Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 17. Sept. 2015 - 8 A 1/15
Gericht
Tatbestand
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Der Kläger führt die Disziplinarklage gegen die beklagte Studienrätin mit dem Ziel ihrer Entfernung aus dem Dienst.
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Die 1965 geborene Beamtin besuchte von 1972 bis 1982 die Polytechnische Oberschule und schloss diese mit der 10. Klasse ab. Bis 1985 besuchte sie die Berufsschule - Bildungsgang „Maschinenbauer mit Abitur“ - und absolvierte die Facharbeiter- und Reifeprüfung. Das anschließende Studium der Fachrichtung Berufsschullehrer für Maschinenbau schloss sie 1990 mit dem akademischen Grad „Diplomingenieurpädagoge“ ab.
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1990 wurde die Beklagte als Lehrkraft für den theoretischen Unterricht in Vollbeschäftigung beim Magistrat der Stadt B-Stadt eingestellt. 1992 wurde sie als vollbeschäftigte Lehrkraft im Land Sachsen-Anhalt übernommen und am 08.07.2003 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Studienrätin zur Anstellung ernannt. Die Verbeamtung auf Lebenszeit erfolgte unter dem 17.02.2005.
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Seit 1991 wird die Beklagte als Lehrkraft für den berufstheoretischen Unterricht an den berufsbildenden Schulen I B-Stadt eingesetzt.
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Die Beklagte ist verheiratet und hat zwei Kinder, geboren 1987 und 1990. Sie erhält Bezüge nach der Besoldungsgruppe A 13 Besoldungsordnung A Landesbesoldungsgesetz. Die Brutto-Dienstbezüge betragen 4.750,72 Euro; die Netto-Bezüge 3.560,64 Euro. Die Beklagte ist disziplinarrechtlich oder strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten.
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Unter dem 19.09.2013 wurde gegen die Beklagte ein Disziplinarverfahren eingeleitet und gleichzeitig gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) die Suspendierung ausgesprochen. Später erfolgte nach § 38 Abs. 2 DG LSA die Anordnung, dass 50 v. H. der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden.
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Mit der Disziplinarklage vom 07.01.2015 (Eingang 15.01.2015) wird der Beamtin vorgeworfen, durch drei Tathandlungen in disziplinarrechtlich relevanter Weise gegen ihre Verpflichtungen aus § 30 Abs. 1 und 2 Schulgesetz Land Sachsen-Anhalt (SchulG LSA) in Verbindung mit dem Erziehungs- und Bildungsauftrag aus § 1 SchulG LSA und damit letztendlich gegen ihre beamtenrechtlichen Pflichten verstoßen und damit ein Dienstvergehen nach § 47 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben. Im Einzelnen:
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1. „Die Beklagte hat den Inhalt der angekündigten Klassenarbeit vom 10.04.2013 im Fach BVWL der Klasse WAS11 des Schuljahres 2012/13 dem Schüler D. einschließlich Erwartungsbild bzw. Lösungsskizze vorab bekannt gegeben, indem sie die Unterlagen in einen Briefkasten steckte, den der Schüler ihr zuvor bezeichnete hatte.
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2. Die Beklagte hat die Prüfungsaufgaben der Abschlussprüfung vom 17.06.2013 im Fach BVWL der Klasse WAS11 des Schuljahres 2012/13 einschließlich Erwartungsbild bzw. Lösungsskizze dem Schüler D. vor der Prüfung am 17.06.2013 bekannt gegeben, indem sie die Unterlagen in einen Briefkasten steckte, den der Schüler ihr zuvor bezeichnet hatte.
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3. Die Beklagte hat das Ergebnis der Abschlussklausur im Prüfungsfach BVWL der Klasse WAS11 des Schuljahres 2012/13 zeitnah nach Fertigung der Klausur dem Schüler D. bekannt gegeben und ihm eingeräumt, Nachbesserungen an der von ihm gefertigten Klausur vorzunehmen. Anschließend hat sie selbst in einer Aufgabe noch Ergänzungen vorgenommen. Durch die Nachbesserungen des Schülers und ihre Ergänzungen wurde das Ergebnis der Klausur auf der Grundlage ihrer Bewertung von der Note „ausreichend“ auf die Note „gut“ verbessert.“
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Die Beklagte hat die Vorwürfe durch Selbstanzeige eingeräumt und zugestanden. Sie habe rechtwidrig und schuldhaft gehandelt. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe seien nicht erkennbar. Der Vortrag der Beklagten, der Schüler D. habe sie aufgrund des zwischen ihr und dem Schüler bestandenen sexuellen Verhältnisses durch Offenbarung dessen bedroht, sei im Hinblick auf die vorhandene und belegte Kommunikation der Beteiligten über soziale Netzwerke als nicht glaubhaft anzusehen. Daraus ergebe sich ein einvernehmliches Handeln im Hinblick auf den Intimverkehr und die Hilfe bei der Klassenarbeit und Prüfungsklausur. Für eine rechtfertigende Notwehr fehle es an einer erforderlichen und gebotenen Notwehrhandlung. Die Beklagte wäre in jedem Stadium einer „Drohung“ oder „Nötigung“ durch den Schüler in der Lage gewesen, sich vertrauensvoll an die Schulleitung, das Landesschulamt oder gegebenenfalls an die Strafverfolgungsbehörden zu wenden. Die Offenbarung und Strafanzeige durch die Beklagte sei erst am 13.07.2013, also nach Vollendung der Dienstpflichtverletzungen, geschehen.
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Es handele sich um ein schweres innerdienstliches Fehlverhalten, welches die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erforderlich mache. Das notwendige Vertrauensverhältnis sei als endgültig zerstört anzusehen. Durch den schweren Ansehensverlust für die Lehrer und Beamtenschaft sei die Integrität des Beamtentums in Frage gestellt worden.
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Der Kläger beantragt,
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die Beamtin aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Disziplinarklage abzuweisen,
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hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen
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und sieht bereits formelle Mängel der Disziplinarklage. Die Disziplinarklage sei nahezu deckungsgleich mit dem Abschlussbericht des Ermittlungsführers vom 27.06.2014. Entlastende Umstände und Beweisangebote seien nicht berücksichtigt worden; der Bescheid über die vorläufige Einbehaltung von Dienstbezügen sei formell fehlerhaft. Die Beklagte werde als „Täterin“ behandelt und nicht, wie es richtig wäre, als Opfer der Geschehnisse. Darin zeige sich eine Voreingenommenheit. Die Beamtin habe sich in einer akuten Zwangs- und Bedrohungslage befunden, aus welcher sie sich nicht zu helfen gewusst habe und aus der sich letztendlich das vorgenannte Verhalten entwickelt habe. Aus diesem Grunde liege ein Rechtfertigungsgrund vor. Es habe eine rechtfertigende Notwehrlage bestanden. Herr D. habe vorgegeben, das gesamte Privat- und Berufsleben der Beklagten zu gefährden oder gar zu zerstören. Er habe erwähnt, dass er genügend Beweise gegen die Beklagte habe und auch seine Kontakte spielen lassen könnte. Sie sei so stark eingeschüchtert gewesen, dass sie aus ihrer Sicht andere Möglichkeiten nicht ergreifen konnte. Schließlich habe sie sich doch zur Selbstanzeige entschlossen. Zur Entwicklung des Sexualverkehrs lässt sich die Beklagte wie folgt ein:
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„Herr D. habe die Beklagte zu einer Abschlussparty in einer Privatwohnung am B… Weg in B-Stadt eingeladen. Wegen anderer Schuhe im Flur der Wohnung sei die Beklagte davon ausgegangen, dass bereits andere Gäste vor Ort seien. Sie sei von Herrn D. gezwungen worden, in der Wohnung zu verweilen und den Sexualverkehr durchzuführen (06.04.2013). Herr D. habe die Beklagte bezüglich der Klassen- und Prüfungsarbeiten zu einem Briefkasten navigiert. Schließlich kam es zur deutlichen Steigerung des Drohens, was zu einer Vornahme von Änderungen an der Prüfungsklausur führte. Infolgedessen sei sie völlig eingeschüchtert und verängstigt mit ihrem PKW gegen einen Bordstein gefahren. Schließlich habe Herr D. Geld gefordert. Herr D. habe die Beklagte geschickt dazu gebracht, SMS-Texte an ihn zu schreiben. Das gesamte Verhalten des Herrn D. sei planmäßig und genau durchdacht gewesen. Sie habe den Geschlechtsverkehr über sich ergehen lassen. Sie sei letztendlich auf die „Flirterei“ des Herrn D. als planmäßiges Vorgehen hereingefallen. Von Mai bis Juli 2013 habe Herr D. knapp 3.000,00 Euro gefordert.“
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Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen die Beamtin (156 Js 29926/13) wurde nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. Das aufgrund der Anzeige gegen den Zeugen D. geführte Ermittlungsverfahren (645 Js 30100/13) wurde mangels Anfangsverdacht nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die Beschwerde der Beklagten war erfolglos.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
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Die Disziplinarklage hat Erfolg.
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1.) Die von der Beklagten gerügten Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens liegen nicht vor und stellen zudem keine wesentlichen Mängel im Sinne von § 52 DG LSA dar. Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußeren Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung betreffen (BVerwG, Urt. v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Beschl. v. 18.11.2008, 2 B 63.08; vgl. zuletzt: BVerwG, Urt. v. 28.02.2013, 2 C 3.12; VG Magdeburg, Urt. v. 06.11.2013, 8 A 9/12 MD; VG Magdeburg, Urt. v. 15.04.2014, 8 A 2/13; alle juris).
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Dabei ist bereits nicht ersichtlich, welche konkreten wesentlichen Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Disziplinarklage die Beklagte i. S. v. § 52 DG LSA rügt. Der von der Beklagten angesprochene Deckungsgleichheit zwischen der Disziplinarklage und dem Abschlussbericht des Ermittlungsführers und die sich daraus ergebenen Nichtberücksichtigung entlastender Gründe und Beweisangebote, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Die Disziplinarklage setzt sich hinreichend mit dem Vorbringen der Beklagten auseinander. Rügen gegen die Einbehaltung von Teilen der Dienstbezüge sind in der vorliegenden Disziplinarklage nicht streitgegenständlich.
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2.) Die Beklagte hat ein schwerwiegendes Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen, welches die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 DG LSA) nach sich zieht.
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Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Aufgrund der engen Beziehung der Tatgeschehnisse mit dem Schuldienst der Beklagten liegt auch ein innerdienstlicher Pflichtenverstoß vor. Denn ohne den Schuldienst und das diesbezügliche Lehrer-Schüler-Verhältnis wären die Tathandlungen nicht möglich gewesen.
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Nach der geständigen Einlassung der Beklagten liegt das ihr zu Last gelegte disziplinarrechtliche Fehlverhalten unstreitig vor. Danach hat sie in den angeschuldigten drei Fällen die Lösungsskizzen für Klassen- und Abschlussarbeiten dem Schüler D. vorab gegeben und zudem das Ergebnis der Abschlussklausur ihm bekannt gegeben und Nachbesserungen darin vornehmen lassen und selbst vorgenommen. Dies stellt einen schweren Verstoß gegen ihre Verpflichtungen aus § 30 Abs. 1 und 2 SchulG LSA in Verbindung mit dem Erziehungs- und Bildungsauftrag aus § 1 SchulG LSA dar, woraus sich die allgemeine beamtenrechtliche Pflichtverletzung nach § 33 Abs. 1 Satz 2 und § 34 Satz 2 und 3 BeamtStG sowie § 35 Satz 2 BeamtStG ergibt.
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3.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild des Beamten sowie dem Umfang der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist regelmäßig dann auszusprechen, wenn der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen, das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstherrn aber auch der Allgemeinheit endgültig zerstört hat (vgl. nur: BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; beide juris).
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a.) Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urt. v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urt. v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urt. v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; zuletzt ausführlich; VG Magdeburg, Urt. v. 09.12.2014, 8 A 3/14; alle juris).
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Die Beklagte handelte schuldhaft, vorsätzlich und ohne Rechtfertigungsgründe. An der von ihr zunächst im behördlichen Disziplinarverfahren behauptete Notwehr- bzw. Nötigungslage durch den Schüler D., hat sie in der mündlichen Verhandlung nicht mehr festgehalten, sodass einvernehmlich auf die Zeugenvernehmung des Schülers verzichtet werden konnte. Zweifel an der Schuldfähigkeit ergeben sich nicht. Ausgehend von einer durch die Beklagte eingeräumten Verliebtheit zu dem Schüler hat sie wissentlich und willentlich die zwischen einer Lehrerin und ihrem Schüler notwendige Distanz aufgegeben und im Zuge dessen, das Ergebnis von Klausuren und Prüfungen dem Schüler bekannt gegeben und Nachbessrungen erlaubt sowie selbst vorgenommen. Aufgrund ihres Bildungs- und Berufsstandes, ihrer Lebenserfahrung sowie ihres Lebensalters von nahezu 50 Jahren waren ihr die Folgen ihres Handelns bewusst bzw. hätten ihr bewusst sein müssen. Der Gefühlszustand einer Verliebtheit stellt keinen Schuldausschlussgrund dar. Die mit der Verliebtheit einhergehende „Kopflosigkeit“ bewirkt zwar unter Umständen eine erhöhe Bereitschaft zu irrationalem Verhalten, hebt jedoch die verstandsgemäße Einsicht und auch die Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, nicht auf (vgl. VG Saarland, Urteil v. 17.09.2010, 7 K 238/09; juris).
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Danach muss man vorliegend von einem schweren Dienstvergehen ausgehen, welches grundsätzlich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als sogenannte Höchstmaßnahme nach sich zieht. Denn es ist intolerabel, dass eine zur Objektivität berufene Lehrkraft Prüfungsaufgaben bzw. deren Lösungen an die Prüflinge herausgibt und/oder bei der Nachbearbeitung der Prüfungsleistungen behilflich ist bzw. sogar selbst die Veränderungen vornimmt. Dies ist mit dem Ansehen und der Würde des Lehrerberufs nicht zu vereinbaren und gerade in Bezug auf die Objektivität und Neutralität der Abnahme von staatlichen Prüfungsleistungen auch der Allgemeinheit nicht zu vermitteln. Das gesamte rechtsstaatliche Prüfungswesen basiert auf der nachvollziehbaren fairen Objektivität und Neutralität der Entscheidungen.
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b.) Ist damit aufgrund der Schwere der Dienstpflichtverletzungen generell von der Maßnahme der Entfernung aus dem Dienst auszugehen, ist zu fragen, ob gewichtige Milderungsgründe eine darunter liegende Disziplinarmaßnahme (noch) rechtfertigen können.
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Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingten Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Auch eine dienstliche Überlastung kann einen Milderungsgrund darstellen (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).
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Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).
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In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht vorliegend nicht zu erkennen. Denn den, das Eigengewicht der Verfehlung prägenden Gesichtspunkten stehen nur wenige Aspekte entgegen, die in Bezug auf das Dienstvergehen mildernd anzuführen sind:
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Zu berücksichtigen ist hier insbesondere, dass die ihren Dienst bis dahin beanstandungsfrei leistende Beklagte – wie bereits dargestellt – in einer auch menschlich durchaus nachvollziehbaren Weise in eine Situation geraten ist, in der sie im Stadium des Verliebtseins, mit der damit einhergehenden Bereitschaft zu irrationalem Verhalten, sich zu den hier zu bewertenden Handlungen hat hinreißen lassen. Spätestens in dem Moment, als es der Beklagten bewusst geworden ist, dass sie gegenüber dem Berufsschüler eine gesteigerte, die notwendige Distanz gefährdende Sympathie empfindet, hätte die sich seit 1990 im Schulddienst befindliche Beamtin an ihren Dienstherrn wenden können und müssen, damit ihr ggf. ein anderer Tätigkeitsbereich zugewiesen wird. Die Beklagte ließ es trotz bestehenden Steuerungsvermögens und der Vorhersehbarkeit der drohenden Entwicklung zum Austausch von Zärtlichkeiten bis hin zu Geschlechtsverkehr mit dem volljährigen Berufsschüler kommen. Diese distanzvermissende Umgangsart mündete schließlich in dem ihr hier allein zur Last gelegten Dienstvergehen der Preisgabe von Prüfungsaufgaben und –lösungen. Die Auswertung der dem Gericht vorliegenden Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft zum Ermittlungsverfahren gegen Herrn D. dokumentierten WhatsApp-Kontakte bestätigen zudem, dass die Kontakte und die distanzlose Beziehung zu dem Berufsschüler von der Beklagten gesucht wurden und sie ihm gegenüber eindeutige Anspielungen, insbesondere auch sexuellen Inhalts, machte. Folge dessen war, dass die Beamtin – selbst wenn man zu ihren Gunsten davon ausgeht, dass der Berufsschüler D. die Weitergabe der Klausur-/Prüfungsergebnisse angeregt oder aber auch im Rahmen der geführten Beziehung gefordert hat – bereitwillig und damit aus eigenem Antrieb heraus, das Dienstvergehen begangen hat. Dies zeigt insbesondere, der auf rotem Briefpapier mit Kussmund versehende an den Berufsschüler gerichtete Begleitbrief, mit dem die Lösungsskizze für die Klassenarbeit übermittelt wurde und dessen Inhalt nahe legt, dass die Preisgabe auch im eigenen Interesse der Beamtin erfolgte. Bestätigt wird dies schließlich durch die zeitlich nachfolgende Textnachricht, in der es heißt: „Wenn wir beide schon „Bescheißen“ dann professionell.“ Auch die an den Berufsschüler gerichteten per Handynachricht vom 14.06.2013 erteilten Handlungsanweisungen, wie „Lösungen nicht Original wiedergeben“, „Unterlagen nach dem Lernen vernichten“ sowie „Ich vertraue dir jetzt blind, missbrauch das Vertrauen nicht“ machen deutlich, dass das sich über mehr als drei Monate hinziehende Geschehen nicht lediglich als eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat angesehen werden kann. Vielmehr muss der Beklagten durchaus ein gewisses planvolles Handeln und das hierzu notwendige Bewusstsein unterstellt werden. Sie hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, den Geschehnissen ein Ende zu bereiten.
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Soweit die Beklagte darüber hinaus zunächst eingewandt hat, der Berufsschüler D. habe einen Geldbetrag von 3.000,00 EUR erpressen wollen, ist dies weder bewiesen (vgl. Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft: Einstellung des Verfahrens mangels Anfangsverdachts) noch hat die Beklagte an ihrer Behauptung in der mündlichen Verhandlung festgehalten. Denn nach ihrer Einlassung, in den Berufsschüler verliebt gewesen zu sein, relativiert sich ihr Vorbringen als bloße Schutzbehauptung.
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Zu ihren Gunsten ist zwar weiterhin zu berücksichtigen ist, dass sie, allerdings erst nachdem das Dienstvergehen vollendet war, ein Geständnis abgelegt hat. Im Ergebnis verbleibt es aber bei der nach § 13 DG LSA anzustellenden Gesamtbetrachtung und der Berücksichtigung aller Umstände bei der Feststellung, dass das zwischen der Beklagten und ihrem Dienstherrn vormals bestehende Vertrauensverhältnis aufgrund der Schwere des von ihr vorsätzlich im Kernbereich ihrer Pflichten begangenen Dienstvergehens endgültig und unwiderruflich zerstört ist. Zu Recht erwarten sowohl der Dienstherr wie auch die Allgemeinheit vom Berufsstand der Lehrer Objektivität und Neutralität bei der Abnahme von staatlichen Prüfungsleistungen. Angesichts des endgültig eingetretenen Vertrauensverlustes und aus Gründen der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes ist die Beklagte daher aus dem Dienst zu entfernen. Diese Maßnahme ist die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn ansonsten nicht lösbare Beamtenverhältnis einseitig zu beenden. Weder die jahrelange unbeanstandete Dienstzeit, in welcher die Beklagte überdurchschnittliche dienstliche Leistungen erbracht hat, noch die bisherige straf- und disziplinarrechtliche Unbescholtenheit vermögen ein Verbleiben der Beklagten im Dienst zu rechtfertigen. Die darin liegende Härte für die Beklagte ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf dem ihr zurechenbaren vorangegangenen Verhalten, wobei das damit verbundene Risiko für sie vorhersehbar war. Aufgrund des endgültigen und vollständigen Vertrauensverlustes des Dienstherrn und der Allgemeinheit in die Person der Beklagten ist ihre Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zwingend erforderlich und angemessen.
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4.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.
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Annotations
(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.
(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.
(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.
(1) Beamtinnen und Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
(2) Bei Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamten oder früheren Beamtinnen mit Versorgungsbezügen und früheren Beamten mit Versorgungsbezügen gilt es als Dienstvergehen, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigen oder an Bestrebungen teilnehmen, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, oder wenn sie schuldhaft gegen die in den §§ 37, 41 und 42 bestimmten Pflichten verstoßen. Bei sonstigen früheren Beamtinnen und früheren Beamten gilt es als Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft gegen die in den §§ 37, 41 und 42 bestimmten Pflichten verstoßen. Für Beamtinnen und Beamte nach den Sätzen 1 und 2 können durch Landesrecht weitere Handlungen festgelegt werden, die als Dienstvergehen gelten.
(3) Das Nähere über die Verfolgung von Dienstvergehen regeln die Disziplinargesetze.
(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.
(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordern.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Die Einzelheiten nach den Sätzen 2 bis 4 können durch Landesrecht bestimmt werden. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.
(1) Beamtinnen und Beamte haben ihre Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Sie sind verpflichtet, deren dienstliche Anordnungen auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen. Dies gilt nicht, soweit die Beamtinnen und Beamten nach besonderen gesetzlichen Vorschriften an Weisungen nicht gebunden und nur dem Gesetz unterworfen sind.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei organisatorischen Veränderungen dem Dienstherrn Folge zu leisten.