Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 18. Mai 2015 - L 15 VG 17/09 ZVW

bei uns veröffentlicht am18.05.2015

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Gründe

Leitsatz:

in dem Rechtsstreit

A., A-Straße, A-Stadt

- Klägerin und Berufungsklägerin -

gegen

..., vertreten durch ...

- Beklagter und Berufungsbeklagter -

Der 15. Senat des Bayer. Landessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung in München am 18. Mai 2015 durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialgericht Dr. Hesral, den Richter am Bayer. Landessozialgericht Neuerer und den Richter am Bayer. Landessozialgericht Dr. Braun sowie die ehrenamtlichen Richter T. und H. für Recht erkannt:

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23. November 2007 wird zurückgewiesen.

II.

Die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundessozialgericht Az. B 9 VG 22/08 B trägt der Beklagte. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten wegen Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Am 03.07.2001 stellte die Klägerin beim Beklagten Antrag auf eine Entschädigung nach dem OEG. Als gesundheitliche Schädigung waren „Ruptur vorderes Kreuzband, rechtes Kniegelenk“ und „Stoßverletzungen linke Schulter“ genannt. Zum Tathergang war auf dem Formblatt vermerkt, der Nachbar der Klägerin J. M. habe widerrechtlich auf dem Eigentümerweg zwischen ihrem und dem Nachbargrundstück den Absperrpfosten beschädigt und beseitigt.

Dem Vorgang liegt im Wesentlichen folgende Problematik zugrunde: Seit 1988 wohnt die Klägerin mit ihrer Familie in A-Stadt. Sie ist Miteigentümerin des Grundstücks S-Ring 53a. Ihr Nachbar J. M. ist Eigentümer des Anwesens S-Ring 53; bei den beiden Häusern handelt es sich um Doppelhaushälften. Beide Anwesen sind über eine Grundstückszufahrt zu erreichen, die im Gemeinschaftseigentum der Familien A. und M. steht. Seit Jahren streiten diese wegen der Benutzung dieses Weges, u. a. unter Zuhilfenahme zivilgerichtlichen Rechtsschutzes.

Die streitgegenständliche Tat geschah am 22.03.2001. Eine erste Auseinandersetzung fand etwa zwischen 14:00 und 14:30 Uhr statt und zog einen ersten Polizeieinsatz nach sich. Nachdem die Polizei das Grundstück wieder verlassen hatte, kam es um ca.15:30 Uhr zu dem zweiten Vorfall, der einen weiteren Polizeieinsatz nach sich zog; die Klägerin leitet ihre Versorgungsansprüche aus gesundheitlichen Störungen infolge dieses zweiten Vorfalls ab.

Am 14.05.2001 erstattete die Klägerin gegen J. M. Strafanzeige wegen schwerer Körperverletzung. In dieser Anzeige wird der Vorgang dahin geschildert, J. M. habe den Absperrpfosten auf der im Zentrum des Nachbarstreits stehenden Zufahrt gegen 14.30 Uhr widerrechtlich entfernt. Die Polizei sei erschienen, habe aber nur auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Sodann habe sie, die Klägerin, den Pickel geholt, um den Pfosten provisorisch wieder einzusetzen. Als J. M. das gesehen habe, sei er wütend auf die Klägerin zugesprungen, habe den Pickel - ebenso wie die Klägerin - mit beiden Händen umfasst und kraftvoll mehrmals gegen deren Schulter gestoßen. Sodann habe er sie mitsamt Pickel brutal zu Boden gestoßen. Bei dem Sturz habe sie mehrere Prellungen am rechten Knie sowie eine Ruptur des Kreuzbands erlitten.

Am 26.08.2001 wurden die Anwohnerin B. B. und die Spaziergängerin A. B. in der Polizeiinspektion A-Stadt als Zeuginnen vernommen. Diese bestätigten die Angaben der Klägerin nicht.

Mit Verfügung vom 08.11.2001 wurde das Ermittlungsverfahren gegen J. M. eingestellt. Hierzu erging auf Betreiben der Klägerin eine Beschwerdeentscheidung des Generalstaatsanwalts beim Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg und schließlich auch eine Entscheidung gemäß § 172 Abs. 3 Strafprozessordnung (StPO) des OLG. Der Antrag wurde aus formalen Gründen als unzulässig verworfen.

Anzeigen der Klägerin in diesem Zusammenhang gegen verschiedene Personen (u. a. gegen J. M.) blieben ohne Erfolg.

Der beschuldigte Nachbar J. M. ließ in seiner Gegenanzeige folgenden Sachverhalt vortragen: In der ersten Situation (vor Eintreffen der Polizei) habe ihn die Klägerin zunächst beschimpft und sei dann mit der Spitzhacke auf ihn losgegangen. Diesen Angriff habe er gerade noch abwenden können, indem er versucht habe, die Spitzhacke zu ergreifen. Die Klägerin sei dann zurück auf ihr Grundstück gegangen und habe gesagt, sie werde noch sehen, wie man ihn, den Nachbarn, mit dem Sarg hinaustragen werde, denn sie werde jetzt zu anderen Mitteln greifen. Anschließend sei es zum Erscheinen der Polizei gekommen. Als diese wieder abgerückt gewesen sei, sei die Klägerin erneut herausgekommen und habe gegen 15:15 Uhr wieder in der gemeinsamen Zufahrt ein Loch graben wollen. Als er sich dagegen verwehrt habe, sei sie mit der Spitzhacke auf ihn losgegangen. Bei dem anschließenden Gerangel habe sie sich absichtlich fallen lassen sowie zu schreien und zu weinen begonnen. Den Pickel habe er der später erneut eintreffenden Polizei als Tatwaffe übergeben.

In der Sitzung des Amtsgerichts E. (AG) - Strafrichter - wurden die Klägerin (als Angeklagte) sowie die Zeugen J. M., B. M. (Ehefrau des J. M.; diese bestätigte dessen Aussage), A. B., B. B., Polizeikommissar T., der die Angaben der Klägerin nicht bestätigte, sowie der Enkel der Klägerin A. A. (geb. 1992) vernommen. A. A. bestätigte genau deren Version. Die Strafrichterin verurteilte die Klägerin wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Amtsgericht stellte in seinem Urteil vom 04.10.2002 fest, dass es „zwischen 13:40 Uhr und 15:00 Uhr“ zu einer Auseinandersetzung gekommen sei. Die Klägerin sei mit einer Spitzhacke auf ihren Nachbarn J. M. losgegangen, der sich gerade noch umdrehen und ihr die Spitzhacke habe entwenden können. Im Anschluss daran sei es noch zu einer Bedrohung gekommen. Feststellungen zur zweiten Auseinandersetzung enthält das Urteil nicht. Zur Aussage des A. A. ist im Urteil ausgeführt, dieser habe Formulierungen gebraucht, die denen eines zehnjährigen Kindes nicht entsprächen. Die Aussage habe den Eindruck hinterlassen, als ob sie entweder aus Gefälligkeit erfolgt sei oder, nachdem der Vorfall schon eineinhalb Jahre zurückgelegen habe, er die Äußerungen wiedergegeben habe, die er von der Klägerin gehört habe.

Im Berufungsverfahren vor dem Landgericht (LG) N. wurden in einer ersten Sitzung am 12.05.2003 weitere Ermittlungen beschlossen, so die Einvernahme des Kindes T. G.. Bevor diese (zum Tatzeitpunkt acht Jahre alt) in der Sitzung befragt wurde, erfolgte am 12.06.2003 eine Vernehmung durch die Polizei. U. a. sagte das Mädchen aus, sie und A. A. hätten am 22.03.2001 auf der Terrasse der Familie A. gespielt. Sie habe u. a. gesehen, wie die Klägerin den Pickel mit beiden Händen über dem Kopf gehalten und richtig Schwung geholt habe, um J. M. auf den Kopf zu hauen. J. M. habe mit beiden Händen nach oben gelangt, den Pickel festgehalten und ihr aus den Händen gerissen. Er habe den Pickel weggestellt. Dann habe er die Klägerin weggeschubst. Wie die Klägerin gestürzt sei, habe sie nicht gesehen. Diese habe vor einigen Wochen bei ihrer Mutter angerufen und darum gebeten, sie, T. G., solle aussagen, dass J. M. sie verletzt habe.

Die Verhandlung vor dem LG fand am 18. und 20.08.2003 statt. Die Klägerin wurde wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten (ohne Bewährung) verurteilt. Aus dem Urteil, in dem u. a. die Feststellung enthalten ist, dass die Klägerin seit ihrem Umzug nach A-Stadt mit ihrer gesamten Nachbarschaft in Streit lebe und der Überzeugung sei, dass sich sämtliche Anwohner in ihrer Umgebung gegen sie verschworen hätten, geht hervor, dass die Klägerin in der Berufungshauptverhandlung Zeugen mehrfach als Lügner beschimpft und angeschrien und die H. Polizei und die ganze Justiz als ausländerfeindliche Behörden, die sich gegen sie verschworen hätten, beschimpft habe.

A. B., J. M. und B. M. hätten ihre bisherigen Aussagen bestätigt und ruhig, sachlich und ohne Belastungseifer ausgesagt; an der Glaubwürdigkeit der Zeugen bestünden keine Zweifel.

A. A. sagte aus, die Klägerin habe J. M. nicht beschimpft oder beleidigt. Der Pickel sei so schwer gewesen, dass die Klägerin ihn nur am Boden habe schleifen können; erhoben habe sie ihn nie. A. habe den Eindruck erweckt, so das LG, er habe die Aussage auswendig gelernt; seine Wortwahl sei nicht altersgerecht gewesen. Vor etwa zwei Wochen habe er mit der Familie ausführlich über den Vorfall gesprochen. A. sei offenkundig unglaubwürdig gewesen; er sei erkennbar unter Druck gestanden. Er habe bewusst gelogen, die Aussage sei ihm angelernt worden.

Zum zweiten Vorfall wiederholte T. G. ihre Aussage. Das Gericht beurteilte diese ohne Einschränkung als glaubhaft. Das Kind sei ständig im Haus der Familie A. verkehrt und habe die Klägerin sogar als „Oma“ bezeichnet; es sei nicht der geringste Belastungseifer zu erkennen gewesen. T. G. sei so verschüchtert gewesen, vor Gericht aussagen zu müssen, dass sie überhaupt nicht in der Lage gewesen wäre zu lügen. Die Mutter von T. G., S. G., sagte aus, am Abend des Tattages sei T. G. völlig verändert gewesen, habe sich geweigert, zu Abend zu essen und sei ohne fernzusehen ins Bett gegangen. Sie habe nur erzählt, dass J. M. die Klägerin geschubst habe. Erst später habe sie den ganzen Vorfall berichtet. Die Klägerin rief nach Angaben von S. G. Ende Mai 2003 dreimal bei dieser an und verlangte nach einer Bestätigung, dass ihre Tochter T. G. gesehen habe, wie der Nachbar die Klägerin geschlagen habe. Sie, S. G., habe dies abgelehnt. B. B. und A. A. wiederholten ihre bisherigen Einlassungen zum zweiten Vorfall. Dabei sei A. auch bei diesem Teil seiner Aussage völlig unglaubwürdig gewesen. Seine Aussagen hätten auswendig gelernt geklungen und seien nicht altersgerecht formuliert gewesen.

Es kam sodann zu einem Revisionsverfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG). In der Revisionsschrift der Klägerin wurde u. a. gerügt, die Einführung der Aussage der T. G. vor der Polizei sei unzulässig gewesen. A. A. habe das Gericht unzulässig eingeschüchtert; (auch) bezüglich ihm hätte ein Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt werden müssen. Nach Stellungnahme der Staatsanwaltschaft beim BayObLG verwarf dieses die Revision mit Beschluss vom 15.01.2004 als unbegründet.

Sodann beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 11.02.2004 und 15.07.2004 die Wiederaufnahme des Verfahrens. Das LG R. lehnte dies jedoch ab. Auch in diesem Zusammenhang wurden (erfolglos) Rechtsmittel eingelegt und Verfahrensverstöße der Gerichte gesehen.

Die Haftstrafe verbüßte die Klägerin vom 05.04. bis 18.10.2005.

Im Rahmen des Zivilrechtsstreits (Az.: 4 O 5101/01) zwischen der Klägerin (als dortiger Klägerin) und J. M. (als dortigem Beklagten) vor dem LG sagte B. M. am 25.05.2004 u. a. aus, dass sie beim ersten Vorfall ihren Mann gewarnt habe, als die Klägerin auf diesen mit der Hacke zuging. Er habe ihr die Hacke entreißen wollen, was ihm zunächst nicht gelungen sei; es habe sich dann ein regelrechter Kampf um die Spitzhacke entwickelt. Ihrem Mann sei es schließlich gelungen, der Klägerin die Hacke abzunehmen. Die Klägerin habe im Rahmen ihrer Beschimpfungen dann auch geäußert, sie werde noch sehen, wie man ihn (den Nachbarn) hier im Sarg hinaustrage. Zum zweiten Vorfall gab sie an, die Klägerin habe geäußert, den Pfosten jetzt wieder einsetzen zu wollen; dabei habe sie mit der Hacke mehrfach auf den Boden geklopft. Auf einmal habe sie die Hacke wieder erhoben. Daraufhin habe ihr Mann wieder nach dem Stiel gegriffen. Die Klägerin habe die Hacke plötzlich losgelassen und sich einfach auf den Boden gesetzt, wo sie „leise in sich hineinzuweinen schien“.

Medizinische Ermittlungen führte der Beklagte nicht durch. Mit Bescheid vom 29.08.2003 lehnte er den Antrag auf Beschädigtenversorgung ab, weil J. M. nicht rechtswidrig, sondern zur Abwehr eines gegen ihn gerichteten Angriffs gehandelt habe.

Dagegen legte die Klägerin am 29.09.2003 Widerspruch ein. Sie sei von ihrem Nachbarn angegriffen worden. Dieser stelle nun Lügen auf, um von seinen abscheulichen Taten abzulenken.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2005 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach den vorliegenden Zeugenaussagen, so die Begründung, habe sich J. M. lediglich verteidigen wollen. Dass die Klägerin dabei zu Fall gekommen sei und sich verletzt habe, könne ihm nicht angelastet werden.

Am 17.11.2005 hat die Klägerin zum Sozialgericht Nürnberg (SG) Klage erhoben. In ihrer Klagebegründung hat sie daran festgehalten, J. M. habe nicht in Notwehr gehandelt, sondern einen vorsätzlichen und rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen sie unternommen. Als Zeugen hat sie wiederum ihren Enkel A. A. sowie ihren Ehemann A. und die Anwohnerin B. B. benannt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23.11.2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei nicht mit dem notwendigen Vollbeweis feststellbar, dass ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff gegen die Klägerin stattgefunden hätte. Insoweit hat sich das SG auf die beigezogenen Strafakten gestützt, die es im Wege des Urkundenbeweises verwertet habe. Bei dem von den Strafgerichten festgestellten Handlungsablauf könne das Gericht keinen vorsätzlichen tätlichen Angriff des J. M. auf die Klägerin feststellen, zumal dessen Einlassungen im Strafverfahren auch von unbeteiligten Tatzeugen bestätigt worden seien. Das SG habe sich nicht gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen. Dazu bestünde nur dann eine Verpflichtung, wenn neue erfolgversprechende Ansatzpunkte zur Feststellung einer rechtswidrigen Vorsatztat aufgetaucht wären oder der Sachverhalt unter anderen rechtlichen Kriterien als im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu würdigen gewesen wäre; das sei jedoch nicht der Fall.

Am 19.03.2008 hat die Klägerin beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) gegen das Urteil Berufung (Az.: L 15 VG 10/08) eingelegt. Zur Berufungsbegründung hat die Klägerin u. a. verschiedene medizinische Unterlagen vorgelegt. Der Senat hat die Berufung mit Urteil vom 08.07.2008 als unzulässig, weil verfristet, verworfen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Beschluss vom 23.04.2009 (Az.: B 9 VG 22/08 B) das Senatsurteil aufgehoben und die Sache an das BayLSG zurückverwiesen (Az.: L 15 VG 17/09 ZVW). In den Gründen hat es festgestellt, die Berufung der Klägerin sei zulässig, so dass der Senat zu Unrecht nicht in der Sache entschieden habe. Denn die Berufung sei rechtzeitig erfolgt.

Mit Schriftsatz vom 17.08.2009 hat die Klägerin die Berufung neu begründet. Im Wesentlichen hat sie vorgetragen, dass die Beweiswürdigung des SG fehlerhaft gewesen sei. Unabhängig von vorliegenden Urteilen des Strafgerichts oder von Zivilverfahren sei eine Tatsachenwürdigung durch die Sozialgerichte vorzunehmen. Soweit das „LSG“ [Anm.: Gemeint ist offensichtlich das SG] das Strafurteil als Urkundenbeweis verwertet habe, widersetze sich die Klägerin diesem wegen offenkundiger Rechtswidrigkeit. Es seien die Zeuginnen B. B. und B., beide Anwohnerinnen, anzuhören, dass diese keine Äußerung der Klägerin gehört hätten, wonach diese dafür sorgen werde, dass man J. M. „hier mit dem Sarg heraustragen“ werde. Dies habe die Klägerin, so der Bevollmächtigte, nicht gesagt, sondern, dass sie jetzt andere Mittel anwenden werde. Diese Äußerung habe sie mit dem Herbeirufen der Polizei wahrgemacht. Zudem werde ausdrücklich die Einholung eines Sachverständigengutachtens hinsichtlich der vorgetragenen körperlichen Schäden beantragt.

Am 21.12.2010 hat in Nürnberg ein Erörterungstermin des Senats stattgefunden. Mit Schreiben vom 17.01.2011 hat die Klägerin Beschwerde hiergegen erhoben; ihre Beschwerde richtete sich gegen die Durchführung des Termins als solchen, gegen das Protokoll sowie gegen dieses und andere Gerichtsverfahren.

Mit Schriftsatz vom 25.01.2011 hat die Klägerin den (damaligen) Berichterstatter des Senats wegen Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf seine Ankündigung, es werde keine neuen Zeugenvernehmungen geben, abgelehnt. Zudem hat sie gerügt, dass der Erörterungstermin in nichtöffentlicher Sitzung erfolgt sei. In dem Schriftsatz hat die Klägerin weiter auf Umstände am Tattag und fehlerhafte Beweiswürdigungen seitens des Strafgerichts hingewiesen. Im Hinblick auf die durch den Berichterstatter herausgestellte Problematik der Zeitferne sei festzustellen, dass sich bei einer neuen Zeugeneinvernahme auch das Gegenteil der Beweiswürdigung ergeben könne.

Mit Beschluss vom 13.09.2011 hat der Senat entschieden, dass das Ablehnungsgesuch gegen den damaligen Berichterstatter unbegründet sei.

Mit Schreiben vom 26.01.2011 ist erneut die Vernehmung weiterer Zeugen beantragt worden, insbesondere der B. M., der B., des PK T., des A. A. sowie des A.. Auch im Schriftsatz vom 04.03.2011 hat die Klägerseite wieder Beweisanträge gestellt. Einzuvernehmen sei auch A. B.; ein Sachverständigengutachten im Hinblick auf die erfolgten Gesundheitsstörungen sei einzuholen.

Am 25.06.2014 hat der Senat die Anwohnerin B. schriftlich befragt.

Mit Schriftsatz vom 25.08.2014 hat die Klägerin hervorgehoben, dass sie beim zweiten Vorfall am Tattag von ihrem Nachbarn auf das Schwerste verletzt worden sei und dass B. in ihrem Garten gewesen sei und gesehen haben müsse, wie „der brutale Mann“ sie angegriffen und verletzt habe. Auch B. B. sei draußen auf ihrer Terrasse gewesen. Im Übrigen hat sich die Klägerin gegen die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und die Gerichtsverfahren der Strafjustiz gewandt. In dem Schriftsatz hat die Klägerin erneut die Vernehmung der Zeugen B., B. sowie A. und A. beantragt.

In der mündlichen Verhandlung am 18.05.2015 hat der Senat die Zeugen B. und A. einvernommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG vom 23.11.2007 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 29.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2005 zu verurteilen, die wegen des Vorfalls am 22.03.2001 erlittenen Verletzungen in Gestalt eines Kreuzbandrisses, eines Meniskusschadens, Halswirbeltrauma und Halsschädigungsfolgen nach dem OEG anzuerkennen und deshalb Beschädigtenversorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten, des SG, des BSG, der Staatsanwaltschaft N. Aktenzeichen 902Js142731/01 sowie des Amtsgerichts E. - Zivilgericht - Aktenzeichen 4C1652/99 beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet.

Sie ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden; dies ergibt sich aus dem Beschluss des BSG vom 23.04.2009, § 170 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist, wie das SG zu Recht entschieden hat, nicht nachgewiesen.

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.

Bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette) geht der Senat von folgenden rechtlichen Maßgaben aus (vgl. z. B. Urteil v. 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09; zum Ganzen vgl. auch BSG, Urteile v. 17.04.2013, Az.: B 9 V 1/12 R sowie Az.: B 9 V 3 /12 R, und v. 16.12.2014, Az.: B 9 V 1/13 R):

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass die Verletzungshandlung im OEG entsprechend dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das Strafgesetzbuch (StGB) geregelt ist (BSG, Urteil v. 07.04.2011, Az.: B 9 VG 2/10 R, m. w. N.). Gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen Begriffs des „tätlichen Angriffs“ (vgl. insbesondere BSG, Urteil v. 28.03.1984, Az.: B 9a RVg 1/83, BSGE 56, 234, 235 f). Die Auslegung hat sich mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (z. B. einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst (st. Rspr. seit 1995; vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011, a. a. O., m. w. N.). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat das BSG vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden (z. B. Urteil v. 29.04.2010, Az.: B 9 VG 1/09 R, BSGE 106, 91).

Der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist also grundsätzlich unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, a. a. O., m. w. N.).

Zwar spricht aus Sicht des Senats sehr viel dafür, dass es sich bei der Einwirkung des Nachbarn J. M. auf die Klägerin („Schubser“) um einen vorsätzlichen tätlichen Angriff im Sinn von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG handelt. Nähere Erläuterungen dazu erübrigen sich aber. Der von der Klägerin geltend gemachte Versorgungsanspruch scheitert daran, dass sich der Senat nicht davon hat überzeugen können, dass der tätliche Angriff rechtswidrig war.

Ein tätlicher Angriff ist dann rechtswidrig, wenn Rechtfertigungsgründe im strafrechtlichen Sinn fehlen. Das Fehlen solcher rechtfertigenden Gründe muss mit dem Maßstab des Vollbeweises erwiesen sein (vgl. Urteil des Senats vom 17.08.2011, Az.: L 15 VG 21/10; Weiner, in: Gelhausen/ders., OEG, 6. Aufl., § 1 Rn. 69, 72; vgl. weiter BSG, Urteil vom 22.06.1988, Az.: 9/9a RVg 3/87). § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) mit dem weniger strengen Beweismaßstab der Glaubhaftmachung greift vorliegend nicht ein.

Wie der Senat wiederholt (vgl. z. B. Urteil vom 21.04.2015, Az.: L 15 VG 24/09) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92; Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 128, Rdnr. 3b).

Zur Ermittlung, ob Rechtfertigungsgründe fehlen, gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung des Gerichts hat sich an den individuellen Gegebenheiten des konkreten Falls zu orientieren, soweit nicht gesetzliche Beweisregeln existieren. Letzteres ist hier nicht der Fall. Generalisierungen oder typisierende Betrachtungsweisen sind daher unangebracht. Es gibt keinen beweisrechtlichen Automatismus, dass das Fehlen von Rechtfertigungsgründen anhand von unmittelbaren Beweismitteln (z. B. Zeugenaussagen, Filmmitschnitten) nachgewiesen sein müsste (vgl. bereits das Senatsurteil vom 17.08.2011, a. a. O.). Die Rechtswidrigkeit des Angriffs kann unter Umständen auch dann als erwiesen angesehen werden, wenn der genaue Tatablauf im Übrigen nicht zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Trotz dieser für die Klägerin günstigen rechtlichen Rahmenbedingungen gelingt es nicht, das Fehlen von Rechtfertigungsgründen mit dem Maßstab des Vollbeweises festzustellen. Denn es spricht sehr viel dafür, dass die Tatversion, die die Klägerin schildert, falsch bzw. unvollständig ist; die Tatumstände, die erwiesen sind, nämlich die von den Zeugen beobachteten Auseinandersetzungen zwischen der Klägerin und dem beschuldigten Nachbarn, lassen auch solche Geschehensabläufe als denkbar, realistisch und sogar naheliegend erscheinen, bei denen der Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 32 StGB) gegeben wäre.

Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens hält der Senat es nicht nur für nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß für erwiesen, dass J. M. am Nachmittag des 22.03.2001 auf die Klägerin zugesprungen wäre, den Pickel und ebenso die Klägerin mit beiden Händen umfasst und kraftvoll mehrmals gegen die Schulter der Klägerin gestoßen sowie diese dann mitsamt dem Pickel brutal zu Boden gestoßen hätte. Der Senat hält vielmehr diese Version des Geschehensablaufs für wenig wahrscheinlich. Er hält es dagegen für naheliegend, dass die Klägerin selbst mit dem Pickel auf ihren Nachbarn losgegangen ist, worauf dieser versucht hat, ihn der Klägerin abzunehmen, und dass die Klägerin im Verlauf dieser Auseinandersetzung gestürzt ist oder sich ggf. sogar selbst hingesetzt hat.

Im Einzelnen würdigt der Senat die vorliegenden Beweismittel wie folgt:

1. Mit Ausnahme des einvernommenen Enkelsohns der Klägerin, A. A., hat keiner der in den gerichtlichen Verfahren von der Polizei vernommenen Zeugen den Sachverhalt so bestätigt, wie die Klägerin ihn angegeben hat. Vielmehr erscheint aus Sicht des Senats das Vorliegen einer Notwehrsituation für den von der Klägerin beschuldigten Nachbarn J. M. naheliegend.

Dies ergibt sich aus den Aussagen der Anwohnerin B. B., der Spaziergängerin A. B., des Beschuldigten J. M. und dessen Ehefrau B. M., ferner des Kindes T. G.. Keine Beobachtungen des Tathergangs haben die Zeugen S. G., B. und Polizeikommissar T. schildern können. Die Aussagen von S. G. und Polizeikommissar T. stehen jedoch auch dieser Annahme des Senats nicht entgegen und fügen sich in das Bild des vom Senat für naheliegend gehaltenen Geschehensablaufs nahtlos ein.

Wie das LG sieht auch der Senat keinen Anlass zu Zweifeln an der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen. Neben der Konsistenz der Zeugenaussagen in den verschiedenen Vernehmungssituationen fällt dabei auf, dass die Zeugen ruhig, sachlich und ohne Belastungseifer ausgesagt haben. Es liegt nahe, dass für den Fall, dass insbesondere J. M. und B. M. die Bedrohung durch die Klägerin etc. nur erfinden hätten wollen, eine weniger ausgefallene Version als die geschilderte zu erwarten gewesen wäre. Auch wenn das Interesse von J. M. und ggf. seiner Ehefrau nicht von der Hand zu weisen ist, in keinem Fall als Täter eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs dazustehen, sieht der Senat durch die genannten weiteren Aspekte die Glaubwürdigkeit als gegeben an. Entsprechendes gilt auch im Hinblick auf die grundsätzlichen Bedenken, die hinsichtlich der Glaubhaftigkeit bestehen könnten, da zwischen der Klägerin einerseits und der gesamten Nachbarschaft andererseits ein gestörtes Verhältnis bestehen dürfte. Würde der Senat aus diesem Grund generell Bedenken hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der Angaben der Nachbarn der Klägerin haben, so müsste dies folgerichtig in gleicher Weise für die Angaben der Klägerin selbst gelten, die mit ihrer gesamten Nachbarschaft in Streit lebt und - entsprechend der strafgerichtlichen Feststellung - der Überzeugung ist, dass sich sämtliche Anwohner in ihrer Umgebung gegen sie verschworen hätten.

Im Übrigen kann der Vortrag der Klägerin, dass die Aussagen der Zeugen in den gerichtlichen Verfahren widersprüchlich seien und dass die Beweiswürdigungen seitens der Strafgerichte fehlerhaft seien etc., nicht überzeugen. Vielmehr ist das Vorbringen der Klägerseite z. B. zu den Zeugenaussagen im zivilgerichtlichen Verfahren (Verhandlung vom 25.05.2004) zumindest missverständlich und jedenfalls nicht nachvollziehbar. Es zeugt jedenfalls von einer nicht korrekten Erfassung des Sachverhalts und von unzutreffenden Schlussfolgerungen durch die Klägerseite; an dieser Stelle muss dahingestellt bleiben, ob es insoweit lediglich versehentlich zu diesen Unrichtigkeiten gekommen ist. So ist im Schriftsatz vom 25.01.2011 auf die Aussage von B. M. im zivilgerichtlichen Verfahren verwiesen worden, die gesagt habe, dass die Klägerin mehrfach mit der Hacke auf den Boden geklopft und auf einmal die Hacke wieder erhoben habe. J. M. habe, so die Klägerseite, deshalb sofort wieder nach dem Stiel gegriffen. Auf Nachfrage durch das Gericht habe B. M. ausgesagt, dass es nicht so gewesen sei, dass sie mit der Hacke besonders gefährliche Gesten gemacht und die Hacke auch nicht über den Kopf erhoben habe. Diese Aussage der Zeugin M., hat sich jedoch, was die Klägerseite zumindest nicht erwähnt, auf den ersten Vorfall, um den es hinsichtlich des geltend gemachten tätlichen Angriffs nicht geht, bezogen. Weiter hat die Klägerseite darauf hingewiesen, dass durch die Zeugenaussage von B. M. sowohl das Handeln von J. M. „verständlich“ als auch die von Seiten des Strafgerichts vorgenommene Beweiswürdigung ad absurdum geführt werde. Denn es finde sich keine Grundlage für die dortige Feststellung: „Als der Geschädigte nicht reagierte, sondern fortfuhr, das Loch zu schließen und dabei mit dem Rücken zur Angeklagten stand, war diese darüber so erbost, das sie sich entschloss, nunmehr mit dem Pickel auf den Geschädigten einzuschlagen, um diesen zu verletzten.“ Anders als die Klägerseite betont, geht aus dem Protokoll der genannten zivilgerichtlichen Verhandlung aber gerade hervor, dass die Klägerin dann die Hacke durchaus erhoben hat (vgl. S. 5 des Protokolls). Diese Feststellung erwähnt die Klägerseite jedoch nicht.

Auch im Übrigen kann der Senat Widersprüche oder weitere Anhaltspunkte dafür nicht erkennen, dass die Annahme einer Notwehrsituation (für den beschuldigten Nachbarn J. M.) fernliegend wäre.

Zwar hat der einvernommene Enkelsohn der Klägerin, A. A., der zum Tatzeitpunkt neun Jahre alt war, die von der Klägerin geschilderte Version des Geschehensablaufs exakt bestätigt. Auch scheitert die Verwertung der Aussage von A. A. nicht von vornherein an seinem damaligen Alter. Die Aussagen von Kindern als Zeugen können dann wichtige Beiträge zur Wahrheitsfindung darstellen, wenn beachtet wird, „dass das Kind die Ereignisse der Umwelt aus seiner Welt ansieht, nach seinen Erfahrungen und Erwartungen beurteilt und mit seinen subjektiven Fähigkeiten, seiner Geisteshaltung und charakterlichen Formung wiedergibt“ (Peters, Strafprozess, 4. Aufl., S. 385); ein Kind kann nur das leisten, „was seiner Erfahrung, seinem Wissen, seinem Vorstellungsbild und seinem Interessensbereich entspricht.“ Dabei besteht eine besonders große Gefahr für die bewusste oder unbewusste Beeinflussung des Kindes durch Dritte (a. a. O.).

Der Senat sieht die Angaben von A. A. nicht als glaubhaft an. Entsprechend den Feststellungen des AG und des LG hat A. A. nicht altersgerechte Formulierungen bei seiner Aussage gebraucht. Diese hat den Eindruck hinterlassen, als ob sie entweder aus Gefälligkeit erfolgt ist, oder der Zeuge nur Äußerungen wiedergegeben hat, die er von der Klägerin gehört hat. Die Aussagen haben auswendig gelernt geklungen.

2. Auch die Aussage des Ehemanns der Klägerin A. und die weiteren von der Klägerseite vorgebrachten Aspekte können zu keinem Nachweis eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs auf die Klägerin oder dazu führen, dass das Vorliegen einer Notwehrsituation als fernliegend einzustufen wäre.

- Der Zeuge A. hat ausgesagt, dass die Klägerin und der beschuldigte Nachbar in den Tagen und Wochen vor dem Ereignis am 22.03.2001 bereits Streit gehabt hätten und dass der Beschuldigte gegenüber der Klägerin bedrohend geworden sei; er, der Zeuge, habe - ca. drei Wochen vor dem genannten Tag - den Nachbarn davon abgehalten, auf die Klägerin loszugehen. Hieraus ergibt sich zwar, den Wahrheitsgehalt dieser Aussage unterstellend, eine gewisse Plausibilität hinsichtlich einer „angeheizten“ Stimmung zwischen den Nachbarn und hinsichtlich möglicher direkter Konfrontationen zwischen der Klägerin und dem Nachbarn J. M.; Rückschlüsse hinsichtlich der Rechtswidrigkeit eines tätlichen Angriffs von letzterem lassen sich daraus aber in keiner Weise gewinnen. Es kann also offen bleiben, ob die Aussage des Ehemanns der Klägerin überhaupt als glaubhaft angesehen werden kann.

- Unmaßgeblich ist aus Sicht des Senats auch der von der Klägerseite hervorgehobene Aspekt, dass es die Klägerin gewesen sei, die zweimal die Polizei gerufen habe. Denn die Motivation hierfür kann vielfältig sein und lässt keinen Schluss darauf zu, dass sich die Klägerin im Hinblick auf den geltend gemachten Vorgang vom Nachbarn bedroht gefühlt habe; insbesondere ergibt sich daraus nicht die Rechtswidrigkeit einer Handlung von J. M.

- Es kommt auch nicht darauf an, ob das Ehepaar M. an dem betreffenden „Tattag“ erfahren hat, aus einem zivilgerichtlichen Vergleich nicht vollstrecken zu können. Aufgrund einer solchen Tatsache würde sich kein Hinweis auf einen Angriff und insbesondere nicht auf dessen Rechtswidrigkeit auf die Klägerin ergeben.

- Unmaßgeblich sind schließlich auch die - z. B. im Schriftsatz vom 04.03.2011 enthaltenen - den Nachbarn betreffenden (überflüssigen) Hinweise auf dessen Vorleben in der DDR, die durchaus geeignet sind, J. M. zu diskreditieren. Ob der Nachbar in der DDR wegen Straftaten gesucht worden und ob er ohne seine Frau und Kinder aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet ist, hat auf das vorliegende Verfahren keinerlei Einfluss.

- Nicht von Belang ist auch, ob die Äußerung der Klägerin gefallen ist, sie werde noch sehen/dafür sorgen, dass man J. M. „mit dem Sarg heraustragen“ werde. Unmaßgeblich ist auch, wer zu welchem Zeitpunkt eine solche Äußerung behauptet hat. Denn auch hieraus ergeben sich keine verlässlichen Rückschlüsse auf das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs auf die Klägerin bzw. auf das Vorliegen einer Notwehrsituation.

3. Ebenso wenig vermag sich der Senat allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu bilden. Zwar kann sich eine Entscheidung in freier Beweiswürdigung jedenfalls dann allein auf den beteiligten Vortrag stützen, wenn dieser glaubhaft ist - wobei „glaubhaft“ hier nicht im Sinn einer Herabsetzung des Überzeugungsmaßstabes verstanden werden darf -, der Lebenserfahrung entspricht und nicht zu anderen festgestellten Tatsachen im Widerspruch steht (vgl. z. B. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 128, Rdn. 4; Gutzler, in: Sgb 2009, S. 73, 76, jeweils m. w. N.).

Der Senat betrachtet die Aussagen der Klägerin im Kern aber als nicht glaubhaft. Vor allem widerspricht sie derjenigen aller einvernommenen Zeugen (mit Ausnahme des Kindes A. A.). Darüber hinaus ergeben sich starke Zweifel auch aufgrund von Randereignissen, die von Zeugen glaubhaft geschildert worden sind. So ist die Klägerin nach dem Vorfall zu der Zeugin A. B. hingetreten und hat gegenüber dieser - aus Sicht des Senats vorsorglich - klar gemacht: „Sie haben doch sowieso nichts gesehen.“ Diese Bemerkung wäre nach Auffassung des Senats im Falle eines rechtswidrigen Angriffs auf sie schwer nachvollziehbar. Gewisse Zweifel ergeben sich auch aufgrund des von der Zeugin T. G. bestätigten dreimaligen Anrufs der Klägerin bei ihrer Mutter, dass die Zeugin T. G. bestätigten solle, dass der Nachbar die Klägerin geschlagen habe.

Weiter ergeben sich Zweifel an den Angaben der Klägerin auch bereits deshalb, weil ihre im Laufe des gerichtlichen Verfahrens aufgestellte Behauptung, sie sei vom Nachbarn J. M. bereits mehrfach körperlich verletzt worden, sich in der Beweisaufnahme des Senats als unzutreffend herausgestellt hat. So hat der vom Senat als Zeuge einvernommene Ehemann der Klägerin, von dem anzunehmen ist, dass er über das Ausmaß der Auseinandersetzungen zwischen seiner Ehefrau und dem Nachbarn im Einzelnen Kenntnis besitzt, lediglich bestätigt, dass J. M. auf die Klägerin einmal losgehen habe wollen. Von einer Verletzung hat er nicht berichtet.

Der vollen richterlichen Überzeugung, dass die Klägerin Opfer des von ihr behaupteten rechtswidrigen Angriffs durch J. M. geworden sein könnte, wirken auch die im Raum stehenden bzw. naheliegenden Erklärungsmodelle für die (möglicherweise falschen) Angaben der Klägerin entgegen:

Zwar stellt der Senat nur in untergeordnetem Maße auf das unmittelbare Interesse der Klägerin am Verfahrensausgang ab. Dass Beteiligte am Verfahrensausgang ein solches Interesse haben und damit die Gefahr von Einseitigkeit, Voreingenommenheit oder gar Unwahrhaftigkeit besteht, ist naheliegend und bedarf keiner näheren Erläuterung, muss jedoch in den Hintergrund treten. Denn diese aussagepsychologischen Faktoren sind bei jeder Beteiligtenvernehmung zu berücksichtigen; eine zu starke Gewichtung ohne erkennbaren Anlass würde jedoch jegliche beteiligten Angaben von vornherein unverwertbar machen, was offensichtlich nicht sachgerecht wäre und auch mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht in Einklang stünde (vgl. Urteil des Senats vom 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09; Gutzler, a. a. O.). Allerdings bestehen mit Blick auf die von der Klägerin geäußerte Überzeugung, dass sich sämtliche Anwohner in ihrer Umgebung gegen sie verschworen hätten, doch grundsätzliche Zweifel an ihren Angaben (siehe unten).

Auch der Detailreichtum der klägerischen Schilderungen (zur Beachtung inhaltlicher Realitätskriterien vgl. z. B. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl., Rdn. 310 ff.) ist im Rahmen der Beweiswürdigung von sehr untergeordneter Bedeutung, weil die Angaben im Widerspruch zu den ebenfalls detaillierten Angaben der Zeugen stehen.

Im Falle der Klägerin erscheint aus der Sicht des Senats nicht ausgeschlossen, dass die Angaben im Rahmen der wohl schon lange andauernden grundsätzlichen Auseinandersetzungen zwischen ihr und ihrer Umgebung zurückzuführen sind. Möglich erscheint vorliegend, dass die Klägerin vor dem Hintergrund dieses dauernden Konflikts die vorliegenden Angaben gemacht hat. Gut möglich erscheint daneben auch, dass bei der Klägerin eine Gedächtnistäuschung gegeben ist, dass sie also aufgrund des bei ihr vorliegenden Feindbilds den genauen Vorgang der Auseinandersetzung am 22.03.2001 nicht zutreffend wiedergeben kann und die gefährliche und rechtswidrige Handlung - gewissermaßen automatisch - ihrem Nachbarn zuschreibt.

Der Senat war nicht gehalten, positiv festzustellen, aus welchem Grund die Klägerin eine falsche Schilderung gegeben hat; daher hat es auch insoweit keines Sachverständigengutachtens bedurft. Die möglichen Erklärungen festigen lediglich den aus anderen Gründen gewonnenen Eindruck, dass der Klägerin nicht geglaubt werden kann.

Das somit bestehende non liquet in Bezug auf das Fehlen von Rechtfertigungsgründen wirkt sich nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Ungunsten des Klägers aus. Die prüfungstechnische Besonderheit, dass die Rechtswidrigkeit nicht positiv, sondern negativ über den Ausschluss von Rechtfertigungsgründen festgestellt wird, bewirkt keine Umkehr der objektiven Beweislast. Ansatzpunkte für eine Umkehr der Beweislast aufgrund von tatsächlichen Vermutungen existieren nicht (vgl. Urteil des Senats vom 17.08.2011, a. a. O.; BSG, Urteil vom 22.06.1988, a. a. O.).

Zu einer persönlichen Einvernahme der - teilweise bereits mehrfach vor Gericht gehörten - Zeugen bestand für den Senat keine Veranlassung und erst Recht keine verfahrensrechtliche Pflicht. Dies gilt insbesondere auch für den einzigen Zeugen, der die Version der Klägerin gestützt hat, nämlich den A. A. (siehe oben).

1. In Streitsachen zum OEG ist grundsätzlich eine von den Straf- und Zivilgerichten unabhängige Beweiswürdigung geboten. Eine solche hat der Senat vorgenommen. Denn diese Voraussetzung besagt nicht, dass Zeugen in betreffenden gerichtlichen Verfahren persönlich einzuvernehmen sind. Das Erfordernis der unabhängigen Beweiswürdigung besagt vielmehr, dass im Hinblick auf die Feststellung eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs weder die Verwaltungsbehörde noch die Sozialgerichte an das Ergebnis des Strafverfahrens gebunden sind (vgl. die Urteile des BSG vom 07.12.1983, Az.: 9 ArV 40/82, sowie vom 25.06.1986, Az.: 9 ArV 2/84). Somit können Beweisergebnisse aus anderen Verfahren (z. B. Zeugenaussagen in anderen Gerichtsverfahren) auch ohne Zustimmung der Beteiligten im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., a. a. O., § 103, Rdn. 11 d).

2. Vorliegend bestand für den Senat weder im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz gemäß § 103 SGG noch auf den Unmittelbarkeitsgrundsatz gemäß § 117 SGG die Veranlassung, neben den Zeugen B. und A. auch die anderen Zeugen in der mündlichen Verhandlung am 18.05.2015 persönlich einzuvernehmen.

a. Hierbei ist - zunächst ohne Blick auf die konkreten Umstände des vorliegenden Falls - festzustellen, dass das sozialgerichtliche Verfahrensrecht nicht verlangt, ausnahmslos das unmittelbare Beweismittel, hier also die Einvernahme der weiteren Zeugen, auszuschöpfen. Eine Regelung wie § 251 StPO, die es den Strafgerichten nur in enumerativen Ausnahmefällen erlaubt, die Verlesung von Niederschriften als Beweismittel zuzulassen und auf die persönliche Einvernahme zu verzichten, existiert im Sozialprozessrecht nicht; überdies existiert nach der herrschenden Meinung nicht einmal im Strafprozessrecht ein weitreichender Grundsatz, dass allgemein bei der Beweisaufnahme das sachnächste Beweismittel benutzt werden müsste (vgl. z. B. Meyer-Gossner, StPO, 57. Aufl., § 250, Rdn. 3).

Entsprechend den Vorschriften des sozialgerichtlichen Verfahrens ist die Verwertung der Niederschrift über eine Zeugenaussage in einem anderen gerichtlichen Verfahren oder in einem Verwaltungsverfahren im Wege des Urkundenbeweises möglich. Grundsätzlich hat die Verwertung einer Urkunde in der Regel zwar einen geringeren Beweiswert als eine unmittelbare Zeugenaussage, weil das Gericht keinen unmittelbaren Eindruck vom Zeugen erhält. Ob das Gericht aber einen Zeugen erneut vernimmt, liegt in seinem Ermessen (vgl. Keller, a. a. O., § 117, Rdn. 5, m. w. N.). Die über § 202 SGG anwendbaren Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) enthalten keine Regelung, welche die Verwertung von Zeugenaussagen aus anderen Gerichtsverfahren zugunsten der unmittelbaren Zeugenvernehmung verbieten würde. Vielmehr gilt auch hier, dass Beweisergebnisse aus anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises eingeführt werden dürfen (z. B. Greger, in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 355, Rdn. 4).

b. Wegen der Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens bestand für den Senat keine verfahrensrechtliche Pflicht, die Zeugeneinvernahmen zu wiederholen. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die Aufklärung durch die Staatsanwaltschaft und die Strafgerichte exakt die sich im hier vorliegenden OEG-Verfahren aufgeworfenen Beweisfragen betrifft, also auch für die den Senat stellenden Rechtsfragen das tatsächliche Fundament bereit stellt. Aus dieser Aufklärung kann unmittelbar - ohne weitere Zwischenschritte - abgeleitet werden, dass die Klägerin nicht Opfer eines rechtswidrigen Angriffs im Sinne von § 1 OEG durch J. M. geworden ist bzw. dass viel dafür spricht, dass eine Notwehrsituation für den beschuldigten Nachbarn bestanden hat.

c. Der Senat musste sich nicht gedrängt fühlen, die Zeugeneinvernahmen im Rahmen dieses Verfahrens zu wiederholen. Dies ist nach Auffassung des Senats, die auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG im Bereich der Opferentschädigung (vgl. Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9 RVg 2/93) steht, nicht bereits deshalb erforderlich, wenn einer der Beteiligten dies beantragt. Maßgeblich ist, ob Anhaltspunkte vorliegen, dass bei einer eigenen Vernehmung des Zeugen eine andere Bewertung stattfinden könnte. Nur eine solche eher restriktive Auffassung kann aus Sicht des Senats dem Aspekt der Einheit der Rechtsordnung das erforderliche Gewicht verschaffen (Vermeidung widersprechender Ergebnisse), (ggf. erneute) sekundäre Viktimisierungen vermeiden und prozessualen Doppelaufwand auf ein Minimum reduzieren. Der Senat geht jedoch mit dem BSG (vgl. Beschluss vom 08.08.2001, Az.: B 9 VG 1/01 B) davon aus, dass Zeugen persönlich einzuvernehmen sind, wenn die Aussagen einzelner oder mehrerer Zeugen zum Tathergang anders als vom Straf- oder Zivilgericht gewertet werden können, weil sie widersprüchlich sind und daher dies im Einzelnen herauszuarbeiten ist, wobei auch auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen einzugehen ist, die widersprüchliche Aussagen gemacht haben.

Unbeschadet der Tatsache, dass eine erneute Zeugeneinvernahme zum heutigen Zeitpunkt nach den Grundsätzen des ungeeigneten Beweismittels nicht in Betracht kommt (siehe hierzu im Einzelnen unten), sind die Voraussetzungen nach dem genannten Beschluss des BSG vorliegend nicht gegeben, weil ein solcher Fall nicht vorliegt. Wie oben bereits dargelegt, hat die Klägerseite nicht vermocht, substantiiert und nachvollziehbar aufzuzeigen, dass die einzelnen Zeugeneinvernahmen - die Aussage von A. A. ausgenommen - zueinander widersprüchlich seien. Vielmehr ist, wie dargelegt, die Argumentation der Klägerseite nicht plausibel. Es bestand kein Bedarf, die Glaubwürdigkeit der Zeugen aus der Nachbarschaft im Einzelnen herauszuarbeiten im Hinblick auf die vorhandenen „Lager“ mit der Klägerin auf der einen und der Nachbarschaft auf der anderen Seite.

d. Der Senat hat auch keine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung vorgenommen, indem er von einer (erneuten) Einvernahme der Zeugen abgesehen hat. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Beschluss vom 31.01.2008, Az.: B 13 R 53/07 B, sowie Beschluss vom 16.05.2007, Az.: B 11 B AS 37/06 B) darf ein Gericht auf die Vernehmung eines ordnungsgemäß benannten Zeugen nur in engen Ausnahmefällen verzichten, etwa wenn es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht ankommt, diese bereits erwiesen sind oder das Beweismittel ungeeignet oder unerreichbar ist. Nach Auffassung des Senats ist vorliegend eine neuerliche Zeugeneinvernahme ungeeignet, da nun ein besonders langer Zeitraum nach dem Vorfall vergangen ist und die Erinnerung der Zeugen weitaus schlechter sein muss als zum Zeitpunkt der Hauptverhandlungen im Jahr 2003. Zwar gibt es nach der Rechtsprechung des BSG keine generelle Beweisregel dafür, dass frühere Aussagen einen höheren Beweiswert haben als spätere (vgl. BSG vom 11.11.2003, Az.: B 2 U 41/02 R). Im Hinblick auf die besonders lange Zeitdauer und die für die Zeugen grundsätzlich eher geringe Bedeutung des Vorfalls vom 22.03.2001, der auch wenig einprägsam ist, hält es der Senat jedenfalls in diesem Einzelfall für ausgeschlossen, dass eine Zeugeneinvernahme jetzt auch nur annähernd die Effizienz der Zeugeneinvernahme des Jahres 2003 aufweisen könnte.

e. Auch hat die Beweiswürdigung der Strafgerichtsbarkeit keine Lücken oder Ungereimtheiten gelassen. Die Aussagen der Zeugen, die diese dort gemacht haben, reichen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht aus und es sind keine Gründe erkennbar, dass sich der Senat bei der Beweiswürdigung den Strafgerichten nicht anschließen könnte. Gerade weil damals divergierende Zeugenaussagen vorlagen, haben sich die Strafgerichte sehr sorgfältig mit der Glaubhaftigkeit jeder einzelnen Aussage befasst. Es spielt für den Senat auch eine große Rolle, dass die Strafgerichte ihre Beweiswürdigung ausführlich dargestellt und begründet haben. Allein das Urteil des LG zeugt bereits von einer „einfühlsamen“ und sorgfältigen Beweiswürdigung. Der Senat sieht sich aufgrund der vorhandenen Unterlagen sehr gut in der Lage, sich aus den ausführlichen Schilderungen des LG ein authentisches Bild vom Aussageverhalten der einzelnen Zeugen zu machen. Es liegen überhaupt keine Anhaltspunkte vor, dass die Beobachtungen des LG (z. B. Eingeschüchtertheit der T. G., Verwenden einer nicht kindgerechten Sprache bei A. A. etc.) falsch sein könnten oder dass das Gericht aus diesen Eindrücken unzulässige Schlüsse auf die Glaubhaftigkeit der Aussagen gezogen hätte. Zudem besteht vorliegend die Besonderheit, dass es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass bei einer unterstellten, im Vergleich zu 2003 identisch guten Erinnerung irgendeiner der Zeugen nunmehr abweichend aussagen würde.

3. Zusammenfassend ermöglichen somit die Strafakten gerade wegen der Besonderheiten dieses Einzelfalls dem Senat eine Rekonstruktion der Zeugeneinvernahmen, die vor dem Hintergrund des Amtsermittlungsgrundsatzes ausreicht, um zu einer sicheren Überzeugung zu kommen. Alles, was der Senat für seine eigene rechtssichere Würdigung benötigte, liegt aufgrund der strafgerichtlichen Tätigkeit und aufgrund der Zeugeneinvernahmen in der mündlichen Verhandlung des Senats vor. Demgegenüber erscheint dem Senat das komplette Wiederaufrollen der Beweisaufnahme nicht nur überflüssig, sondern wegen des langen Zeitraums seit der Tat wie dargelegt weit unterlegen bzw. ungeeignet. Dies gilt im Übrigen insbesondere für den Zeugen A. A., der zum Tatzeitpunkt bekanntlich erst neun Jahre alt gewesen ist.

Weitere Ermittlungen waren darüber hinaus ebenfalls nicht veranlasst. Im Hinblick auf die in den strafgerichtlichen Verfahren bereits gemachten Zeugenaussagen seitens der Polizei besteht kein Ansatzpunkt für die Vermutung, dass etwaige Nachfragen dort weitere Erkenntnisse hätten bringen können. Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat auch darauf hin, dass die Einholung aussagepsychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten vorliegend nicht in Frage kam. Eine solche Begutachtung kommt nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. die Urteile vom 05.02.2013, a. a. O., sowie vom 21.04.2015, a. a. O.) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 16.12.2002, Az.: 2 BvR 2099/01) nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, wenn nämlich dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Hierfür gibt es vorliegend keinerlei Anhaltspunkte.

Die Berufung kann somit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt u. a., dass die Klägerin im Verfahren Aktenzeichen B 9 VG 22/08 B erfolgreich war.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 18. Mai 2015 - L 15 VG 17/09 ZVW

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 18. Mai 2015 - L 15 VG 17/09 ZVW

Referenzen - Gesetze

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 18. Mai 2015 - L 15 VG 17/09 ZVW zitiert 23 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 202


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfa

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 103


Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 1 Anspruch auf Versorgung


(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte


(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit

Strafprozeßordnung - StPO | § 251 Urkundenbeweis durch Verlesung von Protokollen


(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden, 1. wenn der Angeklagte einen Vert

Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - KOVVfG | § 15


Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verl

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 2 Versagungsgründe


(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Leistungen sind auc

Strafgesetzbuch - StGB | § 121 Gefangenenmeuterei


(1) Gefangene, die sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften 1. einen Anstaltsbeamten, einen anderen Amtsträger oder einen mit ihrer Beaufsichtigung, Betreuung oder Untersuchung Beauftragten nötigen (§ 240) oder tätlich angreifen,2. gewaltsam aus

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 117


Das Gericht erhebt Beweis in der mündlichen Verhandlung, soweit die Beweiserhebung nicht einen besonderen Termin erfordert.

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 18. Mai 2015 - L 15 VG 17/09 ZVW zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 18. Mai 2015 - L 15 VG 17/09 ZVW zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 21. Apr. 2015 - L 15 VG 24/09

bei uns veröffentlicht am 21.04.2015

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 27.05.2009 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Bundessozialgericht Urteil, 07. Apr. 2011 - B 9 VG 2/10 R

bei uns veröffentlicht am 07.04.2011

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. März 2010 aufgehoben.

Bundessozialgericht Urteil, 29. Apr. 2010 - B 9 VG 1/09 R

bei uns veröffentlicht am 29.04.2010

Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten darüber, ob das Sozialgericht (SG) das damals zuständige (jetzt beigeladene) Land zu Recht verurteilt hat, eine bei der Klägerin vo
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 18. Mai 2015 - L 15 VG 17/09 ZVW.

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 09. März 2017 - L 4 AS 818/13

bei uns veröffentlicht am 09.03.2017

Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft

Referenzen

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Leistungen sind auch zu versagen, wenn der Geschädigte oder Antragsteller

1.
an politischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und die Schädigung darauf beruht oder
2.
an kriegerischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß die Schädigung hiermit in Zusammenhang steht, es sei denn, er weist nach, daß dies nicht der Fall ist oder
3.
in die organisierte Kriminalität verwickelt ist oder war oder einer Organisation, die Gewalttaten begeht, angehört oder angehört hat, es sei denn, er weist nach, daß die Schädigung hiermit nicht in Zusammenhang steht.

(2) Leistungen können versagt werden, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, das ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen, insbesondere unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erstatten.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. März 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Feststellungen von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der gesundheitlichen Folgen von Nachstellungen (sog "Stalking").

2

Die 1950 geborene Klägerin hat zwei erwachsene Kinder, ist von Beruf Sozialpädagogin und war als Nachtwache in einer Wohnstätte für behinderte Menschen in B. beschäftigt. Seit Mai 2001 lebte sie in einer Beziehung mit dem 1960 geborenen H. (im Folgenden: H.). Die Beziehung mit H. entwickelte sich konfliktreich, so dass die Klägerin sie bereits ab Oktober 2001 wieder zu beenden versuchte.

3

H. akzeptierte das nicht. Er belegte die Klägerin in der Folgezeit mit zahlreichen Telefonanrufen und elektronischen Kurznachrichten (SMS). Zudem alarmierte er wiederholt die Polizei, die Feuerwehr und den Notarzt zu vorgeblichen Streitigkeiten, Schlägereien bzw Bränden in der Wohnung der Klägerin, ohne dass bei Eintreffen der Einsatzkräfte entsprechende Gefährdungs- oder Schadenslagen festgestellt werden konnten. H. bestellte ua auch - ohne entsprechenden Bedarf - mehrfach Taxen zur Wohnanschrift der Klägerin. Ferner ließ er am Arbeitsplatz der Klägerin ausrichten, demnächst werde ein Gerichtsvollzieher "vor ihrer Tür stehen".

4

Die Klägerin erwirkte daraufhin erstmals am 7.1.2002 eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts (AG) B., nach der H. unter Androhung von Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, untersagt wurde, die Klägerin zu bedrohen oder zu belästigen sowie in ihrem Namen "die Polizei und Feuerwehr, andere Rettungsdienste, Bestattungsunternehmen, Taxiunternehmen und so weiter zu alarmieren". Dies veranlasste H. indes nicht, sein Verhalten gegenüber der Klägerin zu ändern. Unter anderem ereigneten sich im Weiteren die folgenden Vorfälle:

5

So drohte (vermutlich) H. telefonisch beim Arbeitsplatz der Klägerin mit Bombenexplosionen, insbesondere für den Fall, dass die Klägerin "noch mal in das Haus kommt". Weiter kündigte H. der - seinerzeit 81-jährigen - Mutter der Klägerin telefonisch den bevorstehenden Tod der Klägerin an und teilte ihr einige Minuten später telefonisch mit, dass die Klägerin nunmehr tot sei. Einem daraufhin alarmierten Polizeibeamten, der den Anruf in der Wohnung der Klägerin entgegennahm, teilte (vermutlich) H. wörtlich mit: "Jetzt muss sie fürchterliche Angst haben!" und legte auf. Am Abend desselben Tages meldeten sich mehrere "Pizza-Services" bei der Klägerin, die ihr eine vermeintlich von ihr bestellte Pizza bringen wollten.

6

Derartige Telefonanrufe wiederholten sich auch in der Folgezeit mehrfach sowohl gegenüber der Klägerin als auch gegenüber ihrer Mutter und ihren Arbeitskollegen. Einen daraufhin von der Klägerin gestellten Antrag, entsprechend der einstweiligen Verfügung vom 7.1.2002 ein Ordnungsgeld gegen H. festzusetzen, nahm die Klägerin am 22.5.2002 zurück, nachdem sich H. am 18.4.2002 ihr gegenüber verpflichtet hatte, entsprechende Anrufe zu unterlassen, in seinem Besitz befindliche persönliche Daten der Klägerin zu löschen, an ihrer Wohnung nicht mehr aufzutauchen oder zu klingeln, sie nicht mehr anzusprechen, "jegliche Kontaktaufnahme bei zufälligem Zusammentreffen" zu unterlassen und nichts mehr zu tun oder zu veranlassen, "was (der Klägerin) persönlich oder ihrer Familie schadet oder schaden könnte". Die Klägerin erklärte sich im Gegenzug bereit "zu dulden", dass H. ihr "ab und zu einen Brief" schreibt, "der per Post zugestellt wird".

7

Ende März 2003 bedrohte der H. die Klägerin erneut in deren Haus. Er schrie sie an, sie werde ihn nun "von einer anderen Seite" kennen lernen; sie wisse nicht, wozu er fähig sei. Er fange zuerst mit der Tochter (der Klägerin) an; er habe "Beziehungen" in ganz O. (dem damaligen Wohnort der Tochter). Dann komme der Sohn (der Klägerin) "dran"; er solle auf sein Auto aufpassen. Der H. fügte hinzu: "Wenn du überfallen, vergewaltigt oder belästigt wirst, habe ich nichts damit zu tun. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Du hast Zeit bis morgen, um mit mir zu reden. Dann geht der Tanz los. Du hast selber schuld, du hast mich fallen lassen!". Abschließend sagte er: "In vier Wochen sind F. und J. (die Kinder der Klägerin) tot."

8

H. richtete an die Klägerin zudem eine Vielzahl von Briefen und Postkarten, teils beleidigenden, teils versöhnlichen Inhalts, lauerte ihr am Arbeitsplatz und vor ihrer Haustür auf, verfolgte sie, sprach sie an, belästigte und bedrohte sie und ihre Kinder, bestellte auf den Namen der Klägerin ungefragt Versandhausartikel und beauftragte ua ein Bestattungsunternehmen sowie einen Schlüsseldienst zur Wohnanschrift der Klägerin. Er rief auch wiederholt die Notrufnummer der Polizei an unter Vorgabe vermeintlicher Gewalttaten zu Lasten der Klägerin bzw seines eigenen (angeblich) bevorstehenden Freitodes, um entsprechende Einsätze zu bewirken.

9

Am 18.7.2003 erwartete er die Klägerin vor dem Hauseingang ihrer Wohnung in B. und folgte ihr von dort bis zur Bushaltestelle, während er ununterbrochen auf sie einredete. Er bestieg sodann denselben Bus wie die Klägerin und folgte ihr nach dem Aussteigen unter weiterem Einreden weiter. Vor dem Eingang eines Copy-Geschäfts hielt er die Klägerin am Arm fest und riss sie zu sich herum, ließ sie dann jedoch wieder los, worauf die Klägerin in dem Copy-Geschäft um Verständigung der Polizei bat.

10

Am 26.7.2003 fand die Klägerin in ihrem Briefkasten einen von H. handschriftlich verfassten Brief vor, in dem es ua hieß: "Melde Dich doch wegen dem Geld. Du bekommst ab dem 2.8. Deine Ruhe, aber anders als Du denkst. Ich habe sehr viel angeleiert. H. "

11

Mit Verfügung vom 28.7.2003 erließ die Ortspolizeibehörde B. daraufhin eine Wohnungsverweisungsverfügung mit Rückkehrverbot gegen H., ihm wurde verboten, sich ab dem 28.7.2003, 12.00 Uhr, bis zum 7.8.2003, 24.00 Uhr, in der Wohnung der Klägerin sowie einem Radius von 100 Metern darum aufzuhalten (Maßnahme nach § 14a Abs 1 Bremisches Polizeigesetz).

12

Mit Beschluss des AG B. vom 19.8.2003 wurde H. im Wege einer weiteren einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsgeld bzw Ordnungshaft aufgegeben, es zu unterlassen, die Klägerin zu bedrohen, zu verletzen oder sonst körperlich zu misshandeln, ihr nachzustellen, in irgendeiner Form Kontakt zu ihr aufzunehmen, die Wohnung der Klägerin zu betreten oder sich auf der Straße vor ihrem Haus bzw gegenüber dem Grundstück aufzuhalten, sich der Klägerin außerhalb der Wohnung auf eine Entfernung von weniger als 100 Metern zu nähern, sie anzusprechen, ihr zu folgen oder hinterherzulaufen und den Arbeitsplatz der Klägerin zu betreten oder sich ihm auf eine Entfernung von weniger als 100 Metern zu nähern.

13

Diesen Anforderungen kam H. erneut nicht nach: Er warf ua immer wieder lose Zettel, Postkarten und Briefe in den Briefkasten der Klägerin und klingelte nahezu täglich an ihrer Haustür oder meldete sich telefonisch. Am 20.9.2003 belästigte und bedrohte er sie in einem öffentlichen Bus. Am 2. und 3.10.2003 wartete er vor dem Haus der Klägerin und ging auf sie zu, als sie das Haus auf dem Weg zur Arbeit verließ. Die Klägerin sah sich dadurch veranlasst, zunächst in das Haus zurückzukehren und sich zur Arbeit abholen zu lassen, was auch geschah. Darüber hinaus begegnete H. der Klägerin mehrfach offenbar absichtsvoll in verschiedenen Straßen B. und verfolgte sie, auch nachdem sie zur Vermeidung einer unmittelbaren Begegnung die Straßenseite gewechselt hatte.

14

Das AG B. setzte daraufhin mit Ergänzungsbeschluss vom 13.11.2003 ein Ordnungsgeld in Höhe von 1000 Euro, ersatzweise für je 100 Euro einen Tag Ordnungshaft, gegen H. fest. Die dagegen erhobene Beschwerde nahm H. nach Reduzierung des Ordnungsgeldes auf 150 Euro zurück; zu einer Änderung seines Verhaltens kam es nicht.

15

Schließlich wurde H. auf Strafanzeigen der Klägerin nach Verbindung mehrerer Verfahren vom AG B. mit Urteil vom 23.11.2004 (- 21 Gs 962 Js 31324/04 -) wegen Bedrohung (§ 241 Strafgesetzbuch - StGB) und Verstoßes gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG) in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach weiteren wiederholten Nachstellungen wurde die Strafaussetzung zur Bewährung mit Beschluss des AG B. vom 7.3.2005 widerrufen. H. verbüßte daraufhin vom 13.9.2005 bis 23.5.2006 die ihm auferlegte Freiheitsstrafe, bevor der Strafrest nach zwei Dritteln erneut zur Bewährung (Bewährungszeit: 2 Jahre) und mit der Auflage, sich umgehend einer ambulanten Alkoholentziehungstherapie zu unterziehen, ausgesetzt wurde (§ 57 Abs 1 StGB). Eine mit weiterem Urteil des AG B. vom 4.10.2005 (- 21 Ds 990 Js 16758/05 -) ergänzend ausgesprochene Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wurde auf Berufung des H. mit Urteil des Landgerichts B. vom 31.5.2006 (- 26 Ns 990 Js 16758/05 -) ebenfalls (mit weiteren Auflagen) zur Bewährung (Bewährungszeit: 3 Jahre) ausgesetzt.

16

Die Klägerin wechselte im Verlaufe der Nachstellungen zweimal die Wohnanschrift, kam zeitweilig bei Bekannten unter und veranlasste eine Auskunftssperre bei der Meldebehörde. Zudem ließ sie sich vorübergehend eine Telefonnummer mit Auskunftssperre einrichten. Gleichwohl ermittelte H. jeweils nach kurzer Zeit erneut ihre Anschrift bzw Telefonnummer und setzte seine Annäherungshandlungen fort.

17

Infolge der Nachstellungen leidet die Klägerin unter psychischen Beschwerden im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Erschöpfungs- und Angstzuständen, Nervosität, Konzentrations- und Schlafstörungen, die ua eine psychopharmakologische Medikation und einen stationären Aufenthalt in der Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Dr. He., B., vom 2.3. bis 11.5.2004 erforderlich machten. Bei der Klägerin wurde wegen eines "psychischen Leidens" ein Grad der Behinderung von 50 ab dem 7.3.2005 festgestellt.

18

Den Antrag der Klägerin vom 7.2.2005 auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG lehnte die beklagte Freie Hansestadt durch Bescheid vom 23.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2005 mit der Begründung ab, dass die von der Klägerin geltend gemachten "Stalking"-Aktivitäten, wie etwa Morddrohung, Verfolgung, nicht erwünschte Brief- und Telefonkontakte, Warenbestellungen auf ihren Namen etc, als "gewaltlose" Handlungen nicht unter den Begriff des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG fallen würden. Dieses Tatbestandsmerkmal setze eine unmittelbar auf den Körper des anderen abzielende Einwirkung, zB einen Schlag, voraus, die im Fall der Klägerin nicht vorliege. Nach dem OEG würden nicht ausnahmslos alle Opfer von Straftaten entschädigt, sondern nur Betroffene einer Straftat mit Gewaltanwendung.

19

Nach erfolgloser Klage (Urteil des Sozialgerichts B. am 20.10.2006) hat die Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 18.3.2010 hat das LSG die ablehnenden Entscheidungen des SG und der Beklagten aufgehoben sowie Letztere verurteilt, bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung als Schädigungsfolge nach dem OEG festzustellen und eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 50 ab dem 1.2.2005 zu gewähren. Es hat sein Urteil auf folgende Erwägungen gestützt:

20

Für die Annahme eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG reiche es aus, dass H. durch seine Übergriffe den seit 31.3.2007 geltenden Straftatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB) verwirkliche, die Schädigung der Gesundheit der Klägerin zumindest billigend in Kauf genommen und seine Handlungen gerade auch mittels physischer Präsenz "unterstrichen" habe. Auch mit Rücksicht auf das strafrechtliche absolute Rückwirkungsverbot nach Art 103 Abs 2 GG könnten insoweit zwischenzeitliche Rechtsentwicklungen (§ 238 StGB) opferentschädigungsrechtlich nicht unberücksichtigt bleiben. Die einzelnen Handlungen des H. seien bei der opferentschädigungsrechtlichen Bewertung des Gesamtgeschehens nicht jeweils für sich als isolierte Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen etc, sondern deliktstypisch in ihrer Gesamtheit als beharrliche, systematische Belästigungen und Nachstellungen und (insgesamt) als tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzusehen. Das Handeln des H. weise keinen qualitativen Unterschied gegenüber einem Angriff auf, bei dem der Angreifer seinen Drohungen durch begleitende oder vorbereitende Sachbeschädigungen "körperlichen" Nachdruck verleihe oder das Opfer durch Versperren des Weges zu einem Flucht- oder Ausweichverhalten veranlasse, das zu einer Gesundheitsschädigung führe. Die Einordnung der Nachstellungen als tätlicher Angriff entspreche auch dem Schutzzweck des OEG, da der staatliche Schutz der Klägerin vor Gesundheitsschäden mit den (seinerzeit verfügbaren) Mitteln des GewSchG, des StGB, aber auch des allgemeinen Polizeirechts, unzureichend geblieben sei.

21

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten. Mit Beschluss vom 8.3.2011 hat der Senat die Bundesrepublik Deutschland auf ihren Antrag zum Revisionsverfahren beigeladen. Zur Begründung ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 1 Abs 1 Satz 1 OEG):

22

Das LSG habe in rechtlich fehlerhafter Weise das Verhalten des H. als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bewertet. Dieser Begriff erfordere grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines Anderen zielende gewaltsame und in der Regel auch handgreifliche Einwirkung. Ausnahmen von der Körperlichkeit des Angriffs seien vom Bundessozialgericht (BSG) nur vereinzelt und unter exakt definierten Kriterien entwickelt worden; weder die Rechtsprechung zum sexuellen Missbrauch von Kindern noch die Grundsätze zur opferentschädigungsrechtlichen Bewertung von sog Schockschadensopfern seien auf die vorliegende Fallgestaltung zu übertragen. Bei einer Bedrohung oder der Drohung mit Gewalt sei maßgeblich auf eine objektiv hohe Gefährdungslage des Opfers abzustellen.

23

Im vorliegenden Fall liege - von dem einmaligen Festhalten der Klägerin am Arm abgesehen - weder eine gewaltsame bzw handgreifliche Einwirkung auf den Körper der Klägerin noch eine objektive Gefahr für Leib oder Leben vor. Entgegen der Auffassung des LSG reiche die reine "physische Präsenz" des H. nicht aus, um bei "gewaltlosen" Nachstellungen einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu bejahen. Auch könne zur Beurteilung der Strafbarkeit der Handlungen des H. nicht auf den erst seit 31.3.2007 geltenden Straftatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB)zurückgegriffen werden; zum einen wegen des absoluten Rückwirkungsverbots des Art 103 Abs 2 GG und zum anderen wegen der möglichen Regressforderung des Staates gemäß § 5 OEG iVm § 81a BVG.

24

Schließlich habe das LSG rechtsfehlerhaft die Handlungen des H. in ihrer Gesamtheit als einheitlichen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bewertet. Die Systematik des Entschädigungstatbestands gebiete, zur Beurteilung eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs an die Einzelhandlungen anzuknüpfen; die Rechtsfrage wiederum, wie eine Kette tätlicher Angriffe, die nicht jeder für sich genommen, wohl aber in ihrer Gesamtwirkung allgemein geeignet sind, eine psychische Krankheit hervorzurufen, sei opferentschädigungsrechtlich zu bewerten und noch nicht höchstrichterlich entschieden.

25

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. März 2010 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20. Oktober 2006 zurückzuweisen.

26

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

27

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Ergänzend macht sie geltend: Es entspreche dem Sinn und Zweck des OEG sowie dem Europäischen Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (BGBl II 1996, 1120), ihr eine Entschädigung für Gesundheitsschäden - auch im Hinblick auf das Versagen des staatlichen Gewaltmonopols beim Schutz vor Gewaltkriminalität - zuzubilligen. Nach der Rechtsprechung des BSG müsse ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nicht "körperlich" oder gar "handgreiflich" bzw "kämpferisch" sein, sondern könne sich insbesondere bei einem sexuellen Missbrauch von Kindern auch auf "seelische" Einwirkungen beziehen; die Hilflosigkeit und Schutzbedürftigkeit von Stalking-Opfern und das Versagen staatlichen Schutzes rechtfertige es, diese Grundsätze auch auf Stalking-Handlungen zu übertragen, auch wenn diese nicht unbedingt handgreiflich seien. Ohnehin hätten die Handlungen des H. unmittelbar auf ihren Körper eingewirkt, jedenfalls optisch und akustisch. Entscheidend sei im vorliegenden Fall, dass sich die objektive Gefahr für ihre körperliche Unversehrtheit durch die psychische Erkrankung realisiert habe und die Handlungen des H. hierfür ursächlich gewesen seien. Insoweit komme es auch nicht darauf an, ob ein Schaden unmittelbar durch eine Handlung oder durch die Summe der Einzelakte verursacht worden sei.

28

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie teilt die Rechtsauffassung der Beklagten und trägt ua vor: Es sei der gesetzgeberische Wille zu beachten, den tätlichen Angriff über eine "Körperlichkeit" zu definieren. Ein Verweis auf den Gesetzeszweck könne nicht dazu führen, diese Anspruchsvoraussetzung auszuhebeln. Ebenso wenig könne von einer Schädigungsfolge auf das Vorliegen eines tätlichen Angriffs geschlossen werden. Auch das vom Strafgesetzgeber anerkannte Schutzbedürfnis von Stalking-Opfern reiche nicht aus, um über das Tatbestandsmerkmal des tätlichen Angriffs hinwegzusehen. Etwaige Änderungen des OEG blieben dem Gesetzgeber vorbehalten.

Entscheidungsgründe

29

Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

30

Nach den im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen, an die das BSG gemäß § 163 SGG gebunden ist, kann der Senat nicht abschließend darüber entscheiden, ob das LSG die Beklagte zu Recht oder zu Unrecht verurteilt hat, bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung als Schädigungsfolge nach dem OEG festzustellen und eine Beschädigtenrente nach einem GdS von 50 ab dem 1.2.2005 zu gewähren. Es fehlen hinreichende Tatsachenfeststellungen des LSG zur Beurteilung, ob die Klägerin durch die von ihr geltend gemachten Übergriffe des H. - vor allem in dem Zeitraum von Oktober 2001 bis Ende 2003 - Opfer von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG gewesen ist und ob die von dem LSG angenommene Schädigungsfolge auf diese Angriffe zurückzuführen ist.

31

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG)geltend gemachten Anspruch ist § 1 Abs 1 Satz 1 OEG iVm § 31 Abs 1 BVG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, ua auch Beschädigtenrente nach § 31 Abs 1 BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.

32

Die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hat im Laufe der Jahre anhand einzelner Fallgestaltungen eine Entwicklung erfahren, die der Senat jüngst zur opferentschädigungsrechtlichen Beurteilung von strafbaren ärztlichen Eingriffen dargelegt hat(vgl Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 26 ff). Diese Rechtsprechung berücksichtigt seit jeher, dass die Verletzungshandlung im OEG nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt ist (BT-Drucks 7/2506 S 10; vgl etwa BSG Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 29; vgl auch Geschwinder, SGb 1985, 95, 96); gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen Begriffs des "tätlichen Angriffs" (vgl insbesondere BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 235 f = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 8 f; vgl auch die Anmerkung zu dieser Entscheidung von Schlamelcher, SGb 1984, 593 ff). Mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes hat sie sich aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst (stRspr seit 1995; vgl BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7; BSG Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 292 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 46; jüngst BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/06 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 11 RdNr 14, 17). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden (vgl Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25).

33

Mit Blick auf die hier zu entscheidende Frage der Entschädigungspflicht des Staates nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bei dem Phänomen des sog "Stalking", das seit dem 31.3.2007 als Straftatbestand in das StGB aufgenommen ist (Nachstellen iS des § 238 StGB), hat der Senat erneut Veranlassung, seine Rechtsprechung zu präzisieren und dem unbestimmten Rechtsbegriff des vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG weitere Konturen zu verleihen.

34

1. Der Senat geht bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG (a) und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette (b) von folgenden Erwägungen aus:

35

a) Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung(§§ 113, 121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN).

36

aa) Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, hat der Senat bereits entschieden, dass der Gesetzgeber durch den Begriff des "tätlichen Angriffs" den schädigenden Vorgang iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt hat(vgl BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9; BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 73). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB(vgl hierzu Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 240 RdNr 8 ff mwN) zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus(vgl insbesondere BT-Drucks 7/2506 S 10), wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt iS des § 113 Abs 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, dh als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft(vgl Rosenau in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl 2009, § 113 RdNr 23 mwN; Eser in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl 2010, § 113 RdNr 42).

37

Ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor(vgl BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 100 = SozR 3800 § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4; BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46, 47 = SozR 3800 § 1 Nr 6; sowie Begründung des Regierungsentwurfs zum OEG, BT-Drucks 7/2506 S 10, 13 f), setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus; der Senat ist einem an Aggression orientiertem Begriffsverständnis des tätlichen Angriffs trotz dessen inhaltlicher Nähe zur Gewalttätigkeit iS des § 125 StGB(vgl Eser in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl 2010, § 113 RdNr 46; zu § 125 StGB vgl BGH Urteil vom 8.8.1969 - 2 StR 171/69 - BGHSt 23, 46, 52 f) letztlich nicht gefolgt (stRspr seit 1995; vgl BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 7 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 bzw BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7; Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3; so schon Bayerisches LSG Urteil vom 16.3.1990 - L 10 Vg 1/89 - Breith 1991, 414, 415 f; offen gelassen noch von BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4; vgl auch BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46 = SozR 3800 § 1 Nr 6; vgl zum extensiven Versorgungsschutz auch Geschwinder, SGb 1985, 95, 96; Schlamelcher, SGb 1984, 593, 595; aA Schoreit/Düsseldorf, OEG, 1. Aufl 1977, § 1 RdNr 41; Wachholz, br 1991, 84, 87). Dahinter steht der Gedanke, dass auch nicht zum (körperlichen) Widerstand fähige Opfer von Straftaten den Schutz des OEG genießen sollen.

38

Für die Annahme eines tätlichen Angriffs ist nicht maßgeblich, ob der vom Täter ggf beabsichtigte Verletzungserfolg eingetreten ist (vgl BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9 mwN; zur strafrechtlichen Auslegung des tätlichen Angriffs bereits Reichsgericht Urteil vom 18.6.1925 - III 213/25 - RGSt 59, 264, 265). Auch über das Versuchsstadium einer Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Opfers hinaus, kann eine Handlung des Täters als tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG angesehen werden(vgl zu § 113 Abs 1 StGB etwa Bundesgerichtshof Urteil vom 6.5.1982 - 4 StR 127/82 - NJW 1982, 2081). Eine gewaltsame Einwirkung auf den Körper eines anderen kann auch schon bei einem physisch vermittelten Zwang vorliegen, ohne dass es zu einer körperlichen Berührung zwischen Täter und Opfer kommen muss (vgl etwa BSG Urteil vom 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 - USK 9237 ; BSG Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2). Ungeachtet eines verwirklichten Verletzungserfolgs besteht in diesen Fällen wegen der Angriffshandlung bereits eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit der anderen Person; damit geht regelmäßig die reale Gefahr eines Körperschadens einher (vgl etwa BSG Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714; BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 59; vgl auch zum Angriff iS des § 31 Abs 4 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz, Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 29.10.2009 - 2 C 134/07 - BVerwGE 135, 176 RdNr 17 f). Ob in diesen Fällen die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG überschritten ist, beurteilt der Senat aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten und orientiert sich dabei an folgenden Grundsätzen:

39

aaa) Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung - unter Berücksichtigung eines möglichen Geschehensablaufs - eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozialadäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist grundsätzlich so zu bestimmen, dass auch das bereits objektiv hochgefährdete Opfer bei Abwehr-, Ausweich- oder Fluchtreaktionen den Schutz des OEG genießt; sie ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre(BSG Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f zur Drohung mit Gewalt). Die Angriffshandlung (bzw der Einsatz körperlicher Mittel) muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzunehmen.

40

Der Senat hat insoweit in einem Fall der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) allein das Wegversperren und das Zurückstoßen und -drängen des Opfers zur Durchsetzung des Verbots, die Wohnung zu verlassen, ausreichen lassen, um das Vorliegen eines tätlichen Angriffs zu bejahen. Aus einem solchen Verhalten des Täters kann der Schluss auf eine drohende verstärkte Gewaltanwendung bei einem ggf beabsichtigten Widerstand des Opfers gezogen werden (vgl BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 14) und damit auf eine objektiv hohe Gefährdungslage für das Opfer. Entsprechendes gilt für das absichtliche Versperren eines Fahrradweges, das im Falle der Kollision mit einer erheblichen Verletzungsgefahr für das Opfer verbunden ist (vgl BSG Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2), sowie für das Zünden von Feuerwerkskörpern in unmittelbarer Nähe einer anderen Person (vgl hierzu BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 57; BSG Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714; vgl auch BSG Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 3 f).

41

bbb) Für die - insbesondere bei dem Phänomen des "Stalkings" relevanten - Fälle der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, bei denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, hat das BSG noch nicht abschließend geklärt, unter welchen Voraussetzungen solche Handlungen für sich allein bereits als tätlicher Angriff zu werten sind (vgl BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 237 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9). Auch dabei ist jedenfalls auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib oder Leben des Opfers abzustellen.

42

Das BSG hat es insoweit genügen lassen, dass eine erhebliche Drohung gegenüber dem Opfer mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache einherging, die als einziges Hindernis dem unmittelbaren körperlichen Zugriff auf das Opfer durch die Täter im Wege stand, sodass der Sachverhalt nicht allein auf Drohungen beschränkt war (BSG Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 44 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11). Es hat auch die Würdigung eines Sachverhalts, bei dem ein einschlägig vorbestrafter Täter mit dem Ausruf "Jetzt hab´ ich Euch, Ihr Schweine" auf offener Straße auf das Opfer zugestürzt ist, als tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nicht beanstandet (BSG Beschluss vom 29.9.1993 - 9 BVg 3/93 - juris RdNr 1, 5). Als tätlichen Angriff hat es das BSG zudem angesehen, wenn der Täter das Opfer vorsätzlich mit einer scharf geladenen und entsicherten Schusswaffe bedroht hat, auch wenn ein Tötungs- oder Verletzungsvorsatz noch gefehlt hat (BSG Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f), nicht aber die bloß verbale Drohung zu schießen, wenn der Täter keine Schusswaffe bei sich führt (vgl BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 20). Im Zusammenhang mit einer Aussetzung (§ 221 Abs 1 StGB) durch aktives Tun hat das BSG die bloße Aufforderung gegenüber einem 83 Jahre alten Gehbehinderten, den Wagen zu verlassen, als Ausübung von körperlichem Zwang und damit als tätlichen Angriff angesehen, weil diese erzwungene Ortsveränderung das letzte Glied in einer Kette von Gewalttaten des fortgesetzt aggressiv handelnden Täters war (BSG Urteil vom 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 - USK 9237).

43

Bei der Würdigung des Tatgeschehens sind insoweit alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, die auf eine objektiv hohe Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Integrität des Opfers schließen lassen. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte wird eine feste Grenzziehung zwischen bloßer Drohung mit Gewalt und ihrer Anwendung kaum möglich sein. Ein tätlicher Angriff wird indes umso eher zu bejahen sein, je größer die objektive Gefahr für Leib oder Leben des Bedrohten war (BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 16), je mehr also eine schädigende Gewaltanwendung unmittelbar bevorsteht.

44

ccc) Mit Rücksicht auf die grundlegende gesetzgeberische Entscheidung, dass durch die Verwendung des Begriffs des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG der allgemeine Gewaltbegriff im strafrechtlichen Sinn begrenzt und grundsätzlich eine Kraftentfaltung gegen eine Person erforderlich sein soll(vgl BT-Drucks 7/2506 S 10), sieht der Senat die Grenze der Wortlautinterpretation jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (in diese Richtung bereits BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 73). So hat der Senat für den Fall einer mit List durchgeführten, strafbaren Kindesentziehung die erheblichen Gefahren, die damit wegen der völligen Ungewissheit über das Schicksal des Kindes für die psychische Gesundheit des betroffenen Elternteils verbunden sind, für sich allein nicht ausreichen lassen, um einen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzuerkennen, sondern darüber hinaus zumindest ein Fortwirken einer körperlichen Gewaltanwendung gegenüber dem Elternteil gefordert(BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 S 3).

45

Von den Kriterien eines tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG wird auch bei den Fällen des sog "Schockschadens"(vgl hierzu BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98 = SozR 3800 § 1 Nr 1) keine Ausnahme gemacht. Insoweit ist zwischen dem schädigenden Vorgang - der "unmittelbaren Einwirkung" auf den Körper des Primäropfers - und der geschädigten Person - der "unmittelbaren Schädigung" des Sekundäropfers - zu unterscheiden (vgl hierzu Trenk-Hinterberger in Festschrift 50 Jahre BSG, 2004, S 745, 751 ff).

46

Selbst in Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat nicht vollständig auf das Erfordernis körperlicher Handlungen verzichtet. Die besondere Schutzbedürftigkeit des Kindes, die Möglichkeit seiner "sekundären Viktimisierung" im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sowie die Gefahr schwerwiegender seelischer Krankheiten hat ihn allerdings - beschränkt auf diese Fallgestaltungen - zu einem erweiterten Verständnis des Begriffs des tätlichen Angriffs veranlasst. Danach ist für die "unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Kindes" entscheidend, dass die erfolgten sexuellen Handlungen strafbar sind, unabhängig davon, ob bei der Tatbegehung das gewaltsam handgreifliche oder das spielerische Moment im Vordergrund steht (BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 7 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 bzw BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7).

47

Demnach ist nicht - wie im Schrifttum teilweise vertreten wird - darauf abzustellen, ob die Angriffshandlung "körperlich wirkt" bzw zu körperlichen Auswirkungen im Sinne eines pathologisch, somatisch, objektivierbaren Zustands führt (so Weiner in Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, 5. Aufl 2010, § 1 RdNr 22 aE; Heinz, VersorgVerw 2007, 36, 37 f; ders, ZfS 2005, 266, 268; ders, ZfS 2000, 65, 69; Eppenstein in Opferentschädigungsgesetz - Intention und Praxis opfergerecht?, Mainzer Schriften zur Situation von Kriminalitätsopfern, 1995, S 92, 95) oder welches Individualrechtsgut (insbesondere körperliche Unversehrtheit, Leben) von der verletzten Strafrechtsnorm geschützt wird (vgl etwa Weiner, aaO, § 1 RdNr 16; Heinz, ZfS 2005, 266, 267 f).

48

           

Schließlich führt auch der Hinweis der Klägerin auf das Europäische Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Zustimmungsgesetz vom 17.7.1996, BGBl II 1120; Bekanntmachung vom 24.2.1997 über das Inkrafttreten des Übereinkommens in Deutschland am 1.3.1997, BGBl II 740) zu keiner anderen Beurteilung. Nach seinem Art 1 verpflichten sich die Vertragsparteien des Übereinkommens, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die in dessen Teil I enthaltenen Grundsätze zu verwirklichen. Art 2 Abs 1 Buchst a des Übereinkommens bestimmt:

Soweit eine Entschädigung nicht in vollem Umfang aus anderen Quellen erhältlich ist, trägt der Staat zur Entschädigung für Personen bei, die eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, die unmittelbar auf eine vorsätzliche Gewalttat zurückzuführen ist.

49

Eine Definition des Begriffs "vorsätzliche Gewalttat" enthält das Übereinkommen nicht (vgl Denkschrift zum Übereinkommen, BR-Drucks 508/95 S 14 = BT-Drucks 13/2477 S 14). Dementsprechend hat der bundesdeutsche Gesetzgeber durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" in § 1 Abs 1 Satz 1 OEG in zulässiger Weise von einem durch das Übereinkommen belassenen Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht. Richtig ist allerdings, dass der Gesetzgeber den Zielen des Übereinkommens durchaus entsprechen würde, wenn er - über die von dem Begriff des tätlichen Angriffs erfassten Fallgestaltungen hinaus - Opfer psychischer Gewalt in den Schutzbereich des OEG einbeziehen würde. Immerhin heißt es in dem Erläuternden Bericht des Europarats zum Übereinkommen (European Convention on the Compensation of Victims of Violent Crimes, Explanatory Report, http://conventions.coe.int/treaty/EN/Reports/Html/116.htm ): Die Gewalt sei nicht notwendig, physische Gewalt; Entschädigung könne auch geschuldet werden in Fällen psychischer Gewalt, zB bei schwerwiegenden Drohungen (vgl dazu auch Denkschrift, BR-Drucks 508/95 S 14 = BT-Drucks 13/2477 S 14).

50

bb) Der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zeichnet sich zudem dadurch aus, dass die Einwirkung "unmittelbar" auf den Körper der anderen Person zielen muss. Dieses Tatbestandsmerkmal ist von dem Erfordernis der Unmittelbarkeit der Gesundheitsschädigung - dem zweiten Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette - zu unterscheiden und begrenzt die Entschädigungspflicht des Staates auf konkrete Gefährdungen des Opfers durch zielgerichtete Angriffshandlungen. Da die Zielrichtung einer Handlung allein auf dem Willen des Täters beruht, sind Feststellungen zu diesem Merkmal in erster Linie von der inneren Tatseite, dem Vorsatz des Täters, abhängig; bleibt der Täter unbekannt, müssen wenigstens die äußeren Tatumstände überzeugende Hinweise auf den erforderlichen subjektiven Tatbestand geben (vgl BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 237 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 10; BSG Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12).

51

Insoweit dient das Merkmal auch der Abgrenzung von abstrakten bzw allgemeinen Gefährdungslagen, wie sie unter bestimmten Voraussetzungen von § 1 Abs 2 Nr 2 OEG erfasst sind(sog "mittelbarer Angriff", vgl hierzu Loytved, NZS 2004, 516, 517; ders MedSach 2005, 148, 149); so hat der Senat bereits entschieden, dass das Entfernen des Deckels eines Abflusslochs (Gully) allein - ohne unmittelbare Ausrichtung auf andere Menschen - kein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG darstellt(BSG Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5). Demgegenüber hat der Senat bei der Bewertung einer Blockade des Fahrwegs einer Fahrradfahrerin maßgeblich auf den Vorsatz der Täter, den Weg durch aktives Verhalten zu versperren, und auf die damit einhergehende ernsthafte Verletzungsgefahr im Falle einer Kollision abgestellt (BSG Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2 f; mangels entsprechender Feststellungen offen gelassen durch BSG Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 S 20 f).

52

cc) Der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung(vgl hierzu etwa BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56 f) hinaus an sich eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient im Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozial adäquaten bzw gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (so bereits BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46 = SozR 3800 § 1 Nr 6; ähnlich auch schon Bayerisches LSG Urteil vom 16.3.1990 - L 10 Vg 1/89 - Breith 1991, 414, 415). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung (iS einer gewaltsamen Einwirkung auf eine andere Person durch Einsatz körperlicher Mittel) verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (stRspr seit 1995, vgl BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 7 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 bzw BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7; Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3; Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 - juris RdNr 11, 13; jüngst BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/06 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 11 RdNr 14, 17). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (vgl Bischofs, SGb 2010, 693, 694).

53

So verwirklicht ein Täter, der subjektiv dem Opfer helfen will oder aus Liebe handelt, dann einen rechtswidrigen tätlichen Angriff, wenn er in strafbarer Weise dessen körperliche Integrität verletzt (BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7). Dies gilt regelmäßig auch für Fälle, in denen sich der Angreifer möglicherweise nur einen groben oder gewalttätigen, aber die Grenze des sozial Üblichen überschreitenden Scherz erlauben wollte und gegenüber dem Opfer keine feindselige Einstellung gehabt hat (zum Zünden eines Feuerwerkskörpers vgl etwa BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 57; BSG Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714; vgl auch BSG Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 3 f). Diese Rechtsprechung hat jüngst eine Einschränkung für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs erfahren. Selbst wenn ein solcher Eingriff strafrechtlich als vorsätzliche Körperverletzung anzusehen ist, müssen bestimmte weitere Voraussetzungen hinzutreten, um die Grenze zu einem vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu überschreiten(vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 42-44).

54

b) Der schädigende Vorgang iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG - das erste Glied der entschädigungsrechtlichen Ursachenkette - ist zeitlich nicht auf die Dauer des tätlichen Angriffs selbst oder die Vollendung der mit der Gewaltanwendung verbundenen Straftat begrenzt, vielmehr dauert er so lange an, wie das daraus folgende Geschehen noch wesentlich durch die Gewaltanwendung geprägt ist, also bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Opfer in Sicherheit ist bzw die Hilfe Dritter erhält(vgl BSG Urteil vom 12.6.2003 - B 9 VG 8/01 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 2; BSG Urteil vom 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 - USK 9237 ). Die strafrechtliche Einordnung als Erfolgs- oder Dauerdelikt ist für die Bewertung des entschädigungsrechtlichen Kerns des Geschehens ohne Belang (vgl BSG Urteil vom 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 - USK 9237 ; BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 S 3; BSG Urteil vom 12.6.2003 - B 9 VG 8/01 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 2; BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 15).

55

Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG kann als wesentliche Ursache für Gesundheitsschäden, die während des Tatgeschehens eintreten, auch dann angesehen werden, wenn das Opfer eine eigene Ursache für den weiteren Geschehensablauf (zB Flucht, Ausweichen, Notwehr) setzt. In diesen Fällen ist - anders als im Strafverfahren - nicht darauf abzustellen, ob die Tatumstände "objektiv geeignet" waren, das Verhalten des Opfers zu erklären, sondern auf dessen subjektive Sicht (vgl BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 16-17; ähnlich auch zur Mitverursachung der Schädigung iS des § 2 Abs 1 Satz 1 OEG BSG Urteil vom 18.6.1996 - 9 RVg 7/94 - BSGE 78, 270 = SozR 3-3800 § 2 Nr 4). Insoweit rechnen zu den Folgen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs grundsätzlich auch die Verletzungsfolgen, die während einer Flucht entstanden sind (vgl auch BSG Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11; BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10, RdNr 15; vgl auch Loytved, NZS 2004, 516, 517; ders, MedSach 2005, 148, 149).

56

2. Nach diesen Grundsätzen ergibt sich für die opferentschädigungsrechtliche Bewertung von Stalking-Handlungen als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG für den Zeitraum bis zum Inkrafttreten des § 238 StGB am 31.3.2007 und damit auch für den hier streitgegenständlichen Zeitraum (im Wesentlichen von Oktober 2001 bis Dezember 2003) Folgendes:

57

a) Das Phänomen Stalking hat in jüngster Zeit zunehmend an gesellschaftlicher Bedeutung gewonnen und zu besonderen Entwicklungen im Zivil- und Strafrecht geführt. Die unter dem englischen Begriff "Stalking" diskutierten Verhaltensweisen zeichnen sich dadurch aus, dass einer anderen Person fortwährend nachgestellt, aufgelauert oder auf andere Weise mit hoher Intensität Kontakt zu ihr gesucht bzw in ihren individuellen Lebensbereich eingegriffen wird (so der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 8.2.2006, BT-Drucks 16/575 S 1). Eine einheitliche Begriffsbestimmung ist wegen der äußerst facettenreichen Fallgestaltungen schwierig (vgl etwa Bieszk/Sadtler, NJW 2007, 3382, 3384). Allgemein handelt es sich um ein Verhalten der fortgesetzten Verfolgung, Belästigung und Bedrohung einer anderen Person gegen deren Willen (so die Gesetzentwürfe des Bundesrates vom 27.4.2005 und 23.3.2006, BT-Drucks 15/5410 S 1 und BT-Drucks 16/1030 S 1). Dabei sind die einzelnen Handlungen des Täters sehr vielgestaltig. Sie reichen von häufigen, vielfach wiederholten Telefonanrufen zu jeder Tages- und Nachtzeit, dem Übersenden von E-Mails, SMS oder Briefen, der Übermittlung von Geschenken, dem Auflauern vor der Wohnung oder am Arbeitsplatz und Drohungen bis hin zu Zudringlichkeiten und tätlichen Angriffen. Durch ihre Häufigkeit und Kontinuität führen auch Einzelhandlungen, die jeweils für sich genommen als sozialadäquat angesehen werden könnten, zu unzumutbaren Beeinträchtigungen und einer erzwungenen Veränderung der Lebensumstände des Opfers (so der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 8.2.2006, BT-Drucks 16/575 S 1).

58

           

In der mit Wirkung vom 31.3.2007 Gesetz gewordenen Fassung des § 238 Abs 1 StGB lautet der Tatbestand der Nachstellung:

Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich

1.    

seine räumliche Nähe aufsucht,

2.    

unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht,

3.    

unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen,

4.    

ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht oder

5.    

eine andere vergleichbare Handlung vornimmt

und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

59

Durch § 238 StGB sollen nach dem Willen des Gesetzgebers beharrliche Nachstellungen, die einschneidend in das Leben des Opfers eingreifen, über die bereits bestehenden und in Betracht kommenden Straftatbestände - wie etwa der Nötigung(§ 240 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB) oder des Zuwiderhandelns gegen eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (§ 4 GewSchG) - hinaus mittels eines weiteren Straftatbestandes verfolgt werden können, um auf diese Weise einen besseren Opferschutz zu erreichen und Strafbarkeitslücken zu schließen (BT-Drucks 16/575 S 1). Der neue Straftatbestand dient damit dem Schutz der eigenen Lebensführung vor gezielten, hartnäckigen und schwerwiegenden Belästigungen der Lebensgestaltung (vgl BGH Beschluss vom 19.11.2009 - 3 StR 244/09 - BGHSt 54, 189 - juris RdNr 14 mwN).

60

Nach der Rechtsprechung des BGH (aaO) ist Tathandlung des § 238 Abs 1 StGB das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen iS des § 238 Abs 1 Nr 1 bis 5 StGB. Das Merkmal der "Beharrlichkeit" soll ua die Deliktstypik des "Stalkings" zum Ausdruck bringen und einzelne, für sich genommen vom Gesetzgeber als sozialadäquat angesehene Handlungen (BT-Drucks 16/575 S 7) von unerwünschtem "Stalking" abgrenzen; ihm wohnen sowohl objektive Momente der Zeit sowie subjektive und normative Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit inne, die in der Tatbegehung durch besondere Hartnäckigkeit und eine gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem gesetzlichen Verbot zum Ausdruck kommt. Die Beharrlichkeit ergibt sich aus einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen, bei der insbesondere auch der zeitliche Abstand zwischen den Angriffen und deren innerer Zusammenhang von Bedeutung sind (BGH, aaO, mwN).

61

b) Solange der Gesetzgeber den Tatbestand des § 238 StGB nicht gesondert in den Schutzbereich des § 1 OEG einbezogen hat, sind die erfolgten Stalking-Handlungen daraufhin zu prüfen, ob jeweils nach den insoweit maßgeblichen Kriterien ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG vorliegt. Ein sich - wie hier - über Jahre erstreckendes Stalking, das aus einer Vielzahl einzelner, für sich abgeschlossener Sachverhalte besteht, kann entgegen der Auffassung des LSG nicht als ein einheitlicher schädigender Vorgang gewertet werden. Denn ein solcher umfasst nur den konkreten tätlichen Angriff und das diesem unmittelbar folgende gewaltgeprägte Geschehen.

62

Soweit sich eine feindselige Willensrichtung des Täters nicht feststellen lässt, kommt es auch beim Stalking auf das Vorliegen einer mit Gewaltanwendung verbundenen vorsätzlichen Straftat an. Der Senat hat bereits zum Phänomen des sog Mobbings entschieden, dass sich diese Vorgänge des Arbeitslebens, die den Rahmen des zwar gesellschaftlich Missbilligten, aber nicht Strafbaren nicht verlassen und die Schwelle zum kriminellen Unrecht nicht überschreiten, nicht als tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG angesehen werden können(BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18). Denn bei der Anwendung des OEG ist von dessen Grundgedanken auszugehen, dass nur Opfer von Gewalttaten entschädigt werden sollen (vgl BT-Drucks 7/2506 S 7). Das OEG deckt mithin nicht alle - sonstigen - aus dem Gesellschaftsleben folgenden Verletzungsrisiken ab, die einem anderen als dem Geschädigten zuzurechnen sind (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18). Ebenso wenig reicht das Verwirklichen eines Straftatbestandes aus, wenn es (wie zB bei Vermögensdelikten) ohne körperliche Einwirkungen auf das Opfer geschieht. Dies gilt grundsätzlich auch für Stalking-Handlungen, die jedoch nach heute geltendem Recht wegen des Tatbestands der Nachstellung gemäß § 238 StGB eine besondere strafrechtliche Relevanz aufweisen können. Allerdings kann für den Zeitraum vor Inkrafttreten dieser Norm zum 31.3.2007 zur opferentschädigungsrechtlichen Beurteilung, ob ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG in Gestalt einer strafbaren Vorsatztat vorliegt, nicht auf diesen Straftatbestand zurückgegriffen werden(aa). Maßgeblich ist das zum Tatzeitpunkt geltende Recht (bb).

63

aa) Entgegen der Auffassung des LSG kann hier das Vorliegen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG - abgesehen von dem zusätzlichen Erfordernis einer Tätlichkeit - nicht mit der Begründung bejaht werden, es sei der ab dem 31.3.2007 geltende Tatbestand der Nachstellung iS des § 238 StGB erfüllt.

64

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats dient das Merkmal der Rechtsfeindlichkeit, wie sie sich durch das Begehen einer vorsätzlichen Straftat zeigt, einer normativen Grenzziehung gegenüber Verhaltensweisen, die den Rahmen des gesellschaftlichen Lebens nicht überschreiten. Diese Abgrenzung erfordert nach Auffassung des Senats ein Abstellen auf die zum Zeitpunkt der Tat jeweils geltende Rechtslage. Ungeachtet des im Strafrecht geltenden absoluten Rückwirkungsverbots nach Art 103 Abs 2 GG drohen im Opferentschädigungsrecht anderenfalls Billigkeitserwägungen. Es müsste nämlich der Unrechtsgehalt einer erst im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung strafbaren Handlung auf Zeiträume erstreckt werden, in denen das entsprechende Täterverhalten nicht strafbar gewesen ist. Die für die Bewertung des Täterverhaltens maßgebende normative Grenze würde dadurch klare Konturen verlieren.

65

Zum einen ist die Frage, auf welche Handlungen der Staat seinen Strafanspruch erstrecken will, dem Wandel gesellschaftlicher Phänomene und Anschauungen unterworfen (vgl hierzu auch Pollähne, NK 2002, 56, 58). Dies zeigt sich gerade auch in der Aufnahme des Tatbestands der Nachstellung in das StGB, die auf die zunehmende Bedeutung des Phänomens des Stalking und den als unzureichend angesehenen Schutz der betroffenen Personen zurückzuführen ist (vgl BT-Drucks 16/575 S 1; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks 16/3641 S 1). Ein anderes Beispiel ist der erst seit 1.4.1998 strafbare Versuch einer Körperverletzung nach § 223 Abs 2 StGB(Gesetz vom 26.1.1998, BGBl I 164). Zum anderen kann von einer Feindlichkeit des Täters gegen das Strafgesetz nur bei einem - willentlichen - Bruch der zum Zeitpunkt der Tat geltenden Rechtsordnung gesprochen werden. Auf den von der Beklagten angesprochenen Gesichtspunkt eines Schutzes des Täters vor Regressforderungen des Staates nach § 5 OEG iVm § 81a BVG kommt es insofern nicht entscheidend an.

66

bb) Ist danach stets auf die zum Tatzeitpunkt geltende Rechtslage abzustellen, kommen im vorliegenden Fall, der insbesondere Stalkinghandlungen in der Zeit von Oktober 2001 bis Dezember 2003 (jedenfalls vor Inkrafttreten des § 238 StGB) betrifft, opferentschädigungsrechtlich als Straftatbestände insbesondere die Körperverletzung(§§ 223, 229 StGB), die Nötigung (§ 240 StGB), die sexuelle Nötigung (§ 177 StGB), die Bedrohung (§ 241 StGB) und die Beleidigung (§ 185 StGB) in Betracht (vgl BT-Drucks 16/575 S 6).

67

Zudem ist nach Auffassung des Senats für den Zeitraum ab 1.1.2002 eine Strafbarkeit des maßgeblichen Verhaltens nach § 4 GewSchG ausreichend, um - bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - einen Entschädigungsanspruch nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG begründen zu können. Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe ist nach § 4 GewSchG ein Verstoß gegen eine vollstreckbare Anordnung nach § 1 GewSchG strafbar, die tatbestandlich eine vorangegangene vorsätzliche und rechtswidrige Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit einer anderen Person voraussetzt(§ 1 Abs 1 Satz 1 GewSchG). Zum Schutz der betroffenen Person kann das Gericht gemäß § 1 Abs 1 Satz 3 GewSchG insbesondere anordnen, dass der Täter es unterlässt, die Wohnung der verletzten Person zu betreten(Nr 1), sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufzuhalten (Nr 2), zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält (Nr 3), Verbindung zur verletzten Person, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, aufzunehmen (Nr 4), Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen (Nr 5), soweit dies nicht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist. Entsprechende Anordnungen können bei einer widerrechtlichen Drohung mit einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit einer anderen Person (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 GewSchG)und bei einem widerrechtlichen Eindringen in die Wohnung einer anderen Person (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a GewSchG) ergehen, sowie gegenüber demjenigen, der eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass er ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a GewSchG).

68

Der Gesetzgeber hat insoweit den Schwerpunkt der rechtlichen Maßnahmen gegen häusliche Gewalt und "unzumutbare Belästigungen" (also "Stalking") zunächst nur auf zivilrechtlicher Ebene gesetzt und die Strafbarkeit des Verhaltens durch eine Kriminalisierung des Ungehorsams gegenüber vollstreckbaren gerichtlichen Anordnungen eröffnet (Pollähne, NK 2002, 56, 58). Wenngleich hierbei vorrangiges Ziel des Gesetzgebers war, die verfahrensrechtliche Geltendmachung von zivilrechtlichen Unterlassungsansprüchen zu erleichtern, die Effizienz der Vollstreckung zivilgerichtlicher Entscheidungen zu verbessern und bei dem Verstoß gegen eine gerichtliche Schutzanordnung ein Eingreifen der Polizei zu ermöglichen (so der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5.3.2001, BT-Drucks 14/5429 S 1, 10; Grziwotz, NJW 2002, 872, 873 f; vgl auch Rupp, Rechtstatsächliche Untersuchung zum Gewaltschutzgesetz, Berlin 2005, S 89 ff), ist die Einbeziehung solcher strafbaren Vorsatztaten in die opferentschädigungsrechtliche Bewertung nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nicht nur wegen der sachlichen Nähe zur sog Gewaltkriminalität gerechtfertigt, sondern auch wegen der mit einem Zuwiderhandeln gegen eine entsprechende Schutzanordnung des Gerichts eindeutig hervortretenden Rechtsfeindlichkeit des Täters, des willentlichen Bruchs der Rechtsordnung.

69

Soweit der Täter durch sein Verhalten gegen eine vollstreckbare Anordnung nach § 1 GewSchG verstößt und sich dadurch nach § 4 GewSchG strafbar macht, ist die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen die durch die Anordnung geschützte Person begangen wird und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird. Insoweit gelten ähnliche Grundsätze wie bei der opferentschädigungsrechtlichen Bewertung der Freiheitsberaubung nach § 239 StGB(vgl BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 13; BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 15). Auch mit einem nach § 4 GewSchG strafbaren Verhalten muss eine körperliche Gewaltanwendung einhergehen, um einen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bejahen zu können(offen gelassen für die Freiheitsberaubung, vgl BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 13; BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 15). Aus einem Verstoß gegen eine Schutzanordnung nach § 1 GewSchG kann nämlich nicht ohne Weiteres auf eine objektive Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit oder des Lebens des Opfers durch eine Tätlichkeit geschlossen werden.

70

3. Gemessen an diesen Kriterien ist es dem erkennenden Senat anhand der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht möglich, abschließend zu beurteilen, inwiefern die einzelnen Stalkinghandlungen des H. vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe gegen die Klägerin iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG darstellen.

71

a) Eine Wertung als tätlicher Angriff scheidet allerdings von vornherein für alle Telefonate, SMS, Briefe, Karten, Geschenke und dergleichen sowie für das bloße Klingeln an der Haustür der Klägerin aus, wodurch H. die Klägerin allerdings in erheblicher Weise belästigt hat. Denn insoweit fehlt es an einer unmittelbar drohenden Gewaltanwendung auch soweit einzelne Mitteilungen ernste Drohungen enthielten. Entsprechend verhält es sich mit den von H. missbräuchlich veranlassten Notfalleinsätzen, Dienstleistungen oder Lieferungen zur Wohnung der Klägerin, zumal die beauftragten Personen - soweit ersichtlich - in keiner Weise gegenüber der Klägerin gewalttätig geworden sind.

72

b) Nach den festgestellten Gegebenheiten kann es nur bei persönlichen Begegnungen des H. mit der Klägerin zu einem tätlichen Angriff gekommen sein. Dabei ist es nach den Feststellungen des LSG wiederholt zu Drohungen und Belästigungen gekommen. Inwieweit eine Gewaltanwendung durch H. unmittelbar bevorstand, lässt sich den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen weitestgehend nicht entnehmen, zumal es nach der Rechtsauffassung des LSG nicht darauf ankam.

73

Eine gewisse Sonderstellung nimmt das Geschehen am 18.7.2003 ein. Unter ständigem Einreden auf die Klägerin ist H. ihr an diesem Tag vom Hauseingang ihrer Wohnung gefolgt und mit ihr in demselben Bus gefahren, bis er sie vor dem Eingang eines Copy-Geschäfts am Arm festgehalten und zu sich umgerissen hat. Hierin könnte ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu sehen sein. Jedenfalls liegt es nahe, eine strafbare, unmittelbar auf den Körper der Klägerin zielende gewaltsame Einwirkung anzunehmen.

74

Die Handlung des H. ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 4 GewSchG strafbar, da sie zeitlich vor der Schutzanordnung des AG B. vom 19.8.2003 liegt. Vielmehr kommt eine Strafbarkeit als Nötigung gemäß § 240 Abs 1 StGB in Betracht, da H. die Klägerin gegen ihren klar erkennbaren Willen durch körperliche Gewalt am Fortgehen gehindert hat. Diese - an sich nicht gravierende - Gewaltanwendung dürfte unter normalen Umständen zwischenmenschlicher Auseinandersetzungen in aller Regel nicht verwerflich iS des § 240 Abs 2 StGB sein(vgl zur umstrittenen Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel jüngst BVerfG Kammerbeschluss vom 7.3.2011 - 1 BvR 388/05 - juris RdNr 38 ff). Dies gilt angesichts der vorangegangenen Drohungen und Belästigungen durch H. seit Oktober 2001 im vorliegenden Fall hingegen nicht. Fraglich könnte allerdings sein, ob unter Berücksichtigung der Umstände des Tatgeschehens aus der Sicht eines objektiven vernünftigen Dritten eine hinreichende Gefahr für Leib oder Leben der Klägerin anzunehmen ist. Diese Feststellung obliegt der tatrichterlichen Würdigung, die der Senat im Revisionsverfahren nicht vornehmen kann (vgl § 163 SGG).

75

Etwas anders verhält es sich mit den Vorgängen am 2. und 3.10.2003. An diesen Tagen hat H. auf die Klägerin vor ihrer Wohnungstür gewartet und ist ihr beim Verlassen des Hauses entgegengegangen, mit der Folge, dass die Klägerin in ihr Haus zurückgekehrt ist und sich zur Arbeit hat abholen lassen. Mit dieser Handlung hat H. in strafbarer Weise gegen die Schutzanordnung des AG B. vom 19.8.2003 verstoßen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen des LSG ist darin jedoch noch keine körperliche Gewaltanwendung gegenüber der Klägerin und damit kein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu sehen. Allein die Annäherung des H. kann - ohne Hinzutreten weiterer Umstände (zB Drohungen, aggressives Verhalten etc) - nicht als eine unmittelbar auf den Körper zielende Einwirkung gewertet werden.

76

4. Da der erkennende Senat die danach noch fehlenden Tatsachenfeststellungen im Revisionsverfahren nicht nachholen kann, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

77

Soweit das LSG nach weiteren Ermittlungen hinsichtlich einzelner Begegnungen der Klägerin mit H. zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG oder sogar von mehreren derartigen Angriffen geworden ist, wird es nach der entschädigungsrechtlichen Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung die Frage eines wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs zwischen den betreffenden schädigenden Vorgängen und der bei der Klägerin bestehenden psychischen Krankheit zu prüfen haben. Hierbei ist in aller Regel die Hinzuziehung medizinischen Sachverstands erforderlich.

78

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Sozialgericht (SG) das damals zuständige (jetzt beigeladene) Land zu Recht verurteilt hat, eine bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz) festzustellen.

2

Die am 2.10.1954 geborene Klägerin ließ sich im Jahr 2000 zwei Mal von einem Arzt für Gynäkologie operieren. Zunächst saugte dieser am 13.1.2000 im Rahmen eines kosmetischen Eingriffs Fett ab. Danach traten Komplikationen auf. Am 20.6.2000 versuchte der Arzt, eine bestehende Fettschürze zu korrigieren und saugte weiteres Fett ab. Nach diesem Eingriff kam es zu erheblichen Gesundheitsstörungen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten.

3

Zur Zeit der Operationen litt die Klägerin neben dem erheblichen Übergewicht an einer Koronarinsuffizienz, Bluthochdruck, Lungeninsuffizienz, insulinpflichtigem Diabetes mellitus sowie einer Darmerkrankung. Darauf machte sie den Arzt vor den operativen Maßnahmen aufmerksam. Dieser wies sie sodann bewusst nicht darauf hin, dass angesichts der Vorerkrankungen bei den Operationen mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, zu rechnen sei. Die notwendige Aufklärung unterließ der Gynäkologe aus finanziellen Motiven, weil ihm bewusst war, dass die Klägerin sonst von den Operationen abgesehen hätte. Er dokumentierte weder ein Aufklärungsgespräch noch eine Einwilligung. Darüber hinaus täuschte er die Klägerin über seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können.

4

Das Landgericht Aachen verurteilte den Gynäkologen wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 Strafgesetzbuch (StGB) aufgrund des operativen Eingriffs vom 13.1.2000 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie aufgrund des weiteren Eingriffs vom 20.6.2000 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Unter Einbeziehung zahlreicher weiterer Taten zum Nachteil anderer Patienten wurde der Gynäkologe zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt (rechtskräftiges Urteil vom 17.7.2002 - 61 KLs/42 Js 1109/00).

5

Am 22.11.2003 beantragte die Klägerin beim seinerzeit zuständigen Versorgungsamt Aachen Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem OEG iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Diesen Antrag lehnte das Versorgungsamt nach Beiziehung des Strafurteils durch Bescheid vom 9.1.2004 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG lägen nicht vor. Das OEG bezwecke ausschließlich die Entschädigung von Kriminalitätsopfern, die vom Staat trotz des von diesem in Anspruch genommenen Gewaltmonopols im Einzelfall nicht ausreichend hätten geschützt werden können. Die hier der strafrechtlichen Verurteilung zugrunde liegenden ärztlichen Kunstfehler seien von diesem Schutzzweck naturgemäß nicht erfasst. Es fehle an einer feindseligen Tendenz im Sinne des OEG. Den Widerspruch der Klägerin wies die Bezirksregierung Münster mit Bescheid vom 22.6.2004 zurück.

6

Das von der Klägerin angerufene SG Aachen hat nach Einholung mehrerer medizinischer Gutachten mit Urteil vom 21.12.2006 das (jetzt beigeladene) Land Nordrhein-Westfalen (NRW) unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung "Zustand nach Abdominalplastik mit zwei großen quer verlaufenden Narben im Ober- und Unterbauch mit korrigiertem Nabel mit Sensibilitätsstörungen im Narbenbereich" als durch ein schädigendes Ereignis iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hervorgerufene Gesundheitsstörung festzustellen. Die darüber hinausgehende Klage auf Gewährung von Versorgung hat das SG - mittlerweile (nach Rücknahme der Berufung der Klägerin) rechtskräftig - abgewiesen, weil die festgestellte Gesundheitsstörung lediglich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 vH bedinge.

7

Gegen seine Verurteilung hat das Land NRW Berufung eingelegt. Dieses Rechtsmittel ist nach Inkrafttreten des § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007, GVBl NRW 482, ) ab 1.1.2008 vom Landschaftsverband Rheinland weiter geführt und sodann vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) mit Urteil vom 21.5.2008 zurückgewiesen worden. Diese Entscheidung ist auf folgende Erwägungen gestützt:

8

Zum 1.1.2008 sei ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten. Berufungsführer sei seitdem der Landschaftsverband Rheinland. Ob sich dieser als neuer Beklagter gegen die Anerkennung von Schädigungsfolgen wende oder dies dem notwendig beigeladenen Land als weiterhin materiell Verpflichtetem obliege, ändere am Tenor der Berufungsentscheidung nichts, denn weder das Land noch der Landschaftsverband hätten einen Anspruch auf Aufhebung des Urteils des SG.

9

Zu Recht habe dieses die streitbefangenen ärztlichen Maßnahmen als tätliche Angriffe iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bewertet. Nach den Feststellungen des Landgerichts, die der Senat sich zu eigen mache, habe der Gynäkologe die vor den Eingriffen notwendige Aufklärung aus finanziellen Motiven unterlassen. Er habe die Klägerin bewusst nicht darauf hingewiesen, dass angesichts der Vorerkrankungen mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, während und nach den Operationen zu rechnen gewesen sei. Auch sei ihm klar gewesen, dass sich die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen die Operationen entschieden hätte. Dies habe der Gynäkologe zumindest billigend in Kauf genommen. Damit stellten die operativen Eingriffe tatbestandlich vorsätzliche Körperverletzungen iS des § 223 StGB dar, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) mangels wirksamer Einwilligung auch rechtswidrig gewesen seien. Eine wirksame Einwilligung liege danach nur vor, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden sei.

10

Der Arzt habe durch die Operationen unmittelbar in die körperliche Integrität der Klägerin eingegriffen. Zwar habe er keinen Widerstand der Klägerin überwinden müssen. Diese Situation habe er sich jedoch nur verschaffen können, weil er die Klägerin zuvor über die Risiken der Operation und seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können, getäuscht habe. Ob zwischen dem Arzt und der Klägerin ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden habe, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Die von dem Gynäkologen vorgenommenen Eingriffe stellten auch keine Heilbehandlung dar, denn es sei keine objektive Heiltendenz feststellbar. Zudem handle es sich bei der von § 1 Abs 1 OEG geforderten Feindseligkeit der Tathandlung nicht um eine innere Tatsache. Was feindselig sei, bestimme das Strafgesetz. Feindselig in diesem Sinne seien alle § 223 StGB zuzuordnenden, strafbewehrten Tathandlungen. Unschädlich sei, dass die im Rahmen der Operationen begangenen Kunst- und Behandlungsfehler nur fahrlässiger Natur gewesen seien.

11

Die Klägerin habe durch die beiden durchgeführten Operationen eine gesundheitliche Schädigung erlitten, an deren Folgen sie fortdauernd leide. Art und Umfang der insoweit verbliebenen Gesundheitsstörung seien von den Beteiligten unstreitig gestellt worden.

12

Der Beklagte macht mit seiner nach Zulassung durch den erkennenden Senat eingelegten Revision eine Verletzung von § 1 Abs 1 OEG geltend. Zur Begründung führt er ua aus:

13

Durch die Regelungen des OEG wolle der Staat für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger insbesondere vor gesundheitlichen Schädigungen durch kriminelle Handlungen wie vor allem Gewalttaten einstehen. Im Lichte dieses Gesetzeszwecks seien auch die einzelnen Tatbestandsmerkmale auszulegen. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 OEG setze daher eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame, in der Regel auch handgreifliche Einwirkung voraus.

14

An einer feindseligen Willensrichtung fehle es hier. Zwar hätten Eingriffe in die körperliche Integrität eines anderen grundsätzlich die Tendenz, diesen zum bloßen Objekt herabzuwürdigen; sie seien deshalb als feindselig zu werten. Wenn aber im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses die Einwilligung zur Operation vorliege, verliere der Eingriff in die körperliche Integrität seine feindselige Qualität. Im vorliegenden Fall bestehe die Besonderheit, dass die Klägerin zwar ihre Einwilligung in beide Operationen gegeben habe, diese aber vom Täter erschlichen worden seien. Das LSG schließe ohne eigene Sachaufklärung aus den vom Landgericht in seinem Strafurteil benannten Motiven für das Erschleichen der Einwilligung und aus der Tatsache der strafrechtlichen Verurteilung, dass der Gynäkologe keine Heilbehandlung vorgenommen habe, weil die Eingriffe nicht zur Heilung geeignet gewesen seien. Letzteres lasse sich aber den einschlägigen Passagen des Landgerichtsurteils nicht entnehmen. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Operateur der Klägerin insofern rechtsfeindlich gesonnen gewesen sei, als er sie dauerhaft habe schädigen wollen. Eine rechtsfeindliche Willensrichtung lasse sich zwar für die fehlerhafte Aufklärung über die Operationsrisiken bejahen. Hieraus resultiere aber nicht gleichzeitig eine rechtsfeindliche Willensrichtung hinsichtlich der anschließenden Operationen. Das Vertrags- und Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestatte nur dann die Annahme einer feindseligen Willensrichtung hinsichtlich des operativen Eingriffs, wenn dies bestimmte äußere Umstände nahelegten, etwa wenn sich der Operierende fälschlich als Arzt ausgebe.

15

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21.5.2008 und des Sozialgerichts Aachen vom 21.12.2006 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

16

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

17

Sie hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.

18

Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland hat wie folgt Stellung genommen: Generell liege bei ärztlichen Kunstfehlern keine Gewalttat iS des § 1 Abs 1 OEG vor. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Körperverletzung führe zwar in der Regel auch zur Bejahung eines tätlichen Angriffs. Jedoch sei dies nicht zwangsläufig so. Zusätzlich sei nämlich auch ein tätlicher Angriff in feindseliger Willensrichtung erforderlich. Daran fehle es im konkreten Fall. Das LSG habe den feindseligen Akt wohl im Erschleichen der Einwilligung durch bewusst unzureichende Aufklärung gesehen. Es leuchte jedoch nicht ein, warum ein tätlicher Angriff im Sinne des OEG davon abhängen solle, dass der Arzt die Patientin mit Eventualvorsatz unzureichend aufgeklärt habe. Mit einer solchen Argumentation könne praktisch jeder ärztliche Heileingriff, bei dem eine wirksame Einwilligung fehle, als OEG-Fall anerkannt werden, und zwar selbst dann, wenn der ärztliche Eingriff richtig und erfolgreich ausgeführt worden sei und ein Kunstfehler daher überhaupt nicht vorliege. Eine entsprechende Ausweitung des vom OEG erfassten Personenkreises sei vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Die Rechtsentwicklung zum Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern lasse sich auf den Bereich ärztlicher Kunstfehler nicht anwenden. Die tatbestandliche Ausgangslage sei eine gänzlich andere.

Entscheidungsgründe

19

1. Die Revision des Beklagten ist zulässig. Richtiger Beklagter und Revisionskläger ist nunmehr der Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland.

20

a) Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass es mit Inkrafttreten von § 4 Abs 1 Eingliederungsgesetz zum 1.1.2008 im Verlauf des Berufungsverfahrens zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes auf der Beklagtenseite gekommen ist (vgl hierzu BSG, Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/07 R - BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, jeweils RdNr 13 f; BSG, Urteil vom 28.7.2008 - B 1 KR 5/08 R - BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, jeweils RdNr 13; BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, jeweils RdNr 20; BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9 V 3/07 R - juris RdNr 21; BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris RdNr 22; BSG, Urteil vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2, jeweils RdNr 19; BSG, Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 26). Durch § 4 Abs 1 Eingliederungsgesetz wurden die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des Sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung vom 1.1.2008 rechtswirksam auf die Landschaftsverbände übertragen. Ab diesem Zeitpunkt ist der für die Klägerin örtlich zuständige Landschaftsverband Rheinland gemäß § 6 Abs 1 OEG für die Versorgung nach diesem Gesetz zuständig.

21

b) Das LSG hat den Landschaftsverband Rheinland selbst als Beklagten behandelt. Die Klägerin hat ihre Klage im Verlauf des Revisionsverfahrens umgestellt und nunmehr gegen die nach § 70 Nr 3 SGG beteiligtenfähige Behörde - den Direktor des Landschaftsverbandes - gerichtet. Mit dieser Umstellung trägt sie der Rechtsprechung des 8. Senats des BSG Rechnung, wonach die Klage zwingend gegen die nach § 70 Nr 3 SGG für beteiligtenfähig erklärte Behörde zu richten ist, wenn ein Land - wie hier Nordrhein-Westfalen durch § 3 Gesetz zur Ausführung des SGG - das Behördenprinzip eingeführt hat (vgl BSG, Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R - RdNr 14). Demgegenüber hat der erkennende Senat die Auffassung vertreten (vgl Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - juris RdNr 21), dass die nach § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähige juristische Person (hier der Landschaftsverband Rheinland) diese Fähigkeit nicht dadurch verliert, dass die für sie handelnde Behörde (hier der Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland) durch Landesrecht iS des § 70 Nr 3 SGG für beteiligtenfähig erklärt worden ist. Zur Vermeidung einer Divergenz hat der erkennende Senat deshalb eine Umstellung der Klage angeregt; dem steht § 168 Satz 1 SGG nicht entgegen, weil sich der Klagegrund, also der dem Klageantrag zugrunde liegende Lebenssachverhalt, nicht geändert hat(vgl § 99 Abs 3 SGG).

22

2. Die Revision des Beklagten ist unbegründet, denn das LSG hat im Ergebnis zu Recht dessen Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, mit dem dieses die entgegenstehende ablehnende Verwaltungsentscheidung aufgehoben und das seinerzeit beklagte Land zur Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG verurteilt hat. Eine Rechtskraft dieser Entscheidung erstreckt sich gemäß § 141 Abs 1 Nr 1 SGG auf den jetzigen Beklagten.

23

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG)geltend gemachten Anspruch auf Feststellung einer bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses ist § 1 Abs 1 Satz 1 OEG(idF vom 11.5.1976, BGBl I 1181). Danach erhält ua derjenige, der im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Reicht - wie hier - der Grad der Schädigungsfolgen für einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente nicht aus (vgl § 31 Abs 1 BVG), hat der Beschädigte nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG einen Anspruch auf isolierte Feststellung (Anerkennung) von Schädigungsfolgen. Denn die Feststellung von Schädigungsfolgen kann als eigenständiger begünstigender Verwaltungsakt Grundlage für weitere Ansprüche oder Rechtsfolgen sein, zB Ansprüche auf Heilbehandlung wegen der anerkannten Folgen einer Schädigung (vgl zum BVG bereits BSGE 9, 80, 83 f = SozR Nr 17 zu § 55 SGG; BSGE 12, 25, 26; BSGE 27, 22, 23 = SozR Nr 59 zu § 77 SGG; BSG, Urteil vom 2.6.1970 - 10 RV 69/68 - KOV 1971, 170; zum Soldatenversorgungsgesetz etwa BSGE 57, 171, 172 = SozR 1500 § 55 Nr 24 S 17; BSGE 68, 128, 129 f = SozR 3-3200 § 81 Nr 1 S 3; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 18 S 39; BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 73; zum OEG etwa BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - BSGE 77, 1, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 4 S 15).

24

Wie SG und LSG im Ergebnis zutreffend erkannt haben, steht der Klägerin gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nach den Umständen des vorliegenden Falles ein Anspruch auf Feststellung der Gesundheitsstörungen zu, die Folgen der im Jahre 2000 von dem Gynäkologen durchgeführten Schönheitsoperationen sind. Denn diese ärztlichen Eingriffe sind als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu werten. Der erkennende Senat legt dabei zunächst seine bisherige Rechtsprechung zum Rechtsbegriff "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" zugrunde (dazu unter a). Darüber hinaus ist die Rechtsprechung des BGH zur Strafbarkeit eines ärztlichen Eingriffs als vorsätzliche Körperverletzung von Bedeutung (dazu unter b). Für diesen Bereich entwickelt der Senat seine bisherige Rechtsprechung dahin weiter, dass ein ärztlicher Eingriff unter bestimmten Voraussetzungen als tätlicher Angriff anzusehen ist (dazu unter c). Diese Voraussetzungen liegen nach den für den Senat verbindlichen Tatsachenfeststellungen hier vor (dazu unter d).

25

a) Die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hat sich im Laufe der Jahre anhand einzelner Fallgestaltungen entwickelt. Sie hat sich weitgehend von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst und entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abgestellt. Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Betrachtungsweisen zugrunde gelegt. Leitlinie des erkennenden Senats war insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei in aller Regel die Angriffshandlung den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (vgl BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38; BSG, Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 42 f; BSG, Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f; BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 RdNr 6 f und zuletzt BSG, Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 14 ff).

26

Im Einzelnen hat der erkennende Senat bislang zu folgenden Fallkonstellationen entschieden:

27

Zunächst hat er unter Bezugnahme auf die Begründung zum Regierungsentwurf eines OEG (BT-Drucks 7/2506 S 13) für die Annahme einer Angriffshandlung eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung verlangt und deshalb einen tätlichen Angriff bei der Flucht vor einem Einbrecher verneint (BSG, Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 99 f = SozR 3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9). Diese Rechtsprechung hat er später dahingehend präzisiert, dass unter einem tätlichen Angriff ein gewaltsames, handgreifliches Vorgehen gegen eine Person in kämpferischer, feindseliger Absicht zu verstehen ist, nicht jedoch sozial angemessenes Verhalten, wie das Hochheben einer jungen Frau auf einem Straßenfest (BSG, Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46, 47 ff = SozR 3800 § 1 Nr 6 S 18 ff).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat dann den Begriff des tätlichen Angriffs umfassender im Sinne von Rechtsfeindlichkeit verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat war allein entscheidend, dass die Begehensweise, nämlich sexuelle Handlungen, eine Straftat war, deretwegen die Täter in diesen Fällen auch bestraft worden sind (BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f; BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f; ähnlich auch bei einer Aids-Infektion durch ungeschützten Geschlechtsverkehr: BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18, 19 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3 S 7).

29

Auch eine absichtliche Blockade mit einem Kraftfahrzeug ist als tätlicher Angriff angesehen worden, wenn das Opfer dem gegen ihn gerichteten körperlichen Angriff durch Ausweichen oder Flucht entgehen will und dadurch zu Schaden kommt. Der Senat hat es für genügend erachtet, dass das Handeln des Angreifers vorsätzlich und auf Rechtsbruch gerichtet war. In der Regel reicht danach der vorsätzliche rechtswidrige Angriff gegen die körperliche Integrität oder die körperliche Bewegungsfreiheit aus, um den Tatbestand (des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG) zu erfüllen (BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2 f).

30

Ebenso hat es der erkennende Senat beim Zünden eines Feuerwerkskörpers durch einen unbekannt gebliebenen Täter ausreichen lassen, dass das Verhalten des Täters auf Rechtsbruch gerichtet war und dadurch seine Rechtsfeindlichkeit erkennen ließ. Rechtsfeindlich handele, wer vorsätzlich und rechtswidrig einen Angriff gegen die körperliche Integrität eines anderen richte (BSG, Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714).

31

Diese Rechtsprechung hat der Senat in seiner Entscheidung zur Gewalt gegen Sachen verbunden mit Drohungen gegenüber dem Opfer fortgeführt: Er ist dort zwar davon ausgegangen, dass ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende, gewaltsame und in der Regel auch handgreifliche Einwirkung erfordert. Zugleich hat er jedoch klargestellt, dass nicht ein aggressives Verhalten, sondern die Rechtsfeindlichkeit des Täterhandelns für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzung des "tätlichen Angriffs" maßgeblich ist. Bei Drohungen gegenüber dem Opfer verbunden mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache hat er es deshalb als entscheidend angesehen, ob aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten ein unmittelbares Ansetzen zu einer gezielten Gewaltanwendung gegen eine Person gegeben ist (BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38 f, ähnlich BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56 zur Verletzungshandlung eines strafrechtlich schuldunfähigen, aber handlungsfähigen Kindes).

32

In seiner Entscheidung zur Verletzung durch Signalmunition in einer Silvesternacht hat der Senat ein zielgerichtetes, vorsätzliches, aggressives Verhalten gegen eine bestimmte Person nicht für erforderlich gehalten, sondern es für die Annahme eines "tätlichen Angriffs" ausreichen lassen, dass sich der Angriff gegen andere Personen als das Opfer gerichtet hat (BSG, Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 42 ff). Weiter ist in dieser Entscheidung ausgeführt worden, dass die "Feindseligkeit", die den "tätlichen Angriff" iS des § 1 Abs 1 OEG kennzeichnet, schon dann zu bejahen ist, wenn mit der Einwirkung auf den Körper des Opfers - zumindest versuchsweise - vorsätzlich ein Straftatbestand verwirklicht wird. "Feindselig" handelt der Täter auch dann, wenn er unter Verstoß gegen ein Strafgesetz vorsätzlich auf den Körper eines anderen einwirkt (BSGE 81, 288, 292 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 46).

33

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass nur bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten werden könne; tätliche Angriffe lägen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt werde, wie zB durch einen Fußtritt (BSG, Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

34

In dem Fall einer Bedrohung mit einer scharf geladenen, entsicherten Schusswaffe hat der erkennende Senat, anknüpfend an sein Urteil vom 10.9.1997 (BSGE 81, 42 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11), als tätlichen Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen. Er hat darauf hingewiesen, dass in aller Regel die Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG den Tatbestand einer vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllen wird. Daneben seien aber auch Begehungsweisen denkbar, bei denen kein strafrechtlich relevanter Erfolg angestrebt werde. Es sei nicht einmal die körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz erforderlich. Bereits die absichtliche, rechtswidrige Bedrohung eines anderen mit einer scharf geladenen entsicherten Schusswaffe stellt danach einen tätlichen Angriff dar (BSG, Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f). Diese Rechtsprechung hat der Senat in seiner Entscheidung zum Entfernen eines Gullydeckels fortgeführt und darin unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 4.2.1998 (BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12) weiter festgestellt, dass eine Handlung dann nicht als tätlicher Angriff gegen eine Person angesehen werden kann, wenn ihr die erforderliche unmittelbare (feindliche) Ausrichtung auf andere Menschen fehlt (BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 RdNr 6 f). An diese Rechtsprechung hat der Senat auch in seiner Entscheidung zur körperlichen Durchsuchung einer Person durch falsche Polizeibeamte angeknüpft (BSG, Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 14 ff).

35

In Bezug auf eine Kindesentziehung durch List hat der erkennende Senat darauf hingewiesen, dass der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern in der Weise ausgelegt worden ist, dass er auch ohne Gewaltanwendung die Ausübung des Geschlechtsverkehrs eines erwachsenen Mannes mit einem Kind unter 14 Jahren erfasst. Bei einer Kindesentziehung hat der Senat jedoch ein entsprechendes Begriffsverständnis abgelehnt, weil dies zu einer Ausweitung der vom OEG erfassten Tatbestände führen würde, die mit der auf eine körperliche Gewaltanwendung abstellenden gesetzgeberischen Konzeption unvereinbar wäre. Eine erweiternde Auslegung ist auch nicht zum Schutz des betroffenen Kindes geboten (vgl BSG, Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

36

In seiner Entscheidung zur Freiheitsberaubung hat der erkennende Senat ebenfalls maßgeblich darauf abgestellt, dass die Grenze zur Gewalttat iS des § 1 Abs 1 OEG jedenfalls dann überschritten ist, wenn eine Person durch Mittel körperlicher Gewalt ihrer Freiheit beraubt und/oder dieser Zustand durch Tätlichkeiten aufrecht erhalten wird(BSG, Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 13).

37

Schließlich hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung zu einem möglichen tätlichen Angriff eines 4 ½ jährigen Kindes gegen ein anderes Kind unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 4.2.1998 (BSGE 81, 288 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12)erneut hervorgehoben, dass der als "feindselige" Einwirkung auf den Körper eines anderen definierte tätliche Angriff lediglich erfordert, dass (objektiv) gegen ein Strafgesetz verstoßen wird, das die körperliche Unversehrtheit eines anderen schützt. Dies kann bei einem Stoßen ins Wasser unter Umständen der Fall sein (vgl BSG, Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/06 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 11 RdNr 14, 17).

38

b) Grundvoraussetzung für die Bewertung eines ärztlichen Eingriffs als "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG ist danach, dass dieser als vorsätzliche Körperverletzung strafbar ist. Deshalb ist die einschlägige Rechtsprechung der Strafgerichte, insbesondere des BGH, zu beachten. Danach erfüllt jeder ärztliche Eingriff den Tatbestand einer (vorsätzlichen) Körperverletzung iS des § 223 Abs 1 StGB. Er bedarf grundsätzlich der Einwilligung, um rechtmäßig zu sein. Diese Einwilligung kann nur wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist. Aufklärungsmängel können eine Strafbarkeit des Arztes wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung jedoch nur begründen, wenn der Patient bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht in den Eingriff eingewilligt hätte. Das Fehlen einer "hypothetischen Einwilligung" ist dem Arzt nachzuweisen. Eine Beschränkung der Strafbarkeit kann sich zudem unter dem Gesichtspunkt des Schutzzweckgedankens ergeben, wenn sich ein Risiko realisiert, das nicht in den Schutzbereich der verletzten Aufklärungspflicht fällt. Dies wird etwa dann in Betracht zu ziehen sein, wenn sich der Aufklärungsmangel lediglich aus dem unterlassenen Hinweis auf Behandlungsalternativen ergibt, der Patient jedoch eine Grundaufklärung über die Art sowie den Schweregrad des Eingriffs erhalten hat und auch über die schwerstmögliche Beeinträchtigung informiert ist (vgl aus der neueren Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 29.6.1995 - 4 StR 760/94 - BGHR StGB § 223 Abs 1 Heileingriff 4 = MedR 1996, 22, 24 ; BGH, Urteil vom 19.11.1997 - 3 StR 271/97 - BGHSt 43, 306, 308 f = NJW 1998, 1802, 1803 ; BGH, Beschluss vom 15.10.2003 - 1 StR 300/03 - JR 2004, 251, 252 ; BGH, Urteil vom 20.1.2004 - 1 StR 319/03 - JR 2004, 469, 470 ; BGH, Urteil vom 5.7.2007 - 4 StR 549/06 - BGHR StGB § 223 Abs 1 Heileingriff 8 = MedR 2008, 158, 159; BGH, Urteil vom 23.10.2007 - 1 StR 238/07 - MedR 2008, 435, 436 <"Turboentzug">; dazu auch Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 223 RdNr 9, 15 ff, § 228 RdNr 12 ff).

39

c) Der erkennende Senat entwickelt seine bisherige Rechtsprechung zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG für die besondere Fallkonstellation des als vorsätzliche Körperverletzung strafbaren ärztlichen Eingriffs weiter.

40

In aller Regel wird zwar eine Handlung, die den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt, eine Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG sein. Die Verletzungshandlung im OEG hat jedoch durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" - allerdings in Anknüpfung an die Vorschriften des StGB - eine eigenständige gesetzliche Ausprägung gefunden (vgl hierzu BSG, Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 235 f = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 8 f; BSG, Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38; BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56). Das bedeutet, dass nicht jeder als vorsätzliche Körperverletzung strafbare ärztliche Eingriff zugleich ein "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung sein muss.

41

Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass ärztliche Eingriffe - wie die gesamte Tätigkeit des Arztes - von einem Heilauftrag iS des § 1 Abs 1 Bundesärzteordnung(danach dient der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes; vgl dazu auch § 1 Abs 1 Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte) bestimmt werden (vgl hierzu Laufs in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Aufl 2009, S 17 f; Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2. Aufl 2008, S 233 f). Ärztliche Eingriffe werden demnach grundsätzlich in der Absicht durchgeführt, zu heilen und nicht in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten einzuwirken. Zum anderen ergibt sich die Strafbarkeit eines ärztlichen Eingriffs als vorsätzliche Körperverletzung gerade aus der Verknüpfung von vorsätzlichem Aufklärungsmangel, Fehlen einer wirksamen Einwilligung und damit rechtswidrigem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Eine strafbare vorsätzliche Körperverletzung kann bei einem ärztlichen Eingriff bereits dann vorliegen, wenn der Arzt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat und der Patient die Einwilligung zum ärztlichen Eingriff bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht erteilt hätte. Es sind deshalb durchaus Fälle denkbar, bei denen der vorsätzliche Aufklärungsmangel zwar zu einer strafbaren vorsätzlichen Körperverletzung führt, es wegen einer vorhandenen Heilungsabsicht jedoch nicht gerechtfertigt ist, den ärztlichen Eingriff als eine gezielte gewaltsame Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten, mithin als eine feindselige Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG, zu bewerten(vgl etwa den der Entscheidung des BGH vom 20.1.2004 - 1 StR 319/03 - JR 2004, 469 zugrunde liegenden Fall der Durchführung einer zweiten Operation zur Bergung einer bei der ersten Operation abgebrochenen Bohrerspitze bei unterlassener Aufklärung über Grund und Anlass der Maßnahme).

42

Für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs müssen deshalb - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten ist. Nach Auffassung des erkennenden Senats wird ein Patient unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG dann zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintangestellt hat. Mit dem Abstellen auf das Wohl des Patienten werden neben den Fällen der Heilung einer behandlungsbedürftigen Erkrankung auch die Fälle reiner Schönheitsoperationen erfasst, also Fälle, in denen ohne jede medizinische Indikation allein den Schönheitsvorstellungen des Patienten dienende Eingriffe (s § 52 Abs 2 SGB V)vorgenommen werden.

43

Soweit der Beklagte mit der Revision einwendet, das besondere Vertrags- und Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestatte die Annahme einer feindseligen Willensrichtung bei einem operativen Eingriff nur dann, wenn dies bestimmte äußere Umstände nahelegten, etwa wenn sich der Operierende fälschlich als Arzt ausgebe, vermag ihm der Senat nicht in vollem Umfang zu folgen. Allein der Umstand, dass ein in keiner Weise zum Wohle des Patienten handelnder Operateur Arzt ist, kann die Annahme einer feindseligen Haltung nicht ausschließen. Auch ein Vertrags- und Vertrauensverhältnis, das der Arzt in rücksichtsloser, krimineller Weise verletzt, hindert es nicht, eine feindselige Willensrichtung bei der Operation anzunehmen, wenn die vom Senat als maßgebend angesehenen Umstände vorliegen. Ebenso wenig greift der Einwand durch, dass der Eingriff in die körperliche Integrität dann seine feindselige Qualität verliere, wenn im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses die Einwilligung zur Operation vorliege. Eine durch Täuschung erschlichene Einwilligung ist unwirksam. Sie steht daher weder einer Strafbarkeit noch der Bejahung einer Gewalttat entgegen.

44

Mit der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland stimmt der Senat dahin überein, dass ärztliche Kunstfehler für sich genommen keine Gewalttaten iS des § 1 OEG sind. Denn Kunstfehler sind sorgfaltswidrige Verstöße gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, die lediglich eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB oder fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB begründen (vgl dazu Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 223 RdNr 13c). Stellt der ärztliche Eingriff allerdings einen tätlichen Angriff dar, so ist es unerheblich, ob dabei Kunstfehler unterlaufen. Denn der Vorsatz des Täters muss sich nicht auf die eingetretene Schädigung beziehen (vgl BSG, Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 4; BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 57).

45

d) Gemessen an diesen Kriterien sind die von dem Gynäkologen im Jahr 2000 durchgeführten kosmetischen ärztlichen Eingriffe - im Ergebnis übereinstimmend mit dem SG und dem LSG - nicht nur als strafbare vorsätzliche gefährliche Körperverletzungen iS der §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 StGB, sondern auch als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit der Klägerin iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzusehen. Denn sie dienten aus der Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohl der Klägerin.

46

Das LSG hat dazu Folgendes festgestellt: Die Klägerin litt zum Zeitpunkt der Operationen neben dem erheblichen Übergewicht an Koronarinsuffizienz, Bluthochdruck, Lungeninsuffizienz, insulinpflichtigem Diabetes mellitus sowie einer Darmerkrankung. Obwohl sie den Gynäkologen auf ihre Vorerkrankungen aufmerksam gemacht hatte, wies sie dieser vor den Eingriffen bewusst nicht darauf hin, dass bei ihr mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, zu rechnen war. Die notwendige Aufklärung unterließ der Gynäkologe aus finanziellen Motiven, weil ihm klar war, dass die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung von den Operationen abgesehen hätte. Darüber hinaus täuschte er die Klägerin über seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können. Die an der Klägerin vorgenommenen Eingriffe waren insgesamt gesehen weder von einer objektiven noch einer subjektiven Heilungstendenz getragen. Das Landgericht hat beide kosmetischen ärztliche Eingriffe als strafbare vorsätzliche gefährliche Körperverletzungen gemäß §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 StGB bewertet und den Gynäkologen deswegen zu Freiheitsstrafen verurteilt.

47

Diese Tatsachenfeststellungen des LSG sind für den Senat bindend (§ 163 SGG), denn der Beklagte hat dagegen in der Revisionsbegründung keine zulässigen und begründeten Verfahrensmängel vorgebracht. Soweit er darin die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG)des LSG angreift, hat er schon nicht dargelegt, dass die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten wurden, also gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen worden ist (stRspr; vgl etwa schon BSG SozR Nr 34 und Nr 56 zu § 128 SGG; hierzu auch BSG, Urteil vom 8.11.2005 - B 1 KR 18/04 R - SozR 4-2500 § 44 Nr 7 RdNr 16; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 10 ff). Der Senat hat deshalb bei der Beurteilung der Rechtslage von den Tatsachenfeststellungen des LSG auszugehen. Danach hat sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen Interessen leiten lassen und die gesundheitlichen Belange der Klägerin - gerade auch im Hinblick auf die erheblichen Vorerkrankungen - in sträflicher Weise hintangestellt.

48

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
3.
die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird.

(3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.

(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.

(1) Gefangene, die sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften

1.
einen Anstaltsbeamten, einen anderen Amtsträger oder einen mit ihrer Beaufsichtigung, Betreuung oder Untersuchung Beauftragten nötigen (§ 240) oder tätlich angreifen,
2.
gewaltsam ausbrechen oder
3.
gewaltsam einem von ihnen oder einem anderen Gefangenen zum Ausbruch verhelfen,
werden mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen wird die Meuterei mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter

1.
eine Schußwaffe bei sich führt,
2.
eine andere Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, um diese oder dieses bei der Tat zu verwenden, oder
3.
durch eine Gewalttätigkeit einen anderen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(4) Gefangener im Sinne der Absätze 1 bis 3 ist auch, wer in der Sicherungsverwahrung untergebracht ist.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 27.05.2009 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten wegen Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Die 1975 geborene Klägerin, für die ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 (Änderungsbescheid des Beklagten vom 29.11.2012) wegen einer seelische Störung, posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), rezidivierenden depressiven Störung (Einzel-GdB 40) und einer Multiplen Sklerose (MS; Einzel-GdB 30), festgestellt wurde, stellte am 16.04.2007 beim Beklagten Antrag auf Beschädigtenversorgung. Als Gesundheitsstörungen gab sie PTBS sowie MS an. Die zugrunde liegende Gewalttat schilderte die Klägerin wie folgt: Da sie ihre damalige Beziehung beendet habe, sei ihr damaliger Freund, ein gewisser J. F. - damals wohnhaft B-Straße, B-Stadt - am 31.05.1995 ausgerastet, habe sie in die Wohnung eingesperrt und beinahe umgebracht. Sie habe J. F. nicht angezeigt, weil dessen Bruder ihr versprochen habe, mit ihm zu einer Therapie zu gehen. Sie habe auch keinen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen ihn geltend gemacht. Zeugen konnte die Klägerin nicht mehr ausfindig machen. Sie legte eine von ihren Eltern unterschriebene Erklärung vom 02.05.2007 vor, die wie folgt lautet: „Es war lautes Hupen vor dem Haus. Wir haben aus dem Fenster geschaut. S. saß in ihrem Auto und getraute sich nicht auszusteigen. Dahinter stand noch ein Auto, das von J., und er stand auf der Straße. Ich ging sofort hinunter. S. stieg aus und ging mit mir zur Hoftüre. J. wurde zudringlich und wollte auch mit auf das Grundstück. Ich musste ihn handgreiflich zurückhalten und drohte mit der Polizei. S. ging mit mir ins Haus. J. stand noch längere Zeit auf der Straße in der Nähe des Hauses. Wir beobachteten dies und hatten die Befürchtung wegen Beschädigung des Autos. Er war dann verschwunden. Er hatte unsere Spielesammlung in G. aus seinem Auto geworfen. Nachdem er weg war, warteten wir noch etwas und ich fuhr mit nach G ... Wir fanden auch die Spielesammlung. S. war sehr verängstigt, wollte aber nicht sagen, was vorgefallen war. Später erzählte sie ihrer Mutter, dass er sie in seiner Wohnung festgehalten hat, als sie gehen wollte. Sie konnte sich losreißen, das Fenster öffnen und um Hilfe rufen.“

Mit Schreiben vom 04.09.2007 erstattete die Klägerin Anzeige gegen den beschuldigten Ex-Freund bei der Staatsanwaltschaft B-Stadt, die das Ermittlungsverfahren wegen Verjährung einstellte. In dem Schreiben schilderte die Klägerin folgende Ereignisse: Vor der behaupteten Gewalttat sei die Klägerin mit J. F. und ihrer Clique in einer Disco gewesen. Bereits dort habe sie ihm gesagt, dass es mit der Beziehung aus sei. J. F. habe sich schon in der Disco unbeherrscht verhalten. Daher habe sie J. F. zunächst nicht nach Hause fahren wollen, es dann aber doch getan. Sie, die Klägerin, habe dann noch Sachen aus J. F. Wohnung holen wollen; es sei etwa ein Uhr gewesen. J. F. habe die Wohnungstür verschlossen, den Telefonstecker herausgezogen und mit der Klägerin eine Rangelei angefangen. Es habe ein langer Kampf begonnen, doch J. F. sei viel stärker gewesen. Er habe ihre Arme festgehalten, sie verdreht, so dass sie vor Schmerzen zusammengesunken sei. Er habe sie in den Schwitzkasten genommen und ins Schlafzimmer gezerrt. Er habe die Klägerin auf das Bett geworfen, sich auf sie gelegt und sie mit der rechten Hand bis kurz vor die Bewusstlosigkeit gewürgt; er hätte sie fast umgebracht. Sie habe ihm dann - auch aus Angst vor einer Vergewaltigung - zu verstehen gegeben, dass sie sich ergebe. Sie habe ihm vorgespiegelt, mit der Beziehung sei alles wieder in Ordnung. Er habe von ihr abgelassen, sei wie ausgewechselt gewesen. Daraufhin sei sie ans Fenster gestürzt und habe um Hilfe gerufen habe. Dann sei es wieder zu jeder Menge Rangelei gekommen. Endlich hätten zwei Polizisten an der Tür geklingelt, woraufhin J. F. wieder ganz brav dagestanden sei. Sie, die Klägerin, sei in Anwesenheit des J. F. nicht bereit gewesen, diesen anzuzeigen. Die Polizisten hätten ihr zugesichert, unten zu warten, bis sie weggefahren sei, und sie dann wegfahren lassen. J. F. habe die Polizisten übertölpelt, indem er zur Hintertür raus sei. Er sei der Klägerin nachgefahren. Es sei zu einer Horrorfahrt gekommen (ständiges Bedrängen mit dem Auto, kriminelles Überholen, Ausbremsen). Als er wieder einmal überholt gehabt habe, habe er im Ort G. sein Auto quer über die Straße gestellt, sich auf die Straße geworfen und die Klägerin aufgefordert, sie solle ihn doch überfahren, wenn sie ihn nicht mehr liebe. Als die Klägerin aber nicht ausgestiegen sei, habe J. F. wieder getobt. Auch eine andere Autofahrerin habe gesehen, wie dieser randaliert und einen Spielekoffer aus dem Auto geworfen habe. J. F. sei dann verschwunden und sie sei anschließend zu ihren Eltern nach D-Stadt gefahren, wo sie zu dieser Zeit gewohnt habe. Dort habe er in einer Seitenstraße gewartet. Vor dem Haus der Eltern habe J. F. wieder randaliert. Sie sei wiederum nicht ausgestiegen, sondern habe gehupt (ca. vier Uhr). Ihr Vater habe ihr dann aus dem Auto geholfen und sie beschützt.

Die Klägerin teilte dem Beklagten mit, persönlich und gesundheitlich sei sie nicht in der Lage gewesen, ihren Ex-Freund früher anzuzeigen. Dass die MS durch die Gewalttat verursacht sei, ergebe sich schon allein aus dem nahen zeitlichen Zusammenhang. Sie habe ständig auftretende Flashbacks aus den damaligen Erlebnissen.

Mit Bescheid vom 16.01.2008 lehnte der Beklagten den Antrag auf Opferentschädigung mit Verweis auf § 2 Abs. 2 OEG ab. Die Klägerin habe es unterlassen, Anzeige gegen J. F. zu erstatten und somit das ihr Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen. Durch ihr Verhalten habe die Klägerin dem Beklagten die Möglichkeit genommen, im Fall einer Leistungsbewilligung Schadensersatzansprüche gegen den Kläger durchzusetzen. Zudem mache der lange Zeitablauf die Beurteilung der medizinischen Kausalität fast gänzlich unmöglich; diese Verstärkung der Beweisnot gehe zulasten der Klägerin.

Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 06.02.2008 Widerspruch ein. Zur Begründung brachte sie im Wesentlichen vor, die Ermessensentscheidung des Beklagten beruhe nicht auf einem vollständig und richtig ermittelten Sachverhalt. Bezüglich der Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Strafanzeige sei der Befundbericht der behandelnden Psychotherapeutin T. vom 25.09.2007 nicht beachtet worden. Ab 1996, so die Klägerin, sei der Lebensweg von der MS geprägt gewesen. Sie habe in dieser Phase keinen Zusammenhang mit dem Erlebnis von 1995 hergestellt. Einen eigenen Schaden habe die Klägerin erst 2005 realisiert, so dass für sie vorher kein Grund bestanden habe, einen solchen geltend zu machen. Zusammenfassend sei die Strafanzeige nicht aus Nachlässigkeit, sondern ausschließlich krankheitsbedingt bzw. in Unkenntnis der Zusammenhänge unterlassen worden sein. Generell hätte eine frühere Anzeige keine bessere Aufklärbarkeit bewirkt. Gerade die Schwere der Erkrankung lasse eine Entschädigung aus Steuermitteln angemessen erscheinen.

Der Beklagte schaltete sodann den ärztlichen Dienst ein, um zu ermitteln, ob ein Kausalzusammenhang zwischen der angeblichen Gewalttat und den Gesundheitsstörungen MS und PTBS herstellbar sei; es wurden zahlreiche medizinische Unterlagen ausgewertet. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.05.2008 wurde kein enger zeitlicher Zusammenhang gesehen. Neben der Belastung durch das Gewaltereignis lägen bei der Klägerin weitere Belastungen vor wie z. B. Mobbing am Arbeitsplatz. Mehrere Familienmitglieder hätten Depressionen. Von ihrer Mutter sei die Klägerin geschlagen worden. Ab 1994 habe die Klägerin in verschiedenen Berufen gearbeitet und sei ab 1995 vielfältig ehrenamtlich tätig gewesen, z. B. als Gruppenleiterin, Jugendleiterin und stellvertretende Diözesanjugendsprecherin. Sie sei also nach dem Ereignis erfolgreich tätig gewesen. Der von der Klägerin behauptete Kausalzusammenhang sei nicht herstellbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff sei nicht nachgewiesen. Hierfür gebe es keine Zeugen. Die Eltern der Klägerin hätten lediglich angegeben, dass die Klägerin am 31.05.1995 sehr verängstigt bei ihnen eingetroffen sei und nicht erzählen habe wollen, was vorgefallen sei. Es lägen auch keine zeitnahen ärztlichen Befundberichte vor, die Verletzungsfolgen dokumentieren würden. Auch sei von der Klägerin keine Strafanzeige nach dem Vorfall erstattet worden. Ungeachtet des Fehlens des Nachweises einer Gewalttat sei nach Auswertung der vorliegenden Befunde auch kein Kausalzusammenhang zwischen der geltend gemachten Gewalttat und den vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nachgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.07.2008 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie u. a. vorgetragen, dass sie aufgrund der tatbedingten Folgen des Übergriffs nicht in der Lage gewesen sei, zeitnah eine Strafanzeige zu erstatten oder gegenüber anderen Personen von dem Vorfall zu berichten. Zudem sei sie davon abgehalten worden, da der Bruder von J. F. ihr versichert habe, mit ihm zu einer Therapie zu gehen. Auch habe ihr Vater ihr abgeraten, da sie doch keinen Arbeitskollege von ihm, dem Vater, anzeigen könne. Hierdurch sei die Klägerin völlig lahmgelegt und paralysiert worden. Die Tat sei von ihren Eltern bagatellisiert worden. Für eine PTBS sei typisch, dass diese auch erst nach langem Zeitablauf virulent werde. Die Klägerin hat die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeregt. Soweit im Widerspruchsbescheid auch noch auf schädigungsfremde Belastungsfaktoren hingewiesen werde, gehe auch dieses fehl. Ausweislich des Berichts der behandelnden Therapeutin sei eindeutig der Vorfall vom 31.05.1995 für die beiden genannten Gesundheitsstörungen verantwortlich und nicht irgendwelche sonstigen möglichen Probleme mit Eltern oder an einer Arbeitsstelle.

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) hat das SG mit Beschluss vom 27.02.2009 mangels Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung abgelehnt. Das SG hat keine Ermittlungen durchgeführt, sondern die Beteiligten mit Schreiben vom 08.05.2009 darüber informiert, dass es eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtige. Daraufhin hat der Beklagte sein Einverständnis erteilt; die Klägerin hat darauf hingewiesen, dass die Streitsache weder im rechtlichen noch im tatsächlichen Bereich als einfach anzusehen sei und dass der Sachverhalt ebenso wenig als geklärt gelten könne. Mit der vorgeschlagenen Verfahrensweise bestehe daher kein Einverständnis.

Dessen ungeachtet hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 27.05.2009 die Klage abgewiesen. Es sei nicht mit der notwendigen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass die Klägerin einem Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG ausgesetzt gewesen sei. Die Klägerin habe keine Zeugen für den Angriff benennen können; eine Vernehmung des J. F. erscheine untunlich. Soweit vorgetragen worden sei, dass die Klägerin ihrer Mutter erzählt habe, dass sie in der Wohnung des damaligen Lebensgefährten festgehalten worden sei, stelle dies keinen Nachweis im Sinne des Vollbeweises dar. Im Übrigen wäre, so das SG, auch hierdurch ein aggressives Einwirken auf die Klägerin nicht nachgewiesen. Allein die Stellungnahmen der Klägerin im Rahmen ihrer letztlich erfolglosen Anzeige, ärztlicher Behandlungen oder der Antragstellung beim Versorgungsamt B-Stadt würden keinen Nachweis im Sinne des Vollbeweises darstellen. Es sei auch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Angriffs im Sinne von § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) gegeben. Dabei spreche unter anderem gegen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin nicht in zeitnahem Abstand zu dem von ihr geschilderten Ereignis eine entsprechende Anzeige erstattet habe und auch gegenüber ihrer Mutter nicht unmittelbar am selben Abend von derart dramatischen Ereignissen, sondern erst später und auch nur dahingehend berichtet habe, dass sie in der Wohnung festgehalten worden sei. Unabhängig davon habe der Beklagte zu Recht einen Versagungsgrund nach § 2 Abs. 2 OEG angenommen.

Am 08.07.2009 hat die Klägerin hiergegen Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, dass sie zu ihren Eltern ein hochproblematisches Verhältnis habe, wobei Schläge durch die Mutter zu erwähnen seien. Daher sei es nicht zu erwarten, dass sie sich ihren Eltern gegenüber in vollem Umfang geöffnet hätte; dies habe das SG übergangen. Hinzu komme jedoch vor allem, dass die Klägerin zunächst paralysiert gewesen sei. Die Klägerin hat beantragt, die Eltern als Zeugen zu hören. Weiter hat sie darauf hingewiesen, dass von sämtlichen Behandlern ihre Angaben, die in konstanter Art und Weise erfolgt seien, als glaubhaft angesehen worden seien. Die aus dem Vorfall folgenden gesundheitlichen Schädigungen seien dem Vollbeweis bei einer Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zugänglich, „das nunmehr auf jeden Fall in der Berufungsinstanz einzuholen sein“ werde. Im Hinblick auf die Versagung der Leistung (§ 2 Abs. 2 OEG) sei an den Grundsatz zu erinnern, dass Rechtsnachteile grundsätzlich nur dann entstehen dürften, wenn eine schuldhafte Pflichtverletzung vorliege. An einer solchen fehle es jedoch, da die Klägerin nach den medizinischen Berichten zunächst gar nicht in der Lage gewesen sei, über den Angriff und das Geschehen zu berichten. Mit Schriftsatz vom 13.08.2009 hat der Beklagte einen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff als nicht nachgewiesen erachtet. Die Einvernahme weiterer Zeugen werde nur dann für sachdienlich gehalten, wenn diese aus eigener Wahrnehmung Angaben zum Tathergang machen könnten.

Mit Beschluss vom 23.07.2010 hat der Senat den Antrag auf PKH wegen Mitgliedschaft der Klägerin beim VdK abgelehnt.

Am 21.12.2010 hat (in Nürnberg) ein Erörterungstermin des Senats stattgefunden, an dem auf Antrag der Klägerin auch die Diplom-Psychologin T. als Begleiterin teilgenommen hat. Die Klägerin hat u. a. angegeben, dass die Polizisten damals von der Polizeiinspektion B-Stadt-Stadt, B-Straße, gekommen seien. Zudem hat sie das Datum der Tat berichtigt. Der Vorfall habe sich am 31.05.1996 ereignet. Dies sei der Klägerin zunächst nicht mehr bewusst gewesen. Sie habe also bereits zwei Monate nach der Tat einen Psychiater aufgesucht.

Auf gerichtliche Anforderung hat die Klägerseite sodann mehrere mittelbare Zeugen genannt. Im Folgenden hat der Senat bei der Polizeiinspektion B-Stadt-Ost (B-Straße) nachgefragt. Mit Schreiben vom 09.08.2011 ist von dort mitgeteilt worden, dass zu dem genannten Vorfall bei der hiesigen Dienststelle keinerlei Einsatzdaten vorliegen würden. Weder zur Klägerin noch zu einem J. F. lägen Erkenntnisse vor. Weiterhin sei zu bemerken, dass es in B-Stadt keine B-Straße, jedoch eine C-Straße gebe. Im Anwesen Nr. 8 sei es zum genannten Zeitpunkt zu keinem polizeilichen Einsatz gekommen. Mit Schriftsatz vom 11.08.2011 hat der Beklagte mitgeteilt, dass, selbst wenn die angebotenen Zeugen entsprechend der Schilderung der Klägerseite aussagen würden, nach Auffassung des Beklagten ein Angriff (körperliche Misshandlung bzw. Würgen bis zur Bewusstlosigkeit) gegen die Klägerin weder nachgewiesen noch als glaubhaft im Sinne des § 15 KOV-VfG anzusehen sei. Die von den Zeugen möglicherweise bestätigten Handlungen (Stellen vor das Auto, Toben vor dem Haus der Eltern, Sachbeschädigung eines Automaten und verbale Übergriffe) könnten nach Auffassung des Beklagten - u. a. unter Berücksichtigung des „Stalking-Urteils“ des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.04.2011 (Az.: B 9 VG 2/10 R) - ebenfalls nicht als unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen werden.

Am 02.01.2014 hat die Klägerin Verzögerungsrüge erhoben.

Auf gerichtliche Nachfrage hat die Polizeiinspektion A-Stadt am 17.03.2014 mitgeteilt, dass auch über das Jahr 1996 keine Einsatz-Datenbestände mehr vorlägen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 11.03.2014 ist die Klägerbevollmächtigte darauf hingewiesen worden, dass es entsprechend bereits einem früheren gerichtlichen Hinweis vorliegend nicht mehr um die Überprüfung einer Ermessensentscheidung gehe, da der Beklagte die Begründung seiner Ablehnungsentscheidung im Widerspruchsbescheid ausgetauscht habe. Weiter ist deutlich gemacht worden, dass keine Beweiserhebung zu der abstrakten Frage für notwendig angesehen werde, ob Traumapatienten oft erstmals Jahre oder Jahrzehnte nach dem Erlebnis über ihr Trauma sprechen könnten. Zudem hat das Gericht aktuelle Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt, nämlich vom Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Dipl.-Psych. H., vom Orthopäden Dr. I. und von der Allgemeinmedizinerin Dr. K.; zudem hat es einen Entlassungsbericht des Behandlungszentrums für MS-Patienten K. ausgewertet. Sodann hat das Gericht den Zeugen J. F. ausfindig gemacht und ihn zunächst schriftlich befragt.

In der mündlichen Verhandlung des Senats am 21.04.2015 sind dieser und die Eltern der Klägerin als Zeugen einvernommen worden.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des SG vom 27.05.2009 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.2008 zu verurteilen, als Schädigungsfolgen im Sinne des OEG MS sowie PTBS festzustellen und Versorgung zu gewähren

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegen-stand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist, wie das SG zu Recht entschieden hat, nicht nachgewiesen.

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.

Bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette) geht der Senat von folgenden rechtlichen Maßgaben aus (vgl. z. B. Urteil v. 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09; zum Ganzen vgl. auch BSG, Urteile v. 17.04.2013, Az.: B 9 V 1/12 R sowie Az.: B 9 V 3 /12 R, und v. 16.12.2014, Az.: B 9 V 1/13 R):

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass die Verletzungshandlung im OEG entsprechend dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das Strafgesetzbuch (StGB) geregelt ist (BSG, Urteil v. 07.04.2011, Az.: B 9 VG 2/10 R, m. w. N.). Gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen Be-griffs des „tätlichen Angriffs“ (vgl. insbesondere BSG, Urteil v. 28.03.1984, Az.: B 9a RVg 1/83, BSGE 56, 234, 235 f). Die Auslegung hat sich mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (z. B. einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst (st. Rspr. seit 1995; vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011, a. a. O., m. w. N.). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat das BSG vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden (z. B. Urteil v. 29.04.2010, Az.: B 9 VG 1/09 R, BSGE 106, 91).

Der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist also grundsätzlich unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, a. a. O., m. w. N.).

Die von der Klägerin geltend gemachte Handlung des Würgens und der intensiven körperlichen Bedrängung durch den Beschuldigten muss jedoch nachgewiesen sein. Wie der Senat wiederholt (vgl. z. B. Urteil vom 05.05.2015, Az.: L 15 VG 31/12) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92; Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 128, Rdnr. 3b).

Dieses Erfordernis ist vorliegend nicht erfüllt. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens hält der Senat es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß für erwiesen, dass die Klägerin am 31.05./01.06.1996 von dem Zeugen J. F. bis fast zur Bewusstlosigkeit gewürgt und massiv körperlich bedrängt worden wäre.

Im Einzelnen würdigt der Senat die vorliegenden Beweismittel wie folgt:

1. Der in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeuge J. F. hat den von der Klägerin behaupteten Vorgang nicht bestätigt. Er hat lediglich erklärt, sich zwar an die Beziehung mit der Klägerin vor ca. zwei Jahrzehnten, nicht jedoch an ihr Ende erinnern zu können; an einen Vorfall in der genannten Diskothek hatte der Kläger nach seinen Angaben ebenfalls keine Erinnerung mehr. Der Senat sieht vor allem auch nach dem Eindruck aus der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln, auch wenn dessen Interesse nicht von der Hand zu weisen ist, in keinem Fall als Täter dazustehen. Dabei ist u. a. zu beachten, dass der Zeuge im Hinblick auf Verjährung keine strafrechtlichen Sanktionen mehr zu befürchten hätte. Auch wenn der Zeuge nur sehr knappe Angaben gemacht hat, erlaubt dies nach Auffassung des Senats im Übrigen nicht den Verdacht, dass er etwas zu verbergen versucht habe. Denn seine Aussage ist generell (u. a. bereits bei den Angaben zur Person) dadurch gekennzeichnet gewesen, dass sie „mit dürren Worten“ erfolgt ist; der Zeuge ist wortkarg und wenig sprachgewandt erschienen.

2. Auch die als Zeugen vernommenen Eltern der Klägerin haben die geltend gemachten Handlungen des Würgens und der intensiven körperlichen Bedrängung nicht bestätigen können. Sie haben lediglich die von der Klägerin geschilderten Vorgänge in der angeblichen Tatnacht vor ihrem Wohnhaus in D-Stadt bestätigt. Danach steht aus Senatssicht fest, dass sich die Klägerin und der Beschuldigte in einer „emotional aufgewühlten Situation“ befunden haben. Im Einzelnen dürfte aus den Schilderungen folgen, dass die Klägerin vor J. F. Angst gehabt und dass sich dieser aggressiv verhalten hat. Der Senat geht daher davon aus, dass sich zwischen den beiden bereits vor dem Eintreffen in D-Stadt durchaus (größere) Auseinandersetzungen oder Ähnliches zugetragen haben dürften; welcher Art diese Auseinandersetzungen gewesen sind, bleibt jedoch völlig offen. Insbesondere ergibt sich aus den Vorgängen in D-Stadt in keinem Fall ein zwingender Rückschluss auf die von der Klägerin geschilderten Handlungen. Im Gegenteil ergeben sich sogar erhebliche Widersprüche zwischen der Schilderung der Klägerin einer- und den Angaben der Eltern andererseits im Hinblick auf die Uhrzeit der Vorgänge vor dem elterlichen Haus. So spricht aus Sicht des Senats - u. a. wegen der Detailliertheit der Angaben hinsichtlich der Uhrzeit - Einiges dafür, dass die Aussagen der Eltern zutreffend und die Klägerin und der Beschuldigte viel früher in D-Stadt angekommen sind, als die Klägerin angegeben hat. Daraus folgt jedoch, dass sich die Vorgänge nicht genau so zugetragen haben können, wie es die Klägerin dargestellt hat. Insbesondere war der Zeitraum, in dem der Beschuldigte bereits aggressives Verhalten gezeigt haben bzw. „ausgeflippt“ sein soll, wohl erheblich kürzer. Darüber hinaus hat die Mutter der Klägerin vor dem Senat die Schilderung ihrer Tochter berichtet, dass diese von J. F. in der Wohnung festgehalten worden sei, worauf sie um Hilfe gerufen habe und die Polizei gekommen sei. Auch diese Angabe der Zeugin lässt jedoch keine Annahme und nicht einmal eine Vermutung zu, inwieweit das geschilderte Geschehen (Würgen, massive körperliche Bedrängung der Klägerin) sich tatsächlich zugetragen hat. Vielmehr ergeben sich erhebliche Zweifel, da die Zeugin ausdrücklich erklärt hat, dass die Klägerin von einem Würgen in der Tatnacht gar nicht gesprochen und sie, die Zeugen, keinerlei Würge- oder weitere Spuren körperlicher Gewalt an der Klägerin bemerkt habe. Andererseits hat die Mutter der Klägerin erklärt, dass sie mit dieser zum Arzt gegangen wäre, wenn sie äußere Merkmale einer Gewalttat gesehen hätte. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine nachvollziehbare Erklärung dafür, weshalb die Eltern der Klägerin Würgespuren an deren Hals nicht hätten bemerken sollen.

3. Ebenso wenig vermag sich der Senat allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu bilden. Zwar kann sich eine Entscheidung in freier Beweiswürdigung grundsätzlich jedenfalls dann allein auf den Beteiligtenvortrag stützen, wenn dieser glaubhaft ist - wobei „glaubhaft“ hier nicht im Sinn einer Herabsetzung des Überzeugungsmaßes verstanden werden darf -, der Lebenserfahrung entspricht und nicht zu anderen festgestellten Tatsachen im Widerspruch steht (vgl. Keller, a. a. O., Rdnr. 4; Gutzler, in: SGb 2/2009, S. 73 (76), jeweils m. w. N.; Urteil des Senats v. 05.02.2013, a. a. O.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend aber nicht erfüllt. Zwar hat die Klägerin den schädigenden Vorgang und das Rahmengeschehen relativ detailreich geschildert, was durchaus für einen realen Erlebnisbezug sprechen kann (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl., Rdnr. 310 ff.). Der Senat sieht jedoch bei der Schilderung der schädigenden Handlung durch die Klägerin Defizite in der Plausibilität. Die Klägerin hat angegeben, J. F. habe sie auf das Bett geworfen, sich auf sie gelegt und sie (mit der rechten Hand) bis kurz vor die Bewusstlosigkeit gewürgt; er habe sie fast umgebracht. Sie habe ihm dann vorgespielt, mit der Beziehung sei alles wieder in Ordnung. Er habe von ihr abgelassen und sei wie ausgewechselt gewesen. Daraufhin sei sie ans Fenster gestürzt und habe um Hilfe gerufen. Aus Sicht des Senats ist es nur bedingt nachvollziehbar, dass es die Klägerin trotz Todesangst bewirkt haben soll, dass J. F. wie ausgewechselt war, um dann erneut „wie am Spieß“ um Hilfe zu schreien mit dem Risiko, dass der Beschuldigte wieder über sie herfiel, was schließlich denn auch - nach Angaben der Klägerin - geschehen sein soll. Dieses Verhalten ist wohl allenfalls durch ein Höchstmaß an Panik zu erklären. Dann aber erscheint es dem Senat doch lebensfremd, dass die Klägerin, um den Beschuldigten zu schützen, überhaupt nichts zu den herbeigerufenen Polizeibeamten sagte. Zumindest unverständlich ist weiter auch, dass diese keinerlei Spuren des massiven tätlichen Angriffs und der Auseinandersetzungen in der Wohnung bemerkt haben wie Verletzungen (Würgespuren), Verwüstung, zumindest Panik (vgl. das vorherige Schreien um Hilfe), Verstörtheit der Klägerin etc. Auch bleiben aus Sicht des Senats gewisse Widersprüche hinsichtlich der klägerischen Angaben zur Beziehung mit dem Beschuldigten. So hat die Klägerin angegeben, mit J. F. am 23.01.1995 - dieses Datum wurde später auf „Mitte Januar 1996“ korrigiert - eine anfangs harmonische (intime) Wochenendbeziehung eingegangen zu sein, die gut funktioniert habe, bis der Beschuldigte „nur noch vom Heiraten und Kinderkriegen gesprochen“ habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin dann jedoch ausgesagt, dass die „Sache mit dem Heiraten und Kinderkriegen“ bereits im Februar 1996 begonnen habe. Daraus ergibt sich, dass die Wochenendbeziehung nur sehr wenige Wochen harmonisch gewesen ist. Auf der anderen Seite ist für diese losere Bindung, die in harmonischem Rahmen nur sehr kurz angedauert haben soll, aber sogar ein Paar Ringe mit einer Gravur versehen worden. Der Senat hat daher Zweifel, ob die Beziehung von der Klägerin zutreffend geschildert worden ist. Damit bestehen jedoch auch erhebliche Zweifel an den Rahmenbedingungen für die (angebliche) Tatnacht.

Neben den geschilderten Zweifeln des Senats ergibt sich für diesen auch nicht der geringste objektive Hinweis dafür, dass die Aussagen der Klägerin zutreffend wären. Bis auf die Angaben der Klägerin sind keine objektiven Tatsachen bekannt, die zur Überzeugungsgewinnung des Senats dienen könnten. Insbesondere hat niemand einen entsprechenden Vorfall in B-Stadt bestätigt.

Vielmehr hat sich die Klägerin erst über ein Jahrzehnt später nach der behaupteten Tat auf diese berufen und Ansprüche geltend gemacht, wobei aus einer „verspäteten“ Anzeige freilich nicht ohne Weiteres darauf geschlossen werden, dass sie eher falsch ist (vgl. Bender/Nack/Treuer, a. a. O., Rdnr. 262 ff.).

Einzig die relativ konsistente Schilderung der Klägerin des von ihr angegebenen Geschehens bzw. von entsprechenden Flashbacks bei Fachärzten und die Übernahme dieser Angaben durch die Ärzte im Rahmen der Diagnosen und Therapien könnten als Hinweis auf eine Richtigkeit der Angaben der Klägerin gesehen werden. Aus Sicht des Senats ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Ärzte die Angaben der Klägerin lediglich kritiklos übernommen bzw. nur ungenügend hinterfragt haben, zumal der konkrete Geschehensablauf des Angriffs im Rahmen der Therapie nur eine nachrangige Bedeutung haben dürfte. Auffällig ist zudem, dass sich in den ärztlichen Unterlagen teilweise voneinander abweichende und nicht schlüssige Angaben finden. So spricht z. B. der Bericht der A.-Klinik O. vom 08.05.2006 von der Erstdiagnose der MS im Jahr 1995; die Klägerin gibt aber an, erst im Januar 1996 von ihrem Ex-Freund gewürgt und massiv körperlich bedrängt worden zu sein und erst danach die MS entwickelt zu haben. Auch bezüglich des Beginns der Symptome der PTBS finden sich in den medizinischen Unterlagen verschiedene Angaben. Ob es sich um Ungenauigkeiten der Behandler bei der Anamnesedokumentation oder um teilweise unzutreffende Angaben der Klägerin handelt, muss offen bleiben. Jedenfalls kann nach Auffassung des Senats die relativ konsistente Schilderung und die Reaktion der Ärzte hierauf nicht zu der Beurteilung führen, „dass kein vernünftiger Mensch am Vorliegen des Angriffs noch zweifelt“ (Vollbeweis, s.o.).

4. Im Übrigen hält der Senat die Angaben des Vaters der Klägerin durchaus für glaubhaft, dass diese in der Zeit nach Januar 1996 in ihrem Wesen ruhiger geworden ist, sich von ihrem Freundeskreis ein bisschen zurückgezogen und großes soziales Engagement beim M. Hilfsdienst bzw. durch Gründung und Leitung einer eigenen Jugendgruppe gezeigt hat. Ein zwingender Rückschluss darauf, dass sich daher zu dem genannten Zeitpunkt der von der Klägerin geschilderte Angriff tatsächlich ereignet haben muss, ergibt sich aber gerade nicht. Aus Sicht des Senats erlauben diese von dem Zeugen geschilderten Tatsachen nicht einmal eine in diese Richtung gehende Vermutung. Zum einen erscheint es sogar eher fernliegend, dass nach einem traumatischen Ereignis gerade derartiges engagiertes Handeln gezeigt wird, auch wenn es um ein „Ablenken“ geht, worauf der Zeuge hingewiesen hat. Zum anderen kann ein Rückzug vom Freundeskreis in untergeordnetem Ausmaß ebenso gut mit einer Vielzahl von anderen Ereignissen erklärt werden, wie z. B. mit der (bloßen) Trennung der Klägerin von ihrem Freund. Im Übrigen ergibt sich nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen auch, dass bei der Klägerin unbestritten psychische Probleme bestehen, gegebenenfalls durch die Faktoren „Mobbingsituation am Arbeitsplatz“ und „genetische Disposition“ (Auftreten von Depressionen bei anderen Familienmitgliedern) bedingt; die vom Vater der Klägerin erwähnte Wesensänderung etc. kann also auch durch die psychischen Probleme verursacht sein.

5. Aus Sicht des Senats erscheint es grundsätzlich möglich, dass die Angaben der Klägerin deren psychiatrischen Erkrankungen geschuldet sind, die in den dem Senat vorliegenden Unterlagen dokumentiert sind. Der Senat kann freilich auch nicht ausschließen, dass bei der Klägerin - jenseits einer pathologischen Problematik - eine Gedächtnistäuschung, Erinnerungsfehler o.ä. gegeben sind, wobei zu beachten ist, dass das Tatgeschehen bereits weit zurückliegt. Auszuschließen ist zudem auch nicht, dass bewusstseinsnahe Vorgänge die Klägerin dazu gebracht haben, (auch erst viele Jahre später) einen unzutreffenden Vorwurf gegen ihren früheren Freund zu erheben.

Der Senat war nicht gehalten, positiv festzustellen, aus welchem Grund die Klägerin die vorliegende, den Senat nicht überzeugende Schilderung gegeben hat; daher hat es insoweit auch keines Sachverständigengutachtens bedurft. Die möglichen Erklärungen festigen lediglich den aus anderen Gründen gewonnenen Eindruck, dass der Schilderung nicht gefolgt werden kann.

Auch unter Berücksichtigung des weniger strengen Beweismaßstabs der Glaubhaftmachung ergibt sich vorliegend kein anderes Ergebnis

Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOV-VfG kann prinzipiell auch im Hinblick auf solche Tatsachen anwendbar sein, die in Zusammenhang mit einer Schädigung stehen, welche vom OEG erfasst wird. Zwar wollte der Gesetzgeber ursprünglich nur der Beweisnot entgegenwirken, in der sich Antragsteller befanden, weil sie durch Kriegsereignisse (wie Flucht, Vertreibung, Bombenangriffe etc.) die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte, Urkunden etc. nicht mehr erlangen konnten. Mit der Verweisung in § 6 Abs. 3 OEG hat der Gesetzgeber jedoch der Beweisnot derjenigen Verbrechensopfer Rechnung tragen wollen, bei denen die Tat ohne Zeugen geschehen ist und bei denen sich der Täter einer Feststellung entzogen hat, mithin andere Beweismittel als die eigenen Angaben des Betroffenen nicht zur Verfügung stehen (vgl. BSG v. 31.05.1989, Az.: B 9 RVg 3/89; BSG v. 17.04.2013, a. a. O.; vgl. auch die Entscheidung des Senats v. 17.08.2011, Az.: L 15 VG 21/10). Die Beweiserleichterung gilt nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 31.05.1989, a. a. O.) - gewissermaßen in einer zweiten Stufe einer erweiterten Auslegung - zudem nicht nur für das Verwaltungsverfahren, sondern auch im gerichtlichen Verfahren, weil sie, so das BSG, nicht nur das Verfahren der Verwaltung regle, sondern „materielles Beweisrecht“ enthalte (a. a. O.). Weiter darüber hinaus (dritte Stufe) soll sie schließlich sogar mitunter in Fällen anwendbar sein, in denen Zeugen als Beweismittel vorhanden sind (BSG, Urteil vom 17.04.2013, a. a. O.): Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOV-VfG ist nach der Rechtsprechung des BSG auch dann heranzuziehen, wenn es für den schädigenden Vorgang an Tatzeugen mangelt, weitere Zeugen aber vorhanden sind, wobei der als Zeuge im sozialgerichtlichen Verfahren zu vernehmende beschuldigte Täter kein Zeuge im Sinne dieser Rechtsprechung sein soll. Das BSG hat hierzu ausgeführt (a. a. O.):

„Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind... nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl. §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind.“

Aus Sicht des Senats stößt eine solche dreifach erweiterte Auslegung des § 15 Satz 1 KOV-VfG bereits im Hinblick auf den klaren Wortlaut der Vorschrift auf Bedenken. Mag die grundsätzliche Anwendung für OEG-Verfahren im Hinblick auf die gesetzliche Anordnung in § 6 Abs. 3 OEG noch unbedenklich sein und mag die analoge Anwendung für gerichtliche Verfahren den Bereich des Zulässigen noch nicht überschritten haben, erscheint eine weitere Ausdehnung von § 15 Satz 1 KOV-VfG auf Fälle, in denen (im sozialgerichtlichen Verfahren) zwar Zeugen vorhanden sind, die eben nur nicht das Begehren des Opfers stützen (wie oftmals der Täter oder weitere Zeugen, die die Tat nicht unmittelbar beobachtet haben), problematisch. Denn die Annahme, dass die Beweisnot des Opfers identisch sei in den Fällen einerseits des leugnenden und andererseits des unerkannt gebliebenen Täters, erscheint sachlich nicht unangreifbar. Selbst der leugnende Täter wird in vielen Fällen (unbewusst) Angaben machen, die eine Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit zulassen oder die für den Anspruch der Kläger des sozialgerichtlichen Verfahrens durchaus förderlich sein können. Auch ist die Beschränkung auf „Tatzeugen“ nicht nachvollziehbar. So ist der Begriff des „Tatzeugen“ aufgrund der Vielfältigkeit der möglichen Tatumstände nicht klar definierbar. Zudem liegt zwar nahe, dass eine vergleichbare Beweisnot des Opfers besteht, wenn überhaupt kein Zeuge im Umfeld der Tat vorhanden ist. Wenn jedoch z. B. Zeugen vorhanden sind, die unmittelbar Wahrnehmungen aus eigener Anschauung bezüglich unmittelbar im Anschluss an die strafrechtliche Tatbeendigung erfolgter Geschehensabläufe wiedergeben können oder die während der Tat diese selbst zwar nicht beobachtet, jedoch entsprechende eindeutige Beobachtungen gemacht haben, kann von einer vergleichbaren Beweisnot nicht die Rede sein.

Letztlich kann hier jedoch offen bleiben, ob wegen dieser Bedenken des Senats (vgl. im Übrigen die Rechtsprechung v. 17.08.2011, a. a. O., sowie v. 05.02.2013, a. a. O.) und des Vorhandenseins der drei - in der mündlichen Verhandlung vernommenen - Zeugen § 15 KOV-VfG nicht anwendbar ist (weil nicht die Rede davon sein kann, dass andere Beweismittel als die Angaben der Klägerin objektiv nicht vorhanden wären) und ob die Beweiserleichterung deshalb nicht greift, weil die Klägerin diesen Beweisnotstand durch die späte Antragstellung verschuldet haben könnte. Denn selbst wenn man den genannten Maßstab der Glaubhaftigkeit genügen lassen wollte, würde das der Berufung der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen. Im Hinblick auf die obigen Darlegungen können die Aussagen der Klägerin nach Auffassung des Senats nicht als glaubhaft angesehen werden, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für die Möglichkeit des Würgens bis fast zur Bewusstlosigkeit und der massiven körperlichen Bedrängung der Klägerin sprechen würde (vgl. BSG v. 17.04.2013, a. a. O.). Von den in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten kommt der eines solchen Verhaltens des Zeugen F. nicht einmal ein gewisses Übergewicht zu. Aus Sicht des Senats besteht allenfalls eine geringe Möglichkeit für das von der Klägerin geschilderte Geschehen. Der Senat ist der Auffassung, dass besonders viel für die Möglichkeit spricht, dass es an jenem Abend in B-Stadt zu einem die Klägerin emotional belastenden Ereignis gekommen ist. Dabei ist nicht völlig auszuschließen, dass sich ein Angriff in etwa so ereignet hat, wie ihn die Klägerin schildert. Wahrscheinlicher ist unter Verweis auf die obigen Darlegungen aus Sicht des Senats jedoch, dass ein anderer Geschehensablauf gegeben war, wie etwa die Beendigung der Beziehung zwischen der Klägerin und dem Zeugen oder ein massiver Streit beider ohne Gewalttätigkeiten.

Zu weiteren Ermittlungen des Senats bestand keine Veranlassung und keine verfahrensrechtliche Pflicht. 1. Insbesondere waren keine Zeugen aus der oben genannten Diskothek zu vernehmen. Denn aus dem Geschehen in dieser lässt sich nicht auf das konkrete spätere Geschehen schließen. Der Senat hält es grundsätzlich für glaubhaft, dass sich der von der Klägerin Beschuldigte in der Diskothek (jedenfalls gewissem Umfang) aggressiv gezeigt hat. 2. Weiter ist nicht ersichtlich, wohin sonstige Anfragen gerichtet hätten werden können. 3. Zu weiteren - über die Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen hinausgehenden - medizinischen Ermittlungen besteht ebenfalls kein Anlass. Ein Rückschluss von einer psychiatrischen Erkrankung auf die zugrundeliegende Tat ist nicht möglich, sondern zirkelschlüssig (vgl. das Urteil des Senats vom 05.02.2013, a. a. O.; Rademacker, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl., § 1 OEG, Rdnr. 48; Högenauer, MedSach 2006, S. 67 (68)). Auch geben die psychischen Probleme der Klägerin nicht einmal einen (brauchbaren) Hinweis auf die Möglichkeit der Faktizität des geltend gemachten Geschehens. 4. Schließlich ist auch ein aussagepsychologisches Gutachten nicht einzuholen. Zum einen gehört die Würdigung von Aussagen nicht nur Erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut (vgl. Urteil des Senats a. a. O.). Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Beschluss vom 16.12.2002 (Az.: 2 BvR 2099/01) festgestellt hat, stellen die bei der Beweiswürdigung als einem Teil der Rechtsanwendung sich ergebenden aussagepsychologischen Fragen keine abgelegene, sondern eine für Richter ebenso wie für Anwälte zentrale, in der juristischen Fachliteratur ausführlich abgehandelte Materie dar, so dass die Auffassung nachvollziehbar ist, zur Würdigung der Zeugenaussagen sei, mangels besonderer zusätzliche psychologische Kenntnisse erfordernder Umstände, eine Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe nicht erforderlich. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt (vgl. das Urteil des Senats, a. a. O., sowie das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15.12.2011, Az.: L 6 VG 584/11) daher nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, wenn nämlich dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nach Auffassung des Senats - gerade auch unter Beachtung des o.g. Beschlusses des BVerfG - also nur geboten sein, wenn Sachverhalt oder Aussageperson solche Besonderheiten aufweisen, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Weder weisen Klägerin - mit Ausnahme der unten genannten Problematik - oder die Zeugen solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert. Für den Senat hat sich klar abgezeichnet, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die von der Klägerin dargestellte Version nicht zutrifft. Ferner hat der Senat bereits entschieden (vgl. Urteile des Senats vom 05.02.2013, a. a. O., und vom 30.06.2009, Az.: L 15 VG 17/05), dass in einem Fall, in dem die Aussageperson (unter anderem) an einer wahnhaften Störung leidet, die Durchführung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nicht sinnvoll ist. Wie in dem bereits entschiedenen Fall von dem damals beauftragten medizinischen Sachverständigen dargelegt worden ist, hat die dortige Klägerin an einer wahnhaften Störung gelitten und ist somit unverrückt von den entsprechenden Wahninhalten überzeugt gewesen. Wahninhalte können für die betreffenden Patienten - wie der medizinische Sachverständige für die dortige Klägerin festgestellt hat - reelle Tatsachen darstellen, so dass in einer weiteren Verhaltensanalyse im Rahmen einer Begutachtung keine weiteren wesentlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (a. a. O.). Somit spricht mit Blick auf die von der Ärztin Dr. K. diagnostizierte schizoide Störung der Klägerin zumindest Einiges dafür, dass ein Glaubhaftigkeitsgutachten auch im hier vorliegenden Fall ein untaugliches Beweismittel wäre (vgl. auch Högenauer, a. a. O., S. 67 (69 a.E.)); dies kann letztlich aber offen bleiben.

Nach alledem ist der Nachweis, dass ein Angriff im Sinn des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG vorliegt, nicht erbracht, da es an der Handlung des Würgens etc. mangelt. Auf die gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin kommt es somit ebenso wie auf Kausalitätsfragen nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob ein Versagungsgrund gemäß § 2 Abs. 2 OEG gegeben ist.

Die Berufung kann damit keinen Erfolg haben. Sie ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Das Gericht erhebt Beweis in der mündlichen Verhandlung, soweit die Beweiserhebung nicht einen besonderen Termin erfordert.

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.