Baugefährdung
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„Wer bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Baus oder des Abbruchs eines Bauwerks gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer in Ausübung eines Berufs oder Gewerbes bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Vorhabens, technische Einrichtungen in ein Bauwerk einzubauen oder eingebaute Einrichtungen dieser Art zu ändern, gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet.“
So lauten die Absätze eins und zwei des etwas weniger geläufigen Delikts der Baugefährdung gem. § 319 StGB. Auch im Fall der Fahrlässigkeit droht gemäß den Absätzen drei und vier dieser Vorschrift eine Strafe. Die Baugefährdung ist ein echtes Sonderdelikt und konkretes Gefährdungsdelikt. Rechtsgut sind Leib und Leben anderer Menschen. Der Tatbestand kann verwirklicht werden, ohne dass es tatsächlich zu einem Baustellenunfall gekommen sein muss. Ein „Beinahe-Unfall” reicht aus.
Tathandlung ist ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik. Der Täterkreis ist – wie oben ersichtlich –auf drei Tätertypen beschränkt. Insbesondere der Bauherr ist als solcher nicht unmittelbar erfasst. Der Eintritt einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben ist Tatbestandsvoraussetzung. Im Fall einer Körperverletzung oder gar Tötung eines Menschen kann eine vorangegangene konkrete Gefahr ohne weiteres unterstellt werden. Trotz Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik kann zum Beispiel im Hinblick auf ein Sonderwissen des Täters und damit auf einen höheren Sorgfaltsmaßstab im Einzelfall Fahrlässigkeit zu bejahen sein, vgl. BGHSt 37, 184.
Die Nichteinhaltung der anerkannten Regeln der Technik, insbesondere von Unfallverhütungs- und baurechtlichen Sicherheitsvorschriften sowie Regeln zur gesundheitsmäßigen Beschaffenheit oder über die Feuersicherheit, legt die Vermutung einer Sorgfaltspflichtverletzung und damit von Fahrlässigkeit nahe, so Kehrberg, in: Motzke/Preussner/Kehrberg, Die Haftung des Architekten, 10. Aufl. 2015, Kapitel Q Haftung aus Gesetz, Rn. 71. Wird neben der Baugefährdung auch eine Ordnungswidrigkeit nach der jeweiligen Landesbauordnung verwirklicht, wird nach § 21 Abs. 1 S. 1 OWiG nur das Strafgesetz angewendet. Nur wenn im konkreten Fall keine Strafe verhängt wird, kann die Handlung als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden, Kehrberg, a.a.O., Rn. 76.
Täter der Baugefährdung kann nur sein, wer entweder einen Bau oder den Abbruch eines Bauwerks plant, leitet oder ausführt, § 319 Abs. 1 StGB. Ebenso wird bestraft, wer die Tathandlung in Ausübung eines Berufs oder Gewerbes bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Vorhabens, technische Einrichtungen in ein Bauwerk einzubauen oder eingebaute Einrichtungen dieser Art zu ändern, begeht, § 319 Abs. 2 StGB.
Technische Einrichtungen sind beispielsweise Maschinen, Aufzüge, Heiz- und Klimaanlagen, Gasrohre sowie elektrische Anlagen wie Boiler und eingebaute Kühlschränke, Leipold, in: Greeve/Leipold, Handbuch des Baustrafrechts, München 2004, § 43 Rn. 5.
Die Begriffe Bau und Abbruch eines Baus sind weit zu verstehen und umfassen die gesamte Bau- bzw. Abbruchtätigkeit im Bereich des Hoch-, Tief-, Wasser-, Straßen- und Bergbaus, Fischer StGB § 319 Rn. 3. Baubegleitende Nebentätigkeiten bzw. Hilfsarbeiten, die mit der Errichtung des Baus oder dem Abbruch des Bauwerks zusammenhängen, wie z. B. der Baugrubenaushub oder die Errichtung eines Baugerüsts, sind ebenfalls erfasst, RGSt 10, 242; Fischer StGB § 319 Rn. 3. Beim Abbruch genügt es, wenn Teile eines Gebäudes oder eines sonstigen Bauwerks abgerissen werden, Englert/Grauvogl/Maurer, Handbuch des Baugrund- und Tiefbaurechts, 4. Aufl. 2011, Rn. 2998 m.w.N.
Bauplaner ist, wer konkrete Planungsarbeiten, wie z. B. die Erstellung des Bau- oder Abrissplans, einer Baustatik oder von Bauzeichnungen für das jeweilige Vorhaben vornimmt. Ein Statiker muss seine Berechnungen nachprüfbar in die Statik aufnehmen und dort festhalten. Ein Prüfingenieur für Baustatik, der hoheitlich tätig wird, ist ebenso wenig nach § 319 StGB verantwortlich wie die Beamten der Baugenehmigungsbehörde, Leipold, a.a.O., § 43 Rn. 10.
Bauleiter ist derjenige, der die maßgebenden Anordnungen für die Ausführung des Baus bzw. Abbruchs tatsächlich gibt, OLG Hamm, Urteil vom 02.07.1969 – 4 Ss 457/69. Es genügt dabei, wenn dies nur für ein bestimmtes Gewerk zutrifft, Englert/Grauvogl/Maurer, a.a.O., Rn. 3000. Der tatsächliche Bauleiter kann sich durch eine Beauftragung von Subunternehmern seiner strafrechtlichen Haftung nicht entledigen; eine entsprechende vertragliche Vereinbarung ist unbeachtlich, ebd. Rn. 3001. Die Bauüberwachung allein reicht demgegenüber aber für eine strafrechtliche Verantwortung gem. § 319 StGB noch nicht.
Bauausführender ist, wer bei Erstellung des Baus oder Abbruch des Bauwerks mitwirkt, Fischer StGB, § 319 Rn. 6. Der Ausführende – zum Beispiel ein Bohrmeister oder Bauhandwerker – ist nur im Bereich der ihm zugewiesenen Tätigkeit und im Rahmen des ihm eingeräumten Spielraums für die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik verantwortlich, Englert/Grauvogl/Maurer, a.a.O., Rn. 3002. Der Bauherr kann unter Umständen als Bauleiter qualifiziert werden, Urteil des BGH vom 21.04.1964 – 1 StR 72/64 (im Fall eines wahrnehmbar nachlässigen Bauunternehmers), OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.03.1977 – 3 Ss 159/76 –, sofern er sich „selbst ausnahmsweise von vornherein die Bauaufsicht ganz oder zum Teil vorbehalten hat”. Vereinzelte Anweisungen reichen dafür aber nicht, Leipold, a.a.O., § 43 Rn. 8. Zudem kommt eine Teilnahme (Anstiftung und insbesondere Beihilfe) an der Baugefährdung in Betracht, siehe hierzu Esser/Keuten, NStZ 2011, 314, 316.
Die konkrete Gefahr muss gerade auf den Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik zurückzuführen sein. Der Verstoß darf im Sinne der Äquivalenztheorie nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg, die konkrete Gefahr, entfiele (conditio sine qua non).
Die konkrete Gefahr muss dem Täter auch adäquat zurechenbar sein, also nicht völlig außerhalb der Erfahrung und Erwartung eines objektiven, durchschnittlich informierten Dritten liegen. Die objektive Zurechnung kann insbesondere in Fällen des atypischen Kausalverlaufs und des Dazwischentretens eines Dritten (z. B. Arbeiters) bzw. im Fall des Erfolgseintritts auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten zweifelhaft sein.
Die Tat erfolgt rechtswidrig, wenn keine Rechtfertigungsgründe vorliegen. In Betracht kommt die Einwilligung durch Vereinbarung über eine Unterschreitung der anerkannten Regeln der Technik. Nach vorzugswürdiger Auffassung ist eine rechtfertigende Einwilligung im Gegensatz zur Sachlage bei der Straßenverkehrsgefährdung jedoch bei der Baugefährdung nicht möglich. Denn der alleingefährdete Rechtsgutsträger der Baugefährdung ist im Zeitpunkt der Vertragsvereinbarung nicht feststellbar, die zeitliche Dimension der Baugefährdung unüberschaubar und unberechenbar, vgl. Leipold, a.a.O., § 43 Rn. 2, a.A. SK-Horn, zitiert bei Leipold, ebd.
Neben der Baugefährdung kommen als Folge pflichtwidrigen Handelns beim Bau (z. B. Überschreitung festgesetzter Höchstwerte) insbesondere die Straftaten gegen die Umwelt gem. der §§ 324 ff. StGB in Betracht, vgl. Englert/Grauvogl/Maurer, a.a.O., Rn. 3004-3019: § 324 StGB – Gewässerverunreinigung (oberirdische Gewässer, das Grundwasser und das Meer), Ordnungswidrigkeiten gem. § 41 WHG und den Landeswassergesetzen, § 324a –Bodenverunreinigung, §§ 325, 325a StGB – Luftverunreinigung, Lärmverursachung, bußgeldbewehrte Genehmigungspflichten nach BImSchG.
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(1) Wer bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues oder des Abbruchs eines Bauwerks gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer in Ausübung eines Berufs oder Gewerbes bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Vorhabens, technische Einrichtungen in ein Bauwerk einzubauen oder eingebaute Einrichtungen dieser Art zu ändern, gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet.
(3) Wer die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(4) Wer in den Fällen der Absätze 1 und 2 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.