Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Jan. 2015 - VI ZR 551/13

bei uns veröffentlicht am13.01.2015
vorgehend
Landgericht Verden (Aller), 5 O 144/11, 21.02.2013
Oberlandesgericht Celle, 1 U 23/13, 25.11.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIZR 551/13
vom
13. Januar 2015
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Januar 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Pauge, Stöhr, Offenloch und die
Richterin Dr. Oehler

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 25. November 2013 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: 24.618,89 €

Gründe:

I.

1
Der Kläger nimmt die Beklagten im Betragsverfahren auf Ersatz materiellen Schadens in Anspruch, nachdem deren gesamtschuldnerische Haftung wegen grob fehlerhafter ärztlicher Behandlung (Übersehen eines Kleinhirninfarkts mangels Durchführung eines MRT), die zur Erwerbsunfähigkeit des Klägers geführt hat, durch rechtskräftiges Grundurteil festgestellt worden ist. Das Landgericht hat die Beklagten im Schlussurteil zur Zahlung von 198.324,43 € verurteilt. In diesem Betrag ist ein Verdienstausfall für den Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis zum 31. Mai 2011 in Höhe von 157.622,40 € enthalten. Das Berufungsge- richt hat die Berufung zurückgewiesen, die sich nur auf die Höhe des Verdienstausfalls bezieht. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wenden sich die Beklagten gegen das Berufungsurteil, soweit der Verdienstausfall auf mehr als 133.003,51 € festgesetzt wurde.

II.

2
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
3
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 2009 - VI ZR 275/08, VersR 2009, 1137 Rn. 2 mwN).
4
2. So verhält es sich im Streitfall. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, das Berufungsgericht habe gehörswidrig Vorbringen der Beklagten zum Abzug für ersparte Aufwendungen, insbesondere für Fahrtkosten zur 130 km entfernten Arbeitsstelle des Klägers, gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO unberücksichtigt gelassen.
5
a) Der insoweit neue Vortrag in der Berufungsinstanz ist unstreitig geblieben , weshalb er vom Berufungsgericht nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO hätte zurückgewiesen werden dürfen. Denn unstreitige Tatsachen, die erstmals im Berufungsrechtszug vorgetragen werden, sind stets zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 18. November 2004 - IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, 141 ff., juris Rn. 11 ff.; Beschluss vom 23. Juni 2008 - GSZ 1/08, BGHZ 177, 212 Rn. 10, juris Rn. 10; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 531 Rn. 20 mwN), und zwar selbst dann, wenn der unstreitige Vortrag im Hinblick auf Folgefragen eine Beweisaufnahme erfordert (BGH, Urteile vom 18. November 2004 - IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, 144 f., juris Rn. 20; vom 16. Oktober 2008 - IX ZR 135/07, VersR 2010, 86 Rn. 22). Hier waren die Tatsachen, aufgrund derer die Beklagten ersparte Aufwendungen geltend machen, hinsichtlich der Fahrtkosten unstreitig. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz selbst vorgetragen, Arbeits- und Wohnort seien schon in erster Instanz bekannt gewesen.
6
b) Die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich, weil auch die vom Berufungsgericht angestellte Hilfserwägung das Urteil nicht trägt.
7
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, unabhängig von der Zurückweisung des Vortrags ersparter Aufwendungen habe der Kläger zu Recht darauf hingewiesen, dass den ersparten Fahrtkosten auch Nachteile gegenüberstünden , weil für das Kraftfahrzeug des Klägers weiterhin Unterhaltskosten angefallen seien, obwohl ihm dessen Nutzung nicht mehr möglich gewesen sei. Ferner erleide er steuerliche Nachteile, weil er die berufsbedingten Fahrtkosten nicht mehr als Werbungskosten ansetzen könne. Ob die Vorteile die Nachteile überwögen , sei weder dargetan noch erkennbar.
8
Soweit das Berufungsgericht auf die fehlende Darlegung der Beklagten verweist, überspannt es die Anforderungen an deren Darlegungslast. Die Be- klagten genügten als Schädiger ihrer Darlegungslast, indem sie ersparte Aufwendungen im Hinblick auf beruflich bedingte Fahrtkosten einwandten (vgl. Senat , Urteil vom 10. Februar 1987 - VI ZR 17/86, VersR 1987, 668, 669, juris Rn. 9; OLG München, Urteil vom 21. Mai 2010 - 10 U 2853/06, juris Rn. 366; OLG Sachsen-Anhalt, Schaden-Praxis 1999, 90, juris Rn. 4). Es oblag nicht ihnen, zugleich auf Nachteile hinzuweisen, die den Vorteilen wieder gegenüberstanden. Insbesondere mussten sie nicht die Höhe eventueller Nachteile darlegen. Es war vielmehr Aufgabe des Gerichts, gegebenenfalls gemäß § 287 ZPO eine Schadensschätzung vorzunehmen und dazu die erforderlichen Feststellungen zu treffen.
9
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht dann, wenn es auf der Basis einer geeigneten Schätzgrundlage und ggf. nach einer Beweisaufnahme geprüft hätte, ob die Vorteile die Nachteile überwiegen, zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Wegen der deswegen erheblichen Verletzung des rechtlichen Gehörs ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei der neuen Ver- handlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, auch die weiteren Einwendungen der Beklagten zu berücksichtigen. Galke Pauge Stöhr Offenloch Oehler
Vorinstanzen:
LG Verden, Entscheidung vom 21.02.2013 - 5 O 144/11 -
OLG Celle, Entscheidung vom 25.11.2013 - 1 U 23/13 -

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung


(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit e

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 531 Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel


(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen. (2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie1.einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht

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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

2
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BVerfGE 50, 32, 35; 60, 247, 249; NJW 2003, 1655; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 - IX ZR 173/03 - VersR 2007, 666; vom 12. Dezember 2007 - IV ZR 178/06 - VersR 2008, 483).

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

10
1. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind unstreitige Tatsachen, die erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragen werden, unabhängig von den Zulassungsvoraussetzungen des § 531 ZPO zu berücksichtigen. Aus der den Zweck des Zivilprozesses und der Präklusionsvorschriften berücksichtigenden Auslegung der § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 ZPO ergibt sich, dass unter „neue Angriffs- und Verteidigungsmittel“ im Sinne des § 531 ZPO lediglich streitiges und damit beweisbedürftiges Vorbringen fällt. Nicht beweisbedürftiges Vorbringen hat das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 ZPO seiner Entscheidung ohne weiteres zugrunde zu legen (BGHZ 161, 138, 141 ff.; 166, 29, 31, Tz. 6; BGH, Urteile vom 6. Dezember 2004 - II ZR 394/02, WM 2005, 295, 296, vom 13. Juli 2005 - IV ZR 47/04, FamRZ 2005, 1555, 1557, vom 19. Oktober 2005 - IV ZR 89/05, NJW 2006, 298, 299, Tz. 19, vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, WM 2007, 1932, 1938, Tz. 63 und Beschluss vom 21. Februar 2006 - VIII ZR 61/04, WM 2006, 1115, Tz. 5). Die in der Literatur daran geübte Kritik (vgl. Ostermeier ZZP 120 (2007), 219 ff.) gibt zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass. Dabei kann hier offen bleiben, ob das neue unstreitige Vorbringen auch dann zuzulassen ist, wenn infolge seiner Berücksichtigung eine bis dahin nicht notwendige Beweisaufnahme erforderlich wird (so BGHZ 161, 138, 144).
22
b) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung führt der Umstand, dass hinsichtlich der Sekundäransprüche weitere Feststellungen erforderlich sind, nicht dazu, dass die Verjährungseinreden insgesamt nicht zuzulassen sind. § 531 Abs. 2 ZPO stellt nicht darauf ab, ob der Rechtsstreit durch die Berücksichtigung des neuen Vortrags verzögert wird. Neuer unstreitiger Tatsachenvortrag ist in der Berufungsinstanz selbst dann zuzulassen, wenn dies dazu führt, dass vor einer Sachentscheidung eine Beweisaufnahme erforderlich wird (BGHZ 161, 138, 144; offen gelassen allerdings von BGH, Beschl. v. 23. Juni 2008 - GSZ 1/08, Rn. 10). Gleiches gilt für die Einrede der Verjährung.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.