Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 20. Juni 2017 - 19 E 6258/17

bei uns veröffentlicht am20.06.2017

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 15. Juni 2017 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2017 wird insoweit wiederhergestellt, als diese die Fläche der vom Antragsteller angemeldeten Veranstaltung mit dem Tenor „Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen“ gemäß der als Anlage 2 zur Antragsschrift beigefügten Skizze betrifft.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin, mit der u.a. die Durchführung der von ihm im Zeitraum vom 30. Juni bis 9. Juli 2017 geplanten Veranstaltung im Stadtpark („Antikapitalistisches Camp“) zeitweise verboten wird.

2

Der Antrag wird analog § 88 VwGO dahingehend verstanden, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 15. Juni 2017 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2017 lediglich insoweit begehrt, wie sich diese auf die Durchführung der vom Antragsteller geplanten Veranstaltung im Stadtpark bezieht. Prüfungsmaßstab eines Antrags ist die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung, soweit sie geeignet ist, die Rechte des Antragstellers zu betreffen (von Alemann/Scheffczyk in BeckOK, Bader/Ronellenfitsch, 35. Ed., Stand 1.4.2017, § 35 Rn. 272). Der Suspensiveffekt von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Allgemeinverfügungen wirken dabei stets nur relativ, d.h. nur für den jeweiligen Widerspruchsführer und nicht auch automatisch für andere Betroffene (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 35, Rn. 160).

3

Der so verstandene Antrag ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 VwGO statthaft. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist zulässig (1.) und begründet (2.).

4

1. Der Antrag ist insbesondere nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Zwar führt die Antragsgegnerin in einem am 12. Juni 2017 an den Bevollmächtigten des Antragstellers ergangenen Schreiben aus, es sei beabsichtigt, gegen den Beschluss des VG Hamburg vom 07.06.2017, 19 E 5697/17, noch an diesem Tage in die Beschwerde zu gehen. Die Frage, ob das Protestcamp als Versammlung zu behandeln sei, sei somit noch offen. Die am 9. Juni 2017 im Amtlichen Anzeiger 2017, S. 869 veröffentlichte versammlungsrechtliche Allgemeinverfügung entfalte somit noch keine Wirkung. Der Antragsteller hat aber gleichwohl mit Schreiben vom 15. Juni 2017 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung eingelegt. Die Antragsgegnerin hat dann auch mit einer ergänzenden Erklärung gegenüber dem Gericht am 16. Juni 2017 klargestellt, dass die Allgemeinverfügung die geplante Veranstaltung des Antragstellers erfasse. Der Antragsteller ist deshalb nicht darauf zu verweisen, den Ausgang des bislang noch offenen Beschwerdeverfahrens vor dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht (Az. 4 Bs 125/17) abzuwarten. Denn die Entscheidung der Kammer entfaltet so lange ihre Wirksamkeit, bis sie gegebenenfalls durch eine Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts aufgehoben wird. Allein das Einlegen der Beschwerde begründet gemäß § 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung.

5

Der Antragsteller ist auch antragsbefugt, da die von ihm geplante Veranstaltung vom örtlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Allgemeinverfügung umfasst wird. Das erkennende Gericht hält unter Berücksichtigung des ergänzenden Sachvortrags des Antragstellers im Beschwerdeverfahren vom 16. Juni 2017, der mit der Antragserwiderung der Antragsgegnerin vom 19. Juni 2017 überreicht wurde, sowie der Ausführungen der Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung vom 12. Juni 2017 an seiner Überzeugung fest, dass die vom Antragsteller geplante Veranstaltung unter den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG fällt. Insoweit wird auf die Ausführungen der Kammer im Beschluss vom 7. Juni 2017 (19 E 5697/17) verwiesen.

6

2. Der Antrag ist auch begründet. Zwar genügt die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Prüfung der Sach- und Rechtslage dürfte der Widerspruch des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 jedoch erfolgreich sein, weshalb das private Interesse des Antragstellers an der Durchführung der Veranstaltung im Stadtpark das öffentliche Interesse am Vollzug der Allgemeinverfügung überwiegt.

7

Die Allgemeinverfügung durfte zwar auf Grundlage von § 15 Abs. 1 VersG erlassen werden (a.). Auch dürften die versammlungsrechtlichen Regelungen in Form der Allgemeinverfügung formell rechtmäßig sein (b.). Die Allgemeinverfügung genügt jedoch nicht den materiell-rechtlichen Anforderungen (c.).

8

a. Rechtsgrundlagen für die erlassene Allgemeinverfügung sind Art. 8 GG, § 15 Abs. 1 VersG in Verbindung mit § 35 Satz 2 HmbVwVfG.

9

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

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Vorliegend bestehen – entgegen der Auffassung des Antragstellers – keine grundlegenden Bedenken dagegen, ein Versammlungsverbot im Wege der Allgemeinverfügung zu erlassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2168, juris, Rn. 17ff.; BVerfG, Beschl. v. 26.3.2001, 1 BvQ 15/01, NJW 2001, 1411, juris, Rn. 15ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 44ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 6.11.2004, NordÖR 2004, 490, juris, Rn. 13ff.). Eine Allgemeinverfügung ist nach § 35 Satz 2 HmbVwVfG ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

11

b. Die Allgemeinverfügung ist formell nicht zu beanstanden. Sie wurde ordnungsgemäß im Amtlichen Anzeiger der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2017 (S. 869) bekannt gemacht, ohne dass es des Abdrucks der Begründung bedurfte. Dass die Allgemeinverfügung nicht die Unterschrift des Leiters der Versammlungsbehörde trägt, sondern lediglich dessen Namenswiedergabe ist nach § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbVwVfG ausreichend.

12

c. Die Allgemeinverfügung genügt jedoch in materieller Hinsicht den (verfassungs-) rechtlichen Anforderungen nicht. Offen bleiben kann, ob die Allgemeinverfügung im Hinblick auf den hohen Stellenwert des Versammlungsgrundrechts nach Art. 8 Abs. 1 GG den Eingriffsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG genügt (aa.). Denn die Antragsgegnerin hat die notwendige Voraussetzung des polizeilichen Notstands nicht dargelegt (bb.).

13

aa. Es kann auf sich beruhen, ob die Allgemeinverfügung den Eingriffsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG genügt.

14

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt in dem Fall, in dem das Verbot der Versammlung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gestützt wird (§ 15 VersG), die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte voraus, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 1013, 570, juris, Rn. 17).

15

Zwar wird mit der Allgemeinverfügung – worauf die Antragsgegnerin ausdrücklich hinweist – nicht explizit ein Verbot von Versammlungen verfügt, sondern, dass Versammlungen in dem maßgeblichen Zeitraum nur außerhalb des umschriebenen Bereichs stattfinden dürfen (vgl. S. 2 und 3 der Allgemeinverfügung).

16

Unter Berücksichtigung des Umstands, dass dem Veranstalter einer Versammlung ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung zusteht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315, juris Rn. 61) und Art. 8 Abs. 1 GG auch das Interesse des Veranstalters auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen, also gerade durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort schützt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2168, juris, Rn. 23), kann die zeitliche und räumliche Beschränkung jedoch einem Verbot gleichzusetzen sein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2168, juris, Rn. 30; VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 54).

17

Zumindest in Bezug auf das vom Antragsteller geplante Camp im Stadtpark dürften die Bestimmungen der Allgemeinverfügung ein zeitweises Verbot darstellen, da mit der teilweisen Untersagung die Gesamtkonzeption des Camps als stationäre Dauerkundgebung, die gerade während des G20-Gipfels stattfinden soll, in Frage gestellt wird. Mögliche geeignete Ausweichflächen für das Camp sind im Hinblick auf den zeitlichen und räumlichen Bedarf nicht ersichtlich. Somit dürfte unbeachtlich sein, dass der Antragsteller in seiner Beschwerdeerwiderung vom 16. Juni 2017 in dem Verfahren 4 Bs 125/17 erklärt hat, dass die Meinungskundgabe auch an einem anderen Ort stattfinden könnte, der über ähnliche Voraussetzungen verfügt.

18

Nach § 15 Abs. 1 VersG ist grundsätzlich erforderlich, dass von einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch die im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung stattfindenden angemeldeten oder unangemeldeten Versammlungen auszugehen ist. Ob dies der Fall ist, kann offen bleiben.

19

Zwar bestehen vorliegend insbesondere für den zwischen dem Veranstaltungsort (Messehallen) und dem Flughafen liegenden Bereich erhebliche Zweifel, ob die von der Antragsgegnerin geschilderten Gefahren im Zusammenhang mit Versammlungen stehen. Die Antragsgegnerin hat für dieses – den größten Teil der Allgemeinverfügung ausmachende – Areal, lediglich vier angemeldete Versammlungen aufgeführt: am 7. Juli 2017 der Aufzug „Solidarität statt G20!“, der vom Hachmannplatz über den Jungfernstieg zum Allende-Platz führen soll, sowie für den 7. und 8. Juli 2017 die Versammlungen „Welcome China“ mit jeweils 15 Teilnehmern in der Moorweidenstraße und der Tesdorpfstraße vor dem Elysee Hotel und das Camp des Antragstellers im Stadtpark.

20

Aufgrund des Vortrags der Antragsgegnerin und unter Berücksichtigung der von dieser zugrunde gelegten Quellen ist derzeit überdies nicht ersichtlich, dass mit einer großen Anzahl weiterer Versammlungen im „Transferkorridor“ zu rechnen ist. Das erkennende Gericht zweifelt daher nach derzeitigem Erkenntnisstand daran, ob tatsächlich für den Bereich des „Transferkorridors“ die von der Antragsgegnerin beschriebene Gefahr droht, dass aus einer Versammlung heraus Gewalttaten verübt werden, demonstrative Blockaden drohen oder mit Zulauf von Gewalttätigen bzw. Personen mit Blockadeabsicht zu friedlichen Demonstrationen zu rechnen sei.

21

Schließlich sind dem Gericht bislang keine tatsächlichen Anhaltspunkte benannt worden, die zu einer belastbaren Gefahrenprognose im Hinblick auf das vom Antragsteller angemeldete Protestcamp führen. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen der Begründung der Allgemeinverfügung bislang lediglich pauschal behauptet, dass bezüglich der angemeldeten Camps zu erwarten sei, dass sich die Teilnehmer aus Kreisen linksalternativer sowie linksextremistischer Strukturen zusammensetzen werden. Erfahrungen aus vergangenen Camps würden belegen, dass aus diesen heraus Straftaten begangen und diese anschließend als Rückzugsorte genutzt wurden. Eine entsprechende Vorgehensweise sei auch anlässlich der G20-Proteste zu erwarten. Insbesondere das angemeldete G20-Camp im Stadtpark sei aufgrund der geografischen Lage und der erwarteten Teilnehmerzahl als Ausgangspunkt z.B. für Blockadeversuche der Protokollstrecken anzusehen (vgl. S. 53 der Allgemeinverfügung). Woraus sich diese Einschätzung der Antragsgegnerin ergibt, ist für das Gericht derzeit nicht nachprüfbar. Weder die im Internet veröffentlichte Karte mit möglichen Blockadepunkten in der Nähe des Stadtparks (vgl. die Ausführungen in Fn. 30 auf Seite 53 der Allgemeinverfügung) noch die Zitate von der Internetseite g20-camp.de, in denen zur Blockade aufgerufen wird (vgl. S. 34 der Allgemeinverfügung), lassen sich derzeit dem Antragsteller zurechnen. In Bezug auf die Karte ist bereits nicht ersichtlich, wer diese veröffentlicht hat und welcher Zusammenhang zu dem vom Antragsteller angemeldeten Camp besteht. Die erwähnte Internetseite hingegen ist diejenige von den Veranstaltern des geplanten Camps im Altonaer Volkspark.

22

Es kommt in diesem Zusammenhang jedoch gar nicht darauf an, ob der Antragsteller selbst in der Vergangenheit versammlungsspezifische Rechtsverletzungen zu verantworten hatte oder solche von ihm drohen. Vorliegend ist auch nicht entscheidend, ob von der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Denn die Allgemeinverfügung betrifft nicht nur den Antragsteller, sondern alle Demonstrationsteilnehmer in dem 38 km² großen Gebiet, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt daher auf eine Gesamtbetrachtung an. Im Rahmen einer solchen ist zu prüfen, ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen Aktionen im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erwarten ist (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 52).

23

Zunächst ist festzustellen, dass die Antragsgegnerin selbst von einem überwiegend friedlichen Verlauf der gegen den G20-Gipfel zu erwartenden Proteste ausgeht (vgl. Hamburger Abendblatt v. 16.6.2017, S.11). Die Kammer verkennt aber nicht, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass es zumindest am sog. Aktionstag (7.7.2017) zu umfangreichen – auch rechtswidrigen – Blockaden im Stadtgebiet kommen kann. Hierauf dürften die von der Antragsgegnerin vorgelegten, auf den konkreten Anlass bezogenen Aufrufe im Internet (vgl. S. 27ff. der Allgemeinverfügung) hinweisen. Die Blockaden, die nicht zeitnah aufgelöst werden können, könnten zum einen, wie von der Antragsgegnerin nachvollziehbar beschrieben (vgl. S. 43ff. der Allgemeinverfügung) eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben der Staatsgäste, der Blockierer selbst oder auch unbeteiligter Dritter hervorrufen. Zum anderen wäre es denkbar, dass umfangreiche Blockadeaktionen die Funktionsfähigkeit des G20-Gipfels beeinträchtigen, weil beispielsweise Gipfelteilnehmer aufgrund der unübersichtlichen Sicherheitslage abreisen (vgl. S. 50 der Allgemeinverfügung).

24

Letztlich kann aber dahin stehen, ob die Antragsgegnerin eine belastbare Gefahrenprognose im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG getroffen hat.

25

bb. Denn die möglicherweise zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit dürften nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen rechtfertigen. Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlich verlaufenden Versammlungen im räumlichen Geltungsbereich gerichtet ist, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Antragsgegnerin bei Erlass der Verfügung zulässigerweise vom Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands ausgehen durfte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 17; BVerfG, Beschl. v. 26.3.2001, 1 BvQ 15/01, NJW 2001, 1411, juris, Rn. 19; VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 54). Durch die Allgemeinverfügung wird auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht haben, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten, zu beteiligen. Die Antragsgegnerin selbst geht in der Begründung der Allgemeinverfügung davon aus, dass auch Nichtstörer Adressaten der Verfügung sein können (vgl. S. 56 der Allgemeinverfügung).

26

Es ist nicht ersichtlich, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ohne den Erlass der streitbefangenen Allgemeinverfügung wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der angemeldeten und unangemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre. Eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.9.2009, 1 BvR 2147/09, NJW 2010,141, juris, Rn. 9; OVG Hamburg, Beschl. v. 11.9.2015, 4 Bs 192/15, S. 8 BA).

27

In diesem Rahmen hat die Antragsgegnerin unter Zugrundelegung der überzeugenden Ausführungen des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 11.9.2015, 4 Bs 192/15, S. 8ff. BA), zunächst auszuführen, wie viele Polizeibeamte zum Schutz der Durchführung aller durch die Allgemeinverfügung verbotenen friedlichen Versammlungen notwendig wären und diese Zahl dann mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden Beamten zu vergleichen. Die Antragsgegnerin müsste ggf. nachweisen, dass und in welchem Umfang sie sich im Wege der Amtshilfe nach Art. 35 GG an die Behörden der anderen Länder und des Bundes gewandt hat und in welchem Maße diesem Ersuchen entsprochen wurde. Darzulegen wäre schließlich für den Fall, dass dem Amtshilfeersuchen nicht vollständig entsprochen wurde, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit in den jeweiligen Ländern und aufgrund welcher konkreter, gegenüber einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestellt wurden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 21; vgl. zu den Anforderungen an die Darlegungspflicht auch VGH München, Beschl. v. 29.4.2010, 10 CS 10.1040, juris, Rn. 16).

28

Eine Darlegung des polizeilichen Notstands, die diesen Anforderungen genügt, nimmt die Antragsgegnerin nicht vor. Die Antragsgegnerin deutet in der Begründung der Verfügung lediglich indirekt das mögliche Vorliegen eines polizeilichen Notstands an:

29

„Die beschriebenen Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit von Schutzpersonen, Versammlungsteilnehmern, Polizeikräften und unbeteiligten Dritten könnten auch unter Heranziehung von landes- und bundesweit verfügbaren Polizeikräften nicht abgewehrt werden.“ (S. 56)

30

„Es ist zu berücksichtigen, dass ein Großteil der maximal zur Verfügung stehenden Kräfte bereits andere Schutzmaßnahmen [s. hierzu die Erläuterungen auf S. 8] zu gewährleisten hat: Diese ergeben sich im Zusammenhang mit angekündigten Aktionen und Blockaden auch außerhalb von angemeldeten Versammlungen, den erforderlichen Schleusungen und Lotsungen, aus der Absicherung der Sicherheitszonen und der Unterbringungshotels, Gewährleistung der kriminalpolizeilichen Abarbeitung, der erforderlichen polizeilichen Aufklärung sowie Gewährleistung von Raum- und Streckenschutz, Objektschutz sonstiger Reizobjekte, verkehrssichernder und –lenkender Maßnahmen, Absicherung und Maßnahmen am Flughafen sowie im Hafen und sonstigen Wasserstraßen, Bereithaltung von Eingreif- und Interventionskräften, Luftsicherung und Begleitung von Versammlungen.

31

Das Erfordernis der zusätzlichen Begleitung und Absicherung im Hinblick auf beabsichtigte oder faktische Blockaden durch Versammlungen in den von dieser Verfügung umfassten Bereichen würde dazu führen, dass ein erforderliches Agieren und Reagieren auf massenhafte Störer (inklusive Blockierer) an diversen Örtlichkeiten kaum mehr möglich wäre.“ (S. 58)

32

„Die Polizei Hamburg hat für den G20-Gipfel die maximal zur Verfügung stehenden Polizeikräfte im Bund und bei den übrigen Bundesländern angefordert. Selbst wenn dieser Anforderung in Gänze entsprochen werden würde (beim G7-Gipfel in Elmau waren etwa 18.000 Beamte tätig) ist angesichts der vielfältigen Aufgabenbereiche, in denen die Polizeikräfte einzusetzen sind, ein derart starkes Aufgebot zur Bewältigung der ohne diese Verfügung zu erwartenden Masse von blockierenden (mit Blockadeabsicht oder durch faktische Herbeiführung) sowie gewaltbereiten Versammlungsteilnehmern nicht erreichbar.“ (S. 59)

33

Konkrete Zahlen zu den benötigten Polizeikräften im räumlichen und zeitlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung sowie eine Begründung, woraus sich diese Zahlen ergeben, werden nicht vorgetragen.

34

Auf eine ausdrückliche Aufforderung des Gerichts, zu den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands weiter vorzutragen, führt die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 19. Juni 2017 aus, dass aufgrund der Bandbreite der zu erwartenden Widerstandsformen gegen den G20-Gipfel mit einer Vielzahl von agierenden Personen und Personengruppen und mit deren Vermengung zu rechnen ist. Eine Trennung bzw. Differenzierung zwischen Störern und Nichtstörern werde in diesen Situationen selbst bei einem theoretisch maximalen Kräfteeinsatz nicht mehr möglich sein. Eine Angabe zu den speziell im „Transferkorridor“ zur Verfügung stehenden Kräften erübrige sich somit. Sie wäre jedoch aus Gründen der Geheimhaltung von taktischen Belangen und zum Schutz von Leib und Leben von Einsatzkräften und Dritten jedenfalls nicht in einem öffentlichen Verfahren vorstellbar.

35

Die Kammer hätte zwar grundsätzlich die Möglichkeit, die Vorlage ggf. vorhandener Informationen durch Beweisbeschluss zu erzwingen und im Fall der Abgabe einer expliziten Sperrerklärung von Seiten der Behörde ein „in-camera“-Verfahren nach § 99 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO durchzuführen. Da sich dem Gericht aufgrund der pauschalen Ausführungen der Antragsgegnerin jedoch schon nicht erschließt, ob entsprechende Unterlagen, die den o.g. Anforderungen genügen, bei ihr überhaupt vorliegen, kann die Frage dahinstehen, ob ein solches Verfahren aufgrund des Erfordernisses der kurzfristigen Verfügbarkeit der Unterlagen im Eilverfahren überhaupt in Betracht kommt (vgl. auch VG Berlin, Beschl. v. 30.4.2010, 1 L 112.10, juris, Rn. 20).

36

Die Antragsgegnerin hat damit einen polizeilichen Notstand nicht im hinreichenden Maße dargelegt, sondern lediglich pauschal behauptet. Allein in dem Umstand, dass die Polizei möglicherweise derzeit noch nicht hinreichend einschätzen kann, durch welche der grundsätzlich friedlich und gewaltfrei angelegten Versammlungen eine Gefahr droht, indem diese etwa eine faktische Blockade bilden oder als Zulaufpunkt für unfriedliche Blockierer dienen, und welche konkreten Kräfte zur Eindämmung dieser Gefahren erforderlich sind, sieht die Kammer entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin keinen Zustand, der sich als polizeilicher Notstand darstellt. Die bloße Vermutung des Inhalts, dass wegen der Vielzahl der zu erwartenden Widerstandsformen gegen den G20-Gipfel eine Differenzierung zwischen Störern und Nichtstörern selbst bei einem theoretisch maximalen Kräfteeinsatz nicht mehr möglich sein werde (vgl. die Ausführungen in der Antragserwiderung), sind jedenfalls dafür nicht ausreichend, da nicht ersichtlich ist, auf welcher faktischen Grundlage diese Behauptung getroffen wurde.

37

Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, die Darlegungspflichten im vorliegenden Fall herabzusetzen. Die rechtliche Möglichkeit, gegen völlig unbeteiligte Dritte mit belastenden Maßnahmen vorzugehen, markiert eine Grenzlinie rechtsstaatlichen Polizeirechts. Die Einhaltung der Grenzen ist entsprechend strikt zu überwachen (vgl. Denninger in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, E 138).

38

3. Das Gericht hat davon abgesehen, das vorliegende Eilverfahren gemäß § 94 VwGO - wie von der Antragsgegnerin beantragt - bis zu einer Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts im Verfahren 4 Bs 125/17 auszusetzen. Zwar ist in dem dortigen Verfahren die vorgreifliche Rechtsfrage zu beantworten, ob es sich bei dem Protestcamp um eine Versammlung handelt, die in den Schutzbereich des Art. 8 GG fällt. Sollte das Hamburgische Oberverwaltungsgericht der Auffassung sein, dass das Protestcamp keine solche Versammlung darstellt, wäre es nicht von der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 betroffen und es entfiele das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an der Durchführung des vorliegenden Verfahrens. Da aber mit dem Aufbau des Camps in wenigen Tagen - am 26. Juni 2017 - begonnen werden soll und noch ungewiss ist, wann eine Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts ergehen wird und ob sich der Antragsteller bei einem für ihn ungünstigen Ausgang an das Bundesverfassungsgericht wenden wird, übt das Gericht sein Ermessen nach § 94 VwGO dahin aus, mit einer Entscheidung im vorliegenden Eilverfahren nicht länger zuzuwarten.

39

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

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bei uns veröffentlicht am 20.12.2012

Tenor 1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerde
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 20. Juni 2017 - 19 E 6258/17.

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 03. Juli 2017 - 4 Bs 142/17

bei uns veröffentlicht am 03.07.2017

Tenor Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 27. Juni 2017 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gründe I. 1 Der Antragsteller begehrt

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Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Durchführung der Veranstaltung mit dem Tenor „Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen“ gemäß der Anmeldung des Antragstellers vom 24. April 2017 (Anlage 1 zur Antragsschrift) auf der großen Wiese (Festwiese) des Stadtparks (gemäß als Anlage 2 zur Antragsschrift beigefügter Skizze), die vom 30. Juni 2017 bis zum 9. Juli 2017 in der Form eines politischen Protestcamps mit bis zu 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt werden wird, zu dulden.

2. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Aufbau des Camps ab dem 23. Juni 2017 und dessen Abbau bis zum 11. Juli 2017 zu dulden.

3. Die Wirkung der einstweiligen Anordnung zu Ziffern 1 und 2 erlischt mit der Bekanntgabe eines auf diese Veranstaltung bezogenen versammlungsrechtlichen Bescheids gegenüber dem Antragsteller.

4. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

5. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist Anmelder und vorgesehener Leiter einer vom 30. Juni bis 9. Juli 2017 im Stadtpark geplanten Veranstaltung („Antikapitalistisches Camp – Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen“).

2

Am 7. und 8. Juli 2017 werden in den Hamburger Messehallen und in der Hamburger Innenstadt die Staats- und Regierungschefs der Gruppe der 20 größten Industrie- und Schwellenländer zusammentreffen (G20-Gipfel).

3

Mit Schreiben vom 24. April 2017 meldete der Antragsteller bei der Antragsgegnerin (Polizei, FLD 24 Versammlungsbehörde) folgende Veranstaltung an: Versammlung mit dem Tenor „Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen“; Veranstalter: „Antikapitalistisches Camp“. Zur Beschreibung wurde ausgeführt, die Versammlung beginne am 30. Juni 2017 und ende am 9. Juli 2017. Sie werde als Dauerkundgebung auf dem Gelände des Stadtparks stattfinden. Dem Anmeldungsschreiben beigefügt war eine Übersicht (vgl. Bl. 19 der Akte), aus der der Aufbau des Camps ersichtlich ist. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Anmeldungsschreiben einschließlich der Skizze verwiesen (Bl. 15ff. der Akte).

4

Mit Schreiben vom 25. April 2017 teilte die Antragsgegnerin mit, dass es sich bei der gewählten Örtlichkeit um eine öffentliche Fläche handele, die durch ein gesondertes Gesetz geschützt sei (§ 4 Abs. 2 Gesetz über die Grün- und Erholungsanlagen - GrAnlG). Demnach sei das Bezirksamt im Rahmen seines Genehmigungsverfahrens originär zuständig. Grün- und Erholungsanlagen unterlägen gemäß § 1 GrAnlG der dort verankerten Zweckbestimmung. Die Versammlungsbehörde könne nicht über diese Flächen im Rahmen der Konzentrationsmaxime verfügen. Nur das zuständige Bezirksamt könne einen Antrag auf Sondernutzung im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens erteilen oder ablehnen. Sobald diese Erlaubnis vorläge, könne ein Termin für ein Kooperationsgespräch vereinbart werden.

5

Am 2. Mai 2017 fand im Bezirksamt Hamburg-Nord ein Gespräch mit der Antragsgegnerin statt. Wegen der Einzelheiten des Gesprächs wird auf den Gesprächsvermerk der Antragsgegnerin verwiesen, der sich im Wesentlichen mit dem Vortrag des Antragstellers zum Inhalt des Gesprächs deckt (vgl. Bl. 6f. des Verwaltungsvorgangs).

6

Mit Schreiben vom 3. Mai 2017 erklärte der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin (Polizei), dass er die im Schreiben vom 24. April 2017 geäußerte Auffassung bezüglich der Zuständigkeit für unzutreffend halte. Es werde an der bisherigen Form der Anmeldung festgehalten und gefordert diese zu bestätigen oder einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben des Antragstellers verwiesen (Bl. 21b ff. der Akte).

7

Eine Reaktion der Antragsgegnerin auf dieses Schreiben erfolgte nicht.

8

Mit Schreiben vom 12. Mai 2017 untersagte die Antragsgegnerin (Bezirksamt Hamburg-Nord) dem Antragsteller vorsorglich, in der Zeit vom 23. Juni bis 11. Juli 2017 auf dem Gelände des Hamburger Stadtparks das angedachte Camp für ca. 10.000 Personen durchzuführen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben verwiesen (Bl. 23f. der Akte).

9

Am 24. Mai 2017 legte der Antragsteller Widerspruch gegen das Schreiben der Antragsgegnerin vom 12. Mai 2017 ein. Am selben Tag hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Hamburg um Eilrechtsschutz nachgesucht und diesen mit Schriftsatz vom 6. Juni 2017 ergänzend begründet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze verwiesen (Bl. 1ff. und Bl. 141ff. der Akte).

10

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

11

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Vorbereitung, den Aufbau und die Durchführung der Versammlung mit dem Tenor „Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen“ gemäß der Anmeldung des Antragstellers vom 24.4.2017 (Anlage 1) auf der großen Wiese (Festwiese) des Hamburger Stadtparks (gemäß als Anlage 2 beigefügter Skizze), die vom 30.6.2017 bis zum 9.7.2017 in der Form eines politischen Protestcamps mit bis zu 10.0000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt werden wird, sowie den am 23.6.2017 beginnenden Aufbau und den bis zum 11.7.2017 erfolgenden Abbau, zu dulden.

12

Die Antragsgegnerin beantragt,

13

den Antrag abzulehnen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze, einschließlich des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom heutigen Tage und den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin (Bezirksamt Hamburg-Nord) verwiesen, die bei der Entscheidung vorlagen.

II.

15

Klarstellend ist zunächst festzustellen, dass es sich bei der Freien und Hansestadt Hamburg lediglich um eine Antragsgegnerin handelt, die erstens durch die Behörde für Inneres und Sport und zweitens durch das Bezirksamt Hamburg-Nord vertreten wird.

16

Der Antrag ist als Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft.

17

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung).

18

Der Antragsteller ist nicht gemäß § 123 Abs. 5 VwGO auf ein Verfahren nach §§ 80, 80a VwGO zu verweisen. Zwar hat die Antragsgegnerin mit der vorbeugenden (grünanlagenrechtlichen) Untersagungsverfügung einen belastenden Verwaltungsakt erlassen und mit diesem zum Ausdruck gebracht, dass sie die angemeldete Veranstaltung für genehmigungsbedürftig hält. Zum einen hat der Antragsteller aber mit seinem am 24. Mai 2017 erhobenen Widerspruch die Wirkung der nicht für sofort vollziehbar erklärten Verfügung zunächst aufgeschoben (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO), sodass es für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kein Rechtsschutzbedürfnis gäbe. Zum anderen begehrt der Antragsteller gerade die Behandlung der angemeldeten Veranstaltung als Versammlung mit der Folge, dass eine Genehmigung nicht erforderlich ist und eine Untersagungsverfügung lediglich unter den besonderen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) zulässig wäre. Damit streiten die Beteiligten über ein konkretes Rechtsverhältnis im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.11.1993, 3 C 45/91, BVerwGE 94, 269, juris Rn. 23; VGH München, Urt. v. 30.8.2000, 22 B 00.1833, juris Rn. 32), mit der Folge, dass die begehrte Regelungsanordnung statthafte Antragsart ist.

19

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

20

Dabei hat der Antragsteller sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Maßgebend hierfür sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 123 Rn. 54 m.w.N.).

21

Der Antragsteller hat eine besondere Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Der Zeitraum, in dem die angemeldete Veranstaltung stattfinden soll, steht unmittelbar bevor. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die angemeldete Veranstaltung aufgrund der geplanten Durchführung und Größe einen erweiterten Planungsvorlauf benötigt, um u.a. die notwendige Infrastruktur zu schaffen.

22

Die Antragsteller haben – nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse – auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, §§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 ZPO. Dem Gericht verbleiben zwar nach dem bisherigen Vortrag des Antragstellers Zweifel daran, ob das beantragte Camp in seinem Gesamtgepräge vom Schutz der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG erfasst ist. Diese Zweifel sind jedoch im Sinne der Versammlungsfreiheit aufzulösen. Auch handelt sich bei dem Stadtpark um einen Ort allgemeiner öffentlicher Kommunikation, an dem die Ausübung der Versammlungsfreiheit verbürgt ist (1.). Der Auf- und Abbau des Camps sind als versammlungsrechtliche Vor- und Nachwirkung ebenfalls über Art. 8 Abs.1 GG geschützt (2.). Die im einstweiligen Anordnungswege erlassene Duldung entfaltet jedoch nur so lange ihre Wirksamkeit, bis die zuständige Versammlungsbehörde ggf. versammlungsrechtliche Auflagen bzw. andere Regelungen nach § 15 VersG erlässt (3.).

23

1. Nach den derzeitigen Erkenntnissen des Gerichts bestehen zwar Zweifel, ob das vom Antragsteller angemeldete Protestcamp dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG unterfällt. Diese Zweifel sind jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen zu Gunsten des Antragstellers aufzulösen.

24

Versammlungen im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG sind örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, BVerfGE 104, 92, juris Rn. 41). Der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen. Allerdings reicht es für die Eröffnung des Schutzbereichs des Grundrechts nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer gemeinschaftlichen kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vielmehr muss die Zusammenkunft gerade auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, BVerfGE 104, 92, juris Rn. 40). Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen fallen hingegen ebenso wenig in den Schutzbereich wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen und die als eine auf Spaß und Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.7.2001, 1 BvQ 28/01 u. 30/01 -, NJW 2001, S. 2459, juris Rn. 22). Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, gewährleistet das Grundrecht den Grundrechtsträgern so nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315, juris Rn. 61). Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen - gegebenenfalls auch in Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen - am wirksamsten zur Geltung bringen können (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, juris Rn. 64). Auf das Niveau der Veranstaltung und des Beitrags zur Meinungsbildung kommt es dabei nicht an. Denn die Versammlungsfreiheit gewährleistet insbesondere Minderheitenschutz und verschafft auch denen Möglichkeit zur Äußerung in einer größeren Öffentlichkeit, denen der direkte Zugang zu Medien versperrt ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.7.2001, 1 BvQ 28/01 u. 30/01, NJW 2001, 2459, juris Rn. 19).

25

Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob eine derart gemischte Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.7.2001, 1 BvQ 28/01 u. 30/01, NJW 2001, S. 2459; BVerwG, Urt. v. 16.5.2007, 16 C 23/06, BVerwGE 129, 42). Die Beurteilung, ob eine gemischte Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Dabei sind zunächst alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Sodann sind die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten, wie etwa Übernachtungs-, Sanitär- und Verpflegungsinfrastruktur, zu würdigen und zu gewichten und die unterschiedlichen Elemente zueinander in Beziehung zu setzen.

26

Die Gesamtschau aller Umstände, die wegen ihrer unmittelbaren Grundrechtsrelevanz vom Gericht überprüfbar ist, lässt zum jetzigen Zeitpunkt keinen eindeutigen Schwerpunkt des Camps erkennen.

27

Zwar liegt dem Camp nach der dem Gericht vorliegenden Anmeldung und den ergänzenden Erläuterungen des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren ein Gesamtkonzept zugrunde, das gewichtige Elemente der öffentlichen Meinungskundgabe enthält. Es ist Bestandteil des Protests in Hamburg gegen den parallel stattfindenden G20-Gipfel und weist an sich – wie auch die Antragsgegnerin zugesteht – Elemente auf, denen unmittelbare funktionale Bedeutung für mögliche an die Öffentlichkeit gerichtete Kundgebungen beigemessen werden kann. Hierzu zählt die aus der Skizze ersichtliche große Bühne, die sich auf einer Fläche von 50x200 m befindet, die nicht für Wohnzelte vorgesehen ist, und auf der – unterstützt mit einer Lautsprecheranlage – Kundgebungen für mehrere Hundert Menschen stattfinden sollen. Auf dieser Bühne sollen vormittags Kundgebungen zur aktuellen Situation stattfinden und an den Nachmittagen des 1. und 3. Juli 2017 die Theateraufführungen „Asyl-Dialog“ und „NSU-Monologe“ (vgl. zum Versammlungscharakter politischer Theatervorführungen v. Münch/Kunig, Grundgesetz, 6. Aufl. 2012, Art. 8 Rn. 17). Unmittelbare Bedeutung für die öffentliche Meinungskundgabe kommen auch den in den Veranstaltungszelten (Zirkuszelt und Workshop-Zelt 1) sowie den im Workshop-Zelt 2 vom 5.-7.Juli 2017 geplanten Inhalten zu (vgl. zum Versammlungscharakter einer Veranstaltung bei der Dokumentarfilme gezeigt werden BVerfG, Urt. v. 27.10.206, 1 BvR 458/10, NVwZ 2017, 461, juris Rn. 117).

28

Schließlich sind eine große Transparentwand sowie die in den einzelnen Abschnitten des Camps geplanten Transparente, Fahnen, Stellschilder und Plakate als Beitrag zur kollektiven Meinungskundgabe zu berücksichtigen. Die im Rahmen des Camps angekündigte Bandbreite der Themen der Veranstaltungen (u.a. EU-Grenzregime, G20 und Grenzpolitik, Geschlechterrollen und Staat, Queerfeministische Perspektiven auf G20, Islamophobie und Muslim-Ban UK/USA, Islamophobie in Deutschland, Energie und Klima, Proteste von Geflüchteten in Deutschland, Das Mietshäusersyndikat, Globale Gerechtigkeit und Landwirtschaft, Solidarische Landwirtschaft, Urban Gardening) widerspricht dem gemeinsamen Zweck der Veranstaltung nicht. Sie findet ihre Entsprechung in den im Rahmen des G20-Gipfels behandelten vielfältigen Themen (vgl. https://www.g20.org/ Content/DE/_Anlagen/G7_G20/2016-g20praesidentschaftspapierde.pdf;jsessionid=597BDA4 A97B88A674A94BB1161BD06F3.s3t1?__blob=publicationFile&v=5, abgerufen am 7.6.2017).

29

Der Antragsteller hat das Camp als politisches Camp angemeldet und ruft entsprechend im Internet dazu auf. So heißt es auf der Internetseite, der Ort verstehe sich als Gegenkonzept zur kapitalistischen Gesellschaft. Das Protestcamp solle nicht nur Schlafplätze bieten, sondern werde als solches schon eine Protestform gegen den Gipfel und das von ihm repräsentierte System darstellen (vgl. Bl. 79R der Akte). Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ist nicht ersichtlich, dass die Meinungskundgabe nur beiläufiger Nebenakt des Camps ist. Im Gegensatz zu den in den zitierten Entscheidungen (vgl. u.a. VGH Mannheim, Urt. v. 14.4.2005, 1 S 2362/04, VBlBW 2005, 431, juris Rn. 32; VG Hamburg, Beschl. v. 14.8.2002, S. 5f. der BA; VG Karlsruhe, Urt. v. 14.2.2001, 4 K 3227/00) zugrunde liegenden Sachverhalten soll das Camp – nach dem derzeitigen Erkenntnisstand des Gerichts – nicht allein oder schwerpunktmäßig Ausgangsbasis für die Teilnahme an sonstigen im Stadtgebiet oder der Umgebung stattfindenden Versammlungen sein, sondern es soll selbst Ausdruck der Meinungsbildung und Kundgabe sein.

30

Schon allein mit der Errichtung und der optischen Präsenz des Camps an dem vorgesehenen Ort soll nach dem Vortrag des Antragstellers eine kollektive Meinungsäußerung verbunden sein (den Versammlungscharakter bejahend in diesen Fällen OVG Münster, Beschl. v. 23.9.1991, 5 B 2541/91, NVzW-RR 1992, S. 360, juris Rn. 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 21.4.1989, 7 C 50/88, BVerwGE 82, 34, juris Rn. 13). Dagegen spricht nicht, dass der von dem Antragsteller gewählte Veranstaltungsort sich in ca. 4,5 km Entfernung von den Orten der Zusammenkunft der G20-Delegationen befindet und nur für die Besucher des Stadtparks sichtbar wäre. Der Antragsteller hat die Wahl des Veranstaltungsorts u.a. damit begründet, dass er zentral in der Stadt liege und eine gute Außenwirkung habe. Er habe die notwendige Größe für die geplante Zahl der Teilnehmer und sei gut erreichbar. Er liege außerhalb der Sicherheitszonen und ermögliche das Kommen und Gehen ohne permanente polizeiliche Kontrolle. Aufgrund der von der Antragsgegnerin ausgewiesenen Gefahrenzonen während des Gipfels sowie weiterer Gebiete, in denen möglicherweise Großversammlungen nur eingeschränkt zugelassen werden sollen (vgl. z.B. zu einer „blauen Zone“ http://www.abendblatt.de/hamburg/article210195957/Polizei-will-G20-Grossdemo-in-der-City-verhindern.html, abgerufen am 2.6.2017), kann durchaus auch in der möglichst störungsfreien Durchführung der Veranstaltung ein wirksames zur Geltung bringen des Anliegens zu sehen sein. Überdies muss der Veranstalter nicht etwa die „Schlüssigkeit“ des gewählten Versammlungsorts nachweisen (vgl. VGH München, Beschl. v. 17.4.2017, 10 CE 17.751, juris Rn. 9). Bei einer Versammlung geht es auch darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.12.2010, 1 BvR 1402/06, NVwZ 2011, 422, juris Rn. 19; BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315).

31

Gleichwohl könnte aufgrund der für die bis zu 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer vorzuhaltenden Infrastruktur zumindest phasen- und abschnittsweise die ebenfalls im Aufruf kommunizierten Zwecke der Veranstalter, allen Protestierenden die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie benötigen, d.h Verpflegung, Ruhe, einen Ort für Vernetzung und gemeinsames Lernen, überwiegen (vgl. Bl. 79R der Akte). Dies ergibt sich nicht zuletzt aufgrund der schieren Anzahl der für die große Teilnehmerzahl erforderlichen Zelte (rd. 3.000) und sanitären Anlagen, die auf einer Fläche von über 100.000 m² aufgestellt werden sollen. Ebenfalls keinen unmittelbaren Zusammenhang zur öffentlichen Meinungskundgabe dürfte den abendlichen Konzerten auf der großen Bühne sowie den Sportangeboten zukommen. Zwar kann auch dem gezielten Einsatz von Musik und Tanz zur kommunikativen Entfaltung, um auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken Versammlungscharakter, zukommen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.2016, 1 BvR 458/10, NVwZ 2017, 461, juris Rn. 111). Das Gleiche gilt unter bestimmten Umständen für das Vortragen politischer Lieder (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 26.1.1998, 1 S 3280/96, NVwZ 1998, 761 juris Rn. 37). Entsprechendes ist im Fall der vom Antragsteller geplanten Konzerte jedoch nicht vorgetragen worden. Auch lässt sich den Themen der Vormittags-Workshops im Zelt 2 in der Zeit vom 1.-4. Juli 2017 zu Themen wie „First Aid“ und „Wie moderiere ich ein Plenum“ kein unmittelbarer Versammlungszweck entnehmen. Zweifel an der öffentlichen Meinungskundgabe ergeben sich schließlich daraus, dass ein Großteil der geplanten Veranstaltungen in Zelten und damit wohl nicht unter freiem Himmel stattfinden soll. Maßgeblich ist dabei nicht das Vorhandensein einer Überdachung, sondern vielmehr, dass die Menschenansammlung nicht in einem zur Seite hin offenen und für jedermann unkontrolliert zugänglichen Raum stattfindet (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, juris Rn. 76ff.; Schulze-Fielitz in Dreier, Grundgesetz, 3. Aufl. 2013; Art. 8 Rn. 66; Benda in BK-GG, 73. Lfg. Mai 1995, Art. 8 Rn. 66).

32

Werden die unterschiedlichen Elemente der Versammlung zueinander in Beziehung gesetzt, ist entscheidend, dass der untersagten Veranstaltung ein Gesamtkonzept zu Grunde liegt (vgl. zur Maßgeblichkeit des Gesamtkonzepts BVerfG, Beschl. v. 27.10.2016, 1 BvR 458/10, NVwZ 2017, 461, juris Rn. 115, 118). Der Antragsteller hat ein einheitliches Camp, zusammengesetzt aus unterschiedlich gestalteten Einheiten unter einem gemeinsamen Motto angekündigt, zu der neben der Meinungskundgabe maßgeblich auch das Aufstellen von Zelten und die vorgelebte antikapitalistische Lebensweise gehören. Die Größe des Camps ist dabei auch in einem Gesamtzusammenhang mit der Größe und Bedeutung des G20-Gipfels zu sehen, gegen den sich das Camp richtet, sowie mit der Größe und Anzahl der im Übrigen angekündigten Demonstrationen im Stadtgebiet, für die mit über 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus ganz Europa gerechnet wird.

33

Gleichwohl ist ein eindeutiges Gepräge des Camps nicht sicher festzustellen. Zwar dürfte einem durchschnittlichen Beobachter der meinungsbekundende Charakter des Camps nicht entgehen. Die Meinungskundgabe auf dem und durch das Camp ist nach dem Vortrag des Antragstellers nicht nur beiläufiger Nebenakt. Die geplante Infrastruktur und das vorgesehene Programm tragen jedoch auch deutliche Züge einer lediglich unterstützenden – und damit grundsätzlich nicht dem Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG unterfallenden – Begleiterscheinung der Veranstaltung (vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschl. v. 15.8.2002, 4 Bs 291/02; VGH München, Urt. v. 22.9.2015, 10 B 14.2246, NVwZ-RR 2016, 498, juris Rn. 61; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.7.1999, 1 SN 63/99, LKV 1999, 372; s. auch Schulze-Fielitz, a.a.O., Art. 8 Rn 34). Damit verbleiben seitens des Gerichts Zweifel an einem eindeutigen Übergewicht der Elemente des Camps, die auf die Meinungskundgabe gerichtet sind.

34

Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.2016, 1 BvR 458/10, NVwZ 2017, 461, juris Rn. 118; BVerwG, Urt. v. 16.5.2007, 6 C 23/06, BVerwGE 129, 42, juris Rn. 16). Die verbleibenden Zweifel bei Gesamtsicht auf alle Umstände sind daher zum jetzigen, maßgeblichen Zeitpunkt zu Gunsten des Antragstellers aufzulösen, sodass die Veranstaltung als Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG zu behandeln ist.

35

Das Gericht weist darauf hin, dass bestehende Zweifel an dem überwiegenden Gesamtgepräge der Veranstaltung mit fortschreitendem Erkenntnisgewinn letztlich auch zu Lasten des Antragstellers aufgelöst werden können. Es obliegt der Antragsgegnerin als zuständiger Versammlungsbehörde durch die bisher gemäß Schreiben vom 25. April 2017 versagten Kooperationsgespräche die konkrete Ausgestaltung der Veranstaltung weiter aufzuklären und ggf. notwendige Maßnahmen nach § 15 VersG zu erteilen (vgl. hierzu noch unten 3.).

36

Schließlich kann auch der Widmungszweck des gewählten Veranstaltungsorts Stadtpark als öffentliche Grün- und Erholungsanlage den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG nicht wirksam begrenzen.

37

Öffentliche Grün- und Erholungsanlagen sind Anlagen, die der Gesundheit und Erholung der Bevölkerung dienen, von der Antragsgegnerin unterhalten werden und vom Senat als öffentliche Grün- und Erholungsanlage im Amtlichen Anzeiger bekannt gemacht worden sind, § 1 Abs. 1 GrAnlG. Der Stadtpark stellt eine entsprechend gewidmete öffentliche Grün- und Erholungsanlage dar (vgl. Amtl. Anz. 2011, S. 2353). Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung zum Schutz der öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen vom 26. August 1975 (GrAnlVO) dürfen solche Orte nur so benutzt werden, wie es sich aus der Natur der einzelnen Anlage und Ihrer Zweckbestimmung ergibt. Verboten ist es dort gemäß § 1 Abs. 3 außerhalb der durch die zuständige Behörde dafür besonders bestimmter Stellen zu zelten (Nr. 8), Lärm zu erzeugen, insbesondere mit Rundfunkgeräten, Tonbandgeräten, Plattenspielern oder ähnlichen Geräten (Nr. 11) und in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr in den Anlagen zu lagern (Nr. 14). Von den Verboten des § 1 Abs. 3 Nr. 3 – 12, 14 und 15 GrAnlVO kann die zuständige Behörde im Einzelfall nach § 1 Abs. 4 GrAnlVO Ausnahmen zulassen.

38

Die Versammlungsfreiheit verschafft grundsätzlich kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt sie keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, juris Rn. 65; BVerwG Urt. v. 29.10.1992, 7 C 34/91, BVerwGE 91, 135, juris Rn. 14). Wenn Orte in tatsächlicher Hinsicht ausschließlich oder ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, kann in ihnen - außerhalb privater Nutzungsrechte - die Durchführung von Versammlungen nach Art. 8 Abs. 1 GG nicht begehrt werden. Anders ist dies indes dort, wo die Verbindung von u.a. Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen. Werden Räume in dieser Weise für ein Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen geöffnet und zum öffentlichen Forum, kann aus ihnen gemäß Art. 8 Abs. 1 GG auch die politische Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch Versammlungen nicht herausgehalten werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Bürgern für die Verkehrsflächen solcher Orte das Recht, das Publikum mit politischen Auseinandersetzungen, gesellschaftlichen Konflikten oder sonstigen Themen zu konfrontieren. Solche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen, sind als Grundlage der demokratischen Willensbildung mit der Versammlungsfreiheit gewollt und bilden ein konstituierendes Element der demokratischen Staatsordnung (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, juris Rn. 70). Unter diesen Voraussetzungen sind Versammlungen sogar auf Friedhöfen (vgl. BVerfG, 1 BvR 980/13, juris Rn. 19) sowie an Orten, die im Eigentum Privater stehen, zu dulden (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 18.7.2015, 1 BvQ 25/15, juris Rn. 5; BVerfG Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, juris Rn. 66ff.).

39

Die große Festwiese des Stadtparks eröffnet als öffentlich gewidmete Erholungsfläche Räume zum Verweilen und der Begegnung. Entsprechend kann aus ihr die politische Auseinandersetzung und die Konfrontation mit gesellschaftlichen Konflikten und sonstigen Themen nicht herausgehalten werden.

40

Die möglichen betroffenen Belange nach dem Grünanlagenrecht können mit ihrem jeweiligen Gewicht in der versammlungsrechtlichen Entscheidungen berücksichtigt werden, vgl. hierzu sogleich 3. Eine gesonderte grünanlagenrechtliche Erlaubnis ist für eine Versammlung hingegen nicht erforderlich.

41

2. Der Auf- und Abbau des Camps ist im Rahmen der versammlungsrechtlichen Vor- und Nachwirkung privilegiert geschützt.

42

Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit hat im Interesse seiner Effektuierung auch Vorwirkungen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 14.4.2005, 1 S 2362/04, VBlBW 2005, 431, juris Rn. 34). Der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG beschränkt sich nicht allein auf die Teilnahme an einer bestehenden Versammlung, sondern umfasst auch den gesamten Vorgang des Sich-Versammelns. Andernfalls liefe die Versammlungsfreiheit Gefahr, durch staatliche Maßnahmen im Vorfeld der Grundrechtsausübung ausgehöhlt zu werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.6.1991, 1 BvR 772/90, BVerfGE 84, 203, juris Rn. 16; BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315).

43

Zu den hiernach geschützten Vorgängen zählen u.a. der Zugang zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung sowie das Verbot schleppender vorbeugender Kontrollen (vgl. VGH Mannheim, a.a.O. Rn. 36). Von dem Vorfeldschutz werden aber auch Organisationsakte wie die Planung, das Versenden von Einladungen und Versammlungsaufrufen oder das Beschaffen eines Versammlungslokals erfasst (vgl. Depenhauer in Maunz-Düring, Grundgesetz, Lfg. 48 Nov. 2006; Art. 8 Rn. 75 m.w.M.). Schließlich wurde auch das Wohnen in einem anlässlich eines mehrtägigen politischen Gipfels (G8) eingerichteten Camps, das von den Aktivistinnen und Aktivisten als Basis für verschiedene Demonstrationen diente, zu den Vorwirkungen der Versammlungsfreiheit gezählt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 15.7.2015, 3 L 9/12, juris Rn. 55).

44

Hiervon ausgehend hat die Antragsgegnerin den Aufbau des Camps im Stadtpark einstweilig zu dulden.

45

Ebenfalls unter den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fällt der Abbau des Camps. Zwar endet der privilegierte Schutz mit dem Ende der Versammlung. Er führt jedoch nicht zu einem abrupten Wegfall des Grundrechtsschutzes. Vielmehr steht den Teilnehmern eine angemessene Zeit zum Rückzug zu (vgl. Depenhauer in Maunz-Düring, Grundgesetz, Lfg. 48 Nov. 2006; Art. 8 Rn. 77 m.w.M.; VG Hamburg, Urt. v. 30.10.1986, 12 VG 2442/Sb, NVwZ 1987, 829, 833).

46

3. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO iVm. § 938 Abs. 1 ZPO steht es im freien Ermessen des Gerichts, welche Anordnungen zu Erreichung des mit dem Antrag verfolgten Zwecks erforderlich sind; insofern darf das Gericht seine Entscheidung auch durch Maßgaben wie Auflagen oder Bedingungen ergänzen (vgl. VGH München, Beschl. v. 12.4.2017, 10 CE 17.751, juris Rn. 6).

47

Vorliegend hält es das Gericht für angemessen, die Wirkung der verfügten Duldung durch die Bekanntgabe eines versammlungsrechtlichen Bescheids gegenüber dem Antragsteller zu befristen. Dies ist Ausdruck der Tatsache, dass es sich bei der vom Gericht getroffenen Entscheidung um eine vorläufige Regelung handelt, die die versammlungsrechtlichen Entscheidungen der Antragsgegnerin nicht vorwegnimmt.

48

Der Antragsteller ist seiner Anmeldungspflicht nach § 14 VersG nachgekommen. Diese Pflicht gilt für Versammlungen unter freiem Himmel, weil diese wegen ihrer Außenwirkungen vielfach besondere Vorkehrungen erfordern. Die mit der Anmeldung verbundenen Angaben sollen den Behörden die notwendigen Informationen vermitteln, damit sie sich ein Bild darüber machen können, was einerseits zum möglichst störungsfreien Verlauf der Veranstaltung an Verkehrsregelungen und sonstigen Maßnahmen veranlasst werden muss und was andererseits im Interesse Dritter sowie im Gemeinschaftsinteresse erforderlich ist und wie beides aufeinander abgestimmt werden kann (vgl BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315,juris Rn. 73 unter Hinweis auf BTDrucks 8/1845, S 10).

49

Die staatlichen Behörden sind gehalten zur verfahrensrechtlichen Effektuierung der Freiheitsrechte versammlungsfreundlich zu verfahren und insbesondere Kooperationsgespräche zu führen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315, juris Rn. 83). Der Antragsgegnerin hätte es daher als zuständiger Versammlungsbehörde zuvörderst oblegen, nach Eingang der Anmeldung im Rahmen eines solchen Kooperationsgespräches mit dem Antragsteller die genaue Ausgestaltung der Veranstaltung heraus zu arbeiten und ggf. gemäß § 15 Abs. 1 VersG Auflagen oder sogar ein Verbot gegenüber dem Antragsteller zu erlassen, sofern eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei der Durchführung der Versammlung droht. Die Bereitschaft des Antragstellers an Kooperationsgesprächen teilzunehmen wurde durchgehend, auch noch im gerichtlichen Verfahren, erklärt.

50

Im Rahmen einer nach § 15 Abs. 1 VersG möglichen Verfügung könnten insbesondere auch die von der Antragsgegnerin in der Untersagungsverfügung vom 12. Mai 2017 geäußerten Bedenken im Wege der praktischen Konkordanz mit der Versammlungsfreiheit des Antragstellers in Einklang gebracht werden. Hierzu zählen u.a. der Schutz der in der Grünanlage vorhandenen Pflanzen und Tiere, die Sicherstellung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Camps, ein hinreichendes Sicherheits- und Rettungskonzept sowie die Belange der Anwohner.

51

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

(1) Die Beschwerde hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand hat. Das Gericht, der Vorsitzende oder der Berichterstatter, dessen Entscheidung angefochten wird, kann auch sonst bestimmen, daß die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung einstweilen auszusetzen ist.

(2) §§ 178 und 181 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes bleiben unberührt.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Durchführung der Veranstaltung mit dem Tenor „Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen“ gemäß der Anmeldung des Antragstellers vom 24. April 2017 (Anlage 1 zur Antragsschrift) auf der großen Wiese (Festwiese) des Stadtparks (gemäß als Anlage 2 zur Antragsschrift beigefügter Skizze), die vom 30. Juni 2017 bis zum 9. Juli 2017 in der Form eines politischen Protestcamps mit bis zu 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt werden wird, zu dulden.

2. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Aufbau des Camps ab dem 23. Juni 2017 und dessen Abbau bis zum 11. Juli 2017 zu dulden.

3. Die Wirkung der einstweiligen Anordnung zu Ziffern 1 und 2 erlischt mit der Bekanntgabe eines auf diese Veranstaltung bezogenen versammlungsrechtlichen Bescheids gegenüber dem Antragsteller.

4. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

5. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist Anmelder und vorgesehener Leiter einer vom 30. Juni bis 9. Juli 2017 im Stadtpark geplanten Veranstaltung („Antikapitalistisches Camp – Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen“).

2

Am 7. und 8. Juli 2017 werden in den Hamburger Messehallen und in der Hamburger Innenstadt die Staats- und Regierungschefs der Gruppe der 20 größten Industrie- und Schwellenländer zusammentreffen (G20-Gipfel).

3

Mit Schreiben vom 24. April 2017 meldete der Antragsteller bei der Antragsgegnerin (Polizei, FLD 24 Versammlungsbehörde) folgende Veranstaltung an: Versammlung mit dem Tenor „Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen“; Veranstalter: „Antikapitalistisches Camp“. Zur Beschreibung wurde ausgeführt, die Versammlung beginne am 30. Juni 2017 und ende am 9. Juli 2017. Sie werde als Dauerkundgebung auf dem Gelände des Stadtparks stattfinden. Dem Anmeldungsschreiben beigefügt war eine Übersicht (vgl. Bl. 19 der Akte), aus der der Aufbau des Camps ersichtlich ist. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Anmeldungsschreiben einschließlich der Skizze verwiesen (Bl. 15ff. der Akte).

4

Mit Schreiben vom 25. April 2017 teilte die Antragsgegnerin mit, dass es sich bei der gewählten Örtlichkeit um eine öffentliche Fläche handele, die durch ein gesondertes Gesetz geschützt sei (§ 4 Abs. 2 Gesetz über die Grün- und Erholungsanlagen - GrAnlG). Demnach sei das Bezirksamt im Rahmen seines Genehmigungsverfahrens originär zuständig. Grün- und Erholungsanlagen unterlägen gemäß § 1 GrAnlG der dort verankerten Zweckbestimmung. Die Versammlungsbehörde könne nicht über diese Flächen im Rahmen der Konzentrationsmaxime verfügen. Nur das zuständige Bezirksamt könne einen Antrag auf Sondernutzung im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens erteilen oder ablehnen. Sobald diese Erlaubnis vorläge, könne ein Termin für ein Kooperationsgespräch vereinbart werden.

5

Am 2. Mai 2017 fand im Bezirksamt Hamburg-Nord ein Gespräch mit der Antragsgegnerin statt. Wegen der Einzelheiten des Gesprächs wird auf den Gesprächsvermerk der Antragsgegnerin verwiesen, der sich im Wesentlichen mit dem Vortrag des Antragstellers zum Inhalt des Gesprächs deckt (vgl. Bl. 6f. des Verwaltungsvorgangs).

6

Mit Schreiben vom 3. Mai 2017 erklärte der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin (Polizei), dass er die im Schreiben vom 24. April 2017 geäußerte Auffassung bezüglich der Zuständigkeit für unzutreffend halte. Es werde an der bisherigen Form der Anmeldung festgehalten und gefordert diese zu bestätigen oder einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben des Antragstellers verwiesen (Bl. 21b ff. der Akte).

7

Eine Reaktion der Antragsgegnerin auf dieses Schreiben erfolgte nicht.

8

Mit Schreiben vom 12. Mai 2017 untersagte die Antragsgegnerin (Bezirksamt Hamburg-Nord) dem Antragsteller vorsorglich, in der Zeit vom 23. Juni bis 11. Juli 2017 auf dem Gelände des Hamburger Stadtparks das angedachte Camp für ca. 10.000 Personen durchzuführen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben verwiesen (Bl. 23f. der Akte).

9

Am 24. Mai 2017 legte der Antragsteller Widerspruch gegen das Schreiben der Antragsgegnerin vom 12. Mai 2017 ein. Am selben Tag hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Hamburg um Eilrechtsschutz nachgesucht und diesen mit Schriftsatz vom 6. Juni 2017 ergänzend begründet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze verwiesen (Bl. 1ff. und Bl. 141ff. der Akte).

10

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

11

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Vorbereitung, den Aufbau und die Durchführung der Versammlung mit dem Tenor „Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen“ gemäß der Anmeldung des Antragstellers vom 24.4.2017 (Anlage 1) auf der großen Wiese (Festwiese) des Hamburger Stadtparks (gemäß als Anlage 2 beigefügter Skizze), die vom 30.6.2017 bis zum 9.7.2017 in der Form eines politischen Protestcamps mit bis zu 10.0000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt werden wird, sowie den am 23.6.2017 beginnenden Aufbau und den bis zum 11.7.2017 erfolgenden Abbau, zu dulden.

12

Die Antragsgegnerin beantragt,

13

den Antrag abzulehnen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze, einschließlich des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom heutigen Tage und den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin (Bezirksamt Hamburg-Nord) verwiesen, die bei der Entscheidung vorlagen.

II.

15

Klarstellend ist zunächst festzustellen, dass es sich bei der Freien und Hansestadt Hamburg lediglich um eine Antragsgegnerin handelt, die erstens durch die Behörde für Inneres und Sport und zweitens durch das Bezirksamt Hamburg-Nord vertreten wird.

16

Der Antrag ist als Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft.

17

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung).

18

Der Antragsteller ist nicht gemäß § 123 Abs. 5 VwGO auf ein Verfahren nach §§ 80, 80a VwGO zu verweisen. Zwar hat die Antragsgegnerin mit der vorbeugenden (grünanlagenrechtlichen) Untersagungsverfügung einen belastenden Verwaltungsakt erlassen und mit diesem zum Ausdruck gebracht, dass sie die angemeldete Veranstaltung für genehmigungsbedürftig hält. Zum einen hat der Antragsteller aber mit seinem am 24. Mai 2017 erhobenen Widerspruch die Wirkung der nicht für sofort vollziehbar erklärten Verfügung zunächst aufgeschoben (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO), sodass es für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kein Rechtsschutzbedürfnis gäbe. Zum anderen begehrt der Antragsteller gerade die Behandlung der angemeldeten Veranstaltung als Versammlung mit der Folge, dass eine Genehmigung nicht erforderlich ist und eine Untersagungsverfügung lediglich unter den besonderen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) zulässig wäre. Damit streiten die Beteiligten über ein konkretes Rechtsverhältnis im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.11.1993, 3 C 45/91, BVerwGE 94, 269, juris Rn. 23; VGH München, Urt. v. 30.8.2000, 22 B 00.1833, juris Rn. 32), mit der Folge, dass die begehrte Regelungsanordnung statthafte Antragsart ist.

19

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

20

Dabei hat der Antragsteller sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Maßgebend hierfür sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 123 Rn. 54 m.w.N.).

21

Der Antragsteller hat eine besondere Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Der Zeitraum, in dem die angemeldete Veranstaltung stattfinden soll, steht unmittelbar bevor. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die angemeldete Veranstaltung aufgrund der geplanten Durchführung und Größe einen erweiterten Planungsvorlauf benötigt, um u.a. die notwendige Infrastruktur zu schaffen.

22

Die Antragsteller haben – nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse – auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, §§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 ZPO. Dem Gericht verbleiben zwar nach dem bisherigen Vortrag des Antragstellers Zweifel daran, ob das beantragte Camp in seinem Gesamtgepräge vom Schutz der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG erfasst ist. Diese Zweifel sind jedoch im Sinne der Versammlungsfreiheit aufzulösen. Auch handelt sich bei dem Stadtpark um einen Ort allgemeiner öffentlicher Kommunikation, an dem die Ausübung der Versammlungsfreiheit verbürgt ist (1.). Der Auf- und Abbau des Camps sind als versammlungsrechtliche Vor- und Nachwirkung ebenfalls über Art. 8 Abs.1 GG geschützt (2.). Die im einstweiligen Anordnungswege erlassene Duldung entfaltet jedoch nur so lange ihre Wirksamkeit, bis die zuständige Versammlungsbehörde ggf. versammlungsrechtliche Auflagen bzw. andere Regelungen nach § 15 VersG erlässt (3.).

23

1. Nach den derzeitigen Erkenntnissen des Gerichts bestehen zwar Zweifel, ob das vom Antragsteller angemeldete Protestcamp dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG unterfällt. Diese Zweifel sind jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen zu Gunsten des Antragstellers aufzulösen.

24

Versammlungen im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG sind örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, BVerfGE 104, 92, juris Rn. 41). Der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen. Allerdings reicht es für die Eröffnung des Schutzbereichs des Grundrechts nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer gemeinschaftlichen kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vielmehr muss die Zusammenkunft gerade auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, BVerfGE 104, 92, juris Rn. 40). Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen fallen hingegen ebenso wenig in den Schutzbereich wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen und die als eine auf Spaß und Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.7.2001, 1 BvQ 28/01 u. 30/01 -, NJW 2001, S. 2459, juris Rn. 22). Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, gewährleistet das Grundrecht den Grundrechtsträgern so nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315, juris Rn. 61). Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen - gegebenenfalls auch in Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen - am wirksamsten zur Geltung bringen können (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, juris Rn. 64). Auf das Niveau der Veranstaltung und des Beitrags zur Meinungsbildung kommt es dabei nicht an. Denn die Versammlungsfreiheit gewährleistet insbesondere Minderheitenschutz und verschafft auch denen Möglichkeit zur Äußerung in einer größeren Öffentlichkeit, denen der direkte Zugang zu Medien versperrt ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.7.2001, 1 BvQ 28/01 u. 30/01, NJW 2001, 2459, juris Rn. 19).

25

Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob eine derart gemischte Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.7.2001, 1 BvQ 28/01 u. 30/01, NJW 2001, S. 2459; BVerwG, Urt. v. 16.5.2007, 16 C 23/06, BVerwGE 129, 42). Die Beurteilung, ob eine gemischte Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Dabei sind zunächst alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Sodann sind die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten, wie etwa Übernachtungs-, Sanitär- und Verpflegungsinfrastruktur, zu würdigen und zu gewichten und die unterschiedlichen Elemente zueinander in Beziehung zu setzen.

26

Die Gesamtschau aller Umstände, die wegen ihrer unmittelbaren Grundrechtsrelevanz vom Gericht überprüfbar ist, lässt zum jetzigen Zeitpunkt keinen eindeutigen Schwerpunkt des Camps erkennen.

27

Zwar liegt dem Camp nach der dem Gericht vorliegenden Anmeldung und den ergänzenden Erläuterungen des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren ein Gesamtkonzept zugrunde, das gewichtige Elemente der öffentlichen Meinungskundgabe enthält. Es ist Bestandteil des Protests in Hamburg gegen den parallel stattfindenden G20-Gipfel und weist an sich – wie auch die Antragsgegnerin zugesteht – Elemente auf, denen unmittelbare funktionale Bedeutung für mögliche an die Öffentlichkeit gerichtete Kundgebungen beigemessen werden kann. Hierzu zählt die aus der Skizze ersichtliche große Bühne, die sich auf einer Fläche von 50x200 m befindet, die nicht für Wohnzelte vorgesehen ist, und auf der – unterstützt mit einer Lautsprecheranlage – Kundgebungen für mehrere Hundert Menschen stattfinden sollen. Auf dieser Bühne sollen vormittags Kundgebungen zur aktuellen Situation stattfinden und an den Nachmittagen des 1. und 3. Juli 2017 die Theateraufführungen „Asyl-Dialog“ und „NSU-Monologe“ (vgl. zum Versammlungscharakter politischer Theatervorführungen v. Münch/Kunig, Grundgesetz, 6. Aufl. 2012, Art. 8 Rn. 17). Unmittelbare Bedeutung für die öffentliche Meinungskundgabe kommen auch den in den Veranstaltungszelten (Zirkuszelt und Workshop-Zelt 1) sowie den im Workshop-Zelt 2 vom 5.-7.Juli 2017 geplanten Inhalten zu (vgl. zum Versammlungscharakter einer Veranstaltung bei der Dokumentarfilme gezeigt werden BVerfG, Urt. v. 27.10.206, 1 BvR 458/10, NVwZ 2017, 461, juris Rn. 117).

28

Schließlich sind eine große Transparentwand sowie die in den einzelnen Abschnitten des Camps geplanten Transparente, Fahnen, Stellschilder und Plakate als Beitrag zur kollektiven Meinungskundgabe zu berücksichtigen. Die im Rahmen des Camps angekündigte Bandbreite der Themen der Veranstaltungen (u.a. EU-Grenzregime, G20 und Grenzpolitik, Geschlechterrollen und Staat, Queerfeministische Perspektiven auf G20, Islamophobie und Muslim-Ban UK/USA, Islamophobie in Deutschland, Energie und Klima, Proteste von Geflüchteten in Deutschland, Das Mietshäusersyndikat, Globale Gerechtigkeit und Landwirtschaft, Solidarische Landwirtschaft, Urban Gardening) widerspricht dem gemeinsamen Zweck der Veranstaltung nicht. Sie findet ihre Entsprechung in den im Rahmen des G20-Gipfels behandelten vielfältigen Themen (vgl. https://www.g20.org/ Content/DE/_Anlagen/G7_G20/2016-g20praesidentschaftspapierde.pdf;jsessionid=597BDA4 A97B88A674A94BB1161BD06F3.s3t1?__blob=publicationFile&v=5, abgerufen am 7.6.2017).

29

Der Antragsteller hat das Camp als politisches Camp angemeldet und ruft entsprechend im Internet dazu auf. So heißt es auf der Internetseite, der Ort verstehe sich als Gegenkonzept zur kapitalistischen Gesellschaft. Das Protestcamp solle nicht nur Schlafplätze bieten, sondern werde als solches schon eine Protestform gegen den Gipfel und das von ihm repräsentierte System darstellen (vgl. Bl. 79R der Akte). Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ist nicht ersichtlich, dass die Meinungskundgabe nur beiläufiger Nebenakt des Camps ist. Im Gegensatz zu den in den zitierten Entscheidungen (vgl. u.a. VGH Mannheim, Urt. v. 14.4.2005, 1 S 2362/04, VBlBW 2005, 431, juris Rn. 32; VG Hamburg, Beschl. v. 14.8.2002, S. 5f. der BA; VG Karlsruhe, Urt. v. 14.2.2001, 4 K 3227/00) zugrunde liegenden Sachverhalten soll das Camp – nach dem derzeitigen Erkenntnisstand des Gerichts – nicht allein oder schwerpunktmäßig Ausgangsbasis für die Teilnahme an sonstigen im Stadtgebiet oder der Umgebung stattfindenden Versammlungen sein, sondern es soll selbst Ausdruck der Meinungsbildung und Kundgabe sein.

30

Schon allein mit der Errichtung und der optischen Präsenz des Camps an dem vorgesehenen Ort soll nach dem Vortrag des Antragstellers eine kollektive Meinungsäußerung verbunden sein (den Versammlungscharakter bejahend in diesen Fällen OVG Münster, Beschl. v. 23.9.1991, 5 B 2541/91, NVzW-RR 1992, S. 360, juris Rn. 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 21.4.1989, 7 C 50/88, BVerwGE 82, 34, juris Rn. 13). Dagegen spricht nicht, dass der von dem Antragsteller gewählte Veranstaltungsort sich in ca. 4,5 km Entfernung von den Orten der Zusammenkunft der G20-Delegationen befindet und nur für die Besucher des Stadtparks sichtbar wäre. Der Antragsteller hat die Wahl des Veranstaltungsorts u.a. damit begründet, dass er zentral in der Stadt liege und eine gute Außenwirkung habe. Er habe die notwendige Größe für die geplante Zahl der Teilnehmer und sei gut erreichbar. Er liege außerhalb der Sicherheitszonen und ermögliche das Kommen und Gehen ohne permanente polizeiliche Kontrolle. Aufgrund der von der Antragsgegnerin ausgewiesenen Gefahrenzonen während des Gipfels sowie weiterer Gebiete, in denen möglicherweise Großversammlungen nur eingeschränkt zugelassen werden sollen (vgl. z.B. zu einer „blauen Zone“ http://www.abendblatt.de/hamburg/article210195957/Polizei-will-G20-Grossdemo-in-der-City-verhindern.html, abgerufen am 2.6.2017), kann durchaus auch in der möglichst störungsfreien Durchführung der Veranstaltung ein wirksames zur Geltung bringen des Anliegens zu sehen sein. Überdies muss der Veranstalter nicht etwa die „Schlüssigkeit“ des gewählten Versammlungsorts nachweisen (vgl. VGH München, Beschl. v. 17.4.2017, 10 CE 17.751, juris Rn. 9). Bei einer Versammlung geht es auch darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.12.2010, 1 BvR 1402/06, NVwZ 2011, 422, juris Rn. 19; BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315).

31

Gleichwohl könnte aufgrund der für die bis zu 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer vorzuhaltenden Infrastruktur zumindest phasen- und abschnittsweise die ebenfalls im Aufruf kommunizierten Zwecke der Veranstalter, allen Protestierenden die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie benötigen, d.h Verpflegung, Ruhe, einen Ort für Vernetzung und gemeinsames Lernen, überwiegen (vgl. Bl. 79R der Akte). Dies ergibt sich nicht zuletzt aufgrund der schieren Anzahl der für die große Teilnehmerzahl erforderlichen Zelte (rd. 3.000) und sanitären Anlagen, die auf einer Fläche von über 100.000 m² aufgestellt werden sollen. Ebenfalls keinen unmittelbaren Zusammenhang zur öffentlichen Meinungskundgabe dürfte den abendlichen Konzerten auf der großen Bühne sowie den Sportangeboten zukommen. Zwar kann auch dem gezielten Einsatz von Musik und Tanz zur kommunikativen Entfaltung, um auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken Versammlungscharakter, zukommen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.2016, 1 BvR 458/10, NVwZ 2017, 461, juris Rn. 111). Das Gleiche gilt unter bestimmten Umständen für das Vortragen politischer Lieder (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 26.1.1998, 1 S 3280/96, NVwZ 1998, 761 juris Rn. 37). Entsprechendes ist im Fall der vom Antragsteller geplanten Konzerte jedoch nicht vorgetragen worden. Auch lässt sich den Themen der Vormittags-Workshops im Zelt 2 in der Zeit vom 1.-4. Juli 2017 zu Themen wie „First Aid“ und „Wie moderiere ich ein Plenum“ kein unmittelbarer Versammlungszweck entnehmen. Zweifel an der öffentlichen Meinungskundgabe ergeben sich schließlich daraus, dass ein Großteil der geplanten Veranstaltungen in Zelten und damit wohl nicht unter freiem Himmel stattfinden soll. Maßgeblich ist dabei nicht das Vorhandensein einer Überdachung, sondern vielmehr, dass die Menschenansammlung nicht in einem zur Seite hin offenen und für jedermann unkontrolliert zugänglichen Raum stattfindet (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, juris Rn. 76ff.; Schulze-Fielitz in Dreier, Grundgesetz, 3. Aufl. 2013; Art. 8 Rn. 66; Benda in BK-GG, 73. Lfg. Mai 1995, Art. 8 Rn. 66).

32

Werden die unterschiedlichen Elemente der Versammlung zueinander in Beziehung gesetzt, ist entscheidend, dass der untersagten Veranstaltung ein Gesamtkonzept zu Grunde liegt (vgl. zur Maßgeblichkeit des Gesamtkonzepts BVerfG, Beschl. v. 27.10.2016, 1 BvR 458/10, NVwZ 2017, 461, juris Rn. 115, 118). Der Antragsteller hat ein einheitliches Camp, zusammengesetzt aus unterschiedlich gestalteten Einheiten unter einem gemeinsamen Motto angekündigt, zu der neben der Meinungskundgabe maßgeblich auch das Aufstellen von Zelten und die vorgelebte antikapitalistische Lebensweise gehören. Die Größe des Camps ist dabei auch in einem Gesamtzusammenhang mit der Größe und Bedeutung des G20-Gipfels zu sehen, gegen den sich das Camp richtet, sowie mit der Größe und Anzahl der im Übrigen angekündigten Demonstrationen im Stadtgebiet, für die mit über 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus ganz Europa gerechnet wird.

33

Gleichwohl ist ein eindeutiges Gepräge des Camps nicht sicher festzustellen. Zwar dürfte einem durchschnittlichen Beobachter der meinungsbekundende Charakter des Camps nicht entgehen. Die Meinungskundgabe auf dem und durch das Camp ist nach dem Vortrag des Antragstellers nicht nur beiläufiger Nebenakt. Die geplante Infrastruktur und das vorgesehene Programm tragen jedoch auch deutliche Züge einer lediglich unterstützenden – und damit grundsätzlich nicht dem Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG unterfallenden – Begleiterscheinung der Veranstaltung (vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschl. v. 15.8.2002, 4 Bs 291/02; VGH München, Urt. v. 22.9.2015, 10 B 14.2246, NVwZ-RR 2016, 498, juris Rn. 61; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.7.1999, 1 SN 63/99, LKV 1999, 372; s. auch Schulze-Fielitz, a.a.O., Art. 8 Rn 34). Damit verbleiben seitens des Gerichts Zweifel an einem eindeutigen Übergewicht der Elemente des Camps, die auf die Meinungskundgabe gerichtet sind.

34

Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.2016, 1 BvR 458/10, NVwZ 2017, 461, juris Rn. 118; BVerwG, Urt. v. 16.5.2007, 6 C 23/06, BVerwGE 129, 42, juris Rn. 16). Die verbleibenden Zweifel bei Gesamtsicht auf alle Umstände sind daher zum jetzigen, maßgeblichen Zeitpunkt zu Gunsten des Antragstellers aufzulösen, sodass die Veranstaltung als Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG zu behandeln ist.

35

Das Gericht weist darauf hin, dass bestehende Zweifel an dem überwiegenden Gesamtgepräge der Veranstaltung mit fortschreitendem Erkenntnisgewinn letztlich auch zu Lasten des Antragstellers aufgelöst werden können. Es obliegt der Antragsgegnerin als zuständiger Versammlungsbehörde durch die bisher gemäß Schreiben vom 25. April 2017 versagten Kooperationsgespräche die konkrete Ausgestaltung der Veranstaltung weiter aufzuklären und ggf. notwendige Maßnahmen nach § 15 VersG zu erteilen (vgl. hierzu noch unten 3.).

36

Schließlich kann auch der Widmungszweck des gewählten Veranstaltungsorts Stadtpark als öffentliche Grün- und Erholungsanlage den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG nicht wirksam begrenzen.

37

Öffentliche Grün- und Erholungsanlagen sind Anlagen, die der Gesundheit und Erholung der Bevölkerung dienen, von der Antragsgegnerin unterhalten werden und vom Senat als öffentliche Grün- und Erholungsanlage im Amtlichen Anzeiger bekannt gemacht worden sind, § 1 Abs. 1 GrAnlG. Der Stadtpark stellt eine entsprechend gewidmete öffentliche Grün- und Erholungsanlage dar (vgl. Amtl. Anz. 2011, S. 2353). Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung zum Schutz der öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen vom 26. August 1975 (GrAnlVO) dürfen solche Orte nur so benutzt werden, wie es sich aus der Natur der einzelnen Anlage und Ihrer Zweckbestimmung ergibt. Verboten ist es dort gemäß § 1 Abs. 3 außerhalb der durch die zuständige Behörde dafür besonders bestimmter Stellen zu zelten (Nr. 8), Lärm zu erzeugen, insbesondere mit Rundfunkgeräten, Tonbandgeräten, Plattenspielern oder ähnlichen Geräten (Nr. 11) und in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr in den Anlagen zu lagern (Nr. 14). Von den Verboten des § 1 Abs. 3 Nr. 3 – 12, 14 und 15 GrAnlVO kann die zuständige Behörde im Einzelfall nach § 1 Abs. 4 GrAnlVO Ausnahmen zulassen.

38

Die Versammlungsfreiheit verschafft grundsätzlich kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt sie keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, juris Rn. 65; BVerwG Urt. v. 29.10.1992, 7 C 34/91, BVerwGE 91, 135, juris Rn. 14). Wenn Orte in tatsächlicher Hinsicht ausschließlich oder ganz überwiegend nur einer bestimmten Funktion dienen, kann in ihnen - außerhalb privater Nutzungsrechte - die Durchführung von Versammlungen nach Art. 8 Abs. 1 GG nicht begehrt werden. Anders ist dies indes dort, wo die Verbindung von u.a. Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen. Werden Räume in dieser Weise für ein Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen geöffnet und zum öffentlichen Forum, kann aus ihnen gemäß Art. 8 Abs. 1 GG auch die politische Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch Versammlungen nicht herausgehalten werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Bürgern für die Verkehrsflächen solcher Orte das Recht, das Publikum mit politischen Auseinandersetzungen, gesellschaftlichen Konflikten oder sonstigen Themen zu konfrontieren. Solche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen, sind als Grundlage der demokratischen Willensbildung mit der Versammlungsfreiheit gewollt und bilden ein konstituierendes Element der demokratischen Staatsordnung (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, juris Rn. 70). Unter diesen Voraussetzungen sind Versammlungen sogar auf Friedhöfen (vgl. BVerfG, 1 BvR 980/13, juris Rn. 19) sowie an Orten, die im Eigentum Privater stehen, zu dulden (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 18.7.2015, 1 BvQ 25/15, juris Rn. 5; BVerfG Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226, juris Rn. 66ff.).

39

Die große Festwiese des Stadtparks eröffnet als öffentlich gewidmete Erholungsfläche Räume zum Verweilen und der Begegnung. Entsprechend kann aus ihr die politische Auseinandersetzung und die Konfrontation mit gesellschaftlichen Konflikten und sonstigen Themen nicht herausgehalten werden.

40

Die möglichen betroffenen Belange nach dem Grünanlagenrecht können mit ihrem jeweiligen Gewicht in der versammlungsrechtlichen Entscheidungen berücksichtigt werden, vgl. hierzu sogleich 3. Eine gesonderte grünanlagenrechtliche Erlaubnis ist für eine Versammlung hingegen nicht erforderlich.

41

2. Der Auf- und Abbau des Camps ist im Rahmen der versammlungsrechtlichen Vor- und Nachwirkung privilegiert geschützt.

42

Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit hat im Interesse seiner Effektuierung auch Vorwirkungen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 14.4.2005, 1 S 2362/04, VBlBW 2005, 431, juris Rn. 34). Der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG beschränkt sich nicht allein auf die Teilnahme an einer bestehenden Versammlung, sondern umfasst auch den gesamten Vorgang des Sich-Versammelns. Andernfalls liefe die Versammlungsfreiheit Gefahr, durch staatliche Maßnahmen im Vorfeld der Grundrechtsausübung ausgehöhlt zu werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.6.1991, 1 BvR 772/90, BVerfGE 84, 203, juris Rn. 16; BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315).

43

Zu den hiernach geschützten Vorgängen zählen u.a. der Zugang zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung sowie das Verbot schleppender vorbeugender Kontrollen (vgl. VGH Mannheim, a.a.O. Rn. 36). Von dem Vorfeldschutz werden aber auch Organisationsakte wie die Planung, das Versenden von Einladungen und Versammlungsaufrufen oder das Beschaffen eines Versammlungslokals erfasst (vgl. Depenhauer in Maunz-Düring, Grundgesetz, Lfg. 48 Nov. 2006; Art. 8 Rn. 75 m.w.M.). Schließlich wurde auch das Wohnen in einem anlässlich eines mehrtägigen politischen Gipfels (G8) eingerichteten Camps, das von den Aktivistinnen und Aktivisten als Basis für verschiedene Demonstrationen diente, zu den Vorwirkungen der Versammlungsfreiheit gezählt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 15.7.2015, 3 L 9/12, juris Rn. 55).

44

Hiervon ausgehend hat die Antragsgegnerin den Aufbau des Camps im Stadtpark einstweilig zu dulden.

45

Ebenfalls unter den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fällt der Abbau des Camps. Zwar endet der privilegierte Schutz mit dem Ende der Versammlung. Er führt jedoch nicht zu einem abrupten Wegfall des Grundrechtsschutzes. Vielmehr steht den Teilnehmern eine angemessene Zeit zum Rückzug zu (vgl. Depenhauer in Maunz-Düring, Grundgesetz, Lfg. 48 Nov. 2006; Art. 8 Rn. 77 m.w.M.; VG Hamburg, Urt. v. 30.10.1986, 12 VG 2442/Sb, NVwZ 1987, 829, 833).

46

3. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO iVm. § 938 Abs. 1 ZPO steht es im freien Ermessen des Gerichts, welche Anordnungen zu Erreichung des mit dem Antrag verfolgten Zwecks erforderlich sind; insofern darf das Gericht seine Entscheidung auch durch Maßgaben wie Auflagen oder Bedingungen ergänzen (vgl. VGH München, Beschl. v. 12.4.2017, 10 CE 17.751, juris Rn. 6).

47

Vorliegend hält es das Gericht für angemessen, die Wirkung der verfügten Duldung durch die Bekanntgabe eines versammlungsrechtlichen Bescheids gegenüber dem Antragsteller zu befristen. Dies ist Ausdruck der Tatsache, dass es sich bei der vom Gericht getroffenen Entscheidung um eine vorläufige Regelung handelt, die die versammlungsrechtlichen Entscheidungen der Antragsgegnerin nicht vorwegnimmt.

48

Der Antragsteller ist seiner Anmeldungspflicht nach § 14 VersG nachgekommen. Diese Pflicht gilt für Versammlungen unter freiem Himmel, weil diese wegen ihrer Außenwirkungen vielfach besondere Vorkehrungen erfordern. Die mit der Anmeldung verbundenen Angaben sollen den Behörden die notwendigen Informationen vermitteln, damit sie sich ein Bild darüber machen können, was einerseits zum möglichst störungsfreien Verlauf der Veranstaltung an Verkehrsregelungen und sonstigen Maßnahmen veranlasst werden muss und was andererseits im Interesse Dritter sowie im Gemeinschaftsinteresse erforderlich ist und wie beides aufeinander abgestimmt werden kann (vgl BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315,juris Rn. 73 unter Hinweis auf BTDrucks 8/1845, S 10).

49

Die staatlichen Behörden sind gehalten zur verfahrensrechtlichen Effektuierung der Freiheitsrechte versammlungsfreundlich zu verfahren und insbesondere Kooperationsgespräche zu führen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315, juris Rn. 83). Der Antragsgegnerin hätte es daher als zuständiger Versammlungsbehörde zuvörderst oblegen, nach Eingang der Anmeldung im Rahmen eines solchen Kooperationsgespräches mit dem Antragsteller die genaue Ausgestaltung der Veranstaltung heraus zu arbeiten und ggf. gemäß § 15 Abs. 1 VersG Auflagen oder sogar ein Verbot gegenüber dem Antragsteller zu erlassen, sofern eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei der Durchführung der Versammlung droht. Die Bereitschaft des Antragstellers an Kooperationsgesprächen teilzunehmen wurde durchgehend, auch noch im gerichtlichen Verfahren, erklärt.

50

Im Rahmen einer nach § 15 Abs. 1 VersG möglichen Verfügung könnten insbesondere auch die von der Antragsgegnerin in der Untersagungsverfügung vom 12. Mai 2017 geäußerten Bedenken im Wege der praktischen Konkordanz mit der Versammlungsfreiheit des Antragstellers in Einklang gebracht werden. Hierzu zählen u.a. der Schutz der in der Grünanlage vorhandenen Pflanzen und Tiere, die Sicherstellung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Camps, ein hinreichendes Sicherheits- und Rettungskonzept sowie die Belange der Anwohner.

51

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. November 2011 - 3 K 1817/11 - geändert.

Es wird festgestellt, dass das Versammlungsverbot (Ziffern I. und II.) und die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung (Ziffer IV.) in der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 08.02.2011 rechtswidrig waren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines durch Allgemeinverfügung erlassenen Versammlungsverbots zur Sicherung eines Castortransports.
Mit einer auf § 15 Abs. 1 VersammlG und § 35 Satz 2 LVwVfG gestützten Allgemeinverfügung vom 08.02.2011 untersagte die Beklagte - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge für den Zeitraum vom 15.02.2011, 0.00 Uhr bis zum 16.02.2011, 24.00 Uhr (I. der Verfügung). Der räumliche Geltungsbereich des Versammlungsverbots wurde in den Anlagen 1 und 2 zur Allgemeinverfügung festgelegt (II. der Verfügung). Er umfasste einen Korridor von jeweils 50 m Breite beidseits der Gleise entlang der Schienentransportstrecke des beabsichtigten Transports von HAW-Glaskokillen in Castor-Behältern sowie im Einzelnen bezeichnete Straßen und Straßenabschnitte einschließlich der dazwischen liegenden Flächen auf dem Gebiet der Beklagten. Nach III. der Verfügung wurden in diesem Bereich auch Sitzblockaden, andere Blockaden des HAW-Transports oder das Bereiten jedweder sonstiger Hindernisse verboten. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer I oder III wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang angedroht (IV. der Verfügung). Unter VI. wurde bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
Die Allgemeinverfügung wurde am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe ohne Begründung bekannt gemacht. In der Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, dass die Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne.
In der Begründung wurde ausgeführt, der Beklagten lägen für den Zeitraum des Castortransports durch das Stadtgebiet bislang lediglich zwei Anmeldungen für Mahnwachen vor. Es sei jedoch mit weiteren Demonstrationen zu rechnen. Trotz diverser bundesweiter Demonstrationsaufrufe verschiedener Organisationen sei es der Versammlungsbehörde nicht möglich, an Verantwortliche im Sinn von § 14 Abs. 2 VersammlG Einzelverfügungen zu adressieren, da keine Anmeldung im Sinn von § 14 Abs. 1 VersammlG erfolgt sei. Aus diesem Grund bleibe nur die gewählte Form der Allgemeinverfügung. Die Gefahrenprognose stütze sich auf Erfahrungen bei vergangenen Atomtransporten und auf aktuelle Aufrufe zu Protest- und Blockadeaktionen im Internet. Fünf Vorfälle aus den Jahren 2004 - 2010 wurden ausdrücklich angeführt:
Am 07.11.2004 habe sich anlässlich eines Castortransports eine Gruppe von 20 - 25 Personen im Bereich Mannheim-Friedrichsfeld/Schwetzingen auf den Weg Richtung Gleisanlage gemacht. Es seien Platzverweise ausgesprochen und sechs Personen in Gewahrsam genommen worden. Nach den Gesamtumständen habe die Personengruppe die Gleise blockieren wollen.
Anlässlich eines Castortransports am 11.11.2006 habe ein Zug in Höhe Büchig (Stutensee) halten müssen, da im weiteren Streckenverlauf ein verdächtigtes Päckchen auf der Gleisanlage gelegen habe sowie in dessen Nähe ein Transparent „Stoppt den Castor“ über die Gleise gespannt worden sei. Kurze Zeit später habe der Zug wegen eines mit Holzstücken gefüllten Eimers auf den Schienen halten müssen. Fast zeitgleich hätten in Mannheim (Ansiedlung Alteichwald) fünf Personen aus einer sechsköpfigen Gruppe in Gewahrsam genommen werden müssen, nachdem sie einen Platzverweis nicht befolgt hatten. Ihre Absicht dürfe eine Gleisblockade gewesen sein. Zwischen Hockenheim und Oftersheim hätten sich ca. 30 Personen mit Fackeln im Gleisbereich zu Blockadezwecken versammelt. Nach Versammlungsauflösung seien Platzverweise erteilt worden. Zehn Personen seien in Gewahrsam genommen worden, da sie den Platzverweisen nicht nachgekommen seien. Die Zugfahrt sei um eine Stunde verzögert worden.
Bei einem Castortransport am 08./09.11.2008 hätten sich zwischen Berg und Neuburg (Rheinland-Pfalz) 11 Personen versammelt, von denen sich drei Personen mit einem Kunststoffrohr und Schnellzement an die Gleise gekettet hätten. Das Lösen der Blockade habe sich so schwierig und aufwendig gestaltet, dass die Weiterfahrt des Zuges sich um 14 Stunden verzögert habe. Nahezu zeitgleich seien drei einschlägig bekannte Personen der Anti-Atom-Szene mit mitgeführten faltbaren gelben Tonnen angetroffen worden. Den Personen seien Platzverweise erteilt worden, wobei eine Person nach vorangegangener Widerstandshandlung vorübergehend in Gewahrsam genommen worden sei. Aufgrund des örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs (planmäßig hätte der Zug kurze Zeit später den Bahnhof Karlsruhe-Mühlburg passieren sollen) sei zu vermuten, dass die Personen ebenfalls eine Blockadeaktion beabsichtigt hätten. Im weiteren Verlauf habe der Zug erneut für ca. 25 Minuten halten müssen, nachdem die Bundespolizei metallische Geräusche im Schienenbereich wahrgenommen habe und eine Leuchtrakete in den Himmel abgeschossen worden sei.
Am 06.11.2010 hätten sich anlässlich eines Castortransports im Bereich Lauterbourg (Frankreich) zwei bekannte Aktivisten aus Heidelberg an den Gleisen festgekettet. Im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) hätten gleichzeitig bis zu 1.000 Demonstranten die Transportstrecke blockiert. Der Zug sei umgeleitet worden. Im weiteren Verlauf sei eine Brücke, die der Zug überfahren sollte, blockiert worden. Die rechtswidrige Versammlung sei aufgelöst worden. 11 Personen hätten von der Brücke weggetragen werden müssen. Dabei sei es zu Widerstandshandlungen gegen Polizeikräfte der Bundespolizei gekommen. Es seien drei Personen festgenommen worden. Nachdem die Zugumleitung bekannt geworden sei, sei es im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe zu einer Versammlung von ca. 250–300 Personen gekommen, darunter auch ca. 20 Autonome der Anti-Atom-Szene. Die Personen hätten versucht, durch Überrennen eine Polizeiabsperrung zu überwinden, um auf der Gleisanlage eine Blockade zu errichten. Dieses Vorhaben habe nur durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung unmittelbaren Zwangs verhindert werden können. Es sei zu vier Widerstandshandlungen sowie zu einer Beleidigung zum Nachteil der Einsatzkräfte gekommen. Vermutlich aus Protest gegen die Eingriffsmaßnahmen der Polizei gegenüber den Straftätern habe sich in der Folge ein spontaner Aufzug (ca. 80 – 100 Personen) vom Hauptbahnhof in Richtung Polizeipräsidium Karlsruhe bewegt und „Lasst sie frei“ skandiert.
Ein Transport am 15.12.2010 sei störungsfrei verlaufen, nachdem die Einsatzleitung in Frankreich kurzfristig eine Streckenänderung verfügt habe.
10 
Zu den Protest- und Blockadeaufrufen im Internet hieß es u.a.:
11 
Auf der Internetseite www.nachttanzblockade.de werde mit den Worten „Mach mit, bleib wach, besetze, blockiere!“, „Wir stoppen mit einer Gleisbesetzung den Castor“ und „Teig mischen? Beton mischen? Mitmischen!“ ausdrücklich zu Blockaden aufgerufen. Die Blockade solle „in Karlsruhe-Neureut, wenn der Castor rollt“ stattfinden. Unter der Rubrik „Mitmischen“ erscheine eine Checkliste, welche Gegenstände zur Blockadeaktion mitgebracht werden sollten, u.a.
12 
- Werkzeug zum Reparieren von Zäunen, Straßen etc.,
- dichte Plastiktüte zum Verpacken Tränengas verseuchter Klamotten,
- Augenspülflasche mit klarem Wasser,
- Medikamente für mehrere Tage,
- Sitzkissen,
- keine Schminke und Fettcreme (bindet Tränengas).
13 
Das Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand-Neckarwestheim rufe auf http://neckarwestheim.antiatom.net gemeinsam mit den Südwestdeutschen Anti-Atom-Initiativen dazu auf, „gegen die Atommüllverschiebung von Karlsruhe nach Lubmin am Transporttag (16.02.2011) entlang den Straßenbahnschienen in Karlsruhe zu demonstrieren und Aktionen entlang der gesamten Transportstrecke durchzuführen.
14 
Auf der Seite www.lubmin-nixda.de werde zur regen Teilnahme an bundesweiten Demonstrationen am 12.02.2011 entlang der möglichen Transportstrecken und zum „Widerstand im ganzen Land gegen diesen Castortransport, denn Atommüll geht uns alle an!“ aufgerufen. Für die darauffolgenden Tage (15.-18.02.2011) werde dazu aufgerufen, sich am Protest zu beteiligen: „Organisiert bei Euch an der Strecke Widerstand und stoppt den Castor am Tag X“.
15 
Die „Linksjugend (Solid) Karlsruhe“ rufe auf der Internetseite http://solidka.wordpress.com/castor zur Transportblockade auf. Neben einem eigenen Flyer werde auf die Internetseite der Nachttanzblockade verwiesen.
16 
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kam die Beklagte zu dem Schluss, dass im Zusammenhang mit dem am 15./16.02.2011 stattfindenden Castortransport mit massiven Störungen des Zuglaufs durch Blockadeaktionen bzw. Einwirkungen auf den Schienenstrang oder den Transportzug selbst gerechnet werden müsse. Wie viele Personen sich an den Protesten beteiligen werden, sei nicht absehbar. Vor dem Hintergrund der zuvor beschlossenen Laufzeitverlängerung von Atomanlagen sowie der Zwischen- und Endlagerproblematik sei jedoch von einem erheblichen Mobilisierungsgrad auszugehen. Unmittelbaren lokalen Bezug entfalte zudem der Rückkauf der EnBW-Aktien durch das Land Baden-Württemberg. Dass lediglich zwei Mahnwachen angemeldet worden seien, im Internet jedoch aktiv zu Protesten aufgerufen werde, lasse auf eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der Veranstalter schließen.
17 
Die Allgemeinverfügung sei das mildeste Mittel, welches in Anbetracht der Gefahrenprognose die Transportsicherung noch mit hinreichender Sicherheit gewährleiste. Der räumliche Geltungsbereich müsse in der Breite so gestaltet sein, dass das Durchsickern von Demonstranten zur Transportstrecke sowie das Erreichen des Zuges mit Wurfgeschossen nicht möglich sei. In zeitlicher Hinsicht bedürfe es aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit eines ausreichenden Zeitpuffers, um etwaige Transportverzögerungen aufzufangen.
18 
Am 14.02.2011 erhob der Kläger Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung und beantragte gleichzeitig beim Verwaltungsgericht Karlsruhe, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14.02.2011 (- 3 K 394/11 - juris) ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 15.02.2011 - 1 S 361/11 - zurück. Der Widerspruch wurde nicht mehr beschieden.
19 
Am 05.07.2011 erhob der Kläger Fortsetzungsfeststellungsklage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Das erforderliche Feststellungsinteresse sei unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zu bejahen. Es sei nicht sichergestellt, dass der Kläger bei zukünftigen Transporten von radioaktivem Müll durch Karlsruhe Versammlungen zur zeitnahen Information der betroffenen Bevölkerung über die mit dem Atommülltransport auf S-Bahn-Gleisen quer durch Wohngebiete einhergehende Gefährdung durchführen könne. Vielmehr sei zu befürchten, dass er auch künftig keine Versammlungen mit öffentlicher Messung der von Atommülltransporten ausgehenden Strahlung direkt am vorbeifahrenden Zug mit Castoren durchführen könne, da damit zu rechnen sei, dass die Beklagte dies erneut durch vergleichbare Allgemeinverfügungen zu verhindern suche. Die Allgemeinverfügung sei nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden, da sie nicht an die Bürgerinnen und Bürger ausgehändigt und ohne Begründung veröffentlicht worden sei. Dies habe die Rechtsschutzmöglichkeiten unzulässig eingeschränkt. Die Allgemeinverfügung sei in räumlicher und zeitlicher Hinsicht unverhältnismäßig gewesen. Sie habe die Versammlungsfreiheit für einen Zeitraum von 48 Stunden in einem großen Gebiet quer durch Karlsruhe, darunter u. a. am Bahnhofsplatz, für Versammlungen aller Art und unabhängig vom Thema, außer Kraft gesetzt. Der von der Allgemeinverfügung betroffene Personenkreis sei viel zu unbestimmt gewesen, weshalb bereits die Anreise per Stadtbahn zur Dauermahnwache einen Verstoß dargestellt habe. Die Gefahrenprognose sei nicht auf vergleichbare Sachverhalte gestützt worden. Schließlich habe kein polizeilicher Notstand vorgelegen. Die Polizeikräfte hätten ausgereicht, um etwaige rechtswidrige Versammlungen aufzulösen.
20 
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 15.02.2011 - 1 S 361/11 - entgegen.
21 
Mit Urteil vom 24.11.2011 - 3 K 1817/11 - wies das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab. In formeller Hinsicht bestünden keine Bedenken gegen die Allgemeinverfügung. Ihr Erlass und die öffentliche Bekanntmachung seien gerechtfertigt gewesen. Da bei dem Castortransport mit einer Mehrzahl lose verbundener Veranstalter und einzelner Demonstranten-gruppen ohne besondere innere Struktur habe gerechnet werden müssen, sei es nicht möglich gewesen, jedem einzelnen Teilnehmer oder Veranstalter gegenüber eine Einzelverfügung bekannt zu geben. Dies rechtfertige ein allgemeines Versammlungsverbot in Form einer Allgemeinverfügung. Einer öffentlichen Bekanntmachung auch der Begründung habe es nicht bedurft. Die Allgemeinverfügung sei auch in der Sache nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG im Zeitpunkt ihres Erlasses vorgelegen hätten. Es habe eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestanden. Die Beklagte habe in der Allgemeinverfügung zu Recht angenommen, dass die Erfahrung mit zurückliegenden Castortransporten die Annahme rechtfertige, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere durch Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffe in den Bahnverkehr - bestanden habe. Ferner seien zahlreiche Indizien, insbesondere Internetaufrufe zu Protest- und Blockadeaktionen, aufgeführt, die auch bei dem seinerzeit bevorstehenden Transport für mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Rechtsgüterverletzungen gesprochen hätten. Hervorzuheben seien die zahlreichen Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite www.nachttanzblockade.de verwiesen hätten. Aus der Gesamtheit der von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien habe sich die konkrete Erwartung ergeben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Blockaden der Schienenstrecke seien von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellten eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar, weil gegen die Eisenbahnbau- und Betriebsordnung sowie möglicherweise gegen § 315 StGB verstoßen werde. Die von der Beklagten getroffene Gefahrenprognose habe der Kläger nicht zu widerlegen vermocht. Die Beklagte sei zu Recht von einem polizeilichen Notstand ausgegangen, der es rechtfertige, einschränkend auf die Modalitäten der Versammlungsdurchführung einzuwirken, um den polizeilichen Schutzauftrag umfassend und wirksam erfüllen zu können. Ohne den Erlass der Allgemeinverfügung hätte der konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht hinreichend begegnet werden können. Die Beklagte und die Polizei hätten es personalmäßig nicht gewährleisten können, in jedem Einzelfall eine individuelle Gefahrenprognose für alle angemeldeten, vor allem aber auch alle unangemeldeten Versammlungen zu treffen. Die Regelungen der Allgemeinverfügung seien auch verhältnismäßig gewesen. Dass der Korridor, in dem Versammlungen verboten gewesen seien, 50 m beidseits der Transportstrecke sowie angrenzende Gebiete erfasst habe, sei nicht zu beanstanden. In der Allgemeinverfügung sei dieser Abstand nachvollziehbar mit dem Wurf von Gegenständen sowie der Gefahr des „Durchsickerns“ von Demonstranten begründet worden. Mit dieser Begründung hätten auch an die Transportstrecke angrenzende Straßen und die dazwischen liegenden Bereiche sowie der stark frequentierte und damit schwer zu kontrollierende Bahnhofsvorplatz in die Allgemeinverfügung aufgenommen werden dürfen, da mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten gewesen sei, dass auch friedliche Versammlungen dazu genutzt würden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen. In zeitlicher Hinsicht sei das Versammlungsverbot gut nachzuvollziehen, da ein Zeitpuffer eingeplant werden müsse.
22 
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 09.08.2012 - 1 S 210/12 - zugelassenen Berufung vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen.
23 
Der Kläger beantragt,
24 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24.11.2011 - 3 K 1817/11 - zu ändern und festzustellen, dass das Versammlungsverbot (Ziffern I. und II.) und die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung (Ziffer IV.) in der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 08.02.2011 rechtswidrig waren.
25 
Die Beklagte beantragt,
26 
die Berufung zurückzuweisen.
27 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
28 
Mit der Ladung zum Termin wurde die Beklagte darauf hingewiesen, dass die von ihr vorgelegten Akten nur eingeschränkt eine zuverlässige Überprüfung der in der Allgemeinverfügung getroffenen Gefahrprognose erlaubten. Üblicherweise werde die Gefahrprognose aufgrund einer polizeilichen Lageeinschätzung getroffen. Eine solche sei dem Senat nicht vorgelegt worden. Eine Überprüfung der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands sei ohne Kenntnis der Zahl der damals voraussichtlich benötigten und der tatsächlich zur Verfügung stehenden Polizeibeamten kaum möglich.
29 
Die Beklagte teilte darauf mit Schriftsatz vom 19.09.2013 mit, dass ihr keine weiteren Akten vorlägen, die nachgereicht werden könnten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärte der Vertreter der Beklagten, dass es keine polizeiliche Lageeinschätzung gegeben habe, wenn eine solche in den vorgelegten Akten nicht enthalten sei. Der Versammlungsbehörde seien aber wohl Informationen der Polizei „zugespielt worden“. Er erklärte weiter, dass der Beklagten ex ante bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
30 
Dem Senat liegen die von der Beklagten vorgelegten Akten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
31 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die im Berufungsverfahren erfolgte Beschränkung des Klageantrags stellt keine Klageänderung dar; sie ist nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO ohne weiteres zulässig.
II.
32 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Versammlungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
33 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Bei dem streitgegenständlichen Versammlungsverbot handelte es sich um einen Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG). Anlass der Allgemeinverfügung war der beabsichtigte Castortransport. Da es sich um einen einzelnen und konkret erkennbaren Lebenssachverhalt handelte, nahm der Umstand, dass sich das Versammlungsverbot auf eine Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern ausgewirkt hat, der Allgemeinverfügung nicht den Charakter eines einzelfallbezogenen Verwaltungsakts (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008,987). Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155, vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61 und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473, jeweils m.w.N.).
34 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O. m.w.N.).
35 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier bei einer Klageerhebung binnen Jahresfrist nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
36 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O. und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurteile vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O. und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
37 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.). Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt dabei zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405).
38 
Danach ist hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Ein Versammlungsverbot in Gestalt einer Allgemeinverfügung stellt stets eine schwere Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit dar. Da der Protest der Atomkraftgegner sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich richtet, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten, werden Castortransporte und andere Transporte radioaktiver Abfallprodukte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu Versammlungen und auch zu nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckten Protestaktionen wie etwa Blockaden der Transportstrecke bieten. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch anlässlich künftiger Atommülltransporte durch Karlsruhe Versammlungen unmittelbar an der Transportstrecke veranstalten zu wollen. Es ist zu erwarten, dass die Beklagte, die an ihrer Rechtsauffassung festhält, zur Sicherung solcher Transporte wiederum der streitgegenständlichen Verfügung vergleichbare Allgemeinverfügungen erlassen wird. Sie hat nicht zu erkennen gegeben, von diesem Instrument künftig in vergleichbaren Situationen keinen Gebrauch mehr machen zu wollen.
39 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Versammlungsverbot in der Form einer Allgemeinverfügung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Zwar war die Allgemeinverfügung formell rechtmäßig (a)) und hinreichend bestimmt (b)). Es spricht auch vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für den Erlass versammlungsbeschränkender Maßnahmen vorgelegen haben (c)). Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten nicht festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands gegeben waren (d)).
40 
a) Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Allgemeinverfügung ordnungsgemäß bekannt gegeben.
41 
Nach § 41 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Untunlich bedeutet, dass die individuelle Bekanntgabe wegen der Natur des in Rede stehenden Verwaltungsakts nicht möglich oder jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, etwa weil nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wer betroffen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 41 Rn. 46). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Aufgrund der Aufrufe im Internet zu verschiedenen Formen des Protestes, die nicht mit entsprechenden Anmeldungen von Versammlungen korrespondierten, war es nicht möglich, jedem einzelnen potentiellen Veranstalter oder Teilnehmer die Allgemeinverfügung oder gar eine Einzelverfügung bekannt zu geben.
42 
Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakts dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Diese Voraussetzung wurde mit der Bekanntgabe des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe erfüllt. In Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG wurde in der Bekanntmachung darauf hingewiesen, dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne. Abweichend von § 41 Abs. 4 Satz 3 LVwVfG, wonach der Verwaltungsakt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben gilt, wurde gemäß Satz 4 dieser Vorschrift bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
43 
Für einen Verstoß dieser Bekanntgabevorschriften oder ihrer Handhabung im Einzelfall gegen höherrangiges Recht ist nichts ersichtlich. Der Umstand, dass es dem Kläger möglich war, bereits am 14.02.2011 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung einzulegen und um Eilrechtsschutz nachzusuchen, belegt, dass die Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht unzumutbar erschwert wurden.
44 
b) Die Allgemeinverfügung war sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Adressatenkreises hinreichend bestimmt (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG).
45 
Für die inhaltliche Bestimmtheit genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
46 
Daran gemessen war die Allgemeinverfügung inhaltlich hinreichend bestimmt. Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs war hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Der Versammlungsbegriff ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinreichend konturiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 [Fuckparade 2001]; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 [Blockadeaktion]; Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - NJW 2001, 2459 [Love Parade]). Eine Versammlung ist danach die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Individuelle Meinungsbekundungen etwa durch das Tragen von Ansteckern und auch die Anreise zu einer Versammlung wurden danach von der Allgemeinverfügung nicht erfasst. Gleiches gilt für öffentliche Messungen der Radioaktivität, soweit sie nicht mit einer kollektiven Meinungskundgabe einhergehen.
47 
Einer konkreten Bezeichnung des Adressatenkreises der Allgemeinverfügung bedurfte es nicht, da dieser sich ohne weiteres aus dem Regelungsinhalt des Versammlungsverbots ergab. Adressat war danach jede Person, die innerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung an einer Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug teilnehmen wollte. Der Adressatenkreis war damit - wie dies für eine personenbezogene Allgemeinverfügung kennzeichnend ist - nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar. Dem entsprechend wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang unter IV. der Verfügung „den Versammlungsteilnehmern“ angedroht. Eine weitere Konkretisierung des Adressatenkreises war nicht möglich, da die Allgemeinverfügung auf eine unbestimmte Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern zielte.
48 
c) Es spricht vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen haben.
49 
aa) Versammlungsbeschränkende Maßnahmen dürfen nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
50 
bb) Hier bereitet die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG Schwierigkeiten, weil in den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht dokumentiert ist, welche Erkenntnisse ihr bei Erlass der Allgemeinverfügung zur Verfügung standen und die Beklagte hierzu auch keine verbindlichen Angaben machen konnte. Aus den in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten Erkenntnissen kann nur indirekt darauf geschlossen werden, dass diese auf entsprechenden Informationen seitens der Polizei - etwa auf einer polizeilichen Lageeinschätzung - beruhen.
51 
cc) Sieht man über diese Unsicherheiten hinweg, so erweist sich die auf dieser Tatsachengrundlage getroffene Gefahrenprognose jedoch im Grundsatz als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründeten. Die in der Begründung angeführten Erfahrungen aus zurückliegenden Castortransporten dürften die Annahme gerechtfertigt haben, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffen in den Bahnverkehr - bestand. Dafür sprachen auch die ebenfalls in der Begründung angeführten Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite „www.nachttanzblockade.de“ verwiesen. In einer Gesamtschau dürften die von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien die Prognose gerechtfertigt haben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Derartige Blockadeaktionen auf der Schienenstrecke sind von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellen eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar. Denn eine Sitzblockade auf den Schienen einer dem öffentlichen Eisenbahnverkehr dienenden Schienenstrecke stellt zumindest einen Verstoß gegen § 62 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung - EBO - dar und kann darüber hinaus auch als Transportgefährdung gemäß § 315 StGB strafbar sein. Der Verstoß gegen die EBO und gegen § 315 StGB durch derartige Blockaden ist nicht durch das Versammlungsrecht gerechtfertigt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 12.03.1998 - 1 BvR 2165/96 - juris). Blockaden, die nicht nur kurzfristig und symbolisch Protest ausdrücken sollen, sondern auf die Verhinderung dessen gerichtet sind, was politisch missbilligt wird, sind grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Auch wenn Sitzblockaden bei passiver Haltung der Teilnehmer nicht als unfriedlich anzusehen sind und für sie folglich der Schutz des Art. 8 GG nicht von vornherein entfällt, überschreiten sie den Bereich der geistigen Auseinandersetzung, wenn sie sich nicht als demonstrative Sitzblockaden auf die Kundgabe einer Meinung und die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen beschränken, sondern auf die Beeinträchtigung der Rechte anderer und die Ausübung von Zwang sowie die Schaffung von Tatsachen gerichtet sind. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen durch gezielte und absichtliche Behinderung der Rechte Dritter zu steigern (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 206; Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. - BVerfGE 104, 92; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 15 Rn. 195 f.; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 <259 f.>; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - a.a.O.).
52 
Die Gefahr von Blockadeaktionen dürfte ebenso wie die Gefahr des Werfens von Gegenständen auf die Transportstrecke versammlungsbeschränkende Maßnahmen in einem Korridor entlang der Strecke grundsätzlich gerechtfertigt haben. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Kläger selbst Rechtsverletzungen in der Vergangenheit zu verantworten hatte oder nicht. Es ist auch nicht entscheidend, ob von den angemeldeten Versammlungen in Karlsruhe-Neureut voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Denn die Allgemeinverfügung betraf nicht nur den Kläger, sondern alle Demonstrationsteilnehmer, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt deshalb auf eine Gesamtbetrachtung an, d.h. ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen "Aktionen" entlang der Transportstrecke eine unmittelbare Gefahr der öffentlichen Sicherheit zu erwarten war. Hier spricht vieles dafür, dass die Prognose gerechtfertigt war, dass sich aus zunächst friedlichen Versammlungen rechtswidrige Blockadeaktionen entwickeln und weitere Straftaten wie etwa Gefährdungen des Schienenverkehrs begangen werden. Auch die Befürchtung, dass friedliche Versammlungen genutzt werden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen, dürfte gerechtfertigt gewesen sein.
53 
d) Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil die zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit jedenfalls nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen, wie die Beklagte es in Gestalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erlassen hat, gerechtfertigt haben. Denn ein solches Versammlungsverbot darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erlassen werden und mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Notstand gegeben war.
54 
aa) Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet war, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorgelegen hätten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 m.w.N.). Denn insoweit wurde durch die Allgemeinverfügung auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht hatten, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa Beschädigungen der Gleisanlagen, zu beteiligen.
55 
bb) Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen (BVerwG, Beschl. v. 01.10.2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 15 Rn. 41 f.; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Kap. D Rn. 138 ff.). Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die Behörde zunächst gegen diese vorzugehen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01 - NJW 2001, 1411 <1412> u. v. 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 - NVwZ-RR 2007, 641 <642> m.w.N.). Voraussetzung des Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 ff., vgl. auch Beschl. v. 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 - NJW 2000, 3053 und BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 - NVwZ 1999, 991 <992>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz des Castortransports nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dabei nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
56 
cc) Daran gemessen kann hier nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorlagen. Zwar stellt die Begleitung eines Castortransports angesichts der regelmäßig langen Transportstrecke (hier von Karlsruhe nach Lubmin) und der großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger "Aktionsformen" mit zum Teil vielen, aber teilweise auch wenigen Teilnehmern, die gerade deshalb (bei unangemeldeten Veranstaltungen) entlang der langen Strecke schwer zu "orten" und polizeilich zu begleiten sind, eine außergewöhnlich komplexe polizeiliche Aufgabe dar. Allein dies vermag jedoch noch keinen polizeilichen Notstand zu begründen. Zu berücksichtigen ist, dass die Mobilisierung der Castor-Gegner, von denen Störungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind, entlang der langen Transportstrecke regional höchst unterschiedlich ist. Zu Situationen, die die Annahme eines polizeilichen Notstands rechtfertigten, kam es in der Vergangenheit vor allem im Wendland. Bei den von der Beklagten der Gefahrprognose zugrunde gelegten Vorfällen konnten Störungen überwiegend durch ein gezieltes Vorgehen gegen die Störer (Platzverweise, Ingewahrsam-nahmen) beseitigt werden, ohne dass es zu nennenswerten Verzögerungen des jeweiligen Castortransports gekommen wäre. Lediglich bei dem Transport am 06.11.2010, als im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) bis zu 1.000 Demonstranten gleichzeitig die Transportstrecke blockierten, spricht einiges dafür, dass dort die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorgelegen haben könnten. Als es nach Bekanntwerden der Zugumleitung in der Folge zu einer Spontanversammlung von ca. 250 - 300 Personen im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe kam, die versuchten, eine Polizeiabsperrung zu überrennen und auf den Gleisanlagen eine Blockade zu errichten, war die Polizei jedoch in der Lage, dies durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung von unmittelbarem Zwang zu verhindern. Da die Beklagte bereits nicht dargelegt hat, in welcher Zahl ihr Polizeikräfte zur Sicherung des Castortransports in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung standen und wie viel Polizeibeamte voraussichtlich erforderlich gewesen wären, um ohne ein präventives allgemeines Versammlungsverbot Störungen der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit dem Castortransport zu verhindern, muss vorliegend eine Beweislastentscheidung getroffen werden. Ansatzpunkte für eine weitere Sachaufklärung sind nicht gegeben, nachdem der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, dass der Beklagten bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
57 
e) Erweist sich das Versammlungsverbot als rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung.
III.
58 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
59 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
60 
Beschluss vom 6. November 2013
61 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
62 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
31 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die im Berufungsverfahren erfolgte Beschränkung des Klageantrags stellt keine Klageänderung dar; sie ist nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO ohne weiteres zulässig.
II.
32 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Versammlungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
33 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Bei dem streitgegenständlichen Versammlungsverbot handelte es sich um einen Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG). Anlass der Allgemeinverfügung war der beabsichtigte Castortransport. Da es sich um einen einzelnen und konkret erkennbaren Lebenssachverhalt handelte, nahm der Umstand, dass sich das Versammlungsverbot auf eine Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern ausgewirkt hat, der Allgemeinverfügung nicht den Charakter eines einzelfallbezogenen Verwaltungsakts (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008,987). Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155, vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61 und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473, jeweils m.w.N.).
34 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O. m.w.N.).
35 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier bei einer Klageerhebung binnen Jahresfrist nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
36 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O. und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurteile vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O. und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
37 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.). Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt dabei zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405).
38 
Danach ist hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Ein Versammlungsverbot in Gestalt einer Allgemeinverfügung stellt stets eine schwere Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit dar. Da der Protest der Atomkraftgegner sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich richtet, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten, werden Castortransporte und andere Transporte radioaktiver Abfallprodukte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu Versammlungen und auch zu nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckten Protestaktionen wie etwa Blockaden der Transportstrecke bieten. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch anlässlich künftiger Atommülltransporte durch Karlsruhe Versammlungen unmittelbar an der Transportstrecke veranstalten zu wollen. Es ist zu erwarten, dass die Beklagte, die an ihrer Rechtsauffassung festhält, zur Sicherung solcher Transporte wiederum der streitgegenständlichen Verfügung vergleichbare Allgemeinverfügungen erlassen wird. Sie hat nicht zu erkennen gegeben, von diesem Instrument künftig in vergleichbaren Situationen keinen Gebrauch mehr machen zu wollen.
39 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Versammlungsverbot in der Form einer Allgemeinverfügung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Zwar war die Allgemeinverfügung formell rechtmäßig (a)) und hinreichend bestimmt (b)). Es spricht auch vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für den Erlass versammlungsbeschränkender Maßnahmen vorgelegen haben (c)). Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten nicht festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands gegeben waren (d)).
40 
a) Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Allgemeinverfügung ordnungsgemäß bekannt gegeben.
41 
Nach § 41 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Untunlich bedeutet, dass die individuelle Bekanntgabe wegen der Natur des in Rede stehenden Verwaltungsakts nicht möglich oder jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, etwa weil nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wer betroffen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 41 Rn. 46). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Aufgrund der Aufrufe im Internet zu verschiedenen Formen des Protestes, die nicht mit entsprechenden Anmeldungen von Versammlungen korrespondierten, war es nicht möglich, jedem einzelnen potentiellen Veranstalter oder Teilnehmer die Allgemeinverfügung oder gar eine Einzelverfügung bekannt zu geben.
42 
Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakts dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Diese Voraussetzung wurde mit der Bekanntgabe des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe erfüllt. In Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG wurde in der Bekanntmachung darauf hingewiesen, dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne. Abweichend von § 41 Abs. 4 Satz 3 LVwVfG, wonach der Verwaltungsakt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben gilt, wurde gemäß Satz 4 dieser Vorschrift bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
43 
Für einen Verstoß dieser Bekanntgabevorschriften oder ihrer Handhabung im Einzelfall gegen höherrangiges Recht ist nichts ersichtlich. Der Umstand, dass es dem Kläger möglich war, bereits am 14.02.2011 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung einzulegen und um Eilrechtsschutz nachzusuchen, belegt, dass die Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht unzumutbar erschwert wurden.
44 
b) Die Allgemeinverfügung war sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Adressatenkreises hinreichend bestimmt (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG).
45 
Für die inhaltliche Bestimmtheit genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
46 
Daran gemessen war die Allgemeinverfügung inhaltlich hinreichend bestimmt. Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs war hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Der Versammlungsbegriff ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinreichend konturiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 [Fuckparade 2001]; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 [Blockadeaktion]; Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - NJW 2001, 2459 [Love Parade]). Eine Versammlung ist danach die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Individuelle Meinungsbekundungen etwa durch das Tragen von Ansteckern und auch die Anreise zu einer Versammlung wurden danach von der Allgemeinverfügung nicht erfasst. Gleiches gilt für öffentliche Messungen der Radioaktivität, soweit sie nicht mit einer kollektiven Meinungskundgabe einhergehen.
47 
Einer konkreten Bezeichnung des Adressatenkreises der Allgemeinverfügung bedurfte es nicht, da dieser sich ohne weiteres aus dem Regelungsinhalt des Versammlungsverbots ergab. Adressat war danach jede Person, die innerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung an einer Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug teilnehmen wollte. Der Adressatenkreis war damit - wie dies für eine personenbezogene Allgemeinverfügung kennzeichnend ist - nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar. Dem entsprechend wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang unter IV. der Verfügung „den Versammlungsteilnehmern“ angedroht. Eine weitere Konkretisierung des Adressatenkreises war nicht möglich, da die Allgemeinverfügung auf eine unbestimmte Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern zielte.
48 
c) Es spricht vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen haben.
49 
aa) Versammlungsbeschränkende Maßnahmen dürfen nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
50 
bb) Hier bereitet die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG Schwierigkeiten, weil in den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht dokumentiert ist, welche Erkenntnisse ihr bei Erlass der Allgemeinverfügung zur Verfügung standen und die Beklagte hierzu auch keine verbindlichen Angaben machen konnte. Aus den in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten Erkenntnissen kann nur indirekt darauf geschlossen werden, dass diese auf entsprechenden Informationen seitens der Polizei - etwa auf einer polizeilichen Lageeinschätzung - beruhen.
51 
cc) Sieht man über diese Unsicherheiten hinweg, so erweist sich die auf dieser Tatsachengrundlage getroffene Gefahrenprognose jedoch im Grundsatz als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründeten. Die in der Begründung angeführten Erfahrungen aus zurückliegenden Castortransporten dürften die Annahme gerechtfertigt haben, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffen in den Bahnverkehr - bestand. Dafür sprachen auch die ebenfalls in der Begründung angeführten Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite „www.nachttanzblockade.de“ verwiesen. In einer Gesamtschau dürften die von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien die Prognose gerechtfertigt haben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Derartige Blockadeaktionen auf der Schienenstrecke sind von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellen eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar. Denn eine Sitzblockade auf den Schienen einer dem öffentlichen Eisenbahnverkehr dienenden Schienenstrecke stellt zumindest einen Verstoß gegen § 62 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung - EBO - dar und kann darüber hinaus auch als Transportgefährdung gemäß § 315 StGB strafbar sein. Der Verstoß gegen die EBO und gegen § 315 StGB durch derartige Blockaden ist nicht durch das Versammlungsrecht gerechtfertigt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 12.03.1998 - 1 BvR 2165/96 - juris). Blockaden, die nicht nur kurzfristig und symbolisch Protest ausdrücken sollen, sondern auf die Verhinderung dessen gerichtet sind, was politisch missbilligt wird, sind grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Auch wenn Sitzblockaden bei passiver Haltung der Teilnehmer nicht als unfriedlich anzusehen sind und für sie folglich der Schutz des Art. 8 GG nicht von vornherein entfällt, überschreiten sie den Bereich der geistigen Auseinandersetzung, wenn sie sich nicht als demonstrative Sitzblockaden auf die Kundgabe einer Meinung und die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen beschränken, sondern auf die Beeinträchtigung der Rechte anderer und die Ausübung von Zwang sowie die Schaffung von Tatsachen gerichtet sind. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen durch gezielte und absichtliche Behinderung der Rechte Dritter zu steigern (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 206; Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. - BVerfGE 104, 92; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 15 Rn. 195 f.; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 <259 f.>; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - a.a.O.).
52 
Die Gefahr von Blockadeaktionen dürfte ebenso wie die Gefahr des Werfens von Gegenständen auf die Transportstrecke versammlungsbeschränkende Maßnahmen in einem Korridor entlang der Strecke grundsätzlich gerechtfertigt haben. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Kläger selbst Rechtsverletzungen in der Vergangenheit zu verantworten hatte oder nicht. Es ist auch nicht entscheidend, ob von den angemeldeten Versammlungen in Karlsruhe-Neureut voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Denn die Allgemeinverfügung betraf nicht nur den Kläger, sondern alle Demonstrationsteilnehmer, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt deshalb auf eine Gesamtbetrachtung an, d.h. ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen "Aktionen" entlang der Transportstrecke eine unmittelbare Gefahr der öffentlichen Sicherheit zu erwarten war. Hier spricht vieles dafür, dass die Prognose gerechtfertigt war, dass sich aus zunächst friedlichen Versammlungen rechtswidrige Blockadeaktionen entwickeln und weitere Straftaten wie etwa Gefährdungen des Schienenverkehrs begangen werden. Auch die Befürchtung, dass friedliche Versammlungen genutzt werden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen, dürfte gerechtfertigt gewesen sein.
53 
d) Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil die zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit jedenfalls nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen, wie die Beklagte es in Gestalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erlassen hat, gerechtfertigt haben. Denn ein solches Versammlungsverbot darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erlassen werden und mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Notstand gegeben war.
54 
aa) Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet war, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorgelegen hätten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 m.w.N.). Denn insoweit wurde durch die Allgemeinverfügung auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht hatten, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa Beschädigungen der Gleisanlagen, zu beteiligen.
55 
bb) Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen (BVerwG, Beschl. v. 01.10.2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 15 Rn. 41 f.; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Kap. D Rn. 138 ff.). Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die Behörde zunächst gegen diese vorzugehen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01 - NJW 2001, 1411 <1412> u. v. 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 - NVwZ-RR 2007, 641 <642> m.w.N.). Voraussetzung des Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 ff., vgl. auch Beschl. v. 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 - NJW 2000, 3053 und BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 - NVwZ 1999, 991 <992>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz des Castortransports nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dabei nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
56 
cc) Daran gemessen kann hier nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorlagen. Zwar stellt die Begleitung eines Castortransports angesichts der regelmäßig langen Transportstrecke (hier von Karlsruhe nach Lubmin) und der großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger "Aktionsformen" mit zum Teil vielen, aber teilweise auch wenigen Teilnehmern, die gerade deshalb (bei unangemeldeten Veranstaltungen) entlang der langen Strecke schwer zu "orten" und polizeilich zu begleiten sind, eine außergewöhnlich komplexe polizeiliche Aufgabe dar. Allein dies vermag jedoch noch keinen polizeilichen Notstand zu begründen. Zu berücksichtigen ist, dass die Mobilisierung der Castor-Gegner, von denen Störungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind, entlang der langen Transportstrecke regional höchst unterschiedlich ist. Zu Situationen, die die Annahme eines polizeilichen Notstands rechtfertigten, kam es in der Vergangenheit vor allem im Wendland. Bei den von der Beklagten der Gefahrprognose zugrunde gelegten Vorfällen konnten Störungen überwiegend durch ein gezieltes Vorgehen gegen die Störer (Platzverweise, Ingewahrsam-nahmen) beseitigt werden, ohne dass es zu nennenswerten Verzögerungen des jeweiligen Castortransports gekommen wäre. Lediglich bei dem Transport am 06.11.2010, als im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) bis zu 1.000 Demonstranten gleichzeitig die Transportstrecke blockierten, spricht einiges dafür, dass dort die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorgelegen haben könnten. Als es nach Bekanntwerden der Zugumleitung in der Folge zu einer Spontanversammlung von ca. 250 - 300 Personen im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe kam, die versuchten, eine Polizeiabsperrung zu überrennen und auf den Gleisanlagen eine Blockade zu errichten, war die Polizei jedoch in der Lage, dies durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung von unmittelbarem Zwang zu verhindern. Da die Beklagte bereits nicht dargelegt hat, in welcher Zahl ihr Polizeikräfte zur Sicherung des Castortransports in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung standen und wie viel Polizeibeamte voraussichtlich erforderlich gewesen wären, um ohne ein präventives allgemeines Versammlungsverbot Störungen der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit dem Castortransport zu verhindern, muss vorliegend eine Beweislastentscheidung getroffen werden. Ansatzpunkte für eine weitere Sachaufklärung sind nicht gegeben, nachdem der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, dass der Beklagten bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
57 
e) Erweist sich das Versammlungsverbot als rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung.
III.
58 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
59 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
60 
Beschluss vom 6. November 2013
61 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
62 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Kostenentscheidungen der Beschlüsse werden aufgehoben. Das Verfahren wird insoweit an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer meldeten Anfang September 2010 bei der Stadt L. ihr Vorhaben an, am 16. Oktober 2010 (von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr) in L. eine Versammlung unter freiem Himmel durchzuführen. Die geplante Versammlung sollte aus drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt von L. bestehen. Die Teilnehmerzahl wurde von den Beschwerdeführern bei der Anmeldung auf 600 Personen geschätzt. Das Motto der geplanten Versammlung lautete "Recht auf Zukunft". Es bezog sich auf eine am 17. Oktober 2009 in L. von der Beschwerdeführerin zu 4), einer Unterorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), veranstaltete Versammlung, bei der es im Zusammenhang mit einer Versammlungsblockade durch Gegendemonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und letztlich zu einer polizeilichen Auflösung der Versammlung kam.

3

Angesichts dieser Vorgeschichte und der Anmeldung von zahlreichen Gegendemonstrationen kam es zwischen der Anmeldung und der Durchführung der geplanten Versammlung zu umfangreichen Verhandlungen zwischen den Beschwerdeführern und der Stadt L., die unter anderem in Kooperationsgesprächen am 4., am 6. und am 13. Oktober 2010 eingehend die polizeilich sicherbare Anzahl der geplanten Aufzüge und die konkrete Streckenführung erörterten. In einer Gefährdungsanalyse am 4. Oktober 2010 bekundete die Polizeidirektion L. dabei laut den tatsächlichen Feststellungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass der Schutz von zwei der angemeldeten Aufzüge mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften gewährleistet werden könne. Am 11. Oktober 2010 teilte der Beschwerdeführer zu 1) der Stadt schließlich mit, dass am 16. Oktober 2010 nunmehr lediglich ein einziger Aufzug stattfinden solle. Am 12. Oktober 2010 ergänzte die Polizeidirektion L. ihre Gefahrprognose insofern, dass nunmehr nur eine maximal vierstündige stationäre Kundgebung durchführbar sei, weil nach den Erfahrungen des Versammlungsgeschehens vom 17. Oktober 2009 mit einer höheren als der angemeldeten Teilnehmerzahl zu rechnen sei und jeweils ca. 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration und der Gegendemonstrationen als gewaltbereit einzustufen seien.

4

2. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 untersagte die Stadt L. die Durchführung der Versammlung als Aufzug, verfügte die Durchführung als stationäre Kundgebung in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in einem Bereich am L. Hauptbahnhof und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Auflage an. Die Polizeidirektion L. habe in ihrer Gefahrprognose vom 12. Oktober 2010 dargelegt, dass im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Oktober 2010 aufgrund von zahlreichen Versammlungsanmeldungen widerstreitender politischer Lager eine latente Gefährdungssituation vorhanden sei, die einen außerordentlich hohen Kräfteeinsatz der Polizei erfordere. Es sei davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer der Aufzüge bei Angriffen durch Personen der linksextremistischen Klientel provozieren ließen und darauf entsprechend reagierten. Die Polizei habe glaubhaft dargelegt, dass sie kräftetechnisch außerstande sei, einen Aufzug zu begleiten, da trotz bundesweiter Anfragen nur 29 der für erforderlich gehaltenen 44 Polizeihundertschaften, also nur 66 % der geplanten Polizeikräfte, zur Verfügung stünden. Die Ausübung der Versammlungsfreiheit werde trotz der Beschränkungen nicht vereitelt, da der zugewiesene Ort eine hinreichende Öffentlichkeitswirksamkeit und eine räumliche Trennung der gegensätzlichen politischen Lager gewährleiste.

5

3. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer noch am gleichen Tag Widerspruch und stellten beim Verwaltungsgericht Leipzig die Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Auflage, nur eine stationäre Kundgebung durchzuführen, wiederherzustellen sowie im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Verbot sämtlicher Versammlungen in einem Umkreis von 300 m um die angemeldeten Aufzugstrecken anzuordnen. Das Verwaltungsgericht Leipzig lehnte die Eilanträge mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Bescheid vom 13. Oktober 2010 rechtmäßig sei und somit das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheids die Interessen der Beschwerdeführer überwiege. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, die Stadt L., sei auf der Grundlage der Einschätzung der Polizeidirektion L. nachvollziehbar davon ausgegangen, dass infolge zahlreicher Gegenaktionen und -demonstrationen bei Durchführung des im Zuge der Kooperation der Beschwerdeführer zuletzt noch geplanten einzigen Aufzuges eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bestehe. Bei der Vielzahl der angemeldeten und geplanten Veranstaltungen am 16.10.2010, unter anderem ein Fußballspiel, und in Anbetracht der beschriebenen begrenzten Kräftelage der Polizei sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einhergehenden Personen- und Sachschäden zu rechnen, denen nur mit der Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung begegnet werden könne. Dieser Gefahr könne in Anbetracht der besonderen Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 auch nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer begegnet werden.

6

4. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts legten die Beschwerdeführer Beschwerde ein. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 zurück. Ob ein polizeilicher Notstand vorliege, sei im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend zu beurteilen. Der Einschätzung der Polizeidirektion lasse sich entnehmen, dass aufgrund des Versammlungsgeschehens im Vorjahr mit gewalttätigen Auseinandersetzungen einer Anzahl von 10 bis 20 % der Teilnehmer sowohl auf Seiten der Beschwerdeführer wie auf Seiten linker Demonstranten gerechnet werde. Zwar erschließe sich dem Gericht nicht, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb kurzer Zeit so erhöht haben solle, dass statt der zwei Aufzüge, die die Polizeidirektion ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten habe, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Wegen der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit sei aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Danach sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil für den Antragsteller die mit der Durchführung einer nur stationären Kundgebung verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmbar seien.

7

5. Die Beschwerdeführer beantragten sodann beim Bundesverfassungsgericht zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen Antrag hat die Kammer aufgrund der besonderen Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, dabei jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Klärung der aufgeworfenen Fragen in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsachverfahren hingewiesen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris).

8

6. Hieraufhin erhoben die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts fristgemäß Verfassungsbeschwerde mit der Rüge, durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Rechten aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt zu sein.

9

7. Das Bundesverfassungsgericht hat der Stadt L. als Gegnerin des Ausgangsverfahrens, dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa sowie der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

10

Nach Auffassung des Rechtsamtes der Stadt L. liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht vor. Das Sächsische Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des unter anderem für das Versammlungsrecht zuständigen 6. Revisionssenats übersandt, in der dieser Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen äußert.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 69, 315 <340 ff.>; 110, 77 <83 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zulässig und begründet.

12

1. Der Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG steht weder der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde noch das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses entgegen.

13

a) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache nur, soweit die geltend gemachte Verletzung von Freiheitsrechten oder von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung der Gerichte in der Hauptsache noch ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier rügen die Beschwerdeführer allerdings gerade die Missachtung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bei der Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr behandelt werden würde.

14

b) Auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer besteht, obwohl der Demonstrationstermin verstrichen und damit der Sofortvollzug der strittigen Auflagen gegenstandslos geworden ist. Sind verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht (mehr) zu klären, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung des ursprünglichen Begehrens im Falle einer Wiederholungsgefahr, also wenn ein Gericht die bereits herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht beachtet hat und bei hinreichend bestimmter Gefahr einer gleichartigen Entscheidung bei gleichartiger Sach- und Rechtslage zu befürchten ist, dass es diese auch in Zukunft verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier führten die Beschwerdeführer bereits konflikthafte Versammlungen in L. durch und planen auch in Zukunft die Durchführung von Versammlungen in L., bei denen sie mit ähnlichen Konfliktsituationen rechnen und gegebenenfalls gleichartige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts befürchten müssten.

15

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

16

a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343> oder <355 ff.>; 128, 226 <250 f.>).

17

Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Nach § 15 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 in der Fassung vom 8. Dezember 2008 (BGBl I S. 2366; im Folgenden: VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung durchgeführt werden darf (vgl. BVerfGK 2, 1 <8>). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Ferner gilt, dass, soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, die Durchführung der Versammlung zu schützen ist und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten sind (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>; BVerfG , Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2072>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfGK 17, 303 <308>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

18

b) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 23. März 2004 - 1 BvR 745/01 -, juris, Rn. 13). Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren als außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegender Rechtsbehelf kann die primäre Rechtsschutzfunktion der Fachgerichte ebenfalls nicht übernehmen. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung auslösen kann, ist hierbei zudem ein strenger, von den verwaltungsgerichtlichen Kriterien grundsätzlich unterschiedener Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris, Rn. 4). Daher müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der beschriebenen strengen Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene.

19

3. Diese Maßstäbe haben das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bei den ihnen obliegenden Entscheidungen über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend berücksichtigt. Beide Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsbeschränkende behördliche Maßnahmen nicht gerecht.

20

a) Die vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die Verhinderung der Versammlung in Form eines Aufzugs hätte rechtfertigen können. Das Verwaltungsgericht legt insofern bereits nicht hinreichend deutlich dar, ob seiner Auffassung nach auch von der Versammlung selbst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder diese Gefahr ausschließlich aufgrund der zahlreichen Gegendemonstrationen und den hieraus zu erwartenden Störungen der Versammlung besteht. Dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Begründung seines Standpunktes im Wesentlichen lediglich auf die Einschätzung der Polizeidirektion L., die ohne nähere Erläuterung 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration dem gewaltbereiten Klientel zurechnete, verweist, genügt den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG insofern jedenfalls nicht.

21

Auch im Hinblick auf eine Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes genügen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht weist insofern zur Begründung des Vorliegens einer nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer abwendbaren Gefahr, insbesondere auf die besondere Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 und die deswegen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräfte, hin und beruft sich dabei pauschal auf die Einschätzung der Polizeidirektion L. vom 13. Oktober 2010. Berücksichtigt man aber den Umstand, dass die Polizeidirektion in ihrer Gefährdungsanalyse vom 4. Oktober 2010 offenbar noch zwei der angemeldeten Aufzüge mit den ihr voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kräften für sicherbar hielt, erfüllt diese pauschale Bezugnahme auf die Einschätzung der Polizeidirektion vom 13. Oktober 2010 nicht die den Anforderungen an die entsprechend obigen Maßstäben bereits im Eilverfahren gebotene intensivere Rechtmäßigkeitsprüfung. Vielmehr hätte die kurzfristige Änderung der polizeilichen Einschätzung, die sich nicht ohne weiteres erschließt, das Verwaltungsgericht zu einer substantiierteren Prüfung der veränderten polizeilichen Einschätzung und zur Nachfrage einer genaueren Begründung ihrer Entscheidung veranlassen müssen. Dass dies vorliegend aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Auch im Übrigen hätte es dezidierterer Feststellungen bedurft, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Die behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Gegendemonstrationen kann nach obigen Maßstäben jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden. Auch die Bindung von Polizeikräften aufgrund eines parallel stattfindenden Fußballspiels und sonstiger Veranstaltungen, deren vorrangige Schutzwürdigkeit sich nicht ohne weiteres erschließt, reicht hierfür nicht aus.

22

b) Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls nicht stand. Zwar hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht deutliche Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen eines für die Rechtfertigung der versammlungsrechtlichen Auflage erforderlichen polizeilichen Notstandes geäußert und nachvollziehbar dargelegt, dass sich ihm nicht erschließe, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der Gefährdungsanalyse der Polizeidirektion L. vom 4. Oktober 2010 und dem Erlass der Auflage am 13. Oktober 2010 so erhöht haben soll, dass statt der zwei Aufzüge, die ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten wurden, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Auch erscheint es nachvollziehbar, dass dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die Vornahme der hier grundsätzlich gebotenen und soweit als möglich nicht lediglich summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Auflage nicht mehr möglich war. Allerdings hätte es dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in dieser Konstellation, um der Freiheitsvermutung zugunsten der Versammlungsfreiheit zumindest in der Sache Rechnung zu tragen, oblegen, eine besonders sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese in der Begründung seiner Entscheidung hinreichend offenzulegen. Vorliegend hat sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, auf die vermeintlich geringe Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzuweisen, ohne auch nur ansatzweise ausreichend auf das Bestehen einer die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit überwiegenden potentiellen Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter einzugehen.

23

4. Demgemäß ist festzustellen, dass sowohl der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig als auch der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Einer Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung bedarf es darüberhinausgehend nur bezüglich der Kostenentscheidungen, da in der Sache selbst Erledigung eingetreten ist (vgl. Schemmer, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. Aufl. 2005, BVerfGG, § 93c Rn. 33).

24

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. November 2011 - 3 K 1817/11 - geändert.

Es wird festgestellt, dass das Versammlungsverbot (Ziffern I. und II.) und die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung (Ziffer IV.) in der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 08.02.2011 rechtswidrig waren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines durch Allgemeinverfügung erlassenen Versammlungsverbots zur Sicherung eines Castortransports.
Mit einer auf § 15 Abs. 1 VersammlG und § 35 Satz 2 LVwVfG gestützten Allgemeinverfügung vom 08.02.2011 untersagte die Beklagte - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge für den Zeitraum vom 15.02.2011, 0.00 Uhr bis zum 16.02.2011, 24.00 Uhr (I. der Verfügung). Der räumliche Geltungsbereich des Versammlungsverbots wurde in den Anlagen 1 und 2 zur Allgemeinverfügung festgelegt (II. der Verfügung). Er umfasste einen Korridor von jeweils 50 m Breite beidseits der Gleise entlang der Schienentransportstrecke des beabsichtigten Transports von HAW-Glaskokillen in Castor-Behältern sowie im Einzelnen bezeichnete Straßen und Straßenabschnitte einschließlich der dazwischen liegenden Flächen auf dem Gebiet der Beklagten. Nach III. der Verfügung wurden in diesem Bereich auch Sitzblockaden, andere Blockaden des HAW-Transports oder das Bereiten jedweder sonstiger Hindernisse verboten. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer I oder III wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang angedroht (IV. der Verfügung). Unter VI. wurde bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
Die Allgemeinverfügung wurde am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe ohne Begründung bekannt gemacht. In der Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, dass die Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne.
In der Begründung wurde ausgeführt, der Beklagten lägen für den Zeitraum des Castortransports durch das Stadtgebiet bislang lediglich zwei Anmeldungen für Mahnwachen vor. Es sei jedoch mit weiteren Demonstrationen zu rechnen. Trotz diverser bundesweiter Demonstrationsaufrufe verschiedener Organisationen sei es der Versammlungsbehörde nicht möglich, an Verantwortliche im Sinn von § 14 Abs. 2 VersammlG Einzelverfügungen zu adressieren, da keine Anmeldung im Sinn von § 14 Abs. 1 VersammlG erfolgt sei. Aus diesem Grund bleibe nur die gewählte Form der Allgemeinverfügung. Die Gefahrenprognose stütze sich auf Erfahrungen bei vergangenen Atomtransporten und auf aktuelle Aufrufe zu Protest- und Blockadeaktionen im Internet. Fünf Vorfälle aus den Jahren 2004 - 2010 wurden ausdrücklich angeführt:
Am 07.11.2004 habe sich anlässlich eines Castortransports eine Gruppe von 20 - 25 Personen im Bereich Mannheim-Friedrichsfeld/Schwetzingen auf den Weg Richtung Gleisanlage gemacht. Es seien Platzverweise ausgesprochen und sechs Personen in Gewahrsam genommen worden. Nach den Gesamtumständen habe die Personengruppe die Gleise blockieren wollen.
Anlässlich eines Castortransports am 11.11.2006 habe ein Zug in Höhe Büchig (Stutensee) halten müssen, da im weiteren Streckenverlauf ein verdächtigtes Päckchen auf der Gleisanlage gelegen habe sowie in dessen Nähe ein Transparent „Stoppt den Castor“ über die Gleise gespannt worden sei. Kurze Zeit später habe der Zug wegen eines mit Holzstücken gefüllten Eimers auf den Schienen halten müssen. Fast zeitgleich hätten in Mannheim (Ansiedlung Alteichwald) fünf Personen aus einer sechsköpfigen Gruppe in Gewahrsam genommen werden müssen, nachdem sie einen Platzverweis nicht befolgt hatten. Ihre Absicht dürfe eine Gleisblockade gewesen sein. Zwischen Hockenheim und Oftersheim hätten sich ca. 30 Personen mit Fackeln im Gleisbereich zu Blockadezwecken versammelt. Nach Versammlungsauflösung seien Platzverweise erteilt worden. Zehn Personen seien in Gewahrsam genommen worden, da sie den Platzverweisen nicht nachgekommen seien. Die Zugfahrt sei um eine Stunde verzögert worden.
Bei einem Castortransport am 08./09.11.2008 hätten sich zwischen Berg und Neuburg (Rheinland-Pfalz) 11 Personen versammelt, von denen sich drei Personen mit einem Kunststoffrohr und Schnellzement an die Gleise gekettet hätten. Das Lösen der Blockade habe sich so schwierig und aufwendig gestaltet, dass die Weiterfahrt des Zuges sich um 14 Stunden verzögert habe. Nahezu zeitgleich seien drei einschlägig bekannte Personen der Anti-Atom-Szene mit mitgeführten faltbaren gelben Tonnen angetroffen worden. Den Personen seien Platzverweise erteilt worden, wobei eine Person nach vorangegangener Widerstandshandlung vorübergehend in Gewahrsam genommen worden sei. Aufgrund des örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs (planmäßig hätte der Zug kurze Zeit später den Bahnhof Karlsruhe-Mühlburg passieren sollen) sei zu vermuten, dass die Personen ebenfalls eine Blockadeaktion beabsichtigt hätten. Im weiteren Verlauf habe der Zug erneut für ca. 25 Minuten halten müssen, nachdem die Bundespolizei metallische Geräusche im Schienenbereich wahrgenommen habe und eine Leuchtrakete in den Himmel abgeschossen worden sei.
Am 06.11.2010 hätten sich anlässlich eines Castortransports im Bereich Lauterbourg (Frankreich) zwei bekannte Aktivisten aus Heidelberg an den Gleisen festgekettet. Im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) hätten gleichzeitig bis zu 1.000 Demonstranten die Transportstrecke blockiert. Der Zug sei umgeleitet worden. Im weiteren Verlauf sei eine Brücke, die der Zug überfahren sollte, blockiert worden. Die rechtswidrige Versammlung sei aufgelöst worden. 11 Personen hätten von der Brücke weggetragen werden müssen. Dabei sei es zu Widerstandshandlungen gegen Polizeikräfte der Bundespolizei gekommen. Es seien drei Personen festgenommen worden. Nachdem die Zugumleitung bekannt geworden sei, sei es im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe zu einer Versammlung von ca. 250–300 Personen gekommen, darunter auch ca. 20 Autonome der Anti-Atom-Szene. Die Personen hätten versucht, durch Überrennen eine Polizeiabsperrung zu überwinden, um auf der Gleisanlage eine Blockade zu errichten. Dieses Vorhaben habe nur durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung unmittelbaren Zwangs verhindert werden können. Es sei zu vier Widerstandshandlungen sowie zu einer Beleidigung zum Nachteil der Einsatzkräfte gekommen. Vermutlich aus Protest gegen die Eingriffsmaßnahmen der Polizei gegenüber den Straftätern habe sich in der Folge ein spontaner Aufzug (ca. 80 – 100 Personen) vom Hauptbahnhof in Richtung Polizeipräsidium Karlsruhe bewegt und „Lasst sie frei“ skandiert.
Ein Transport am 15.12.2010 sei störungsfrei verlaufen, nachdem die Einsatzleitung in Frankreich kurzfristig eine Streckenänderung verfügt habe.
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Zu den Protest- und Blockadeaufrufen im Internet hieß es u.a.:
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Auf der Internetseite www.nachttanzblockade.de werde mit den Worten „Mach mit, bleib wach, besetze, blockiere!“, „Wir stoppen mit einer Gleisbesetzung den Castor“ und „Teig mischen? Beton mischen? Mitmischen!“ ausdrücklich zu Blockaden aufgerufen. Die Blockade solle „in Karlsruhe-Neureut, wenn der Castor rollt“ stattfinden. Unter der Rubrik „Mitmischen“ erscheine eine Checkliste, welche Gegenstände zur Blockadeaktion mitgebracht werden sollten, u.a.
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- Werkzeug zum Reparieren von Zäunen, Straßen etc.,
- dichte Plastiktüte zum Verpacken Tränengas verseuchter Klamotten,
- Augenspülflasche mit klarem Wasser,
- Medikamente für mehrere Tage,
- Sitzkissen,
- keine Schminke und Fettcreme (bindet Tränengas).
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Das Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand-Neckarwestheim rufe auf http://neckarwestheim.antiatom.net gemeinsam mit den Südwestdeutschen Anti-Atom-Initiativen dazu auf, „gegen die Atommüllverschiebung von Karlsruhe nach Lubmin am Transporttag (16.02.2011) entlang den Straßenbahnschienen in Karlsruhe zu demonstrieren und Aktionen entlang der gesamten Transportstrecke durchzuführen.
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Auf der Seite www.lubmin-nixda.de werde zur regen Teilnahme an bundesweiten Demonstrationen am 12.02.2011 entlang der möglichen Transportstrecken und zum „Widerstand im ganzen Land gegen diesen Castortransport, denn Atommüll geht uns alle an!“ aufgerufen. Für die darauffolgenden Tage (15.-18.02.2011) werde dazu aufgerufen, sich am Protest zu beteiligen: „Organisiert bei Euch an der Strecke Widerstand und stoppt den Castor am Tag X“.
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Die „Linksjugend (Solid) Karlsruhe“ rufe auf der Internetseite http://solidka.wordpress.com/castor zur Transportblockade auf. Neben einem eigenen Flyer werde auf die Internetseite der Nachttanzblockade verwiesen.
16 
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kam die Beklagte zu dem Schluss, dass im Zusammenhang mit dem am 15./16.02.2011 stattfindenden Castortransport mit massiven Störungen des Zuglaufs durch Blockadeaktionen bzw. Einwirkungen auf den Schienenstrang oder den Transportzug selbst gerechnet werden müsse. Wie viele Personen sich an den Protesten beteiligen werden, sei nicht absehbar. Vor dem Hintergrund der zuvor beschlossenen Laufzeitverlängerung von Atomanlagen sowie der Zwischen- und Endlagerproblematik sei jedoch von einem erheblichen Mobilisierungsgrad auszugehen. Unmittelbaren lokalen Bezug entfalte zudem der Rückkauf der EnBW-Aktien durch das Land Baden-Württemberg. Dass lediglich zwei Mahnwachen angemeldet worden seien, im Internet jedoch aktiv zu Protesten aufgerufen werde, lasse auf eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der Veranstalter schließen.
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Die Allgemeinverfügung sei das mildeste Mittel, welches in Anbetracht der Gefahrenprognose die Transportsicherung noch mit hinreichender Sicherheit gewährleiste. Der räumliche Geltungsbereich müsse in der Breite so gestaltet sein, dass das Durchsickern von Demonstranten zur Transportstrecke sowie das Erreichen des Zuges mit Wurfgeschossen nicht möglich sei. In zeitlicher Hinsicht bedürfe es aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit eines ausreichenden Zeitpuffers, um etwaige Transportverzögerungen aufzufangen.
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Am 14.02.2011 erhob der Kläger Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung und beantragte gleichzeitig beim Verwaltungsgericht Karlsruhe, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14.02.2011 (- 3 K 394/11 - juris) ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 15.02.2011 - 1 S 361/11 - zurück. Der Widerspruch wurde nicht mehr beschieden.
19 
Am 05.07.2011 erhob der Kläger Fortsetzungsfeststellungsklage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Das erforderliche Feststellungsinteresse sei unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zu bejahen. Es sei nicht sichergestellt, dass der Kläger bei zukünftigen Transporten von radioaktivem Müll durch Karlsruhe Versammlungen zur zeitnahen Information der betroffenen Bevölkerung über die mit dem Atommülltransport auf S-Bahn-Gleisen quer durch Wohngebiete einhergehende Gefährdung durchführen könne. Vielmehr sei zu befürchten, dass er auch künftig keine Versammlungen mit öffentlicher Messung der von Atommülltransporten ausgehenden Strahlung direkt am vorbeifahrenden Zug mit Castoren durchführen könne, da damit zu rechnen sei, dass die Beklagte dies erneut durch vergleichbare Allgemeinverfügungen zu verhindern suche. Die Allgemeinverfügung sei nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden, da sie nicht an die Bürgerinnen und Bürger ausgehändigt und ohne Begründung veröffentlicht worden sei. Dies habe die Rechtsschutzmöglichkeiten unzulässig eingeschränkt. Die Allgemeinverfügung sei in räumlicher und zeitlicher Hinsicht unverhältnismäßig gewesen. Sie habe die Versammlungsfreiheit für einen Zeitraum von 48 Stunden in einem großen Gebiet quer durch Karlsruhe, darunter u. a. am Bahnhofsplatz, für Versammlungen aller Art und unabhängig vom Thema, außer Kraft gesetzt. Der von der Allgemeinverfügung betroffene Personenkreis sei viel zu unbestimmt gewesen, weshalb bereits die Anreise per Stadtbahn zur Dauermahnwache einen Verstoß dargestellt habe. Die Gefahrenprognose sei nicht auf vergleichbare Sachverhalte gestützt worden. Schließlich habe kein polizeilicher Notstand vorgelegen. Die Polizeikräfte hätten ausgereicht, um etwaige rechtswidrige Versammlungen aufzulösen.
20 
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 15.02.2011 - 1 S 361/11 - entgegen.
21 
Mit Urteil vom 24.11.2011 - 3 K 1817/11 - wies das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab. In formeller Hinsicht bestünden keine Bedenken gegen die Allgemeinverfügung. Ihr Erlass und die öffentliche Bekanntmachung seien gerechtfertigt gewesen. Da bei dem Castortransport mit einer Mehrzahl lose verbundener Veranstalter und einzelner Demonstranten-gruppen ohne besondere innere Struktur habe gerechnet werden müssen, sei es nicht möglich gewesen, jedem einzelnen Teilnehmer oder Veranstalter gegenüber eine Einzelverfügung bekannt zu geben. Dies rechtfertige ein allgemeines Versammlungsverbot in Form einer Allgemeinverfügung. Einer öffentlichen Bekanntmachung auch der Begründung habe es nicht bedurft. Die Allgemeinverfügung sei auch in der Sache nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG im Zeitpunkt ihres Erlasses vorgelegen hätten. Es habe eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestanden. Die Beklagte habe in der Allgemeinverfügung zu Recht angenommen, dass die Erfahrung mit zurückliegenden Castortransporten die Annahme rechtfertige, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere durch Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffe in den Bahnverkehr - bestanden habe. Ferner seien zahlreiche Indizien, insbesondere Internetaufrufe zu Protest- und Blockadeaktionen, aufgeführt, die auch bei dem seinerzeit bevorstehenden Transport für mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Rechtsgüterverletzungen gesprochen hätten. Hervorzuheben seien die zahlreichen Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite www.nachttanzblockade.de verwiesen hätten. Aus der Gesamtheit der von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien habe sich die konkrete Erwartung ergeben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Blockaden der Schienenstrecke seien von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellten eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar, weil gegen die Eisenbahnbau- und Betriebsordnung sowie möglicherweise gegen § 315 StGB verstoßen werde. Die von der Beklagten getroffene Gefahrenprognose habe der Kläger nicht zu widerlegen vermocht. Die Beklagte sei zu Recht von einem polizeilichen Notstand ausgegangen, der es rechtfertige, einschränkend auf die Modalitäten der Versammlungsdurchführung einzuwirken, um den polizeilichen Schutzauftrag umfassend und wirksam erfüllen zu können. Ohne den Erlass der Allgemeinverfügung hätte der konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht hinreichend begegnet werden können. Die Beklagte und die Polizei hätten es personalmäßig nicht gewährleisten können, in jedem Einzelfall eine individuelle Gefahrenprognose für alle angemeldeten, vor allem aber auch alle unangemeldeten Versammlungen zu treffen. Die Regelungen der Allgemeinverfügung seien auch verhältnismäßig gewesen. Dass der Korridor, in dem Versammlungen verboten gewesen seien, 50 m beidseits der Transportstrecke sowie angrenzende Gebiete erfasst habe, sei nicht zu beanstanden. In der Allgemeinverfügung sei dieser Abstand nachvollziehbar mit dem Wurf von Gegenständen sowie der Gefahr des „Durchsickerns“ von Demonstranten begründet worden. Mit dieser Begründung hätten auch an die Transportstrecke angrenzende Straßen und die dazwischen liegenden Bereiche sowie der stark frequentierte und damit schwer zu kontrollierende Bahnhofsvorplatz in die Allgemeinverfügung aufgenommen werden dürfen, da mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten gewesen sei, dass auch friedliche Versammlungen dazu genutzt würden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen. In zeitlicher Hinsicht sei das Versammlungsverbot gut nachzuvollziehen, da ein Zeitpuffer eingeplant werden müsse.
22 
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 09.08.2012 - 1 S 210/12 - zugelassenen Berufung vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen.
23 
Der Kläger beantragt,
24 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24.11.2011 - 3 K 1817/11 - zu ändern und festzustellen, dass das Versammlungsverbot (Ziffern I. und II.) und die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung (Ziffer IV.) in der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 08.02.2011 rechtswidrig waren.
25 
Die Beklagte beantragt,
26 
die Berufung zurückzuweisen.
27 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
28 
Mit der Ladung zum Termin wurde die Beklagte darauf hingewiesen, dass die von ihr vorgelegten Akten nur eingeschränkt eine zuverlässige Überprüfung der in der Allgemeinverfügung getroffenen Gefahrprognose erlaubten. Üblicherweise werde die Gefahrprognose aufgrund einer polizeilichen Lageeinschätzung getroffen. Eine solche sei dem Senat nicht vorgelegt worden. Eine Überprüfung der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands sei ohne Kenntnis der Zahl der damals voraussichtlich benötigten und der tatsächlich zur Verfügung stehenden Polizeibeamten kaum möglich.
29 
Die Beklagte teilte darauf mit Schriftsatz vom 19.09.2013 mit, dass ihr keine weiteren Akten vorlägen, die nachgereicht werden könnten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärte der Vertreter der Beklagten, dass es keine polizeiliche Lageeinschätzung gegeben habe, wenn eine solche in den vorgelegten Akten nicht enthalten sei. Der Versammlungsbehörde seien aber wohl Informationen der Polizei „zugespielt worden“. Er erklärte weiter, dass der Beklagten ex ante bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
30 
Dem Senat liegen die von der Beklagten vorgelegten Akten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
31 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die im Berufungsverfahren erfolgte Beschränkung des Klageantrags stellt keine Klageänderung dar; sie ist nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO ohne weiteres zulässig.
II.
32 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Versammlungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
33 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Bei dem streitgegenständlichen Versammlungsverbot handelte es sich um einen Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG). Anlass der Allgemeinverfügung war der beabsichtigte Castortransport. Da es sich um einen einzelnen und konkret erkennbaren Lebenssachverhalt handelte, nahm der Umstand, dass sich das Versammlungsverbot auf eine Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern ausgewirkt hat, der Allgemeinverfügung nicht den Charakter eines einzelfallbezogenen Verwaltungsakts (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008,987). Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155, vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61 und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473, jeweils m.w.N.).
34 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O. m.w.N.).
35 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier bei einer Klageerhebung binnen Jahresfrist nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
36 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O. und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurteile vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O. und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
37 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.). Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt dabei zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405).
38 
Danach ist hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Ein Versammlungsverbot in Gestalt einer Allgemeinverfügung stellt stets eine schwere Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit dar. Da der Protest der Atomkraftgegner sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich richtet, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten, werden Castortransporte und andere Transporte radioaktiver Abfallprodukte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu Versammlungen und auch zu nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckten Protestaktionen wie etwa Blockaden der Transportstrecke bieten. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch anlässlich künftiger Atommülltransporte durch Karlsruhe Versammlungen unmittelbar an der Transportstrecke veranstalten zu wollen. Es ist zu erwarten, dass die Beklagte, die an ihrer Rechtsauffassung festhält, zur Sicherung solcher Transporte wiederum der streitgegenständlichen Verfügung vergleichbare Allgemeinverfügungen erlassen wird. Sie hat nicht zu erkennen gegeben, von diesem Instrument künftig in vergleichbaren Situationen keinen Gebrauch mehr machen zu wollen.
39 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Versammlungsverbot in der Form einer Allgemeinverfügung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Zwar war die Allgemeinverfügung formell rechtmäßig (a)) und hinreichend bestimmt (b)). Es spricht auch vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für den Erlass versammlungsbeschränkender Maßnahmen vorgelegen haben (c)). Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten nicht festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands gegeben waren (d)).
40 
a) Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Allgemeinverfügung ordnungsgemäß bekannt gegeben.
41 
Nach § 41 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Untunlich bedeutet, dass die individuelle Bekanntgabe wegen der Natur des in Rede stehenden Verwaltungsakts nicht möglich oder jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, etwa weil nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wer betroffen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 41 Rn. 46). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Aufgrund der Aufrufe im Internet zu verschiedenen Formen des Protestes, die nicht mit entsprechenden Anmeldungen von Versammlungen korrespondierten, war es nicht möglich, jedem einzelnen potentiellen Veranstalter oder Teilnehmer die Allgemeinverfügung oder gar eine Einzelverfügung bekannt zu geben.
42 
Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakts dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Diese Voraussetzung wurde mit der Bekanntgabe des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe erfüllt. In Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG wurde in der Bekanntmachung darauf hingewiesen, dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne. Abweichend von § 41 Abs. 4 Satz 3 LVwVfG, wonach der Verwaltungsakt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben gilt, wurde gemäß Satz 4 dieser Vorschrift bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
43 
Für einen Verstoß dieser Bekanntgabevorschriften oder ihrer Handhabung im Einzelfall gegen höherrangiges Recht ist nichts ersichtlich. Der Umstand, dass es dem Kläger möglich war, bereits am 14.02.2011 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung einzulegen und um Eilrechtsschutz nachzusuchen, belegt, dass die Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht unzumutbar erschwert wurden.
44 
b) Die Allgemeinverfügung war sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Adressatenkreises hinreichend bestimmt (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG).
45 
Für die inhaltliche Bestimmtheit genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
46 
Daran gemessen war die Allgemeinverfügung inhaltlich hinreichend bestimmt. Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs war hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Der Versammlungsbegriff ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinreichend konturiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 [Fuckparade 2001]; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 [Blockadeaktion]; Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - NJW 2001, 2459 [Love Parade]). Eine Versammlung ist danach die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Individuelle Meinungsbekundungen etwa durch das Tragen von Ansteckern und auch die Anreise zu einer Versammlung wurden danach von der Allgemeinverfügung nicht erfasst. Gleiches gilt für öffentliche Messungen der Radioaktivität, soweit sie nicht mit einer kollektiven Meinungskundgabe einhergehen.
47 
Einer konkreten Bezeichnung des Adressatenkreises der Allgemeinverfügung bedurfte es nicht, da dieser sich ohne weiteres aus dem Regelungsinhalt des Versammlungsverbots ergab. Adressat war danach jede Person, die innerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung an einer Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug teilnehmen wollte. Der Adressatenkreis war damit - wie dies für eine personenbezogene Allgemeinverfügung kennzeichnend ist - nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar. Dem entsprechend wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang unter IV. der Verfügung „den Versammlungsteilnehmern“ angedroht. Eine weitere Konkretisierung des Adressatenkreises war nicht möglich, da die Allgemeinverfügung auf eine unbestimmte Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern zielte.
48 
c) Es spricht vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen haben.
49 
aa) Versammlungsbeschränkende Maßnahmen dürfen nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
50 
bb) Hier bereitet die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG Schwierigkeiten, weil in den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht dokumentiert ist, welche Erkenntnisse ihr bei Erlass der Allgemeinverfügung zur Verfügung standen und die Beklagte hierzu auch keine verbindlichen Angaben machen konnte. Aus den in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten Erkenntnissen kann nur indirekt darauf geschlossen werden, dass diese auf entsprechenden Informationen seitens der Polizei - etwa auf einer polizeilichen Lageeinschätzung - beruhen.
51 
cc) Sieht man über diese Unsicherheiten hinweg, so erweist sich die auf dieser Tatsachengrundlage getroffene Gefahrenprognose jedoch im Grundsatz als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründeten. Die in der Begründung angeführten Erfahrungen aus zurückliegenden Castortransporten dürften die Annahme gerechtfertigt haben, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffen in den Bahnverkehr - bestand. Dafür sprachen auch die ebenfalls in der Begründung angeführten Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite „www.nachttanzblockade.de“ verwiesen. In einer Gesamtschau dürften die von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien die Prognose gerechtfertigt haben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Derartige Blockadeaktionen auf der Schienenstrecke sind von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellen eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar. Denn eine Sitzblockade auf den Schienen einer dem öffentlichen Eisenbahnverkehr dienenden Schienenstrecke stellt zumindest einen Verstoß gegen § 62 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung - EBO - dar und kann darüber hinaus auch als Transportgefährdung gemäß § 315 StGB strafbar sein. Der Verstoß gegen die EBO und gegen § 315 StGB durch derartige Blockaden ist nicht durch das Versammlungsrecht gerechtfertigt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 12.03.1998 - 1 BvR 2165/96 - juris). Blockaden, die nicht nur kurzfristig und symbolisch Protest ausdrücken sollen, sondern auf die Verhinderung dessen gerichtet sind, was politisch missbilligt wird, sind grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Auch wenn Sitzblockaden bei passiver Haltung der Teilnehmer nicht als unfriedlich anzusehen sind und für sie folglich der Schutz des Art. 8 GG nicht von vornherein entfällt, überschreiten sie den Bereich der geistigen Auseinandersetzung, wenn sie sich nicht als demonstrative Sitzblockaden auf die Kundgabe einer Meinung und die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen beschränken, sondern auf die Beeinträchtigung der Rechte anderer und die Ausübung von Zwang sowie die Schaffung von Tatsachen gerichtet sind. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen durch gezielte und absichtliche Behinderung der Rechte Dritter zu steigern (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 206; Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. - BVerfGE 104, 92; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 15 Rn. 195 f.; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 <259 f.>; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - a.a.O.).
52 
Die Gefahr von Blockadeaktionen dürfte ebenso wie die Gefahr des Werfens von Gegenständen auf die Transportstrecke versammlungsbeschränkende Maßnahmen in einem Korridor entlang der Strecke grundsätzlich gerechtfertigt haben. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Kläger selbst Rechtsverletzungen in der Vergangenheit zu verantworten hatte oder nicht. Es ist auch nicht entscheidend, ob von den angemeldeten Versammlungen in Karlsruhe-Neureut voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Denn die Allgemeinverfügung betraf nicht nur den Kläger, sondern alle Demonstrationsteilnehmer, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt deshalb auf eine Gesamtbetrachtung an, d.h. ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen "Aktionen" entlang der Transportstrecke eine unmittelbare Gefahr der öffentlichen Sicherheit zu erwarten war. Hier spricht vieles dafür, dass die Prognose gerechtfertigt war, dass sich aus zunächst friedlichen Versammlungen rechtswidrige Blockadeaktionen entwickeln und weitere Straftaten wie etwa Gefährdungen des Schienenverkehrs begangen werden. Auch die Befürchtung, dass friedliche Versammlungen genutzt werden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen, dürfte gerechtfertigt gewesen sein.
53 
d) Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil die zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit jedenfalls nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen, wie die Beklagte es in Gestalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erlassen hat, gerechtfertigt haben. Denn ein solches Versammlungsverbot darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erlassen werden und mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Notstand gegeben war.
54 
aa) Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet war, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorgelegen hätten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 m.w.N.). Denn insoweit wurde durch die Allgemeinverfügung auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht hatten, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa Beschädigungen der Gleisanlagen, zu beteiligen.
55 
bb) Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen (BVerwG, Beschl. v. 01.10.2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 15 Rn. 41 f.; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Kap. D Rn. 138 ff.). Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die Behörde zunächst gegen diese vorzugehen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01 - NJW 2001, 1411 <1412> u. v. 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 - NVwZ-RR 2007, 641 <642> m.w.N.). Voraussetzung des Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 ff., vgl. auch Beschl. v. 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 - NJW 2000, 3053 und BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 - NVwZ 1999, 991 <992>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz des Castortransports nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dabei nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
56 
cc) Daran gemessen kann hier nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorlagen. Zwar stellt die Begleitung eines Castortransports angesichts der regelmäßig langen Transportstrecke (hier von Karlsruhe nach Lubmin) und der großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger "Aktionsformen" mit zum Teil vielen, aber teilweise auch wenigen Teilnehmern, die gerade deshalb (bei unangemeldeten Veranstaltungen) entlang der langen Strecke schwer zu "orten" und polizeilich zu begleiten sind, eine außergewöhnlich komplexe polizeiliche Aufgabe dar. Allein dies vermag jedoch noch keinen polizeilichen Notstand zu begründen. Zu berücksichtigen ist, dass die Mobilisierung der Castor-Gegner, von denen Störungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind, entlang der langen Transportstrecke regional höchst unterschiedlich ist. Zu Situationen, die die Annahme eines polizeilichen Notstands rechtfertigten, kam es in der Vergangenheit vor allem im Wendland. Bei den von der Beklagten der Gefahrprognose zugrunde gelegten Vorfällen konnten Störungen überwiegend durch ein gezieltes Vorgehen gegen die Störer (Platzverweise, Ingewahrsam-nahmen) beseitigt werden, ohne dass es zu nennenswerten Verzögerungen des jeweiligen Castortransports gekommen wäre. Lediglich bei dem Transport am 06.11.2010, als im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) bis zu 1.000 Demonstranten gleichzeitig die Transportstrecke blockierten, spricht einiges dafür, dass dort die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorgelegen haben könnten. Als es nach Bekanntwerden der Zugumleitung in der Folge zu einer Spontanversammlung von ca. 250 - 300 Personen im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe kam, die versuchten, eine Polizeiabsperrung zu überrennen und auf den Gleisanlagen eine Blockade zu errichten, war die Polizei jedoch in der Lage, dies durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung von unmittelbarem Zwang zu verhindern. Da die Beklagte bereits nicht dargelegt hat, in welcher Zahl ihr Polizeikräfte zur Sicherung des Castortransports in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung standen und wie viel Polizeibeamte voraussichtlich erforderlich gewesen wären, um ohne ein präventives allgemeines Versammlungsverbot Störungen der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit dem Castortransport zu verhindern, muss vorliegend eine Beweislastentscheidung getroffen werden. Ansatzpunkte für eine weitere Sachaufklärung sind nicht gegeben, nachdem der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, dass der Beklagten bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
57 
e) Erweist sich das Versammlungsverbot als rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung.
III.
58 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
59 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
60 
Beschluss vom 6. November 2013
61 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
62 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
31 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die im Berufungsverfahren erfolgte Beschränkung des Klageantrags stellt keine Klageänderung dar; sie ist nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO ohne weiteres zulässig.
II.
32 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Versammlungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
33 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Bei dem streitgegenständlichen Versammlungsverbot handelte es sich um einen Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG). Anlass der Allgemeinverfügung war der beabsichtigte Castortransport. Da es sich um einen einzelnen und konkret erkennbaren Lebenssachverhalt handelte, nahm der Umstand, dass sich das Versammlungsverbot auf eine Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern ausgewirkt hat, der Allgemeinverfügung nicht den Charakter eines einzelfallbezogenen Verwaltungsakts (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008,987). Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155, vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61 und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473, jeweils m.w.N.).
34 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O. m.w.N.).
35 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier bei einer Klageerhebung binnen Jahresfrist nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
36 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O. und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurteile vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O. und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
37 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.). Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt dabei zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405).
38 
Danach ist hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Ein Versammlungsverbot in Gestalt einer Allgemeinverfügung stellt stets eine schwere Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit dar. Da der Protest der Atomkraftgegner sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich richtet, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten, werden Castortransporte und andere Transporte radioaktiver Abfallprodukte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu Versammlungen und auch zu nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckten Protestaktionen wie etwa Blockaden der Transportstrecke bieten. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch anlässlich künftiger Atommülltransporte durch Karlsruhe Versammlungen unmittelbar an der Transportstrecke veranstalten zu wollen. Es ist zu erwarten, dass die Beklagte, die an ihrer Rechtsauffassung festhält, zur Sicherung solcher Transporte wiederum der streitgegenständlichen Verfügung vergleichbare Allgemeinverfügungen erlassen wird. Sie hat nicht zu erkennen gegeben, von diesem Instrument künftig in vergleichbaren Situationen keinen Gebrauch mehr machen zu wollen.
39 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Versammlungsverbot in der Form einer Allgemeinverfügung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Zwar war die Allgemeinverfügung formell rechtmäßig (a)) und hinreichend bestimmt (b)). Es spricht auch vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für den Erlass versammlungsbeschränkender Maßnahmen vorgelegen haben (c)). Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten nicht festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands gegeben waren (d)).
40 
a) Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Allgemeinverfügung ordnungsgemäß bekannt gegeben.
41 
Nach § 41 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Untunlich bedeutet, dass die individuelle Bekanntgabe wegen der Natur des in Rede stehenden Verwaltungsakts nicht möglich oder jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, etwa weil nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wer betroffen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 41 Rn. 46). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Aufgrund der Aufrufe im Internet zu verschiedenen Formen des Protestes, die nicht mit entsprechenden Anmeldungen von Versammlungen korrespondierten, war es nicht möglich, jedem einzelnen potentiellen Veranstalter oder Teilnehmer die Allgemeinverfügung oder gar eine Einzelverfügung bekannt zu geben.
42 
Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakts dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Diese Voraussetzung wurde mit der Bekanntgabe des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe erfüllt. In Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG wurde in der Bekanntmachung darauf hingewiesen, dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne. Abweichend von § 41 Abs. 4 Satz 3 LVwVfG, wonach der Verwaltungsakt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben gilt, wurde gemäß Satz 4 dieser Vorschrift bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
43 
Für einen Verstoß dieser Bekanntgabevorschriften oder ihrer Handhabung im Einzelfall gegen höherrangiges Recht ist nichts ersichtlich. Der Umstand, dass es dem Kläger möglich war, bereits am 14.02.2011 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung einzulegen und um Eilrechtsschutz nachzusuchen, belegt, dass die Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht unzumutbar erschwert wurden.
44 
b) Die Allgemeinverfügung war sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Adressatenkreises hinreichend bestimmt (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG).
45 
Für die inhaltliche Bestimmtheit genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
46 
Daran gemessen war die Allgemeinverfügung inhaltlich hinreichend bestimmt. Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs war hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Der Versammlungsbegriff ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinreichend konturiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 [Fuckparade 2001]; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 [Blockadeaktion]; Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - NJW 2001, 2459 [Love Parade]). Eine Versammlung ist danach die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Individuelle Meinungsbekundungen etwa durch das Tragen von Ansteckern und auch die Anreise zu einer Versammlung wurden danach von der Allgemeinverfügung nicht erfasst. Gleiches gilt für öffentliche Messungen der Radioaktivität, soweit sie nicht mit einer kollektiven Meinungskundgabe einhergehen.
47 
Einer konkreten Bezeichnung des Adressatenkreises der Allgemeinverfügung bedurfte es nicht, da dieser sich ohne weiteres aus dem Regelungsinhalt des Versammlungsverbots ergab. Adressat war danach jede Person, die innerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung an einer Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug teilnehmen wollte. Der Adressatenkreis war damit - wie dies für eine personenbezogene Allgemeinverfügung kennzeichnend ist - nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar. Dem entsprechend wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang unter IV. der Verfügung „den Versammlungsteilnehmern“ angedroht. Eine weitere Konkretisierung des Adressatenkreises war nicht möglich, da die Allgemeinverfügung auf eine unbestimmte Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern zielte.
48 
c) Es spricht vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen haben.
49 
aa) Versammlungsbeschränkende Maßnahmen dürfen nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
50 
bb) Hier bereitet die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG Schwierigkeiten, weil in den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht dokumentiert ist, welche Erkenntnisse ihr bei Erlass der Allgemeinverfügung zur Verfügung standen und die Beklagte hierzu auch keine verbindlichen Angaben machen konnte. Aus den in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten Erkenntnissen kann nur indirekt darauf geschlossen werden, dass diese auf entsprechenden Informationen seitens der Polizei - etwa auf einer polizeilichen Lageeinschätzung - beruhen.
51 
cc) Sieht man über diese Unsicherheiten hinweg, so erweist sich die auf dieser Tatsachengrundlage getroffene Gefahrenprognose jedoch im Grundsatz als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründeten. Die in der Begründung angeführten Erfahrungen aus zurückliegenden Castortransporten dürften die Annahme gerechtfertigt haben, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffen in den Bahnverkehr - bestand. Dafür sprachen auch die ebenfalls in der Begründung angeführten Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite „www.nachttanzblockade.de“ verwiesen. In einer Gesamtschau dürften die von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien die Prognose gerechtfertigt haben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Derartige Blockadeaktionen auf der Schienenstrecke sind von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellen eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar. Denn eine Sitzblockade auf den Schienen einer dem öffentlichen Eisenbahnverkehr dienenden Schienenstrecke stellt zumindest einen Verstoß gegen § 62 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung - EBO - dar und kann darüber hinaus auch als Transportgefährdung gemäß § 315 StGB strafbar sein. Der Verstoß gegen die EBO und gegen § 315 StGB durch derartige Blockaden ist nicht durch das Versammlungsrecht gerechtfertigt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 12.03.1998 - 1 BvR 2165/96 - juris). Blockaden, die nicht nur kurzfristig und symbolisch Protest ausdrücken sollen, sondern auf die Verhinderung dessen gerichtet sind, was politisch missbilligt wird, sind grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Auch wenn Sitzblockaden bei passiver Haltung der Teilnehmer nicht als unfriedlich anzusehen sind und für sie folglich der Schutz des Art. 8 GG nicht von vornherein entfällt, überschreiten sie den Bereich der geistigen Auseinandersetzung, wenn sie sich nicht als demonstrative Sitzblockaden auf die Kundgabe einer Meinung und die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen beschränken, sondern auf die Beeinträchtigung der Rechte anderer und die Ausübung von Zwang sowie die Schaffung von Tatsachen gerichtet sind. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen durch gezielte und absichtliche Behinderung der Rechte Dritter zu steigern (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 206; Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. - BVerfGE 104, 92; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 15 Rn. 195 f.; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 <259 f.>; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - a.a.O.).
52 
Die Gefahr von Blockadeaktionen dürfte ebenso wie die Gefahr des Werfens von Gegenständen auf die Transportstrecke versammlungsbeschränkende Maßnahmen in einem Korridor entlang der Strecke grundsätzlich gerechtfertigt haben. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Kläger selbst Rechtsverletzungen in der Vergangenheit zu verantworten hatte oder nicht. Es ist auch nicht entscheidend, ob von den angemeldeten Versammlungen in Karlsruhe-Neureut voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Denn die Allgemeinverfügung betraf nicht nur den Kläger, sondern alle Demonstrationsteilnehmer, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt deshalb auf eine Gesamtbetrachtung an, d.h. ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen "Aktionen" entlang der Transportstrecke eine unmittelbare Gefahr der öffentlichen Sicherheit zu erwarten war. Hier spricht vieles dafür, dass die Prognose gerechtfertigt war, dass sich aus zunächst friedlichen Versammlungen rechtswidrige Blockadeaktionen entwickeln und weitere Straftaten wie etwa Gefährdungen des Schienenverkehrs begangen werden. Auch die Befürchtung, dass friedliche Versammlungen genutzt werden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen, dürfte gerechtfertigt gewesen sein.
53 
d) Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil die zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit jedenfalls nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen, wie die Beklagte es in Gestalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erlassen hat, gerechtfertigt haben. Denn ein solches Versammlungsverbot darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erlassen werden und mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Notstand gegeben war.
54 
aa) Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet war, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorgelegen hätten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 m.w.N.). Denn insoweit wurde durch die Allgemeinverfügung auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht hatten, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa Beschädigungen der Gleisanlagen, zu beteiligen.
55 
bb) Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen (BVerwG, Beschl. v. 01.10.2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 15 Rn. 41 f.; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Kap. D Rn. 138 ff.). Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die Behörde zunächst gegen diese vorzugehen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01 - NJW 2001, 1411 <1412> u. v. 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 - NVwZ-RR 2007, 641 <642> m.w.N.). Voraussetzung des Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 ff., vgl. auch Beschl. v. 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 - NJW 2000, 3053 und BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 - NVwZ 1999, 991 <992>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz des Castortransports nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dabei nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
56 
cc) Daran gemessen kann hier nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorlagen. Zwar stellt die Begleitung eines Castortransports angesichts der regelmäßig langen Transportstrecke (hier von Karlsruhe nach Lubmin) und der großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger "Aktionsformen" mit zum Teil vielen, aber teilweise auch wenigen Teilnehmern, die gerade deshalb (bei unangemeldeten Veranstaltungen) entlang der langen Strecke schwer zu "orten" und polizeilich zu begleiten sind, eine außergewöhnlich komplexe polizeiliche Aufgabe dar. Allein dies vermag jedoch noch keinen polizeilichen Notstand zu begründen. Zu berücksichtigen ist, dass die Mobilisierung der Castor-Gegner, von denen Störungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind, entlang der langen Transportstrecke regional höchst unterschiedlich ist. Zu Situationen, die die Annahme eines polizeilichen Notstands rechtfertigten, kam es in der Vergangenheit vor allem im Wendland. Bei den von der Beklagten der Gefahrprognose zugrunde gelegten Vorfällen konnten Störungen überwiegend durch ein gezieltes Vorgehen gegen die Störer (Platzverweise, Ingewahrsam-nahmen) beseitigt werden, ohne dass es zu nennenswerten Verzögerungen des jeweiligen Castortransports gekommen wäre. Lediglich bei dem Transport am 06.11.2010, als im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) bis zu 1.000 Demonstranten gleichzeitig die Transportstrecke blockierten, spricht einiges dafür, dass dort die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorgelegen haben könnten. Als es nach Bekanntwerden der Zugumleitung in der Folge zu einer Spontanversammlung von ca. 250 - 300 Personen im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe kam, die versuchten, eine Polizeiabsperrung zu überrennen und auf den Gleisanlagen eine Blockade zu errichten, war die Polizei jedoch in der Lage, dies durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung von unmittelbarem Zwang zu verhindern. Da die Beklagte bereits nicht dargelegt hat, in welcher Zahl ihr Polizeikräfte zur Sicherung des Castortransports in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung standen und wie viel Polizeibeamte voraussichtlich erforderlich gewesen wären, um ohne ein präventives allgemeines Versammlungsverbot Störungen der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit dem Castortransport zu verhindern, muss vorliegend eine Beweislastentscheidung getroffen werden. Ansatzpunkte für eine weitere Sachaufklärung sind nicht gegeben, nachdem der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, dass der Beklagten bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
57 
e) Erweist sich das Versammlungsverbot als rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung.
III.
58 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
59 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
60 
Beschluss vom 6. November 2013
61 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
62 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Kostenentscheidungen der Beschlüsse werden aufgehoben. Das Verfahren wird insoweit an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer meldeten Anfang September 2010 bei der Stadt L. ihr Vorhaben an, am 16. Oktober 2010 (von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr) in L. eine Versammlung unter freiem Himmel durchzuführen. Die geplante Versammlung sollte aus drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt von L. bestehen. Die Teilnehmerzahl wurde von den Beschwerdeführern bei der Anmeldung auf 600 Personen geschätzt. Das Motto der geplanten Versammlung lautete "Recht auf Zukunft". Es bezog sich auf eine am 17. Oktober 2009 in L. von der Beschwerdeführerin zu 4), einer Unterorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), veranstaltete Versammlung, bei der es im Zusammenhang mit einer Versammlungsblockade durch Gegendemonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und letztlich zu einer polizeilichen Auflösung der Versammlung kam.

3

Angesichts dieser Vorgeschichte und der Anmeldung von zahlreichen Gegendemonstrationen kam es zwischen der Anmeldung und der Durchführung der geplanten Versammlung zu umfangreichen Verhandlungen zwischen den Beschwerdeführern und der Stadt L., die unter anderem in Kooperationsgesprächen am 4., am 6. und am 13. Oktober 2010 eingehend die polizeilich sicherbare Anzahl der geplanten Aufzüge und die konkrete Streckenführung erörterten. In einer Gefährdungsanalyse am 4. Oktober 2010 bekundete die Polizeidirektion L. dabei laut den tatsächlichen Feststellungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass der Schutz von zwei der angemeldeten Aufzüge mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften gewährleistet werden könne. Am 11. Oktober 2010 teilte der Beschwerdeführer zu 1) der Stadt schließlich mit, dass am 16. Oktober 2010 nunmehr lediglich ein einziger Aufzug stattfinden solle. Am 12. Oktober 2010 ergänzte die Polizeidirektion L. ihre Gefahrprognose insofern, dass nunmehr nur eine maximal vierstündige stationäre Kundgebung durchführbar sei, weil nach den Erfahrungen des Versammlungsgeschehens vom 17. Oktober 2009 mit einer höheren als der angemeldeten Teilnehmerzahl zu rechnen sei und jeweils ca. 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration und der Gegendemonstrationen als gewaltbereit einzustufen seien.

4

2. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 untersagte die Stadt L. die Durchführung der Versammlung als Aufzug, verfügte die Durchführung als stationäre Kundgebung in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in einem Bereich am L. Hauptbahnhof und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Auflage an. Die Polizeidirektion L. habe in ihrer Gefahrprognose vom 12. Oktober 2010 dargelegt, dass im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Oktober 2010 aufgrund von zahlreichen Versammlungsanmeldungen widerstreitender politischer Lager eine latente Gefährdungssituation vorhanden sei, die einen außerordentlich hohen Kräfteeinsatz der Polizei erfordere. Es sei davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer der Aufzüge bei Angriffen durch Personen der linksextremistischen Klientel provozieren ließen und darauf entsprechend reagierten. Die Polizei habe glaubhaft dargelegt, dass sie kräftetechnisch außerstande sei, einen Aufzug zu begleiten, da trotz bundesweiter Anfragen nur 29 der für erforderlich gehaltenen 44 Polizeihundertschaften, also nur 66 % der geplanten Polizeikräfte, zur Verfügung stünden. Die Ausübung der Versammlungsfreiheit werde trotz der Beschränkungen nicht vereitelt, da der zugewiesene Ort eine hinreichende Öffentlichkeitswirksamkeit und eine räumliche Trennung der gegensätzlichen politischen Lager gewährleiste.

5

3. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer noch am gleichen Tag Widerspruch und stellten beim Verwaltungsgericht Leipzig die Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Auflage, nur eine stationäre Kundgebung durchzuführen, wiederherzustellen sowie im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Verbot sämtlicher Versammlungen in einem Umkreis von 300 m um die angemeldeten Aufzugstrecken anzuordnen. Das Verwaltungsgericht Leipzig lehnte die Eilanträge mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Bescheid vom 13. Oktober 2010 rechtmäßig sei und somit das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheids die Interessen der Beschwerdeführer überwiege. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, die Stadt L., sei auf der Grundlage der Einschätzung der Polizeidirektion L. nachvollziehbar davon ausgegangen, dass infolge zahlreicher Gegenaktionen und -demonstrationen bei Durchführung des im Zuge der Kooperation der Beschwerdeführer zuletzt noch geplanten einzigen Aufzuges eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bestehe. Bei der Vielzahl der angemeldeten und geplanten Veranstaltungen am 16.10.2010, unter anderem ein Fußballspiel, und in Anbetracht der beschriebenen begrenzten Kräftelage der Polizei sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einhergehenden Personen- und Sachschäden zu rechnen, denen nur mit der Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung begegnet werden könne. Dieser Gefahr könne in Anbetracht der besonderen Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 auch nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer begegnet werden.

6

4. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts legten die Beschwerdeführer Beschwerde ein. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 zurück. Ob ein polizeilicher Notstand vorliege, sei im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend zu beurteilen. Der Einschätzung der Polizeidirektion lasse sich entnehmen, dass aufgrund des Versammlungsgeschehens im Vorjahr mit gewalttätigen Auseinandersetzungen einer Anzahl von 10 bis 20 % der Teilnehmer sowohl auf Seiten der Beschwerdeführer wie auf Seiten linker Demonstranten gerechnet werde. Zwar erschließe sich dem Gericht nicht, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb kurzer Zeit so erhöht haben solle, dass statt der zwei Aufzüge, die die Polizeidirektion ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten habe, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Wegen der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit sei aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Danach sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil für den Antragsteller die mit der Durchführung einer nur stationären Kundgebung verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmbar seien.

7

5. Die Beschwerdeführer beantragten sodann beim Bundesverfassungsgericht zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen Antrag hat die Kammer aufgrund der besonderen Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, dabei jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Klärung der aufgeworfenen Fragen in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsachverfahren hingewiesen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris).

8

6. Hieraufhin erhoben die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts fristgemäß Verfassungsbeschwerde mit der Rüge, durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Rechten aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt zu sein.

9

7. Das Bundesverfassungsgericht hat der Stadt L. als Gegnerin des Ausgangsverfahrens, dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa sowie der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

10

Nach Auffassung des Rechtsamtes der Stadt L. liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht vor. Das Sächsische Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des unter anderem für das Versammlungsrecht zuständigen 6. Revisionssenats übersandt, in der dieser Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen äußert.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 69, 315 <340 ff.>; 110, 77 <83 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zulässig und begründet.

12

1. Der Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG steht weder der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde noch das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses entgegen.

13

a) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache nur, soweit die geltend gemachte Verletzung von Freiheitsrechten oder von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung der Gerichte in der Hauptsache noch ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier rügen die Beschwerdeführer allerdings gerade die Missachtung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bei der Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr behandelt werden würde.

14

b) Auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer besteht, obwohl der Demonstrationstermin verstrichen und damit der Sofortvollzug der strittigen Auflagen gegenstandslos geworden ist. Sind verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht (mehr) zu klären, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung des ursprünglichen Begehrens im Falle einer Wiederholungsgefahr, also wenn ein Gericht die bereits herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht beachtet hat und bei hinreichend bestimmter Gefahr einer gleichartigen Entscheidung bei gleichartiger Sach- und Rechtslage zu befürchten ist, dass es diese auch in Zukunft verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier führten die Beschwerdeführer bereits konflikthafte Versammlungen in L. durch und planen auch in Zukunft die Durchführung von Versammlungen in L., bei denen sie mit ähnlichen Konfliktsituationen rechnen und gegebenenfalls gleichartige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts befürchten müssten.

15

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

16

a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343> oder <355 ff.>; 128, 226 <250 f.>).

17

Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Nach § 15 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 in der Fassung vom 8. Dezember 2008 (BGBl I S. 2366; im Folgenden: VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung durchgeführt werden darf (vgl. BVerfGK 2, 1 <8>). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Ferner gilt, dass, soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, die Durchführung der Versammlung zu schützen ist und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten sind (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>; BVerfG , Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2072>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfGK 17, 303 <308>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

18

b) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 23. März 2004 - 1 BvR 745/01 -, juris, Rn. 13). Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren als außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegender Rechtsbehelf kann die primäre Rechtsschutzfunktion der Fachgerichte ebenfalls nicht übernehmen. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung auslösen kann, ist hierbei zudem ein strenger, von den verwaltungsgerichtlichen Kriterien grundsätzlich unterschiedener Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris, Rn. 4). Daher müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der beschriebenen strengen Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene.

19

3. Diese Maßstäbe haben das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bei den ihnen obliegenden Entscheidungen über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend berücksichtigt. Beide Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsbeschränkende behördliche Maßnahmen nicht gerecht.

20

a) Die vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die Verhinderung der Versammlung in Form eines Aufzugs hätte rechtfertigen können. Das Verwaltungsgericht legt insofern bereits nicht hinreichend deutlich dar, ob seiner Auffassung nach auch von der Versammlung selbst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder diese Gefahr ausschließlich aufgrund der zahlreichen Gegendemonstrationen und den hieraus zu erwartenden Störungen der Versammlung besteht. Dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Begründung seines Standpunktes im Wesentlichen lediglich auf die Einschätzung der Polizeidirektion L., die ohne nähere Erläuterung 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration dem gewaltbereiten Klientel zurechnete, verweist, genügt den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG insofern jedenfalls nicht.

21

Auch im Hinblick auf eine Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes genügen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht weist insofern zur Begründung des Vorliegens einer nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer abwendbaren Gefahr, insbesondere auf die besondere Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 und die deswegen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräfte, hin und beruft sich dabei pauschal auf die Einschätzung der Polizeidirektion L. vom 13. Oktober 2010. Berücksichtigt man aber den Umstand, dass die Polizeidirektion in ihrer Gefährdungsanalyse vom 4. Oktober 2010 offenbar noch zwei der angemeldeten Aufzüge mit den ihr voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kräften für sicherbar hielt, erfüllt diese pauschale Bezugnahme auf die Einschätzung der Polizeidirektion vom 13. Oktober 2010 nicht die den Anforderungen an die entsprechend obigen Maßstäben bereits im Eilverfahren gebotene intensivere Rechtmäßigkeitsprüfung. Vielmehr hätte die kurzfristige Änderung der polizeilichen Einschätzung, die sich nicht ohne weiteres erschließt, das Verwaltungsgericht zu einer substantiierteren Prüfung der veränderten polizeilichen Einschätzung und zur Nachfrage einer genaueren Begründung ihrer Entscheidung veranlassen müssen. Dass dies vorliegend aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Auch im Übrigen hätte es dezidierterer Feststellungen bedurft, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Die behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Gegendemonstrationen kann nach obigen Maßstäben jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden. Auch die Bindung von Polizeikräften aufgrund eines parallel stattfindenden Fußballspiels und sonstiger Veranstaltungen, deren vorrangige Schutzwürdigkeit sich nicht ohne weiteres erschließt, reicht hierfür nicht aus.

22

b) Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls nicht stand. Zwar hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht deutliche Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen eines für die Rechtfertigung der versammlungsrechtlichen Auflage erforderlichen polizeilichen Notstandes geäußert und nachvollziehbar dargelegt, dass sich ihm nicht erschließe, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der Gefährdungsanalyse der Polizeidirektion L. vom 4. Oktober 2010 und dem Erlass der Auflage am 13. Oktober 2010 so erhöht haben soll, dass statt der zwei Aufzüge, die ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten wurden, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Auch erscheint es nachvollziehbar, dass dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die Vornahme der hier grundsätzlich gebotenen und soweit als möglich nicht lediglich summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Auflage nicht mehr möglich war. Allerdings hätte es dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in dieser Konstellation, um der Freiheitsvermutung zugunsten der Versammlungsfreiheit zumindest in der Sache Rechnung zu tragen, oblegen, eine besonders sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese in der Begründung seiner Entscheidung hinreichend offenzulegen. Vorliegend hat sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, auf die vermeintlich geringe Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzuweisen, ohne auch nur ansatzweise ausreichend auf das Bestehen einer die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit überwiegenden potentiellen Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter einzugehen.

23

4. Demgemäß ist festzustellen, dass sowohl der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig als auch der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Einer Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung bedarf es darüberhinausgehend nur bezüglich der Kostenentscheidungen, da in der Sache selbst Erledigung eingetreten ist (vgl. Schemmer, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. Aufl. 2005, BVerfGG, § 93c Rn. 33).

24

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. November 2011 - 3 K 1817/11 - geändert.

Es wird festgestellt, dass das Versammlungsverbot (Ziffern I. und II.) und die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung (Ziffer IV.) in der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 08.02.2011 rechtswidrig waren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines durch Allgemeinverfügung erlassenen Versammlungsverbots zur Sicherung eines Castortransports.
Mit einer auf § 15 Abs. 1 VersammlG und § 35 Satz 2 LVwVfG gestützten Allgemeinverfügung vom 08.02.2011 untersagte die Beklagte - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge für den Zeitraum vom 15.02.2011, 0.00 Uhr bis zum 16.02.2011, 24.00 Uhr (I. der Verfügung). Der räumliche Geltungsbereich des Versammlungsverbots wurde in den Anlagen 1 und 2 zur Allgemeinverfügung festgelegt (II. der Verfügung). Er umfasste einen Korridor von jeweils 50 m Breite beidseits der Gleise entlang der Schienentransportstrecke des beabsichtigten Transports von HAW-Glaskokillen in Castor-Behältern sowie im Einzelnen bezeichnete Straßen und Straßenabschnitte einschließlich der dazwischen liegenden Flächen auf dem Gebiet der Beklagten. Nach III. der Verfügung wurden in diesem Bereich auch Sitzblockaden, andere Blockaden des HAW-Transports oder das Bereiten jedweder sonstiger Hindernisse verboten. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer I oder III wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang angedroht (IV. der Verfügung). Unter VI. wurde bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
Die Allgemeinverfügung wurde am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe ohne Begründung bekannt gemacht. In der Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, dass die Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne.
In der Begründung wurde ausgeführt, der Beklagten lägen für den Zeitraum des Castortransports durch das Stadtgebiet bislang lediglich zwei Anmeldungen für Mahnwachen vor. Es sei jedoch mit weiteren Demonstrationen zu rechnen. Trotz diverser bundesweiter Demonstrationsaufrufe verschiedener Organisationen sei es der Versammlungsbehörde nicht möglich, an Verantwortliche im Sinn von § 14 Abs. 2 VersammlG Einzelverfügungen zu adressieren, da keine Anmeldung im Sinn von § 14 Abs. 1 VersammlG erfolgt sei. Aus diesem Grund bleibe nur die gewählte Form der Allgemeinverfügung. Die Gefahrenprognose stütze sich auf Erfahrungen bei vergangenen Atomtransporten und auf aktuelle Aufrufe zu Protest- und Blockadeaktionen im Internet. Fünf Vorfälle aus den Jahren 2004 - 2010 wurden ausdrücklich angeführt:
Am 07.11.2004 habe sich anlässlich eines Castortransports eine Gruppe von 20 - 25 Personen im Bereich Mannheim-Friedrichsfeld/Schwetzingen auf den Weg Richtung Gleisanlage gemacht. Es seien Platzverweise ausgesprochen und sechs Personen in Gewahrsam genommen worden. Nach den Gesamtumständen habe die Personengruppe die Gleise blockieren wollen.
Anlässlich eines Castortransports am 11.11.2006 habe ein Zug in Höhe Büchig (Stutensee) halten müssen, da im weiteren Streckenverlauf ein verdächtigtes Päckchen auf der Gleisanlage gelegen habe sowie in dessen Nähe ein Transparent „Stoppt den Castor“ über die Gleise gespannt worden sei. Kurze Zeit später habe der Zug wegen eines mit Holzstücken gefüllten Eimers auf den Schienen halten müssen. Fast zeitgleich hätten in Mannheim (Ansiedlung Alteichwald) fünf Personen aus einer sechsköpfigen Gruppe in Gewahrsam genommen werden müssen, nachdem sie einen Platzverweis nicht befolgt hatten. Ihre Absicht dürfe eine Gleisblockade gewesen sein. Zwischen Hockenheim und Oftersheim hätten sich ca. 30 Personen mit Fackeln im Gleisbereich zu Blockadezwecken versammelt. Nach Versammlungsauflösung seien Platzverweise erteilt worden. Zehn Personen seien in Gewahrsam genommen worden, da sie den Platzverweisen nicht nachgekommen seien. Die Zugfahrt sei um eine Stunde verzögert worden.
Bei einem Castortransport am 08./09.11.2008 hätten sich zwischen Berg und Neuburg (Rheinland-Pfalz) 11 Personen versammelt, von denen sich drei Personen mit einem Kunststoffrohr und Schnellzement an die Gleise gekettet hätten. Das Lösen der Blockade habe sich so schwierig und aufwendig gestaltet, dass die Weiterfahrt des Zuges sich um 14 Stunden verzögert habe. Nahezu zeitgleich seien drei einschlägig bekannte Personen der Anti-Atom-Szene mit mitgeführten faltbaren gelben Tonnen angetroffen worden. Den Personen seien Platzverweise erteilt worden, wobei eine Person nach vorangegangener Widerstandshandlung vorübergehend in Gewahrsam genommen worden sei. Aufgrund des örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs (planmäßig hätte der Zug kurze Zeit später den Bahnhof Karlsruhe-Mühlburg passieren sollen) sei zu vermuten, dass die Personen ebenfalls eine Blockadeaktion beabsichtigt hätten. Im weiteren Verlauf habe der Zug erneut für ca. 25 Minuten halten müssen, nachdem die Bundespolizei metallische Geräusche im Schienenbereich wahrgenommen habe und eine Leuchtrakete in den Himmel abgeschossen worden sei.
Am 06.11.2010 hätten sich anlässlich eines Castortransports im Bereich Lauterbourg (Frankreich) zwei bekannte Aktivisten aus Heidelberg an den Gleisen festgekettet. Im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) hätten gleichzeitig bis zu 1.000 Demonstranten die Transportstrecke blockiert. Der Zug sei umgeleitet worden. Im weiteren Verlauf sei eine Brücke, die der Zug überfahren sollte, blockiert worden. Die rechtswidrige Versammlung sei aufgelöst worden. 11 Personen hätten von der Brücke weggetragen werden müssen. Dabei sei es zu Widerstandshandlungen gegen Polizeikräfte der Bundespolizei gekommen. Es seien drei Personen festgenommen worden. Nachdem die Zugumleitung bekannt geworden sei, sei es im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe zu einer Versammlung von ca. 250–300 Personen gekommen, darunter auch ca. 20 Autonome der Anti-Atom-Szene. Die Personen hätten versucht, durch Überrennen eine Polizeiabsperrung zu überwinden, um auf der Gleisanlage eine Blockade zu errichten. Dieses Vorhaben habe nur durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung unmittelbaren Zwangs verhindert werden können. Es sei zu vier Widerstandshandlungen sowie zu einer Beleidigung zum Nachteil der Einsatzkräfte gekommen. Vermutlich aus Protest gegen die Eingriffsmaßnahmen der Polizei gegenüber den Straftätern habe sich in der Folge ein spontaner Aufzug (ca. 80 – 100 Personen) vom Hauptbahnhof in Richtung Polizeipräsidium Karlsruhe bewegt und „Lasst sie frei“ skandiert.
Ein Transport am 15.12.2010 sei störungsfrei verlaufen, nachdem die Einsatzleitung in Frankreich kurzfristig eine Streckenänderung verfügt habe.
10 
Zu den Protest- und Blockadeaufrufen im Internet hieß es u.a.:
11 
Auf der Internetseite www.nachttanzblockade.de werde mit den Worten „Mach mit, bleib wach, besetze, blockiere!“, „Wir stoppen mit einer Gleisbesetzung den Castor“ und „Teig mischen? Beton mischen? Mitmischen!“ ausdrücklich zu Blockaden aufgerufen. Die Blockade solle „in Karlsruhe-Neureut, wenn der Castor rollt“ stattfinden. Unter der Rubrik „Mitmischen“ erscheine eine Checkliste, welche Gegenstände zur Blockadeaktion mitgebracht werden sollten, u.a.
12 
- Werkzeug zum Reparieren von Zäunen, Straßen etc.,
- dichte Plastiktüte zum Verpacken Tränengas verseuchter Klamotten,
- Augenspülflasche mit klarem Wasser,
- Medikamente für mehrere Tage,
- Sitzkissen,
- keine Schminke und Fettcreme (bindet Tränengas).
13 
Das Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand-Neckarwestheim rufe auf http://neckarwestheim.antiatom.net gemeinsam mit den Südwestdeutschen Anti-Atom-Initiativen dazu auf, „gegen die Atommüllverschiebung von Karlsruhe nach Lubmin am Transporttag (16.02.2011) entlang den Straßenbahnschienen in Karlsruhe zu demonstrieren und Aktionen entlang der gesamten Transportstrecke durchzuführen.
14 
Auf der Seite www.lubmin-nixda.de werde zur regen Teilnahme an bundesweiten Demonstrationen am 12.02.2011 entlang der möglichen Transportstrecken und zum „Widerstand im ganzen Land gegen diesen Castortransport, denn Atommüll geht uns alle an!“ aufgerufen. Für die darauffolgenden Tage (15.-18.02.2011) werde dazu aufgerufen, sich am Protest zu beteiligen: „Organisiert bei Euch an der Strecke Widerstand und stoppt den Castor am Tag X“.
15 
Die „Linksjugend (Solid) Karlsruhe“ rufe auf der Internetseite http://solidka.wordpress.com/castor zur Transportblockade auf. Neben einem eigenen Flyer werde auf die Internetseite der Nachttanzblockade verwiesen.
16 
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kam die Beklagte zu dem Schluss, dass im Zusammenhang mit dem am 15./16.02.2011 stattfindenden Castortransport mit massiven Störungen des Zuglaufs durch Blockadeaktionen bzw. Einwirkungen auf den Schienenstrang oder den Transportzug selbst gerechnet werden müsse. Wie viele Personen sich an den Protesten beteiligen werden, sei nicht absehbar. Vor dem Hintergrund der zuvor beschlossenen Laufzeitverlängerung von Atomanlagen sowie der Zwischen- und Endlagerproblematik sei jedoch von einem erheblichen Mobilisierungsgrad auszugehen. Unmittelbaren lokalen Bezug entfalte zudem der Rückkauf der EnBW-Aktien durch das Land Baden-Württemberg. Dass lediglich zwei Mahnwachen angemeldet worden seien, im Internet jedoch aktiv zu Protesten aufgerufen werde, lasse auf eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der Veranstalter schließen.
17 
Die Allgemeinverfügung sei das mildeste Mittel, welches in Anbetracht der Gefahrenprognose die Transportsicherung noch mit hinreichender Sicherheit gewährleiste. Der räumliche Geltungsbereich müsse in der Breite so gestaltet sein, dass das Durchsickern von Demonstranten zur Transportstrecke sowie das Erreichen des Zuges mit Wurfgeschossen nicht möglich sei. In zeitlicher Hinsicht bedürfe es aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit eines ausreichenden Zeitpuffers, um etwaige Transportverzögerungen aufzufangen.
18 
Am 14.02.2011 erhob der Kläger Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung und beantragte gleichzeitig beim Verwaltungsgericht Karlsruhe, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14.02.2011 (- 3 K 394/11 - juris) ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 15.02.2011 - 1 S 361/11 - zurück. Der Widerspruch wurde nicht mehr beschieden.
19 
Am 05.07.2011 erhob der Kläger Fortsetzungsfeststellungsklage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Das erforderliche Feststellungsinteresse sei unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zu bejahen. Es sei nicht sichergestellt, dass der Kläger bei zukünftigen Transporten von radioaktivem Müll durch Karlsruhe Versammlungen zur zeitnahen Information der betroffenen Bevölkerung über die mit dem Atommülltransport auf S-Bahn-Gleisen quer durch Wohngebiete einhergehende Gefährdung durchführen könne. Vielmehr sei zu befürchten, dass er auch künftig keine Versammlungen mit öffentlicher Messung der von Atommülltransporten ausgehenden Strahlung direkt am vorbeifahrenden Zug mit Castoren durchführen könne, da damit zu rechnen sei, dass die Beklagte dies erneut durch vergleichbare Allgemeinverfügungen zu verhindern suche. Die Allgemeinverfügung sei nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden, da sie nicht an die Bürgerinnen und Bürger ausgehändigt und ohne Begründung veröffentlicht worden sei. Dies habe die Rechtsschutzmöglichkeiten unzulässig eingeschränkt. Die Allgemeinverfügung sei in räumlicher und zeitlicher Hinsicht unverhältnismäßig gewesen. Sie habe die Versammlungsfreiheit für einen Zeitraum von 48 Stunden in einem großen Gebiet quer durch Karlsruhe, darunter u. a. am Bahnhofsplatz, für Versammlungen aller Art und unabhängig vom Thema, außer Kraft gesetzt. Der von der Allgemeinverfügung betroffene Personenkreis sei viel zu unbestimmt gewesen, weshalb bereits die Anreise per Stadtbahn zur Dauermahnwache einen Verstoß dargestellt habe. Die Gefahrenprognose sei nicht auf vergleichbare Sachverhalte gestützt worden. Schließlich habe kein polizeilicher Notstand vorgelegen. Die Polizeikräfte hätten ausgereicht, um etwaige rechtswidrige Versammlungen aufzulösen.
20 
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 15.02.2011 - 1 S 361/11 - entgegen.
21 
Mit Urteil vom 24.11.2011 - 3 K 1817/11 - wies das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab. In formeller Hinsicht bestünden keine Bedenken gegen die Allgemeinverfügung. Ihr Erlass und die öffentliche Bekanntmachung seien gerechtfertigt gewesen. Da bei dem Castortransport mit einer Mehrzahl lose verbundener Veranstalter und einzelner Demonstranten-gruppen ohne besondere innere Struktur habe gerechnet werden müssen, sei es nicht möglich gewesen, jedem einzelnen Teilnehmer oder Veranstalter gegenüber eine Einzelverfügung bekannt zu geben. Dies rechtfertige ein allgemeines Versammlungsverbot in Form einer Allgemeinverfügung. Einer öffentlichen Bekanntmachung auch der Begründung habe es nicht bedurft. Die Allgemeinverfügung sei auch in der Sache nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG im Zeitpunkt ihres Erlasses vorgelegen hätten. Es habe eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestanden. Die Beklagte habe in der Allgemeinverfügung zu Recht angenommen, dass die Erfahrung mit zurückliegenden Castortransporten die Annahme rechtfertige, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere durch Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffe in den Bahnverkehr - bestanden habe. Ferner seien zahlreiche Indizien, insbesondere Internetaufrufe zu Protest- und Blockadeaktionen, aufgeführt, die auch bei dem seinerzeit bevorstehenden Transport für mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Rechtsgüterverletzungen gesprochen hätten. Hervorzuheben seien die zahlreichen Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite www.nachttanzblockade.de verwiesen hätten. Aus der Gesamtheit der von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien habe sich die konkrete Erwartung ergeben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Blockaden der Schienenstrecke seien von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellten eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar, weil gegen die Eisenbahnbau- und Betriebsordnung sowie möglicherweise gegen § 315 StGB verstoßen werde. Die von der Beklagten getroffene Gefahrenprognose habe der Kläger nicht zu widerlegen vermocht. Die Beklagte sei zu Recht von einem polizeilichen Notstand ausgegangen, der es rechtfertige, einschränkend auf die Modalitäten der Versammlungsdurchführung einzuwirken, um den polizeilichen Schutzauftrag umfassend und wirksam erfüllen zu können. Ohne den Erlass der Allgemeinverfügung hätte der konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht hinreichend begegnet werden können. Die Beklagte und die Polizei hätten es personalmäßig nicht gewährleisten können, in jedem Einzelfall eine individuelle Gefahrenprognose für alle angemeldeten, vor allem aber auch alle unangemeldeten Versammlungen zu treffen. Die Regelungen der Allgemeinverfügung seien auch verhältnismäßig gewesen. Dass der Korridor, in dem Versammlungen verboten gewesen seien, 50 m beidseits der Transportstrecke sowie angrenzende Gebiete erfasst habe, sei nicht zu beanstanden. In der Allgemeinverfügung sei dieser Abstand nachvollziehbar mit dem Wurf von Gegenständen sowie der Gefahr des „Durchsickerns“ von Demonstranten begründet worden. Mit dieser Begründung hätten auch an die Transportstrecke angrenzende Straßen und die dazwischen liegenden Bereiche sowie der stark frequentierte und damit schwer zu kontrollierende Bahnhofsvorplatz in die Allgemeinverfügung aufgenommen werden dürfen, da mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten gewesen sei, dass auch friedliche Versammlungen dazu genutzt würden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen. In zeitlicher Hinsicht sei das Versammlungsverbot gut nachzuvollziehen, da ein Zeitpuffer eingeplant werden müsse.
22 
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 09.08.2012 - 1 S 210/12 - zugelassenen Berufung vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen.
23 
Der Kläger beantragt,
24 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24.11.2011 - 3 K 1817/11 - zu ändern und festzustellen, dass das Versammlungsverbot (Ziffern I. und II.) und die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung (Ziffer IV.) in der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 08.02.2011 rechtswidrig waren.
25 
Die Beklagte beantragt,
26 
die Berufung zurückzuweisen.
27 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
28 
Mit der Ladung zum Termin wurde die Beklagte darauf hingewiesen, dass die von ihr vorgelegten Akten nur eingeschränkt eine zuverlässige Überprüfung der in der Allgemeinverfügung getroffenen Gefahrprognose erlaubten. Üblicherweise werde die Gefahrprognose aufgrund einer polizeilichen Lageeinschätzung getroffen. Eine solche sei dem Senat nicht vorgelegt worden. Eine Überprüfung der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands sei ohne Kenntnis der Zahl der damals voraussichtlich benötigten und der tatsächlich zur Verfügung stehenden Polizeibeamten kaum möglich.
29 
Die Beklagte teilte darauf mit Schriftsatz vom 19.09.2013 mit, dass ihr keine weiteren Akten vorlägen, die nachgereicht werden könnten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärte der Vertreter der Beklagten, dass es keine polizeiliche Lageeinschätzung gegeben habe, wenn eine solche in den vorgelegten Akten nicht enthalten sei. Der Versammlungsbehörde seien aber wohl Informationen der Polizei „zugespielt worden“. Er erklärte weiter, dass der Beklagten ex ante bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
30 
Dem Senat liegen die von der Beklagten vorgelegten Akten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
31 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die im Berufungsverfahren erfolgte Beschränkung des Klageantrags stellt keine Klageänderung dar; sie ist nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO ohne weiteres zulässig.
II.
32 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Versammlungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
33 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Bei dem streitgegenständlichen Versammlungsverbot handelte es sich um einen Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG). Anlass der Allgemeinverfügung war der beabsichtigte Castortransport. Da es sich um einen einzelnen und konkret erkennbaren Lebenssachverhalt handelte, nahm der Umstand, dass sich das Versammlungsverbot auf eine Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern ausgewirkt hat, der Allgemeinverfügung nicht den Charakter eines einzelfallbezogenen Verwaltungsakts (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008,987). Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155, vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61 und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473, jeweils m.w.N.).
34 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O. m.w.N.).
35 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier bei einer Klageerhebung binnen Jahresfrist nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
36 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O. und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurteile vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O. und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
37 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.). Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt dabei zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405).
38 
Danach ist hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Ein Versammlungsverbot in Gestalt einer Allgemeinverfügung stellt stets eine schwere Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit dar. Da der Protest der Atomkraftgegner sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich richtet, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten, werden Castortransporte und andere Transporte radioaktiver Abfallprodukte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu Versammlungen und auch zu nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckten Protestaktionen wie etwa Blockaden der Transportstrecke bieten. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch anlässlich künftiger Atommülltransporte durch Karlsruhe Versammlungen unmittelbar an der Transportstrecke veranstalten zu wollen. Es ist zu erwarten, dass die Beklagte, die an ihrer Rechtsauffassung festhält, zur Sicherung solcher Transporte wiederum der streitgegenständlichen Verfügung vergleichbare Allgemeinverfügungen erlassen wird. Sie hat nicht zu erkennen gegeben, von diesem Instrument künftig in vergleichbaren Situationen keinen Gebrauch mehr machen zu wollen.
39 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Versammlungsverbot in der Form einer Allgemeinverfügung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Zwar war die Allgemeinverfügung formell rechtmäßig (a)) und hinreichend bestimmt (b)). Es spricht auch vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für den Erlass versammlungsbeschränkender Maßnahmen vorgelegen haben (c)). Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten nicht festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands gegeben waren (d)).
40 
a) Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Allgemeinverfügung ordnungsgemäß bekannt gegeben.
41 
Nach § 41 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Untunlich bedeutet, dass die individuelle Bekanntgabe wegen der Natur des in Rede stehenden Verwaltungsakts nicht möglich oder jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, etwa weil nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wer betroffen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 41 Rn. 46). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Aufgrund der Aufrufe im Internet zu verschiedenen Formen des Protestes, die nicht mit entsprechenden Anmeldungen von Versammlungen korrespondierten, war es nicht möglich, jedem einzelnen potentiellen Veranstalter oder Teilnehmer die Allgemeinverfügung oder gar eine Einzelverfügung bekannt zu geben.
42 
Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakts dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Diese Voraussetzung wurde mit der Bekanntgabe des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe erfüllt. In Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG wurde in der Bekanntmachung darauf hingewiesen, dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne. Abweichend von § 41 Abs. 4 Satz 3 LVwVfG, wonach der Verwaltungsakt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben gilt, wurde gemäß Satz 4 dieser Vorschrift bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
43 
Für einen Verstoß dieser Bekanntgabevorschriften oder ihrer Handhabung im Einzelfall gegen höherrangiges Recht ist nichts ersichtlich. Der Umstand, dass es dem Kläger möglich war, bereits am 14.02.2011 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung einzulegen und um Eilrechtsschutz nachzusuchen, belegt, dass die Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht unzumutbar erschwert wurden.
44 
b) Die Allgemeinverfügung war sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Adressatenkreises hinreichend bestimmt (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG).
45 
Für die inhaltliche Bestimmtheit genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
46 
Daran gemessen war die Allgemeinverfügung inhaltlich hinreichend bestimmt. Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs war hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Der Versammlungsbegriff ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinreichend konturiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 [Fuckparade 2001]; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 [Blockadeaktion]; Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - NJW 2001, 2459 [Love Parade]). Eine Versammlung ist danach die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Individuelle Meinungsbekundungen etwa durch das Tragen von Ansteckern und auch die Anreise zu einer Versammlung wurden danach von der Allgemeinverfügung nicht erfasst. Gleiches gilt für öffentliche Messungen der Radioaktivität, soweit sie nicht mit einer kollektiven Meinungskundgabe einhergehen.
47 
Einer konkreten Bezeichnung des Adressatenkreises der Allgemeinverfügung bedurfte es nicht, da dieser sich ohne weiteres aus dem Regelungsinhalt des Versammlungsverbots ergab. Adressat war danach jede Person, die innerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung an einer Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug teilnehmen wollte. Der Adressatenkreis war damit - wie dies für eine personenbezogene Allgemeinverfügung kennzeichnend ist - nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar. Dem entsprechend wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang unter IV. der Verfügung „den Versammlungsteilnehmern“ angedroht. Eine weitere Konkretisierung des Adressatenkreises war nicht möglich, da die Allgemeinverfügung auf eine unbestimmte Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern zielte.
48 
c) Es spricht vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen haben.
49 
aa) Versammlungsbeschränkende Maßnahmen dürfen nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
50 
bb) Hier bereitet die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG Schwierigkeiten, weil in den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht dokumentiert ist, welche Erkenntnisse ihr bei Erlass der Allgemeinverfügung zur Verfügung standen und die Beklagte hierzu auch keine verbindlichen Angaben machen konnte. Aus den in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten Erkenntnissen kann nur indirekt darauf geschlossen werden, dass diese auf entsprechenden Informationen seitens der Polizei - etwa auf einer polizeilichen Lageeinschätzung - beruhen.
51 
cc) Sieht man über diese Unsicherheiten hinweg, so erweist sich die auf dieser Tatsachengrundlage getroffene Gefahrenprognose jedoch im Grundsatz als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründeten. Die in der Begründung angeführten Erfahrungen aus zurückliegenden Castortransporten dürften die Annahme gerechtfertigt haben, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffen in den Bahnverkehr - bestand. Dafür sprachen auch die ebenfalls in der Begründung angeführten Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite „www.nachttanzblockade.de“ verwiesen. In einer Gesamtschau dürften die von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien die Prognose gerechtfertigt haben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Derartige Blockadeaktionen auf der Schienenstrecke sind von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellen eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar. Denn eine Sitzblockade auf den Schienen einer dem öffentlichen Eisenbahnverkehr dienenden Schienenstrecke stellt zumindest einen Verstoß gegen § 62 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung - EBO - dar und kann darüber hinaus auch als Transportgefährdung gemäß § 315 StGB strafbar sein. Der Verstoß gegen die EBO und gegen § 315 StGB durch derartige Blockaden ist nicht durch das Versammlungsrecht gerechtfertigt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 12.03.1998 - 1 BvR 2165/96 - juris). Blockaden, die nicht nur kurzfristig und symbolisch Protest ausdrücken sollen, sondern auf die Verhinderung dessen gerichtet sind, was politisch missbilligt wird, sind grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Auch wenn Sitzblockaden bei passiver Haltung der Teilnehmer nicht als unfriedlich anzusehen sind und für sie folglich der Schutz des Art. 8 GG nicht von vornherein entfällt, überschreiten sie den Bereich der geistigen Auseinandersetzung, wenn sie sich nicht als demonstrative Sitzblockaden auf die Kundgabe einer Meinung und die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen beschränken, sondern auf die Beeinträchtigung der Rechte anderer und die Ausübung von Zwang sowie die Schaffung von Tatsachen gerichtet sind. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen durch gezielte und absichtliche Behinderung der Rechte Dritter zu steigern (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 206; Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. - BVerfGE 104, 92; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 15 Rn. 195 f.; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 <259 f.>; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - a.a.O.).
52 
Die Gefahr von Blockadeaktionen dürfte ebenso wie die Gefahr des Werfens von Gegenständen auf die Transportstrecke versammlungsbeschränkende Maßnahmen in einem Korridor entlang der Strecke grundsätzlich gerechtfertigt haben. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Kläger selbst Rechtsverletzungen in der Vergangenheit zu verantworten hatte oder nicht. Es ist auch nicht entscheidend, ob von den angemeldeten Versammlungen in Karlsruhe-Neureut voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Denn die Allgemeinverfügung betraf nicht nur den Kläger, sondern alle Demonstrationsteilnehmer, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt deshalb auf eine Gesamtbetrachtung an, d.h. ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen "Aktionen" entlang der Transportstrecke eine unmittelbare Gefahr der öffentlichen Sicherheit zu erwarten war. Hier spricht vieles dafür, dass die Prognose gerechtfertigt war, dass sich aus zunächst friedlichen Versammlungen rechtswidrige Blockadeaktionen entwickeln und weitere Straftaten wie etwa Gefährdungen des Schienenverkehrs begangen werden. Auch die Befürchtung, dass friedliche Versammlungen genutzt werden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen, dürfte gerechtfertigt gewesen sein.
53 
d) Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil die zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit jedenfalls nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen, wie die Beklagte es in Gestalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erlassen hat, gerechtfertigt haben. Denn ein solches Versammlungsverbot darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erlassen werden und mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Notstand gegeben war.
54 
aa) Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet war, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorgelegen hätten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 m.w.N.). Denn insoweit wurde durch die Allgemeinverfügung auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht hatten, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa Beschädigungen der Gleisanlagen, zu beteiligen.
55 
bb) Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen (BVerwG, Beschl. v. 01.10.2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 15 Rn. 41 f.; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Kap. D Rn. 138 ff.). Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die Behörde zunächst gegen diese vorzugehen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01 - NJW 2001, 1411 <1412> u. v. 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 - NVwZ-RR 2007, 641 <642> m.w.N.). Voraussetzung des Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 ff., vgl. auch Beschl. v. 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 - NJW 2000, 3053 und BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 - NVwZ 1999, 991 <992>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz des Castortransports nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dabei nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
56 
cc) Daran gemessen kann hier nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorlagen. Zwar stellt die Begleitung eines Castortransports angesichts der regelmäßig langen Transportstrecke (hier von Karlsruhe nach Lubmin) und der großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger "Aktionsformen" mit zum Teil vielen, aber teilweise auch wenigen Teilnehmern, die gerade deshalb (bei unangemeldeten Veranstaltungen) entlang der langen Strecke schwer zu "orten" und polizeilich zu begleiten sind, eine außergewöhnlich komplexe polizeiliche Aufgabe dar. Allein dies vermag jedoch noch keinen polizeilichen Notstand zu begründen. Zu berücksichtigen ist, dass die Mobilisierung der Castor-Gegner, von denen Störungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind, entlang der langen Transportstrecke regional höchst unterschiedlich ist. Zu Situationen, die die Annahme eines polizeilichen Notstands rechtfertigten, kam es in der Vergangenheit vor allem im Wendland. Bei den von der Beklagten der Gefahrprognose zugrunde gelegten Vorfällen konnten Störungen überwiegend durch ein gezieltes Vorgehen gegen die Störer (Platzverweise, Ingewahrsam-nahmen) beseitigt werden, ohne dass es zu nennenswerten Verzögerungen des jeweiligen Castortransports gekommen wäre. Lediglich bei dem Transport am 06.11.2010, als im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) bis zu 1.000 Demonstranten gleichzeitig die Transportstrecke blockierten, spricht einiges dafür, dass dort die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorgelegen haben könnten. Als es nach Bekanntwerden der Zugumleitung in der Folge zu einer Spontanversammlung von ca. 250 - 300 Personen im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe kam, die versuchten, eine Polizeiabsperrung zu überrennen und auf den Gleisanlagen eine Blockade zu errichten, war die Polizei jedoch in der Lage, dies durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung von unmittelbarem Zwang zu verhindern. Da die Beklagte bereits nicht dargelegt hat, in welcher Zahl ihr Polizeikräfte zur Sicherung des Castortransports in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung standen und wie viel Polizeibeamte voraussichtlich erforderlich gewesen wären, um ohne ein präventives allgemeines Versammlungsverbot Störungen der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit dem Castortransport zu verhindern, muss vorliegend eine Beweislastentscheidung getroffen werden. Ansatzpunkte für eine weitere Sachaufklärung sind nicht gegeben, nachdem der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, dass der Beklagten bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
57 
e) Erweist sich das Versammlungsverbot als rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung.
III.
58 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
59 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
60 
Beschluss vom 6. November 2013
61 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
62 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
31 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die im Berufungsverfahren erfolgte Beschränkung des Klageantrags stellt keine Klageänderung dar; sie ist nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO ohne weiteres zulässig.
II.
32 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Versammlungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
33 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Bei dem streitgegenständlichen Versammlungsverbot handelte es sich um einen Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG). Anlass der Allgemeinverfügung war der beabsichtigte Castortransport. Da es sich um einen einzelnen und konkret erkennbaren Lebenssachverhalt handelte, nahm der Umstand, dass sich das Versammlungsverbot auf eine Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern ausgewirkt hat, der Allgemeinverfügung nicht den Charakter eines einzelfallbezogenen Verwaltungsakts (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008,987). Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155, vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61 und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473, jeweils m.w.N.).
34 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O. m.w.N.).
35 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier bei einer Klageerhebung binnen Jahresfrist nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
36 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O. und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurteile vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O. und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
37 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.). Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt dabei zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405).
38 
Danach ist hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Ein Versammlungsverbot in Gestalt einer Allgemeinverfügung stellt stets eine schwere Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit dar. Da der Protest der Atomkraftgegner sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich richtet, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten, werden Castortransporte und andere Transporte radioaktiver Abfallprodukte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu Versammlungen und auch zu nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckten Protestaktionen wie etwa Blockaden der Transportstrecke bieten. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch anlässlich künftiger Atommülltransporte durch Karlsruhe Versammlungen unmittelbar an der Transportstrecke veranstalten zu wollen. Es ist zu erwarten, dass die Beklagte, die an ihrer Rechtsauffassung festhält, zur Sicherung solcher Transporte wiederum der streitgegenständlichen Verfügung vergleichbare Allgemeinverfügungen erlassen wird. Sie hat nicht zu erkennen gegeben, von diesem Instrument künftig in vergleichbaren Situationen keinen Gebrauch mehr machen zu wollen.
39 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Versammlungsverbot in der Form einer Allgemeinverfügung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Zwar war die Allgemeinverfügung formell rechtmäßig (a)) und hinreichend bestimmt (b)). Es spricht auch vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für den Erlass versammlungsbeschränkender Maßnahmen vorgelegen haben (c)). Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten nicht festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands gegeben waren (d)).
40 
a) Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Allgemeinverfügung ordnungsgemäß bekannt gegeben.
41 
Nach § 41 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Untunlich bedeutet, dass die individuelle Bekanntgabe wegen der Natur des in Rede stehenden Verwaltungsakts nicht möglich oder jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, etwa weil nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wer betroffen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 41 Rn. 46). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Aufgrund der Aufrufe im Internet zu verschiedenen Formen des Protestes, die nicht mit entsprechenden Anmeldungen von Versammlungen korrespondierten, war es nicht möglich, jedem einzelnen potentiellen Veranstalter oder Teilnehmer die Allgemeinverfügung oder gar eine Einzelverfügung bekannt zu geben.
42 
Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakts dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Diese Voraussetzung wurde mit der Bekanntgabe des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe erfüllt. In Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG wurde in der Bekanntmachung darauf hingewiesen, dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne. Abweichend von § 41 Abs. 4 Satz 3 LVwVfG, wonach der Verwaltungsakt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben gilt, wurde gemäß Satz 4 dieser Vorschrift bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
43 
Für einen Verstoß dieser Bekanntgabevorschriften oder ihrer Handhabung im Einzelfall gegen höherrangiges Recht ist nichts ersichtlich. Der Umstand, dass es dem Kläger möglich war, bereits am 14.02.2011 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung einzulegen und um Eilrechtsschutz nachzusuchen, belegt, dass die Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht unzumutbar erschwert wurden.
44 
b) Die Allgemeinverfügung war sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Adressatenkreises hinreichend bestimmt (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG).
45 
Für die inhaltliche Bestimmtheit genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
46 
Daran gemessen war die Allgemeinverfügung inhaltlich hinreichend bestimmt. Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs war hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Der Versammlungsbegriff ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinreichend konturiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 [Fuckparade 2001]; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 [Blockadeaktion]; Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - NJW 2001, 2459 [Love Parade]). Eine Versammlung ist danach die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Individuelle Meinungsbekundungen etwa durch das Tragen von Ansteckern und auch die Anreise zu einer Versammlung wurden danach von der Allgemeinverfügung nicht erfasst. Gleiches gilt für öffentliche Messungen der Radioaktivität, soweit sie nicht mit einer kollektiven Meinungskundgabe einhergehen.
47 
Einer konkreten Bezeichnung des Adressatenkreises der Allgemeinverfügung bedurfte es nicht, da dieser sich ohne weiteres aus dem Regelungsinhalt des Versammlungsverbots ergab. Adressat war danach jede Person, die innerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung an einer Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug teilnehmen wollte. Der Adressatenkreis war damit - wie dies für eine personenbezogene Allgemeinverfügung kennzeichnend ist - nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar. Dem entsprechend wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang unter IV. der Verfügung „den Versammlungsteilnehmern“ angedroht. Eine weitere Konkretisierung des Adressatenkreises war nicht möglich, da die Allgemeinverfügung auf eine unbestimmte Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern zielte.
48 
c) Es spricht vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen haben.
49 
aa) Versammlungsbeschränkende Maßnahmen dürfen nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
50 
bb) Hier bereitet die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG Schwierigkeiten, weil in den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht dokumentiert ist, welche Erkenntnisse ihr bei Erlass der Allgemeinverfügung zur Verfügung standen und die Beklagte hierzu auch keine verbindlichen Angaben machen konnte. Aus den in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten Erkenntnissen kann nur indirekt darauf geschlossen werden, dass diese auf entsprechenden Informationen seitens der Polizei - etwa auf einer polizeilichen Lageeinschätzung - beruhen.
51 
cc) Sieht man über diese Unsicherheiten hinweg, so erweist sich die auf dieser Tatsachengrundlage getroffene Gefahrenprognose jedoch im Grundsatz als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründeten. Die in der Begründung angeführten Erfahrungen aus zurückliegenden Castortransporten dürften die Annahme gerechtfertigt haben, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffen in den Bahnverkehr - bestand. Dafür sprachen auch die ebenfalls in der Begründung angeführten Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite „www.nachttanzblockade.de“ verwiesen. In einer Gesamtschau dürften die von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien die Prognose gerechtfertigt haben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Derartige Blockadeaktionen auf der Schienenstrecke sind von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellen eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar. Denn eine Sitzblockade auf den Schienen einer dem öffentlichen Eisenbahnverkehr dienenden Schienenstrecke stellt zumindest einen Verstoß gegen § 62 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung - EBO - dar und kann darüber hinaus auch als Transportgefährdung gemäß § 315 StGB strafbar sein. Der Verstoß gegen die EBO und gegen § 315 StGB durch derartige Blockaden ist nicht durch das Versammlungsrecht gerechtfertigt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 12.03.1998 - 1 BvR 2165/96 - juris). Blockaden, die nicht nur kurzfristig und symbolisch Protest ausdrücken sollen, sondern auf die Verhinderung dessen gerichtet sind, was politisch missbilligt wird, sind grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Auch wenn Sitzblockaden bei passiver Haltung der Teilnehmer nicht als unfriedlich anzusehen sind und für sie folglich der Schutz des Art. 8 GG nicht von vornherein entfällt, überschreiten sie den Bereich der geistigen Auseinandersetzung, wenn sie sich nicht als demonstrative Sitzblockaden auf die Kundgabe einer Meinung und die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen beschränken, sondern auf die Beeinträchtigung der Rechte anderer und die Ausübung von Zwang sowie die Schaffung von Tatsachen gerichtet sind. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen durch gezielte und absichtliche Behinderung der Rechte Dritter zu steigern (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 206; Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. - BVerfGE 104, 92; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 15 Rn. 195 f.; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 <259 f.>; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - a.a.O.).
52 
Die Gefahr von Blockadeaktionen dürfte ebenso wie die Gefahr des Werfens von Gegenständen auf die Transportstrecke versammlungsbeschränkende Maßnahmen in einem Korridor entlang der Strecke grundsätzlich gerechtfertigt haben. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Kläger selbst Rechtsverletzungen in der Vergangenheit zu verantworten hatte oder nicht. Es ist auch nicht entscheidend, ob von den angemeldeten Versammlungen in Karlsruhe-Neureut voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Denn die Allgemeinverfügung betraf nicht nur den Kläger, sondern alle Demonstrationsteilnehmer, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt deshalb auf eine Gesamtbetrachtung an, d.h. ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen "Aktionen" entlang der Transportstrecke eine unmittelbare Gefahr der öffentlichen Sicherheit zu erwarten war. Hier spricht vieles dafür, dass die Prognose gerechtfertigt war, dass sich aus zunächst friedlichen Versammlungen rechtswidrige Blockadeaktionen entwickeln und weitere Straftaten wie etwa Gefährdungen des Schienenverkehrs begangen werden. Auch die Befürchtung, dass friedliche Versammlungen genutzt werden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen, dürfte gerechtfertigt gewesen sein.
53 
d) Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil die zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit jedenfalls nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen, wie die Beklagte es in Gestalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erlassen hat, gerechtfertigt haben. Denn ein solches Versammlungsverbot darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erlassen werden und mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Notstand gegeben war.
54 
aa) Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet war, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorgelegen hätten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 m.w.N.). Denn insoweit wurde durch die Allgemeinverfügung auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht hatten, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa Beschädigungen der Gleisanlagen, zu beteiligen.
55 
bb) Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen (BVerwG, Beschl. v. 01.10.2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 15 Rn. 41 f.; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Kap. D Rn. 138 ff.). Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die Behörde zunächst gegen diese vorzugehen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01 - NJW 2001, 1411 <1412> u. v. 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 - NVwZ-RR 2007, 641 <642> m.w.N.). Voraussetzung des Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 ff., vgl. auch Beschl. v. 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 - NJW 2000, 3053 und BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 - NVwZ 1999, 991 <992>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz des Castortransports nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dabei nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
56 
cc) Daran gemessen kann hier nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorlagen. Zwar stellt die Begleitung eines Castortransports angesichts der regelmäßig langen Transportstrecke (hier von Karlsruhe nach Lubmin) und der großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger "Aktionsformen" mit zum Teil vielen, aber teilweise auch wenigen Teilnehmern, die gerade deshalb (bei unangemeldeten Veranstaltungen) entlang der langen Strecke schwer zu "orten" und polizeilich zu begleiten sind, eine außergewöhnlich komplexe polizeiliche Aufgabe dar. Allein dies vermag jedoch noch keinen polizeilichen Notstand zu begründen. Zu berücksichtigen ist, dass die Mobilisierung der Castor-Gegner, von denen Störungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind, entlang der langen Transportstrecke regional höchst unterschiedlich ist. Zu Situationen, die die Annahme eines polizeilichen Notstands rechtfertigten, kam es in der Vergangenheit vor allem im Wendland. Bei den von der Beklagten der Gefahrprognose zugrunde gelegten Vorfällen konnten Störungen überwiegend durch ein gezieltes Vorgehen gegen die Störer (Platzverweise, Ingewahrsam-nahmen) beseitigt werden, ohne dass es zu nennenswerten Verzögerungen des jeweiligen Castortransports gekommen wäre. Lediglich bei dem Transport am 06.11.2010, als im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) bis zu 1.000 Demonstranten gleichzeitig die Transportstrecke blockierten, spricht einiges dafür, dass dort die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorgelegen haben könnten. Als es nach Bekanntwerden der Zugumleitung in der Folge zu einer Spontanversammlung von ca. 250 - 300 Personen im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe kam, die versuchten, eine Polizeiabsperrung zu überrennen und auf den Gleisanlagen eine Blockade zu errichten, war die Polizei jedoch in der Lage, dies durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung von unmittelbarem Zwang zu verhindern. Da die Beklagte bereits nicht dargelegt hat, in welcher Zahl ihr Polizeikräfte zur Sicherung des Castortransports in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung standen und wie viel Polizeibeamte voraussichtlich erforderlich gewesen wären, um ohne ein präventives allgemeines Versammlungsverbot Störungen der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit dem Castortransport zu verhindern, muss vorliegend eine Beweislastentscheidung getroffen werden. Ansatzpunkte für eine weitere Sachaufklärung sind nicht gegeben, nachdem der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, dass der Beklagten bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
57 
e) Erweist sich das Versammlungsverbot als rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung.
III.
58 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
59 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
60 
Beschluss vom 6. November 2013
61 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
62 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 9. September 2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen ein Versammlungsverbot.

2

Der Antragsteller meldete am 9. Mai 2015 für Sonnabend, den 12. September 2015 einen Aufzug an mit dem Thema „Tag der Patrioten“. Der Aufzug sollte ab 12 Uhr bis zum Abend vom Hamburger Hauptbahnhof durch die Innenstadt und die Hafencity zurück zum Hauptbahnhof führen. Vorgesehen waren drei etwa einstündige Kundgebungen sowie der Einsatz von einem Ordner auf je 50 Teilnehmer. Der Antragsteller rechnete mit etwa 500 Teilnehmern. Im Verlauf der Kooperationsgespräche änderte der Antragsteller wegen einer in der Hafencity gleichzeitig stattfindenden anderen Veranstaltung die Planung und schlug eine außerhalb des Innenstadtbereichs gelegene Route vor. Er rechnete zuletzt mit einer deutlich größeren Teilnehmerzahl. Die Antragsgegnerin ging zuletzt von ca. 2.000 bis 3.000 Teilnehmern aus, darunter 300 bis 500 Rechtsextremisten, sowie ca. 1.500 „rechtsaffinen, patriotischen Fußballanhängern“, darunter eine große Anzahl problematischer Fans der „Kategorie C“ (Hooligans). Für den Tag dieses Aufzugs erwartet die Antragsgegnerin bis zu 15.000 Teilnehmer an Gegenveranstaltungen, darunter bis zu 2.000 gewaltorientierte, nämlich gewaltbereite und gewaltsuchende Personen.

3

Mit Bescheid vom 3. September 2015 verbot die Antragsgegnerin den angemeldeten Aufzug. Zur Begründung führte sie aus: Es sei zu erwarten, dass gewaltsuchende und gewaltbereite Teilnehmer aus dem Aufzug heraus Straftaten zum Nachteil von Gegendemonstranten sowie gewaltsuchenden und gewaltbereiten Linksextremisten, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten begehen und damit deren Leib und Leben gefährden würden. Unabhängig hiervon werde der Aufzug im Wege des polizeilichen Notstandes verboten, da die Gefahren für Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten, die aufgrund der sicher zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen entstünden, mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht verhindert werden könnten. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch.

4

Beim Verwaltungsgericht hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 9. September 2015 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt: Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Versammlungsverbots überwiege das Interesse des Antragstellers, da sein Widerspruch keine Aussichten auf Erfolg habe. Der Aufzug habe verboten werden können, da ein Großteil der Versammlungsteilnehmer nicht beabsichtige, sich friedlich zu versammeln, sondern die Gelegenheit suche, Gewalt gegen politische Gegner, Polizisten und andere selbst definierte Feinde auszuüben. Es sei deshalb zu erwarten, dass aus dem Aufzug heraus insbesondere (schwere) Körperverletzungen begangen würden, die sich zu schweren Gewaltexzessen ausweiten würden.

5

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 10. September 2015 mittags erhobenen und begründeten Beschwerde.

II.

6

A Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

7

Es kann offen bleiben, ob sich der Antragsteller hinreichend mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) und dessen tragende Erwägungen erschüttert hat. Das Beschwerdegericht geht zugunsten des Antragstellers hiervon aus, da die Effektivität des Rechtsschutzes gefährdet wäre, wollte man in extrem eilbedürftigen und zugleich komplexen Verfahren der vorliegenden Art die formalen gesetzlichen Anforderungen konsequent anwenden. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das Beschwerdegericht führt allerdings im Ergebnis zu keiner Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

8

Die im Rahmen eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durchzuführende Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 3. September 2015 gegenüber dem Interesse des Antragstellers, deren Vollzug auszusetzen und den angemeldeten Aufzug durchführen zu können, überwiegt. Bei der im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Prüfung lässt sich allerdings nicht feststellen, ob - was als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung im Hinblick auf den Schutz des betroffenen Grundrechts in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen wäre (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 18, m.w.N.) - der Widerspruch des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung erfolgreich oder erfolglos sein wird; die Erfolgsaussichten sind vielmehr offen (hierzu unter 1.). Die deshalb unabhängig von den Erfolgsaussichten des Widerspruchs ausnahmsweise (BVerfG, a.a.O.) vorzunehmende reine Folgenabwägung führt zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an einem Versammlungsverbot gegenüber dem Interesse des Antragstellers, den Aufzug oder zumindest eine stationäre Versammlung durchzuführen (hierzu unter 2.).

9

1. Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs sind offen, weil es dem Senat in der nur äußerst knappen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist, die maßgeblichen Tatsachengrundlagen, mit denen die Antragsgegnerin das Versammlungsverbot gerechtfertigt hat, zu überprüfen und ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit festzustellen.

10

a) Allerdings lässt sich feststellen, dass der Sachverhalt, wie er sich aus dem Inhalt der Sachakte der Antragsgegnerin und - diesen zusammenfassend wiedergebend - aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, es nicht rechtfertigt, die Versammlung selbst als unfriedlich anzusehen und sie deshalb zu verbieten.

11

Rechtsgrundlage für ein Verbot oder eine beschränkende Auflage ist mangels einer landesrechtlichen Regelung § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung oder ein Aufzug verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung müssen erkennbare Umstände vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergibt (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, 1 BvR 2793/04, NVwZ 2008, 671, juris Rn. 19 f.). Derartige konkrete Tatsachen sind nicht erkennbar.

12

Aus den im Internet verbreiteten Aufrufen zur Teilnahme an dem Aufzug ergibt sich nicht, dass der Aufzug auf Gewalt ausgerichtet ist oder es zumindest naheliegt, dass er aus sich heraus einen unfriedlichen Verlauf nehmen wird. Die Videoaufrufe, von denen sich Aufzeichnungen in der Sachakte der Antragsgegnerin befinden und deren Inhalte in dem Bescheid zutreffend wiedergegeben werden, stehen überwiegend unter dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“. Weder diese Parole noch die Inhalte der Videos lassen erkennen, dass der Aufzug selbst oder sein Thema auf Gewalt ausgerichtet sind. Die Aufrufe zielen auf die politische Gesinnung der verschiedenen rechtsgerichteten Gruppierungen, die durch die Versammlung angesprochen werden sollen. Im Internet verbreitete Erklärungen der Art, es werde eine „heftige Demo“ werden, ein Tsunami werde über Hamburg hereinbrechen (S. 17 des Bescheides) bzw. man müsse die eine oder andere Blessur von vornherein in Kauf nehmen (S. 18 des Bescheides), drückt die Erwartung Einzelner aus und trägt möglicherweise dem Umstand Rechnung, dass man damit rechnet, dass es zu Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gegendemonstranten kommen wird.

13

Die Zahl der gewaltorientierten Teilnehmer lässt ebenfalls keinen hinreichenden, auf konkreten Tatsachen beruhenden Rückschluss darauf zu, dass der Aufzug „auf einen gewalttätigen Verlauf angelegt“ sei (so aber die Antragsgegnerin, S. 19 des Bescheides) bzw. dass - wie das Verwaltungsgericht meint - diese Teilnehmer den Aufzug derart dominieren werden, dass er nicht mehr als friedlich angesehen werden könnte. Aus der Akte ergibt sich bereits nicht konkret, mit wie vielen gewaltorientierten Teilnehmern die Antragsgegnerin überhaupt rechnet. Sie hat insofern nur angeführt, es würden sich unter den Rechtsextremisten und den rechtsgerichteten Fußballanhängern „gewaltbereite und gewaltsuchende Teilnehmer befinden“; von diesen gewaltorientierten Rechtsextremisten kämen ca. 150 aus Hamburg (S. 10 und 25 Bescheides). Gewaltorientiert soll den Angaben der Antragsgegnerin zufolge auch ein Rechtsradikaler sein, der voraussichtlich aus Berlin zusammen mit ca. 400 Personen anreisen wird (S. 13 des Bescheides). Dass diese Begleiter sämtlich oder überwiegend ebenfalls gewaltorientiert seien, sagt die Antragsgegnerin aber nicht. Offensichtlich gewaltorientiert sind die Teilnehmer der genannten WhatsApp-Gruppe (S. 13 f. des Bescheides). Sie besteht unmittelbar allerdings nur aus 17 Teilnehmern. Dass es speziell diese Gruppe ist, die - wie die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht meinen - mit 500 bis 600 Mann anreisen will, erscheint fraglich. Denn anreisen wollen die Teilnehmer dieser Gruppe nicht mit einem großen Bus, sondern mit zwei 9-Sitzern (Bl. 153 der Sachakte). Jedenfalls ist nichts dafür dargelegt oder aus der Sachakte ersichtlich, dass diese 500 bis 600 Mann sämtlich oder überwiegend ebenfalls gewaltorientiert sind. Mit welcher Gesamtzahl gewaltorientierter Teilnehmer des Aufzugs die Antragsgegnerin rechnet, hat sie nur sehr unbestimmt genannt. Auf Seite 11 ihres Bescheides erwartet sie „eine Anreise von hunderten gewaltsuchenden, mindestens aber gewaltbereiten Hooligans und Rechtsextremisten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern“.

14

Die Prognose, der Aufzug werde einen unfriedlichen Verlauf nehmen, kann auch nicht aufgrund der Erfahrungen mit vergleichbaren Aufzügen und Versammlungen getroffen werden. Vergleichbar sind die Aufzüge am 2. Juni 2012 in Hamburg („Tag der deutschen Zukunft - Unser Signal gegen Überfremdung“) und am 26. Oktober 2014 in Köln („HoGeSa“) sowie die Versammlung am 15. November 2014 in Hannover („Europa gegen den Terror des Islamismus“). Zwar hatte der Antragsteller diese Versammlungen nicht zu verantworten, doch richteten sich diese - noch zeitnah zu dem angemeldeten Aufzug durchgeführten - Versammlungen mit vergleichbarer Thematik an dieselbe Zielgruppe. Deshalb dürfte auch der überwiegend rechtsextreme oder rechtsradikale Teilnehmerkreis mit dem Teilnehmerkreis des angemeldeten Aufzugs weitgehend identisch sein.

15

Aus dem Aufzug vom 2. Juni  2012 heraus sind den Angaben der Antragsgegnerin zufolge keine Straftaten begangen worden. Dargestellt hat sie in ihrem Bescheid (S. 22 f.) ausschließlich gewalttätige Aktionen der Gegendemonstranten. Bei dem Aufzug am 26. Oktober 2014 in Köln wurden zwar aus dem Aufzug heraus Gewalttaten begangen, aber est nachdem die Teilnehmer des Aufzugs von Außenstehenden mit Feuerwerkskörpern beworfen worden waren; daraufhin seien die Teilnehmer des Aufzugs äußerst aggressiv mit Flaschenwürfen sowohl gegen diese Personen als auch gegen Polizisten und Medienvertreter vorgegangen und nach dem Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray durch die Polizei sei diese massiv mit Flaschen beworfen worden. Dieser Vorfall belegt zwar die massive Gewaltbereitschaft eines Teils der etwa 4.800 Teilnehmer des damaligen Aufzugs. Mit derartigen Verhaltensweisen muss auch bei dem angemeldeten Aufzug gerechnet werden. Doch rechtfertigt dies nicht ein Verbot der Versammlung, durch das auch denjenigen das Recht zur Versammlung genommen würde, die sich an derartigen Aktionen nicht beteiligen. Denn die Gefahr, dass es zu derartigen Reaktionen auf Angriffe von außen kommt, könnte auf einfachere Weise verhindert werden. Zum einen könnte diese Gefahr durch den verstärkten Einsatz von Polizeikräften verringert werden; in Köln waren es nur 1.299 Beamte, was sich als viel zu wenig erwiesen hat. Zum anderen könnte der Aufzug so durchgeführt werden, dass Gegendemonstranten nicht unmittelbar in seine Nähe gelangen können. Sollte gleichwohl ein Aufzug nicht ausreichend geschützt werden können, bliebe noch die Möglichkeit, zumindest eine stationäre Versammlung durchzuführen. Bei einer derartigen stationären Versammlung am 15. November 2014 mit gut 3.000 Teilnehmern kam es während der Versammlung zu keinen Ausschreitungen (S. 24 des Bescheides). Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken gab es den Angaben der Antragsgegnerin zufolge nur außerhalb der Versammlung. Das rechtfertigt jedoch kein Versammlungsverbot.

16

Allerdings ist auch das Beschwerdegericht davon überzeugt, dass an dem Aufzug eine beträchtliche Zahl von Personen teilnehmen wird, die nicht nur bereit sind, ggf. Gewalt auszuüben, sondern die gewaltsame Auseinandersetzungen geradezu suchen. Das belegen die oben gewürdigten Aufrufe, das Chat-Protokoll sowie das Verhalten eines Teils der Teilnehmer des Aufzugs in Köln sowie der Versammlung in Hannover, bei dem ein großes Polizeiaufgebot erforderlich war, um die Teilnehmer der Versammlung von heranrückenden Gegendemonstranten zu trennen (S. 24 des Bescheides). Doch rechtfertigt dies gleichwohl kein Verbot des Aufzugs. Steht nicht zu befürchten, dass eine Demonstration im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, bleibt für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch Einzelne oder einer Minderheit zu rechnen ist. In einem solchen Fall setzt ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel voraus, welche den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen (BVerfG, Urt. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81 u.a., BVerfGE 69, 315, 4. Leitsatz).

17

Nach diesen Maßstäben ist ein Verbot des Aufzugs nicht gerechtfertigt. Es ist nicht dargelegt und auch sonst nicht erkennbar, dass der Antragsteller gewalttätige Übergriffe aus der Versammlung heraus dulden oder gar befürworten würde. In seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat er erklärt, er werde alles dafür tun, dass von seinem Aufzug keine Gewalt ausgehen werde und Gewalt von Gegendemonstranten auch nicht mit Gegengewalt beantwortet werde. Das ist nicht von vornherein unglaubhaft. Denn er hat von sich aus angezeigt, eine nicht unerhebliche Zahl von Ordnern einzusetzen, und in den im Internet verbreiteten Aufrufen werden ausdrücklich auch Ordner gesucht. Zudem liegen - wie ausgeführt - keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Versammlung vom Thema her auf Gewalt angelegt ist und die Angaben des Antragstellers deshalb unglaubhaft sein könnten. Schließlich könnten - wie ebenfalls bereits ausgeführt - gewalttätige Aktionen, die aus dem Aufzug heraus von Einzelnen oder Gruppen begangen werden, zielgerichtet unterbunden werden. Dass dies grundsätzlich - sieht man einmal von der Zahl einsatzbereiter Polizisten ab - nicht möglich wäre, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt.

18

b) Die Antragsgegnerin beruft sich unabhängig von den vorstehend gewürdigten Gründen zur Rechtfertigung des Verbots auf den sog. polizeilichen Notstand. Sie hält ein Verbot des Aufzugs mithin auch dann für gerechtfertigt, wenn von dem Aufzug keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen. Sie macht geltend, sie könne die Gefahren für Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten, die aufgrund der sicher zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gegendemonstranten entstünden, mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht verhindern. Ob sich die Antragsgegnerin zu Recht auf den polizeilichen Notstand beruft, ist offen. Dies bedarf einer eingehenden Überprüfung, die im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht möglich ist.

19

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 17, m.w.N.), der das Beschwerdegericht folgt, gilt: Soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, ist die Durchführung der Versammlung zu schützen und sind behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten. Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden. Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.

20

Es erscheint zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin diese Darlegungsanforderungen erfüllt hat. Zwar hat sie die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes nicht nur pauschal behauptet. Sie hat ausgeführt, dass sie zur Abwehr der Gefahren während des Aufzugs sowie in den Zeiten davor und danach insgesamt mindestens 9 Abteilungsführungen (ca. 135 Beamte), 46 Hundertschaften (ca. 5.000 Beamte) sowie 10 Wasserwerferstaffeln (ca. 150 Beamte) benötige. Für eine stationäre Versammlung verringere sich der Mindestbedarf um 7 Hundertschaften. Sie selbst verfüge über 3 Abteilungsführungen, 9 Hundertschaften sowie 2 Wasserwerferstaffeln. Sie benötige deshalb weitere 6 Abteilungsleitungen, 37 Hundertschaften (ca. 4.000 Beamte) und 8 Wasserwerferstaffeln (S. 30 des Bescheides). Diese Kräfte habe sie bundesweit angefordert. Angeboten worden seien ihr bis zuletzt (10.9.2015) aber nur 5 Abteilungsführungen, 14 Hundertschaften sowie 11 Wasserwerferstaffeln. Damit bestehe gegenüber dem Minimalbedarf zur Durchführung eines Aufzugs eine Unterdeckung von 23 Hundertschaften (ca. 2.500 Beamte) und zur Durchführung einer stationären Versammlung eine Unterdeckung von 16 Hundertschaften (ca. 1.750 Beamte). Ausreichend dargelegt hat die Antragsgegnerin auch, dass die Polizeibehörden des Bundes und der Länder ihr tatsächlich nur die genannte Unterstützung angeboten haben. Das ergibt sich aus den Ausdrucken des mit diesen Behörden geführten E-Mail-Verkehrs (Bl. 209 ff. und 478 ff. der Sachakte). Diese Angaben genügen jedoch nicht, um davon ausgehen zu können, dass sich die Antragsgegnerin zu Recht auf den polizeilichen Notstand beruft.

21

Dabei hat das Beschwerdegericht angesichts des Umfangs der mit Sicherheit zu erwartenden Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern (dazu später) keinen Zweifel an der Angemessenheit des genannten Bedarfs. Ähnlich viele Polizisten waren auch bei den vergleichbaren Veranstaltungen am 2. Juni 2012 in Hamburg (4.500 Beamte) und am 15. November 2014 in Hannover (5.300 Beamte bei einer stationären Versammlung) im Einsatz (vgl. S. 22 ff. des Bescheides). Die Zahl der eingesetzten Beamten war lediglich am 26. Oktober 2014 in Köln (deutlich) geringer (1.299 Beamte). Diese Zahl war jedoch offenkundig (viel) zu gering.

22

Zweifelhaft ist allerdings, ob die Antragsgegnerin ein ernsthaftes Amtshilfeersuchen gestellt hat und ob die Behörden des Bundes und der Länder - wenn sie es als solches verstanden haben - zu Recht abgelehnt haben, die erforderliche Hilfe zu leisten. Nach Art. 35 Abs. 1 GG leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. Hierzu sind sie auf ein entsprechendes Ersuchen hin verpflichtet (vgl. Bauer in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 19). Daran, dass ein derartiges Ersuchen gestellt wurde, kann man zweifeln, da die Antragsgegnerin in ihrer E-Mail vom 7. August 2015 (Bl. 209/210 der Sachakte) nur um Prüfung gebeten hat, ob die genannte Unterstützung erfolgen könne, und sodann Bund und Länder um „Angebote“ gebeten hat. Auch in ihrer E-Mail vom 27. August 2015 (Bl. 212/213 der Sachakte) hat sie im Hinblick auf den mitgeteilten erhöhten Bedarf lediglich um Angebote gebeten. Offenbar unterscheidet die Antragsgegnerin selbst zwischen Angeboten und Zusagen, wie sich aus einer anderen E-Mail vom 27. August 2015 ergibt (Bl. 217 R der Sachakte), in der sie sich für die „Prüfung der Unterstützungsmöglichkeiten ... und die eingegangenen Angebote/Zusagen bzw. Absagen“ bedankt hat. Insofern wäre aufzuklären, ob diese Bitte um Angebote von den betroffenen Behörden bereits als Ersuchen um eine dringend erforderliche Amtshilfe, zu der sie verpflichtet sind, verstanden wurde. Sollten die Behörden in der Bitte um Angebote noch kein konkretes Amtshilfeersuchen gesehen und mithin ein derartiges Ersuchen auch noch nicht abgelehnt haben, so lägen die Voraussetzungen für einen polizeilichen Notstand nicht vor. Andererseits erscheint es aber auch möglich, dass jedenfalls einige Behörden die Bitte der Antragsgegnerin bereits als verpflichtendes Amtshilfeersuchen verstanden haben. Denn sie haben sämtlich geantwortet und teilweise auch mitgeteilt, dass Polizeikräfte bereitgestellt würden. Um aufzuklären, ob die Behörden von Bund und Ländern die Bitte der Antragsgegnerin um Angebote als konkretes Amtshilfeersuchen verstanden haben, müssen Auskünfte dieser Behörden eingeholt werden. Das kann im vorliegenden Verfahren nicht erfolgen.

23

Vor allem aber ist aufklärungsbedürftig, aus welchen Gründen die Behörden des Bundes und der Länder nicht bzw. nur in derart geringem Umfang bereit oder in der Lage sind, Amtshilfe zu leisten. So haben einige Länder keinerlei Hilfe oder eine im Wesentlichen nur technische Unterstützung durch Wasserwerfereinheiten angeboten. Soweit sich die Behörden im Übrigen überhaupt bereit erklärt haben, Hundertschaften zur Verfügung zu stellen, beschränkt sich dies zumeist auf jeweils nur eine Hundertschaft. Damit mussten jedenfalls die großen und gleichwohl sehr zurückhaltend Hilfe leistenden Länder davon ausgehen, dass die insgesamt erbetenen 37 Hundertschaften nicht zusammenkommen würden. Insoweit bedarf es konkreter Feststellungen dazu, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit in den jeweiligen Ländern und aufgrund welcher konkreter, gegenüber einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestellt wurden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 21). Hierüber geben die Antworten der Behörden der Länder keine ausreichende Auskunft. Soweit diese Behörden ihre (nur geringen) Zusagen sowie ihre Absagen überhaupt begründet haben, ergibt sich hieraus nichts Konkretes darüber, welche vorrangigen Rechtsgüter in den jeweiligen Ländern zu schützen sind und warum keine (weiteren) Polizeikräfte nach Hamburg entsandt werden können. Dies ist genauestens aufzuklären, um feststellen zu können, dass die Behörden des Bundes und der Länder nicht nur vorgeschoben haben, nicht in der Lage zu sein, Amtshilfe zu leisten. Die Wahrnehmung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 GG darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass die zur Amtshilfe verpflichteten Behörden willens sind, eine Versammlung zu schützen. Die hierzu erforderlichen Feststellungen können aber in der knappen Zeit des Beschwerdeverfahrens nicht getroffen werden.

24

2. Die hiernach nur mögliche, aber auch gebotene Folgenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus.

25

Im Rahmen dieser Abwägung sind einerseits die Folgen zu berücksichtigen, die es für den Antragsteller und die Teilnehmer der angemeldeten Versammlung in Bezug auf die Ausübung ihres durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Rechts hätte, wenn der Aufzug nicht durchgeführt werden kann, sich bei einer späteren Überprüfung aber herausstellen sollte, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands in Wahrheit nicht vorlagen. Andererseits ist zu würdigen, welche Folgen es für den Antragsteller und die Teilnehmer des Aufzugs sowie für Dritte hätte, wenn die Versammlung stattfinden könnte, sich aber später herausstellt, dass ein polizeilicher Notstand tatsächlich bestand. Dabei ist in die Betrachtung auch einzubeziehen, dass möglicherweise zwar die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes objektiv nicht vorliegen, die Behörden von Bund und Ländern aber gleichwohl - rechtswidrig - die Amtshilfe verweigern.

26

Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass in der gegenwärtigen Situation weder der Aufzug noch eine stationäre Versammlung stattfinden können, da dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass die Gesundheit der Teilnehmer der Versammlung, der sie schützenden Polizeibeamten, von Gegendemonstranten sowie unbeteiligten Dritten verletzt wird. Diesem Schutz gebührt nach Auffassung des Beschwerdegerichts der Vorrang gegenüber dem Recht auf Durchführung der Versammlung an diesem Tag. Im Einzelnen:

27

Ein Versammlungsverbot beeinträchtigt den Antragsteller und die potentiellen Teilnehmer des Aufzugs in erheblichem Maße in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Denn es gehört zu der grundgesetzlich geschützten Freiheit des Antragstellers zu bestimmen, wann und wo er eine Versammlung abhalten will. Die Intensität der Rechtsbeeinträchtigung wird dadurch etwas verringert, dass der Antragsteller nicht darauf angewiesen ist, sein Anliegen gerade am 12. September 2015 auszudrücken. Den Tag hat er nach eigenem Bekunden - wie die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid (S. 3) unwidersprochen angeführt hat - willkürlich ausgewählt. Demzufolge wäre es grundsätzlich möglich, die Versammlung zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen, ohne auf Kernaussagen seines Anliegens verzichten zu müssen.

28

Sollte die Versammlung hingegen am 12. September 2015 in Form des angemeldeten Aufzugs, ggf. auf einer anderen als der angemeldeten Route oder in eingeschränkter Weise als lediglich stationäre Versammlung stattfinden, so käme es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu schweren Ausschreitungen, wenn gewaltbereite und gewaltsuchende Teilnehmer der Versammlung auf ebenso gewaltorientierte Gegner aus dem linken Spektrum stoßen. Diese werden versuchen, jede sich ihnen bietende Möglichkeit zu nutzen, die Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs anzugreifen, und zwar unabhängig davon, ob diese einen Aufzug durchführen oder nur eine stationäre Versammlung. Das belegen die zahlreichen, bereits in der Wortwahl unmissverständlichen Aufrufe aus dem linksautonomen Spektrum, die im Internet verbreitet werden. Dort wird u.a. in der im Bescheid der Antragsgegnerin (S. 25 ff.) zutreffend wiedergegebenen Weise dazu aufgerufen, den rechten Aufmarsch anzugreifen, „sich dem deutschen Mob mit allen Mitteln und auf allen Ebenen entgegenzustellen“ und ihn anzugreifen, den „Nazis auf’s Maul!“ zu geben, den Naziaufmarsch anzugreifen, die „braune Pest“ entschlossen aus der Stadt zu jagen und ihnen zu zeigen, „dass dies nur unsere Straßen sind“, und Aufzüge wie diesen um jeden Preis zu verhindern. In dem Aufruf der Gruppe „Roter Aufbau Hamburg“, der auf deren Website (roter-aufbau.de) sowie über die Plattform http://de.indymedia.org verbreitet wird, wird neben der Überschrift „Hamburg wird rechtsfrei - Hetzjagd auf Nazis am 12.9.“ ein rot-maskierter Mann mit einem Baseballschläger gezeigt. In dem Text des Aufrufs heißt es weiter: „Deshalb müssen wir uns und unsere Nachbarschaft selbst vor diesen Gruppen schützen... Wir werden ihnen mit allen Mitteln zeigen, dass ihre Zeichensetzung falsch ist, denn Hamburg sieht nicht nur am 1. Mai rot, sondern immer auch dann, wenn rechtes Gesindel in unserer Stadt auftritt. Wir kennen die Straßen dieser Stadt und werden ihnen entschlossen zeigen, dass es unsere Straßen sind. - Hetzjagd auf Nazis bis zum Kommunismus!“. Entsprechend gewaltorientiert ist auch das Video, welches zum Angriff auf den früheren Aufzug vom 2. Juni 2012 aufrief und offenbar neu ins Internet eingestellt worden ist (S. 26 des Bescheides). Auch in einem Aufruf des Bündnisses gegen Rechts heißt es unter Bezugnahme auf den Aufzug vom 2. Juni 2012: Wir werden flexibel sein und dort protestieren, wo die RassistInnen ihre menschenverachtende Propaganda verbreiten wollen. ... ist uns Ansporn, ein weiteres Mal auf die Straße zu gehen und uns ihnen in den Weg zu stellen. Komm mit!“.

29

Dies belegt, dass mehrere Gruppierungen dazu aufrufen, die rechtsgerichteten Versammlungsteilnehmer jederzeit und an jedem Ort in Hamburg anzugreifen und sich Ihnen zumindest in den Weg zu stellen, um den Aufzug zu verhindern. Sie rufen nicht zur Teilnahme an einer Gegendemonstration auf, sondern zu gezielten Aktionen außerhalb einer Versammlung. Die diesbezüglichen Erfahrungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass das tatsächlich geschieht, und zwar bereits vor der Versammlung, während der Versammlung und nach ihrem Ende. So wurden bereits am 1. Mai 2008 vor Beginn einer Versammlung rechtsgerichteter Kreise die anreisenden Versammlungsteilnehmer (insgesamt ca. 1.500) in verschiedenen Stadtteilen attackiert und es kam während der gesamten Zeit der Versammlung zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den rechten und linken Gruppierungen sowie zu schweren Angriffen auf die eingesetzten Polizisten (S. 21 des Bescheides). In der Nacht vor dem Aufzug am 2. Juni 2012 („Tag der deutschen Zukunft“) wurden Polizeifahrzeuge angezündet. Während der Versammlung versuchte ein Block von mehr als 1.000 Personen, auf die Marschstrecke der Rechten zu gelangen. Dabei wurden die Polizisten, die die Marschstrecke zu sichern hatten, massiv angegriffen. Mit einem großem Polizeiaufgebot - insgesamt waren 4.550 Polizisten im Einsatz - konnte verhindert werden, dass die beiden Gruppierungen aufeinandertrafen (S. 22 des Bescheides). Vergleichbar war die Situation am 15. November 2014 in Hannover. Als dort der Demonstrationszug der Gegendemonstranten unmittelbar an die stationäre Versammlung der Rechten herankam, konnten körperliche Auseinandersetzungen nur mit einem massiven Einsatz von Polizeibeamten verhindert werden; im Einsatz waren 5.330 Beamte. Gleichwohl bewarfen sich die beiden Gruppierungen mit Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen (S. 24 des Bescheides).

30

Aufgrund der Feststellungen der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit kein Zweifel besteht, ist weiter davon auszugehen, dass ein gewichtiger Teil der rechtsgerichteten Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs ebenfalls die körperliche Auseinandersetzung mit den Gegendemonstranten annehmen, wenn nicht gar suchen werden. Dass sich unter den Teilnehmern des angemeldeten Aufzugs eine nicht unerhebliche Zahl von gewaltorientierten Personen befinden würde, ist oben bereits ausgeführt worden. Das vorhandene Gewaltpotential belegt zudem der soeben gewürdigte Verlauf der Versammlung in Hannover. Vor allem aber belegt das der Verlauf des - in jeder Hinsicht vergleichbaren - Aufzugs in Köln am 26. Oktober 2014. Wie oben ausgeführt, haben Teilnehmer des Aufzugs auf Provokationen von Außenstehenden äußerst aggressiv mit Flaschenwürfen sowohl gegen die Provokateure als auch gegen die Polizei und Medienvertreter reagiert. Auch hiernach steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass es - sollten die beiden Gruppierungen zu irgendeiner Zeit während des Aufzugs oder in der Zeit davor oder danach unmittelbar aufeinandertreffen - massive Schlägereien zwischen ihnen geben wird, bei denen es zu erheblichen Körperverletzungen und Sachbeschädigungen kommen wird. Die Zahl der gewaltorientierten Personen im Kreis der Linken wird nach den Einschätzungen der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit der Senat ebenfalls nicht zweifelt, in einer Größenordnung von bis zu 2.000 Personen liegen, darunter 500 bis 1.000 gewaltsuchende Personen (S. 20 des Bescheides). Die vorhandene hohe Gewaltbereitschaft wird schließlich dadurch bestätigt, dass in der Nacht vom 30. auf den 31. August 2015 die Fahrzeuge eines Mitorganisators des Aufzugs sowie zweier anderer Personen aus der rechten Szene in Brand gesetzt wurden.

31

Die zu erwartenden Auseinandersetzungen während des Aufzugs oder in der Zeit davor oder danach könnte die Antragsgegnerin nach ihrer plausiblen und nicht zu beanstandenden Einschätzung nur mit dem genannten Großaufgebot an Kräften ausreichend verhindern. Ohne dieses Großaufgebot wird es mit Sicherheit zu massiven Schlägereinen zwischen den verfeindeten Gruppen kommen. Dieses Aufgebot steht der Antragsgegnerin tatsächlich nicht zur Verfügung. Für die Durchführung eines Aufzugs fehlen ihr nach dem letzten Stand 23 Hundertschaften (ca. 2.500 Beamte). Aber selbst für die Durchführung einer nur stationären Versammlung, für deren Sicherung sie mit insgesamt 7 Hundertschaften weniger auskommen könnte, fehlen ihr noch 16 Hundertschaften (va. 1.750 Beamte). Damit steht fest, dass die Antragsgegnerin nicht ausreichend in der Lage ist, die Gesundheit der betroffenen Personen sowie das Eigentum betroffener Bürger zu schützen. Hinzu kommt, dass die Polizisten, die in einer viel zu geringen Stärke gleichwohl versuchen müssten, die Auseinandersetzungen zu verhindern, in ihrer eigenen Gesundheit über das bei einer regulären Einsatzstärke ohnehin schon bestehende Maß hinaus gefährdet würden.

32

Nach den Hilfeverweigerungen der Behörden des Bundes und der Länder spricht nichts dafür, dass diese „im letzten Moment“ doch noch Einsatzkräfte in der erforderlichen Zahl zur Verfügung stellen könnten, sollte im vorliegenden Verfahren die Durchführung eines Aufzugs oder zumindest einer stationären Versammlung ermöglicht werden. Mit einer derartigen Sinnesänderung in dem erforderlichen Umfang ist nicht zu rechnen, da damit faktisch eingeräumt würde, dass die bisherigen Absagen nicht ernst gemeint waren und möglicherweise nur dazu gedient haben, der Antragsgegnerin die Argumente zu liefern, den Aufzug zu verbieten.

33

B Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

(1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.

(2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.

(3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Kostenentscheidungen der Beschlüsse werden aufgehoben. Das Verfahren wird insoweit an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer meldeten Anfang September 2010 bei der Stadt L. ihr Vorhaben an, am 16. Oktober 2010 (von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr) in L. eine Versammlung unter freiem Himmel durchzuführen. Die geplante Versammlung sollte aus drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt von L. bestehen. Die Teilnehmerzahl wurde von den Beschwerdeführern bei der Anmeldung auf 600 Personen geschätzt. Das Motto der geplanten Versammlung lautete "Recht auf Zukunft". Es bezog sich auf eine am 17. Oktober 2009 in L. von der Beschwerdeführerin zu 4), einer Unterorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), veranstaltete Versammlung, bei der es im Zusammenhang mit einer Versammlungsblockade durch Gegendemonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und letztlich zu einer polizeilichen Auflösung der Versammlung kam.

3

Angesichts dieser Vorgeschichte und der Anmeldung von zahlreichen Gegendemonstrationen kam es zwischen der Anmeldung und der Durchführung der geplanten Versammlung zu umfangreichen Verhandlungen zwischen den Beschwerdeführern und der Stadt L., die unter anderem in Kooperationsgesprächen am 4., am 6. und am 13. Oktober 2010 eingehend die polizeilich sicherbare Anzahl der geplanten Aufzüge und die konkrete Streckenführung erörterten. In einer Gefährdungsanalyse am 4. Oktober 2010 bekundete die Polizeidirektion L. dabei laut den tatsächlichen Feststellungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass der Schutz von zwei der angemeldeten Aufzüge mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften gewährleistet werden könne. Am 11. Oktober 2010 teilte der Beschwerdeführer zu 1) der Stadt schließlich mit, dass am 16. Oktober 2010 nunmehr lediglich ein einziger Aufzug stattfinden solle. Am 12. Oktober 2010 ergänzte die Polizeidirektion L. ihre Gefahrprognose insofern, dass nunmehr nur eine maximal vierstündige stationäre Kundgebung durchführbar sei, weil nach den Erfahrungen des Versammlungsgeschehens vom 17. Oktober 2009 mit einer höheren als der angemeldeten Teilnehmerzahl zu rechnen sei und jeweils ca. 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration und der Gegendemonstrationen als gewaltbereit einzustufen seien.

4

2. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 untersagte die Stadt L. die Durchführung der Versammlung als Aufzug, verfügte die Durchführung als stationäre Kundgebung in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in einem Bereich am L. Hauptbahnhof und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Auflage an. Die Polizeidirektion L. habe in ihrer Gefahrprognose vom 12. Oktober 2010 dargelegt, dass im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Oktober 2010 aufgrund von zahlreichen Versammlungsanmeldungen widerstreitender politischer Lager eine latente Gefährdungssituation vorhanden sei, die einen außerordentlich hohen Kräfteeinsatz der Polizei erfordere. Es sei davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer der Aufzüge bei Angriffen durch Personen der linksextremistischen Klientel provozieren ließen und darauf entsprechend reagierten. Die Polizei habe glaubhaft dargelegt, dass sie kräftetechnisch außerstande sei, einen Aufzug zu begleiten, da trotz bundesweiter Anfragen nur 29 der für erforderlich gehaltenen 44 Polizeihundertschaften, also nur 66 % der geplanten Polizeikräfte, zur Verfügung stünden. Die Ausübung der Versammlungsfreiheit werde trotz der Beschränkungen nicht vereitelt, da der zugewiesene Ort eine hinreichende Öffentlichkeitswirksamkeit und eine räumliche Trennung der gegensätzlichen politischen Lager gewährleiste.

5

3. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer noch am gleichen Tag Widerspruch und stellten beim Verwaltungsgericht Leipzig die Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Auflage, nur eine stationäre Kundgebung durchzuführen, wiederherzustellen sowie im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Verbot sämtlicher Versammlungen in einem Umkreis von 300 m um die angemeldeten Aufzugstrecken anzuordnen. Das Verwaltungsgericht Leipzig lehnte die Eilanträge mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Bescheid vom 13. Oktober 2010 rechtmäßig sei und somit das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheids die Interessen der Beschwerdeführer überwiege. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, die Stadt L., sei auf der Grundlage der Einschätzung der Polizeidirektion L. nachvollziehbar davon ausgegangen, dass infolge zahlreicher Gegenaktionen und -demonstrationen bei Durchführung des im Zuge der Kooperation der Beschwerdeführer zuletzt noch geplanten einzigen Aufzuges eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bestehe. Bei der Vielzahl der angemeldeten und geplanten Veranstaltungen am 16.10.2010, unter anderem ein Fußballspiel, und in Anbetracht der beschriebenen begrenzten Kräftelage der Polizei sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einhergehenden Personen- und Sachschäden zu rechnen, denen nur mit der Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung begegnet werden könne. Dieser Gefahr könne in Anbetracht der besonderen Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 auch nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer begegnet werden.

6

4. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts legten die Beschwerdeführer Beschwerde ein. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 zurück. Ob ein polizeilicher Notstand vorliege, sei im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend zu beurteilen. Der Einschätzung der Polizeidirektion lasse sich entnehmen, dass aufgrund des Versammlungsgeschehens im Vorjahr mit gewalttätigen Auseinandersetzungen einer Anzahl von 10 bis 20 % der Teilnehmer sowohl auf Seiten der Beschwerdeführer wie auf Seiten linker Demonstranten gerechnet werde. Zwar erschließe sich dem Gericht nicht, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb kurzer Zeit so erhöht haben solle, dass statt der zwei Aufzüge, die die Polizeidirektion ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten habe, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Wegen der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit sei aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Danach sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil für den Antragsteller die mit der Durchführung einer nur stationären Kundgebung verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmbar seien.

7

5. Die Beschwerdeführer beantragten sodann beim Bundesverfassungsgericht zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen Antrag hat die Kammer aufgrund der besonderen Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, dabei jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Klärung der aufgeworfenen Fragen in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsachverfahren hingewiesen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris).

8

6. Hieraufhin erhoben die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts fristgemäß Verfassungsbeschwerde mit der Rüge, durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Rechten aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt zu sein.

9

7. Das Bundesverfassungsgericht hat der Stadt L. als Gegnerin des Ausgangsverfahrens, dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa sowie der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

10

Nach Auffassung des Rechtsamtes der Stadt L. liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht vor. Das Sächsische Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des unter anderem für das Versammlungsrecht zuständigen 6. Revisionssenats übersandt, in der dieser Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen äußert.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 69, 315 <340 ff.>; 110, 77 <83 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zulässig und begründet.

12

1. Der Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG steht weder der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde noch das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses entgegen.

13

a) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache nur, soweit die geltend gemachte Verletzung von Freiheitsrechten oder von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung der Gerichte in der Hauptsache noch ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier rügen die Beschwerdeführer allerdings gerade die Missachtung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bei der Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr behandelt werden würde.

14

b) Auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer besteht, obwohl der Demonstrationstermin verstrichen und damit der Sofortvollzug der strittigen Auflagen gegenstandslos geworden ist. Sind verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht (mehr) zu klären, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung des ursprünglichen Begehrens im Falle einer Wiederholungsgefahr, also wenn ein Gericht die bereits herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht beachtet hat und bei hinreichend bestimmter Gefahr einer gleichartigen Entscheidung bei gleichartiger Sach- und Rechtslage zu befürchten ist, dass es diese auch in Zukunft verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier führten die Beschwerdeführer bereits konflikthafte Versammlungen in L. durch und planen auch in Zukunft die Durchführung von Versammlungen in L., bei denen sie mit ähnlichen Konfliktsituationen rechnen und gegebenenfalls gleichartige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts befürchten müssten.

15

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

16

a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343> oder <355 ff.>; 128, 226 <250 f.>).

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Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Nach § 15 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 in der Fassung vom 8. Dezember 2008 (BGBl I S. 2366; im Folgenden: VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung durchgeführt werden darf (vgl. BVerfGK 2, 1 <8>). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Ferner gilt, dass, soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, die Durchführung der Versammlung zu schützen ist und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten sind (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>; BVerfG , Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2072>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfGK 17, 303 <308>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

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b) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 23. März 2004 - 1 BvR 745/01 -, juris, Rn. 13). Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren als außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegender Rechtsbehelf kann die primäre Rechtsschutzfunktion der Fachgerichte ebenfalls nicht übernehmen. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung auslösen kann, ist hierbei zudem ein strenger, von den verwaltungsgerichtlichen Kriterien grundsätzlich unterschiedener Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris, Rn. 4). Daher müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der beschriebenen strengen Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene.

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3. Diese Maßstäbe haben das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bei den ihnen obliegenden Entscheidungen über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend berücksichtigt. Beide Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsbeschränkende behördliche Maßnahmen nicht gerecht.

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a) Die vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die Verhinderung der Versammlung in Form eines Aufzugs hätte rechtfertigen können. Das Verwaltungsgericht legt insofern bereits nicht hinreichend deutlich dar, ob seiner Auffassung nach auch von der Versammlung selbst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder diese Gefahr ausschließlich aufgrund der zahlreichen Gegendemonstrationen und den hieraus zu erwartenden Störungen der Versammlung besteht. Dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Begründung seines Standpunktes im Wesentlichen lediglich auf die Einschätzung der Polizeidirektion L., die ohne nähere Erläuterung 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration dem gewaltbereiten Klientel zurechnete, verweist, genügt den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG insofern jedenfalls nicht.

21

Auch im Hinblick auf eine Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes genügen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht weist insofern zur Begründung des Vorliegens einer nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer abwendbaren Gefahr, insbesondere auf die besondere Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 und die deswegen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräfte, hin und beruft sich dabei pauschal auf die Einschätzung der Polizeidirektion L. vom 13. Oktober 2010. Berücksichtigt man aber den Umstand, dass die Polizeidirektion in ihrer Gefährdungsanalyse vom 4. Oktober 2010 offenbar noch zwei der angemeldeten Aufzüge mit den ihr voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kräften für sicherbar hielt, erfüllt diese pauschale Bezugnahme auf die Einschätzung der Polizeidirektion vom 13. Oktober 2010 nicht die den Anforderungen an die entsprechend obigen Maßstäben bereits im Eilverfahren gebotene intensivere Rechtmäßigkeitsprüfung. Vielmehr hätte die kurzfristige Änderung der polizeilichen Einschätzung, die sich nicht ohne weiteres erschließt, das Verwaltungsgericht zu einer substantiierteren Prüfung der veränderten polizeilichen Einschätzung und zur Nachfrage einer genaueren Begründung ihrer Entscheidung veranlassen müssen. Dass dies vorliegend aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Auch im Übrigen hätte es dezidierterer Feststellungen bedurft, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Die behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Gegendemonstrationen kann nach obigen Maßstäben jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden. Auch die Bindung von Polizeikräften aufgrund eines parallel stattfindenden Fußballspiels und sonstiger Veranstaltungen, deren vorrangige Schutzwürdigkeit sich nicht ohne weiteres erschließt, reicht hierfür nicht aus.

22

b) Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls nicht stand. Zwar hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht deutliche Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen eines für die Rechtfertigung der versammlungsrechtlichen Auflage erforderlichen polizeilichen Notstandes geäußert und nachvollziehbar dargelegt, dass sich ihm nicht erschließe, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der Gefährdungsanalyse der Polizeidirektion L. vom 4. Oktober 2010 und dem Erlass der Auflage am 13. Oktober 2010 so erhöht haben soll, dass statt der zwei Aufzüge, die ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten wurden, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Auch erscheint es nachvollziehbar, dass dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die Vornahme der hier grundsätzlich gebotenen und soweit als möglich nicht lediglich summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Auflage nicht mehr möglich war. Allerdings hätte es dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in dieser Konstellation, um der Freiheitsvermutung zugunsten der Versammlungsfreiheit zumindest in der Sache Rechnung zu tragen, oblegen, eine besonders sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese in der Begründung seiner Entscheidung hinreichend offenzulegen. Vorliegend hat sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, auf die vermeintlich geringe Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzuweisen, ohne auch nur ansatzweise ausreichend auf das Bestehen einer die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit überwiegenden potentiellen Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter einzugehen.

23

4. Demgemäß ist festzustellen, dass sowohl der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig als auch der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Einer Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung bedarf es darüberhinausgehend nur bezüglich der Kostenentscheidungen, da in der Sache selbst Erledigung eingetreten ist (vgl. Schemmer, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. Aufl. 2005, BVerfGG, § 93c Rn. 33).

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5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Behörden sind zur Vorlage von Urkunden oder Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente oder dieser Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage von Urkunden oder Akten, die Übermittlung der elektronischen Dokumente und die Erteilung der Auskünfte verweigern.

(2) Auf Antrag eines Beteiligten stellt das Oberverwaltungsgericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss fest, ob die Verweigerung der Vorlage der Urkunden oder Akten, der Übermittlung der elektronischen Dokumente oder der Erteilung von Auskünften rechtmäßig ist. Verweigert eine oberste Bundesbehörde die Vorlage, Übermittlung oder Auskunft mit der Begründung, das Bekanntwerden des Inhalts der Urkunden, der Akten, der elektronischen Dokumente oder der Auskünfte würde dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht; Gleiches gilt, wenn das Bundesverwaltungsgericht nach § 50 für die Hauptsache zuständig ist. Der Antrag ist bei dem für die Hauptsache zuständigen Gericht zu stellen. Dieses gibt den Antrag und die Hauptsacheakten an den nach § 189 zuständigen Spruchkörper ab. Die oberste Aufsichtsbehörde hat die nach Absatz 1 Satz 2 verweigerten Urkunden oder Akten auf Aufforderung dieses Spruchkörpers vorzulegen, die elektronischen Dokumente zu übermitteln oder die verweigerten Auskünfte zu erteilen. Sie ist zu diesem Verfahren beizuladen. Das Verfahren unterliegt den Vorschriften des materiellen Geheimschutzes. Können diese nicht eingehalten werden oder macht die zuständige Aufsichtsbehörde geltend, dass besondere Gründe der Geheimhaltung oder des Geheimschutzes der Übergabe der Urkunden oder Akten oder der Übermittlung der elektronischen Dokumente an das Gericht entgegenstehen, wird die Vorlage oder Übermittlung nach Satz 5 dadurch bewirkt, dass die Urkunden, Akten oder elektronischen Dokumente dem Gericht in von der obersten Aufsichtsbehörde bestimmten Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Für die nach Satz 5 vorgelegten Akten, elektronischen Dokumente und für die gemäß Satz 8 geltend gemachten besonderen Gründe gilt § 100 nicht. Die Mitglieder des Gerichts sind zur Geheimhaltung verpflichtet; die Entscheidungsgründe dürfen Art und Inhalt der geheim gehaltenen Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente und Auskünfte nicht erkennen lassen. Für das nichtrichterliche Personal gelten die Regelungen des personellen Geheimschutzes. Soweit nicht das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat, kann der Beschluss selbständig mit der Beschwerde angefochten werden. Über die Beschwerde gegen den Beschluss eines Oberverwaltungsgerichts entscheidet das Bundesverwaltungsgericht. Für das Beschwerdeverfahren gelten die Sätze 4 bis 11 sinngemäß.

Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.