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| Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, denn die Ladung enthielt einen entsprechenden Hinweis (§ 102 Abs. 2 VwGO). |
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| Die Klage ist zulässig und begründet. |
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| Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG, weil die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylVfG vorliegen und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG im vorliegenden Fall nicht gegeben sind. Dementsprechend darf der Kläger gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht nach Serbien abgeschoben werden. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 28.03.2014 ist daher aufzuheben soweit er dieser Verpflichtung entgegen steht. |
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| Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention, BGBl. 1953 II S. 559) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Wenn der Ausländer sich auf dieses Abschiebungsverbot beruft, stellt das Bundesamt in einem Asylverfahren fest, ob die genannten Voraussetzungen vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). |
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| Gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28.08.2013, BGBl. I S. 3474) ist ein Ausländer dann Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. II 1953, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftslandes) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. |
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| Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt somit - wie auch die Anerkennung als Asylberechtigter - die Gefahr einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung des Klägers bei einer Rückkehr nach Serbien voraus. Es kann hierbei dahin stehen, ob der Kläger bereits vor seiner Ausreise aus Serbien einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder ihm eine solche unmittelbar gedroht hatte; denn das Gericht ist jedenfalls davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Serbien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit der Gefahr einer Verfolgung zu rechnen hat, die an ein asylrelevantes Merkmal, die Rasse, anknüpft (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG, § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). |
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| 1. Hierbei kann weiter dahin stehen, ob der Kläger schon allein wegen seiner Zugehörigkeit zum Volk der Roma einer politischen Verfolgung in Serbien ausgesetzt war oder bei einer Rückkehr nach Serbien einer solchen Gefahr ausgesetzt sein würde. Hierbei verkennt das Gericht nicht die äußerst problematische Lage, in der sich Roma in Serbien befinden. Nach der Auskunftslage und der in dem Verfahren A 11 K 5036/13 durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass Roma in Serbien extrem benachteiligt werden, dass sie gezwungen sind, am Rande der Gesellschaft zu leben und dass sie vielfältige Benachteiligungen hinzunehmen haben. Dies gilt insbesondere für ihren Zugang zum Arbeitsmarkt, dem Zugang zur Gesundheitsversorgung, dem Zugang zu Bildungsmöglichkeiten und der Möglichkeit Sozialleistungen zu erlangen. Insoweit nimmt das Gericht Bezug auf die Darstellung der sachverständigen Zeugin Dr. W. bei ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 25.03.2014 (A 11 K 5036/13) sowie auf die von PRO ASYL herausgegebenen Schrift der Zeugin Dr. W.: „Serbien - ein sicherer Herkunftsstaat? Eine Auswertung von Quellen zur Menschenrechtssituation (April 2013)“. |
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| Die Feststellungen und Einschätzungen der Zeugin Dr. W. werden weitgehend auch im Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Serbien des Auswärtigen Amtes vom 18.10.2013, S. 13 f. geteilt. |
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| Das Gericht folgt ausdrücklich auch der Einschätzung der Zeugin, dass Roma in Serbien verstärkt Opfer von Übergriffen Dritter sind und die staatlichen Organe gegen solche Übergriffe in der Regel keinen Schutz gewähren. Schon dieser Befund stellt die Einschätzung des Bundesamts, dass den gegen Roma gerichteten Diskriminierungen die erforderliche Verfolgungsintensität fehle, in Frage. |
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| 2. Im Urteil vom 25.03.2014 (A 11 K 5036/13) hat das Gericht weiter ausgeführt: |
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| „Entscheidend kommt für das Gericht aber hinzu, dass Angehörige der Roma in jüngster Zeit durch den serbischen Staat in ihren elementaren Rechten auf Freizügigkeit beschnitten und zudem kriminalisiert werden, weil sie von dem Menschenrecht der freien Ausreise Gebrauch machen. |
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| Die Ausreisefreiheit ist zum einen durch Art. 2 Abs. 2 des Protokolls Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 16.09.1963 (BGBl. 1968 II S. 423) verbürgt. Danach steht es grundsätzlich jedermann frei, jedes Land, einschließlich des eigenen zu verlassen. Zum anderen wird die Ausreisefreiheit auch durch Art. 17 der serbischen Verfassung geschützt. Die Einschränkungsmöglichkeiten, die die serbische Verfassung vorsieht, strafrechtliche Ermittlungen, Vorbeugung gegen ansteckende Krankheiten oder Beschränkungen zur Verteidigung der Republik Serbien, sind vorliegend nicht einschlägig. Damit stellt die massenhafte Behinderung bzw. Verhinderung der Ausreise serbischer Staatsangehöriger durch gesetzliche Regelungen und deren administrative Umsetzung eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG dar. |
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| Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass die neuen serbischen Ausreise- und Grenzkontrollbestimmungen ausdrücklich dazu bestimmt sind und auch dazu eingesetzt werden, Angehörige von Minderheiten - insbesondere die Angehörigen der Roma - die Ausreise aus Serbien zu erschweren oder diese unmöglich zu machen. Diese Einschätzung stützt sich auf die aktuelle Auskunftslage und die Erklärungen der Zeugin Dr. W. in der mündlichen Verhandlung und wird durch die Information des Regional Center for Minorities, wonach Bestrafungen nach dem neuen serbischen Meldegesetz selektiv gegen Roma erfolgten, bestätigt. Damit knüpft die Verfolgungshandlung an die „Rasse“ ein Merkmal des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG an; vgl. insoweit auch § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG. |
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| Die Verfolgungshandlung weist auch die erforderliche Intensität auf. Nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG gelten als „Verfolgung“ im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der in Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04.11.1950 genannten Rechte. Das Recht auf freie Ausreise ist ein grundlegendes Menschenrecht, dem - auch wenn es nicht in Art. 15 Abs. 2 der Konvention genannt ist - seit jeher ein großes Gewicht zukommt (vgl. insoweit auch die Entscheidung des EGMR - Fourth Section vom 27.11.2012 - Case of Stamose v. Bulgaria - Appl. no. 29713/05). |
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| Die Ausreisefreiheit ist die Grundlage für jeden Menschen, Herrschaftsverhältnissen zu entgehen, mit denen der Einzelne aufgrund abweichender politischer Überzeugung nicht übereinstimmt (vgl. hierzu z.B.: BVerwG, Urteil vom 13.11.1979 - I C 16/75, Urteil vom 24.04.1979 - I C 49/77 - DÖV 1979, 827, Urteil vom 21.11.1978 - I C 5/73), seine Religion frei leben zu können, wenn dies im Heimatland nicht möglich ist (cuius regio, eius religio und das hieran anknüpfende ius emigrandi) oder sich aus sozial oder wirtschaftlich bedrängter Lage zu befreien und andernorts sein Glück zu suchen. |
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| Dem letzten Gesichtspunkt kommt insbesondere dann große Bedeutung zu, wenn die Lebensverhältnisse der Betroffenen im Heimatland kaum erträglich und die Möglichkeiten zur Selbsthilfe stark beschränkt sind. So aber liegen die Dinge für Angehörige der Roma in Serbien. Der weitaus überwiegende Teil dieser Minderheit ist wirtschaftlich auf ein Leben verwiesen, das weit unter dem liegt, was in der Bundesrepublik Deutschland als Existenzminimum definiert ist. Es gibt kaum Möglichkeiten der Selbsthilfe, weil für diesen Personenkreis nach übereinstimmender Auskunftslage kaum ein Zugang zur Arbeitswelt und zu Bildungsmöglichkeiten besteht. Aufgrund bürokratischer Anforderungen sind Roma von Sozialleistungen weitgehend ausgeschlossen, aufgrund ihrer prekären wirtschaftlichen Lage sind sie oft auch nicht in der Lage von Angeboten des Gesundheitssystems Gebrauch zu machen, wie eine extrem hohe Kindersterblichkeit und eine deutlich niedrigere Lebenserwartung belegt. |
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| Wie die Zeugin Dr. W. in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, werden den Roma aktuell durch neue staatliche Maßnahmen auch noch die wenigen Möglichkeiten, ihr Leben zu fristen, genommen. So führt das neu eingeführte Abfallbeseitigungskonzept dazu, dass Roma, die zu einem großen Teil aus diesem Müll direkt - oder indirekt durch Verwertung - leben, auch dieser Existenzgrundlage beraubt werden. Je weniger ein Staat bereit oder in der Lage ist, Lebensbedingungen zu schaffen, die für die Einwohner zumindest erträglich sind und je weniger die einzelnen sich aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse selbst helfen können, umso bedeutsamer ist das Menschenrecht auf Ausreise, so dass deren Verhinderung in solchen Fällen nur als „schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte“ im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG betrachtet werden kann. |
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| Jedenfalls aber erfüllt die Beschränkung der Ausreisefreiheit für Roma in Verbindung mit allen anderen Beeinträchtigungen, denen Angehörige der Roma in Serbien unstreitig ausgesetzt sind (siehe oben), die Voraussetzungen des § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG. Angehörige der Roma haben deshalb zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine begründete Furcht vor künftigen schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, wenn sie nach Serbien zurückkehren müssten. |
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| Erschwerend hinzu kommen die neu geschaffenen Sanktionen durch das Meldegesetz und § 350a des serbischen StGB. Hierbei geht das Gericht zunächst davon aus, dass Verurteilungen wegen Verstoßes gegen das Meldegesetz selektiv gegen Roma erfolgen (siehe oben). Entscheidend stellt das Gericht aber auf den neu eingeführten § 350a des serbischen StGB ab, der vor dem Hintergrund der Debatte über die Visumsfreiheit zu sehen und zu würdigen ist. Nach Absatz 1 dieser Regelung haben Asylbewerber allein wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland mit strafrechtlicher Verfolgung und Verurteilung zu rechnen. |
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| Diese Strafandrohung stellt eine unverhältnismäßige und diskriminierende Strafverfolgung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG dar. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm sind nach deren Wortlaut so weit gefasst, dass nicht lediglich Dritte (Fluchthelfer) davon betroffen sind, sondern ausdrücklich auch der Asylbewerber selbst. Dies ergibt sich ohne weiteres aus dem Verhältnis von § 350a Abs. 1 serbisches StGB zu dessen Absätzen 2 und 3. Anknüpfungspunkt der Bestrafung nach § 350a Abs. 1 serbisches StGB ist u.a. lediglich die „falsche“ Darstellung der Gefährdungslage in Serbien durch einen Asylbewerber in einem Asylantrag. Das Strafmaß beträgt für Erfüllung diesen Tatbestands Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren. |
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| Nicht zu übersehen ist aber auch, dass die Strafschärfungen in den dortigen Absätzen 2 und 3 ihrem Wortlaut nach nicht auf gewerbsmäßige Fluchthelfer beschränkt sind, sondern jeden erfassen, der die in Absatz 1 genannte Tat in einer Gruppe verübt (Absatz 2) bzw. wenn die in Absatz 2 genannte Tat als „Organisator“ begangen wird. Dann drohen Haftstrafen bis zu fünf Jahren bzw. bis zu acht Jahren, selbst wenn nur bei der Asylantragstellung von Verwandten oder Freunden geholfen worden ist. |
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| § 350a des serbischen StGB stellt schon mit der Strafandrohung im Falle dessen Absatzes 1 eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte dar. Diese Verletzung knüpft auch an ein Merkmal von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG, die Rasse, an. Das Gericht ist davon überzeugt, dass sich § 350a des serbischen StGB speziell gegen Roma richtet und diskriminierend ist. Dies gilt erst recht für die Strafandrohungen von § 350a Absätze 2 und 3 des serbischen StGB. |
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| Dass die Asylantragstellung den serbischen Behörden im Falle einer Rückkehr bekannt wird, ergibt sich nicht nur aus der allgemeinen Lebenserfahrung, sondern folgt ohne weiteres auch aus dem Schreiben vom 29.05.2013 (EU - Delegation to the Republic of Serbia, Political Section, The Head of Section an die Zeugin Dr. W.).“ |
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| An dieser Einschätzung hält das Gericht auch unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens der Beklagten im Berufungszulassungsantrag vom 28.04.2014 fest. Die Beklagte macht hier im Wesentlichen geltend, dass es gute Gründe dafür gebe, die Verhinderung oder die Beeinträchtigung des Rechts auf freie Ausreise nicht als relevante Rechtsverfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylVfG einzustufen. Jedenfalls sei die Ausreisefreiheit nicht den in § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG genannten grundlegenden Menschenrechten gleich zu erachten. Selbst wenn man davon ausginge, dass bei Verstößen gegen das neue serbische Meldegesetz selektiv gegen Roma vorgegangen würde, würde es sich bei den hier verhängten Geldstrafen nicht um hinreichend schwerwiegende Eingriffe handeln. Schließlich könne die Relevanz einer Strafnorm (hier § 350a serbisches StGB) nicht allein anhand ihres Normtextes bestimmt werden. Maßgeblich sei hingegen, wie diese Strafvorschrift tatsächlich in der Rechtspraxis der Gerichte angewendet werde. |
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| 1. Entgegen der Auffassung der Beklagten nimmt das Recht auf freie Ausreise eine zentrale Stellung unter den Menschenrechten ein. |
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| a) In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland kommt ihr - angesichts der damaligen deutschen Teilung und der Teilung Europas - eine überragende, ja konstitutive Bedeutung zu. In allen Regierungserklärungen der damaligen Bundeskanzler Adenauer, Erhard und Brandt „wurde die Tragweite der Freizügigkeit für das innerdeutsche Verhältnis hervorgehoben. Sie forderten das Recht auf Verlassen der DDR und Übersiedlung in das Bundesgebiet nicht nur wegen der allen Deutschen zustehenden Freizügigkeit, sondern auch als elementares Menschenrecht“ (vgl. Eichenhofer, Einreisefreiheit und Ausreisefreiheit, ZAR 2013, 135 <136>). Und weiter: „Die Bundesrepublik bezog ihre Legitimation als ein den Menschenrechten verpflichteter Staat primär daraus, dass sie sich in der Ausreisefreiheit von der DDR unterschied.“ (ebenda). |
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| b) Die Ausreisefreiheit wird durch Artikel 13 Ziffer 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 geschützt, der bestimmt, dass jeder Mensch das Recht hat, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen sowie in sein Land zurückzukehren. Vergleichbar schützt Artikel 12 Abs. 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (BGBl 1973 II, S. 1553) die Ausreisefreiheit („Jedermann steht es frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen“). Im Abschlussdokument des KSZE-Folgetreffens in Wien vom 15.01.1989 haben die Signatarstaaten unter Punkt 20, 2. Spiegelstrich beschlossen: „Die Teilnehmerstaaten werden das Recht eines jeden auf Ausreise aus jedem Land, darunter auch seinem eigenen, und auf Rückkehr in sein Land uneingeschränkt achten.“ Im Grundgesetz wird die Ausreisefreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt (BVerfGE 6, 32), wobei diese Gewährleistung keinen Randbereich der freien Persönlichkeitsentfaltung betrifft, sondern eine zentrale Verbürgung des Art. 2 Abs. 1 GG darstellt (vgl. insoweit z.B. die abweichende Meinung von Grimm: BVerfGE 80, 137 <165 und 166>). |
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| c) Schließlich ist darauf zu verweisen, dass die Verurteilung der Mauerschützen durch den Bundesgerichtshof (BGHSt 39, 1) voraussetzte, dass die Grenzsoldaten der DDR gegen fundamentale Menschenrechte verstoßen hatten. Eine Rechtfertigung des Grenzregimes durch das Grenzgesetz der DDR lehnte der BGH ab, weil in ihm ein „offensichtlich grober Verstoß gegen Grundgedanken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit zum Ausdruck kommt“. Hierbei stellt der BGH zentral auf Art. 12 Abs. 2 IPbürgR ab, der die Ausreisefreiheit gewährleistet, die durch den Staat nicht generell beseitigt, sondern nur punktuell eingeschränkt werden dürfe. Eine Verletzung des Menschrechts auf freie Ausreise hat der BGH bejaht, „weil den Bewohnern der DDR das Recht auf freie Ausreise nicht nur in Ausnahmefällen, sondern in aller Regel vorenthalten wurde.“ Nichts anderes kann gelten, wenn ein Staat einer bestimmten Gruppe die Ausreisefreiheit in vergleichbarer Weise verweigert. Denn Einschränkungen der Ausreisefreiheit dürfen jedenfalls nicht missbräuchlich oder willkürlich angewendet werden. |
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| 2. Soweit die Beklagte § 350 a des serbischen StGB die Relevanz abspricht, weil es auf die tatsächliche Rechtsanwendungspraxis ankomme, folgt dem das Gericht ebenfalls nicht. Entscheidend ist die im Gesetz erfolgte Strafandrohung. Die Annahme, dass diese Norm nicht oder nicht in relevanter Weise in der Rechtspraxis angewandt werde, ist zum momentanen Zeitpunkt spekulativ. Erst nach einem längerem Zeitraum der Nichtanwendung der Norm oder nach Entstehung einer konkreten Rechtspraxis der Gerichte mag anderes gelten. |
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| 3. Unabhängig von der Beantwortung der durch die Beklagte aufgeworfenen Fragen zur Ausreisefreiheit und der Strafbarkeit der Asylantragstellung ist jedenfalls nicht mehr nachvollziehbar, wie angesichts eines massiven Eingriffs in die Ausreisefreiheit von Angehörigen der Roma und der erfolgten Strafverschärfungen der Antrag des Antragstellers als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden konnte. |
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| Da die Klage mit dem Hauptantrag erfolgreich ist, kommt es auf die gestellten Hilfsanträgen nicht mehr an. |
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| Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei. |
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