DSGVO-Verstoß führt nicht immer zum Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO

erstmalig veröffentlicht: 06.10.2023, letzte Fassung: 06.10.2023

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors

Der bloße Verstoß gegen die Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung ist nicht ausreichend, um einen Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu begründen. Den Betroffenen muss darüber hinaus ein Schaden entstanden sein. Auf die Erheblichkeit des Schadens kommt es hingegen nicht an (vgl. EuGH, Urt. v. 4.5.2023 - C-300/21).

Dirk Streifler - Streifler&Kollegen

Die Frage, ob der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen des Art. 82 Datenschutzgrundverordnung ausreicht, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen, blieb lange ungeklärt. Der EuGH äußerte sich nun zu dieser umstrittenen Rechtsfrage mit Urteil vom 4.5.2023 (C-300/21) und stellte fest:

Der bloße Verstoß gegen Art. 82 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 (Datenschutzgrundverordnung) ist nicht ausreichend, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Den Betroffenen muss darüber hinaus ein Schaden entstanden sein.

Weiterhin ist der Art 82 Abs. 1 ist so auszulegen, dass er den Ersatz des immateriellen Schadens nicht davon abhängig macht, ob der betroffenen Person ein „erheblicher“ Schaden entstanden ist. Der Schaden muss also keinen bestimmten Grad an Erheblichkeit aufweisen, um Schadensersatzansprüche zu begründen.

Dirk Streifler – Streifler&Kollegen – Rechtsanwälte Berlin

 

Der Fall: Klage auf Unterlassung der Verarbeitung personenbezogener Daten

Das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren betraf einen Rechtsstreit zwischen der Österreichischen Post und einem österreichischen Bürger. Letzterer prangerte die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten an sowie die daraus resultierende Zuschreibung einer hohen Affinität zu einer bestimmten (österreichischen) politischen Partei.

Die Österreichische Post sammelte Informationen über politische Affinitäten der österreichischen Bevölkerung. Dabei verwendete sie einen Algorithmus, der unter Berücksichtigung verschiedener sozialer und demographischer Merkmale, „Zielgruppenadressen“ definierte. Aus den Daten der Bürger konnte die österreichische Post sodann eine hohe Affinität des Klägers zu einer politischen Partei ableiten. Der Kläger sah es als eine Beleidigung an, dass ihm eine Affinität zu der fraglichen Partei zugeschrieben wurde. Er habe der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten nicht zugestimmt. Zwar wurden die Daten nicht an Dritte weitergegeben, er fühle sich aber, durch die Speicherung der Informationen zu seiner angeblichen politischen Präferenz, bloßgestellt und verärgert.

 

Kläger verlangt 1000 Euro Schadensersatz

Das mit diesem Ausgangsstreit befasste Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien (Österreich) gab der Klage des Klägers gegen die Österreichische Post auf Unterlassung der Verarbeitung der personenbezogenen Daten statt, wies jedoch sein Schadensersatzbegehren ab.

 

Klage stattgegeben - Schadensersatzbegehren abgewiesen

Das nachfolgend mit der Berufung des Klägers befasste Oberlandesgericht Wien bestätigte das Urteil des Landesgerichts. Nach Ansicht des Gerichts seien hinsichtlich des Schadensersatzbegehrens die innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten anwendbar. Zur Begründung verwies das Gericht auf die Erwägungsgründe 75, 85 und 14 der DSGVO. Danach ergänzen die innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten im Bereich der zivilrechtlichen Haftung, die Bestimmungen der DSGVO, sofern diese keine Sonderreglungen beinhalte. Nach innerstaatlichen Österreichischem Recht führe ein Verstoß gegen die DSGVO Bestimmungen nur dann zu einem Schadensersatzanspruch, wenn der Schaden „erheblich“ ist. Hier seien die „negativen Gefühle“ des Klägers jedoch nicht ausreichend erheblich, um sein Schadensersatzbegehren zu rechtfertigen.

Der Kläger erhob gegen die Abweisung seines Schadensersatzanspruches Revision beim Obersten Gerichtshof, der sodann stattgegeben wurde. Auch der Oberste Gerichtshof zweifelte an dem Bestehen eines Schadensersatzanspruches und legte dem EuGH folgende (vereinfacht zusammengefasste) Vorlagefragen vor:

 

1. Ist der bloße Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung ausreichend, um einen Schadensersatzanspruch des Betroffenen zu begründen oder muss dem Betroffenen darüber hinaus ein Schaden entstanden sein?

 

2. Welche Unionsrechtlichen Vorgaben existieren für die Festsetzung der Höhe des Schadensersatzes?

 

3. Muss der entstandene immaterielle Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit aufweisen, der über den, durch die Rechtsverletzung hervorgerufenen Ärger, hinausgeht?

 

1.

Hinsichtlich der ersten Frage, ob der bloße Verstoß gegen die DSGVO ausreichend ist, um einen Schadensersatzanspruch des Betroffenen zu begründen, argumentiert der EuGH mit dem Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 DSGVO. Dafür stellte das Gericht fest, dass für die Erfüllung des Tatbestandes des Art 82 DSGVO drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen. So müsse, erstens, ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung vorliegen, zweitens, dem Betroffenen ein Schaden entstanden sein sowie, drittens, ein Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Verstoß vorliegen. Daraus ergebe sich, dass nicht jeder Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung zu einem Schadensersatzanspruch führen könne. Die gesonderte Erwähnung eines Schadens und eines Verstoßes wäre sinnfrei, wenn jeder Verstoß gegen die Bestimmungen der DSGVO ein berechtigtes Schadensbegehren des Betroffenen auslösen würde.

2.

Anschließend befasste sich das Gericht mit der Frage, ob Schadensersatzansprüche nach der Datenschutzgrundverordnung nur auf solche immateriellen Schäden beschränkt sind, die eine bestimmte Erheblichkeit aufweisen. Der Gerichtshof verneinte diese Frage: So fehle es bereits an einer entsprechenden Normierung dieses Erfordernisses in der Datenschutzgrundverordnung. Der Gerichtshof betont jedoch, dass die Tatsache, dass eine gewisse Erheblichkeit des Schadens zwar nicht nachgewiesen werden müsse, nicht bedeutet, dass der Betroffene von jeder Pflicht befreit ist, nachzuweisen, dass der Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 DSGVO darstellt. Dieser Nachweis müsse in jedem Fall gelingen um einen Schadensersatzanspruch zu begründen.

3.

In Hinblick auf die Bemessung des Schadensersatzes, stellte der EuGH fest, dass die Datenschutzgrundverordnung keine entsprechenden Regelungen bereithält. Ausgestaltung der Klageverfahren sowie die Festlegung von Kriterien für die Ermittlung des Umfangs des geschuldeten Schadensersatzes, seien somit Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Diese sind verpflichtet bei der Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften über den Umfang der finanziellen Entschädigung, die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz- und Effektivität zu beachten.

Zusammenfassung und Ausblick

Die seit langem heiß diskutierte Frage, wann ein Verstoß gegen die Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung einen Schaden darstellt, der Schadensersatzansprüche auslöst, ist nun geklärt. Auch in der Vergangenheit hat eine nicht unbedeutende Anzahl Deutscher Gerichte im Sinne des wiedergegebenen Urteils, dh. für das Vorliegen einer bestimmten Erheblichkeit als Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch entschieden. Andere Gerichte wiederrum haben bereits bei kleineren Verstößen gegen die Vorschriften der DSGVO einen Schadensersatzanspruch bejaht. Zumindest in Hinblick auf diese Frage sollte nun Klarheit herrschen. Fraglich bleibt, wie sich das Urteil auf das zukünftige Verhalten von Betroffenen - oder denen die zum Zwecke der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gerne betroffen wären -  auswirken wird. Viele hoffen, dass das Urteil dazu führen wird, dass Personen in Zukunft vermehrt auf die Geltendmachung datenschutzrechtlicher Auskünfte verzichten werden. Immerhin muss den Betroffenen durch die Verarbeitung ihrer personenbezogener Daten ein Schaden entstanden sein, was durchaus schwieriger nachzuweisen ist, als der bloße Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung. Doch das bleibt insbesondere in Hinblick auf die Möglichkeit der Geltendmachung von Auskunftsansprüchen ohne den Nachweis eines berechtigten Interesses, zweifelhaft.

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 6 4 3 / 1 3
vom
3. April 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 3. April 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten K. und I. wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 3. Juni 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und den Angeklagten I. wegen versuchter Strafvereitelung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge Erfolg.
2
I. Die Verurteilung des Angeklagten K. wegen versuchten Totschlags hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es kann dahinstehen, ob schon - wie die Revision des Angeklagten K. meint - die Beweiswürdigung der Schwurgerichtskammer an durchgreifenden rechtlichen Mängeln leidet. Denn das Landgericht hat einen Rücktritt des Angeklagten K. vom versuchten Tötungsdelikt mit einer rechtsfehlerhaften Begründung abgelehnt.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gerieten der Angeklagte K. und der Geschädigte Kü. in einen Streit, der mit einer Beleidigung durch den Geschädigten, die der Angeklagte erwiderte, seinen Ausgang nahm und schließlich in eine körperliche Auseinandersetzung mündete. Der Geschädigte schlug den Angeklagten, der zu diesem Zeitpunkt bereits - vom Geschädigten zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht bemerkt - ein Einhandmesser in der Hand hielt, ins Gesicht, worauf sich beide gegenseitig an den Oberarmen griffen und miteinander rangen. Sie kamen zu Fall, setzten ihre Auseinandersetzung aber am Boden fort. Der Angeklagte führte das Messer nunmehr auch in Richtung des später Geschädigten, der die Hand zunächst abblocken konnte und schließlich - als der Angeklagte mit seiner anderen Hand nachgriff - aus Angst vor Stichen in den Ringfinger von dessen linker Hand biss. Zeitgleich oder unmittelbar auf den Biss folgend versetzte der Angeklagte dem weiter auf dem Boden liegenden Geschädigten mit dem Messer zwei Stiche in den Bereich des linken Mittelbauchs, wobei er den Tod des Opfers billigend in Kauf nahm. Mittlerweile war der Zeuge S. , der als zufälliger Passant auf das Geschehen aufmerksam geworden war, hinzugetreten. Er richtete eine von ihm mitgeführte pistolenähnliche Anscheinswaffe auf den Angeklagten und forderte ihn lautstark zum Aufhören auf. Dieser sah sich zur weiteren Tatausübung nicht mehr in der Lage, erhob und entfernte sich - das Tatmesser weiter in der Hand haltend - vom Tatort (UA S. 6 f.).
4
Das Landgericht, das offenbar vom Vorliegen eines unbeendeten Tötungsversuchs ausgegangen ist, hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Tötungsversuch verneint; der Angeklagte K. habe von der Fortführung der Tat nur deshalb abgelassen, weil der Zeuge S. ihn unter Vorhalten einer pistolenähnlichen Anscheinswaffe zum Aufhören aufgefordert habe. Die Tataufgabe sei deshalb nicht freiwillig erfolgt, ginge vielmehr auf das Einschreiten des Zeugen zurück (UA S. 40).
5
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Freiwilligkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der Täter "Herr seiner Entschlüsse" geblieben ist und die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich gehalten hat, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon (vgl. nur BGH NStZ-RR 2014, 9 f. mwN). Der Annahme von Freiwilligkeit steht es dabei nicht von vornherein entgegen, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt (BGH NStZ-RR 2010, 366 f.) oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt (s. BGH NStZ 1988, 69 f.). Entscheidend für die Annahme von Freiwilligkeit ist, dass der Täter die Tatvollendung aus selbstgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013 - 2 StR 289/13).
6
Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Maßstabs tragen die Feststellungen des Landgerichts den Ausschluss eines strafbefreienden, freiwilligen Rücktritts des Angeklagten nicht.
7
Das Landgericht hat insoweit lediglich festgestellt, dass der Zeuge S. den Angeklagten unter Vorhalten einer pistolenähnlichen Waffe zum Aufhören aufgefordert und dieser deshalb von der weiteren Tatbegehung abgelassen habe. Ob aber allein dieser Umstand geeignet war, eine äußere Zwangslage zu schaffen, die den Angeklagten hinderte, die Tat fortzusetzen, lässt sich den Feststellungen des Landgerichts nicht zweifelsfrei entnehmen. Das Schwurgericht hat sich insoweit auf die Angaben des Zeugen S. gestützt, der angegeben hat, die Stiche wahrgenommen, nach Hinzutreten zu den am Boden Kämpfenden umgehend seine Anscheinswaffe auf den Angeklagten , der ihm den Rücken zugewandt habe, gerichtet und "Aufhören" ge- schrieen zu haben (UA S. 29). Auch wenn der Zeuge S. weiter versicherte , der Angeklagte habe ihn - entgegen dessen Bekundung - "wahrgenommen" , belegt dies noch nicht das Vorliegen einer äußeren Zwangslage, die das Landgericht in der Sache damit begründet hat, dass der Zeuge S. den Angeklagten unter Vorhalten einer pistolenähnlichen Anscheinswaffe zum Aufhören aufgefordert habe. Hätte der Angeklagte den Zeugen S. mit auf ihn gerichteter Waffe gesehen, könnte dies zwar die Annahme einer äußeren Zwangslage durch das Landgericht stützen; ob dies aber der Fall gewesen ist, lässt sich den insoweit nicht eindeutigen Äußerungen des Zeugen S. nicht entnehmen, der lediglich davon gesprochen hat, der Angeklagte habe ihn "wahrgenommen". Dies lässt offen, ob der Angeklagte nur das Rufen des Zeugen S. gehört oder ob er ihn auch gesehen hat. Sollte der Angeklagte aber nur die Rufe des herbeigeeilten Zeugen vernommen haben, ohne zu wissen , dass dieser seine Aufforderung mit einer gezogenen Waffe unterstützte, würde dies die Möglichkeit eines freiwilligen Rücktritts nicht ausschließen. Weitergehende Zweifel daran, dass der Angeklagte den Zeugen S. tatsächlich nicht gesehen hat, ergeben sich im Übrigen daraus, dass dieser nach den Feststellungen des Landgerichts im Rücken des Angeklagten stand (UA S. 29). Da sich auch aus anderen Umständen, insbesondere auch nicht aus den Angaben der Zeugin A. , deren Kenntnis es sich entzog, warum der Angeklagte aufgestanden und weggegangen sei (UA S. 30), nicht erschließt, dass der Angeklagte nicht freiwillig von der Tat abgelassen hat, bleibt letztlich offen, ob die gegenteilige Annahme des Landgerichts auf tragfähigen Feststellungen beruht.
8
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs sowie sämtlicher Feststellungen, die nicht nur hinsichtlich des Rücktrittgesche- hens, sondern auch in Bezug auf die eigentliche Tat auf die Bekundungen des Zeugen S. gestützt waren. Der neue Tatrichter soll Gelegenheit zu einer widerspruchsfreien und in sich schlüssigen Würdigung des Gesamtgeschehens erhalten.
9
II. Die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten K. entzieht ohne Weiteres dem Schuldspruch gegen den Angeklagten I. die Grundlage. Auch insoweit bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Schmitt Krehl Eschelbach Ott Zeng
10
a) Die Beurteilung der Frage, ob die Aufgabe weiterer, möglicherweise noch zum Erfolg führender Handlungen freiwillig erfolgte, hängt davon ab, ob der Täter aus autonomen Motiven gehandelt hat und subjektiv noch in der Lage war, das zur Vollendung der Tat Notwendige zu tun (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992 – 4 StR 532/92, NStZ 1993, 279 mwN). Dabei stellt die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt, für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters nicht in Frage (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013 – 2 StR 289/13, StV 2014, 336; Urteil vom 14. April 1955 – 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 299, st. Rspr.). Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das einer Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und eine daraufhin erfolgte Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2014 – 4 StR 40/14, NStZ-RR 2014, 171, 172; Urteil vom 14. April 1955 – 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 299, st. Rspr.). Dies kann unter anderem dann der Fall sein, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2013 – 5 StR 229/13, NStZ-RR 2014, 9, 10; Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 537/06, NStZ-RR 2007, 136, 137; Urteil vom 17. Dezember 1992 – 4 StR 532/92, NStZ 1993, 279; Urteil vom 1. September 1992 – 1 StR 484/92, NStZ 1993, 76, 77). Verbleibende Zweifel an der Freiwilligkeit des Rücktritts sind grundsätzlich zu Gunsten des Täters zu lösen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2003 – 4 StR 59/02, NStZ-RR 2003, 199).
8
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die Beurteilung der Frage, ob die Aufgabe weiterer, möglicherweise noch zum Erfolg führender Handlungen freiwillig erfolgte, davon ab, ob der Täter aus autonomen Motiven gehandelt hat und subjektiv noch in der Lage war, das zur Vollendung der Tat Notwendige zu tun (vgl. BGH, Urteile vom 28. September 2017 – 4 StR 282/17, StraFo 2018, 31 f. mwN und vom 17. Dezember 1992 – 4 StR 532/92, NStZ 1993, 279 mwN; Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 1 StR 452/18 Rn. 7, juris).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 539/17
vom
6. Dezember 2017
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:061217B4STR539.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 6. Dezember 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 18. Juli 2017
a) in der Urteilsformel dahin gefasst, dass der Angeklagte der Bedrohung in vier Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, und der Körperverletzung schuldig ist,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, aa) soweit der Angeklagte im Fall II.6 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, und bb) im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines „Verkehrsunfalls“ in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen, Körperverletzung , vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und einem Verstoß gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, wegen Bedrohung in vier „tateinheitlichen“ Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Kör- perverletzung, und wegen Körperverletzung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Entgegen der Fassung der Urteilsformel hat das Landgericht ausweislich seiner Ausführungen zur rechtlichen Würdigung das unter II.2 bis 5 der Urteilsgründe abgeurteilte Verhalten des Angeklagten als vier materiell-rechtliche selbständige Taten der Bedrohung, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung , gewertet und hierfür vier Einzelfreiheitsstrafen verhängt. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts berichtigt der Senat die insoweit ersichtlich irrtümlich falsch gefasste Urteilsformel entsprechend.
3
2. Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener versuchter Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen im Fall II.6 der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch nach § 24 Abs. 1 StGB nicht geprüft hat. Dies hat die Aufhebung der gesamten Verurteilung des Angeklagten in diesem Fall zur Folge.
4
a) Nach den Feststellungen kam es nach der Trennung des Angeklagten von seiner Lebensgefährtin, der Nebenklägerin D. , und den beiden gemeinsamen Töchtern – wie schon zuvor – zu Drohungen und körperlichen Übergriffen des Angeklagten gegen die Nebenklägerin. Aufgrund einiger dieser Vorfälle erwirkte die Nebenklägerin am 2. September 2016 einen Beschluss des Amtsgerichts Wittlich nach dem Gewaltschutzgesetz, durch welchen dem Angeklagten unter anderem aufgegeben wurde, sich bei einem zufälligen Zusammentreffen mit der Nebenklägerin unverzüglich zu entfernen und einen Abstand von 150 Metern herzustellen. Der Beschluss wurde dem Angeklagten am 5. September 2016 ordnungsgemäß zugestellt.
5
Am 23. Oktober 2016 kam der Angeklagte, der lediglich eine im Bundesgebiet nicht mehr gültige serbische Fahrerlaubnis besitzt, am Steuer seines Pkws Citroën Xsara im Bereich der Autobahnausfahrt Richtung Trier zufällig dem Geschädigten H. entgegen, der als Fahrzeugführer seines Pkws Ford Fiesta gemeinsam mit der Nebenklägerin und den beiden Töchtern auf dem Weg nach Luxemburg war. Der Angeklagte, der die Nebenklägerin im Pkw des Geschädigten erkannte, wendete sein Fahrzeug und folgte dem Geschädigten auf der Autobahn. Ungeachtet des Umstands, dass der Geschädigte dem durch Handzeichen zum Ausdruck gebrachten Ansinnen des Angeklagten, auf den nächsten Parkplatz zu fahren, nicht nachkam, und der wiederholten telefonischen Aufforderung der Nebenklägerin, sie in Ruhe zu lassen, fuhr der Angeklagte dem Fahrzeug des Geschädigten bis über die luxemburgische Grenze hinterher. Da der Geschädigte keine Anstalten machte anzuhalten, setzte der Angeklagte schließlich sein Fahrzeug neben den vom Geschädigten geführten Ford Fiesta und rammte diesen bei einer von beiden Fahrzeugen gefahrenen Geschwindigkeit von 70 bis 90 km/h im Bereich des vorderen linken Kotflügels und der Fahrertür. Hierbei hatte er die Absicht, den Pkw des Ge- schädigten von der Straße abzudrängen, um die Nebenklägerin und den Geschädigten zur Rede zu stellen. Der Angeklagte nahm zumindest billigend in Kauf, dass ein schwerer Unfall mit erheblichen Verletzungen der vier Fahrzeuginsassen verursacht werden könnte. Während es dem Geschädigten durch Gegenhalten des Lenkrades unter größter Kraftentfaltung gelang, ein Abdrängen seines Fahrzeugs von der Fahrbahn zu vermeiden, und er nur leicht auf den Standstreifen geriet, kam der Pkw des Angeklagten ins Schleudern, überschlug sich und blieb auf dem Dach im Bereich der Fahrbahnböschung liegen. Nachdem der Geschädigte auf dem Standstreifen angehalten hatte, um die Polizei und den Rettungsdienst zu alarmieren, verließen die Nebenklägerin und die beiden Kinder schreiend das Fahrzeug. Der Angeklagte, der leicht verletzt ebenfalls aus seinem Pkw ausgestiegen war, begab sich unmittelbar zu dem nach wie vor in seinem Fahrzeug sitzenden Geschädigten und schlug zwei- bis dreimal mit den Fäusten durch die geöffnete Fahrertür auf den Geschädigten ein. Anschließend versetzte er dem Geschädigten zwei Fußtritte gegen den Kopf, ehe es weiteren Verkehrsteilnehmern gelang, den Angeklagten vom Geschädigten zu trennen und ihn gemeinsam mit der Nebenklägerin bis zum Eintreffen der Polizei von weiteren Übergriffen abzuhalten. Die Nebenklägerin und eine der Töchter trugen einen Schock davon, die andere Tochter erlitt ein Schleudertrauma.
6
b) Bei dieser Sachlage hätte sich die Strafkammer zur Prüfung der jedenfalls nicht fernliegenden Möglichkeit veranlasst sehen müssen, dass der Angeklagte durch die Abstandnahme von weiteren Verletzungshandlungen vom unbeendeten Versuch der Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin und seiner Töchter nach § 24 Abs. 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten ist. Weder der Umstand, dass der Angeklagte mit dem Anhalten des Fahrzeugs des Geschädigten sein außertatbestandliches Handlungsziel erreicht hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 24 Rn. 9 mwN), noch ein unter Umständen allein durch den vorrangig gewollten Angriff auf den Geschädigten motiviertes Absehen von weiteren Verletzungshandlungen gegen die Nebenklägerin und die beiden Kinder (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 1988 – 2 StR 665/87, BGHSt 35, 184; Fischer, aaO Rn. 19c mwN) stehen der Annahme eines freiwilligen Rücktritts vom unbeendeten Versuch entgegen. Das angefochtene Urteil enthält keine Ausführungen zur Frage eines Rücktritts. Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung, auf das es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowohl für die Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Versuch als auch für die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs maßgeblich ankommt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, aaO), hat die Strafkammer nicht getroffen.
7
c) Die Verurteilung wegen versuchter Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen kann daher nicht bestehen bleiben. Wegen des tateinheitlichen Zusammentreffens führt dies zur Aufhebung der gesamten Verurteilung im Fall II.6 der Urteilsgründe.
8
Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird die Frage einer Vollendung der Körperverletzungen näher zu prüfen haben. Dies liegt auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen bei einer der Töchter angesichts des davongetragenen Schleudertraumas nahe und erscheint auch bei der Nebenklägerin und der zweiten Tochter mit Blick auf den erlittenen Schock nicht ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, BGHR StGB § 223 Abs. 1 Gesundheitsbeschädigung 4; vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; OLG Koblenz, VRS 42, 29, 31).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Bender
18
Zwar ist es für einen Rücktritt erforderlich, dass der Täter den Tatvorsatz vollständig aufgibt. Deshalb reicht es nicht aus, wenn der Täter den Taterfolg weiterhin billigend in Kauf nimmt, etwa indem er dem Opfer „nach Art eines Glücksspiels eine Chance gibt“ (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 24 Rn. 30, 35). Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Vielmehr enthielt der an die Polizei und die betroffenen Einzelhandelsunternehmen gegebene Hinweis auf die vergiftete Babynahrung konkrete Angaben, die der Polizei gezielte Maßnahmen zum Auffinden und zur Sicherstellung der vergifteten Produkte vor dem Verzehr ermöglichten. Zwar wählte der Angeklagte nicht die sicherste oder optimale Möglichkeit zur Erfolgsverhinderung, weil er nicht die direkt betroffenen Einzelhandelsfilialen benannte und auch nicht die lokalen Sicherheitsbehörden informierte (UA S. 58). Indem er angab, dass sich in F. in fünf Märkten namentlich bezeichneter Einzelhandelskonzerne genau fünf mit einer tödlichen toxischen Menge versetzte und nach Marke und Geschmacksrichtung konkret bezeichne- te Produkte befänden, machte er jedoch so genaue Angaben zur Ermöglichung von deren Sicherstellung, dass damit eine Wertung, er habe eine mögliche Tötung von Kleinkindern mit diesen Produkten weiterhin gebilligt, nicht mehr zu vereinbaren wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 110/19
vom
26. Juni 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung u. a.
ECLI:DE:BGH:2019:260619B2STR110.19.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 26. Juni 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 24. Oktober 2018 im Schuldspruch zu Fall II.6.a) der Urteilsgründe sowie im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall II.6.a)), gefährlicher Körperverletzung in zwei weiteren Fällen, Diebstahls in zwei Fällen sowie unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Dagegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Schuldspruchs zu Fall II.6.a) der Urteilsgründe sowie des Straf- ausspruchs. Im Übrigen ist es aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts zu Fall II.6.a) der Urteilsgründe saßen die beiden Afrikaner O. und D. auf einer Bank imHofgarten vor dem B. Universitätsgebäude. Der Angeklagte und seine mindestens sechs Begleiter, die den Hofgarten als „ihr Revier“ betrachteten, umstellten die beiden Afrikaner und forderten sie auf, das Gelände zu verlassen. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte ein mitgeführtes Messer mit einer Klingenlänge von 20 cm zog und von O. die Aushändigung seines Handy’s verlangte. Dieser ergriff daraufhin – verfolgtvon dem Angeklagten – die Flucht. Nach wenigen Metern hatte der Angeklagte den Geschädigten eingeholt und stach ihm von hinten mit großer Wucht das Messer in den unteren Rücken neben der Wirbelsäule, woraufhin dieser zusammensackte. Unmittelbar nach der Messerattacke entfernten sich der Angeklagte und seine Begleiter. Der 4,5 cm tiefe Stich hatte zwei Rippenarterien durchtrennt und zu starken inneren Blutungen geführt. Ohne sofortige Notoperation wäre der Geschädigte verstorben.

II.

3
Der Schuldspruch zu Fall II.6.a) wegen versuchter (richtig: besonders) schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat dazu zutreffend ausgeführt: „DasLandgericht hat versäumt, die nach den Feststellungen bestehende Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts vom unbeendeten Versuch durch freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB in gebotener Weise zu prüfen. Es hat angenommen, der Angeklagte habe den Zeugen O. im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB ‚durch die Tat‘ – d.h.durch die versuchte (besonders) schwere räuberische Erpressung – in die (konkrete) Gefahr des Todes gebracht, indem er ihm die Stichverletzung im Rücken zufügte (vgl. Bl. 16 UA). Dies impliziert, dass der Erpressungsversuch zur Überzeugung der Jugendkammer im Zeitpunkt des Messerstichs aus Sicht des Angeklagten noch nicht beendet und insbesondere auch nicht wegen des Fluchtversuchs des Zeugen O. fehlgeschlagen war. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es, nachdem der Zeuge O. infolge des Messerstichs zusammengesackt und liegengeblieben war, nach der Vorstellung des Angeklagten (sog. ‚Rücktrittshorizont‘) nicht mehr möglich gewesen wäre, die Tat noch zu vollenden und den Zeugen O. durch weiterenEinsatz des Messers zur Herausgabe (oder zur Duldung der Wegnahme ) seines Mobiltelefons zu nötigen. Feststellungen dazu, aus welchem Grunde der Angeklagte hiervon Abstand nahm, hat das Landgericht nicht getroffen; aus den Urteilsgründen ergibt sich jedenfalls kein äußerer Anlass dafür. Nach dem festgestellten Tathergang ist es vielmehr denkbar, dass es dem Angeklagten in erster Linie gar nicht um das Mobiltelefon, sondern darum ging, den Zeugen O. in irgendeiner Form abzustrafen, weil dieser sich geweigert hatte, den B. Hofgarten zu verlassen, und er dieses Ziel durch den Messerstich vollumfänglich erreicht hatte, so dass ihm die (weiterhin mögliche) Vollendung des Erpressungsversuchs nunmehr entbehrlich erschien. Fälle einer solchen außertatbestandlichen Zielerreichung sind indes nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weder wegen Fehlschlags noch wegen Unfreiwilligkeit von der Möglichkeit eines Rücktritts ausgeschlossen (vgl. BGHSt 39, 221 ff.; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 24 Rn. 9 m.w.Nachw.).“
4
Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.6.a) bedingt auch die Aufhebung der verhängten Einheitsjugendstrafe.
Franke Appl Eschelbach Meyberg Schmidt
5 StR 229/13

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 22. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Oktober
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 18. Oktober 2012 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Nichtverurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts, hilfsweise auch die Strafzumessung angreift. Das vom Generalbundesanwalt hinsichtlich der primären Beanstandung vertretene Rechtsmittel bleibt erfolglos.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Am 11. Februar 2012 gegen 17.40 Uhr verfolgte der Angeklagte den Nebenkläger heimlich in den zu dieser Zeit menschenleeren Eingangsbereich eines U-Bahnhofs in Hamburg hinein. Aus seiner Sicht hatte sich der Nebenkläger bei Auseinandersetzungen mit der schwangeren Lebensgefähr- tin des Angeklagten, bei der es sich um die geschiedene Ehefrau des Nebenklägers handelt, nicht akzeptabel benommen und sie unter anderem geschubst. Dafür wollte ihn der Angeklagte bestrafen und zumindest für gewis- se Zeit außer Gefecht setzen. Weil er „eine körperliche Auseinandersetzung in Form einer Mann-gegen-Mann-Situation vermeiden“ wollte (UA S. 7), hatte er ein klappbares Messer mit einer Klingenlänge von 7,3 cm und einer maximalen Klingenbreite von 2,8 cm eingesteckt.
4
Der Angeklagte hielt die Situation für günstig und lief schneller. Der Nebenkläger bemerkte, dass sich jemand mit schnellen Schritten näherte. Auf den in russischer Sprache erfolgten Ausruf „Hallo” des Angeklagten dreh- te er den Kopf leicht zur Seite, um sich umzusehen. Der Angeklagte befand sich etwa auf gleicher Höhe einer Treppe. Er stach dem Nebenkläger mit dem Messer 4 cm tief in die linke Halsseite, wobei er die Hauptschlagader knapp verfehlte. Dessen Tod nahm er zumindest billigend in Kauf.
5
Durch die Wucht des Stichs fiel der Nebenkläger kurzzeitig nach vorn, ging jedoch nicht zu Boden. Der Angeklagte wandte sich ab und flüchtete, um nicht erkannt zu werden. Dabei rutschte er auf den Treppenstufen aus, wodurch der Nebenkläger sein Gesicht sehen konnte. Der Nebenkläger rannte dem Angeklagten nach, um ihn zur Rede zu stellen oder ihn ebenfalls zu schlagen. Spätestens jetzt ging der Angeklagte davon aus, dass der Stich nicht ausgereicht hatte, um den Tod des Nebenklägers herbeizuführen.
6
Unmittelbar danach standen sich die Kontrahenten vor dem U-BahnEingang in einer Entfernung von zwei bis drei Metern gegenüber. Der Nebenkläger erkannte das Messer in der Hand des Angeklagten und rief, dass er „das mit dem Messer lassen“ solle (UA S. 9). Der Angeklagte sagte, der Nebenkläger solle seine Lebensgefährtin in Ruhe lassen. Der Nebenkläger fürchtete einen weiteren Angriff und nahm eine abwehrende Körperhaltung ein; er wies den Angeklagten auf eine nahe Sparkasse und vorhandene Kameras hin. Aus Angst, der Angeklagte werde mit dem Messer abermals ei- nen Angriff unternehmen, flüchtete er und rief „Polizei Hilfe!“. Der Angeklagte lief ihm mit dem Messer in der Hand ein kurzes Stück hinterher, unternahm jedoch keine weiteren Stich- bzw. Schlagbewegungen. Dann verließ er den Tatort.
7
Der Nebenkläger erreichte den Bahnsteig, verständigte die Polizei und bemerkte erst jetzt die Stichwunde am Hals, die bei einer Notoperation am selben Abend versorgt wurde.
8
b) Die Schwurgerichtskammer hat angenommen, der Angeklagte sei freiwillig vom Versuch eines Tötungsdelikts zurückgetreten. Sie vermochte nicht auszuschließen, dass ihm ein nochmaliger Messerangriff möglich war und er hiervon freiwillig Abstand nahm. Dass er wegen körperlicher Überlegenheit des Nebenklägers nach dem ersten Stich keinen Angriff mehr auszuführen imstande gewesen sei, könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden; der Nebenkläger sei nur 7 cm größer und von weitgehend ähnlicher Statur.
9
2. Die Ausführungen, mit denen die Schwurgerichtskammer einen fehlgeschlagenen Versuch abgelehnt und einen Rücktritt vom unbeendeten Mordversuch im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB angenommen hat, halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.
10
a) Die Schwurgerichtskammer hat ihrer Prüfung des Fehlschlags des Tötungsversuchs zutreffende rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt, nach denen ein solcher gegeben ist, wenn der Täter die Tat, wie er weiß, mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden einsatzbereiten Mitteln ohne zeitliche Zäsur nicht mehr vollenden kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. März 2013 – 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273 Rn. 32 mwN). Unter Würdigung sämtlicher relevanter Gesichtspunkte (insbesondere: der An-geklagte hielt das Messer weiter in der Hand, Nähe zum Nebenkläger, sehr rascher Geschehensablauf) hat sie die weitere Vollendbarkeit aus der maßgeblichen Tätersicht zumindest nicht ausschließen können. Auch mit dem durch die Revision hervorgehobenen Aspekt der körperlichen Überlegenheit des Nebenklägers hat sie sich befasst und ihn vertretbar gewürdigt (UA S. 30). Soweit die Beschwerdeführerin hiergegen anführt, der Tatplan des Angeklagten sei zwingend auf einen Angriff auf den Nebenkläger in schutzloser Lage beschränkt gewesen und nach dessen erfolgloser Durchführung endgültig gescheitert, ermangelt es für eine solche Annahme einer tragfähigen Grundlage in den tatgerichtlichen Feststellungen. Die Beschwerdeführerin setzt vielmehr ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts. Damit kann sie im Revisionsverfahren nicht gehört werden.
11
b) Die Annahme eines unbeendeten Versuchs wegen Korrektur des Rücktrittshorizonts ist hier im Hinblick auf das Fehlen jeglicher erkennbarer Beeinträchtigung beim Nebenkläger nach Ausführung des Stichs ungeachtet des gesetzten Treffers rechtsfehlerfrei. Dies gilt auch für die weitere Annahme des Landgerichts, der Rücktritt sei freiwillig erfolgt. Freiwilligkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und die Ausführung seines Verbrechens- plans noch für möglich gehalten hat, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 1992 – 3 StR 187/92,BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 16 mwN, und vom 8. August 2013 – 5 StR 316/13 Rn. 2). Dabei ist maßgebliche Beurteilungsgrundlage nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon; die äußeren Gegebenheiten sind jedoch, was die Beschwerdeführerin zu verkennen scheint, insoweit von Bedeutung, als sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters ermöglichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 1992 – 3 StR 187/92, aaO, und vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, StraFo 2013, 342 Rn. 9).
12
Das Landgericht hat aus dem Umstand, dass sich der noch immer das Messer haltende Angeklagte und der Nebenkläger vor der Sparkasse nahe gegenüberstanden, die Möglichkeit abgeleitet, dass der Angeklagte unschwer ein weiteres Mal hätte zustechen können, davon aber aus autonomen Gründen Abstand genommen haben kann. Dieser Schluss ist möglich und daher vom Revisionsgericht hinzunehmen. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Schwurgerichtskammer habe sich mit einer für den Angeklagten als letztlich unvertretbar darstellenden Risikoerhöhung nicht befasst, sind den Feststellungen keine hinreichenden Anhaltspunkte in diese Richtung zu entnehmen (zu den Anforderungen vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 1992 – 3 StR 187/92, aaO, und vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 537/06, NStZ 2007, 265, 266). Der bloße Hinweis des Nebenklägers auf die Sparkasse und auf Kameras genügt hierfür nicht, zumal – allgemein bekannt – weite Bereiche von U-Bahnhöfen ohnehin videoüberwacht sind. Entsprechendes gilt für die Hilferufe des Nebenklägers. Dass sich etwa – unter Umständen eingreifbereite – Passanten oder Sicherheitskräfte in der Nähe befanden , findet in den Feststellungen keinen Niederschlag. Die Beschwerdeführerin trägt auch nicht vor, dass sie insoweit Beweisanträge gestellt hat; eine Aufklärungsrüge hat sie nicht erhoben.
13
3. Die Strafzumessung weist – in Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts – durchgreifende Rechtsfehler weder zum Vorteil des Angeklagten noch zu dessen Nachteil (§ 301 StPO) auf.
Basdorf Sander Schneider Dölp König
10
a) Die Beurteilung der Frage, ob die Aufgabe weiterer, möglicherweise noch zum Erfolg führender Handlungen freiwillig erfolgte, hängt davon ab, ob der Täter aus autonomen Motiven gehandelt hat und subjektiv noch in der Lage war, das zur Vollendung der Tat Notwendige zu tun (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992 – 4 StR 532/92, NStZ 1993, 279 mwN). Dabei stellt die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt, für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters nicht in Frage (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013 – 2 StR 289/13, StV 2014, 336; Urteil vom 14. April 1955 – 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 299, st. Rspr.). Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das einer Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und eine daraufhin erfolgte Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2014 – 4 StR 40/14, NStZ-RR 2014, 171, 172; Urteil vom 14. April 1955 – 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 299, st. Rspr.). Dies kann unter anderem dann der Fall sein, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2013 – 5 StR 229/13, NStZ-RR 2014, 9, 10; Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 537/06, NStZ-RR 2007, 136, 137; Urteil vom 17. Dezember 1992 – 4 StR 532/92, NStZ 1993, 279; Urteil vom 1. September 1992 – 1 StR 484/92, NStZ 1993, 76, 77). Verbleibende Zweifel an der Freiwilligkeit des Rücktritts sind grundsätzlich zu Gunsten des Täters zu lösen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2003 – 4 StR 59/02, NStZ-RR 2003, 199).

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 83/18
vom
7. März 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:070318B1STR83.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 7. März 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 7. November 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die vollumfänglich Erfolg hat (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.


2
Die Ausführungen des Landgerichts zum Rücktritt vom versuchten Totschlag halten einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
3
1. Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde und zum Tatzeitpunkt erheblich alkoholisierte Ange- klagte dem Geschädigten G. mit einem Teppichmesser eine etwa 15 cm lange, stark blutende Schnittverletzung am linken Halsbereich zufügte. Der abstrakt lebensgefährliche Schnitt durchtrennte die oberen Hautschichten und reichte bis in das Unterhautfettgewebe hinein. Nach diesem Schnitt versuchte der Angeklagte weiter auf den körperlich überlegenen Geschädigten in lebensgefährdender Weise einzustechen. Dies gelang ihm jedoch nicht, weil sich der Geschädigte G. zu diesem Zeitpunkt in einer Hecke befand und Hände sowie Äste schützend vor sich hielt. Der Angeklagte ließ sodann von weiteren Angriffen mit dem Messer ab, nachdem ein auf das Geschehen aufmerksam gewordener Anwohner rief, dass er die Polizei verständigt habe und die am Tatort anwesenden Zeugen E. und L. den Angeklagten verbal und auch durch Wegziehen von weiteren Stichen abhielten. Anschließend entschloss sich der Angeklagte zu fliehen und verließ den Tatort.
4
2. Im Hinblick auf dieses Geschehen hat das Landgericht ausgeführt, dass die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom versuchten Totschlag nicht vorlägen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB). Denn der Angeklagte, der im weiteren Verlauf von dem Geschädigten abgelassen habe, obwohl er noch nicht von dessen sicherem Tod habe ausgehen können, habe die weitere Tatausführung nicht freiwillig aufgegeben. Zum einen sei er von den ZeugenE. und L. daran gehindert worden und zum anderen habe er mitbekommen, dass zwischenzeitlich die Polizei verständigt worden sei, mit deren Eintreffen vor Ort in Kürze zu rechnen gewesen sei. Dem Angeklagten sei deshalb klar gewesen, dass er ohne sofortige Flucht Gefahr laufe, noch am Tatort festgenommen zu werden.
5
3. Die knappen Ausführungen des Landgerichts zum Rücktritt vom versuchten Totschlag leiden an einem durchgreifenden Erörterungsmangel. Denn das Landgericht, das offensichtlich von einem unbeendeten Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB ausgeht, setzt sich nicht hinreichend mit dem Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung – dem sogenannten Rücktrittshorizont – auseinander. Soweit sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen lässt, kann das Urteil einer sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht standhalten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. August 2017 – 5 StR 303/17, NStZ-RR 2018, 10; vom 23. November 2016 – 4 StR 471/16, JuS 2017, 550; vom 11. März 2014 – 1 StR 735/13, NStZ 2014,396; vom 29. September 2011 – 3 StR 298/11, NStZ 2012, 263 und vom 11. Februar 2003 – 4 StR 8/03, StraFo 2003, 206; Urteil vom 19. März 2013 – 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273).
6
4. Im vorliegenden Fall hat das Landgericht nicht erörtert, ob der den Tatort verlassende Angeklagte nach seinem Vorstellungsbild noch weitere Ausführungshandlungen ohne Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs hätte vornehmen können, nachdem ihn die in seinem Lager stehenden Zeugen E. und L. , bei denen es sich um einen Freund und seinen jüngeren Bruder handelte, zunächst verbal und durch Wegziehen von weiteren Stichen abhielten. Auch hat das Landgericht für das Vorstellungsbild des Angeklagten bedeutsame konkrete Feststellungen zum objektiven Geschehen, insbesondere zum Eingreifen der Zeugen, zum Verbleib der Tatwaffe nach deren Eingreifen, zur Position der jeweiligen Beteiligten und zur genauen zeitlichen Abfolge nicht getroffen. Nach den bisherigen Feststellungen ist jedenfalls nicht sicher ausgeschlossen, dass der Angeklagte auch nach Eingreifen der genannten Zeugen nach seinem Vorstellungsbild noch weitere Ausführungshandlungen hätte vornehmen können, bevor er sich entschloss, den Tatort zu verlassen (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 22. August 2017 – 3 StR 299/17, NStZRR 2017, 335). In Anbetracht der Gesamtumstände und unter Berücksichtigung der obigen Maßstäbe mussten sich dem Landgericht derartige Erörterungen jedoch aufdrängen. Das Fehlen entsprechender Feststellungen und Erörterungen steht einer abschließenden Prüfung durch das Revisionsgericht entgegen.
7
5. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2017 – 1 StR 604/16, StV 2017, 672; Urteile vom 17. Juli 2014 – 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 und vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).

II.

8
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
9
1. Der Annahme von Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB steht es nicht von vornherein entgegen, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt. Entscheidend ist vielmehr, dass der Täter die Tatvollendung aus selbstgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will und dementsprechend „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist (BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2017 – 1 StR 393/17 und vom 3. April 2014 – 2 StR 643/13, NStZ-RR 2014, 241 mwN).
10
2. Die Verständigung der Polizei und die Kenntnis des Angeklagten davon rechtfertigen für sich genommen weder die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs, noch stehen sie grundsätzlich einer Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB entgegen, da ein Täter in der Zeit bis zum Eintreffen derselben grundsätzlich noch ungehindert weitere Ausführungshandlungen vornehmen kann, ohne dass damit für ihn eine beträchtliche Risikoerhöhung verbunden sein muss (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2017 – 1 StR 393/17; zu einer beträchtlichen Risikoerhöhung BGH, Urteil vom 15. September 2005 – 4 StR 216/05, NStZ-RR 2006, 168, [169]; Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 537/06, NStZ 2007, 265, [266]).
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3. In Anbetracht der Versagung der Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB durch das Landgericht weist der Senat darauf hin, dass nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände vorzunehmen ist. Dabei kann eine selbstverschuldete Trunkenheit die Versagung der Milderung im Einzelfall selbst dann tragen, wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2017 – GSSt 3/17, NJW 2018, 1180).
Raum Graf Bellay Fischer Hohoff
7
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 6. November 2018 hierzu zutreffend dargelegt: „DieWertung des Landgerichts, es handele sich um einen fehlgeschlagenen Versuch, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

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An dieser Abweichung von dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen war das Landgericht nicht grundsätzlich gehindert. Denn ein solches Gutachten kann stets nur Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein. Insbesondere können ihm die sachverständigen Ausführungen die erforderliche Sachkunde verschafft haben, um die zu klärende Beweisfrage eigenständig und auch im Gegensatz zum Sachverständigen zu beantworten. Will der Tatrichter jedoch eine Frage, für deren Beantwortung er sachverständige Hilfe für erforderlich gehalten hat, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten , muss er die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt, ob er die Darlegungen des Sachverständigen zutreffend gewürdigt und aus ihnen rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit dessen Ausführungen , insbesondere zu den Gesichtspunkten, auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (BGH, Beschluss vom 13. September 2001 - 3 StR 333/01, NStZ-RR 2002, 257, 259 bei Becker). Diese an das Urteil zu stellenden Darlegungsanforderungen gelten auch dann, wenn das Gericht sich - wie hier - in einer Frage, zu deren Beantwortung von Gesetzes wegen ein Sachverständiger zu hören ist (vgl. § 246a Abs. 1 StPO), zu der dieser sich aber nicht geäußert hat, eine Überzeugung verschafft hat. Dies lässt das angefochtene Urteil vermissen.
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(1) Zwar ist das Tatgericht nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt es aber zu einem anderen Ergebnis, so muss es sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinander setzen, um zu belegen, dass es über das bessere Fachwissen verfügt. Es muss insbesondere auch dessen Stellungnahme zu den Gesichtspunkten wiedergeben, auf die es seine abweichende Auffassung stützt und unter Auseinandersetzung mit diesen seine Gegenansicht begründen, damit dem Revisionsgericht eine Nachprüfung möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2017 – 2 StR 323/16, NStZ-RR 2017, 222; vom 14. September 2017 – 4 StR 45/17, juris Rn. 10 mwN).

Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. März 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf, gemeinsam mit weiteren Tätern am 24. Februar 2014 unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben einen bewaffneten Raubüberfall auf das Juweliergeschäft P.   im     -Z.   in S.   begangen zu haben, freigesprochen. Es konnte sich von einer Tatbeteiligung des Angeklagten nicht überzeugen. Mit ihrer gegen diesen Freispruch gerichteten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2

Das Landgericht hat hinsichtlich des Überfalls folgende Feststellungen getroffen:

3

Am 24. Februar 2014 gegen 12.00 Uhr betraten die gesondert Verfolgten Mi.    B.   und   V.   zusammen mit einem weiteren Täter das Juweliergeschäft P.   im    -Z.    in S.  . V.   betrat als erster das Geschäft und richtete seine mitgeführte Pistole auf zwei im Geschäft arbeitende Mitarbeiter und gab ihnen sowie einer weiteren Angestellten zu verstehen, sich auf den Boden zu legen. Mi.   B.  , der Bruder des Angeklagten M.  B.  , trug eine Schiebermütze; er ging direkt zu den Uhrenvitrinen und schlug mit einer Axt die Scheiben ein. Er entnahm sodann Uhren der Marke Breitling und verstaute sie in seinem Rucksack. Zeitgleich schlug ein weiterer Täter, der mit einer Baseball-Kappe bekleidet war, die Schaufensterscheibe mit einer Axt von innen ein und entnahm aus der Auslage zahlreiche Uhren sowie Modeschmuck, die er in eine Umhängetasche packte. Die Täter erbeuteten Uhren und Schmuck im Gesamtwert von über 265.000 €. Sie flüchteten zu Fuß zu einer in der Nähe gelegenen Bundesstraße, wo ein Auto auf sie wartete, mit dem sie davonfuhren. Der dritte Räuber wies - so das Landgericht - Ähnlichkeiten mit dem Angeklagten und dessen Bruder, Mi.   B.  , auf. Dass es sich tatsächlich um den Angeklagten handelte, war - trotz zahlreicher belastender Indizien - nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen.

II.

4

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensbeanstandung nicht ankommt.

5

1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, mit der es sich von der Täterschaft des Angeklagten nicht hat überzeugen können, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie weist Lücken auf, weil nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise dargelegt ist, warum es dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Sch.  , der es als „wahrscheinlich“ angesehen hat, dass der Angeklagte der (dritte) Täter mit der Adidas-Baseball-Kappe gewesen sei, nicht gefolgt ist.

6

Zwar ist das Tatgericht nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt es aber zu einem anderen Ergebnis, so muss es sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinander setzen, um zu belegen, dass es über das bessere Fachwissen verfügt (vgl. BGH NStZ 2013, 55, 56). Es muss insbesondere auch dessen Stellungnahme zu den Gerichtspunkten wiedergeben, auf die es seine abweichende Auffassung stützt (vgl. BGH NStZ 2000, 550) und unter Auseinandersetzung mit diesen seine Gegenansicht begründen, damit dem Revisionsgericht eine Nachprüfung möglich ist (vgl. BGH NStZ 1994, 503).

7

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht teilt zwar die Einschätzung des Sachverständigen mit, der bei einem Vergleich von Bildern des Angeklagten mit Aufnahmen einer Überwachungskamera von der Tatbegehung keine erheblichen Abweichungen festgestellt, zudem diverse Merkmalsähnlichkeiten erkannt und es insoweit als "wahrscheinlich" angesehen hat, dass der Angeklagte mit dem Täter auf dem Überwachungsvideo identisch sei. Die Strafkammer legt auch noch dar, dass sie "dem nicht in vollem Umfang aus eigener Überzeugung zu folgen vermochte", da die von dem Sachverständigen aus dem Videomaterial gewonnenen und für einen Vergleich herangezogenen Lichtbilder teilweise so unscharf gewesen seien, dass die Kammer die Konturen nicht mit der gleichen Sicherheit wie der Sachverständige als diejenigen des Angeklagten identifizieren konnte. Sie versäumt es aber, der eigenen Einschätzung von der mangelnden Qualität der Tatortbilder die Stellungnahme des Gutachters gegenüber zu stellen und zu erläutern, warum dieser in den Bildern (noch) eine hinreichende Grundlage für die Fertigung eines anthropologischen Gutachtens sieht und aus welchem Grund sie sich dem gleichwohl nicht anzuschließen vermag. Ohne nähere Kenntnis dieser Umstände ist es dem Senat - trotz einiger in Bezug genommener Lichtbilder, die die Strafkammer durchaus nachvollziehbar als "so verschwommen" bezeichnet hat, dass sie hierauf verlässlich einen Vergleich nicht stützen konnte - nicht möglich nachzuprüfen, ob der Einschätzung der Strafkammer die hierfür erforderliche Sachkunde zugrunde liegt.

8

Dieser Darlegungsmangel führt zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei der gebotenen Würdigung des anthropologischen Gutachtens zu einer anderen Einschätzung gelangt und daraus die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gewonnen hätte.

9

Die Sache bedarf, zweckmäßigerweise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen, neuer Verhandlung und Entscheidung.

Appl     

       

Krehl     

       

Eschelbach

       

Bartel     

       

Grube     

       

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An dieser Abweichung von dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen war das Landgericht nicht grundsätzlich gehindert. Denn ein solches Gutachten kann stets nur Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein. Insbesondere können ihm die sachverständigen Ausführungen die erforderliche Sachkunde verschafft haben, um die zu klärende Beweisfrage eigenständig und auch im Gegensatz zum Sachverständigen zu beantworten. Will der Tatrichter jedoch eine Frage, für deren Beantwortung er sachverständige Hilfe für erforderlich gehalten hat, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten , muss er die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt, ob er die Darlegungen des Sachverständigen zutreffend gewürdigt und aus ihnen rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit dessen Ausführungen , insbesondere zu den Gesichtspunkten, auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (BGH, Beschluss vom 13. September 2001 - 3 StR 333/01, NStZ-RR 2002, 257, 259 bei Becker). Diese an das Urteil zu stellenden Darlegungsanforderungen gelten auch dann, wenn das Gericht sich - wie hier - in einer Frage, zu deren Beantwortung von Gesetzes wegen ein Sachverständiger zu hören ist (vgl. § 246a Abs. 1 StPO), zu der dieser sich aber nicht geäußert hat, eine Überzeugung verschafft hat. Dies lässt das angefochtene Urteil vermissen.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 365/18
vom
30. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 30. Januar 2019 gemäß § 44 Abs. 1,
§ 46 Abs. 1 und § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 15. Februar 2018 gewährt.
Der Beschluss des Landgerichts Essen vom 22. Mai 2018, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

ECLI:DE:BGH:2019:300119B4STR365.18.0 Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat: 1. Zwar sind die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeitsprüfung rechtlich nicht gänzlich unbedenklich; ein durchgreifender Rechtsfehler liegt jedoch nicht vor.

a) Das Landgericht ist zu der Auffassung gelangt, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten in das Unrecht seines Tuns zu den Tatzeitpunkten aufgehoben war. Der langjährig an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leidende Angeklagte sei aufgrund der fortgeschrittenen Wahnerkrankung, die insbesondere mit akustischen Halluzinationen einhergegangen sei, nicht in der Lage gewesen, den ihn zur Vornahme sexueller Handlungen auffordernden Stimmen zu widerstehen; ange- sichts der „Intensität“ und der „über Jahre erfolgten Verfestigung derWahnvorstellungen“ sei er bei den zum Nachteil seiner Tochter begangenen Missbrauchshand- lungen auch bei Anstrengung seiner Geisteskräfte nicht in der Lage gewesen, das Unrecht seines Tuns einzusehen. Zwar habe er in den jeweiligen Tatsituationen „zielgerichtet“ gehandelt; gleichwohl habe es ihm an Handlungsalternativen gefehlt, womit zugleich das Fehlen der Einsicht in das Unrecht der vom Wahn bestimmten Handlungen einhergegangen sei.

b) Diese Begründung lässt im Zusammenhang mit den Feststellungen zu den Anlasstaten zweifelhaft erscheinen, ob dem Angeklagten bei Tatbegehung die Fähigkeit fehlte, das Unrecht seines Tuns einzusehen.
aa) Wegen fehlender Einsichtsfähigkeit ist schuldunfähig, wer infolge der bei ihm festgestellten Störung im konkreten Fall die äußeren Umstände seines Tuns oder ihren strafwürdigen Bedeutungsgehalt nicht erkennt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16, StV 2017, 585, 586; vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15, StV 2016, 725; Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 25). Demgegenüber ist wegen fehlender Steuerungsfähigkeit schuldunfähig, wer infolge der Störung zwar das Unrecht seines Tuns erkennt, aber nicht in der Lage ist, nach der vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln. Zwischen Aufhebung der Einsichtsund der Steuerungsfähigkeit ist zu differenzieren (BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2017 – 4 StR 595/16, NStZ-RR 2017, 203, 205; vom 21. November 2017 – 2 StR 375/17). Nur in Ausnahmefällen kann eine psychische Störung dazu führen, dass Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit aufgehoben sind (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 – 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167).
bb) Gemessen hieran greift der Hinweis des Landgerichts, dass dem Angeklagten in den Tatsituationen wahnbedingt Handlungsalternativen nicht zur Verfügung standen und ihm deshalb die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seines Tuns fehlte, zu kurz. Handlungsalternativen fehlen auch demjenigen Täter, der das Unrecht seines Tuns erkennt, aber nicht nach dieser Einsicht zu handeln vermag. Das vom Landgericht zu Recht als „zielgerichtet“ bewertete Verhalten des Angeklagten in den jeweiligen Tatsituationen hätte im Übrigen Anlass zu kritischer Prüfung der Frage geben müssen, ob es – ungeachtet des festgestellten akuten Wahnerlebens – für einen noch erhaltenen Realitätsbezug und damit für eine noch erhaltene Einsichtsfähigkeit sprechen konnte, wie dies der vom Landgericht hinzugezogene psychiatrische Sachverständige angenommen hat. Etwaige Erörterungsmängel in diesem Zusammenhang stellen jedoch die Schuldfähigkeitsbeurteilung des Landgerichts nicht in Frage. Denn die Feststellungen und Beweiserwägungen zur Schwere des Krankheitsbilds und den Auswirkungen in den jeweiligen Tatsituationen belegen, dass jedenfalls die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund akuten Wahnerlebens zu den Tatzeitpunkten sicher aufgehoben war.
2. Auch die Gefahrenprognose ist knapp, aber insgesamt noch tragfähig begründet.

a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur erfolgen, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also Taten, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 1 StR 287/18, NStZ-RR 2018, 302). Die anzustellende Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142). Das Tatgericht hat die für die Gefährlich- keitsprognose maßgeblichen Umstände so umfassend darzulegen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75).

b) Diesen Darlegungsanforderungen wird das Urteil noch gerecht. Zwar erschließt sich nicht, auf welche konkreten Tatsachen das Landgericht seine Annahme stützt, es bestehe ein höherer Grad der Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte ein Kapitaldelikt begehen könnte. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist jedoch hinreichend klar zu entnehmen, dass das Landgericht seine Annahme, es bestehe eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Angeklagte auch künftig Sexualstraftaten begehen könne, tragfähig insbesondere auf die Schwere der Wahnerkrankung, den ungünstigen Krankheitsverlauf, die Intensivierung der Wahn- vorstellungen und akustischen Halluzinationen sowie den Umstand gestützt hat, dass der Angeklagte wahnbedingt Stimmen hört, die ihm die Begehung von Sexualstraftaten befehlen oder nahelegen.
Sost-Scheible Cierniak Bender Quentin Bartel