Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Nov. 2009 - VI ZB 69/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Beklagte hat gegen das ihm am 31. März 2008 zugestellte Urteil des Landgerichts am 29. April 2008 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist lief am 2. Juni 2008 (Montag) ab. Die Berufungsbegründung ist beim Berufungsgericht am 11. Juni 2008 eingegangen. Mit Schreiben vom 27. Juni 2008 hat das Berufungsgericht auf die Unzulässigkeit der Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO wegen Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen. Daraufhin hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 4. Juli 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er hat geltend gemacht, sein Prozessbevollmächtigter habe am 26. Mai 2008 einen Fristverlängerungsantrag zur Post gegeben, der verloren gegangen sein müsse. Nach Postversendung des Fristverlängerungsantrages und Abheften einer Fotokopie davon in der Handakte habe die Kanzleiangestellte M. die Frist bis 2. Juni 2008 im Terminkalender gestrichen und als neue Frist für die Berufungsbegründung den 13. Juni 2008 notiert.
- 2
- Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
II.
- 3
- Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich nicht.
- 4
- 1. Das Berufungsgericht hat die Versagung der Wiedereinsetzung wie folgt begründet: Aus dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ergebe sich ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten dahin gehend, dass die gerichtliche Fristverlängerung nicht kontrolliert werde. Dazu habe er ausgeführt, er habe angesichts der Begründung des Antrags darauf vertrauen dürfen, dass die Fristverlängerung antragsgemäß bewilligt werde. Allerdings sei er grundsätzlich gehalten, zunächst das hypothetische Ende der Fristverlängerung einzutragen und nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung zu überprüfen. Eine gerichtliche Mitteilung sei offenbar nicht erwartet worden, eine entsprechende Kontrolle sei deshalb nicht erfolgt. Durch die Formulierung des letzten Absatzes des Fristverlängerungsantrages werde auf eine gerichtliche Mitteilung verzichtet. Die erforderliche Kontrolle könne unter diesen Umständen nicht er- folgen. Wäre im Büro des Prozessbevollmächtigten die Anweisung erteilt wor- den, die hypothetische Frist nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung zu kontrollieren , so wäre noch während der bis zum 2. Juni 2008 laufenden Berufungsbegründungsfrist festgestellt worden, dass der Verlängerungsantrag bei Gericht nicht angekommen sei.
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- 2. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil ein dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten vorliegt.
- 6
- a) Dabei kann davon ausgegangen werden, dass der Fristverlängerungsantrag wie vorgetragen zur Post gegeben wurde, dann aber verloren ging. Insoweit weist die Rechtsbeschwerde zutreffend darauf hin, dass dem Prozessbevollmächtigten einer Partei der Verlust eines fristwahrenden Schriftsatzes auf dem Postweg nicht anzulasten sei, dass er auf die Einhaltung der normalen Postlaufzeiten vertrauen dürfe und dass er grundsätzlich nicht verpflichtet sei, sich bei Gericht nach dem Eingang eines Schriftsatzes telefonisch zu erkundi- gen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2007 - VI ZB 65/06 - VersR 2008, 234, 235, m.w.N.). Ferner ist davon auszugehen, dass der Prozessbevollmächtigte mit einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch das Gericht rechnen durfte. Denn ein Rechtsanwalt darf regelmäßig erwarten, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn er einen erheblichen Grund - hier: ständiger Auslandsaufenthalt des Beklagten sowie Auslandsaufenthalte und Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten wegen vorrangiger Fristsachen - vorträgt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 13. Dezember 2005 - VI ZB 52/05 - VersR 2006, 568; vom 20. Juni 2006 - VI ZB 14/06 - Juris Rn. 6; vom 16. Oktober 2007 - VI ZB 65/06 - aaO).
- 7
- b) Es ist aber weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten durch eine ordnungsgemäße Organisation der Fristenkontrolle in seiner Kanzlei dafür Sorge getragen hat, dass nach einem Fristverlängerungsantrag die Frist nicht versäumt wird.
- 8
- aa) Bei Zustellung des Urteils sind die Berufungsfrist und die Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender einzutragen. Wird die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, darf sie nicht in der Weise vorgemerkt werden, dass schon mit der Antragstellung der Endpunkt der Frist im Kalender eingetragen wird, als ob sie bereits zu diesem Zeitpunkt bewilligt worden sei. Es handelt sich nämlich zunächst um eine hypothetische Frist, da der Vorsitzende die Frist auch auf einen kürzeren Zeitraum als beantragt bewilligen kann. Der Eintrag des endgültigen Fristablaufs ist deshalb erst dann zulässig, wenn die Verlängerung tatsächlich gewährt worden ist. In jedem Fall ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass vor dem Ablauf der Frist, deren Verlängerung beantragt worden ist, das wirkliche Ende der Frist - gegebenenfalls durch Rückfrage bei Gericht - festgestellt wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. Juni 2006 - VI ZB 14/06 - Juris Rn. 7; vom 16. Oktober 2007 - VI ZB 65/06 - aaO; BGH, Beschluss vom 26. Juni 2006 - II ZB 26/05 - VersR 2007, 713, jeweils m.w.N.). Das gilt auch, wenn die Fristverlängerung bereits einige Tage vor Fristablauf beantragt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99 - NJW-RR 1999, 1663).
- 9
- bb) Weder die Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs noch die Rechtsbeschwerde enthalten Vortrag dazu, dass im Büro des Prozessbevollmächtigten des Beklagten die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen vorgesehen waren. Dieser durfte auf die Gewährung der beantragten Fristverlängerung nicht so lange vertrauen, wie er keine anders lautende Nachricht vom Gericht erhielt. Er hätte sich vielmehr rechtzeitig über das wirkliche Ende der Frist, gegebenenfalls durch Rückfrage bei Gericht, Gewissheit verschaffen müssen, nachdem keine entsprechende Verfügung zugegangen war (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. Juni 2006 - VI ZB 14/06 - Juris Rn. 8; vom 16. Oktober 2007 - VI ZB 65/06 - aaO).
- 10
- Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war dieses Versäumnis kausal für die Fristversäumung. Da die Kanzleiangestellte M. die Frist bis 2. Juni 2008 im Terminkalender gestrichen und als neue Frist für die Berufungsbegründung den 13. Juni 2008 notiert hatte, wurde die Akte dem Prozessbevollmächtigten nicht mehr im Hinblick auf die möglicherweise bereits am 2. Juni 2008 ablaufende Frist vorgelegt. Wäre diese Frist nicht gelöscht, son- dern lediglich bei ihr der Verlängerungsantrag vermerkt worden, hätte eine solche Vorlage erfolgen müssen. Es hätte sich dann herausgestellt, dass auf den bereits am 26. Mai 2008 abgesandten Fristverlängerungsantrag noch keine Reaktion des Gerichts vorlag. Eine Nachfrage bei Gericht hätte sodann ergeben , dass der Antrag dort nicht eingegangen war, so dass noch am 2. Juni 2008 entweder ein erneuter Verlängerungsantrag hätte gestellt oder aber die Berufungsbegründung hätte eingereicht werden können.
- 11
- Unter diesen Umständen ist es im Ergebnis unerheblich, ob das Berufungsgericht dem letzten Absatz des Fristverlängerungsantrags eine unrichtige Bedeutung beigemessen hat. Dort heißt es: "Sollte ich keine anders lautende Nachricht erhalten, gehe ich davon aus, dass die beantragte Fristverlängerung gewährt wird". Die Rechtsbeschwerde führt aus, diese Formulierung enthalte keinen Verzicht auf die Mitteilung der bewilligten Verlängerung und damit auf die Feststellung der wirklichen Frist, sondern solle nur der Erwartung des Anwalts Ausdruck verleihen, dass sein erster, ordnungsgemäß begründeter Verlängerungsantrag nicht ohne "Vorwarnung" abgelehnt werde; als Verzicht auf die Mitteilung der Bewilligung der Verlängerung könne die Formu- lierung nicht aufgefasst werden, weil es dieser Mitteilung für den Anwalt bedürfe , um die Abgleichung der zunächst nur hypothetischen (beantragten) Frist mit der wirklichen (bewilligten) Frist zu ermöglichen. Dies ist im Ansatz zutreffend. Allerdings hat die Abgleichung mit dem Ziel der Einhaltung der tatsächlich laufenden Frist zu erfolgen, bei der es sich auch um die ursprüngliche Frist handeln kann, wenn eine Verlängerung - aus welchen Gründen auch immer - nicht erfolgt. Dies ist ersichtlich nur dann möglich, wenn die ursprüngliche Frist nicht bereits bei Absendung des Verlängerungsantrags gestrichen wird. Galke Zoll Wellner Diederichsen Stöhr
LG Hamburg, Entscheidung vom 29.04.2008 - 331 O 45/04 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 29.08.2008 - 10 U 28/08 -
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.