Verwaltungsgericht Mainz Urteil, 16. Nov. 2016 - 3 K 1535/15.MZ
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3) und 4). Die Beigeladenen zu 1) und 2) tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in einer der Kostenfestsetzung entsprechenden Höhe vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin, die sowohl im Landesentwicklungsprogramm Rheinland-Pfalz (LEP IV) als auch im Regionalen Raumordnungsplan Rheinhessen-Nahe (RROP 2015) als Mittelzentrum dargestellt ist, plant an einem Standort im bestehenden Gewerbe- und Industriepark B. einen großflächigen Möbeleinzelhandelsbetrieb mit einer Verkaufsfläche von maximal 45.000 m² (Möbelhaus mit ca. 37.600 m², Möbelmitnahmemarkt mit ca. 7.400 m²), davon (zuletzt) 2.250 m² mit innenstadtrelevanten Randsortimenten, ansiedeln zu lassen. Der vorgesehene Standort, bauplanungsrechtlich bislang als Gewerbe- bzw. Industriegebiet festgesetzt, ist in Abstimmung mit der Planungsgemeinschaft Rheinhessen-Nahe im Einzelhandelskonzept der Klägerin als Ergänzungsstandort im Sinne von Ziel 59 LEP IV ausgewiesen. Die Klägerin beabsichtigt, im Wege einer Änderung des Flächennutzungsplans den Standort des geplanten Möbeleinzelhandels als Sonderbaufläche „großflächiger Einzelhandel“ auszuweisen.
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Nach Vorgesprächen, an denen Vertreter der Planungsgemeinschaft Rhein-hessen-Nahe und der unteren und oberen Landesplanungsbehörde teilgenommen hatten und in denen u.a. die Frage der Notwendigkeit eines Zielabweichungsverfahrens erörtert wurde, fasste der Stadtrat der Klägerin in seiner Sitzung vom 22. Juli 2014 den Beschluss zur Änderung des Flächennutzungsplans. Zugleich beschloss er, einen Antrag auf Zulassung einer Abweichung von den Zielen der Raumordnung zur Ansiedlung eines Möbelhauses im Gewerbe- und Industriepark B. zu stellen.
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Am 14. August 2014 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens, verbunden mit der Zulassung einer Abweichung von den Zielen der Raumordnung und Landesplanung (Ziel 58 LEP IV, Ziele 2 bis 4 des damals noch gültigen RROP 2004). Dem Antrag war u.a. eine Auswirkungsanalyse der ... Handelsberatung GmbH beigefügt. Diese Analyse kam zu dem Ergebnis, dass ausgehend von einer durchschnittlichen Flächenproduktivität von 1.800 €/m² (Worst-Case-Szenario) an dem geplanten Standort ein Möbeleinzelhandel mit einer Fläche von ca. 45.000 m² Verkaufsfläche – davon 4.085 m² für innenstadtrelevante Sortimente – mit dem Zentralitätsgebot (Ziel 57 LEP IV), dem städtebaulichen Integrationsgebot/Ergänzungsstandorte (Ziele 58, 59 LEP IV) sowie mit dem Nichtbeeinträchtigungsgebot (Ziel 60 LEP IV) in Einklang stehe. Insbesondere sei keine wesentliche Beeinträchtigung der Versorgungsfunktion der städtebaulich integrierten Bereiche der Klägerin und der Versorgungsbereiche benachbarter zentraler Orte zu erwarten.
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Im Rahmen des Zielabweichungsverfahrens holte der Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme des Büros Dr. A. Stadt- und Regionalentwicklung zur Auswirkungsanalyse der ... GmbH ein. In dieser kam der weitere Gutachter zu dem Ergebnis, dass u.a. die in der Auswirkungsanalyse ... GmbH als Worst-Case-Wert zugrunde gelegte Flächenproduktivität von 1.800 €/m² deutlich zu niedrig angesetzt sei. So gebe es leistungsstarke Anbieter, die eine Flächenproduktivität von deutlich über 3.000 €/m² erzielten. Da nicht bekannt sei, welche Firma den geplanten Möbeleinzelhandel betreiben wolle, ein leistungsstarker Anbieter mithin nicht auszuschließen sei, sei ein Flächenleistungsansatz von 2.800 €/m² in Anschlag zu bringen. Unter Berücksichtigung dessen, dass das Beeinträchtigungsgebot verletzt sei, wenn Umsatzverteilungen von 10 % bei innenstadtrelevanten und 20 % bei nicht innenstadtrelevanten Sortimenten zu erwarten seien, sei ein Vorhaben mit maximal 22.000 m² Verkaufsfläche, davon 2.000 m² für innenstadtrelevante Sortimente, als raumverträglich anzusehen.
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Nachdem die oberste Landesplanungsbehörde ihr Einvernehmen zu einer Zielabweichung in einer Gesamtgrößenordnung von 22.000 m² Verkaufsfläche (davon 2.000 m² für innenstadtrelevante Randsortimente) erklärt hatte, ließ der Beklagte mit Bescheid vom 15. Dezember 2015 unter Ablehnung des Antrags im Übrigen für die 1. Änderung des Flächennutzungsplans i.V.m. der 3. Änderung des Bebauungsplans „Gewerbe- und Industriepark B. am Rhein und G.“ die Abweichung von Z 58 LEP IV und Z 46 RROP 2015 mit der Maßgabe zu, dass die Gesamtverkaufsfläche des geplanten Möbeleinzelhandels auf maximal 22.000 m² festzulegen und der Anteil der innenstadtrelevanten Sortimente auf insgesamt 2.000 m² zu begrenzen sei. Zur Begründung bezog sich der Beklagte im Wesentlichen auf die Ausführungen und Wertungen in der gutachterlichen Stellungnahme des Büros Dr. A.. Unter Berücksichtigung der in dieser Stellungnahme angesetzten Flächenproduktivität von 2.800 €/m² sei nur bei Einhaltung dieser Verkaufsflächen davon auszugehen, dass Umsatzverteilungen in Bezug auf das nächstgelegene Mittelzentrum B. K. nicht mehr als 10 % ausmachten und damit mit dem Nichtbeeinträchtigungsgebot des Ziels 60 LEP IV in Einklang stünden. Durch die erteilte Zielabweichung seien sowohl das Landesentwicklungsprogramm als auch der regionale Raumordnungsplan nicht in ihren Grundzügen berührt.
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Der hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 4. April 2016 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Planung der Klägerin stehe mit den Zielen 58 bis 60 LEP IV und Ziel 46 RROP 2015 nicht in Einklang. Die in dem Zielabweichungsantrag genannte Verkaufsfläche für innenstadtrelevante Randsortimente von 4.085 m² verstoße gegen Ziel 59 Satz 3 LEP IV. Entgegen der Ansicht der Klägerin komme es insoweit nicht allein darauf an, dass innenstadtrelevante Randsortimente nicht mehr als 10 % der Gesamtfläche ausmachten. Vielmehr sei zusätzlich auch auf eine absolute Beschränkung unterhalb der Schwelle der Großflächigkeit abzustellen. Ungeachtet dessen sei die vorgenannte Fläche aber auch nicht innenstadtverträglich, wie sich aus den Ausführungen der gutachterlichen Stellungnahme Dr. A. ergebe. Überdies verstoße die geplante Fläche für innenstadtrelevante Randsortimente auch gegen Ziel 58 LEP IV, da sie die Grenze der Großflächigkeit von 800 m² bei weitem überschreite. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei dieses Ziel nicht allein auf solche Einzelhandelsbetriebe beschränkt, die ein innenstadtrelevantes Kernsortiment führten. Soweit die Klägerin bei ihrer Planung von einer Flächenproduktivität von 1.800 €/m² ausgehe, sei dies deutlich zu niedrig angesetzt. Der Ansiedlung des Planungsvorhabens an einem als Gewerbe- und Industriefläche überplanten Standort stehe ferner Ziel 46 RROP 2015 entgegen, das die Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit innenstadtrelevanten Sortimenten an solchen Standorten nicht gestatte. Eine Zulassung der Zielabweichung mit den vorgesehenen Flächen beeinträchtige die vorgenannten Ziele der Raumordnung und Landesplanung in ihren Grundzügen.
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Bereits am 14. Dezember 2015 hatte die Klägerin Untätigkeitsklage erhoben, mit der sie primär die Feststellung begehrt, dass die Darstellung einer Sonderbaufläche mit der Zweckbestimmung „großflächiger Einzelhandel“ im Flächennutzungsplan mit einer Verkaufsflächenobergrenze von 45.000 m², davon 2.250 m² für innenstadtrelevante Randsortimente, nicht gegen die Ziele des Landesentwicklungsprogramms sowie des regionalen Raumordnungsplans verstößt. Sie trägt vor, ihr Begehren sei insoweit als Feststellungsklage zulässig. Sie habe den Zielabweichungsantrag nur gestellt, weil der Beklagte im Vorfeld eindeutig zu erkennen gegeben habe, dass er Ziel 58 LEP IV für verletzt halte, wenn innenstadtrelevante Sortimente auch als Randsortiment eine Verkaufsfläche von 800 m² überschritten. Sie habe jedoch bereits Anfang 2015 gegenüber dem Beklagten zu erkennen gegeben, dass sie die Planung für mit den Zielen 58 bis 60 LEP IV vereinbar halte. Das Ziel 58 LEP IV sei schon deshalb nicht berührt, weil es sich nur auf solche großflächigen Einzelhandelsmärkte beziehe, die ungeachtet der absoluten Größe innenstadtrelevante Sortimente als Kernsortimente führten. Hiervon könne vorliegend nicht die Rede sein, denn nach ihrem nunmehr modifizierten Begehren betrage die für solche Randsortimente vorgesehen Fläche nur rund 5 % der Verkaufsfläche. Dass das Ziel 58 LEP IV nicht auf Betriebe mit mehr als 800 m² Verkaufsfläche für innenstadtrelevantes Randsortiment anwendbar sei, ergebe sich aus einer Betrachtung mit Ziel 59 LEP IV, das gerade keine absolute Größenordnung des innenstadtrelevanten Randsortiments vorgebe, sondern lediglich auf eine relative Verkaufsfläche von in der Regel nicht mehr als 10 % der Gesamtverkaufsfläche sowie eine Begrenzung auf eine innenstadtverträgliche Größenordnung abstelle. Die Planung sei auch mit Ziel 59 LEP IV vereinbar. Der Standort des Marktes sei in Abstimmung mit der Raumordnung und Landesplanung in ihrem Einzelhandelskonzept als Ergänzungsstandort ausgewiesen. Entgegen der Auffassung des Beklagten enthalte Ziel 59 LEP IV gerade keine absolute Verkaufsflächenobergrenze für innenstadtrelevante Randsortimente. Mit 2.250 m² sei die Fläche für innenstadtrelevante Randsortimente auch auf eine innenstadtverträgliche Größenordnung beschränkt. Insbesondere lasse sie ausweislich der Auswirkungsanalyse ... GmbH keine Umsatzverteilung von mehr als 10 % gegenüber einem benachbarten zentralen Versorgungsbereich erwarten. Soweit demgegenüber das Gutachten Dr. A. zu anderen Werten gekommen sei, beruhe dies auf dem Umstand, dass es eine deutlich höhere Flächenproduktivität angenommen habe, die nicht gerechtfertigt seien. Diese seien allenfalls bei wenigen Unternehmen der Möbelbranche zu erwarten, die bei realitätsnaher Betrachtung indes für den geplanten Standort nicht in Betracht kämen. Die durchschnittliche Flächenproduktivität von Wohnkaufhäusern liege aber bei etwa 1.200 €/m², so dass der in der Auswirkungsanalyse ... zugrunde gelegte Flächenwert von 1.800 €/m² sehr wohl den „Worst Case“ abbilde. Bei einem Flächenleistungsansatz von 1.800 €/m² sei eine wesentliche Beeinträchtigung zentraler Versorgungsbereiche insbesondere benachbarter zentraler Orte auch in der geltend gemachten Größenordnung nicht zu erwarten. Damit sei auch das Nichtbeeinträchtigungsgebot in Ziel 60 LEP IV nicht berührt. Schließlich sei ihre Planung auch mit den Zielen des Regionalen Raumordnungsplans vereinbar. Das Ziel 17 RROP 2015 sei schon deshalb nicht betroffen, weil es keine konkreten Zielvorgaben enthalte. Die Planung verstoße auch nicht gegen Ziel 46 RROP 2015, das schon nicht anwendbar sei, weil es sich wie Ziel 58 LEP IV nur auf Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevantem Kernsortiment beziehe. Ein solcher sei indes nicht Gegenstand der Planung. Überdies lasse Ziel 46 Satz 2 RROP 2015 gerade die Umwandlung von Gewerbe- bzw. Industrieflächen in Sondergebiete mit der Zweckbestimmung „großflächiger Einzelhandel“ zu. Sollte ihre Planung hingegen von den vorgenannten Zielen der Raumordnung und Landesplanung abweichen, so habe sie jedenfalls einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Zielabweichung, die sie hilfsweise begehre. Insbesondere seien durch eine solche Zielabweichung weder die Grundzüge des Landesentwicklungsprogramms noch des regionalen Raumordnungsplans berührt.
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Die Klägerin beantragt,
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festzustellen, dass die Darstellung eines Sondergebiets mit der Zweckbestimmung großflächiger Möbeleinzelhandel im Flächennutzungsplan der Klägerin mit einer Obergrenze der Verkaufsfläche von 45.000 m², davon 2.250 m² für innenstadtrelevante Randsortimente (davon maximal 920 m² Haus- und Heimtextilien, 1.150 m² Lampen, Leuchten, 760 m² Glas, Porzellan, Keramik, Haushaltswaren, 720 m² Bilder/-Rahmen, Deko-/Geschenkartikel, 170 m² Babyerstausstattung, 365 m² Aktionswaren) auf dem Grundstück Gemarkung S. Flurstück .../..., Flur ..., Gemarkung S., Ecke G.-S.-Straße/L.-Q.-Straße nicht gegen Ziele der Raumordnung aus dem Landesentwicklungsprogramm Rheinland-Pfalz (LEP IV) – insbesondere die Ziele Z 58, Z 59 und Z 60 – sowie gegen Ziele des regionalen Raumordnungsplans Rheinhessen-Nahe 2014 verstößt,
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hilfsweise,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Dezember 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2016 zu verpflichten, auf ihren Antrag hin für die Darstellung des Sondergebiets mit der Zweckbestimmung großflächiger Möbeleinzelhandel mit einer Obergrenze der Verkaufsfläche von 45.000 m², davon 2.250 m² für innenstadtrelevante Randsortimente (davon maximal 920 m² Haus- und Heimtextilien, 1.150 m² Lampen, Leuchten, 760 m² Glas, Porzellan, Keramik, Haushaltswaren, 720 m² Bilder/-Rahmen, Deko-/Geschenkartikel, 170 m² Babyerstausstattung, 365 m² Aktionswaren) auf dem Grundstück Flur- stück .../..., Flur ..., Gemarkung S., Ecke G.-S.-Straße/L.-Q.-Straße, eine Abweichung von dem Ziel Z 58 aus dem LEP IV und Z 17 RROP des Regionalen Raumordnungsplans Rheinhessen-Nahe 2014 zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt unter Bezugnahme auf die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen vor: Es sei bereits zweifelhaft, ob das Klagebegehren hinreichend bestimmt sei. Die Klage sei mit ihrem Hauptantrag unzulässig, denn sie verstoße gegen den Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage. Es treffe nicht zu, dass er die Klägerin in das Zielabweichungsverfahren gedrängt habe. Jedenfalls sei die Feststellungsklage unbegründet. Es liege ein Verstoß gegen Ziel 58 LEP IV vor. Dieses Ziel finde entgegen der Auffassung der Klägerin auch auf solche Vorhaben Anwendung, bei denen innenstadtrelevante Sortimente als Randsortiment die Grenze der Großflächigkeit überschritten. Darüber hinaus verstoße die Planung auch gegen Ziel 59 LEP IV, denn die Ausweisung einer Verkaufsfläche von mehr als 2.000 m² für innenstadtrelevante Randsortimente stelle sich nicht als innenstadtverträglich dar. Neben den in Ziel 59 Satz 3 LEP IV genannten Kriterien sei auch eine absolute Obergrenze der Verkaufsfläche für innenstadtrelevante Randsortimente in den Blick zu nehmen. Dies ergebe sich bereits aus der ergänzenden Begründung zu Ziel 59 LEP IV. Damit bringe der Planer zum Ausdruck, dass die Begrenzung auf maximal 10 % der Verkaufsfläche nicht ausreiche. Mit dem Oberverwaltungsgericht Niedersachsen sei davon auszugehen, dass diese absolute Grenze bei 700 m² liege. Es sei auch fraglich, ob es sich bei den genannten Sortimenten noch um Randsortimente handele, da mit ihnen 15 % des Umsatzes generiert werde. Ungeachtet dessen fehle es aber an der Innenstadtverträglichkeit. Dies ergebe sich nachvollziehbar aus dem Gutachten Dr. A.. Ferner liege ein Verstoß gegen das Nichtbeeinträchtigungsgebot des Ziels 60 LEP IV vor, denn ausweislich des genannten Gutachtens sei bei einem Möbeleinzelhandelsmarkt in der von der Klägerin zugrunde gelegten Größe mit Umsatzverteilungen von mehr als 10 % und daher mit erheblichen Auswirkungen auf benachbarte zentrale Versorgungsbereiche zu rechnen. Entgegen der Auffassung in der Auswirkungsanalyse ... GmbH sei insoweit ein Flächenleistungsansatz von 2.800 €/m² zugrunde zu legen, so dass von einer höheren Flächenproduktivität auszugehen sei. Schließlich verstoße die Planung auch gegen Ziel 46 RROP 2015, das großflächige Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevanten Sortimenten auf Gewerbe- und Industrieflächen nicht gestatte. Der Begriff der Gewerbe- und Industrieflächen in Ziel 46 RROP 2015 sei nicht in bauplanungsrechtlichem, sondern in raumordnungsrechtlichem Sinne zu verstehen. Insoweit ergebe sich aus der Verbindung mit Ziel 17 RROP 2015, dass die hier streitgegenständliche Projektfläche raumordnungsrechtlich als Gewerbegebiet mit besonderer regionaler Bedeutung festgesetzt worden und dies von der Bauleitplanung zu beachten sei. Auch das hilfsweise Verpflichtungsbegehren sei unbegründet, da jedenfalls die begehrte Zielabweichung die betroffenen Ziele der Raumordnung und Landesplanung in ihren Grundzügen berührten.
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Die Beigeladenen zu 1) und 2) stellen keinen Antrag. Sie halten die Feststellungsklage ebenfalls für unzulässig. Auf prozessuale Nachteile könne sich die Klägerin allenfalls berufen, wenn sie vor Einleitung des Zielabweichungsverfahrens den Standpunkt eingenommen hätte, dass die von ihr in Aussicht genommenen bauleitplanerischen Maßnahmen mit den Zielen der Raumordnung in Einklang stünden und sie sich nur deshalb zur Antragstellung veranlasst gesehen habe, weil die Raumordnungsbehörden dies abweichend gesehen hätten. Dies sei nicht der Fall gewesen. Überdies fehle es der Feststellungsklage auch am Rechtsschutzinteresse. Dringe die Klägerin mit ihrem Feststellungsbegehren durch, erginge zu dem hilfsweise gestellten Verpflichtungsantrag keine Entscheidung, so dass die hilfsweise angegriffenen Verwaltungsentscheidungen in Bestandskraft erwachsen würden und zwingend der angestrebten Bauleitplanung entgegenstünden. Überdies fehle der Klägerin auch das berechtigte Feststellungsinteresse, sofern sie die Feststellung begehre, dass die Darstellung des von ihr geplanten Sondergebiets gegen gar kein Ziel der Raumordnung aus dem Landesentwicklungsprogramm IV und dem regionalen Raumordnungsplan verstoße. Die allgemeine Feststellung der Raumverträglichkeit könne von der Klägerin nicht verlangt werden, da ein umfänglich hiermit korrespondierendes Rechtsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten nicht bestehe. In der Sache jedenfalls verstoße die beabsichtigte Planung gegen das Ziel 58 des LEP IV. Soweit die Klägerin die Raumverträglichkeit des Möbeleinzelhandelsbetriebs in der vorgesehenen Größenordnung geltend mache, sei dem entgegen zu halten, dass das Gutachten ... GmbH an methodischen Fehlern leide und von daher nicht als Beurteilungsgrundlage geeignet sei. So seien vorhandene bzw. geplante Möbelanbieter bzw. Erweiterungen von bestehenden Märkten gar nicht in die Betrachtung mit einbezogen worden. Auch sei die Abgrenzung des Einzugsgebiets und dessen Zoneneinteilung fehlerhaft. Die angenommene Flächenproduktivität von 1.800 €/m² als „Worst Case“ erweise sich mit Blick auf die betreiberunabhängig geführte Planung als deutlich zu niedrig. Auch seien die Flächenproduktivitäten der im Einzugsgebiet belegen Bestandsmärkte zu niedrig angesetzt worden. Die Bindung freier Kaufkraft durch den geplanten Möbeleinzelhandel hindere sie im Ergebnis langfristig, verlorene Kaufkraft zurückzugewinnen. Eklatant sei dies in Bezug auf die Beigeladene zu 2), die in einem rechtkräftigen Bebauungsplan bereits ein Sondergebiet für einen Möbelmarkt ausgewiesen habe. Es werde übersehen, dass in ihren Gebieten das Angebot an Möbeln auf wenige Standorte konzentriert und bei mittelständischen Unternehmen gebündelt sei. Breche einer dieser Märkte infolge des Konkurrenzdrucks weg, vergrößere sich das bereits vorhandene Versorgungsdefizit. Außerdem sei fraglich, ob die Klägerin in Abweichung von der Liste innenstadtrelevanter Sortimente des Landesentwicklungsprogramms ihre eigene Sortimentsliste haben zugrunde legen dürfen.
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Die Beigeladenen zu 3) und 4) beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie machen geltend, die Feststellungsklage sei unzulässig, da die Klägerin von vornherein von der Notwendigkeit eines Zielabweichungsverfahrens ausgegangen sei. Damit sei für eine Feststellungsklage im Hinblick auf deren gesetzliche Subsidiarität kein Raum. Die angestrebte Planung sei in der Sache mit den Zielen 58 bis Z 60 LEP IV unvereinbar. Ziel 58 LEP finde auch auf Einzelhandelsbetriebe mit großflächigen innenstadtrelevanten Randsortimenten Anwendung. Dem stehe nicht das Ziel 59 LEP IV entgegen. Dieses Ziel sei aber ebenfalls verletzt, weil auch eine Fläche von 2.250 m² für innenstadtrelevante Sortimente ausweislich des Gutachtens Dr. A. nicht mehr innenstadtverträglich sei. Damit sei zugleich auch das Nichtbeeinträchtigungsgebot nach Ziel 60 LEP IV betroffen. Schließlich sei das Vorhaben auch mit dem Ziel 46 RROP 2015 unvereinbar, das vorsehe, dass großflächiger innenstadtrelevanter Einzelhandel auf Industrie- und Gewerbeflächen nicht gestattet sei. Der hier verwandte Begriff der Gewerbe- und Industrieflächen müsse in raumordnungsrechtlichem Sinne verstanden werden. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei auch dieses Ziel nicht auf großflächigen Einzelhandel mit innenstadtrelevantem Kernsortiment beschränkt. Eine Zielabweichung in dem von der Klägerin angestrebten Sinne scheide aus, weil die Grundzüge der Raumordnung und Landesplanung berührt würden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen. Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (1 Ordner) liegen der Kammer vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat weder mit ihrem Haupt- noch mit ihrem Hilfsantrag Erfolg. Die mit dem Hauptantrag erhobene Feststellungsklage ist zulässig (1), aber unbegründet (2). Die mit dem Hilfsantrag erhobene Verpflichtungsklage ist ebenfalls unbegründet (3).
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1) Die Klage ist mit dem Hauptantrag zulässig. Sie ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Die Beteiligten streiten insoweit darüber, ob die Planung mit den Zielen des Landesentwicklungsprogramms IV (LEP IV) sowie des Regionalen Raumordnungsplans Rheinhessen-Nahe 2015 (RROP 2015) vereinbar ist. Es ist damit die Anwendung von Rechtsnormen – hier des Landesplanungsgesetzes (LPlG) – auf einen bestimmten, überschaubaren Sachverhalt streitig. Hierin liegt ein der Feststellungsklage zugängliches Rechtsverhältnis (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1974 – 7 C 36/72 –, BVerwGE 45, 224 = juris Rn 11, und vom 13. Oktober 1971 – 6 C 57/66 –, BVerwGE 38, 346 = juris Rn. 26).
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Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung. Dieses ist gegeben, wenn die Rechtslage unklar ist, die zuständige Behörde anderer Rechtsauffassung als der Kläger ist und dieser sein künftiges Verhalten an der Feststellung orientieren will (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 28. November 1978 – II OE 105/76 –, NJW 1979, 997; VG Augsburg, Urteil vom 18. August 2016 – Au 5 K 16.577 –, juris Rn. 22), oder der Kläger Grund zur Besorgnis der Gefährdung seiner Rechte hat, z.B. wenn er der Auffassung ist, dass er für eine bestimmte Tätigkeit keine behördliche Erlaubnis benötigt, die Behörde insoweit jedoch eine andere Auffassung vertritt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1972 – I C 33/68 –, BVerwGE 39, 247 = juris Rn. 7; OVG NW, Urteil vom 17. September 2013 – 13 A 1100/12 –, NVwZ 2013, 1555 = juris Rn. 56 f.; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 43 Rn. 24). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn der Beklagte bestreitet die Vereinbarkeit der klägerischen Planung mit den vorgenannten Zielen der Raumordnung und Landesplanung und vertritt insoweit eine andere Rechtsauffassung als die Klägerin.
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Entgegen der Auffassung von Beklagtem und Beigeladenen steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage auch nicht der Grundsatz der Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Feststellungsklage unzulässig, wenn der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Der dem Kläger zustehende Rechtsschutz soll aus Gründen der Prozessökonomie auf ein einziges Verfahren, nämlich dasjenige, das seinem Anliegen am wirkungsvollsten gerecht wird, konzentriert werden. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO will mithin unnötige Feststellungsklagen vermeiden, wenn für die Rechtsverfolgung ein unmittelbareres, sachnäheres und wirksameres Verfahren zur Verfügung steht. Davon kann dann keine Rede sein, wenn die Feststellungsklage einen Rechtsschutz gewährleistet, der weiter reicht, als er mit einer Leistungs- oder Gestaltungsklage erlangt werden kann, wenn also die genannten Klagemöglichkeiten zu keinem gleichwertigen Rechtsschutz führen. Davon ist etwa dann auszugehen, wenn sich der Kläger mit der Erhebung einer Verpflichtungsklage in Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsauffassung setzen müsste (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. März 2014 – 4 B 55/13 –, RdL 2014, 347 = juris Rn. 4 m.w.N., und Urteil vom 26. September 2012 – 8 C 26/11 –, BVerwGE 144, 211 = juris Rn. 19; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 3. März 2016, 9 K 2050/14 –, juris Rn. 30). So liegt es hier, denn die Klägerin ist der Auffassung, dass ihre Planung nicht der Durchführung eines Zielabweichungsverfahrens bedarf, weil sie mit den Zielen der Raumordnung und Landesplanung vereinbar ist, und sie strebt mit ihrem Hauptantrag die entsprechende Feststellung an. Mit dieser Feststellung würde sich eine auf Zulassung einer Zielabweichung gerichtete Verpflichtungsklage erübrigen. Hinzu kommt, dass die Klägerin in dieser Situation bei einer Verweisung auf die Durchführung einer Verpflichtungsklage auch in eine unsichere Rechtsposition gedrängt würde. Klagt sie nämlich auf Erteilung eines positiven Zielabweichungsbescheids und käme das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Planung mit den Zielen der Raumordnung und Landesplanung vereinbar ist, wäre die Klage mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig abzuweisen mit der Folge, dass sie als unterlegener Beteiligter gemäß § 154 Abs. 1 und 3 VwGO die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten eventuell Beigeladener tragen müsste.
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Soweit der Beklagte und die Beigeladenen der von der Klägerin erhobenen Feststellungsklage entgegenhalten, die Klägerin habe mit der unbedingten Stellung ihres Zielabweichungsantrags selbst zum Ausdruck gebracht, dass sie die Durchführung eines entsprechenden Verfahrens für erforderlich erachte, steht dies der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Unabhängig davon, ob die Klägerin ursprünglich selbst der Auffassung gewesen ist, dass ihre Planung nur im Wege der Zielabweichung zulässig ist, oder ob sie den Zielabweichungsantrag im Hinblick auf die im Vorfeld des Verfahrens geäußerte Rechtsauffassung der oberen Landesplanungsbehörde (vgl. insoweit den Aktenvermerk der Beklagten vom 4. März 2013) gestellt hat, bestimmt sich das von der Klägerin angestrebte Rechtsschutzziel nach dem Parteiwillen, wie er sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung aufgrund des gesamten Vorbringens darstellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2012 – 9 B 56/11 –, NVwZ 2012, 375 = juris Rn. 7, und Urteil vom 23. Februar 1993 – 1 C 16/87 –, NVwZ 1993, 781 = juris Rn 13). Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hat die Klägerin hinreichend deutlich ihre Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht, die Planung bedürfe aufgrund ihrer Vereinbarkeit mit den Zielen der Raumordnung und Landesplanung keiner Zielabweichung.
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Schließlich fehlt der Feststellungsklage im Hinblick auf eine etwaige Bindungswirkung des hinsichtlich der Planung ergangenen Zielabweichungsbescheids nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis. Insbesondere steht dem Vorhaben nicht die Tatbestandswirkung eines in Bestandskraft erwachsenen Zielabweichungsbescheids entgegen. Zwar folgt aus Art. 20 Abs. 3 GG und § 43 des Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG –, dass ein (rechtswirksamer) Verwaltungsakt von allen Staatsorganen zu beachten und ihren Entscheidungen als gegeben zugrunde zu legen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2007 – 4 BN 17/07 –, BauR 2007, 1712 = juris Rn. 8 zu einem Zielabweichungsbescheid; Urteil vom 20. Januar 2003 – 4 CN 14/01 –, BVerwGE 117, 351 = juris Rn. 14) mit der Folge, dass die in dem Verwaltungsakt getroffene Regelung auch in anderen Verfahren als maßgeblich zu beachten ist. Gleichwohl schließt dies ein rechtlich schützenswertes Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung nicht von vornherein aus. Die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts hindert nämlich die zuständige Behörde nicht, den Verwaltungsakt von Amts wegen oder auf Antrag hin nach den Vorschriften der §§ 48 ff. VwVfG oder nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen durch einen Zweitbescheid aufzuheben oder abzuändern (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Auflage 2014, § 43 Rn. 21). Sollte daher auf den Hauptantrag der Klägerin hin die begehrte Feststellung ausgesprochen werden, steht damit fest, dass es einer Zielabweichung nicht bedarf mit der Folge, dass sich der Zielabweichungsbescheid – insbesondere soweit er den Zielabweichungsantrag ablehnt – als rechtswidrig erweist. In diesem Fall kann die Klägerin gegenüber dem Beklagten zumindest die Rücknahme des Zielabweichungsbescheids gemäß § 48 VwVfG geltend machen, über die nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist.
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2) Die Klage auf Feststellung der Vereinbarkeit des geplanten großflächigen Möbeleinzelhandelsbetriebs mit den Zielen des Landesentwicklungsprogramms IV und den Zielen des Regionalen Raumordnungsplans Rheinhessen-Nahe 2015 ist jedoch unbegründet. Die Planung der Klägerin steht jedenfalls nicht mit dem in Ziel 58 LEP IV enthaltenen Integrationsgebot in Einklang (a) und ist auch nicht mit Ziel 46 RROP vereinbar (b).
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a) Die Planung der Klägerin verstößt gegen das in Ziel 58 LEP IV enthaltene Integrationsgebot, weil der großflächige Möbeleinzelhandelsmarkt mit einem Verkaufsflächenanteil von 2.250 m² für innenstadtrelevante Sortimente nicht in einem städtebaulich integrierten Bereich, sondern in einem nach dem Einzelhandelskonzept der Klägerin als Ergänzungsstandort für großflächigen Einzelhandel mit nicht innenstadtrelevantem Sortiment ausgewiesenen Gemeindegebietsteil verwirklicht werden soll.
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Gemäß Ziel 58 Satz 1 LEP IV ist die Ansiedlung und Erweiterung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit innenstadtrelevanten Sortimenten nur in städtebaulich integrierten Bereichen, das heißt in Innenstädten und Stadt- sowie Stadtteilzentren, zulässig (städtebauliches Integrationsgebot). Die städtebaulich integrierten Bereiche (zentrale Versorgungsbereiche im Sinne des BauGB) sind von den zentralen Orten in Abstimmung mit der Regionalplanung verbindlich festzulegen und zu begründen. Vorliegend ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass das geplante Sondergebiet „großflächiger Einzelhandel“ für einen Möbeleinzelhandelsmarkt mit einer Verkaufsfläche von 45.000 m² einschließlich 2.250 m² für innenstadtrelevante Sortimente in zweierlei Hinsicht die in der Rechtsprechung anerkannte Grenze der Großflächigkeit (derzeit 800 m² Verkaufsfläche, vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2005 – 4 C 10/04 –, BVerwGE 124, 364 = juris Rn. 16 f.) überschreitet. Soweit die Klägerin der Auffassung ist, Ziel 58 LEP IV sei von vornherein nicht einschlägig, weil es nur großflächige Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevantem Kernsortiment betreffe, während der ihrer Planung zugrundeliegende Möbeleinzelhandelsmarkt als großflächiger Einzelhandelsbetrieb mit nicht innenstadtrelevantem Kernsortiment vorrangig von Ziel 59 LEP IV mit der Möglichkeit der Errichtung an einem Ergänzungsstandort erfasst werde, kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr ist Ziel 58 Satz 1 LEP IV nach Auffassung der Kammer dahingehend zu verstehen, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe jedenfalls dann zwingend in städtebaulich integrierten Lagen anzusiedeln sind, wenn sie neben einem nicht innenstadtrelevanten Sortiment ein innenstadtrelevantes Randsortiment führen, das die anerkannte Grenze der Großflächigkeit um ein Mehrfaches (hier nahezu um ein Dreifaches) überschreitet.
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Bereits der Wortlaut von Z 58 Satz 1 LEP IV streitet dafür, dass das Integrationsgebot nicht auf großflächige Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevantem Kernsortiment beschränkt ist, denn er spricht lediglich von großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit innenstadtrelevanten Sortimenten. Maßgeblich ist danach bei großflächigem Einzelhandel die Zentrenrelevanz des Sortiments. Er enthält keine Differenzierung nach Haupt- oder Randsortimenten. Hätte der Verordnungsgeber – das Landesentwicklungsprogramm wird gemäß § 8 Abs. 1 Satz 7 LPlG durch Rechtsverordnung der Landesregierung für verbindlich erklärt – beabsichtigt, das Integrationsgebot nach Ziel 58 LEP IV nur auf großflächige Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevantem Kernsortiment zu beziehen, hätte es nahegelegen, dies auch im Wortlaut der Regelung eindeutig zum Ausdruck zu bringen, wie dies etwa in Raumordnungsprogrammen anderer Bundesländer (vgl. etwa Ziffer 2.3 03 Satz 6 Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen 2008; Z. 2.6.4 Landesentwicklungsprogramm Thüringen 2025) geschehen ist.
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Auch eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung von Ziel 58 LEP IV führt zu dem Ergebnis, dass das Integrationsgebot auf Einzelhandelsbetriebe Anwendung findet, die innenstadtrelevante Sortimente jedenfalls in einem die Grenze der Großflächigkeit erheblich überschreitenden Umfang führen. Das Integrationsgebot hat die Aufgabe, die nach Art eines Kondominiums einander ergänzenden Rechtskreise Raumordnungs- und Städtebaurecht im Einzelfall zu verklammern und insbesondere die Handelsfunktion zu sichern und entwickeln zu helfen, welche vor allem in Innenstädten und Ortsmitten erfüllt werden soll. Ein attraktiver und funktionsfähiger Handelsplatz „Innenstadt“ ist eine der maßgeblichen Leitvorstellungen der Raumordnung. Deren Funktionsfähigkeit soll bei/trotz Ansiedlung oder Erweiterung von Einzelhandelsgroßprojekten gewahrt und gestärkt werden (vgl. zu Vorstehendem OVG Niedersachsen, Urteil vom 6. Juni 2016 – 1 KN 83/14 –, BauR 2016, 1439 = juris Rn. 29). Das den Schutz zentraler Versorgungsbereiche bezweckende Integrationsgebot dient damit der Sicherstellung einer raumstrukturell und -funktionell verträglichen Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe zum Schutz der zentralen Versorgungsbereiche der Gemeinde (vgl. Begründung zu Z 58 LEP IV, S. 98; ferner BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2010 – 4 C 8/10 –, BVerwGE 138, 301 = juris Rn. 18; VGH BW, Urteil vom 22. November 2013 – 3 S 3356/11 –, ESVGH 64, 127 = juris Rn. 45). Dieses Ziel würde unterlaufen werden, wenn außerhalb der zentralen Versorgungsbereiche ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb mit innenstadtrelevanten Sortimenten allein deshalb zugelassen werden könnte, weil sich das innenstadtrelevante Sortiment als Randsortiment darstellt, während ein vergleichbarer großflächiger Einzelhandelbetrieb mit innenstadtrelevantem (Kern)Sortiment zwingend nur in einer städtebaulich integrierten Lage zulässig wäre. Hinsichtlich etwaiger Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche macht es nämlich keinen Unterschied, ob innenstadtrelevante Sortimente als Kern- oder Randsortiment geführt werden. Insofern ist es erforderlich, für Neben- und Randsortimente eine deutliche Grenze zu ziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 2013 – 4 CN 6/11 –, BauR 2013, 1402 = juris Rn. 21; VGH BW, Urteil vom 4. Juli 2012 – 3 S 351/11 –, BauR 2013, 425 = juris Rn. 83).
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Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus einer Zusammenschau mit dem Ziel 59 LEP IV, im Gegenteil. Nach diesem Ziel ist die Ansiedlung und Erweiterung großflächiger Einzelhandelsbetriebe mit nicht innenstadtrelevanten Sortimenten auch an Ergänzungsstandorten der zentralen Orte zulässig. Danach ist zur Steuerung der Entwicklung außerhalb der zentralen Versorgungsbereiche eine Zulassung großflächiger Einzelhandelsbetriebe auch an anderen Standorten zulässig, ohne dass hierdurch die Zielrichtung des städtebaulichen Integrationsgebots nach Ziel 58 LEP IV in Frage gestellt wird. Zudem beschränkt Ziel 59 Satz 3 LEP IV innenstadtrelevante Sortimente auf Randsortimente mit innenstadtverträglicher Größenordnung. Ziel 59 LEP IV weist – im Gegensatz zu anderen Raumordnungsplänen und -programmen (vgl. etwa Ziffer 2.3 03 Satz 8 Buchst. a) Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen 2008; Ziffer 1.7.3.3 des Einheitlichen Regionalplans Rhein-Neckar) – zwar keine absolute Flächenobergrenze für innenstadtrelevante Randsortimente auf. Wie sich jedoch aus der Begründung des Landesentwicklungsprogramms IV (S. 99) ergibt, sollen innenstadtrelevante Randsortimente in der Regel nicht mehr als zehn Prozent der Verkaufsfläche umfassen. Diese Regel kann im Einzelfall hintanzustellen sein, wenn – wie hier – ein flächenintensives Hauptsortiment um ein sehr kleinteiliges, deutlicher weniger Fläche beanspruchendes Randsortiment ergänzt werden soll. Darüber hinaus ist aber eine Begrenzung der absoluten Größenordnung vor dem Hintergrund möglicher Beeinträchtigungen der zentralen Versorgungsbereiche u.a. der Standortgemeinde zu prüfen, wobei als Anhaltspunkt für die Beschränkung innenstadtrelevanter Randsortimente die Schwelle der Großflächigkeit dienen kann (vgl. S. 99 LEP IV, auch unter Z 60). Damit gibt auch Ziel 59 LEP IV deutlich zu erkennen, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe nur dann an Ergänzungsstandorten zulässig sein sollen, wenn sie innenstadtrelevante Randsortimente führen, die die Schwelle der Großflächigkeit jedenfalls nicht erheblich übersteigen. Dieser Ansatz ist im Ergebnis auch geeignet, schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche und Versorgungskerne zu verhindern oder zumindest zu begrenzen. Denn es liegt auf der Hand, dass die Attraktivität eines Sortiments mit dessen Umfang und den Möglichkeiten wächst, es darzubieten (vgl. HessVGH, Urteil vom 15. September 2015 – 4 C 2000/12.N –, juris Rn. 79). Wo dabei im Einzelnen die Grenze zu ziehen ist, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, denn die Planung der Klägerin für einen Möbeleinzelhandelsmarkt mit einer die Grenze zur Großflächigkeit um das fast Dreifache übersteigenden Verkaufsfläche für innenstadtrelevantes Angebot überschreitet jedenfalls deutlich das Maß dessen, was als Fläche für innenstadtrelevante Sortimente außerhalb integrierter Lagen zulässig ist.
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Ist mithin das Integrationsgebot in Ziel 58 LEP IV auch von solchen großflächigen Einzelhandelsbetrieben zu beachten, die neben einem nicht innenstadtrelevanten Hauptsortiment innenstadtrelevante Randsortimente in deutlich die Grenze der Großflächigkeit überschreitendem Umfang führen, verstößt die streitgegenständliche Planung der Klägerin gegen dieses Ziel. Bereits aus diesem Grunde muss der Klage mit dem Hauptantrag der Erfolg verwehrt bleiben, so dass offenbleiben kann, ob die Planung darüber hinaus auch mit anderen Zielen des Landesentwicklungsprogramms IV – etwa dem Nichtbeeinträchtigungsgebot nach Ziel 60 LEP IV – kollidiert.
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b) Des Weiteren verletzt die Planung der Klägerin auch das Ziel 46 Satz 1 des Regionalen Raumordnungsplans Rheinhessen-Nahe 2015. Danach ist die Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit innenstadtrelevanten Sortimenten auf Industrie- und Gewerbeflächen nicht gestattet. Dem widerspricht die klägerische Planung, mit der die Ausweisung eines Sondergebiets „Großflächiger Einzelhandel“ auf einer mit dem Bebauungsplan „Gewerbe- und Industriepark B. am Rhein und G.“ bislang als Gewerbe- bzw. Industriegebiet festgesetzten Fläche verfolgt wird.
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Die in Ziel 46 Satz 1 RROP 2015 enthaltene Regelung ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht auf großflächige Einzelhandelsmärkte mit innenstadtrelevantem Kernsortiment beschränkt. Bereits der Wortlaut der Regelung spricht ganz allgemein von großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit innenstadtrelevanten Sortimenten, ohne danach zu differenzieren, ob der großflächige Einzelhandelsmarkt innenstadtrelevante Sortimente als Kernsortiment oder als Randsortiment – in welcher Größenordnung auch immer – führt. Des Weiteren ergibt auch eine an Sinn und Zweck der Regelung orientierte Auslegung kein anderes Ergebnis. Das Verbot der Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit innenstadtrelevanten Sortimenten auf Industrie- und Gewerbeflächen dient zum einen dazu, vorhandene Gewerbe- und Industrieflächen für Nutzungen vorzuhalten, die in besonderem Maße auf große Grundstücke und Flächen angewiesen sind. Da diese auch für den Einzelhandel interessant sind, würde diese Intention bei einer Zulassung von großflächigem Einzelhandel mit innenstadtrelevanten Sortimenten gefährdet. Großflächiger innenstadtrelevanter Einzelhandel weist nämlich – unabhängig davon, ob als Kern- oder Randsortiment – eine gegenüber dem produzierenden Gewerbe deutlich höhere Flächenproduktivität auf und ist damit in der Lage, höhere Grundstücksmieten zu erwirtschaften mit der Folge, dass es infolge der höheren Wirtschaftskraft zu einem Verdrängungswettbewerb zu Lasten des produzierenden Gewerbes kommen kann. Dem will Ziel 46 Satz 1 RROP 2015 ersichtlich entgegenwirken. Zum anderen aber dient der Ausschluss von großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit innenstadtrelevanten Sortimenten auf in der Regel nicht integrierten Industrie- und Gewerbeflächen zumindest auch dem Schutz einer verbraucherorientierten Versorgung (vgl. insoweit auch G 41 RROP sowie dessen Begründung, S. 34 des regionalen Raumordnungsplans). Auch diese Zielrichtung wäre gefährdet, wenn großflächig innenstadtrelevante Sortimente an nichtintegrierten Standorten angeboten würden. Insoweit kann auf die diesbezüglichen Ausführungen zu Ziel 58 LEP IV Bezug genommen werden, die sich gleichermaßen auf Ziel 46 RROP 2015 übertragen lassen.
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Eine Vereinbarkeit der Planung der Klägerin mit Ziel 46 RROP 2015 ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass nach dessen Satz 2 für großflächigen Einzelhandel mit innenstadtrelevanten Sortimenten die planerischen Voraussetzungen (Sondergebiete) geschaffen werden sollen, in denen die Zweckbestimmung und Art der Nutzung geregelt ist (§ 11 BauNVO). Soweit die Klägerin Ziel 46 Satz 2 RROP 2015 für sich in Anspruch nimmt und in dem Sinn versteht, dass der Träger der Bauleitplanung durch Umplanung von Gewerbe- und Industrieflächen in Sondergebiete die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevanten Sortimenten schaffen kann, missversteht er dessen Regelungsgehalt. Die Bestimmung in Ziel 46 Satz 2 RROP 2015 stellt keine Ausnahmeregelung von der in Satz 1 nach Wortlaut und Inhalt ersichtlich zielförmig normierten Unzulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevanten Sortimenten auf Industrie- und Gewerbeflächen dar, sondern regelt – wofür sowohl Wortlaut als auch der Verweis auf § 11 Abs. 3 der Baunutzungs-Verordnung (BauNVO) sprechen – lediglich die Form, in der die Ansiedlung von großflächigem Einzelhandel geplant werden soll. Gegen eine Öffnungsklausel in Ziel 46 Satz 2 RROP 2015 für die Umnutzung von Gewerbe- und Industriegebieten spricht die Begründung zu Ziel 46 2015, wonach Einzelhandel mit innenstadtrelevantem Sortiment in Gewerbegebieten nicht zulässig und in erster Linie innerhalb des zentralen Versorgungsbereichs anzusiedeln ist und bestehende Bebauungspläne dies berücksichtigen sollen und gegebenenfalls anzupassen sind (vgl. S. 35 des Regionalen Raumordnungsplans). Diese nach Vorstellung des Plangebers bestehende Anpassungspflicht von Bebauungsplänen an die in Ziel 46 Satz 1 RROP 2015 enthaltene Festlegung würde aber geradezu außer Kraft gesetzt, wenn – wie die Klägerin meint – Ziel 46 Satz 2 RROP 2015 die Ermächtigung für die Umplanung bestehender Gewerbe- und Industrieflächen enthielte. Gegen die Ansicht der Klägerin spricht ferner, dass ihr Verständnis von Ziel 46 Satz 2 RROP 2015 dazu führen würde, dass es letztlich der planenden Gemeinde auf der Ebene der Bauleitplanung überlassen bliebe, Umfang und Inhalt eines Ziels der Raumordnung und Landesplanung zu bestimmen und ggfls. zu umgehen. Eine solche Sichtweise wäre nur schwerlich mit dem System der überörtlichen und örtlichen räumlichen Gesamtplanung vereinbar, wie es in dem Verhältnis von Landesplanung/Raumordnung und Bauleitplanung zueinander mit der Anpassungspflicht nach § 1 Abs. 4 des Baugesetzbuchs (BauGB) zum Ausdruck kommt. Hiervon ausgehend lässt Z 46 RROP 2015 zwar grundsätzlich die Ausweisung von Sondergebieten für großflächigen Einzelhandel mit innenstadtrelevanten Sortimenten – in der Regel in integrierten Lagen – zu, schließt aber zugleich diese Möglichkeit durch Umplanung bestehender Gewerbe- und Industrieflächen aus, zumal wenn es sich – wie bei dem in Rede stehenden Standort – um eine Gewerbe- und Industriefläche handelt, die bereits im Regionalen Raumordnungsplan Rheinhessen-Nahe 2004 als besonderer Standort für Industrie und Gewerbe ausgewiesen war (vgl. Ziffer 2.3.2 Ziel 2 RROP 2004) und nunmehr als Gewerbestandort mit überregionaler und regionaler Bedeutung definiert ist (vgl. Ziel 17 RROP 2015). Damit ist die von der Klägerin mit ihrer Planung beabsichtigte Umwandlung von Gewerbe- und Industrieflächen in ein Sondergebiet „Großflächiger Einzelhandel“ nur unter Verstoß gegen Ziel 46 Satz 1 RROP 2015 möglich, so dass die mit dem Hauptantrag erhobene Feststellungsklage auch insoweit unbegründet ist.
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3) Auch die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage auf Zulassung einer Zielabweichung von Ziel 58 LEP IV und Ziel 17 RROP 2015 für die Darstellung eines Sondergebiets mit der Zweckbestimmung großflächiger Möbeleinzelhandel in dem beantragten Umfang hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet. Hinsichtlich beider Zielfestlegungen liegen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zulassung einer Abweichung nicht vor.
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Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 LPlG kann die obere Landesplanungsbehörde im Einvernehmen mit den fachlich berührten Stellen der oberen Verwaltungsebene die Abweichung von einem Ziel des Landesentwicklungsprogramms zulassen, wenn diese aufgrund veränderter Tatsachen oder Erkenntnisse unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und das Landesentwicklungsprogramm in seinen Grundzügen nicht berührt wird. Ergänzend bestimmt § 10 Abs. 6 Satz 1 LPlG, dass die obere Landesplanungsbehörde im Benehmen mit den fachlich berührten Stellen der oberen Verwaltungsebene und der jeweiligen Planungsgemeinschaft die Abweichung von einem Ziel des regionalen Raumordnungsplans zulassen kann, wenn diese aufgrund veränderter Tatsachen oder Erkenntnissen unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und der regionale Raumordnungsplan in seinen Grundzügen nicht berührt wird. Diese Voraussetzungen sind – ohne dass es hier ihrer vollständigen Betrachtung bedarf – nicht gegeben, denn die begehrte Abweichung von Ziel 58 LEP IV und Ziel 17 RROP 2015 (gemeint ist wohl zumindest auch Ziel 46 RROP) dürfte unter raumordnungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht vertretbar sein (a); sie berührt jedenfalls die Grundzüge des Landes- und des Regionalplanes (b).
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a) Wann die Zulassung einer Zielabweichung mit raumordnungsrechtlichen Gesichtspunkten vereinbar ist, ist im Gesetz selbst nicht definiert. Im Hinblick darauf, dass das Zielabweichungsverfahren lediglich die Korrektur seiner zielförmigen Aussagen im Einzelfall ermöglichen soll, wird eine Vertretbarkeit unter raumordnungsrechtlichen Gesichtspunkten dann anzunehmen sein, wenn wegen der veränderten Tatsachen die Zulassung einer Abweichung raumordnerisch sinnvoll ist und eine effektive Verwirklichung der Ziele und Grundsätze der Raumordnung im Übrigen nicht erschwert wird (vgl. Bäumler in: Praxis der Kommunalverwaltung Rheinland-Pfalz, Landesplanungsgesetz, Stand: Oktober 2013, § 8 Anm. 4). Der Begriff der Vertretbarkeit mit raumordnungsrechtlichen Gesichtspunkten ist jedoch nicht mit dem Begriff der städtebaulichen Vertretbarkeit in § 31 Abs. 2 BauGB gleichzusetzen. Das Zielabweichungsverfahren ist vielmehr auf den Härtefall ausgerichtet, bei dem die Planaussage in Gestalt der Regelvorgabe dem Vorhaben zunächst entgegensteht, gleichwohl eine Zulassung vertretbar erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2010 – 4 C 8/10 –, BVerwGE 138, 301 = juris Rn. 27; Hess.VGH, Urteil vom 15. September 2015, a.a.O. = Rn. 57), wenn also raumordnerische Besonderheiten vorliegen (vgl. OVG NW, Beschluss vom 20. Mai 2014 – 11 A 2921/11 –, ZfB 2015, 40 = juris Rn. 45). Daran fehlt es vorliegend sowohl im Hinblick auf Ziel 58 LEP IV als auch hinsichtlich des Ziels 17 bzw. 46 RROP 2015. Zwar mag mit Blick auf das Einzelhandelskonzept der Klägerin die Zulassung einer Abweichung – wie auch mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. Dezember 2015 vorgenommen – vom Ansatz her als raumordnerisch sinnvoll angesehen werden. Allerdings fehlt es in Bezug auf einen Möbeleinzelhandelsmarkt in der von der Klägerin ihrer Planung zugrunde gelegten Größe an einem die Zielabweichung rechtfertigenden Härtefall. Dieser liegt insbesondere nicht darin begründet, dass es sich bei dem geplanten großflächigen Möbelmarkt um einen Einzelhandelsbetrieb handeln würde, der von den in Rede stehenden Zielen der Raumordnung und Landesplanung nur unzureichend erfasst würde. Vielmehr würde eine effektive Verwirklichung sowohl von Ziel 58 LEP IV als auch von den Zielen 17 und 46 RROP 2015 erschwert, weil die Zulassung einer Verkaufsfläche von 2.250 m² für innenstadtrelevante Sortimente an einem nicht integrierten Standort – in einem als Gewerbe- und Industriefläche festgesetzten Bereich – das mit dem Integrationsgebot zum Ausdruck gebrachte Bestreben der Vermeidung von Beeinträchtigungen für die städtebaulich integrierten Bereiche in nicht geringem Umfang behindern würde. Hierfür sprechen auch die Feststellungen in dem Gutachten des Büros Dr. A., denen zur Überzeugung der Kammer realistischere Ansätze – etwa hinsichtlich der Bestimmung des Einzugsgebiets und der wegen der Nichtbenennung des ansiedlungswilligen Möbeleinzelhändlers höheren Flächenproduktivität je m² Verkaufsfläche – zugrunde liegen als der von der Klägerin vorgelegten Auswirkungsanalyse der ... GmbH. Dass Gutachten, das nicht von vornherein unbeachtliche Zweifel an der Methodik der Auswirkungsanalyse der ... GmbH aufzeigt, kommt – wie insbesondere die auf der Grundlage verschiedener Szenarien beruhenden Vergleichsberechnungen dokumentieren – letztlich zu dem Ergebnis, dass lediglich ein Möbelmarkt in der Größe, wie er in dem angefochtenen Zielabweichungsbescheid zugelassen wurde, mit Blick auf die Auswirkungen auf integrierte Lagen der Standortgemeinde und anderer Kommunen als noch mit dem Integrationsgebot vereinbar angesehen werden kann. Zudem würde die Zulassung eines Möbelmarktes in der der klägerischen Planung zugrunde liegenden Größe auch in erheblicher Hinsicht mit dem in der regionalplanerischen Festsetzung zum Ausdruck kommenden Willen, Gewerbe- und Industrieflächen dem produzierenden Gewerbe vorzubehalten, kollidieren, wenn auf einer solchen Fläche Einzelhandel mit innenstadtrelevanten Sortimenten in einer die Grenze zur Großflächigkeit um das fast dreifache übersteigenden Größe zugelassen werden würde.
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b) Jedenfalls aber würden durch die Zulassung einer Zielabweichung in der von der Klägerin begehrten Größenordnung das Landesentwicklungsprogramm sowie der regionale Raumordnungsplan in ihren Grundzügen berührt. Was die "Grundzüge der Planung" im Sinne von § 8 Abs. 3 Satz 1 bzw. § 10 Abs. 6 Satz 1 LPlG sind, ist gesetzlich nicht definiert. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung ist darunter die Planungskonzeption zu verstehen, die die im Einzelnen aufgeführten Ziele trägt und damit den für sie wesentlichen Gehalt bestimmt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2005 – 9 VR 43/04 –, UPR 2005, 390 = juris Rn. 12). Insofern kann auf die zu § 31 Abs. 2 BauGB entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2010, a.a.O. = juris Rn. 26). Wann eine Planänderung die Grundsätze der Planung berührt, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Wie auch im Fall des § 31 Abs. 2 BauGB beurteilt sich die Frage, ob eine Abweichung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, weil sie nur den – gleichsam formalen – Festsetzungsinhalt treffen, nicht hingegen auch das, was an Planungskonzeption diese Festsetzung trägt, nach dem im Raumordnungsplan zum Ausdruck gekommenen planerischen Wollen. Bezogen auf dieses Wollen darf der Abweichung vom Planinhalt keine derartige Bedeutung zukommen, dass die angestrebte und im Plan zum Ausdruck gebrachte landesplanerische Ordnung in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Die Abweichung muss – soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein – durch das planerische Wollen gedeckt sein; es muss – mit anderen Worten – angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Planer gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte (vgl. vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2010, a.a.O. = juris Rn. 26; OVG RP, Urteil vom 5. September 2006 – 8 A 10343/06.OVG –, BauR 2007, 63 = juris Rn. 21 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 9. März 1990 – 8 C 76/88 –, BVerwGE 85, 66 = juris Rn. 19). Hieran gemessen sind die Grundzüge der Planung berührt, denn durch die Realisierung eines großflächigen Möbeleinzelhandelsmarkts mit einer Verkaufsfläche von 2.250 m² für innenstadtrelevante Sortimente würden – wie oben im Einzelnen unter Berücksichtigung der Hintergründe der Ziele ausgeführt – sowohl das Integrationsgebot als auch das Verbot der Zulassung von großflächigem Einzelhandel mit innenstadtrelevanten Sortimenten auf Gewerbe- und Industrieflächen wesentlich berührt. Beide Ziele treffen in ihrem jeweiligen Planungsgefüge grundlegende raumordnerische Entscheidungen bezüglich der Ansiedlung von großflächigem Einzelhandel mit innenstadtrelevanten Sortimenten; die begehrte Abweichung erweist sich wegen Charakters und ihres Umfangs hinsichtlich beider Ziele nicht mehr von minderem Gewicht und berührt daher die Grundzüge des jeweiligen Raumordnungsplans.
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Kann damit die beantragte Abweichung wegen einer Betroffenheit der Grundzüge beider Pläne nicht zugelassen werden, kommt es auf die von der Klägerin hilfsweise unter Beweis gestellte Tatsache – dass die von dem ... GmbH-Gutachten für das geplante Vorhaben angenommene Flächenproduktivität von 1.800 je m² Verkaufsfläche angesichts des Wettbewerbsumfelds einen Worst-Case abbildet – aus Rechtsgründen nicht an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladenen zu 1) und 2) keinen Antrag gestellt haben und damit auch kein Kostenrisiko eingegangen sind, entspricht es billigem Ermessen, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Beschluss
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der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 16. November 2016
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Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG).
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Mainz Urteil, 16. Nov. 2016 - 3 K 1535/15.MZ
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(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).
(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
[5] Mit Schreiben vom
Gründe
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg, schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München:Ludwigstr. 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München:Postfach 34 01 48, 80098 München,
Hausanschrift in Ansbach:Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 20.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. Nr. 9.1.1.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg, schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).
(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.
Gründe
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Die Beschwerde ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung an die Vorinstanz begründet (§ 133 Abs. 6 VwGO).
- 2
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1. Die Revision ist allerdings nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Kläger beimisst.
- 3
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Die Beschwerde hält folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:
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Steht der Zulässigkeit einer Feststellungsklage deren Subsidiarität gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen, wenn dem Feststellungskläger damit zugemutet wird, bei der Behörde einen - später im Wege der Verpflichtungsklage zu verfolgenden - Anspruch geltend zu machen, der im Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsauffassung steht, bzw.
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ist es einem Feststellungskläger zuzumuten, bei der Behörde einen Antrag zu stellen, der auf das Gegenteil dessen gerichtet ist, was er mit seinem Rechtsschutzbegehren erreichen will?
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Diese Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision, denn Reichweite und Bedeutung des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits hinreichend geklärt. Nach dieser Vorschrift ist die Feststellungsklage unzulässig, wenn der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Der dem Kläger zustehende Rechtsschutz soll aus Gründen der Prozessökonomie auf ein einziges Verfahren, nämlich dasjenige, das seinem Anliegen am wirkungsvollsten gerecht wird, konzentriert werden (vgl. Urteile vom 25. April 1996 - BVerwG 3 C 8.95 - Buchholz 418.61 TierKBG Nr. 12 S. 18 f. und vom 12. Juli 2000 - BVerwG 7 C 3.00 - BVerwGE 111, 306 = Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 133 = juris Rn. 12). § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO will mithin unnötige Feststellungsklagen vermeiden, wenn für die Rechtsverfolgung ein unmittelbareres, sachnäheres und wirksameres Verfahren zur Verfügung steht (vgl. Urteil vom 7. September 1989 - BVerwG 7 C 4.89 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 93 S. 55 f. m.w.N.). Davon kann dann keine Rede sein, wenn die Feststellungsklage einen Rechtsschutz gewährleistet, der weiter reicht, als er mit einer Leistungs- oder Gestaltungsklage erlangt werden kann (stRspr; Urteile vom 21. Februar 2008 - BVerwG 7 C 43.07 - Buchholz 451.223 ElektroG Nr. 1 Rn. 11, vom 24. Juni 2004 - BVerwG 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <156>, vom 29. Januar 2004 - BVerwG 3 C 29.03 - Buchholz 442.151 § 41 StVO Nr. 9, vom 5. Dezember 2000 - BVerwG 11 C 6.00 - Buchholz 407.2 § 13 EkrG Nr. 2 und vom 29. April 1997 - BVerwG 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 m.w.N.), wenn also die genannten Klagemöglichkeiten zu keinem gleichwertigen Rechtsschutz führen (Beschlüsse vom 25. Mai 1988 - BVerwG 3 B 5.88 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 98 S. 7 und vom 9. März 1990 - BVerwG 4 B 145.88 - juris Rn. 34). Davon ist etwa dann auszugehen, wenn sich der Kläger mit der Erhebung einer Verpflichtungsklage in Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsauffassung setzen müsste. So hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass ein Kläger nicht auf die Erhebung einer Verpflichtungsklage zur Erlangung einer Erlaubnis verwiesen werden kann, wenn er die beabsichtigte Tätigkeit selbst für erlaubnisfrei hält und keine Erlaubnis anstrebt (Urteil vom 17. Januar 1972 - BVerwG 1 C 33.68 - BVerwGE 39, 247 <249>; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 131 m.w.N.). Einen über diese Rechtsprechung hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
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2. Die Beschwerde macht allerdings zu Recht einen Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend. Das Oberverwaltungsgericht hat, indem es die Klage des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Subsidiaritätsklausel des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO als unzulässig angesehen hat, die prozessuale Bedeutung dieser Vorschrift verkannt.
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Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass Kläger und Beigeladene beabsichtigen, ihre Miteigentümergemeinschaft an dem ihnen gehörenden Grundstück durch Teilung aufzuheben. Hierzu seien von den Rechtsvorgängern des Klägers und den Beigeladenen Vereinbarungen über einen bestimmten Grenzverlauf sowie über die Teilung des Grundstücks geschlossen worden. Der Kläger sehe sich an diese Teilungsvereinbarungen aber nicht gebunden, weil er befürchte, durch diese Grundstücksteilung würden baurechtswidrige Zustände geschaffen. Gegenüber seinem Begehren festzustellen, dass die Teilung des Grundstücks entsprechend der "Variante 2" in zwei Grundstücke Verhältnisse schaffe, die § 6 ThürBO widersprächen und es zur Genehmigung einer Abweichung eines Verfahrens nach § 63e ThürBO bedürfe, könne er jedoch vorrangig einen entsprechenden Antrag an die Bauaufsichtsbehörde nach § 8 Abs. 3 ThürBO stellen und so klären lassen, ob die Teilung zu baurechtswidrigen Zuständen führe. Daher bedürfe es der vorliegenden Feststellungsklage nicht (UA S. 6, 7). Diese Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts werden dem Rechtsschutzziel des Klägers nicht gerecht und führen daher zu einer Verkennung der Anforderungen des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Der Kläger möchte mit seiner Klage die Feststellung erreichen, dass eine Grundstücksteilung entsprechend der sogenannten "Variante 2" bauordnungsrechtlich nicht ohne die Zulassung einer Abweichung nach § 63e ThürBO zulässig ist, weil sie den Anforderungen des § 8 Abs. 1 ThürBO nicht entspricht. Ziel seiner Klage ist mithin die Feststellung, dass die Grundstücksteilung nach der "Variante 2" ohne Zulassung einer Abweichung bauordnungsrechtlich unzulässig ist. Nach dem vom Oberverwaltungsgericht ins Feld geführten § 8 Abs. 3 ThürBO hat die Bauaufsichtsbehörde auf Antrag eines Beteiligten ein Zeugnis darüber auszustellen, dass die Teilung des Grundstücks den Anforderungen des § 8 Abs. 1 und 2 ThürBO entspricht. § 8 Abs. 3 ThürBO regelt damit genau den umgekehrten Fall zum Rechtsschutzziel des Klägers. Damit kann der Kläger nicht auf einen entsprechenden Antrag an die Bauaufsichtsbehörde und im Falle seiner Ablehnung auf die Erhebung von Widerspruch und Verpflichtungsklage verwiesen werden. Infolge dessen kann die Feststellungsklage des Beschwerdeführers entsprechend den unter 1. gemachten Ausführungen nicht an § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO scheitern.
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Der somit vorliegende Verfahrensfehler kann sich auf die Entscheidung der Vorinstanz ausgewirkt haben. Da im Übrigen das Oberverwaltungsgericht keine Einwände gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage gesehen hat, hätte es nicht im Wege des Prozess-, sondern des Sachurteils entscheiden müssen. Insofern ist nicht auszuschließen, dass die Vorinstanz ohne den Verfahrensfehler zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, weil sie im Rahmen der Begründetheitsprüfung zur Berechtigung des klägerischen Feststellungsbegehrens - wie bereits das Verwaltungsgericht - hätte kommen können. Da das Oberverwaltungsgericht hierzu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat und es insofern in erster Linie um die Anwendung irrevisiblen Landesrechts geht, kann der Senat nicht feststellen, dass sich das Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO; vgl. zur Anwendbarkeit dieser Norm im Verfahren über die Zulassung der Revision: Beschlüsse vom 14. Februar 2002 - BVerwG 4 BN 5.02 - BRS 65 Nr. 53 m.w.N. und vom 8. Juni 2011 - BVerwG 4 BN 42.10 - BRS 78 Nr. 70 Rn. 9). Weil auch ein Revisionsverfahren deswegen nur zu einer Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht führen könnte, macht der Senat von seiner Befugnis nach § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. Aus diesem Grund bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob der vom Kläger weiter geltend gemachte Verfahrensfehler der unzureichenden Sachaufklärung vorliegt und ob die in Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO erhobene Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) erfolgreich gewesen wären (vgl. Beschlüsse vom 3. Februar 1993 - BVerwG 11 B 12.92 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 10 = juris Rn. 6, vom 31. August 1999 - BVerwG 3 B 57.99 - NVwZ-RR 2000, 259 = juris Rn. 11 und vom 29. Juli 2013 - BVerwG 4 BN 13.13 - ZfBR 2014, 159 Rn. 9; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 133 Rn. 56; Pietzner/Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand April 2013, § 133 Rn. 86).
Tatbestand
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Die Klägerin, eine Steuerberatungsgesellschaft, möchte Honorarforderungen anderer Steuerberater im Wege des Inkasso eintreiben. Sie begehrt die Feststellung, dass sie hierfür keiner Erlaubnis bedürfe, und hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung.
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Die Klägerin wurde im Frühjahr 2008 von ihrer Geschäftsführerin und deren Sohn gegründet. Beide gehören dem Vorstand der D. an, die unter anderem den Ankauf und den Einzug von Steuerberaterhonorarforderungen als Factoring-Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Klägerin betrieb.
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Der Unternehmensgegenstand der Klägerin umfasste gemäß § 2 Abs. 1 der Gesellschaftssatzung zunächst die "geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen sowie die damit zu vereinbarenden Tätigkeiten im Sinne des Steuerberatergesetzes". Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 15. Mai 2009 wurde der Unternehmensgegenstand dahin erweitert, dass auch mit der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen zu vereinbarende Tätigkeiten im Sinne des Steuerberatungsgesetzes, insbesondere nach § 64 Abs. 2 StBerG, verfolgt würden.
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Daraufhin widerrief die Beklagte die Zulassung der Klägerin als Steuerberatungsgesellschaft mit Bescheid vom 7. August 2009, weil die Aufnahme einer gewerblichen Inkassotätigkeit mit dem Steuerberatergesetz unvereinbar sei. Die hiergegen erhobene Klage wurde vom Finanzgericht mit Urteil vom 24. Februar 2010 abgewiesen. Das anhängige Revisionsverfahren setzte der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 4. März 2010 bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht aus.
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Am 16. Oktober 2009 beantragte die Klägerin eine Ausnahmegenehmigung für die Inkassotätigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Juni 2010 ab. Da einem Steuerberater bei Wahrnehmung von Mandanteninteressen ein umfassender Einblick in die wirtschaftliche und in der Regel auch höchstpersönliche Situation des Mandanten gewährt werde, stehe das geschäftsmäßige (gewerbliche) Inkasso gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 StBerG unter dem Einwilligungsvorbehalt der Mandanten. Hiervon könne der Klägerin keine Ausnahme erteilt werden. Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG sei nicht erkennbar. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2010 zurück.
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Im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht machte die Klägerin geltend, die grundsätzliche Vereinbarkeit von Inkassotätigkeiten mit dem Beruf des Steuerberaters folge bereits aus § 64 Abs. 2 Satz 1 StBerG. Ihre Inkassotätigkeit sei deshalb ohne Erlaubnis zulässig. Unabhängig davon bestehe ein Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung, weil eine Verletzung von Berufspflichten durch die gewerbliche Übernahme von Steuerberaterhonorarforderungen nicht zu erwarten sei. Für die Zweitberufsfreiheit der Steuerberater könne nichts anderes gelten als bei Rechtsanwälten, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich uneingeschränkt zu gewerblichen Zweitberufstätigkeiten berechtigt seien. Es komme mithin allein darauf an, ob durch die gewerbliche Tätigkeit eine konkrete Gefahr für die unabhängige Ausübung der freiberuflichen Tätigkeit bestehe. Dies sei hier zu verneinen. Schließlich sei ein Forderungsmanagement durch die D. nicht mehr geplant, die Forderungseintreibung erfolge nur noch durch die Klägerin selbst, die D. sei nur noch für die Anwerbung der Kunden zuständig.
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Mit Urteil vom 24. Februar 2011 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die beabsichtigte Factoring- bzw. Inkassotätigkeit stelle eine gewerbliche Tätigkeit dar, die nach § 57 Abs. 4 Nr. 1 StBerG verboten sei. Aus § 64 Abs. 2 Satz 1 StBerG folge keine allgemeine Aufhebung dieses Verbots. Diese Norm lasse allein die Abtretung von Honorarforderungen eines Steuerberaters unter Wahrung seiner Schweigepflicht zu. Die Voraussetzungen für die begehrte Ausnahmegenehmigung lägen nicht vor, weil eine Verletzung von Berufspflichten nicht ausgeschlossen werden könne.
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Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 22. Juni 2011 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Das Feststellungsbegehren sei unzulässig, weil die Klägerin ihre Rechte mit dem gestellten Verpflichtungsantrag verfolgen könne. Dieser aber sei unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung. Die von ihr angestrebte Inkassotätigkeit sei unstreitig gewerblich und gehöre nicht zu den sogenannten Vorbehaltsaufgaben nach § 33 StBerG. Die Erforderlichkeit der beantragten Genehmigung werde auch nicht durch die Neufassung des § 64 Abs. 2 Satz 1 StBerG in Frage gestellt. Der Regelung sei nicht zu entnehmen, dass eine gewerbliche Inkassotätigkeit durch Steuerberater von den Beschränkungen des § 57 Abs. 4 Nr. 1 StBerG hätte befreit werden sollen. Das von der Klägerin beabsichtigte gewerbliche Inkasso lasse eine Verletzung von Berufspflichten bereits deshalb erwarten, weil ihre Gesellschafter zugleich der D. angehörten. Sie könnten unter deren Einfluss versucht sein, deren Interesse an einer möglichst umfangreichen, effektiven und kostengünstigen Inkassotätigkeit Vorrang gegenüber ihren allgemeinen Berufspflichten als Steuerberater einzuräumen. Dies gelte selbst dann, wenn die D. nur werbend für die Klägerin tätig werde und von ihr auch keine Vergütung für ihre Leistungen erhalte; selbst dann habe die D. ein erhebliches Interesse daran, ihren Mitgliedern das von der Klägerin beabsichtigte Inkasso anbieten zu können, um so neue Mitglieder zu akquirieren. Schließlich rechtfertigten die unterschiedlichen Berufsbilder der Rechtsanwälte und der Steuerberater deren unterschiedliche Behandlung bei der Frage, wann und in welchem Umfang gewerbliche Tätigkeiten zulässig seien.
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Im Revisionsverfahren beantragt die Klägerin,
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das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Juni 2011 ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz und das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 24. Februar 2011 zu ändern
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und festzustellen, dass sie für die von ihr beabsichtigte gewerbliche Inkassotätigkeit für Angehörige steuerberatender Berufe keiner Ausnahmegenehmigung nach § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG bedarf,
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hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 2. Juni 2010 und ihres Widerspruchsbescheides vom 15. September 2010 zu verpflichten, ihr die beantragte Ausnahmegenehmigung für eine zusätzliche gewerbliche Inkassotätigkeit für Angehörige steuerberatender Berufe zu erteilen.
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Sie führt zur Begründung aus, dass sie für die beabsichtigte Inkassotätigkeit keiner Genehmigung bedürfe, weil ihre Tätigkeit durch § 64 Abs. 2 Satz 1 StBerG ausdrücklich erlaubt sei. Jedenfalls habe sie einen Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung. Die Gewerblichkeit der Tätigkeit als solche könne nicht die Erteilung hindern, weil dann in keinem Fall ein Anspruch auf Genehmigung bestehe. Nach Sinn und Zweck des § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG könne nur die Verletzung anderer Berufspflichten als des Verbotes, gewerblich tätig zu werden, zur Versagung der Ausnahmegenehmigung führen. Gemeinwohlgründe, die zu einer Versagung der Ausnahmegenehmigung führen könnten, seien nicht ersichtlich. Ihr Geschäftsmodell sei in jeder Hinsicht gesetzeskonform.
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Die Beklage beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie verteidigt das Urteil des Oberverwaltungsgerichts und weist darauf hin, dass die Unabhängigkeit der Berufsausübung als Steuerberater gefährdet sei, wenn die gewerbliche Inkassotätigkeit demgegenüber nicht in den Hintergrund trete. Wer wie die Klägerin in erheblichem Umfang der gewerblichen Inkassotätigkeit nachgehen wolle, sei auf die Abtretung von Honorarforderungen in einem entsprechenden Umfang angewiesen.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren. Er verteidigt ebenfalls das Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.
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1. Gemäß § 17a Abs. 5 GVG steht für das Revisionsgericht bindend fest, dass der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Nach dieser Vorschrift prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der zu ihm beschrittene Rechtsweg zulässig ist (vgl. Beschluss vom 22. November 1997 - BVerwG 2 B 104.97 - BayVBl 1998, 603). Das gilt auch für den nunmehr als Hauptantrag gestellten Feststellungsantrag; auch insoweit hat das Oberverwaltungsgericht den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten - wenngleich stillschweigend - bejaht.
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Unabhängig davon ist durch den Gesetzgeber der Verwaltungsrechtsweg für Streitigkeiten vorgegeben, die die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG zum Gegenstand haben. Zwar ist für Streitigkeiten über den berufsrechtlichen Status des Steuerberaters grundsätzlich das Finanzgericht zuständig. § 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO verweist insoweit auf den Ersten Teil, den Zweiten und Sechsten Abschnitt des Zweiten Teils und den Ersten Abschnitt des Dritten Teils des Steuerberatergesetzes. Davon ist § 57 Abs. 4 Nr. 1 StBerG jedoch nicht erfasst. Er befindet sich im Dritten Abschnitt des Zweiten Teils des Steuerberatergesetzes. Damit verbleibt es insoweit bei der allgemeinen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das müsste auch dann gelten, wenn der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG durch das 8. Steuerberatungsänderungsgesetz 2008 vom 11. April 2008 (BGBl I S. 666) übersehen haben sollte, § 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO insoweit anzupassen. Zwar führt dies zu einer wenig zuträglichen Rechtswegspaltung, deren Beseitigung dringend wünschenswert wäre. Ob dies aber zugunsten der Finanzgerichte oder zugunsten der allgemeinen Verwaltungsgerichte geschieht, die auch sonst für das Recht der Freien Berufe ganz überwiegend zuständig sind, kann nur der Gesetzgeber entscheiden.
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Dem lässt sich nicht dadurch entgehen, dass die Voraussetzungen für eine Ausnahme im Rahmen des Bestellungs- oder eines Widerrufsverfahren nach § 40 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 2, § 46 Abs. 2 Nr. 1 StBerG inzident geprüft werden (so aber offenbar BFH, Urteil vom 17. Mai 2011 - VII R 47/10 - BFHE 234, 379
; Beschluss vom 29. November 2011 - VII B 110/09 - BFH/NV 2012, 797 = juris ). § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG setzt ein Handeln der zuständigen Steuerberaterkammer mittels Verwaltungsakt voraus. Sinn und Zweck der Neuregelung in § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG bestehen gerade darin, dem Steuerberater unabhängig von der schwerwiegenden Entscheidung des Widerrufs der Bestellung die Möglichkeit einer zweitberuflichen Betätigung zu eröffnen und deren berufsrechtliche Unbedenklichkeit in einem hierauf gerichteten besonderen Verfahren vorab zu klären.
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2. Das Oberverwaltungsgericht hält die Feststellungsklage der Klägerin für unzulässig, weil sie ihr Klageziel auch mit einer Verpflichtungsklage hätte erreichen können, die gemäß § 43 Abs. 2 VwGO vorrangig sei. Das verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Seine Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Feststellungsklage ist unbegründet.
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a) Die Frage, ob die Klägerin für die von ihr beabsichtigte Inkassotätigkeit einer Genehmigung bedarf oder diese Tätigkeit genehmigungsfrei ist, stellt ein hinreichend konkretes Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO dar. An der begehrten Feststellung hat die Klägerin auch ein berechtigtes Interesse, weil die Beklagte die Zulässigkeit dieser Tätigkeit bestreitet und deshalb bereits sogar ihre Zulassung als Steuerberatungsgesellschaft widerrufen hat.
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Die Feststellungsklage ist auch nicht gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegenüber der Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Genehmigung nach § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG subsidiär. Die Klägerin kann ihr Ziel mit einer Verpflichtungsklage nicht erreichen. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist das Feststellungsbegehren kein Bestandteil des auf die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gerichteten Verpflichtungsbegehrens. Die Klägerin will in erster Linie keine Ausnahmegenehmigung, sondern eine Klarstellung, dass ihre Tätigkeit ohne eine solche zulässig ist. Mit dieser Feststellung würde sich die Verpflichtungsklage erübrigen.
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b) Die Feststellungsklage ist aber unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die beabsichtigte gewerbliche Tätigkeit nicht aufgrund § 64 Abs. 2 Satz 1 StBerG generell zulässig und damit genehmigungsfrei ist.
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Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts möchte die Klägerin anderen Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten sowie Wirtschaftsprüfern, vereidigten Buchprüfern und Rechtsanwälten in Kooperation mit der D. ein vollständiges Factoring und Forderungsmanagement für Honorare aus Steuerberatung anbieten. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es sich dabei um eine gewerbliche Tätigkeit handelt. Nach § 57 Abs. 4 Nr. 1 StBerG sind dem Steuerberater aber gewerbliche Tätigkeiten untersagt und nur bei Zulassung einer Ausnahme erlaubt. Das gilt auch für das gewerbliche Inkasso von Honorarforderungen, die dem Steuerberater von anderen Steuerberatern abgetreten oder sonst zur Einziehung überlassen werden ("von Steuerberatern für Steuerberater").
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Aus § 64 Abs. 2 StBerG ergibt sich nichts anderes. Die Vorschrift erlaubt die Abtretung von Gebührenforderungen der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten oder die Übertragung ihrer Einziehung an Personen und Vereinigungen im Sinne von § 3 Nr. 1 bis 3 StBerG und an von diesen gebildete Berufsausübungsgemeinschaften (§ 56 StBerG) auch ohne Zustimmung des Mandanten (Satz 1). Im Übrigen ist die Abtretung oder Übertragung nur zulässig, wenn eine ausdrückliche schriftliche Einwilligung des Mandanten vorliegt oder die Forderung rechtskräftig festgestellt ist (Satz 2). Vor der Einwilligung ist der Mandant über die Informationspflicht des Steuerberaters oder Steuerbevollmächtigten gegenüber dem neuen Gläubiger oder Einziehungsermächtigten aufzuklären (Satz 3). Der neue Gläubiger oder Einziehungsermächtigte ist in gleicher Weise zur Verschwiegenheit verpflichtet wie der beauftragte Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte (Satz 4).
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Entgegen der Auffassung der Revision beinhaltet § 64 Abs. 2 Satz 1 StBerG keinen spezialgesetzlichen Erlaubnistatbestand, der § 57 Abs. 4 Nr. 1 StBerG einschränkt und zur Zulässigkeit des gewerblichen Inkasso ohne Erteilung einer Ausnahmegenehmigung führen würde. § 64 Abs. 2 StBerG regelt den Pflichtenkreis des Zedenten, nicht des Zessionars; für seine Anwendung ist unerheblich, ob die Inkassotätigkeit für den Zessionar eine gewerbliche oder nicht gewerbliche Tätigkeit darstellt. Das folgt schon aus dem Wortlaut von § 64 Abs. 2 Satz 1 StBerG, der nur auf die "Abtretung von Gebührenforderungen oder die Übertragung ihrer Einziehung" abstellt, und dem Regelungsgegenstand des gesamten Absatzes, der allein die Verschwiegenheitspflicht des Zedenten betrifft. Daran sollte die Neufassung von § 64 Abs. 2 StBerG durch das 8. Steuerberatungsänderungsgesetz nichts ändern. Damit sollte die Abtretung von Honorarforderungen erleichtert, der Schutzzweck der Vorschrift aber gewahrt werden (BTDrucks 16/7250 S. 26 f.; 16/7077 S. 33 f.). Demzufolge schützt auch § 64 Abs. 2 Satz 1 StBerG das Interesse des Mandanten an der Verschwiegenheit des Steuerberaters. Da die neuen Gläubiger oder Einziehungsermächtigten selbst Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte sind und daher selbst den strengen Regelungen zur Verschwiegenheit unterliegen, ist die Abtretung von Gebührenforderungen oder die Übertragung ihrer Einziehung an diesen Personenkreis auch ohne Einwilligung des Mandanten möglich (BTDrucks 16/7077 S. 33). Gelockert wurden die Voraussetzungen für die Abtretung von Honorarforderungen an andere Personen. Hierfür genügt nunmehr die ausdrückliche, schriftliche Einwilligung des Mandanten, (BTDrucks 16/7077 S. 34), während nach der alten Rechtslage zusätzlich die rechtskräftige Feststellung der Forderung und ein erster fruchtloser Vollstreckungsversuch vorausgesetzt wurden.
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Da nicht jede Einziehung von Honorarforderungen zwangsläufig gewerblicher Natur ist, ist auch nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nur das gewerbliche Inkasso im Blick hatte. Das folgt insbesondere nicht aus dem Teil der Gesetzesbegründung zu § 64 Abs. 2 Satz 2 StBerG, wonach es die neue Regelung Steuerberatern ermöglichen soll, das Inkasso ihrer Honorare auf Verrechnungsstellen zu übertragen. Zur generellen Zulässigkeit des gewerblichen Inkassos verhält sich die Begründung nicht.
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3. Die Revision ist auch mit ihrem Hilfsantrag unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung hat, weil durch die von ihr angestrebte gewerbliche Inkassotätigkeit die Verletzung von Berufspflichten zu erwarten ist (§ 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG).
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a) Gemäß § 57 Abs. 1 StBerG haben Steuerberater und Steuerbevollmächtigte ihren Beruf unabhängig, eigenverantwortlich, gewissenhaft, verschwiegen und unter Verzicht auf berufswidrige Werbung auszuüben. Gleiches gilt für Steuerberatungsgesellschaften (§ 72 StBerG). Steuerberater und Steuerbevollmächtigte haben sich jeder Tätigkeit zu enthalten, die mit ihrem Beruf oder mit dem Ansehen des Berufs nicht vereinbar ist. Sie haben sich auch außerhalb der Berufstätigkeit des Vertrauens und der Achtung würdig zu erweisen, die ihr Beruf erfordert (§ 57 Abs. 2 StBerG). Als Tätigkeit, die mit dem Beruf des Steuerberaters und des Steuerbevollmächtigten nicht vereinbar ist, gilt insbesondere eine gewerbliche Tätigkeit; die zuständige Steuerberaterkammer kann von diesem Verbot Ausnahmen zulassen, soweit durch die Tätigkeit eine Verletzung von Berufspflichten nicht zu erwarten ist (§ 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG).
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Nach § 57 Abs. 4 Nr. 1 StBerG ist der Freie Beruf des Steuerberaters mit einer gewerblichen Tätigkeit demnach grundsätzlich unvereinbar. Dem liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass eine gewerbliche Zweit- oder Nebentätigkeit im typischen Regelfall die verlässliche Einhaltung der allgemeinen Berufspflichten des Steuerberaters (§ 57 Abs. 1 und 2 StBerG) im Sinne einer abstrakten Gefahr zu beeinträchtigen droht. Die Neuregelung durch das 8. Steuerberatungsänderungsgesetz hat an diesem Grundsatz nichts geändert. Zwar wurde das zuvor ausnahmslose Verbot einer gewerblichen Tätigkeit durch die Neufassung des § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG zu einem nur grundsätzlichen Verbot abgeschwächt, das Ausnahmen zugänglich ist. Jedoch wurde der Katalog der mit dem Beruf des Steuerberaters vereinbaren Tätigkeiten (§ 57 Abs. 3 StBerG) nicht erweitert (BTDrucks 16/7077 S. 1). Namentlich sind diese Tätigkeiten unverändert nur dann zulässig, wenn sie nicht gewerblich ausgeübt werden; der Absicht des Gesetzgebers widerspräche es, den Katalog des § 57 Abs. 3 StBerG durch Auslegung dahin zu erweitern, dass auch die gewerbliche Betätigung der gesetzlich vereinbaren Tätigkeiten darunter fällt (vereinbare Tätigkeit "im gewerblichen Kleid", vgl. Mutschler, DStR 2008, 1500 f.). Auch insofern verbleibt es vielmehr bei § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG.
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Die Zulassung einer Ausnahme kommt nach § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG in Betracht, wenn die vom Gesetzgeber unterstellte abstrakte Gefahr der Beeinträchtigung von Berufspflichten im konkreten Fall widerlegt ist (ebenso BFH, Urteil vom 17. Mai 2011 a.a.O.; vgl. Gehre/Koslowski, StBerG, 6. Aufl. 2009, § 57 Rn. 92). Davon ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen. Ergibt die vorzunehmende Einzelfallprüfung, dass eine konkrete Gefährdung von Berufspflichten nicht zu erwarten ist, besteht ein Anspruch auf die Zulassung der Ausnahme. Insofern ist der zuständigen Steuerberaterkammer kein Ermessensspielraum eröffnet. Die Formulierung in § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG ("kann von diesem Verbot Ausnahmen zulassen") beinhaltet eine Handlungsermächtigung, jedoch kein Entscheidungsermessen. Die Ausnahmegenehmigung ist hingegen zu versagen, wenn der Antragsteller die grundsätzlich bestehenden Zweifel, dass durch eine gewerbliche Zweitbetätigung die Berufspflichten als Steuerberater gefährdet werden, in seinem Einzelfall nicht ausgeräumt hat. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast (BFH, Urteil vom 17. Mai 2011 a.a.O.; Beschluss vom 8. Februar 2000 - VII B 245.99 - DStR 2000, 670).
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Allerdings hat die Bundessteuerberaterkammer in Wahrnehmung ihrer Regelungsautonomie (vgl. § 86 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 6 StBerG) in § 16 der Berufsordnung für Steuerberater (BOStB) Fallgruppen bestimmt, in denen eine Gefahr für die Verletzung von Berufspflichten im Regelfalle ausgeschlossen ist. Deshalb genügt es, wenn der Steuerberater darlegt, dass seine gewerbliche Zweitbetätigung unter eine der Fallgruppen des § 16 BOStB einzuordnen ist. Es ist dann an der Steuerberaterkammer, eine etwa gleichwohl bestehende konkrete Gefahr für die Einhaltung der Berufspflichten ihrerseits darzutun und gegebenenfalls zu beweisen. Umgekehrt ist der Anwendungsbereich des § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG nicht auf diese Fallgruppen beschränkt. Dem Steuerberater ist unbenommen, für eine nicht in § 16 BOStB angesprochene gewerbliche Tätigkeit gleichwohl eine Ausnahmegenehmigung zu verlangen; nur obliegt ihm dann der volle Nachweis, dass eine konkrete Gefahr für die Einhaltung seiner Berufspflichten als Steuerberater nicht besteht.
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b) Der Klägerin ist nicht gelungen darzulegen, dass in ihrem konkreten Einzelfall keine Gefahr der Verletzung von Berufspflichten als Steuerberatungsgesellschaft durch das gewerbliche Inkasso besteht.
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Das Oberverwaltungsgericht hat hierfür maßgeblich auf eine personelle Verflechtung zwischen der D. und der Klägerin abgestellt. Tatsächlich besteht die nicht entfernte Gefahr, dass die Gesellschafterin der Klägerin, die zugleich Gesellschafterin der D. und deshalb auch an deren Geschäftserfolg maßgeblich interessiert ist, den gewerblichen Interessen der D. im Konfliktfalle gegenüber den Berufspflichten des Steuerberaters den Vorzug einräumt. Dies gilt ungeachtet der Bemühungen um eine Entflechtung der beiden Gesellschaften, die die Klägerin - teilweise erst während des Revisionsverfahrens - vorgetragen hat.
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Doch stehe dies dahin. Auf den positiven Nachweis einer konkreten Gefahr von Interessenkollisionen kommt es nicht an. Entscheidend ist, dass der Klägerin nicht gelungen ist, die bestehende gesetzliche Vermutung einer allgemeinen Gefahr für ihren konkreten Fall auszuräumen. Dagegen spricht bereits, dass das von ihr angestrebte vollständige Factoring und Forderungsmanagement für Honorare steuerberatender Berufe von dem Berufsfeld des Steuerberaters nicht hinreichend abgegrenzt werden kann. Die Klägerin hat keine Umstände benannt, die eine Gefährdungssituation trotz dieser Nähe der beabsichtigten gewerblichen Tätigkeit zu ihrem Beruf als Steuerberater als unwahrscheinlich erscheinen lassen.
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c) Den verfassungsrechtlichen Einwänden der Klägerin vermag der Senat nicht zu folgen.
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Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Zwar stellt das Verbot, neben dem Beruf des Steuerberaters ein Gewerbe auszuüben, eine Einschränkung des Grundrechts der Berufsfreiheit dar. Dieses beruht jedoch auf gesetzlicher Grundlage und ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahrung allgemeiner Belange des gemeinen Wohls erforderlich und verhältnismäßig (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Februar 1967 - 1 BvR 569, 589/62 - BVerfGE 21, 173 <179, 181 f.> und vom 4. November 1992 - 1 BvR 79/85 u.a. - BVerfGE 87, 287 <329>). Anhaltspunkte, dass sich das Berufsbild des Steuerberaters zwischenzeitlich so gravierend gewandelt hat, dass die Versagung einer Ausnahmegenehmigung unter dem Blickwinkel des Art. 12 Abs. 1 GG als nicht mehr verhältnismäßig anzusehen ist, bestehen nicht.
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Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht gegeben. Ein Vergleich mit den Berufsgruppen der Wirtschaftsprüfer, Notare und Rechtsanwälte zeigt, dass Wirtschaftsprüfer eine gewerbliche Tätigkeit grundsätzlich nicht ausüben dürfen. Eine Ausnahmegenehmigung ist nicht vorgesehen (vgl. § 43a Abs. 3 WiPO). Das notarielle Berufsrecht sieht, wie das Berufsrecht der Steuerberater, lediglich die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung für eine gewerbliche Betätigung vor (§ 8 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 1 BNotO). Demgegenüber ist der Anwaltsberuf mit kaufmännisch-erwerbswirtschaftlich ausgerichteten Tätigkeiten nicht von vornherein unvereinbar (§ 7 Nr. 8, § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO). Dass der Gesetzgeber das Regel-Ausnahme-Verhältnis in § 57 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 StBerG im Unterschied zu den Regelungen in der Bundesrechtsanwaltsordnung beibehalten hat, begegnet aus Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bedenken. Zum einen sind beide Berufsbilder verschieden (vgl. BTDrucks 16/7077 S. 33). Zum anderen ist eine Differenzierung bezüglich der schützenswerten Interessen der jeweiligen Mandanten, denen die Berufspflichten vornehmlich dienen, sachlich gerechtfertigt. Im Gegensatz zur typischen Berufstätigkeit des Rechtsanwalts betreut der Steuerberater seine Mandanten in der Regel konstant über längere Zeiträume hinweg und erhält umfassend Einblick in dessen finanzielle und persönliche Verhältnisse.
Tenor
Die dem Beigeladenen von der Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 18. März 2013 (Az. 945-12-02) in der Fassung der Nachtragsbaugenehmigung vom 7. November 2013 (Az. 981-13-02) wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt, tragen die Kläger als Gesamtschuldner zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
1
Tatbestand:
2Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Gemarkung H. , Flur 00, Flurstück 687 (postalische Anschrift: H1.-----straße 11, 45°°° H. ). Der Beigeladene ist Eigentümer des östlich anschließenden Grundstücks Gemarkung H. , Flur 00, Flurstück 688 (postalische Anschrift: H1.-----straße 11a).
3Am 12. August 1994 wurde im Baulastenverzeichnis der Beklagten unter der Blattnummer 0001 aufgrund einer Verpflichtungserklärung vom selben Tag für die damaligen Grundstücke Gemarkung H. , Flur 00, Flurstücke 77 und 80 eine Baulast mit folgendem Text eingetragen:
4„Die Eigentümer der Grundstücke Gemarkung H. , Flur 00, Flurstücke 77 und 80, verpflichten sich, hinsichtlich baulicher Anlagen und Einrichtungen auf den Grundstücken das öffentliche Baurecht so einzuhalten, als ob es sich um ein Grundstück handelt.“
5Die Verpflichtungserklärung nimmt Bezug auf den beigefügten Lageplan. Auf diesem ist das Flurstück 77 gänzlich und das Flurstück 80 zum überwiegenden Teil schraffiert dargestellt. Auf der östlichen Seite des Flurstücks 80 verläuft die Grenze der schraffiert dargestellten Fläche ausweislich der dargestellten Vermaßung „~ 5,40 m“ von der Bestandsbebauung auf dem östlich angrenzenden Flurstück 82 entfernt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Blatt 16 der Beiakte 2 Bezug genommen.
6Das bisherige Flurstück 80 wurde im Juli 1995 geteilt; die Teilflächen wurden unter den Flurstücksnummern 537 und 538 fortgeführt und im Grundbuch als selbständige Grundstücke eingetragen.
7Im Mai 1999 wurde das bisherige Flurstück 77 geteilt; die Teilflächen wurden unter den Flurstücksnummern 687, 688, 690, 696, 698 sowie 704 fortgeführt und im Grundbuch als selbständige Grundstücke eingetragen. Dabei erfolgte die Grundstücksteilung dergestalt, dass die bisherigen, in sich geschlossenen Wohneinheiten (H1.-----straße 11 und 11a) nunmehr auf unterschiedlichen Grundstücken liegen und an der gemeinsamen Grundstücksgrenze aneinander gebaut sind. Der östliche Streifen des bisherigen Flurstücks 77 wurde im Bereich des bisherigen Garagen-Überbaus in die Grundstücke mit den Flurstücksbezeichnungen 690, 696, 698 und 704 aufgeteilt. Ebenfalls im Mai 1999 wurde das Grundstück mit der Flurstücksbezeichnung 537 in mehrere selbstständige Grundstücke (Flurstücke 689, 691 bis 695, 697, 699 bis 703 sowie 705) geteilt. Hinsichtlich der heutigen Grundstückssituation wird auf den nachfolgenden Kartenausschnitt Bezug genommen.
8Am 15. August 2012 beantragte der Beigeladene bei der Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung, wobei das Vorhaben als „Anbau eines Balkons und Fassadenänderung“ bezeichnet wurde. Ausweislich der Bauvorlagen beabsichtigte der Beigeladene die Errichtung eines an der Rückseite des Gebäudes gelegenen Altans mit einer Höhe (Unterkante Kragplatte) von 4,60 m über der Geländeoberfläche, einer Breite von 3,65 m und einer Tiefe von 1,50 m. Der Abstand zu der klägerischen Grundstücksgrenze beträgt ausweislich der Bauvorlagen 2,00 m. Im Baugenehmigungsverfahren legte der Beigeladene der Beklagten zwei mit dem Text „bin mit Plan einverstanden“ und den Unterschriften der Kläger versehene Bauvorlagen („Grundriss“ und „Ansichten“) vor.
9Mit Bescheid vom 18. März 2013 erteilte die Beklagte unter dem Aktenzeichen 945-12-02 die begehrte Baugenehmigung einschließlich einer Abweichung von § 6 Abs. 1, 7 BauO NRW in Bezug auf die Nichteinhaltung der seitlichen Abstandfläche auf der Westseite. Die Aufgabe zur Post mittels einfachem Brief wurde in dem Verwaltungsvorgang für den 20. März 2013 vermerkt.
10In der Folge errichtete der Beigeladene an der Rückseite seines Hauses eine gegenüber dem umliegenden Gelände erhöhte Terrassenfläche nebst hierauf aufgeständerter Terrassenüberdachung. Der gebäudenahe Teil der Terrassenüberdachung bildet zugleich die Bodenplatte des darüber liegenden überdachten Altans. Die Stützen des Altans sind gegenüber der erteilten Baugenehmigung nach außen an die Ecken der Bodenplatte verschoben worden. Der Altan ist im oberen Bereich, d.h. über der Brüstung, an allen Seiten verglast, wobei die gartenseitige Verglasung verschiebbar ist. Die Überdachung des Altans besteht aus kippbaren Glaslamellen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Lichtbild Blatt 21 der Beiakte 2 ergänzend Bezug genommen.
11Am 17. Juli 2013 reichte der Kläger Bauvorlagen ein, die zusätzlich zu dem genehmigten Altan eine Überdachung zeigen. Ein diesbezüglicher schriftlicher Bauantrag findet sich in den Verwaltungsvorgängen nicht. Mit Bescheid vom 7. November 2013 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen unter dem Aktenzeichen 981-13-02 eine bauaufsichtliche Genehmigung für das Vorhaben „Umbau der Doppelhaushälfte: Anbau eines Balkons und Fassadenänderung, Nachtrag zu Baugenehmig. v. 18.03.2013, Az.00945-12 hier: Errichtung einer Balkonüberdachung“. Die als Anlage zur Baugenehmigung bezeichneten Bauzeichnungen zeigen allein eine Überdachung des Altans mit Stützen. Zwei Zeichnungen, aus denen sich ergibt, dass der Altan nicht nur mit einem Dach aus Glaslamellen, sondern auch mit Glasflächen an allen Seiten umgeben werden sollte (vgl. die Zeichnungen Bl. 93 und 94 der Beiakte 1), sind nicht als zum Bauschein gehörig gekennzeichnet. Auf ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 1. April 2014 übersandte die Beklagte diesem mit Schreiben vom 23. April 2014 erstmals die beiden Genehmigungsbescheide.
12Die Kläger haben am 29. April 2014 gegen die dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 18. März 2013 nebst Nachtrag vom 7. November 2013 Klage erhoben.
13Zu ihrer Begründung machen sie geltend: Der Feststellungsantrag sei zulässig und begründet; insbesondere stehe § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO dem Antrag nicht entgegen. Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sei erloschen, da der Beigeladene das Vorhaben abweichend von den Bauzeichnungen errichtet habe. Unterstelle man die Wirksamkeit der Baugenehmigung, erweise sich jedenfalls der Hilfsantrag als begründet; sie seien durch das Vorhaben in eigenen Rechten verletzt. Die eingetragene Vereinigungsbaulast stehe dem nicht entgegen. Ihre Eintragung führe nicht dazu, dass ihr Grundstück sowie das des Beigeladenen als ein Grundstück anzusehen seien.
14Die Kläger beantragen,
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1. festzustellen, dass die dem Beigeladenen von der Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 18. März 2013 (Az. 945-12-02) zum Anbau eines Balkons und Fassadenänderung in der Fassung der Nachtragsbaugenehmigung vom 7. November 2013 (Az. 981-13-02) zur zusätzlichen Errichtung einer Balkonüberdachung erloschen ist,
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2. hilfsweise die dem Beigeladenen von der Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 18. März 2013 (Az. 945-12-02) zum Anbau eines Balkons und Fassadenänderung in der Fassung der Nachtragsbaugenehmigung vom 7. November 2013 (Az. 981-13-02) zur zusätzlichen Errichtung einer Balkonüberdachung aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
21Entscheidungsgründe:
22Der Einzelrichter ist zuständig, nachdem die Kammer diesem das Verfahren durch Beschluss vom 11. Februar 2016 nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zur Entscheidung übertragen hat.
23Die Klage hat mit ihrem Hilfsantrag Erfolg.
24Der Klageantrag zu 1., mit dem die Kläger die Feststellung begehren, dass die Baugenehmigung vom 18. März 2013 in der Fassung der Nachtragsbaugenehmigung vom 7. November 2013 erloschen ist, ist zulässig, aber unbegründet.
25Der Feststellungsantrag ist zulässig. Insbesondere stehen weder § 43 Abs. 1 noch Abs. 2 Satz 1 VwGO dem Feststellungsbegehren entgegen. Nach § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Berechtigtes Interesse in diesem Sinne ist dabei jedes als schutzwürdig anzuerkennendes Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art, das hinreichend gewichtig ist, um die Position des Betroffenen zu verbessern.
26Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Januar 1996 – 8 C 19/94 –, BVerwGE 100, 271 = juris Rn. 20, und vom 27. Juni 1997 – 8 C 23/96 –, NJW 1997, 3257 = juris Rn. 21; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 43 Rn. 23.
27Dabei ist es nicht erforderlich, dass ein die Feststellung begehrender Kläger an dem streitigen Rechtsverhältnis unmittelbar beteiligt ist. Es kann, wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen, auch die Feststellung verlangt werden, dass zwischen diesem oder der Beklagten und einem Dritten ein Rechtsverhältnis bestehe oder nicht bestehe.
28Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 1972 – I C 33.68 –, BVerwGE 39, 247 = juris Rn. 6 f., und vom 27. Juni 1997 –8 C 23/96 –, juris Rn. 17; vgl. weiterhin zu § 256 Abs. 1 ZPO BGH, Urteil vom 14. Mai 1990 – II ZR 125/89 –, LM § 256 ZPO Nr. 163 = juris Rn. 6.
29Den Klägern fehlt es im vorliegenden Fall hinsichtlich der hier begehrten Feststellung, dass die Baugenehmigung erloschen ist, nicht an einem solchen Feststellungsinteresse. Ob in diesem Zusammenhang ein Feststellungsinteresse eines Nachbarn nur dann anzunehmen ist, wenn dieser im Falle der Ausnutzung der Baugenehmigung auf jeden Fall in seinen Rechten verletzt wäre, dies jedenfalls möglich erschienen muss oder es einer solchen Einschränkung nicht bedarf,
30im letzteren Sinne wohl OVG NRW, Urteile vom 20. August 1993 – 7 A 368/92 –, Seite 9 des Entscheidungsabdrucks, und vom 30. April 1998 – 10 A 2981/96 –, Seiten 9 und 11 des Entscheidungsabdrucks, jeweils nicht veröffentlicht,
31kann vorliegend offenbleiben. Im Fall der Ausnutzung der erteilten Baugenehmigung wären die Kläger – wie nachfolgend ausgeführt – offensichtlich in ihrem subjektiven Recht aus § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BauO NRW verletzt.
32Dem Feststellungsbegehren der Kläger steht auch § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht entgegen, wonach eine Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Die Möglichkeit der Anfechtung der Baugenehmigung steht der Erhebung der Feststellungsklage nicht entgegen. Insoweit ist vom Rechtsstandpunkt der Kläger, die die Baugenehmigung für erloschen halten, auszugehen. Für die Erhebung der Anfechtungsklage müssten die Kläger ihren Rechtsstandpunkt aufgeben und für den Fall, dass das Gericht ihre (ursprüngliche) Rechtsauffassung teilt, die Gerichtskosten tragen.
33Vgl. zu den insoweit identischen Erwägungen bei der Verpflichtungsklage: BVerwG, Urteile vom 17. Januar 1972 – I C 33.68 –, BVerwGE 39, 247 = juris Rn. 7, und vom 26. September 2012 – 8 C 26/11 –, BVerwGE 144, 211 = juris Rn. 19; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 43 Rn. 131; vgl. zur Anfechtungsklage auch: Duken, NVwZ 1990, 443, 444.
34Eine zu erhebende Verpflichtungsklage auf ordnungsbehördliches Einschreiten wäre nicht in gleichem Maße rechtsschutzintensiv wie eine Feststellungsklage. Mit ersterer könnten die Kläger nicht mit Sicherheit eine die Beteiligten nach § 121 Nr. 1 VwGO bindende Feststellung des Erlöschens der Baugenehmigung erreichen. Fehlt es nämlich, obgleich die Genehmigung erloschen ist, an nur einer weiteren prozessualen oder materiellrechtlichen Voraussetzung, bedürfte es keiner Erörterung, ob die Baugenehmigung erloschen ist und damit kein formeller Bestandsschutz mehr besteht.
35Vgl. hierzu OVG NRW, Urteile vom 20. August 1993 – 7 A 368/92 –, Seite 9 des Entscheidungsabdrucks, und vom 30. April 1998 – 10 A 2981/96 –, Seiten 10 f. des Entscheidungsabdrucks, jeweils nicht veröffentlicht; vgl. zur Frage der Rechtskrafterstreckung nach § 121 VwGO auch BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1972 – I C 33.68 –, BVerwGE 39, 247 = juris Rn. 7; Duken, NVwZ 1990, 443, 444.
36Der Feststellungsantrag ist aber unbegründet.
37Die dem Beigeladenen von der Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 18. März 2013 in der Fassung der Nachtragsbaugenehmigung vom 7. November 2013 ist im für die vorliegende Feststellungsklage entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung,
38vgl. diesbezüglich VG Düsseldorf, Urteil vom 21. Oktober 2015 – 18 K 8404/14 –, juris Rn. 17,
39auch unter Berücksichtigung der abweichenden Errichtung weder wegen Ablaufs der Geltungsdauer noch wegen Verzichts erloschen.
40Die Baugenehmigung erlischt nach § 77 Abs. 1 BauO NRW, wenn nicht innerhalb von drei Jahren nach ihrer Erteilung mit der Ausführung des Bauvorhabens begonnen worden ist. Dabei ist als Bauvorhaben in diesem Sinne allein das genehmigte Vorhaben zu verstehen. Errichtet der Bauherr hingegen eine als „aliud“ anzusehende bauliche Anlage, nutzt er die Baugenehmigung nicht aus.
41Vgl. OVG NRW, Urteile vom 22. März 1982 – 7 A 1634/79 –, BRS 39 Nr. 126, und vom 21. Dezember 2010 –2 A 1419/09 –, juris Rn. 69; Hess. VGH, Beschluss vom 10. Juli 2003 – 4 TG 1296/03 –, BRS 66 Nr. 162; Johlen, in: Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Auflage 2011, § 77 Rn. 6; Schulte, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Stand: Oktober 2015, § 77 Rn. 14.
42Dabei ist für die Frage des Ablaufs der Geltungsdauer nach § 77 Abs. 1 BauO NRW auf die Erteilung der ursprünglichen Baugenehmigung und nicht auf den Nachtrag abzustellen.
43Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 22. März 1984 – 2 B 82 A.301 –, BRS 42 Nr. 167; Johlen, in: Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Auflage 2011, § 77 Rn. 7.
44Die Dreijahresfrist seit Erteilung der ursprünglichen Genehmigung ist noch nicht abgelaufen. Vorliegend hat die Beklagte entgegen dem Wortlaut des § 75 Abs. 1 Satz 3 BauO NRW dem Beigeladenen keine Ausfertigung der Baugenehmigung zugestellt. Der Beginn der Geltungsdauer kann somit erst angenommen werden, wenn eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 9 Landeszustellungsgesetz NRW (LZG NRW) eingetreten ist.
45Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 12. September 2014 – 9 K 3975/12 –, juris Rn. 32 f.
46Selbst wenn man hier zugunsten der Kläger sogar das Datum des Bescheides oder der Aufgabe zur Post zugrunde legte, liefe die Dreijahresfrist erst am 18. bzw. 20. März 2016 ab. Im Übrigen läuft die Erlöschensfrist des § 77 Abs. 1 BauO NRW aber auch solange nicht ab, sondern wird unterbrochen, wie der Nachbar die Baugenehmigung anficht. Hier haben die Kläger am 29. April 2014 Klage erhoben.
47Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2001 – 7 A 3553/00 –, juris Rn. 3, sowie Urteile vom 19. April 2010 – 7 A 2362/07 –, juris Rn. 46, und vom 21. Dezember 2010 – 2 A 1419/09 –, juris Rn. 72; Schulte, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Stand: Oktober 2015, § 77 Rn. 16 ff.; Johlen, in: Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, BauO NRW, 11. Auflage 2011, § 77 Rn. 11.
48Entgegen der Auffassung der Kläger ist die Baugenehmigung auch nicht durch die abweichende Errichtung des Altans im Sinne eines Verzichts erloschen. Hiervon wäre auszugehen, wenn das errichtete Vorhaben ein "aliud" zum Gegenstand und der Beigeladene (zusätzlich) zu erkennen gegeben hätte, an der Ausnutzung der ihm erteilten Baugenehmigung kein Interesse mehr zu haben.
49Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2004 – 10 A 1476/04 –, BRS 67 Nr. 169 = juris Rn. 5 ff., und Urteil vom 21. Dezember 2010 – 2 A 1419/09 –, juris Rn. 64.
50Eine solche Erklärung hat der Beigeladene weder ausdrücklich noch konkludent abgegeben. Entgegen der Auffassung der Kläger kann der abweichenden Errichtung des Altans allein kein diesbezüglicher Erklärungswert beigemessen werden. Aus dem möglichweise bestehenden bautechnischen Aufwand eines Umbaus kann kein fehlender Wille zur Ausnutzung der erteilten Genehmigung gefolgert werden. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil ein solcher im Vergleich zu einem vollständigen Rückbau gleichwohl wirtschaftlich sinnvoll erscheinen und somit gerade im Angesicht etwaiger bauordnungsbehördlicher Maßnahmen noch in Erwägung zu ziehen sein kann.
51Der hilfsweise gestellte Klageantrag zu 2. ist zulässig und begründet.
52Der auf Aufhebung der Baugenehmigung vom 18. März 2013 in der Fassung der Nachtragsbaugenehmigung vom 7. November 2013 gerichtete Antrag ist zulässig. Die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Ausweislich des Verwaltungsvorgangs erhielten die Kläger erstmals im April 2014 Kenntnis von der Baugenehmigung nebst Nachtrag. Die Klageerhebung erfolgte am 29. April 2014.
53Den Klägern mangelt es auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Zwar haben die Kläger dem Bauvorhaben durch ihre Unterschrift auf zwei Bauvorlagen zugestimmt und dadurch grundsätzlich auf Rechtsmittel gegen die Baugenehmigung in der ursprünglichen Fassung vom 20. März 2013 verzichtet.
54Vgl. zum Verzicht auf Nachbarrechte durch Unterzeichnung der Bauvorlagen: OVG NRW, Beschlüsse vom 30. August 2000 – 10 B 1145/00 –, BauR 2991, 89 = juris Rn. 5, und vom 30. März 2004 – 7 B 2430/03 –, juris Rn. 8 ff., sowie Urteil vom 20. Februar 2006 – 7 A 1358/04 –, juris Rn. 35; Johlen, in: Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Auflage 2011, § 74 Rn. 121.
55Diese Nachbarzustimmung ist aber durch die nachträgliche Änderung des genehmigten Vorhabens gegenstandslos geworden. Die als „Nachtrag zur Baugenehmigung“ bezeichnete Genehmigung vom 8. November 2013 ist nicht zur ursprünglichen Baugenehmigung als weitere selbständige Genehmigung hinzugetreten, sondern hat diese abgeändert. Das ursprünglich geplante Vorhaben ist so nie realisiert worden. Durch die Nachtragsgenehmigung ist das Vorhaben in einer Weise abgeändert worden, die sich nachteilig auf die Belange der Kläger als Nachbarn auswirken kann, denn der Altan ist durch die genehmigte Überdachung um 2,56 m erhöht und im Übrigen in seiner Nutzbarkeit deutlich erweitert worden. Hierauf hat sich die Zustimmung aber unstreitig nie bezogen.
56Vgl. insoweit Thür. OVG, Urteil vom 30. August 2007 –1 KO 330/06 –, juris Rn. 47.
57Die Anfechtungsklage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist begründet. Dies ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Fall, wenn und soweit den Klägern ein Abwehrrecht gegen das Vorhaben des Beigeladenen zusteht. Dies setzt voraus, dass das Vorhaben in einer nicht durch einen rechtmäßigen Dispens ausräumbaren Weise gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die auch dem Schutz der Kläger zu dienen bestimmt sind, und – sofern sich dies aus der nachbarschützenden Vorschrift ergibt – die Kläger durch das Vorhaben tatsächlich spürbar beeinträchtigt werden. Ob das Vorhaben objektiv, d.h. hinsichtlich der Vorschriften, die nicht nachbarschützend sind, rechtmäßig ist, wird im Klageverfahren hingegen nicht geprüft.
58Vgl. hierzu grundlegend BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1969 – IV C 234.65 –, BVerwGE 32, 173 = juris Rn 15; vgl. weiter BVerwG, Urteil vom 13. März 1981 – 4 C 1/78 –, BRS 38 Nr. 186 = juris Rn 35.
59Das Vorhaben des Beigeladenen verstößt zu Lasten der Kläger gegen § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BauO NRW. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW müssen diese auf dem Grundstück selbst liegen. Dabei beträgt die Tiefe der Abstandfläche – so wie hier – jedenfalls 3 m, § 6 Abs. 5 Satz 5 BauO NRW. Hält ein Vorhaben gegenüber einem Grundstück die notwendige Abstandfläche nicht ein, kann der jeweils durch die auf seinem Grundstück liegende Abstandfläche betroffene Grundstückseigentümer diesen Verstoß gegen § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BauO NRW als nachbarrechtsverletzend geltend machen. Hier liegt die durch das Vorhaben geworfene Abstandfläche von 3 m angesichts des Grenzabstands von nur 2 m teilweise auf dem Grundstück der Kläger.
60Vgl. zum Nachbarschutz nur OVG NRW, Urteile vom 14. Januar 1994 – 7 A 2002/92 –, OVGE 44, 1, und vom 6. Juni 2014 – 2 A 2757/12 –, juris Rn. 80; Johlen, in: Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Auflage 2011, § 6 Rn. 39 ff.; Boeddinghaus, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Stand: Oktober 2015, § 6 Rn. 36.
61Hieraus folgt im vorliegenden Fall trotz eingetragener Vereinigungsbaulast im Sinne des § 4 Abs. 2 BauO NRW eine Rechtsverletzung zu Lasten der Kläger. Nach dieser Vorschrift ist ein Gebäude auf mehreren Grundstücken zulässig, wenn durch Baulast gesichert ist, dass keine Verhältnisse eintreten können, die den Vorschriften dieses Gesetzes zuwiderlaufen. Eine solche Vereinigungsbaulast, die sich auch auf die Abstandflächen auswirkt, ist vorliegend am 12. August 1994 für die damaligen Grundstücke mit den Flurstücksbezeichnungen 77 und 80 eingetragen worden. Sie setzt sich auch nach der Grundstücksteilung an den neu entstandenen Grundstücken fort.
62Vgl. hierzu ausführlich OVG NRW, Urteil vom 1. Juni 2015 – 8 A 1760/13 –, juris Rn. 112; siehe auch Wenzel, Baulasten in der Praxis, Rn. 123.
63Die eingetragene Vereinigungsbaulast erweist sich allerdings als von Anfang an unwirksam. Dies ist (unter anderem) der Fall, wenn die der Beklagten gegenüber abgegebene, auf Übernahme einer Baulast gerichtete Erklärung nicht hinreichend genau und sicher erkennen lässt, welcher Teil des Grundstücks belastet werden sollte.
64Vgl. zur Bestimmtheit von Baulasterklärungen: OVG NRW, Urteile vom 29. September 1978 – XI A 112/78 –, BRS 33 Nr. 156, und vom 23. November 1988 – 7 A 2361/86 –, Seite 8 des Entscheidungsabdrucks, nicht veröffentlicht; Wenzel, in: Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Auflage 2011, § 83 Rn. 54.
65Die Baulasterklärung vom 12. August 1994 ist in nicht aufzulösender Form in sich widersprüchlich. Nach dem Text der Baulasterklärung sollte die Vereinigungsbaulast die Flurstücke 77 und 80 umfassen. Eine Einschränkung hinsichtlich etwaiger nicht erfasster Grundstücksteile enthält der Text nicht. Der vorliegend in der Baulasterklärung ausdrücklich in Bezug genommene Lageplan umfasst im Gegensatz zu der textlichen Erklärung neben dem Flurstück 77 nur den westlichen Teil des Flurstücks 80. Eine Teilfläche am östlichen Rand des Flurstücks, die dem ein Jahr später geschaffenen Flurstück 538 entspricht, ist nicht schraffiert. Dieser Widerspruch kann angesichts der Eindeutigkeit beider Erklärungsteile auch nicht im Wege der Auslegung in Deckung gebracht werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine solche Beschränkung textlich ohne weiteres zu formulieren gewesen wäre. Wird aber eine solche naheliegende textliche Einschränkung des Baulastumfangs nicht erklärt, spricht dies erst recht dafür, dass die Baulasterklärung umfassend zu verstehen ist.
66Vgl. zu diesem Aspekt bei der Auslegung einer Baulasterklärung: OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 1992 – 11 A 890/91 –, juris Rn. 34; Nds. OVG, Urteil vom 27. September 2001 – 1 LB 1137/01 –, BRS 64 Nr. 130 = juris Rn. 27.
67Der bestehende Verstoß gegen § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BauO NRW kann nicht durch eine Abweichung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauO NRW beseitigt werden. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW kann die Genehmigungsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen zulassen, wenn diese unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Gemäß Satz 2 sind Abweichungen von § 6 insbesondere zulässig, wenn durch das Vorhaben nachbarliche Interessen nicht oder nur unwesentlich stärker beeinträchtigt werden als bei einer Bebauung des Grundstücks, die nach § 6 BauO NRW zulässig wäre.
68Im Zusammenhang mit Abweichungen von § 6 BauO NRW sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauO NRW restriktiv auszulegen. Das in § 6 BauO NRW geregelte, in sich geschlossene System der Abstandflächenvorschriften enthält Regel- und Ausnahmetatbestände, so dass die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Interessen betroffener Grundstücksnachbarn sowie die relevanten öffentlichen Belange regelmäßig schon durch diese Vorschrift in einen gerechten Ausgleich gebracht werden. Insoweit bedarf es einer atypischen Grundstückssituation, um eine Abweichung von dem gesetzlich festgelegten Maß dessen, was der Nachbar hinnehmen muss, rechtfertigen zu können. Nur eine grundstücksbezogene Atypik – insbesondere Besonderheiten im Zuschnitt der Nachbargrundstücke oder im topografischen Geländeverlauf – kann eine Abweichung rechtfertigen, nicht aber außergewöhnliche Nutzungswünsche eines Eigentümers, die eine noch stärkere Ausnutzung seines Grundstücks erfordern als nach § 6 BauO NRW 2006 ohnehin schon zulässig ist.
69Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2007 – 10 B 275/07 –, juris Rn. 20, und Urteil vom 6. Juni 2014 – 2 A 2757/12 –, juris Rn. 94; Johlen, in: Gädtke u.a., BauO NRW, 12. Auflage 2011, § 73 Rn. 19 ff.
70Eine solche atypische Grundstückssituation ist vorliegend nicht ansatzweise erkennbar. Im Gegenteil beruht die Lage des Vorhabens nur 2,00 m von der Grundstücksgrenze entfernt ausweislich der Bauvorlagen erkennbar darauf, das bodentiefe Fenster als Zugang für den Altan nutzen zu können.
71Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Satz 1, 159 Satz 2 VwGO. Hinsichtlich der Kostenquote geht die Kammer für den gestellten Feststellungsantrag von einem Wert aus, der halb so hoch wie der des entsprechenden Anfechtungsantrags ist. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO nicht für erstattungsfähig zu erklären. Dieser hat sich mangels eigenem Antrag auch keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt, § 154 Abs. 3 VwGO.
72Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gründe
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Die Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet. Zwar rechtfertigt das Beschwerdevorbringen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (1.). Jedoch hat die Verfahrensrüge mit dem Ergebnis Erfolg (2.), dass der Rechtsstreit in dem im Tenor bezeichneten Umfang zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6 VwGO).
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1. Die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) greift nicht durch. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage dann, wenn für die Entscheidung des vorinstanzlichen Gerichts eine konkrete fallübergreifende Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>, vom 23. April 1996 - BVerwG 11 B 96.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 10 S. 15, vom 30. März 2005 - BVerwG 1 B 11.05 - NVwZ 2005, 709 und vom 2. August 2006 - BVerwG 9 B 9.06 - NVwZ 2006, 1290). Daran fehlt es.
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a) Soweit die Beschwerde die Frage aufwirft,
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"Ist es mit dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem aus Art. 3 GG folgenden Willkürverbot vereinbar, wenn § 3 Abs. 3 KAG NRW dahingehend ausgelegt wird, dass es als zwingende Voraussetzung für die Prognoseentscheidung der Gemeinde bezüglich zu erhebender Vorauszahlungen keiner Steuerfestsetzung aus dem Vorjahr bedarf?",
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wendet sie sich gegen die Auslegung von Landesrecht (§ 3 Abs. 3 KAG NRW), die vom Revisionsgericht nicht nachgeprüft wird und eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung deswegen nicht begründen kann. Abweichendes folgt nicht daraus, dass die Frage die Vereinbarkeit der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung mit Bestimmungen des Bundesverfassungsrechts thematisiert. Revisibilität könnte sie nur erlangen, wenn die angeführten bundesrechtlichen Maßstabsnormen, an denen die Auslegung und Anwendung der landesrechtlichen Vorschrift zu messen sind, ihrerseits ungeklärte Fragen von fallübergreifender Bedeutung aufwerfen würden (stRspr; vgl. etwa Beschluss vom 7. März 1996 - BVerwG 6 B 11.96 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 7). Das ist nicht ansatzweise dargetan.
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b) Zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führt ebenfalls nicht die Frage,
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"Wie ist § 139 BGB analog in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem aus Art. 3 GG folgenden Willkürverbot auszulegen, wenn eine Gemeinde in einer Satzung bewusst ein zweigleisiges Festsetzungssystem dergestalt geschaffen hat, dass dem Steuerschuldner zwei Festsetzungs- und Zahlungsmodalitäten eröffnet werden."
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Bei sachgerechter Auslegung dieser Frage will die Beschwerde die Voraussetzungen einer Teil- oder Gesamtnichtigkeit von Satzungen mit den genannten Regelungen geklärt wissen. Dazu bedarf es jedoch keiner revisionsgerichtlichen Entscheidung. Die abstrakt-generellen, von der entsprechenden Anwendung des § 139 BGB ausgehenden Fragen der Gesamt- oder bloßen Teilnichtigkeit von Satzungen sind höchstrichterlich bereits geklärt. Danach steht fest, dass die Entscheidung, ob ein Rechtsmangel zur Gesamtnichtigkeit der Satzung oder nur zur Nichtigkeit einzelner Vorschriften führt, davon abhängt, ob - erstens - die Beschränkung der Nichtigkeit eine mit höherrangigem Recht vereinbare sinnvolle (Rest-)Regelung des Lebenssachverhalts belässt und ob - zweitens - hinreichend sicher ein entsprechender hypothetischer Wille des Normgebers angenommen werden kann (vgl. u.a. Beschlüsse vom 20. August 1991 - BVerwG 4 NB 3.91 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 59 S. 81 ff. und vom 28. August 2008 - BVerwG 9 B 40.08 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 56 Rn. 13). Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Im Übrigen hängt die Beantwortung der Frage maßgeblich von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, die einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich sind.
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2. Mit der Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) macht die Klägerin geltend, das Oberverwaltungsgericht habe ihr Klagebegehren unter Verstoß gegen § 88 VwGO unzutreffend ausgelegt und deshalb über einen Teil der Klage entgegen dem Klageantrag nicht in der Sache entschieden. Es habe zu Unrecht angenommen, das Verwaltungsgericht sei - seinerseits unter Verstoß gegen § 88 VwGO - mit der Aufhebung der Vorauszahlungsfestsetzungen für 2009 und die Folgejahre über das Klagebegehren hinausgegangen. Demgegenüber ergebe sich aus der Klagebegründung vom 7. Mai 2009, wie auch aus der Interessenlage der Klägerin, dass das Verwaltungsgericht das Klageziel zutreffend erkannt habe. Diese Rüge greift durch.
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Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden; es hat vielmehr das tatsächliche Rechtschutzbegehren zu ermitteln (Urteil vom 3. Juli 1992 - BVerwG 8 C 72.90 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 19 S. 4 f.; Beschlüsse vom 5. Februar 1998 - BVerwG 2 B 56.97 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 25 und vom 17. Dezember 2009 - BVerwG 6 B 30.09 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 38 Rn. 3). Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel (stRspr; Urteil vom 3. Juli 1992 a.a.O.; Beschluss vom 25. Juni 2009 - BVerwG 9 B 20.09 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 37 Rn. 2). Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Wesentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück (Urteil vom 27. April 1990 - BVerwG 8 C 70.88 - Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 9 S. 5; Beschluss vom 19. Juni 2010 - BVerwG 6 B 12.10 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 55 Rn. 4). Neben dem Klageantrag und der Klagebegründung ist auch die Interessenlage des Klägers zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und den Beklagten als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt (vgl. Urteil vom 18. November 1982 - BVerwG 1 C 62.81 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 11 S. 5 f.; Beschlüsse vom 17. Dezember 2009 a.a.O. und vom 19. Juni 2010 a.a.O.).
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Ist aber der Kläger bei der Fassung des Klageantrages anwaltlich vertreten worden, kommt der Antragsformulierung allerdings gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Klagebegründung, die beigefügten Bescheide oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Klageziel von der Antragsfassung abweicht.
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Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Oberverwaltungsgericht das Klagebegehren nicht zutreffend ausgelegt. Es ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass nach dem Klageantrag die Aufhebung des Bescheides vom 12. Dezember 2008 nur hinsichtlich der Steuerfestsetzung für das Kalenderjahr 2007 und der Festsetzung von Vorauszahlungen für das Kalenderjahr 2008, nicht aber für das Kalenderjahr 2009 beantragt war. Dagegen hat es die Klagebegründung unberücksichtigt gelassen, die im Zusammenhang mit der Interessenlage der Klägerin deutlich erkennen lässt, dass Klageziel die Aufhebung der Festsetzung von Vorausleistungen insgesamt war. In der Klagebegründung hat die Klägerin ihr Aufhebungsbegehren auf die Rechtsauffassung gestützt, die Vergnügungssteuersatzung der Beklagten sei nichtig. Diese Satzung bildete die Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Vorausleistungen nicht nur für das Jahr 2008, sondern in gleicher Weise für die Folgejahre. Indem die Klagebegründung daraus den Schluss gezogen hat, "die angefochtene Festsetzung von Vorausleistungen (sei) ebenfalls unwirksam", hat sie unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass diese Festsetzung uneingeschränkt angegriffen werden sollte. Gestützt wird dieses Auslegungsergebnis durch die Interessenlage. Die Klägerin wurde durch die Festsetzung von Vorausleistungen insgesamt belastet. Ein sachlicher Grund, warum sie gegen diese Belastung nur teilweise hätte vorgehen sollen, ist nicht erkennbar.
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Das Urteil beruht auf dem aufgezeigten Verfahrensmangel. Denn das Oberverwaltungsgericht hat den Teil des erstinstanzlichen Urteils, der die Festsetzung der Vergnügungssteuervorauszahlung für das Jahr 2009 betrifft, wegen Verstoßes gegen § 88 VwGO aufgehoben, aber nicht in der Sache entschieden.
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Da weitere Zulassungsgründe nicht eingreifen, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, auf die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil im Umfang des Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt, soweit über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden war, aus § 154 Abs. 2 VwGO. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entsteht eine Gerichtsgebühr nur, soweit die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird. Die sonstigen Kosten des Beschwerdeverfahrens, namentlich die außergerichtlichen Kosten, waren verhältnismäßig zu teilen, und zwar in der Weise, dass die Klägerin die Kosten im Maße ihres Unterliegens trägt und die Entscheidung über diejenigen Kosten, die dem Anteil der erfolgreichen Beschwerde am gesamten Beschwerdeverfahren entsprechen, der Kostenentscheidung in der Hauptsache folgt.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.
(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.
(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.
(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er
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den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat; - 2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; - 3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.
(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.
(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
Tatbestand
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Die Beigeladene beabsichtigt, im Gemeindegebiet der Klägerin, der Stadt R., ein Möbel-Einrichtungshaus mit ergänzenden Fachmärkten mit einer Gesamtverkaufsfläche von ca. 40 000 qm zu errichten. Die Klägerin ist nach dem Landesentwicklungsplan Baden-Württemberg 2002 (im Folgenden: LEP 2002) als Mittelzentrum eingestuft.
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Den Antrag der Klägerin auf Zielabweichung für das Ansiedlungsvorhaben der Beigeladenen lehnte der Beklagte ab. Das geplante Vorhaben verletze als typisch oberzentrale Einrichtung das raumordnungsrechtliche Kongruenzgebot. Die beantragte Zielabweichung sei unzulässig, da das Vorhaben raumordnerisch nicht vertretbar sei und Grundzüge der Planung in gravierender Weise verletzt würden. Die von der Klägerin erhobene Klage auf Feststellung, dass dem Vorhaben der Beigeladenen keine verbindlichen Ziele der Raumordnung entgegenstehen, hilfsweise auf Verpflichtung des Beklagten, die vorsorglich beantragte Zielabweichung zuzulassen, wies das Verwaltungsgericht ab.
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Die Berufungen der Klägerin und der Beigeladenen hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Das Ansiedlungsvorhaben widerspreche den in den Plansätzen 3.3.7 Satz 1, Halbs. 1 und 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002 festgelegten Zielen. Es füge sich nicht in das zentralörtliche Versorgungssystem ein; der Einzugsbereich des Vorhabens überschreite den zentralörtlichen Verflechtungsbereich wesentlich. Den Festlegungen komme Zielqualität zu. Dem stehe nicht entgegen, dass die Planaussagen als Soll-Vorschrift ausgestaltet seien. Lägen keine Umstände vor, die den Fall als atypisch erscheinen ließen, bedeute das "Soll" ein "Muss". Eine Soll-Vorschrift im hier maßgeblichen raumordnerischen Regelungszusammenhang führe zu einer strikten Zielfestlegung, die eine Abweichung ausschließlich in atypischen, vom Normgeber nicht vorhersehbaren Einzelfällen zulasse. Die Festlegung im Plansatz 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002 enthalte die Aussage, dass typischerweise der zentralörtliche Verflechtungsbereich nicht überschritten werden dürfe. Mit diesem Inhalt sei die Planaussage zwingend. Die atypischen Umstände würden vom Plangeber insoweit negativ selbst eingegrenzt, als das im Plansatz 3.3.7.1 Satz 2 LEP 2002 strikt festgelegte Kernziel, dass die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich und die Funktionsfähigkeit anderer Zentraler Orte nicht wesentlich beeinträchtigt werden dürfen, jedenfalls nicht angetastet werden dürfe. Die zwischen den Beteiligten unstreitigen Rechengrößen belegten einen erheblichen Verstoß gegen das Kongruenzgebot. Das in den Plansätzen 3.3.7 Satz 1 und 3.3.7.1 Satz 1 (in seiner Ergänzung durch Satz 2) LEP 2002 enthaltene Konzentrationsgebot (bzw. Zentrale-Orte-Prinzip) und Kongruenzgebot verstießen nicht gegen die kommunale Planungshoheit und seien auch vereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG und Unionsrecht. Ob das Ansiedlungsvorhaben der Beigeladenen darüber hinaus gegen weitere verbindliche Ziele des LEP 2002 (Beeinträchtigungsverbot, Integrationsgebot) oder gegen verbindliche Ziele des Regionalplans Mittlerer Oberrhein verstoße, könne offenbleiben. Die Verpflichtungsklage sei ebenfalls unbegründet. Die Klägerin und die Beigeladene hätten keinen Anspruch auf Zulassung der beantragten Zielabweichung, weil das Vorhaben Grundzüge der Planung i.S.d. § 24 LplG berühre. Eine Zielabweichung, die zur - wenn auch einzelfallbezogenen - Abkehr von dem für Einzelhandelsgroßprojekte maßgeblichen Zentrale-Orte-Prinzip (Konzentrationsgrundsatz) und dem als Komplementärelement verstandenen Kongruenzgebot führe, berühre immer die "Grundzüge der Planung". Der höheren Raumordnungsbehörde sei daher bereits kein Ermessen eröffnet gewesen; der Antrag der Klägerin auf Zulassung einer Zielabweichung sei zwingend abzulehnen gewesen.
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Gegen dieses Urteil haben die Klägerin und die Beigeladene die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Soll-Vorschriften seien keine Ziele der Raumordnung. Es stehe im Widerspruch zum Verbindlichkeitsanspruch von Zielfestlegungen, das Vorliegen atypischer Fälle der Einschätzung nachgeordneter Planungsträger zu überlassen. Bei Verstößen gegen das Kongruenzgebot komme eine Zielabweichung grundsätzlich in Betracht. Nicht jede landesplanerische Aussage, die auf das Zentrale-Orte-Prinzip zurückgehe, zähle zu den Grundzügen der Planung.
Entscheidungsgründe
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Die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen sind unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung der Klage auf Feststellung, dass dem Vorhaben der Beigeladenen keine Zielfestlegung des LEP 2002 entgegensteht, wenden. Dagegen sind die Revisionen hinsichtlich der hilfsweise erhobenen Verpflichtungsklage begründet. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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1. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass das in Plansatz 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002 enthaltene Kongruenzgebot, wonach die Verkaufsfläche von Einzelhandelsgroßprojekten so bemessen sein soll, dass deren Einzugsbereich den zentralörtlichen Verflechtungsbereich nicht wesentlich überschreitet, ein Ziel der Raumordnung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG (§ 3 Nr. 2 ROG a.F.) und damit eine verbindliche Vorgabe für raumbedeutsame Planungen darstellt, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Auch als Soll-Vorschrift gefasste landesplanerische Aussagen können ein verbindliches Ziel der Raumordnung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG sein.
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1.1 Nach der Begriffsbestimmung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG sind Ziele der Raumordnung verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. Sie sind anders als Grundsätze der Raumordnung nicht bloß Maßstab, sondern als räumliche und sachliche Konkretisierung der Entwicklung des Planungsraumes das Ergebnis landesplanerischer Abwägung (Beschluss vom 20. August 1992 - BVerwG 4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329 <333>). Einer weiteren Abwägung auf einer nachgeordneten Planungsstufe sind sie nicht zugänglich.
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Ziele i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG sind nicht nur nach dem Wortlaut strikt formulierte landesplanerische Vorgaben, die durch zwingende Formulierungen als Mussvorschriften ausgestaltet sind. Auch Plansätze, die eine Regel-Ausnahme-Struktur aufweisen, können die Merkmale einer "verbindlichen Vorgabe" oder einer "landesplanerischen Letztentscheidung" bzw. einer "abschließenden landesplanerischen Abwägung" erfüllen, wenn der Plangeber neben der Regel auch die Voraussetzungen der Ausnahme mit hinreichender tatbestandlicher Bestimmtheit oder doch wenigstens Bestimmbarkeit selbst festlegt (Urteile vom 18. September 2003 - BVerwG 4 CN 20.02 - BVerwGE 119, 54 <58> und vom 20. November 2003 - BVerwG 4 CN 6.03 - BVerwGE 119, 217 <222 f.>).
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Landesplanerische Aussagen in Gestalt einer Soll-Vorschrift können ebenfalls die Merkmale eines Ziels der Raumordnung erfüllen. In ihrer Grundstruktur unterscheiden sich Soll-Vorschriften mit der in der Normstruktur angelegten Abweichungsmöglichkeit in atypischen Fällen nicht von landesplanerischen Aussagen, die dem Regel-Ausnahme-Muster folgen; sie stellen keine eigenständige Zielkategorie des Raumordnungsrechts dar (vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 6. Juni 2005 - 10 D 145/04.NE - BauR 2005, 1577). Insoweit erscheint die Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs, eine - auch raumordnerische - Norm, die eine Soll-Struktur aufweise, sei nicht mit einem Normgefüge in einer Regel-Ausnahme-Struktur vergleichbar (UA S. 23), verfehlt, zumindest aber missverständlich. Nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs führt das als Soll-Vorschrift gefasste Kongruenzgebot zu einer strikten Zielfestlegung, das eine Abweichung ausschließlich in atypischen, vom Normgeber nicht vorhersehbaren Einzelfällen zulässt. Wenn eine Rechtsnorm - wie im vorliegenden Fall - als Soll-Vorschrift erlassen werde, sei der Normadressat - im Sinne von rechtlich zwingend - verpflichtet, grundsätzlich so zu verfahren, wie es in der Norm bestimmt sei. Lägen keine Umstände vor, die den Fall als atypisch erscheinen ließen, so bedeute das "Soll" ein "Muss". Insofern folgen auch die hier einschlägigen Soll-Vorschriften des LEP 2002 dem Regel-Ausnahme-Muster; sie zeichnen sich nur dadurch aus, dass der Plangeber die Voraussetzungen der Ausnahme von der grundsätzlich geltenden Regel nicht ausdrücklich in Form einer textlichen Festlegung benennt.
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Dass ein Plansatz keine normative Aufführung der atypischen Umstände enthält, die eine Ausnahme von der Regel zu rechtfertigen vermag, steht seiner Qualifizierung als verbindliches Ziel i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG nicht entgegen. Landesplanerische Aussagen in Gestalt einer Soll-Vorschrift erfüllen dann die Merkmale eines Ziels der Raumordnung, wenn die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Vorschrift auch ohne förmliches Zielabweichungsverfahren eine Ausnahme von der Zielbindung zulässt, im Wege der Auslegung auf der Grundlage des Plans hinreichend bestimmt oder doch bestimmbar sind. Dagegen entfalten Soll-Vorschriften, die dem nachgeordneten Planungsträger bei der Einschätzung, ob ein atypischer Fall vorliegt, einen eigenen Abwägungsspielraum einräumen, keinen Verbindlichkeitsanspruch. Mit dem Merkmal der Atypizität allein sind die Fallgestaltungen, bei denen die Regelvorgaben der Vorschrift nicht gelten sollen, nicht hinreichend bestimmt oder bestimmbar beschrieben. Der Plangeber muss vielmehr selbst Anhaltspunkte für die Reichweite atypischer Fälle liefern. Auch abstrakte Kriterien können zur Identifizierung einer landesplanerisch gebilligten Atypik und damit zur Bestimmbarkeit genügen. Lässt sich aus den Zielvorstellungen des Plangebers und dem Normzusammenhang der Regelung im Wege der Auslegung der atypische Fall bestimmen, kann die für die Ziele der Raumordnung vorausgesetzte Letztverbindlichkeit bejaht werden.
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1.2 Gemessen an diesem Maßstab ist die Auslegung des in Plansatz 3.3.7.1 LEP 2002 enthaltenen Kongruenzgebots als Ziel i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
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Nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs ist das Kongruenzgebot als Soll-Vorschrift ohne ausdrücklich benannte Ausnahmen ausgestaltet. Der Plangeber habe auf eine weitere Konkretisierung des Kongruenzgebots durch eine Regel-Ausnahme-Vorschrift verzichtet. Er habe allerdings die Voraussetzungen für die Annahme einer Atypik nicht gänzlich offengelassen, sondern diesen Rahmen eingegrenzt. Das Kongruenzgebot stehe mit Plansatz 3.3.7 und Plansatz 3.3.7.1 Satz 2 LEP 2002 in einem untrennbar miteinander verzahnten, von raumordnerischen Grundsätzen getragenen Regelungszusammenhang. Das Beeinträchtigungsverbot in Plansatz 3.3.7.1 Satz 2 LEP 2002, wonach die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich und die Funktionsfähigkeit anderer Zentraler Orte nicht wesentlich beeinträchtigt werden dürfen, begründe keine Ausnahme vom Kongruenzgebot nach Plansatz 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002. Vielmehr könne ein atypischer Fall nur dann vorliegen, wenn das Beeinträchtigungsverbot eingehalten werde und zusätzlich weitere Umstände hinzuträten. Die Prüfung, ob atypische Umstände eine Abweichung von dem in Plansatz 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002 normierten Planziel zulassen können, habe nach diesem Regelungszusammenhang zwei Voraussetzungen: Zum einen müsse die Verkaufsfläche eines Einzelhandelsgroßprojekts so bemessen sein, dass deren Einzugsbereich den zentralörtlichen Verflechtungsbereich (zwar) wesentlich überschreitet. Zum anderen dürfe (gleichzeitig) die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich und die Funktionsfähigkeit anderer Zentraler Orte (aber) nicht wesentlich beeinträchtigt werden (UA S. 25 f. - Klammerzusätze im Original).
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Als Ergebnis landesrechtlicher Auslegung für die revisionsgerichtliche Beurteilung bindend ist sowohl das Verständnis des Beeinträchtigungsverbots in Plansatz 3.3.7.1 Satz 2 LEP 2002 als strikt festgelegtes Kernziel als auch die Schlussfolgerung, der Plangeber habe die atypischen Umstände, die eine Abweichung vom Kongruenzgebot durch den nachgeordneten Planungsträger erlaubten, insofern - negativ - selbst eingegrenzt, als das Beeinträchtigungsverbot jedenfalls nicht angetastet werden dürfe. Die - negative - Eingrenzung, dass die Beachtung des Beeinträchtigungsverbots nicht genügt, um eine Ausnahme vom Kongruenzgebot zu begründen, engt die Variationsbreite atypischer Umstände zwar ein. Das reicht aber nicht zur Bestimmbarkeit möglicher atypischer Fälle durch den nachgeordneten Planungsträger. Das erkennt auch der Verwaltungsgerichtshof. Ob es zur Bestimmbarkeit genügt, dass - wie der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat - "des Weiteren" die Begründung des LEP 2002 Leitlinien enthalte, die für die Feststellung einer Atypik, die den nachgeordneten Planungsträger von der Bindungswirkung des Ziels freistellt, herangezogen werden könnten, mag zweifelhaft sein. Denn auf der in Bezug genommenen Seite der Begründung (Seite B36) heißt es lediglich: "Einzelhandelsgroßprojekte können bei falscher Standortwahl und Größenordnung das zentralörtliche Versorgungssystem, die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung und die Funktionsfähigkeit der Stadt- und Ortskerne nachteilig beeinflussen". Auf den Einzelhandelserlass wird nur zur Bestimmung des Begriffs "Einzelhandelsgroßprojekte" verwiesen. Das bedarf indes keiner Vertiefung. Denn nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs hat sich der Plangeber nicht auf eine negative Abgrenzung möglicher atypischer Fallkonstellationen beschränkt, sondern gleichzeitig durch positive und negative Abgrenzungskriterien den Zielrahmen festgelegt, innerhalb dessen atypische Umstände eine Abweichung von den planerischen Kernzielen anzeigen können (UA S. 29): Der Plangeber habe in den Plansätzen 3.3.7 Satz 1 und 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002 die Kernziele seiner raumordnerischen Vorstellung klar formuliert und ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass diese nicht im Rahmen einer Abwägung durch einen nachgeordneten Planungsträger zur planerischen Disposition stehen. Danach wird der atypische Fall zielintern durch Rückgriff auf das im Plan normierte zentralörtliche Gliederungssystem und das Gesamtziel der Zentrenverträglichkeit bestimmbar. Die vom Plangeber mit dem zentralörtlichen Gliederungssystem verfolgten Zwecke sind als Grundsätze der Raumordnung in § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG kodifiziert; dieser Regelungszusammenhang bewirkt, dass der atypische Fall durch Auslegung von Sinn und Zweck des Plans zielintern bestimmbar wird. Der Umstand, dass es sich um abstrakte Kriterien handelt, die der Konkretisierung mit Blick auf den jeweiligen Einzelfall bedürfen, steht der Bestimmbarkeit durch Auslegung nicht entgegen. Entgegen dem Einwand der Beigeladenen folgt aus der Notwendigkeit der Auslegung der Regelvorgabe nach Sinn und Zweck im Einzelfall keine "Universalität" der Belange, die dem nachgeordneten Planungsträger in unzulässiger Weise Gestaltungsspielraum eröffnen würden. Unvorhersehbar ist nicht der atypische Fall, sondern nur, ob der (seltene) Fall einer Ausnahme eintreten wird. Wie auch der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat, wird dem nachgeordneten Planungsträger mit der Befugnis zur Feststellung der Atypik gerade nicht die abschließende Abwägung übertragen. Fallkonstellationen, auf die die Planaussage - hier: das Kongruenzgebot - seinem Wesen nach, d.h. nach Sinn und Zweck wegen Besonderheiten des Einzelfalls nicht "passt", werden - wie auch der Beklagte in der mündlichen Verhandlung anschaulich ausgeführt hat - zudem selten sein. Die Abwägung des Plangebers führt damit zu einem bestimmten Entscheidungsgehalt, der bei der weiteren Zielkonkretisierung nicht erneut zur Disposition steht. Sind - wie hier - die atypischen Ausnahmen vom Kongruenzgebot auch ohne abschließenden oder auch nur beispielhaften Katalog anhand der im Plan zum Ausdruck kommenden Regelungsabsichten des Plangebers bestimmbar, entfaltet die als Soll-Vorschrift gefasste Planaussage auch als Gesamtregelung den Verbindlichkeitsanspruch eines Ziels i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG.
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1.3 Auch unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit des Regeltatbestandes bestehen keine Bedenken gegen die Zielqualität des Plansatzes 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002. Das Kongruenzgebot verlangt, dass die einzelnen Einzelhandelsbetriebe der jeweiligen Zentralitätsstufe der Standortgemeinde entsprechen; ein Verstoß liegt bei einer wesentlichen Überschreitung des Verflechtungsbereichs vor. Anknüpfungspunkt ist der landes- oder regionalplanerisch definierte Status eines Ortes nach der gestuften zentralörtlichen Gliederungshierarchie im Sinne des Zentrale-Orte-Prinzips. Der Verflechtungsbereich ist für Ober- und Mittelzentren durch die Region und den Mittelbereich vorgegeben. Durch die in Plansatz 2.5 LEP 2002 vorgenommene Festlegung der Zentralen Orte und deren Verflechtungsbereiche lässt sich ohne Weiteres die räumliche Bezugsgröße im Verhältnis zur Lage des Vorhabens bestimmen. Der für Mittelzentren als Einzugsbereich bestimmte Mittelbereich wird gemäß Plansatz 2.5.9 Abs. 5 im Anhang des LEP 2002 durch Nennung der maßgeblichen Ortschaften sowie kartographisch konkretisiert. Für Oberzentren verweist Plansatz 2.5.8 LEP 2002 auf die Region als Anknüpfungspunkt. Das genügt entgegen der Auffassung der Revisionen zur räumlichen Bestimmung des Verflechtungsbereichs. Zu dieser Feststellung ist der Senat befugt, weil der Verwaltungsgerichtshof zum Landesrecht - jedenfalls insoweit - keine Aussagen getroffen hat, an die das Revisionsgericht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO gebunden sein könnte.
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Ebenfalls bundesrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass der Verwaltungsgerichtshof die Bestimmtheit des unbestimmten Rechtsbegriffs "wesentlich" unter Rückgriff auf Schwellen- bzw. Grenzwerte, die sich als Erfahrungswerte zur Einschätzung der Zentrenverträglichkeit von großflächigen Einzelhandelsbetrieben gebildet haben, bejaht und sich dabei an dem Anhaltswert in Ziff. 3.2.1.4 der Verwaltungsvorschrift des Wirtschaftsministeriums zur Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten vom 21. Februar 2001 (- Einzelhandelserlass - GABl S. 290) orientiert hat. Sowohl der voraussichtliche Umsatz eines geplanten Vorhabens je qm Verkaufsfläche als auch die nach Sortimenten bestimmbare branchenbezogene Kaufkraft der Einwohner eines räumlich bestimmten Einzugsbereichs - hier: eines Mittelzentrums - lassen sich prognostisch berechnen. Solche Marktgutachten stellen eine zulässige Methode dar, um die ökonomischen Zusammenhänge der Kaufkraftbindung im Einzugsbereich eines Vorhabens abzubilden und damit Anhaltspunkte für die raumordnerischen Auswirkungen des Vorhabens mit Blick auf die raumordnungsrechtlich gewichtigen Belange der effektiven Nutzung und Bündelung der Infrastruktur und des Verkehrs zu bieten (Urteile vom 17. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 2.08 - BVerwGE 136, 10 Rn. 14 und vom 11. Oktober 2007 - BVerwG 4 C 7.07 - BVerwGE 129, 307 Rn. 18, 21). Ob - wie in Ziff. 3.2.1.4 des Einzelhandelserlasses vorgegeben - eine wesentliche Überschreitung in der Regel gegeben ist, wenn mehr als 30 % des Umsatzes aus Räumen außerhalb des Verflechtungsbereichs erzielt werden, bedarf keiner Entscheidung. Denn nach den vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten gutachterlichen Berechnungen würden jedenfalls hinsichtlich des Möbel-Einrichtungshauses rund 90 % und bei einer gemeinsamen Betrachtung des Gesamtvorhabens immerhin noch 82 % der zu erwartenden Umsätze durch Kunden von außerhalb des Einzugsbereichs der Klägerin erwirtschaftet.
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1.4 Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof die Vereinbarkeit des Kongruenzgebotes mit höherrangigem Recht bejaht. Ob und mit welchem Inhalt ein Kongruenzgebot normiert wird, ist zwar allein eine landesrechtliche Frage (Beschluss vom 8. Juni 2006 - BVerwG 4 BN 8.06 - BRS 70 Nr. 13 S. 93 f.). Die Zielfestlegung muss sich aber am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen. Maßstab sind Schutzzweck und Reichweite des bundesrechtlichen Zentrale-Orte-Prinzips, aus dem das Kongruenzgebot abgeleitet wird.
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1.4.1 Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass, wenn die Landesplanung - wie im vorliegenden Fall - die Planungshoheit einzelner Gemeinden durch Normierung eines "strikten" Kongruenzgebots einschränkt, überörtliche Interessen von höherem Gewicht den Eingriff rechtfertigen müssen. Der Eingriff in Art. 28 Abs. 2 GG durch Plansatz 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002 ist formal vom Landesplanungsgesetz gedeckt und auch materiell gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig (vgl. auch Beschluss vom 20. August 1992 - BVerwG 4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329 <335>).
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Die mit dem Kongruenzgebot bewirkte raumordnerische Standortplanung für raumbedeutsame Einzelhandelsgroßbetriebe stellt ein überörtliches Interesse dar, das eine Beschränkung der gemeindlichen Planungshoheit rechtfertigen kann. Das Kongruenzgebot wird aus dem Zentrale-Orte-Prinzip abgeleitet (Beschluss vom 8. Juni 2006 a.a.O. S. 93). Dieser Grundsatz findet sich in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 ROG (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 ROG a.F.), der anordnet, dass die Siedlungstätigkeit auf ein System leistungsfähiger Zentraler Orte auszurichten ist. Ziel der dieses Prinzip konkretisierenden raumordnerischen Regeln ist die raumverträgliche Entwicklung des Einzelhandels nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Gemeinden insgesamt. Aus diesem Grund ist der Einzelhandel an den Standorten zu sichern, die in das städtebauliche Ordnungssystem funktionsgerecht eingebunden sind. Das Kongruenzgebot dient - ebenso wie das Konzentrationsgebot, das Integrationsgebot und das Beeinträchtigungsverbot - der Sicherstellung einer raumstrukturell und -funktionell verträglichen Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe. Schutzzweck eines von der konkreten Beeinträchtigung der Versorgungssituation abgekoppelten Kongruenzgebots ist die raumordnerische Annahme, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe, die nach Lage, Umfang und Art nicht der jeweiligen zentralörtlichen Hierarchiestufe der Standortgemeinde entsprechen, selbst dann raumunverträglich sind, wenn sie nicht zu Beeinträchtigungen führen, weil sie wegen ihrer überörtlichen, über den Einzugsbereich der Standortgemeinde hinausgehenden Wirkung zur Zersiedelung und Erhöhung des Verkehrsaufkommens führen, mithin dem Grundsatz eines schonenden Flächen- und Ressourcenverbrauchs und dem Grundsatz der effektiven Nutzung und Bündelung der Infrastruktur und des Verkehrs widersprechen. Das ist ein raumordnungsrechtlich legitimer Zweck. Mit dieser Zielrichtung bestehen gegen die Geeignetheit eines Kongruenzgebots in der Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof keine Bedenken. Entgegen der Auffassung der Revisionen steht der Geeignetheit des raumordnerischen Ziels auch nicht die fehlende städtebauliche Umsetzbarkeit entgegen. Das Kongruenzgebot räumt den Gemeinden Spielraum ein und lässt sich mit dem verfügbaren städtebaulichen Planungsinstrumentarium, insbesondere den vielfältigen horizontalen und vertikalen Kombinations- und Gliederungsmöglichkeiten umsetzen.
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Die Einschätzung des Plangebers, dass andere, weniger tief in die gemeindliche Selbstverwaltungshoheit eingreifende Mittel diese Ziele insgesamt nicht gleich effektiv verwirklichen können, mithin das Kongruenzgebot auch erforderlich ist, ist nicht zu beanstanden. Bei der Einschätzung der Erforderlichkeit einer Regelung, die - wie hier - dem Schutz des öffentlichen Interesses dient, kommt dem Plangeber eine Einschätzungsprärogative zu. Es genügt nicht, dass Beschränkungen, die als Alternativen in Betracht kommen, die Betroffenen weniger belasten, wenn sie nicht die gleiche Wirksamkeit versprechen. Ein bloßes Beeinträchtigungsverbot wie auch ein - nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs - mit einem Beeinträchtigungsverbot verbundenes Integrationsgebot (Plansatz 3.3.7.2 Satz 1 LEP 2002) mögen im Einzelfall "milder" sein, weil sie einem Vorhaben nicht strikt entgegenstehen, sondern eine wesentliche Beeinträchtigung der Versorgungssituation in der Standortgemeinde und in betroffenen Nachbargemeinden voraussetzen. Das legitime raumordnerische Ziel einer flächensparenden Raumnutzung und Verkehrsvermeidung können sie jedoch nicht in gleicher Weise erreichen wie ein "striktes" vom Beeinträchtigungsverbot abgekoppeltes Kongruenzgebot.
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Zu Recht ist der Verwaltungsgerichtshof auch davon ausgegangen, dass das Kongruenzgebot nur dann verhältnismäßig ist, wenn es nicht für alle Fallgestaltungen unterschiedslos strikte Beachtung beansprucht. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich, dass die Möglichkeit bestehen muss, ein Vorhaben ausnahmsweise zuzulassen, das zwar formal gegen das Kongruenzgebot verstößt, aus atypischen Gründen im konkreten Einzelfall aber raumverträglich erscheint, mithin mit Blick auf das Schutzziel des Kongruenzgebots unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist. Dem hat der Plangeber im vorliegenden Fall durch Ausgestaltung des Kongruenzgebots als Soll-Vorschrift mit Abweichungsmöglichkeiten im atypischen Fall Rechnung getragen. Für Härtefälle, die keinen atypischen Fall begründen, steht zudem das förmliche Zielabweichungsverfahren gemäß § 6 Abs. 2 ROG (§ 11 ROG a.F.) zur Verfügung.
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1.4.2 Der Senat stimmt dem Verwaltungsgerichtshof auch darin zu, dass das Kongruenzgebot mittelbar die von der Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG geschützte freie Standortwahl beschränkt und daher der Rechtfertigung durch überwiegende vernünftige Gründe des Gemeinwohls bedarf. Dieser Maßstab unterscheidet sich nicht von den "überörtlichen Interessen von höherem Gewicht", die zur Rechtfertigung nach Art. 28 Abs. 2 GG heranzuziehen sind. Auf die Ausführungen unter 1.4.1 kann daher Bezug genommen werden.
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1.4.3 In Übereinstimmung mit dem revisiblen Unionsrecht und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV jeder nationalen Maßnahme entgegensteht, die zwar ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit anwendbar, aber geeignet ist, die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit durch die Unionsangehörigen zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Das Beschränkungsverbot erfasst nicht nur Maßnahmen mit unmittelbarer Wirkung gegenüber dem Betroffenen, sondern auch mittelbare Einschränkungen (EuGH, Urteile vom 25. Juli 1991 - Rs. C-76/90, Säger - Slg. 1991, I-4221 Rn. 12, vom 3. Oktober 2000 - Rs. C-58/98, Corsten - Slg. 2000, I-7919 Rn. 33 und vom 15. Juni 2006 - Rs. C-255/04, Künstleragentur - Slg. 2006, I-5251 Rn. 37). Nicht diskriminierende, d.h. unterschiedslos wirkende beeinträchtigende Maßnahmen können jedoch gerechtfertigt sein, wenn die mit der Maßnahme verfolgten Ziele zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen und der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, d.h. die Maßnahmen geeignet sind, die Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
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Die Vermeidung von Sozial- und Umweltlasten mit den Mitteln des Raumordnungsrechts stellt einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar. Entgegen der Anregung der Beigeladenen sieht der Senat keinen Anlass für eine Vorlage gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV. Die raumordnungsrechtliche Ansiedlungssteuerung für Einzelhandelsgroßbetriebe im Wege des Kongruenzgebotes dient - wie dargelegt - nicht, auch nicht mittelbar wirtschaftlichen Zwecken, sondern zielt auf effektive Nutzung und Bündelung der öffentlichen Infrastruktur sowie die Vermeidung eines unnötigen Flächen- und Ressourcenverbrauchs durch Zersiedelung und den damit einhergehenden Verkehr. Auch der Europäische Gerichtshof erkennt in Raumordnungszielen, die der Vermeidung von Sozial- und Umweltlasten dienen, zwingende Gründe des Allgemeininteresses (EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2009 - Rs. C-567/07, Woningstichting Sint Servatius - Slg. 2009, I-9021 Rn. 29 - zur Beschränkung des freien Kapitalverkehrs - unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 1. Juni 1999 - Rs. C-302/97, Konle - Slg. 1999, I-3099 Rn. 40). Unter den vom Gerichtshof bereits anerkannten Gründen finden sich auch der Umweltschutz (EuGH, Urteile vom 20. September 1988 - Rs. C-302/86, Kommission/Dänemark - Slg. 1988, I-4607 Rn. 9 und vom 14. Dezember 2004 - Rs. C-309/02, Radlberger Getränkegesellschaft - Slg. 2004, I-11763 Rn. 75) und der Verbraucherschutz (EuGH, Urteil vom 11. März 2010 - Rs. C-384/08, Attanasio Group Srl - ABl EU 2010 Nr. C 113 S. 11 Rn. 50 mit Verweis auf EuGH, Urteile vom 4. Dezember 1986 - Rs. C-220/83, Kommission/Frankreich - Slg. 1986, I-3663 Rn. 20 und vom 29. November 2007 - Rs. C-393/05, Kommission/Österreich - Slg. 2007, I-10195 Rn. 52). Wie sich aus den Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston vom 7. Oktober 2010 ergibt, sind planungsrechtlich bewirkte Beschränkungen der Standorte großer Einzelhandelseinrichtungen auf städtische Bevölkerungszentren und Beschränkungen der Größe der Einrichtungen in weniger bevölkerungsreichen Gebieten als geeignete Mittel anzusehen, weil sie dem Ziel dienen, umweltbelastende Autofahrten zu vermeiden, dem innerstädtischen Verfall entgegenzuwirken, ein umweltgerechtes Stadtmodell zu erhalten, den Bau neuer Straßen zu vermeiden und den Zugang mit öffentlichen Verkehrsmitteln sicherzustellen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 7. Oktober 2010 - Rs. C-400/08, Kommission/ Spanien - Rn. 79, 90, 91). Notwendig sind präventive Maßnahmen; gerade auch der Umweltschutz bedarf der Umsetzung durch raumordnungsrechtliche Maßnahmen. Das gilt ebenso für den Schutz der verbrauchernahen Versorgung, der angesichts der demographischen Entwicklung besonderes Gewicht hat (vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 2.08 - BVerwGE 136, 10 Rn. 8).
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Die Erforderlichkeit der Maßnahmen beurteilt sich allein danach, ob das (nationale) Raumordnungsrecht mildere Alternativen zur Verfügung stellt. Dass die mit der Standortsteuerung von Einzelhandelsgroßprojekten verbundenen Ziele des Umweltschutzes und des Verbraucherschutzes gegebenenfalls auch durch andere Maßnahmen außerhalb des Raumordnungsrechts gefördert werden könnten, führt nicht zur mangelnden Erforderlichkeit. Wie zu Art. 28 Abs. 2 GG ausgeführt, stellt das Raumordnungsrecht weniger einschneidende Alternativen zum Kongruenzgebot nicht zur Verfügung. Die Verhältnismäßigkeit der Regelung ist - wie ebenfalls bereits dargelegt - zudem dadurch gewahrt, dass die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens eröffnet ist.
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2. Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist dagegen die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, eine Zielabweichung, die zur - wenn auch einzelfallbezogenen - Abkehr von dem für Einzelhandelsgroßprojekte maßgeblichen Zentrale-Orte-Prinzip (Konzentrationsgrundsatz) und dem als Komplementärelement verstandenen Kongruenzgebot führe, berühre immer die "Grundzüge der Planung", so dass der Antrag auf Zulassung einer Zielabweichung zwingend abzulehnen gewesen sei (UA S. 48). Der Verwaltungsgerichtshof verkennt den Bedeutungsgehalt des bundesrechtlichen Begriffs "Grundzüge der Planung" i.S.d. § 6 Abs. 2 ROG (§ 11 Satz 1 ROG a.F.).
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Der landesrechtlich in § 24 LplG verwendete Begriff "Grundzüge der Planung" nimmt Bezug auf den bundesrechtlich ursprünglich als Rahmenrecht in § 11 Satz 1 ROG a.F., nun in § 6 Abs. 2 ROG vorgegebenen Begriff. Der Begriff ist gesetzlich nicht definiert (Beschluss vom 15. Juli 2005 - BVerwG 9 VR 43.04 - Buchholz 406.14 § 4 ROG 1998 Nr. 1 S. 2). § 6 ROG unterscheidet nunmehr ausdrücklich zwischen Ausnahmen, die im Raumordnungsplan festgelegt werden können, und "Abweichungen", über die in einem eigens dafür geschaffenen raumordnerischen Zielabweichungsverfahren zu entscheiden ist. Der Gesetzgeber folgt mit der Neufassung des § 6 Abs. 2 ROG dem Muster der Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB (Schmitz, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Stand 2003, Band 2, K § 11 Rn. 30); insofern kann die Rechtsprechung des Senats zu § 31 Abs. 2 BauGB Orientierung bieten. Wann eine Planänderung die Grundzüge der Planung berührt, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern hängt von der jeweiligen Planungssituation ab (Urteil vom 18. November 2010 - BVerwG 4 C 10.09 - Rn. 37). Wie auch im Fall des § 31 Abs. 2 BauGB beurteilt sich die Frage, ob eine Abweichung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, nach dem im Plan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen. Bezogen auf dieses Wollen darf der Abweichung vom Planinhalt keine derartige Bedeutung zukommen, dass die dem Plan zugrunde gelegte Planungskonzeption ("Grundgerüst") in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Die Abweichung muss - soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein - durch das planerische Wollen gedeckt sein; es muss - mit anderen Worten - angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Plangeber gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er den Grund für die Abweichung gekannt hätte (Urteile vom 4. August 2009 - BVerwG 4 CN 4.08 - BVerwGE 134, 264 Rn. 12, vom 29. Januar 2009 - BVerwG 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 23 und vom 9. März 1990 - BVerwG 8 C 76.88 - BVerwGE 85, 66 <72>).
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Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass das Zentrale-Orte-Prinzip (Konzentrationsgrundsatz) und das Kongruenzgebot zu den Zielen gehören, die "als Grundzüge der Planung" die Planungskonzeption des LEP 2002 tragen und damit den für sie wesentlichen Gehalt bestimmen (UA S. 47), ist als Ergebnis der Auslegung des LEP, der dem irrevisiblen Landesrecht angehört, zwar bindend. Die Schlussfolgerung, dass ein Abweichen von den Zielfestlegungen, mit denen das Zentrale-Orte-Prinzip konkretisiert wird, in jedem Fall die planerische Grundentscheidung berühre, verkennt aber, dass es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt, ob die Grundzüge der Planung berührt werden. Aus dem Umstand, dass im vorliegenden Fall nach der für die revisionsgerichtliche Beurteilung bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs keine atypischen Umstände vorliegen, die nach dem Willen des Plangebers dem nachgeordneten Planungsträger ausnahmsweise außerhalb des Zielabweichungsverfahrens eine Abweichung erlauben würden, darf nicht gefolgert werden, dass mit einer Abweichung im Wege des Zielabweichungsverfahrens die vom Plangeber getroffene planerische Regelung beiseite geschoben würde (vgl. dazu auch Beschluss vom 5. März 1999 - BVerwG 4 B 5.99 - Buchholz 406.11 § 31 BauGB Nr. 39 S. 2). Das Zielabweichungsverfahren ist nicht auf den atypischen Fall, sondern gerade auf den Härtefall ausgerichtet, bei dem die Planaussage in Gestalt der Regelvorgabe dem Vorhaben zunächst entgegensteht, gleichwohl eine Zulassung vertretbar erscheint. Wie bereits dargelegt ist, erweist sich das Kongruenzgebot nur dann als verhältnismäßig, wenn es nicht für alle Fallgestaltungen unterschiedslos strikte Beachtung beansprucht. Dem steht eine Gleichsetzung der Grundzüge der Planung mit dem Zentrale-Orte-Prinzip entgegen. Ob hier raumordnerische Besonderheiten bereits deswegen vorliegen, weil das Vorhaben - wie die Klägerin und die Beigeladene vortragen - zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung der verbrauchernahen Versorgung im Einzugsbereich und der Funktion anderer Zentraler Orte führt oder weil andere Besonderheiten vorliegen, die den vorliegenden Fall als Härtefall i.S.d. § 6 Abs. 2 ROG erscheinen lassen, nicht aber die Grundzüge der Planung berühren, mithin eine Abweichung im Wege des Zielabweichungsverfahrens erlauben, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht geprüft. Da er auch darauf verzichtet hat zu prüfen, ob das Ansiedlungsvorhaben der Beigeladenen nicht nur gegen das Kongruenzgebot, sondern auch gegen das Beeinträchtigungsverbot und das Integrationsgebot verstößt, lässt sich auch nicht feststellen, ob die Ablehnung der Zielabweichung aus diesem Grund rechtmäßig ist und die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs sich im Ergebnis als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tatbestand
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Die Antragstellerin wendet sich gegen einen Bebauungsplan der Antragsgegnerin. Sie ist Eigentümerin eines im überwiegend bebauten und gewerblich genutzten Plangebiet - im Gebiet GE 6 - gelegenen Grundstücks, das mit einem Bau- und Heimwerkermarkt mit Gartencenter bebaut ist.
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Zu Anlass, Erforderlichkeit und Zielsetzung der Planung führt die Planbegründung im Wesentlichen aus, dass es zur Erhaltung des städtebaulichen Gefüges und um die Veränderungen im Einzelhandel in geordnete Bahnen zu lenken, notwendig sei, die Ansiedlungen jeglicher Einzelhandelsnutzungen räumlich und inhaltlich zu steuern. Das Plangebiet solle in den überwiegenden Teilbereichen für das produzierende beziehungsweise dienstleistende Gewerbe gesichert werden. Ferner sollten Einzelhandelsbetriebe mit zentrenrelevanten Hauptsortimenten ausgeschlossen werden, um die umliegenden Stadtteil- und Nahversorgungszentren im Sinne des "Masterplans Einzelhandel" zu schützen.
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Der Bebauungsplan setzt gegliederte Gewerbe- und Industriegebiete fest. Im Baugebiet GE 6 sind Einzelhandelsbetriebe mit im Einzelnen aufgeführten zentrenrelevanten Hauptsortimenten unzulässig. Ausnahmsweise zulässig ist Einzelhandel mit zentrenrelevanten Hauptsortimenten in Verkaufsstellen von Handwerksbetrieben und anderen produzierenden Gewerbebetrieben, die sich ganz oder teilweise an den Endverbraucher richten, "wenn sie nach Art und Umfang in eindeutigem Zusammenhang mit der Produktion, der Ver- und Bearbeitung von Gütern einschließlich Reparatur und Serviceleistungen der Betriebsstätten im Plangebiet stehen" (Annex-Handel). Nach der Planbegründung tritt in den Gewerbegebieten GE 5 bis GE 8 insbesondere der Schutz der Stadtteil- und Nahversorgungszentren in den Vordergrund. Durch die Einzelhandelssteuerung sollten negative städtebauliche Auswirkungen auf das Zentrengefüge sowie auf bestehende Nahversorgungsbereiche verhindert werden.
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Auf den Normenkontrollantrag der Antragstellerin hat das Oberverwaltungsgericht den Bebauungsplan für unwirksam erklärt, weil zumindest zwei zentrale Festsetzungen - der Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben mit zentrenrelevanten Hauptsortimenten in den Baugebieten GE 5 bis GE 8 und die Ausnahmeregelungen zur Zulässigkeit von Verkaufsstellen von Handwerksbetrieben und anderen produzierenden Gewerbebetrieben - unzulässig seien. Der vorgesehene Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben mit zentrenrelevanten Hauptsortimenten sei schon nicht im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB städtebaulich gerechtfertigt. Ein schlüssiges Planungskonzept sei nicht erkennbar, weil die getroffenen Festsetzungen die ihnen zugedachte Funktion, den Einzelhandel im Plangebiet zum Zwecke der Zentrenstärkung weitgehend auszuschließen, nicht erfüllten. Aus ihnen lasse sich keine hinreichend bestimmte umfängliche Beschränkung zentrenrelevanter Randsortimente herleiten. Der Ausschluss von nur zentrenrelevanten Hauptsortimenten widerspreche zudem den Erkenntnissen des "Masterplans Einzelhandel", nach dessen Grundsatz 4 auch nicht zentrenrelevanter Einzelhandel räumlich zu lenken und auf eine begrenzte Zahl von Sonderstandorten zu konzentrieren sei und ferner Angebote zentrenrelevanter Sortimente generell nicht in Gewerbegebieten verortet werden sollten, wobei der Problematik von Randsortimenten eine besondere Bedeutung zukomme. Der Rat der Antragsgegnerin sei aber zur Umsetzung sämtlicher Grundsätze des Masterplans verpflichtet gewesen. Wenn nämlich - wie hier - im Bebauungsplan Festsetzungen zur Steuerung des Einzelhandels getroffen würden, deren städtebauliche Erforderlichkeit losgelöst von konkreten Untersuchungen allein damit begründet werde, dass das beschlossene Einzelhandelskonzept umgesetzt werden solle, müsse sich der Rat grundsätzlich an dieses Konzept halten oder aber nachvollziehbar städtebaulich begründen, weshalb etwaige Abweichungen von diesem Konzept im Einzelfall den Zielen der gewollten Einzelhandelssteuerung insgesamt nicht schadeten oder jedenfalls hinzunehmen seien. Der Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben mit zentrenrelevanten Hauptsortimenten in den Baugebieten GE 5 bis GE 8 könne auch nicht durch den Schutz der umliegenden Versorgungsbereiche städtebaulich gerechtfertigt werden. Der Plangeber habe keine konkreten Angaben dazu gemacht, weshalb jegliche Form von Einzelhandel der besagten Art, würde er im Plangebiet angesiedelt, die gewachsenen Einzelhandelsstrukturen in den zu schützenden Zentren unabhängig von der Art und dem Umfang des jeweiligen Warenangebotes schädigen würde. Dies sei auch sonst nicht ersichtlich. Den - ebenfalls unwirksamen - Ausnahmeregelungen zur Zulässigkeit des Annex-Handels fehle die gemäß § 1 Abs. 9 BauNVO erforderliche städtebauliche Rechtfertigung, weil sie keine relative oder absolute flächenmäßige Begrenzung der Einzelhandelsaktivitäten enthielten. Sowohl die Unwirksamkeit der Festsetzung zum Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben mit zentrenrelevanten Hauptsortimenten als auch der Festsetzung zum "Annexhandel" führten jeweils zur Unwirksamkeit des gesamten Bebauungsplans. Ob der Bebauungsplan noch an weiteren Mängeln leide, könne offen bleiben.
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Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht die Antragsgegnerin einen Verstoß gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB geltend, dessen Anforderungen die Vorinstanz überspanne.
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Die Antragstellerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Antragsgegnerin ist begründet. Das Normenkontrollurteil verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
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1. Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht die Rechtsgrundlage für den im Bebauungsplan enthaltenen und dem Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung eines Bauvorbescheides entgegenstehenden Einzelhandelsausschluss in § 1 Abs. 9 BauNVO gesehen und nicht nur für die Planung insgesamt, sondern auch für diese Einzelfestsetzung eine städtebauliche Rechtfertigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB verlangt (vgl. für eine Festsetzung nach § 1 Abs. 5 BauNVO Urteil vom 26. März 2009 - BVerwG 4 C 21.07 - BVerwGE 133, 310 = Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 34 Rn. 11). Die Anforderungen, die die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB an die städtebauliche Rechtfertigung stellt, hat das Oberverwaltungsgericht aber in bundesrechtswidriger Weise überspannt und deswegen die Wirksamkeit des Einzelhandelsausschlusses in nicht tragfähiger Weise verneint.
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a) Dem Kriterium der städtebaulichen Rechtfertigung kommt nach der Rechtsprechung des Senats dieselbe Funktion zu wie demjenigen der Planrechtfertigung im Planfeststellungsrecht, nämlich die Planung, die ihre Rechtfertigung nicht in sich selbst trägt, im Hinblick auf die damit verbundenen Rechtseinwirkungen in Einklang mit den gesetzlich zulässigen Planungszielen zu bringen und auf diese Weise grundsätzlich zu rechtfertigen (vgl. hierzu Urteil vom 14. Februar 1975 - BVerwG 4 C 21.74 - BVerwGE 48, 56 <60> m.w.N.). Nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB sind danach Pläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht bestimmt sind; § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist ferner verletzt, wenn ein Bebauungsplan, der aus tatsächlichen oder Rechtsgründen auf Dauer oder auf unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt, die Aufgabe der verbindlichen Bauleitplanung nicht zu erfüllen vermag (Urteil vom 21. März 2002 - BVerwG 4 CN 14.00 - BVerwGE 116, 144 <146 f.> m.w.N.). In dieser Auslegung setzt § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB der Bauleitplanung eine erste, wenn auch strikt bindende Schranke, die lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt (vgl. bereits Urteil vom 3. Juni 1971 - BVerwG 4 C 64.70 - BVerwGE 38, 152 <157>; ebenso OVG Münster, Urteil vom 3. Juni 2002 - 7a D 92.99.NE - BRS 65 Nr. 38 S. 184). Sie betrifft die generelle Erforderlichkeit der Planung, nicht hingegen die Einzelheiten einer konkreten planerischen Lösung. Dafür ist das Abwägungsgebot maßgeblich (Urteil vom 21. März 2002 a.a.O. S. 147), das im Hinblick auf gerichtliche Kontrolldichte, Fehlerunbeachtlichkeit und heranzuziehende Erkenntnisquellen abweichenden Maßstäben unterliegt. Deswegen kann die Abgewogenheit einer Bauleitplanung und ihrer Festsetzungen nicht bereits zum Maßstab für deren städtebauliche Erforderlichkeit gemacht werden.
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Für die hier in Rede stehenden Festsetzungen nach § 1 Abs. 9 BauNVO gilt nichts Abweichendes. Soweit hierfür "besondere städtebauliche Gründe" gegeben sein müssen, bleibt dies ohne Einfluss auf den Maßstab des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Vielmehr werden zusätzliche Anforderungen des Festsetzungsinstrumentariums formuliert, die nach der Rechtsprechung des Senats nicht besonders gewichtige, sondern die auf § 1 Abs. 9 BauNVO gestützte Feindifferenzierung rechtfertigende Gründe verlangen (vgl. etwa Urteil vom 29. Januar 2009 - BVerwG 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 13 m.w.N.). Abwägungsfragen sind insoweit nicht aufgerufen.
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Die dem Abwägungsgebot unterfallenden Einzelheiten der Planung werden auch dann nicht Teil der städtebaulichen Rechtfertigung im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB, wenn der Träger der Bauleitplanung - wie hier - die Erforderlichkeit seiner Planung durch eine Bezugnahme auf ein gemeindliches Planungskonzept begründet, dessen Vorgaben aber nur teilweise umsetzt. Wie sich aus § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB ergibt, sind derartige Planungskonzepte als Belang im Rahmen der planerischen Abwägung - nur - zu berücksichtigen (Urteil vom 29. Januar 2009 a.a.O. Rn. 25 f.). Eine Bindung der Gemeinde, auch im Sinne eines Alles-oder-nichts-Prinzips, kann deswegen nicht bestehen. Vielmehr kann es aufgrund einer ordnungsgemäßen Abwägung sogar geboten sein, das Planungskonzept im Rahmen einer konkreten Bauleitplanung nicht oder nur mit Abstrichen zu verfolgen. Aufgrund solcher Durchbrechungen mag das Planungskonzept zukünftig zwar seine steuernde Kraft nur noch in abgeschwächter Weise erfüllen oder sogar ganz einbüßen (Urteil vom 29. Januar 2009 a.a.O. Rn. 28). Daraus lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, dass Bauleitplanungen, die ein gemeindliches Konzept - sei es im Hinblick auf die Zahl der darin vorgegebenen Ziele, sei es in Bezug auf die Intensität der jeweiligen Zielverfolgung - nur unvollständig umsetzen, von vornherein die städtebauliche Erforderlichkeit abzusprechen wäre. Ebensowenig hängt die städtebauliche Rechtfertigung davon ab, dass jede Abweichung oder unvollständige Umsetzung des Planungskonzepts den Anforderungen des Abwägungsgebots entspricht. Auch insoweit bleibt es bei dem dargelegten Maßstab des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB.
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Aus der Entscheidung des Senats vom 26. März 2009 (a.a.O. Rn. 20) ist nichts Gegenteiliges herzuleiten. Soweit der Senat darin auf die sachlichen Rechtfertigungsgrenzen eines planerischen Konzepts im Sinne des § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB hinweist und ausführt, dass Festsetzungen, die nicht oder nicht vollständig der Realisierung der mit der Planung verfolgten städtebaulichen Zielsetzung dienen, deshalb auch nicht erforderlich sind, wollte er, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der für sich genommen möglicherweise missverständlichen Formulierung deutlich ergibt, nur die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck bringen, dass ein Planungskonzept nicht solche planerischen Festsetzungen in einem Bebauungsplan rechtfertigen kann, die von vornherein nicht geeignet sind, dieses Ziel zu fördern. Deswegen hat er den Ausschluss bestimmter Einzelhandelsbetriebe zum Zwecke des mit dem Planungskonzept verfolgten Ziels der Zentrenstärkung beanstandet, soweit die ausgeschlossenen Betriebe aus tatsächlichen Gründen nicht im Zentrum angesiedelt werden konnten. Das hindert einen Planungsträger nicht, sich die rechtfertigende Wirkung eines Planungskonzeptes auch im Falle seiner nicht vollständigen Umsetzung zunutze zu machen, sofern die Festsetzungen des Bebauungsplans jedenfalls geeignet sind, einen Beitrag zur Förderung des Planungskonzepts zu leisten. Davon kann allerdings nicht mehr ausgegangen werden, wenn die realistische Gefahr besteht, dass eine nur teilweise Umsetzung das Planungskonzept konterkariert. In diesem Fall muss sich die Gemeinde auf andere städtebauliche Ziele stützen, um die Anforderungen des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB zu erfüllen.
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b) Hieran gemessen hat das Oberverwaltungsgericht bei der Prüfung der Wirksamkeit der Festsetzungen zum Ausschluss von Einzelhandel mit zentrenrelevanten Hauptsortimenten einen zu strengen und mithin bundesrechtswidrigen Maßstab angelegt.
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aa) Das gilt zunächst, soweit die Vorinstanz den Einzelhandelsausschluss mit dem Ziel der Zentrenstärkung als städtebaulich nicht gerechtfertigt ansieht.
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In Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26. März 2009 - BVerwG 4 C 21.07 - BVerwGE 133, 310 Rn. 19 m.w.N.) hat das Oberverwaltungsgericht die Stärkung der gemeindlichen Versorgungszentren als grundsätzlich tragfähiges städtebauliches Ziel angesehen, das den Ausschluss von zentrenrelevantem Einzelhandel rechtfertigen kann. Es hat jedoch die Bezugnahme auf den dieses Ziel verfolgenden Masterplan der Antragsgegnerin nicht als hinreichende städtebauliche Rechtfertigung der Planung ausreichen lassen, weil die darin aufgestellten Grundsätze nicht vollständig umgesetzt würden. Das ist indes nicht erforderlich. Denn der Gemeinde ist es nicht verwehrt, die Vorgaben ihrer Planungskonzepte zwar als Argumentationshilfe zu nutzen, sie jedoch im Rahmen der konkreten Planung nicht in derselben Intensität zu realisieren. Dass die Gemeinde bei der Umsetzung ihrer Planungskonzepte keinem Alles-oder-nichts-Prinzip unterliegt, hat das Oberverwaltungsgericht zwar erkannt. Es hat aber den dargelegten bundesrechtlichen Maßstab verfehlt, wenn es für die Abweichungen nachvollziehbare Begründungen fordert, die auf der Ebene der Bauleitplanung ein schlüssiges Planungskonzept erkennen lassen, und wenn es die getroffenen Festsetzungen daran misst, ob sie den Einzelhandel "weitgehend" ausschließen. Auf der Grundlage dieses Maßstabs ist die im Bebauungsplan enthaltene allgemeine Zulassung von Einzelhandel mit nicht zentrenrelevanten Hauptsortimenten unter dem Gesichtspunkt der Zentrenstärkung nicht deswegen unwirksam, weil der Bebauungsplan nicht zentrenrelevanten Einzelhandel im Gewerbegebiet, dessen Zulassung nach den Feststellungen der Vorinstanz eigenständige Zielsetzungen verfolgt und für den wohl auch der Masterplan in Grundsatz 4 ein eigenständiges, von den Zielen des Schutzes und der Stärkung der Zentren, grundsätzlich unabhängiges Ziel formuliert, überhaupt ermöglicht oder weil er die zulässigen Neben- oder Randsortimente künftiger Einzelhandelsbetriebe nach Art oder Umfang nicht weiter einschränkt und somit das Ziel der Zentrenstärkung möglicherweise nicht mit der gleichen Intensität verfolgt, wie sie der Masterplan für erwägenswert erachtet. Eine solche Regelung ist vielmehr erst dann zu beanstanden, wenn sie nicht geeignet ist, das Ziel der Zentrenstärkung zu fördern oder dieses Ziel gar konterkariert. Diese Prüfung hat das Oberverwaltungsgericht nicht vorgenommen.
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bb) Auch soweit das Oberverwaltungsgericht den Einzelhandelsausschluss unter der Zielsetzung des Zentrenschutzes als städtebaulich nicht gerechtfertigt ansieht, überspannt es den dargelegten bundesrechtlichen Maßstab.
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Entsprechend ihrer ständigen Rechtsprechung hält die Vorinstanz in einem solchen Fall Angaben des Plangebers für erforderlich, weshalb jegliche Form von Einzelhandel der besagten Art, würde er im Plangebiet angesiedelt, die gewachsenen Einzelhandelsstrukturen in den geschützten Zentren unabhängig von der Art und dem Umfang des jeweiligen Warenangebotes schädigen würde. Dem ist nicht zu folgen.
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Der Rechtsprechung des Senats ist ein solches Erfordernis nicht zu entnehmen. Danach bedarf es bei einem nur zum Schutz eines Zentrums erfolgten Einzelhandelsausschlusses der Ermittlung der konkret zentrenschädlichen Sortimente (Urteil vom 26. März 2009 a.a.O. Rn. 19). Weitergehende Anforderungen hat der Senat nicht gestellt. Sie sind auch nicht gerechtfertigt. Denn auch insoweit gilt der dargelegte Maßstab, nach dem es darauf ankommt, ob der festgesetzte Einzelhandelsausschluss geeignet ist, das vom Plangeber ins Auge gefasste städtebauliche Ziel zu fördern. Davon ist grundsätzlich auszugehen, wenn in einem Zentrenkonzept die für die Funktionsfähigkeit der jeweiligen Zentren entscheidenden und mithin zentrenbildenden Sortimente festgelegt werden und diese Sortimente in einem Bebauungsplan für ein Gebiet außerhalb der Zentren ausgeschlossen werden. Die weitergehende Anforderung des Oberverwaltungsgerichts ist systemfremd. Denn auch bei der Verfolgung des Ziels der Stärkung von Versorgungszentren geht es nicht um punktuelle Abwehr konkreter Gefahren, sondern um planerische Lenkung und mithin eine längerfristige Beeinflussung der Entwicklung, die bereits durch den Ausschluss der für die Zentren konstitutiven Sortimente an anderer Stelle bewirkt wird (vgl. zur Unterscheidung von Gefahren- und Planungsschwelle auch Urteil vom 30. August 2012 - BVerwG 4 C 1.11 - BauR 2013, 191 Rn. 16 ff.). Etwas anderes kann nur in offensichtlichen Ausnahmefällen gelten, in denen der Ausschluss zentrenbildender Sortimente keinerlei Beitrag zum Zentrenschutz leisten kann.
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c) Den dargelegten bundesrechtlichen Maßstab verfehlt das Oberverwaltungsgericht auch, soweit es die den Annex-Handel regelnden Festsetzungen mangels städtebaulicher Rechtfertigung für unwirksam hält, weil sie keine relative oder absolute flächenmäßige Begrenzung der Einzelhandelsaktivitäten enthalten. Auf das für diese Regelung erkennbar einschlägige, nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts in der Planbegründung enthaltene Ziel, das Plangebiet für das produzierende bzw. dienstleistende Gewerbe zu sichern, geht die Vorinstanz in diesem Zusammenhang nicht ein. Dass aufgrund der Zulassung des Annex-Handels die Grundsätze des Masterplans nur in eingeschränktem Umfang umgesetzt werden mögen, steht der städtebaulichen Rechtfertigung dieser Regelung nach dem oben Gesagten nicht entgegen. Dass die Regelung das mit der Bauleitplanung ebenfalls verfolgte Ziel der Zentrenstärkung konterkariert oder der im Bebauungsplan geregelte Einzelhandelsausschluss wegen der Einbeziehung der Zulassung des Annex-Handels keinerlei Beitrag zur Förderung des Ziels der Zentrenstärkung leisten könnte, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt und liegt auch nicht auf der Hand.
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2. Da sich das Urteil der Vorinstanz auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist und der Senat mangels hinreichender Feststellungen - auch im Hinblick auf den von der Antragstellerin geltend gemachten Abwägungsfehler wegen fehlender bestandserhaltender Festsetzungen nach § 1 Abs. 10 BauNVO - nicht in der Lage ist, in der Sache selbst zu entscheiden, ist sie an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
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Bei der vom Oberverwaltungsgericht vorzunehmenden Beurteilung, ob der im Bebauungsplan enthaltene Einzelhandelsausschluss geeignet ist, das Ziel der Stärkung oder des Schutzes der Versorgungszentren zu fördern, wird es von einem realitätsnahen Maßstab auszugehen haben, der nicht nach theoretischen Möglichkeiten fragt, sondern die konkreten Gegebenheiten im Plangebiet zugrunde legt und auf dieser Grundlage die realistischerweise zu erwartenden Entwicklungen in den Blick nimmt. Für die Beantwortung der Frage, ob die fehlende Begrenzung zentrenrelevanter Randsortimente die Verfolgung der genannten Ziele konterkariert, wird deswegen zu bedenken sein, mit welcher Wahrscheinlichkeit und in welchem Umfang sich entsprechende Betriebe im Plangebiet ansiedeln werden. Dabei ist in rechtlicher Hinsicht einzubeziehen, dass auf der Grundlage der Senatsrechtsprechung (Urteil vom 24. November 2005 - BVerwG 4 C 10.04 - BVerwGE 124, 364 <365 f.>) Einzelhandelsbetriebe mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 qm grundsätzlich nur in dafür ausgewiesenen Sondergebieten zulässig sind, so dass Rand- und Nebensortimenten auch insoweit deutliche Grenzen gesetzt sind. Schließlich ist nicht erkennbar, dass das Oberverwaltungsgericht gehindert wäre, dem Begriff des Rand- und Nebensortiments als korrespondierendem Begriff zu dem des Hauptsortiments im Wege einer bundesrechtsfreundlichen Auslegung einen hinreichend begrenzten Inhalt zu geben, der - auch unter Einbeziehung der Berechtigung der Baugenehmigungsbehörde, weitere Konkretisierungen im Einklang mit diesen Vorgaben vorzunehmen - geeignet ist, negativen Auswirkungen zentrenschädlicher Sortimente auf die Zentren effektiv vorzubeugen. Sinngemäß gilt dies auch für die Regelung des Annex-Handels, für die mit Blick darauf, dass es sich um ein bloßes Anhängsel der Hauptnutzung handelt, die hierdurch ihre prägende Wirkung nicht verlieren darf, ein das mögliche Warenangebot begrenzender und mithin die zu seiner Zulassung erforderliche Ausnahmeentscheidung nach § 31 Abs. 1 BauGB hinreichend steuernder Regelungsgehalt durch Auslegung gefunden und festgeschrieben werden könnte.
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Für den Fall, dass es im Rahmen der erneuten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auf die Frage ankommen sollte, ob der Masterplan oder die weiteren Planungskonzepte der Antragsgegnerin selbst den Anforderungen des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB entsprechen, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass auch insoweit der unter 1. dargelegte Maßstab anzuwenden ist.
Tenor
Die Berufungen der Klägerin und der Beigeladenen gegen das Urteil des Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 26. Juni 2008 - 6 K 2099/07 - werden zurückgewiesen.
Die Klägerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte. Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen, soweit das Bundesverwaltungsgericht über diese noch nicht entschieden hat, die Klägerin und die Beigeladene ebenfalls je zur Hälfte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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(1) Als sonstige Sondergebiete sind solche Gebiete darzustellen und festzusetzen, die sich von den Baugebieten nach den §§ 2 bis 10 wesentlich unterscheiden.
(2) Für sonstige Sondergebiete sind die Zweckbestimmung und die Art der Nutzung darzustellen und festzusetzen. Als sonstige Sondergebiete kommen insbesondere in Betracht
Gebiete für den Fremdenverkehr, wie Kurgebiete und Gebiete für die Fremdenbeherbergung, auch mit einer Mischung von Fremdenbeherbergung oder Ferienwohnen einerseits sowie Dauerwohnen andererseits,
Ladengebiete,
Gebiete für Einkaufszentren und großflächige Handelsbetriebe,
Gebiete für Messen, Ausstellungen und Kongresse,
Hochschulgebiete,
Klinikgebiete,
Hafengebiete,
Gebiete für Anlagen, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung erneuerbarer Energien, wie Windenergie und solare Strahlungsenergie, dienen.
(3)
- 1.
Einkaufszentren, - 2.
großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können, - 3.
sonstige großflächige Handelsbetriebe, die im Hinblick auf den Verkauf an letzte Verbraucher und auf die Auswirkungen den in Nummer 2 bezeichneten Einzelhandelsbetrieben vergleichbar sind,
(1) Aufgabe der Bauleitplanung ist es, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde nach Maßgabe dieses Gesetzbuchs vorzubereiten und zu leiten.
(2) Bauleitpläne sind der Flächennutzungsplan (vorbereitender Bauleitplan) und der Bebauungsplan (verbindlicher Bauleitplan).
(3) Die Gemeinden haben die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist; die Aufstellung kann insbesondere bei der Ausweisung von Flächen für den Wohnungsbau in Betracht kommen. Auf die Aufstellung von Bauleitplänen und städtebaulichen Satzungen besteht kein Anspruch; ein Anspruch kann auch nicht durch Vertrag begründet werden.
(4) Die Bauleitpläne sind den Zielen der Raumordnung anzupassen.
(5) Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung gewährleisten. Sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern, sowie die städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und zu entwickeln. Hierzu soll die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen.
(6) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind insbesondere zu berücksichtigen:
- 1.
die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung, - 2.
die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere auch von Familien mit mehreren Kindern, die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen, die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung und die Anforderungen kostensparenden Bauens sowie die Bevölkerungsentwicklung, - 3.
die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere die Bedürfnisse der Familien, der jungen, alten und behinderten Menschen, unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen und Männer sowie die Belange des Bildungswesens und von Sport, Freizeit und Erholung, - 4.
die Erhaltung, Erneuerung, Fortentwicklung, Anpassung und der Umbau vorhandener Ortsteile sowie die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche, - 5.
die Belange der Baukultur, des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege, die erhaltenswerten Ortsteile, Straßen und Plätze von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung und die Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes, - 6.
die von den Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts festgestellten Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge, - 7.
die Belange des Umweltschutzes, einschließlich des Naturschutzes und der Landschaftspflege, insbesondere - a)
die Auswirkungen auf Tiere, Pflanzen, Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima und das Wirkungsgefüge zwischen ihnen sowie die Landschaft und die biologische Vielfalt, - b)
die Erhaltungsziele und der Schutzzweck der Natura 2000-Gebiete im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes, - c)
umweltbezogene Auswirkungen auf den Menschen und seine Gesundheit sowie die Bevölkerung insgesamt, - d)
umweltbezogene Auswirkungen auf Kulturgüter und sonstige Sachgüter, - e)
die Vermeidung von Emissionen sowie der sachgerechte Umgang mit Abfällen und Abwässern, - f)
die Nutzung erneuerbarer Energien sowie die sparsame und effiziente Nutzung von Energie, - g)
die Darstellungen von Landschaftsplänen sowie von sonstigen Plänen, insbesondere des Wasser-, Abfall- und Immissionsschutzrechts, - h)
die Erhaltung der bestmöglichen Luftqualität in Gebieten, in denen die durch Rechtsverordnung zur Erfüllung von Rechtsakten der Europäischen Union festgelegten Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden, - i)
die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Belangen des Umweltschutzes nach den Buchstaben a bis d, - j)
unbeschadet des § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, die Auswirkungen, die aufgrund der Anfälligkeit der nach dem Bebauungsplan zulässigen Vorhaben für schwere Unfälle oder Katastrophen zu erwarten sind, auf die Belange nach den Buchstaben a bis d und i,
- 8.
die Belange - a)
der Wirtschaft, auch ihrer mittelständischen Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung, - b)
der Land- und Forstwirtschaft, - c)
der Erhaltung, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen, - d)
des Post- und Telekommunikationswesens, insbesondere des Mobilfunkausbaus, - e)
der Versorgung, insbesondere mit Energie und Wasser, einschließlich der Versorgungssicherheit, - f)
der Sicherung von Rohstoffvorkommen,
- 9.
die Belange des Personen- und Güterverkehrs und der Mobilität der Bevölkerung, auch im Hinblick auf die Entwicklungen beim Betrieb von Kraftfahrzeugen, etwa der Elektromobilität, einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs und des nicht motorisierten Verkehrs, unter besonderer Berücksichtigung einer auf Vermeidung und Verringerung von Verkehr ausgerichteten städtebaulichen Entwicklung, - 10.
die Belange der Verteidigung und des Zivilschutzes sowie der zivilen Anschlussnutzung von Militärliegenschaften, - 11.
die Ergebnisse eines von der Gemeinde beschlossenen städtebaulichen Entwicklungskonzeptes oder einer von ihr beschlossenen sonstigen städtebaulichen Planung, - 12.
die Belange des Küsten- oder Hochwasserschutzes und der Hochwasservorsorge, insbesondere die Vermeidung und Verringerung von Hochwasserschäden, - 13.
die Belange von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden und ihrer Unterbringung, - 14.
die ausreichende Versorgung mit Grün- und Freiflächen.
(7) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen.
(8) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs über die Aufstellung von Bauleitplänen gelten auch für ihre Änderung, Ergänzung und Aufhebung.
(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
- 1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder - 2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder - 3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.
Tatbestand
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Die Beigeladene beabsichtigt, im Gemeindegebiet der Klägerin, der Stadt R., ein Möbel-Einrichtungshaus mit ergänzenden Fachmärkten mit einer Gesamtverkaufsfläche von ca. 40 000 qm zu errichten. Die Klägerin ist nach dem Landesentwicklungsplan Baden-Württemberg 2002 (im Folgenden: LEP 2002) als Mittelzentrum eingestuft.
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Den Antrag der Klägerin auf Zielabweichung für das Ansiedlungsvorhaben der Beigeladenen lehnte der Beklagte ab. Das geplante Vorhaben verletze als typisch oberzentrale Einrichtung das raumordnungsrechtliche Kongruenzgebot. Die beantragte Zielabweichung sei unzulässig, da das Vorhaben raumordnerisch nicht vertretbar sei und Grundzüge der Planung in gravierender Weise verletzt würden. Die von der Klägerin erhobene Klage auf Feststellung, dass dem Vorhaben der Beigeladenen keine verbindlichen Ziele der Raumordnung entgegenstehen, hilfsweise auf Verpflichtung des Beklagten, die vorsorglich beantragte Zielabweichung zuzulassen, wies das Verwaltungsgericht ab.
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Die Berufungen der Klägerin und der Beigeladenen hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Das Ansiedlungsvorhaben widerspreche den in den Plansätzen 3.3.7 Satz 1, Halbs. 1 und 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002 festgelegten Zielen. Es füge sich nicht in das zentralörtliche Versorgungssystem ein; der Einzugsbereich des Vorhabens überschreite den zentralörtlichen Verflechtungsbereich wesentlich. Den Festlegungen komme Zielqualität zu. Dem stehe nicht entgegen, dass die Planaussagen als Soll-Vorschrift ausgestaltet seien. Lägen keine Umstände vor, die den Fall als atypisch erscheinen ließen, bedeute das "Soll" ein "Muss". Eine Soll-Vorschrift im hier maßgeblichen raumordnerischen Regelungszusammenhang führe zu einer strikten Zielfestlegung, die eine Abweichung ausschließlich in atypischen, vom Normgeber nicht vorhersehbaren Einzelfällen zulasse. Die Festlegung im Plansatz 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002 enthalte die Aussage, dass typischerweise der zentralörtliche Verflechtungsbereich nicht überschritten werden dürfe. Mit diesem Inhalt sei die Planaussage zwingend. Die atypischen Umstände würden vom Plangeber insoweit negativ selbst eingegrenzt, als das im Plansatz 3.3.7.1 Satz 2 LEP 2002 strikt festgelegte Kernziel, dass die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich und die Funktionsfähigkeit anderer Zentraler Orte nicht wesentlich beeinträchtigt werden dürfen, jedenfalls nicht angetastet werden dürfe. Die zwischen den Beteiligten unstreitigen Rechengrößen belegten einen erheblichen Verstoß gegen das Kongruenzgebot. Das in den Plansätzen 3.3.7 Satz 1 und 3.3.7.1 Satz 1 (in seiner Ergänzung durch Satz 2) LEP 2002 enthaltene Konzentrationsgebot (bzw. Zentrale-Orte-Prinzip) und Kongruenzgebot verstießen nicht gegen die kommunale Planungshoheit und seien auch vereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG und Unionsrecht. Ob das Ansiedlungsvorhaben der Beigeladenen darüber hinaus gegen weitere verbindliche Ziele des LEP 2002 (Beeinträchtigungsverbot, Integrationsgebot) oder gegen verbindliche Ziele des Regionalplans Mittlerer Oberrhein verstoße, könne offenbleiben. Die Verpflichtungsklage sei ebenfalls unbegründet. Die Klägerin und die Beigeladene hätten keinen Anspruch auf Zulassung der beantragten Zielabweichung, weil das Vorhaben Grundzüge der Planung i.S.d. § 24 LplG berühre. Eine Zielabweichung, die zur - wenn auch einzelfallbezogenen - Abkehr von dem für Einzelhandelsgroßprojekte maßgeblichen Zentrale-Orte-Prinzip (Konzentrationsgrundsatz) und dem als Komplementärelement verstandenen Kongruenzgebot führe, berühre immer die "Grundzüge der Planung". Der höheren Raumordnungsbehörde sei daher bereits kein Ermessen eröffnet gewesen; der Antrag der Klägerin auf Zulassung einer Zielabweichung sei zwingend abzulehnen gewesen.
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Gegen dieses Urteil haben die Klägerin und die Beigeladene die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Soll-Vorschriften seien keine Ziele der Raumordnung. Es stehe im Widerspruch zum Verbindlichkeitsanspruch von Zielfestlegungen, das Vorliegen atypischer Fälle der Einschätzung nachgeordneter Planungsträger zu überlassen. Bei Verstößen gegen das Kongruenzgebot komme eine Zielabweichung grundsätzlich in Betracht. Nicht jede landesplanerische Aussage, die auf das Zentrale-Orte-Prinzip zurückgehe, zähle zu den Grundzügen der Planung.
Entscheidungsgründe
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Die Revisionen der Klägerin und der Beigeladenen sind unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung der Klage auf Feststellung, dass dem Vorhaben der Beigeladenen keine Zielfestlegung des LEP 2002 entgegensteht, wenden. Dagegen sind die Revisionen hinsichtlich der hilfsweise erhobenen Verpflichtungsklage begründet. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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1. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass das in Plansatz 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002 enthaltene Kongruenzgebot, wonach die Verkaufsfläche von Einzelhandelsgroßprojekten so bemessen sein soll, dass deren Einzugsbereich den zentralörtlichen Verflechtungsbereich nicht wesentlich überschreitet, ein Ziel der Raumordnung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG (§ 3 Nr. 2 ROG a.F.) und damit eine verbindliche Vorgabe für raumbedeutsame Planungen darstellt, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Auch als Soll-Vorschrift gefasste landesplanerische Aussagen können ein verbindliches Ziel der Raumordnung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG sein.
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1.1 Nach der Begriffsbestimmung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG sind Ziele der Raumordnung verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. Sie sind anders als Grundsätze der Raumordnung nicht bloß Maßstab, sondern als räumliche und sachliche Konkretisierung der Entwicklung des Planungsraumes das Ergebnis landesplanerischer Abwägung (Beschluss vom 20. August 1992 - BVerwG 4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329 <333>). Einer weiteren Abwägung auf einer nachgeordneten Planungsstufe sind sie nicht zugänglich.
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Ziele i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG sind nicht nur nach dem Wortlaut strikt formulierte landesplanerische Vorgaben, die durch zwingende Formulierungen als Mussvorschriften ausgestaltet sind. Auch Plansätze, die eine Regel-Ausnahme-Struktur aufweisen, können die Merkmale einer "verbindlichen Vorgabe" oder einer "landesplanerischen Letztentscheidung" bzw. einer "abschließenden landesplanerischen Abwägung" erfüllen, wenn der Plangeber neben der Regel auch die Voraussetzungen der Ausnahme mit hinreichender tatbestandlicher Bestimmtheit oder doch wenigstens Bestimmbarkeit selbst festlegt (Urteile vom 18. September 2003 - BVerwG 4 CN 20.02 - BVerwGE 119, 54 <58> und vom 20. November 2003 - BVerwG 4 CN 6.03 - BVerwGE 119, 217 <222 f.>).
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Landesplanerische Aussagen in Gestalt einer Soll-Vorschrift können ebenfalls die Merkmale eines Ziels der Raumordnung erfüllen. In ihrer Grundstruktur unterscheiden sich Soll-Vorschriften mit der in der Normstruktur angelegten Abweichungsmöglichkeit in atypischen Fällen nicht von landesplanerischen Aussagen, die dem Regel-Ausnahme-Muster folgen; sie stellen keine eigenständige Zielkategorie des Raumordnungsrechts dar (vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 6. Juni 2005 - 10 D 145/04.NE - BauR 2005, 1577). Insoweit erscheint die Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs, eine - auch raumordnerische - Norm, die eine Soll-Struktur aufweise, sei nicht mit einem Normgefüge in einer Regel-Ausnahme-Struktur vergleichbar (UA S. 23), verfehlt, zumindest aber missverständlich. Nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs führt das als Soll-Vorschrift gefasste Kongruenzgebot zu einer strikten Zielfestlegung, das eine Abweichung ausschließlich in atypischen, vom Normgeber nicht vorhersehbaren Einzelfällen zulässt. Wenn eine Rechtsnorm - wie im vorliegenden Fall - als Soll-Vorschrift erlassen werde, sei der Normadressat - im Sinne von rechtlich zwingend - verpflichtet, grundsätzlich so zu verfahren, wie es in der Norm bestimmt sei. Lägen keine Umstände vor, die den Fall als atypisch erscheinen ließen, so bedeute das "Soll" ein "Muss". Insofern folgen auch die hier einschlägigen Soll-Vorschriften des LEP 2002 dem Regel-Ausnahme-Muster; sie zeichnen sich nur dadurch aus, dass der Plangeber die Voraussetzungen der Ausnahme von der grundsätzlich geltenden Regel nicht ausdrücklich in Form einer textlichen Festlegung benennt.
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Dass ein Plansatz keine normative Aufführung der atypischen Umstände enthält, die eine Ausnahme von der Regel zu rechtfertigen vermag, steht seiner Qualifizierung als verbindliches Ziel i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG nicht entgegen. Landesplanerische Aussagen in Gestalt einer Soll-Vorschrift erfüllen dann die Merkmale eines Ziels der Raumordnung, wenn die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Vorschrift auch ohne förmliches Zielabweichungsverfahren eine Ausnahme von der Zielbindung zulässt, im Wege der Auslegung auf der Grundlage des Plans hinreichend bestimmt oder doch bestimmbar sind. Dagegen entfalten Soll-Vorschriften, die dem nachgeordneten Planungsträger bei der Einschätzung, ob ein atypischer Fall vorliegt, einen eigenen Abwägungsspielraum einräumen, keinen Verbindlichkeitsanspruch. Mit dem Merkmal der Atypizität allein sind die Fallgestaltungen, bei denen die Regelvorgaben der Vorschrift nicht gelten sollen, nicht hinreichend bestimmt oder bestimmbar beschrieben. Der Plangeber muss vielmehr selbst Anhaltspunkte für die Reichweite atypischer Fälle liefern. Auch abstrakte Kriterien können zur Identifizierung einer landesplanerisch gebilligten Atypik und damit zur Bestimmbarkeit genügen. Lässt sich aus den Zielvorstellungen des Plangebers und dem Normzusammenhang der Regelung im Wege der Auslegung der atypische Fall bestimmen, kann die für die Ziele der Raumordnung vorausgesetzte Letztverbindlichkeit bejaht werden.
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1.2 Gemessen an diesem Maßstab ist die Auslegung des in Plansatz 3.3.7.1 LEP 2002 enthaltenen Kongruenzgebots als Ziel i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
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Nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs ist das Kongruenzgebot als Soll-Vorschrift ohne ausdrücklich benannte Ausnahmen ausgestaltet. Der Plangeber habe auf eine weitere Konkretisierung des Kongruenzgebots durch eine Regel-Ausnahme-Vorschrift verzichtet. Er habe allerdings die Voraussetzungen für die Annahme einer Atypik nicht gänzlich offengelassen, sondern diesen Rahmen eingegrenzt. Das Kongruenzgebot stehe mit Plansatz 3.3.7 und Plansatz 3.3.7.1 Satz 2 LEP 2002 in einem untrennbar miteinander verzahnten, von raumordnerischen Grundsätzen getragenen Regelungszusammenhang. Das Beeinträchtigungsverbot in Plansatz 3.3.7.1 Satz 2 LEP 2002, wonach die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich und die Funktionsfähigkeit anderer Zentraler Orte nicht wesentlich beeinträchtigt werden dürfen, begründe keine Ausnahme vom Kongruenzgebot nach Plansatz 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002. Vielmehr könne ein atypischer Fall nur dann vorliegen, wenn das Beeinträchtigungsverbot eingehalten werde und zusätzlich weitere Umstände hinzuträten. Die Prüfung, ob atypische Umstände eine Abweichung von dem in Plansatz 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002 normierten Planziel zulassen können, habe nach diesem Regelungszusammenhang zwei Voraussetzungen: Zum einen müsse die Verkaufsfläche eines Einzelhandelsgroßprojekts so bemessen sein, dass deren Einzugsbereich den zentralörtlichen Verflechtungsbereich (zwar) wesentlich überschreitet. Zum anderen dürfe (gleichzeitig) die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich und die Funktionsfähigkeit anderer Zentraler Orte (aber) nicht wesentlich beeinträchtigt werden (UA S. 25 f. - Klammerzusätze im Original).
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Als Ergebnis landesrechtlicher Auslegung für die revisionsgerichtliche Beurteilung bindend ist sowohl das Verständnis des Beeinträchtigungsverbots in Plansatz 3.3.7.1 Satz 2 LEP 2002 als strikt festgelegtes Kernziel als auch die Schlussfolgerung, der Plangeber habe die atypischen Umstände, die eine Abweichung vom Kongruenzgebot durch den nachgeordneten Planungsträger erlaubten, insofern - negativ - selbst eingegrenzt, als das Beeinträchtigungsverbot jedenfalls nicht angetastet werden dürfe. Die - negative - Eingrenzung, dass die Beachtung des Beeinträchtigungsverbots nicht genügt, um eine Ausnahme vom Kongruenzgebot zu begründen, engt die Variationsbreite atypischer Umstände zwar ein. Das reicht aber nicht zur Bestimmbarkeit möglicher atypischer Fälle durch den nachgeordneten Planungsträger. Das erkennt auch der Verwaltungsgerichtshof. Ob es zur Bestimmbarkeit genügt, dass - wie der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat - "des Weiteren" die Begründung des LEP 2002 Leitlinien enthalte, die für die Feststellung einer Atypik, die den nachgeordneten Planungsträger von der Bindungswirkung des Ziels freistellt, herangezogen werden könnten, mag zweifelhaft sein. Denn auf der in Bezug genommenen Seite der Begründung (Seite B36) heißt es lediglich: "Einzelhandelsgroßprojekte können bei falscher Standortwahl und Größenordnung das zentralörtliche Versorgungssystem, die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung und die Funktionsfähigkeit der Stadt- und Ortskerne nachteilig beeinflussen". Auf den Einzelhandelserlass wird nur zur Bestimmung des Begriffs "Einzelhandelsgroßprojekte" verwiesen. Das bedarf indes keiner Vertiefung. Denn nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs hat sich der Plangeber nicht auf eine negative Abgrenzung möglicher atypischer Fallkonstellationen beschränkt, sondern gleichzeitig durch positive und negative Abgrenzungskriterien den Zielrahmen festgelegt, innerhalb dessen atypische Umstände eine Abweichung von den planerischen Kernzielen anzeigen können (UA S. 29): Der Plangeber habe in den Plansätzen 3.3.7 Satz 1 und 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002 die Kernziele seiner raumordnerischen Vorstellung klar formuliert und ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass diese nicht im Rahmen einer Abwägung durch einen nachgeordneten Planungsträger zur planerischen Disposition stehen. Danach wird der atypische Fall zielintern durch Rückgriff auf das im Plan normierte zentralörtliche Gliederungssystem und das Gesamtziel der Zentrenverträglichkeit bestimmbar. Die vom Plangeber mit dem zentralörtlichen Gliederungssystem verfolgten Zwecke sind als Grundsätze der Raumordnung in § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG kodifiziert; dieser Regelungszusammenhang bewirkt, dass der atypische Fall durch Auslegung von Sinn und Zweck des Plans zielintern bestimmbar wird. Der Umstand, dass es sich um abstrakte Kriterien handelt, die der Konkretisierung mit Blick auf den jeweiligen Einzelfall bedürfen, steht der Bestimmbarkeit durch Auslegung nicht entgegen. Entgegen dem Einwand der Beigeladenen folgt aus der Notwendigkeit der Auslegung der Regelvorgabe nach Sinn und Zweck im Einzelfall keine "Universalität" der Belange, die dem nachgeordneten Planungsträger in unzulässiger Weise Gestaltungsspielraum eröffnen würden. Unvorhersehbar ist nicht der atypische Fall, sondern nur, ob der (seltene) Fall einer Ausnahme eintreten wird. Wie auch der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat, wird dem nachgeordneten Planungsträger mit der Befugnis zur Feststellung der Atypik gerade nicht die abschließende Abwägung übertragen. Fallkonstellationen, auf die die Planaussage - hier: das Kongruenzgebot - seinem Wesen nach, d.h. nach Sinn und Zweck wegen Besonderheiten des Einzelfalls nicht "passt", werden - wie auch der Beklagte in der mündlichen Verhandlung anschaulich ausgeführt hat - zudem selten sein. Die Abwägung des Plangebers führt damit zu einem bestimmten Entscheidungsgehalt, der bei der weiteren Zielkonkretisierung nicht erneut zur Disposition steht. Sind - wie hier - die atypischen Ausnahmen vom Kongruenzgebot auch ohne abschließenden oder auch nur beispielhaften Katalog anhand der im Plan zum Ausdruck kommenden Regelungsabsichten des Plangebers bestimmbar, entfaltet die als Soll-Vorschrift gefasste Planaussage auch als Gesamtregelung den Verbindlichkeitsanspruch eines Ziels i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG.
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1.3 Auch unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit des Regeltatbestandes bestehen keine Bedenken gegen die Zielqualität des Plansatzes 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002. Das Kongruenzgebot verlangt, dass die einzelnen Einzelhandelsbetriebe der jeweiligen Zentralitätsstufe der Standortgemeinde entsprechen; ein Verstoß liegt bei einer wesentlichen Überschreitung des Verflechtungsbereichs vor. Anknüpfungspunkt ist der landes- oder regionalplanerisch definierte Status eines Ortes nach der gestuften zentralörtlichen Gliederungshierarchie im Sinne des Zentrale-Orte-Prinzips. Der Verflechtungsbereich ist für Ober- und Mittelzentren durch die Region und den Mittelbereich vorgegeben. Durch die in Plansatz 2.5 LEP 2002 vorgenommene Festlegung der Zentralen Orte und deren Verflechtungsbereiche lässt sich ohne Weiteres die räumliche Bezugsgröße im Verhältnis zur Lage des Vorhabens bestimmen. Der für Mittelzentren als Einzugsbereich bestimmte Mittelbereich wird gemäß Plansatz 2.5.9 Abs. 5 im Anhang des LEP 2002 durch Nennung der maßgeblichen Ortschaften sowie kartographisch konkretisiert. Für Oberzentren verweist Plansatz 2.5.8 LEP 2002 auf die Region als Anknüpfungspunkt. Das genügt entgegen der Auffassung der Revisionen zur räumlichen Bestimmung des Verflechtungsbereichs. Zu dieser Feststellung ist der Senat befugt, weil der Verwaltungsgerichtshof zum Landesrecht - jedenfalls insoweit - keine Aussagen getroffen hat, an die das Revisionsgericht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO gebunden sein könnte.
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Ebenfalls bundesrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass der Verwaltungsgerichtshof die Bestimmtheit des unbestimmten Rechtsbegriffs "wesentlich" unter Rückgriff auf Schwellen- bzw. Grenzwerte, die sich als Erfahrungswerte zur Einschätzung der Zentrenverträglichkeit von großflächigen Einzelhandelsbetrieben gebildet haben, bejaht und sich dabei an dem Anhaltswert in Ziff. 3.2.1.4 der Verwaltungsvorschrift des Wirtschaftsministeriums zur Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten vom 21. Februar 2001 (- Einzelhandelserlass - GABl S. 290) orientiert hat. Sowohl der voraussichtliche Umsatz eines geplanten Vorhabens je qm Verkaufsfläche als auch die nach Sortimenten bestimmbare branchenbezogene Kaufkraft der Einwohner eines räumlich bestimmten Einzugsbereichs - hier: eines Mittelzentrums - lassen sich prognostisch berechnen. Solche Marktgutachten stellen eine zulässige Methode dar, um die ökonomischen Zusammenhänge der Kaufkraftbindung im Einzugsbereich eines Vorhabens abzubilden und damit Anhaltspunkte für die raumordnerischen Auswirkungen des Vorhabens mit Blick auf die raumordnungsrechtlich gewichtigen Belange der effektiven Nutzung und Bündelung der Infrastruktur und des Verkehrs zu bieten (Urteile vom 17. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 2.08 - BVerwGE 136, 10 Rn. 14 und vom 11. Oktober 2007 - BVerwG 4 C 7.07 - BVerwGE 129, 307 Rn. 18, 21). Ob - wie in Ziff. 3.2.1.4 des Einzelhandelserlasses vorgegeben - eine wesentliche Überschreitung in der Regel gegeben ist, wenn mehr als 30 % des Umsatzes aus Räumen außerhalb des Verflechtungsbereichs erzielt werden, bedarf keiner Entscheidung. Denn nach den vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten gutachterlichen Berechnungen würden jedenfalls hinsichtlich des Möbel-Einrichtungshauses rund 90 % und bei einer gemeinsamen Betrachtung des Gesamtvorhabens immerhin noch 82 % der zu erwartenden Umsätze durch Kunden von außerhalb des Einzugsbereichs der Klägerin erwirtschaftet.
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1.4 Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof die Vereinbarkeit des Kongruenzgebotes mit höherrangigem Recht bejaht. Ob und mit welchem Inhalt ein Kongruenzgebot normiert wird, ist zwar allein eine landesrechtliche Frage (Beschluss vom 8. Juni 2006 - BVerwG 4 BN 8.06 - BRS 70 Nr. 13 S. 93 f.). Die Zielfestlegung muss sich aber am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen. Maßstab sind Schutzzweck und Reichweite des bundesrechtlichen Zentrale-Orte-Prinzips, aus dem das Kongruenzgebot abgeleitet wird.
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1.4.1 Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass, wenn die Landesplanung - wie im vorliegenden Fall - die Planungshoheit einzelner Gemeinden durch Normierung eines "strikten" Kongruenzgebots einschränkt, überörtliche Interessen von höherem Gewicht den Eingriff rechtfertigen müssen. Der Eingriff in Art. 28 Abs. 2 GG durch Plansatz 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002 ist formal vom Landesplanungsgesetz gedeckt und auch materiell gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig (vgl. auch Beschluss vom 20. August 1992 - BVerwG 4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329 <335>).
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Die mit dem Kongruenzgebot bewirkte raumordnerische Standortplanung für raumbedeutsame Einzelhandelsgroßbetriebe stellt ein überörtliches Interesse dar, das eine Beschränkung der gemeindlichen Planungshoheit rechtfertigen kann. Das Kongruenzgebot wird aus dem Zentrale-Orte-Prinzip abgeleitet (Beschluss vom 8. Juni 2006 a.a.O. S. 93). Dieser Grundsatz findet sich in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 ROG (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 ROG a.F.), der anordnet, dass die Siedlungstätigkeit auf ein System leistungsfähiger Zentraler Orte auszurichten ist. Ziel der dieses Prinzip konkretisierenden raumordnerischen Regeln ist die raumverträgliche Entwicklung des Einzelhandels nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Gemeinden insgesamt. Aus diesem Grund ist der Einzelhandel an den Standorten zu sichern, die in das städtebauliche Ordnungssystem funktionsgerecht eingebunden sind. Das Kongruenzgebot dient - ebenso wie das Konzentrationsgebot, das Integrationsgebot und das Beeinträchtigungsverbot - der Sicherstellung einer raumstrukturell und -funktionell verträglichen Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe. Schutzzweck eines von der konkreten Beeinträchtigung der Versorgungssituation abgekoppelten Kongruenzgebots ist die raumordnerische Annahme, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe, die nach Lage, Umfang und Art nicht der jeweiligen zentralörtlichen Hierarchiestufe der Standortgemeinde entsprechen, selbst dann raumunverträglich sind, wenn sie nicht zu Beeinträchtigungen führen, weil sie wegen ihrer überörtlichen, über den Einzugsbereich der Standortgemeinde hinausgehenden Wirkung zur Zersiedelung und Erhöhung des Verkehrsaufkommens führen, mithin dem Grundsatz eines schonenden Flächen- und Ressourcenverbrauchs und dem Grundsatz der effektiven Nutzung und Bündelung der Infrastruktur und des Verkehrs widersprechen. Das ist ein raumordnungsrechtlich legitimer Zweck. Mit dieser Zielrichtung bestehen gegen die Geeignetheit eines Kongruenzgebots in der Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof keine Bedenken. Entgegen der Auffassung der Revisionen steht der Geeignetheit des raumordnerischen Ziels auch nicht die fehlende städtebauliche Umsetzbarkeit entgegen. Das Kongruenzgebot räumt den Gemeinden Spielraum ein und lässt sich mit dem verfügbaren städtebaulichen Planungsinstrumentarium, insbesondere den vielfältigen horizontalen und vertikalen Kombinations- und Gliederungsmöglichkeiten umsetzen.
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Die Einschätzung des Plangebers, dass andere, weniger tief in die gemeindliche Selbstverwaltungshoheit eingreifende Mittel diese Ziele insgesamt nicht gleich effektiv verwirklichen können, mithin das Kongruenzgebot auch erforderlich ist, ist nicht zu beanstanden. Bei der Einschätzung der Erforderlichkeit einer Regelung, die - wie hier - dem Schutz des öffentlichen Interesses dient, kommt dem Plangeber eine Einschätzungsprärogative zu. Es genügt nicht, dass Beschränkungen, die als Alternativen in Betracht kommen, die Betroffenen weniger belasten, wenn sie nicht die gleiche Wirksamkeit versprechen. Ein bloßes Beeinträchtigungsverbot wie auch ein - nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs - mit einem Beeinträchtigungsverbot verbundenes Integrationsgebot (Plansatz 3.3.7.2 Satz 1 LEP 2002) mögen im Einzelfall "milder" sein, weil sie einem Vorhaben nicht strikt entgegenstehen, sondern eine wesentliche Beeinträchtigung der Versorgungssituation in der Standortgemeinde und in betroffenen Nachbargemeinden voraussetzen. Das legitime raumordnerische Ziel einer flächensparenden Raumnutzung und Verkehrsvermeidung können sie jedoch nicht in gleicher Weise erreichen wie ein "striktes" vom Beeinträchtigungsverbot abgekoppeltes Kongruenzgebot.
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Zu Recht ist der Verwaltungsgerichtshof auch davon ausgegangen, dass das Kongruenzgebot nur dann verhältnismäßig ist, wenn es nicht für alle Fallgestaltungen unterschiedslos strikte Beachtung beansprucht. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich, dass die Möglichkeit bestehen muss, ein Vorhaben ausnahmsweise zuzulassen, das zwar formal gegen das Kongruenzgebot verstößt, aus atypischen Gründen im konkreten Einzelfall aber raumverträglich erscheint, mithin mit Blick auf das Schutzziel des Kongruenzgebots unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist. Dem hat der Plangeber im vorliegenden Fall durch Ausgestaltung des Kongruenzgebots als Soll-Vorschrift mit Abweichungsmöglichkeiten im atypischen Fall Rechnung getragen. Für Härtefälle, die keinen atypischen Fall begründen, steht zudem das förmliche Zielabweichungsverfahren gemäß § 6 Abs. 2 ROG (§ 11 ROG a.F.) zur Verfügung.
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1.4.2 Der Senat stimmt dem Verwaltungsgerichtshof auch darin zu, dass das Kongruenzgebot mittelbar die von der Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG geschützte freie Standortwahl beschränkt und daher der Rechtfertigung durch überwiegende vernünftige Gründe des Gemeinwohls bedarf. Dieser Maßstab unterscheidet sich nicht von den "überörtlichen Interessen von höherem Gewicht", die zur Rechtfertigung nach Art. 28 Abs. 2 GG heranzuziehen sind. Auf die Ausführungen unter 1.4.1 kann daher Bezug genommen werden.
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1.4.3 In Übereinstimmung mit dem revisiblen Unionsrecht und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV jeder nationalen Maßnahme entgegensteht, die zwar ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit anwendbar, aber geeignet ist, die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit durch die Unionsangehörigen zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Das Beschränkungsverbot erfasst nicht nur Maßnahmen mit unmittelbarer Wirkung gegenüber dem Betroffenen, sondern auch mittelbare Einschränkungen (EuGH, Urteile vom 25. Juli 1991 - Rs. C-76/90, Säger - Slg. 1991, I-4221 Rn. 12, vom 3. Oktober 2000 - Rs. C-58/98, Corsten - Slg. 2000, I-7919 Rn. 33 und vom 15. Juni 2006 - Rs. C-255/04, Künstleragentur - Slg. 2006, I-5251 Rn. 37). Nicht diskriminierende, d.h. unterschiedslos wirkende beeinträchtigende Maßnahmen können jedoch gerechtfertigt sein, wenn die mit der Maßnahme verfolgten Ziele zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen und der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, d.h. die Maßnahmen geeignet sind, die Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
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Die Vermeidung von Sozial- und Umweltlasten mit den Mitteln des Raumordnungsrechts stellt einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar. Entgegen der Anregung der Beigeladenen sieht der Senat keinen Anlass für eine Vorlage gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV. Die raumordnungsrechtliche Ansiedlungssteuerung für Einzelhandelsgroßbetriebe im Wege des Kongruenzgebotes dient - wie dargelegt - nicht, auch nicht mittelbar wirtschaftlichen Zwecken, sondern zielt auf effektive Nutzung und Bündelung der öffentlichen Infrastruktur sowie die Vermeidung eines unnötigen Flächen- und Ressourcenverbrauchs durch Zersiedelung und den damit einhergehenden Verkehr. Auch der Europäische Gerichtshof erkennt in Raumordnungszielen, die der Vermeidung von Sozial- und Umweltlasten dienen, zwingende Gründe des Allgemeininteresses (EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2009 - Rs. C-567/07, Woningstichting Sint Servatius - Slg. 2009, I-9021 Rn. 29 - zur Beschränkung des freien Kapitalverkehrs - unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 1. Juni 1999 - Rs. C-302/97, Konle - Slg. 1999, I-3099 Rn. 40). Unter den vom Gerichtshof bereits anerkannten Gründen finden sich auch der Umweltschutz (EuGH, Urteile vom 20. September 1988 - Rs. C-302/86, Kommission/Dänemark - Slg. 1988, I-4607 Rn. 9 und vom 14. Dezember 2004 - Rs. C-309/02, Radlberger Getränkegesellschaft - Slg. 2004, I-11763 Rn. 75) und der Verbraucherschutz (EuGH, Urteil vom 11. März 2010 - Rs. C-384/08, Attanasio Group Srl - ABl EU 2010 Nr. C 113 S. 11 Rn. 50 mit Verweis auf EuGH, Urteile vom 4. Dezember 1986 - Rs. C-220/83, Kommission/Frankreich - Slg. 1986, I-3663 Rn. 20 und vom 29. November 2007 - Rs. C-393/05, Kommission/Österreich - Slg. 2007, I-10195 Rn. 52). Wie sich aus den Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston vom 7. Oktober 2010 ergibt, sind planungsrechtlich bewirkte Beschränkungen der Standorte großer Einzelhandelseinrichtungen auf städtische Bevölkerungszentren und Beschränkungen der Größe der Einrichtungen in weniger bevölkerungsreichen Gebieten als geeignete Mittel anzusehen, weil sie dem Ziel dienen, umweltbelastende Autofahrten zu vermeiden, dem innerstädtischen Verfall entgegenzuwirken, ein umweltgerechtes Stadtmodell zu erhalten, den Bau neuer Straßen zu vermeiden und den Zugang mit öffentlichen Verkehrsmitteln sicherzustellen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 7. Oktober 2010 - Rs. C-400/08, Kommission/ Spanien - Rn. 79, 90, 91). Notwendig sind präventive Maßnahmen; gerade auch der Umweltschutz bedarf der Umsetzung durch raumordnungsrechtliche Maßnahmen. Das gilt ebenso für den Schutz der verbrauchernahen Versorgung, der angesichts der demographischen Entwicklung besonderes Gewicht hat (vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 2.08 - BVerwGE 136, 10 Rn. 8).
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Die Erforderlichkeit der Maßnahmen beurteilt sich allein danach, ob das (nationale) Raumordnungsrecht mildere Alternativen zur Verfügung stellt. Dass die mit der Standortsteuerung von Einzelhandelsgroßprojekten verbundenen Ziele des Umweltschutzes und des Verbraucherschutzes gegebenenfalls auch durch andere Maßnahmen außerhalb des Raumordnungsrechts gefördert werden könnten, führt nicht zur mangelnden Erforderlichkeit. Wie zu Art. 28 Abs. 2 GG ausgeführt, stellt das Raumordnungsrecht weniger einschneidende Alternativen zum Kongruenzgebot nicht zur Verfügung. Die Verhältnismäßigkeit der Regelung ist - wie ebenfalls bereits dargelegt - zudem dadurch gewahrt, dass die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens eröffnet ist.
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2. Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist dagegen die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, eine Zielabweichung, die zur - wenn auch einzelfallbezogenen - Abkehr von dem für Einzelhandelsgroßprojekte maßgeblichen Zentrale-Orte-Prinzip (Konzentrationsgrundsatz) und dem als Komplementärelement verstandenen Kongruenzgebot führe, berühre immer die "Grundzüge der Planung", so dass der Antrag auf Zulassung einer Zielabweichung zwingend abzulehnen gewesen sei (UA S. 48). Der Verwaltungsgerichtshof verkennt den Bedeutungsgehalt des bundesrechtlichen Begriffs "Grundzüge der Planung" i.S.d. § 6 Abs. 2 ROG (§ 11 Satz 1 ROG a.F.).
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Der landesrechtlich in § 24 LplG verwendete Begriff "Grundzüge der Planung" nimmt Bezug auf den bundesrechtlich ursprünglich als Rahmenrecht in § 11 Satz 1 ROG a.F., nun in § 6 Abs. 2 ROG vorgegebenen Begriff. Der Begriff ist gesetzlich nicht definiert (Beschluss vom 15. Juli 2005 - BVerwG 9 VR 43.04 - Buchholz 406.14 § 4 ROG 1998 Nr. 1 S. 2). § 6 ROG unterscheidet nunmehr ausdrücklich zwischen Ausnahmen, die im Raumordnungsplan festgelegt werden können, und "Abweichungen", über die in einem eigens dafür geschaffenen raumordnerischen Zielabweichungsverfahren zu entscheiden ist. Der Gesetzgeber folgt mit der Neufassung des § 6 Abs. 2 ROG dem Muster der Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB (Schmitz, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Stand 2003, Band 2, K § 11 Rn. 30); insofern kann die Rechtsprechung des Senats zu § 31 Abs. 2 BauGB Orientierung bieten. Wann eine Planänderung die Grundzüge der Planung berührt, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern hängt von der jeweiligen Planungssituation ab (Urteil vom 18. November 2010 - BVerwG 4 C 10.09 - Rn. 37). Wie auch im Fall des § 31 Abs. 2 BauGB beurteilt sich die Frage, ob eine Abweichung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, nach dem im Plan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen. Bezogen auf dieses Wollen darf der Abweichung vom Planinhalt keine derartige Bedeutung zukommen, dass die dem Plan zugrunde gelegte Planungskonzeption ("Grundgerüst") in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Die Abweichung muss - soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein - durch das planerische Wollen gedeckt sein; es muss - mit anderen Worten - angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Plangeber gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er den Grund für die Abweichung gekannt hätte (Urteile vom 4. August 2009 - BVerwG 4 CN 4.08 - BVerwGE 134, 264 Rn. 12, vom 29. Januar 2009 - BVerwG 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 23 und vom 9. März 1990 - BVerwG 8 C 76.88 - BVerwGE 85, 66 <72>).
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Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass das Zentrale-Orte-Prinzip (Konzentrationsgrundsatz) und das Kongruenzgebot zu den Zielen gehören, die "als Grundzüge der Planung" die Planungskonzeption des LEP 2002 tragen und damit den für sie wesentlichen Gehalt bestimmen (UA S. 47), ist als Ergebnis der Auslegung des LEP, der dem irrevisiblen Landesrecht angehört, zwar bindend. Die Schlussfolgerung, dass ein Abweichen von den Zielfestlegungen, mit denen das Zentrale-Orte-Prinzip konkretisiert wird, in jedem Fall die planerische Grundentscheidung berühre, verkennt aber, dass es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt, ob die Grundzüge der Planung berührt werden. Aus dem Umstand, dass im vorliegenden Fall nach der für die revisionsgerichtliche Beurteilung bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs keine atypischen Umstände vorliegen, die nach dem Willen des Plangebers dem nachgeordneten Planungsträger ausnahmsweise außerhalb des Zielabweichungsverfahrens eine Abweichung erlauben würden, darf nicht gefolgert werden, dass mit einer Abweichung im Wege des Zielabweichungsverfahrens die vom Plangeber getroffene planerische Regelung beiseite geschoben würde (vgl. dazu auch Beschluss vom 5. März 1999 - BVerwG 4 B 5.99 - Buchholz 406.11 § 31 BauGB Nr. 39 S. 2). Das Zielabweichungsverfahren ist nicht auf den atypischen Fall, sondern gerade auf den Härtefall ausgerichtet, bei dem die Planaussage in Gestalt der Regelvorgabe dem Vorhaben zunächst entgegensteht, gleichwohl eine Zulassung vertretbar erscheint. Wie bereits dargelegt ist, erweist sich das Kongruenzgebot nur dann als verhältnismäßig, wenn es nicht für alle Fallgestaltungen unterschiedslos strikte Beachtung beansprucht. Dem steht eine Gleichsetzung der Grundzüge der Planung mit dem Zentrale-Orte-Prinzip entgegen. Ob hier raumordnerische Besonderheiten bereits deswegen vorliegen, weil das Vorhaben - wie die Klägerin und die Beigeladene vortragen - zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung der verbrauchernahen Versorgung im Einzugsbereich und der Funktion anderer Zentraler Orte führt oder weil andere Besonderheiten vorliegen, die den vorliegenden Fall als Härtefall i.S.d. § 6 Abs. 2 ROG erscheinen lassen, nicht aber die Grundzüge der Planung berühren, mithin eine Abweichung im Wege des Zielabweichungsverfahrens erlauben, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht geprüft. Da er auch darauf verzichtet hat zu prüfen, ob das Ansiedlungsvorhaben der Beigeladenen nicht nur gegen das Kongruenzgebot, sondern auch gegen das Beeinträchtigungsverbot und das Integrationsgebot verstößt, lässt sich auch nicht feststellen, ob die Ablehnung der Zielabweichung aus diesem Grund rechtmäßig ist und die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs sich im Ergebnis als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
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Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder - 2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder - 3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.
(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.
(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
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vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
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die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.