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Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 204/19
vom
8. August 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:080819B1STR204.19.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 2 auf dessen Antrag – am 8. August 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 23. November 2018 – soweit es diese Angeklagten betrifft – aufgehoben; die Feststellungen bleiben bestehen mit Ausnahme der Feststellungen zum Tatgeschehen nach dem Verlassen des Diskotheksgeländes bis zur Flucht der Angeklagten. 2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden als unbegründet verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt und gegen den Angeklagten D. eine Jugendstrafe von vier Jahren und zwei Monaten sowie gegen den Angeklagten H. eine Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt.
2
Hiergegen wenden sich die Revisionen der Angeklagten. Der Angeklagte D. rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts, der Angeklagte H. die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Die Angeklagten D. und H. hielten sich am 23. Juli 2017 ab 1.55 Uhr zusammen mit den Mitangeklagten P. und T. in der Diskothek N. in M. auf. Gegen 3.20 Uhr verließen alle vierAngeklagten den Innenbereich der Diskothek und begaben sich in die umzäunte Freifläche nach draußen. Hier kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen den Angeklagten D. und P. und dem späteren Geschädigten Ha. sowie zu Provokationen seitens der beiden Angeklagten mit der Aufforderung, zum gemeinsamen Verlassen der Diskothek, auf die sich der Geschädigte einließ. Die Angeklagten D. und P. gingen zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass es zu einer körperlichen Auseinandersetzung mit dem Zeugen Ha. kommen werde, wobei sie diese bewusst suchten, um sich selbst zu beweisen. Auch die beiden Angeklagten H. und T. gingen von einer solchen Auseinandersetzung aus und folgten den anderen nach draußen.
5
Gegen 3.24 Uhr verließen die vier Angeklagten zusammen mit dem Zeugen Ha. auch den Außenbereich der Diskothek, bogen in einen von der Diskothek etwa 30 Meter entfernten, aber auf Grund von Heckenbewuchs schlecht einsehbaren Fußgänger- und Fahrradweg ab und kamen dort zum Stehen. Der Zeuge Ha. und der Mitangeklagte P. stellten sich unmittelbar gegenüber, die Angeklagten D. und H. jeweils seitlich versetzt hinter den Zeugen Ha. mit Blickrichtung zu diesem. Diese drei Angeklagten kamen nunmehr überein, gemeinsam gegen den Zeugen Ha. vorzugehen. Der Mitangeklagte T. stand in einiger Entfernung von den anderen Angeklagten und beabsichtigte nicht, an der Auseinandersetzung teilzunehmen.
6
Sodann holte der Mitangeklagte P. ein Einhandmesser hervor , öffnete dieses, richtete es mit der rechten Hand gegen den Zeugen Ha. und beabsichtigte, dieses in der darauffolgenden Auseinandersetzung zum Einsatz zu bringen. Das dolchartige, spitz zulaufende Messer hatte eine Gesamtlänge von 20,5 Zentimeter, eine Klingenlänge von 9 Zentimeter und war maximal 2,1 Zentimeter breit. Die Angeklagten D. und H. , die mit dem Hervorholen des Messers nicht gerechnet hatten, nahmen an dem hell erleuchteten Geschehensort wahr, dass der Mitangeklagte P. das Messer gezogen hatte und gegen den Zeugen Ha. richtete. Sie nahmen billigend in Kauf, dass dieser das Messer in der beabsichtigten Auseinandersetzung zum Einsatz bringen würde und der Zeuge auf Grund einer kontrolliert oder unkontrolliert zugefügten Stichverletzung lebensgefährliche Verletzungen davontragen könnte. Der Zeuge Ha. , der ebenfalls nicht mit dem Hervorholen des Messers gerechnet hatte, hob die Arme zur Seite und sagte zu dem AngeklagtenP. sinngemäß, warum er mit dem Messer komme, worauf dieser antwor- tete: „Ja klar komme ich mit dem Messer“.
7
Unmittelbar danach schlug der Angeklagte D. in Ausführung des gemeinsamen Plans für eine körperliche Auseinandersetzung mit der rechten Faust wuchtig gegen den Hinterkopf des Geschädigten. Sodann packte der Angeklagte D. den Geschädigten und es entwickelte sich zunächst eine Rangelei zwischen diesen, wobei die Angeklagten P. und H. ebenfalls auf den Geschädigten einschlugen. Dieser versuchte, sich gegen die drei Angeklagten zur Wehr zu setzen. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung stach der Angeklagte P. , wie von den Angeklagten D. und H. billigend in Kauf genommen, mit dem Messer zweimal auf den Geschädigten ein, wobei ein Stich bis zu den Knochen und die Lunge reichend tief in die linke Brust, der andere tief in den rechten Oberbauch erfolgte, so dass auf Grund dieser zugefügten Wunden jeweils konkrete Lebensgefahr bestand. Dabei nahm der Angeklagte P. den Tod des Geschädigten zumindest billigend in Kauf.
8
Nach Zufügung der Stichwunden setzten die drei Angeklagten die körperliche Auseinandersetzung mit dem Geschädigten kurz fort, der weiterhin versuchte, sich gegen den Angriff zur Wehr zu setzen und gleichzeitig die Verletzung im linken Brustbereich mit der Hand zuzuhalten. Als der Geschädigte auf Grund der ihm zugefügten Verletzung auf der linken Brustseite endgültig in die Knie ging und aus der Wunde schwallartig Blut floss, erkannten die Angeklagten D. und H. spätestens, dass das Messer, wie von ihnen billigend in Kauf genommen, zum Einsatz gekommen war.
9
Die drei Angeklagten erkannten zudem, dass der Geschädigte zumindest durch den zugefügten Messerstich in die linke Brust schwer verletzt war und auf Grund dieser Verletzung ohne Rettungsmaßnahmen versterben könnte. Der Angeklagte D. trat dem erkennbar schwer verletzten und wehrlosen Geschädigten noch einmal mit dem mit einem leichten Turnschuh beschuhten Fuß nach Art eines Fußballspielers gegen die Unterlippe, wobei er diese nur leicht traf. Anschließend flüchteten alle Angeklagten gemeinsam vom Tatort, ohne Rettungsmaßnahmen zu ergreifen und ohne sich weiter um das Opfer zu kümmern.

II.

10
Die Verurteilungen der Angeklagten D. und H. wegen versuchten Totschlags halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
11
1. Die Feststellungen, auf denen die Verurteilung der Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts beruht, werden von der Beweiswürdigung des Landgerichts nicht getragen.
12
a) Eine rechtlich fehlerfreie Beweiswürdigung (zum revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab vgl. nur BGH, Urteil vom 5. April 2018 – 1 StR 67/18 Rn. 13 mwN, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 69) erfordert die sorgfältige Abwägung aller für und gegen einen Tötungsvorsatz sprechenden Umstände im Rahmen einer Gesamtschau. Dies gilt in besonderem Maße bei einer in Mittäterschaft begangenen Tat. Hier ist jeder Mittäter für ein Handeln anderer Personen im Hinblick auf eine Vorsatztat nur im Rahmen seines eigenen Vorsatzes verantwortlich (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2011 – 4 StR 52/11). Selbst wenn dieser Vorsatz, dem Tatplan entsprechend, auch den Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs umfasst hat, folgt daraus noch nicht ohne weiteres, dass ein Mittäter, der – wie hier – ein solches Werkzeug nicht selbst einsetzt, auch bedingten Vorsatz zur Tötung des Opfers hat. Bei gruppendynamisch geprägten Gewalthandlungen können Fälle mit gedankenloser Verletzungsabsicht vorliegen , die gegebenenfalls nur mit grober Fahrlässigkeit hinsichtlich einer möglichen Todesverursachung einhergehen. Ob bedingter Tötungsvorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt, ist in solchen Fällen hinsichtlich jedes Tatbeteiligten in einer Gesamtschau aller ihn betreffenden objektiven und subjektiven Tatumstände , in die auch die psychische Verfassung des Tatbeteiligten bei der Tatbegehung sowie seine Motivation einzubeziehen sind, genau zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. September 2016 – 2 StR 19/16 Rn. 19; Urteil vom 26. Januar 2005 – 5 StR 290/04 Rn. 12, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter

59).

13
b) Diesen Anforderungen genügt das Urteil des Landgerichts nicht. Vor allem werden vom Landgericht die subjektiven Elemente des Tötungsvorsatzes und insbesondere vorsatzkritische Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht erörtert.
14
aa) Das Landgericht geht zwar zunächst davon aus, dass beide Angeklagten lediglich mit einer körperlichen Auseinandersetzung ohne Messereinsatz gerechnet hatten. Nach dem Ziehen des Messers durch den Mitangeklagten P. hätten sie dieses Messer aber vor Beginn der Auseinandersetzung wahrgenommen und damit den Messereinsatz auch gebilligt. Beide Angeklagten hätten auch die Gefährlichkeit dessen Einsatzes ebenso wie die daraus resultierende Möglichkeit eines für den Geschädigten tödlichen Ausgangs erkannt und sich damit abgefunden, da es keine Umstände gebe, die beide Angeklagten trotz der erkannten Gefährlichkeit auf einen nichttödlichen Ausgang hätten vertrauen lassen können (UA S. 118 ff.).
15
bb) Damit hat sich das Landgericht aber im Rahmen seiner Gesamtwürdigung zum einen nicht mit der vorsatzkritischen Aussage des Geschädigten auseinandergesetzt, der angegeben hat, dass einer der beiden Angeklagten, welcher wisse er allerdings nicht, nach dem Zücken des Messers durch den Mitangeklagten P. gesagt habe, „der mit dem Messer solle das Ding wegstecken“ (UA S. 79). Zum anderen bleibt ungeklärt, auf Grund welcher Umstände die beiden Angeklagten entsprechend dem vom Landgericht objektiv festgestellten Vorzeigen des Messers durch den Mitangeklagten P. auch subjektiv von einem entsprechenden Einsatz dieses Messers mit tödlichem Ausgang ausgehen mussten und dies auch billigten. Ebenso erörtert das Landgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz nicht, ob es sich bei dem Verhalten des Mitangeklagten P. nicht um einen Mittäterexzess als wesentliche Abweichung vom vorgestellten Tatbild der beiden Angeklagten handelte. Das Vorliegen eines Mittäterexzesses lag nach den bisherigen Feststellungen, dass die Angeklagten nach dem Verlassen der Diskothek nur eine körperliche Auseinandersetzung mit dem Geschädigten suchten (UA S. 31), nahe. Es wird vom Landgericht aber nur pauschal ohne Begründung bei der rechtlichen Würdigung (UA S. 156) verneint, jedoch nicht im Rahmen der Beweiswürdigung in die Abwägung einbezogen.
16
2. Der aufgezeigte Mangel zwingt auch zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung der beiden Angeklagten wegen einer tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten Ha. .
17
3. Die Feststellungen bleiben – mit Ausnahme der Feststellungen zum (eigentlichen) Tatgeschehen nach dem Verlassen des Diskotheksgeländes bis zur Flucht der Angeklagten – bestehen, weil sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind. Jäger Bellay Fischer Bär Hohoff

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

13
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement) (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26 und vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 416/17 Rn. 18, NStZ 2018, 206 mwN). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Auf der Ebene der Beweiswürdigung bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlicher Indikator, aber auch die konkrete Angriffsweise, die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motive mit einzubeziehen sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 Rn. 13, StraFo 2018, 127; Beschluss vom 13. August 2013 – 2 StR 180/13, NStZ 2014, 84 jeweils mwN). Dabei liegt die Annahme einer Billigung nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 und vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 Rn. 13 aaO jeweils mwN).

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 52/11
vom
3. März 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
zu 1.: wegen versuchten Totschlags u.a.
zu 2.: wegen schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. März 2011 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 3. September 2010, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit er wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
b) im Strafausspruch. 2. Auf die Revision des Angeklagten C. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit besonders schwerem Raub, schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten S. wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen (besonders) schweren Raubes (qualifiziert nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Jugendstrafen von sechs Jahren und zehn Monaten (S. ) bzw. drei Jahren und sechs Monaten (C. ) verurteilt; hinsichtlich des Angeklagten S. hat es außerdem eine Adhäsionsentscheidung zu Gunsten des durch die letztgenannte Tat Geschädigten getroffen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen; wobei sich der Revisionsangriff des Angeklagten C. , wie sich aus dem Revisionsantrag und der Begründung ergibt, auf die Verurteilung wegen versuchten Totschlags beschränkt.
2
Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg ; die weiter gehende Revision des Angeklagten S. ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die Verurteilungen der Angeklagten wegen versuchten Totschlags halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
4
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wollten die Angeklagten unter Einsatz eines Springmessers einen zufällig vorbeikommenden Passanten berauben. In Ausführung dieses Plans fiel der Angeklagte S. den Zeugen R. mit einer Art Karatesprung an. Es entwickelte sich zwischen beiden ein Handgemenge, in dessen Verlauf der Angeklagte S. dem Zeugen mit bedingtem Tötungsvorsatz je zwei kräftig geführte Messerstiche in die Brust und in den Beckenraum versetzte. Der Angeklagte C. , der den Überfall beobachtet und mit seinem Butterflymesser spielend abgesichert hatte, forderte den Mitangeklagten mehrfach auf, zu ihm zu kommen. Beide verließen sodann den Tatort, ohne den Zeugen zu berauben. Der Zeuge setzte zunächst seinen Weg fort, da er die Stiche nur als Schläge wahrgenommen hatte, musste sich dann aber mit Hilfe des Rettungsdienstes wegen der abstrakt lebensgefährlichen Verletzungen in stationäre Krankenhausbehandlung begeben.
5
2. Die Verurteilung des Angeklagten S. wegen versuchten Totschlags hat keinen Bestand.
6
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht zwar rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte , als er dem Zeugen die wuchtigen Messerstiche versetzte (UA 11, 12). Es hat aber zur Frage eines strafbefreienden Rücktritts vom Totschlagsversuch lediglich ausgeführt, dass ein solcher ausscheide, "da der Versuch beendet war und der bloße Abbruch der Tathandlung deshalb für einen strafbefreienden Rücktritt nicht genügt" (UA 14).
7
Diese Begründung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts kommt es darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 298; Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 m.w.N.). Ein beendeter Versuch ist ferner auch dann anzunehmen, wenn ein Täter sich nach der letzten Ausführungshandlung keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306).
8
Mit der Frage des Rücktrittshorizonts hat sich das Landgericht gar nicht befasst. Dabei hätte es entsprechender Darlegungen hier umso mehr bedurft, als das Opfer trotz der Stichverletzungen nicht zu Boden gegangen war und zunächst seinen Weg fortsetzen konnte. Auch dafür, dass sich der Angeklagte nach dem Zustechen keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns gemacht hat, geben die bisherigen Feststellungen keinen hinreichenden Anhalt.
9
Der aufgezeigte Mangel zwingt auch zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung des Angeklagten wegen der tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen R. (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1; vgl. auch KK-Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 353 Rn. 12).
10
3. Hinsichtlich des Angeklagten C. belegen, wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, die Feststellungen lediglich, dass er sich der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nrn. 2, 4 und 5, § 25 Abs. 2 StGB, nicht jedoch auch eines versuchten Totschlags schuldig gemacht hat.
11
Jeder Mittäter haftet für das Handeln der anderen nur im Rahmen seines - zumindest bedingten - Vorsatzes; er ist also für den Taterfolg nur insoweit verantwortlich , als sein Wille reicht, so dass ihm ein Exzess der anderen nicht zur Last fällt; Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, werden jedoch vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er diese sich nicht besonders vorgestellt hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 15. September 2004 - 2 StR 242/04, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 32; Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09).
12
Nach den Feststellungen wusste der Angeklagte C. zwar, dass bei dem Raubüberfall auf einen Passanten ein Messer zum Einsatz kommen sollte (UA 7). Dass er auch eine Tötung des Opfers billigend in Kauf genommen hat, ist aber nicht belegt. Dagegen spricht im Übrigen schon, dass er, als er sah, mit welcher Wucht der Mitangeklagte zustach, diesen mehrfach aufforderte, zu ihm zu kommen, sich also von dem Geschädigten zu entfernen. Das Vorgehen des Mitangeklagten überstieg in seiner Schwere und Gefährlichkeit den gemeinsamen Tatplan so erheblich, dass er als wesentliche Abweichung anzusehen ist, mit der der Angeklagte nicht rechnen musste.
13
Da nicht zu erwarten ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die einen bedingten Tötungsvorsatz belegen, stellt der Senat den Schuldspruch insoweit um.

II.


14
Die Teilaufhebung bzw. Abänderung der Schuldsprüche zieht die Aufhebung der Strafaussprüche nach sich.
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Franke Mutzbauer
19
a) Jeder Mittäter ist für ein Handeln anderer Personen im Hinblick auf eine Vorsatztat nur im Rahmen seines eigenen Vorsatzes verantwortlich (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2011 - 4 StR 52/11). Selbst wenn dieser Vorsatz, dem Tatplan entsprechend, auch den Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs umfasst hat, folgt daraus noch nicht ohne weiteres, dass ein Mittäter, der ein solches Werkzeug nicht selbst einsetzt, auch bedingten Vorsatz zur Tötung des Opfers hat. Bei gruppendynamisch geprägten Gewalthandlungen können Fälle mit gedankenloser Verletzungsabsicht vorliegen, die gegebenenfalls nur mit grober Fahrlässigkeit hinsichtlich einer möglichen Todesverursachung einhergehen. Ob bedingter Tötungsvorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt, ist in solchen Fällen hinsichtlich jedes Tatbeteiligten in einer Gesamtschau aller ihn betreffenden objektiven und subjektiven Tatumstände, in die auch die psychische Verfassung des Tatbeteiligten bei der Tatbegehung sowie seine Motivation einzu- beziehen sind, genau zu prüfen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2005 - 5 StR 290/04, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 59).
5 StR 290/04

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 26. Januar 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 25. und 26. Januar 2005, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin Sc
als Verteidigerin des Angeklagten Wi ,
Rechtsanwalt B
als Verteidiger des Angeklagten R ,
Rechtsanwältin L
als Verteidigerin des Angeklagten H ,
Rechtsanwältin P
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
in der Sitzung vom 26. Januar 2005

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 18. Dezember 2003 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Davon ausgenommen werden die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen; diese bleiben aufrechterhalten. Insoweit werden die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft verworfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen. Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Die Schwurgerichtskammer hat die Angeklagten jeweils wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen zwischen sieben und acht Jahren verurteilt. Die zuungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, haben mit der Sachrüge weitgehend Erfolg. Die Revisionen der Angeklagten erweisen sich hingegen als unbegründet.

I.


Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Die Angeklagten W und H sollten am 19. Februar 2003 gemeinsam zu einer Hauptverhandlung vor dem Strafrichter des Amtsgerichts Cottbus erscheinen. Sie beschlossen deshalb, den Vortag nicht zu Hause zu verbringen, sondern gemeinsam verschiedene Bekannte zu besuchen, um nicht von der Polizei zwecks Vorführung festgenommen werden zu können. Der Angeklagte R schloß sich ihnen an. Zwischen 17.00 und 18.00 Uhr gelangten die Angeklagten zu dem später geschädigten D , einem früheren Arbeitskollegen des Angeklagten W , der auch dem AngeklagtenH flüchtig bekannt war. In der Einraumwohnung des D , die sich in einem Hochhaus in der Leipziger Straße in Cottbus befand, hielt sich auch die den Angeklagten bis dahin unbekannte, später getötete K auf. In geselliger Runde wurde Musik gehört sowie Bier und Schnaps getrunken, bis die Alkoholvorräte zur Neige gingen. Gegen 20.00 Uhr stahl deshalb der Angeklagte R im nahegelegenen REWE-Markt zwei Flaschen Korn.
Während des weiteren gemeinsamen Trinkens begann der schon betrunkene D , den Angeklagten R zu provozieren und zu beleidigen. Den aufkommenden Streit wollten beide im Hausflur außerhalb der Wohnung austragen. D , der infolge seiner Trunkenheit schon erheblich schwankte, führte dort einen Schlag gegen R , den dieser aber leicht abwehren konnte; umgekehrt schlug R nunmehr D mit der Hand-
kante ins Gesicht, woraufhin dieser blutend zu Boden ging. Beide gingen zurück in die Wohnung, wo gemeinsam weitergetrunken wurde. Bald kam es jedoch wieder, ausgehend von D , zum Streit zwischen den beiden und erneuten Schlagversuchen D s sowie zu kräftigen Faustschlägen des Angeklagten R in D s Gesicht. R warf nunmehr die Gläser aus D s Wohnzimmerschrank zu Boden und schlug diesem weiter mehrfach kräftig mit der Faust ins Gesicht. Als daraufhin D s Blut auf die Kleidung des Angeklagten W spritzte, wurde auch dieser wütend. Angesichts der Eskalation ging K , die schon zuvor erfolglos schlichtend auf die Streitenden eingewirkt hatte, zwischen R und D ; sie wurde jedoch durch einen heftigen Schlag von R auf die Couch neben den Angeklagten W geschleudert. Dies paßte W ebensowenig wie ihre anschließende Einmischung in sein Gespräch mit H , der sie mit dem Handrücken ins Gesicht schlug. Nunmehr versetzte W ihr mit seinem rechten Ellenbogen derart w uchtige Schläge ins Gesicht , daß sie heftig blutete und das Blut bis auf die Tapete hinter der Couch spritzte. H versetzte D Stöße mit dem Knie und trat und schlug ihn mit voller Wucht gegen das Gesicht; auch der Geschädigten K trat er ins Gesicht.
Insgesamt beteiligten sich alle drei Angeklagten, die aufgeheizter Stimmung waren und bereits die bisherigen Gewalthandlungen gebilligt hatten , im gemeinschaftlichen Zusammenwirken an massiven Gewalttätigkeiten. Zwischen ihnen bestand ein unausgesprochenes Einverständnis darüber, die beiden ersichtlich betrunkenen, ihnen körperlich weit unterlegenen Geschädigten , die sich auch nicht wehrten, zu mißhandeln; die Angeklagten schlugen teils gemeinsam, teils abwechselnd mit Fäusten und Handrücken auf diese ein und versetzten ihnen mit beschuhten Füßen Tritte gegen Kopf und Körper. H und R streiften sich Handschuhe über, um sich bei den Gewalttätigkeiten nicht selbst zu verletzen; R zog zudem Jacke und Pullover aus, damit diese nicht blutig würden. Nach weiteren von allen gebilligten Tritten und Schlägen – ohne daß die jeweils aktiv Tätigen im einzelnen
festzustellen waren – lagen die Opfer schließlich schwer verletzt und hilflos auf dem Boden; D war bewußtlos, K stöhnte und wimmerte vor Schmerzen.
Als R aus dem Badezimmer kam, wo er sich Blut abgewaschen hatte, erkannte er angesichts des blutüberströmten und hilflosen Zustandes der Geschädigten das Ausmaß des Geschehens und wurde „schlagartig nüchtern“. Über sein Mobiltelefon rief er den Notruf 110 an und erklärte „völlig außer sich und weinend“, in der Leipziger Straße „zum Hochhaus hin“ lägen zwei Leute, die „am Kopf kaputt“ seien. W prüfte kurze Zeit später den Puls von D , der noch spürbar war, rief über die Notrufnummer bei der Polizei an und bat um einen Notarzt in die Leipziger Straße, wobei er sich aber in der Angabe des Stadtbezirks irrte, so daß sein Notruf nicht zum Auffinden der Opfer führte.
Die erheblich alkoholisierten Geschädigten erlitten durch die Mißhandlungen der Angeklagten schwerwiegende Verletzungen. D erst kam am Vormittag des 19. Februar 2003 wieder zu sich, von einer Vielzahl teils blutender Wunden entstellt, mit gebrochener Rippe und einem Schädelhirntrauma. Sein Sehvermögen ist seitdem eingeschränkt, und er leidet unter Gleichgewichtsstörungen. K war infolge der ihr zugefügten Verletzungen am 18. Februar 2003 gegen 23.00 Uhr verstorben. Ihr Gesicht wies neben großen Hämatomen eine Platzwunde und knöcherne Verletzungen am Schädel auf. Weiter fanden sich Zeichen massiver stumpfer Gewalteinwirkung auf den Kopf und Hals. Die dabei entstandenen Gesichtsweichteilzerreißungen sowie mehrfache Schädelbasis- und Gesichtsschädelbrüche führten in Verbindung mit einer Bluteinatmung unmittelbar zum Tode. Die Schädelbasis- und Gesichtsschädelbrüche sind nach zutreffender Einschätzung des medizinischen Sachverständigen am ehesten durch zahlreiche Fußtritte gegen den Kopf oder das Schlagen mit einem Gegenstand erklärbar , wobei auch ein Aufspringen auf den am Boden liegenden Kopf als Ursache in Betracht komme, nicht aber ein Sturzgeschehen; gleiches gelte für die
festgestellten Rippenserienbrüche, die am ehesten durch Knien auf dem Körper oder durch Aufspringen mit flachen Sohlen, nicht aber durch einen Sturz entstanden seien.
Zum subjektiven Tatbestand hat das Landgericht lediglich mit zwei knappen Sätzen (UA S. 25 und S. 49) ausgeführt, es sei nicht nachweisbar, daß die Angeklagten ihre Opfer töten wollten. Jedoch hätten sie während der massiven Gewalteinwirkungen auf die geschädigte K erkennen können und müssen, daß sie ihr dadurch lebensgefährliche Verletzungen beibringen können, die zum Tode führen.
Zugunsten von H und W hat die Schwurgerichtskammer die anzuwendenden Strafrahmen jeweils gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verschoben. Bei diesen Angeklagten, die schon am Vormittag des Tattages gemeinsam mit dem Trinken begonnen hatten, vermochte das Landgericht in Anschluß an die Ausführungen mehrerer Sachverständiger – anders als bei dem Angeklagten R – eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Steuerungsfähigkeit infolge Alkoholisierung zumindest nicht auszuschließen. Bei allen Angeklagten wurde von den psychiatrischen Sachverständigen ein langjähriger Alkoholmißbrauch festgestellt, der sich indes noch nicht zu einem Hang im Sinne von § 64 StGB verfestigt habe.

II.


Die zuungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft führen zur Aufhebung der Schuldsprüche.
1. Die Sachrüge führt – wie der Generalbundesanwalt zutreffend geltend macht – über das ausdrückliche Begehren der Staatsanwaltschaft in ihren mit der Sachrüge unbeschränkt geführten Revisionen hinaus zur Beanstandung des Fehlens einer Begründung für die Verneinung eines – wenn auch nur bedingten – Tötungsvorsatzes der Angeklagten.

a) Die Abgrenzung einer bewußt fahrlässigen von einer bedingt vorsätzlichen Tötung erfordert bei schwerwiegenden Gewalthandlungen, wie sie das Landgericht hier festgestellt hat, eine sorgfältige Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Die offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise stellt dabei für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes einen Umstand von erheblichem Gewicht dar (BGH NStZ 2003, 431), weil bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen ein bedingter Tötungsvorsatz nahe liegt (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 58). Angesichts der hohen Hemmschwelle bei Tötungsdelikten bedarf die Frage der Billigung des Todeserfolges indes einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, in die auch die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motivation mit einzubeziehen sind (vgl. BGHSt 36, 1, 10).

b) Diesen Prüfungsanforderungen werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Angesichts der nach den Feststellungen vom gemeinschaftlichen Willen aller Angeklagten getragenen massiven Einwirkungen auf Kopf und Rumpf der erkennbar stark betrunkenen und schließlich hilflos am Boden liegenden Opfer durch Schläge und Tritte reichte es nicht aus, einen bedingten Tötungsvorsatz pauschal abzulehnen. Dies versteht sich hinsichtlich der verstorbenen K angesichts der Schwere und Vielzahl der ihr zugefügten Kopfverletzungen von selbst. Auch bezüglich des geschädigten D läßt sich ein Tötungsvorsatz nicht ohne weiteres so knapp ausschließen, wie dies das Landgericht getan hat; schließlich haben die Angeklagten auch auf ihn gemeinschaftlich bis zu seiner Bewußtlosigkeit eingeschlagen und eingetreten.
Selbst wenn dem Landgericht wegen der Beweislage und der Komplexität des Tatablaufs eine individuelle Zuordnung einzelner Gewalttätigkeiten weitestgehend nicht möglich war, entband dieser Umstand es nicht davon , die Frage des Tötungsvorsatzes mit Blick auf die Gesamtheit der von
allen Mittätern gewollten Gewalthandlungen sorgfältig zu prüfen, zumal Exzeßhandlungen einzelner Angeklagter nicht festzustellen waren.

c) Danach bedürfen die für den Schuldspruch erforderlichen subjektiven Tatumstände erneuter Aufklärung und Bewertung. Der neue Tatrichter wird dabei auch den möglichen Einfluß der teils erheblichen Alkoholisierung der Angeklagten zu bedenken haben (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55). Die fehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatablauf können hier angesichts schwer aufklärbarer Tatumstände einerseits und einer rechtfehlerfrei vorgenommenen Zurechnung sämtlicher Gewalthandlungen aufgrund gemeinsamen Tatenschlusses bei Ausschluß etwaiger Exzeßtaten andererseits bestehen bleiben. Diese Feststellungen können lediglich um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen. Danach wird für den neuen Tatrichter kein Raum sein für eine über das bisher Festgestellte hinaus gehende Individualisierung und Aufteilung der einzelnen Tatbeiträge auf die einzelnen Angeklagten, auch im Hinblick auf die Frage des Tötungsvorsatzes. Bei den (bislang entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht lückenhaft festgestellten) Verletzungsfolgen von D bieten sich ergänzende Feststellungen zum Heilungsverlauf seit der vorangegangenen Hauptverhandlung an.

d) Wird ein vorrangig zu prüfendes aktives Tötungsdelikt erneut mangels Tötungsvorsatzes verneint, wird ein lediglich durch Unterlassen begangener (ggf. versuchter) Totschlag im Ergebnis bei der subjektiven Befindlichkeit der Angeklagten möglicherweise aus den gleichen Gründen ausscheiden.
Der Senat weist auf folgende – namentlich bei gruppendynamisch geprägtem Geschehen typische – Besonderheit bei hochgradig brutalen Gewalttaten hin: Fälle mit gedankenloser, dumpfer bloßer Verletzungsabsicht, die mit gröbster Fahrlässigkeit hinsichtlich einer möglichen Todesfolge einhergeht , und Fälle mit bereits bedingtem Tötungsvorsatz können in subjekti-
ver Hinsicht so eng beieinander liegen, daß ihr Schuldgehalt – jedenfalls beim Fehlen von Mordmerkmalen – nicht von gravierend unterschiedlichem Gewicht ist. Das angemessene Strafmaß für Totschlag oder versuchten Totschlag wird sich daher in solchen Fällen im Ergebnis von demjenigen für Körperverletzung mit Todesfolge oder gefährliche Körperverletzung kaum beträchtlich unterscheiden.
Da jedoch bei Taten dieser Art bedingter Tötungsvorsatz näherliegt als nur grobe Fahrlässigkeit, kann der Senat die minderen Schuldsprüche auf der Grundlage der unvertretbar knappen Begründung des Landgerichts hier nicht hinnehmen. Das gilt nicht zuletzt auch deshalb, weil jedenfalls bezogen auf die Angeklagten W und H die Strafaussprüche Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten enthalten.
2. Der neue Tatrichter wird auch zur Schuldfähigkeit der Angeklagten und zur Grundlage für eine etwaige Maßregel nach § 64 StGB mit sachverständiger Hilfe eigene neue Feststellungen zu treffen haben. Der Senat weist zudem darauf hin, daß die Staatsanwaltschaft zu Recht die zugunsten der Angeklagten H und W infolge ihrer Alkoholisierung jeweils vorgenommene Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB beanstandet.

a) Die Frage einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB bei erheblicher Alkoholisierung hat der Tatrichter aufgrund einer Gesamtschau aller schulderhöhenden und schuldmindernden Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Der grundsätzlich schuldmindernde Umstand einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit kann dabei durch schulderhöhende Umstände ausgeglichen werden. Ein solcher Ausgleich liegt insbesondere dann nahe, wenn eine vermeidbare Alkoholisierung durch Umstände in der Person des Täters (etwa Neigung zu Aggressionen oder Gewalttätigkeiten unter Alkoholeinfluß) oder in der Tatsituation (etwa Trinken in gewaltbereiten Gruppen oder gewaltgeneigten Situationen) das Risiko der
Begehung von Gewalttaten erkennbar signifikant erhöht hat (BGH NJW 2004, 3350, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).

b) Nach diesen Maßstäben begegnet der Automatismus, mit dem das Landgericht im angefochtenen Urteil den Angeklagten W und H eine Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zugebilligt hat, durchgreifenden Bedenken. Der Angeklagte W ist mehrfach wegen Gewaltdelikten unter Alkoholeinfluß vorbestraft. Der Angeklagte H hat zwar lediglich einmal im März 2002 gemeinsam mit W alkoholisierten im Zustand eine Straftat mi t gewalttätiger Entgleisung begangen, ist aber nach eigener Einschätzung leicht reizbar, wenn er Alkohol getrunken hat. Beide Angeklagte kannten damit die ungünstigen Wirkungen erheblicher Alkoholisierung auf ihre Gewaltbereitschaft. Eine Ausnahme von der unter solchen Umständen angezeigten Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB käme nur bei einer absoluten Strafdrohung in Betracht (vgl. BGH NJW 2004, 3350, 3353, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Nach den getroffenen Feststellungen liegt jedoch die Annahme von Mordmerkmalen hier fern.

III.


Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.
1. Die Verfahrensrügen versagen.

a) Das Urteil ist mit allen erforderlichen Unterschriften rechtzeitig zu den Akten gelangt. Die Revisionen der Angeklagten W R und beanstanden lediglich im Ansatz mit Recht, daß der Verhinderungsvermerk mißverständlich angebracht worden ist, weil der bekundende Richter nicht – wie vorliegend geschehen – „in Vertretung“ für den verhinderten unterschreibt , sondern lediglich die Verhinderung mit seiner Unterschrift bestätigt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. § 275 Rdn. 20 m.w.N.). Der Mangel ist
letztlich indes ebenso unschädlich wie die Unterschrift direkt über dem Verhinderungsvermerk. Aus § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO folgt lediglich, daß der Verhinderungsvermerk wirksam „angebracht“ sein muß; aus dem unmittelbaren räumlichen Zusammenhang zwischen Unterschrift und Vermerk ergibt sich hier noch hinreichend eindeutig, daß die Verhinderung bezeugt werden sollte und wer dies getan hat (vgl. Engelhardt in KK 5. Aufl. § 275 Rdn. 35).

b) Alle übrigen Verfahrenrügen sind mangels vollständigen Vortrags der den jeweiligen Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) unzulässig oder zumindest offensichtlich unbegründet.
2. Auch die Sachrügen bleiben ohne Erfolg.

a) Die Feststellungen zum gemeinschaftlichen Tatenschluß beruhen insgesamt auf tragfähiger Grundlage. Auch die Beweiswürdigung, die grundsätzlich Sache des Tatrichters ist, begegnet keinen Bedenken. Das Landgericht hat die den Feststellungen widersprechenden Angaben der Angeklagten W und R insbesondere aufgrund des objektiven Spurenbildes und der teilgeständigen Angaben des Angeklagten H in nachvollziehbarer und vertretbarer Weise für widerlegt erachtet. Dies ist aus revisionsrechtlicher Sicht hinzunehmen. Die gegenseitige Zurechnung der verschiedenen körperlichen Mißhandlungen der beiden Opfer einschließlich der Zufügung schließlich tödlicher Verletzungen ist rechtsfehlerfrei erfolgt; nach den Feststellungen bestand zwischen allen drei Angeklagten das unausgesprochene Einverständnis darüber, die beiden ihnen körperlich weit unterlegenen und sich nicht wehrenden Geschädigten zu mißhandeln (vgl. auch BGH, Urteil vom 19. August 2004 – 5 StR 218/04).

b) Insgesamt enthält die Strafzumessung bei allen Angeklagten aus revisionsrechtlicher Sicht keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten.
Daß das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei dem Angeklagten R verneint hat, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken; zudem mußte bei ihm ohnehin eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB angesichts seiner negativen Vorerfahrungen mit Alkohol ersichtlich ausscheiden. Der neue Tatrichter wird allerdings auch bei dem Angeklagten R – wie bei den übrigen Angeklagten – über die Frage der Steuerungsfähigkeit und einer Maßregel nach § 64 StGB (vgl. zum Maßstab BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5) neu zu befinden haben.
Basdorf Gerhardt Raum Brause Schaal

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.