Frau im Polizeigewahrsam zwangsweise entkleidet - BayObLG übt scharfe Kritik am Verhalten der Polizeibeamten
Wann ist eine zwangsweise Entkleidung im Polizeigewahrsam gerechtfertigt? Diese Frage wurde im Laufe der Zeit immer präsenter und stellt sich auch aus aktuellem Anlass: Das Bayrische Oberste Landesgericht hat vergangenen Monat ein Urteil veröffentlicht, indem die Richter das Verhalten von Polizeibeamten in Hinblick auf die zwangsweise Entkleidung einer Frau im Polizeigewahrsam, kritisierten. Die Entkleidung soll unter Anwesenheit von männlichen Polizeibeamten stattgefunden haben, wobei einer dieser Beamten sogar den BH der Frau geöffnet haben soll. Dieses Vorgehen erscheint umso absurder, wenn man den Grund betrachtet, den die Beamten, als Rechtfertigung für das Entkleiden der Frau, angaben: Ein Bügel-BH, den die Frau „möglicherweise“ anhatte.
Dirk Streifler – StreiflerKollegen – Rechtsanwälte Berlin
Platzverweis und Ingewahrsamnahme nach illegaler Corona-Party
Nach den Feststellungen des Gerichts nahm die betroffene Frau einer sogenannten Corona-Party teil, bei der die Partyteilnehmer illegale Drogen konsumiert haben. Als die Polizeibeamten eintrafen, soll die Frau, die Vernehmung des Wohnungsinhabers wiederholt verbal gestört haben woraufhin die anwesenden Polizeibeamten sie aufgefordert haben, die Wohnung zu verlassen. Da die Frau sich trotz Platzverweises geweigert hat die Wohnung zu verlassen, wurde sie von den Polizisten unter Anwendung unmittelbaren Zwangs aus der Wohnung verbracht. Dabei wehrte sie sich körperlich, schlug um sich und beschimpfte einen der Polizeibeamten mit den Worten „Was bist du denn für ein Arschloch, Oida“. Im Anschluss wurde sie zur Polizeidienststelle gebracht. Hiergegen wehrte sich die Frau nicht.
Zurecht zu Wehr gesetzt!
Erst als sie aufgefordert wurde sich nahezu vollständig zu entkleiden und dann schließlich von zwei Polizeibeamtinnen, unterstützt durch drei männliche Kollegen, zwangsweise entkleidet wurde, setzte sich die Frau erneut zur Wehr.
Wegen dieses Verhaltens verurteilte sie das Amtsgericht Landshut wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten. Das Landgericht Landshut bestätigte die Verurteilung, verringerte die Gesamtstrafe jedoch zu einer Geldstrafe.
Das Bayrische Oberste Landesgericht musste sich nun erneut mit dem Fall auseinandersetzen. Die Revision war in Hinblick auf den zweiten Tatkomplex, indem die Frau sich im Gewahrsam befand und zwangsweise entkleidet wurde, erfolgreich. Die Richter üben scharfe Kritik an dem Verhalten der Beamten.
Bis auf den Slip zwangsweise entkleidet – wegen eines Bügel-BH´s?
Nach Ansicht des Gerichts ist es bereits fraglich, ob die Ingewahrsamnahme der Frau rechtmäßig war. Die Richter des Bayrischen Obersten Landesgerichts stellen jedoch fest, dass die Entkleidung gegen die, die Frau Widerstand leistete „einen gravierenden, jedenfalls durch die festgestellten Tatsachen nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff dar[stellte]“ und rechtswidrig war.
Keine Rechtfertigung für zwangsweise Entkleidung
Die Aussage der anwesenden Polizeibeamtin „in einem BH sind meistens Metallbügel verarbeitet, die man leicht entnehmen könne und die dann gefährlich sein könnten“ stellte sich als haltlos dar. Nicht einmal sie selbst konnte genau erklären auf welcher Grundlage die Anordnung zum Entkleiden der Frau beruhte. Sie nannte lediglich die Vorschriften der GVOPol. Die Frage, welche Bestimmungen denn gemeint seien, konnte die Polizistin nicht beantworten.
Das Gericht stellt fest, dass selbst die zum Tatzeitpunkt geltenden Nr. 3 Abs. 1 der HVPol und Nr. 16 Abs. 1 HVPol eine Entkleidung nicht vorsehen. Während Nr. 3 Abs. 1 HVPol die sachliche, gerechte Behandlung von Häftlingen normiert, spricht § 16 HVPol von der Beschlagnahmung der Gegenstände, die zur Schädigung von Leben und Gesundheit verwendet werden könnten. Die Entkleidung von Personen, die sich im Polizeigewahrsam befinden, ist deshalb nur dann erlaubt, wenn eine Gefahr für Leib und Leben der Anwesenden vorliegt.
Abtasten und Bitte den BH auszuziehen, als mildere Mittel
Dem Gericht erschließt sich bereits nicht, warum die Frau bis auf den Slip entkleidet wurde, wenn lediglich die Befürchtung im Raum stand, dass sie einen Bügel-BH trägt. Sie hätte auch zunächst von einer weiblichen Beamtin abgetastet werden können. Das hätte, in Hinblick auf die nahezu vollständige zwangsweise Entkleidung, ein milderes Mittel dargestellt. Genauso gut hätten die Beamten die Frau auffordern können ihren BH unter dem T-Shirt auszuziehen. Die Polizisten hatten mithin genug Möglichkeiten festzustellen, ob der BH so beschaffen ist, dass er geeignet war das Leben oder die Gesundheit der Anwesenden zu gefährden.
Die, nach Angaben einer Polizistin „seit Jahren bewährte Praxis“ ersetzt keine Ermächtigungsgrundlage!
Besonders schockierend ist weiterhin die von der Polizeibeamtin als Rechtfertigung geschilderte „allgemeine Anordnung des Polizeipräsidiums“ sowie „eine seit Jahren bewährte Praxis“, da Frauen in der Regel BH´s mit Metallbügel tragen. Betrachtet man diese Aussage, stellt sich unweigerlich die Frage, wie viele Personen noch ohne gesetzliche Grundlage gegen ihren Willen entkleidet wurden.
Schließlich kritisieren die Richter die Hinzuziehung männlicher Polizisten bei der Durchsuchung der Frau. Ein Verstoß gegen Nr. 16 Abs. 4 HVPol liegt vor, da Personen nur von Personen gleichen Geschlechts durchsucht werden dürfen. Im vorliegenden Fall durften die männlichen Beamten deshalb noch nicht einmal im gleichen Raum sein, als die Frau entkleidet wurde.
Bedenkt man, dass die zwangsweise Entkleidung vor anderen Personen, in vielen Fällen, als besonders beschämend empfunden wird und in allen (!) Fällen einen zu rechtfertigenden, gravierenden Persönlichkeitsrechtsverstoß darstellt, zeichnet sich ab, dass es sich bei den Verhalten der betroffenen Polizeibeamten nicht lediglich um einen Bagatellverstoß handelt. Hier muss gehandelt werden. Entsprechendes rechtswidriges Verhalten muss geahndet werden.
Haben Sie noch Fragen zum Thema „Entkleidung im Polizeigewahrsam“? Sind Sie selbst betroffen? Nehmen Sie Kontakt zu Streifler&Kollegen auf und lassen Sie sich fachkundig beraten.
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