Bundesgerichtshof Urteil, 05. Apr. 2018 - 1 StR 67/18

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:050418U1STR67.18.0
bei uns veröffentlicht am05.04.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 67/18
vom
5. April 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
ECLI:DE:BGH:2018:050418U1STR67.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 4. April 2018 in der Sitzung am 5. April 2018, an denen teilgenommen haben :
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf, Prof. Dr. Radtke und die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Fischer, Dr. Hohoff, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung vom 4. April 2018 –, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung am 5. April 2018 – als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 4. April 2018 – als Verteidiger, Rechtsanwältin – in der Verhandlung vom 4. April 2018 – als Vertreterin des Nebenklägers, Justizobersekretärin – in der Verhandlung vom 4. April 2018 –, Justizangestellte – bei der Verkündung am 5. April 2018 – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 29. September 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , begangen in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung), zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft, welche die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, war das Urteil aufzuheben.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte hielt sich am frühen Morgen des 20. November 2016 gegen 5.00 Uhr in dem Bereich vor einer Diskothek auf, nachdem diese bereits geschlossen hatte. Dort kam es zunächst zu einer tätlichen Auseinanderset- zung, an der u.a. der Angeklagteund der erheblich alkoholisierte Nebenkläger P. beteiligt waren. Nicht ausschließbar bezeichnete P. den Angeklagten als „Kanakensau“ und brachte ihm leichte Verletzungen bei. Letzt- lich wurde der am Boden liegende Angeklagte durch den Türsteher G. von den anderen Personen getrennt (UA S. 13).
4
Gegen 5.20 Uhr fasste der Angeklagte den Entschluss, den Nebenkläger aufgrund des genannten Geschehens körperlich zu attackieren. Zu diesem Zweck zog er sein Hemd aus, lief auf den Nebenkläger zu und versetzte diesem einen heftigen Faustschlag im Bereich des rechten Auges, so dass der Nebenkläger ungebremst zu Boden stürzte, mit dem Hinterkopf auf den Asphalt aufschlug und benommen auf dem Rücken liegen blieb. Sodann ging der Angeklagte einen Schritt auf ihn zu und trat ihm mit einem leicht schräg seitlich ausgeführten Stampftritt gezielt in das Gesicht, wobei er einen Turnschuh mit flexibler Sohle trug (UA S. 13).
5
Unmittelbar nach dem Tritt packte der Türsteher G. den Angeklagten und fixierte ihn bis zum Eintreffen der Polizei. Gegenüber den eintreffenden Polizeibeamten gab der Angeklagte zunächst einen falschen Namen an, seine richtigen Personalien konnten aber anhand seines Personalausweises festgestellt werden. Nach einer zwischenzeitlich durchgeführten ärztlichen Untersuchung begab er sich gegen Mittag freiwillig zur Polizei, wo er festgenommen wurde (UA S. 14 f.).
6
Der Tritt verursachte eine teilweise Abzeichnung des Schuhprofils auf der rechten Wange und dem rechten Nasenabhang des Nebenklägers. Dieser erlitt eine Nasenbeinfraktur, ein Hämatom im Bereich des rechten Augeninnenwinkels und eine Platzwunde am Hinterkopf. Es bestand potentielle, aber keine konkrete Lebensgefahr (UA S. 14).
7
Die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten betrug zur Tatzeit maximal 2,69 Promille. Er war zwar in der Lage, das Unrecht seiner Tat einzusehen, jedoch war seine Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar aufgrund der genannten Alkoholisierung sowie des Konsums von Amphetamin im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert (UA S. 14).
8
2. Das Landgericht hat das festgestellte Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es nicht angenommen. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung hat es sich nicht mit hinreichender Sicherheit von dem voluntativen Element dieser Vorsatzform überzeugen können. Dabei hat die Kammer im Wesentlichen die Spontanität der Tatausführung aufgrund der vorangegangenen Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger, das Fehlen eines Tötungsmotivs , die mangelnde Absicherung bei der Tatausführung, die alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten sowie die nur mittlere Trittintensität berücksichtigt (UA S. 24 ff.).
9
Im Rahmen der Strafzumessung hat die Strafkammer das Vorliegen eines minderschweren Falles gemäß § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB abgelehnt, ohne im Rahmen der vorgenommenen Gesamtwürdigung auf § 213 Alt. 1 StGB einzugehen, den Regelstrafrahmen aber gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert (UA S. 34 ff.).

II.

10
Das Urteil weist in mehrfacher Hinsicht – auch zu Ungunsten des Angeklagten – durchgreifende sachlich-rechtliche Mängel auf.
11
1. Insbesondere halten die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
12
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7.September 2017 – 1 StR 329/17, NStZ-RR 2018, 21, 22 mwN). Das Revisionsgericht hat die tat- richterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179 und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18). Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16 Rn. 9 und vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16 Rn. 20, NStZ-RR 2017, 183 [insoweit nicht abgedruckt]; Beschluss vom 7. September 2017 – 1 StR 329/17, aaO). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben, dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. September 2017 – 1 StR 329/17, aaO).
13
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement) (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26 und vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 416/17 Rn. 18, NStZ 2018, 206 mwN). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Auf der Ebene der Beweiswürdigung bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlicher Indikator, aber auch die konkrete Angriffsweise, die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motive mit einzubeziehen sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 Rn. 13, StraFo 2018, 127; Beschluss vom 13. August 2013 – 2 StR 180/13, NStZ 2014, 84 jeweils mwN). Dabei liegt die Annahme einer Billigung nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 und vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 Rn. 13 aaO jeweils mwN).
14
Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auf eine „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ abgestellt worden ist (BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, aaO, 189 Rn. 32), erschöpft sich dies in einem Hinweis auf die Bedeutung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) bezüglich der Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatzes (BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, aaO, 191 Rn. 34 und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 12 mwN). Der Bun- desgerichtshof hat stets betont, dass durch den Aspekt der „Hemmschwelle“ die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder relativiert werden solle (BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, aaO und vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 416/17 Rn. 19 jeweils mwN).
15
b) Diesen Anforderungen werden die landgerichtlichen Ausführungen nicht gerecht. Die Strafkammer ist für die Beurteilung des bedingten Tötungsvorsatzes zwar im Ausgangspunkt zutreffend von der gebotenen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände der Tat und des Täters ausgegangen und hat in diesem Rahmen aus der objektiv hochgradigen Gefährlichkeit insbesondere des Stampftrittes gegen den Kopf des am Boden liegenden Nebenklägers den Schluss auf das Vorliegen des Wissenselements des (bedingten ) Tötungsvorsatzes gezogen. Die Erwägungen, mit denen die Kammer das Vorliegen des Willenselements des Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, begegnen jedoch auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs durchgreifenden Bedenken.
16
aa) Die Ausführungen des Landgerichts lassen bereits besorgen, dass dieses rechtsfehlerhaft der „hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung“ (UA S. 24) eine den indiziellen Wert des objektiven Gefährlichkeitsgrades der vom Angeklagten ausgeführten Verletzungshandlungen relativierendeWirkung beigemessen hat, die dem Aspekt der „Hemmschwelle“ nach der Rechtspre- chung des Bundesgerichtshofs nicht zukommt. So führt das Tatgericht gerade die „Hemmschwelle“ als Grund dafür an, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder zumindest darauf vertraut habe, ein als möglich erkannter Erfolg werde nicht eintreten (UA S. 24).
17
bb) Die den (möglichen) Tötungsvorsatz des Angeklagten betreffende tatrichterliche Beweiswürdigung hält zudem unabhängig von dem aufgezeigten nicht rechtsfehlerfreien Maßstab rechtlicher Prüfung nicht stand.
18
(1) Soweit das Landgericht von einem spontanen und unüberlegten Handeln des Angeklagten ausgeht, entspricht dies nicht den sonstigen Urteilsfeststellungen. Dem hier fraglichen Tatgeschehen war zwar eine tätliche Auseinandersetzung vorausgegangen, die jedoch durch das Eingreifen Dritter beendet worden war. Der Angeklagte hat erst nach einer jedenfalls mehrminütigen Zäsur, ohne erkennbaren äußeren Anlass eine erneute Konfrontation mit dem Nebenkläger gesucht und sich dafür vorbereitet, indem er vor dem Angriff sein Hemd auszog. Damit ist die Spontanität der Tat selbst unter Berücksichtigung der Alkoholisierung des – allerdings alkoholgewöhnten – Angeklagten nicht ausreichend belegt.
19
(2) Des Weiteren sind die Ausführungen des Landgerichts zur Intensität des vom Angeklagten geführten Trittes lückenhaft. Zwar ist es im Ausgangspunkt zutreffend, angesichts der verhältnismäßig geringen Verletzungen des Nebenklägers die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte den Tritt bewusst nicht mit einer Intensität ausgeführt haben könnte, die eine tödliche Wirkung haben konnte (BGH, Urteil vom 18. September 1986 – 4 StR 458/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 5; Beschluss vom 18. Mai 2011 – 1 StR 179/11, StV 2012, 89, 90). Auch sind die Überlegungen, aufgrund derer das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, der Angeklagte habe nicht mit voller Wucht zugetreten, nicht zu beanstanden; es stützt sich insofern auf die nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen und geht nicht von einer reinen ex-post-Betrachtung aus. Maßgebliche Bedeutung würde einer eingeschränkten Trittintensität jedoch nur zukommen, wenn diese bewusst von dem Angeklagten gewählt worden wäre (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1986 – 4 StR 458/86, aaO). Erfolgten die Tritte dagegen aus anderen Gründen nicht mit voller Wucht, etwa weil der Angeklagte dazu alkoholbedingt nicht mehr in der Lage war oder nicht richtig traf, hätte dies keine negative Indizwirkung für das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes. Hierzu verhält sich das Urteil jedoch nicht. An dieser Stelle wäre auch eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich gewesen, ob der Angeklagte angesichts der bei ihm festgestellten erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit überhaupt zu einer bewussten Dosierung des Trittes in der Lage war.
20
(3) Bedenken bestehen darüber hinaus insoweit, als das Landgericht in dem Umstand, dass es in der vorangegangenen Auseinandersetzung mit Beleidigung keinen „zur Tötung eines Menschen anspornenden Anlass“ festzustellen vermochte, ein Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gesehen hat. Mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv , sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach. Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (BGH, Urteile vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 61; vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, aaO, 445 und vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 Rn. 14, StraFo 2018, 127; Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22). Das festgestellte Motiv der Revanche allein lässt noch nicht den Schluss zu, dass es dem Angeklagten deshalb an der Bereitschaft gefehlt hat, auch schwerste Tatfolgen in Kauf zu nehmen. Anders als das Landgericht meint, impliziert dieses Handlungsziel das Überleben des Opfers nicht zwingend (vgl. auchBGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 Rn. 5). Insoweit wäre es erforderlich gewesen, näher auf die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Verhältnis zur Anwendung körperlicher Gewalt und seine Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse einzugehen. Wie das Landgericht an anderer Stelle zutreffend festgestellt hat, war es dem Angeklagten aufgrund seiner Vorstrafen bewusst, dass er unter Alkoholeinfluss zu Aggressivität neigt. Er wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten verurteilt, wobei insbesondere der letzten Verurteilung ein sehr ähnlich gelagertes Tatgeschehen zugrunde lag; auch in diesem Fall brachte der Angeklagte den Geschädigten, den er erst an diesem Abend kennengelernt hatte, mit zwei Faustschlägen zu Boden und trat anschließend zweimal in Richtung des Kopfes (UA S. 6 ff., 9 ff.). Mangelnde Impulskontrolle, wie sie bei dem Angeklagten schon mehrfach zutage getreten ist, kann dazu führen, dass es bereits bei geringsten Anlässen zu massiven Gewalthandlungen kommt, bei denen dem Täter die Konsequenzen seines Handelns gleichgültig sind und deshalb selbst tödliche Folgen in Kauf genommen werden (BGH, Urteile vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 Rn. 9; vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, aaO und vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 aaO Rn. 18).
21
(4) Keine tragfähige Grundlage hat in diesem Zusammenhang auch die Annahme, der Angeklagte habe dem Nebenkläger nur vergleichbare Verletzungen beibringen wollen, wie er selbst im Rahmen der vorangegangenen Auseinandersetzung erlitten hatte. Bereits das Niederstrecken des Nebenklägers, welcher danach benommen auf dem Rücken liegenblieb, ging deutlich über das hinaus, was dem Angeklagten widerfahren war; jedenfalls überstieg der nachfolgende Stampftritt bei weitem die dem Angeklagten zuvor zugefügte, nicht näher festgestellte, Gewaltanwendung und die daraus resultierende Körperverletzung.
22
(5) Als widersprüchlich erweist sich zudem, dass das Landgericht das Fehlen eines Fluchtplans als Indiz gegen den bedingten Vorsatz gewertet hat. Diese Überlegung würde in gleicher Weise gegen den Vorsatz in Bezug auf die gefährliche Körperverletzung sprechen. Diesen hat die Strafkammer jedoch bejaht, ohne auf die fehlende Absicherung und evtl. Fluchtmöglichkeit einzugehen. Ferner hat sie an anderer Stelle zutreffend ausgeführt, dass es dem An- geklagten, da er unter Bewährung stand, darum gehen musste, jegliche strafrechtlichen Konsequenzen zu vermeiden.
23
(6) Schließlich wäre es angezeigt gewesen, im Rahmen der vorgenommenen Gesamtwürdigung nicht isoliert auf den Stampftritt abzustellen, sondern das gesamte Vorgehen des Angeklagten einschließlich des vorangegangenen, massiven Faustschlags in den Blick nehmen.
24
c) Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Urteils mit den entsprechenden Feststellungen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Tatgericht bei Einhaltung der gebotenen Erörterungspflichten zur Feststellung eines bedingten Tötungsvorsatzes gelangt wäre. Um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neubewertung der Tatumstände zu ermöglichen, waren neben den Feststellungen zur inneren Tatseite auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufzuheben.
25
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs bedingt ohne Weiteres den Wegfall des Strafausspruchs, der ferner einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten enthält, da § 213 Alt. 1 StGB nicht erörtert wurde. Insoweit wirkt die Revision der Staatsanwaltschaft zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).
26
a) Das Landgericht hat es unterlassen, sich ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen. Hierzu bestand nach den tatsächlichen Gegebenheiten des festgestellten Vorgehens des Nebenklägers gegen den Angeklagten (UA S. 13) Anlass (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 213 Rn. 2 ff.). Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig nahe legt, sofern nicht erschwerende Gründe im Einzelfall entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24 f.; Be- schlüsse vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Strafzumessung 2; vom 27. März 2012 – 5 StR 103/12, NStZ-RR 2012, 277 und vom 19. Juni 2012 – 3 StR 206/12, NStZ-RR 2012, 308; ferner Fischer, aaO, § 224 Rn. 34 mwN). Dies erscheint vorliegend zumindest nicht von vorneherein ausgeschlossen, zumal die Kammer weitere Milderungsgründe für die Zumessung der Strafe als bestimmend angesehen hat, namentlich das Geständnis und die Entschuldigung des Angeklagten.
27
b) Danach kann sich die Nichterörterung des § 213 Alt. 1 StGB hier auf die Strafrahmenwahl ausgewirkt haben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht, wenn es die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB geprüft und bejaht hätte entweder ohne Heranziehung des vertypten Milderungsgrundes nach § 21 StGB zur Annahme eines minder schweren Falles gelangt und eine weitere Strafrahmensenkung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen hätte oder zumindest bei kumulativer Berücksichtigung aller Milderungsgründe den Strafrahmen des § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB angewendet und daraus eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn es das Vorliegen der Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB und die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bei der allgemeinen Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten bewertet hätte.
28
In gleicher Weise gilt dies, sofern der neu berufene Tatrichter einen Tötungsvorsatz bejahen würde.
29
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Raum Graf Radtke Fischer Hohoff

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 416/17 vom 5. Dezember 2017 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:051217U1STR416.17.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vo

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Sept. 2017 - 1 StR 329/17

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Bundesgerichtshof Urteil, 01. Feb. 2017 - 2 StR 78/16

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Bundesgerichtshof Urteil, 13. Juli 2016 - 1 StR 94/16

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Referenzen

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 329/17
vom
7. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:070917B1STR329.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – am 7. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 3. März 2017 aufgehoben
a) im Fall C. I. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen ,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall C. II. der Urteilsgründe und
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere – allgemeine – Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Verabredung zum besonders schweren Raub zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
2
Die hiergegen gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Auf die – die Verurteilung im Fall C. I. der Urteilsgründe betreffenden – Verfahrensrügen kommt es nicht an.

I.


3
Der Schuldspruch im Fall C. I. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegende Beweiswürdigung weist Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
4
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrat der Angeklagte unmaskiert und ausgerüstet mit einem Pfefferspray am 31. März 2016 gegen 16.50 Uhr das Geschäft „A. “ des Zeugen K. in N. . In dem Geschäft war seit ca. 16.00 Uhr auch der gesondert Verfolgte B. anwesend. Der Angeklagte ließ sich eine Armbanduhr der Marke Br. im Wert von 2.750 € zeigen und legte sich diese selbst an sein Handgelenk, um sie zu betrachten. Daraufhin sprühte er dem Zeugen K. , der sich kurzzeitig von ihm abgewandt hatte, Pfefferspray in das Gesicht, nahm die Uhr an sich, verließ den Laden und rannte anschließend weg. Drei weitere Uhren der MarkeH. im Gesamtwert von 17.000 €, die den Kindern des Zeugen K. gehören und sich zur Reparatur im Geschäft befanden, nahm entweder der Angeklagte oder der gesondert Verfolgte B. , der gemeinschaftlich mit dem Angeklagten handelte, an sich. Der Zeuge K. erlitt durch den Einsatz des Pfeffersprays erhebliche Schmerzen in den Augen sowie Reizungen der Bindehäute.
5
2. Das Landgericht geht von einer Täterschaft des Angeklagten, der die Tat bestritten hat, aus. Es stützt seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Angaben einer Vertrauensperson, die diese gegenüber dem Zeugen KHK L. gemacht hat. Der Zeuge KHK L. hat erklärt, eine von ihm geführte Vertrauensperson habe am 28. April 2016 berichtet, sie habe gehört, dass der Angeklagte das Uhrengeschäft am 13. April 2016 überfallen habe, nachdem ein Mittäter bereits vorher das Geschäft betreten habe. Dieselbe Vertrauensperson habe zudem später telefonisch mitgeteilt, dass der Angeklagte plane, am 8. Mai 2016 die S. -Tankstelle in Er. zu überfallen, was sich als zutreffend erwiesen habe (Fall C. II. der Urteilsgründe). Das Landgericht hat die Angaben der Vertrauensperson aufgrund weiterer Indizien als bestätigt angesehen , unter anderem, weil der Angeklagte und der gesondert Verfolgte B. sich kennen und am Tattag in Kontakt standen, und weil der Angeklagte sich in dem Hotel, in dem der gesondert Verfolgte B. ein Zimmer gemietet hatte, spätestens ab 17.30 Uhr aufhielt. Das Landgericht sieht einen weiteren Beleg für die Täterschaft des Angeklagten in dessen Chatverkehr am Tat- tag, der „inhaltlich unproblematisch mit der Tat in Zusammenhang zubringen“ sei und auch zeitlich zu der Tat passe. Zudem sei ein Tatmotiv in bestehenden Schulden des Angeklagten gegenüber dem Zeugen Sh. zu sehen. Ein weiteres Indiz sieht die Kammer in dem Umstand, dass der Angeklagte am Tag nach der Tat einen Screenshot des Fahndungsaufrufs der Polizei zu dieser Tat auf seinem Mobiltelefon gespeichert hat.
6
3. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183 [insoweit nicht abgedruckt] und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben , dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet , sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 – 4 StR 423/16, NStZ-RR 2017, 223).
7
4. Nach diesem Maßstab begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beweiserwägungen sind lückenhaft, da das Landgericht sich nicht mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandergesetzt hat. Zudem hat es die erhobenen Beweise nicht erschöpfend gewürdigt und die einzelnen Beweisergebnisse nicht in eine umfassende Gesamtabwägung eingestellt. Dabei kann dahinstehen, ob die vom Landgericht gegenübergestellten Gesichtspunkte, die für und gegen die Annahme der Täterschaft des Angeklagten sprechen, schon die Anforderungen an eine Gesamtwürdi- gung erfüllen, weil das übergreifende wertende Element nicht erkennbar ist. Jedenfalls wäre eine solche Gesamtwürdigung lückenhaft.
8
a) Das Landgericht ist im Ansatz hinsichtlich der mittelbar eingeführten Angaben der Vertrauensperson zwar zutreffend von einem lediglich eingeschränkten Beweiswert ausgegangen und hat gesehen, dass die Bekundungen äußerst sorgfältig und zurückhaltend zu würdigen sind und durch andere gewichtige Beweisanzeichen außerhalb der Aussage bestätigt werden müssen (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926 Rn. 14 f.; BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 106; Beschluss vom 29. November 2006 – 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150, 155 jeweils mwN; Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 83a f.; KKStPO /Ott, 7. Aufl., § 261 Rn. 29a). Es hat diese Beweisanzeichen jedoch nicht unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten erschöpfend gewürdigt.
9
b) Dies gilt zunächst für den Chatverkehr des Angeklagten am Tattag. Die tatrichterlichen Beweiserwägungen sind diesbezüglich lückenhaft, da die Strafkammer sich im Hinblick auf den Chatverkehr zum Kleidungswechsel, den sie als wesentliches Indiz für die Täterschaft des Angeklagten ansieht, nicht mit den von der Beschreibung des Zeugen PHM G. abweichenden Angaben des Zeugen K. zur Bekleidung des Täters auseinandergesetzt hat. Die Strafkammer hat den im Chatverkehr geäußerten Wunsch des Angeklagten, ihm andere Kleidung in das – auch von dem gesondert Verfolgten B. bewohnte – Hotel zu bringen, vor dem Hintergrund der Beobachtung des PHM G. , der Täter habe ein grelles, neonfarbenes Oberteil getragen, als naheliegend gewertet (UA S. 19). Demgegenüber hat der Zeuge K. die Kleidung des Täters als dunkel (schwarz oder blau) beschrieben (UA S. 12). Die Strafkammer erörtert diesen Widerspruch in der Beschreibung der Kleidung durch die beiden Zeugen nicht.
10
Dasselbe gilt hinsichtlich der weiteren (Hilfs-)Erwägung der Strafkammer in Bezug auf die Plausibilität der zuvor beschriebenen Bitte des Angeklagten im Chat, wenn auf die Angabe der Zeugin Kö. , einer unbeteiligten Passantin, gegenüber der Polizei zur Kleidung des Täters („rot-weiß karierte[s] Hemd“) abgestellt werde (UA S. 19). Insoweit kommt hinzu, dass die Zeugin diese Angabe in der Hauptverhandlung nicht mehr bestätigt hat, sondern – was die Strafkammer an dieser Stelle ebenfalls nicht weiter erörtert – sich nicht mehr erinnern konnte (UA S. 12).
11
Die Strafkammer würdigt auch einen weiteren Chat vom Tattag unvoll- ständig, indem sie hinsichtlich des Inhalts „Ich kann nicht nach Hause … Polizei sucht mich-.- … Ja scheiße gemacht haha … Ich kann net heim brauch Cash -.-“ (…) „Hab voll Bein schmerzen … Hatte miese schlägerei“ lediglich ausführt, dass der Angeklagte weder namentlich von der Polizei gesucht worden sei, noch eine Schlägerei polizeilich bekannt geworden sei (UA S. 19 f.). Eine Bewertung dieses Chats dahingehend, ob und inwiefern sich daraus Schlüsse für oder gegen die Annahme einer Täterschaft des Angeklagten ergeben, unterbleibt hingegen vollständig. Dies hätte vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte lediglich über die Beteiligung an einer Schlägerei, nicht aber über einen Raub schreibt, aber nahegelegen.
12
Ungewürdigt bleibt auch der weitere Chat, in dem der Zeuge P. an den Angeklagten schreibt „Nicht mehr lange bis die deine Tür aufbrechen ich kann Dir nicht mehr helfen und für die ganze abzieherei mrk kassier ich kein Stich“ (UA S. 19). Die Strafkammer teilt insoweit nicht mit, welche Schlüsse sie hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Tat und der Täterschaft des Angeklagten daraus zieht.
13
Schließlich trägt der zeitliche Ablauf des Chatverkehrs des Angeklagten am Tattag (ab 13.20 Uhr) nicht die Wertung der Strafkammer, dass der Angeklagte sein Mobiltelefon über den gesamten Tag kaum aus der Hand legte, es jedoch ausgerechnet im Tatzeitraum nicht bediente (UA S. 20), wenn er sein Mobiltelefon – neben der Zeit von 16:30:06 Uhr bis 17:24:41 Uhr – insgesamt etwa vier weitere Stunden nicht genutzt hat.
14
c) Die Strafkammer schließt zudem nicht aus, dass ein Raub zum Nachteil des K. nicht vorgelegen haben könnte. Insoweit hätte sich das Landgericht – auch in der gebotenen Gesamtwürdigung – damit auseinandersetzen müssen, dass die Aufzeichnungsfunktion der Videokamera nicht funktionierte (UA S. 21) und die Tür zum Ladengeschäft, die normalerweise von innen verschlossen ist, im Hinblick auf die Anwesenheit von mehreren Personen geöffnet worden und nach deren Verlassen des Geschäfts nicht wieder verschlossen worden war (UA S. 5). Unter diesem Gesichtspunkt wäre weiter zu erörtern gewesen , dass der Zeuge K. den gesondert Verfolgten B. , der seinerseits in Kontakt mit dem Angeklagten stand, kannte (UA S. 16, 22), sowie, dass der Zeuge K. den Täter nicht identifizieren konnte (UA S. 9), vielmehr eine sehr unspezifische Täterbeschreibung abgegeben hat, die auf viele Männer zutrifft und hinsichtlich eines besonders auffälligen Details (grelles Oberteil) nicht mit der Beschreibung des unbeteiligten Zeugen PHM G. übereinstimmt. Insoweit wäre überdies weiter in den Blick zu nehmen gewesen, dass der Zeuge K. sich darauf berufen hat, ein schlechtes Personengedächtnis zu haben (UA S. 12) und sich in der Hauptverhandlung bei der Frage nach einem möglichen Wiedererkennen des Angeklagten nur kurz und unmotiviert umgese- hen hat (UA S. 12). In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung und wäre zu erörtern gewesen, dass der Zeuge K. nach seinen Angaben – unterstelltder Angeklagte wäre der Täter – trotz Hantierens mit Händen und Armen beim Anlegen der Uhr vor dem Zeugen die Tätowierungen an den Unterarmen nicht wahrgenommen hat. Schließlich hätte es auch der Erörterung des nicht alltäglichen Umstandes bedurft, dass die Uhren der drei Kinder des Zeugen K. gleichzeitig zur Reparatur im Geschäft waren.
15
d) Die Beweiswürdigung erweist sich im Übrigen auch deshalb als lückenhaft , da es das Landgericht versäumt, die Angaben des zunächst als Zeugen vernommenen gesondert verfolgten B. gegenüber dem Zeugen KOK R. im Zusammenhang wiederzugeben und zu würdigen. Dessen Angaben hat die Strafkammer lediglich punktuell dahingehend erörtert, ob die Bekundungen der Tatschilderung der Vertrauensperson entgegenstehen (UA S. 23 f.). Eine umfassende Darstellung und Würdigung der Angaben des B. wäre aber auch erforderlich gewesen, um diese in Beziehung zu den Angaben des Zeugen K. zu setzen.
16
e) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht. Die Sache bedarf daher im Hinblick auf Fall C. I. der Urteilsgründe neuer Verhandlung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird sich dabei um die Vernehmung der Vertrauensperson als unmittelbarem Zeugen zu bemühen haben (vgl. BGH, Großer Senat, Beschluss vom 17. Oktober 1983 – GSSt 1/83, BGHSt 32, 115, 125 f.; Urteil vom 16. April 1985 – 5 StR 718/84, BGHSt 33, 178, 180; Beschluss vom 3. November 1987 – 5 StR 579/87, BGHSt 35, 82, 85 und Urteil vom 31. März 1989 – 2 StR 706/88, BGHSt 36, 159, 161; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 67 mwN).

II.


17
Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch im Fall C. II. der Urteilsgründe wegen Verabredung zum besonders schweren Raub keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Allerdings kann der Ausspruch über die insoweit verhängte Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren keinen Bestand haben, weil sich die Begründung zur Strafrahmenwahl als rechtsfehlerhaft erweist.
18
Das Landgericht hat der Strafzumessung den gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB zugrunde gelegt. Das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB hat die Strafkammer verneint. Zur Begründung hat sie im Rahmen einer Gesamtbetrachtung für und gegen den Angeklagten sprechende Aspekte einbezogen, unter anderem das von Schuldeinsicht und Reue getragene Geständnis des Angeklagten und sein Einverständnis mit der Einziehung von Tatmitteln einerseits sowie tatbezogene Umstände, wie die Entwicklung des Tatplans durch den Angeklagten, das Scheitern der Tatausführung allein wegen einer Polizeikontrolle und die Vorahndungen des Angeklagten andererseits. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
19
Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist – wie hier gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB – auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst geprüft werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falles tragen. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so sind zusätzlich die den ge- setzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Strafrahmens danach weiterhin nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 7. März 2017 – 2 StR 567/16, juris Rn. 6 und vom 13. Oktober 2016 – 3 StR 248/16, juris Rn. 5, jeweils mwN).
20
Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat nicht geprüft, ob ein minder schwerer Fall anzunehmen ist, weil bei dem Angeklagten der gesetzlich vertypte Strafmilderungsgrund nach § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB vorliegt.
21
Über den Strafausspruch im Fall C. II. der Urteilsgründe ist daher neu zu befinden. Die ihm zugrunde liegenden Feststellungen sind rechtsfehlerfrei getroffen worden und können bestehen bleiben. Hierzu nicht in Widerspruch stehende ergänzende Feststellungen sind zulässig.

III.


22
Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall C. I. der Urteilsgründe und des Strafausspruchs im Fall C. II. der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
23
Da sich die Strafsache nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, ist die Zuständigkeit der Jugendkammer nicht mehr gegeben.
Raum Bellay RinBGH Dr. Fischer befindet sich im Urlaub und ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum
Bär Hohoff

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR521/14
vom
24. März 2015
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der schweren Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
24. März 2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt Ba.
als Vertreter der Nebenklägerin Bö. ,
Rechtsanwältin T.
als Vertreterin der Nebenklägerin H. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 24. März 2014 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen und Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und ihn hinsichtlich weiterer vier Tatvorwürfe aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten hat der Senat im Beschlusswege gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision gegen die Freisprüche des Angeklagten wegen drei der weiteren ihm vorgeworfenen Straftaten. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Dem Angeklagten lag zur Last, in zwei Fällen jeweils eine schwere Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen zu haben, indem er im Mai 2010 die Geschädigte Bö. und im Juni 2010 die Geschädigte H. durch heimliche Beibringung eines bewusstseinstrüben- den Mittels (sog. K.O.-Tropfen) in einen willenlosen Zustand versetzt und diesen jeweils zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs ausgenutzt habe. Darüber hinaus war ihm vorgeworfen worden, eine räuberische Erpressung in Tateinheit mit Anstiftung zum Betrug verübt zu haben; er habe U. und L. unter Androhung körperlicher Repressalien dazu gebracht, dass L. unter Vortäuschung von Zahlungswilligkeit und -fähigkeit einen Mobilfunkvertrag abgeschlossen und anschließend dem Angeklagten das erlangte Mobiltelefon nebst SIM-Karte weisungsgemäß ausgehändigt habe.
3
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
a) Die Nebenklägerin Bö. lernte den Angeklagten über einen Chat kennen und verabredete sich mit ihm für den Abend des 12. Mai 2010. Begleitet von ihrer Freundin P. und einem Bekannten des Angeklagten besuchten sie eine Diskothek, in der sie Alkohol tranken und sich küssten. Als ihr aufgrund des Alkoholkonsums schlecht wurde, wurde sie von mehreren Personen vor die Diskothek gebracht. Anschließend fuhr sie mit dem Angeklagten in einem Taxi zu dessen Wohnung. Dabei war sie alkoholbedingt enthemmt; sie wusste jedoch noch, was sie tat, und konnte sich ihrem Willen entsprechend ohne erhebliche Beeinträchtigung steuern und äußern (UA S. 51). Nachdem sie, in der Wohnung angelangt, weiterhin unter Übelkeit gelitten hatte, zog sie sich aus, legte sich ins Bett und schlief ein. Am nächsten Morgen verließ die Nebenklägerin Bö. die Wohnung des noch schlafenden Angeklagten, ohne ihn zu wecken , weil ihr Verhalten ihr peinlich war. Sie ließ sich von ihrem ehemaligen Freund nach Hause bringen, mit dem sie noch am selben Abend an einer Feier teilnahm.
5
b) In der Nacht zum 3. Juni 2010 besuchte die Nebenklägerin H. , die „gerne Schnaps trank, diesen gut vertrug und am Vortag oderam Morgen des 3. Juni 2010 Crystal konsumiert hatte“ (UA S. 53), mit Freunden eine Diskothek. Dort traf sie den ihr bereits bekannten Angeklagten, mit dem sie früher „gelegentlich Zärtlichkeiten in nicht näher ermittelbarer Art“ (UA S. 52) ausge- tauscht hatte. Gemeinsam mit dem Angeklagten konsumierte sie innerhalb von zehn bis zwanzig Minuten jeweils zehn Gläser mit 4 cl „Wodka-Energy“. Etwa eine Stunde später fuhr sie mit dem Angeklagten und einem ihm Bekannten zu dessen Wohnung. Dort spielten sie bei weiterem Alkoholkonsum zu Dritt ein Spiel, in dessen Verlauf sie sich einzelne Kleidungsstücke auszogen und H. , die alkoholbedingt – lediglich – enthemmt ihre Mitspieler küsste. Außerdem kam es zwischen ihr und dem Angeklagten zum Geschlechtsverkehr. Nachdem sie zuvor ihren Freunden gegenüber telefonisch ihre baldige Rückkehr in die Diskothek angekündigt hatte, nutzte nicht ausschließbar der Bekannte des Angeklagten einen Toilettenbesuch H. s dazu, aus ihrem Mobiltelefon die SIM-Karte zu entfernen, zu zerbrechen und zu verstecken, weil er sich bei ihrem längeren Aufenthalt in seiner Wohnung einen intensiveren Austausch von Zärtlichkeiten mit ihr erhoffte. Gegen 6:00 Uhr schlief H. auf einem Sofa ein. Als sie kurz darauf wieder erwachte, war ihr aufgrund des vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums schwindelig und ihr fiel ein, dass sie einen Termin beim Arbeitsamt hatte. Sie verließ die Wohnung und fuhr zunächst zu ihren Freunden, denen gegenüber sie über Schmerzen an den Oberschenkeln klagte und andeutete, sexuell bedrängt worden zu sein. Sie konsumierte Liquid Ecstasy und ließ sich von ihrer Hausärztin krankschreiben.
6
c) Am 22. Mai 2010 schloss L. auf Veranlassung seines Freundes U. einen Mobilfunkvertrag, der die Aushändigung eines Mobiltelefons umfasste. Hierbei täuschte er seine tatsächlich nicht bestehende Zahlungswilligkeit und -fähigkeit vor. Die bis zum 13. Juli 2010 angefallenen Tele- fonkosten in Höhe von 355 Euro entrichtete er nicht. Um sich weiteren Forderungen des Mobilfunkanbieters und Vorwürfen seiner Mutter zu entziehen, dachte er sich aus, dass der sich mittlerweile in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte ihn und U. unter Ankündigung, diesen andernfalls töten zu wollen , gezwungen habe, den Vertrag abzuschließen.
7
3. Die angefochtenen Freisprüche halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
8
a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).
9
b) Daran gemessen ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landgericht die erforderliche Gesamtwürdigung der be- und entlastenden Umstände in jedem der angegriffenen Fälle vorgenommen und sich mit den Angaben der betroffenen Nebenklägerinnen ausführlich auseinandergesetzt. Die Schlussfolgerungen und Wertungen des Landgerichts sind tatsachenfundiert, lassen keine Rechtsfehler erkennen und halten sich im tatgerichtlichen Beurteilungsspielraum. Die Revision hat weder Widersprüche noch wesentliche Erörterungsmängel aufgezeigt. Die Beanstandungen der Revision zielen auf eine andere Bewertung von Tatsachen ab, die das Landgericht aber allesamt bedacht hat.
10
aa) Hinsichtlich der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat zum Nachteil der Nebenklägerin Bö. hat das Landgericht nicht ausschließen können, dass deren Erinnerungsvermögen – entgegen ihren Angaben – bei alkoholbedingter Enthemmung nicht vorübergehend aufgehoben, sondern insgesamt erhalten geblieben war. Nachvollziehbar hat es das Landgericht insbesondere aufgrund der Aussage der Zeugin Br. für möglich gehalten, dass Bö. sich ein Erlebnis, das ihr die Zeugin Br. im Zusammenhang mit einer Verabreichung von „K.O.-Tropfen“ geschildert hatte, zu eigen gemacht habe, um eine freiwillige Übernachtung bei dem Angeklagten gegenüber ihrer Mutter und ihrem ehemaligen Freund zu rechtfertigen (UA S. 83 f.). Die Zeugin Br. war von der Mutter der Nebenklägerin um ein Gespräch mit ihrer Tochter gebeten worden, weil die Mutter vermutet hatte, dass es eine Verbindung mit dem ihr von Br. berichteten Geschehen gäbe (UA S. 73). Das Landgericht hat weiter bedacht, dass die Nebenklägerin ihre Angaben zur Aufnahme der alkoholischen Getränke, zu ihrer Erinnerungslücke und ihrem Zustand beim Erwachen gegenüber verschiedenen Personen im Zeitablauf verändert hatte. Es vermochte nicht festzustellen, dass sie zu ihren wechselnden Schilderungen (vgl. UA S. 69, 71) etwa durch gravierende Angstzustände oder eine erhebliche Beeinträchtigung des seelischen Befindens und der körperlichen Gesundheit veranlasst worden sein könnte, da sie am Abend nach dem Geschehen mit Freunden feierte und Geschlechtsverkehr hatte (UA S. 75). Vielmehr hat das Landgericht nicht ausschließen können, dass die Nebenklägerin und ihre Freundin P. frühzeitig Handlungen, soweit sie elterlichen Erwartungen nicht entsprachen, nicht oder nicht vollständig preisgegeben oder aber der Beigabe von „K.O.-Tropfen“ zugeschrieben hätten. Insoweit hatte das Landgericht neben der Aussage der Zeugin Br. auch die Angaben der Zeugin P. in deren polizeilicher Vernehmung zu berücksichtigen, in der sie einräumte, dass Bö. deren Mutter das Geschehen anders geschildert und sie „wohl angeschwindelt habe, weil sie Ärger befürchtet habe, wenn sie die Wahrheit sage“ (UA S. 79 f.). Gegen diese Beweiswürdigung ist nichts zu erinnern.
11
bb) In dem die Nebenklägerin H. betreffenden Fall ist das Landgericht von einem nicht ausschließbar einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und H. ausgegangen. Es hat dabei sämtliche – fürsich genommen gewichtigen belastenden – Indizien, wie Schmerzen und eine schwache Unterblutung an der Oberschenkelinnenseite, Nachweis von Sperma des Angeklagten in der Scheide der Nebenklägerin und von Gammahydroxybuttersäure (GHB) im Urin der Nebenklägerin (UA S. 94, 96) erkannt und bewertet, sich aber nach umfassender Gesamtwürdigung im Ergebnis nicht von dem in der Anklage vorgeworfenen Tatgeschehen zu überzeugen vermocht. Das Landgericht hat der Nebenklägerin H. nicht geglaubt, dass sie sich nicht habe erinnern können, ob es jemals zwischen ihr unddem Angeklagten Zärtlichkeiten in ansonsten unbeeinträchtigten Situationen gegeben habe (UA S. 84, 87, 98). Es hat ferner bedacht, dass aus sachverständiger Sicht eine Substanz mit dem Wirkstoff GHB auch noch nach dem vorgeworfenen Tatgeschehen eingenommen worden sein könnte. Das Landgericht ist insofern zu dem – nach den Gesamtumständen möglichen – Schluss gekommen, dass H. , in deren Urin auch Amphetamine nachgewiesen worden sind, am nächsten Morgen in der Wohnung ihrer Drogen konsumierenden Freunde Liquid Ecstasy eingenommen hat. Auch haben sich für die sachverständig beratene Strafkammer die von der Nebenklägerin beschriebene Erinnerungslücke und der Umstand, dass sie beim nächtlichen Telefonat mit ihrer Freundin „durcheinander“ gewirkt habe, allein durch den massiven Alkoholkonsum und nicht durch die Einnahme eines Narkosemittels erklären lassen (UA S. 88, 97). Die gewissen Parallelen zu den weiteren Anklagevorwürfen der übrigen Nebenklägerinnen mit dem Angeklagten hat das Landgericht gesehen (UA S. 98), es vermochte sich jedoch letztlich insbesondere wegen der Alkoholgewöhnung und der wechselnden Angaben der Nebenklägerin H. zu ihrem Erinnerungsvermögen nicht von einer erheblichen Willensbeeinträchtigung bei Durchführung des Geschlechtsverkehrs zu überzeugen. Diese Würdigung hat der Senat angesichts des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs hinzunehmen.
12
c) Auf die wenig verlässlichen, von erheblichem Belastungseifer getragenen und zum Teil widersprüchlichen Angaben der Zeugen U. und L. hat die Strafkammer auch eingedenk der erst im August 2010 erfolgten Anzeigenerstattung zu Recht keine Verurteilung gestützt.
Sander Schneider König
Berger Bellay
18
1. Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Ur- teil vom 10. Dezember 2014 - 5 StR 136/14 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).
9
a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (siehe nur BGH, Beschlüsse vom 7. August 2014 – 3 StR 224/14 Rn. 5 [in NStZ-RR 2014, 349 nur redaktioneller Leitsatz] und vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Der Beur- teilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfeh- ler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 mwN und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15, Rn. 18; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87 und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18; siehe auch BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15 Rn. 26; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN). Die Überzeugung des Tatgerichts muss in den Feststellungen und der diesen zugrunde liegenden Beweiswürdigung allerdings eine ausreichende objektive Grundlage finden (BGH, Urteil vom 19. April 2016 – 5 StR 594/15 Rn. 6; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387, 388). Es ist im Fall einer Verurteilung des Angeklagten grundsätzlich verpflichtet, die für den Schuldspruch wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 20. März 2002 – 5 StR 448/01 und vom 25. Februar 2015 – 4 St4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]).
20
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen , wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15, Rn. 27, zit. nach juris, mwN [insoweit in NStZ-RR 2016, 272 nicht abgedruckt]). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen aus- zugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. etwa Senat, Urteil vom 22. September 2016 – 2 StR 27/16, Rn. 26, zit. nach juris mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 329/17
vom
7. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:070917B1STR329.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – am 7. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 3. März 2017 aufgehoben
a) im Fall C. I. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen ,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall C. II. der Urteilsgründe und
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere – allgemeine – Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Verabredung zum besonders schweren Raub zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
2
Die hiergegen gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Auf die – die Verurteilung im Fall C. I. der Urteilsgründe betreffenden – Verfahrensrügen kommt es nicht an.

I.


3
Der Schuldspruch im Fall C. I. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegende Beweiswürdigung weist Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
4
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrat der Angeklagte unmaskiert und ausgerüstet mit einem Pfefferspray am 31. März 2016 gegen 16.50 Uhr das Geschäft „A. “ des Zeugen K. in N. . In dem Geschäft war seit ca. 16.00 Uhr auch der gesondert Verfolgte B. anwesend. Der Angeklagte ließ sich eine Armbanduhr der Marke Br. im Wert von 2.750 € zeigen und legte sich diese selbst an sein Handgelenk, um sie zu betrachten. Daraufhin sprühte er dem Zeugen K. , der sich kurzzeitig von ihm abgewandt hatte, Pfefferspray in das Gesicht, nahm die Uhr an sich, verließ den Laden und rannte anschließend weg. Drei weitere Uhren der MarkeH. im Gesamtwert von 17.000 €, die den Kindern des Zeugen K. gehören und sich zur Reparatur im Geschäft befanden, nahm entweder der Angeklagte oder der gesondert Verfolgte B. , der gemeinschaftlich mit dem Angeklagten handelte, an sich. Der Zeuge K. erlitt durch den Einsatz des Pfeffersprays erhebliche Schmerzen in den Augen sowie Reizungen der Bindehäute.
5
2. Das Landgericht geht von einer Täterschaft des Angeklagten, der die Tat bestritten hat, aus. Es stützt seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Angaben einer Vertrauensperson, die diese gegenüber dem Zeugen KHK L. gemacht hat. Der Zeuge KHK L. hat erklärt, eine von ihm geführte Vertrauensperson habe am 28. April 2016 berichtet, sie habe gehört, dass der Angeklagte das Uhrengeschäft am 13. April 2016 überfallen habe, nachdem ein Mittäter bereits vorher das Geschäft betreten habe. Dieselbe Vertrauensperson habe zudem später telefonisch mitgeteilt, dass der Angeklagte plane, am 8. Mai 2016 die S. -Tankstelle in Er. zu überfallen, was sich als zutreffend erwiesen habe (Fall C. II. der Urteilsgründe). Das Landgericht hat die Angaben der Vertrauensperson aufgrund weiterer Indizien als bestätigt angesehen , unter anderem, weil der Angeklagte und der gesondert Verfolgte B. sich kennen und am Tattag in Kontakt standen, und weil der Angeklagte sich in dem Hotel, in dem der gesondert Verfolgte B. ein Zimmer gemietet hatte, spätestens ab 17.30 Uhr aufhielt. Das Landgericht sieht einen weiteren Beleg für die Täterschaft des Angeklagten in dessen Chatverkehr am Tat- tag, der „inhaltlich unproblematisch mit der Tat in Zusammenhang zubringen“ sei und auch zeitlich zu der Tat passe. Zudem sei ein Tatmotiv in bestehenden Schulden des Angeklagten gegenüber dem Zeugen Sh. zu sehen. Ein weiteres Indiz sieht die Kammer in dem Umstand, dass der Angeklagte am Tag nach der Tat einen Screenshot des Fahndungsaufrufs der Polizei zu dieser Tat auf seinem Mobiltelefon gespeichert hat.
6
3. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183 [insoweit nicht abgedruckt] und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben , dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet , sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 – 4 StR 423/16, NStZ-RR 2017, 223).
7
4. Nach diesem Maßstab begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beweiserwägungen sind lückenhaft, da das Landgericht sich nicht mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandergesetzt hat. Zudem hat es die erhobenen Beweise nicht erschöpfend gewürdigt und die einzelnen Beweisergebnisse nicht in eine umfassende Gesamtabwägung eingestellt. Dabei kann dahinstehen, ob die vom Landgericht gegenübergestellten Gesichtspunkte, die für und gegen die Annahme der Täterschaft des Angeklagten sprechen, schon die Anforderungen an eine Gesamtwürdi- gung erfüllen, weil das übergreifende wertende Element nicht erkennbar ist. Jedenfalls wäre eine solche Gesamtwürdigung lückenhaft.
8
a) Das Landgericht ist im Ansatz hinsichtlich der mittelbar eingeführten Angaben der Vertrauensperson zwar zutreffend von einem lediglich eingeschränkten Beweiswert ausgegangen und hat gesehen, dass die Bekundungen äußerst sorgfältig und zurückhaltend zu würdigen sind und durch andere gewichtige Beweisanzeichen außerhalb der Aussage bestätigt werden müssen (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926 Rn. 14 f.; BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 106; Beschluss vom 29. November 2006 – 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150, 155 jeweils mwN; Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 83a f.; KKStPO /Ott, 7. Aufl., § 261 Rn. 29a). Es hat diese Beweisanzeichen jedoch nicht unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten erschöpfend gewürdigt.
9
b) Dies gilt zunächst für den Chatverkehr des Angeklagten am Tattag. Die tatrichterlichen Beweiserwägungen sind diesbezüglich lückenhaft, da die Strafkammer sich im Hinblick auf den Chatverkehr zum Kleidungswechsel, den sie als wesentliches Indiz für die Täterschaft des Angeklagten ansieht, nicht mit den von der Beschreibung des Zeugen PHM G. abweichenden Angaben des Zeugen K. zur Bekleidung des Täters auseinandergesetzt hat. Die Strafkammer hat den im Chatverkehr geäußerten Wunsch des Angeklagten, ihm andere Kleidung in das – auch von dem gesondert Verfolgten B. bewohnte – Hotel zu bringen, vor dem Hintergrund der Beobachtung des PHM G. , der Täter habe ein grelles, neonfarbenes Oberteil getragen, als naheliegend gewertet (UA S. 19). Demgegenüber hat der Zeuge K. die Kleidung des Täters als dunkel (schwarz oder blau) beschrieben (UA S. 12). Die Strafkammer erörtert diesen Widerspruch in der Beschreibung der Kleidung durch die beiden Zeugen nicht.
10
Dasselbe gilt hinsichtlich der weiteren (Hilfs-)Erwägung der Strafkammer in Bezug auf die Plausibilität der zuvor beschriebenen Bitte des Angeklagten im Chat, wenn auf die Angabe der Zeugin Kö. , einer unbeteiligten Passantin, gegenüber der Polizei zur Kleidung des Täters („rot-weiß karierte[s] Hemd“) abgestellt werde (UA S. 19). Insoweit kommt hinzu, dass die Zeugin diese Angabe in der Hauptverhandlung nicht mehr bestätigt hat, sondern – was die Strafkammer an dieser Stelle ebenfalls nicht weiter erörtert – sich nicht mehr erinnern konnte (UA S. 12).
11
Die Strafkammer würdigt auch einen weiteren Chat vom Tattag unvoll- ständig, indem sie hinsichtlich des Inhalts „Ich kann nicht nach Hause … Polizei sucht mich-.- … Ja scheiße gemacht haha … Ich kann net heim brauch Cash -.-“ (…) „Hab voll Bein schmerzen … Hatte miese schlägerei“ lediglich ausführt, dass der Angeklagte weder namentlich von der Polizei gesucht worden sei, noch eine Schlägerei polizeilich bekannt geworden sei (UA S. 19 f.). Eine Bewertung dieses Chats dahingehend, ob und inwiefern sich daraus Schlüsse für oder gegen die Annahme einer Täterschaft des Angeklagten ergeben, unterbleibt hingegen vollständig. Dies hätte vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte lediglich über die Beteiligung an einer Schlägerei, nicht aber über einen Raub schreibt, aber nahegelegen.
12
Ungewürdigt bleibt auch der weitere Chat, in dem der Zeuge P. an den Angeklagten schreibt „Nicht mehr lange bis die deine Tür aufbrechen ich kann Dir nicht mehr helfen und für die ganze abzieherei mrk kassier ich kein Stich“ (UA S. 19). Die Strafkammer teilt insoweit nicht mit, welche Schlüsse sie hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Tat und der Täterschaft des Angeklagten daraus zieht.
13
Schließlich trägt der zeitliche Ablauf des Chatverkehrs des Angeklagten am Tattag (ab 13.20 Uhr) nicht die Wertung der Strafkammer, dass der Angeklagte sein Mobiltelefon über den gesamten Tag kaum aus der Hand legte, es jedoch ausgerechnet im Tatzeitraum nicht bediente (UA S. 20), wenn er sein Mobiltelefon – neben der Zeit von 16:30:06 Uhr bis 17:24:41 Uhr – insgesamt etwa vier weitere Stunden nicht genutzt hat.
14
c) Die Strafkammer schließt zudem nicht aus, dass ein Raub zum Nachteil des K. nicht vorgelegen haben könnte. Insoweit hätte sich das Landgericht – auch in der gebotenen Gesamtwürdigung – damit auseinandersetzen müssen, dass die Aufzeichnungsfunktion der Videokamera nicht funktionierte (UA S. 21) und die Tür zum Ladengeschäft, die normalerweise von innen verschlossen ist, im Hinblick auf die Anwesenheit von mehreren Personen geöffnet worden und nach deren Verlassen des Geschäfts nicht wieder verschlossen worden war (UA S. 5). Unter diesem Gesichtspunkt wäre weiter zu erörtern gewesen , dass der Zeuge K. den gesondert Verfolgten B. , der seinerseits in Kontakt mit dem Angeklagten stand, kannte (UA S. 16, 22), sowie, dass der Zeuge K. den Täter nicht identifizieren konnte (UA S. 9), vielmehr eine sehr unspezifische Täterbeschreibung abgegeben hat, die auf viele Männer zutrifft und hinsichtlich eines besonders auffälligen Details (grelles Oberteil) nicht mit der Beschreibung des unbeteiligten Zeugen PHM G. übereinstimmt. Insoweit wäre überdies weiter in den Blick zu nehmen gewesen, dass der Zeuge K. sich darauf berufen hat, ein schlechtes Personengedächtnis zu haben (UA S. 12) und sich in der Hauptverhandlung bei der Frage nach einem möglichen Wiedererkennen des Angeklagten nur kurz und unmotiviert umgese- hen hat (UA S. 12). In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung und wäre zu erörtern gewesen, dass der Zeuge K. nach seinen Angaben – unterstelltder Angeklagte wäre der Täter – trotz Hantierens mit Händen und Armen beim Anlegen der Uhr vor dem Zeugen die Tätowierungen an den Unterarmen nicht wahrgenommen hat. Schließlich hätte es auch der Erörterung des nicht alltäglichen Umstandes bedurft, dass die Uhren der drei Kinder des Zeugen K. gleichzeitig zur Reparatur im Geschäft waren.
15
d) Die Beweiswürdigung erweist sich im Übrigen auch deshalb als lückenhaft , da es das Landgericht versäumt, die Angaben des zunächst als Zeugen vernommenen gesondert verfolgten B. gegenüber dem Zeugen KOK R. im Zusammenhang wiederzugeben und zu würdigen. Dessen Angaben hat die Strafkammer lediglich punktuell dahingehend erörtert, ob die Bekundungen der Tatschilderung der Vertrauensperson entgegenstehen (UA S. 23 f.). Eine umfassende Darstellung und Würdigung der Angaben des B. wäre aber auch erforderlich gewesen, um diese in Beziehung zu den Angaben des Zeugen K. zu setzen.
16
e) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht. Die Sache bedarf daher im Hinblick auf Fall C. I. der Urteilsgründe neuer Verhandlung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird sich dabei um die Vernehmung der Vertrauensperson als unmittelbarem Zeugen zu bemühen haben (vgl. BGH, Großer Senat, Beschluss vom 17. Oktober 1983 – GSSt 1/83, BGHSt 32, 115, 125 f.; Urteil vom 16. April 1985 – 5 StR 718/84, BGHSt 33, 178, 180; Beschluss vom 3. November 1987 – 5 StR 579/87, BGHSt 35, 82, 85 und Urteil vom 31. März 1989 – 2 StR 706/88, BGHSt 36, 159, 161; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 67 mwN).

II.


17
Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch im Fall C. II. der Urteilsgründe wegen Verabredung zum besonders schweren Raub keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Allerdings kann der Ausspruch über die insoweit verhängte Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren keinen Bestand haben, weil sich die Begründung zur Strafrahmenwahl als rechtsfehlerhaft erweist.
18
Das Landgericht hat der Strafzumessung den gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB zugrunde gelegt. Das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB hat die Strafkammer verneint. Zur Begründung hat sie im Rahmen einer Gesamtbetrachtung für und gegen den Angeklagten sprechende Aspekte einbezogen, unter anderem das von Schuldeinsicht und Reue getragene Geständnis des Angeklagten und sein Einverständnis mit der Einziehung von Tatmitteln einerseits sowie tatbezogene Umstände, wie die Entwicklung des Tatplans durch den Angeklagten, das Scheitern der Tatausführung allein wegen einer Polizeikontrolle und die Vorahndungen des Angeklagten andererseits. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
19
Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist – wie hier gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB – auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst geprüft werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falles tragen. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so sind zusätzlich die den ge- setzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Strafrahmens danach weiterhin nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 7. März 2017 – 2 StR 567/16, juris Rn. 6 und vom 13. Oktober 2016 – 3 StR 248/16, juris Rn. 5, jeweils mwN).
20
Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat nicht geprüft, ob ein minder schwerer Fall anzunehmen ist, weil bei dem Angeklagten der gesetzlich vertypte Strafmilderungsgrund nach § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB vorliegt.
21
Über den Strafausspruch im Fall C. II. der Urteilsgründe ist daher neu zu befinden. Die ihm zugrunde liegenden Feststellungen sind rechtsfehlerfrei getroffen worden und können bestehen bleiben. Hierzu nicht in Widerspruch stehende ergänzende Feststellungen sind zulässig.

III.


22
Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall C. I. der Urteilsgründe und des Strafausspruchs im Fall C. II. der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
23
Da sich die Strafsache nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, ist die Zuständigkeit der Jugendkammer nicht mehr gegeben.
Raum Bellay RinBGH Dr. Fischer befindet sich im Urlaub und ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum
Bär Hohoff

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 420/14
vom
12. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –,
Richterin am Landgericht – bei der Verkündung –
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 24. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs und fahrlässigen unerlaubten Besitzes eines nach dem Waffengesetz verbotenen Gegenstandes zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf, einen (besonders) schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie einen Diebstahl begangen zu haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den hinsichtlich der Raubtat ergangenen Teilfreispruch.
2
Ausweislich der Ausführungen in der Revisionsrechtfertigung, mit denen die Beschwerdeführerin ausschließlich den Freispruch vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung als sachlich-rechtlich fehlerhaft beanstandet, ist das Rechtsmittel ungeachtet des in der Revisionsbegründung abschließend formulierten umfassenden Aufhebungsantrags auf diesen Teilfreispruch beschränkt (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1989 – 3 StR453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 468/14 Rn. 7 mwN; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 7).
3
Die wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.


4
Zu dem in der zugelassenen Anklage gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurf, gemeinsam mit einem bislang unbekannten Täter einen schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen zu haben, hat die Strafkammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
In den frühen Morgenstunden des 10. Juli 2013 gegen 2.00/2.30 Uhr klingelte es an der Wohnungstür des Geschädigten. Unbedarft öffnete er die Wohnungstür und erblickte zwei schwarz gekleidete und mit Sturmhauben maskierte männliche Personen, welche ihn unvermittelt zurück in seine Wohnung drängten und zu Boden zwangen. Einer der beiden Männer hielt einen schwarzen, etwa 50 bis 80 cm langen Schlagstock in der Hand und fuchtelte mit diesem herum, wobei er den Geschädigten auch am linken Unterarm traf. Während einer der beiden maskierten Männer den Geschädigten mit dem Fuß auf dem Brustkorb am Boden hielt, trug der andere verschiedene elektronische Geräte in der Wohnung zusammen. Er holte einen Rucksack aus dem Schlafzimmer und verstaute darin einen Laptop Sony Vaio, eine Playstation 3 sowie eine Toshiba Festplatte. Ferner stellte er ein Mischpult Traktor Kontrol S2, welches sich in einem Karton befand, zur Mitnahme bereit. Anschließend forderten die Täter den Geschädigten auf, sowohl seine Geldbörse als auch sein Mobiltelefon , ein Apple iPhone 4-8 GB, herauszugeben. Aus Angst und unter dem Eindruck des Überfalls stehend übergab der Geschädigte die geforderten Gegenstände. In der Geldbörse befanden sich u.a. der Personalausweis, der Führerschein und die Krankenkassenkarte des Geschädigten. Unter Mitnahme der genannten Gegenstände verließen die Täter sodann die Wohnung.
6
Das Mobiltelefon des Geschädigten verkaufte der Angeklagte am 22. Juli 2013 für 130 € an den Bruder seiner ehemaligen Freundin, nachdem er es in der Zeit vom 12. Juli 2013 bis zum Verkauf selbst genutzt hatte. Das entwendete Laptop nutzte der Angeklagte vom 12. Juli bis 15. Juli 2013 und veräußerte es anschließend für 100 € an seine ehemalige Freundin. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten konnten am 22. Juli 2013 das Mischpult des Geschädigten sowie dessen Führerschein und Krankenkassenkarte aufgefunden werden.
7
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Beteiligung an dem Raubüberfall zum Nachteil des Geschädigten freigesprochen, weil nicht habe festgestellt werden können, wie der Angeklagte an die Gegenstände aus der Tatbeute gelangt sei. Die tatsächlichen Voraussetzungen für eine wahldeutige Verurteilung wegen Diebstahls oder Hehlerei hat es verneint.

II.


8
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die dem Teilfreispruch zugrunde liegende Beweiswürdigung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
9
1. Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 2011 – 1 StR 600/10, NStZ 2011, 302; vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78 aaO). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12, NStZ 2013, 180). Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 aaO; vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14 Rn. 7; vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
10
2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht in jeder Hinsicht gerecht.
11
a) Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten, er sei, nachdem er am Tattag bis gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr bei seiner Schwester gewesen sei, von dort an die Schwimmhalle in Bitterfeld gefahren worden, wo er seinen Bekannten K. O. getroffen habe, der ihm „schöne Dinge“ angeboten und gefragt habe, ob er daran Interesse habe, als unglaubhaft bewertet. Dabei hat sie sich u.a. auf die Zeugenaussage der Schwester des Angeklagten gestützt, die bekundet hat, den Angeklagten gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr gemeinsam mit einer Freundin von ihr zur Haustür begleitet, ihn anschließend aber nicht zur Schwimmhalle gefahren zu haben. Wenn das Landgericht dieses Beweisergebnis dahingehend bewertet, dass dem Angeklagten für die Tatzeit ein Alibi fehlt (UA S. 22), liegt dem ersichtlich die Annahme zugrunde, dass es dem Angeklagten nach den zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten möglich war, nach dem Verlassen der Wohnung der Schwester um 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr die wenig später um 2.00/2.30 Uhr verübte Raubtat zu begehen. Die objektiv belegte Gelegenheit zur Tatausführung, die daraus resultiert, dass der Angeklagte maximal 1 ½ Stunden vor der Tat in der eine Tatausführung ermöglichenden Nähe zum Tatort unterwegs war, stellt aber ein den Angeklagten belastendes Indiz dar, das in seinem Beweiswert durch den bloßen Hinweis auf das fehlende Alibi zur Tatzeit nicht erschöpfend erfasst wird und daher in die tatrichterlichen Überlegungen hätte einbezogen werden müssen.
12
b) Im Rahmen der Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse wäre zudem zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte nicht nur über ohne weiteres selbst zu nutzende oder wirtschaftlich verwertbare Gegenstände aus der Beute verfügte , sondern mit dem Führerschein und der Krankenkassenkarte des Geschädigten auch solche Beutestücke in Besitz hatte, denen kein unmittelbarer Vermögenswert zukommt und für deren Überlassung durch einen Raubtäter kein nachvollziehbarer Anlass erkennbar ist.
13
c) Mit seiner der Ablehnung einer wahldeutigen Verurteilung zugrunde liegenden Annahme, der Erwerb der Gegenstände aus der Beute könne auch auf einem dritten Weg erfolgt sein, der in seiner konkreten Gestalt nicht näher bekannt sei, hat die Strafkammer schließlich eine Sachverhaltsvariante für möglich erachtet, für welche sich aus dem Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben. Soweit die Strafkammer in der Unglaubhaftigkeit der Schilderung des Angeklagten über den (hehlerischen) Erwerb der Gegenstände von seinem Bekannten K. O. einen Anhalt für ihre Annahme gesehen hat, hat sie verkannt, dass der widerlegten Einlassung des Angeklagten keine Beweisbedeutung zukommt, die gegen eine anderweitige hehlerische Erlangung der Beutestücke durch den Angeklagten spricht. Das Landgericht hat es insoweit versäumt, eine umfassende Würdigung aller Beweisumstände vorzunehmen und auf dieser Grundlage zu prüfen und zu entscheiden, ob die Beweisergebnisse die Überzeugung zu tragen vermögen, dass der Angeklagte die Gegenstände aus der Tatbeute entweder durch die Raubtat oder im Wege der Hehlerei erlangt hat.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 329/17
vom
7. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:070917B1STR329.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – am 7. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 3. März 2017 aufgehoben
a) im Fall C. I. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen ,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall C. II. der Urteilsgründe und
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere – allgemeine – Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Verabredung zum besonders schweren Raub zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
2
Die hiergegen gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Auf die – die Verurteilung im Fall C. I. der Urteilsgründe betreffenden – Verfahrensrügen kommt es nicht an.

I.


3
Der Schuldspruch im Fall C. I. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegende Beweiswürdigung weist Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
4
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrat der Angeklagte unmaskiert und ausgerüstet mit einem Pfefferspray am 31. März 2016 gegen 16.50 Uhr das Geschäft „A. “ des Zeugen K. in N. . In dem Geschäft war seit ca. 16.00 Uhr auch der gesondert Verfolgte B. anwesend. Der Angeklagte ließ sich eine Armbanduhr der Marke Br. im Wert von 2.750 € zeigen und legte sich diese selbst an sein Handgelenk, um sie zu betrachten. Daraufhin sprühte er dem Zeugen K. , der sich kurzzeitig von ihm abgewandt hatte, Pfefferspray in das Gesicht, nahm die Uhr an sich, verließ den Laden und rannte anschließend weg. Drei weitere Uhren der MarkeH. im Gesamtwert von 17.000 €, die den Kindern des Zeugen K. gehören und sich zur Reparatur im Geschäft befanden, nahm entweder der Angeklagte oder der gesondert Verfolgte B. , der gemeinschaftlich mit dem Angeklagten handelte, an sich. Der Zeuge K. erlitt durch den Einsatz des Pfeffersprays erhebliche Schmerzen in den Augen sowie Reizungen der Bindehäute.
5
2. Das Landgericht geht von einer Täterschaft des Angeklagten, der die Tat bestritten hat, aus. Es stützt seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Angaben einer Vertrauensperson, die diese gegenüber dem Zeugen KHK L. gemacht hat. Der Zeuge KHK L. hat erklärt, eine von ihm geführte Vertrauensperson habe am 28. April 2016 berichtet, sie habe gehört, dass der Angeklagte das Uhrengeschäft am 13. April 2016 überfallen habe, nachdem ein Mittäter bereits vorher das Geschäft betreten habe. Dieselbe Vertrauensperson habe zudem später telefonisch mitgeteilt, dass der Angeklagte plane, am 8. Mai 2016 die S. -Tankstelle in Er. zu überfallen, was sich als zutreffend erwiesen habe (Fall C. II. der Urteilsgründe). Das Landgericht hat die Angaben der Vertrauensperson aufgrund weiterer Indizien als bestätigt angesehen , unter anderem, weil der Angeklagte und der gesondert Verfolgte B. sich kennen und am Tattag in Kontakt standen, und weil der Angeklagte sich in dem Hotel, in dem der gesondert Verfolgte B. ein Zimmer gemietet hatte, spätestens ab 17.30 Uhr aufhielt. Das Landgericht sieht einen weiteren Beleg für die Täterschaft des Angeklagten in dessen Chatverkehr am Tat- tag, der „inhaltlich unproblematisch mit der Tat in Zusammenhang zubringen“ sei und auch zeitlich zu der Tat passe. Zudem sei ein Tatmotiv in bestehenden Schulden des Angeklagten gegenüber dem Zeugen Sh. zu sehen. Ein weiteres Indiz sieht die Kammer in dem Umstand, dass der Angeklagte am Tag nach der Tat einen Screenshot des Fahndungsaufrufs der Polizei zu dieser Tat auf seinem Mobiltelefon gespeichert hat.
6
3. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183 [insoweit nicht abgedruckt] und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben , dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet , sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 – 4 StR 423/16, NStZ-RR 2017, 223).
7
4. Nach diesem Maßstab begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beweiserwägungen sind lückenhaft, da das Landgericht sich nicht mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandergesetzt hat. Zudem hat es die erhobenen Beweise nicht erschöpfend gewürdigt und die einzelnen Beweisergebnisse nicht in eine umfassende Gesamtabwägung eingestellt. Dabei kann dahinstehen, ob die vom Landgericht gegenübergestellten Gesichtspunkte, die für und gegen die Annahme der Täterschaft des Angeklagten sprechen, schon die Anforderungen an eine Gesamtwürdi- gung erfüllen, weil das übergreifende wertende Element nicht erkennbar ist. Jedenfalls wäre eine solche Gesamtwürdigung lückenhaft.
8
a) Das Landgericht ist im Ansatz hinsichtlich der mittelbar eingeführten Angaben der Vertrauensperson zwar zutreffend von einem lediglich eingeschränkten Beweiswert ausgegangen und hat gesehen, dass die Bekundungen äußerst sorgfältig und zurückhaltend zu würdigen sind und durch andere gewichtige Beweisanzeichen außerhalb der Aussage bestätigt werden müssen (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926 Rn. 14 f.; BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 106; Beschluss vom 29. November 2006 – 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150, 155 jeweils mwN; Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 83a f.; KKStPO /Ott, 7. Aufl., § 261 Rn. 29a). Es hat diese Beweisanzeichen jedoch nicht unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten erschöpfend gewürdigt.
9
b) Dies gilt zunächst für den Chatverkehr des Angeklagten am Tattag. Die tatrichterlichen Beweiserwägungen sind diesbezüglich lückenhaft, da die Strafkammer sich im Hinblick auf den Chatverkehr zum Kleidungswechsel, den sie als wesentliches Indiz für die Täterschaft des Angeklagten ansieht, nicht mit den von der Beschreibung des Zeugen PHM G. abweichenden Angaben des Zeugen K. zur Bekleidung des Täters auseinandergesetzt hat. Die Strafkammer hat den im Chatverkehr geäußerten Wunsch des Angeklagten, ihm andere Kleidung in das – auch von dem gesondert Verfolgten B. bewohnte – Hotel zu bringen, vor dem Hintergrund der Beobachtung des PHM G. , der Täter habe ein grelles, neonfarbenes Oberteil getragen, als naheliegend gewertet (UA S. 19). Demgegenüber hat der Zeuge K. die Kleidung des Täters als dunkel (schwarz oder blau) beschrieben (UA S. 12). Die Strafkammer erörtert diesen Widerspruch in der Beschreibung der Kleidung durch die beiden Zeugen nicht.
10
Dasselbe gilt hinsichtlich der weiteren (Hilfs-)Erwägung der Strafkammer in Bezug auf die Plausibilität der zuvor beschriebenen Bitte des Angeklagten im Chat, wenn auf die Angabe der Zeugin Kö. , einer unbeteiligten Passantin, gegenüber der Polizei zur Kleidung des Täters („rot-weiß karierte[s] Hemd“) abgestellt werde (UA S. 19). Insoweit kommt hinzu, dass die Zeugin diese Angabe in der Hauptverhandlung nicht mehr bestätigt hat, sondern – was die Strafkammer an dieser Stelle ebenfalls nicht weiter erörtert – sich nicht mehr erinnern konnte (UA S. 12).
11
Die Strafkammer würdigt auch einen weiteren Chat vom Tattag unvoll- ständig, indem sie hinsichtlich des Inhalts „Ich kann nicht nach Hause … Polizei sucht mich-.- … Ja scheiße gemacht haha … Ich kann net heim brauch Cash -.-“ (…) „Hab voll Bein schmerzen … Hatte miese schlägerei“ lediglich ausführt, dass der Angeklagte weder namentlich von der Polizei gesucht worden sei, noch eine Schlägerei polizeilich bekannt geworden sei (UA S. 19 f.). Eine Bewertung dieses Chats dahingehend, ob und inwiefern sich daraus Schlüsse für oder gegen die Annahme einer Täterschaft des Angeklagten ergeben, unterbleibt hingegen vollständig. Dies hätte vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte lediglich über die Beteiligung an einer Schlägerei, nicht aber über einen Raub schreibt, aber nahegelegen.
12
Ungewürdigt bleibt auch der weitere Chat, in dem der Zeuge P. an den Angeklagten schreibt „Nicht mehr lange bis die deine Tür aufbrechen ich kann Dir nicht mehr helfen und für die ganze abzieherei mrk kassier ich kein Stich“ (UA S. 19). Die Strafkammer teilt insoweit nicht mit, welche Schlüsse sie hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Tat und der Täterschaft des Angeklagten daraus zieht.
13
Schließlich trägt der zeitliche Ablauf des Chatverkehrs des Angeklagten am Tattag (ab 13.20 Uhr) nicht die Wertung der Strafkammer, dass der Angeklagte sein Mobiltelefon über den gesamten Tag kaum aus der Hand legte, es jedoch ausgerechnet im Tatzeitraum nicht bediente (UA S. 20), wenn er sein Mobiltelefon – neben der Zeit von 16:30:06 Uhr bis 17:24:41 Uhr – insgesamt etwa vier weitere Stunden nicht genutzt hat.
14
c) Die Strafkammer schließt zudem nicht aus, dass ein Raub zum Nachteil des K. nicht vorgelegen haben könnte. Insoweit hätte sich das Landgericht – auch in der gebotenen Gesamtwürdigung – damit auseinandersetzen müssen, dass die Aufzeichnungsfunktion der Videokamera nicht funktionierte (UA S. 21) und die Tür zum Ladengeschäft, die normalerweise von innen verschlossen ist, im Hinblick auf die Anwesenheit von mehreren Personen geöffnet worden und nach deren Verlassen des Geschäfts nicht wieder verschlossen worden war (UA S. 5). Unter diesem Gesichtspunkt wäre weiter zu erörtern gewesen , dass der Zeuge K. den gesondert Verfolgten B. , der seinerseits in Kontakt mit dem Angeklagten stand, kannte (UA S. 16, 22), sowie, dass der Zeuge K. den Täter nicht identifizieren konnte (UA S. 9), vielmehr eine sehr unspezifische Täterbeschreibung abgegeben hat, die auf viele Männer zutrifft und hinsichtlich eines besonders auffälligen Details (grelles Oberteil) nicht mit der Beschreibung des unbeteiligten Zeugen PHM G. übereinstimmt. Insoweit wäre überdies weiter in den Blick zu nehmen gewesen, dass der Zeuge K. sich darauf berufen hat, ein schlechtes Personengedächtnis zu haben (UA S. 12) und sich in der Hauptverhandlung bei der Frage nach einem möglichen Wiedererkennen des Angeklagten nur kurz und unmotiviert umgese- hen hat (UA S. 12). In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung und wäre zu erörtern gewesen, dass der Zeuge K. nach seinen Angaben – unterstelltder Angeklagte wäre der Täter – trotz Hantierens mit Händen und Armen beim Anlegen der Uhr vor dem Zeugen die Tätowierungen an den Unterarmen nicht wahrgenommen hat. Schließlich hätte es auch der Erörterung des nicht alltäglichen Umstandes bedurft, dass die Uhren der drei Kinder des Zeugen K. gleichzeitig zur Reparatur im Geschäft waren.
15
d) Die Beweiswürdigung erweist sich im Übrigen auch deshalb als lückenhaft , da es das Landgericht versäumt, die Angaben des zunächst als Zeugen vernommenen gesondert verfolgten B. gegenüber dem Zeugen KOK R. im Zusammenhang wiederzugeben und zu würdigen. Dessen Angaben hat die Strafkammer lediglich punktuell dahingehend erörtert, ob die Bekundungen der Tatschilderung der Vertrauensperson entgegenstehen (UA S. 23 f.). Eine umfassende Darstellung und Würdigung der Angaben des B. wäre aber auch erforderlich gewesen, um diese in Beziehung zu den Angaben des Zeugen K. zu setzen.
16
e) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht. Die Sache bedarf daher im Hinblick auf Fall C. I. der Urteilsgründe neuer Verhandlung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird sich dabei um die Vernehmung der Vertrauensperson als unmittelbarem Zeugen zu bemühen haben (vgl. BGH, Großer Senat, Beschluss vom 17. Oktober 1983 – GSSt 1/83, BGHSt 32, 115, 125 f.; Urteil vom 16. April 1985 – 5 StR 718/84, BGHSt 33, 178, 180; Beschluss vom 3. November 1987 – 5 StR 579/87, BGHSt 35, 82, 85 und Urteil vom 31. März 1989 – 2 StR 706/88, BGHSt 36, 159, 161; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 67 mwN).

II.


17
Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch im Fall C. II. der Urteilsgründe wegen Verabredung zum besonders schweren Raub keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Allerdings kann der Ausspruch über die insoweit verhängte Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren keinen Bestand haben, weil sich die Begründung zur Strafrahmenwahl als rechtsfehlerhaft erweist.
18
Das Landgericht hat der Strafzumessung den gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB zugrunde gelegt. Das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB hat die Strafkammer verneint. Zur Begründung hat sie im Rahmen einer Gesamtbetrachtung für und gegen den Angeklagten sprechende Aspekte einbezogen, unter anderem das von Schuldeinsicht und Reue getragene Geständnis des Angeklagten und sein Einverständnis mit der Einziehung von Tatmitteln einerseits sowie tatbezogene Umstände, wie die Entwicklung des Tatplans durch den Angeklagten, das Scheitern der Tatausführung allein wegen einer Polizeikontrolle und die Vorahndungen des Angeklagten andererseits. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
19
Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist – wie hier gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB – auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst geprüft werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falles tragen. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so sind zusätzlich die den ge- setzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Strafrahmens danach weiterhin nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 7. März 2017 – 2 StR 567/16, juris Rn. 6 und vom 13. Oktober 2016 – 3 StR 248/16, juris Rn. 5, jeweils mwN).
20
Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat nicht geprüft, ob ein minder schwerer Fall anzunehmen ist, weil bei dem Angeklagten der gesetzlich vertypte Strafmilderungsgrund nach § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB vorliegt.
21
Über den Strafausspruch im Fall C. II. der Urteilsgründe ist daher neu zu befinden. Die ihm zugrunde liegenden Feststellungen sind rechtsfehlerfrei getroffen worden und können bestehen bleiben. Hierzu nicht in Widerspruch stehende ergänzende Feststellungen sind zulässig.

III.


22
Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall C. I. der Urteilsgründe und des Strafausspruchs im Fall C. II. der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
23
Da sich die Strafsache nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, ist die Zuständigkeit der Jugendkammer nicht mehr gegeben.
Raum Bellay RinBGH Dr. Fischer befindet sich im Urlaub und ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum
Bär Hohoff
26
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Schroth NStZ 1990, 324, 325) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f., vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10, WM 2012, 260, 262, und vom 21. Dezember 2011 – 1StR 400/11) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11 m.w.N.).
18
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26 und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 11 mwN). Bezogen auf bedingten Tötungsvorsatz liegt bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet , das Opfer könne zu Tode kommen und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH jeweils aaO). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f. Rn. 26 und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 11) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Auf der Ebene der Beweiswürdigung ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände erforderlich (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f. Rn. 26 mwN und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 11).
13
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen mit ihm abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Willens- als auch das Wissenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Gewalthandlung, aber auch die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motive mit einzubeziehen sind (st. Rspr; vgl. nur Senat, Beschluss vom 13. August 2013 – 2 StR 180/13, NStZ 2014, 84 mwN). Dabei liegt die Annahme einer Billigung nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 1991 – 3 StR 470/91; Urteil vom 24. März 1993 – 3 StR 485/92; Urteil vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 27, 35, 51).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 180/13
vom
13. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. August 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. November 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Fall IV. der Urteilsgründe,
b) im Strafausspruch im Fall III. der Urteilsgründe,
c) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags (Fall III. der Urteilsgründe ) sowie versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter schwerer Körperverletzung (Fall IV. der Urteilsgründe ) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und das bei der letzten Tat verwendete Tatmesser eingezogen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter schwerer Körperverletzung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
a) Das Landgericht hat insoweit im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
aa) Am 8. Juli 2011 tötete der Angeklagte die Mutter seiner Ehefrau (Fall III. der Urteilsgründe). Er wurde noch am Tattag vorläufig festgenommen, in der Folge aber mangels dringenden Tatverdachts wieder freigelassen. Seine Ehefrau , die den Angeklagten trotzdem der Täterschaft verdächtigte, trennte sich von ihm und zog in eine andere Wohnung. Am 7. Januar 2012 begegneten sich der Angeklagte und seine Ehefrau in einem Lebensmittel-Markt. Als der Angeklagte seine Ehefrau ansprach, antwortete diese nicht, sondern zahlte, und verließ mit den von ihr gekauften Gegenständen den Markt. Der Angeklagte folgte ihr und rief ihr etwas hinterher, was die Geschädigte auf Grund ihrer Schwerhö- rigkeit nicht verstand. Schließlich holte er sie ein. Er „umgriff sie von hinten und schnitt ihr mit einem mitgebrachten klappbaren Rasiermesser mit einer Klingenlänge von ca. 10 cm von hinten in Höhe des rechten Auges durch das Gesicht“ (UA S. 14). Die Geschädigte erlitt eine ca. 15 cm lange, über der Mitte des rechten Oberlides beginnende und in einem leichten Abwärtsbogen bis zum rechten Ohr verlaufende Schnittwunde. Weder das Auge noch die in der Kopfbzw. Halsregion verlaufenden lebenswichtigen Blutgefäße wurden verletzt. Die Geschädigte konnte sich aus der Umklammerung befreien, wobei sie sich eine Abwehrverletzung am linken Daumen zuzog, und in ihre nahegelegene Wohnung flüchten. Der Angeklagte erkannte, dass er auf Grund seiner bestehenden Gehbehinderung nicht in der Lage war, die Geschädigte einzuholen, und warf das bei der Tat zerbrochene Rasiermesser in ein Gebüsch.
5
bb) Der Angeklagte war entweder wegen des wortlosen Davonlaufens seiner Ehefrau, der er die Schuld für die vermeintliche Distanzierung von seinem Sohn gab, gekränkt oder er hatte ihr von vornherein zu dem Zweck aufgelauert , sich für die Trennung von ihm zu rächen. Beide Sachverhaltsalternativen hat das Landgericht als gleichermaßen wahrscheinlich bewertet und sich zu sicheren Feststellungen außerstande gesehen. Für die erste Variante ist es sachverständig beraten zu der Auffassung gelangt, dass der Angeklagte in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen sei, und daher davon ausgegangen, dass bei Anwendung des Zweifelssatzes die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht ausschließbar gegeben gewesen seien.
6
cc) Das Landgericht hat bedingten Vorsatz sowohl hinsichtlich einer möglichen Tötung der Geschädigten als auch hinsichtlich einer Verletzung ihres rechten Auges mit der Folge des Verlustes der Sehkraft angenommen. Der von hinten durch das Gesicht der Nebenklägerin geführte Messerschnitt sei generell geeignet gewesen, die Geschädigte lebensgefährlich zu verletzen, was dem Angeklagten grundsätzlich bekannt gewesen sei. Bei Messerstichen in den Kopf- oder Halsbereich liege der Schluss auf einen bedingten Tötungsvorsatz nahe. Der Täter sei zu einer schonenden Dosierung des Angriffs auf Grund der „hochgradigen Dynamik des Geschehens“(UA S. 46) in der Regel nicht in der Lage. Auf Grund der Lokalisation des „Stichs“ im Gesichtsbereich – in unmittel- barer Nähe lebenswichtiger Blutgefäße – sowie des Umstands, dass der Angriff im Gehen und hinterrücks verübt wurde, sei auszuschließen, dass der Angeklagte ernsthaft darauf vertraut haben könnte, den „Messerstich“ gezielt dosieren und eine Lebensgefährdung ausschließen zu können. Auch hinsichtlich eines möglichen Verlusts der Sehfähigkeit habe der Angeklagte angesichts des hoch-dynamischen, nicht zu kontrollierenden Geschehens nicht ernsthaft auf einen glücklichen Ausgang vertrauen können.
7
b) Die Beweiswürdigung zur Frage des bedingten Tötungsvorsatzes hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
8
aa) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen mit ihm abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Willens- als auch das Wissenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Gewalthandlung, aber auch die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motive mit einzubeziehen sind (std. Rspr; vgl. nur BGH, Urteil vom 28. Mai 2013 – 3 StR 78/13, Rn. 5 juris; Urteil vom 4. April 2013 – 3 StR 37/13, Rn. 3 juris; Urteil vom 28. Februar 2013 – 4 StR 357/12, Rn. 15 juris; Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 ff., jeweils mwN).
9
bb) Auch unter Berücksichtigung des bestehenden tatrichterlichen Bewertungsspielraums werden die Ausführungen des Landgerichts den Anforderungen an die Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gerecht.
10
Das Landgericht stellt zwar im Ausgangspunkt zutreffend darauf ab, dass bei einem hochgradig dynamischen Geschehen der Täter zu einer schonenden Dosierung seines Messerstichs in aller Regel nicht in der Lage ist. Ungeachtet des Umstands, dass es sich vorliegend nicht um einen Messerstich, sondern um einen Schnitt handelte, ist ein „hochdynamisches“ Geschehen aber durch die insoweit unklaren Feststellungen nicht belegt. Insoweit ist nur festgestellt, dass der Angeklagte die vor ihm gehende Geschädigte von hinten umgriff, bevor er sie mit dem Rasiermesser verletzte. Nähere Einzelheiten zur Position der Geschädigten, zur Art des Umgreifens – insbesondere ob und inwieweit der Kopf der Nebenklägerin dadurch fixiert war – sowie zur Schnelligkeit der Schnittbewegung werden nicht mitgeteilt. Der Senat kann die Bewertung des Tatgeschehens als „hochgradig dynamisch“ und für den Angeklagten unkontrol- lierbar daher nicht nachprüfen.
11
c) Dieser Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils im Fall IV. der Urteilsgründe mitsamt den zugehörigen Feststellungen. Die Aufhebung erstreckt sich auch auf die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter schwerer Körperverletzung, wobei gegen letztere ihrerseits durchgreifende rechtliche Bedenken bestehen.
12
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt zwischen einem vollendeten vorsätzlichen Tötungsdelikt und einem vollendeten vorsätzlichen Körperverletzungsdelikt keine Tateinheit vor, sondern das Körperverletzungsdelikt tritt – soweit tatbestandlich überhaupt anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1997 – 3 StR 522/96, NStZ 1997, 233, 234) – als subsidiär zurück (std. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 28. Juni 1961 – 2 StR 136/61, BGHSt 16, 122, 123; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 211 Rn. 107 und § 212 Rn. 22 mwN). Nichts anderes kann gelten, wenn sowohl das Tötungsdelikt als auch das Körperverletzungsdelikt im Versuchsstadium steckengeblieben sind (vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 212 Rn. 22; Neumann in NK-StGB, 4. Aufl., § 212 Rn. 40). Ob eine andere Beurteilung gerechtfertigt ist, wenn dem qualifizierten Körperverletzungsdelikt ein selbständiger Unwertgehalt zukommt (vgl. hierzu Eser aaO Rn. 20; Neumann aaO Rn. 35; Schneider in MünchKomm , StGB, 2. Aufl., § 212 Rn. 92), muss hier nicht entschieden werden. Denn ein solcher selbständiger Unwertgehalt liegt in Fällen, in denen – wie hier – nach den Feststellungen bei einer einheitlichen Verletzungshandlung alle Verletzungsfolgen – und damit auch solche im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB – bis hin zum Tode gleichermaßen billigend in Kauf genommen werden, nicht vor.
13
2. Hinsichtlich des Schuldspruchs wegen Totschlags (Fall III. der Urteilsgründe ) hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Strafausspruch begegnet hingegen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
14
a) Das Landgericht hat die gegen den Angeklagten verhängte Einzelfreiheitsstrafe von neun Jahren dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen; einen minder schweren Fall des Totschlags hat es unter Berücksichtigung von Tatbild und Täterpersönlichkeit verneint. Bei der Strafzumessung im engeren Sinn hat es zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich um ein situatives Tatgeschehen und keine von langer Hand geplante Tat gehandelt hat, der Angeklagtebei der Tat stark erregt war und er alters- und krankheitsbedingt besonders haftempfindlich und nicht vorbestraft ist. Strafschärfungsgründe führt die Strafkammer nicht auf.
15
b) Diese Ausführungen sind – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 3. August 2011 – 2 StR 207/11, Rn. 5 juris; BGH, Beschluss vom 17. Juli 2009 – 5 StR 241/09, NStZ-RR 2009, 336, jeweils mwN) – lückenhaft und damit rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer stützt sich zur Begründung der im anwendbaren Strafrahmen gefundenen Strafe ausschließlich auf Strafmilderungsgründe. Eine Abwägung "aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände" (UA S. 52) findet gerade nicht statt. Damit ist aber nicht erkennbar begründet, warum sich die Strafe am oberen Rand des zur Verfügung stehenden Strafrahmens von elf Jahren drei Monaten bewegt.
16
c) Die Sache bedarf auch insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung , da der Senat ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Rechtsfehler letztlich nicht ausschließen kann. Dies gilt trotz des Umstandes, dass es mangels ausreichend konkreter Feststellungen an einer Grundlage für die vorgenommene Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB fehlt. Wie ei- ne „testpsychologisch weder gesicherte noch sicher ausgeschlossene“ hirnor- ganische Störung in Zusammenhang mit einer leichten kognitiven Störung bei Diabetes Typ II zu einer psychiatrisch relevanten „Zuspitzung“ von an sich im normalpsychologischen Bereich liegenden Persönlichkeitszügen geführt haben soll (UA S. 49), ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die Zuordnung dieses Befundes zum Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung.
17
Im Hinblick auf die vom Landgericht erörterten Sachverhaltsalternativen weist der Senat darauf hin, dass es durch den Zweifelssatz nicht geboten ist, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten oder sonstige Umstände zu unterstellen , für deren Vorliegen die Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte erbracht hat (std. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. April 2007 – 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324, 325 mwN).

18
3. Durch den Wegfall der Einzelstrafen wird auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage entzogen. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 608/11
vom
23. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23.Februar
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
die Nebenkläger V. und T. V. in Person,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 27. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , begangen in den Varianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2 (Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeuges) und Nr. 5 StGB (Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft und die Eltern des Geschädigten als Nebenkläger beanstanden mit ihren Rechtsmitteln die Verletzung materiellen Rechts. Die Revisionen führen zur Aufhebung des Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts.
2
1. Nach den Feststellungen hielt sich der Angeklagte am frühen Morgen des 12. Dezember 2010 gegen 03.45 Uhr mit drei Freunden auf dem Parkplatz einer Diskothek auf. Als es im Eingangsbereich zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit wechselseitigen Faustschlägen zwischen den Zeugen A. und C. kam, lief der Angeklagte in Richtung der Streitenden, um zu schlichten (UA 6/7). Etwa zum gleichen Zeitpunkt trat der ebenfalls um eine Streitschlichtung bemühte D. V. zwischen die Kontrahenten und wurde von dem Zeugen A. mit der Faust zu Boden geschlagen. Ob sich D. V. danach noch einmal zu erheben vermochte oder sofort regungslos liegenblieb, konnte das Landgericht nicht zweifelsfrei feststellen. Wenige Sekunden nachdem D. V. zu Boden gegangen war, trat ihm der Angeklagte ohne nachvollziehbaren Grund aus der Körperdrehung heraus mit seiner rechten Innenfußseite gegen die rechte Wange. Zu diesem Zeitpunkt lag D. V. auf der Seite oder auf dem Rücken, sodass sein Gesicht zur Seite oder nach oben ge- richtet war. Infolge des „mit nicht genau feststellbarer Intensität“ geführten Tritts wurde der Kopf des erheblich alkoholisierten Geschädigten nach hinten ge- schleudert und „im Radius von etwa 1/2 Meter in Trittrichtung gedreht. Die Fü- ße blieben am Ort liegen“. Dabei trug der Angeklagte geschnürte Sportschuhe, deren Innenseite so hart war, dass es dadurch bei Tritten zu erheblichen Verletzungen kommen konnte (UA 7).
3
Der Zeuge C. und andere Umstehende bemühten sich sofort um eine Erstversorgung des Geschädigten und alarmierten um 3.53 Uhr den Rettungsdienst. Der Angeklagte zeigte sich ebenfalls besorgt und überließ dem Zeugen C. seine Telefonnummer. Danach fuhr er mit seinen Freunden nach Hause.
4
Als der Rettungsdienst um 4.02 Uhr eintraf, war der Geschädigte bewusstlos und ohne eigene Atmung. Bei einem Intubationsversuch stellte der kurze Zeit später hinzu gekommene Notarzt fest, dass der Deckel der Luftröhre durch einen Kaugummi verlegt und deshalb keine Versorgung mit Sauerstoff über die Atemwege mehr möglich war. Nachdem er den Kaugummistreifen mit einem Spezialinstrument entfernt hatte, konnte der Tubus gelegt und eine maschinelle Beatmung eingeleitet werden. D. V. hatte daraufhin wieder ei- nen Spontankreislauf und einen stabilen Puls. Bis zu diesem Zeitpunkt war er etwa 15 Minuten ohne Bewusstsein. Nach dem Transport ins Krankenhaus wurde bei ihm eine bis dahin unbemerkt gebliebene massive Einblutung in die weiche Hirnhaut (Subarachnoidalblutung) festgestellt, die noch am 12. Dezember 2010 eine operative Entfernung knöcherner Schädelteile erforderlich machte (Entlastungscraniektomie). D. V. verstarb am 16. Dezember 2010 an einer irreversiblen Hirnschädigung in Folge einer akuten schwersten globalen Minderversorgung des Gehirns mit Blut und Sauerstoff.
5
Das medizinisch-sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, dass der Geschädigte auf Grund des Faustschlages des Zeugen A. seinen Kaugummi in einer Weise verschluckt hat, dass dadurch sowohl der Kehlkopf als auch die Luftröhre verlegt wurden. In der Folge kam es zu einem reflektorischen Herz-Kreislauf-Stillstand (sog. Bolustod). Die Einblutung unter die weiche Hirnhaut ist nach Ansicht des Landgerichts „am ehesten durch den Sturz des Geschädigten ausgelöst worden und kann nicht zwangsläufig auf den Tritt des Angeklagten zurückgeführt werden“. Sie wurde zudem „wohl vom Bolustod überholt“ und ist „jedenfalls nicht mehr todesursächlich geworden“.
6
2. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte billigend in Kauf nahm, dass durch seinen Tritt „das Leben des Geschädigten potentiell gefährdet würde“. Eshat deshalb einen bedingten Vorsatz in Bezug auf eine das Leben gefährdende Körperverletzungshandlung entsprechend § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB für gegeben erachtet (UA 24).
7
Einen bedingten Tötungsvorsatz hat das Landgericht verneint, weil die Feststellungen nicht belegen, dass der Angeklagte bei der Ausführung des Trittes den Tod des Geschädigten billigend in Kauf nahm. Dabei hat es auf die folgenden Punkte abgestellt (UA 26):
8
Die Intensität des Trittes konnte nicht ausreichend festgestellt werden und war deshalb ohne Aussagekraft. Das Fehlen knöcherner Schädelverlet- zungen spricht eher gegen „eine besonders starke Intensität“(UA 27).
9
Eine „deutliche Motivation“ für den Tritt ist nicht feststellbar, weil der An- geklagte an der vorausgegangenen Auseinandersetzung nicht beteiligt war. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte gegenüber dem ihm unbekannten Geschädigten eine „grundsätzlich feindliche Willensrichtung“ eingenommen hatte, bestehen nicht. Eine Solidarisierung mit dem Zeugen A. , die die Annahme rechtfertigen könnte, der Angeklagte habe ihn auch um den Preis des Todes eines Menschen unterstützen wollen, ist nicht anzunehmen. A. war dem Angeklagten nur flüchtig bekannt und wurde von D. V. zuvor nicht angegriffen.
10
Der Umstand, dass dem Angeklagten seine Tat sofort Leid tat und er sich in der Folgezeit mehrfach für das Befinden des Geschädigten interessierte, ist ein „weiteres Indiz“ gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes (UA 27).
11
3. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
12
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, wenn sie möglich sind. Ein revisionsgerichtliches Eingreifen ist erst dann veranlasst , wenn dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11, Rn. 23; Urteil vom 14. Dezember 2011 – 1 StR 501/11; KK-StPO/Schoreit, 6. Aufl., § 261 Rn. 51 mwN).
13
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699 Rn. 34 f. mwN.). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 – 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534; NK-StGB/Neumann 3. Aufl., § 212 Rn. 12 f.; Mößner, Die Überprüfung des bedingten Tötungsvorsatzes in der Revision S. 6 ff., jew. mwN). Bei der Würdigung des Willenselements ist neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die Betrachtung einzubeziehen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51; Beschluss vom 1. Juni 2007 – 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267, 268; Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372 jew. mwN).
14
b) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht.
15
Die Ausführungen des Landgerichts zur objektiven Gefährlichkeit des vom Angeklagten geführten Angriffs sind schon deshalb lückenhaft, weil sie sich nicht mit der von dem Angeklagten selbst geschilderten erheblichen Wirkung seines Tritts auf die Lage des Körpers des Geschädigten auseinanderset- zen (UA 7 und 14). Auch hätte an dieser Stelle nochmals erkennbar Berücksichtigung finden müssen, dass der Angeklagte die Trittwirkung gefährlich verstärkende Schuhe trug (UA 7) und auf den Geschädigten zu einem Zeitpunkt eintrat, als dieser – jedenfalls nach seiner Wahrnehmung (UA 13) – in Folge des Schlags des Zeugen A. regungslos am Boden lag. Bei seinen Erörterungen zum inneren Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hat das Landgericht diese Umstände als Beleg dafür ausreichen lassen, dass der Angeklagte eine potentielle Gefährdung des Lebens seines Opfers in Kauf nahm (UA

24).


16
Die Annahme des Landgerichts, der Tritt des Angeklagten könne nicht von „besonders starker Intensität“ (UA 27) oder „nicht von übermäßiger Wucht“ (UA 19) gewesen sein, weil bei dem Geschädigten keine knöchernen Schädelverletzungen festzustellen waren, stellt einseitig auf die ex post feststellbaren Verletzungsfolgen ab (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11 Rn. 28) und lässt die generelle Gefährlichkeit derartiger Tritte außer Acht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2011 – 1 StR 179/11, Rn. 10). Sie ist zudem nicht mit der an anderer Stelle getroffenen Feststellung vereinbar, dass die Knochenbrücke zwischen den Knochendeckeln des Schädelknochens einen nicht unterbluteten Bruch aufwies (UA 11). Zwar liegt es nicht fern, dass dieser Bruch auf die später durchgeführte Entlastungscraniektomie zurückzuführen ist, doch hätte dies einer ausdrücklichen Erörterung bedurft.
17
Der Umstand, dass dem Angeklagten sein Tritt sofort Leid tat und er sich in der Folgezeit mehrfach für das Befinden des Geschädigten interessierte, durfte vom Landgericht nicht ohne weitere Darlegungen als Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gewertet werden.
18
Nachträgliches Bedauern und Rettungsversuche sagen nur bedingt etwas über die innere Haltung des Täters im Tatzeitpunkt aus, da sie nicht selten auf einer spontanen Ernüchterung beruhen und mit Blick auf die Tatfolgen von der Sorge um das eigene Wohl geleitet sind (BGH, Urteil vom 8. August2001 – 2StR 166/01, NStZ-RR 2001, 369, 370; Urteil vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630). Der Angeklagte hat hierzu angegeben, nach dem Tritt „wach geworden“ zu sein. Dabei habe er begriffen, dass er etwas ge- tan habe, was nicht in Ordnung gewesen sei (UA 14). Der Angeklagte – dessen Einlassung das Landgericht im Übrigen gefolgt ist – hat damit selbst eingeräumt , dass sein Nachtatverhalten nicht mehr Ausdruck der ihn beherrschenden inneren Einstellung im Tatzeitpunkt gewesen ist, sondern auf einer veränderten Sicht der Dinge beruhte. Hieran durfte das Landgericht nicht vorübergehen.
19
Bedenken bestehen schließlich auch insoweit, als das Landgericht in dem Umstand, dass es „keine deutliche Motivation für den Tritt“ festzustellen vermochte, ein Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gesehen hat.
20
Mit bedingten Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv , sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach (BGH, Urteil vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318). Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs.1 Vorsatz, bedingter 22; Urteil vom 30. November 2005 – 3 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317,

318).


21
Das Landgericht hat mit der Verneinung einer feindlichen Grundhaltung gegenüber dem Geschädigten einerseits und einer unbedingten Solidarität mit seinem Kontrahenten A. andererseits lediglich zwei mögliche starke Handlungsantriebe ausgeschlossen. Dies allein lässt jedoch noch nicht den Schluss zu, dass es dem Angeklagten deshalb an der Bereitschaft gefehlt hat, auch schwerste Tatfolgen in Kauf zu nehmen. Stattdessen wäre es an dieser Stelle erforderlich gewesen, näher auf die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Verhältnis zur Anwendung körperlicher Gewalt und seine Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse einzugehen. Wie das Landgericht im Rahmen seiner Erwägungen zu § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG zutreffend festgestellt hat, lässt die Art und Weise, wie sich der Angeklagte zu der Tat hinreißen ließ, auf einen starken Mangel an Ausgeglichenheit und Besonnenheit schließen (UA 29). Auch musste er in der Vergangenheit bereits zweimal wegen Körperverletzung geahndet werden, wobei er seinen Opfern jeweils knöcherne Verletzungen des Gesichtsschädels zufügte (UA 4 f.). Mangelnde Impulskontrolle, wie sie bei dem Angeklagten schon mehrfach zutage getreten ist, führt nicht selten dazu, dass es bereits bei geringsten Anlässen zu massiven Gewalthandlungen kommt, bei denen dem Täter die Konsequenzen seines Handelns gleichgültig sind und deshalb selbst tödliche Folgen in Kauf genommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08, Rn. 9).
22
4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Ein Eingehen auf die von der Revision erhobenen Einwände gegen die unterbliebene Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge ist unter diesen Umständen ebenso wenig erforderlich wie die Erörterung einer Strafbarkeit nach § 231 Abs. 1 Alt. 2 StGB.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin
13
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen mit ihm abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Willens- als auch das Wissenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Gewalthandlung, aber auch die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motive mit einzubeziehen sind (st. Rspr; vgl. nur Senat, Beschluss vom 13. August 2013 – 2 StR 180/13, NStZ 2014, 84 mwN). Dabei liegt die Annahme einer Billigung nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 1991 – 3 StR 470/91; Urteil vom 24. März 1993 – 3 StR 485/92; Urteil vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 27, 35, 51).
26
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Schroth NStZ 1990, 324, 325) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f., vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10, WM 2012, 260, 262, und vom 21. Dezember 2011 – 1StR 400/11) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11 m.w.N.).

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

26
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Schroth NStZ 1990, 324, 325) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f., vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10, WM 2012, 260, 262, und vom 21. Dezember 2011 – 1StR 400/11) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11 m.w.N.).
12
Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auf eine „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ abgestellt worden ist (Nachw. in BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 189 Rn. 32), erschöpft sich dies in einem Hin- weis auf die Bedeutung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) bezüglich der Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatzes (BGH aaO BGHSt 57, 183, 191 Rn. 34). Der Bundesgerichtshof hat immer wieder hervorgehoben, dass durch den Aspekt der „Hemmschwelle“ die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle (BGH aaO BGHSt 57, 183, 191 Rn. 34 mwN).
26
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Schroth NStZ 1990, 324, 325) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f., vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10, WM 2012, 260, 262, und vom 21. Dezember 2011 – 1StR 400/11) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11 m.w.N.).
18
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26 und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 11 mwN). Bezogen auf bedingten Tötungsvorsatz liegt bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet , das Opfer könne zu Tode kommen und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH jeweils aaO). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f. Rn. 26 und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 11) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Auf der Ebene der Beweiswürdigung ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände erforderlich (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f. Rn. 26 mwN und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 11).

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 179/11
vom
18. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Mai 2011 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 30. November 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in weiterer Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
a) Der Angeklagte sowie die Geschädigten M. und U. arbeiteten in einem Schnellrestaurant in H. ; außerdem wohnten sie zusammen in einer Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Vor der Tat kam es zwischen M. und dem Angeklagten immer wieder zu Konflikten. Hintergrund war, dass M. den Angeklagten bei der Arbeit ohne triftigen Grund ständig schikanierte. Nachdem M. wegen seines Verhaltens gegenüber dem Angeklagten von dem Filialleiter des Schnellrestaurants zurechtgewiesen worden war, wollte er sich an dem Angeklagten rächen. Deshalb schrieb er an dessen Freundin eine E-Mail, in der er unter anderem wahrheitswidrig behauptete, dass der Angeklagte sie schon mehrfach mit anderen Frauen hintergangen habe. In der Tatnacht konfrontierte die Freundin den Angeklagten mit M. s Behauptungen und teilte ihm mit, dass sie sich deshalb von ihm trennen werde. „Wütend und erregt“ suchteder Angeklagte daraufhin M. in dessen Zimmer auf und es kam zwischen ihnen zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Als der Geschädigte U. versuchte, die beiden auseinander zu bringen, schlug ihm der Angeklagte ins Gesicht, so dass er einen Nasenbeinbruch erlitt.
4
Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung flüchtete M. in das Treppenhaus. Dort wurde er von dem Angeklagten zu Fall gebracht und lag auf der linken Körperseite in zusammengekrümmter Haltung auf dem Boden und schützte den Kopf mit seinen Händen. Der Angeklagte, der barfuß war, trat nun mindestens fünf Mal von oben auf M. s rechte Kopfseite und traf diesen „in Höhe der Schläfe“. Durch das Eingreifen eines Nachbarn wurde der Angeklagte schließlich von weiteren Tritten abgehalten. Beim Weggehen rief der Angeklag- te dem Geschädigten noch zu: „Das istnicht das Ende. Du kannst nur von Glück reden, dass du Freunde hast, die dich verteidigt haben.“
5
M. erlitt durch die Tritte nur geringe Verletzungen. Auf der rechten Kopfseite kam es zu Rötungen und Hautabschürfungen, unter anderem im Bereich der rechten Augenbraue. Auf der linken Kopfseite im Stirn- und Wangenbereich fanden sich nach der Tat mehrere Blutergüsse in Form von gelblichgrünlichen Verfärbungen, die durch das Aufschlagen der linken Kopfhälfte auf dem Boden verursacht wurden. Eine konkrete Lebensgefahr bestand für den Geschädigten nicht; zu einer solchen Gefahr wäre es - so das Landgericht - „nur bei Eintritt sehr fern liegender Umstände“ gekommen.
6
b) Das Landgericht hat die Tritte des Angeklagten gegen den Kopf des Geschädigten M. rechtlich als einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs.1 Satz 1 Nr. 5 StGB) gewertet. Den Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz hat es dabei aus der abstrakten Gefährlichkeit der Tatausführung für das Leben des Geschädigten gezogen; auch einem „medizinischen Laien“ sei es bekannt, „dass Tritte gegen den Kopf, vor allem gegen den empfindlichen Schläfenbereich, tödliche Folgen haben kön- nen“. Dem Angeklagten seien diese Folgen jedoch bei der Tatausführung gleichgültig gewesen; er habe sich „keine näheren Gedanken“ darüber gemacht , ob M. die heftigen und zahlreichen Tritte überleben werde. Allein der Umstand, dass der Angeklagte beim Zutreten barfuß gewesen sei, stehe einem bedingten Tötungsvorsatz nicht entgegen.
7
2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es zwar anerkannt, dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der Schluss auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt. Dabei ist jedoch auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Der Schluss auf einen bedingten Tötungsvorsatz erfordert deshalb , dass das Tatgericht die der Sachlage nach ernsthaft in Betracht kommenden Tatumstände, zu denen auch die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motive gehören, in seine Erwägungen einbe- zogen hat. Das gilt namentlich für spontane, unüberlegte, in affektiver Erregung ausgeführte Handlungen.
9
b) Den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Prüfung eines bedingten Tötungsvorsatzes werden die Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil zu dem hier vorliegenden besonders gelagerten Fall nicht ausreichend gerecht.
10
aa) Das Landgericht hat sich im Rahmen der gebotenen Gesamtschau der für die Bewertung der Tat bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände nicht damit auseinandergesetzt, dass die barfuß ausgeführten Tritte hier keine hochgradig lebensgefährlichen Gewalthandlungen darstellten. Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts sind wuchtige Tritte gegen den Kopf bzw. auf den Schläfenbereich zwar generell dazu geeignet, schwere Kopfverletzungen wie Impressionsfrakturen oder Gehirnverletzungen herbeizuführen. Auch kann es zu einer Bewusstlosigkeit des Opfers und einer damit verbundenen Gefahr der Einatmung von Blut (z.B. bei Verletzungen im Nasenraum) oder Erbrochenem kommen. Im vorliegenden Fall bestand aber aufgrund der nur oberflächlichen Verletzungen des Geschädigten (Blutergüsse und Hautrötungen im Gesicht), der zudem während des Tatgeschehens und auch danach stets bei Bewusstsein war, keine konkrete Lebensgefahr. Angesichts des Umstandes, dass es vorliegend gerade nicht zu schweren Kopfverletzungen gekommen ist, wie dies ansonsten bei wuchtigen Tritten gegen den Kopf zu erwarten gewesen wäre, hätte sich das Landgericht bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes daher mit der Frage auseinandersetzen müssen , ob die eher geringen Verletzungen des Geschädigten hier nicht dafür sprechen könnten, dass der Angeklagte die Tritte nicht mit der Wucht und Ent- schlossenheit ausgeführt hat, die nötig gewesen wären, um seinem Opfer konkret lebensbedrohliche Verletzungen beizubringen.
11
bb) Das Landgericht hätte weiterhin prüfen müssen, ob die affektive Erregung des Angeklagten, ausgelöst durch das die Tat provozierende Verhalten des Geschädigten, Einfluss auf sein Vorstellungsbild über die Folgen seiner Handlungen oder seinen Willen zur Tat hatte. Da das Landgericht eine solche Erregung hier festgestellt hat, bestand Anlass zu einer näheren Erörterung dieses Umstandes in den Urteilsgründen.
12
An der insoweit bestehenden Prüfungspflicht des Landgerichts ändert es auch nichts, dass der Angeklagte trotz seiner starken Erregung weder in seiner Einsichts- noch in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen ist. Denn das Landgericht hat im Rahmen seiner Beweiswürdigung selbst festgestellt, dass sich der „wütende“ und „erregte“ Angeklagte im Augenblick des Zutretens „keine näheren Gedanken“ über die Folgen seiner Handlungen gemacht hat.
13
cc) Schließlich erörtert das Landgericht nicht, warum es bei dem Angeklagten während der Tatausführung zu einem Vorsatzwechsel gekommen ist. Nach den Feststellungen handelte der Angeklagte bei Beginn und auch noch im späteren Verlauf der Handgreiflichkeiten „nur“ mitKörperverletzungsvorsatz (UA S. 13: „In diesem Moment erschien der Angeklagte wieder im Zimmer, um M. weiter zu verletzen.“). Weshalb der Angeklagte dann während des Geschehens im Treppenhaus, bei dem er mehrfach barfuß gegen den Kopf des Geschädigten trat, seinen Willen gesteigert und einen (bedingten) Tötungsvorsatz gefasst haben sollte, ist im Urteil nicht näher ausgeführt.
14
3. Da das Landgericht das Tatgeschehen - auch zum Nachteil des Geschädigten U. - als einheitliche Tat angesehen hat, ist das Urteil auf die Revision des Angeklagten insgesamt aufzuheben und an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zu erneuter Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Nack Wahl Graf
Jäger Sander
5 StR 344/05
(alt: 5 StR 94/04)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 30. November 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 29. und 30. November 2005, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
alsbeisitzendeRichter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K
alsVerteidigerfürdenA ngeklagten H ,
Rechtsanwalt R
alsVerteidigerfürdenAngek lagten S ,
Rechtsanwalt Sa
alsVertreterderNebenklägerin,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,
in der Sitzung vom 30. November 2005 für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 1. Februar 2005
a) in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass die Angeklagten wegen Totschlags verurteilt sind,
b) in den Strafaussprüchen aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
3. Die Revision des Angeklagten H gegen das genannte Urteil wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen.
4. Die Sache wird zur Neufestsetzung der Strafen und zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hatte die Angeklagten zunächst mit seinem Urteil vom 14. August 2003 wegen Totschlags zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Revisionen der Nebenklägerin hat der Senat die Schuldsprüche aufgehoben und – bei Aufrechterhaltung der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen – das Verfahren an eine andere Schwurgerichtskammer zurückverwiesen (NStZ-RR 2004, 332). Diese hat die Angeklagten nunmehr wegen Körperverletzung mit Todesfolge wiederum zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, und die Rechtsmittel der Nebenklägerin jeweils mit der Sachrüge. Der Angeklagte H greift mit seiner beschränkten Revision die vom Landgericht gefundene Strafe an. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben Erfolg, soweit das Landgericht nicht auf Totschlag erkannt hat. Die Revision des Angeklagten H ist unbegründet.
1. Das Landgericht hatte in seinem Urteil vom 14. August 2003 folgende Feststellungen getroffen:
a) Die Angeklagten besuchten gegen Mittag des 26. Januar 2003 den ihnen bekannten wesentlich älteren, körperlich und seelisch angegriffenen He in dessen Wohnung in Berlin-Lichtenberg. Sie trafen dort auf die Zeugen Ra und Sh ; letzterer entfernte sich alsbald. Nach reichlichem Genuss von Rotwein und Wodka verletzten die Angeklagten den He zwischen 18.00 und 19.00 Uhr zunächst wie folgt: S rammte dem neben ihm sitzenden Wohnungsinhaber völlig unvermittelt seinen rechten Ellenbogen in die seitliche Halsgegend. H trat He mit dem beschuhten Fuß kräftig ins Gesicht. S schubste den Zeugen Ra zur Seite, der He vor einem Angriff schützen wollte. H schlug He mit der Faust auf das rechte Auge. Nachdem der Zeuge Ra im Badezimmer die von H verursachten Wunden ausgewaschen hatte, schlug dieser Angeklagte erneut mehrfach mit der Faust auf die Wunden und gegen den rechten Kieferbereich. Der Angeklagte S schlug ebenfalls mehrmals mit den Fäusten auf den jetzt wieder blutenden Verletzten ein. H packte dann das keinerlei Widerstand leistende Opfer an den Haaren und schlug dessen Kopf gegen die Wand. Er urinierte auf den an der Stirn, aus der Nase und am Ohr blutenden Schwerverletzten. Um diesen noch stärker zu erniedrigen , rasierten ihm die Angeklagten die Kopfhaare teilweise ab. Unter dem Ausruf: „Mal sehen, wie widerstandsfähig er ist!“ würgte einer der Angeklagten ihr Opfer, während der andere mit äußerster Gewalt die Nase zuhielt und so stark an ihr zerrte, dass der Nasenknorpel abriss. In der sicheren Erwartung , der Schwerverletzte werde in Kürze versterben, verließen die Angeklagten die Wohnung. Gemeinsam mit dem Zeugen Ra suchten sie gegen 22.00 Uhr den Bundesgrenzschutz im Bahnhof Lichtenberg auf. Dort und gegenüber der später eingetroffenen Notärztin erklärten sie, sie hätten mit einem „gesoffen“ und machten sich Sorgen, dass derjenige eventuell tot sei.
Infolge der massiven Tätlichkeiten der Angeklagten erlitt He neben Haut- und Weichteilunterblutungen eine Fraktur der rechten Augenhöhle, eine Verletzung der Leber und der rechten Niere, Rippenfrakturen sowie eine Blutung unter die harte Hirnhaut, an der er im Zusammenhang mit einer Hirnschwellung und einer Bluteinatmung noch in seiner Wohnung verstarb.

b) Die Schwurgerichtskammer hatte sich vom bedingten Tötungsvorsatz aufgrund der Geständnisse der Angeklagten überzeugt, aber kein Tatmotiv feststellen können.
2. Der Senat hat auf die Revisionen der Nebenklägerin die Schuldsprüche aufgehoben, weil die fehlerfrei getroffenen Feststellungen nach den anzuwendenden Maßstäben von BGHSt 47, 128 tragfähige Anhaltspunkte für die Annahme niedriger Beweggründe geboten hätten, deren Erörterung notwendig gewesen wäre. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen hat der Senat aufrechterhalten.
3. Die neu berufene Schwurgerichtskammer hat, nachdem die Angeklagten von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch gemacht haben, das Tatgeschehen umfassend neu aufgeklärt, zum Vor- und Nachtatgeschehen weitergehende Feststellungen getroffen und ein Motiv der Angeklagten festgestellt :
a) Zwischen den muskulös gebauten, noch jungen Angeklagten und dem 48 Jahre alten, durch längeren starken Alkoholkonsum geschwächten He kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen und Streit, weil He nach eigenem, von ihm als ausreichend empfundenen Alkoholgenuss den Angeklagten den Zutritt zu seiner Wohnung gelegentlich versagte. Nachdem He die Angeklagten wieder einmal nicht eingelassen hatte, griffen diese am 30. Dezember 2002 ihren Gastgeber massiv an. He begab sich am nächsten Tag wegen stärker werdender Schmerzen in der Brust ins Krankenhaus. Die Ärzte stellten mehrere frische und mehrere ältere Rippenbrüche sowie eine Nasenbeinfraktur fest. Des Weiteren erlitt He am 30. Dezember , möglicherweise aber auch einige Tage davor oder danach eine subdurale Hirnblutung im Hinterkopf.

b) Das Landgericht hat als Motiv der mit einer Blutalkoholkonzentration von über drei Promille handelnden Angeklagten festgestellt, diese hätten He verletzt, um ihn dafür zu bestrafen, dass er die Angeklagten am Tag zuvor nicht in seine Wohnung eingelassen hatte. Die bis zum Abriss des Nasenknorpels übereinstimmend mit den Feststellungen des Urteils vom 14. August 2003 erneut zu Grunde gelegten Tätlichkeiten der Angeklagten seien aber immer wieder durch Zeiten des gemeinsamen Trinkens unterbrochen worden, während derer die Angeklagten Vorwürfe wegen des abweisenden Verhaltens des He erhoben. Das Landgericht konnte nicht sicher feststellen, dass einzelne oder alle Faustschläge mit voller Kraft und Wucht ausgeführt wurden und dass die Angeklagten den Tod des He auch nur billigend in Kauf genommen haben. Die Angeklagten hätten sich um ihr Opfer auf vielfältige Weise bemüht: Sie führten den malträtierten Geschädigten gemeinsam mit dem Zeugen Ra nochmals ins Badezimmer, duschten ihn mit kaltem Wasser ab, um so seinen Zustand wieder zu verbessern. Dann wechselten sie ihm seine Kleidung und brachten ihn ins Wohnzimmer zurück, wo sie ihn auf dem Sofa absetzten. Kurze Zeit später verlor He das Bewusstsein und rutschte – unerwartet für den Zeugen Ra und nicht sicher ausschließbar auch für die beiden Angeklagten – ohne Einwirkung Dritter zu Boden. In diesem Moment erkannten die Angeklagten und der Zeuge Ra , dass sich die Hautfarbe des Geschädigten im Bereich des Gesichts und der Hände blau verfärbt hatte. Der Angeklagte H begann daraufhin, möglicherweise ebenso wie der Angeklagte S – erst jetzt in Sorge um das Leben von He – bei diesem eine Herzmassage vorzunehmen. Da dies nicht zu einer Besserung des Zustandes des Geschädigten führte, drang Ra darauf, die Feuerwehr oder die Polizei zu rufen, zumal er jetzt befürchtete, He könnte bei einem weiteren Zuwarten möglicherweise versterben. Er verließ mit den beiden Angeklagten die Wohnung. Auch die Angeklagten hatten dabei nicht sicher ausschließbar das Ziel, Hilfe für He zu holen und so die nun erkannte Lebensgefahr zu bannen.

c) Zur Todesursache hat die Schwurgerichtskammer mit sachverständiger Hilfe festgestellt, dass durch den Schlag des Kopfes gegen die Wand die durch den Heilungsprozess der älteren subduralen Hirnblutung entstandene Bindegewebsorganisation aufgerissen sei und eine frische Blutung ausgelöst habe, die zu der tödlichen Hirnschwellung und starken Bluteinatmung geführt hätte. Sämtliche frischen Verletzungen seien nicht sehr erheblich , insbesondere im Einzelnen nicht konkret lebensbedrohlich gewesen. Das Landgericht hat die Rippenbrüche und die Verletzung der Leber nicht mehr dem Tatgeschehen zugerechnet. Diese seien durch die Reanimationsbemühungen des Angeklagten H entstanden.
4. Die Revisionen der Nebenklägerin sind zulässig.
Zwar enthält die Begründung der Rechtsmittel (erneut) keine ausdrückliche Erklärung im Sinne von § 344 Abs. 1 StPO, inwieweit die Beschwerdeführerin das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage. Solches ergibt sich vorliegend aber aus der innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ausgeführten Sachrüge, mit der die Nebenklägerin geltend macht, das Landgericht habe die Bindungswirkung der Aufhebungsansicht des Revisionsurteils verkannt und den Prüfungsauftrag nicht erfüllt, festzustellen, ob das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe vorliegt. Damit hat die Nebenklägerin schließlich erklärt, sie verfolge das Ziel ihrer Rechtsmittel gegen das erste tatrichterliche Urteil weiter, nämlich eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes zu erreichen (vgl. BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 2), und hat – wie von § 400 Abs. 1 StPO geboten – auch klargestellt, dass sie das Urteil mit dem Ziel einer Änderung der Schuldsprüche wegen einer Gesetzesverletzung anfechte, die zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt (vgl. BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 5).
5. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin führen zur Änderung der Schuldsprüche.

a) Die Verurteilungen wegen Körperverletzung mit Todesfolge können nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht die innerprozessuale Bindung an die aufrecht erhaltenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) des ersten in dieser Sache ergangenen Urteils nicht hinreichend beachtet hat (vgl. BGH NStZ 1999, 259). Zwar ist das Landgericht von einer Bindung an die Feststellungen zum äußeren Tatablauf ausgegangen und hat die einzelnen Tathandlungen in die von ihm getroffenen Feststellungen übernommen. Das Landgericht hat sie aber zum Teil in einen anderen Zusammenhang gestellt, in das festgestellte Gesamtgeschehen weitere Handlungen eingefügt und die Erheblichkeit der Gewalthandlungen der Angeklagten anders bewertet. Damit hat das Landgericht das Tatgeschehen unzulässigerweise im Sinne eines anderen geschichtlichen Vorgangs näher beschrieben (vgl. BGHSt 30, 340, 343, 344; BGH NStZ 1999, 259, 260). Die Beweiswürdigung des Landgerichts , mit der es einen bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten verneint, beruht demnach auf einer unzutreffenden Grundlage.
aa) Im ersten Urteil ist festgestellt, dass die Rippenfrakturen und die Leberverletzung des Tatopfers durch die aggressiven massiven Tätlichkeiten der Angeklagten hervorgerufen wurden. Hiervon weicht das nunmehr angefochtene Urteil in unzulässiger Weise ab, indem es diese Verletzungen unter Anwendung des Zweifelssatzes als mögliche Folge einer vom Angeklagten H vorgenommenen Herzmassage ansieht und diesen Umstand im Rahmen der Beweiswürdigung als einen gegen den Tötungsvorsatz sprechenden Gesichtspunkt anführt.
bb) Das Landgericht hat den festgestellten Tatablauf ferner durch Handlungen unterbrochen gesehen und weitere Feststellungen getroffen, die den gesamten Tatverlauf als für die Angeklagten weitaus günstiger erscheinen lassen. Im Einzelnen handelt es sich um die nunmehr festgestellten Pausen zwischen den einzelnen Misshandlungen, während derer die Angeklagten mit dem Opfer gemeinsam weiter Alkohol getrunken haben, die Versuche der Angeklagten, den Zustand ihres Opfers durch Abduschen und Umkleiden zu verbessern, das Ergreifen lebensrettender Maßnahmen und das Einschalten Dritter.
cc) Das Landgericht hat schließlich die vom Erstgericht als massiv beschriebenen Tätlichkeiten, rückschließend aus der nicht hochgradigen Gefährlichkeit der Verletzungen, höchstens als durchschnittlich bewertet („mittlere Wucht“, UA S. 25). Damit wird die im ersten Urteil bindend festgestellte Dimension der Tätlichkeiten zugunsten der Angeklagten verringert.

b) Der Senat kann die Schuldsprüche selbst entsprechend der Anklage und der Erstverurteilung auf Totschlag umstellen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 57 m.w.N.). Schon die Prüfung des ersten tatrichterlichen Urteils hat keinerlei Bedenken aufkommen lassen, der damals eingestandene bedingte Tötungsvorsatz könnte im Widerspruch zu den objektiven Tatumständen stehen und nicht ebenfalls das Ergebnis einer auf ihnen beruhenden Schlussfolgerung sein. Solches gilt auf der Grundlage der gleichen verbindlichen Feststellungen (siehe unter 1 a der hiesigen Urteilsgründe ) und an Hand der nunmehr vom Landgericht fehlerfrei getroffenen zusätzlichen Feststellungen zur Vorschädigung des Opfers und zum Motiv der Angeklagten sogar in verstärktem Maße.
Die Feststellungen belegen, dass sich die Angeklagten der Vornahme lebensbedrohlicher Gewalthandlungen bewusst waren. Sie sind mit sich steigernder Gewalt gegen ihren Gastgeber vorgegangen, um sich für die Abweisung vom Vortag zu rächen. Sie waren nach ihren eigenen Worten bereit, die Grenze der Widerstandsfähigkeit ihres Opfers zu erreichen, und – vor dem Hintergrund der massiven Verletzung des Kopfes des Opfers und der besonderen Schwierigkeiten, das Ausmaß und die Wirkungen der weiteren Gewalthandlungen gegen den Kopf im Einzelnen steuern zu können (vgl. BGH, Urt. vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04) – auch bereit, die Grenzen der Widerstandsfähigkeit zu überschreiten. Dies gilt vorliegend umso mehr: Das Ausmaß der objektiv erforderlichen Gewalt als Grundlage für einen Schluss auf das Erkennen der Lebensgefährlichkeit der aktuellen Gewalthandlungen war sogar herabgesetzt; denn die Angeklagten hatten ihr Opfer schon am 30. Dezember 2002 erheblich verletzt. Bei dieser Sachlage sind keine Umstände erkennbar, nach denen die Angeklagten ernsthaft darauf vertraut haben könnten, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 57; BGH, Urt. vom 24. März 2005 – 3 StR 402/04).
Die vom Landgericht – insoweit auf Grund zulässiger ergänzender Feststellungen – gegen einen bedingten Tötungsvorsatz angeführten Umstände gebieten keine andere Wertung.
Das Motiv der Angeklagten, He „lediglich“ für dessen abweisendes Verhalten zu bestrafen, streitet nicht gegen einen bedingten Tötungsvorsatz. Es liegt in der Natur der Sache, dass der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter in Verfolgung seines anders gelagerten Handlungsantriebs in der Regel über kein Tötungsmotiv verfügt (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22). Allerdings kann die Art des Motivs die Stärke des vom Täter empfundenen Handlungsimpulses beeinflussen (vgl. BGH aaO). Vorliegend handelten die Angeklagten in Verfolgung ihres Bestrafungsmotivs in einem zeitlich gestreckten Vorgehen unter Inkaufnahme der Überschreitung der Widerstandsfähigkeit des Opfers. Damit steht das Motiv der Angeklagten der Annahme des voluntativen Vorsatzelements nicht entgegen (vgl. Schneider NStZ 2005, 629, 631).
Auch die Erwägung des Landgerichts, der Tod des Opfers sei nicht im Sinne der Angeklagten gewesen, weil damit die Anlaufstelle für gemeinsame Trinkgelage aufgegeben würde, spricht nicht gegen eine Billigung des Todes (vgl. BGHSt 7, 363, 369). Der Erfolg muss den Wünschen des Täters nicht entsprechen (vgl. BGHSt aaO). Allenfalls hochgradig interessenwidrige Tatfolgen widerstreiten der Annahme einer Billigung des Erfolges durch einen in der Steuerungsfähigkeit beeinträchtigten, ohnehin überaus unüberlegt handelnden Täter. Solches liegt hier nicht vor. Das Landgericht hat nämlich fehlerfrei festgestellt, dass He die Angeklagten schon mehrmals abgewiesen hatte, obwohl sie gekommen waren, um mitgebrachten Alkohol zu konsumieren. Danach stand die Wohnung des He den Angeklagten bereits nur noch in beschränktem Umfang zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund vermag der vollständige Verlust (nur) eines Ortes für Trinkgelage keine hochgradig interessenwidrigen Tatfolgen zu begründen.

c) Das Landgericht hat im ersten Urteil rechtsfehlerfrei festgestellt, dass das Opfer an den Folgen der ihm zugefügten als Einheit zu beurteilenden gesamten Gewalthandlungen verstorben ist, insbesondere an den Kopfverletzungen , die ihm in der entscheidenden besonders brutalen späten Ge- schehensphase zugefügt worden waren. Wie ausgeführt, war das Geschehen insoweit – nicht anders als das massive Blutungen verursachende Abreißen des Nasenknorpels in dieser Phase – von bedingtem Tötungsvorsatz getragen. Diese von der Teilaufrechterhaltung erfassten bindenden Feststellungen zur Kausalität hindern die vom Generalbundesanwalt erwogene zweifelhafte Aufspaltung des Geschehens mit einem möglicherweise allein todesverursachenden Teil der Verletzungen in der ersten, noch nicht vom Tötungsvorsatz erfassten Tatphase. Soweit den Feststellungen des Landgerichts , das freilich auch von einer Todesverursachung durch Bluteinatmung ausgeht (UA S. 16, 26), Abweichendes zu entnehmen sein sollte, würde auch dies gegen die innerprozessuale Bindungswirkung verstoßen. Eine Verurteilung wegen eines lediglich versuchten Kapitalverbrechens in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge scheidet schon deshalb aus.

d) Die Voraussetzungen für das Vorliegen niedriger Beweggründe lassen sich den insoweit fehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts nicht entnehmen. Zwar ist die nunmehr festgestellte (wiederholte) Bestrafungsaktion grundsätzlich geeignet, das Vorliegen niedriger Beweggründe zu belegen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 39; BGH, Urt. vom 1. September 2005 – 4 StR 290/05). Es liegt nicht gänzlich fern, die von den Angeklagten ausgelebte Rache für ein ihnen unverständliches, als undankbar empfundenes Bestehen des betrunkenen Opfers auf seinem Hausrecht als ebenfalls auf niedrigen Beweggründen beruhend anzusehen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 36; BGH NStZ-RR 2003, 147, 149). Indes reichen die bisherigen Feststellungen als Grundlage für eine sichere Wertung nicht aus. Der Senat schließt namentlich aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung bewiesen werden kann, dass die Angeklagten, die erst nach sechsstündigem gemeinsamen Alkoholgenuss ihre zunächst mit Worten ausgedrückte Verärgerung in stark angetrunkenem Zustand in dumpfem Unmut zur affektgeladenen, fast blindwütigen Racheaktion steigerten, ihr Vergeltungsstreben für ein verwehrtes Gastrecht in seiner Bedeutung für die Tatausführung in ihr Bewusstsein aufgenommen haben (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 26 und 36). Damit hat es mit der Umstellung der Schuldsprüche auf Totschlag sein Bewenden.
6. Die Strafen müssen neu bemessen werden. Dazu bedarf es keiner Aufhebung von Feststellungen. Der neu berufene Tatrichter wird die Strafen für den von den Angeklagten gemeinschaftlich begangenen Totschlag auf der Grundlage der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen (1 a der hiesigen Urteilsgründe), der zulässigerweise getroffenen weiteren Feststellungen zur Person der Angeklagten (UA S. 4 bis 10), deren Motiv (UA S. 12, 20, 31) und zu der Tat vom 30. Dezember 2002 (UA S. 10 f.) zu bemessen haben, wobei von einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit (UA S. 26 bis 28) auszugehen ist. Der Senat wiederholt seinen im Urteil vom 17. August 2004 unter IV. erteilten Hinweis zur Anwendung von § 49 Abs. 1 StGB (vgl. auch sub 8).
7. Mit den Teilerfolgen der Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin erledigen sich deren Kostenbeschwerden.
8. Die wirksam auf das Strafmaß beschränkte Revision des Angeklagten H ist unbegründet. Soweit sich die Revision mit der Sachrüge gegen die versagte Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB wendet, zeigt sie keinen Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat das mit dem vorliegenden Tatbild übereinstimmende Vortatgeschehen vom 30. Dezember 2002 als Vorerfahrung der Angeklagten gewürdigt, wonach der sie unter dem Einfluss erheblicher Mengen Alkohols objektiv und subjektiv vorhersehbar zu weiteren gewalttätigen Übergriffen gegen ihr Opfer neigten. Solches begründet die Versagung der Strafrahmenverschiebung (vgl. BGHSt 49, 239, 243, 245 f.).
Basdorf Häger Raum Brause Schaal

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 608/11
vom
23. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23.Februar
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
die Nebenkläger V. und T. V. in Person,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 27. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , begangen in den Varianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2 (Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeuges) und Nr. 5 StGB (Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft und die Eltern des Geschädigten als Nebenkläger beanstanden mit ihren Rechtsmitteln die Verletzung materiellen Rechts. Die Revisionen führen zur Aufhebung des Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts.
2
1. Nach den Feststellungen hielt sich der Angeklagte am frühen Morgen des 12. Dezember 2010 gegen 03.45 Uhr mit drei Freunden auf dem Parkplatz einer Diskothek auf. Als es im Eingangsbereich zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit wechselseitigen Faustschlägen zwischen den Zeugen A. und C. kam, lief der Angeklagte in Richtung der Streitenden, um zu schlichten (UA 6/7). Etwa zum gleichen Zeitpunkt trat der ebenfalls um eine Streitschlichtung bemühte D. V. zwischen die Kontrahenten und wurde von dem Zeugen A. mit der Faust zu Boden geschlagen. Ob sich D. V. danach noch einmal zu erheben vermochte oder sofort regungslos liegenblieb, konnte das Landgericht nicht zweifelsfrei feststellen. Wenige Sekunden nachdem D. V. zu Boden gegangen war, trat ihm der Angeklagte ohne nachvollziehbaren Grund aus der Körperdrehung heraus mit seiner rechten Innenfußseite gegen die rechte Wange. Zu diesem Zeitpunkt lag D. V. auf der Seite oder auf dem Rücken, sodass sein Gesicht zur Seite oder nach oben ge- richtet war. Infolge des „mit nicht genau feststellbarer Intensität“ geführten Tritts wurde der Kopf des erheblich alkoholisierten Geschädigten nach hinten ge- schleudert und „im Radius von etwa 1/2 Meter in Trittrichtung gedreht. Die Fü- ße blieben am Ort liegen“. Dabei trug der Angeklagte geschnürte Sportschuhe, deren Innenseite so hart war, dass es dadurch bei Tritten zu erheblichen Verletzungen kommen konnte (UA 7).
3
Der Zeuge C. und andere Umstehende bemühten sich sofort um eine Erstversorgung des Geschädigten und alarmierten um 3.53 Uhr den Rettungsdienst. Der Angeklagte zeigte sich ebenfalls besorgt und überließ dem Zeugen C. seine Telefonnummer. Danach fuhr er mit seinen Freunden nach Hause.
4
Als der Rettungsdienst um 4.02 Uhr eintraf, war der Geschädigte bewusstlos und ohne eigene Atmung. Bei einem Intubationsversuch stellte der kurze Zeit später hinzu gekommene Notarzt fest, dass der Deckel der Luftröhre durch einen Kaugummi verlegt und deshalb keine Versorgung mit Sauerstoff über die Atemwege mehr möglich war. Nachdem er den Kaugummistreifen mit einem Spezialinstrument entfernt hatte, konnte der Tubus gelegt und eine maschinelle Beatmung eingeleitet werden. D. V. hatte daraufhin wieder ei- nen Spontankreislauf und einen stabilen Puls. Bis zu diesem Zeitpunkt war er etwa 15 Minuten ohne Bewusstsein. Nach dem Transport ins Krankenhaus wurde bei ihm eine bis dahin unbemerkt gebliebene massive Einblutung in die weiche Hirnhaut (Subarachnoidalblutung) festgestellt, die noch am 12. Dezember 2010 eine operative Entfernung knöcherner Schädelteile erforderlich machte (Entlastungscraniektomie). D. V. verstarb am 16. Dezember 2010 an einer irreversiblen Hirnschädigung in Folge einer akuten schwersten globalen Minderversorgung des Gehirns mit Blut und Sauerstoff.
5
Das medizinisch-sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, dass der Geschädigte auf Grund des Faustschlages des Zeugen A. seinen Kaugummi in einer Weise verschluckt hat, dass dadurch sowohl der Kehlkopf als auch die Luftröhre verlegt wurden. In der Folge kam es zu einem reflektorischen Herz-Kreislauf-Stillstand (sog. Bolustod). Die Einblutung unter die weiche Hirnhaut ist nach Ansicht des Landgerichts „am ehesten durch den Sturz des Geschädigten ausgelöst worden und kann nicht zwangsläufig auf den Tritt des Angeklagten zurückgeführt werden“. Sie wurde zudem „wohl vom Bolustod überholt“ und ist „jedenfalls nicht mehr todesursächlich geworden“.
6
2. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte billigend in Kauf nahm, dass durch seinen Tritt „das Leben des Geschädigten potentiell gefährdet würde“. Eshat deshalb einen bedingten Vorsatz in Bezug auf eine das Leben gefährdende Körperverletzungshandlung entsprechend § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB für gegeben erachtet (UA 24).
7
Einen bedingten Tötungsvorsatz hat das Landgericht verneint, weil die Feststellungen nicht belegen, dass der Angeklagte bei der Ausführung des Trittes den Tod des Geschädigten billigend in Kauf nahm. Dabei hat es auf die folgenden Punkte abgestellt (UA 26):
8
Die Intensität des Trittes konnte nicht ausreichend festgestellt werden und war deshalb ohne Aussagekraft. Das Fehlen knöcherner Schädelverlet- zungen spricht eher gegen „eine besonders starke Intensität“(UA 27).
9
Eine „deutliche Motivation“ für den Tritt ist nicht feststellbar, weil der An- geklagte an der vorausgegangenen Auseinandersetzung nicht beteiligt war. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte gegenüber dem ihm unbekannten Geschädigten eine „grundsätzlich feindliche Willensrichtung“ eingenommen hatte, bestehen nicht. Eine Solidarisierung mit dem Zeugen A. , die die Annahme rechtfertigen könnte, der Angeklagte habe ihn auch um den Preis des Todes eines Menschen unterstützen wollen, ist nicht anzunehmen. A. war dem Angeklagten nur flüchtig bekannt und wurde von D. V. zuvor nicht angegriffen.
10
Der Umstand, dass dem Angeklagten seine Tat sofort Leid tat und er sich in der Folgezeit mehrfach für das Befinden des Geschädigten interessierte, ist ein „weiteres Indiz“ gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes (UA 27).
11
3. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
12
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, wenn sie möglich sind. Ein revisionsgerichtliches Eingreifen ist erst dann veranlasst , wenn dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11, Rn. 23; Urteil vom 14. Dezember 2011 – 1 StR 501/11; KK-StPO/Schoreit, 6. Aufl., § 261 Rn. 51 mwN).
13
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699 Rn. 34 f. mwN.). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 – 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534; NK-StGB/Neumann 3. Aufl., § 212 Rn. 12 f.; Mößner, Die Überprüfung des bedingten Tötungsvorsatzes in der Revision S. 6 ff., jew. mwN). Bei der Würdigung des Willenselements ist neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die Betrachtung einzubeziehen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51; Beschluss vom 1. Juni 2007 – 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267, 268; Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372 jew. mwN).
14
b) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht.
15
Die Ausführungen des Landgerichts zur objektiven Gefährlichkeit des vom Angeklagten geführten Angriffs sind schon deshalb lückenhaft, weil sie sich nicht mit der von dem Angeklagten selbst geschilderten erheblichen Wirkung seines Tritts auf die Lage des Körpers des Geschädigten auseinanderset- zen (UA 7 und 14). Auch hätte an dieser Stelle nochmals erkennbar Berücksichtigung finden müssen, dass der Angeklagte die Trittwirkung gefährlich verstärkende Schuhe trug (UA 7) und auf den Geschädigten zu einem Zeitpunkt eintrat, als dieser – jedenfalls nach seiner Wahrnehmung (UA 13) – in Folge des Schlags des Zeugen A. regungslos am Boden lag. Bei seinen Erörterungen zum inneren Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hat das Landgericht diese Umstände als Beleg dafür ausreichen lassen, dass der Angeklagte eine potentielle Gefährdung des Lebens seines Opfers in Kauf nahm (UA

24).


16
Die Annahme des Landgerichts, der Tritt des Angeklagten könne nicht von „besonders starker Intensität“ (UA 27) oder „nicht von übermäßiger Wucht“ (UA 19) gewesen sein, weil bei dem Geschädigten keine knöchernen Schädelverletzungen festzustellen waren, stellt einseitig auf die ex post feststellbaren Verletzungsfolgen ab (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11 Rn. 28) und lässt die generelle Gefährlichkeit derartiger Tritte außer Acht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2011 – 1 StR 179/11, Rn. 10). Sie ist zudem nicht mit der an anderer Stelle getroffenen Feststellung vereinbar, dass die Knochenbrücke zwischen den Knochendeckeln des Schädelknochens einen nicht unterbluteten Bruch aufwies (UA 11). Zwar liegt es nicht fern, dass dieser Bruch auf die später durchgeführte Entlastungscraniektomie zurückzuführen ist, doch hätte dies einer ausdrücklichen Erörterung bedurft.
17
Der Umstand, dass dem Angeklagten sein Tritt sofort Leid tat und er sich in der Folgezeit mehrfach für das Befinden des Geschädigten interessierte, durfte vom Landgericht nicht ohne weitere Darlegungen als Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gewertet werden.
18
Nachträgliches Bedauern und Rettungsversuche sagen nur bedingt etwas über die innere Haltung des Täters im Tatzeitpunkt aus, da sie nicht selten auf einer spontanen Ernüchterung beruhen und mit Blick auf die Tatfolgen von der Sorge um das eigene Wohl geleitet sind (BGH, Urteil vom 8. August2001 – 2StR 166/01, NStZ-RR 2001, 369, 370; Urteil vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630). Der Angeklagte hat hierzu angegeben, nach dem Tritt „wach geworden“ zu sein. Dabei habe er begriffen, dass er etwas ge- tan habe, was nicht in Ordnung gewesen sei (UA 14). Der Angeklagte – dessen Einlassung das Landgericht im Übrigen gefolgt ist – hat damit selbst eingeräumt , dass sein Nachtatverhalten nicht mehr Ausdruck der ihn beherrschenden inneren Einstellung im Tatzeitpunkt gewesen ist, sondern auf einer veränderten Sicht der Dinge beruhte. Hieran durfte das Landgericht nicht vorübergehen.
19
Bedenken bestehen schließlich auch insoweit, als das Landgericht in dem Umstand, dass es „keine deutliche Motivation für den Tritt“ festzustellen vermochte, ein Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gesehen hat.
20
Mit bedingten Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv , sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach (BGH, Urteil vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318). Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs.1 Vorsatz, bedingter 22; Urteil vom 30. November 2005 – 3 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317,

318).


21
Das Landgericht hat mit der Verneinung einer feindlichen Grundhaltung gegenüber dem Geschädigten einerseits und einer unbedingten Solidarität mit seinem Kontrahenten A. andererseits lediglich zwei mögliche starke Handlungsantriebe ausgeschlossen. Dies allein lässt jedoch noch nicht den Schluss zu, dass es dem Angeklagten deshalb an der Bereitschaft gefehlt hat, auch schwerste Tatfolgen in Kauf zu nehmen. Stattdessen wäre es an dieser Stelle erforderlich gewesen, näher auf die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Verhältnis zur Anwendung körperlicher Gewalt und seine Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse einzugehen. Wie das Landgericht im Rahmen seiner Erwägungen zu § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG zutreffend festgestellt hat, lässt die Art und Weise, wie sich der Angeklagte zu der Tat hinreißen ließ, auf einen starken Mangel an Ausgeglichenheit und Besonnenheit schließen (UA 29). Auch musste er in der Vergangenheit bereits zweimal wegen Körperverletzung geahndet werden, wobei er seinen Opfern jeweils knöcherne Verletzungen des Gesichtsschädels zufügte (UA 4 f.). Mangelnde Impulskontrolle, wie sie bei dem Angeklagten schon mehrfach zutage getreten ist, führt nicht selten dazu, dass es bereits bei geringsten Anlässen zu massiven Gewalthandlungen kommt, bei denen dem Täter die Konsequenzen seines Handelns gleichgültig sind und deshalb selbst tödliche Folgen in Kauf genommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08, Rn. 9).
22
4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Ein Eingehen auf die von der Revision erhobenen Einwände gegen die unterbliebene Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge ist unter diesen Umständen ebenso wenig erforderlich wie die Erörterung einer Strafbarkeit nach § 231 Abs. 1 Alt. 2 StGB.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin
13
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen mit ihm abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Willens- als auch das Wissenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Gewalthandlung, aber auch die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motive mit einzubeziehen sind (st. Rspr; vgl. nur Senat, Beschluss vom 13. August 2013 – 2 StR 180/13, NStZ 2014, 84 mwN). Dabei liegt die Annahme einer Billigung nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 1991 – 3 StR 470/91; Urteil vom 24. März 1993 – 3 StR 485/92; Urteil vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 27, 35, 51).

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 608/11
vom
23. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23.Februar
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
die Nebenkläger V. und T. V. in Person,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 27. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , begangen in den Varianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2 (Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeuges) und Nr. 5 StGB (Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft und die Eltern des Geschädigten als Nebenkläger beanstanden mit ihren Rechtsmitteln die Verletzung materiellen Rechts. Die Revisionen führen zur Aufhebung des Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts.
2
1. Nach den Feststellungen hielt sich der Angeklagte am frühen Morgen des 12. Dezember 2010 gegen 03.45 Uhr mit drei Freunden auf dem Parkplatz einer Diskothek auf. Als es im Eingangsbereich zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit wechselseitigen Faustschlägen zwischen den Zeugen A. und C. kam, lief der Angeklagte in Richtung der Streitenden, um zu schlichten (UA 6/7). Etwa zum gleichen Zeitpunkt trat der ebenfalls um eine Streitschlichtung bemühte D. V. zwischen die Kontrahenten und wurde von dem Zeugen A. mit der Faust zu Boden geschlagen. Ob sich D. V. danach noch einmal zu erheben vermochte oder sofort regungslos liegenblieb, konnte das Landgericht nicht zweifelsfrei feststellen. Wenige Sekunden nachdem D. V. zu Boden gegangen war, trat ihm der Angeklagte ohne nachvollziehbaren Grund aus der Körperdrehung heraus mit seiner rechten Innenfußseite gegen die rechte Wange. Zu diesem Zeitpunkt lag D. V. auf der Seite oder auf dem Rücken, sodass sein Gesicht zur Seite oder nach oben ge- richtet war. Infolge des „mit nicht genau feststellbarer Intensität“ geführten Tritts wurde der Kopf des erheblich alkoholisierten Geschädigten nach hinten ge- schleudert und „im Radius von etwa 1/2 Meter in Trittrichtung gedreht. Die Fü- ße blieben am Ort liegen“. Dabei trug der Angeklagte geschnürte Sportschuhe, deren Innenseite so hart war, dass es dadurch bei Tritten zu erheblichen Verletzungen kommen konnte (UA 7).
3
Der Zeuge C. und andere Umstehende bemühten sich sofort um eine Erstversorgung des Geschädigten und alarmierten um 3.53 Uhr den Rettungsdienst. Der Angeklagte zeigte sich ebenfalls besorgt und überließ dem Zeugen C. seine Telefonnummer. Danach fuhr er mit seinen Freunden nach Hause.
4
Als der Rettungsdienst um 4.02 Uhr eintraf, war der Geschädigte bewusstlos und ohne eigene Atmung. Bei einem Intubationsversuch stellte der kurze Zeit später hinzu gekommene Notarzt fest, dass der Deckel der Luftröhre durch einen Kaugummi verlegt und deshalb keine Versorgung mit Sauerstoff über die Atemwege mehr möglich war. Nachdem er den Kaugummistreifen mit einem Spezialinstrument entfernt hatte, konnte der Tubus gelegt und eine maschinelle Beatmung eingeleitet werden. D. V. hatte daraufhin wieder ei- nen Spontankreislauf und einen stabilen Puls. Bis zu diesem Zeitpunkt war er etwa 15 Minuten ohne Bewusstsein. Nach dem Transport ins Krankenhaus wurde bei ihm eine bis dahin unbemerkt gebliebene massive Einblutung in die weiche Hirnhaut (Subarachnoidalblutung) festgestellt, die noch am 12. Dezember 2010 eine operative Entfernung knöcherner Schädelteile erforderlich machte (Entlastungscraniektomie). D. V. verstarb am 16. Dezember 2010 an einer irreversiblen Hirnschädigung in Folge einer akuten schwersten globalen Minderversorgung des Gehirns mit Blut und Sauerstoff.
5
Das medizinisch-sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, dass der Geschädigte auf Grund des Faustschlages des Zeugen A. seinen Kaugummi in einer Weise verschluckt hat, dass dadurch sowohl der Kehlkopf als auch die Luftröhre verlegt wurden. In der Folge kam es zu einem reflektorischen Herz-Kreislauf-Stillstand (sog. Bolustod). Die Einblutung unter die weiche Hirnhaut ist nach Ansicht des Landgerichts „am ehesten durch den Sturz des Geschädigten ausgelöst worden und kann nicht zwangsläufig auf den Tritt des Angeklagten zurückgeführt werden“. Sie wurde zudem „wohl vom Bolustod überholt“ und ist „jedenfalls nicht mehr todesursächlich geworden“.
6
2. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte billigend in Kauf nahm, dass durch seinen Tritt „das Leben des Geschädigten potentiell gefährdet würde“. Eshat deshalb einen bedingten Vorsatz in Bezug auf eine das Leben gefährdende Körperverletzungshandlung entsprechend § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB für gegeben erachtet (UA 24).
7
Einen bedingten Tötungsvorsatz hat das Landgericht verneint, weil die Feststellungen nicht belegen, dass der Angeklagte bei der Ausführung des Trittes den Tod des Geschädigten billigend in Kauf nahm. Dabei hat es auf die folgenden Punkte abgestellt (UA 26):
8
Die Intensität des Trittes konnte nicht ausreichend festgestellt werden und war deshalb ohne Aussagekraft. Das Fehlen knöcherner Schädelverlet- zungen spricht eher gegen „eine besonders starke Intensität“(UA 27).
9
Eine „deutliche Motivation“ für den Tritt ist nicht feststellbar, weil der An- geklagte an der vorausgegangenen Auseinandersetzung nicht beteiligt war. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte gegenüber dem ihm unbekannten Geschädigten eine „grundsätzlich feindliche Willensrichtung“ eingenommen hatte, bestehen nicht. Eine Solidarisierung mit dem Zeugen A. , die die Annahme rechtfertigen könnte, der Angeklagte habe ihn auch um den Preis des Todes eines Menschen unterstützen wollen, ist nicht anzunehmen. A. war dem Angeklagten nur flüchtig bekannt und wurde von D. V. zuvor nicht angegriffen.
10
Der Umstand, dass dem Angeklagten seine Tat sofort Leid tat und er sich in der Folgezeit mehrfach für das Befinden des Geschädigten interessierte, ist ein „weiteres Indiz“ gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes (UA 27).
11
3. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
12
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, wenn sie möglich sind. Ein revisionsgerichtliches Eingreifen ist erst dann veranlasst , wenn dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11, Rn. 23; Urteil vom 14. Dezember 2011 – 1 StR 501/11; KK-StPO/Schoreit, 6. Aufl., § 261 Rn. 51 mwN).
13
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699 Rn. 34 f. mwN.). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 – 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534; NK-StGB/Neumann 3. Aufl., § 212 Rn. 12 f.; Mößner, Die Überprüfung des bedingten Tötungsvorsatzes in der Revision S. 6 ff., jew. mwN). Bei der Würdigung des Willenselements ist neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die Betrachtung einzubeziehen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51; Beschluss vom 1. Juni 2007 – 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267, 268; Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372 jew. mwN).
14
b) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht.
15
Die Ausführungen des Landgerichts zur objektiven Gefährlichkeit des vom Angeklagten geführten Angriffs sind schon deshalb lückenhaft, weil sie sich nicht mit der von dem Angeklagten selbst geschilderten erheblichen Wirkung seines Tritts auf die Lage des Körpers des Geschädigten auseinanderset- zen (UA 7 und 14). Auch hätte an dieser Stelle nochmals erkennbar Berücksichtigung finden müssen, dass der Angeklagte die Trittwirkung gefährlich verstärkende Schuhe trug (UA 7) und auf den Geschädigten zu einem Zeitpunkt eintrat, als dieser – jedenfalls nach seiner Wahrnehmung (UA 13) – in Folge des Schlags des Zeugen A. regungslos am Boden lag. Bei seinen Erörterungen zum inneren Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hat das Landgericht diese Umstände als Beleg dafür ausreichen lassen, dass der Angeklagte eine potentielle Gefährdung des Lebens seines Opfers in Kauf nahm (UA

24).


16
Die Annahme des Landgerichts, der Tritt des Angeklagten könne nicht von „besonders starker Intensität“ (UA 27) oder „nicht von übermäßiger Wucht“ (UA 19) gewesen sein, weil bei dem Geschädigten keine knöchernen Schädelverletzungen festzustellen waren, stellt einseitig auf die ex post feststellbaren Verletzungsfolgen ab (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11 Rn. 28) und lässt die generelle Gefährlichkeit derartiger Tritte außer Acht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2011 – 1 StR 179/11, Rn. 10). Sie ist zudem nicht mit der an anderer Stelle getroffenen Feststellung vereinbar, dass die Knochenbrücke zwischen den Knochendeckeln des Schädelknochens einen nicht unterbluteten Bruch aufwies (UA 11). Zwar liegt es nicht fern, dass dieser Bruch auf die später durchgeführte Entlastungscraniektomie zurückzuführen ist, doch hätte dies einer ausdrücklichen Erörterung bedurft.
17
Der Umstand, dass dem Angeklagten sein Tritt sofort Leid tat und er sich in der Folgezeit mehrfach für das Befinden des Geschädigten interessierte, durfte vom Landgericht nicht ohne weitere Darlegungen als Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gewertet werden.
18
Nachträgliches Bedauern und Rettungsversuche sagen nur bedingt etwas über die innere Haltung des Täters im Tatzeitpunkt aus, da sie nicht selten auf einer spontanen Ernüchterung beruhen und mit Blick auf die Tatfolgen von der Sorge um das eigene Wohl geleitet sind (BGH, Urteil vom 8. August2001 – 2StR 166/01, NStZ-RR 2001, 369, 370; Urteil vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630). Der Angeklagte hat hierzu angegeben, nach dem Tritt „wach geworden“ zu sein. Dabei habe er begriffen, dass er etwas ge- tan habe, was nicht in Ordnung gewesen sei (UA 14). Der Angeklagte – dessen Einlassung das Landgericht im Übrigen gefolgt ist – hat damit selbst eingeräumt , dass sein Nachtatverhalten nicht mehr Ausdruck der ihn beherrschenden inneren Einstellung im Tatzeitpunkt gewesen ist, sondern auf einer veränderten Sicht der Dinge beruhte. Hieran durfte das Landgericht nicht vorübergehen.
19
Bedenken bestehen schließlich auch insoweit, als das Landgericht in dem Umstand, dass es „keine deutliche Motivation für den Tritt“ festzustellen vermochte, ein Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gesehen hat.
20
Mit bedingten Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv , sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach (BGH, Urteil vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318). Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs.1 Vorsatz, bedingter 22; Urteil vom 30. November 2005 – 3 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317,

318).


21
Das Landgericht hat mit der Verneinung einer feindlichen Grundhaltung gegenüber dem Geschädigten einerseits und einer unbedingten Solidarität mit seinem Kontrahenten A. andererseits lediglich zwei mögliche starke Handlungsantriebe ausgeschlossen. Dies allein lässt jedoch noch nicht den Schluss zu, dass es dem Angeklagten deshalb an der Bereitschaft gefehlt hat, auch schwerste Tatfolgen in Kauf zu nehmen. Stattdessen wäre es an dieser Stelle erforderlich gewesen, näher auf die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Verhältnis zur Anwendung körperlicher Gewalt und seine Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse einzugehen. Wie das Landgericht im Rahmen seiner Erwägungen zu § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG zutreffend festgestellt hat, lässt die Art und Weise, wie sich der Angeklagte zu der Tat hinreißen ließ, auf einen starken Mangel an Ausgeglichenheit und Besonnenheit schließen (UA 29). Auch musste er in der Vergangenheit bereits zweimal wegen Körperverletzung geahndet werden, wobei er seinen Opfern jeweils knöcherne Verletzungen des Gesichtsschädels zufügte (UA 4 f.). Mangelnde Impulskontrolle, wie sie bei dem Angeklagten schon mehrfach zutage getreten ist, führt nicht selten dazu, dass es bereits bei geringsten Anlässen zu massiven Gewalthandlungen kommt, bei denen dem Täter die Konsequenzen seines Handelns gleichgültig sind und deshalb selbst tödliche Folgen in Kauf genommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08, Rn. 9).
22
4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Ein Eingehen auf die von der Revision erhobenen Einwände gegen die unterbliebene Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge ist unter diesen Umständen ebenso wenig erforderlich wie die Erörterung einer Strafbarkeit nach § 231 Abs. 1 Alt. 2 StGB.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin
13
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen mit ihm abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Willens- als auch das Wissenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Gewalthandlung, aber auch die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motive mit einzubeziehen sind (st. Rspr; vgl. nur Senat, Beschluss vom 13. August 2013 – 2 StR 180/13, NStZ 2014, 84 mwN). Dabei liegt die Annahme einer Billigung nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 1991 – 3 StR 470/91; Urteil vom 24. März 1993 – 3 StR 485/92; Urteil vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 27, 35, 51).

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

5 StR 4/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 17. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
17. März 2011, an der teilgenommen haben:
Richter Dr. Raum als Vorsitzender,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt B.
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt S.
alsNebenklägervertreter,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Juli 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der hiergegen gerichtete, mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt zum Schuldspruch aufgrund der zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt. Das Rechtsmittel führt allerdings mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte den Nebenkläger mit zwei Bierflaschen aus Glas (0,33 I) auf den Hinterkopf, wobei eine Flasche zerbrach. Der Nebenkläger konnte den Angeklagten zunächst abdrängen. Der Angeklagte ging jedoch sofort wieder auf den Neben- kläger los. Mit dem scharfkantigen Hals der zerbrochenen Bierflasche schlug und stach er mehrfach in Richtung des Halses und des Kopfs des Nebenklägers. Er verursachte glattrandige Verletzungen im Bereich des linken Ohrs mit einer fast vollständigen Abtrennung des linken Ohrläppchens und mehrere , teils schlitzartige und in einem Fall bis ins Unterhautfettgewebe reichende glattrandige Verletzungen an der linken Halsseite, die nur wenige Zentimeter von der Halsschlagader bzw. der Halsvene entfernt waren; der Angriff war deswegen lebensbedrohend (UA S. 7, 14). Nur durch das Eingreifen weiterer Gäste und des Sicherheitsdienstes konnte er von weiteren Verletzungshandlungen abgehalten werden.
3
2. Die sachverständig beratene Schwurgerichtskammer ist davon ausgegangen , dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des Zusammenwirkens einer alkoholischen Beeinflussung (maximale Blutalkoholkonzentration : 1,26 ‰), von Übermüdung und einer ängstlich gereizten Grundstimmung infolge von Nachstellungen und Provokationen von Seiten des Nebenklägers im Vorfeld sowie unmittelbar vor der Tat nicht ausschließbar erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert gewesen sei. Sie hat die Strafe dem in § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB normierten minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung entnommen. Die Annahme eines minder schweren Falls sei dabei nur unter Berücksichtigung und Verbrauch des vertypten Strafmilderungsgrundes nach § 21 StGB gerechtfertigt.
4
3. Der Strafausspruch hat aufgrund der Nichtabhandlung der Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB keinen Bestand.
5
a) Das Landgericht hat es unterlassen, sich ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen. Hierzu bestand nach den tatsächlichen Gegebenheiten ungeachtet des festgestellten, für sich nicht massiven Vorgehens des Nebenklägers gegen den Angeklagten und seine Freundin unmittelbar vor Tatbegehung (UA S. 6) angesichts des vorangegangenen nachhaltigen Nachstellungsverhaltens des Nebenklägers (UA S. 4 f.) Anlass (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 213 Rn. 5 a.E. mN zur st. Rspr.). Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig gebietet (vgl. zu § 226 Abs. 2 StGB aF: BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 1991 – 5 StR 6/91, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 2; vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; siehe auch BGH, Beschluss vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Strafzumessung 2; ferner jeweils mwN: Fischer, aaO, § 224 Rn. 15; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 224 Rn. 15). Sofern der Erregungszustand über den in § 213 StGB umschriebenen hinausgeht und zu einer von dieser Vorschrift nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohne Verstoß gegen § 50 StGB eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 1976 – 1 StR 482/76; Beschlüsse vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; vom 6. November 1985 – 2 StR 590/85, NStZ 1986, 115; vom 30. Juli 2008 – 2 StR 270/08, NStZ 2009, 91, 92; vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10).
6
b) Danach kann sich die Nichterörterung des § 213 Alt. 1 StGB hier auf die Strafrahmenwahl ausgewirkt haben. Allerdings gehen die beiden Milderungsgründe nach §§ 213 und 21 StGB mit der durch die Provokation verursachten affektiven Erregung des Angeklagten auf dieselbe Wurzel zurück. Dies kann einer nochmaligen Strafrahmenmilderung entgegenstehen, obliegt aber der Prüfung des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10; Schneider in MK, § 213 Rn. 28 mwN; noch weiter einschränkend Jähnke in LK, 11. Aufl., § 213 Rn. 14).
7
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht eine nochmalige Strafrahmenverschiebung vorgenommen oder aus dem Strafrahmen des § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn es die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB geprüft und bejaht sowie konsequent diesen Umstand und die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des nur unwesentlich vorbelasteten Angeklagten bei der allgemeinen Strafzumessung zu seinen Gunsten bewertet hätte.
8
c) Das neue Tatgericht wird bei der erneuten Straffindung insbesondere im Blick auf die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB das gesamte relevante Vorverhalten des Nebenklägers und dessen Einfluss auf die Tatbegehung des Angeklagten umfassend aufzuklären und zudem erneut Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen.
Raum Schaal Schneider König Bellay

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.