Bundesgerichtshof Beschluss, 20. März 2019 - 3 StR 452/18

bei uns veröffentlicht am20.03.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 452/18
vom
20. März 2019
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes
ECLI:DE:BGH:2019:200319B3STR452.18.1

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 20. März 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 25. April 2018, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Einziehung von Taterträgen dahin geändert , dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 7.000 € angeordnet wird, wofür der Angeklagte als Gesamtschuldner haftet.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Prozessvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses liegt vor. Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift sowie auf den in dieser Sache am heutigen Tag ergangenen Senatsbeschluss betreffend den Mitangeklagten C. (BGH, Beschluss vom 20. März 2019 - 3 StR 452/18) Bezug.
3
2. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Zu den mit der Revision vorgebrachten Beanstandungen des Strafausspruchs gilt Folgendes:
4
Soweit sie einen Rechtsfehler darin sieht, dass die Jugendkammer sich bei der Bemessung der Jugendstrafe "vorrangig von dem Erziehungsgedanken [hat] leiten lassen", nimmt sie im Ansatz zutreffend Bezug auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, nach denen dem Erziehungsgedanken bei der Bestimmung von Art und Dauer der Sanktion für die Tat des zum Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils im strafrechtlichen Sinne erwachsenen Angeklagten ein mit dem Fortschreiten des Lebensalters immer geringer werdendes Gewicht zukommt (BGH, Beschlüsse vom 5. April 2017 - 1 StR 76/17, NStZ-RR 2017, 231; vom 8. März 2016 - 3 StR 417/15, NStZ 2016, 680, 681; vom 20. August 2015 - 3 StR 214/15, NStZ 2016, 101; vom 17. März 2006 - 1 StR 577/05, NStZ 2006, 587, 588; Urteil vom 31. August 2004 - 1 StR 213/04, juris Rn. 12 mwN).
5
Das macht es indes nicht insgesamt rechtsfehlerhaft, den Erziehungsgedanken überhaupt zu berücksichtigen. In ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und auch in den oben zitierten Entscheidungen ist vielmehr stets betont worden, dass der Erziehungsgedanke bei der Bemessung der Jugendstrafe grundsätzlich immer einzustellen sei; die Urteilsgründe müssen in jedem Fall erkennen lassen, dass ihm die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 19. April 2016 - 1 StR 95/16, NStZ 2016, 683). Soweit andere Strafzwecke, etwa derjenige eines gerechten Schuldausgleichs, ebenfalls in Ansatz zu bringen sind, ist vom Tatgericht im Rahmen einer umfassenden Abwägung festzulegen, welches Gewicht den einzelnen Zumessungserwägungen im Einzelfall zukommt (BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 - 2 StR 150/18, NStZ 2018, 728, 729).
6
Dies ergibt sich auch aus folgenden Erwägungen: Nach § 1 Abs. 2 JGG, gegebenenfalls im Zusammenhang mit § 105 Abs. 1 JGG, kommt das am Erziehungsgedanken ausgerichtete (vgl. § 2 Abs. 1 JGG) Jugendstrafrecht unabhängig vom Alter des Täters im Zeitpunkt der Aburteilung zur Anwendung, wenn er bei Begehung der Tat Jugendlicher oder Heranwachsender war. Selbst im Erwachsenenalter begangene Straftaten sind nach den aufgezeigten Regeln des Jugendstrafrechts zu beurteilen, wenn sie gleichzeitig mit Verfehlungen abgeurteilt werden, auf die das Jugendstrafrecht anzuwenden ist und der Schwerpunkt der Taten auf letzteren liegt (vgl. § 32 Satz 1 JGG). Auch die Neuregelung des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG und die dazu abgegebene Gesetzesbegründung zeigen, dass der Erziehungsgedanke aus Sicht des Gesetzgebers auch bei Tätern im Alter über 21 Jahren relevant ist, weil die Erhöhung der maximalen Jugendstrafe auf 15 Jahre gegen Heranwachsende wegen Mordes, deren Vollstreckung weit in das Erwachsenenalter hineinreicht, nur verhängt werden soll, wenn dies "auch unter Berücksichtigung des leitenden Erziehungsgedankens" geboten ist (BT-Drucks. 17/9389 S. 20; vgl. zum Ganzen auch BGH, Beschluss vom 29. November 2017 - 2 StR 460/16, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 12).
7
Soweit der Senat in zwei jüngeren Entscheidungen offen gelassen hat, ob die bisherige Rechtsprechung dahin weiter zu entwickeln sei, dass bei der Verhängung von Sanktionen gegen Straftäter, die zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung bereits das 21. Lebensjahr vollendet haben und somit im strafrechtlichen Sinne als erwachsen gelten, der Erziehungsgedanke nicht mehr nur von geringem Gewicht sein könne, sondern insgesamt kein taugliches Strafzumessungskriterium mehr darstelle (BGH, Beschlüsse vom 8. März 2016 - 3 StR 417/15, NStZ 2016, 680, 681; vom 20. August 2015 - 3 StR 214/15, NStZ 2016, 101, 102), gibt der vorliegende Fall keinen Anlass, diese Frage nunmehr zu entscheiden. Denn aus den nachfolgenden Gründen stellt auch eine etwaige Überbetonung des Erziehungsgedankens durch die Jugendkammer keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten dar. Insoweit gilt:
8
Es ist auszuschließen, dass das Landgericht auf eine niedrigere Jugendstrafe erkannt hätte, wenn es den Erziehungsgedanken nicht oder nur in geringerem Umfang bei der Strafbemessung berücksichtigt hätte. Mit dem (teilweisen ) Zurücktreten des Erziehungsgedankens wäre insbesondere der Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs - gleichsam wie im Erwachsenenstrafrecht - mehr in den Vordergrund gerückt. Angesichts des in § 250 Abs. 2 StGB vorgegebenen Strafrahmens von fünf bis 15 Jahren und eingedenk des Umstands , dass hier aufgrund der von dem Angeklagten ausgehenden Initiative zur Begehung und der von ihm geleisteten Planung der Tat, der schweren psychischen Tatfolgen für seine Kolleginnen, der aufgewendeten kriminellen Energie und des von ihm enttäuschten Vertrauens seines Arbeitgebers und seiner Kolleginnen ein minder schwerer Fall im Sinne von § 250 Abs. 3 StGB bei der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht trotz der von der Jugendkammer aufgeführten strafmildernden Faktoren nicht in Betracht gekommen wäre, hätte eine geringere Berücksichtigung des Erziehungsgedankens oder gar seine Außerachtlassung gerade nicht für die Verhängung einer (noch) niedrigeren Jugendstrafe gesprochen.
9
3. Die Einziehungsentscheidung kann keinen Bestand haben, soweit gegen den Angeklagten B. die Einziehung des Wertes von Taterträgen in einer den Betrag von 7.000 € übersteigenden Höhe angeordnet worden ist. Mitverfügungsgewalt über die Beute in der Gesamthöhe von 23.000 € hatten nur der Mitangeklagte C. und der gesondert Verfolgte K. , von dem der Angeklagte B. später seinen Beuteanteil in Höhe von 7.000 € erhielt; nur in dieser Höhe hatte er demnach Verfügungsgewalt über die Tatbeute und damit, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB auch etwas durch die Tat erlangt. In dieser Höhe haftet er neben dem Mitangeklagten C. und dem gesondert Verfolgten K. . Der Senat konnte die geringere Haftung des Angeklagten und die Gesamtschuld in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst anordnen.
10
4. Der geringfügige Erfolg des Rechtsmittels lässt es nicht unbillig erscheinen , den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
Schäfer Gericke Spaniol Wimmer Tiemann

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 2 1 4 / 1 5
vom
20. August 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. August
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 14. November 2014, soweit es den Angeklagten G. betrifft, im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe , auch über die Kosten des Rechtsmittels, nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten und einen Mitangeklagten jeweils der Beihilfe zur Vergewaltigung schuldig gesprochen. Es hat gegen den Angeklagten für diese Tat eine Freiheitsstrafe von drei Jahren festgesetzt und unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von acht Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 12. Januar 2010 sowie einer Freiheitsstrafe von drei Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 25. Oktober 2011 auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten erkannt. Die auf die Sachrüge gestützte, wirksam auf den Ausspruch über die Gesamtfrei- heitsstrafe beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Das Rechtsmittel des Angeklagten, der sich mit materiellrechtlichen Einwendungen gegen seine Verurteilung wendet, ist unbegründet.
2
1. Revision der Staatsanwaltschaft
3
Der Gesamtstrafenausspruch ist - was das Landgericht in den schriftlichen Urteilsgründen selbst ausgeführt hat - rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer hat auch die für eine am 17. Juli 2011 begangene Straftat verhängte Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 25. Oktober 2011 (Az.: 18 Ds 765 Js 41437/11 (195/11)) einbezogen und dabei übersehen, dass das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 12. Januar 2010 (Az.: 12 Ns 219/09) bei der nach den Maßgaben des § 55 StGB vorzunehmenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung Zäsurwirkung entfaltet, da dieses bezogen auf die im vorliegenden Verfahren abzuurteilende Tat vom 25. November 2007 die früheste von mehreren rechtskräftigen, unerledigten Vorverurteilungen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. August 2014 - 3 StR 320/14, juris Rn. 3).
4
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b StPO Gebrauch. Dem Beschlussverfahren nach den §§ 460, 462 StPO bleibt auch die abschließende Kostenentscheidung vorbehalten.
5
2. Revision des Angeklagten
6
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Durch den aufgezeigten Rechtsfehler bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe ist der Angeklagte nicht beschwert. Becker Pfister Schäfer Mayer Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 213/04
vom
31. August 2004
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. August
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 11. Februar 2004 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine Revision , mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Das Rechtsmittel hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch Erfolg. Erörterungsbedürftig sind lediglich die Erwägungen zur Höhe der Strafe. Im übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 10. Mai 2004 Bezug genommen. 2. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der Angeklagte 1998 im Alter von 19 Jahren aus dem Kosovo allein nach Deutschland und stellte Asylantrag. Er konsumierte mit vielen Unterbrechungen von 1998 bis etwa 2000 "keine großen Mengen" Heroin. Die verfahrensgegenständliche Tat beging er am 30. August 1999 mit zwei albanischen Mittätern, die ihn "dazu verführt hatten". Bei der Tat stand er nicht unter Drogen. Zusammen mit seinen Mittätern überfiel er eine Tankstelle. Dabei bedrohten sie den Tankwart mit einer Scheinwaffe, die sie ihm in Gesichtshöhe entgegenhielten. Als der Ange-
klagte das Geld aus der gewaltsam aufgebrochenen Kasse entnahm, verletzte er sich am Finger und hinterließ eine Blutspur. Die Täter erbeuteten 1.500 DM. Dem Angeklagten war nicht zu widerlegen, daß er von der Beute keinen Anteil erhielt. Zwei Jahre nach der Tat, im Jahr 2001, ging der Angeklagte in sein Heimatland zurück. Seine Freundin, die er in Deutschland kennengelernt hatte, folgte ihm. Das Paar heiratete im November 2001 im Kosovo. Zunächst kehrte die Ehefrau, dann der Angeklagte im Mai 2002 nach Deutschland zurück. Nach der Heirat ließ er sich Codein verschreiben; er nimmt derzeit keine Drogen mehr. Der Angeklagte hatte nach der Rückkehr nur kurzfristige Arbeitsverhältnisse in Deutschland und war auf finanzielle Zuwendungen seiner Schwiegereltern angewiesen. Seine Ehefrau hat teilweise auch ihre Eltern bestohlen. Ca. das letzte halbe Jahr vor der Inhaftierung des Angeklagten im September 2003 lebte er von Sozialhilfe. Das Landgericht hat auf den zur Tatzeit über 20 Jahre alten Heranwachsenden Jugendstrafrecht angewendet und rechtsfehlerfrei allein wegen der Schwere der Schuld Jugendstrafe verhängt (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 1 und 2). 3. Bei der Bemessung der Höhe der Jugendstrafe hat das Tatgericht nicht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen. Die Begründung der Jugendstrafe von drei Jahren entspricht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG.
a) Der Erziehungsgedanke ist auch dann zu berücksichtigen, wenn eine Jugendstrafe - wie hier - ausschließlich wegen der Schwere der Schuld verhängt wird (BGHSt 15, 224, 226; 16, 261, 263; BGH StV 1994, 598). Daneben
sind auch andere Strafzwecke, bei Kapitalverbrechen namentlich der Sühnegedanke und das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs zu beachten (BGHR JGG § 17 Abs. 2 Strafzwecke 1). Diesen Grundsätzen hat die Jugendkammer bei der Bemessung der Jugendstrafe Rechnung getragen.
b) Sie hat die erforderliche Gesamtwürdigung (vgl. Brunner, JGG 11. Aufl. § 18 Rdn. 7 a) vorgenommen (UA S. 17 bis 20), die keinen Erörterungsmangel enthält. Die Jugendkammer hat durch die Tat hervorgetretene gravierende Erziehungsdefizite angenommen, aber sich auch mit Veränderungen in der Einstellung und in den Lebensumständen des Angeklagten seit der Tat auseinandergesetzt und folgendes berücksichtigt: Die Tatsache, daß der Angeklagte nicht vorbestraft ist, insbesondere in der Zwischenzeit keine weiteren Straftaten begangen hat, seine Tat bereut und fünf Monate Untersuchungshaft verbüßt hat (UA S. 19). Dabei war sich die Kammer bewußt, daß die Tat viereinhalb Jahre zurücklag, denn sie hat diesen Zeitabstand ausdrücklich bei der Erörterung des § 105 JGG genannt (UA S. 16) und bei der Strafzumessung wie folgt darauf hingewiesen: "- auch wenn die späte Klärung der Straftat nicht das Verdienst des Angeklagten ist -". Soweit die Kammer die nach der Tat erfolgte Eheschließung und Drogenfreiheit bei der Strafzumessung nicht ausdrücklich erwähnt, so heißt das nicht, daß sie sie aus dem Blick verloren hat, sondern nur, daß sie diesen Umständen keine bestimmende Wirkung beigemessen hat (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 2). Wenn der Angeklagte keine Arbeit und keine Ausbildung hat, von Sozialhilfe lebt, seine Ehefrau wegen finanzieller Engpässe ihre Eltern bestiehlt, so
ist trotz Eheschließung und Drogenfreiheit das Versperren eines Neubeginns durch die verhängte Jugendstrafe nicht ersichtlich, so daß es insoweit einer Abwägung des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden - wie etwa beim Abbruch einer Lehre - nicht bedurfte (BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 2 und 3). Die Begründung der Kammer, sie erachte unter Abwägung der von ihr genannten Gesichtspunkte aus erzieherischen Gründen und wegen des Ausmaßes der Schuld eine Jugendstrafe von drei Jahren als angemessen und ausreichend, begegnet keinen rechtlichen Bedenken, zumal mit fortschreitendem Alter des Täters dem Erziehungsgedanken geringere Bedeutung beigemessen werden kann (BGH StV 1998, 334). Der Angeklagte ist derzeit 25 Jahre alt. Er wird die Jugendstrafe im Erwachsenenvollzug verbüßen, wie es in den gesetzlichen Regelungen zur Vollstreckung einer Jugendstrafe gegen Täter , die das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben, vorgesehen ist (§§ 92 Abs. 2 Satz 3, 85 Abs. 6 JGG). Nack Wahl Kolz Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 95/16
vom
19. April 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Totschlags
zu 2.: vorsätzlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2016:190416B1STR95.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 19. April 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten D. wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28. Oktober 2015 im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten D. sowie die Revision des Angeklagten M. werden als unbegründet verworfen. 3. Der Angeklagte M. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Die Jugendkammer des Landgerichts hat den Angeklagten D. wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt sowie gegen den Angeklagten M. wegen vorsätzlicher Körperverletzung zwei Freizeitarreste verhängt.
2
Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel des Angeklagten D. hat lediglich in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3
Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel des Angeklagten M. ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts insgesamt unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.


4
Die erhobene Sachrüge deckt zum Schuldspruch und in Bezug auf die Verhängung einer Jugendstrafe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten D. auf (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere hat das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass wegen der Schuldschwere die Verhängung von Jugendstrafe erforderlich ist. Die Erwägungen des Landgerichts zur Höhe der verhängten Jugendstrafe halten hingegen revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand, da sie nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG entsprechen.
5
1. Auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe ist gemäß § 18 Abs. 2 JGG die Höhe der Strafe so zu bemessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist (BGH, Beschlüsse vom 21. Juli 1995 - 2 StR 309/95, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 10 und vom 18. August 1992 - 4 StR 313/92, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 8). Grundsätzlich ist zwar die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck gelangende Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu berücksichtigen. Keinesfalls darf aber die Begründung wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abzuwägen (BGH, Beschluss vom 18. August 1992 - 4 StR 313/92, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 8; Eisenberg JGG 18. Aufl., § 18 Rn. 42). Denn auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe bemisst sich ihre Höhe vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen daher in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist (BGH, Beschluss vom 22. April 2015 - 2 StR 503/14, NStZ 2016, 105).
6
2. Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts nicht. Das Landgericht hat sich bei der konkreten Bemessung der Jugendstrafe im Rahmen seiner mit „Strafzumessung im Einzelnen“ überschriebenen Darstellung nur an der Bewertung des in der Schwere des in der Straftat hervorgetretenen Unrechts orientiert, wie sie in der Strafandrohung der allgemeinen Gesetze Ausdruck gefunden hat. So hat das Landgericht bei der Prüfung des Provokationstatbestands nach § 213 Alt. 1 StGB zwar die letzten Äußerungen („Hurensohn“) des Tatopfers dem Angeklagten D. gegenüber berücksichtigt. Es hat jedoch die Faustschläge des Tatopfers gegen ihn und die vorausgegangenen Äußerungen einschließlich der zwei Ohrfeigen gegenüber dem Angeklagten M. jeweils nur isoliert betrachtet, ohne dieses Verhalten in seiner Gesamtheit schon in die Beurteilung nach § 213 Alt. 1 StGB einzubeziehen. Zu Lasten des Angeklagten D. berücksichtigt das Land- gericht schließlich im Rahmen seiner „Strafzumessung“ - auch wenn § 46 Abs. 3 StGB hier jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar ist -, dass „der Angeklagte nicht vermocht hat, deeskalierend zu wirken“. Dies ist schon für sich genommen nicht rechtsfehlerfrei.
7
Jedenfalls aber berücksichtigt das Landgericht damit ausschließlich Umstände , die auch bei Erwachsenen berücksichtigt werden müssen, lässt hingegen wesentliche erzieherische Gesichtspunkte völlig außer Betracht, die für die Bemessung der Jugendstrafe Bedeutung haben und deren Erörterung sich deshalb für das Landgericht aufdrängte. Auch fehlt die erforderliche Abwägung zwischen dem Tatunrecht und den Folgen der Verbüßung der verhängten Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 19. Februar 2014 - 2 StR 413/13, NStZ 2014, 407; BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2012 - 3 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 186, 187; vom 11. April 1989 - 1 StR 108/89, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 3 und vom 14. Januar 1992 - 5 StR 657/91, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 7; 18. August 1992 - 4 StR 313/92, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 8 und vom 14. Juli 1994 - 4 StR 367/94, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 9). So wäre im Rahmen der Abwägung etwa zu erörtern gewesen, dass die Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten D. nach den Feststellungen des Landgerichts bisher im Wesentlichen problemlos verlaufen ist, er insbesondere nicht straffällig geworden ist und nach abgeschlossener Berufsausbildung bis zur Tat ununterbrochen in einem festen Arbeitsverhältnis stand. Zum Tatzeitpunkt lebte der Angeklagte D. auch mit seiner Freundin, mit der er sich inzwischen verlobte, in einer eigenen Wohnung und gefestigten Beziehung zusammen. Des Weiteren hätte es der Erörterung bedurft, welche erzieherischen Wirkungen die vollzogene Untersuchungshaft auf den bis dahin nicht vorbestraften Angeklagten gehabt hat (BGH, Beschluss vom 10. September 1985 - 1 StR 416/85, StV 1986, 68).

II.


8
Das Urteil ist somit auf die Revision des Angeklagten D. in Bezug auf den Ausspruch der Höhe der Jugendstrafe aufzuheben. Die Feststellungen können bestehen bleiben, da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind; ergänzende Feststellungen zu den erzieherischen Aspekten sind aber möglich. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
Raum Graf Cirener Radtke Bär

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 150/18
vom
18. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:180718U2STR150.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Juli 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Dr. Eschelbach, Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Wimmer,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt , Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 15. Dezember 2017 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in weiterer Tateinheit mit Sachbeschädigung schuldig gesprochen und die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe für eine Bewährungszeit von zwei Jahren ausgesetzt. Dagegen richtet sich die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt sich der Angeklagte am 17. Januar 2016 mit seinem Onkel Mi. und dem Zeugen K. in dessen Wohnung auf. Sie planten einen Einbruch in die Wohnung des damals 87-jährigen Geschädigten Ka. . Gegen Mitternacht kundschafteten sie zusammen mit L. den Tatort aus. Am Morgen des 18. Januar 2016 fuhr K. die Mittäter Mi. , L. und den Angeklagten zum Tatort. Diese vermummten sich, zogen sich Handschuhe an und brachen den Schließzylinder des Hoftores auf, wonach sie in das Wohngebäude eindrangen.
3
Der Geschädigte, dessen Ehefrau in der Woche zuvor verstorben war, wachte durch Geräusche an der Wohnungstür auf. Während einer der Täter versuchte, die Tür aufzuhebeln, wollte der Geschädigte diese aufschließen, um nachzusehen. Dabei wurde die Tür von außen mit Gewalt aufgestoßen. Der Geschädigte stand dann Mi. und dem Angeklagten gegenüber. L. , der sich im engen Flur hinter diesen befand, stach von seiner Position aus mit einem Schraubendreher mehrmals in Richtung des Kopfes des Geschädigten. Dieser wurde auch von den Mittätern gestoßen, geschlagen und getreten, um ihn zu überwältigen. Der Geschädigte erlitt Streifverletzungen am Kopf, eine Stichverletzung an der linken Hand, zahlreiche Prellungen und eine Schürfwunde am Bein. Mi. fragte ihn: „Wo Drogen?“ Damit konnte der Geschädigte nichts anfangen. Mi. gab den Mittätern zu verstehen, was sie zu tun hatten. Einer bewachte den Geschädigten unter Vorhalt einer mitgeführten Plastikpistole, die der Geschädigte als echte Schusswaffe ansah. Die anderen Mittäter durchsuchten die Wohnung. Sie erbeuteten 1.000 Euro Bargeld und Schmuck im Wert von 50.000 Euro. Anschließend zogen die Täter den Geschädigten in die Küche, wo er gefesselt wurde. Dann rissen sie das Kabel des Telefons aus der Buchse und zerstörten eine Gegensprechanlage , bevor sie vom Tatort flohen.
4
Am darauf folgenden Tag verkaufte der Angeklagte zusammen mit K. einen Teil des Schmucks für 3.900 Euro an einen Juwelier. Von diesem Erlös erhielt er 1.000 Euro.
5
2. Das Landgericht hat auf den Angeklagten, der zur Tatzeit 20 Jahre alt war, Jugendstrafrecht angewendet. Es hat ausgeführt, eine Schwere der Schuld, welche die Verhängung einer Jugendstrafe gebieten könnte, sei nicht festzustellen. Dem Unrechtsgehalt der Tat komme nur mittelbar Bedeutung zu. Maßgeblich seien jugendspezifische Kriterien. Der Angeklagte habe „einen schweren Raub begangen“, jedoch zeigten die Umstände, dass eine Schwere der Schuld nicht anzunehmen sei. Der Angeklagte habe unter dem bestimmenden Einfluss seines Onkels gestanden und sei nicht in der Lage gewesen, sich diesem Einfluss zu entziehen. Er habe keine kriminelle Erfahrung. Die Untersuchungshaft habe ihn positiv verändert. Er habe in der Hauptverhandlung Reue gezeigt und sich bei dem Geschädigten entschuldigt. Das Vorliegen schädlicher Neigungen sei noch nicht mit hinreichender Sicherheit zu beurteilen.

II.

6
Das Rechtsmittel ist begründet.
7
Die Entscheidung des Landgerichts, gegen den Angeklagten nicht auf Jugendstrafe zu erkennen und die Entscheidung darüber zurückzustellen, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Rechtsfehlerfrei ist das Landgericht zwar davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten derzeit noch keine schädlichen Neigungen festzustellen sind. Zu beanstanden ist jedoch die Annahme, die Schwere der Schuld des Angeklagten, welche die Verhängung einer Jugendstrafe gebieten würde (§ 17 Abs. 2 Var. 2 JGG), sei nicht festzustellen.
8
1. Nach der Rechtsprechung und Teilen der Literatur kommt dem Unrecht der Tat bei der Prüfung der Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 Var. 2 JGG im Allgemeinen keine selbstständige Bedeutung zu (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 1960 – 4 StR 387/60, BGHSt 15, 224, 225 f.; Urteil vom 29. September 1961 – 4 StR 301/61, BGHSt 16, 261, 263; Beschluss vom 9. August 2000 – 3 StR 176/00, NStZ-RR 2001, 215, 216; Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 3 StR 353/11, NStZ 2012, 164; Beschluss vom 22. Januar 2014 – 5 StR 555/13, NStZ-RR 2014, 119; Eisenberg, JGG, 10. Aufl. 2018, § 17 Rn. 34 ff.; Sonnen in Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 7. Aufl. 2015, § 17 Rn. 22; a.A. Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl. 2018, § 17 Rn. 27; MüKoStGB/Radtke, 3. Aufl. 2017, § 17 JGG Rn. 58 ff.). Entscheidend ist, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist jedoch insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Schwere seiner Schuld gezogen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2014 – 3 StR 521/14, NStZRR 2015, 155, 156; Urteil vom 9. Januar 2018 – 1 StR 239/17). Der Unrechtsgehalt der Tat, der auch in der gesetzlichen Strafandrohung zum Ausdruck kommt, darf demnach auch bei der Prüfung, ob die Verhängung einer Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld geboten ist, nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. Senat, Beschluss vom 23. April 1982 – 2 StR 192/82, NStZ 1982,

332).

9
2. Danach ist der Erziehungszweck der Jugendstrafe nicht das einzig maßgebliche Kriterium. Hierzu gilt im Einzelnen:
10
Erziehungsgedanke und Schuldausgleich stehen in der Regel miteinander in Einklang (vgl. BGH Urteil vom 16. November 1993 – 4 StR 591/93, StV 1994, 598 f.; Urteil vom 23. April 1998 – 4 StR 12/98; Urteil vom 4. August 2016 – 4 StR142/16, NStZ 2017, 648, 649). Bei einem Gewaltverbrechen kann die Schwere der Schuld aber auch eigenständige Bedeutung haben (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2013 – 1 StR 178/13, NStZ 2013, 658, 659 mit Anm. Eisenberg, NStZ 2013, 636 ff.). Schwere Gewaltdelikte begründen regelmäßig die Schwere der Schuld (vgl. MüKoStGB/Radtke aaO § 17 JGG Rn. 71), wenngleich dies nach der Rechtsprechung nicht ausnahmslos der Fall ist. Der Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs darf in solchen Fällen jedenfalls nicht völlig hinter den Erziehungsgedanken zurücktreten; denn auf die Möglichkeit der Bestrafung schwerer Straftaten durch Verhängung einer Jugendstrafe kann auch in Fällen nicht verzichtet werden, in denen ein Jugendlicher oder Heranwachsender nicht erziehungsbedürftig oder erziehungsfähig ist (vgl. BT-Drucks. I/3264 S. 40 f.; BGH aaO). Jedenfalls aber ist die Schwere der Schuld mit zunehmendem Alter des Heranwachsenden modifiziert zu beurteilen (vgl. Eisenberg, JGG aaO § 17 Rn. 29a; s.a. MüKoStGB/Radtke aaO § 17 JGG Rn. 65). Dies gilt erst recht, wenn der Angeklagte, der zur Tatzeit noch Heranwachsender war, im Urteilszeitpunkt bereits Erwachsener ist. In solchen Fällen ist die Zielsetzung der Jugendstrafe anders zu bewerten, als etwa bei einem Jugendlichen, der das die Strafmündigkeit begründende Alter gerade erreicht hat (vgl. Kaspar in Festschrift für Schöch, 2010, S. 209, 213 f., der ausnahmsweise für eine Rechtfertigung der Jugendstrafe durch positive Generalprävention plädiert, aaO S. 222; ähnlich Ostendorf, JGG, 10. Aufl. 2016, § 17 Rn. 5). Welches Gewicht den einzelnen Zumessungserwägungen zukommt, ist abhängig vom Einzelfall (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 1981 – 1 StR 634/81, NStZ 1982, 163; Urteil vom 21. April 1982 – 4 StR 99/83, EzSt JGG § 17 Nr. 1). Der Tatrichter hat dazu eine umfassende Abwägung vorzunehmen.
11
3. Nach diesen Maßstäben rügt die Revision zu Recht, dass die Abwägung durch das Landgericht lückenhaft ist. Die Jugendkammer hätte sich hier dezidiert mit dem Tatgeschehen und den Tatbeiträgen des angeklagten Heranwachsenden auseinandersetzen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2000 – 3 StR176/00, NStZ-RR 2001, 215, 216). Sie hat sich jedoch mit einem blo- ßen Hinweis darauf begnügt, dass der Angeklagte „einen schweren Raub be- gangen“ habe. Abgesehen davon, dass dabei die tateinheitlich begangene gefährliche Körperverletzung und die Sachbeschädigung unberücksichtigt bleibt, fehlt es an einer Bewertung des konkreten Verhaltens des Angeklagten vor, während und nach der Tat.
12
Dabei ist insbesondere von Bedeutung, dass der Angeklagte – unbeschadet der dominierenden Rolle seines Onkels – nach seiner Einlas- sung schon im Vorfeld am Erwerb der bei der Tat als Drohmittel verwendeten Spielzeugpistole und der Gartenhandschuhe beteiligt war. Zudem wirkte er auch an der Planung der Tat und an dem Ausspähen des Tatorts mit. Er nahm ferner beim eigentlichen Tatgeschehen selbst gewichtige Ausführungshandlungen vor. Ihm sind auch die Verletzungen des zur Tatzeit 87-jährigen Geschädigten , mit Ausnahme der vom Landgericht als Mittäterexzess bewerteten Stiche mit dem Schraubendreher, sowie die Suche nach der erheblichen Beute und deren Wegnahme, das Fesseln des Geschädigten und der Verkauf eines Teils des Schmucks an einen Juwelier als eigene Tatbeiträge zuzurechnen.
13
All diese Umstände hätte das Landgericht in seine Abwägung einbeziehen müssen. Es hat aber nach der verkürzten Kennzeichnung der Tat als schwerer Raub nur die gegen eine Schwere der Schuld sprechenden Aspekte aufgeführt. Das reicht hier nicht aus.
14
4. Der Rechtsfolgenausspruch kann daher keinen Bestand haben. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei Beachtung der Grundsätze zur Bewertung der Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 Var. 2 JGG eine Jugendstrafe verhängt hätte.
Schäfer Appl Eschelbach RiBGH Zeng ist erkrankt Wimmer und deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer

(1) Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist.

(2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.

(3) Ist zweifelhaft, ob der Beschuldigte zur Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, sind die für Jugendliche geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

(1) Die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.

(2) Die allgemeinen Vorschriften gelten nur, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

Für mehrere Straftaten, die gleichzeitig abgeurteilt werden und auf die teils Jugendstrafrecht und teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, gilt einheitlich das Jugendstrafrecht, wenn das Schwergewicht bei den Straftaten liegt, die nach Jugendstrafrecht zu beurteilen wären. Ist dies nicht der Fall, so ist einheitlich das allgemeine Strafrecht anzuwenden.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

(1) Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so ist das Höchstmaß zehn Jahre. Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten nicht.

(2) Die Jugendstrafe ist so zu bemessen, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 417/15
vom
8. März 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen zu 1. - 3.: schwerer Freiheitsberaubung u.a.
zu 4. - 5.: Beihilfe zur schweren Freiheitsberaubung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:080316B3STR417.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 8. März 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten Ad. L. und I. L. wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 9. Januar 2015, soweit es sie betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten Ad. L. und I. L. sowie die Revisionen der Angeklagten M. L. , Y. L. und A. L. werden verworfen.
Die Beschwerdeführer M. L. , Y. L. und A. L. haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt schuldig gesprochen: - die Angeklagten M. und Y. L. wegen "über eine Woche dauernder" Freiheitsberaubung in zwei Fällen, den Angeklagten M. L. in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung und vorsätzlicher Körperverletzung, die Angeklagte Y. L. in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung; - den Angeklagten A. L. wegen "über eine Woche dauernder" Freiheitsberaubung und - die Angeklagten Ad. und I. L. wegen Beihilfe zu "der über eine Woche dauernden" Freiheitsberaubung, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung.
2
Es hat wegen dieser Taten den Angeklagten M. L. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten, die Angeklagte Y. L. zu einer solchen von zwei Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten A. L. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, und die Angeklagten Ad. und I. L. zu Dauerarresten von vier (Ad. ) bzw. drei Wochen (I. ) verurteilt und jeweils wegen überlanger Verfahrensdauer eine Kompensationsentscheidung getroffen.
3
Gegen diese Verurteilungen wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren Revisionen, die sämtlich jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützt sind; die Angeklagten A. L. und Ad. L. beanstanden zudem das Verfahren.
4
Die Rechtsmittel der Angeklagten Ad. und I. L. haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen erweisen sie sich, ebenso wie die Revisionen der Angeklagten M. , Y. und A. L. , als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
5
1. Die Verfahrensvoraussetzungen sind auch mit Blick auf die jeweils tateinheitlich zu der schweren Freiheitsberaubung verwirklichte Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB gegeben. Allerdings hat die Nebenklägerin die Frist des § 77b Abs. 1 Satz 1 StGB versäumt, so dass ein wirksamer Strafantrag als Prozessvoraussetzung im Sinne des 230 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht vorliegt. Das Antragserfordernis ist hier indes entfallen, weil die Staatsanwaltschaft schon bei der Anklageerhebung die Strafverfolgung wegen des besonderen öffentlichen Interesses daran für geboten gehalten hat (§ 230 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB). Zwar hat sie am Ende des Anklagesatzes ausdrücklich nur das "öffentliche Interesse an der Strafverfolgung" bejaht, nicht aber das "besondere öffentliche Interesse"; dabei handelt es sich jedoch offenbar um ein bloßes Schreibversehen. Das ergibt sich aus Folgendem:
6
In der Anklageschrift sind die den Angeklagten zur Last gelegten Handlungen zum Nachteil der Nebenklägerin jeweils als einfache Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB gewertet. Darin, dass die Staatsanwaltschaft die Anklage auf einen dem Antragserfordernis unterliegenden Vorwurf erstreckt, liegt - wenn keine Besonderheiten hinzutreten - regelmäßig die konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 4 StR 247/13, NStZ-RR 2013, 349 mwN). Zwar könnte hier gegen eine solche Auslegung sprechen, dass die Staatsanwaltschaft ausdrücklich das "öffentliche Interesse" an der Strafverfolgung bejaht hat. Mit Blick auf die gegebene Verfahrenslage ist die Erklärung des "öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung" dennoch dahin zu verstehen, dass damit das "besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung" im Sinne von § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB gemeint, nicht aber die Bejahung des öffentlichen Interesses an der öffentlichen Klage im Sinne von § 376 StPO beabsichtigt war. Nach dieser Vorschrift wird bei Privatklagedelikten im Sinne von § 374 StPO, zu denen nach § 374 Abs. 1 Nr. 4 StPO auch die einfache Körperverletzung gemäß § 223 StGB zählt, die öffentliche Klage von der Staatsanwaltschaft nur erhoben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Treffen allerdings - wie hier die jeweilige Körperverletzung mit der (qualifizierten) Freiheitsberaubung - ein Privatklage- und ein Offizialdelikt dergestalt zusammen, dass es sich um eine prozessuale Tat im Sinne von § 264 Abs. 1 StPO handelt, so muss das Verfahren einheitlich geführt werden; das Offizialverfahren, in dem das Privatklagedelikt ohne Rücksicht auf das öffentliche Interesse mitzuverfolgen ist, hat Vorrang (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 376 Rn. 9 f.). Angesichts dessen hätte eine Bejahung des "öffentlichen Interesses" im Sinne von § 376 StPO keinen Sinn ergeben, weil die Staatsanwaltschaft ohnehin die öffentliche Klage zu führen hatte; hingegen war die Bejahung des "besonderen öffentlichen Interesses" nach § 230 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB prozessual geboten , weil dadurch die Voraussetzung für die Strafverfolgung - unabhängig von dem (ohnehin verfristeten) Strafantrag - auch wegen der Körperverletzungsdelikte geschaffen wurde. Für dieses Ergebnis spricht zudem der Wortlaut der Erklärung der Staatsanwaltschaft, mit der sie das öffentliche Interesse "an der Strafverfolgung" - wie in § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB gefordert - bejahte, nicht aber das für § 376 StPO erforderliche an der "öffentlichen Klage".
7
2. Die Verfahrensrügen der Angeklagten A. und Ad. L. haben aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg. Ergänzend zu der Antragsschrift betreffend den Angeklagten Ad. L. bemerkt der Senat:
8
Die Rüge, mit der der Beschwerdeführer die Verletzung von § 258 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO beanstandet, weil ihm das letzte Wort nicht gewährt worden sei, ist unbegründet, weil kein Verfahrensverstoß vorliegt. Das berichtigte Protokoll der Hauptverhandlung beweist, dass der Angeklagte Ad. L. - wie alle anderen Angeklagten auch - das letzte Wort hatte.
9
Entgegen der Auffassung des Revisionsführers in seiner Gegenerklärung ist das berichtigte Protokoll auch allein maßgeblich; der Vorsitzende der Strafkammer hat das Protokollberichtigungsverfahren ordnungsgemäß nach Maßgabe der im Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 23. April 2007 (GSSt 1/06, BGHSt 51, 298, 315 ff.) entwickelten Anforderungen durchgeführt. Insbesondere hat er dem Beschwerdeführer die Absicht der Berichtigung zusammen mit den dienstlichen Erklärungen der Urkundspersonen mitgeteilt und ihm innerhalb angemessener Frist rechtliches Gehör gewährt. Der Vorsitzende hat dieses inhaltlich den genannten Anforderungen entsprechende Schreiben im Übrigen - entgegen dem unzutreffenden Vorbringen des Revisionsverteidigers - nicht nur diesem und dem Angeklagten Ad. L. übermittelt, sondern - mit Gelegenheit zur Stellungnahme - auch allen anderen Verfahrensbeteiligten zugestellt, insbesondere dem Instanzverteidiger des Beschwerdeführers, der sich dazu indes nicht geäußert hat. Es kann mithin keine Rede davon sein, "dass die einzige Person in der Sphäre des Angeklagten, die überhaupt substantiiert hätte widersprechen können - nämlich der Instanzverteidiger - (sehenden Auges!) übergangen worden" sei; das Gegenteil davon ist richtig.
10
3. Die auf die erhobenen Sachrügen veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zu den jeweiligen Schuldsprüchen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. In Ergänzung der Antragsschriften des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
11
Soweit die Angeklagte Y. L. geltend macht, sie habe während der Freiheitsberaubung zum Nachteil der Nebenklägerin in der Wohnung des Angeklagten M. L. jedenfalls in den Zeiträumen keine Tatherrschaft besessen, in denen sie die Wohnung nicht aufsuchte, entfernt sie sich von den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts , aus denen sich ergibt, dass die Angeklagten Y. und M. L. aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses arbeitsteilig vorgingen und der Angeklagten Y. L. , die über einen eigenen Schlüssel zu der Wohnung verfügte, eine gewichtige Rolle zukam, weil sie die Nebenklägerin mit Lebensmitteln versorgte und sie während der notwendigen Arztbesuche "eskortierte".
12
Die (auch) von dieser Angeklagten vertretene Rechtsauffassung, die Annahme einer schweren Freiheitsberaubung scheitere hier daran, dass der Angeklagte M. L. den Schlüssel von innen an der Wohnungstür habe stecken lassen, wenn er sich dort aufgehalten habe, übergeht die von der Strafkammer zutreffend referierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der eine Einsperrung im Sinne von § 239 Abs. 1 StGB nicht unüberwindlich sein muss. Es genügt, dass die Benutzung der zum regelmäßigen Ausgang bestimmten Vorrichtungen für den Zurückgehaltenen ausgeschlossen erscheint. Dazu kann es ausreichen, dass eine unüberwindliche psychische Schranke vor einer Flucht besteht, etwa aus Angst vor weiteren Sanktionen oder Gewalthandlungen des Einsperrenden (BGH, Beschluss vom 8. März 2001 - 1 StR 590/00, NStZ 2001, 420 mwN). So verhielt es sich hier.
13
Soweit die Angeklagten Y. und Ad. L. die Beweiswürdigung angreifen, gilt Folgendes:
14
Für den von der Angeklagten Y. L. geltend gemachten "Denkfehler" ist nichts ersichtlich: Das Landgericht hat nicht angenommen, die Absichten und Motive für die beiden Freiheitsberaubungen müssten "zwingend" identisch sein, sondern lediglich aus den äußeren Umständen und dem als erwiesen erachteten Verhalten der Angeklagten den möglichen - wenn nicht gar naheliegenden - Schluss gezogen, es sei den Angeklagten nicht darauf angekommen , sich im Rahmen einer allgemeinen Familienfürsorge um die Nebenklägerin zu kümmern. Dagegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
15
Auch das Rechtsmittel des Angeklagten Ad. L. zeigt revisible Rechtsfehler in der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils nicht auf, insbesondere liegt die behauptete Lückenhaftigkeit nicht vor. Entgegen dem Revisionsvorbringen lassen sich den Urteilsgründen keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der psychiatrische Sachverständige von einer anderen psychischen Störung als einer Psychose ausgegangen sei, die zu Halluzinationen geführt haben könnte. Dementsprechend gelangt die Revision unter Heranziehung urteilsfremden Vorbringens zu einer abweichenden - eigenen - Beurteilung des Beweisergebnisses; damit kann sie im Revisionsverfahren keinen Erfolg haben.
16
4. Der Rechtsfolgenausspruch betreffend die Angeklagten M. L. , Y. L. und A. L. weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil auf. Insbesondere ist es entgegen der von der Revision des Angeklagten M. L. vertretenen Auffassung nicht zu beanstanden, dass für diese drei Angeklagten - unabhängig von der konkreten Strafhöhe - die gleiche Kompensationsentscheidung dahin getroffen wurde, dass von der jeweils verhängten Freiheitsstrafe zwei Monate als vollstreckt gelten. Denn bei dem Ausspruch über eine Kompensation für eine überlange Verfahrensdauer handelt es sich gerade nicht um eine in Relation zur Strafhöhe stehende Entscheidung; nach dem aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anzuwendenden "Vollstreckungsmodell" ist der Ausgleich für das erlittene Verfahrensunrecht von Fragen des Unrechts, der Schuld und der Strafhöhe zu trennen (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 138).
17
5. Der Rechtsfolgenausspruch betreffend die Angeklagten I. L. und Ad. L. kann hingegen keinen Bestand haben.
18
Das Landgericht hat gegen die zur Tatzeit 18 (Ad. L. ) und 19 bzw. 20 (I. L. ) Jahre alten Angeklagten, die im Zeitpunkt ihrer Verurteilung bereits 24 und 26 Jahre alt waren, Dauerarreste gemäß § 16 Abs. 4 JGG verhängt und dazu ausgeführt, es lägen zwar die Voraussetzungen der Jugendstrafe gemäß § 17 Abs. 2 JGG bei den Angeklagten nicht (mehr) vor, mildere Mittel als die Verhängung eines Dauerarrests seien indes nicht geeignet , ausreichend auf die beiden heranwachsenden Angeklagten erzieherisch einzuwirken, denen das Unrecht ihrer Tat vor Augen zu führen und die Einsicht zu vermitteln sei, dass sie für ihr Verhalten einzustehen hätten. Diese erzieherischen Ziele seien trotz des fortgeschrittenen Lebensalters der Angeklagten mit dem Dauerarrest erreichbar, mit dem sie zu einem selbständigen und eigenverantwortlichen Handeln anzuhalten seien; auch die Länge des Arrests hat die Strafkammer im Wesentlichen mit dem "erheblichen Erziehungsbedarf" der Angeklagten begründet.
19
Damit hat die Jugendkammer nicht bedacht, dass dem Erziehungsgedanken bei der Bestimmung von Art und Dauer der Sanktion für die Tat der zum Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils im strafrechtlichen Sinne erwachsenen Angeklagten schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein allenfalls geringes Gewicht zukommt (BGH, Beschluss vom 20. August 2015 - 3 StR 214/15, juris Rn. 5 mwN). Dies ist rechtsfehlerhaft und bedingt die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Ob darüber hinaus Anlass bestehen könnte, die bisherige Rechtsprechung dahin weiter zu entwickeln, dass bei der Verhängung von Sanktionen gegen Straftäter, die zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung bereits das 21. Lebensjahr vollendet haben und somit im strafrechtlichen Sinne als erwachsen gelten, der Erziehungsgedanke nicht mehr nur von geringem Gewicht sein kann, sondern insgesamt kein taugliches Strafzumessungskriterium mehr ist (vgl. BGH aaO), bedarf deshalb hier (erneut) keiner Entscheidung.
20
Das Landgericht hat zudem nicht in den Blick genommen, dass es durch die Verhängung des Dauerarrests gegen die im Tatzeitpunkt Heranwachsenden auf eine Freiheitsentziehung erkannt hat, hinsichtlich derer eine Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung nicht vorgesehen ist. Auch dies erweist sich als rechtsfehlerhaft, weil eine solche Rechtsfolge gegenüber einem Erwachsenen allenfalls nach Maßgabe des § 47 Abs. 1 StGB und bei Fehlen einer günstigen Sozialprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB möglich wäre, das Vorliegen dieser Voraussetzungen bei den im Urteilszeitpunkt erwachse- nen Angeklagten indes von der Jugendkammer nicht geprüft worden ist. Die Angeklagten sind deshalb im Ergebnis durch die Anwendung des Jugendstrafrechts und die Heranziehung des für sie allenfalls in geringem Maße bedeutsamen Erziehungsgedankens beschwert.
21
Um dem neuen Tatgericht eine insgesamt stimmige Rechtfolgenentscheidung zu ermöglichen, hat der Senat auch die Kompensationsentscheidung aufgehoben, die im Übrigen Bedenken begegnete (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 8. Dezember 2011 - III-3 RVs 102/11, juris Rn. 6 ff.). Bei der Verhängung einer angemessen Sanktion wird das neue Tatgericht zudem in besonderem Maße das Verbot der "refomatio in peius" gemäß § 358 Abs. 2 StPO zu beachten haben (vgl. dazu Eisenberg, JGG, 18. Aufl., § 55 Rn. 73 ff.).
Becker Schäfer Gericke Ri'inBGH Dr. Spaniol befindet Tiemann sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 2 1 4 / 1 5
vom
20. August 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. August
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 14. November 2014, soweit es den Angeklagten G. betrifft, im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe , auch über die Kosten des Rechtsmittels, nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten und einen Mitangeklagten jeweils der Beihilfe zur Vergewaltigung schuldig gesprochen. Es hat gegen den Angeklagten für diese Tat eine Freiheitsstrafe von drei Jahren festgesetzt und unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von acht Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 12. Januar 2010 sowie einer Freiheitsstrafe von drei Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 25. Oktober 2011 auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten erkannt. Die auf die Sachrüge gestützte, wirksam auf den Ausspruch über die Gesamtfrei- heitsstrafe beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Das Rechtsmittel des Angeklagten, der sich mit materiellrechtlichen Einwendungen gegen seine Verurteilung wendet, ist unbegründet.
2
1. Revision der Staatsanwaltschaft
3
Der Gesamtstrafenausspruch ist - was das Landgericht in den schriftlichen Urteilsgründen selbst ausgeführt hat - rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer hat auch die für eine am 17. Juli 2011 begangene Straftat verhängte Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 25. Oktober 2011 (Az.: 18 Ds 765 Js 41437/11 (195/11)) einbezogen und dabei übersehen, dass das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 12. Januar 2010 (Az.: 12 Ns 219/09) bei der nach den Maßgaben des § 55 StGB vorzunehmenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung Zäsurwirkung entfaltet, da dieses bezogen auf die im vorliegenden Verfahren abzuurteilende Tat vom 25. November 2007 die früheste von mehreren rechtskräftigen, unerledigten Vorverurteilungen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. August 2014 - 3 StR 320/14, juris Rn. 3).
4
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b StPO Gebrauch. Dem Beschlussverfahren nach den §§ 460, 462 StPO bleibt auch die abschließende Kostenentscheidung vorbehalten.
5
2. Revision des Angeklagten
6
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Durch den aufgezeigten Rechtsfehler bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe ist der Angeklagte nicht beschwert. Becker Pfister Schäfer Mayer Spaniol

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(1) Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an.

(2) Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einziehung an.

(3) Das Gericht kann auch die Einziehung der Gegenstände anordnen, die der Täter oder Teilnehmer erworben hat

1.
durch Veräußerung des Erlangten oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder
2.
auf Grund eines erlangten Rechts.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.