EU-Insolvenz: Das Nachlassinsolvenzverfahren ist ein Hauptverfahren i.S.d. Art.3 I EuInsVO
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1. Art. 3 EuInsVO findet auch auf Nachlassinsolvenzverfahren Anwendung.
2. Für die Feststellung der internationalen Zuständigkeit i. S. d. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist bei Selbstständigen auf den Ort der beruflichen Tätigkeit abzustellen. Dies ist tatsächlich der Ort, wo sie ihre wirtschaftlichen Interessen verwalten, zu dem sie die engsten Beziehungen unterhalten, wo der Schwerpunkt des Vermögens belegen und der für Dritte am besten erkennbar ist.
Entscheidung:
In dem Insolvenzeröffnungsverfahren
über den Nachlass
des verstorbenen F.-D. B., zuletzt wohnhaft gewesen in B./Italien
erklärt sich das Amtsgericht Köln für örtlich unzuständig und verweist das Verfahren auf Antrag der Nachlasspflegerin
an das örtlich zuständige Amtsgericht Traunstein (§§ 2, 3, 4 InsO, § 281 ZPO), weil sich der Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Erblassers in O. befunden hat.
Gründe
I.
Mit Beschluss des AG Leverkusen vom 15.7.2010 - 9 VI 114/10 - wurde die Antragstellerin zur Nachlasspflegerin über den Nachlass des am 28.1.2010 in Bozen/Italien verstorbenen F.-D. B. bestellt. Mit Schriftsatz vom 23.9.2010 beantragte die Nachlasspflegerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass des Verstorbenen, weil dieser zahlungsunfähig und „aller Voraussicht nach „ überschuldet sei. Auf die Beanstandung des Gerichts gemäß Schreiben vom 29.9.2010 trug sie mit Schriftsatz vom 4.10.2010 vor, der Schwerpunkt der Vermietungstätigkeit des Schuldners habe in L. gelegen. Diesen Sachvortrag ergänzte bzw. änderte sie mit weiterem Schriftsatz vom 29.102.2010 dahin, dass der Schuldner Vermögen in L. und O. besessen habe. Seine Wohnung in Bozen sei zwischenzeitlich geräumt. Neben seiner Wohnung in Bozen habe der Verstorbene eine Wohnung in O. besessen. Dort habe er sich ebenso wie in Bozen regelmäßig aufgehalten. Über das Konto des Erblassers bei der H. Bank in W. seien verschiedene Zahlungen, unter anderem an das Finanzamt T. getätigt worden. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 29.10.2010 „angeregt“, das Verfahren an das örtlich zuständige Amtsgericht Traunstein abzugeben.
II.
Das Amtsgericht Köln ist örtlich unzuständig. Das Verfahren war antragsgemäß an das örtlich zuständige Amtsgericht Traunstein zu verweisen, weil der Erblasser den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen i. S. d. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in O. hatte.
Auf den vorliegenden Fall findet die vorgenannte Bestimmung Anwendung. Es handelt sich um eine grenzüberschreitende Insolvenz, weil der Schuldner seinen Wohnsitz u. a. in B./italien hatte und über Vermögenswerte in Deutschland verfügte. Art. 3 EuInsVO findet auch auf Nachlassinsolvenzverfahren Anwendung. Zwar erwähnt die EuInsVO das Nachlassinsolvenzverfahren nicht. Berücksichtigt man indes, dass die Verordnung, vorbehaltlich der in Art. 1 Abs. 2 EuInsVO normierten Ausnahmen, Geltung für „Gesamtverfahren, welche die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den teilweisen oder vollständigen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben“, beansprucht, bestehen keine Bedenken, auch Nachlassinsolvenzverfahren unter den Anwendungsbereich der EuInsVO zu fassen.
Nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahren international das Gericht des Mitgliedsstaats zuständig, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Nach zutreffender überwiegender Ansicht ist für die Bestimmung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Schuldnerinteressen einer natürlichen Person darauf abzustellen, ob der Schuldner einer selbständigen beruflichen Tätigkeit oder einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgeht. Den Akten 71 IN 347/10 ist zu entnehmen, dass der Erblasser bis zu seinem Tode Alleingesellschafter und Geschäftsführer der B. GmbH & Co. KG war. Gegenstand des Unternehmens dieser Gesellschaft ist die Verwaltung eigenen Vermögens. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs übt der geschäftsführende Mehrheitsgesellschafter einer GmbH auch dann eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Vorschriften über das Verbraucherinsolvenzverfahren aus, wenn die GmbH persönlich haftende Gesellschafterin einer GmbH & Co. KG ist. Auch wenn die vorgenannte Entscheidung zur Abgrenzung des Regel- vom Verbraucherinsolvenzverfahrens ergangen ist, erscheint es sachgerecht, die dort angestellten Überlegungen zur selbstständigen Tätigkeit einer natürlichen Person auf den hier in Rede stehenden Fall zu übertragen.
Für die Feststellung der internationalen Zuständigkeit i. S. d. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist bei Selbständigen auf den Ort der beruflichen Tätigkeit abzustellen. Dies ist tatsächlich der Ort, wo sie ihre wirtschaftlichen Interessen verwalten, zu dem sie die engsten Beziehungen unterhalten, wo der Schwerpunkt des Vermögens belegen ist und der für Dritte am besten erkennbar ist. Die Antragstellerin hat hierzu vorgetragen, dass sich der Verstorbene nach den Angaben seiner Schwägerin sowohl in Bozen als auch in O. regelmäßig aufgehalten habe. Damit steht noch nicht fest, von welchem Ort er seine Geschäftstätigkeit abgewickelt und seine Bücher geführt hat. Berücksichtigt man indes, dass nach dem weiteren Sachvortrag der Antragstellerin der Erblasser in O., nicht aber in Italien über Grundbesitz verfügte, über sein Konto bei der H. Bank Filiale W. verschiedene Zahlungen wie Grundsteuer für die Stadt L., Honorar für die Steuerberater H. und L. und Zahlungen an das Finanzamt T. geleistet wurden und die F. Hausverwaltungen GmbH die Wohnadresse in O. als Zustelladresse des Erblasser gewählt hat und die GmbH & Co. KG, deren alleiniger Kommanditist der Erblasser war, im Handelsregister des AG Traunstein eingetragen ist, ist davon auszugehen, dass der Schwerpunkt der selbständigen Tätigkeit des Erblassers in O. lag.
Diese Betrachtungsweise entspricht auch der Konzeption der EuInsVO. Der Verordnungsgeber hat die Gefahr mehrerer Interessenmittelpunkte gesehen. Er hat den Gerichten für den Fall, dass der Schuldner der Verwaltung seiner Interessen an verschiedenen Orten nachgeht, mit dem Atttribut „hauptsächlich“ in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ein Entscheidungskriterium zur Verfügung gestellt, das den Schwerpunkt zum entscheidenden Ort erklärt. Konkrete Anhaltspunkte für einen Schwerpunkt der selbständigen Tätigkeit des Schuldners in Bozen oder gar in Leverkusen sind weder vorgetragen worden noch aus den Akten ersichtlich.
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Annotations
(1) Für das Insolvenzverfahren ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Landgericht seinen Sitz hat, als Insolvenzgericht für den Bezirk dieses Landgerichts ausschließlich zuständig.
(2) Die Landesregierungen werden ermächtigt, zur sachdienlichen Förderung oder schnelleren Erledigung der Verfahren durch Rechtsverordnung andere oder zusätzliche Amtsgerichte zu Insolvenzgerichten zu bestimmen und die Bezirke der Insolvenzgerichte abweichend festzulegen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.
(3) Rechtsverordnungen nach Absatz 2 sollen je Bezirk eines Oberlandesgerichts ein Insolvenzgericht bestimmen, an dem ein Gruppen-Gerichtsstand nach § 3a begründet werden kann. Die Zuständigkeit des bestimmten Insolvenzgerichts kann innerhalb eines Landes auch über den Bezirk eines Oberlandesgerichts erstreckt werden.
(1) Örtlich zuständig ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt.
(2) Hat der Schuldner in den letzten sechs Monaten vor der Antragstellung Instrumente gemäß § 29 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes in Anspruch genommen, ist auch das Gericht örtlich zuständig, das als Restrukturierungsgericht für die Maßnahmen zuständig war.
(3) Sind mehrere Gerichte zuständig, so schließt das Gericht, bei dem zuerst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden ist, die übrigen aus.
Für das Insolvenzverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend. § 128a der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe, dass bei Gläubigerversammlungen sowie sonstigen Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können.
(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.
(2) Anträge und Erklärungen zur Zuständigkeit des Gerichts können vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.
(3) Die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht erwachsen. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.