Abtretung gemäß § 2 der notariellen Urkunde vom 26. Februar 1992 auf der Grundlage eines Erbschaftskaufs erworben.

a) Das Berufungsgericht hat frei von Rechtsfehlern ausgeführt, daß die Voraussetzungen eines wucherischen Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs. 2 BGB nicht festzustellen sind. Die Revision nimmt dies hin. Der Kaufvertrag zwischen
der Mutter der Klägerin und den Beklagten ist jedoch nach § 138 Abs. 1 BGB als wucherähnliches Rechtsgeschäft sittenwidrig und damit nichtig.

b) Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Hierbei ist weder das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich, es genügt vielmehr, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt; dem steht es gleich, wenn sich jemand bewußt oder grob fahrlässig der Kenntnis erheblicher Tatsachen verschließt (vgl. Senatsurt. v. 10. Oktober 1997, V ZR 74/96, WM 1998, 513, 514 m.w.N.).
Danach können gegenseitige Verträge, auch wenn der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB nicht in allen Voraussetzungen erfüllt ist, als wucherähnliche Rechtsgeschäfte nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung objektiv ein auffälliges Mißverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen läßt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist, weil er etwa die wirtschaftlich schwächere Position des anderen Teils bewußt zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, daß sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für ihn ungünstigen Vertrag eingelassen hat. Dem wirtschaftlichen Zwang zum Eingehen auf ungünstige Vertragsbedingungen stehen die in § 138 Abs. 2 BGB genannten Umstände in ihren Auswirkungen auf die freie Willensentschließung gleich.
Es reicht daher aus, wenn sich der Begünstigte bewußt oder grob fahrlässig der Einsicht verschließt, daß der andere Teil den Vertrag nur aus Mangel an Urteilsvermögen oder wegen erheblicher Willensschwäche eingegangen ist (Senatsurt. v. 24. Mai 1985, V ZR 47/84, WM 1985, 1269, 1270; v. 3. Juli 1992, V ZR 76/91, WM 1992, 1916, 1918).

c) Ist das Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, so kann dies den Schluß auf die bewußte oder grob fahrlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstandes rechtfertigen (Senatsurt. v. 18. Januar 1980, V ZR 34/78, WM 1980, 597; v. 30. Januar 1981, V ZR 7/80, WM 1981, 404, 405; v. 8. November 1991, V ZR 260/90, NJW 1992, 899, 900; v. 4. Februar 2000, V ZR 146/98, NJW 2000, 1487, 1488; v. 8. Dezember 2000, V ZR 270/99, Umdruck S. 5; siehe auch BGH, Urt. v. 8. Februar 1994, XI ZR 77/93, WM 1994, 583, 584; Urt. v. 9. Oktober 1996, VIII ZR 233/95, WM 1997, 230, 232; Urt. v. 20. Juni 2000, XI ZR 237/99, WM 2000, 1580, 1581). Von einem solchermaßen groben Mißverhältnis, das den Schluß auf eine verwerfliche Gesinnung zuläßt, ist bei Grundstücksgeschäften bereits dann auszugehen, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung (Senatsurt. v. 8. November 1991, aaO; v. 23. Juni 1995, V ZR 265/93, NJW 1995, 2635, 2636, insoweit in BGHZ 130, 101 nicht abgedruckt; v. 4. Februar 2000, aaO, v. 8. Dezember 2000, aaO; vgl. für den Kauf beweglicher Sachen auch BGH, Urt. v. 26. November 1997, VIII ZR 322/96, NJW-RR 1998, 1065, 1066; Urt. v. 22. Dezember 1999, VIII ZR 111/99, NJW 2000, 1254, 1255). Die hieran anknüpfende Schlußfolgerung leitet sich aus dem Erfahrungssatz her, daß in der Regel außergewöhnliche Leistungen nicht ohne Not - oder nicht ohne einen anderen den Benachteiligten hemmenden Umstand - zugestanden werden und
auch der Begünstigte diese Erfahrung teilt (vgl. Senatsurt. v. 28. Mai 1976, V ZR 170/74, LM § 138 (Aa) Nr. 22; v. 12. Dezember 1986, V ZR 100/85, WM 1987, 353, 354 mit zust. Anm. von Emmerich, WuB IV A § 138 BGB 2.87; v. 8. November 1991, aaO; v. 21. März 1997, V ZR 355/95, WM 1997, 1155, 1156; v. 8. Dezember 2000, V ZR 270/99, Umdruck S. 6 f; Staudinger/Sack, BGB [1996], § 138 Rdn. 237; Soergel/Hefermehl, BGB, 13. Aufl., § 138 Rdn.

86).


2. Das Berufungsgericht hat dies zwar im Ansatz nicht verkannt, für den Schluß auf die verwerfliche Gesinnung aber zusätzlich gefordert, dem Begünstigten müsse bewußt sein, daß er ein außergewöhnliches Zugeständnis erfahre. Dem kann der Senat nicht folgen.

a) Wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat, kommt es für das Vorliegen eines besonders groben Mißverhältnisses von Leistung und Gegenleistung und die daran anknüpfende Schlußfolgerung auf die verwerfliche Gesinnung allein auf die objektiven Werte dieser Leistungen an (Senatsurt. v. 30. Januar 1981, aaO; v. 20. April 1990, V ZR 256/88, NJW-RR 1990, 950; v. 12. Januar 1996, V ZR 289/94, NJW 1996, 1204). Bislang bestand aber noch kein Anlaß für eine Präzisierung in dem Sinne, daß hiernach die Kenntnis des Begünstigten von den Wertverhältnissen unerheblich ist. Mit Senatsurteil vom 8. November 1991 (aaO) wurde zwar das Berufungsgericht aufgefordert, nach der Zurückverweisung der Sache Feststellungen zur Kenntnis des dortigen Beklagten vom Wert der verkauften Wohnungen zu treffen. Dem lag jedoch zugrunde , daß der Beklagte die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluß anderen überlassen hatte und daher - wenn ihm das Wertverhältnis nicht ohnehin bewußt war - nicht davon die Rede sein konnte, er habe sich der Kennt-
nis des Mißverhältnisses leichtfertig verschlossen. Nach dem Sachverhalt, der dem Senatsurteil vom 18. Januar 1991 (V ZR 171/89, NJW-RR 1991, 589) zugrunde lag, stand die Kenntnis des Vertreters des Beklagten vom besonders groben Mißverhältnis bereits fest. Soweit der Senat im Urteil vom 12. Januar 1996 (aaO) auf die Kenntnis des Beklagten vom objektiven Mißverhältnis abstellte , drängte sich dies wegen seines beruflichen Wissens als eines Immobilienhändlers , Maklers und Anlageberaters sowie seiner Kenntnis des Kaufobjekts auf. Hieraus folgt jedoch nicht, daß nur unter dieser Voraussetzung auf die verwerfliche Gesinnung des Beklagten geschlossen werden sollte. Schließlich zog der Senat im Urteil vom 3. Juli 1992 (aaO) lediglich in Erwägung, es liege nahe, daß der Beklagte als angehender Jurist gewußt habe, in welcher Weise die betagte Klägerin übervorteilt werde. Diese Frage blieb aber mit dem Hinweis unentschieden, daß es für das Vorliegen der subjektiven Merkmale des § 138 Abs. 1 BGB schon ausreiche, wenn der Begünstigte sich nur der Einsicht verschließe, daß sich der andere Teil auf die für ihn ungünstigen Vertragsbedingungen nur aus Mangel an Urteilsvermögen einlasse.

b) Allein das besonders grobe Ä quivalenzmißverhältnis erlaubt es, auf die verwerfliche Gesinnung als subjektives Merkmal des § 138 Abs. 1 BGB zu schließen. Denn eine verwerfliche Gesinnung muß schon dann bejaht werden, wenn sich der Begünstigte zumindest leichtfertig der Einsicht verschließt, daß sich der andere Teil nur unter dem Zwang der Verhältnisse oder den in § 138 Abs. 2 BGB genannten Umständen auf den ungünstigen Vertrag eingelassen hat (vgl. Senatsurt. v 3. Juli 1992, aaO). Nach dem geschilderten Satz der Lebenserfahrung , daß außergewöhnliche Gegenleistungen nicht ohne Not zugestanden werden, kann sich der Begünstigte der Kenntnis der "mißlichen Lage" des anderen Teils nicht nur dadurch verschließen, daß er bei erkannt krassem
Mißverhältnis dessen Zwangslage oder einen anderen ihn hemmenden Umstand nicht zur Kenntnis nimmt, sondern auch dadurch, daß er sich schon des objektiv besonders groben Mißverhältnisses nicht bewußt wird.
Diese Überlegung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes , auch bei anderen auf Leistungsaustausch gerichteten Vertragsverhältnissen die Schlußfolgerung auf eine verwerfliche Gesinnung grundsätzlich schon dann eingreifen zu lassen, wenn allein der objektive Tatbestand des § 138 Abs. 1 BGB durch ein entsprechendes Ä quivalenzmißverhältnis erfüllt ist (vgl. für Kreditverträge: BGHZ 98, 174, 178; 104, 102, 107; für Maklerverträge: BGHZ 125, 135, 140; BGH, Urt. v. 30. Mai 2000, IX ZR 121/99, NJW 2000, 2669, 2670; für Finanzierungsleasing: BGHZ 128, 255, 267). Bei Rechtsgeschäften, die auf den entgeltlichen Erwerb von Grundstückseigentum gerichtet sind, liegen die Dinge nicht anders. Auch hier ergibt sich das Wertverhältnis der beiderseitigen Leistungen aus einem Vergleich mit dem Marktpreis. Ist der Begünstigte nicht ohnehin aufgrund einer Tätigkeit im Immobiliengewerbe hinreichend sachkundig, wird er sich im allgemeinen - gleich ob er auf der Erwerber- oder Veräußererseite steht - wegen der hohen finanziellen Aufwendungen , die mit einem Grundstückserwerb verbunden sind, vor Vertragsschluß etwa durch Beobachtung des Grundstücksmarktes oder Einholung sachverständiger Auskünfte zumindest grundlegende Kenntnisse von den Marktpreisen verschafft haben. Er ist damit im Regelfall ohne weiteres in der Lage, ein Geschäft als für ihn außergewöhnlich vorteilhaft zu erkennen, so daß er sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis eines besonders groben Ä quivalenzmißverhältnisses und der hierdurch indizierten Zwangslage seines Vertragspartners verschließt. Verlangte man die Kenntnis des Begünstigten vom
Ä quivalenzmißverhältnis, würden nicht alle Fälle verwerflicher Gesinnung erfaßt werden.

c) Ob die Schlußfolgerung angesichts der Vielgestaltigkeit individueller Umstände, die eine Willensentscheidung zum Vertragsschluß beeinflussen können (vgl. Senatsurt. v. 20. September 1968, V ZR 137/65, NJW 1968, 2139; BGH, Urt. v. 20. November 1995, II ZR 209/94, NJW 1996, 1051), derart zwingend ist, daß sie im Wege des Anscheinsbeweises vollen Beweis für die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten erbringen könnte, oder ob ihr Bedeutung lediglich als Indizienbeweis zukommt (vgl. Senatsurt. v. 10. Juni 1994, V ZR 115/93, WM 1994, 1851; BGH, Beschl. v. 29. November 1996, BLw 30/96, WM 1997, 888, 890; MünchKomm-ZPO/Prütting, 2. Aufl., § 292, Rdn. 27; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 57 f; Baumgärtel , Festschrift für Karl Heinz Schwab zum 70. Geburtstag, 1990, S. 50; Engels , Der Anscheinsbeweis der Kausalität, 1994, S. 194; Bruske, Beweiswürdigung und Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen im Bankrecht, 1994, S. 47; Heinrich, Die Beweislast bei Rechtsgeschäften, 1996, S. 99), bedarf keiner Entscheidung (Senatsurt. v. 8. Dezember 2000, aaO). Jedenfalls handelt es sich um eine beweiserleichternde tatsächliche Vermutung, die vom Tatrichter im Bereich der Beweiswürdigung zu berücksichtigen ist. Sie kann nur dann nicht zur Anwendung kommen, wenn sie im Einzelfall durch besondere Umstände erschüttert ist.
Solche die Vermutung erschütternden Umstände werden, wenn sich der Begünstigte des besonders groben Mißverhältnisses nicht bewußt ist, eher gegeben sein, als im Fall seiner Kenntnis. So ist etwa denkbar, daß den Vertragsparteien das Wertverhältnis der beiderseitigen Leistungen völlig gleich-
gültig war, weil der wirtschaftlich außergewöhnlich gut gestellte Erwerber ein Grundstück ohnehin erwerben wollte. Weiter kommen besondere Motive oder ein Affektionsinteresse in Betracht. Auch solche Umstände spielen für die Feststellung eines krassen Ä quivalenzmißverhältnisses keine Rolle, erlangen aber für die Prüfung der subjektiven Seite der Sittenwidrigkeit Bedeutung (vgl. Senatsurt. v. 12. Dezember 1986 und v. 3. Juli 1992, beide aaO). Wenn die Vertragsparteien ein (fehlerhaftes) Verkehrswertgutachten zur Grundlage des vereinbarten Kaufpreises gemacht hatten, kann dies ebenfalls die Vermutung entkräften (vgl. Senatsurt. v. 21. März 1997, aaO), gleiches gilt für besondere Bewertungsschwierigkeiten (vgl. Senatsurt. v. 21. März 1997, aaO; Soergel /Hefermehl, aaO, § 138 Rdn. 86 a). Darzulegen und ggf. zu beweisen sind solche besonderen Umstände nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. Senat, BGHZ 141, 179, 182) von der Partei, zu deren Vorteil sie wirken, hier also vom Begünstigten (vgl. BGHZ 98, 174, 178; 104, 102, 107; 128, 255, 269; Tiedke, EWiR 1997, 639, 640; ders., EWiR 1998, 201, 202).
3. Obwohl das Berufungsgericht die Frage des Wertverhältnisses zwischen der Leistung der Erblasserin und der Gegenleistung der Beklagten offengelassen hat, ist es dem Senat möglich, hierüber aufgrund des Sachverhalts , der unstreitig ist und weitere Feststellungen nicht erfordert, eine Entscheidung zu treffen.

a) Ein besonders grobes Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung ist von den Beklagten nicht in erheblicher Weise bestritten worden. Es läßt sich selbst nach deren Vorbringen feststellen. Die Beklagten haben ihren - auf das Privatgutachten des Sachverständigen N. v om 30. August 1991 gestützten - Vortrag aus dem ersten Rechtszug, der Wert der von ihnen gekauf-
ten Grundstücke habe sich auf lediglich 340.000 DM belaufen, in der Berufungsinstanz nicht weiterverfolgt und nun auf der Grundlage des vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachtens ausdrücklich auch zum 15. Mai 1990 - dem maßgeblichen Termin des Vertragsabschlusses (vgl. Senatsurt. v. 8. November 1991, aaO) - einen Grundstückswert von 441.660 DM und eigene Gegenleistungen in Höhe von insgesamt 224.000 DM behauptet. Damit ist der Wert der Leistung der Verkäuferin knapp doppelt so hoch wie der Wert der Gegenleistung der Beklagten, was nach feststehender Senatsrechtsprechung für die Annahme eines besonders groben Mißverhältnisses genügt. Selbst wenn man das Beklagtenvorbringen mit dem Berufungsgericht dahin versteht, die Beklagten hätten nur den vom Sachverständigen zum 15. Mai 1990 ermittelten Ertragswert in Höhe von 412.800 DM vortragen wollen, ändert sich an dem besonders groben Mißverhältnis nichts. Der Senat hat z.B. bereits bei einem Kaufpreis von 45.000 DM und einem Grundstückswert von 80.000 DM (Senatsurt. v. 18. Januar 1980, aaO) oder bei einer Wertrelation von 220.000 DM zu 400.000 DM (Senatsurt. v. 18. Januar 1991, aaO) ein krasses Mißverhältnis bejaht; unter besonderen Umständen wurde sogar ein noch geringeres Mißverhältnis als ausreichend angesehen (Senatsurt. v. 3. Juli 1992, aaO).

b) Liegt danach ein besonders grobes Mißverhältnis vor, wird die verwerfliche Gesinnung vermutet. Besondere Umstände, welche diese Vermutung entkräften könnten, liegen nicht vor.
aa) Allerdings war der Umfang der Gegenleistung der Beklagten, soweit sie über den Baranteil von 100.000 DM hinausging, von der Lebenserwartung der Erblasserin abhängig. Der Beklagte zu 1 war aber gleichwohl in der Lage,
den Erwerb des Anwesens, wie er bei seiner Vernehmung als Partei ausgeführt hat, "in etwa durchzukalkulieren". Daß er hierbei einen zwar in der zutreffenden Größenordnung, aber doch außerhalb eines besonders groben Mißverhältnisses liegenden Aufwand von 250.000 bis 270.000 DM ermittelt hat, hindert angesichts der offensichtlichen Unsicherheit der vorgenommenen Schätzung nicht die Annahme, der Beklagte zu 1 habe sich der Kenntnis der die Erblasserin im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB hemmenden Umstände leichtfertig verschlossen. Nichts anderes folgt aus der vom Berufungsgericht festgestellten Kenntnis des Beklagten zu 1 von dem Verkaufsangebot hinsichtlich eines in der Nachbarschaft gelegenen Hausgrundstücks für 320.000 DM. Dieses Objekt sah sich der Beklagte zu 1, wie er selbst ausgesagt hat, noch nicht einmal an. Er konnte deshalb nicht davon ausgehen, daß es mit dem von ihm gekauften Anwesen überhaupt vergleichbar war und Rückschlüsse auf dessen Wert zuließ. Da die Beklagte zu 2 den Beklagten zu 1, ihren Ehemann, nach ihrer Aussage als Partei ersichtlich mit der Verhandlungsführung betraut hatte, muß sie sich dessen Kenntnisstand auch im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB zurechnen lassen (vgl. Senatsurt. v. 8. November 1991, aaO).
bb) Die Vertragsparteien hatten auch kein Verkehrswertgutachten eingeholt und zur Grundlage des vereinbarten Kaufpreises gemacht. Das Gutachten des Sachverständigen N. wurde von den Beklagten erst mehr als ein Jahr nach Vertragsabschluß und unmittelbar nach dem Tod der Erblasserin in Auftrag gegeben. Nachdem vor dem Berufungsgericht nicht einmal mehr die Beklagten die Richtigkeit dieses Gutachtens behauptet haben, spricht auch nichts dafür, daß ein Sachverständiger, wenn ihn im Zuge der Vertragsverhandlungen beide Parteien mit der Verkehrswertermittlung betraut hätten, zu
einem vergleichbaren Ergebnis wie der Sachverständige N. gelangt wäre.

III.


Das angefochtene Urteil kann mithin keinen Bestand haben. Da die Sache nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat abschließend zu entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Danach hat die Klage bereits im Hauptantrag weitgehend Erfolg.
1. Folge des wucherähnlichen Geschäfts ist nach § 138 Abs. 1 BGB die Nichtigkeit nur des schuldrechtlichen Vertrages. Das abstrakte Verfügungsgeschäft wird von der Nichtigkeitsfolge nicht erfaßt, weil das Ä quivalenzmißverhältnis allein das Kausalgeschäft betrifft (vgl. Senatsurt. v. 21. März 1997, aaO). Die Klägerin kann daher nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB von den Beklagten die Rückauflassung der veräußerten Grundstücke fordern. Nichts anderes gilt, wenn die Klägerin aus culpa in contrahendo wegen Verletzung vorvertraglicher Rücksichtnahmepflichten die Rückgängigmachung des Vertrages fordert (vgl. BGH, Urt. v. 31. Januar 1962, VIII ZR 120/60, NJW 1962, 1196, 1198; Senatsurt. v. 12. Januar 1996, aaO.). Auch dann kann sie von den Beklagten verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Vertrag mit diesen nicht geschlossen worden (vgl. Senatsurt. v. 26. September 1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 305).
2. Die Klägerin braucht, nachdem die Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht nicht geltend gemacht haben, ihren Klageanspruch nicht durch das Angebot einer Gegenleistung Zug um Zug einzuschränken. Zwar kann die Rück-
forderung, wenn es um die Rückabwicklung eines gegenseitigen Vertrages geht, nach der Saldotheorie (vgl. BGHZ 53, 144, 147; 57, 137,146; Senat, BGHZ 116, 251; Senatsurt. v. 14. Juli 2000, V ZR 320/98, NJW 2000, 3128, 3130 und V ZR 82/99, NJW 2000, 3064) nur auf Ausgleich der beiderseitigen Vermögensverschiebungen gerichtet werden. Sind die Leistungen wie hier ungleichartig , muß der Bereicherungskläger - wie dies die Klägerin mit ihrem Hilfsantrag jedenfalls in Teilen getan hat - die Gegenleistung schon im Klageantrag dadurch berücksichtigen, daß er ihre Rückgewähr Zug um Zug anbietet (vgl. Senatsurt. v. 11. November 1994, V ZR 116/93, NJW 1995, 454, 455; v. 14. Juli 1995, V ZR 45/94, NJW 1995, 2627, 2628; Flume, 50 Jahre Bundesgerichtshof , Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, Bd. I, S. 537 f). Zumindest unter den besonderen Umständen des konkreten Falls kann die Saldotheorie jedoch keine Geltung beanspruchen.

a) Die Anwendung der Saldotheorie ist allerdings nicht durch fehlende Geschäftsfähigkeit der Erblasserin ausgeschlossen (vgl. BGHZ 126, 105, 108; Senatsurt. v. 29. September 2000, V ZR 305/99, NJW 2000, 3562). Das Berufungsgericht hat unbeeinflußt von Rechtsfehlern die von der Klägerin für den Zeitpunkt der Beurkundung behauptete Geschäftsunfähigkeit ihrer Mutter nicht feststellen können. Die Revision beanstandet hierzu nur, das Berufungsgericht habe sich angesichts der Widersprüche zwischen dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen P. einerseits und dem Privatgutachten des Facharztes für Nervenheilkunde R. vom 30. Mai 1997 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 6. August 1999 andererseits nicht mit einer Anhörung des Sachverständigen P. begnügen dürfen. Mit dieser Rüge dringt die Revision nicht durch. Die im Streitfall erfolgte Anhörung des Sachverständigen bedeutet nichts anderes als die Erstattung eines mündlichen (Ergänzungs-)Gutachtens.
Da es im Ermessen des Berufungsgerichts liegt, ob eine mündliche oder schriftliche Begutachtung erfolgt (vgl. MünchKomm-ZPO/Damrau, aaO, § 411 Rdn. 2; Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl., § 411 Rdn. 2), ist dem Senat nur eine beschränkte Nachprüfung auf Rechtsfehler möglich. Solche sind nicht gegeben , insbesondere hat das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung alle wesentlichen Umstände beachtet. So konnte der Sachverständige P. trotz der komplizierten Materie sein mündliches Gutachten ausreichend vorbereiten, nachdem ihm mit der Terminsladung durch Verfügung des Vorsitzenden die Privatgutachten übersandt worden waren.

b) Auch § 819 Abs. 1 BGB steht der Heranziehung der Saldotheorie nicht entgegen. Zwar ist für die Anwendung der Saldotheorie kein Raum, wenn § 818 Abs. 3 BGB keine Anwendung findet, sondern der Bereicherungsschuldner gemäß den §§ 818 Abs. 4, 819, 292, 987 ff BGB "nach den allgemeinen Vorschriften" und damit im wesentlichen nicht mehr nach Bereicherungsrecht haftet (vgl. dazu BGHZ 57, 137, 150; 72, 252, 255). Die Voraussetzungen des § 819 Abs. 1 BGB sind vorliegend aber nicht erfüllt, weil die Beklagten nach den rechtsfehlerfreien und insoweit von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht die notwendige positive Kenntnis von den Tatsachen hatten, die zur Sittenwidrigkeit und damit zur Rechtsgrundlosigkeit ihres Erwerbes führten (vgl. Senat, BGHZ 133, 246, 250).

c) Es ist jedoch mit den Wertungen des Gesetzes nicht zu vereinbaren, die Saldotheorie zum Nachteil der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der durch ein wucherähnliches Geschäft benachteiligten Partei anzuwenden. Da die Saldotheorie letztlich eine von der Rechtsprechung aus Billigkeitsgründen vorgenommene Gesetzeskorrektur darstellt, kann sie keine Geltung beanspruchen,
wenn die mit ihr verbundene Bevorzugung des Bereichungsschuldners im Einzelfall der Billigkeit widerspricht. Aus diesem Grunde lehnt der Bundesgerichtshof die Anwendung der Saldotheorie auf die Rückgewähransprüche der arglistig getäuschten Vertragspartei ab (BGHZ 53, 144, 147; 57, 137, 148; BGH, Urt. v. 2. Mai 1990, VIII ZR 139/89, NJW 1990, 2880, 2882).
Der Wertungswiderspruch ergibt sich aus dem Vergleich mit dem Ausschluß der Saldotheorie im Fall der Bösgläubigkeit des Bereicherungsschuldners nach § 819 Abs. 1 BGB. Dies setzt, wie ausgeführt, voraus, daß der Bereicherungsschuldner positive Kenntnis von den Tatsachen hat, aus denen sich die Rechtsgrundlosigkeit seines Erwerbs ergibt. Dagegen ist in Fällen des besonders groben Ä quivalenzmißverhältnisses die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts schon dann begründet, wenn sich der Begünstigte lediglich grob fahrlässig der Erkenntnis verschließt, daß sich die andere Vertragspartei nur aus mangelndem Urteilsvermögen oder erheblicher Willensschwäche auf den übermäßig nachteiligen Vertrag eingelassen hat, was wiederum keine positive Kenntnis der maßgeblichen Umstände voraussetzt. Die Anwendung der Saldotheorie wäre danach, abhängig vom Kenntnisstand des sittenwidrig Handelnden , in einigen Fällen wucherähnlicher Grundstücksgeschäfte ausgeschlossen , in anderen jedoch nicht. Eine Rechtfertigung für die damit verbundene Bevorzugung des Bereicherungsschuldners läßt sich nicht erkennen. Es geht nicht um die Begründung einer verschärften Haftung des Bereicherungsschuldners , die das Gesetz in § 819 Abs. 1 BGB von dessen Kenntnis abhängig macht. Entscheidend ist hier vielmehr der Schutz des Übervorteilten vor einem Mißbrauch der Vertragsfreiheit durch § 138 Abs. 1 BGB (vgl. BGHZ 80, 153, 156). Verweigert die Rechtsordnung, um dieses Ziel zu erreichen, wucherähnlichen Geschäften die Wirksamkeit ungeachtet des Umstandes, ob be-
wußtes oder leichtfertiges Handeln vorzuwerfen ist, so gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, den Schutz der übervorteilten Partei im letztgenannten Fall durch die Anwendung der Saldotheorie, insbesondere durch die mit ihr verbundene Einschränkung des Anwendungsbereiches des § 818 Abs. 3 BGB (vgl. Staudinger/Lorenz, BGB [1999], § 818 Rdn. 41, MünchKomm-BGB/Lieb, 3. Aufl., § 818 Rdn. 87), zu schwächen (im Ergebnis gegen eine Anwendung der Saldotheorie in Fällen der Sittenwidrigkeit auch Canaris, Festschrift für Lorenz , 1991, S. 19, 42; ders. in Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, 13. Aufl., § 73 III 5 c; wohl auch Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung , 1983, S. 611; Staudinger/Lorenz, aaO, § 818 Rdn. 44 a.E. für nicht "neutrale" Nichtigkeitsgründe).
3. Der Hauptantrag ist allerdings nicht in vollem Umfang begründet. Die Beklagten haften als Bereicherungsschuldner nicht gesamtschuldnerisch, herauszugeben ist jeweils nur das, was jeder von ihnen erlangt hat (vgl. BGH, Urt. v. 26. Juni 1979, VI ZR 108/78, NJW 1979, 2205, 2207; Senatsurt. v. 24. Mai 1985, V ZR 47/84, WM 1985, 1269, 1271; BGH, Urt. v. 15. Oktober 1992, IX ZR 43/92, WM 1993, 251, 257). Außerdem kann der Klageantrag insoweit keinen Erfolg haben, als er mit dem Zusatz, zu bewilligen sei die "zu Abteilung III des Grundbuches lastenfreie" Eigentumseintragung, auf die Löschung etwaiger Grundstücksbelastungen abzielt. Ungeachtet der Frage, ob der Bereicherungsschuldner überhaupt zur Beseitigung einer Belastung des rechtsgrundlos erlangten Grundstücks verpflichtet ist (vgl. Senat, BGHZ 112, 376, 380), läßt sich schon den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entnehmen , daß solche Belastungen durch die Beklagten überhaupt erfolgt und in der dritten Abteilung des Grundbuches eingetragen sind.
4. Mit dem (weitgehenden) Erfolg des Hauptantrages ist die Verurteilung der Beklagten auf den in erster Instanz gestellten Hilfsantrag aufzuheben. Dies geschieht von Amts wegen. Da die Entscheidung insoweit unter der auflösenden Bedingung stand, daß dem Hauptantrag nicht stattgegeben wird, fehlt es ihr nunmehr an einer verfahrensrechtlichen Grundlage (BGHZ 21, 13, 16; 106, 219, 221; 112, 229, 232; vgl. auch Brox, Festschrift Heymanns Verlag, 1965, S. 121, 136; Merle, ZZP 83 [1970], 436, 456; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 537 Rdn. 9; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 536 Rdn. 26).
Unter diesen Umständen bedarf es keiner Entscheidung über die unselbständige Anschlußberufung, mit der sich die Beklagten gegen ihre Verurteilung auf den Hilfsantrag gewandt haben. Da mit ihr eine Verurteilung nur auf einen Hilfsantrag hin angegriffen wird, ist die Anschlußberufung der Beklagten so zu verstehen, daß sie ebenfalls nur für den Fall eingelegt ist, daß die gegen die Abweisung der Hauptantrages gerichtete (Haupt-)Berufung ohne Erfolg bleibt. Da zumindest die unselbständige Anschlußberufung von innerprozessualen Vorgängen abhängig gemacht werden kann, ist es zulässig, sie unter die Bedingung des Mißerfolges des Hauptrechtsmittels zu stellen (vgl. BGH, Urt. v. 10. November 1983, VII ZR 72/83, NJW 1984, 1240, 1241; Stein/Jonas/ Grunsky, aaO, § 521 Rdn. 14; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 521 Rdn. 27 f). Es ist unschädlich, daß die Beklagten diese Bedingung nicht ausdrücklich erklärt haben. Zwar muß auch bei Auslegung von Prozeßhandlungen zunächst auf den Wortlaut der Erklärung abgestellt werden, jedoch ist eine Prozeßpartei nicht unter allen Umständen am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festzuhalten. Vielmehr ist zu ihren Gunsten stets davon auszugehen, daß sie im Zweifel mit ihrer Prozeßhandlung das bezweckt, was nach Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage
entspricht (BGH, Beschl. vom 22. Mai 1995, II ZB 2/95, NJW-RR 1995, 1183 f; Urt. v. 18. Juni 1996, VI ZR 325/95, NJW-RR 1996, 1210; Urt. v. 17. Mai 2000, VIII ZR 210/99, WM 2000, 1512, 1514). Es ist aber weder vernünftig noch im Interesse der Beklagten, ihre Anschlußberufung auch für den Fall einzulegen, daß das Hauptrechtsmittel Erfolg hat und damit die angefochtene Verurteilung nach dem Hilfsantrag ohnehin von Amts wegen aufzuheben ist.
5. Die Urteile der Vorinstanzen sind daher, wie im Tenor geschehen, abzuändern. Die weitergehende Revision der Klägerin ist zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO. Sie berücksichtigt , daß die Klägerin insbesondere mit ihrem Antrag, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, unterlegen ist.
Wenzel Schneider Krüger Klein Gaier
4
1. Die Auslegung von Prozesshandlungen wie des hier zu beurteilenden "Einspruchs" unterliegt freier revisionsrechtlicher Nachprüfung; sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht, wobei nicht unter allen Umständen am buchstäblichen Sinn der Wortwahl einer Partei festzuhalten ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. Dezember 2005 - IV ZR 96/04, FamRZ 2006, 482, 483). Die durch das Grundgesetz gewährleisteten Verfassungsgarantien verbieten es, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren (vgl. Se- natsbeschluss vom 22. September 2009 - VI ZB 76/08, VersR 2010, 88 Rn. 4 und BVerfG NJW 1991, 3140 m.w.N.).

(1) Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist. Hat die Leistung an mehrere zu erfolgen, so kann dem einzelnen der ihm gebührende Teil bis zur Bewirkung der ganzen Gegenleistung verweigert werden. Die Vorschrift des § 273 Abs. 3 findet keine Anwendung.

(2) Ist von der einen Seite teilweise geleistet worden, so kann die Gegenleistung insoweit nicht verweigert werden, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 12. Dezember 2013 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 31. Januar 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Beklagte zu 2 ist seit dem Jahr 1988 Mieter einer im Eigentum der Klägerin stehenden Wohnung in B.     , in der er zusammen mit seiner Ehefrau, der Beklagten zu 1, lebt. Die monatliche Gesamtmiete belief sich seit Februar 2008 auf 530,90 € (332,90 € Kaltmiete sowie 198 € Nebenkostenvorauszahlung).

2

Der Beklagte zu 2 zahlte in den Monaten März 2009 bis Oktober 2012 keine oder nur einen Teil der Miete. Seit dem 8. Juni 2009 sprach die Klägerin gegenüber den Beklagten unter Berufung auf den jeweils aufgelaufenen Mietrückstand wiederholt die Kündigung des Mietverhältnisses aus. Die Kündigungserklärung vom 23. Oktober 2012 ist auf im Einzelnen spezifizierte Mietrückstände in Höhe von insgesamt 14.806,36 € (seit März 2009) gestützt. Während des Berufungsverfahrens kündigte die Klägerin erneut mit Schreiben vom 28. Juni 2013, in der sie die seit Juni 2010 aufgelaufenen Mietrückstände auf insgesamt 16.201,01 € bezifferte. Die Beklagten vertreten die Auffassung, dass die Miete im streitigen Zeitraum wegen eines Schimmelpilzbefalls in mehreren Zimmern gemindert gewesen sei und dem Beklagten zu 2 im Übrigen ein den Verzug ausschließendes Zurückbehaltungsrecht zugestanden habe.

3

Auf Antrag des Beklagten zu 2 vom 20. Mai 2010 wurde mit Beschluss vom 17. Juni 2010 das Verbraucherinsolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Die Treuhänderin erklärte am 1. Juli 2010 die "Freigabe" des Mietverhältnisses. Am 18. Januar 2012 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben.

4

Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben, das Landgericht hat sie unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision hat Erfolg. Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da die Beklagten in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten waren. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis, sondern einer Sachprüfung (BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 ff.).

I.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

7

Der Klägerin stehe der geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch nicht zu, da keine der ausgesprochenen Kündigungen das Mietverhältnis beendet habe. Unter Berücksichtigung des dem Beklagten zu 2 neben der kraft Gesetzes (§ 536 BGB) eingetretenen Mietminderung zustehenden Zurückbehaltungsrechts aus § 320 Abs. 1, § 273 BGB sei keine der von der Klägerin ausgesprochenen Kündigungen zu einem Zeitpunkt erklärt worden, zu dem ein zur Kündigung berechtigender Zahlungsrückstand des Beklagten zu 2 vorgelegen habe.

8

Auf die vor dem 20. Mai 2010 (Insolvenzeröffnungsantrag) aufgelaufenen Mietrückstände könne die Klägerin eine Kündigung schon deshalb nicht stützen, weil dem die Kündigungssperre aus § 112 Nr. 1 InsO entgegenstehe. Die von der eingesetzten Treuhänderin mit Schreiben vom 1. Juli 2010 gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO abgegebene Enthaftungserklärung habe lediglich zur Folge gehabt, dass die Klägerin eine erneute Kündigung nur auf die seit Juni 2010 neu aufgelaufenen Mietrückstände habe stützen können. Ein Rückgriff auf die bis zur Antragsstellung aufgelaufenen Rückstände sei der Klägerin auch während der derzeit nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens laufenden "Wohlverhaltensphase" (Restschuldbefreiungsverfahren) verwehrt.

9

Hinsichtlich der seit der Stellung des Insolvenzantrags (mithin seit dem 1. Juni 2010) aufgelaufenen Mietrückstände gelte folgendes:

10

Das Amtsgericht habe dem Beklagten zu 2 wegen des Schimmelbefalls zu Recht eine Minderungsquote von 20 % der Bruttomiete zugebilligt. Nach den Feststellungen des in erster Instanz angehörten Sachverständigen sei der Schimmelbefall auch bei ausreichendem Lüftungsverhalten der Beklagten aufgrund baulicher Mängel nicht zu vermeiden gewesen. Die Minderungsquote von 20 % habe selbst die Klägerin für angemessen gehalten. Den danach von der Miete im Zeitraum von Juni 2010 bis Oktober 2012 verbleibenden Gesamtbetrag von 6.540,77 € habe der Beklagte zu 2 entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ebenfalls einbehalten dürfen.

11

Denn über die kraft Gesetzes eingetretene Minderung der Miete stehe dem Beklagten zu 2 ein Zurückbehaltungsrecht zur Seite, das im Streitfall den Verzugseintritt insgesamt verhindert habe. Bei der geschuldeten Miete von 530,90 € je Monat belaufe sich die Minderung auf 106,18 €. Dem Beklagten zu 2 sei jedenfalls - wie es auch das Amtsgericht angenommen habe - der vierfache Minderungsbetrag als monatliches Zurückbehaltungsrecht zuzubilligen, mithin 424,72 € je Monat. Minderungsbetrag und Höhe des Zurückbehaltungsrechts erreichten somit die geschuldete Gesamtmiete, so dass Verzug mit der Mietzahlung nicht habe eintreten können.

12

Die Höhe des Zurückbehaltungsrechts sei hier nicht zu beanstanden, da der Klägerin bereits seit dem Frühjahr 2009 aufgrund eines von ihr eingeholten Privatgutachtens bekannt gewesen sei, dass von ihr zur Verhütung des Schimmelbefalls diverse baulich bedingte Mängel abzustellen gewesen wären; hierzu seien der Klägerin auch konkrete Vorschläge unterbreitet worden. Da die Klägerin dennoch untätig geblieben sei, sei es nicht unbillig, dem Beklagten zu 2 im Ergebnis ein die Gesamtmiete umfassendes Minderungs- und Zurückbehaltungsrecht zuzugestehen. Der mögliche Mitverantwortungsteil der Beklagten, der darin gesehen werden könnte, dass auch sie ab dem Jahre 2009 Anlass gehabt hätten, ihr Heizungs- und Lüftungsverhalten umzustellen, sei vom Amtsgericht bereits dadurch ausreichend berücksichtigt worden, dass es die Minderungsquote lediglich auf 20 % der Miete angesetzt und damit einen erheblichen Teil der Verantwortung für die Schimmelbildung den Beklagten zugeordnet habe. Im Übrigen sei auch nicht ersichtlich, dass der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz einbehaltene Betrag von 9.000 € zur Beseitigung der in der baulichen Beschaffenheit wurzelnden Ursachen für die Schimmelpilzbildung ausreichend wäre.

13

Es sei im Streitfall angemessen, das Zurückbehaltungsrecht mit dem Vierfachen der Minderungsquote zu bemessen. Gegen eine Anknüpfung des Zurückbehaltungsrechts an den Mangelbeseitigungsaufwand spreche schon, dass dann zur Bemessung des Zurückbehaltungsrechts regelmäßig ein Sachverständigengutachten einzuholen wäre, um den Mangelbeseitigungsaufwand beziffern zu können. Zudem führe diese Auffassung dazu, dass der Mieter auch bei nur wenig beeinträchtigenden Mängeln, die jedoch einen hohen Beseitigungsaufwand erforderten, für längere Zeit von seiner Mietzahlungspflicht gänzlich freigestellt bleibe. Soweit vertreten werde, der Mieter müsse sich in doppelter Weise sowohl auf den Gesamtbetrag der Mangelbeseitigungskosten als absolute Obergrenze des Zurückbehaltungsrechts wie auch für den laufenden Monat in entsprechender Anwendung des § 641 Abs. 3 BGB auf maximal das Doppelte der monatlichen Minderungsquote als möglichen Einbehalt beschränken, lasse diese Auffassung unbeachtet, dass der Mietvertrag als Dauerschuldverhältnis auf einen laufenden periodischen Austausch der beiderseitigen Leistungen ausgerichtet sei. Es erscheine deshalb nicht unangemessen, dass der Vermieter, der es in der Hand habe, durch Beseitigung des Mangels das Zurückbehaltungsrecht jederzeit zu beenden, einem über die Minderung hinausreichendem Druckmittel ausgesetzt sei. Andernfalls wäre es in das Belieben des Vermieters gestellt, ob er die Minderung hinnehmen und von einer Mangelbeseitigung absehen wolle.

14

Auch der Bundesgerichtshof habe eine Orientierung des Zurückbehaltungsrechts am voraussichtlichen Mangelbeseitigungsaufwand nur in den Fällen erwogen, in denen es dem Mieter möglich und zumutbar sei, die Reparatur nach erfolgter Fristsetzung selbst auszuführen oder ausführen zu lassen. Das sei hier schon angesichts des Privatinsolvenzverfahrens und der den Beklagten während der Wohlverhaltensphase treffenden Obliegenheiten nicht der Fall. Im Übrigen könne dem Beklagten zu 2 auch nicht zugemutet werden, auf seine Kosten erhebliche Eingriffe in die Bausubstanz vorzunehmen, derer es nach dem von der Klägerin eingeholten Privatgutachtens im Streitfall bedürfe.

15

Nicht zu folgen sei dem Amtsgericht jedoch in der Auffassung, dass die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts auf etwa den Gesamtbetrag einer Jahresmiete begrenzt sei. Dies erscheine schon deshalb nicht überzeugend, weil auch diese Betragsschwelle bei längerer Untätigkeit des Vermieters und damit einhergehender Ersparnis der von ihm zu tragenden Instandsetzungsaufwendungen überschritten werden könne, ohne dass dies auf vom Mieter zu beeinflussende Umstände zurückgehe.

II.

16

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat den auf die Kündigung vom 23. Oktober 2012 gestützten Räumungsanspruch der Klägerin gemäß § 546 Abs. 1, § 985 BGB zu Unrecht verneint. Denn es hat bei der Beurteilung dieser Kündigung rechtsfehlerhaft die vor dem 20. Mai 2010 (Insolvenzantragsstellung) aufgelaufenen Mietrückstände außer Betracht gelassen und dem Beklagten darüber hinaus durch eine verfehlte schematische Bemessung ein zu weit reichendes Zurückbehaltungsrecht zugebilligt.

17

1. Die Klägerin hat die am 23. Oktober 2012 ausgesprochene Kündigung mit in dem Zeitraum März 2009 bis Oktober 2012 aufgelaufenen Mietrückständen in Höhe von insgesamt 14.806,36 € begründet und hierbei auch in der Zeit vor Insolvenzantragstellung fällig gewordene Mieten aufgeführt, mit deren Zahlung der Beklagte zu 2 in Verzug geraten war.

18

Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die letztgenannten Mietrückstände bei der Beurteilung einer Kündigung wegen Zahlungsverzugs aufgrund der Kündigungssperre des § 112 Nr. 1 InsO außer Betracht zu bleiben hätten, ist von Rechtsfehlern beeinflusst; insbesondere hat das Berufungsgericht verkannt, dass die Klägerin nach dem Wirksamwerden der sogenannten Enthaftungserklärung der Treuhänderin nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht (mehr) gehindert war, eine außerordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB mit Erfolg auch auf vor Insolvenzantragstellung nicht gezahlte Mieten, mit denen der Beklagte zu 2 in Verzug geraten war, zu stützen.

19

a) Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO kann der Insolvenzverwalter ein Miet- oder Pachtverhältnis über einen unbeweglichen Gegenstand oder über Räume, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung kündigen; die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Ist Gegenstand des Mietverhältnisses die Wohnung des Schuldners, so tritt an die Stelle der Kündigung das Recht des Insolvenzverwalters zu erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf der in Satz 1 genannten Frist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können (§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO).

20

Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, geht das Mietverhältnis mit der Enthaftungserklärung - auch Freigabeerklärung genannt - nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO wieder vollständig in die alleinige Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Mieters/Schuldners über (BGH, Urteile vom 9. April 2014 - VIII ZR 107/13, WM 2014, 1000 Rn. 13 ff.; vom 22. Mai 2014 - IX ZR 136/13, WM 2014, 1239 Rn. 10 ff., jeweils mwN).

21

Ob dies zur Folge hat, dass der Vermieter eine außerordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB mit Erfolg auch auf vor der Insolvenzantragstellung aufgelaufene Rückstände mit der Mietzahlung stützen kann, ist im Hinblick auf § 112 Nr. 1 InsO umstritten. Nach dieser Vorschrift kann ein Miet- oder Pachtverhältnis, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen eines Verzugs mit der Entrichtung der Miete oder Pacht, der in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, nicht gekündigt werden.

22

aa) Eine verbreitete Auffassung will es dem Vermieter unter Verweis auf den Wortlaut und die systematische Stellung des § 112 Nr. 1 InsO verwehren, unter Berufung auf vor Insolvenzantragstellung aufgelaufene Mietrückstände zu kündigen. § 112 Nr. 1 InsO enthalte keine Einschränkung für die Fälle des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO. Wolle man eine Kündigung durchgreifen lassen, werde das mit § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO verfolgte Ziel, die Obdachlosigkeit eines in Insolvenz gefallenen Mieters zu vermeiden, nicht erreicht. Auch seien Mietforderungen aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung bloße Insolvenzforderungen, die nur nach den Regeln des Insolvenzverfahrens befriedigt werden könnten und gegebenenfalls von einer Restschuldbefreiung erfasst würden. Es widerspräche daher dem insolvenzrechtlichen Verteilungssystem, wenn der Vermieter eine Kündigung nach der Freigabe der Wohnung durch die Enthaftungserklärung auf insolvenzbehaftete Forderungen stützen könnte (LG Neubrandenburg, WuM 2001, 551 f.; AG Hamburg, NZI 2009, 331, 334; Flatow, NZM 2011, 607, 614 f.; Derleder, ZAP 2005, Fach 14, S. 513, 517 f.; Derleder in Festschrift für Blank, 2006, S. 673, 687; Wegener in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, InsO, 13. Aufl., § 109 Rn. 20 und § 112 Rn. 7; Belz/Lüke in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 4. Aufl., Kap. VIII.C Rn. 480; Gürlevik, Die Rechtsstellung des insolventen Wohnraummieters, 2011, S. 149 ff.; Mohrbutter/Ringstmeier/Homann, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl., Kap. 7 Rn. 88; Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz, 2. Aufl., 7. Teil Kap. IV Rn. 45; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Aufl., § 542 BGB Rn. 138, 143; Schmidt, Privatinsolvenz, 4. Aufl., VI. 1; Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 109 Rn. 18; Graf-Schlicker/Breitenbücher, InsO, 4. Aufl., § 109 Rn. 12; Schmidt/Ringstmeier, InsO, 18. Aufl., § 109 Rn. 25; HmbKommInsO/Pohlmann-Weide, 5. Aufl., § 109 Rn. 30 und § 112 Rn. 1; Werres in Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, 2012, Kap. 6 Rn. 41; Pape/Uhländer/Wedekind, InsO, § 109 Rn. 72).

23

bb) Nach anderer Auffassung entfällt die Kündigungssperre des § 112 Nr. 1 InsO mit Abgabe, jedenfalls aber mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO. Die Enthaftungserklärung bewirke, dass das Mietverhältnis nicht mehr massebefangen sei, sondern in die Verfügungsbefugnis der Vertragsparteien zurückfalle, so dass eine Kündigung möglich sei. Insolvenzrechtliche Gründe stünden der Kündigungsbefugnis des Vermieters nicht entgegen. Der Mieter könne die Kündigungsfolgen durch Zahlung der Mietrückstände gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB aus seinem pfändungsfreien Vermögen abwenden; auch sei eine Befriedigung der Mietschulden von dritter Seite, insbesondere öffentlichen Stellen, trotz des laufenden Insolvenzverfahrens möglich. Die Gegenauffassung übersehe, dass § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO keine Vorschrift des sozialen Mieterschutzes sei, sondern eine Norm, die ausschließlich insolvenzrechtliche Ziele verfolge und daher die Massebefangenheit des Mietverhältnisses voraussetze. Auch mute die Gegenauffassung dem Vermieter zu, trotz des vor Verfahrenseröffnung aufgelaufenen, an sich zur Kündigung berechtigenden Mietrückstands, einen weiteren Zahlungsverzug abzuwarten. Diese Besserstellung des Insolvenzschuldners gegenüber dem nicht im Insolvenzverfahren befindlichen Mieter könne nicht mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens gerechtfertigt werden (MünchKommInsO/Eckert, 3. Aufl., § 109 Rn. 59; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand Februar 2015, § 109 Rn. 19; Pape, NZM 2004, 401, 410; Pape, InsBüro 2005, 169, 174 f.; Pape, in ZMR 2009, 885, 890 f.; Hinz, NZM 2014, 137, 150; Tetzlaff, NZI 2006, 87, 91; Grote, ZInsO 2009, 9, 12; Eckert, ZVI 2006, 133, 138; im Ergebnis auch: Andres/Leithaus/Andres, InsO, 3. Aufl., § 109 Rn. 14; Wendler in Schmid/Harz, Fachanwaltskommentar Mietrecht, 4. Aufl., § 109 Rn. 25; Wagner in Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, 6. Aufl., Kap. 6 Rn. 125; Jablonski, GE 2008, 716, 719).

24

cc) Der Senat entscheidet die Streitfrage im Sinne der letztgenannten Auffassung.

25

(1) Auf den ersten Blick spricht der Wortlaut des § 112 Nr. 1 InsO allerdings dafür, dass der Vermieter in der Insolvenz des Mieters gehindert ist, eine Kündigung wegen eines vor Insolvenzantragstellung eingetretenen Zahlungsverzugs auszusprechen. Gewichtigere Gründe, insbesondere die systematische Stellung der Norm sowie deren Sinn und Zweck, stehen jedoch deren Fortgeltung über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Enthaftungserklärung hinaus entgegen.

26

(a) Zu Unrecht berufen sich die Befürworter einer Fortgeltung der Kündigungssperre des § 112 InsO über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Enthaftungserklärung hinaus auf die systematische Stellung des § 112 in der Insolvenzordnung. § 112 InsO steht im Dritten Teil der Insolvenzordnung, der mit "Wirkungen der Insolvenzeröffnung" überschrieben ist. Von § 112 InsO werden daher nur solche Mietverhältnisse erfasst, die im Zeitpunkt der Kündigungserklärung (noch) insolvenzbefangen sind. Daran fehlt es bei Mietverhältnissen, hinsichtlich derer der Insolvenzverwalter/Treuhänder eine Enthaftungserklärung abgegeben hat, denn diese hat zur Folge, dass die Verbindung des Mietverhältnisses zur Insolvenzmasse für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist vollständig gelöst wird (BGH, Urteil vom 22. Mai 2014 - IX ZR 136/13, aaO Rn. 15, 23).

27

(b) § 112 InsO beruht auf der insolvenzrechtlichen Überlegung, dass die wirtschaftliche Einheit im Besitz des Schuldners nicht zur Unzeit auseinandergerissen werden darf. Gemietete oder gepachtete Gegenstände sollen dem Insolvenzverwalter nicht aufgrund von Zahlungsrückständen des Schuldners entzogen werden, da sie etwa für die Fortführung eines Unternehmens erforderlich sein können (BT-Drucks. 12/2443, S. 148; vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2002 - IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 372 mwN; Grote, aaO; Andres/Leithaus/Andres, aaO, § 112 Rn. 1).

28

Die Kündigungssperre dient somit dem Schutz der Insolvenzmasse und einer möglichen Fortführung des Schuldnerunternehmens und gerade nicht dem persönlichen Schutz des bei Insolvenzantragsstellung im Zahlungsverzug befindlichen und damit vertragsuntreuen Mieters/Schuldners vor dem Verlust der Wohnung. Auch deshalb kann aus dem Wortlaut des § 112 Nr.1 InsO kein überzeugender Grund dafür hergeleitet werden, es dem Vermieter auch nach dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung (§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO) zu verwehren, eine Kündigung (auch) auf Rückstände aus der Zeit vor Insolvenzantragstellung zu stützen.

29

(2) Verstärkt wird dieser Befund durch die Überlegungen, die den Gesetzgeber zur Einführung der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO bewogen haben. Nach den Gesetzesmaterialien dient die Vorschrift des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO nur insoweit dem Schutz des Mieters von Wohnraum, als sie verhindern soll, dass der Mieter das Verfahren der Verbraucherinsolvenz nur um den Preis des Verlustes seiner Wohnung durchführen kann. Denn Anlass der Einführung der Enthaftungserklärung war die zu beobachtende Praxis, dass Insolvenzverwalter/Treuhänder das Mietverhältnis nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO gekündigt haben, um die Kaution zur verwertbaren Masse ziehen zu können, auch wenn dem Mieter keine Pflichtverletzung zur Last fiel (BT-Drucks. 14/5680, S. 27). Dieser unerwünschten Entwicklung ist der Gesetzgeber dadurch entgegengetreten, dass der Insolvenzverwalter/Treuhänder bei Wohnraummietverhältnissen nicht mehr kündigen, sondern nur noch die Erklärung abgeben kann, dass die Insolvenzmasse nach Ablauf der in § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO bestimmten Frist nicht mehr für die danach fällig werdenden Ansprüche hafte. Dass mit dieser ersichtlich im Interesse des vertragstreuen Mieters vorgenommenen Gesetzesänderung eine Ausweitung des Mieterschutzes dahingehend beabsichtigt war, dem Vermieter die Verpflichtung aufzuerlegen, ein Mietverhältnis mit einem vertragsuntreuen Mieter auch dann, ohne dass die Begleichung der Mietrückstände sichergestellt ist, fortzuführen, wenn das Mietverhältnis nicht mehr massebefangen ist, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen.

30

(3) Im Zeitpunkt der Kündigung der Klägerin (23. Oktober 2012) war das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten zu 2 bereits aufgehoben (Aufhebungsbeschluss vom 18. Januar 2012); der Beklagte zu 2 befand sich bereits im Restschuldbefreiungsverfahren (§§ 286 ff. InsO).

31

Im Ausgangspunkt ist anerkannt, dass § 112 InsO nicht über das Insolvenzverfahren hinaus gilt und die Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses nach dessen Aufhebung daher auch mit Rückständen aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung begründet werden kann (Schmidt/Ringstmeier, aaO, § 112 Rn. 21; Belz/Lüke in Bub/Treier, aaO).

32

Dennoch wollen manche Instanzgerichte und einige Autoren die Kündigungssperre des § 112 InsO - wohl in analoger Anwendung - auf das Restschuldbefreiungsverfahren erstrecken. Der Schuldner habe innerhalb des sich an das Insolvenzverfahren anschließenden Restschuldbefreiungsverfahrens mit Rücksicht auf § 294 Abs. 2, § 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO nicht die Möglichkeit, die Mietschulden zu begleichen, und wäre schutzlos gestellt, wenn dem Vermieter eine Kündigung aufgrund der vor der Stellung des Insolvenzantrags aufgelaufenen Rückstände gestattet würde. Entgegen der Intention des Gesetzgebers stünde dem Mieter in diesem Fall nicht die Möglichkeit der Fortführung des Mietverhältnisses zu (LG Neubrandenburg, aaO; AG Hamburg, aaO; Graf-Schlicker/Breitenbücher, aaO, § 112 Rn. 10; Pape/Uhländer/Wedekind, aaO, § 112 Rn. 38; Flatow, aaO; Gürlevik, aaO S. 154 f.; Flöther/Wehner/Hergenröder in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, aaO, § 112 Rn. 14; Jaeger/Jacoby, InsO, 2014, § 112 Rn. 58).

33

Dem kann nicht gefolgt werden. Zum einen fehlt es an einer Regelungslücke als Voraussetzung einer Analogie; zum anderen lässt sich auch aus den vom Gesetzgeber mit dem Restschuldbefreiungsverfahren verfolgten Intentionen nichts für diese Auffassung gewinnen.

34

(a) Angesichts des insolvenzrechtlichen Regelungszwecks des § 112 InsO, die wirtschaftliche Einheit für das Insolvenzverfahren im Besitz des Schuldners zu halten (BT-Drucks. 12/2443, S. 148), kann eine planwidrige Regelungslücke nicht angenommen werden. Der Schutz des vertragsuntreuen Mieters/Schuldners vor dem Verlust der angemieteten Wohnung ist nicht Zweck des § 112 InsO. Vielmehr sind die im Bürgerlichen Gesetzbuch hierzu getroffenen Regelungen abschließend.

35

Der Gesetzgeber hat in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB die Wertung getroffen, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter jedenfalls dann unzumutbar ist, wenn sich der Mieter mit zwei vollen Monatsmieten in Verzug befindet. In einem solchen Fall ist der Vermieter allein aufgrund des Verzuges zur fristlosen Kündigung berechtigt, ohne dass es noch einer Abwägung zwischen Mieter und Vermieterinteressen bedarf (Senatsurteile vom 4. Februar 2015 - VIII ZR 175/14, NZM 2015, 196 Rn. 21, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen; vom 29. April 2009 - VIII ZR 142/08, NJW 2009, 2297 Rn. 16; jeweils mwN). Dem Interesse des vertragsuntreuen Mieters, der einen erheblichen Mietrückstand hat auflaufen lassen, die Wohnung gleichwohl zu erhalten, ist der Gesetzgeber dadurch entgegengekommen, dass er ihm - allerdings vorrangig zum Zwecke der im allgemeinen Interesse liegenden Vermeidung von Obdachlosigkeit - durch § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB (genauso wie zuvor schon durch § 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB aF) eine Schonfrist zur einmaligen Nachholung rückständiger Mietzahlungen innerhalb von zwei Jahren eingeräumt hat, um bei deren Einhaltung eine auf den eingetretenen Mietzahlungsverzug gestützte Kündigung unwirksam werden zu lassen (BT-Drucks. 14/4553, S. 64). Zugleich hat es der Gesetzgeber bei Verfolgung dieses Ziels genügen lassen, dass eine Befriedigung des Vermieters nicht sofort, wie in § 535 Abs. 2 BGB vorgesehen, durch Entrichtung der bis dahin fälligen Miete oder Entschädigung, sondern durch Vorlage der entsprechenden Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle erfolgt (vgl. bereits BT-Drucks. IV/806, S. 10).

36

Durch diese Sonderregelung (vgl. Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 267/09, NJW 2010, 3020 aaO Rn. 21) hat der Gesetzgeber - allerdings abschließend - im allgemeinen Interesse zugleich auch dem Anliegen eines leistungsunfähigen Mieters, eine auf einen erheblichen Mietzahlungsverzug gestützte fristlose Kündigung des Vermieters nachträglich ungeschehen zu machen und ihm darüber die gemietete Wohnung zu erhalten, Rechnung getragen (Senatsurteil vom 4. Februar 2015 - VIII ZR 175/14, aaO Rn. 25 mwN).

37

Dem Vermieter wird eine Fortsetzung des Mietverhältnisses mit dem vertragsuntreuen Mieter mithin nur dann zugemutet, wenn die gesamten Mietrückstände ausgeglichen werden oder - was dem im wirtschaftlichen Ergebnis gleichkommt - sich eine öffentliche Stelle innerhalb der Schonfrist dazu verpflichtet.

38

(b) Hierzu kann es auch im Restschuldbefreiungsverfahren (§§ 286 ff. InsO) kommen. Weder dessen Vorschriften noch der mit diesem Verfahren vom Gesetzgeber verfolgte Zweck schließen einen Ausgleich der rückständigen Mietschulden aus.

39

Geht dem Mieter - wie hier dem Beklagten zu 2 - im Restschuldbefreiungsverfahren eine fristlose Kündigung des aufgrund der Enthaftungserklärung nicht mehr massebefangenen Mietverhältnisses zu, die (jedenfalls auch) mit vor Insolvenzantragstellung aufgelaufenen Mietschulden begründet wird, so kann der Mieter diese Mietrückstände aus seinem pfändungsfreien Vermögen begleichen oder es kann sich eine öffentliche Stelle zur Zahlung verpflichten.

40

Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 294 Abs. 2 InsO oder eine Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO liegt in beidem nicht: Leistungen an einzelne Insolvenzgläubiger aus seinem pfändungsfreien Vermögen sind dem Mieter/Schuldner nach ganz überwiegender Auffassung jederzeit gestattet (Ahrens in Kohte/Ahrens/Grote/Busch, Verfahrenskostenstundung, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenzverfahren, 7. Aufl., § 295 Rn. 134; in FK-InsO/Ahrens, 8. Aufl., § 294 Rn. 59 und § 295 Rn. 139; Vallender in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, aaO, § 295 Rn. 55; HmbKomm-InsO/Streck, 5. Aufl., § 294 Rn. 11; MünchKommInsO/Ehricke, § 294 aF Rn. 32; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 294 Rn. 5; Kupka, ZInsO 2010, 113, 115; Pape, InVO 2006, 454, 460; aA HK-InsO/Waltenberger, 7. Aufl., § 295 aF Rn. 31).

41

Letztlich bedarf diese vom Bundesgerichtshof bislang offen gelassene (BGH, Urteil vom 14. Januar 2010 - IX ZR 93/09, WM 2010, 523 Rn. 10) Frage auch hier keiner Entscheidung, denn jedenfalls fehlt es einer derartigen Zahlung an der für die Versagung der Restschuldbefreiung erforderlichen Gläubigerbenachteiligung nach § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO (MünchKommInsO/Ehricke, aaO; Vallender in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, aaO Rn. 56; FK-InsO/Ahrens, aaO Rn. 134). Sofern öffentliche Stellen die vor Insolvenzantragsstellung aufgelaufenen Mietrückstände begleichen, werden sie im Rahmen der Daseinsvorsorge tätig und handeln nicht als Erfüllungsgehilfe des Schuldners (Senatsurteil vom 21. Oktober 2009 - VIII ZR 64/09, NJW 2009, 3781 Rn. 27 ff.). Im Übrigen wird die Haftungsmasse durch die Zahlung Dritter nicht verkürzt (vgl. MünchKommInsO/Ehricke, aaO; Hinz, NZM 2014, 137, 150; FK-InsO/Ahrens, aaO, Rn. 135).

42

Die im Rahmen eines Verbraucherinsolvenzverfahrens nach Maßgabe der §§ 286 ff. InsO zu gewährende Restschuldbefreiung dient dem Ziel, dem Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen (BT-Drucks. 12/2443, S. 188; BT-Drucks. 14/5680, S. 11, 27; BGH, Urteil vom 17. September 2009 - IX ZR 63/09, NZM 2010, 359 Rn. 8). Erfüllt der Schuldner seine Obliegenheiten in der Wohlverhaltensphase (vgl. § 295 InsO), kommt ihm nach deren erfolgreichen Abschluss die Befreiung von den noch nicht getilgten Insolvenzforderungen zu Gute, zu denen, sofern der Schuldner Mieter ist, auch die bei Insolvenzantragstellung vorhandenen Mietrückstände unabhängig von einer etwaig danach erfolgten Enthaftungserklärung gehören. Mit der Restschuldbefreiung kann der Vermieter Ansprüche auf Zahlung rückständiger Miete, soweit es sich um Insolvenzforderungen handelt, endgültig nicht mehr gegen den Mieter durchsetzen. Denn die Restschuldbefreiung führt zur Entstehung einer unvollkommenen Verbindlichkeit, die zwar weiterhin erfüllbar, aber nicht erzwingbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2008 - IX ZB 205/06, WM 2008, 2219 Rn. 11).

43

In dieser allein die Zahlungspflicht betreffenden Regelung erschöpft sich allerdings der Schutz des Mieters/Schuldners durch das Verfahren der Verbraucherinsolvenz beziehungsweise der Restschuldbefreiung. Die Auffassung, dass darüber hinaus ein umfassender Kündigungsschutz aus einer vom Verbraucherinsolvenzverfahren bezweckten "Reorganisation der Schuldnerexistenz einschließlich seiner Wohnung" abzuleiten wäre (so Derleder, ZAP 2005, Fach 14, S. 513, 518) findet im Gesetz keine Stütze. Aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich keine Hinweise darauf, dass der vertragsuntreue Mieter durch das Verfahren der Verbraucherinsolvenz auf Kosten des Vermieters einen über die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs hinausreichenden Kündigungsschutz dahin erfahren sollte, dass der Vermieter das Mietverhältnis mit dem Mieter, der einen Rückstand von mindestens zwei Monatsmieten hat auflaufen lassen, auf längere Zeit fortsetzen muss, ohne dass die Begleichung der Rückstände gesichert ist.

44

b) Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters/Treuhänders gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO entfällt deshalb die Kündigungssperre des § 112 Nr. 1 InsO. Der Vermieter ist ab diesem Zeitpunkt nicht gehindert, eine Kündigung des Mietverhältnisses auf Mietrückstände zu stützen, mit denen der Mieter bereits vor Stellung des Insolvenzantrags in Verzug gewesen war.

45

Entgegen einer vereinzelt anzutreffenden Meinung (Jaeger/Jacoby, InsO, 2014, § 109 Rn. 65 und § 112 Rn. 58) endet der Verzug nicht etwa mit der Insolvenzeröffnung. Der Schuldnerverzug endet für die Zukunft grundsätzlich nur dann, wenn eine seiner Voraussetzungen entfällt, die zu seinem Eintritt geführt haben oder wenn gegen die Forderung eine materiell-rechtliche Einrede besteht beziehungsweise geltend gemacht wird, die der Forderung die Durchsetzbarkeit nimmt, wie etwa die Einrede der Verjährung oder ein Zurückbehaltungsrecht oder eine Stundungsabrede. Die Insolvenzeröffnung ändert an einem zuvor eingetretenen Verzug indes nichts, sondern lässt diesen fortbestehen (Henckel in Henckel/Jaeger, InsO, 2004, § 39 Rn. 12; Hess, Insolvenzrecht, 2. Aufl., § 39 Rn. 26 ff.; Hirte in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, aaO, § 39 Rn. 16; Staudinger/Löwisch/Feldmann, BGB, Neubearb. 2014, § 286 Rn. 132; MünchKommBGB/Ernst, 6. Aufl., § 286 Rn. 99; Soergel/Benicke/Nalbantis, BGB, 13. Aufl., § 286 Rn. 202). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist vielmehr als ein Leistungshindernis im Sinne des § 287 Satz 2 BGB anzusehen, das der Schuldner während des Verzugs zu vertreten hat (Hess, aaO Rn. 30; Hirte, aaO). Auch die Insolvenzordnung geht ersichtlich von einem Fortbestand eines bei Insolvenzeröffnung bereits eingetretenen Verzugs aus, bestimmt sie doch in § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen der Forderungen der Insolvenzgläubiger nachrangig zu berichtigen sind.

46

c) Das Berufungsgericht hätte deshalb die vor Insolvenzantragsstellung aufgelaufenen Mietrückstände bei der Beurteilung der fristlosen Kündigung der Klägerin berücksichtigen müssen. Erst recht waren die Beträge, die der Beklagte zu 2 vor der Insolvenzantragstellung mit Rücksicht auf ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB nicht gezahlt hat, in die Würdigung einzubeziehen, ab welchem Zeitpunkt beziehungsweise ab welchem insgesamt einbehaltenen Betrag die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts in der Zeit danach gegen § 320 Abs. 2 BGB verstößt (dazu sogleich unter Ziffer 3).

47

2. Frei von Rechtsfehlern hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Miete gemäß § 536 BGB im streitgegenständlichen Zeitraum wegen eines nicht unerheblichen Mangels (baumängelbedingter Schimmelpilzbefall) um 20 % der Bruttomiete gemindert war, so dass sich die von der Klägerin errechneten Mietrückstände um die entsprechenden Beträge vermindern; dies greift die Revision auch nicht an.

48

3. Zutreffend ist ferner die Auffassung des Berufungsgerichts, dass dem Beklagten zu 2 über die Minderung der Miete hinaus im Grundsatz ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB zustand.

49

a) Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt richtig ausgeführt hat, war der Beklagte zu 2 zunächst - vorübergehend - berechtigt, sich über die Minderung hinaus auf ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB zu berufen, weil die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ihrer Gebrauchsüberlassungspflicht nicht in vollem Umfang nachgekommen ist. Diese aus § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB resultierende Hauptleistungspflicht des Vermieters stellt eine in die Zukunft gerichtete Dauerverpflichtung dar (Senatsurteil vom 17. Februar 2010 - VIII ZR 104/09, BGHZ 184, 253 Rn. 17 mwN). Sie erschöpft sich nicht in der einmaligen Handlung des Überlassens, sondern geht dahin, die Mietsache während der gesamten Mietzeit in einem gebrauchstauglichen Zustand zu erhalten (Senatsurteil vom 17. Februar 2010 - VIII ZR 104/09, aaO). Der aus § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB folgende Erfüllungsanspruch des Mieters kann dem Vermieter - neben der Minderung - grundsätzlich gemäß § 320 BGB entgegengehalten werden (BGH, Urteile vom 7. Mai 1982 - V ZR 90/81, BGHZ 84, 42, 45 f.; vom 19. Juni 2006 - VIII ZR 284/05, NZM 2006, 696 Rn. 9; Senatsbeschluss [Rechtsentscheid] vom 26. Oktober 1994 - VIII ARZ 3/94, BGHZ 127, 245, 250; jeweils mwN). Die Einrede des nichterfüllten Vertrages dient dazu, auf den Schuldner Druck zur Erfüllung der eigenen, im Gegenseitigkeitsverhältnis zur geltend gemachten Forderung stehenden Verbindlichkeit auszuüben (Senatsurteile vom 3. November 2010 - VIII ZR 330/09, NJW-RR 2011, 447 Rn. 12; vom 19. Juni 2006 - VIII ZR 284/04, aaO Rn. 14; Staudinger/Otto, BGB, Neubearb. 2009, § 320 Rn. 1).

50

b) Grundsätzlich gewährt § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber der gesamten Gegenleistung. Hat allerdings eine Partei die von ihr geschuldete Leistung - wie vorliegend die Klägerin - teilweise erbracht, so kann die Gegenleistung gemäß § 320 Abs. 2 BGB insoweit nicht verweigert werden, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde.

51

aa) In der Rechtsprechung und Literatur werden unterschiedliche Auffassungen zu der Frage vertreten, nach welchen Kriterien ein infolge der Mangelhaftigkeit der Mietsache vorgenommener Einbehalt zu bemessen und unter welchen Umständen er noch als verhältnismäßig im Sinne des § 320 Abs. 2 BGB anzusehen ist. Hierbei ist insbesondere streitig, ob die Beurteilung an der Höhe der monatlichen berechtigten Mietminderung oder der zur Mangelbeseitigung erforderlichen Kosten auszurichten ist.

52

(1) Nach einer Auffassung sind die Mangelbeseitigungskosten für die Bemessung des nach § 320 Abs. 2 BGB noch angemessenen Einbehalts maßgeblich. Die Einrede des nicht erfüllten Vertrages sei als Druckmittel gedacht, das einen Bezug zur Mangelbeseitigung aufweise (so etwa Lützenkirchen/Lützenkirchen, Mietrecht, 2013, § 535 BGB Rn. 892). Im Hinblick auf die konkrete Höhe des Zurückbehaltungsrechts wird teilweise angenommen, der Mieter sei regelmäßig berechtigt, jedenfalls einen Betrag in Höhe des Dreifachen (LG Saarbrücken NZM 1999, 757 f.; Derleder NZM 2002, 676, 680; wohl auch Gramlich, Mietrecht, 12. Aufl., § 536 Rn. 5; vgl. auch zu einem das Gewerberaummietrecht betreffenden Einzelfall: BGH, Urteil vom 26. März 2003 - XII ZR 167/01, NJW-RR 2003, 873 unter 4) beziehungsweise des Drei- bis Fünffachen (LG Bonn, ZMR 1990, 58, 59; LG Bonn, WuM 1991, 262; OLG Naumburg, NZM 2001, 100, 102) der zur Mangelbeseitigung erforderlichen Kosten einzubehalten.

53

Andere Stimmen stellen mit Blick auf die in § 641 Abs. 3 BGB enthaltene Regelung lediglich auf das Doppelte der Mangelbeseitigungskosten ab (Neuhaus, Handbuch der Geschäftsraummiete, 5. Aufl., Kap. 20 Rn. 25; Soergel/Gsell, aaO, § 320 Rn. 88; wohl auch Kraemer/Ehlert in Bub/Treier, aaO, Kap. III. B Rn. 3284; Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl., § 320 Rn. 11; BeckOK-BGB/Ehlert, Stand Mai 2014, § 536 Rn. 101). Vereinzelt wird der Einbehalt auf die Höhe des Mangelbeseitigungsaufwandes beschränkt (Fritz, Gewerberaummietrecht, 4. Aufl., Kap. IV 2.5. Rn. 279).

54

(2) Eine weitere Auffassung will den nach § 320 Abs. 2 BGB noch angemessenen Einbehalt nach Maßgabe der berechtigten Minderung berechnen. Die mangelhafte Leistung des Vermieters störe die Ausgewogenheit des synallagmatischen Verhältnisses, welches durch den Minderungsbetrag wieder hergestellt werde. Es sei sachgerecht, den Einbehalt im Rahmen des § 320 BGB an dem Minderungsbetrag auszurichten, da auf diese Weise bei kleineren Mängeln auch dann nur ein geringer Druck auf den Vermieter ausgeübt werde, wenn die Mangelbeseitigung mit einem hohen Kostenaufwand einhergehe (Conrad, MDR 2013, 1381, 1383). Bei größeren Mängeln könne auf diese Weise hingegen entsprechend der Funktion des Zurückbehaltungsrechts ein höherer Druck auf den Vermieter ausgeübt werden (vgl. Schmidt, NZM 2013, 705, 715). Ein an die Mangelbeseitigungskosten anknüpfender Einbehalt laufe auf eine Gleichsetzung der Einrede des nicht erfüllten Vertrages mit einem Zurückbehaltungsrecht des Mieters aus § 273 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 536a Abs. 2 BGB (Ansparung eines Kostenvorschusses zur Selbstbeseitigung des Mangels) hinaus, was nicht sachgerecht sei (Gellwitzki, WuM 1999, 10, 14 mwN).

55

Im Hinblick auf die Höhe des auf der Basis des Minderungsbetrages zu berechnenden Einbehalts begrenzen einige Autoren - teilweise unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 641 Abs. 3 BGB - das Zurückbehaltungsrecht auf das Doppelte des monatlichen Minderungsbetrages (Schmidt-Futterer/Eisenschmidt, aaO, § 536 BGB Rn. 425 f. mwN; Schmidt, aaO). Überwiegend wird hingegen vertreten, der Mieter könne monatlich etwa das Dreifache (AG Bergheim, WuM 2012, 580, 581; AG Waldbröl, Urteil vom 27. Oktober 1988 - 3 C 2/88, juris Rn. 19) beziehungsweise das Drei- bis Fünffache des Minderungsbetrages von der laufenden Miete zurückbehalten (OLG Naumburg, GuT 2002, 15, 18 [zur Gewerberaummiete]; LG Berlin, GE 1994, 403 [höchstens das Fünffache]; WuM 1998, 28 f.; GE 1990, 1037, 1038; LG Hamburg, ZMR 2010, 855; ZMR 1984, 128 f., und ZMR 2010, 855; AG München, WuM 1987, 216, 217; AG Charlottenburg, Urteil vom 31. August 2010 - 226 C 111/10, BeckRS 2011, 26546 [fünffacher Minderungsbetrag]; Köhler/Kossmann/Meyer-Abich, Handbuch der Wohnraummiete, 7. Aufl., § 79 Rn. 15; Blank in Blank/Börstinghaus, Miete, 4. Aufl., § 536 BGB Rn. 189; Gellwitzki, aaO S. 15; Börstinghaus, NZM 1998, 656, 657).

56

(3) Andere Autoren billigen dem Mieter ein Wahlrecht zu, ob er den zurückbehaltenen Betrag aus einem Vielfachen der Minderung oder der Mangelbeseitigungskosten berechne (MünchKommBGB/Häublein, 6. Aufl., Vorbem. zu § 536 Rn. 15; BeckOG/Bieber, § 536 BGB Rn. 25; wohl auch Selk, NZM 2009, 142; vgl. Staudinger/Emmerich, BGB, Neubearb. 2014, § 536 Rn. 61).

57

(4) Soweit das Zurückbehaltungsrecht auf der Grundlage der berechtigten Mietminderung ermittelt werden soll, ist weiter streitig, für welchen Zeitraum der Mieter die monatliche Mietzahlung mit Blick auf die Mängel zurückbehalten darf. Hierzu wird vereinzelt vertreten, das Zurückbehaltungsrecht wirke sich nur für den jeweiligen Monat aus; wenn dieser abgelaufen sei, dürfe der Mieter die Miete nicht mehr einbehalten, weil der vertragliche Erfüllungsanspruch für die Vergangenheit durch Zeitablauf unmöglich geworden sei und das Zurückbehaltungsrecht daher seine Druckfunktion nicht mehr entfalten könne (OLG Frankfurt, ZMR 1999, 628, 629 f. [zum Gewerberaummietrecht]; MünchKommBGB/Häublein, aaO). Dem Mieter erwachse hieraus kein Nachteil, weil er mit dem ihm zustehenden Anspruch auf Kostenvorschuss für die Mängelbeseitigung gegenüber dem Anspruch auf Mietzahlung aufrechnen könne (MünchKommBGB/Häublein, aaO).

58

Demgegenüber wird überwiegend mit Blick auf die während des gesamten Mietverhältnisses fortbestehende Gebrauchsüberlassungspflicht und die mit dem Zurückbehaltungsrecht verbundene Druckfunktion angenommen, der Mieter könne den Einbehalt so lange vornehmen, bis ihm die Mietsache wieder in mangelfreiem Zustand zur Verfügung stehe (OLG Naumburg, aaO; Schmidt-Futterer/Eisenschmidt, aaO Rn. 419; Blank in Blank/Börstinghaus, aaO Rn. 188 f.; BeckOK-BGB/Ehlert, aaO; Kraemer/Ehlert, aaO Rn. 3286; Köhler/Kossmann/Meyer-Abich, aaO Rn. 17; Lützenkirchen/Lützenkirchen, aaO Rn. 891; Conrad, aaO S. 1383; vgl. auch Bieber, NZM 2006, 683, 687).

59

bb) Das vorstehend skizzierte Meinungsbild ist geprägt von dem Bemühen, einen über den Einzelfall hinausreichenden, allgemein gültigen Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen der angemessene Umfang des Zurückbehaltungsrechts hinsichtlich Bemessungsmaßstab, Höhe und Dauer gefunden werden soll. Die Frage, in welchem Umfang und für welchen Zeitraum dem Mieter, der die mit Mängeln behaftete Wohnung weiter nutzen kann und auch nutzt, danach ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht, entzieht sich jedoch einer allgemein gültigen Betrachtung. Sie ist vielmehr vom Tatrichter im Rahmen seines Beurteilungsermessens aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 320 Abs. 2, § 242 BGB) zu beantworten (BGH, Urteile vom 18. April 2007 - XII ZR 139/05, NZM 2007, 484 Rn. 29; vom 26. März 2003 - XII ZR 167/01, aaO; vgl. auch Conrad, aaO S. 1382; Schmidt, aaO S. 714 f.; Schmidt-Futterer/Eisenschmid, aaO Rn. 424) und kann vom Revisionsgericht nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob die Wertungsgrenzen erkannt, die tatsächliche Wertungsgrundlage ausgeschöpft und die Denk- und Erfahrungssätze beachtet worden sind (vgl. BGH, Urteile vom 30. April 1993 - V ZR 234/91, BGHZ 122, 308, 314; vom 8. Mai 2003 - VII ZR 216/02, NJW 2003, 2448 unter III 2; vom 12. Januar 2011 - XII ZR 83/08, BGHZ 188, 50 Rn. 25; jeweils mwN). Auch einer solchen - eingeschränkten - Prüfung hält das Berufungsurteil indes nicht stand.

60

Das dem Tatrichter eingeräumte Beurteilungsermessen ist überschritten, wenn das Zurückbehaltungsrecht - wie hier vom Berufungsgericht - schematisch mit dem in zeitlicher Hinsicht praktisch unbegrenzten vierfachen Minderungsbetrag bemessen wird. Denn eine solche Bemessung des Zurückbehaltungsrechts führte dazu, dass der Mieter, dem - wie hier - ein Minderungsbetrag von 20 % der Miete (oder mehr) zusteht, auf unabsehbare Zeit überhaupt keine Miete zu zahlen hätte. Eine derartige Betrachtung lässt rechtsfehlerhaft die Besonderheiten des auf dauernden Leistungsaustausch gerichteten Wohnraummietverhältnisses außer Acht und wird darüber hinaus weder dem Zweck des Zurückbehaltungsrechts noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht.

61

cc) Das Leistungsverweigerungsrecht des § 320 BGB dient dazu, auf den Schuldner (Vermieter) - vorübergehend - Druck zur Erfüllung der eigenen, im Gegenseitigkeitsverhältnis zur geltend gemachten Mietforderung stehenden Verbindlichkeit auszuüben (Senatsurteil vom 3. November 2010 - VIII ZR 330/09, aaO). Deshalb endet das Zurückbehaltungsrecht nicht nur bei Beseitigung des Mangels, sondern auch - unabhängig von einer Mangelbeseitigung - bei Beendigung des Mietverhältnisses (vgl. Senatsurteil vom 3. November 2010 - VIII ZR 330/09, aaO Rn. 13); mit dem Wegfall des Zurückbehaltungsrechts werden die gesamten zunächst zu Recht einbehaltenen Beträge grundsätzlich sofort zur Zahlung fällig (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. September 2014 - VIII ZR 221/14, WuM 2014, 681 Rn. 5; vom 26. Oktober 1994 - VIII ARZ 3/94, BGHZ 127, 245, 253).

62

Anders als etwa beim Kauf- oder Werkvertrag, bei dem durch die Mängelbeseitigung die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Leistung und Gegenleistung vollständig möglich ist, kann bei einem Dauerschuldverhältnis wie der Miete das mangelbedingte Ungleichgewicht nur für die Zukunft beseitigt werden. Für die bereits abgelaufenen Zeitabschnitte verbleibt es zwangsläufig bei der mangelbedingt eingeschränkten Gebrauchstauglichkeit. Für diese abgelaufenen Zeitabschnitte ist dem Äquivalenzverhältnis aber bereits dadurch (abschließend) Rechnung getragen, dass der Mieter gemäß § 536 BGB nur eine geminderte Miete zu zahlen hat. Die Besonderheit, dass das Zurückbehaltungsrecht angesichts des Charakters der Miete als Dauerschuldverhältnis nur auf zukünftige Nutzungszeiträume abzielen kann, ist bei der Bemessung des Umfangs des Zurückbehaltungsrechts im Rahmen des § 320 Abs. 2 BGB zu beachten. Es ist daher grundsätzlich verfehlt, das Leistungsverweigerungsrecht des Wohnraummieters aus § 320 BGB ohne zeitliche Begrenzung auf einen mehrfachen Betrag der monatlichen Minderung oder der Mangelbeseitigungskosten zu bemessen.

63

Darüber hinaus kann das Zurückbehaltungsrecht an den laufenden Mietzahlungen redlicherweise nur so lange ausgeübt werden, als es noch seinen Zweck erfüllt, den Vermieter durch den dadurch ausgeübten Druck zur Mangelbeseitigung anzuhalten. Ist es aufgrund der Höhe des Mieteinbehalts und/oder der verstrichenen Zeit seit dem erstmaligen Einbehalt der Miete nicht mehr zu erwarten, dass der Vermieter seiner Verpflichtung auf Beseitigung des Mangels unter dem Druck der Leistungsverweigerung nachkommen wird, hat das Leistungsverweigerungsrecht seinen Zweck verfehlt, den Vermieter zur eigenen Vertragstreue anzuhalten. Mit einer weiteren Fortsetzung eines über die Minderung hinausgehenden Einbehalts würde der Zustand eintreten, dass der Mieter einen Mangel, der die Gebrauchstauglichkeit lediglich einschränkt, aber nicht aufhebt, hinnimmt, aber für einen längeren Zeitraum - im Streitfall mehr als drei Jahre - nicht die geschuldete (geminderte) Miete entrichtet.

64

dd) Schließlich muss der insgesamt einbehaltene Betrag in einer angemessenen Relation zu der Bedeutung des Mangels stehen. Das Zurückbehaltungsrecht ist deshalb - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - grundsätzlich betragsmäßig begrenzt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Vermieter bis zur Beseitigung des Mangels nur eine geminderte Miete erhält und er damit einem erheblichen Druck zur (Wieder-)Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes ausgesetzt ist. Anders als im Kauf- oder Werkvertragsrecht tritt im Wohnraummietrecht das Zurückbehaltungsrecht neben die Minderung.

65

ee) Den vorstehend dargelegten Besonderheiten bei der Miete von Wohnraum ist dadurch Rechnung zu tragen, dass das Leistungsverweigerungsrecht insbesondere bei Mängeln, die - wie hier - die Gebrauchstauglichkeit nur in beschränktem Umfang mindern, schonend auszuüben ist und grundsätzlich sowohl einer zeitlichen als auch einer betragsmäßigen Beschränkung unterliegt. Dabei mag ein zusätzlicher Einbehalt eines Teils der geschuldeten Miete für einen gewissen, etwas längeren Zeitraum ebenso in Betracht kommen wie der Einbehalt der gesamten Miete für einen kurzen Zeitraum. Allgemein gültige Grundsätze lassen sich insoweit aber nicht aufstellen; vielmehr sind die gesamten Umstände des Einzelfalls, wie etwa die Bedeutung des Mangels, die Frage, ob er mit geringem Aufwand oder nur unter größeren Schwierigkeiten zu beseitigen ist, gegebenenfalls auch das Verhalten der Vertragsparteien im Zusammenhang mit dem aufgetretenen Mangel zu berücksichtigen.

66

ff) Die zeitliche und betragsmäßige Beschränkung des Leistungsverweigerungsrechts nach § 320 BGB stellt den Wohnraummieter nicht rechtlos. Denn er kann unbeschadet der Minderung (§ 536 BGB) gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB auf Mangelbeseitigung klagen, im Falle des Verzuges des Vermieters mit der Mangelbeseitigung Schadensersatz geltend machen (§ 536a Abs. 1 BGB) sowie in geeigneten Fällen von der Befugnis Gebrauch machen, den Mangel selbst zu beseitigen und Ersatz der Aufwendungen zu verlangen (§ 536a Abs. 2 BGB). Außerdem hat der Mieter im Fall eines bestehenden Selbstbeseitigungsrechts Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses in Höhe der zu erwartenden Mangelbeseitigungskosten (BGH, Urteile vom 7. Mai 1971 - V ZR 94/70, BGHZ 56, 136, 141, vom 28. Mai 2008 - VIII ZR 271/07, NJW 2008, 2432 Rn. 8), mit dem er gegen die Miete aufrechnen kann. Schließlich kommt auch eine Kündigung nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB (gegebenenfalls in Kombination mit der Geltendmachung des Kündigungsfolgeschadens) in Betracht.

III.

67

Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, entscheidet der Senat in der Sache selbst (§ 563 Abs. 3 ZPO).

68

Es bedarf insoweit keiner Entscheidung, ob der Beklagte das Zurückbehaltungsrecht hier in der Weise ausüben durfte, dass er in einigen Monaten 80 % der (ungeminderten) Monatsmiete einbehielt und so für die betreffenden Monate überhaupt keine Miete zahlte. Jedenfalls war ein Einbehalt, der etwa drei oder vier Monatsmieten deutlich überstieg, unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt. Da der Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts allein in dem Zeitraum von Juni 2010 bis Oktober 2012 über die berechtigte Minderung hinaus einen Betrag von 6.540,77 € (mehr als eine Jahresmiete und somit weit über einen noch als angemessen anzusehenden Betrag hinaus) einbehalten hat, befand er sich im Zeitpunkt der Kündigung vom 23. Oktober 2012 mit einem Betrag in Verzug, der zwei Monatsmieten weit überstieg. Die fristlose Kündigung war daher gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b BGB begründet und hat das Mietverhältnis zwischen den Parteien beendet, so dass der Klägerin ein Anspruch auf Räumung gegen den Beklagten zu 2 (aus § 546 Abs. 1 BGB) sowie gegen die Beklagte zu 1 (aus § 985 BGB) zusteht. Die Berufung der Beklagten gegen das auf Räumung und Herausgabe der Wohnung erkennende amtsgerichtliche Urteil war daher zurückzuweisen.

69

Rechtsbehelfsbelehrung:

70

Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils bei dem Bundesgerichtshof, Karlsruhe, durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.

Dr. Milger                               Dr. Hessel                            Dr. Achilles

                   Dr. Schneider                            Dr. Bünger

(1) Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist. Hat die Leistung an mehrere zu erfolgen, so kann dem einzelnen der ihm gebührende Teil bis zur Bewirkung der ganzen Gegenleistung verweigert werden. Die Vorschrift des § 273 Abs. 3 findet keine Anwendung.

(2) Ist von der einen Seite teilweise geleistet worden, so kann die Gegenleistung insoweit nicht verweigert werden, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde.

(1) Hat die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt, oder entsteht während der Mietzeit ein solcher Mangel, so ist der Mieter für die Zeit, in der die Tauglichkeit aufgehoben ist, von der Entrichtung der Miete befreit. Für die Zeit, während der die Tauglichkeit gemindert ist, hat er nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Eine unerhebliche Minderung der Tauglichkeit bleibt außer Betracht.

(1a) Für die Dauer von drei Monaten bleibt eine Minderung der Tauglichkeit außer Betracht, soweit diese auf Grund einer Maßnahme eintritt, die einer energetischen Modernisierung nach § 555b Nummer 1 dient.

(2) Absatz 1 Satz 1 und 2 gilt auch, wenn eine zugesicherte Eigenschaft fehlt oder später wegfällt.

(3) Wird dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache durch das Recht eines Dritten ganz oder zum Teil entzogen, so gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

(4) Bei einem Mietverhältnis über Wohnraum ist eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung unwirksam.

(1) In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten richten sich die Gebühren nach den für die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels geltenden Vorschriften über den Wert des Streitgegenstands, soweit nichts anderes bestimmt ist. In Musterfeststellungsklagen nach Buch 6 der Zivilprozessordnung und in Rechtsstreitigkeiten aufgrund des Unterlassungsklagengesetzes darf der Streitwert 250 000 Euro nicht übersteigen.

(2) In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Der Wert darf nicht über eine Million Euro angenommen werden.

(3) Ist mit einem nichtvermögensrechtlichen Anspruch ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Anspruch, und zwar der höhere, maßgebend.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

Der Wert des Rechts auf wiederkehrende Nutzungen oder Leistungen wird nach dem dreieinhalbfachen Wert des einjährigen Bezuges berechnet. Bei bestimmter Dauer des Bezugsrechts ist der Gesamtbetrag der künftigen Bezüge maßgebend, wenn er der geringere ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZR 43/15
vom
14. Juni 2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Bei einer Klage des Mieters auf Feststellung einer Minderung der Miete ist der
Streitwert nicht gemäß § 41 Abs. 5 Satz 1 GKG analog mit dem einfachen Jahresbetrag
, sondern gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO mit dem dreieinhalbfachen
Jahresbetrag der geltend gemachten Mietminderung zu bemessen (Fortführung
von BGH, Beschlüsse vom 21. September 2005 - XII ZR 256/03, NJW-RR 2006, 16
unter II 3; vom 20. April 2005 - XII ZR 248/04, NJW-RR 2005, 938 unter II 1 a).
BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 - VIII ZR 43/15 - LG München I
AG München
ECLI:DE:BGH:2016:140616BVIIIZR43.15.0

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juni 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterinnen Dr. Hessel und Dr. Fetzer sowie die Richter Dr. Bünger und Kosziol

beschlossen:
Die im Senatsbeschluss vom 17. November 2015 getroffene Wertfestsetzung wird auf die Gegenvorstellung der Beklagten zu 2 und 3 dahingehend abgeändert, dass der Gebührenstreitwert des Beschwerdeverfahrens im Prozessrechtsverhältnis des Klägers zu den Beklagten zu 2 und 3 insgesamt bis 16.000 € beträgt.

Gründe:

I.

1
Der Kläger ist Mieter einer Wohnung in U. . Mit seiner gegen die Beklagten zu 1, 2 und 3 gerichteten Klage hat er die Beseitigung verschiedener Mängel der von ihm bewohnten Mietwohnung sowie die Feststellung begehrt , dass die Miete bis zur Beseitigung dieser Mängel gemindert sei. Die gegen die Beklagten zu 2 und 3 gerichtete Klage hat in beiden Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde hat der Kläger, soweit diese sich gegen die Beklagten zu 2 und 3 gerichtet hat, die Zulassung der Revision angestrebt, um deren Verurteilung hinsichtlich der begehrten Feststellung (Minderung) und der Beseitigung verschiedener Mängel zu erreichen.
2
Der Senat hat die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers durch Beschluss vom 17. November 2015 zurückgewiesen und den Streitwert insoweit im Prozessrechtsverhältnis zu den Beklagten zu 2 und 3 auf bis 7.000 € festge- setzt. Hiergegen wenden sich die Beklagten zu 2 und 3 mit ihrer Gegenvorstellung und machen geltend, der Wert des Feststellungsanspruchs sei nicht mit dem Jahresbetrag (12 x 225 €), sondern mit demdreieinhalbfachen Jahresbetrag der monatlichen Minderung anzusetzen (42 x 225 €).

II.

3
Die zulässige Gegenvorstellung hat Erfolg.
4
1. Der Gebührenstreitwert einer Klage des Mieters auf Feststellung, die Miete sei gemindert, ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der geltend gemachten Mietminderung zu bemessen. Dies entsprach bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG) vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschlüsse vom 21. September 2005 - XII ZR 256/03, NJW-RR 2006, 16 unter II 3; vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2004 - XII ZR 162/00, NZM 2004, 423 unter [II] 1 d) und gilt entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht auch nach der Erstreckung des § 41 Abs. 5 GKG auf Ansprüche des Mieters wegen der Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2005 - XII ZR 248/04, NJW-RR 2005, 938 unter II 1 a).
5
a) In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, ob der Gebührenstreitwert einer Klage des Mieters auf Feststellung, die Miete sei gemindert , in direkter oder analoger Anwendung des § 41 Abs. 5 GKG in der Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes auf den einfachen Jahresbetrag der geltend gemachten Minderung beschränkt wird. Ein Teil der Rechtsprechung und Literatur befürworten insbesondere mit Blick auf den sozialen Zweck des § 41 Abs. 5 GKG, der sicherstellen soll, dass ein Mieter nicht durch zu hohe Gerichtsgebühren von einer gerichtlichen Prüfung abgehalten wird, eine direkte (OLG Hamburg, OLGR 2009, 707, 708) oder jedenfalls analoge Anwendung dieser Vorschrift (KG, WuM 2014, 155; MDR 2012, 1085 f.; KGR 2009, 760, 761; Beschluss vom 26. August 2010 - 8 W 38/10, juris Rn. 3 ff. [zur Gewerberaummiete ]; OLG Saarbrücken, Urteil vom 8. Mai 2013 - 2 U 3/13, juris Rn. 46; OLG Brandenburg, Urteil vom 10. Juni 2009 - 3 U 169/08, juris Rn. 29; OLG Düsseldorf, OLGR 2009, 645, 646 f.; Meyer, GKG/FamGKG, 15. Aufl., § 41 Rn. 33; Schneider/Herget/Noethen, Streitwertkommentar, 14. Aufl., Rn. 2373; BeckOK-BGB/Ehlert, Stand Mai 2014, § 536 Rn. 114; BeckOKMietR /Schüller, Stand Dezember 2015, § 536 BGB Rn. 20; BeckOKKostR /Schindler, Stand Februar 2016, § 41 GKG Rn. 43, 47; Woitkewitsch, ZMR 2005, 840).
6
Andere Stimmen in Rechtsprechung und Literatur lehnen demgegenüber eine Anwendung des § 41 Abs. 5 GKG auf den Fall der auf Feststellung einer Mietminderung gerichteten Klage ab, da keine planwidrige Regelungslücke vorliege (OLG Frankfurt am Main, NZM 2015, 216, 217; OLG Karlsruhe, MDR 2014, 247, 248; LG Berlin, Beschluss vom 26. Mai 2014 - 65 T 109/14, juris Rn. 2 ff.; WuM 2016, 43, 44 f.; Schneider/Herget/Kurpat, aaO Rn. 3806; NKGK /Kurpat, 2014, § 41 GKG Rn. 50; Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 12. Aufl., § 536 Rn. 527; Selk, Mietmängel und Mängelrechte, 2015, § 536 Rn. 327; Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, 4. Aufl., § 536 Rn. 249; Bub/Treier/ Fischer, Handbuch des Geschäfts- und Wohnraummietrechts, 4. Aufl., Kap. IX Rn. 399; Gellwitzki, JurBüro, 2011, 9). Der Gesetzgeber habe mit der Erweiterung der gebührenrechtlichen Sonderregelung des § 41 Abs. 5 GKG auf Ansprüche auf Instandsetzung lediglich eine spezielle in der Rechtsprechung umstrittene Konstellation regeln wollen (OLG Frankfurt am Main, aaO; OLG Karlsruhe , aaO). Zudem sei eine Klage auf Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen nicht mit einer Feststellungsklage wegen einer Minderung hinreichend vergleichbar, denn die Feststellungsklage sei das Spiegelbild zur Klage des Vermieters auf Zahlung.
7
b) Der Senat entscheidet die Frage dahingehend, dass bei einer Klage des Mieters auf Feststellung, die Miete sei gemindert, § 41 Abs. 5 GKG weder direkt noch analog anzuwenden ist, so dass der Gebührenstreitwert nach den allgemeinen Vorschriften (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO) mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der geltend gemachten Mietminderung anzusetzen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. September 2005 - XII ZR 256/03, aaO; vom 20. April 2005 - XII ZR 248/04, aaO).
8
aa) Eine direkte Anwendung des § 41 Abs. 5 GKG (OLG Hamburg, aaO) ist schon deshalb abzulehnen, weil eine solche mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht vereinbar wäre, denn dieser erfasst "Ansprüche des Mieters auf Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen" (§ 41 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 GKG), nicht aber die Feststellung einer Minderung.
9
bb) Auch eine analoge Anwendung des § 41 Abs. 5 GKG scheidet aus, denn die Voraussetzungen einer Analogie liegen nicht vor.
10
(1) Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung , bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteile vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02, BGHZ 155, 380, 389 f.; vom 17. November 2009 - XI ZR 36/09, BGHZ 183, 169 Rn. 23; vom 21. Januar 2010 - IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101 Rn. 32; jeweils mwN; vom 1. Juli 2014 - VI ZR 345/13, BGHZ 201, 380 Rn. 14; jeweils mwN). Die Lücke muss sich also aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem - dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrundeliegenden - Regelungsplan ergeben (BGH, Urteile vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02, aaO S. 390; vom 17. November 2009 - XI ZR 36/09, aaO; vom 21. Januar 2010 - IX ZR 65/09, aaO; Beschlüsse vom 27. November 2003 - V ZB 43/03, WM 2004, 1594 unter III 3 b bb (2); vom 25. August2015 - X ZB 5/14, GRUR 2015, 1253 Rn. 19), wie er sich aus dem Gesetz selbst im Wege der historischen und teleologischen Auslegung ergibt (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - IX ZR 92/05, BGHZ 170, 187 Rn. 15 mwN) und aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann (BGH, Urteil vom 13. April 2006 - IX ZR 22/05, BGHZ 167, 178, Rn. 18).
11
(2) Eine solche planwidrige Regelungslücke liegt hier nicht vor. Die Regelung des Gebührenstreitwerts bei Ansprüchen des Mieters auf Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen und bei Ansprüchen des Vermieters auf Duldung einer Durchführung von Modernisierungs- oder Erhaltungsmaßnahmen durch § 41 Abs. 5 GKG beruht ausweislich der Gesetzesbegründung auf "vergleichbaren sozialpolitischen Gründen", wie sie § 16 Abs. 1, 2 und 5 GKG aF (§ 41 Abs. 1, 2 und 5 Alt. 1 GKG nF) zugrunde liegen (BT-Drucks. 15/1971, S. 154 f.). Das Ziel der Begrenzung des Streitwerts durch die letztgenannten Vorschriften sieht die Gesetzesbegründung zu § 41 Abs. 5 GKG darin, dass ein Mieter nicht durch hohe Gerichtsgebühren davon abgehalten werden soll, das Bestehen oder die Dauer eines Mietverhältnisses oder etwa die Berechtigung einer Räumung der bisher genutzten Wohnung gerichtlich prüfen zu lassen (BTDrucks. 15/1971, S. 154). Ebenso sei der Wert bei gerichtlichen Auseinandersetzungen um eine Mieterhöhung gemäß § 16 Abs. 5 GKG aF (§ 41 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 GKG nF) begrenzt. Mit jener Vorschrift hatte der Gesetzgeber die Rechtsprechung übernommen (vgl. etwa OLG Hamburg, ZMR 1977, 248 f.; LG Hannover, MDR 1981, 232, 233; LG Ansbach, WuM 1979, 129 f.; LG Dort- mund, ZMR 1979, 176 ff.), welche die Begrenzung des Gebührenstreitwerts durch § 16 Abs. 1 GKG aF ihrem Rechtsgedanken nach auf Fälle der Mieterhöhung übertragen hatte (BT-Drucks. 8/3694, S. 16, 18).
12
Aus diesen Erwägungen des Gesetzgebers geht nicht mit hinreichender Klarheit ein Regelungsplan dahingehend hervor, er habe den Wert von Streitigkeiten wegen Mietmängeln oder über die Höhe der Miete aus sozialpolitischen Gründen stets auf den streitigen Jahresbetrag beschränken wollen. Vielmehr betont die Gesetzesbegründung, mit § 41 Abs. 5 GKG solle der besonderen Situation der Instandsetzung und Modernisierung Rechnung getragen werden (BT-Drucks. 15/1971, S. 155). Dem entspricht, dass der Gesetzgeber keine allgemeine - insbesondere keine Zahlungsklagen betreffende - Begrenzung des Gebührenstreitwerts im Mietrecht geschaffen hat, um sozialpolitischen Belangen Rechnung zu tragen. Er hat sich vielmehr darauf beschränkt, die Regelungen zum (Wohnraum-)Mietrecht im Gerichtskostengesetz jeweils nur punktuell und vor dem Hintergrund einer Kontroverse in der Rechtsprechung zu erweitern , nämlich durch Art. 2 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes über die Prozesskostenhilfe vom 13. Juni 1980 (BGBl. I S. 677 - Prozesskostenhilfegesetz) für die Fälle der Mieterhöhung sowie durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 5. Mai 2004 (aaO) für Fälle der Instandhaltung sowie der Modernisierungsund Erhaltungsmaßnahmen.
13
Hätte der Gesetzgeber darüber hinaus eine Ausweitung der gebührenrechtlichen Privilegierung auch auf Fälle der Minderung gewollt, hätte er zu deren Schaffung im Rahmen der Erweiterung des § 41 Abs. 5 GKG mit dem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz Anlass gehabt. Denn es entsprach zu diesem Zeitpunkt verbreiteter Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, dass Klagen auf Feststellung der Berechtigung zur Mietminderung nicht mit dem Jahresbetrag, sondern mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der Mietminderung zu bewer- ten sind (KG, KGR 2004, 306, 307; LG Paderborn, WuM 2002, 55; LG Frankfurt am Main, NZM 2000, 760; LG Hamburg, WuM 1996, 287; Blank/Börstinghaus, Miete, 2000, § 537 BGB aF Rn. 84; Herrlein/Kandelhard/Schneider, Mietrecht, 2001, § 537 BGB aF Rn. 49; Lützenkirchen, MDR 2003, 1279; vgl. LG Hamburg WuM 1989, 430; Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 8. Aufl., § 537 BGB Rn. 435; Anders/Gehle/Kunze, Streitwertlexikon, 4. Aufl.; Miete und Pacht Rn. 35; vgl. zur Beschwer BGH, Beschluss vom 17. Mai 2000 - XII ZR 314/99, NJW 2000, 3142, 3143; aA OLG Schleswig, OLGR 2003, 260 [Jahresbetrag]).
14
Zwischen einer Klage des Mieters auf Instandsetzung und einer Klage auf Feststellung, die Miete sei gemindert, bestehen zudem Unterschiede von solchem Gewicht, dass sie einer planwidrigen Regelungslücke und damit einem Analogieschluss entgegenstehen. Bei einer Klage auf Feststellung, die Miete sei gemindert, streiten die Parteien - anders als bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf Instandsetzung - ebenso über eine Zahlungsverpflichtung des Mieters wie bei einer den Minderungsbetrag betreffenden Zahlungsklage des Vermieters. Letztere ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats nach den allgemeinen Vorschriften (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG) zu bewerten (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 26. September 1958 - VIII ZR 121/57, NJW 1958, 1967; Senatsurteil vom 13. Dezember 1965, NJW 1966, 778 unter II 2 c; BGH, Beschluss vom 20. April 2005 - XII ZR 248/04, aaO). Für die negative Feststellungsklage eines Mieters, mit der er seine auf dem Mietvertrag beruhende Verpflichtung zur künftigen Entrichtung des Mietzinses leugnet, kann nichts Gegenteiliges gelten. Denn sie stellt in der Sache das Spiegelbild einer Leistungsklage des Vermieters auf Zahlung künftigen Mietzinses dar (BGH, Beschluss vom 20. April 2005 - XII ZR 248/04, aaO), so wie jede negative Feststellungsklage nach gefestigter Rechtsprechung das Gegenstück zur auf die gleiche Forderung gerichteten Zahlungsklage ist, weil ein ihr stattgebendes Urteil auch eine Leistungsklage ausschließt (siehe bereits BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 1951 - III ZR 181/50, BGHZ 2, 276, 277 f.; vom 25. Februar 1997 - XI ZB 3/97, NJW 1997, 1787 unter II 2 b). Daher besteht in Fällen der Minderung ebenso wenig wie bei anderen negativen Feststellungsklagen hinsichtlich der Miethöhe ein Grund, diese anders zu behandeln als eine Klage des Vermieters auf (künftige) Zahlung oder - unbeschadet eines Feststellungsabschlages - eine ihm wahlweise offenstehende (vgl. Senatsurteile vom 19. November 2014 - VIII ZR 79/14, NJW 2015, 873 Rn. 34; vom 21. Januar 2004 - VIII ZR 99/03, NZM 2004, 253 unter II 1 a) Klage auf Feststellung der Höhe der geschuldeten Miete.
15
2. Danach ist der Gebührenstreitwert im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und den Beklagten zu 2 und 3 wegen der begehrten Feststellung auf 9.450 € (42 x 225 €), mithin zuzüglich des geltend gemachten Anspruchs auf Mangelbeseitigung auf insgesamt bis 16.000 € festzusetzen. Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Fetzer Dr. Bünger Kosziol
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 14.11.2013 - 432 C 19117/12 -
LG München I, Entscheidung vom 21.01.2015 - 14 S 26806/13 -

(1) Ist das Bestehen oder die Dauer eines Miet-, Pacht- oder ähnlichen Nutzungsverhältnisses streitig, ist der Betrag des auf die streitige Zeit entfallenden Entgelts und, wenn das einjährige Entgelt geringer ist, dieser Betrag für die Wertberechnung maßgebend. Das Entgelt nach Satz 1 umfasst neben dem Nettogrundentgelt Nebenkosten dann, wenn diese als Pauschale vereinbart sind und nicht gesondert abgerechnet werden.

(2) Wird wegen Beendigung eines Miet-, Pacht- oder ähnlichen Nutzungsverhältnisses die Räumung eines Grundstücks, Gebäudes oder Gebäudeteils verlangt, ist ohne Rücksicht darauf, ob über das Bestehen des Nutzungsverhältnisses Streit besteht, das für die Dauer eines Jahres zu zahlende Entgelt maßgebend, wenn sich nicht nach Absatz 1 ein geringerer Streitwert ergibt. Wird die Räumung oder Herausgabe auch aus einem anderen Rechtsgrund verlangt, ist der Wert der Nutzung eines Jahres maßgebend.

(3) Werden der Anspruch auf Räumung von Wohnraum und der Anspruch nach den §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Fortsetzung des Mietverhältnisses über diesen Wohnraum in demselben Prozess verhandelt, werden die Werte nicht zusammengerechnet.

(4) Bei Ansprüchen nach den §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist auch für die Rechtsmittelinstanz der für den ersten Rechtszug maßgebende Wert zugrunde zu legen, sofern nicht die Beschwer geringer ist.

(5) Bei Ansprüchen auf Erhöhung der Miete für Wohnraum ist der Jahresbetrag der zusätzlich geforderten Miete, bei Feststellung einer Minderung der Miete für Wohnraum der Jahresbetrag der Mietminderung, bei Ansprüchen des Mieters auf Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen der Jahresbetrag einer angemessenen Mietminderung und bei Ansprüchen des Vermieters auf Duldung einer Durchführung von Modernisierungs- oder Erhaltungsmaßnahmen der Jahresbetrag einer möglichen Mieterhöhung, in Ermangelung dessen einer sonst möglichen Mietminderung durch den Mieter maßgebend. Endet das Mietverhältnis vor Ablauf eines Jahres, ist ein entsprechend niedrigerer Betrag maßgebend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZR 43/15
vom
14. Juni 2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Bei einer Klage des Mieters auf Feststellung einer Minderung der Miete ist der
Streitwert nicht gemäß § 41 Abs. 5 Satz 1 GKG analog mit dem einfachen Jahresbetrag
, sondern gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO mit dem dreieinhalbfachen
Jahresbetrag der geltend gemachten Mietminderung zu bemessen (Fortführung
von BGH, Beschlüsse vom 21. September 2005 - XII ZR 256/03, NJW-RR 2006, 16
unter II 3; vom 20. April 2005 - XII ZR 248/04, NJW-RR 2005, 938 unter II 1 a).
BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 - VIII ZR 43/15 - LG München I
AG München
ECLI:DE:BGH:2016:140616BVIIIZR43.15.0

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juni 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterinnen Dr. Hessel und Dr. Fetzer sowie die Richter Dr. Bünger und Kosziol

beschlossen:
Die im Senatsbeschluss vom 17. November 2015 getroffene Wertfestsetzung wird auf die Gegenvorstellung der Beklagten zu 2 und 3 dahingehend abgeändert, dass der Gebührenstreitwert des Beschwerdeverfahrens im Prozessrechtsverhältnis des Klägers zu den Beklagten zu 2 und 3 insgesamt bis 16.000 € beträgt.

Gründe:

I.

1
Der Kläger ist Mieter einer Wohnung in U. . Mit seiner gegen die Beklagten zu 1, 2 und 3 gerichteten Klage hat er die Beseitigung verschiedener Mängel der von ihm bewohnten Mietwohnung sowie die Feststellung begehrt , dass die Miete bis zur Beseitigung dieser Mängel gemindert sei. Die gegen die Beklagten zu 2 und 3 gerichtete Klage hat in beiden Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde hat der Kläger, soweit diese sich gegen die Beklagten zu 2 und 3 gerichtet hat, die Zulassung der Revision angestrebt, um deren Verurteilung hinsichtlich der begehrten Feststellung (Minderung) und der Beseitigung verschiedener Mängel zu erreichen.
2
Der Senat hat die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers durch Beschluss vom 17. November 2015 zurückgewiesen und den Streitwert insoweit im Prozessrechtsverhältnis zu den Beklagten zu 2 und 3 auf bis 7.000 € festge- setzt. Hiergegen wenden sich die Beklagten zu 2 und 3 mit ihrer Gegenvorstellung und machen geltend, der Wert des Feststellungsanspruchs sei nicht mit dem Jahresbetrag (12 x 225 €), sondern mit demdreieinhalbfachen Jahresbetrag der monatlichen Minderung anzusetzen (42 x 225 €).

II.

3
Die zulässige Gegenvorstellung hat Erfolg.
4
1. Der Gebührenstreitwert einer Klage des Mieters auf Feststellung, die Miete sei gemindert, ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der geltend gemachten Mietminderung zu bemessen. Dies entsprach bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG) vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschlüsse vom 21. September 2005 - XII ZR 256/03, NJW-RR 2006, 16 unter II 3; vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2004 - XII ZR 162/00, NZM 2004, 423 unter [II] 1 d) und gilt entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht auch nach der Erstreckung des § 41 Abs. 5 GKG auf Ansprüche des Mieters wegen der Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2005 - XII ZR 248/04, NJW-RR 2005, 938 unter II 1 a).
5
a) In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, ob der Gebührenstreitwert einer Klage des Mieters auf Feststellung, die Miete sei gemindert , in direkter oder analoger Anwendung des § 41 Abs. 5 GKG in der Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes auf den einfachen Jahresbetrag der geltend gemachten Minderung beschränkt wird. Ein Teil der Rechtsprechung und Literatur befürworten insbesondere mit Blick auf den sozialen Zweck des § 41 Abs. 5 GKG, der sicherstellen soll, dass ein Mieter nicht durch zu hohe Gerichtsgebühren von einer gerichtlichen Prüfung abgehalten wird, eine direkte (OLG Hamburg, OLGR 2009, 707, 708) oder jedenfalls analoge Anwendung dieser Vorschrift (KG, WuM 2014, 155; MDR 2012, 1085 f.; KGR 2009, 760, 761; Beschluss vom 26. August 2010 - 8 W 38/10, juris Rn. 3 ff. [zur Gewerberaummiete ]; OLG Saarbrücken, Urteil vom 8. Mai 2013 - 2 U 3/13, juris Rn. 46; OLG Brandenburg, Urteil vom 10. Juni 2009 - 3 U 169/08, juris Rn. 29; OLG Düsseldorf, OLGR 2009, 645, 646 f.; Meyer, GKG/FamGKG, 15. Aufl., § 41 Rn. 33; Schneider/Herget/Noethen, Streitwertkommentar, 14. Aufl., Rn. 2373; BeckOK-BGB/Ehlert, Stand Mai 2014, § 536 Rn. 114; BeckOKMietR /Schüller, Stand Dezember 2015, § 536 BGB Rn. 20; BeckOKKostR /Schindler, Stand Februar 2016, § 41 GKG Rn. 43, 47; Woitkewitsch, ZMR 2005, 840).
6
Andere Stimmen in Rechtsprechung und Literatur lehnen demgegenüber eine Anwendung des § 41 Abs. 5 GKG auf den Fall der auf Feststellung einer Mietminderung gerichteten Klage ab, da keine planwidrige Regelungslücke vorliege (OLG Frankfurt am Main, NZM 2015, 216, 217; OLG Karlsruhe, MDR 2014, 247, 248; LG Berlin, Beschluss vom 26. Mai 2014 - 65 T 109/14, juris Rn. 2 ff.; WuM 2016, 43, 44 f.; Schneider/Herget/Kurpat, aaO Rn. 3806; NKGK /Kurpat, 2014, § 41 GKG Rn. 50; Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 12. Aufl., § 536 Rn. 527; Selk, Mietmängel und Mängelrechte, 2015, § 536 Rn. 327; Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, 4. Aufl., § 536 Rn. 249; Bub/Treier/ Fischer, Handbuch des Geschäfts- und Wohnraummietrechts, 4. Aufl., Kap. IX Rn. 399; Gellwitzki, JurBüro, 2011, 9). Der Gesetzgeber habe mit der Erweiterung der gebührenrechtlichen Sonderregelung des § 41 Abs. 5 GKG auf Ansprüche auf Instandsetzung lediglich eine spezielle in der Rechtsprechung umstrittene Konstellation regeln wollen (OLG Frankfurt am Main, aaO; OLG Karlsruhe , aaO). Zudem sei eine Klage auf Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen nicht mit einer Feststellungsklage wegen einer Minderung hinreichend vergleichbar, denn die Feststellungsklage sei das Spiegelbild zur Klage des Vermieters auf Zahlung.
7
b) Der Senat entscheidet die Frage dahingehend, dass bei einer Klage des Mieters auf Feststellung, die Miete sei gemindert, § 41 Abs. 5 GKG weder direkt noch analog anzuwenden ist, so dass der Gebührenstreitwert nach den allgemeinen Vorschriften (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO) mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der geltend gemachten Mietminderung anzusetzen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. September 2005 - XII ZR 256/03, aaO; vom 20. April 2005 - XII ZR 248/04, aaO).
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aa) Eine direkte Anwendung des § 41 Abs. 5 GKG (OLG Hamburg, aaO) ist schon deshalb abzulehnen, weil eine solche mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht vereinbar wäre, denn dieser erfasst "Ansprüche des Mieters auf Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen" (§ 41 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 GKG), nicht aber die Feststellung einer Minderung.
9
bb) Auch eine analoge Anwendung des § 41 Abs. 5 GKG scheidet aus, denn die Voraussetzungen einer Analogie liegen nicht vor.
10
(1) Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung , bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteile vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02, BGHZ 155, 380, 389 f.; vom 17. November 2009 - XI ZR 36/09, BGHZ 183, 169 Rn. 23; vom 21. Januar 2010 - IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101 Rn. 32; jeweils mwN; vom 1. Juli 2014 - VI ZR 345/13, BGHZ 201, 380 Rn. 14; jeweils mwN). Die Lücke muss sich also aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem - dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrundeliegenden - Regelungsplan ergeben (BGH, Urteile vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02, aaO S. 390; vom 17. November 2009 - XI ZR 36/09, aaO; vom 21. Januar 2010 - IX ZR 65/09, aaO; Beschlüsse vom 27. November 2003 - V ZB 43/03, WM 2004, 1594 unter III 3 b bb (2); vom 25. August2015 - X ZB 5/14, GRUR 2015, 1253 Rn. 19), wie er sich aus dem Gesetz selbst im Wege der historischen und teleologischen Auslegung ergibt (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - IX ZR 92/05, BGHZ 170, 187 Rn. 15 mwN) und aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann (BGH, Urteil vom 13. April 2006 - IX ZR 22/05, BGHZ 167, 178, Rn. 18).
11
(2) Eine solche planwidrige Regelungslücke liegt hier nicht vor. Die Regelung des Gebührenstreitwerts bei Ansprüchen des Mieters auf Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen und bei Ansprüchen des Vermieters auf Duldung einer Durchführung von Modernisierungs- oder Erhaltungsmaßnahmen durch § 41 Abs. 5 GKG beruht ausweislich der Gesetzesbegründung auf "vergleichbaren sozialpolitischen Gründen", wie sie § 16 Abs. 1, 2 und 5 GKG aF (§ 41 Abs. 1, 2 und 5 Alt. 1 GKG nF) zugrunde liegen (BT-Drucks. 15/1971, S. 154 f.). Das Ziel der Begrenzung des Streitwerts durch die letztgenannten Vorschriften sieht die Gesetzesbegründung zu § 41 Abs. 5 GKG darin, dass ein Mieter nicht durch hohe Gerichtsgebühren davon abgehalten werden soll, das Bestehen oder die Dauer eines Mietverhältnisses oder etwa die Berechtigung einer Räumung der bisher genutzten Wohnung gerichtlich prüfen zu lassen (BTDrucks. 15/1971, S. 154). Ebenso sei der Wert bei gerichtlichen Auseinandersetzungen um eine Mieterhöhung gemäß § 16 Abs. 5 GKG aF (§ 41 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 GKG nF) begrenzt. Mit jener Vorschrift hatte der Gesetzgeber die Rechtsprechung übernommen (vgl. etwa OLG Hamburg, ZMR 1977, 248 f.; LG Hannover, MDR 1981, 232, 233; LG Ansbach, WuM 1979, 129 f.; LG Dort- mund, ZMR 1979, 176 ff.), welche die Begrenzung des Gebührenstreitwerts durch § 16 Abs. 1 GKG aF ihrem Rechtsgedanken nach auf Fälle der Mieterhöhung übertragen hatte (BT-Drucks. 8/3694, S. 16, 18).
12
Aus diesen Erwägungen des Gesetzgebers geht nicht mit hinreichender Klarheit ein Regelungsplan dahingehend hervor, er habe den Wert von Streitigkeiten wegen Mietmängeln oder über die Höhe der Miete aus sozialpolitischen Gründen stets auf den streitigen Jahresbetrag beschränken wollen. Vielmehr betont die Gesetzesbegründung, mit § 41 Abs. 5 GKG solle der besonderen Situation der Instandsetzung und Modernisierung Rechnung getragen werden (BT-Drucks. 15/1971, S. 155). Dem entspricht, dass der Gesetzgeber keine allgemeine - insbesondere keine Zahlungsklagen betreffende - Begrenzung des Gebührenstreitwerts im Mietrecht geschaffen hat, um sozialpolitischen Belangen Rechnung zu tragen. Er hat sich vielmehr darauf beschränkt, die Regelungen zum (Wohnraum-)Mietrecht im Gerichtskostengesetz jeweils nur punktuell und vor dem Hintergrund einer Kontroverse in der Rechtsprechung zu erweitern , nämlich durch Art. 2 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes über die Prozesskostenhilfe vom 13. Juni 1980 (BGBl. I S. 677 - Prozesskostenhilfegesetz) für die Fälle der Mieterhöhung sowie durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 5. Mai 2004 (aaO) für Fälle der Instandhaltung sowie der Modernisierungsund Erhaltungsmaßnahmen.
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Hätte der Gesetzgeber darüber hinaus eine Ausweitung der gebührenrechtlichen Privilegierung auch auf Fälle der Minderung gewollt, hätte er zu deren Schaffung im Rahmen der Erweiterung des § 41 Abs. 5 GKG mit dem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz Anlass gehabt. Denn es entsprach zu diesem Zeitpunkt verbreiteter Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, dass Klagen auf Feststellung der Berechtigung zur Mietminderung nicht mit dem Jahresbetrag, sondern mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der Mietminderung zu bewer- ten sind (KG, KGR 2004, 306, 307; LG Paderborn, WuM 2002, 55; LG Frankfurt am Main, NZM 2000, 760; LG Hamburg, WuM 1996, 287; Blank/Börstinghaus, Miete, 2000, § 537 BGB aF Rn. 84; Herrlein/Kandelhard/Schneider, Mietrecht, 2001, § 537 BGB aF Rn. 49; Lützenkirchen, MDR 2003, 1279; vgl. LG Hamburg WuM 1989, 430; Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 8. Aufl., § 537 BGB Rn. 435; Anders/Gehle/Kunze, Streitwertlexikon, 4. Aufl.; Miete und Pacht Rn. 35; vgl. zur Beschwer BGH, Beschluss vom 17. Mai 2000 - XII ZR 314/99, NJW 2000, 3142, 3143; aA OLG Schleswig, OLGR 2003, 260 [Jahresbetrag]).
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Zwischen einer Klage des Mieters auf Instandsetzung und einer Klage auf Feststellung, die Miete sei gemindert, bestehen zudem Unterschiede von solchem Gewicht, dass sie einer planwidrigen Regelungslücke und damit einem Analogieschluss entgegenstehen. Bei einer Klage auf Feststellung, die Miete sei gemindert, streiten die Parteien - anders als bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf Instandsetzung - ebenso über eine Zahlungsverpflichtung des Mieters wie bei einer den Minderungsbetrag betreffenden Zahlungsklage des Vermieters. Letztere ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats nach den allgemeinen Vorschriften (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG) zu bewerten (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 26. September 1958 - VIII ZR 121/57, NJW 1958, 1967; Senatsurteil vom 13. Dezember 1965, NJW 1966, 778 unter II 2 c; BGH, Beschluss vom 20. April 2005 - XII ZR 248/04, aaO). Für die negative Feststellungsklage eines Mieters, mit der er seine auf dem Mietvertrag beruhende Verpflichtung zur künftigen Entrichtung des Mietzinses leugnet, kann nichts Gegenteiliges gelten. Denn sie stellt in der Sache das Spiegelbild einer Leistungsklage des Vermieters auf Zahlung künftigen Mietzinses dar (BGH, Beschluss vom 20. April 2005 - XII ZR 248/04, aaO), so wie jede negative Feststellungsklage nach gefestigter Rechtsprechung das Gegenstück zur auf die gleiche Forderung gerichteten Zahlungsklage ist, weil ein ihr stattgebendes Urteil auch eine Leistungsklage ausschließt (siehe bereits BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 1951 - III ZR 181/50, BGHZ 2, 276, 277 f.; vom 25. Februar 1997 - XI ZB 3/97, NJW 1997, 1787 unter II 2 b). Daher besteht in Fällen der Minderung ebenso wenig wie bei anderen negativen Feststellungsklagen hinsichtlich der Miethöhe ein Grund, diese anders zu behandeln als eine Klage des Vermieters auf (künftige) Zahlung oder - unbeschadet eines Feststellungsabschlages - eine ihm wahlweise offenstehende (vgl. Senatsurteile vom 19. November 2014 - VIII ZR 79/14, NJW 2015, 873 Rn. 34; vom 21. Januar 2004 - VIII ZR 99/03, NZM 2004, 253 unter II 1 a) Klage auf Feststellung der Höhe der geschuldeten Miete.
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2. Danach ist der Gebührenstreitwert im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und den Beklagten zu 2 und 3 wegen der begehrten Feststellung auf 9.450 € (42 x 225 €), mithin zuzüglich des geltend gemachten Anspruchs auf Mangelbeseitigung auf insgesamt bis 16.000 € festzusetzen. Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Fetzer Dr. Bünger Kosziol
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 14.11.2013 - 432 C 19117/12 -
LG München I, Entscheidung vom 21.01.2015 - 14 S 26806/13 -

(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt.

(2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder
2.
das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.

(3) Der Berufungskläger hat den Wert nach Absatz 2 Nr. 1 glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf er nicht zugelassen werden.

(4) Das Gericht des ersten Rechtszuges lässt die Berufung zu, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und
2.
die Partei durch das Urteil mit nicht mehr als 600 Euro beschwert ist.
Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden.