Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 03. Juli 2017 - 4 Bs 142/17

bei uns veröffentlicht am03.07.2017

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 27. Juni 2017 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine versammlungsrechtliche Verbotsverfügung.

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Der Antragsteller ist Vorstandsmitglied des Vereins G. e.V. Er meldete für diesen Verein im März 2017 für den Zeitraum vom Dienstag, 4. Juli 2017, 18:00 Uhr bis zum Samstag, 8. Juli 2017, 22:00 Uhr eine Dauerkundgebung in der S. Passage in Höhe des V. in Hamburg an. Die S. Passage ist ein öffentlich zugänglicher Fußgängerweg zwischen dem V. und der S. Straße. Die Kundgebung unter dem Motto „Solidarische Oase G. Viertel – für grenzenlose Bewegungsfreiheit“ steht im Zusammenhang mit dem in Hamburg am 7. und 8. Juli 2017 in den Messehallen stattfinden Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (im Folgenden: G20-Gipfel). Ausweislich der Anmeldung rechnet der Antragsteller mit 5 bis 100 Teilnehmern. Das sog. G. Viertel ist ein am V. gelegener Häuserkomplex mit altem Baubestand, den die Freie und Hansestadt Hamburg im Dezember 2009 erwarb und dem Verein G. e.V. als Arbeits-, Kunst- und Kulturstätte zur Verfügung stellte. Nach dem Versammlungskonzept des Antragstellers soll es während der Dauerkundgebung ein vielfältiges Programm mit Redebeiträgen zur Kunstfreiheit und dessen Einschränkung in anderen G20-Staaten, zur Historie des G. Viertels und zur Bedeutung öffentlich zugänglicher Räume geben. Geplant sind ferner eine Kleinkunstbühne, auf der verschiedene Künstler auftreten sollen, sowie Informationsstände.

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Im Rahmen eines am 18. Mai 2017 durchgeführten Kooperationsgesprächs teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller erstmals mit, dass es während des G20-Gipfels am 7. und 8. Juli 2017 eine sog. „blaue Zone“ geben werde, in der Versammlungen nicht stattfinden könnten. Die Antragsgegnerin verwies den Antragsteller auf die Durchführung der Versammlung außerhalb der von ihr geplanten „blauen Zone“. Der Antragsteller machte in diesem Zusammenhang geltend, dass er eine enge Verbindung zwischen dem Motto seiner Versammlung und dem G. Viertel als Versammlungsort sehe.

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Am 9. Juni 2017 machte die Antragsgegnerin im Amtlichen Anzeiger Nr. 45, Seite 869, eine versammlungsrechtliche Verfügung in Form der Allgemeinverfügung für die Zeit vom 7. Juli 2017 ab 06:00 Uhr bis 8. Juli 2017, 17:00 Uhr für Teile des Hamburger Stadtgebietes vom 1. Juni 2017 (im Folgenden: Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017) bekannt. In dieser ist unter Ziffer I. u. a. geregelt, dass in der Zeit vom 7. Juli 2017 ab 06:00 Uhr bis 8. Juli 2017, 17:00 Uhr innerhalb eines nachfolgend dargestellten Bereichs das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel gemäß Artikel 8 Absatz 2 Grundgesetz (GG) i. V. m. § 15 Absatz 1 Versammlungsgesetz (VersG) und § 35 Satz 2 des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HmbVwVfG) dahingehend eingeschränkt wird, dass angemeldete und nicht angemeldete Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel nur außerhalb dieses Bereiches durchgeführt werden dürfen (1.). Unter Ziffer II. ordnete die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Unter Ziffer V. ist ausgeführt, dass die Allgemeinverfügung, die Begründung sowie der Lageplan im Foyer des Polizeipräsidiums Hamburg, Bruno-Georges-Platz 1, 22297 Hamburg sowie auf der Internetseite www.polizei.hamburg.de eingesehen werden können. Für den Inhalt der Begründung der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 wird auf die Sachakte der Antragsgegnerin, Band 1, Fach 2 Bezug genommen. Die von dem Antragsteller geplante Versammlung liegt in der Zeit von 7. Juli 2017, 6:00 Uhr, bis zum 8. Juli 2017, 17:00 Uhr, im räumlichen Geltungsbereich der Anordnung der Allgemeinverfügung unter Ziffer I. 1.

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Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 15. Juni 2017 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde.

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Das Verwaltungsgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 27. Juni 2017 den am 16. Juni 2017 vom Antragsteller gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt:

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Die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2017 dürfte rechtmäßig sein. Mit ihr werde ein zeitlich und räumlich begrenztes Versammlungsverbot geregelt. Dieses finde seine Rechtsgrundlage in § 15 Abs. 1 VersG i. V. m. § 35 Satz 2 HmbVwVfG. Es sei nicht zu beanstanden, ein Versammlungsverbot bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen im Wege der Allgemeinverfügung zu erlassen, anstatt einzelfallbezogene Versammlungsverbote auszusprechen. Die Allgemeinverfügung sei formell-rechtlich nicht zu beanstanden. Sie sei ordnungsgemäß im Amtlichen Anzeiger der Antragsgegnerin bekannt gemacht worden, ohne dass es des Abdrucks der Begründung bedurft habe. Eine Unterschrift sei nicht erforderlich.

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Die Allgemeinverfügung sei auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Tatbestandliche Voraussetzung sei nach § 15 Abs. 1 VersG eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Es könne offen bleiben, ob von der Versammlung des Antragstellers selbst eine unmittelbare Gefahr für das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ausgehe. Denn die Verfügung betreffe nicht nur den Antragsteller, sondern alle potentiellen Versammlungsteilnehmer in dem 38 km² großen Gebiet, also eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten. Es komme daher auf eine Gesamtbetrachtung an. Gemessen an diesem Maßstab sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es ohne das in der Allgemeinverfügung geregelte zeitlich und räumlich begrenzte Versammlungsverbot zu unmittelbaren Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit in dem Geltungsbereich der Verfügung kommen werde. Nach den von der Antragsgegnerin vorgelegten und aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlichen Informationen sei in dem von der Allgemeinverfügung räumlich erfassten Gebiet und in dem von ihr erfassten Zeitraum eine durch den Austragungsort und die Besonderheiten des G20-Gipfels bedingte außerordentliche Situation gegeben, die ohne die verfahrensgegenständliche Beschränkung der Versammlungsfreiheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die körperliche Unversehrtheit und das Leben der Teilnehmer des G20-Gipfels als auch der Versammlungsteilnehmer und unbeteiligter Dritter und darüber hinaus auch zu einem Schaden für die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland führen würde. Diese Gefahren würden durch eine außerordentliche Gesamtgefahrenlage anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg erhöht, die sich von bisherigen versammlungsrechtlichen Lagen erheblich unterscheide.

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Die zu erwartenden Gefahren für die genannten Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit rechtfertigten vor dem Hintergrund des vorliegenden polizeilichen Notstandes den Erlass des mit der Allgemeinverfügung verfügten räumlich und zeitlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher Versammlungen, auch wenn von diesen keine Gefahr ausgehe. Voraussetzung des Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands seien eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten zu ermöglichen. Dabei ließen sich die in der Rechtsprechung dargelegten Grundsätze zum Nachweis eines polizeilichen Notstandes nicht auf die von der Antragsgegnerin zu bewältigende außerordentliche Gefahrenlage anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg übertragen. Der Antragsgegnerin obliege der Schutz der zahlreichen Gipfelteilnehmer. Zugleich habe sie die Sicherheit von angemeldeten Versammlungen mit über 100.000 Teilnehmern zu gewährleisten. Hinzu kämen weitere (spontane) Versammlungen. Insbesondere seien für sie die Marschrouten, Versammlungsorte und der genaue Zeitrahmen nicht sicher prognostizierbar und erforderten daher einen flexiblen Einsatz der Polizeikräfte. Es liege in der Natur eines solchen komplexen und zugleich nur beschränkt vorhersehbaren Geschehensablaufs einerseits und den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes begrenzten Erkenntnismöglichkeiten andererseits, dass die tatsächlichen Darlegungen und die Gefahrenprognose der Antragstellerin nur einer Plausibilitätskontrolle unterzogen werden könnten. Danach habe die Antragsgegnerin einen polizeilichen Notstand schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Sie habe bereits in der Allgemeinverfügung allgemein dargelegt, dass sie die außerordentliche Gefahrenlage ohne die Regelung der Allgemeinverfügung selbst unter Heranziehung aller denkbar verfügbaren Polizeikräfte nicht zureichend adressieren könne. Zudem habe sie im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ihre Einschätzung konkretisiert und substantiiert. Danach seien die erforderlichen Polizeikräfte bei etwa 8.000 zu erwartenden gewaltbereiten Personen tatsächlich nicht erreichbar. Die Antragsgegnerin habe einen Bedarf von 104 Hundertschaften und 48 Wasserwerfern festgelegt und auf die verschiedenen Einsatzabschnitte, zu denen auch besondere Einsatzabschnitte ohne direkten Bezug zur Versammlung gehörten, entsprechend der zu leistenden Aufgaben verteilt. Zur Kräfteausstattung habe die Antragsgegnerin dargelegt, dass sie mehrfach Kräfte in den anderen Bundesländern sowie bei der Bundespolizei im Wege des Amtshilfeersuchens angefordert habe. Zwischen Bedarf und zur Verfügung gestellten Kräften bestehe eine Unterdeckung.

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Das mit der Allgemeinverfügung verfügte räumlich und zeitlich befristete Versammlungsverbot erweise sich schließlich als verhältnismäßig. Die Allgemeinverfügung sei geeignet, die zuvor bezeichneten Gefahren für die genannten Schutzpersonen erheblich zu reduzieren. Es würden Transportstrecken freigehalten und weitere Gefahren, die durch Versammlungen verursacht werden könnten, vermieden. Das Versammlungsverbot sei auch erforderlich. Es gebe kein milderes, aber zugleich geeignetes Mittel, um die unmittelbaren Gefahren für die Gipfelteilnehmer, Versammlungsteilnehmer und unbeteiligte Dritte abzuwehren. In zeitlicher Hinsicht sei der Geltungsbereich erkennbar an der zeitlichen Abfolge der Gipfelveranstaltung orientiert und werde durch diese angemessen begrenzt. Auch den räumlichen Geltungsbereich habe die Antragsgegnerin nachvollziehbar auf das räumlich für die sichere Durchführung der anstehenden Transportfahrten Notwendige beschränkt. Es stünden im ausgewählten Bereich nur eine begrenzte Anzahl von Straßen bereit, die sich für den Transport eigneten. Auch müssten bei einem Heranrücken von Versammlungsteilnehmern geeignete technische und taktische Maßnahmen ergriffen werden können, für die geeignete Flächen sowie ein geeigneter Aktionsraum zu Verfügung stehen müsse. Das Konzept des Erlasses von beschränkenden Einzelverfügungen gegenüber einzelnen angemeldeten Versammlungen sei weder gleich geeignet noch weniger belastend. Dass die Antragsgegnerin ferner das Konzept einer einzelnen, von vornherein feststehenden Transportstrecke, die durch umfangreiche bauliche und polizeiliche Maßnahmen abzusichern wäre, verworfen habe, sei rechtlich nicht zu beanstanden. Innerhalb der von der Antragsgegnerin definierten Bereiche könnten Freiflächenversammlungen zwischen den Transport- und Evakuierungsstrecke nicht bereitgestellt werden. Im Hinblick auf die Vielzahl der durchzuführenden Transporte der Gipfelteilnehmer und die zahlreichen angekündigten Blockadeteilnehmer dürfte es der Antragsgegnerin auch nicht möglich sein, erst vor Ort gegen einzelne Versammlungen oder Blockaden vorzugehen, insbesondere weil durch jede einzelne Blockade einer Transportkolonne erhebliche unmittelbare Gefahren für die Sicherheit der Gipfelteilnehmer sowie der Störer und unbeteiligten Versammlungsteilnehmer entstehen würden. Im Falle der Auflösung einzelner Blockaden bestehe zudem eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass zugleich anderenorts neue Blockaden entstehen würden. Das Versammlungsverbot dürfte auch angemessen sein. Der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Versammlungsteilnehmer stehe vorliegend der Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Gipfelteilnehmer, der Versammlungsteilnehmer und sonstiger Dritter sowie der Schutz der auswärtigen Angelegenheiten des Bundes gegenüber. Die Antragsgegnerin habe in ihrem Gesamtkonzept unter Beachtung der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit berücksichtigt, dass an anderer Stelle im Hamburger Stadtgebiet für Versammlungen und Aufzüge attraktive und öffentlichkeitswirksame Plätze zur Verfügung gestellt werden müssten. Sie habe sämtliche Strecken und Plätze in unmittelbarer Nähe zum Versammlungsort in Bezug auf die dortige Durchführbarkeit von Versammlungen geprüft und in Kooperationsgesprächen mit den Versammlungsanmeldern alternative Versammlungsorte bzw. -routen aufgezeigt.

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Schließlich bestehe auch ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung.

12

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

II.

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Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

14

Es kann offen bleiben, ob sich der Antragsteller hinreichend mit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt und deren tragende Erwägungen erschüttert hat. Das Beschwerdegericht geht zu seinen Gunsten hiervon aus, da die Effektivität des Rechtsschutzes gefährdet wäre, wollte man in extrem eilbedürftigen und zugleich komplexen Verfahren der vorliegenden Art die formalen gesetzlichen Anforderungen des § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO konsequent anwenden (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 11.9.2015, 4 Bs 192/15, juris Rn. 7). Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das Beschwerdegericht führt allerdings im Ergebnis zu keiner Änderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag zu Recht abgelehnt.

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Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag führt in der Sache nicht zum Erfolg. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Versammlungsverbots ist formell ordnungsgemäß (hierzu unter 1.). Auch überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs (hierzu unter 2.). Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hätte auch dann keinen Erfolg, wenn vorliegend auf eine Folgenabwägung abzustellen wäre (hierzu unter 3.)

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1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO hat die Antragsgegnerin gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hinreichend begründet, indem sie in der Begründung darauf abstellt, dass auch während eines anhängigen Widerspruchverfahrens die Durchführung von Versammlungen in dem von der Allgemeinverfügung erfassten Gebiet zu erheblichen Gefahren und Störungen der öffentlichen Sicherheit führen würde. Nur durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung könnten diese Gefahren auch schon im Zeitraum der Entscheidung über die Rechtsbehelfe abgewehrt werden.

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2. Die im Rahmen eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durchzuführende Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2017 gegenüber dem Interesse des Antragstellers, deren Vollzug auszusetzen und die angemeldete Dauerkundgebung auch in der Zeit vom 7. Juli 2017, 6:00 Uhr bis zum 8. Juli 2017, 17:00 Uhr durchführen zu können, überwiegt.

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Im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.4.1998, 1 BvR 2311/94, juris Rn. 25). Da die Folgen von Anordnungen, die die Durchführung einer Versammlung beschränken, regelmäßig nicht reversibel sind, muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren hier zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004, 1 BvR 461/03, juris Rn. 33). Die Verwaltungsgerichte müssen daher schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004, 1 BvR 461/03, juris Rn. 33). Soweit möglich, ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht daher nicht nur summarisch zu prüfen. Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, juris Rn. 18).

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Gemessen an diesem Maßstab erweist sich die angefochtene Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 als rechtmäßig (hierzu unter a]). Zudem besteht ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung (hierzu unter b]).

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a) Die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2017 erweist sich als rechtmäßig.

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Mit der Allgemeinverfügung wird ein zeitlich und räumlich begrenztes Versammlungsverbot verfügt. Zwar wird mit der Allgemeinverfügung nicht explizit ein Versammlungsverbot ausgesprochen, sondern es heißt dort nur, dass Versammlungen in dem maßgeblichen Zeitraum nur außerhalb des umschriebenen Bereichs stattfinden dürfen (vgl. S. 2 und 3 der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017). Unter Berücksichtigung des Umstands, dass dem Veranstalter ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung zusteht (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, 1 BvR 31 BvR 341/81, juris Rn. 61), und Art. 8 Abs. 1 GG auch das Interesse des Veranstalters an einem Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen, etwa durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort – hier: des G20-Gipfels und des G. Viertels – schützt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, juris Rn. 23), ist die hier vorliegende zeitliche und räumliche Beschränkung jedoch einem Verbot gleichzusetzen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, juris Rn. 30; VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, juris Rn. 54). Von diesem Verbot ist auch die vom Antragsteller angemeldete Versammlung in der Zeit vom 7. Juli 2017, 6:00 Uhr, bis zum 8. Juli 2017, 17:00 Uhr, erfasst, wobei das Gericht davon ausgeht, dass es sich bei der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung um eine solche unter freiem Himmel handelt. In der Zeit vom 4. Juli 2017, 18:00 Uhr bis zum Beginn der Geltung des Versammlungsverbots am 7. Juli 2017, 6:00 Uhr, ist die geplante Dauerkundgebung demgegenüber zeitlich nicht von der Allgemeinverfügung betroffen.

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aa) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, ein räumlich und zeitlich beschränktes Versammlungsverbot in Form einer Allgemeinverfügung nach § 15 Abs. 1 VersG i. V. m. § 35 Satz 2 HmbVwVfG zu erlassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, juris Rn. 17 ff.; Beschl. v. 26.3.2001, 1 BvQ 15/01, juris Rn. 15 ff; VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, juris Rn. 44 ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 6.11.2004, 11 ME 322/04, juris Rn. 13 ff.). Denn als Allgemeinverfügung kann ein Verwaltungsakt gemäß § 35 Satz 2 HmbVwVfG unter anderem dann ergehen, wenn er sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet. Dies ist bei versammlungsbeschränkenden Maßnahmen gegeben, wenn sich die Maßnahmen vor dem Hintergrund eines bestimmten Ereignisses oder Anlasses an alle Personen wenden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums an einem bestimmten Ort oder innerhalb eines näher bezeichneten räumlichen Bereichs zu Versammlungen zusammenzukommen beabsichtigen. Dies ist vorliegend der Fall. Denn die Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 untersagt die Durchführung von öffentlichen Versammlungen innerhalb eines bestimmten – durch Straßenzüge definierten – räumlichen Bereichs innerhalb eines bestimmten Zeitraums.

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bb) Die Allgemeinverfügung ist auch formell ordnungsgemäß zustande gekommen. Sie wurde ordnungsgemäß im Amtlichen Anzeiger der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2017 (S. 869) bekannt gemacht, ohne dass es des Abdrucks der Begründung bedurfte. Dass die Allgemeinverfügung nicht die Unterschrift des Leiters der Versammlungsbehörde trägt, sondern lediglich dessen Namenswiedergabe, ist nach § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbVwVfG ausreichend (VG Hamburg, Beschl. v. 20.6.2017, 19 E 6258/17, n. v.). Der Umstand, dass anlässlich des G20-Gipfels Versammlungsteilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland zu erwarten sind, begründet keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Allgemeinverfügung überregional oder bundesweit bekanntzumachen. Da sich der Schwerpunkt der Versammlungen auf das von der Allgemeinverfügung räumlich betroffene Stadtgebiet der Antragsgegnerin bezieht und von dort aus organisiert werden wird, ist die erfolgte Veröffentlichung der Allgemeinverfügung im Amtlichen Anzeiger vom 9. Juni 2017 sowie die Bekanntgabe des Inhalts der Verfügung in einer Pressekonferenz der Antragsgegnerin am 9. Juni 2017 mit einer sich anschließenden Medienberichterstattung ausreichend (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 29.5.2008, 11 LC 138/06, juris, Rn. 42). Im Übrigen ist die Allgemeinverfügung über das Internetangebot der Antragsgegnerin abrufbar.

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cc) Es liegen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass eines räumlich und zeitlich beschränkten Versammlungsverbots vor.

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Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Dabei sind die Tatbestandsvoraussetzungen unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen (BVerfG, Beschl. v. 21.4.1998, 1 BvR 2311/94, juris Rn. 27). Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001,1 BvR 1190/90, juris Rn. 41). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, juris Rn. 63; Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, juris Rn. 101) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009, 1 BvR 2150/08, juris Rn. 67). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, juris Rn. 16, m. w. N.).

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Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung nach § 15 Abs. 1 VersG ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, juris Rn. 77). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, 1 BvR 2793/04, juris Rn. 20; Beschl. v. 21.4.1998, 1 BvR 2311/94, juris Rn. 27). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Vermutungen reichen nicht aus (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, 1 BvR 2793/04, juris R. 20 m. w. N.).

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Diesen Anforderungen wird die Allgemeinverfügung der Antragstellerin vom 1. Juni 2017 gerecht. Das Verwaltungsgericht hat im angegriffenen Beschluss insoweit zutreffend ausgeführt:

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„Dabei kann vorliegend offenbleiben, ob von der verfahrensgegenständlichen Versammlung des Antragstellers selbst eine unmittelbare Gefahr für ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ausgeht. Denn die Allgemeinverfügung betrifft nicht nur den Antragsteller, sondern alle potentiellen Versammlungsteilnehmer in dem 38 km² großen Gebiet, also eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten. Es kommt daher auf eine Gesamtbetrachtung an. Im Rahmen einer solchen ist zu prüfen, ob aus dem Kreis der potentiellen Teilnehmer von Versammlungen im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erwarten ist (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, juris, Rn. 52; VG Hamburg, Beschl. v. 20.6.2017, 19 E 6258/17, n.v.).

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Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es ohne das in der Allgemeinverfügung geregelte, zeitlich und räumlich begrenzte Versammlungsverbot zu unmittelbaren Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit in dem Geltungsbereich der Verfügung kommen wird. Nach den von der Antragstellerin vorgelegten und aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlichen Informationen ist in dem von der Allgemeinverfügung räumlich erfassten Gebiet und in dem von ihr erfassten Zeitraum eine durch den Austragungsort und die Besonderheiten des G20-Gipfels bedingte außerordentliche Situation gegeben, die ohne die verfahrensgegenständliche Beschränkung der Versammlungsfreiheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die körperliche Unversehrtheit und das Leben sowohl der Teilnehmer des G20-Gipfels [hierzu unter (1)] als auch der Versammlungsteilnehmer und unbeteiligter Dritter [hierzu unter (2)] und darüber hinaus auch zu einem Schaden für die auswärtigen Beziehung der Bundesrepublik Deutschland [hierzu unter: (3)] führen würde. Diese Gefahren werden durch eine außerordentliche Gesamtgefahrenlage anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg erhöht, die sich von bisherigen versammlungsrechtlichen Lagen erheblich unterscheidet [hierzu unter (4)].

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(1) Es besteht eine durch die Antragsgegnerin abzuwehrende unmittelbare Gefahr für die körperliche Integrität der Teilnehmer des G20-Gipfels, die durch Versammlungen in dem von der Allgemeinverfügung erfassten Gebiet unmittelbar und wesentlich erhöht würde.

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(a) Die Bundesrepublik und die Antragsgegnerin sind verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs.1 1 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.06.2007, 1 BvR 1423/07, juris, Rn. 29) und völkerrechtlich (vgl. Art. 29 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961, [BGBl. 1964 II S. 957], vgl. hierzu: Prauß, Staatsbesuche in der Bundesrepublik Deutschland, 2014, S. 79 ff)] zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Teilnehmer des G20-Gipfels verpflichtet und sie müssen geeignete Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der Gäste treffen. Wie die Antragsgegnerin dargelegt hat (vgl. Seite 8 der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017), werden 42 Teilnehmer des G20-Gipfels, zu denen die Staats- und Regierungschefs der 20 größten Industrienationen rechnen, eine relevante Sicherheitseinstufung gemäß der dafür einschlägigen Polizeidienstvorschriften haben. Vier Personen sind in die Gefährdungsstufe 1, drei Personen in die Gefährdungsstufe 2 und 35 Personen in die Gefährdungsstufe 3 eingestuft. Dabei bedeutet die Annahme der Gefährdungsstufe 1, dass die Person erheblich gefährdet ist und mit einem Anschlag zu rechnen ist. Der Antragsgegnerin obliegt die Aufgabe, diese Gipfelteilnehmer bei ihrem Transport von dem im Norden Hamburgs gelegenen Flughafen zu den Veranstaltungsorten auf dem Messegelände und zu den Hotels, in denen sie untergebracht sind, sowie bei den Transporten zwischen diesen Orten vor Angriffen Dritter zu schützen. Der Transport der Gipfelteilnehmer wird nach den Plänen der Antragsgegnerin durch zu schützende Fahrzeugkolonnen mit mindestens 6-8 Fahrzeugen durchgeführt, wobei die Anzahl der Kolonnenfahrzeuge nach oben nicht begrenzt ist (vgl. Seite 8 der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017). Dabei ist es ein wesentlicher Bestandteil des Sicherheitskonzepts der Transportfahrten, dass insbesondere im Fall der sogenannten „Schleusung“ der Fahrzeugkolonnen, der Fahrzeugverband mit einer möglichst konstanten Geschwindigkeit ohne Anhalten vom Hamburger Flughafen durch das Stadtgebiet zu den Veranstaltungsorten geführt werden soll (Seite 8 Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017). Nach den Berechnungen der Antragsgegnerin sind insgesamt 87 Fahrzeugkolonnen durch das innere Stadtgebiet der Freien und Hansestadt Hamburg polizeilich zu begleiten und zu schützen (Seite 9 Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017). Neben diesen von der Antragsgegnerin auch als „Protokollstrecken“ bezeichneten Transportrouten beabsichtigt die Antragsgegnerin auch Rettungs- und Evakuierungswege bereitzuhalten. Zur Gewährleistung der Sicherheit der Gipfelteilnehmer plant die Antragsgegnerin, jeweils erst kurz vor dem Beginn einer Fahrt die konkrete Transportstrecke auszuwählen und diese vom allgemeinen Fahrzeugverkehr freizuhalten. Nach den nachvollziehbaren Darlegungen der Antragsgegnerin wird ferner jeweils sehr kurzfristig bekannt werden, wann welche Schutzperson anreist und welche konkreten Protokollstrecken genutzt werden sollen.

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Nachvollziehbar erscheint ferner, dass die Antragsgegnerin auch aufgrund spontaner An- und Abreisen der Gipfelteilnehmer oder spontan angesetzter bilateraler Gespräche auch kurzfristig mit einem geringen zeitlichen Vorlauf Transportstrecken bereitstellen und absichern muss. Es ist auch plausibel, dass die Antragsgegnerin bei der Auswahl der Transportstrecken spontan und flexibel auf Verkehrsstockungen, Notfall-einsätze oder eine Belegung der Transportstrecke durch andere Gipfelteilnehmer reagieren muss. Aus der von der Antragsgegnerin vorgelegten Übersichtskarte, in die das von der Allgemeinverfügung erfasste Gebiet eingezeichnet worden ist, ist unter Berücksichtigung der räumlichen Verhältnisse der Straßen, die den Mitgliedern der Kammer aus eigener Anschauung als Teilnehmer im Straßenverkehr des Hamburger Stadtgebiets bekannt sind, ersichtlich, dass insbesondere in der Nord-Süd-Richtung des Stadtgebiets zwischen Flughafen und Veranstaltungsort in den Messehallen sowie zu den Hotels der Unterbringung eine insgesamt nur begrenzte Anzahl von Straßenrouten vorhanden ist, die nach ihrer baulichen Struktur für eine Führung der zum Teil erheblich langen Fahrzeugkolonnen nebst polizeilichen Begleitfahrzeugen geeignet erscheint.

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(b) Es liegen nach den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen und nach den aus allgemein zugänglichen Quellen erhältlichen Informationen konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass es während der Durchführung der Transportfahrten der Gipfelteilnehmer – neben zahlreichen friedlichen Versammlungen und Aufzügen im Stadtgebiet, die die weit überwiegende Mehrheit des öffentlichen Protests gegen den G20-Gipfel darstellen dürften – strategische Blockaden der Transportfahrten geplant sind und vorbereitet werden, die geeignet sind, das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Gipfelteilnehmer, der Versammlungsteilnehmer und unbeteiligter Dritter [hierzu im Folgenden unter: (2)] zu gefährden. Die Antragsgegnerin stützt diese Gefahrprognose in der Begründung ihrer Allgemeinverfügung unter anderem auf zahlreiche im Internet veröffentlichte Ankündigungen und Interviewauszüge (Seite 28 ff der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017), die die Antragsgegnerin in dem Band 2 der dem Gericht vorgelegten Sachakte dokumentiert hat und die das Gericht nach eigener Prüfung für glaubhaft erachtet, auch wenn diese mittlerweile zum Teil nicht mehr im Internet abrufbar sind (Hervorhebungen durch das Gericht):

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„Auf der Internetseite www.neues-deutschland.de/artkel/1041045.hoffnung-entsteht-aus-rebellion teilt die Interventionistische Linke zudem Folgendes mit: „Zwischen Gegengipfel unter der Woche und Großdemonstration am Wochenende liegt ein Tag des massenhaften Ungehorsams am 07.07.2017. Wir wollen mit Tausenden die Stadt erobern und an die Rote Zone vordringen, (…) Wir werden wichtige neuralgische Punkte besetzen und Zufahrtswege blockieren, die Zufahrtswege blockieren, die Straßen verstopfen und die Infrastruktur und Mobilität der Staatsgäste und Gipfelteilnehmer empfindlich stören. Gemeinsam mit Anwohner*innen zeigen wir an den Blockadepunkten unsere gesellschaftlichen Gegenentwürfe auf: (…).“

35

Im Interview mit der „Zeit Online“ vom 06.05.2017 (http://www.zeit.de/2017/18/g20-gipfel-gegner-protest-debatte-linke/komplettansicht) äußerte Emily Laquer von der Interventionistischen Linken: „Wir wollen, (…), dass dieser G20-Gipfel nicht erwähnt werden kann ohne die Hinweise, alle Zufahrtswege waren verstopft, (…).Die Autonomen gehören zu uns – schwarz ist ein Teil von bunt.(…) Wir planen Massenblockaden, da muss man auch mal durch eine Polizeikette flutschen.“ Thomas Eberhardt-Köster von Attac sagt: „(…) Wir wollen (…) mit zivilem Ungehorsam ihre Machtinszenierung durchkreuzen (…).Und da finde ich es durchaus legitim, an bestimmten Stellen Formen zivilen Ungehorsams einzusetzen. (…) Wenn wir zivilem Ungehorsam ankündigen, etwa eine Blockade, dann machen wir das auch. (…) Es ist in einer bestimmten Situation auch legitim und richtig, Regeln zu übertreten. (…)“.

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Auf http://www.attac.de/neuigkeiten/detailansicht/news/-0e95f13b42/?no_cache=1 heißt es vom Bündnispartner Attac der Großdemonstration am 08.07.2017: „Am Sonntag fanden neben weiteren Arbeitsgruppentreffen auch Aktionstrainings statt, in denen vermittelt wurde, wie bei Aktionen zivilen Ungehorsams gemeinsam und solidarisch agiert werden kann.“ "Die Aktionstrainings sind ein wichtiger Teil der Vorbereitung unserer Aktionen, da den Menschen hier vermittelt werden kann, dass es trotz eines gigantischen Polizeiaufgebots möglich sein wird, unseren Protest auf die Strasse zu tragen und den Gipfel effektiv zu behindern," erklärt Nico Berg. "Es wird immer deutlicher, dass der geplante G20-Gipfel auf massiven Widerstand stoßen wird. In den Tagen vor dem 8. Juli wird Hamburg voll sein mit Gegnerinnen und Gegnern des Gipfels, die mit zahlreichen Aktionen, Blockaden, Demonstrationen, Paraden etc. den reibungslosen Ablauf des Gipfels stören werden," ergänzt Michael Martin.“

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Im Newsletter #01 zur Aktionskonferenz II gegen den G 20-Gipfel Hamburg auf der Internetseite https://www.g20hamburg.org/de/newsletter/newsletter-01-zur-aktionskonferenz-ii-gegen-den-g20-gipfel-hamburg sowie im Newsletter #02 (https://linksunten.indymedia.org.de/node/205989) wird mitgeteilt: „Fr 7. Juli: Aktionstag. Massenblockaden an den Veranstaltungsorten des G20-Gipfels; Lahmlegen der kapitalistischen Infrastruktur und Klimaaktionen südlich der Elbe“. Im Newsletter #02 heißt es weiter: „Auf zwei Treffen der Aktions-AG zu denMassenblockaden an den Veranstaltungsorten des G20-Gipfels wurde unter Beteiligung zahlreicher Gruppen und Strömungen ein Aktionsbild entworfen und im Konsens beschlossen.“

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Auf der Internetseite https://linksunten.indymedia.org/de/node/207518 wird im Newsletter #3 zur Aktionskonferenz II gegen den G20-Gipfel wie folgt berichtet:„5. Bericht aus der AG Block G20 - Auf dem letzten Treffen der AG Innenstadt/ Rote Zone haben sich die Beteiligten auf den Namen “Block G20 – colour the red zone” geeinigt. Unter diesem Namen werden wir zu tausenden am Freitag, dem 7. Juli 2017, die Stadt zurückerobern und den G20-Gipfel empfindlich stören. Es soll eine Aktion des massenhaften zivilen Ungehorsams werden, als eine Aktion unter vielen an dem Tag. Wie die Aktion aussehen soll beschreibt das Anfang März veröffentlichte Aktionsbild. Ein Aufruf folgt in Kürze. (…) 9. NO-G20 – Infoabend - Im Gängeviertel finden seit Februar regelmäßige NO-G20-Infoabende zur Vernetzung, Bildung von Bezugsgruppen, und dem Austausch von aktuellen Informationen (aus den AGs) statt. Außerdem werden Filme zu vergangenen Gipfelprotesten angeschaut, um aus den Erfahrungen anderer Proteste zu lernen. Termine: 6.4. / 4.5. / 1.6. jeweils 19 Uhr / Gängeviertel. Infos unter: www.interventionistische-linke.org“

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Der Bündnispartner Attac der Großdemonstration am 08.07.2017 veröffentlicht auf seiner Internetseite ebenfalls die Newsletter zur Aktionskonferenz II gegen den G 20-Gipfel: http://www.attac-netzwerk.de /fileadmin/user_upload/Gruppen/Hamburg/G20_2017/newsletter/NEWSLETTER_04_ZUR_AKTIONSKONFERENZ.pdf: „Am Sonntag Mittag findet ein eigenes Aktionstraining für die Presse statt. (…) Am Sonntag wird es dann mit gemeinsamen Aktions- und Blockadetrainings praktischer. (…) *4. Aufruf: Block G20 - colour the red zone!* Kurz vor der Aktionskonferenz II wurde der Aufruf zur Aktion »Block G20 – colour the red zone!« veröffentlicht. Am Freitag, den 7.7.2017, soll in Hamburg mit dem mutigen und rebellischen Geist der Vielen das Spektakel der Mächtigen blockiert werden. Mehr dazu auf www.blockg20.org“

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Das Programm der Aktionskonferenz II ist auf https://g20hamburg.org/de/programm-ak2 veröffentlicht. Das Programm lautete wie folgt: „SONNTAG 9. April 10:00 Uhr Beginn 10:15 - 12:45 Uhr Workshops Aktions- und Blockadetraining (Skills 4 Action) Die Inszenierung der Macht brechen – den Gipfel stören. Aber wie? Was passiert im Aktionstraining? Im Training werden wir mit Erfahrenen Aktionstrainer*innen die Kernelemente einer erfolgreichen Blockade vermitteln und einüben. Das Aktionstraining berücksichtigt die speziellen Gegebenheiten in der Stadt und speist sich aus den Erfahrungen vergangener Aktionen zivilen Ungehorsams Wir trainieren unter Zeitdruck Entscheidungen in Bezugsgruppen und Großgruppen zu treffen, wie sich Räumungen widersetzt werden kann und wie wir erfolgreich und elegant Polizeiketten durchfließen. Da mit einer hohen Teilnehmer*innenzahl gerechnet wird, werden mehrere Aktionstrainings parallel stattfinden. Antirepression: Was tun wenn‘s brennt - Tipps und Tricks im Umgang mit den staatlichen Repressionsorganen (Rote Hilfe Hamburg)
[ ... ]

41

Der Bündnispartner Attac der Großdemonstration am 08.07.2017 stellt auf der Internetseite http://www.attac.de/kampagnen/g20-in-hamburg/aktionstag-77/ dar: „Wir wollen eine angekündigte, regelüberschreitende Aktion vorbereiten und durchführen. Was wir tun werden, ist nicht unbedingt und immer legal, (…) Wir werden uns gemeinsam mit Zehntausenden die Straßen im Herzen Hamburgs wieder aneignen. Anwohner*innen werden zusammen mit Aktivist*innen aus vielen verschiedenen Ländern das Gipfeltreffen blockieren. Wir werden uns in mehreren Fingern oder vergleichbaren Strukturen organisieren, autonom handelnd und doch koordiniert. Wir werden aus allen Richtungen auf die Orte des Gipfeltreffens zuströmen, auf die Messehallen, auf das Rathaus und die Elbphilharmonie, kurz: auf die rote Zone, die für das Treffen abgeriegelt wird. Wo uns die Polizei daran hindern will, finden wir andere Wege zu unserem Ziel. Wo es nötig sein wird, werden wir Hindernisse überwinden und ggf. Polizeiketten durchfließen. Wir gehen so weit wir kommen. Schon auf unserem Weg zeigen wir unsere linken, gesellschaftlichen Gegenentwürfe auf, mit vielfältigen und kreativen Formen wie Raves, Versammlungen und der Aneignung von öffentlichem Raum und Leerstand. Wir behalten uns vor, über Nacht zu bleiben. Viele von uns werden sich in zahlreich stattfindenden Aktionstrainings auf diese Aktion vorbereiten. Unser Ziel ist es, den reibungslosen Ablauf des Gipfels spürbar zu stören. Gemeinsam erobern wir uns die Stadt zurück, zusammen umzingeln, stören und blockieren wir ihre selbstgerechte Inszenierung als Forum der Weltenretter. Denn sie sind die Brandstifter. Wir setzen sie fest, weil ihre Grenzen Millionen Menschen und ihre Hamburger Gitter einer ganzen Stadt die Bewegungsfreiheit nehmen. Das Wort »Zufahrtswege« wird es an diesem Tag nur in Verbindung mit dem Wort »verstopft« geben. Unsere Aktionsform sind angekündigte Massenblockaden, die aus Menschen bestehen werden, sowie Materialblockaden. Kreative Hilfsmittel wie Großpuppen, Absperrbänder, Luftmatratzen, Fahrrad-Tandems, Einkaufswägen, Banner, Regenschirme etc. werden dabei zum Einsatz kommen. Wir werden dabei der Selbstinszenierung der Macht die Bilder eines kreativen und bunten Widerstands entgegensetzen. Viele von uns werden ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit durch körperschützende Materialien verteidigen. Von uns wird dabei keine Eskalation ausgehen. Wir werden laut sein, auch stellvertretend für diejenigen, die nicht in Hamburg sein können.“

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Auf der Internetseite http://g20welcometohell.blogsport.eu/2017/01/16g20-to-hell/#more-1 und https://g20tohell.blackblogs. org/2017/02/12/aufruf-de/#more-1 wird mitgeteilt: „Wir wollen den reibungslosen Ablauf der Gipfel-Inszenierung in Hamburg stören und blockieren. Wir wollen Handlungsspielräume öffnen und nutzen, um vielfältig, massenhaft und unberechenbar gegen den G20-Gipfel aktiv zu werden. (…) Und wir wissen, wir werden uns den städtischen Raum auch zum Gipfel aneignen. Die Repression wird dies nicht verhindern können, wenn wir viele sind und unberechenbar bleiben. Es wird kein ruhiges Hinterland geben.“ Es wird auf die „DAYS OF ACTION 6/7/8 JULI 2017, die Demonstration der radikalen Linken am 06.07.2017“, die „Bildung von widerständigen, antikapitalistischen Blöcken auf der Großdemo am Samstag, den 8.Juli 2017“ und „G20-Gipfel BLOCKIEREN, SABOTIEREN, DEMONTIEREN!“ hingewiesen.

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Auf der Internetseite https://g20hamburg.org/de/content/colorfull-mass-gegen-den-g20-am-7-juli (www.g20hamburg.org/ de/print/234) des Bündnisses gegen den G20-Gipfel wird unter dem Tenor „Dicke Luft in Hamburg: Geschwindigkeitsdrosselung für Trump & Co.“ mitgeteilt: „Während sich in der ersten Juliwoche Staatschefs ihre Fahrzeugflotten einfliegen lassen und aus mehreren Bundesländern schweres Gerät von Polizei und Bundeswehr aufgefahren wird, wollen wir mit einer großen Fahrradtour durch Hamburg eine Geschwindigkeitsdrosselung all dieser verbrauchsintensiven Fahrzeuge herbeiführen. Genießt die Musik, bestaunt ausgefallene Gefährte und werdet Teil der bunten Fahrradkolonne! Wir treffen uns am Freitag, den 7. Juli 2017 um 19 Uhr auf der Moorweide (S-Bahn Dammtor).“

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Auf der Internetseite http://www.g20hamburg.org/de/content/paint-it-red-orte-der-macht-ausbeutung-und-unterdrueckung-der-g20-als-rote-zone-markieren wird aufgeführt: „In Hamburg werden wir ihre Ordnung und Logistik ebenso stören wie ihren Schlaf oder ihren Kunstgenuss. Wir werden ihr Meeting blockieren und ihre Bewegungsfreiheit einschränken, die sie anderen täglich und weltweit nehmen. Wir werden ihre Rote Zone umzingeln und dichtmachen - und die rote Zone auf die ganze Stadt ausdehnen: DEN GIPFEL STÖREN, DIE STADT ZURÜCKEROBERN. Bunt und kreativ – „Colour the Red-Zone“!“

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Auf der Internetseite http://g20-camp.de/ueber-die-notwendigkeit-einer-neuen-camp-ag/ wird sich am 07.04.2017 wie folgt geäußert: „Wir wollen uns mit so vielen Menschen und Strukturen wie möglich auf den Weg machen und G20 entern, blockieren oder einfach dagegen demonstrieren. Wenn wir zusammen zu einem Gegengipfel, Blockadeaktionen oder einer internationalen Großdemonstration aufrufen, dann müssen wir auch allen Menschen eine Unterkunft bieten, denn wo sollen die zehntausend Menschen schlafen.“

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Auf der Internetseite https://g20hamburg.org/de/newsletter/nog20-newsletter-3-gegen-den-g20-gipfel wurde ein Newsletter veröffentlicht, in dem es unter anderem heißt: „Mit Bus & Bahn gegen den G20: Zehntausende werden Anfang Juli nach Hamburg kommen, um zu protestieren, zu demonstrieren, ihn stören und blockieren. Auf den verschiedensten Wegen und auf jede Art: zu Fuss, mit dem Fahrrad, mit Planwagen oder PKWS, Bussen, Zügen, und, wenn auch nicht gerade ökologisch, aber für viele Freund*innen und Genoss*innen aus weiter entfernten Ländern oft die einzige Möglichkeit, mit dem Flugzeug. Siehe auch: https://www.g20hamburg.org/de/content/anreise“

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Auf der Internetseite http://www.blockg20.org/2017/05/16/aktionskonsens-kurzfassung-des-aktionsbilds/ wurde am 16.05.2017 von red der Aktionskonsens (Kurzfassung des Aktionsbilds) veröffentlicht: „Unser Ziel ist es, den Ablauf des G20-Gipfels spürbar zu stören und die Inszenierung der Macht, die der Gipfel darstellt, zu brechen. Wir werden dazu einen massenhaften, öffentlich angekündigten Regelübertritt begehen. Unsere Aktionen sind ein gerechtfertigtes Mittel des massenhaften widerständigen Ungehorsams. Unsere Blockaden sind Menschenblockaden und kreative Materialblockaden, bestehend aus Gegenständen des Alltags. Wir werden

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– unser Ziel besonnen und entschlossen durchsetzen,
– als Teilnehmende solidarisch aufeinander achten und
– uns schützen, um unser Recht auf körperliche Unversehrtheit zu verteidigen. Von uns wird dabei keine Eskalation ausgehen. Wir sind solidarisch mit allen, die unsere emanzipatorische Kritik an den G20 teilen.“

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In der Zeck Nr. 197, Ausgabe März/April wird im Artikel „Das war der Gipfel“ (S. 7) wie folgt ausgeführt: Wie am Schnürchen wird es jedoch kaum laufen, wenn im Sommer 2017 etwa 100.000 Gipfelgegner_innen die Messehallen und das Rathaus belagern, die halbe Stadt lahmlegen und den „Sicherheitsapparat“ auf die Probe stellen. (…) Und WIR haben uns entschieden im Sommer dafür um so mehr loszulegen. Wir sind viele und entschlossen, diesen Gipfel zu einem Desaster zu machen.“ Im Artikel „Splitter die Nacht:: Dokumentation“ der autonomen gruppe carpe noctem wird auf Seite 26 geäußert: „diesen sommer soll in hamburg der g20-gipfel stattfinden. dieses event … kann einen kristallisationspunkt für unseren widerstand bieten. wir begrüßen die bisherige vielfalt der angriffe und freuen uns über so zahlreiche militante attacken, die bereits stattfanden, (…). der g20-gipfel mitten in hamburg kann als provokation, als angriff angesehen werden. (…) stürzen wir hamburg ins chaos. (…).“

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In der Zeck Nr. 198, Ausgabe Mai/Juni 2017 wird unter „Kurzes“ (S. 3) vom „Autonomen Zentrum KTS Freiburg folgendes ausgeführt: “Am 7. und 8. Juli findet der G20-Gipfel in Hamburg statt. Die KTS ist mit dabei. (…) Zur Vorbereitung auf den anstehenden Widerstand (…) findet am (…) das Demo 1x1 2.0 mit Blockade-Training in der KTS Freiburg statt. (…) Wir sehen uns am 6. Juli um 16 Uhr zur antikapitalistischen Demonstration auf dem Fischmarkt St. Pauli und am 8. Juli um 11 Uhr zur Großdemo auf der Moorweide Hamburg. Wir sehen uns auf den Camps und bei den dezentralen Aktionen! Lasst uns gemeinsam den G20-Gipfel in Hamburg entern und versenken!“. Zudem wird dort unter der Überschrift „ZuG20 – Sonderzug zum G20-Gipfel 2017“ (S. 3) verfasst: „Am Mittwoch, den 5. Juli, wird sich der Protestzug ZuG20 mit 12 Waggons von Basel via Stuttgart in Richtung Hamburg auf den Weg machen. (…) Ab Donnerstag werden wir Hamburg das gesamte Wochenende über mit Camps, Blockaden und Demonstrationen in eine Stadt der Solidarität und des Protests verwandeln!“. Auf S. 12 führt das „ums Ganze!Bündnis“ wie folgt aus: „(…) Auf in den Hafen: Logistik angreifen! (…) Doch wir wollen mit der Logistik-Blockade entsprechende Handlungsmöglichkeiten überhaupt aufzeigen…Für eine öffentlichkeitswirksame Unterbrechung bietet der G20-Gipfel in Hamburg die perfekte Gelegenheit. (…) Wir sehen uns. Am Donnerstag, 6. Juli, auf der Vorabenddemo, am Samstag, den 8. Juli auf der Großdemonstration durch die Hamburger Innenstadt im antikapitalistischen Block und vor allem am Freitag morgen im Hafen zu Massenaktionen gegen die Logistik des Kapital – bevor wir uns dann nachmittags an, pardon, in der Roten Zone wiedersehen“

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Auf der Internetseite linksunten.indymedia.org/de/node/198163 sind im Artikel „[HH-NoG20] Schluss mit dem Konsens: Für Differenzkultur und radikale Antworten gegen den Wettbewerb der Elendsverwaltung“ folgende Passagen relevant: „Geordnete, mahnende Proteste nach den jeweils vorherrschenden moralischen Maßstäben und Spielregeln sind das Mittel jener, die an der bestehenden Gesellschaftsordnung teilhaben wollen und können. Der Protest gegen G20 wird aber auch andere Akteur*innen versammeln. Den als nicht gesellschafsfähig wahrgenommenen „Bodensatz“ der Globalisierung, die Kriminalisierten und die Wütenden, die Abtrünnigen und die Suchenden. Auch deren Stimmen haben Gewicht, auch deren Erfahrungen und Protestformen haben eine Legitimität, die verteidigt werden muss.“

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Ebenfalls auf der Internetseite linksunten.indymedia.org/de/node/199175 heißt es im Artikel „[G20] Strategische und taktische Gedanken zu G20 nach Sunzi“: Ein Weiteres Strategisches mittel ist es den Staat und seine Schergen in ihrer Bewegungsfreiheit zu stören. Dies kann an dem Tag der Aktion selbst durch Barrikaden und Krähenfüße geschehen. Generell sind hier aber auch Angriffe auf die Fahrzeuginfrastruktur zu nennen. (…) Wichtig ist, dass schon dieser Aufruf dazu führt das vermehrt Streifen die Fahrzeuge patrouillieren müssen und somit Kräfte gebunden und verbraucht werden, die uns dann nicht in Hamburg entgegen treten. (…) Es ist an euch diesem Schweinesystem die Haxen zu brechen.“

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Auf G20 Hamburg 2017 wird getwittert: „Voll 80er! Die Reisegruppe Riotlingen lädt ein, die kapitalistische Infrastruktur zu blockieren. Nur wer ein Helm hat darf mitkommen #noG20“ oder „Barrikaden werden gebaut, Feuer entfacht. #G20 – total disaster! Wir dürfen gespannt sein, was im Juli in #Hamburg passieren wird. #noG20“. Sowie: „Die Kanzlerin will zum #G20 vor der Bundestagswahl politisch glänzen. Das werden wir ihr versauen. Im Juli 2017 bestimmen wir die Bilder“ (im Hintergrund sind Brände und Rauch zu erkennen). Zuletzt am 05.05.2017: „Am Abend des 7. Juli wollen die Staatschefs von den Messehallen zur Elbphilharmonie kommen. Wir werden die Wege dicht machen.

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Auf BlockG20 (zusammenhängend mit blockg20.org) wird getwittert: „Wir werden zum #G20 in Hamburg am 7. Juli morgens die Zufahrten zur Messe blockieren; nachmittags die Ausfahrten zur Elphi“ oder „Wir lieben zu blockieren. Und am Aktionstag 7. Juli werden wir die rote Zone bunt gestalten.“

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Der Blog https://tschuess.noblogs.org bietet „eine Plattform für eine militante Koordinierung gegen den G20 in Hamburg 2017 und darüber hinaus. Hier werden Worte und Taten die sich gegen den Gipfel richten oder sich darauf beziehen dokumentiert und gesammelt. (…) um (…) den Angriff gegen die Herrschaft auszuweiten und zu intensivieren.“

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Auf der Internetseite linksunten.indymedia.org/de/node/206139 rufen „Autonome Gruppen“ im Artikel „[LE] Kämpfe verbinden!“ zu einer militanten Kampagne auf: „(…) Wir wollen mit unserem Kampagnenvorschlag einen weiteren Aspekt in die Anti-G20-Mobiliesierung einbauen: (…) Es liegt nah, dies für ein widerständiges Jahr 2017 offensiv aufzugreifen bzw. anzugreifen! Damit schließen wir uns diesem Aufruf zu einer militanten Kampagne an und unterstützen die Verbindung der lokalen und überregionalen Kämpfe. (…) Im Juni werden wir zusammen mit Gefährt*Innen aus ganz Europa das G20-Treffen zu einem Desaster machen.“

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Ebenso wird auf den Internetseiten https://linksunten.indymedia.org./de/node/205509 und linksunten.indymedia.org./de/ node205210 von unterschiedlichen Verfassern im Zusammenhang mit G20 zu einer „militanten Kampagne“ aufgerufen.

58

Auf der Internetseite https://linksunten.indymedia.org/de/node/205560 werden Hinweise und Bauanleitungen für den Bau von Hakenkrallen, Zunder, Zunderflaschen und Krähenfüßen im Zusammenhang mit „Nicht nur in Hamburg sagt man tschüss“ gegeben.

59

Auf der Internetseite https://linksunten.indymedia.org/de/node/199015 wird im Artikel „[B] Vive le Sabotage – Die Welt der G20 sabotieren“ wie folgt aufgerufen: „Es reicht uns! Wir wollen unsere Wut und unseren Widerstand unübersehbar auf die Straßen Hamburgs tragen! Wir rufen alle Gruppen und Menschen aus Berlin auf, zum G20 zu fahren und den Gipfel zu einem Desaster zu machen!“

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Auf www.facebook.com/notes/autonome-aktion-europe/valling-earth/1659924594033015 wird zum „G20 sabotieren!“ aufgerufen: „Und wir werden mit tausend verschiedenen Mitteln, friedlich und militant, Risse in ihre Mauer der Befriedung schlagen. Ob mittels Menschenblockaden an Zentren der Logistik, (….).“

61

Auf der Internetseite https://linksunten.indymedia.org/de/node/188436 wird im Artikel „Anarchistischer Aufruf gegen das G20-Treffen in Hamburg“ tituliert: G-20 Treffen angreifen! Hamburg ins Chaos stürzen! Die europäische Festung zerstören!“

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Auf der Internetseite http://www.g20-protest.de/was-ist-geplant/2-aktionskonferenz-89-april-in-hamburg/ heißt es: „Auf zur zweiten G20-Aktionskonferenz am 8./9. April 2017 in Hamburg. Am 7. und 8. Juli 2017 wird in Hamburg der G20-Gipfel stattfinden. Dagegen regt sich breiter gesellschaftlicher Widerstand: (…) eine Vorabenddemonstration am 6.7., ein Aktionstag am ersten Gipfeltag (7.7.), mit dem der reibungslose Ablauf des G20-Machtspektakels empfindlich gestört werden soll und eine internationale Großdemonstration am Samstag, den 8. Juli. (…) Der Startschuss fiel Anfang Dezember: Zu hunderten kamen Aktivist*innen nach Hamburg, um in die konkrete Vorbereitung für Juli 2017 zu gehen. In einer Vielzahl von Arbeitsgruppen wird der lokale Widerstand in den Stadtteilen organisiert, bereiten sich feministische und Jugendgruppen auf Aktionen vor, werden Nachttanzdemonstrationen und Raves, werden Blockaden des Gipfels und des Hafens geplant und eine gemeinsame Choreographie der Proteste diskutiert. Machen wir mit unserem entschlossenen Widerstand deutlich, dass die selbsternannten Retter*innen der Welt nicht willkommen sind – nicht zum G20 in Hamburg oder anderswo!“

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In der Printausgabe der „Fight Capitalism - Texte zu den G20-Protesten in Hamburg 2017“ der „Perspektive Kommunismus“ heißt es auf S. 17: „(…) Dass z.B. die Neueröffnung der EZB im Frühjahr 2015 in Frankfurt nicht als nette Sektparty in die Geschichte eingeht, sondern Erinnerungen an Rauchschwaden, überforderte Polizei und den Ausnahmezustand in der City hervorruft, ist eine wichtige Bestätigung und ein Ansporn für all diejenigen, die sich europaweit gegen die zerstörerische Sparpolitik der EU-institutionen wehren. Internationale Gipfeltreffen, wie der anstehende G20 stehen darüber hinaus (…) für das kriselnde Gesellschaftssystem, (…).“

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In englischer Sprache sind auf der Internetseite https://chance-operations.tumblr.com diverse Karten des Hamburger Stadtgebietes veröffentlicht worden, auf denen Reizobjekte, Blockadepunkte, vermutete Protokollstrecken und Rückzugsorte als auch der Flughafen verzeichnet sind.

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Auf der Internetseite https://linksunten.indymedia.org/en/node/213133 ist am 20.05.2017 ein „Anarchistischer Aufruf gegen die G20“ veröffentlicht worden. Dort heißt es: „Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, dass wenn sie sich treffen um die Aufrechterhaltung ihrer Macht zu planen, auch wir uns treffen um sie so gut es geht daran zu hindern und sie anzugreifen. (…) Es gibt keinen besseren Ort unserer Wut über das Bestehende freien Lauf zu lassen, als den des G20-Gipfels in Hamburg. (…)“ In der Kommentierung „Cooler Aufruf“ dazu heißt es: „Wir sollten auch bei der Wellcome to Hell“ Demo alternative Treffpunkte ausmachen, bzw. legale Kundgebungen anmelden, an denen man sich nach einer Zerschlagung der Demo wieder sammeln kann. (…)“.

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Aus diesen Quellen ist bei der im vorliegenden Eilverfahren möglichen Prüfung unter der Berücksichtigung des verfassungsrechtlich gebotenen Prüfungsmaßstabs [hierzu unter 2.] für das Gericht hinreichend ersichtlich, dass von zahlreichen Teilnehmern etwaiger Versammlungen zu erwarten ist, dass diese eine gezielte strategische Blockade der Transportkolonnen als Ausdrucksform ihres Protests gegen die Veranstaltung des G20-Gipfels und gegen seine Teilnehmer wählen werden und sich zum Teil auf diese Blockaden durch ein gezieltes Training in Gruppen vorbereiten. Insbesondere in den Straßenzügen um den Veranstaltungsort auf dem Hamburger Messegelände und am Flughafen, an denen die Anzahl der zu- und abführenden Straßen strukturell begrenzt ist, können solche Blockaden gravierende Gefahrquellen für die Gipfelteilnehmer verursachen, deren Wirkung durch die verminderte Manövrierfähigkeit besonders langer Fahrzeugkolonnen, wie beispielsweise die Kolonne des Präsidenten der Vereinigten Staaten, verstärkt werden.

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(c) Die ausweislich der ausgewerteten Quellen [hierzu zuvor unter: (b)] geplanten Verhinderungsblockaden begründen eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben der zu transportierenden Teilnehmer des G20-Gipfels. Denn im Falle einer Blockade der Transportkolonnen, durch die gegebenenfalls auch der Rückzug oder die Evakuierung der Kolonne beeinträchtigt wird, werden die in den Fahrzeugen befindlichen Gipfelteilnehmer und ihr Begleitpersonal zu einem leichteren Ziel etwaiger gewaltsamer Anschläge. Die Antragsgegnerin hat in der Begründung ihrer Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 hierzu nachvollziehbar ausgeführt, dass ein statisches Ziel gegenüber einem beweglichen Ziel mit Kurz- und Langwaffen oder sonstigen Anschlagsmitteln zielgenauer getroffen werden kann (Seite 50 der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017). Auch ist ein Angriff beziehungsweise ein Annähern von Störern im Falle des Stillstandes einer Fahrzeugkolonne leichter möglich ist, als bei einer fahrenden Kolonne.

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Ferner hat die Antragsgegnerin nachvollziehbar dargelegt, dass die Staatsgäste des G20-Gipfels und die Vertreter von Bund und Ländern als hochrangige Repräsentanten ihrer Staaten Ziele von Gefährdungen durch extremistische Täter oder irrational motiviert handelnde Personen sein können (vgl. Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017, Seite 49). Dies gilt insbesondere für extremistische Gewalttäter aus dem Spektrum islamistischer Terrororganisationen oder politisch motivierter Täter aus dem Ausland. Nachdem von der Antragsgegnerin in der Allgemeinverfügung herangezogenen Bericht des Hamburgischen Verfassungsschutzes für das Jahr 2016 leben allein in Hamburg 320 Personen, die der jihadistischen Strömung zugerechnet werden. Auch nach der Einschätzung des Bundeskriminalamts besteht weiterhin eine hohe abstrakte Gefahr, die sich jederzeit in Form von terroristischen Anschlägen und Entführungen konkretisieren kann. Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Gipfeltreffen in Hamburg aufgrund seiner internationalen medialen Aufmerksamkeit für extremistische Gewalttäter ein besonders attraktives Ziel für öffentlichkeitswirksame Anschläge darstellt. Hinsichtlich der Gefahrprognose hat die Antragsgegnerin im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ferner zutreffend auf die im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2016 ausgewiesenen 650 Personen in Hamburg und bundesweit 8500 gewaltbereiten Personen aus dem links-extremistischen Spektrum sowie auf 320 gewaltorientierte Personen aus dem rechtsextremen Spektrum in Hamburg verwiesen.

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Nachvollziehbar ist auch die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass einzelne Versammlungen, die sich auf oder in der Nähe einer Transportstrecke befinden, auch ohne eine Blockadeabsicht den Transport der Gipfelteilnehmer erheblich beeinträchtigen können. Dies gilt umso mehr bei einer naheliegenden Unterwanderung solcher Versammlungen durch Versammlungsteilnehmer mit einer strategischen Blockadeabsicht. Es dürfte auch für die Einsatzkräfte der Antragsgegnerin nicht möglich sein, zwischen Versammlungsteilnehmern mit und ohne Blockadeabsicht zu differenzieren.

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(d) Vor diesem Hintergrund sind die strategischen Blockaden, die nicht nur kurzfristig und symbolisch Protest ausdrücken sollen, sondern auf die Verhinderung dessen gerichtet sind, was politisch missbilligt wird, von der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Auch wenn Sitzblockaden bei passiver Haltung der Teilnehmer nicht als unfriedlich anzusehen sind und für sie folglich der Schutz des Art. 8 GG nicht von vornherein entfällt, überschreiten sie den Bereich der geistigen Auseinandersetzung, wenn sie sich nicht als demonstrative Sitzblockaden auf die Kundgabe einer Meinung und die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen beschränken, sondern auf die Beeinträchtigung der Rechte anderer und die Ausübung von Zwang sowie die Schaffung von Tatsachen gerichtet sind. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen durch gezielte und absichtliche Behinderung der Rechte Dritter zu steigern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90 u. a.; juris; Urt. v. 11.11.1986, 1 BvR 713/83, juris; OVG Lüneburg, Urt. v. 29.5.2008, 11 LC 138/06, juris, Rn. 53; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257, 259 f.). Die erkennbar geplanten Verhinderungsblockaden stellen insofern bereits für sich genommen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar.

71

(2) Es besteht auch die hohe Wahrscheinlichkeit der Gefährdung von Leib und Leben der Teilnehmer möglicher Versammlungen und unbeteiligter Dritter in dem von der Allgemeinverfügung erfassten räumlichen Bereich. Wie die Antragsgegnerin in der Begründung der Allgemeinverfügung nachvollziehbar dargelegt hat, besteht auf den Transportstrecken der Kolonnen aufgrund der hohen Geschwindigkeit der Kolonnenfahrzeuge und etwaiger Überbreite der Fahrzeuge ein Verletzungsrisiko infolge von Kollisionen zwischen Fahrzeugen und Versammlungsteilnehmern, insbesondere in Fällen einer Blockade der Transportstrecke. Es ist nach Überzeugung des Gerichts ferner nicht auszuschließen, dass ausländische Sicherheitskräfte – ungeachtet der Frage der Rechtmäßigkeit eines solchen Vorgehens – mit Gewalt gegen blockierende Versammlungsteilnehmer vorgehen, sollten diese Sicherheitskräfte einen gegenwärtigen Angriff auf ihre Schutzperson annehmen. Eine entsprechende Gefahr besteht dabei auch für unbeteiligte Teilnehmer des Straßenverkehrs in der Nähe derartiger Auseinandersetzungen.

72

(3) Etwaige Blockaden begründen ferner eine Gefährdung für das Schutzgut der Durchführung der staatlichen Veranstaltung des G20-Gipfels und das Schutzgut der auswärtigen Beziehungen des Bundes. Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist gemäß Art. 32 Abs. 1 GG Sache des Bundes. Wenn – wie im vorliegenden Falle des G20-Gipfels – der Besuch ausländischer Staats- und Regierungschefs in der Bundesrepublik Deutschland – nach der gerichtlich nicht zu überprüfenden Einschätzung der zuständigen Organe des Bundes – der Wahrung der guten Beziehungen zu ausländischen Staaten dient, ist dieser gemäß Art. 32 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützte Belang Teil der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.09.1987, 1 BvR 1112/87; OVG Greifswald, Beschl. v. 12.7.2006, 3 M 74/06, juris, Rn. 14, m.w.N.). Dabei können etwaige Verzögerungen des Transports der Gipfelteilnehmer zu den Veranstaltungsorten oder des Abtransports zum Flughafen die Veranstaltung des Gipfels in empfindlicher Weise in ihrem zeitlichen Ablauf stören oder bei einer umfassenden Blockade des Transports einer Vielzahl von Gipfelteilnehmern sogar den Abbruch der Veranstaltung zur Folge haben. Es liegt auf der Hand, dass durch solche Szenarien die auswärtigen Beziehungen des Bundes in erheblicher Weise nachteilig beeinträchtigt würden. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung in dem vorliegen Verfahren, ob in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG auch eingriffen werden kann, um zu verhindern, dass die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik durch Kundgebungen gegenüber fremden Staats- und Regierungschefs, die eine Duldung derartiger Vorgänge als unfreundlichen Akt empfinden könnten, belastet werden. Dies erscheint indessen wegen der konstitutiven Bedeutung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung zweifelhaft.

73

(4) Die zuvor dargelegten Gefahren für die ausländischen Gipfelteilnehmer, Versammlungsteilnehmer, unbeteiligte Dritte, die auswärtigen Beziehungen des Bundes und der staatlichen Veranstaltung des G20-Gipfels in Hamburg werden durch ein von der Antragsgegnerin als „Gemengelage“ bezeichnetes Zusammentreffen der Gefahrquellen, erhöht, die nach Auffassung der Kammer eine außerordentliche Gesamtgefahrenlage erzeugen, die sich von bisherigen versammlungsrechtlichen Lagen in Hamburg erheblich unterscheidet.

74

Wie die Antragsgegnerin eingehend dargelegt hat, obliegt ihren Polizeikräften sowie den aus den übrigen Bundesländern und benachbarten Mitgliedsstaaten hinzugezogenen Polizeikräften die Aufgabe, in dem Zeitraum der Durchführung des G20-Gipfels in Hamburg die Sicherheit der Gipfelteilnehmer während der Gipfelveranstaltungen, ihrer Unterbringung in den Hotels sowie insbesondere auf den Transportfahrten zwischen dem Flughafen, den Veranstaltungsorten und den Unterkünften sicherzustellen. Es handelt sich dabei um 30 Staats- und Regierungschefs und 20 Finanzminister mit zahlreichen Begleitpersonen. 42 Personen haben eine sicherheitsrelevante Gefährdungseinstufung. Die Unterbringung der Staatsgäste erfolgt dabei in mehreren, über das innere Stadtgebiet verteilten Hotels in den Straßen An der Alster, Sternschanze, Marseiller Straße, Dammtorwall, Rothenbaumchaussee, ABC-Straße, Große Bleichen, Neuer Jungfernstieg, Heiligengeistbrücke, Alter Wall, Bugenhagenstraße, Kirchenallee, Platz der Deutschen Einheit, Ferdinandstraße, St. Petersburger Straße, Bernhard-Nocht-Straße und Seewartenstraße (vgl. Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017, Seite 7). Daneben muss die Polizei der Antragsgegnerin und die im Wege der Amtshilfe entsandten Polizeikräfte der anderen Bundesländer und des Bundes die Sicherheit der zahlreichen angekündigten öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel anlässlich des G20-Gipfels gewährleisten. Hier erwartet die Antragsgegnerin nach einer für das Gericht nachvollziehbaren Auflistung in der Allgemeinverfügung insgesamt über 100.000 Versammlungsteilnehmer unterschiedlicher Versammlungen und Aufzüge. Dem tritt der Antragsteller nicht entgegen. So sind bereits bis zum 31. Mai 2017 für die Tage vom 7. Juli 2017 bis 8. Juli 2017 18 Versammlungen bzw. Aufzüge angemeldet:

75

04.07.2017 bis 08.07.2017, Versammlung, Valentinskamp 38 a-f/ Schierpassage, “Solidarische Oase Gängeviertel – Für grenzenlose Bewegungsfreiheit!“, angemeldet jeweils 5 – 100 Teilnehmer.

76

07.07.2017, Versammlung, Jungfernstieg / Reesendammbrücke “USA: brücken bauen statt Mauern!“, angemeldet sind ca. 50 Teilnehmer.

77

07.07.2017, Versammlung, Valentinskamp/Caffamachareihe auf der Kreuzung, “Infrastructure to the people!“, angemeldet sind ca. 100 Teilnehmer.

78

07.07.2017, Versammlung, Gerhart-Hauptmann-Platz, “Gay20-Gipfel. Für die globalen Menschenrechte von LGBT!”, angemeldet sind 500 – 1.000 Teilnehmer.

79

07.07.2017, Versammlung, Ottensener Hauptstraße, „Menschenrechtsverletzungen im indisch besetzten Teil von Kaschmir!“, der Anmelder erwartet ca. 60 Teilnehmer.

80

07.07.2017, Versammlung, “One World – One Vibe!“, Reeperbahn / Spielbudenplatz, angemeldet sind ca. 5.000 Teilnehmer.

81

07.07.2017, Aufzug, „Solidarität statt G20!“, Hachmannplatz über Jungfernstieg zum Allende Platz, angemeldet sind ca. 400 Teilnehmer.

82

07.07.2017, Versammlung, „Welcome China!“, vor dem Hotel Grand Elysee, Tesdorpfstraße, der Anmelder erwartet 15 Teilnehmer.

83

07.07.2017, Versammlung, „Welcome China!“, vor dem Hotel Grand Elysee, Moorweidenstraße, der Anmelder erwartet 15 Teilnehmer.

84

07.07.2017, Aufzug, „Revolutionäre Anti-G20-Demo, G20-entern - Kapitalismus versenken!“, Reeperbahn über Baumwall, Niederbaumbrücke – Am Sandtorkai – Bei St. Annen – Brandstwiete – Alter Fischmarkt – Schmiedestraße – Bergstraße – Jungfernstieg – Gänsemarkt – Valentinskamp – Dragonerstall – Holstenwall – Millerntordamm – Millerntorplatz, der Anmelder erwartet ca. 2.000 Teilnehmer.

85

07.07.2017 bis 08.07.2017, Versammlung, „Gegen die Unterdrückung der arabischen Bevölkerung durch den Iran und gegen die Todesstrafe im Iran - G20 ist auch für die Menschenrechtsverletzungen im Al-Ahwaz verantwortlich!“, Messeplatz, die Veranstalter erwarten ca. 20 Teilnehmer.

86

08.07.2017, Versammlung, „Welcome China!“, vor dem Hotel Grand Elysee, Tesdorpfstraße, der Anmelder erwartet 15 Teilnehmer.

87

08.07.2017, Versammlung, „Welcome China!“, vor dem Hotel Grand Elysee, Moorweidenstraße, der Anmelder erwartet 15 Teilnehmer.

88

08.07.2017, Versammlung, “One World – One Vibe!” Reeperbahn / Spielbudenplatz, angemeldet sind ca. 5.000 Teilnehmer.

89

08.07.2017, ein Aufzug, “G20 – not welcome!“, angemeldet sind 50.000 – 100.000 Teilnehmer (Kooperierte Strecke: Deichtorplatz über Willy-Brandt-Straße - Ludwig-Erhard-Straße – Millerntordamm – Millerntorplatz – Reeperbahn – Holstenstraße - Simon-von-Utrecht-Straße - Budapesterstraße; als Endkundgebungsort plant der Veranstalter das Heiligengeistfeld, die Versammlungsbehörde hat den Millerntorplatz angeboten).

90

08.07.2017, zwei Aufzüge, “Hamburg zeigt Haltung!“, angemeldet sind 20.000 – 30.000 Teilnehmer: Katarinnenkirchhof über Baumwall zum Fischmarkt und Katarinnenkirchhof über Willy-Brandt-Straße bis zum Fischmarkt.

91

08.07.2017, Versammlung, „Für die Berücksichtigung der Menschenrechte im indisch besetzten Teil von Kaschmir!“, Marco-Polo-Terrassen, der Veranstalter erwartet ca. 80 Teilnehmer.

92

08.07.2017, Versammlung, „Menschenrechte für die Muslime in Kaschmir Indien!“, Messeplatz/Heinrich-Hertz-Turm, der Veranstalter erwartet ca. 50 Teilnehmer, Versammlung findet nach Kooperation Magellanterrassen statt.

93

Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hat die Antragsgegnerin ferner vorgetragen, dass seit der Bekanntgabe der Allgemeinverfügung weitere 6 Versammlungen bei ihr angemeldet worden seien. Ferner sei noch mit zahlreichen unangemeldeten Versammlungen zu rechnen. Es obliegt der Antragsgegnerin, alle diese Versammlungen vor unfriedlichen Versammlungsteilnehmern und Störern zu schützen und der zurzeit bestehenden allgemeinen Gefährdung öffentlicher Veranstaltungen durch terroristische Gewalttäter wirksam zu begegnen.

94

Es bestehen vor dem Hintergrund der von der Antragsgegnerin vorgelegen Informationen ferner konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine größere Zahl gewaltorientierter Personen in eigenen Aufzügen oder aus friedlichen Versammlungen oder Aufzügen heraus gewaltsame Auseinandersetzungen mit den Polizeikräften der Antragsgegnerin suchen wird. Nach der Lagebeurteilung der Polizei der Antragsgegnerin vom 31. Mai 2017, Seite 25, wird insbesondere anlässlich der Demonstration „für eine solidarische Welt – gegen den G20 Gipfel in Hamburg!“ am 6. Juli 2017 mit einer Teilnahme von 7000-8000 gewaltbereiten Extremisten am Aufzug gerechnet. Auch für den Aufzug am 7. Juli 2017 des Bündnisses „G 20 entern“ wird eine Beteiligung extremistisch gewaltbereiter Personen erwartet (Lagebeurteilung der Polizei vom 31. Mai 2017, Seite 25). Auch vor den von diesen Personen ausgehenden Gefahren muss die Antragsgegnerin friedliche Versammlungsteilnehmer und unbeteiligte Dritte schützen. Schließlich obliegt der Antragsgegnerin die Gewährleistung der allgemeinen öffentlichen Sicherheit im Stadtgebiet während der Dauer der Gipfelveranstaltungen.“

95

Diesen Ausführungen schließt sich das Beschwerdegericht an.

96

Die dargestellten Gefahren für die ausländischen Gipfelteilnehmer, Versammlungsteilnehmer, unbeteiligte Dritte, die auswärtigen Beziehungen des Bundes und die staatliche Veranstaltung des G20-Gipfels in Hamburg werden auch durch die neuesten Erkenntnisse noch einmal unterstrichen:

97

So äußerten sich etwa Rechtsanwalt B. und der „Alt-Autonome Peter H.“ in einem am 19. Juni 2017 in der taz.nord abgedruckten Interview (Bl. 38 der Sachakte, Band 4) u. a. wie folgt: „B.: ‚(…) Es wird einer der größten schwarzen Blöcke, die es in Europa jemals gegeben hat. Das merken wir schon an der Mobilisierung.‘(…) B. : ‚G20 in Hamburg – und dann auch noch im linken Szeneviertel – wird als eine unglaubliche Provokation (…) verstanden. Die wollen hier mit 20.000 Einsatzkräften üben und wir wollen es ihnen schwer machen.‘ (…) Peter H.: ‚Wir sind auch beteiligt an den Blockaden und an der Großdemonstration am 8. Juli.‘ B. : ‚Es bringt ja nichts, super peacig anzufangen und sich dann langsam zu steigern. Wir wollen zeigen: Das läuft so nicht und ihr macht nie wieder einen Gipfel in einer europäischen Großstadt. Um das deutlich zu machen, sind einige Leute bereit, ein gewisses Risiko einzugehen.‘ B. : ‚(…) Wenn sie uns nicht losgehen lassen, werden wir das nicht kampflos hinnehmen. Oder wenn sie uns (…) sofort angreifen, wird es natürlich knallen.‘“ Auf der Internetseite http://www.attac.de/kampagnen/g20-in-hamburg/aktionstag-7-juli/ (abgerufen am 2. Juli 2017) heißt es zum Aktionstag 7. Juli von attac: „Am frühen Morgen wird versucht, die Straßen rund um die Messe zu verstopfen, um Sand im Getriebe des Gipfels zu sein.“ Auf der Internetseite http://www.blockg20.org/termine (abgerufen am 2. Juli 2017) wird ausgeführt: „Uns reicht es dabei nicht nur symbolisch zu protestieren um unsere Ablehnung der G20 kund zu tun. Wir werden den Ablauf des Gipfels stören und uns die Straßen und die Stadt zurückholen. Wir werden am ersten Tag des Gipfels, Freitag den 07.Juli, die Anreise der Gipfelteilnehmer zu den Messehallen in St. Pauli blockieren.“

98

Seit dem Erlass der Allgemeinverfügung sind ferner zehn weitere Versammlungen und Aufzüge innerhalb der räumlichen und zeitlichen Geltungsdauer der Allgemeinverfügung angemeldet worden:

99

05.07.2017, 10:00 Uhr bis 08.07.2017, 22:00, verändert vom Anmelder auf Marktstraße/Olmühle „G20 bedeutet Krieg! Dauermahnwache zu Krieg und Flucht!

100

07.07.2017, 12:00 bis 15:00 Uhr, Große Reichenstraße 27 „Freihandel Macht Flucht!“ (Attac)

101

07.07.2017, 13:00 bis 15:00 Uhr, Hauptbahnhof, Deichtorhallen – Hauptbahnhof „Neoliberalismus ins Museum, Satirische Performance, Prozession!“ (Attac)

102

07.07.2017, 14:00 bis 16:00 Uhr, Mönckebergstraße Ecke Spitalerstraße „Gutes Leben für alle statt Wachstumswahnsinn!“ (Attac)

103

07.07.2017, 12:00 bis 16:00 Uhr, Neuer Jungfernstieg „Freihandel Macht Flucht!“ (Attac)

104

07.07.2017, 20:00 bis 08.07.2017, 06:00 Uhr, Alter Wall 40, vor dem Hotel Sofitel „Pro-Erdogan-Demo!“

105

07.07.2017, 10:00 bis 20:00 Uhr, Moorweidenstraße / Edmund-Siemers-Allee, Platz der jüdischen Deportierten „Kundgebung und Mahnwache: Texte und Zeichen gegen Kriege und Hass!“

106

07.07.2017, 10:00 bis 12:00 Uhr, Bruno-Georges-Platz 1, vor der Versammlungsbehörde „Versammlung für die Versammlungsfreiheit!“

107

08.07.2017, 10:00 bis 12:00 Uhr, Johanniswall / Altstädter Straße, vor der BIS „Versammlung für die Versammlungsfreiheit!“

108

08.07.2017, 11:00 bis 13:00 Uhr, Fuhlsbüttler Straße 236, „Barmbek sagt Nein zu Thor Steinar!“

109

dd) Die Antragsgegnerin dürfte sich auch zu Recht auf den polizeilichen Notstand berufen haben, um ein räumlich und zeitlich beschränktes präventives Versammlungsverbot unter Einbeziehung sämtlicher Versammlungen, auch wenn von diesen selbst keine unmittelbare Gefahr ausgeht, zu rechtfertigen.

110

Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet ist – wovon auch die Antragsgegnerin in ihrer Allgemeinverfügung ausgeht –, wäre sie grundsätzlich nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorliegen. Grundsätzlich gilt, dass in Fällen, in denen sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter zu befürchten sind, polizeiliche Maßnahmen in erster Linie gegen etwaige Störer zu richten sind (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 17; OVG Hamburg, Beschl. v. 11.9.2015, 4 Bs 192/15, NordÖR 2016, 219, juris Rn. 19). In diesen Fällen kommen Verbote und Beschränkungen der friedlichen Versammlung selbst nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes in Betracht. Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstandes setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden können und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen. Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die Behörde zunächst gegen diese vorzugehen (BVerwG, Beschl. v. 1.10.2008, 6 B 53/08, juris Rn. 5). Dies setzt wiederum voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, juris Rn. 17; OVG Hamburg, Beschl. v. 11.9.2015, 4 Bs 192/15, NordÖR 2016, 219, juris Rn. 19).

111

Es ist zweifelhaft, ob sich diese Rechtsprechung, die auf typische versammlungsrechtliche Konstellationen bezogen ist, ohne weiteres auf die hiesige übertragen lassen kann. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass es vorliegend nicht um eine Situation geht, in der sich Veranstalter und Teilnehmer einer Versammlung friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter zu befürchten sind. Die Allgemeinverfügung verbietet eine Vielzahl – im Einzelnen nicht bekannter – Versammlungen und berücksichtigt eine Vielzahl unterschiedlicher Gefahrenlagen. Zweitens ist die Situation vorliegend nicht allein dadurch gekennzeichnet, dass es in erster Linie um den Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung geht. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich vorliegend um eine komplexe polizeirechtliche Einsatzsituation. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss darauf hingewiesen, dass der Antragsgegnerin während des G20-Gipfels der Schutz von zahlreichen, zum Teil erheblich gefährdeten Gipfelteilnehmern in den Veranstaltungsorten und auf den Transportfahrten obliegt und sie zugleich die Sicherheit von angemeldeten Versammlungen mit über 100.000 erwarteten Teilnehmern zu gewährleisten habe. Neben den angemeldeten Versammlungen ist zudem mit weiteren spontanen Versammlungen mit nicht abschätzbarer Teilnehmerzahl zu rechnen. Die außerordentliche Einsatzlage der Polizei ist auch durch die Unvorhersehbarkeit von Marschstrecken und Versammlungsorten insbesondere von Spontanversammlungen, aber auch durch die Unvorhersehbarkeit des Verlaufs angemeldeter Versammlungen gekennzeichnet. Drittens verweist die Antragsgegnerin in der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung in nachvollziehbarer Weise auf das Problem, dass Gewalttätige und/oder Personen mit Blockadeabsicht einer friedlichen Versammlung zulaufen könnten und eine Erkennbarkeit und damit Trennung bzw. Differenzierung zwischen Störern und Nichtstörern nicht mehr möglich wäre (Seite 44). Zum anderen besteht die Besonderheit, dass sich auch friedliche Versammlungen ohne Blockadeabsicht faktisch als Störer erweisen können, indem sie allein durch ihre Anwesenheit oder durch den Zu- und Weggang die Absicherung der Transport- oder Evakuierungsstrecken verhindern. In diesem Zusammenhang dürfte maßgeblich sein, inwieweit im Rahmen einer Abwägungsentscheidung auch friedliche Versammlungen mit Blick auf das – andere Verfassungsgüter schützende – Sicherheitskonzept der Antragsgegnerin verboten werden können.

112

Auch bei einer Anwendung der oben genannten Rechtsprechung zu dem polizeilichen Notstand hat jedoch die Antragsgegnerin hinreichend konkret dargelegt, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden können und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen.

113

Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, die Antragsgegnerin habe sich nur auf den polizeilichen Notstand berufen, um unliebsame Versammlungen zu verhindern. Die Antragsgegnerin hat den zur Abwehr der oben genannten Gefahren erforderlichen Bedarf an Polizeikräften konkret dargelegt. Nach ihrer Einschätzung werden zu den Protesten anlässlich des G20-Gipfels am 7. und am 8. Juli 2017 etwa 8.000 gewaltbereite Personen erwartet, von denen sowohl innerhalb von Versammlungen als auch außerhalb von Versammlungen Störungen für die öffentliche Sicherheit ausgehen. Bei einem erforderlichen und verwaltungsgerichtlich anerkannten Schlüsselverhältnis von 3:1 (Verhältnis Polizeibeamte zu Störer) sind zur Gefahrenabwehr grundsätzlich 24.000 Polizeikräfte in geschlossenen Einheiten erforderlich, wobei der Antragsgegnerin hierbei ein Prognosespielraum zukommt (vgl. VG Hamburg. Urt. v. 6.10.2000, 20 VG 3276/99, juris Rn. 12). Diese Anzahl von Polizeikräften ist nach dem Vortrag der Antragsgegnerin tatsächlich nicht erreichbar, wie es sich auch schon bei anderen vergleichbaren Großereignissen gezeigt hat. Der Bedarf sei daher – angesichts der theoretisch überhaupt verfügbaren Kräfte – von ihr auf 104 Hundertschaften und 48 Wasserwerfer festgelegt worden, von denen 45 Hundertschaften auf die Einsatzabschnitte Veranstaltungsort, Objektschutz, Flughafen und Luft entfielen und 59 Hundertschaften auf die Einsatzabschnitte Raum- und Streckenschutz, Gegenveranstaltungen sowie Eingreifkräfte (eidesstattliche Versicherung des Leiters des Vorbereitungsstabs G20 und Vermerk des Vorbereitungsstabs G20 jeweils vom 23. Juni 2017). Den jeweils konkreten Kräftebedarf und die Kräfteausstattung dieser Bereiche hat die Antragsgegnerin aus Sicherheitsgründen nicht einzeln benannt. Dabei sei insgesamt zu berücksichtigen, dass der Einsatz rund um die Uhr laufe und für die in den Hundertschaften eingesetzten Beamten der erforderliche Schlaf einzuplanen sei. Diese Angaben sind in sich stimmig. Die Antragsgegnerin hat in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hingewiesen, dass sich der Bedarf auch nicht – anders als der Antragsteller annimmt – angesichts der sonstigen technischen Unterstützung verringert. Diese waren bereits von Anfang an in der Planung und in der Abforderung enthalten (vgl. Bd. 4 der Sachakte, S. 49).

114

Die Antragsgegnerin hat zudem im Sinne der an die Annahme eines polizeilichen Notstandes zu stellenden Anforderungen hinreichend konkret dargelegt, dass die Länder und der Bund aufgrund der Kräfteanforderungen vom 7. April 2017 und der erneuten Kräfteanforderungen vom 18. Mai 2017 und vom 9. Juni 2017 reagiert und 74 Hundertschaften zur Verfügung gestellt hätten (71 Hundertschaften von den fünfzehn anderen Bundesländern und 3 Hundertschaften vom Bund), so dass einschließlich der von Hamburg zur Verfügung zu stellenden Hundertschaften insgesamt 82 Hundertschaften verfügbar sein werden. Nach einer erneuten Kräfteanforderung am 30. Juni 2017 stehen der Antragsgegnerin nunmehr 84 Hundertschaften zur Verfügung. Der Bedarf an Wasserwerfern könne ebenfalls nicht gedeckt werden, da nur 45 Wasserwerfer zur Verfügung stünden und nicht wie geplant 48. Soweit der Antragsteller rügt, dass hier teils andere Zahlen (15.000 Polizeikräfte) in Pressekonferenzen genannt worden seien, vermag dies die konkreten Darlegungen der Antragsgegnerin nicht in Zweifel zu ziehen. Die Antragsgegnerin führt insoweit nachvollziehbar aus, dass es nicht auf die Gesamtzahl der Kräfte ankomme, sondern auf diejenigen, die für die Einsatzabschnitte „Veranstaltungsort, Objektschutz, Flughafen, Luft“ sowie „Raum- und Streckenschutz, Gegenveranstaltungen, Eingreifkräfte“ entfielen. Ein Großteil der maximal zur Verfügung stehenden Kräfte ist in andere Maßnahmen eingebunden (z.B. Technik, Öffentlichkeitsarbeit).

115

Im Zusammenhang mit den Kräfteanforderungen hat sie darüber hinaus vorgetragen, weitere Hundertschaften könnten vom Bund und den Ländern nicht mehr bereitgestellt werden. Die Antragsgegnerin genügt mit ihren Angaben den an sie gestellten Darlegungsanforderungen. Zur Kräfteausstattung hat die Antragsgegnerin ausgeführt, dass von den 82 Hundertschaften 12 Hundertschaften sogenannte Alarmhundertschaften seien. Daran sei zu erkennen, dass bereits außerordentliche Reserven mobilisiert worden seien. Die Antragsgegnerin stelle hiervon 8 Hundertschaften, davon 4 Alarmhundertschaften bereit. Aus welchem Bundesland wie viele Kräfte jeweils entsendet werden, hat die Antragsgegnerin aus Sicherheitsgründen nicht offen gelegt, da – so ihr Vortrag – aus einigen Bundesländern sogar sämtliche Hundertschaften für das Ereignis anreisen. Alle Bundesländer, die über einsatzbereite Wasserwerfer verfügten, und der Bund hätten Wasserwerfer – insgesamt 45 – zur Verfügung gestellt. In den Bundesländern müssten zum Schutz des Art. 2 Abs. 2 GG (Leib und Leben) insbesondere aufgrund der erhöhten abstrakten Terrorgefahr Hundertschaften verbleiben, um in ad hoc-Lagen zur Gefahrenabwehr reagieren zu können. Dies sei umso mehr in den Bundesländern erforderlich, die entsprechend weit von Hamburg entfernt lägen, so dass Kräfte im Notfall nicht schnell genug zurück in ein anderes Bundesland verlagert werden könnten. Große Bundesländer (z. B. Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen) benötigten mehr Reserve, um überhaupt die Fläche ihres jeweiligen Bundeslandes abdecken zu können. Die übrigen Hundertschaften der Bundespolizei seien in den Aufgaben Grenzkontrollen, Sicherung eigener Liegenschaften (z. B. Bahnhöfe) – insbesondere nach den im Juni 2017 erfolgten Brandanschlägen auf Kabelkästen – eingebunden. Dieser Vortrag genügt den Darlegungsanforderungen. Dass einzelne Länder aus den oben dargelegten Gründen der Sicherheit keine konkreten Zahlen ihrer Kräfte mitteilen können, ist vor dem Hintergrund der bekannten Sicherheitslage unproblematisch.

116

Diese konkreten Angaben der Antragsgegnerin zu der bevorstehenden Einsatzlage verdeutlichen, dass im Hinblick auf die zahlreichen Aufgaben der Gefahrenabwehr beim G20-Gipfel in Hamburg die Kapazität der Polizei auch unter vollständiger Ausschöpfung der im Wege der Amtshilfe aus den Ländern und vom Bund entsandten Kräfte nicht ausreicht, um den zusätzlichen Bedarf an Polizeikräften für Versammlungen in dem von der Allgemeinverfügung erfassten Gebiet abdecken zu können, insoweit also ein polizeilicher Notstand vorliegt. In den Einsatzabschnitten „Veranstaltungsort“, „Objektschutz“, „Flughafen“ und „Luft“ könnten nicht weniger Kräfte als 44 Hundertschaften eingesetzt werden. Der Bedarf in den Bereichen „Raum- und Streckenschutz“, „Gegenveranstaltung“ und „Eingreifkräfte“ liege bei 59 Hundertschaften. Unter Berücksichtigung der verfügbaren Kräfte (38 statt 59 Hundertschaften) komme es dort zu einer Unterdeckung von 21 Hundertschaften. Darüber hinaus würden in Einsatzabschnitten, die nicht in Kontakt mit Störern stünden, Kräfte wie beispielsweise das Landeskriminalamt, die Verkehrsdirektion, die Wasserschutzpolizei und Kräfte der Logistik, Technik und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Auch für diese Einsatzabschnitte würden Kräfte aus anderen Bundesländern eingesetzt. Die Spezialkräfte, bei denen zum Teil Einsatzkräfte aus dem Ausland tätig würden, hätten wiederum konkrete und nicht auswechselbare Aufgabenbereiche.

117

ee) Liegen demnach die tatbestandlichen Voraussetzungen für das zeitlich und räumlich beschränkte Versammlungsverbot vor, so erweist sich die Entscheidung der Antragsgegnerin auch nicht als ermessensfehlerhaft. Hierbei ist zu beachten, dass die Versammlungsfreiheit nur dann zurückzutreten hat, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (BVerfG, Beschl. v. 21.4.1998, 1 BvR 2311/94, juris Rn. 27). Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs erweist sich das mit der Allgemeinverfügung verfügte räumlich und zeitlich befristete Versammlungsverbot als verhältnismäßig.

118

Das Verwaltungsgericht Hamburg hat im angefochtenen Beschluss hierzu zutreffend ausgeführt:

119

„(1) Es dürfte geeignet sein, die zuvor bezeichneten Gefahren für die genannten Schutzgüter erheblich zu reduzieren. Durch die verfügte Untersagung von Versammlungen im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung werden die in diesem Bereich verorteten Transportstrecken von Versammlungsteilnehmern freigehalten und weitere Gefahren, die durch Versammlungen verursacht werden können, vermieden. Würden in dem räumlichen Bereich der Allgemeinverfügung angemeldete oder auch nicht angemeldete Versammlungen oder Aufzüge durchgeführt werden, stünden diese nicht als Transportstrecken oder als Rettungs- und Evakuierungsstrecken zur Verfügung, wodurch sich die Variabilität des Streckenkonzepts der Antragsgegnerin sicherheitsrelevant verschlechtern würde. Die Verbotsverfügung ermöglicht den Polizeikräften der Antragsgegnerin zudem eine unmittelbare Reaktion auf Blockierer – nämlich durch eine Auflösung entsprechender Versammlungen nach § 15 Absatz 4 VersG.

120

(2) Das zeitlich und räumlich begrenzte Versammlungsverbot der Allgemeinverfügung dürfte auch erforderlich sein. Die Kammer kann ein milderes, aber gleich geeignetes Mittel, um die unmittelbaren Gefahren für die Gipfelteilnehmer, Versammlungsteilnehmer und unbeteiligt Dritte abzuwehren, derzeit nicht erkennen.

121

(a) Das in der Allgemeinverfügung geregelte Versammlungsverbot ist sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht erforderlich. In zeitlicher Dimension ist der Geltungsbereich erkennbar an der zeitlichen Abfolge der Gipfelveranstaltungen orientiert und wird durch diese angemessen begrenzt. Auch den räumlichen Geltungsbereich hat die Antragsgegnerin nachvollziehbar auf das räumlich für die sichere Durchführung der anstehenden Transportfahrten Notwendige begrenzt. Die Antragsgegnerin hat mit der Allgemeinverfügung das Versammlungsverbot räumlich in dem unter Ziffer I. 1. begrenzten Gebiet auf eine Flächen von ca. 36 Quadratkilometer und in dem unter Ziffer I. 2 dargestellten Bereich eine Fläche von ca. 2 Quadratkilometer ausgewiesen, was nach ihren Berechnungen etwa 5 Prozent des Staatsgebietes der Freien und Hansestadt Hamburg ausmachen soll. Die maximale Nord-Süd-Ausrichtung der Verfügung soll ca. 8,8 Kilometer (Luftlinie) und in der Ost-West-Ausrichtung an der breitesten Stelle ca. 4,8 Kilometer (Luftlinie) betragen. Um auf mögliche Blockaden oder sonstige Störungen örtlich und zeitlich reagieren zu können, sei zur Absicherung der Protokollstrecken sowie der Rettungs- und Evakuierungswege ein an den tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten ausgerichteter Abstand (Straßenverlauf etc.) erforderlich. Die Kammer hat – wie zuvor dargestellt – anhand der von der Antragsgegnerin vorgelegten Übersichtskarte erkennen können, dass im Hinblick auf das Sicherheitskonzept der Antragsgegnerin variabler Transport-, Rettungs- und Evakuierungskorridore zwischen den Messehallen und dem Flughafen sowie zwischen den Messehallen und den Hotels, in denen die Gipfelteilnehmer untergebracht sind, in dem ausgewählten Bereich nur eine begrenzte Anzahl von Straßen bereitsteht, die sich für den Transport eignen. Soweit die Antragsgegnerin in der Begründung der Allgemeinverfügung dargelegt hat, dass östlich des Veranstaltungsortes Messehallen insbesondere zwischen den Straßenzügen Ludwig-Erhard-Straße, Willy-Brandt-Straße, Domstraße, Steinstraße, Steintorwall, Steintordamm, Adenauerallee, Beim Strohhause, Berliner Tor, Lohmühlenstraße, An der Alster, Kennedybrücke sowie Alsterglacis, Mittelweg, Moorweidenstraße, An der Verbindungsbahn, die von der Nord-Süd-Trasse erfasst sind, die Hotels der Schutzpersonen und Delegationen, liegen würden, sodass in diesem Bereich Transportfahrten geschützt werden müssten (Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 Seite 53), ist dies für die Kammer nachvollziehbar. Soweit die Antragsgegnerin in der Begründung der Allgemeinverfügung dargelegt hat, dass westlich und südlich der Messehallen ein Bereich von Versammlungen freizuhalten sei, der es ihren Polizeikräften taktisch ermögliche, eine entsprechend hohe Anzahl von Versammlungsteilnehmern von einem Einwirken auf den Veranstaltungsort abhalten zu können, erscheint dies ebenfalls nachvollziehbar. Dass hierzu – wie die Antragsgegnerin geltend macht – bei einem Heranrücken von Versammlungsteilnehmern geeignete technische und taktische Maßnahmen ergriffen werden müssen, für die geeignete Flächen sowie ein geeigneter Aktionsraum für die Aufstellung von technischen Sperren und Polizeikräften zur Verfügung stehen müssen (Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017, Seite 55), ist ebenfalls plausibel. Die südliche Erweiterung des räumlichen Verbotsbereichs nach Ziffer I. 2. der Allgemeinverfügung, mit der die Antragsgegnerin beabsichtigt, mit einem zeitlichem Vor- und Nachlauf den Transport der Gipfelteilnehmer zum Veranstaltungsort „Elbphilharmonie“ und gegebenenfalls deren Evakuierung zu sichern, erscheint auch nachvollziehbar. Dass die Antragsgegnerin vor diesem Hintergrund angenommen hat, dass weder engere Bereiche noch ein kürzerer Zeitraum für die Verbotsverfügung in Betracht können (vgl. der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017, Seite 61), ist für die Kammer insgesamt nachvollziehbar.

122

(b) Das Konzept des Erlasses von beschränkenden Einzelverfügungen gegenüber einzelnen angemeldeten Versammlungen ist weder gleich geeignet noch weniger belastend. Denn hierdurch dürfte das von der Antragsgegnerin gewählte Sicherheitskonzept variabler Transport- und Evakuierungstrecken im Hinblick auf die ohnehin begrenzte Anzahl der zur Verfügung stehenden Strecken erheblich beeinträchtigt werden. Es ist zudem wahrscheinlich, dass die Antragsgegnerin zur Aufrechterhaltung ihres Sicherheitskonzepts einzelne Verbotsverfügungen für die bereits durch die Allgemeinverfügung erfassten räumlichen Bereiche erließe, die sich von der Begründung der Allgemeinverfügung nicht unterscheiden würden.

123

(c) Dass die Antragsgegnerin ferner das Konzept einer einzelnen, von vorneherein feststehenden Transportstrecke, die durch umfangreiche bauliche und polizeiliche Maßnahmen abzusichern wäre, verworfen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn einerseits erscheint ein solches Transportkonzept weniger sicher als das Konzept variabler Transportstrecken, andererseits hätte eine solche Absicherung der entsprechenden Straßenzüge eine erhebliche Beeinträchtigung der Bürgerinnen und Bürger der Stadt, insbesondere der Anwohner der unmittelbaren Umgebung, zur Folge, da es faktisch zu einer Trennung des Stadtgebiets entlang des Straßenzugs durch die Sicherungsmaßnahmen kommen würde (vgl. auch Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017, Seite 55). Wie die Antragsgegnerin nachvollziehbar in der Allgemeinverfügung ausgeführt hat, wäre es nämlich erforderlich, die Strecke mit Gittern abzusperren und mit Polizeikräften über die gesamte Zeit des G20-Gipfels zu sichern. Es müssten an den Fahrbahnrändern geparkte Fahrzeuge entfernt, Fahrräder und Mülleimer beseitigt und an neuralgischen Punkten spezifische Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden. Auch müssten Betretungsverbote in der näheren Umgebung der Transportrouten erlassen werden (Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017, Seite 57). Darüber hinaus müssten für die verschiedenen Unterbringungshotels zusätzlich weitere Strecken gesichert werden. Vor allem aber verweist die Antragsgegnerin zutreffend darauf, dass die Festlegung zuvor abgesicherter Strecken, die vorab in der Öffentlichkeit bekannt würden, gezielte Anschläge erleichtern würde.

124

(d) Innerhalb der von der Antragsgegnerin definierten Bereiche können Freiflächen für Versammlungen zwischen den Transport- und Evakuierungsstrecken nicht bereitgestellt werden. Soweit die Antragsgegnerin hierzu ausführt, dass hierdurch die jeweiligen Transportstrecken in der Öffentlichkeit nachvollzogen werden könnten und damit der Schutz der Gipfelteilnehmer nicht mehr gewährleistet werden könne und insbesondere blockadeinteressierte Personen die Transportstrecken antizipieren könnten, ist dies für die Kammer nachvollziehbar. Wie die Antragsgegnerin ferner zutreffend geltend macht, wäre zu besorgen, dass etwaige Versammlungsteilnehmer auf dem Weg zu solchen „Freiflächen“ die Transport- und Evakuierungsrouten queren müssten.

125

(e) Im Hinblick auf die Vielzahl der durchzuführenden Transporte der Gipfelteilnehmer und die zahlreichen angekündigten Blockadeteilnehmer dürfte es der Antragsgegnerin auch nicht möglich sein, erst vor Ort gegen einzelne Versammlungen oder Blockaden vorzugehen, insbesondere weil durch jede einzelne Blockade einer Transportkolonne erhebliche unmittelbare Gefahren für die Sicherheit der Gipfelteilnehmer sowie der Störer und unbeteiligten Versammlungsteilnehmer entstehen würden. Im Falle der Auflösung einzelner Blockaden besteht zudem die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sogleich andernorts neue Blockaden entstehen würden. Es erscheint im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin vorgelegten Zahlen auch nicht möglich, dass die Polizeikräfte der Antragsgegnerin alle verfügbaren Transportstrecken gleichzeitig schützen können. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Antragsgegnerin Einsatzkräfte nicht in unbegrenzter Zahl zur Verfügung stehen, sondern – wie zuvor dargelegt – sogar in den Einsatzabschnitten „Raum- und Streckenschutz“, „Gegenveranstaltung“ und „Eingreifkräfte“ eine Unterdeckung vorliegt.

126

(3) Das von der Antragsgegnerin verfügte räumlich und zeitlich begrenzte Versammlungsverbot dürfte auch angemessen sein. Der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Versammlungsteilnehmer stehen vorliegend der Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Gipfelteilnehmer, der Versammlungsteilnehmer und sonstiger Dritter sowie der Schutz der auswärtigen Beziehungen des Bundes und der staatlichen Veranstaltung des G20-Gipfels gegenüber. Durch die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2017 werden diese Rechtsgüter in einen praktisch konkordanten Ausgleich gebracht.

127

Die Antragsgegnerin hat bei ihrem Gesamtkonzept ausweislich der Begründung der Allgemeinverfügung unter Beachtung der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG berücksichtigt, dass an anderer Stelle im Hamburger Stadtgebiet für Versammlungen und Aufzüge attraktive und öffentlichkeitswirksame Plätze zur Verfügung gestellt werden müssen. Aus der Begründung der Allgemeinverfügung folgt, dass sie bestrebt ist, Aufzüge und Versammlungen in hinreichender Nähe zum Veranstaltungsort zu ermöglichen. Sie habe zunächst sämtliche Strecken und Plätze insbesondere in unmittelbarer Nähe zum Veranstaltungsort der Messehallen innerhalb der Straßenzüge Schanzenstraße, Lagerstraße, Karolinenstraße, Tschaikowskiplatz, Holstenglacis, Bei den Kirchhöfen, St. Petersburger Straße, Messeplatz, Sternschanze liegend in Bezug auf die dortige Durchführbarkeit von Versammlungen geprüft und in Kooperationsgesprächen mit den Versammlungsanmeldern und alternative Versammlungsorte bzw. -routen, die in räumlicher Nähe zu dem Veranstaltungsort Messehallen und der Elbphilharmonie gelegen sind, für den Geltungszeitraum der Allgemeinverfügung aufgezeigt (Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017, Seite 64). Dies sind nach der Begründung der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017, Seite 49/50, insbesondere der Millerntorplatz, die Ludwig-Erhardt-Straße, die Willy-Brandt-Straße (diese allerdings nicht während der Geltung der Verfügung nach Ziffer I. 2.), die Christuskirche, die Reeperbahn, der Spielbudenplatz, die Stresemannstraße, der Deichtorplatz, der Besenbinderhof, der Anckelmannplatz, das Berliner Tor, der Paul-Nevermann-Platz, die Große Bergstraße und der St. Pauli Fischmarkt sein.

128

Die Wirkung von Versammlungen und Aufzügen – auch außerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung – wird auch durch die zu erwartende Medienberichterstattung verstärkt, worauf die Antragsgegnerin zutreffend in der Begründung ihrer Allgemeinverfügung hingewiesen hat.“

129

Das Beschwerdegericht schließt sich diesen Ausführungen an.

130

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers im Beschwerdeverfahren. Soweit der Antragsteller unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, juris) ausführt, dass es verfassungsrechtlich unzulässig sei, ein Versammlungsverbot im Wesentlichen unter Verweis auf das Sicherheitskonzept der Versammlungsbehörde zu rechtfertigen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem zitierten Beschluss die behördliche Entscheidung, einen entsprechenden Schutzraum in der Nähe des Ortes des G8-Gipfels zu schaffen und mit dafür geeigneten Schutzvorkehrungen zu versehen, aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht beanstandet (BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, juris Rn. 30). Es ist zwar zutreffend, dass es das Bundesverfassungsgericht für bedenklich hält, ein solches Versammlungsverbot im Wesentlichen unter Verweis auf das Sicherheitskonzept der Versammlungsbehörde zu rechtfertigen. Maßgeblich ist jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ob die Überlegungen, die diesem Sicherheitskonzept zugrunde liegen, dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit ausreichend Rechnung tragen (BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, juris Rn. 30). Dies hat das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung mit der Begründung, die Einrichtung dieser Verbotszone bedeute, dass Versammlungen mit einem räumlichen Bezug zu dem Anlass des G8-Gipfels und unter Nutzung des Symbolgehalts der besonderen Nähe zu diesem Ort ausgeschlossen werden, verneint (BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, juris Rn. 31). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Wie bereits ausgeführt, sind trotz des Versammlungsverbots nach wie vor Versammlungen in räumlicher Nähe und mit räumlichen Bezug zu dem Veranstaltungsort des G20-Gipfels möglich: Ausweislich der Begründung der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 können Versammlungen in unmittelbarer Nähe insbesondere auf folgenden Plätzen bzw. in folgenden Straßen stattfinden: Millerntorplatz, Ludwig-Erhardt-Straße, Willy-Brandt-Straße (diese allerdings nicht während der Geltung der Verfügung nach Ziffer I. 2.), Christuskirche, Reeperbahn, Spielbudenplatz, Stresemannstraße, Deichtorplatz, Besenbinderhof, Anckelmannplatz, Berliner Tor, Paul-Nevermann-Platz, Große Bergstraße, St. Pauli Fischmarkt (S. 49/50). Soweit der Antragsteller ausführt, dass die Allgemeinverfügung nicht geeignet sei, um den angestrebten Zweck zu erreichen, weil Versammlungen, die zu Blockaden führten, ohnehin aufgelöst werden könnten, vermag dies ebenfalls nicht die Verhältnismäßigkeit der Allgemeinverfügung in Abrede zu stellen. Im Hinblick auf die Vielzahl der durchzuführenden Transporte der Gipfelteilnehmer und die zahlreichen angekündigten Blockadeteilnehmer dürfte es der Antragsgegnerin nicht möglich sein, erst vor Ort gegen einzelne Versammlungen oder Blockaden vorzugehen, insbesondere weil durch jede einzelne Blockade einer Transportkolonne erhebliche unmittelbare Gefahren für die Sicherheit der Gipfelteilnehmer sowie der Störer und unbeteiligte Versammlungsteilnehmer entstehen würden. Schließlich besteht im Falle der Auflösung einzelner Blockaden die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sogleich andernorts neue Blockaden entstehen würden. Soweit der Antragsteller schließlich mit Blick auf die Erforderlichkeit rügt, dass für die sieben Personen der Gefährdungsstufe 1 oder 2 auch andere, weniger eingriffsintensive Transportmöglichkeiten, wie etwa eine Luftverfrachtung, geschaffen werden könnten, greift dies ebenfalls nicht durch. Die Ausführungen der Antragsgegnerin in der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017, wonach eine Luftverfrachtung aufgrund nicht ausreichend großer Landemöglichkeiten an den Veranstaltungsorten und Unterbringungshotels für (schon einen) Hubschrauber nicht möglich sei, da in dem Fall eine Gefährdung unbeteiligter Dritter entstehen könnte; Hubschrauber daher nur im Fall einer akuten Gefährdung für die jeweilige Schutzperson und dann unter Inkaufnahme der Gefährdung unbeteiligter Dritter als Transportmittel zum Zwecke der Evakuierung gewählt werden würden (S. 9), ist überzeugend.

131

b) Es besteht auch ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017. Ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung hätten Widersprüche gegen die Allgemeinverfügung aufschiebende Wirkung, so dass Versammlungen oder Aufzüge innerhalb der von der Allgemeinverfügung erfassten Bereiche durchgeführt werden könnten. Hierdurch könnte es aber zu den genannten unmittelbaren und erheblichen Gefahren für Leib und Leben der Gipfelteilnehmer, der Versammlungsteilnehmer und Dritter sowie den Gefahren für die auswärtigen Beziehungen des Bundes und der Staatsveranstaltung des G20-Gipfels kommen.

132

3. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hätte auch dann keinen Erfolg, wenn vorliegend auf eine Folgenabwägung abzustellen wäre.

133

Im Rahmen dieser Abwägung sind einerseits die Folgen zu berücksichtigen, die es für den Antragsteller und die Teilnehmer der angemeldeten Versammlung in Bezug auf die Ausübung ihres durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Rechts hätte, wenn die Dauerkundgebung nicht in der Zeit vom 7. Juli 2017, 6:00 Uhr, bis zum 8. Juli 2017, 17:00 Uhr, durchgeführt werden kann, obgleich sich die Annahme eines polizeilichen Notstands als unzutreffend herausstellen sollte. Andererseits ist zu würdigen, welche Folgen es für die Gipfelteilnehmer, die Versammlungsteilnehmer und unbeteiligte Dritte, die auswärtigen Beziehungen des Bundes und der staatlichen Veranstaltung des G20-Gipfels hätte, wenn die Versammlung stattfinden könnte, sich aber später bestätigt, dass ein polizeilicher Notstand gegeben war. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die Antragsgegnerin noch weitere Polizeikräfte hätte heranziehen können, sondern nur noch darauf, ob sie nach derzeitigem Stand die tatsächliche Möglichkeit hat, mit dem vorhandenen Personalbestand die Sicherheit zu gewährleisten (vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschl. v. 11.9.2015, 4 Bs 192/15, juris Rn. 25).

134

Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass in der gegenwärtigen Situation die Dauerkundgebung im G. Viertel nicht in der Zeit vom 7. Juli 2017, 6:00 Uhr, bis zum 8. Juli 2017, 17:00 Uhr, durchgeführt werden kann, da dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass der ordnungsgemäße Ablauf und Abschluss des G20-Gipfels gefährdet sowie die Gesundheit und das Leben der Gipfel- und Versammlungsteilnehmer, der sie schützenden Polizeibeamten sowie unbeteiligter Dritter verletzt wird. Dem Schutz der vorgenannten Rechtsgüter gebührt der Vorrang gegenüber dem Recht auf Durchführung der Dauerkundgebung im G. Viertel auch in der Zeit vom 7. Juli 2017, 6:00 Uhr, bis zum 8. Juli 2017, 17:00 Uhr. Im Einzelnen:

135

Erginge die begehrte vorläufige Regelung nicht, so könnte die Dauerkundgebung in der Zeit vom 7. Juli 2017, 6:00 Uhr, bis zum 8. Juli 2017, 17:00 Uhr, nicht im G. Viertel stattfinden. Das damit verbundene Versammlungsverbot beeinträchtigt den Antragsteller und die potentiellen Teilnehmer der Kundgebung in erheblichem Maße in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Denn es gehört zu der grundgesetzlich geschützten Freiheit des Antragstellers zu bestimmen, wann und wo er eine Versammlung abhalten will (OVG Hamburg, Beschl. v. 11.9.2015, 4 Bs 192/15, juris Rn. 27). Die Intensität der Rechtsbeeinträchtigung wird dadurch etwas verringert, dass in der Zeit vom 4. Juli 2017, 18:00 Uhr, bis zum Beginn der Geltung des Versammlungsverbots am 7. Juli 2017, 6:00 Uhr, die geplante Dauerkundgebung im G. Viertel wie geplant stattfinden kann, da sie in diesem Zeitraum nicht von der Allgemeinverfügung erfasst ist.

136

Würde die begehrte vorläufige Regelung hingegen getroffen und würde die angemeldete Veranstaltung auch in der Zeit vom 7. Juli 2017, 6:00 Uhr, bis 8. Juli 2017, 17:00 Uhr, im G. Viertel stattfinden, so müsste die Antragsgegnerin die damit verbundenen Folgen bewältigen. Sollte die Dauerkundgebung im G. Viertel in diesem Zeitraum stattfinden, so wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der ordnungsgemäße Ablauf und Abschluss des G20-Gipfels gefährdet und die Gesundheit und das Leben der Gipfel- und Versammlungsteilnehmer, der zu schützenden Polizeibeamten und unbeteiligter Dritter verletzt.

137

Dem Schutz der vorgenannten Rechtsgüter kommt nach Auffassung des Beschwerdegerichts der Vorrang gegenüber dem Recht auf Durchführung der Dauerkundgebung auch in der Zeit vom 7. Juli 2017, 6:00 Uhr, bis 8. Juli 2017, 17:00 Uhr, zu.

138

Denn es ist zu erwarten, dass gewaltbereite und gewaltsuchende Personen sich der Versammlung anschließen und versuchen würden, von dem geplanten Versammlungsort aus strategische Blockaden der Transportfahrten vorzunehmen und vorzubereiten, die geeignet sind, das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Gipfelteilnehmer, der Versammlungsteilnehmer und unbeteiligter Dritter zu gefährden (s.o.). Die Antragsgegnerin rechnet – allein in Bezug auf die Anzahl der gewaltbereiten Linksextremisten – mit einer Mobilisierung von 7.000 bis 8.000 Teilnehmern. Dieser Einschätzung tritt der Antragsteller nicht substantiiert entgegen. Dabei ist – wie sich aus den oben zitierten Quellen ergibt – zu befürchten, dass diese Personen nicht nur gewaltbereit, sondern gewaltsuchend sind. Es ist zu erwarten, dass sie während des G20-Gipfels das erklärte Ziel haben, dort Gewalt auszuüben und militante Aktionen durchzuführen. Im Internet wird aktuell u. a. in Bezug auf eine für den 8. Juli 2017 geplante Großversammlung zur Bildung widerständiger antikapitalistischer Blöcke aufgerufen wird (so etwa auf der Webseite „G20 Welcome to Hell“ unter https://g20tohell.blackblogs.org/2017/02/12/aufruf-de/, abgerufen am 2. Juli 2017, mit der Überschrift „BLOCKIEREN – SABOTIEREN – DEMONTIEREN“: „DAYS OF ACTION – 6/7/8 JULI 2017 […] BILDUNG VON WIDERSTÄNDIGEN, ANTIKAPITALISTISCHEN BLÖCKEN AUF DER GROSSDEMO AM SAMSTAG, DEN 8. JULI 2017“; ferner z.B. auf der Webseite „… ums Ganze!“ unter der Überschrift „Zum G20 in Hamburg: Ketten sprengen – Hafen lahmlegen!“ unter https://umsganze.org/zum-g20-in-hamburg-ketten-sprengen-hafen-lahmlegen/, abgerufen am 2. Juli 2017: „Wir sehen uns. Am Donnerstag, den 6. Juli, auf der Vorabenddemo, am Samstag, den 8. Juli auf der Großdemonstration durch die Hamburger Innenstadt im antikapitalistischen Block und vor allem am Freitagmorgen im Hafen zu Massenaktionen gegen die Logistik des Kapitals – bevor wir uns dann nachmittags an, pardon, in der Roten Zone wiedersehen.“). Zudem wird auf der Internetseite www.blockg20.org von einem breiten Aktionsbündnis verlautbart, es sei Ziel, den Ablauf des G20-Gipfels spürbar zu stören und die Dezimierung der Macht, die der Gipfel darstelle, zu brechen. Auf dieser Internetseite werden auch organisatorische Hinweise gegeben („Aktionskarten und Stadtpläne“). Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass diese Personen, die unzweifelhaft die Verhinderung oder Behinderung des G20-Gipfels anstreben, auch das G. Viertel als Ausgangspunkt zu den auf öffentlichen Karten markierten Routen wählen werden. Auf diesen Karten ist auch das G. Viertel verzeichnet. Zudem ist auf diesen Stadtplänen auch der Veranstaltungsort, das Rathaus und mehrere in der Innenstadt liegende Hotels sowie die die Hotels und den Messestandort verbindenden Straßenzüge markiert. Hinzu kommt, dass das G. Viertel in unmittelbarer Nähe zum V. Kamp und C. und damit in unmittelbarer Nähe zu naheliegenden Transferstrecken, insbesondere zwischen den Hotels in der Innenstadt und dem Veranstaltungsort, liegt. Die Annahme, dass das G. Viertel als Ausgangspunkt für Blockaden genutzt werden soll, folgt auch aus anderen Interneteinträgen. Wie verschiedenen Interneteinträgen entnommen werden kann, finden im G. Viertel bereits seit Februar 2017 regelmäßige No-G20-Infoabende statt. Zudem wird seit dem 19. April 2017 auf der Internetseite das-gaengeviertel.info dafür geworben, „das G. Viertel zu dem Anlaufpunkt zu machen, der er sein soll“. In dem Aufruf wird dafür geworben, vor, während und nach dem Gipfel vorbeizukommen und es wird um Unterstützung bei der Vorbereitung von Räumen und der Zurverfügungstellung von Plätzen für Gäste sowie um Hilfe beim Kochen gebeten. Auf der Internetseite https://linksunten.indymedia.org/de/node/207518 heißt es u. a.: „(…) 5. Bericht aus der AG Block G20 Auf dem letzten Treffen der AG Innenstadt/ Rote Zone haben sich die Beteiligten auf den Namen ‚Block G20 – colour the red zone‘ geeinigt. Unter diesem Namen werden wir zu tausenden am Freitag, dem 7. Juli 2017, die Stadt zurückerobern und den G20-Gipfel empfindlich stören. Es soll eine Aktion des massenhaften zivilen Ungehorsams werden, als eine Aktion unter vielen an dem Tag. (…) 9. NO-G20 – Infoabend Im G Viertel finden seit Februar regelmäßige NO-G20-Infoabende zur Vernetzung, Bildung von Bezugsgruppen, und dem Austausch von aktuellen Informationen (aus den AGs) statt. Außerdem werden Filme zu vergangenen Gipfelprotesten angeschaut, um aus den Erfahrungen anderer Proteste zu lernen. Termine: 6.4. / 4.5. / 1.6. jeweils 19 Uhr / G. Viertel. Infos unter: www.interventionistische-linke.org“ (abgerufen am 3. Juli 2017). Auf der Internetseite http://das-gaengeviertel.info/neues/details/article/das-ist-der-gipfel-kommt-in-die-oase.html heißt es: „(…) Das G. Viertel ist sowohl durch seine geografische Lage als auch aufgrund seiner politischen Überzeugungen, die zu der Agenda der Mächtigen dieser Welt querstehen, mittendrin im Gipfelgeschehen. Wir wurden nicht gefragt, ob wir dieses Großevent ein paar hundert Meter vor unserer Haustür haben wollten, wie auch der Rest der Hamburger*innen nicht. (…) Das Programm unserer Oase ist im Entstehen. Klar ist, dass wir die lange Woche vom 1. bis 9. Juli da sein werden mit Räumen zum Essen und Trinken, zum Verweilen und Entspannen, zum Verkleiden und Ausprobieren, zum Kraftschöpfen und Sich-Begegnen. Mit Workshops, Schreibstätten und anderen Angeboten, die zur Mitarbeit einladen: von der Dauerkundgebung bis zur Nachttanzdemo; von Ausstellungen und Performances über Theaterstücke und Installationen bis hin zu einem großen Spiel, dessen Feld die ganze Stadt sein wird. Unsere Gastfreundschaft ist groß, denn wir glauben daran, dass alles allen gehört. Doch der „hohe Besuch“, der diesen Sommer kommt, teilt nichts mit uns und fühlt sich an wie ein Einmarsch. Diktatoren, Könige und andere Arschlöcher brauchen wir hier nicht.“ (abgerufen am 3. Juli 2017). Dass die Antragsgegnerin es vor diesem Hintergrund für naheliegend erachtet, dass sich die Interventionistische Linke, die sich ausdrücklich nicht von Gewalttaten distanziert, der Versammlung im G. Viertel anschließen wird und damit auch Personen an der Versammlung teilnehmen werden, die sich an Blockaden beteiligen möchten, ist nicht zu beanstanden.

139

Der Umstand, dass die Versammlung in einem Innenhof angemeldet ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es wäre nach den obigen Ausführungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einem Zulauf von gewalttätigen bzw. Blockaden beabsichtigenden Versammlungsteilnehmern zu der Versammlung zu rechnen. Sowohl der Antragsteller als auch die Antragsgegnerin könnten nicht verhindern, dass eine derart große Anzahl von Versammlungsteilnehmern erscheinen würde, dass diese auch noch im V., in der S. Straße / C. oder in umliegenden Straßenzügen stehen würden. Eine Blockade dieser Straßen und umliegender Straßenzüge würde zur unmittelbaren Gefahr i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG führen, da der Versammlungsort in direkter Verbindung zwischen dem Veranstaltungsort und den Hotels, in denen Staatsgäste / Schutzpersonen des G20-Gipfels untergebracht sind, liegt. Schließlich müssten die Versammlungsteilnehmer den Versammlungsort überhaupt erreichen. Auch dieser Zulauf würde zu einer (faktischen) Blockade der Straßen V. , S. Straße und C. führen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bereits eine kleine Anzahl von Versammlungsteilnehmern eine Blockade verursachen könnte. Vom Versammlungsort könnte zudem beobachtet werden, ob eine Kolonne zu erwarten ist. Es bestünde damit die Gefahr, dass aus dem Schutz der S. Passage im unmittelbaren Vorlauf zu einer Kolonne eine Blockade durch ein Herauslaufen von Versammlungsteilnehmern in den umliegenden Straßen entstünde, deren Auflösung nicht in der erforderlichen Zeit erreicht werden könnte, um ein Aufstoppen der Kolonne zu verhindern. Ein erhebliches Blockaderisiko ist auch darin zu sehen, dass in der S. Passage ca. 200 bis 300 Personen sowie in dem sich anschließenden „Kleinen Wäldchen“ in Richtung S. Straße ebenfalls 200 bis 300 Personen Platz finden könnten. Darüber hinaus bieten die leerstehenden Gebäude in der S. Passage – nach den nicht in Abrede gestellten Angaben der Antragsgegnerin – zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten für etwa 900 bis 1.000 Personen.

140

Kommt es zu strategischen oder auch nur faktischen Blockaden durch friedliche Versammlungsteilnehmer, ist nicht nur der Transport der Gipfelteilnehmer vom Flughafen zum Veranstaltungsgelände bzw. zu den in der Innenstadt gelegenen Hotels und ein Transfer zwischen den Hotels und dem Veranstaltungsort mit einer Gefahr für Leib und Leben der Gipfelteilnehmer wegen der Besonderheiten der Transport-und Kolonnenfahrten verbunden. Zugleich bestünde aber auch wegen der Besonderheiten dieser Fahrten für die Teilnehmer von Versammlungen und für Dritte die Gefahr oder das Verletzungsrisiko infolge von Kollisionen zwischen Fahrzeugen und Versammlungsteilnehmern insbesondere in Fällen einer Blockade der Transportstrecke. Gleiches gilt im Falle eines Stillstands von Kolonnen, die das Risiko terroristischer Anschläge auf zu schützende Personen erhöhen, die dann ein statisches Ziel darstellen.

141

Vor diesem Hintergrund der zu schützenden Rechtsgüter unter anderem der Gipfelteilnehmer, der Veranstaltung und von Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern und Dritten müssen die Interessen der Teilnehmer der Versammlung, die von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in dem zeitlich und räumlich abgegrenzten Bereich der Allgemeinverfügung friedlich Gebrauch machen wollen, zurückstehen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil auch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass in Anbetracht der oben genannten Gefahren die von der Antragsgegnerin ebenfalls zu schützenden Rechtsgüter wie Leib und Leben während der Inanspruchnahme des Demonstrationsrechts insbesondere im Fall faktischer Blockaden nicht hinreichend gewährleistet werden können. Insbesondere stünden für diese zusätzlichen Gefahren nicht ausreichend viele Polizeikräfte zur Verfügung, zumal der Polizei immer nur sehr kurzfristig bekannt sein wird, wann welche Schutzperson anreist und welche konkreten Protokollstrecken von einem zum anderen Ort genutzt werden.

III.

142

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung bleibt einer gesonderten Entscheidung vorbehalten.

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bei uns veröffentlicht am 29.11.2018

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Referenzen

(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 9. September 2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen ein Versammlungsverbot.

2

Der Antragsteller meldete am 9. Mai 2015 für Sonnabend, den 12. September 2015 einen Aufzug an mit dem Thema „Tag der Patrioten“. Der Aufzug sollte ab 12 Uhr bis zum Abend vom Hamburger Hauptbahnhof durch die Innenstadt und die Hafencity zurück zum Hauptbahnhof führen. Vorgesehen waren drei etwa einstündige Kundgebungen sowie der Einsatz von einem Ordner auf je 50 Teilnehmer. Der Antragsteller rechnete mit etwa 500 Teilnehmern. Im Verlauf der Kooperationsgespräche änderte der Antragsteller wegen einer in der Hafencity gleichzeitig stattfindenden anderen Veranstaltung die Planung und schlug eine außerhalb des Innenstadtbereichs gelegene Route vor. Er rechnete zuletzt mit einer deutlich größeren Teilnehmerzahl. Die Antragsgegnerin ging zuletzt von ca. 2.000 bis 3.000 Teilnehmern aus, darunter 300 bis 500 Rechtsextremisten, sowie ca. 1.500 „rechtsaffinen, patriotischen Fußballanhängern“, darunter eine große Anzahl problematischer Fans der „Kategorie C“ (Hooligans). Für den Tag dieses Aufzugs erwartet die Antragsgegnerin bis zu 15.000 Teilnehmer an Gegenveranstaltungen, darunter bis zu 2.000 gewaltorientierte, nämlich gewaltbereite und gewaltsuchende Personen.

3

Mit Bescheid vom 3. September 2015 verbot die Antragsgegnerin den angemeldeten Aufzug. Zur Begründung führte sie aus: Es sei zu erwarten, dass gewaltsuchende und gewaltbereite Teilnehmer aus dem Aufzug heraus Straftaten zum Nachteil von Gegendemonstranten sowie gewaltsuchenden und gewaltbereiten Linksextremisten, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten begehen und damit deren Leib und Leben gefährden würden. Unabhängig hiervon werde der Aufzug im Wege des polizeilichen Notstandes verboten, da die Gefahren für Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten, die aufgrund der sicher zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen entstünden, mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht verhindert werden könnten. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch.

4

Beim Verwaltungsgericht hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 9. September 2015 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt: Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Versammlungsverbots überwiege das Interesse des Antragstellers, da sein Widerspruch keine Aussichten auf Erfolg habe. Der Aufzug habe verboten werden können, da ein Großteil der Versammlungsteilnehmer nicht beabsichtige, sich friedlich zu versammeln, sondern die Gelegenheit suche, Gewalt gegen politische Gegner, Polizisten und andere selbst definierte Feinde auszuüben. Es sei deshalb zu erwarten, dass aus dem Aufzug heraus insbesondere (schwere) Körperverletzungen begangen würden, die sich zu schweren Gewaltexzessen ausweiten würden.

5

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 10. September 2015 mittags erhobenen und begründeten Beschwerde.

II.

6

A Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

7

Es kann offen bleiben, ob sich der Antragsteller hinreichend mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) und dessen tragende Erwägungen erschüttert hat. Das Beschwerdegericht geht zugunsten des Antragstellers hiervon aus, da die Effektivität des Rechtsschutzes gefährdet wäre, wollte man in extrem eilbedürftigen und zugleich komplexen Verfahren der vorliegenden Art die formalen gesetzlichen Anforderungen konsequent anwenden. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das Beschwerdegericht führt allerdings im Ergebnis zu keiner Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

8

Die im Rahmen eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durchzuführende Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 3. September 2015 gegenüber dem Interesse des Antragstellers, deren Vollzug auszusetzen und den angemeldeten Aufzug durchführen zu können, überwiegt. Bei der im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Prüfung lässt sich allerdings nicht feststellen, ob - was als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung im Hinblick auf den Schutz des betroffenen Grundrechts in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen wäre (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 18, m.w.N.) - der Widerspruch des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung erfolgreich oder erfolglos sein wird; die Erfolgsaussichten sind vielmehr offen (hierzu unter 1.). Die deshalb unabhängig von den Erfolgsaussichten des Widerspruchs ausnahmsweise (BVerfG, a.a.O.) vorzunehmende reine Folgenabwägung führt zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an einem Versammlungsverbot gegenüber dem Interesse des Antragstellers, den Aufzug oder zumindest eine stationäre Versammlung durchzuführen (hierzu unter 2.).

9

1. Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs sind offen, weil es dem Senat in der nur äußerst knappen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist, die maßgeblichen Tatsachengrundlagen, mit denen die Antragsgegnerin das Versammlungsverbot gerechtfertigt hat, zu überprüfen und ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit festzustellen.

10

a) Allerdings lässt sich feststellen, dass der Sachverhalt, wie er sich aus dem Inhalt der Sachakte der Antragsgegnerin und - diesen zusammenfassend wiedergebend - aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, es nicht rechtfertigt, die Versammlung selbst als unfriedlich anzusehen und sie deshalb zu verbieten.

11

Rechtsgrundlage für ein Verbot oder eine beschränkende Auflage ist mangels einer landesrechtlichen Regelung § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung oder ein Aufzug verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung müssen erkennbare Umstände vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergibt (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, 1 BvR 2793/04, NVwZ 2008, 671, juris Rn. 19 f.). Derartige konkrete Tatsachen sind nicht erkennbar.

12

Aus den im Internet verbreiteten Aufrufen zur Teilnahme an dem Aufzug ergibt sich nicht, dass der Aufzug auf Gewalt ausgerichtet ist oder es zumindest naheliegt, dass er aus sich heraus einen unfriedlichen Verlauf nehmen wird. Die Videoaufrufe, von denen sich Aufzeichnungen in der Sachakte der Antragsgegnerin befinden und deren Inhalte in dem Bescheid zutreffend wiedergegeben werden, stehen überwiegend unter dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“. Weder diese Parole noch die Inhalte der Videos lassen erkennen, dass der Aufzug selbst oder sein Thema auf Gewalt ausgerichtet sind. Die Aufrufe zielen auf die politische Gesinnung der verschiedenen rechtsgerichteten Gruppierungen, die durch die Versammlung angesprochen werden sollen. Im Internet verbreitete Erklärungen der Art, es werde eine „heftige Demo“ werden, ein Tsunami werde über Hamburg hereinbrechen (S. 17 des Bescheides) bzw. man müsse die eine oder andere Blessur von vornherein in Kauf nehmen (S. 18 des Bescheides), drückt die Erwartung Einzelner aus und trägt möglicherweise dem Umstand Rechnung, dass man damit rechnet, dass es zu Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gegendemonstranten kommen wird.

13

Die Zahl der gewaltorientierten Teilnehmer lässt ebenfalls keinen hinreichenden, auf konkreten Tatsachen beruhenden Rückschluss darauf zu, dass der Aufzug „auf einen gewalttätigen Verlauf angelegt“ sei (so aber die Antragsgegnerin, S. 19 des Bescheides) bzw. dass - wie das Verwaltungsgericht meint - diese Teilnehmer den Aufzug derart dominieren werden, dass er nicht mehr als friedlich angesehen werden könnte. Aus der Akte ergibt sich bereits nicht konkret, mit wie vielen gewaltorientierten Teilnehmern die Antragsgegnerin überhaupt rechnet. Sie hat insofern nur angeführt, es würden sich unter den Rechtsextremisten und den rechtsgerichteten Fußballanhängern „gewaltbereite und gewaltsuchende Teilnehmer befinden“; von diesen gewaltorientierten Rechtsextremisten kämen ca. 150 aus Hamburg (S. 10 und 25 Bescheides). Gewaltorientiert soll den Angaben der Antragsgegnerin zufolge auch ein Rechtsradikaler sein, der voraussichtlich aus Berlin zusammen mit ca. 400 Personen anreisen wird (S. 13 des Bescheides). Dass diese Begleiter sämtlich oder überwiegend ebenfalls gewaltorientiert seien, sagt die Antragsgegnerin aber nicht. Offensichtlich gewaltorientiert sind die Teilnehmer der genannten WhatsApp-Gruppe (S. 13 f. des Bescheides). Sie besteht unmittelbar allerdings nur aus 17 Teilnehmern. Dass es speziell diese Gruppe ist, die - wie die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht meinen - mit 500 bis 600 Mann anreisen will, erscheint fraglich. Denn anreisen wollen die Teilnehmer dieser Gruppe nicht mit einem großen Bus, sondern mit zwei 9-Sitzern (Bl. 153 der Sachakte). Jedenfalls ist nichts dafür dargelegt oder aus der Sachakte ersichtlich, dass diese 500 bis 600 Mann sämtlich oder überwiegend ebenfalls gewaltorientiert sind. Mit welcher Gesamtzahl gewaltorientierter Teilnehmer des Aufzugs die Antragsgegnerin rechnet, hat sie nur sehr unbestimmt genannt. Auf Seite 11 ihres Bescheides erwartet sie „eine Anreise von hunderten gewaltsuchenden, mindestens aber gewaltbereiten Hooligans und Rechtsextremisten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern“.

14

Die Prognose, der Aufzug werde einen unfriedlichen Verlauf nehmen, kann auch nicht aufgrund der Erfahrungen mit vergleichbaren Aufzügen und Versammlungen getroffen werden. Vergleichbar sind die Aufzüge am 2. Juni 2012 in Hamburg („Tag der deutschen Zukunft - Unser Signal gegen Überfremdung“) und am 26. Oktober 2014 in Köln („HoGeSa“) sowie die Versammlung am 15. November 2014 in Hannover („Europa gegen den Terror des Islamismus“). Zwar hatte der Antragsteller diese Versammlungen nicht zu verantworten, doch richteten sich diese - noch zeitnah zu dem angemeldeten Aufzug durchgeführten - Versammlungen mit vergleichbarer Thematik an dieselbe Zielgruppe. Deshalb dürfte auch der überwiegend rechtsextreme oder rechtsradikale Teilnehmerkreis mit dem Teilnehmerkreis des angemeldeten Aufzugs weitgehend identisch sein.

15

Aus dem Aufzug vom 2. Juni  2012 heraus sind den Angaben der Antragsgegnerin zufolge keine Straftaten begangen worden. Dargestellt hat sie in ihrem Bescheid (S. 22 f.) ausschließlich gewalttätige Aktionen der Gegendemonstranten. Bei dem Aufzug am 26. Oktober 2014 in Köln wurden zwar aus dem Aufzug heraus Gewalttaten begangen, aber est nachdem die Teilnehmer des Aufzugs von Außenstehenden mit Feuerwerkskörpern beworfen worden waren; daraufhin seien die Teilnehmer des Aufzugs äußerst aggressiv mit Flaschenwürfen sowohl gegen diese Personen als auch gegen Polizisten und Medienvertreter vorgegangen und nach dem Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray durch die Polizei sei diese massiv mit Flaschen beworfen worden. Dieser Vorfall belegt zwar die massive Gewaltbereitschaft eines Teils der etwa 4.800 Teilnehmer des damaligen Aufzugs. Mit derartigen Verhaltensweisen muss auch bei dem angemeldeten Aufzug gerechnet werden. Doch rechtfertigt dies nicht ein Verbot der Versammlung, durch das auch denjenigen das Recht zur Versammlung genommen würde, die sich an derartigen Aktionen nicht beteiligen. Denn die Gefahr, dass es zu derartigen Reaktionen auf Angriffe von außen kommt, könnte auf einfachere Weise verhindert werden. Zum einen könnte diese Gefahr durch den verstärkten Einsatz von Polizeikräften verringert werden; in Köln waren es nur 1.299 Beamte, was sich als viel zu wenig erwiesen hat. Zum anderen könnte der Aufzug so durchgeführt werden, dass Gegendemonstranten nicht unmittelbar in seine Nähe gelangen können. Sollte gleichwohl ein Aufzug nicht ausreichend geschützt werden können, bliebe noch die Möglichkeit, zumindest eine stationäre Versammlung durchzuführen. Bei einer derartigen stationären Versammlung am 15. November 2014 mit gut 3.000 Teilnehmern kam es während der Versammlung zu keinen Ausschreitungen (S. 24 des Bescheides). Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken gab es den Angaben der Antragsgegnerin zufolge nur außerhalb der Versammlung. Das rechtfertigt jedoch kein Versammlungsverbot.

16

Allerdings ist auch das Beschwerdegericht davon überzeugt, dass an dem Aufzug eine beträchtliche Zahl von Personen teilnehmen wird, die nicht nur bereit sind, ggf. Gewalt auszuüben, sondern die gewaltsame Auseinandersetzungen geradezu suchen. Das belegen die oben gewürdigten Aufrufe, das Chat-Protokoll sowie das Verhalten eines Teils der Teilnehmer des Aufzugs in Köln sowie der Versammlung in Hannover, bei dem ein großes Polizeiaufgebot erforderlich war, um die Teilnehmer der Versammlung von heranrückenden Gegendemonstranten zu trennen (S. 24 des Bescheides). Doch rechtfertigt dies gleichwohl kein Verbot des Aufzugs. Steht nicht zu befürchten, dass eine Demonstration im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, bleibt für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch Einzelne oder einer Minderheit zu rechnen ist. In einem solchen Fall setzt ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel voraus, welche den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen (BVerfG, Urt. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81 u.a., BVerfGE 69, 315, 4. Leitsatz).

17

Nach diesen Maßstäben ist ein Verbot des Aufzugs nicht gerechtfertigt. Es ist nicht dargelegt und auch sonst nicht erkennbar, dass der Antragsteller gewalttätige Übergriffe aus der Versammlung heraus dulden oder gar befürworten würde. In seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat er erklärt, er werde alles dafür tun, dass von seinem Aufzug keine Gewalt ausgehen werde und Gewalt von Gegendemonstranten auch nicht mit Gegengewalt beantwortet werde. Das ist nicht von vornherein unglaubhaft. Denn er hat von sich aus angezeigt, eine nicht unerhebliche Zahl von Ordnern einzusetzen, und in den im Internet verbreiteten Aufrufen werden ausdrücklich auch Ordner gesucht. Zudem liegen - wie ausgeführt - keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Versammlung vom Thema her auf Gewalt angelegt ist und die Angaben des Antragstellers deshalb unglaubhaft sein könnten. Schließlich könnten - wie ebenfalls bereits ausgeführt - gewalttätige Aktionen, die aus dem Aufzug heraus von Einzelnen oder Gruppen begangen werden, zielgerichtet unterbunden werden. Dass dies grundsätzlich - sieht man einmal von der Zahl einsatzbereiter Polizisten ab - nicht möglich wäre, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt.

18

b) Die Antragsgegnerin beruft sich unabhängig von den vorstehend gewürdigten Gründen zur Rechtfertigung des Verbots auf den sog. polizeilichen Notstand. Sie hält ein Verbot des Aufzugs mithin auch dann für gerechtfertigt, wenn von dem Aufzug keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen. Sie macht geltend, sie könne die Gefahren für Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten, die aufgrund der sicher zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gegendemonstranten entstünden, mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht verhindern. Ob sich die Antragsgegnerin zu Recht auf den polizeilichen Notstand beruft, ist offen. Dies bedarf einer eingehenden Überprüfung, die im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht möglich ist.

19

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 17, m.w.N.), der das Beschwerdegericht folgt, gilt: Soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, ist die Durchführung der Versammlung zu schützen und sind behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten. Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden. Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.

20

Es erscheint zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin diese Darlegungsanforderungen erfüllt hat. Zwar hat sie die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes nicht nur pauschal behauptet. Sie hat ausgeführt, dass sie zur Abwehr der Gefahren während des Aufzugs sowie in den Zeiten davor und danach insgesamt mindestens 9 Abteilungsführungen (ca. 135 Beamte), 46 Hundertschaften (ca. 5.000 Beamte) sowie 10 Wasserwerferstaffeln (ca. 150 Beamte) benötige. Für eine stationäre Versammlung verringere sich der Mindestbedarf um 7 Hundertschaften. Sie selbst verfüge über 3 Abteilungsführungen, 9 Hundertschaften sowie 2 Wasserwerferstaffeln. Sie benötige deshalb weitere 6 Abteilungsleitungen, 37 Hundertschaften (ca. 4.000 Beamte) und 8 Wasserwerferstaffeln (S. 30 des Bescheides). Diese Kräfte habe sie bundesweit angefordert. Angeboten worden seien ihr bis zuletzt (10.9.2015) aber nur 5 Abteilungsführungen, 14 Hundertschaften sowie 11 Wasserwerferstaffeln. Damit bestehe gegenüber dem Minimalbedarf zur Durchführung eines Aufzugs eine Unterdeckung von 23 Hundertschaften (ca. 2.500 Beamte) und zur Durchführung einer stationären Versammlung eine Unterdeckung von 16 Hundertschaften (ca. 1.750 Beamte). Ausreichend dargelegt hat die Antragsgegnerin auch, dass die Polizeibehörden des Bundes und der Länder ihr tatsächlich nur die genannte Unterstützung angeboten haben. Das ergibt sich aus den Ausdrucken des mit diesen Behörden geführten E-Mail-Verkehrs (Bl. 209 ff. und 478 ff. der Sachakte). Diese Angaben genügen jedoch nicht, um davon ausgehen zu können, dass sich die Antragsgegnerin zu Recht auf den polizeilichen Notstand beruft.

21

Dabei hat das Beschwerdegericht angesichts des Umfangs der mit Sicherheit zu erwartenden Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern (dazu später) keinen Zweifel an der Angemessenheit des genannten Bedarfs. Ähnlich viele Polizisten waren auch bei den vergleichbaren Veranstaltungen am 2. Juni 2012 in Hamburg (4.500 Beamte) und am 15. November 2014 in Hannover (5.300 Beamte bei einer stationären Versammlung) im Einsatz (vgl. S. 22 ff. des Bescheides). Die Zahl der eingesetzten Beamten war lediglich am 26. Oktober 2014 in Köln (deutlich) geringer (1.299 Beamte). Diese Zahl war jedoch offenkundig (viel) zu gering.

22

Zweifelhaft ist allerdings, ob die Antragsgegnerin ein ernsthaftes Amtshilfeersuchen gestellt hat und ob die Behörden des Bundes und der Länder - wenn sie es als solches verstanden haben - zu Recht abgelehnt haben, die erforderliche Hilfe zu leisten. Nach Art. 35 Abs. 1 GG leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. Hierzu sind sie auf ein entsprechendes Ersuchen hin verpflichtet (vgl. Bauer in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 19). Daran, dass ein derartiges Ersuchen gestellt wurde, kann man zweifeln, da die Antragsgegnerin in ihrer E-Mail vom 7. August 2015 (Bl. 209/210 der Sachakte) nur um Prüfung gebeten hat, ob die genannte Unterstützung erfolgen könne, und sodann Bund und Länder um „Angebote“ gebeten hat. Auch in ihrer E-Mail vom 27. August 2015 (Bl. 212/213 der Sachakte) hat sie im Hinblick auf den mitgeteilten erhöhten Bedarf lediglich um Angebote gebeten. Offenbar unterscheidet die Antragsgegnerin selbst zwischen Angeboten und Zusagen, wie sich aus einer anderen E-Mail vom 27. August 2015 ergibt (Bl. 217 R der Sachakte), in der sie sich für die „Prüfung der Unterstützungsmöglichkeiten ... und die eingegangenen Angebote/Zusagen bzw. Absagen“ bedankt hat. Insofern wäre aufzuklären, ob diese Bitte um Angebote von den betroffenen Behörden bereits als Ersuchen um eine dringend erforderliche Amtshilfe, zu der sie verpflichtet sind, verstanden wurde. Sollten die Behörden in der Bitte um Angebote noch kein konkretes Amtshilfeersuchen gesehen und mithin ein derartiges Ersuchen auch noch nicht abgelehnt haben, so lägen die Voraussetzungen für einen polizeilichen Notstand nicht vor. Andererseits erscheint es aber auch möglich, dass jedenfalls einige Behörden die Bitte der Antragsgegnerin bereits als verpflichtendes Amtshilfeersuchen verstanden haben. Denn sie haben sämtlich geantwortet und teilweise auch mitgeteilt, dass Polizeikräfte bereitgestellt würden. Um aufzuklären, ob die Behörden von Bund und Ländern die Bitte der Antragsgegnerin um Angebote als konkretes Amtshilfeersuchen verstanden haben, müssen Auskünfte dieser Behörden eingeholt werden. Das kann im vorliegenden Verfahren nicht erfolgen.

23

Vor allem aber ist aufklärungsbedürftig, aus welchen Gründen die Behörden des Bundes und der Länder nicht bzw. nur in derart geringem Umfang bereit oder in der Lage sind, Amtshilfe zu leisten. So haben einige Länder keinerlei Hilfe oder eine im Wesentlichen nur technische Unterstützung durch Wasserwerfereinheiten angeboten. Soweit sich die Behörden im Übrigen überhaupt bereit erklärt haben, Hundertschaften zur Verfügung zu stellen, beschränkt sich dies zumeist auf jeweils nur eine Hundertschaft. Damit mussten jedenfalls die großen und gleichwohl sehr zurückhaltend Hilfe leistenden Länder davon ausgehen, dass die insgesamt erbetenen 37 Hundertschaften nicht zusammenkommen würden. Insoweit bedarf es konkreter Feststellungen dazu, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit in den jeweiligen Ländern und aufgrund welcher konkreter, gegenüber einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestellt wurden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 21). Hierüber geben die Antworten der Behörden der Länder keine ausreichende Auskunft. Soweit diese Behörden ihre (nur geringen) Zusagen sowie ihre Absagen überhaupt begründet haben, ergibt sich hieraus nichts Konkretes darüber, welche vorrangigen Rechtsgüter in den jeweiligen Ländern zu schützen sind und warum keine (weiteren) Polizeikräfte nach Hamburg entsandt werden können. Dies ist genauestens aufzuklären, um feststellen zu können, dass die Behörden des Bundes und der Länder nicht nur vorgeschoben haben, nicht in der Lage zu sein, Amtshilfe zu leisten. Die Wahrnehmung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 GG darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass die zur Amtshilfe verpflichteten Behörden willens sind, eine Versammlung zu schützen. Die hierzu erforderlichen Feststellungen können aber in der knappen Zeit des Beschwerdeverfahrens nicht getroffen werden.

24

2. Die hiernach nur mögliche, aber auch gebotene Folgenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus.

25

Im Rahmen dieser Abwägung sind einerseits die Folgen zu berücksichtigen, die es für den Antragsteller und die Teilnehmer der angemeldeten Versammlung in Bezug auf die Ausübung ihres durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Rechts hätte, wenn der Aufzug nicht durchgeführt werden kann, sich bei einer späteren Überprüfung aber herausstellen sollte, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands in Wahrheit nicht vorlagen. Andererseits ist zu würdigen, welche Folgen es für den Antragsteller und die Teilnehmer des Aufzugs sowie für Dritte hätte, wenn die Versammlung stattfinden könnte, sich aber später herausstellt, dass ein polizeilicher Notstand tatsächlich bestand. Dabei ist in die Betrachtung auch einzubeziehen, dass möglicherweise zwar die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes objektiv nicht vorliegen, die Behörden von Bund und Ländern aber gleichwohl - rechtswidrig - die Amtshilfe verweigern.

26

Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass in der gegenwärtigen Situation weder der Aufzug noch eine stationäre Versammlung stattfinden können, da dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass die Gesundheit der Teilnehmer der Versammlung, der sie schützenden Polizeibeamten, von Gegendemonstranten sowie unbeteiligten Dritten verletzt wird. Diesem Schutz gebührt nach Auffassung des Beschwerdegerichts der Vorrang gegenüber dem Recht auf Durchführung der Versammlung an diesem Tag. Im Einzelnen:

27

Ein Versammlungsverbot beeinträchtigt den Antragsteller und die potentiellen Teilnehmer des Aufzugs in erheblichem Maße in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Denn es gehört zu der grundgesetzlich geschützten Freiheit des Antragstellers zu bestimmen, wann und wo er eine Versammlung abhalten will. Die Intensität der Rechtsbeeinträchtigung wird dadurch etwas verringert, dass der Antragsteller nicht darauf angewiesen ist, sein Anliegen gerade am 12. September 2015 auszudrücken. Den Tag hat er nach eigenem Bekunden - wie die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid (S. 3) unwidersprochen angeführt hat - willkürlich ausgewählt. Demzufolge wäre es grundsätzlich möglich, die Versammlung zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen, ohne auf Kernaussagen seines Anliegens verzichten zu müssen.

28

Sollte die Versammlung hingegen am 12. September 2015 in Form des angemeldeten Aufzugs, ggf. auf einer anderen als der angemeldeten Route oder in eingeschränkter Weise als lediglich stationäre Versammlung stattfinden, so käme es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu schweren Ausschreitungen, wenn gewaltbereite und gewaltsuchende Teilnehmer der Versammlung auf ebenso gewaltorientierte Gegner aus dem linken Spektrum stoßen. Diese werden versuchen, jede sich ihnen bietende Möglichkeit zu nutzen, die Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs anzugreifen, und zwar unabhängig davon, ob diese einen Aufzug durchführen oder nur eine stationäre Versammlung. Das belegen die zahlreichen, bereits in der Wortwahl unmissverständlichen Aufrufe aus dem linksautonomen Spektrum, die im Internet verbreitet werden. Dort wird u.a. in der im Bescheid der Antragsgegnerin (S. 25 ff.) zutreffend wiedergegebenen Weise dazu aufgerufen, den rechten Aufmarsch anzugreifen, „sich dem deutschen Mob mit allen Mitteln und auf allen Ebenen entgegenzustellen“ und ihn anzugreifen, den „Nazis auf’s Maul!“ zu geben, den Naziaufmarsch anzugreifen, die „braune Pest“ entschlossen aus der Stadt zu jagen und ihnen zu zeigen, „dass dies nur unsere Straßen sind“, und Aufzüge wie diesen um jeden Preis zu verhindern. In dem Aufruf der Gruppe „Roter Aufbau Hamburg“, der auf deren Website (roter-aufbau.de) sowie über die Plattform http://de.indymedia.org verbreitet wird, wird neben der Überschrift „Hamburg wird rechtsfrei - Hetzjagd auf Nazis am 12.9.“ ein rot-maskierter Mann mit einem Baseballschläger gezeigt. In dem Text des Aufrufs heißt es weiter: „Deshalb müssen wir uns und unsere Nachbarschaft selbst vor diesen Gruppen schützen... Wir werden ihnen mit allen Mitteln zeigen, dass ihre Zeichensetzung falsch ist, denn Hamburg sieht nicht nur am 1. Mai rot, sondern immer auch dann, wenn rechtes Gesindel in unserer Stadt auftritt. Wir kennen die Straßen dieser Stadt und werden ihnen entschlossen zeigen, dass es unsere Straßen sind. - Hetzjagd auf Nazis bis zum Kommunismus!“. Entsprechend gewaltorientiert ist auch das Video, welches zum Angriff auf den früheren Aufzug vom 2. Juni 2012 aufrief und offenbar neu ins Internet eingestellt worden ist (S. 26 des Bescheides). Auch in einem Aufruf des Bündnisses gegen Rechts heißt es unter Bezugnahme auf den Aufzug vom 2. Juni 2012: Wir werden flexibel sein und dort protestieren, wo die RassistInnen ihre menschenverachtende Propaganda verbreiten wollen. ... ist uns Ansporn, ein weiteres Mal auf die Straße zu gehen und uns ihnen in den Weg zu stellen. Komm mit!“.

29

Dies belegt, dass mehrere Gruppierungen dazu aufrufen, die rechtsgerichteten Versammlungsteilnehmer jederzeit und an jedem Ort in Hamburg anzugreifen und sich Ihnen zumindest in den Weg zu stellen, um den Aufzug zu verhindern. Sie rufen nicht zur Teilnahme an einer Gegendemonstration auf, sondern zu gezielten Aktionen außerhalb einer Versammlung. Die diesbezüglichen Erfahrungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass das tatsächlich geschieht, und zwar bereits vor der Versammlung, während der Versammlung und nach ihrem Ende. So wurden bereits am 1. Mai 2008 vor Beginn einer Versammlung rechtsgerichteter Kreise die anreisenden Versammlungsteilnehmer (insgesamt ca. 1.500) in verschiedenen Stadtteilen attackiert und es kam während der gesamten Zeit der Versammlung zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den rechten und linken Gruppierungen sowie zu schweren Angriffen auf die eingesetzten Polizisten (S. 21 des Bescheides). In der Nacht vor dem Aufzug am 2. Juni 2012 („Tag der deutschen Zukunft“) wurden Polizeifahrzeuge angezündet. Während der Versammlung versuchte ein Block von mehr als 1.000 Personen, auf die Marschstrecke der Rechten zu gelangen. Dabei wurden die Polizisten, die die Marschstrecke zu sichern hatten, massiv angegriffen. Mit einem großem Polizeiaufgebot - insgesamt waren 4.550 Polizisten im Einsatz - konnte verhindert werden, dass die beiden Gruppierungen aufeinandertrafen (S. 22 des Bescheides). Vergleichbar war die Situation am 15. November 2014 in Hannover. Als dort der Demonstrationszug der Gegendemonstranten unmittelbar an die stationäre Versammlung der Rechten herankam, konnten körperliche Auseinandersetzungen nur mit einem massiven Einsatz von Polizeibeamten verhindert werden; im Einsatz waren 5.330 Beamte. Gleichwohl bewarfen sich die beiden Gruppierungen mit Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen (S. 24 des Bescheides).

30

Aufgrund der Feststellungen der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit kein Zweifel besteht, ist weiter davon auszugehen, dass ein gewichtiger Teil der rechtsgerichteten Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs ebenfalls die körperliche Auseinandersetzung mit den Gegendemonstranten annehmen, wenn nicht gar suchen werden. Dass sich unter den Teilnehmern des angemeldeten Aufzugs eine nicht unerhebliche Zahl von gewaltorientierten Personen befinden würde, ist oben bereits ausgeführt worden. Das vorhandene Gewaltpotential belegt zudem der soeben gewürdigte Verlauf der Versammlung in Hannover. Vor allem aber belegt das der Verlauf des - in jeder Hinsicht vergleichbaren - Aufzugs in Köln am 26. Oktober 2014. Wie oben ausgeführt, haben Teilnehmer des Aufzugs auf Provokationen von Außenstehenden äußerst aggressiv mit Flaschenwürfen sowohl gegen die Provokateure als auch gegen die Polizei und Medienvertreter reagiert. Auch hiernach steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass es - sollten die beiden Gruppierungen zu irgendeiner Zeit während des Aufzugs oder in der Zeit davor oder danach unmittelbar aufeinandertreffen - massive Schlägereien zwischen ihnen geben wird, bei denen es zu erheblichen Körperverletzungen und Sachbeschädigungen kommen wird. Die Zahl der gewaltorientierten Personen im Kreis der Linken wird nach den Einschätzungen der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit der Senat ebenfalls nicht zweifelt, in einer Größenordnung von bis zu 2.000 Personen liegen, darunter 500 bis 1.000 gewaltsuchende Personen (S. 20 des Bescheides). Die vorhandene hohe Gewaltbereitschaft wird schließlich dadurch bestätigt, dass in der Nacht vom 30. auf den 31. August 2015 die Fahrzeuge eines Mitorganisators des Aufzugs sowie zweier anderer Personen aus der rechten Szene in Brand gesetzt wurden.

31

Die zu erwartenden Auseinandersetzungen während des Aufzugs oder in der Zeit davor oder danach könnte die Antragsgegnerin nach ihrer plausiblen und nicht zu beanstandenden Einschätzung nur mit dem genannten Großaufgebot an Kräften ausreichend verhindern. Ohne dieses Großaufgebot wird es mit Sicherheit zu massiven Schlägereinen zwischen den verfeindeten Gruppen kommen. Dieses Aufgebot steht der Antragsgegnerin tatsächlich nicht zur Verfügung. Für die Durchführung eines Aufzugs fehlen ihr nach dem letzten Stand 23 Hundertschaften (ca. 2.500 Beamte). Aber selbst für die Durchführung einer nur stationären Versammlung, für deren Sicherung sie mit insgesamt 7 Hundertschaften weniger auskommen könnte, fehlen ihr noch 16 Hundertschaften (va. 1.750 Beamte). Damit steht fest, dass die Antragsgegnerin nicht ausreichend in der Lage ist, die Gesundheit der betroffenen Personen sowie das Eigentum betroffener Bürger zu schützen. Hinzu kommt, dass die Polizisten, die in einer viel zu geringen Stärke gleichwohl versuchen müssten, die Auseinandersetzungen zu verhindern, in ihrer eigenen Gesundheit über das bei einer regulären Einsatzstärke ohnehin schon bestehende Maß hinaus gefährdet würden.

32

Nach den Hilfeverweigerungen der Behörden des Bundes und der Länder spricht nichts dafür, dass diese „im letzten Moment“ doch noch Einsatzkräfte in der erforderlichen Zahl zur Verfügung stellen könnten, sollte im vorliegenden Verfahren die Durchführung eines Aufzugs oder zumindest einer stationären Versammlung ermöglicht werden. Mit einer derartigen Sinnesänderung in dem erforderlichen Umfang ist nicht zu rechnen, da damit faktisch eingeräumt würde, dass die bisherigen Absagen nicht ernst gemeint waren und möglicherweise nur dazu gedient haben, der Antragsgegnerin die Argumente zu liefern, den Aufzug zu verbieten.

33

B Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Kostenentscheidungen der Beschlüsse werden aufgehoben. Das Verfahren wird insoweit an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer meldeten Anfang September 2010 bei der Stadt L. ihr Vorhaben an, am 16. Oktober 2010 (von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr) in L. eine Versammlung unter freiem Himmel durchzuführen. Die geplante Versammlung sollte aus drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt von L. bestehen. Die Teilnehmerzahl wurde von den Beschwerdeführern bei der Anmeldung auf 600 Personen geschätzt. Das Motto der geplanten Versammlung lautete "Recht auf Zukunft". Es bezog sich auf eine am 17. Oktober 2009 in L. von der Beschwerdeführerin zu 4), einer Unterorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), veranstaltete Versammlung, bei der es im Zusammenhang mit einer Versammlungsblockade durch Gegendemonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und letztlich zu einer polizeilichen Auflösung der Versammlung kam.

3

Angesichts dieser Vorgeschichte und der Anmeldung von zahlreichen Gegendemonstrationen kam es zwischen der Anmeldung und der Durchführung der geplanten Versammlung zu umfangreichen Verhandlungen zwischen den Beschwerdeführern und der Stadt L., die unter anderem in Kooperationsgesprächen am 4., am 6. und am 13. Oktober 2010 eingehend die polizeilich sicherbare Anzahl der geplanten Aufzüge und die konkrete Streckenführung erörterten. In einer Gefährdungsanalyse am 4. Oktober 2010 bekundete die Polizeidirektion L. dabei laut den tatsächlichen Feststellungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass der Schutz von zwei der angemeldeten Aufzüge mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften gewährleistet werden könne. Am 11. Oktober 2010 teilte der Beschwerdeführer zu 1) der Stadt schließlich mit, dass am 16. Oktober 2010 nunmehr lediglich ein einziger Aufzug stattfinden solle. Am 12. Oktober 2010 ergänzte die Polizeidirektion L. ihre Gefahrprognose insofern, dass nunmehr nur eine maximal vierstündige stationäre Kundgebung durchführbar sei, weil nach den Erfahrungen des Versammlungsgeschehens vom 17. Oktober 2009 mit einer höheren als der angemeldeten Teilnehmerzahl zu rechnen sei und jeweils ca. 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration und der Gegendemonstrationen als gewaltbereit einzustufen seien.

4

2. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 untersagte die Stadt L. die Durchführung der Versammlung als Aufzug, verfügte die Durchführung als stationäre Kundgebung in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in einem Bereich am L. Hauptbahnhof und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Auflage an. Die Polizeidirektion L. habe in ihrer Gefahrprognose vom 12. Oktober 2010 dargelegt, dass im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Oktober 2010 aufgrund von zahlreichen Versammlungsanmeldungen widerstreitender politischer Lager eine latente Gefährdungssituation vorhanden sei, die einen außerordentlich hohen Kräfteeinsatz der Polizei erfordere. Es sei davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer der Aufzüge bei Angriffen durch Personen der linksextremistischen Klientel provozieren ließen und darauf entsprechend reagierten. Die Polizei habe glaubhaft dargelegt, dass sie kräftetechnisch außerstande sei, einen Aufzug zu begleiten, da trotz bundesweiter Anfragen nur 29 der für erforderlich gehaltenen 44 Polizeihundertschaften, also nur 66 % der geplanten Polizeikräfte, zur Verfügung stünden. Die Ausübung der Versammlungsfreiheit werde trotz der Beschränkungen nicht vereitelt, da der zugewiesene Ort eine hinreichende Öffentlichkeitswirksamkeit und eine räumliche Trennung der gegensätzlichen politischen Lager gewährleiste.

5

3. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer noch am gleichen Tag Widerspruch und stellten beim Verwaltungsgericht Leipzig die Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Auflage, nur eine stationäre Kundgebung durchzuführen, wiederherzustellen sowie im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Verbot sämtlicher Versammlungen in einem Umkreis von 300 m um die angemeldeten Aufzugstrecken anzuordnen. Das Verwaltungsgericht Leipzig lehnte die Eilanträge mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Bescheid vom 13. Oktober 2010 rechtmäßig sei und somit das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheids die Interessen der Beschwerdeführer überwiege. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, die Stadt L., sei auf der Grundlage der Einschätzung der Polizeidirektion L. nachvollziehbar davon ausgegangen, dass infolge zahlreicher Gegenaktionen und -demonstrationen bei Durchführung des im Zuge der Kooperation der Beschwerdeführer zuletzt noch geplanten einzigen Aufzuges eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bestehe. Bei der Vielzahl der angemeldeten und geplanten Veranstaltungen am 16.10.2010, unter anderem ein Fußballspiel, und in Anbetracht der beschriebenen begrenzten Kräftelage der Polizei sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einhergehenden Personen- und Sachschäden zu rechnen, denen nur mit der Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung begegnet werden könne. Dieser Gefahr könne in Anbetracht der besonderen Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 auch nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer begegnet werden.

6

4. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts legten die Beschwerdeführer Beschwerde ein. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 zurück. Ob ein polizeilicher Notstand vorliege, sei im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend zu beurteilen. Der Einschätzung der Polizeidirektion lasse sich entnehmen, dass aufgrund des Versammlungsgeschehens im Vorjahr mit gewalttätigen Auseinandersetzungen einer Anzahl von 10 bis 20 % der Teilnehmer sowohl auf Seiten der Beschwerdeführer wie auf Seiten linker Demonstranten gerechnet werde. Zwar erschließe sich dem Gericht nicht, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb kurzer Zeit so erhöht haben solle, dass statt der zwei Aufzüge, die die Polizeidirektion ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten habe, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Wegen der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit sei aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Danach sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil für den Antragsteller die mit der Durchführung einer nur stationären Kundgebung verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmbar seien.

7

5. Die Beschwerdeführer beantragten sodann beim Bundesverfassungsgericht zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen Antrag hat die Kammer aufgrund der besonderen Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, dabei jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Klärung der aufgeworfenen Fragen in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsachverfahren hingewiesen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris).

8

6. Hieraufhin erhoben die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts fristgemäß Verfassungsbeschwerde mit der Rüge, durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Rechten aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt zu sein.

9

7. Das Bundesverfassungsgericht hat der Stadt L. als Gegnerin des Ausgangsverfahrens, dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa sowie der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

10

Nach Auffassung des Rechtsamtes der Stadt L. liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht vor. Das Sächsische Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des unter anderem für das Versammlungsrecht zuständigen 6. Revisionssenats übersandt, in der dieser Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen äußert.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 69, 315 <340 ff.>; 110, 77 <83 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zulässig und begründet.

12

1. Der Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG steht weder der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde noch das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses entgegen.

13

a) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache nur, soweit die geltend gemachte Verletzung von Freiheitsrechten oder von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung der Gerichte in der Hauptsache noch ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier rügen die Beschwerdeführer allerdings gerade die Missachtung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bei der Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr behandelt werden würde.

14

b) Auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer besteht, obwohl der Demonstrationstermin verstrichen und damit der Sofortvollzug der strittigen Auflagen gegenstandslos geworden ist. Sind verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht (mehr) zu klären, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung des ursprünglichen Begehrens im Falle einer Wiederholungsgefahr, also wenn ein Gericht die bereits herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht beachtet hat und bei hinreichend bestimmter Gefahr einer gleichartigen Entscheidung bei gleichartiger Sach- und Rechtslage zu befürchten ist, dass es diese auch in Zukunft verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier führten die Beschwerdeführer bereits konflikthafte Versammlungen in L. durch und planen auch in Zukunft die Durchführung von Versammlungen in L., bei denen sie mit ähnlichen Konfliktsituationen rechnen und gegebenenfalls gleichartige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts befürchten müssten.

15

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

16

a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343> oder <355 ff.>; 128, 226 <250 f.>).

17

Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Nach § 15 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 in der Fassung vom 8. Dezember 2008 (BGBl I S. 2366; im Folgenden: VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung durchgeführt werden darf (vgl. BVerfGK 2, 1 <8>). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Ferner gilt, dass, soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, die Durchführung der Versammlung zu schützen ist und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten sind (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>; BVerfG , Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2072>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfGK 17, 303 <308>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

18

b) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 23. März 2004 - 1 BvR 745/01 -, juris, Rn. 13). Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren als außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegender Rechtsbehelf kann die primäre Rechtsschutzfunktion der Fachgerichte ebenfalls nicht übernehmen. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung auslösen kann, ist hierbei zudem ein strenger, von den verwaltungsgerichtlichen Kriterien grundsätzlich unterschiedener Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris, Rn. 4). Daher müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der beschriebenen strengen Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene.

19

3. Diese Maßstäbe haben das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bei den ihnen obliegenden Entscheidungen über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend berücksichtigt. Beide Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsbeschränkende behördliche Maßnahmen nicht gerecht.

20

a) Die vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die Verhinderung der Versammlung in Form eines Aufzugs hätte rechtfertigen können. Das Verwaltungsgericht legt insofern bereits nicht hinreichend deutlich dar, ob seiner Auffassung nach auch von der Versammlung selbst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder diese Gefahr ausschließlich aufgrund der zahlreichen Gegendemonstrationen und den hieraus zu erwartenden Störungen der Versammlung besteht. Dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Begründung seines Standpunktes im Wesentlichen lediglich auf die Einschätzung der Polizeidirektion L., die ohne nähere Erläuterung 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration dem gewaltbereiten Klientel zurechnete, verweist, genügt den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG insofern jedenfalls nicht.

21

Auch im Hinblick auf eine Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes genügen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht weist insofern zur Begründung des Vorliegens einer nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer abwendbaren Gefahr, insbesondere auf die besondere Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 und die deswegen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräfte, hin und beruft sich dabei pauschal auf die Einschätzung der Polizeidirektion L. vom 13. Oktober 2010. Berücksichtigt man aber den Umstand, dass die Polizeidirektion in ihrer Gefährdungsanalyse vom 4. Oktober 2010 offenbar noch zwei der angemeldeten Aufzüge mit den ihr voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kräften für sicherbar hielt, erfüllt diese pauschale Bezugnahme auf die Einschätzung der Polizeidirektion vom 13. Oktober 2010 nicht die den Anforderungen an die entsprechend obigen Maßstäben bereits im Eilverfahren gebotene intensivere Rechtmäßigkeitsprüfung. Vielmehr hätte die kurzfristige Änderung der polizeilichen Einschätzung, die sich nicht ohne weiteres erschließt, das Verwaltungsgericht zu einer substantiierteren Prüfung der veränderten polizeilichen Einschätzung und zur Nachfrage einer genaueren Begründung ihrer Entscheidung veranlassen müssen. Dass dies vorliegend aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Auch im Übrigen hätte es dezidierterer Feststellungen bedurft, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Die behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Gegendemonstrationen kann nach obigen Maßstäben jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden. Auch die Bindung von Polizeikräften aufgrund eines parallel stattfindenden Fußballspiels und sonstiger Veranstaltungen, deren vorrangige Schutzwürdigkeit sich nicht ohne weiteres erschließt, reicht hierfür nicht aus.

22

b) Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls nicht stand. Zwar hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht deutliche Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen eines für die Rechtfertigung der versammlungsrechtlichen Auflage erforderlichen polizeilichen Notstandes geäußert und nachvollziehbar dargelegt, dass sich ihm nicht erschließe, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der Gefährdungsanalyse der Polizeidirektion L. vom 4. Oktober 2010 und dem Erlass der Auflage am 13. Oktober 2010 so erhöht haben soll, dass statt der zwei Aufzüge, die ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten wurden, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Auch erscheint es nachvollziehbar, dass dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die Vornahme der hier grundsätzlich gebotenen und soweit als möglich nicht lediglich summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Auflage nicht mehr möglich war. Allerdings hätte es dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in dieser Konstellation, um der Freiheitsvermutung zugunsten der Versammlungsfreiheit zumindest in der Sache Rechnung zu tragen, oblegen, eine besonders sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese in der Begründung seiner Entscheidung hinreichend offenzulegen. Vorliegend hat sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, auf die vermeintlich geringe Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzuweisen, ohne auch nur ansatzweise ausreichend auf das Bestehen einer die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit überwiegenden potentiellen Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter einzugehen.

23

4. Demgemäß ist festzustellen, dass sowohl der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig als auch der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Einer Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung bedarf es darüberhinausgehend nur bezüglich der Kostenentscheidungen, da in der Sache selbst Erledigung eingetreten ist (vgl. Schemmer, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. Aufl. 2005, BVerfGG, § 93c Rn. 33).

24

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. November 2011 - 3 K 1817/11 - geändert.

Es wird festgestellt, dass das Versammlungsverbot (Ziffern I. und II.) und die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung (Ziffer IV.) in der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 08.02.2011 rechtswidrig waren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines durch Allgemeinverfügung erlassenen Versammlungsverbots zur Sicherung eines Castortransports.
Mit einer auf § 15 Abs. 1 VersammlG und § 35 Satz 2 LVwVfG gestützten Allgemeinverfügung vom 08.02.2011 untersagte die Beklagte - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge für den Zeitraum vom 15.02.2011, 0.00 Uhr bis zum 16.02.2011, 24.00 Uhr (I. der Verfügung). Der räumliche Geltungsbereich des Versammlungsverbots wurde in den Anlagen 1 und 2 zur Allgemeinverfügung festgelegt (II. der Verfügung). Er umfasste einen Korridor von jeweils 50 m Breite beidseits der Gleise entlang der Schienentransportstrecke des beabsichtigten Transports von HAW-Glaskokillen in Castor-Behältern sowie im Einzelnen bezeichnete Straßen und Straßenabschnitte einschließlich der dazwischen liegenden Flächen auf dem Gebiet der Beklagten. Nach III. der Verfügung wurden in diesem Bereich auch Sitzblockaden, andere Blockaden des HAW-Transports oder das Bereiten jedweder sonstiger Hindernisse verboten. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer I oder III wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang angedroht (IV. der Verfügung). Unter VI. wurde bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
Die Allgemeinverfügung wurde am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe ohne Begründung bekannt gemacht. In der Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, dass die Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne.
In der Begründung wurde ausgeführt, der Beklagten lägen für den Zeitraum des Castortransports durch das Stadtgebiet bislang lediglich zwei Anmeldungen für Mahnwachen vor. Es sei jedoch mit weiteren Demonstrationen zu rechnen. Trotz diverser bundesweiter Demonstrationsaufrufe verschiedener Organisationen sei es der Versammlungsbehörde nicht möglich, an Verantwortliche im Sinn von § 14 Abs. 2 VersammlG Einzelverfügungen zu adressieren, da keine Anmeldung im Sinn von § 14 Abs. 1 VersammlG erfolgt sei. Aus diesem Grund bleibe nur die gewählte Form der Allgemeinverfügung. Die Gefahrenprognose stütze sich auf Erfahrungen bei vergangenen Atomtransporten und auf aktuelle Aufrufe zu Protest- und Blockadeaktionen im Internet. Fünf Vorfälle aus den Jahren 2004 - 2010 wurden ausdrücklich angeführt:
Am 07.11.2004 habe sich anlässlich eines Castortransports eine Gruppe von 20 - 25 Personen im Bereich Mannheim-Friedrichsfeld/Schwetzingen auf den Weg Richtung Gleisanlage gemacht. Es seien Platzverweise ausgesprochen und sechs Personen in Gewahrsam genommen worden. Nach den Gesamtumständen habe die Personengruppe die Gleise blockieren wollen.
Anlässlich eines Castortransports am 11.11.2006 habe ein Zug in Höhe Büchig (Stutensee) halten müssen, da im weiteren Streckenverlauf ein verdächtigtes Päckchen auf der Gleisanlage gelegen habe sowie in dessen Nähe ein Transparent „Stoppt den Castor“ über die Gleise gespannt worden sei. Kurze Zeit später habe der Zug wegen eines mit Holzstücken gefüllten Eimers auf den Schienen halten müssen. Fast zeitgleich hätten in Mannheim (Ansiedlung Alteichwald) fünf Personen aus einer sechsköpfigen Gruppe in Gewahrsam genommen werden müssen, nachdem sie einen Platzverweis nicht befolgt hatten. Ihre Absicht dürfe eine Gleisblockade gewesen sein. Zwischen Hockenheim und Oftersheim hätten sich ca. 30 Personen mit Fackeln im Gleisbereich zu Blockadezwecken versammelt. Nach Versammlungsauflösung seien Platzverweise erteilt worden. Zehn Personen seien in Gewahrsam genommen worden, da sie den Platzverweisen nicht nachgekommen seien. Die Zugfahrt sei um eine Stunde verzögert worden.
Bei einem Castortransport am 08./09.11.2008 hätten sich zwischen Berg und Neuburg (Rheinland-Pfalz) 11 Personen versammelt, von denen sich drei Personen mit einem Kunststoffrohr und Schnellzement an die Gleise gekettet hätten. Das Lösen der Blockade habe sich so schwierig und aufwendig gestaltet, dass die Weiterfahrt des Zuges sich um 14 Stunden verzögert habe. Nahezu zeitgleich seien drei einschlägig bekannte Personen der Anti-Atom-Szene mit mitgeführten faltbaren gelben Tonnen angetroffen worden. Den Personen seien Platzverweise erteilt worden, wobei eine Person nach vorangegangener Widerstandshandlung vorübergehend in Gewahrsam genommen worden sei. Aufgrund des örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs (planmäßig hätte der Zug kurze Zeit später den Bahnhof Karlsruhe-Mühlburg passieren sollen) sei zu vermuten, dass die Personen ebenfalls eine Blockadeaktion beabsichtigt hätten. Im weiteren Verlauf habe der Zug erneut für ca. 25 Minuten halten müssen, nachdem die Bundespolizei metallische Geräusche im Schienenbereich wahrgenommen habe und eine Leuchtrakete in den Himmel abgeschossen worden sei.
Am 06.11.2010 hätten sich anlässlich eines Castortransports im Bereich Lauterbourg (Frankreich) zwei bekannte Aktivisten aus Heidelberg an den Gleisen festgekettet. Im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) hätten gleichzeitig bis zu 1.000 Demonstranten die Transportstrecke blockiert. Der Zug sei umgeleitet worden. Im weiteren Verlauf sei eine Brücke, die der Zug überfahren sollte, blockiert worden. Die rechtswidrige Versammlung sei aufgelöst worden. 11 Personen hätten von der Brücke weggetragen werden müssen. Dabei sei es zu Widerstandshandlungen gegen Polizeikräfte der Bundespolizei gekommen. Es seien drei Personen festgenommen worden. Nachdem die Zugumleitung bekannt geworden sei, sei es im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe zu einer Versammlung von ca. 250–300 Personen gekommen, darunter auch ca. 20 Autonome der Anti-Atom-Szene. Die Personen hätten versucht, durch Überrennen eine Polizeiabsperrung zu überwinden, um auf der Gleisanlage eine Blockade zu errichten. Dieses Vorhaben habe nur durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung unmittelbaren Zwangs verhindert werden können. Es sei zu vier Widerstandshandlungen sowie zu einer Beleidigung zum Nachteil der Einsatzkräfte gekommen. Vermutlich aus Protest gegen die Eingriffsmaßnahmen der Polizei gegenüber den Straftätern habe sich in der Folge ein spontaner Aufzug (ca. 80 – 100 Personen) vom Hauptbahnhof in Richtung Polizeipräsidium Karlsruhe bewegt und „Lasst sie frei“ skandiert.
Ein Transport am 15.12.2010 sei störungsfrei verlaufen, nachdem die Einsatzleitung in Frankreich kurzfristig eine Streckenänderung verfügt habe.
10 
Zu den Protest- und Blockadeaufrufen im Internet hieß es u.a.:
11 
Auf der Internetseite www.nachttanzblockade.de werde mit den Worten „Mach mit, bleib wach, besetze, blockiere!“, „Wir stoppen mit einer Gleisbesetzung den Castor“ und „Teig mischen? Beton mischen? Mitmischen!“ ausdrücklich zu Blockaden aufgerufen. Die Blockade solle „in Karlsruhe-Neureut, wenn der Castor rollt“ stattfinden. Unter der Rubrik „Mitmischen“ erscheine eine Checkliste, welche Gegenstände zur Blockadeaktion mitgebracht werden sollten, u.a.
12 
- Werkzeug zum Reparieren von Zäunen, Straßen etc.,
- dichte Plastiktüte zum Verpacken Tränengas verseuchter Klamotten,
- Augenspülflasche mit klarem Wasser,
- Medikamente für mehrere Tage,
- Sitzkissen,
- keine Schminke und Fettcreme (bindet Tränengas).
13 
Das Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand-Neckarwestheim rufe auf http://neckarwestheim.antiatom.net gemeinsam mit den Südwestdeutschen Anti-Atom-Initiativen dazu auf, „gegen die Atommüllverschiebung von Karlsruhe nach Lubmin am Transporttag (16.02.2011) entlang den Straßenbahnschienen in Karlsruhe zu demonstrieren und Aktionen entlang der gesamten Transportstrecke durchzuführen.
14 
Auf der Seite www.lubmin-nixda.de werde zur regen Teilnahme an bundesweiten Demonstrationen am 12.02.2011 entlang der möglichen Transportstrecken und zum „Widerstand im ganzen Land gegen diesen Castortransport, denn Atommüll geht uns alle an!“ aufgerufen. Für die darauffolgenden Tage (15.-18.02.2011) werde dazu aufgerufen, sich am Protest zu beteiligen: „Organisiert bei Euch an der Strecke Widerstand und stoppt den Castor am Tag X“.
15 
Die „Linksjugend (Solid) Karlsruhe“ rufe auf der Internetseite http://solidka.wordpress.com/castor zur Transportblockade auf. Neben einem eigenen Flyer werde auf die Internetseite der Nachttanzblockade verwiesen.
16 
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kam die Beklagte zu dem Schluss, dass im Zusammenhang mit dem am 15./16.02.2011 stattfindenden Castortransport mit massiven Störungen des Zuglaufs durch Blockadeaktionen bzw. Einwirkungen auf den Schienenstrang oder den Transportzug selbst gerechnet werden müsse. Wie viele Personen sich an den Protesten beteiligen werden, sei nicht absehbar. Vor dem Hintergrund der zuvor beschlossenen Laufzeitverlängerung von Atomanlagen sowie der Zwischen- und Endlagerproblematik sei jedoch von einem erheblichen Mobilisierungsgrad auszugehen. Unmittelbaren lokalen Bezug entfalte zudem der Rückkauf der EnBW-Aktien durch das Land Baden-Württemberg. Dass lediglich zwei Mahnwachen angemeldet worden seien, im Internet jedoch aktiv zu Protesten aufgerufen werde, lasse auf eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der Veranstalter schließen.
17 
Die Allgemeinverfügung sei das mildeste Mittel, welches in Anbetracht der Gefahrenprognose die Transportsicherung noch mit hinreichender Sicherheit gewährleiste. Der räumliche Geltungsbereich müsse in der Breite so gestaltet sein, dass das Durchsickern von Demonstranten zur Transportstrecke sowie das Erreichen des Zuges mit Wurfgeschossen nicht möglich sei. In zeitlicher Hinsicht bedürfe es aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit eines ausreichenden Zeitpuffers, um etwaige Transportverzögerungen aufzufangen.
18 
Am 14.02.2011 erhob der Kläger Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung und beantragte gleichzeitig beim Verwaltungsgericht Karlsruhe, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14.02.2011 (- 3 K 394/11 - juris) ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 15.02.2011 - 1 S 361/11 - zurück. Der Widerspruch wurde nicht mehr beschieden.
19 
Am 05.07.2011 erhob der Kläger Fortsetzungsfeststellungsklage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Das erforderliche Feststellungsinteresse sei unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zu bejahen. Es sei nicht sichergestellt, dass der Kläger bei zukünftigen Transporten von radioaktivem Müll durch Karlsruhe Versammlungen zur zeitnahen Information der betroffenen Bevölkerung über die mit dem Atommülltransport auf S-Bahn-Gleisen quer durch Wohngebiete einhergehende Gefährdung durchführen könne. Vielmehr sei zu befürchten, dass er auch künftig keine Versammlungen mit öffentlicher Messung der von Atommülltransporten ausgehenden Strahlung direkt am vorbeifahrenden Zug mit Castoren durchführen könne, da damit zu rechnen sei, dass die Beklagte dies erneut durch vergleichbare Allgemeinverfügungen zu verhindern suche. Die Allgemeinverfügung sei nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden, da sie nicht an die Bürgerinnen und Bürger ausgehändigt und ohne Begründung veröffentlicht worden sei. Dies habe die Rechtsschutzmöglichkeiten unzulässig eingeschränkt. Die Allgemeinverfügung sei in räumlicher und zeitlicher Hinsicht unverhältnismäßig gewesen. Sie habe die Versammlungsfreiheit für einen Zeitraum von 48 Stunden in einem großen Gebiet quer durch Karlsruhe, darunter u. a. am Bahnhofsplatz, für Versammlungen aller Art und unabhängig vom Thema, außer Kraft gesetzt. Der von der Allgemeinverfügung betroffene Personenkreis sei viel zu unbestimmt gewesen, weshalb bereits die Anreise per Stadtbahn zur Dauermahnwache einen Verstoß dargestellt habe. Die Gefahrenprognose sei nicht auf vergleichbare Sachverhalte gestützt worden. Schließlich habe kein polizeilicher Notstand vorgelegen. Die Polizeikräfte hätten ausgereicht, um etwaige rechtswidrige Versammlungen aufzulösen.
20 
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 15.02.2011 - 1 S 361/11 - entgegen.
21 
Mit Urteil vom 24.11.2011 - 3 K 1817/11 - wies das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab. In formeller Hinsicht bestünden keine Bedenken gegen die Allgemeinverfügung. Ihr Erlass und die öffentliche Bekanntmachung seien gerechtfertigt gewesen. Da bei dem Castortransport mit einer Mehrzahl lose verbundener Veranstalter und einzelner Demonstranten-gruppen ohne besondere innere Struktur habe gerechnet werden müssen, sei es nicht möglich gewesen, jedem einzelnen Teilnehmer oder Veranstalter gegenüber eine Einzelverfügung bekannt zu geben. Dies rechtfertige ein allgemeines Versammlungsverbot in Form einer Allgemeinverfügung. Einer öffentlichen Bekanntmachung auch der Begründung habe es nicht bedurft. Die Allgemeinverfügung sei auch in der Sache nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG im Zeitpunkt ihres Erlasses vorgelegen hätten. Es habe eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestanden. Die Beklagte habe in der Allgemeinverfügung zu Recht angenommen, dass die Erfahrung mit zurückliegenden Castortransporten die Annahme rechtfertige, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere durch Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffe in den Bahnverkehr - bestanden habe. Ferner seien zahlreiche Indizien, insbesondere Internetaufrufe zu Protest- und Blockadeaktionen, aufgeführt, die auch bei dem seinerzeit bevorstehenden Transport für mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Rechtsgüterverletzungen gesprochen hätten. Hervorzuheben seien die zahlreichen Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite www.nachttanzblockade.de verwiesen hätten. Aus der Gesamtheit der von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien habe sich die konkrete Erwartung ergeben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Blockaden der Schienenstrecke seien von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellten eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar, weil gegen die Eisenbahnbau- und Betriebsordnung sowie möglicherweise gegen § 315 StGB verstoßen werde. Die von der Beklagten getroffene Gefahrenprognose habe der Kläger nicht zu widerlegen vermocht. Die Beklagte sei zu Recht von einem polizeilichen Notstand ausgegangen, der es rechtfertige, einschränkend auf die Modalitäten der Versammlungsdurchführung einzuwirken, um den polizeilichen Schutzauftrag umfassend und wirksam erfüllen zu können. Ohne den Erlass der Allgemeinverfügung hätte der konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht hinreichend begegnet werden können. Die Beklagte und die Polizei hätten es personalmäßig nicht gewährleisten können, in jedem Einzelfall eine individuelle Gefahrenprognose für alle angemeldeten, vor allem aber auch alle unangemeldeten Versammlungen zu treffen. Die Regelungen der Allgemeinverfügung seien auch verhältnismäßig gewesen. Dass der Korridor, in dem Versammlungen verboten gewesen seien, 50 m beidseits der Transportstrecke sowie angrenzende Gebiete erfasst habe, sei nicht zu beanstanden. In der Allgemeinverfügung sei dieser Abstand nachvollziehbar mit dem Wurf von Gegenständen sowie der Gefahr des „Durchsickerns“ von Demonstranten begründet worden. Mit dieser Begründung hätten auch an die Transportstrecke angrenzende Straßen und die dazwischen liegenden Bereiche sowie der stark frequentierte und damit schwer zu kontrollierende Bahnhofsvorplatz in die Allgemeinverfügung aufgenommen werden dürfen, da mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten gewesen sei, dass auch friedliche Versammlungen dazu genutzt würden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen. In zeitlicher Hinsicht sei das Versammlungsverbot gut nachzuvollziehen, da ein Zeitpuffer eingeplant werden müsse.
22 
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 09.08.2012 - 1 S 210/12 - zugelassenen Berufung vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen.
23 
Der Kläger beantragt,
24 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24.11.2011 - 3 K 1817/11 - zu ändern und festzustellen, dass das Versammlungsverbot (Ziffern I. und II.) und die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung (Ziffer IV.) in der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 08.02.2011 rechtswidrig waren.
25 
Die Beklagte beantragt,
26 
die Berufung zurückzuweisen.
27 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
28 
Mit der Ladung zum Termin wurde die Beklagte darauf hingewiesen, dass die von ihr vorgelegten Akten nur eingeschränkt eine zuverlässige Überprüfung der in der Allgemeinverfügung getroffenen Gefahrprognose erlaubten. Üblicherweise werde die Gefahrprognose aufgrund einer polizeilichen Lageeinschätzung getroffen. Eine solche sei dem Senat nicht vorgelegt worden. Eine Überprüfung der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands sei ohne Kenntnis der Zahl der damals voraussichtlich benötigten und der tatsächlich zur Verfügung stehenden Polizeibeamten kaum möglich.
29 
Die Beklagte teilte darauf mit Schriftsatz vom 19.09.2013 mit, dass ihr keine weiteren Akten vorlägen, die nachgereicht werden könnten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärte der Vertreter der Beklagten, dass es keine polizeiliche Lageeinschätzung gegeben habe, wenn eine solche in den vorgelegten Akten nicht enthalten sei. Der Versammlungsbehörde seien aber wohl Informationen der Polizei „zugespielt worden“. Er erklärte weiter, dass der Beklagten ex ante bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
30 
Dem Senat liegen die von der Beklagten vorgelegten Akten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
31 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die im Berufungsverfahren erfolgte Beschränkung des Klageantrags stellt keine Klageänderung dar; sie ist nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO ohne weiteres zulässig.
II.
32 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Versammlungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
33 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Bei dem streitgegenständlichen Versammlungsverbot handelte es sich um einen Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG). Anlass der Allgemeinverfügung war der beabsichtigte Castortransport. Da es sich um einen einzelnen und konkret erkennbaren Lebenssachverhalt handelte, nahm der Umstand, dass sich das Versammlungsverbot auf eine Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern ausgewirkt hat, der Allgemeinverfügung nicht den Charakter eines einzelfallbezogenen Verwaltungsakts (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008,987). Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155, vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61 und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473, jeweils m.w.N.).
34 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O. m.w.N.).
35 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier bei einer Klageerhebung binnen Jahresfrist nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
36 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O. und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurteile vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O. und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
37 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.). Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt dabei zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405).
38 
Danach ist hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Ein Versammlungsverbot in Gestalt einer Allgemeinverfügung stellt stets eine schwere Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit dar. Da der Protest der Atomkraftgegner sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich richtet, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten, werden Castortransporte und andere Transporte radioaktiver Abfallprodukte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu Versammlungen und auch zu nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckten Protestaktionen wie etwa Blockaden der Transportstrecke bieten. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch anlässlich künftiger Atommülltransporte durch Karlsruhe Versammlungen unmittelbar an der Transportstrecke veranstalten zu wollen. Es ist zu erwarten, dass die Beklagte, die an ihrer Rechtsauffassung festhält, zur Sicherung solcher Transporte wiederum der streitgegenständlichen Verfügung vergleichbare Allgemeinverfügungen erlassen wird. Sie hat nicht zu erkennen gegeben, von diesem Instrument künftig in vergleichbaren Situationen keinen Gebrauch mehr machen zu wollen.
39 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Versammlungsverbot in der Form einer Allgemeinverfügung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Zwar war die Allgemeinverfügung formell rechtmäßig (a)) und hinreichend bestimmt (b)). Es spricht auch vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für den Erlass versammlungsbeschränkender Maßnahmen vorgelegen haben (c)). Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten nicht festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands gegeben waren (d)).
40 
a) Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Allgemeinverfügung ordnungsgemäß bekannt gegeben.
41 
Nach § 41 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Untunlich bedeutet, dass die individuelle Bekanntgabe wegen der Natur des in Rede stehenden Verwaltungsakts nicht möglich oder jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, etwa weil nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wer betroffen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 41 Rn. 46). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Aufgrund der Aufrufe im Internet zu verschiedenen Formen des Protestes, die nicht mit entsprechenden Anmeldungen von Versammlungen korrespondierten, war es nicht möglich, jedem einzelnen potentiellen Veranstalter oder Teilnehmer die Allgemeinverfügung oder gar eine Einzelverfügung bekannt zu geben.
42 
Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakts dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Diese Voraussetzung wurde mit der Bekanntgabe des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe erfüllt. In Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG wurde in der Bekanntmachung darauf hingewiesen, dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne. Abweichend von § 41 Abs. 4 Satz 3 LVwVfG, wonach der Verwaltungsakt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben gilt, wurde gemäß Satz 4 dieser Vorschrift bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
43 
Für einen Verstoß dieser Bekanntgabevorschriften oder ihrer Handhabung im Einzelfall gegen höherrangiges Recht ist nichts ersichtlich. Der Umstand, dass es dem Kläger möglich war, bereits am 14.02.2011 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung einzulegen und um Eilrechtsschutz nachzusuchen, belegt, dass die Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht unzumutbar erschwert wurden.
44 
b) Die Allgemeinverfügung war sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Adressatenkreises hinreichend bestimmt (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG).
45 
Für die inhaltliche Bestimmtheit genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
46 
Daran gemessen war die Allgemeinverfügung inhaltlich hinreichend bestimmt. Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs war hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Der Versammlungsbegriff ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinreichend konturiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 [Fuckparade 2001]; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 [Blockadeaktion]; Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - NJW 2001, 2459 [Love Parade]). Eine Versammlung ist danach die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Individuelle Meinungsbekundungen etwa durch das Tragen von Ansteckern und auch die Anreise zu einer Versammlung wurden danach von der Allgemeinverfügung nicht erfasst. Gleiches gilt für öffentliche Messungen der Radioaktivität, soweit sie nicht mit einer kollektiven Meinungskundgabe einhergehen.
47 
Einer konkreten Bezeichnung des Adressatenkreises der Allgemeinverfügung bedurfte es nicht, da dieser sich ohne weiteres aus dem Regelungsinhalt des Versammlungsverbots ergab. Adressat war danach jede Person, die innerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung an einer Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug teilnehmen wollte. Der Adressatenkreis war damit - wie dies für eine personenbezogene Allgemeinverfügung kennzeichnend ist - nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar. Dem entsprechend wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang unter IV. der Verfügung „den Versammlungsteilnehmern“ angedroht. Eine weitere Konkretisierung des Adressatenkreises war nicht möglich, da die Allgemeinverfügung auf eine unbestimmte Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern zielte.
48 
c) Es spricht vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen haben.
49 
aa) Versammlungsbeschränkende Maßnahmen dürfen nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
50 
bb) Hier bereitet die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG Schwierigkeiten, weil in den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht dokumentiert ist, welche Erkenntnisse ihr bei Erlass der Allgemeinverfügung zur Verfügung standen und die Beklagte hierzu auch keine verbindlichen Angaben machen konnte. Aus den in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten Erkenntnissen kann nur indirekt darauf geschlossen werden, dass diese auf entsprechenden Informationen seitens der Polizei - etwa auf einer polizeilichen Lageeinschätzung - beruhen.
51 
cc) Sieht man über diese Unsicherheiten hinweg, so erweist sich die auf dieser Tatsachengrundlage getroffene Gefahrenprognose jedoch im Grundsatz als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründeten. Die in der Begründung angeführten Erfahrungen aus zurückliegenden Castortransporten dürften die Annahme gerechtfertigt haben, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffen in den Bahnverkehr - bestand. Dafür sprachen auch die ebenfalls in der Begründung angeführten Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite „www.nachttanzblockade.de“ verwiesen. In einer Gesamtschau dürften die von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien die Prognose gerechtfertigt haben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Derartige Blockadeaktionen auf der Schienenstrecke sind von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellen eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar. Denn eine Sitzblockade auf den Schienen einer dem öffentlichen Eisenbahnverkehr dienenden Schienenstrecke stellt zumindest einen Verstoß gegen § 62 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung - EBO - dar und kann darüber hinaus auch als Transportgefährdung gemäß § 315 StGB strafbar sein. Der Verstoß gegen die EBO und gegen § 315 StGB durch derartige Blockaden ist nicht durch das Versammlungsrecht gerechtfertigt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 12.03.1998 - 1 BvR 2165/96 - juris). Blockaden, die nicht nur kurzfristig und symbolisch Protest ausdrücken sollen, sondern auf die Verhinderung dessen gerichtet sind, was politisch missbilligt wird, sind grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Auch wenn Sitzblockaden bei passiver Haltung der Teilnehmer nicht als unfriedlich anzusehen sind und für sie folglich der Schutz des Art. 8 GG nicht von vornherein entfällt, überschreiten sie den Bereich der geistigen Auseinandersetzung, wenn sie sich nicht als demonstrative Sitzblockaden auf die Kundgabe einer Meinung und die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen beschränken, sondern auf die Beeinträchtigung der Rechte anderer und die Ausübung von Zwang sowie die Schaffung von Tatsachen gerichtet sind. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen durch gezielte und absichtliche Behinderung der Rechte Dritter zu steigern (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 206; Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. - BVerfGE 104, 92; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 15 Rn. 195 f.; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 <259 f.>; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - a.a.O.).
52 
Die Gefahr von Blockadeaktionen dürfte ebenso wie die Gefahr des Werfens von Gegenständen auf die Transportstrecke versammlungsbeschränkende Maßnahmen in einem Korridor entlang der Strecke grundsätzlich gerechtfertigt haben. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Kläger selbst Rechtsverletzungen in der Vergangenheit zu verantworten hatte oder nicht. Es ist auch nicht entscheidend, ob von den angemeldeten Versammlungen in Karlsruhe-Neureut voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Denn die Allgemeinverfügung betraf nicht nur den Kläger, sondern alle Demonstrationsteilnehmer, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt deshalb auf eine Gesamtbetrachtung an, d.h. ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen "Aktionen" entlang der Transportstrecke eine unmittelbare Gefahr der öffentlichen Sicherheit zu erwarten war. Hier spricht vieles dafür, dass die Prognose gerechtfertigt war, dass sich aus zunächst friedlichen Versammlungen rechtswidrige Blockadeaktionen entwickeln und weitere Straftaten wie etwa Gefährdungen des Schienenverkehrs begangen werden. Auch die Befürchtung, dass friedliche Versammlungen genutzt werden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen, dürfte gerechtfertigt gewesen sein.
53 
d) Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil die zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit jedenfalls nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen, wie die Beklagte es in Gestalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erlassen hat, gerechtfertigt haben. Denn ein solches Versammlungsverbot darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erlassen werden und mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Notstand gegeben war.
54 
aa) Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet war, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorgelegen hätten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 m.w.N.). Denn insoweit wurde durch die Allgemeinverfügung auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht hatten, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa Beschädigungen der Gleisanlagen, zu beteiligen.
55 
bb) Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen (BVerwG, Beschl. v. 01.10.2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 15 Rn. 41 f.; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Kap. D Rn. 138 ff.). Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die Behörde zunächst gegen diese vorzugehen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01 - NJW 2001, 1411 <1412> u. v. 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 - NVwZ-RR 2007, 641 <642> m.w.N.). Voraussetzung des Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 ff., vgl. auch Beschl. v. 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 - NJW 2000, 3053 und BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 - NVwZ 1999, 991 <992>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz des Castortransports nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dabei nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
56 
cc) Daran gemessen kann hier nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorlagen. Zwar stellt die Begleitung eines Castortransports angesichts der regelmäßig langen Transportstrecke (hier von Karlsruhe nach Lubmin) und der großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger "Aktionsformen" mit zum Teil vielen, aber teilweise auch wenigen Teilnehmern, die gerade deshalb (bei unangemeldeten Veranstaltungen) entlang der langen Strecke schwer zu "orten" und polizeilich zu begleiten sind, eine außergewöhnlich komplexe polizeiliche Aufgabe dar. Allein dies vermag jedoch noch keinen polizeilichen Notstand zu begründen. Zu berücksichtigen ist, dass die Mobilisierung der Castor-Gegner, von denen Störungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind, entlang der langen Transportstrecke regional höchst unterschiedlich ist. Zu Situationen, die die Annahme eines polizeilichen Notstands rechtfertigten, kam es in der Vergangenheit vor allem im Wendland. Bei den von der Beklagten der Gefahrprognose zugrunde gelegten Vorfällen konnten Störungen überwiegend durch ein gezieltes Vorgehen gegen die Störer (Platzverweise, Ingewahrsam-nahmen) beseitigt werden, ohne dass es zu nennenswerten Verzögerungen des jeweiligen Castortransports gekommen wäre. Lediglich bei dem Transport am 06.11.2010, als im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) bis zu 1.000 Demonstranten gleichzeitig die Transportstrecke blockierten, spricht einiges dafür, dass dort die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorgelegen haben könnten. Als es nach Bekanntwerden der Zugumleitung in der Folge zu einer Spontanversammlung von ca. 250 - 300 Personen im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe kam, die versuchten, eine Polizeiabsperrung zu überrennen und auf den Gleisanlagen eine Blockade zu errichten, war die Polizei jedoch in der Lage, dies durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung von unmittelbarem Zwang zu verhindern. Da die Beklagte bereits nicht dargelegt hat, in welcher Zahl ihr Polizeikräfte zur Sicherung des Castortransports in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung standen und wie viel Polizeibeamte voraussichtlich erforderlich gewesen wären, um ohne ein präventives allgemeines Versammlungsverbot Störungen der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit dem Castortransport zu verhindern, muss vorliegend eine Beweislastentscheidung getroffen werden. Ansatzpunkte für eine weitere Sachaufklärung sind nicht gegeben, nachdem der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, dass der Beklagten bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
57 
e) Erweist sich das Versammlungsverbot als rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung.
III.
58 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
59 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
60 
Beschluss vom 6. November 2013
61 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
62 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
31 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die im Berufungsverfahren erfolgte Beschränkung des Klageantrags stellt keine Klageänderung dar; sie ist nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO ohne weiteres zulässig.
II.
32 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Versammlungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
33 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Bei dem streitgegenständlichen Versammlungsverbot handelte es sich um einen Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG). Anlass der Allgemeinverfügung war der beabsichtigte Castortransport. Da es sich um einen einzelnen und konkret erkennbaren Lebenssachverhalt handelte, nahm der Umstand, dass sich das Versammlungsverbot auf eine Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern ausgewirkt hat, der Allgemeinverfügung nicht den Charakter eines einzelfallbezogenen Verwaltungsakts (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008,987). Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155, vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61 und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473, jeweils m.w.N.).
34 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O. m.w.N.).
35 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier bei einer Klageerhebung binnen Jahresfrist nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
36 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O. und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurteile vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O. und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
37 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.). Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt dabei zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405).
38 
Danach ist hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Ein Versammlungsverbot in Gestalt einer Allgemeinverfügung stellt stets eine schwere Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit dar. Da der Protest der Atomkraftgegner sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich richtet, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten, werden Castortransporte und andere Transporte radioaktiver Abfallprodukte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu Versammlungen und auch zu nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckten Protestaktionen wie etwa Blockaden der Transportstrecke bieten. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch anlässlich künftiger Atommülltransporte durch Karlsruhe Versammlungen unmittelbar an der Transportstrecke veranstalten zu wollen. Es ist zu erwarten, dass die Beklagte, die an ihrer Rechtsauffassung festhält, zur Sicherung solcher Transporte wiederum der streitgegenständlichen Verfügung vergleichbare Allgemeinverfügungen erlassen wird. Sie hat nicht zu erkennen gegeben, von diesem Instrument künftig in vergleichbaren Situationen keinen Gebrauch mehr machen zu wollen.
39 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Versammlungsverbot in der Form einer Allgemeinverfügung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Zwar war die Allgemeinverfügung formell rechtmäßig (a)) und hinreichend bestimmt (b)). Es spricht auch vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für den Erlass versammlungsbeschränkender Maßnahmen vorgelegen haben (c)). Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten nicht festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands gegeben waren (d)).
40 
a) Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Allgemeinverfügung ordnungsgemäß bekannt gegeben.
41 
Nach § 41 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Untunlich bedeutet, dass die individuelle Bekanntgabe wegen der Natur des in Rede stehenden Verwaltungsakts nicht möglich oder jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, etwa weil nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wer betroffen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 41 Rn. 46). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Aufgrund der Aufrufe im Internet zu verschiedenen Formen des Protestes, die nicht mit entsprechenden Anmeldungen von Versammlungen korrespondierten, war es nicht möglich, jedem einzelnen potentiellen Veranstalter oder Teilnehmer die Allgemeinverfügung oder gar eine Einzelverfügung bekannt zu geben.
42 
Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakts dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Diese Voraussetzung wurde mit der Bekanntgabe des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe erfüllt. In Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG wurde in der Bekanntmachung darauf hingewiesen, dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne. Abweichend von § 41 Abs. 4 Satz 3 LVwVfG, wonach der Verwaltungsakt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben gilt, wurde gemäß Satz 4 dieser Vorschrift bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
43 
Für einen Verstoß dieser Bekanntgabevorschriften oder ihrer Handhabung im Einzelfall gegen höherrangiges Recht ist nichts ersichtlich. Der Umstand, dass es dem Kläger möglich war, bereits am 14.02.2011 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung einzulegen und um Eilrechtsschutz nachzusuchen, belegt, dass die Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht unzumutbar erschwert wurden.
44 
b) Die Allgemeinverfügung war sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Adressatenkreises hinreichend bestimmt (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG).
45 
Für die inhaltliche Bestimmtheit genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
46 
Daran gemessen war die Allgemeinverfügung inhaltlich hinreichend bestimmt. Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs war hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Der Versammlungsbegriff ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinreichend konturiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 [Fuckparade 2001]; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 [Blockadeaktion]; Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - NJW 2001, 2459 [Love Parade]). Eine Versammlung ist danach die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Individuelle Meinungsbekundungen etwa durch das Tragen von Ansteckern und auch die Anreise zu einer Versammlung wurden danach von der Allgemeinverfügung nicht erfasst. Gleiches gilt für öffentliche Messungen der Radioaktivität, soweit sie nicht mit einer kollektiven Meinungskundgabe einhergehen.
47 
Einer konkreten Bezeichnung des Adressatenkreises der Allgemeinverfügung bedurfte es nicht, da dieser sich ohne weiteres aus dem Regelungsinhalt des Versammlungsverbots ergab. Adressat war danach jede Person, die innerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung an einer Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug teilnehmen wollte. Der Adressatenkreis war damit - wie dies für eine personenbezogene Allgemeinverfügung kennzeichnend ist - nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar. Dem entsprechend wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang unter IV. der Verfügung „den Versammlungsteilnehmern“ angedroht. Eine weitere Konkretisierung des Adressatenkreises war nicht möglich, da die Allgemeinverfügung auf eine unbestimmte Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern zielte.
48 
c) Es spricht vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen haben.
49 
aa) Versammlungsbeschränkende Maßnahmen dürfen nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
50 
bb) Hier bereitet die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG Schwierigkeiten, weil in den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht dokumentiert ist, welche Erkenntnisse ihr bei Erlass der Allgemeinverfügung zur Verfügung standen und die Beklagte hierzu auch keine verbindlichen Angaben machen konnte. Aus den in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten Erkenntnissen kann nur indirekt darauf geschlossen werden, dass diese auf entsprechenden Informationen seitens der Polizei - etwa auf einer polizeilichen Lageeinschätzung - beruhen.
51 
cc) Sieht man über diese Unsicherheiten hinweg, so erweist sich die auf dieser Tatsachengrundlage getroffene Gefahrenprognose jedoch im Grundsatz als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründeten. Die in der Begründung angeführten Erfahrungen aus zurückliegenden Castortransporten dürften die Annahme gerechtfertigt haben, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffen in den Bahnverkehr - bestand. Dafür sprachen auch die ebenfalls in der Begründung angeführten Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite „www.nachttanzblockade.de“ verwiesen. In einer Gesamtschau dürften die von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien die Prognose gerechtfertigt haben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Derartige Blockadeaktionen auf der Schienenstrecke sind von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellen eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar. Denn eine Sitzblockade auf den Schienen einer dem öffentlichen Eisenbahnverkehr dienenden Schienenstrecke stellt zumindest einen Verstoß gegen § 62 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung - EBO - dar und kann darüber hinaus auch als Transportgefährdung gemäß § 315 StGB strafbar sein. Der Verstoß gegen die EBO und gegen § 315 StGB durch derartige Blockaden ist nicht durch das Versammlungsrecht gerechtfertigt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 12.03.1998 - 1 BvR 2165/96 - juris). Blockaden, die nicht nur kurzfristig und symbolisch Protest ausdrücken sollen, sondern auf die Verhinderung dessen gerichtet sind, was politisch missbilligt wird, sind grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Auch wenn Sitzblockaden bei passiver Haltung der Teilnehmer nicht als unfriedlich anzusehen sind und für sie folglich der Schutz des Art. 8 GG nicht von vornherein entfällt, überschreiten sie den Bereich der geistigen Auseinandersetzung, wenn sie sich nicht als demonstrative Sitzblockaden auf die Kundgabe einer Meinung und die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen beschränken, sondern auf die Beeinträchtigung der Rechte anderer und die Ausübung von Zwang sowie die Schaffung von Tatsachen gerichtet sind. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen durch gezielte und absichtliche Behinderung der Rechte Dritter zu steigern (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 206; Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. - BVerfGE 104, 92; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 15 Rn. 195 f.; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 <259 f.>; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - a.a.O.).
52 
Die Gefahr von Blockadeaktionen dürfte ebenso wie die Gefahr des Werfens von Gegenständen auf die Transportstrecke versammlungsbeschränkende Maßnahmen in einem Korridor entlang der Strecke grundsätzlich gerechtfertigt haben. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Kläger selbst Rechtsverletzungen in der Vergangenheit zu verantworten hatte oder nicht. Es ist auch nicht entscheidend, ob von den angemeldeten Versammlungen in Karlsruhe-Neureut voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Denn die Allgemeinverfügung betraf nicht nur den Kläger, sondern alle Demonstrationsteilnehmer, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt deshalb auf eine Gesamtbetrachtung an, d.h. ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen "Aktionen" entlang der Transportstrecke eine unmittelbare Gefahr der öffentlichen Sicherheit zu erwarten war. Hier spricht vieles dafür, dass die Prognose gerechtfertigt war, dass sich aus zunächst friedlichen Versammlungen rechtswidrige Blockadeaktionen entwickeln und weitere Straftaten wie etwa Gefährdungen des Schienenverkehrs begangen werden. Auch die Befürchtung, dass friedliche Versammlungen genutzt werden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen, dürfte gerechtfertigt gewesen sein.
53 
d) Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil die zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit jedenfalls nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen, wie die Beklagte es in Gestalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erlassen hat, gerechtfertigt haben. Denn ein solches Versammlungsverbot darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erlassen werden und mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Notstand gegeben war.
54 
aa) Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet war, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorgelegen hätten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 m.w.N.). Denn insoweit wurde durch die Allgemeinverfügung auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht hatten, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa Beschädigungen der Gleisanlagen, zu beteiligen.
55 
bb) Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen (BVerwG, Beschl. v. 01.10.2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 15 Rn. 41 f.; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Kap. D Rn. 138 ff.). Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die Behörde zunächst gegen diese vorzugehen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01 - NJW 2001, 1411 <1412> u. v. 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 - NVwZ-RR 2007, 641 <642> m.w.N.). Voraussetzung des Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 ff., vgl. auch Beschl. v. 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 - NJW 2000, 3053 und BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 - NVwZ 1999, 991 <992>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz des Castortransports nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dabei nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
56 
cc) Daran gemessen kann hier nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorlagen. Zwar stellt die Begleitung eines Castortransports angesichts der regelmäßig langen Transportstrecke (hier von Karlsruhe nach Lubmin) und der großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger "Aktionsformen" mit zum Teil vielen, aber teilweise auch wenigen Teilnehmern, die gerade deshalb (bei unangemeldeten Veranstaltungen) entlang der langen Strecke schwer zu "orten" und polizeilich zu begleiten sind, eine außergewöhnlich komplexe polizeiliche Aufgabe dar. Allein dies vermag jedoch noch keinen polizeilichen Notstand zu begründen. Zu berücksichtigen ist, dass die Mobilisierung der Castor-Gegner, von denen Störungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind, entlang der langen Transportstrecke regional höchst unterschiedlich ist. Zu Situationen, die die Annahme eines polizeilichen Notstands rechtfertigten, kam es in der Vergangenheit vor allem im Wendland. Bei den von der Beklagten der Gefahrprognose zugrunde gelegten Vorfällen konnten Störungen überwiegend durch ein gezieltes Vorgehen gegen die Störer (Platzverweise, Ingewahrsam-nahmen) beseitigt werden, ohne dass es zu nennenswerten Verzögerungen des jeweiligen Castortransports gekommen wäre. Lediglich bei dem Transport am 06.11.2010, als im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) bis zu 1.000 Demonstranten gleichzeitig die Transportstrecke blockierten, spricht einiges dafür, dass dort die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorgelegen haben könnten. Als es nach Bekanntwerden der Zugumleitung in der Folge zu einer Spontanversammlung von ca. 250 - 300 Personen im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe kam, die versuchten, eine Polizeiabsperrung zu überrennen und auf den Gleisanlagen eine Blockade zu errichten, war die Polizei jedoch in der Lage, dies durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung von unmittelbarem Zwang zu verhindern. Da die Beklagte bereits nicht dargelegt hat, in welcher Zahl ihr Polizeikräfte zur Sicherung des Castortransports in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung standen und wie viel Polizeibeamte voraussichtlich erforderlich gewesen wären, um ohne ein präventives allgemeines Versammlungsverbot Störungen der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit dem Castortransport zu verhindern, muss vorliegend eine Beweislastentscheidung getroffen werden. Ansatzpunkte für eine weitere Sachaufklärung sind nicht gegeben, nachdem der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, dass der Beklagten bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
57 
e) Erweist sich das Versammlungsverbot als rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung.
III.
58 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
59 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
60 
Beschluss vom 6. November 2013
61 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
62 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 15. Juni 2017 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2017 wird insoweit wiederhergestellt, als diese die Fläche der vom Antragsteller angemeldeten Veranstaltung mit dem Tenor „Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen“ gemäß der als Anlage 2 zur Antragsschrift beigefügten Skizze betrifft.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin, mit der u.a. die Durchführung der von ihm im Zeitraum vom 30. Juni bis 9. Juli 2017 geplanten Veranstaltung im Stadtpark („Antikapitalistisches Camp“) zeitweise verboten wird.

2

Der Antrag wird analog § 88 VwGO dahingehend verstanden, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 15. Juni 2017 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2017 lediglich insoweit begehrt, wie sich diese auf die Durchführung der vom Antragsteller geplanten Veranstaltung im Stadtpark bezieht. Prüfungsmaßstab eines Antrags ist die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung, soweit sie geeignet ist, die Rechte des Antragstellers zu betreffen (von Alemann/Scheffczyk in BeckOK, Bader/Ronellenfitsch, 35. Ed., Stand 1.4.2017, § 35 Rn. 272). Der Suspensiveffekt von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Allgemeinverfügungen wirken dabei stets nur relativ, d.h. nur für den jeweiligen Widerspruchsführer und nicht auch automatisch für andere Betroffene (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 35, Rn. 160).

3

Der so verstandene Antrag ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 VwGO statthaft. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist zulässig (1.) und begründet (2.).

4

1. Der Antrag ist insbesondere nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Zwar führt die Antragsgegnerin in einem am 12. Juni 2017 an den Bevollmächtigten des Antragstellers ergangenen Schreiben aus, es sei beabsichtigt, gegen den Beschluss des VG Hamburg vom 07.06.2017, 19 E 5697/17, noch an diesem Tage in die Beschwerde zu gehen. Die Frage, ob das Protestcamp als Versammlung zu behandeln sei, sei somit noch offen. Die am 9. Juni 2017 im Amtlichen Anzeiger 2017, S. 869 veröffentlichte versammlungsrechtliche Allgemeinverfügung entfalte somit noch keine Wirkung. Der Antragsteller hat aber gleichwohl mit Schreiben vom 15. Juni 2017 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung eingelegt. Die Antragsgegnerin hat dann auch mit einer ergänzenden Erklärung gegenüber dem Gericht am 16. Juni 2017 klargestellt, dass die Allgemeinverfügung die geplante Veranstaltung des Antragstellers erfasse. Der Antragsteller ist deshalb nicht darauf zu verweisen, den Ausgang des bislang noch offenen Beschwerdeverfahrens vor dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht (Az. 4 Bs 125/17) abzuwarten. Denn die Entscheidung der Kammer entfaltet so lange ihre Wirksamkeit, bis sie gegebenenfalls durch eine Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts aufgehoben wird. Allein das Einlegen der Beschwerde begründet gemäß § 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung.

5

Der Antragsteller ist auch antragsbefugt, da die von ihm geplante Veranstaltung vom örtlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Allgemeinverfügung umfasst wird. Das erkennende Gericht hält unter Berücksichtigung des ergänzenden Sachvortrags des Antragstellers im Beschwerdeverfahren vom 16. Juni 2017, der mit der Antragserwiderung der Antragsgegnerin vom 19. Juni 2017 überreicht wurde, sowie der Ausführungen der Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung vom 12. Juni 2017 an seiner Überzeugung fest, dass die vom Antragsteller geplante Veranstaltung unter den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG fällt. Insoweit wird auf die Ausführungen der Kammer im Beschluss vom 7. Juni 2017 (19 E 5697/17) verwiesen.

6

2. Der Antrag ist auch begründet. Zwar genügt die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Prüfung der Sach- und Rechtslage dürfte der Widerspruch des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 jedoch erfolgreich sein, weshalb das private Interesse des Antragstellers an der Durchführung der Veranstaltung im Stadtpark das öffentliche Interesse am Vollzug der Allgemeinverfügung überwiegt.

7

Die Allgemeinverfügung durfte zwar auf Grundlage von § 15 Abs. 1 VersG erlassen werden (a.). Auch dürften die versammlungsrechtlichen Regelungen in Form der Allgemeinverfügung formell rechtmäßig sein (b.). Die Allgemeinverfügung genügt jedoch nicht den materiell-rechtlichen Anforderungen (c.).

8

a. Rechtsgrundlagen für die erlassene Allgemeinverfügung sind Art. 8 GG, § 15 Abs. 1 VersG in Verbindung mit § 35 Satz 2 HmbVwVfG.

9

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

10

Vorliegend bestehen – entgegen der Auffassung des Antragstellers – keine grundlegenden Bedenken dagegen, ein Versammlungsverbot im Wege der Allgemeinverfügung zu erlassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2168, juris, Rn. 17ff.; BVerfG, Beschl. v. 26.3.2001, 1 BvQ 15/01, NJW 2001, 1411, juris, Rn. 15ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 44ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 6.11.2004, NordÖR 2004, 490, juris, Rn. 13ff.). Eine Allgemeinverfügung ist nach § 35 Satz 2 HmbVwVfG ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

11

b. Die Allgemeinverfügung ist formell nicht zu beanstanden. Sie wurde ordnungsgemäß im Amtlichen Anzeiger der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2017 (S. 869) bekannt gemacht, ohne dass es des Abdrucks der Begründung bedurfte. Dass die Allgemeinverfügung nicht die Unterschrift des Leiters der Versammlungsbehörde trägt, sondern lediglich dessen Namenswiedergabe ist nach § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbVwVfG ausreichend.

12

c. Die Allgemeinverfügung genügt jedoch in materieller Hinsicht den (verfassungs-) rechtlichen Anforderungen nicht. Offen bleiben kann, ob die Allgemeinverfügung im Hinblick auf den hohen Stellenwert des Versammlungsgrundrechts nach Art. 8 Abs. 1 GG den Eingriffsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG genügt (aa.). Denn die Antragsgegnerin hat die notwendige Voraussetzung des polizeilichen Notstands nicht dargelegt (bb.).

13

aa. Es kann auf sich beruhen, ob die Allgemeinverfügung den Eingriffsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG genügt.

14

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt in dem Fall, in dem das Verbot der Versammlung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gestützt wird (§ 15 VersG), die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte voraus, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 1013, 570, juris, Rn. 17).

15

Zwar wird mit der Allgemeinverfügung – worauf die Antragsgegnerin ausdrücklich hinweist – nicht explizit ein Verbot von Versammlungen verfügt, sondern, dass Versammlungen in dem maßgeblichen Zeitraum nur außerhalb des umschriebenen Bereichs stattfinden dürfen (vgl. S. 2 und 3 der Allgemeinverfügung).

16

Unter Berücksichtigung des Umstands, dass dem Veranstalter einer Versammlung ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung zusteht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315, juris Rn. 61) und Art. 8 Abs. 1 GG auch das Interesse des Veranstalters auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen, also gerade durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort schützt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2168, juris, Rn. 23), kann die zeitliche und räumliche Beschränkung jedoch einem Verbot gleichzusetzen sein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2168, juris, Rn. 30; VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 54).

17

Zumindest in Bezug auf das vom Antragsteller geplante Camp im Stadtpark dürften die Bestimmungen der Allgemeinverfügung ein zeitweises Verbot darstellen, da mit der teilweisen Untersagung die Gesamtkonzeption des Camps als stationäre Dauerkundgebung, die gerade während des G20-Gipfels stattfinden soll, in Frage gestellt wird. Mögliche geeignete Ausweichflächen für das Camp sind im Hinblick auf den zeitlichen und räumlichen Bedarf nicht ersichtlich. Somit dürfte unbeachtlich sein, dass der Antragsteller in seiner Beschwerdeerwiderung vom 16. Juni 2017 in dem Verfahren 4 Bs 125/17 erklärt hat, dass die Meinungskundgabe auch an einem anderen Ort stattfinden könnte, der über ähnliche Voraussetzungen verfügt.

18

Nach § 15 Abs. 1 VersG ist grundsätzlich erforderlich, dass von einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch die im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung stattfindenden angemeldeten oder unangemeldeten Versammlungen auszugehen ist. Ob dies der Fall ist, kann offen bleiben.

19

Zwar bestehen vorliegend insbesondere für den zwischen dem Veranstaltungsort (Messehallen) und dem Flughafen liegenden Bereich erhebliche Zweifel, ob die von der Antragsgegnerin geschilderten Gefahren im Zusammenhang mit Versammlungen stehen. Die Antragsgegnerin hat für dieses – den größten Teil der Allgemeinverfügung ausmachende – Areal, lediglich vier angemeldete Versammlungen aufgeführt: am 7. Juli 2017 der Aufzug „Solidarität statt G20!“, der vom Hachmannplatz über den Jungfernstieg zum Allende-Platz führen soll, sowie für den 7. und 8. Juli 2017 die Versammlungen „Welcome China“ mit jeweils 15 Teilnehmern in der Moorweidenstraße und der Tesdorpfstraße vor dem Elysee Hotel und das Camp des Antragstellers im Stadtpark.

20

Aufgrund des Vortrags der Antragsgegnerin und unter Berücksichtigung der von dieser zugrunde gelegten Quellen ist derzeit überdies nicht ersichtlich, dass mit einer großen Anzahl weiterer Versammlungen im „Transferkorridor“ zu rechnen ist. Das erkennende Gericht zweifelt daher nach derzeitigem Erkenntnisstand daran, ob tatsächlich für den Bereich des „Transferkorridors“ die von der Antragsgegnerin beschriebene Gefahr droht, dass aus einer Versammlung heraus Gewalttaten verübt werden, demonstrative Blockaden drohen oder mit Zulauf von Gewalttätigen bzw. Personen mit Blockadeabsicht zu friedlichen Demonstrationen zu rechnen sei.

21

Schließlich sind dem Gericht bislang keine tatsächlichen Anhaltspunkte benannt worden, die zu einer belastbaren Gefahrenprognose im Hinblick auf das vom Antragsteller angemeldete Protestcamp führen. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen der Begründung der Allgemeinverfügung bislang lediglich pauschal behauptet, dass bezüglich der angemeldeten Camps zu erwarten sei, dass sich die Teilnehmer aus Kreisen linksalternativer sowie linksextremistischer Strukturen zusammensetzen werden. Erfahrungen aus vergangenen Camps würden belegen, dass aus diesen heraus Straftaten begangen und diese anschließend als Rückzugsorte genutzt wurden. Eine entsprechende Vorgehensweise sei auch anlässlich der G20-Proteste zu erwarten. Insbesondere das angemeldete G20-Camp im Stadtpark sei aufgrund der geografischen Lage und der erwarteten Teilnehmerzahl als Ausgangspunkt z.B. für Blockadeversuche der Protokollstrecken anzusehen (vgl. S. 53 der Allgemeinverfügung). Woraus sich diese Einschätzung der Antragsgegnerin ergibt, ist für das Gericht derzeit nicht nachprüfbar. Weder die im Internet veröffentlichte Karte mit möglichen Blockadepunkten in der Nähe des Stadtparks (vgl. die Ausführungen in Fn. 30 auf Seite 53 der Allgemeinverfügung) noch die Zitate von der Internetseite g20-camp.de, in denen zur Blockade aufgerufen wird (vgl. S. 34 der Allgemeinverfügung), lassen sich derzeit dem Antragsteller zurechnen. In Bezug auf die Karte ist bereits nicht ersichtlich, wer diese veröffentlicht hat und welcher Zusammenhang zu dem vom Antragsteller angemeldeten Camp besteht. Die erwähnte Internetseite hingegen ist diejenige von den Veranstaltern des geplanten Camps im Altonaer Volkspark.

22

Es kommt in diesem Zusammenhang jedoch gar nicht darauf an, ob der Antragsteller selbst in der Vergangenheit versammlungsspezifische Rechtsverletzungen zu verantworten hatte oder solche von ihm drohen. Vorliegend ist auch nicht entscheidend, ob von der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Denn die Allgemeinverfügung betrifft nicht nur den Antragsteller, sondern alle Demonstrationsteilnehmer in dem 38 km² großen Gebiet, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt daher auf eine Gesamtbetrachtung an. Im Rahmen einer solchen ist zu prüfen, ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen Aktionen im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erwarten ist (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 52).

23

Zunächst ist festzustellen, dass die Antragsgegnerin selbst von einem überwiegend friedlichen Verlauf der gegen den G20-Gipfel zu erwartenden Proteste ausgeht (vgl. Hamburger Abendblatt v. 16.6.2017, S.11). Die Kammer verkennt aber nicht, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass es zumindest am sog. Aktionstag (7.7.2017) zu umfangreichen – auch rechtswidrigen – Blockaden im Stadtgebiet kommen kann. Hierauf dürften die von der Antragsgegnerin vorgelegten, auf den konkreten Anlass bezogenen Aufrufe im Internet (vgl. S. 27ff. der Allgemeinverfügung) hinweisen. Die Blockaden, die nicht zeitnah aufgelöst werden können, könnten zum einen, wie von der Antragsgegnerin nachvollziehbar beschrieben (vgl. S. 43ff. der Allgemeinverfügung) eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben der Staatsgäste, der Blockierer selbst oder auch unbeteiligter Dritter hervorrufen. Zum anderen wäre es denkbar, dass umfangreiche Blockadeaktionen die Funktionsfähigkeit des G20-Gipfels beeinträchtigen, weil beispielsweise Gipfelteilnehmer aufgrund der unübersichtlichen Sicherheitslage abreisen (vgl. S. 50 der Allgemeinverfügung).

24

Letztlich kann aber dahin stehen, ob die Antragsgegnerin eine belastbare Gefahrenprognose im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG getroffen hat.

25

bb. Denn die möglicherweise zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit dürften nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen rechtfertigen. Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlich verlaufenden Versammlungen im räumlichen Geltungsbereich gerichtet ist, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Antragsgegnerin bei Erlass der Verfügung zulässigerweise vom Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands ausgehen durfte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 17; BVerfG, Beschl. v. 26.3.2001, 1 BvQ 15/01, NJW 2001, 1411, juris, Rn. 19; VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 54). Durch die Allgemeinverfügung wird auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht haben, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten, zu beteiligen. Die Antragsgegnerin selbst geht in der Begründung der Allgemeinverfügung davon aus, dass auch Nichtstörer Adressaten der Verfügung sein können (vgl. S. 56 der Allgemeinverfügung).

26

Es ist nicht ersichtlich, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ohne den Erlass der streitbefangenen Allgemeinverfügung wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der angemeldeten und unangemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre. Eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.9.2009, 1 BvR 2147/09, NJW 2010,141, juris, Rn. 9; OVG Hamburg, Beschl. v. 11.9.2015, 4 Bs 192/15, S. 8 BA).

27

In diesem Rahmen hat die Antragsgegnerin unter Zugrundelegung der überzeugenden Ausführungen des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 11.9.2015, 4 Bs 192/15, S. 8ff. BA), zunächst auszuführen, wie viele Polizeibeamte zum Schutz der Durchführung aller durch die Allgemeinverfügung verbotenen friedlichen Versammlungen notwendig wären und diese Zahl dann mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden Beamten zu vergleichen. Die Antragsgegnerin müsste ggf. nachweisen, dass und in welchem Umfang sie sich im Wege der Amtshilfe nach Art. 35 GG an die Behörden der anderen Länder und des Bundes gewandt hat und in welchem Maße diesem Ersuchen entsprochen wurde. Darzulegen wäre schließlich für den Fall, dass dem Amtshilfeersuchen nicht vollständig entsprochen wurde, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit in den jeweiligen Ländern und aufgrund welcher konkreter, gegenüber einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestellt wurden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 21; vgl. zu den Anforderungen an die Darlegungspflicht auch VGH München, Beschl. v. 29.4.2010, 10 CS 10.1040, juris, Rn. 16).

28

Eine Darlegung des polizeilichen Notstands, die diesen Anforderungen genügt, nimmt die Antragsgegnerin nicht vor. Die Antragsgegnerin deutet in der Begründung der Verfügung lediglich indirekt das mögliche Vorliegen eines polizeilichen Notstands an:

29

„Die beschriebenen Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit von Schutzpersonen, Versammlungsteilnehmern, Polizeikräften und unbeteiligten Dritten könnten auch unter Heranziehung von landes- und bundesweit verfügbaren Polizeikräften nicht abgewehrt werden.“ (S. 56)

30

„Es ist zu berücksichtigen, dass ein Großteil der maximal zur Verfügung stehenden Kräfte bereits andere Schutzmaßnahmen [s. hierzu die Erläuterungen auf S. 8] zu gewährleisten hat: Diese ergeben sich im Zusammenhang mit angekündigten Aktionen und Blockaden auch außerhalb von angemeldeten Versammlungen, den erforderlichen Schleusungen und Lotsungen, aus der Absicherung der Sicherheitszonen und der Unterbringungshotels, Gewährleistung der kriminalpolizeilichen Abarbeitung, der erforderlichen polizeilichen Aufklärung sowie Gewährleistung von Raum- und Streckenschutz, Objektschutz sonstiger Reizobjekte, verkehrssichernder und –lenkender Maßnahmen, Absicherung und Maßnahmen am Flughafen sowie im Hafen und sonstigen Wasserstraßen, Bereithaltung von Eingreif- und Interventionskräften, Luftsicherung und Begleitung von Versammlungen.

31

Das Erfordernis der zusätzlichen Begleitung und Absicherung im Hinblick auf beabsichtigte oder faktische Blockaden durch Versammlungen in den von dieser Verfügung umfassten Bereichen würde dazu führen, dass ein erforderliches Agieren und Reagieren auf massenhafte Störer (inklusive Blockierer) an diversen Örtlichkeiten kaum mehr möglich wäre.“ (S. 58)

32

„Die Polizei Hamburg hat für den G20-Gipfel die maximal zur Verfügung stehenden Polizeikräfte im Bund und bei den übrigen Bundesländern angefordert. Selbst wenn dieser Anforderung in Gänze entsprochen werden würde (beim G7-Gipfel in Elmau waren etwa 18.000 Beamte tätig) ist angesichts der vielfältigen Aufgabenbereiche, in denen die Polizeikräfte einzusetzen sind, ein derart starkes Aufgebot zur Bewältigung der ohne diese Verfügung zu erwartenden Masse von blockierenden (mit Blockadeabsicht oder durch faktische Herbeiführung) sowie gewaltbereiten Versammlungsteilnehmern nicht erreichbar.“ (S. 59)

33

Konkrete Zahlen zu den benötigten Polizeikräften im räumlichen und zeitlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung sowie eine Begründung, woraus sich diese Zahlen ergeben, werden nicht vorgetragen.

34

Auf eine ausdrückliche Aufforderung des Gerichts, zu den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands weiter vorzutragen, führt die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 19. Juni 2017 aus, dass aufgrund der Bandbreite der zu erwartenden Widerstandsformen gegen den G20-Gipfel mit einer Vielzahl von agierenden Personen und Personengruppen und mit deren Vermengung zu rechnen ist. Eine Trennung bzw. Differenzierung zwischen Störern und Nichtstörern werde in diesen Situationen selbst bei einem theoretisch maximalen Kräfteeinsatz nicht mehr möglich sein. Eine Angabe zu den speziell im „Transferkorridor“ zur Verfügung stehenden Kräften erübrige sich somit. Sie wäre jedoch aus Gründen der Geheimhaltung von taktischen Belangen und zum Schutz von Leib und Leben von Einsatzkräften und Dritten jedenfalls nicht in einem öffentlichen Verfahren vorstellbar.

35

Die Kammer hätte zwar grundsätzlich die Möglichkeit, die Vorlage ggf. vorhandener Informationen durch Beweisbeschluss zu erzwingen und im Fall der Abgabe einer expliziten Sperrerklärung von Seiten der Behörde ein „in-camera“-Verfahren nach § 99 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO durchzuführen. Da sich dem Gericht aufgrund der pauschalen Ausführungen der Antragsgegnerin jedoch schon nicht erschließt, ob entsprechende Unterlagen, die den o.g. Anforderungen genügen, bei ihr überhaupt vorliegen, kann die Frage dahinstehen, ob ein solches Verfahren aufgrund des Erfordernisses der kurzfristigen Verfügbarkeit der Unterlagen im Eilverfahren überhaupt in Betracht kommt (vgl. auch VG Berlin, Beschl. v. 30.4.2010, 1 L 112.10, juris, Rn. 20).

36

Die Antragsgegnerin hat damit einen polizeilichen Notstand nicht im hinreichenden Maße dargelegt, sondern lediglich pauschal behauptet. Allein in dem Umstand, dass die Polizei möglicherweise derzeit noch nicht hinreichend einschätzen kann, durch welche der grundsätzlich friedlich und gewaltfrei angelegten Versammlungen eine Gefahr droht, indem diese etwa eine faktische Blockade bilden oder als Zulaufpunkt für unfriedliche Blockierer dienen, und welche konkreten Kräfte zur Eindämmung dieser Gefahren erforderlich sind, sieht die Kammer entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin keinen Zustand, der sich als polizeilicher Notstand darstellt. Die bloße Vermutung des Inhalts, dass wegen der Vielzahl der zu erwartenden Widerstandsformen gegen den G20-Gipfel eine Differenzierung zwischen Störern und Nichtstörern selbst bei einem theoretisch maximalen Kräfteeinsatz nicht mehr möglich sein werde (vgl. die Ausführungen in der Antragserwiderung), sind jedenfalls dafür nicht ausreichend, da nicht ersichtlich ist, auf welcher faktischen Grundlage diese Behauptung getroffen wurde.

37

Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, die Darlegungspflichten im vorliegenden Fall herabzusetzen. Die rechtliche Möglichkeit, gegen völlig unbeteiligte Dritte mit belastenden Maßnahmen vorzugehen, markiert eine Grenzlinie rechtsstaatlichen Polizeirechts. Die Einhaltung der Grenzen ist entsprechend strikt zu überwachen (vgl. Denninger in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, E 138).

38

3. Das Gericht hat davon abgesehen, das vorliegende Eilverfahren gemäß § 94 VwGO - wie von der Antragsgegnerin beantragt - bis zu einer Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts im Verfahren 4 Bs 125/17 auszusetzen. Zwar ist in dem dortigen Verfahren die vorgreifliche Rechtsfrage zu beantworten, ob es sich bei dem Protestcamp um eine Versammlung handelt, die in den Schutzbereich des Art. 8 GG fällt. Sollte das Hamburgische Oberverwaltungsgericht der Auffassung sein, dass das Protestcamp keine solche Versammlung darstellt, wäre es nicht von der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 betroffen und es entfiele das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an der Durchführung des vorliegenden Verfahrens. Da aber mit dem Aufbau des Camps in wenigen Tagen - am 26. Juni 2017 - begonnen werden soll und noch ungewiss ist, wann eine Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts ergehen wird und ob sich der Antragsteller bei einem für ihn ungünstigen Ausgang an das Bundesverfassungsgericht wenden wird, übt das Gericht sein Ermessen nach § 94 VwGO dahin aus, mit einer Entscheidung im vorliegenden Eilverfahren nicht länger zuzuwarten.

39

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG auf 50.000 € (in Worten: fünfzigtausend Euro) festgesetzt.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Kostenentscheidungen der Beschlüsse werden aufgehoben. Das Verfahren wird insoweit an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer meldeten Anfang September 2010 bei der Stadt L. ihr Vorhaben an, am 16. Oktober 2010 (von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr) in L. eine Versammlung unter freiem Himmel durchzuführen. Die geplante Versammlung sollte aus drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt von L. bestehen. Die Teilnehmerzahl wurde von den Beschwerdeführern bei der Anmeldung auf 600 Personen geschätzt. Das Motto der geplanten Versammlung lautete "Recht auf Zukunft". Es bezog sich auf eine am 17. Oktober 2009 in L. von der Beschwerdeführerin zu 4), einer Unterorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), veranstaltete Versammlung, bei der es im Zusammenhang mit einer Versammlungsblockade durch Gegendemonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und letztlich zu einer polizeilichen Auflösung der Versammlung kam.

3

Angesichts dieser Vorgeschichte und der Anmeldung von zahlreichen Gegendemonstrationen kam es zwischen der Anmeldung und der Durchführung der geplanten Versammlung zu umfangreichen Verhandlungen zwischen den Beschwerdeführern und der Stadt L., die unter anderem in Kooperationsgesprächen am 4., am 6. und am 13. Oktober 2010 eingehend die polizeilich sicherbare Anzahl der geplanten Aufzüge und die konkrete Streckenführung erörterten. In einer Gefährdungsanalyse am 4. Oktober 2010 bekundete die Polizeidirektion L. dabei laut den tatsächlichen Feststellungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass der Schutz von zwei der angemeldeten Aufzüge mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften gewährleistet werden könne. Am 11. Oktober 2010 teilte der Beschwerdeführer zu 1) der Stadt schließlich mit, dass am 16. Oktober 2010 nunmehr lediglich ein einziger Aufzug stattfinden solle. Am 12. Oktober 2010 ergänzte die Polizeidirektion L. ihre Gefahrprognose insofern, dass nunmehr nur eine maximal vierstündige stationäre Kundgebung durchführbar sei, weil nach den Erfahrungen des Versammlungsgeschehens vom 17. Oktober 2009 mit einer höheren als der angemeldeten Teilnehmerzahl zu rechnen sei und jeweils ca. 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration und der Gegendemonstrationen als gewaltbereit einzustufen seien.

4

2. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 untersagte die Stadt L. die Durchführung der Versammlung als Aufzug, verfügte die Durchführung als stationäre Kundgebung in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in einem Bereich am L. Hauptbahnhof und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Auflage an. Die Polizeidirektion L. habe in ihrer Gefahrprognose vom 12. Oktober 2010 dargelegt, dass im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Oktober 2010 aufgrund von zahlreichen Versammlungsanmeldungen widerstreitender politischer Lager eine latente Gefährdungssituation vorhanden sei, die einen außerordentlich hohen Kräfteeinsatz der Polizei erfordere. Es sei davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer der Aufzüge bei Angriffen durch Personen der linksextremistischen Klientel provozieren ließen und darauf entsprechend reagierten. Die Polizei habe glaubhaft dargelegt, dass sie kräftetechnisch außerstande sei, einen Aufzug zu begleiten, da trotz bundesweiter Anfragen nur 29 der für erforderlich gehaltenen 44 Polizeihundertschaften, also nur 66 % der geplanten Polizeikräfte, zur Verfügung stünden. Die Ausübung der Versammlungsfreiheit werde trotz der Beschränkungen nicht vereitelt, da der zugewiesene Ort eine hinreichende Öffentlichkeitswirksamkeit und eine räumliche Trennung der gegensätzlichen politischen Lager gewährleiste.

5

3. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer noch am gleichen Tag Widerspruch und stellten beim Verwaltungsgericht Leipzig die Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Auflage, nur eine stationäre Kundgebung durchzuführen, wiederherzustellen sowie im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Verbot sämtlicher Versammlungen in einem Umkreis von 300 m um die angemeldeten Aufzugstrecken anzuordnen. Das Verwaltungsgericht Leipzig lehnte die Eilanträge mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Bescheid vom 13. Oktober 2010 rechtmäßig sei und somit das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheids die Interessen der Beschwerdeführer überwiege. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, die Stadt L., sei auf der Grundlage der Einschätzung der Polizeidirektion L. nachvollziehbar davon ausgegangen, dass infolge zahlreicher Gegenaktionen und -demonstrationen bei Durchführung des im Zuge der Kooperation der Beschwerdeführer zuletzt noch geplanten einzigen Aufzuges eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bestehe. Bei der Vielzahl der angemeldeten und geplanten Veranstaltungen am 16.10.2010, unter anderem ein Fußballspiel, und in Anbetracht der beschriebenen begrenzten Kräftelage der Polizei sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einhergehenden Personen- und Sachschäden zu rechnen, denen nur mit der Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung begegnet werden könne. Dieser Gefahr könne in Anbetracht der besonderen Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 auch nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer begegnet werden.

6

4. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts legten die Beschwerdeführer Beschwerde ein. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 zurück. Ob ein polizeilicher Notstand vorliege, sei im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend zu beurteilen. Der Einschätzung der Polizeidirektion lasse sich entnehmen, dass aufgrund des Versammlungsgeschehens im Vorjahr mit gewalttätigen Auseinandersetzungen einer Anzahl von 10 bis 20 % der Teilnehmer sowohl auf Seiten der Beschwerdeführer wie auf Seiten linker Demonstranten gerechnet werde. Zwar erschließe sich dem Gericht nicht, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb kurzer Zeit so erhöht haben solle, dass statt der zwei Aufzüge, die die Polizeidirektion ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten habe, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Wegen der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit sei aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Danach sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil für den Antragsteller die mit der Durchführung einer nur stationären Kundgebung verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmbar seien.

7

5. Die Beschwerdeführer beantragten sodann beim Bundesverfassungsgericht zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen Antrag hat die Kammer aufgrund der besonderen Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, dabei jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Klärung der aufgeworfenen Fragen in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsachverfahren hingewiesen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris).

8

6. Hieraufhin erhoben die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts fristgemäß Verfassungsbeschwerde mit der Rüge, durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Rechten aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt zu sein.

9

7. Das Bundesverfassungsgericht hat der Stadt L. als Gegnerin des Ausgangsverfahrens, dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa sowie der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

10

Nach Auffassung des Rechtsamtes der Stadt L. liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht vor. Das Sächsische Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des unter anderem für das Versammlungsrecht zuständigen 6. Revisionssenats übersandt, in der dieser Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen äußert.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 69, 315 <340 ff.>; 110, 77 <83 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zulässig und begründet.

12

1. Der Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG steht weder der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde noch das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses entgegen.

13

a) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache nur, soweit die geltend gemachte Verletzung von Freiheitsrechten oder von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung der Gerichte in der Hauptsache noch ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier rügen die Beschwerdeführer allerdings gerade die Missachtung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bei der Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr behandelt werden würde.

14

b) Auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer besteht, obwohl der Demonstrationstermin verstrichen und damit der Sofortvollzug der strittigen Auflagen gegenstandslos geworden ist. Sind verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht (mehr) zu klären, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung des ursprünglichen Begehrens im Falle einer Wiederholungsgefahr, also wenn ein Gericht die bereits herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht beachtet hat und bei hinreichend bestimmter Gefahr einer gleichartigen Entscheidung bei gleichartiger Sach- und Rechtslage zu befürchten ist, dass es diese auch in Zukunft verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier führten die Beschwerdeführer bereits konflikthafte Versammlungen in L. durch und planen auch in Zukunft die Durchführung von Versammlungen in L., bei denen sie mit ähnlichen Konfliktsituationen rechnen und gegebenenfalls gleichartige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts befürchten müssten.

15

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

16

a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343> oder <355 ff.>; 128, 226 <250 f.>).

17

Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Nach § 15 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 in der Fassung vom 8. Dezember 2008 (BGBl I S. 2366; im Folgenden: VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung durchgeführt werden darf (vgl. BVerfGK 2, 1 <8>). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Ferner gilt, dass, soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, die Durchführung der Versammlung zu schützen ist und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten sind (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>; BVerfG , Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2072>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfGK 17, 303 <308>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

18

b) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 23. März 2004 - 1 BvR 745/01 -, juris, Rn. 13). Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren als außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegender Rechtsbehelf kann die primäre Rechtsschutzfunktion der Fachgerichte ebenfalls nicht übernehmen. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung auslösen kann, ist hierbei zudem ein strenger, von den verwaltungsgerichtlichen Kriterien grundsätzlich unterschiedener Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris, Rn. 4). Daher müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der beschriebenen strengen Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene.

19

3. Diese Maßstäbe haben das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bei den ihnen obliegenden Entscheidungen über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend berücksichtigt. Beide Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsbeschränkende behördliche Maßnahmen nicht gerecht.

20

a) Die vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die Verhinderung der Versammlung in Form eines Aufzugs hätte rechtfertigen können. Das Verwaltungsgericht legt insofern bereits nicht hinreichend deutlich dar, ob seiner Auffassung nach auch von der Versammlung selbst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder diese Gefahr ausschließlich aufgrund der zahlreichen Gegendemonstrationen und den hieraus zu erwartenden Störungen der Versammlung besteht. Dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Begründung seines Standpunktes im Wesentlichen lediglich auf die Einschätzung der Polizeidirektion L., die ohne nähere Erläuterung 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration dem gewaltbereiten Klientel zurechnete, verweist, genügt den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG insofern jedenfalls nicht.

21

Auch im Hinblick auf eine Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes genügen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht weist insofern zur Begründung des Vorliegens einer nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer abwendbaren Gefahr, insbesondere auf die besondere Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 und die deswegen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräfte, hin und beruft sich dabei pauschal auf die Einschätzung der Polizeidirektion L. vom 13. Oktober 2010. Berücksichtigt man aber den Umstand, dass die Polizeidirektion in ihrer Gefährdungsanalyse vom 4. Oktober 2010 offenbar noch zwei der angemeldeten Aufzüge mit den ihr voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kräften für sicherbar hielt, erfüllt diese pauschale Bezugnahme auf die Einschätzung der Polizeidirektion vom 13. Oktober 2010 nicht die den Anforderungen an die entsprechend obigen Maßstäben bereits im Eilverfahren gebotene intensivere Rechtmäßigkeitsprüfung. Vielmehr hätte die kurzfristige Änderung der polizeilichen Einschätzung, die sich nicht ohne weiteres erschließt, das Verwaltungsgericht zu einer substantiierteren Prüfung der veränderten polizeilichen Einschätzung und zur Nachfrage einer genaueren Begründung ihrer Entscheidung veranlassen müssen. Dass dies vorliegend aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Auch im Übrigen hätte es dezidierterer Feststellungen bedurft, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Die behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Gegendemonstrationen kann nach obigen Maßstäben jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden. Auch die Bindung von Polizeikräften aufgrund eines parallel stattfindenden Fußballspiels und sonstiger Veranstaltungen, deren vorrangige Schutzwürdigkeit sich nicht ohne weiteres erschließt, reicht hierfür nicht aus.

22

b) Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls nicht stand. Zwar hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht deutliche Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen eines für die Rechtfertigung der versammlungsrechtlichen Auflage erforderlichen polizeilichen Notstandes geäußert und nachvollziehbar dargelegt, dass sich ihm nicht erschließe, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der Gefährdungsanalyse der Polizeidirektion L. vom 4. Oktober 2010 und dem Erlass der Auflage am 13. Oktober 2010 so erhöht haben soll, dass statt der zwei Aufzüge, die ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten wurden, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Auch erscheint es nachvollziehbar, dass dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die Vornahme der hier grundsätzlich gebotenen und soweit als möglich nicht lediglich summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Auflage nicht mehr möglich war. Allerdings hätte es dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in dieser Konstellation, um der Freiheitsvermutung zugunsten der Versammlungsfreiheit zumindest in der Sache Rechnung zu tragen, oblegen, eine besonders sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese in der Begründung seiner Entscheidung hinreichend offenzulegen. Vorliegend hat sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, auf die vermeintlich geringe Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzuweisen, ohne auch nur ansatzweise ausreichend auf das Bestehen einer die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit überwiegenden potentiellen Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter einzugehen.

23

4. Demgemäß ist festzustellen, dass sowohl der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig als auch der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Einer Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung bedarf es darüberhinausgehend nur bezüglich der Kostenentscheidungen, da in der Sache selbst Erledigung eingetreten ist (vgl. Schemmer, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. Aufl. 2005, BVerfGG, § 93c Rn. 33).

24

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. November 2011 - 3 K 1817/11 - geändert.

Es wird festgestellt, dass das Versammlungsverbot (Ziffern I. und II.) und die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung (Ziffer IV.) in der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 08.02.2011 rechtswidrig waren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines durch Allgemeinverfügung erlassenen Versammlungsverbots zur Sicherung eines Castortransports.
Mit einer auf § 15 Abs. 1 VersammlG und § 35 Satz 2 LVwVfG gestützten Allgemeinverfügung vom 08.02.2011 untersagte die Beklagte - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge für den Zeitraum vom 15.02.2011, 0.00 Uhr bis zum 16.02.2011, 24.00 Uhr (I. der Verfügung). Der räumliche Geltungsbereich des Versammlungsverbots wurde in den Anlagen 1 und 2 zur Allgemeinverfügung festgelegt (II. der Verfügung). Er umfasste einen Korridor von jeweils 50 m Breite beidseits der Gleise entlang der Schienentransportstrecke des beabsichtigten Transports von HAW-Glaskokillen in Castor-Behältern sowie im Einzelnen bezeichnete Straßen und Straßenabschnitte einschließlich der dazwischen liegenden Flächen auf dem Gebiet der Beklagten. Nach III. der Verfügung wurden in diesem Bereich auch Sitzblockaden, andere Blockaden des HAW-Transports oder das Bereiten jedweder sonstiger Hindernisse verboten. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer I oder III wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang angedroht (IV. der Verfügung). Unter VI. wurde bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
Die Allgemeinverfügung wurde am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe ohne Begründung bekannt gemacht. In der Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, dass die Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne.
In der Begründung wurde ausgeführt, der Beklagten lägen für den Zeitraum des Castortransports durch das Stadtgebiet bislang lediglich zwei Anmeldungen für Mahnwachen vor. Es sei jedoch mit weiteren Demonstrationen zu rechnen. Trotz diverser bundesweiter Demonstrationsaufrufe verschiedener Organisationen sei es der Versammlungsbehörde nicht möglich, an Verantwortliche im Sinn von § 14 Abs. 2 VersammlG Einzelverfügungen zu adressieren, da keine Anmeldung im Sinn von § 14 Abs. 1 VersammlG erfolgt sei. Aus diesem Grund bleibe nur die gewählte Form der Allgemeinverfügung. Die Gefahrenprognose stütze sich auf Erfahrungen bei vergangenen Atomtransporten und auf aktuelle Aufrufe zu Protest- und Blockadeaktionen im Internet. Fünf Vorfälle aus den Jahren 2004 - 2010 wurden ausdrücklich angeführt:
Am 07.11.2004 habe sich anlässlich eines Castortransports eine Gruppe von 20 - 25 Personen im Bereich Mannheim-Friedrichsfeld/Schwetzingen auf den Weg Richtung Gleisanlage gemacht. Es seien Platzverweise ausgesprochen und sechs Personen in Gewahrsam genommen worden. Nach den Gesamtumständen habe die Personengruppe die Gleise blockieren wollen.
Anlässlich eines Castortransports am 11.11.2006 habe ein Zug in Höhe Büchig (Stutensee) halten müssen, da im weiteren Streckenverlauf ein verdächtigtes Päckchen auf der Gleisanlage gelegen habe sowie in dessen Nähe ein Transparent „Stoppt den Castor“ über die Gleise gespannt worden sei. Kurze Zeit später habe der Zug wegen eines mit Holzstücken gefüllten Eimers auf den Schienen halten müssen. Fast zeitgleich hätten in Mannheim (Ansiedlung Alteichwald) fünf Personen aus einer sechsköpfigen Gruppe in Gewahrsam genommen werden müssen, nachdem sie einen Platzverweis nicht befolgt hatten. Ihre Absicht dürfe eine Gleisblockade gewesen sein. Zwischen Hockenheim und Oftersheim hätten sich ca. 30 Personen mit Fackeln im Gleisbereich zu Blockadezwecken versammelt. Nach Versammlungsauflösung seien Platzverweise erteilt worden. Zehn Personen seien in Gewahrsam genommen worden, da sie den Platzverweisen nicht nachgekommen seien. Die Zugfahrt sei um eine Stunde verzögert worden.
Bei einem Castortransport am 08./09.11.2008 hätten sich zwischen Berg und Neuburg (Rheinland-Pfalz) 11 Personen versammelt, von denen sich drei Personen mit einem Kunststoffrohr und Schnellzement an die Gleise gekettet hätten. Das Lösen der Blockade habe sich so schwierig und aufwendig gestaltet, dass die Weiterfahrt des Zuges sich um 14 Stunden verzögert habe. Nahezu zeitgleich seien drei einschlägig bekannte Personen der Anti-Atom-Szene mit mitgeführten faltbaren gelben Tonnen angetroffen worden. Den Personen seien Platzverweise erteilt worden, wobei eine Person nach vorangegangener Widerstandshandlung vorübergehend in Gewahrsam genommen worden sei. Aufgrund des örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs (planmäßig hätte der Zug kurze Zeit später den Bahnhof Karlsruhe-Mühlburg passieren sollen) sei zu vermuten, dass die Personen ebenfalls eine Blockadeaktion beabsichtigt hätten. Im weiteren Verlauf habe der Zug erneut für ca. 25 Minuten halten müssen, nachdem die Bundespolizei metallische Geräusche im Schienenbereich wahrgenommen habe und eine Leuchtrakete in den Himmel abgeschossen worden sei.
Am 06.11.2010 hätten sich anlässlich eines Castortransports im Bereich Lauterbourg (Frankreich) zwei bekannte Aktivisten aus Heidelberg an den Gleisen festgekettet. Im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) hätten gleichzeitig bis zu 1.000 Demonstranten die Transportstrecke blockiert. Der Zug sei umgeleitet worden. Im weiteren Verlauf sei eine Brücke, die der Zug überfahren sollte, blockiert worden. Die rechtswidrige Versammlung sei aufgelöst worden. 11 Personen hätten von der Brücke weggetragen werden müssen. Dabei sei es zu Widerstandshandlungen gegen Polizeikräfte der Bundespolizei gekommen. Es seien drei Personen festgenommen worden. Nachdem die Zugumleitung bekannt geworden sei, sei es im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe zu einer Versammlung von ca. 250–300 Personen gekommen, darunter auch ca. 20 Autonome der Anti-Atom-Szene. Die Personen hätten versucht, durch Überrennen eine Polizeiabsperrung zu überwinden, um auf der Gleisanlage eine Blockade zu errichten. Dieses Vorhaben habe nur durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung unmittelbaren Zwangs verhindert werden können. Es sei zu vier Widerstandshandlungen sowie zu einer Beleidigung zum Nachteil der Einsatzkräfte gekommen. Vermutlich aus Protest gegen die Eingriffsmaßnahmen der Polizei gegenüber den Straftätern habe sich in der Folge ein spontaner Aufzug (ca. 80 – 100 Personen) vom Hauptbahnhof in Richtung Polizeipräsidium Karlsruhe bewegt und „Lasst sie frei“ skandiert.
Ein Transport am 15.12.2010 sei störungsfrei verlaufen, nachdem die Einsatzleitung in Frankreich kurzfristig eine Streckenänderung verfügt habe.
10 
Zu den Protest- und Blockadeaufrufen im Internet hieß es u.a.:
11 
Auf der Internetseite www.nachttanzblockade.de werde mit den Worten „Mach mit, bleib wach, besetze, blockiere!“, „Wir stoppen mit einer Gleisbesetzung den Castor“ und „Teig mischen? Beton mischen? Mitmischen!“ ausdrücklich zu Blockaden aufgerufen. Die Blockade solle „in Karlsruhe-Neureut, wenn der Castor rollt“ stattfinden. Unter der Rubrik „Mitmischen“ erscheine eine Checkliste, welche Gegenstände zur Blockadeaktion mitgebracht werden sollten, u.a.
12 
- Werkzeug zum Reparieren von Zäunen, Straßen etc.,
- dichte Plastiktüte zum Verpacken Tränengas verseuchter Klamotten,
- Augenspülflasche mit klarem Wasser,
- Medikamente für mehrere Tage,
- Sitzkissen,
- keine Schminke und Fettcreme (bindet Tränengas).
13 
Das Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand-Neckarwestheim rufe auf http://neckarwestheim.antiatom.net gemeinsam mit den Südwestdeutschen Anti-Atom-Initiativen dazu auf, „gegen die Atommüllverschiebung von Karlsruhe nach Lubmin am Transporttag (16.02.2011) entlang den Straßenbahnschienen in Karlsruhe zu demonstrieren und Aktionen entlang der gesamten Transportstrecke durchzuführen.
14 
Auf der Seite www.lubmin-nixda.de werde zur regen Teilnahme an bundesweiten Demonstrationen am 12.02.2011 entlang der möglichen Transportstrecken und zum „Widerstand im ganzen Land gegen diesen Castortransport, denn Atommüll geht uns alle an!“ aufgerufen. Für die darauffolgenden Tage (15.-18.02.2011) werde dazu aufgerufen, sich am Protest zu beteiligen: „Organisiert bei Euch an der Strecke Widerstand und stoppt den Castor am Tag X“.
15 
Die „Linksjugend (Solid) Karlsruhe“ rufe auf der Internetseite http://solidka.wordpress.com/castor zur Transportblockade auf. Neben einem eigenen Flyer werde auf die Internetseite der Nachttanzblockade verwiesen.
16 
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kam die Beklagte zu dem Schluss, dass im Zusammenhang mit dem am 15./16.02.2011 stattfindenden Castortransport mit massiven Störungen des Zuglaufs durch Blockadeaktionen bzw. Einwirkungen auf den Schienenstrang oder den Transportzug selbst gerechnet werden müsse. Wie viele Personen sich an den Protesten beteiligen werden, sei nicht absehbar. Vor dem Hintergrund der zuvor beschlossenen Laufzeitverlängerung von Atomanlagen sowie der Zwischen- und Endlagerproblematik sei jedoch von einem erheblichen Mobilisierungsgrad auszugehen. Unmittelbaren lokalen Bezug entfalte zudem der Rückkauf der EnBW-Aktien durch das Land Baden-Württemberg. Dass lediglich zwei Mahnwachen angemeldet worden seien, im Internet jedoch aktiv zu Protesten aufgerufen werde, lasse auf eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der Veranstalter schließen.
17 
Die Allgemeinverfügung sei das mildeste Mittel, welches in Anbetracht der Gefahrenprognose die Transportsicherung noch mit hinreichender Sicherheit gewährleiste. Der räumliche Geltungsbereich müsse in der Breite so gestaltet sein, dass das Durchsickern von Demonstranten zur Transportstrecke sowie das Erreichen des Zuges mit Wurfgeschossen nicht möglich sei. In zeitlicher Hinsicht bedürfe es aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit eines ausreichenden Zeitpuffers, um etwaige Transportverzögerungen aufzufangen.
18 
Am 14.02.2011 erhob der Kläger Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung und beantragte gleichzeitig beim Verwaltungsgericht Karlsruhe, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14.02.2011 (- 3 K 394/11 - juris) ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 15.02.2011 - 1 S 361/11 - zurück. Der Widerspruch wurde nicht mehr beschieden.
19 
Am 05.07.2011 erhob der Kläger Fortsetzungsfeststellungsklage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Das erforderliche Feststellungsinteresse sei unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zu bejahen. Es sei nicht sichergestellt, dass der Kläger bei zukünftigen Transporten von radioaktivem Müll durch Karlsruhe Versammlungen zur zeitnahen Information der betroffenen Bevölkerung über die mit dem Atommülltransport auf S-Bahn-Gleisen quer durch Wohngebiete einhergehende Gefährdung durchführen könne. Vielmehr sei zu befürchten, dass er auch künftig keine Versammlungen mit öffentlicher Messung der von Atommülltransporten ausgehenden Strahlung direkt am vorbeifahrenden Zug mit Castoren durchführen könne, da damit zu rechnen sei, dass die Beklagte dies erneut durch vergleichbare Allgemeinverfügungen zu verhindern suche. Die Allgemeinverfügung sei nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden, da sie nicht an die Bürgerinnen und Bürger ausgehändigt und ohne Begründung veröffentlicht worden sei. Dies habe die Rechtsschutzmöglichkeiten unzulässig eingeschränkt. Die Allgemeinverfügung sei in räumlicher und zeitlicher Hinsicht unverhältnismäßig gewesen. Sie habe die Versammlungsfreiheit für einen Zeitraum von 48 Stunden in einem großen Gebiet quer durch Karlsruhe, darunter u. a. am Bahnhofsplatz, für Versammlungen aller Art und unabhängig vom Thema, außer Kraft gesetzt. Der von der Allgemeinverfügung betroffene Personenkreis sei viel zu unbestimmt gewesen, weshalb bereits die Anreise per Stadtbahn zur Dauermahnwache einen Verstoß dargestellt habe. Die Gefahrenprognose sei nicht auf vergleichbare Sachverhalte gestützt worden. Schließlich habe kein polizeilicher Notstand vorgelegen. Die Polizeikräfte hätten ausgereicht, um etwaige rechtswidrige Versammlungen aufzulösen.
20 
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 15.02.2011 - 1 S 361/11 - entgegen.
21 
Mit Urteil vom 24.11.2011 - 3 K 1817/11 - wies das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab. In formeller Hinsicht bestünden keine Bedenken gegen die Allgemeinverfügung. Ihr Erlass und die öffentliche Bekanntmachung seien gerechtfertigt gewesen. Da bei dem Castortransport mit einer Mehrzahl lose verbundener Veranstalter und einzelner Demonstranten-gruppen ohne besondere innere Struktur habe gerechnet werden müssen, sei es nicht möglich gewesen, jedem einzelnen Teilnehmer oder Veranstalter gegenüber eine Einzelverfügung bekannt zu geben. Dies rechtfertige ein allgemeines Versammlungsverbot in Form einer Allgemeinverfügung. Einer öffentlichen Bekanntmachung auch der Begründung habe es nicht bedurft. Die Allgemeinverfügung sei auch in der Sache nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG im Zeitpunkt ihres Erlasses vorgelegen hätten. Es habe eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestanden. Die Beklagte habe in der Allgemeinverfügung zu Recht angenommen, dass die Erfahrung mit zurückliegenden Castortransporten die Annahme rechtfertige, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere durch Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffe in den Bahnverkehr - bestanden habe. Ferner seien zahlreiche Indizien, insbesondere Internetaufrufe zu Protest- und Blockadeaktionen, aufgeführt, die auch bei dem seinerzeit bevorstehenden Transport für mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Rechtsgüterverletzungen gesprochen hätten. Hervorzuheben seien die zahlreichen Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite www.nachttanzblockade.de verwiesen hätten. Aus der Gesamtheit der von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien habe sich die konkrete Erwartung ergeben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Blockaden der Schienenstrecke seien von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellten eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar, weil gegen die Eisenbahnbau- und Betriebsordnung sowie möglicherweise gegen § 315 StGB verstoßen werde. Die von der Beklagten getroffene Gefahrenprognose habe der Kläger nicht zu widerlegen vermocht. Die Beklagte sei zu Recht von einem polizeilichen Notstand ausgegangen, der es rechtfertige, einschränkend auf die Modalitäten der Versammlungsdurchführung einzuwirken, um den polizeilichen Schutzauftrag umfassend und wirksam erfüllen zu können. Ohne den Erlass der Allgemeinverfügung hätte der konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht hinreichend begegnet werden können. Die Beklagte und die Polizei hätten es personalmäßig nicht gewährleisten können, in jedem Einzelfall eine individuelle Gefahrenprognose für alle angemeldeten, vor allem aber auch alle unangemeldeten Versammlungen zu treffen. Die Regelungen der Allgemeinverfügung seien auch verhältnismäßig gewesen. Dass der Korridor, in dem Versammlungen verboten gewesen seien, 50 m beidseits der Transportstrecke sowie angrenzende Gebiete erfasst habe, sei nicht zu beanstanden. In der Allgemeinverfügung sei dieser Abstand nachvollziehbar mit dem Wurf von Gegenständen sowie der Gefahr des „Durchsickerns“ von Demonstranten begründet worden. Mit dieser Begründung hätten auch an die Transportstrecke angrenzende Straßen und die dazwischen liegenden Bereiche sowie der stark frequentierte und damit schwer zu kontrollierende Bahnhofsvorplatz in die Allgemeinverfügung aufgenommen werden dürfen, da mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten gewesen sei, dass auch friedliche Versammlungen dazu genutzt würden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen. In zeitlicher Hinsicht sei das Versammlungsverbot gut nachzuvollziehen, da ein Zeitpuffer eingeplant werden müsse.
22 
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 09.08.2012 - 1 S 210/12 - zugelassenen Berufung vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen.
23 
Der Kläger beantragt,
24 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24.11.2011 - 3 K 1817/11 - zu ändern und festzustellen, dass das Versammlungsverbot (Ziffern I. und II.) und die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung (Ziffer IV.) in der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 08.02.2011 rechtswidrig waren.
25 
Die Beklagte beantragt,
26 
die Berufung zurückzuweisen.
27 
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
28 
Mit der Ladung zum Termin wurde die Beklagte darauf hingewiesen, dass die von ihr vorgelegten Akten nur eingeschränkt eine zuverlässige Überprüfung der in der Allgemeinverfügung getroffenen Gefahrprognose erlaubten. Üblicherweise werde die Gefahrprognose aufgrund einer polizeilichen Lageeinschätzung getroffen. Eine solche sei dem Senat nicht vorgelegt worden. Eine Überprüfung der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands sei ohne Kenntnis der Zahl der damals voraussichtlich benötigten und der tatsächlich zur Verfügung stehenden Polizeibeamten kaum möglich.
29 
Die Beklagte teilte darauf mit Schriftsatz vom 19.09.2013 mit, dass ihr keine weiteren Akten vorlägen, die nachgereicht werden könnten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärte der Vertreter der Beklagten, dass es keine polizeiliche Lageeinschätzung gegeben habe, wenn eine solche in den vorgelegten Akten nicht enthalten sei. Der Versammlungsbehörde seien aber wohl Informationen der Polizei „zugespielt worden“. Er erklärte weiter, dass der Beklagten ex ante bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
30 
Dem Senat liegen die von der Beklagten vorgelegten Akten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
31 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die im Berufungsverfahren erfolgte Beschränkung des Klageantrags stellt keine Klageänderung dar; sie ist nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO ohne weiteres zulässig.
II.
32 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Versammlungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
33 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Bei dem streitgegenständlichen Versammlungsverbot handelte es sich um einen Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG). Anlass der Allgemeinverfügung war der beabsichtigte Castortransport. Da es sich um einen einzelnen und konkret erkennbaren Lebenssachverhalt handelte, nahm der Umstand, dass sich das Versammlungsverbot auf eine Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern ausgewirkt hat, der Allgemeinverfügung nicht den Charakter eines einzelfallbezogenen Verwaltungsakts (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008,987). Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155, vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61 und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473, jeweils m.w.N.).
34 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O. m.w.N.).
35 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier bei einer Klageerhebung binnen Jahresfrist nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
36 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O. und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurteile vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O. und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
37 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.). Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt dabei zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405).
38 
Danach ist hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Ein Versammlungsverbot in Gestalt einer Allgemeinverfügung stellt stets eine schwere Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit dar. Da der Protest der Atomkraftgegner sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich richtet, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten, werden Castortransporte und andere Transporte radioaktiver Abfallprodukte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu Versammlungen und auch zu nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckten Protestaktionen wie etwa Blockaden der Transportstrecke bieten. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch anlässlich künftiger Atommülltransporte durch Karlsruhe Versammlungen unmittelbar an der Transportstrecke veranstalten zu wollen. Es ist zu erwarten, dass die Beklagte, die an ihrer Rechtsauffassung festhält, zur Sicherung solcher Transporte wiederum der streitgegenständlichen Verfügung vergleichbare Allgemeinverfügungen erlassen wird. Sie hat nicht zu erkennen gegeben, von diesem Instrument künftig in vergleichbaren Situationen keinen Gebrauch mehr machen zu wollen.
39 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Versammlungsverbot in der Form einer Allgemeinverfügung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Zwar war die Allgemeinverfügung formell rechtmäßig (a)) und hinreichend bestimmt (b)). Es spricht auch vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für den Erlass versammlungsbeschränkender Maßnahmen vorgelegen haben (c)). Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten nicht festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands gegeben waren (d)).
40 
a) Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Allgemeinverfügung ordnungsgemäß bekannt gegeben.
41 
Nach § 41 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Untunlich bedeutet, dass die individuelle Bekanntgabe wegen der Natur des in Rede stehenden Verwaltungsakts nicht möglich oder jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, etwa weil nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wer betroffen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 41 Rn. 46). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Aufgrund der Aufrufe im Internet zu verschiedenen Formen des Protestes, die nicht mit entsprechenden Anmeldungen von Versammlungen korrespondierten, war es nicht möglich, jedem einzelnen potentiellen Veranstalter oder Teilnehmer die Allgemeinverfügung oder gar eine Einzelverfügung bekannt zu geben.
42 
Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakts dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Diese Voraussetzung wurde mit der Bekanntgabe des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe erfüllt. In Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG wurde in der Bekanntmachung darauf hingewiesen, dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne. Abweichend von § 41 Abs. 4 Satz 3 LVwVfG, wonach der Verwaltungsakt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben gilt, wurde gemäß Satz 4 dieser Vorschrift bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
43 
Für einen Verstoß dieser Bekanntgabevorschriften oder ihrer Handhabung im Einzelfall gegen höherrangiges Recht ist nichts ersichtlich. Der Umstand, dass es dem Kläger möglich war, bereits am 14.02.2011 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung einzulegen und um Eilrechtsschutz nachzusuchen, belegt, dass die Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht unzumutbar erschwert wurden.
44 
b) Die Allgemeinverfügung war sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Adressatenkreises hinreichend bestimmt (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG).
45 
Für die inhaltliche Bestimmtheit genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
46 
Daran gemessen war die Allgemeinverfügung inhaltlich hinreichend bestimmt. Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs war hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Der Versammlungsbegriff ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinreichend konturiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 [Fuckparade 2001]; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 [Blockadeaktion]; Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - NJW 2001, 2459 [Love Parade]). Eine Versammlung ist danach die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Individuelle Meinungsbekundungen etwa durch das Tragen von Ansteckern und auch die Anreise zu einer Versammlung wurden danach von der Allgemeinverfügung nicht erfasst. Gleiches gilt für öffentliche Messungen der Radioaktivität, soweit sie nicht mit einer kollektiven Meinungskundgabe einhergehen.
47 
Einer konkreten Bezeichnung des Adressatenkreises der Allgemeinverfügung bedurfte es nicht, da dieser sich ohne weiteres aus dem Regelungsinhalt des Versammlungsverbots ergab. Adressat war danach jede Person, die innerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung an einer Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug teilnehmen wollte. Der Adressatenkreis war damit - wie dies für eine personenbezogene Allgemeinverfügung kennzeichnend ist - nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar. Dem entsprechend wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang unter IV. der Verfügung „den Versammlungsteilnehmern“ angedroht. Eine weitere Konkretisierung des Adressatenkreises war nicht möglich, da die Allgemeinverfügung auf eine unbestimmte Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern zielte.
48 
c) Es spricht vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen haben.
49 
aa) Versammlungsbeschränkende Maßnahmen dürfen nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
50 
bb) Hier bereitet die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG Schwierigkeiten, weil in den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht dokumentiert ist, welche Erkenntnisse ihr bei Erlass der Allgemeinverfügung zur Verfügung standen und die Beklagte hierzu auch keine verbindlichen Angaben machen konnte. Aus den in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten Erkenntnissen kann nur indirekt darauf geschlossen werden, dass diese auf entsprechenden Informationen seitens der Polizei - etwa auf einer polizeilichen Lageeinschätzung - beruhen.
51 
cc) Sieht man über diese Unsicherheiten hinweg, so erweist sich die auf dieser Tatsachengrundlage getroffene Gefahrenprognose jedoch im Grundsatz als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründeten. Die in der Begründung angeführten Erfahrungen aus zurückliegenden Castortransporten dürften die Annahme gerechtfertigt haben, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffen in den Bahnverkehr - bestand. Dafür sprachen auch die ebenfalls in der Begründung angeführten Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite „www.nachttanzblockade.de“ verwiesen. In einer Gesamtschau dürften die von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien die Prognose gerechtfertigt haben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Derartige Blockadeaktionen auf der Schienenstrecke sind von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellen eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar. Denn eine Sitzblockade auf den Schienen einer dem öffentlichen Eisenbahnverkehr dienenden Schienenstrecke stellt zumindest einen Verstoß gegen § 62 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung - EBO - dar und kann darüber hinaus auch als Transportgefährdung gemäß § 315 StGB strafbar sein. Der Verstoß gegen die EBO und gegen § 315 StGB durch derartige Blockaden ist nicht durch das Versammlungsrecht gerechtfertigt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 12.03.1998 - 1 BvR 2165/96 - juris). Blockaden, die nicht nur kurzfristig und symbolisch Protest ausdrücken sollen, sondern auf die Verhinderung dessen gerichtet sind, was politisch missbilligt wird, sind grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Auch wenn Sitzblockaden bei passiver Haltung der Teilnehmer nicht als unfriedlich anzusehen sind und für sie folglich der Schutz des Art. 8 GG nicht von vornherein entfällt, überschreiten sie den Bereich der geistigen Auseinandersetzung, wenn sie sich nicht als demonstrative Sitzblockaden auf die Kundgabe einer Meinung und die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen beschränken, sondern auf die Beeinträchtigung der Rechte anderer und die Ausübung von Zwang sowie die Schaffung von Tatsachen gerichtet sind. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen durch gezielte und absichtliche Behinderung der Rechte Dritter zu steigern (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 206; Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. - BVerfGE 104, 92; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 15 Rn. 195 f.; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 <259 f.>; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - a.a.O.).
52 
Die Gefahr von Blockadeaktionen dürfte ebenso wie die Gefahr des Werfens von Gegenständen auf die Transportstrecke versammlungsbeschränkende Maßnahmen in einem Korridor entlang der Strecke grundsätzlich gerechtfertigt haben. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Kläger selbst Rechtsverletzungen in der Vergangenheit zu verantworten hatte oder nicht. Es ist auch nicht entscheidend, ob von den angemeldeten Versammlungen in Karlsruhe-Neureut voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Denn die Allgemeinverfügung betraf nicht nur den Kläger, sondern alle Demonstrationsteilnehmer, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt deshalb auf eine Gesamtbetrachtung an, d.h. ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen "Aktionen" entlang der Transportstrecke eine unmittelbare Gefahr der öffentlichen Sicherheit zu erwarten war. Hier spricht vieles dafür, dass die Prognose gerechtfertigt war, dass sich aus zunächst friedlichen Versammlungen rechtswidrige Blockadeaktionen entwickeln und weitere Straftaten wie etwa Gefährdungen des Schienenverkehrs begangen werden. Auch die Befürchtung, dass friedliche Versammlungen genutzt werden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen, dürfte gerechtfertigt gewesen sein.
53 
d) Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil die zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit jedenfalls nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen, wie die Beklagte es in Gestalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erlassen hat, gerechtfertigt haben. Denn ein solches Versammlungsverbot darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erlassen werden und mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Notstand gegeben war.
54 
aa) Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet war, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorgelegen hätten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 m.w.N.). Denn insoweit wurde durch die Allgemeinverfügung auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht hatten, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa Beschädigungen der Gleisanlagen, zu beteiligen.
55 
bb) Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen (BVerwG, Beschl. v. 01.10.2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 15 Rn. 41 f.; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Kap. D Rn. 138 ff.). Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die Behörde zunächst gegen diese vorzugehen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01 - NJW 2001, 1411 <1412> u. v. 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 - NVwZ-RR 2007, 641 <642> m.w.N.). Voraussetzung des Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 ff., vgl. auch Beschl. v. 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 - NJW 2000, 3053 und BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 - NVwZ 1999, 991 <992>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz des Castortransports nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dabei nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
56 
cc) Daran gemessen kann hier nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorlagen. Zwar stellt die Begleitung eines Castortransports angesichts der regelmäßig langen Transportstrecke (hier von Karlsruhe nach Lubmin) und der großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger "Aktionsformen" mit zum Teil vielen, aber teilweise auch wenigen Teilnehmern, die gerade deshalb (bei unangemeldeten Veranstaltungen) entlang der langen Strecke schwer zu "orten" und polizeilich zu begleiten sind, eine außergewöhnlich komplexe polizeiliche Aufgabe dar. Allein dies vermag jedoch noch keinen polizeilichen Notstand zu begründen. Zu berücksichtigen ist, dass die Mobilisierung der Castor-Gegner, von denen Störungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind, entlang der langen Transportstrecke regional höchst unterschiedlich ist. Zu Situationen, die die Annahme eines polizeilichen Notstands rechtfertigten, kam es in der Vergangenheit vor allem im Wendland. Bei den von der Beklagten der Gefahrprognose zugrunde gelegten Vorfällen konnten Störungen überwiegend durch ein gezieltes Vorgehen gegen die Störer (Platzverweise, Ingewahrsam-nahmen) beseitigt werden, ohne dass es zu nennenswerten Verzögerungen des jeweiligen Castortransports gekommen wäre. Lediglich bei dem Transport am 06.11.2010, als im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) bis zu 1.000 Demonstranten gleichzeitig die Transportstrecke blockierten, spricht einiges dafür, dass dort die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorgelegen haben könnten. Als es nach Bekanntwerden der Zugumleitung in der Folge zu einer Spontanversammlung von ca. 250 - 300 Personen im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe kam, die versuchten, eine Polizeiabsperrung zu überrennen und auf den Gleisanlagen eine Blockade zu errichten, war die Polizei jedoch in der Lage, dies durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung von unmittelbarem Zwang zu verhindern. Da die Beklagte bereits nicht dargelegt hat, in welcher Zahl ihr Polizeikräfte zur Sicherung des Castortransports in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung standen und wie viel Polizeibeamte voraussichtlich erforderlich gewesen wären, um ohne ein präventives allgemeines Versammlungsverbot Störungen der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit dem Castortransport zu verhindern, muss vorliegend eine Beweislastentscheidung getroffen werden. Ansatzpunkte für eine weitere Sachaufklärung sind nicht gegeben, nachdem der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, dass der Beklagten bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
57 
e) Erweist sich das Versammlungsverbot als rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung.
III.
58 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
59 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
60 
Beschluss vom 6. November 2013
61 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
62 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
I.
31 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die im Berufungsverfahren erfolgte Beschränkung des Klageantrags stellt keine Klageänderung dar; sie ist nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO ohne weiteres zulässig.
II.
32 
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Klage gegen das Versammlungsverbot ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
33 
1. a) Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Bei dem streitgegenständlichen Versammlungsverbot handelte es sich um einen Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 LVwVfG). Anlass der Allgemeinverfügung war der beabsichtigte Castortransport. Da es sich um einen einzelnen und konkret erkennbaren Lebenssachverhalt handelte, nahm der Umstand, dass sich das Versammlungsverbot auf eine Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern ausgewirkt hat, der Allgemeinverfügung nicht den Charakter eines einzelfallbezogenen Verwaltungsakts (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008,987). Erledigt sich der Verwaltungsakt - wie hier - bereits vor Klageerhebung, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechende Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 <190>; Senatsurteile vom 14.12.2010 - 1 S 338/10 - VBlBW 2011, 155, vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - VBlBW 2012, 61 und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - VBlBW 2012, 473, jeweils m.w.N.).
34 
b) Die Durchführung des mit Einlegung des Widerspruchs eingeleiteten Vorverfahrens war nicht erforderlich, da dieses seine Aufgabe (Selbstkontrolle der Verwaltung, Zweckmäßigkeitsprüfung) nicht mehr hätte erfüllen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.02.1967 - I C 49.64 - BVerwGE 26, 161) und eine Widerspruchsentscheidung in der Sache unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2001 - 2 C 10.00 - NVwZ 2001, 1288; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O. m.w.N.).
35 
c) Die sogenannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier bei einer Klageerhebung binnen Jahresfrist nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - BVerwGE 109, 203 <208 f.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
36 
d) Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 - a.a.O. und Urt. v. 28.03.2012 - 6 C 12.11 - BVerwGE 143, 74 <76> Rn. 15; Senatsurteile vom 30.06.2011 - 1 S 2901/10 - a.a.O. und vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.).
37 
Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sind die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht jedoch dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <89 ff.>; Senatsurteil vom 02.08.2012 - 1 S 618/12 - a.a.O.). Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt dabei zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - a.a.O. S.90; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 08.02.2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405).
38 
Danach ist hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben. Ein Versammlungsverbot in Gestalt einer Allgemeinverfügung stellt stets eine schwere Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit dar. Da der Protest der Atomkraftgegner sich nicht nur gegen den Betrieb von Atomkraftwerken an sich richtet, sondern auch gegen den Umgang mit den radioaktiven Abfallprodukten, werden Castortransporte und andere Transporte radioaktiver Abfallprodukte trotz des inzwischen beschlossenen Atomausstiegs auch in Zukunft Anlass zu Versammlungen und auch zu nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckten Protestaktionen wie etwa Blockaden der Transportstrecke bieten. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, auch anlässlich künftiger Atommülltransporte durch Karlsruhe Versammlungen unmittelbar an der Transportstrecke veranstalten zu wollen. Es ist zu erwarten, dass die Beklagte, die an ihrer Rechtsauffassung festhält, zur Sicherung solcher Transporte wiederum der streitgegenständlichen Verfügung vergleichbare Allgemeinverfügungen erlassen wird. Sie hat nicht zu erkennen gegeben, von diesem Instrument künftig in vergleichbaren Situationen keinen Gebrauch mehr machen zu wollen.
39 
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Das streitgegenständliche Versammlungsverbot in der Form einer Allgemeinverfügung war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Zwar war die Allgemeinverfügung formell rechtmäßig (a)) und hinreichend bestimmt (b)). Es spricht auch vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG für den Erlass versammlungsbeschränkender Maßnahmen vorgelegen haben (c)). Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten nicht festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands gegeben waren (d)).
40 
a) Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die Allgemeinverfügung ordnungsgemäß bekannt gegeben.
41 
Nach § 41 Abs. 3 Satz 2 LVwVfG darf eine Allgemeinverfügung auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Untunlich bedeutet, dass die individuelle Bekanntgabe wegen der Natur des in Rede stehenden Verwaltungsakts nicht möglich oder jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, etwa weil nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wer betroffen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 41 Rn. 46). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Aufgrund der Aufrufe im Internet zu verschiedenen Formen des Protestes, die nicht mit entsprechenden Anmeldungen von Versammlungen korrespondierten, war es nicht möglich, jedem einzelnen potentiellen Veranstalter oder Teilnehmer die Allgemeinverfügung oder gar eine Einzelverfügung bekannt zu geben.
42 
Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakts dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Diese Voraussetzung wurde mit der Bekanntgabe des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung am 11.02.2011 im Amtsblatt der Stadt Karlsruhe erfüllt. In Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG wurde in der Bekanntmachung darauf hingewiesen, dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Beklagten eingesehen werden könne. Abweichend von § 41 Abs. 4 Satz 3 LVwVfG, wonach der Verwaltungsakt zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben gilt, wurde gemäß Satz 4 dieser Vorschrift bestimmt, dass die Allgemeinverfügung ab dem der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben gilt.
43 
Für einen Verstoß dieser Bekanntgabevorschriften oder ihrer Handhabung im Einzelfall gegen höherrangiges Recht ist nichts ersichtlich. Der Umstand, dass es dem Kläger möglich war, bereits am 14.02.2011 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung einzulegen und um Eilrechtsschutz nachzusuchen, belegt, dass die Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen, nicht unzumutbar erschwert wurden.
44 
b) Die Allgemeinverfügung war sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Adressatenkreises hinreichend bestimmt (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG).
45 
Für die inhaltliche Bestimmtheit genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den Beteiligten bekannten näheren Umständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 37 Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 03.02.1989 - 7 B 18.89 - NJW 1989, 1624). Hierbei ist entsprechend § 133 BGB auf den erklärten Willen aus der Sicht eines verständigen Empfängers abzustellen (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 35 Rn. 71).
46 
Daran gemessen war die Allgemeinverfügung inhaltlich hinreichend bestimmt. Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersammlG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs war hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Der Versammlungsbegriff ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hinreichend konturiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 [Fuckparade 2001]; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. - BVerfGE 104, 92 [Blockadeaktion]; Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - NJW 2001, 2459 [Love Parade]). Eine Versammlung ist danach die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Individuelle Meinungsbekundungen etwa durch das Tragen von Ansteckern und auch die Anreise zu einer Versammlung wurden danach von der Allgemeinverfügung nicht erfasst. Gleiches gilt für öffentliche Messungen der Radioaktivität, soweit sie nicht mit einer kollektiven Meinungskundgabe einhergehen.
47 
Einer konkreten Bezeichnung des Adressatenkreises der Allgemeinverfügung bedurfte es nicht, da dieser sich ohne weiteres aus dem Regelungsinhalt des Versammlungsverbots ergab. Adressat war danach jede Person, die innerhalb des Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung an einer Versammlung unter freiem Himmel oder einem Aufzug teilnehmen wollte. Der Adressatenkreis war damit - wie dies für eine personenbezogene Allgemeinverfügung kennzeichnend ist - nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar. Dem entsprechend wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang unter IV. der Verfügung „den Versammlungsteilnehmern“ angedroht. Eine weitere Konkretisierung des Adressatenkreises war nicht möglich, da die Allgemeinverfügung auf eine unbestimmte Vielzahl von Versammlungen und von Versammlungsteilnehmern zielte.
48 
c) Es spricht vieles dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG vorgelegen haben.
49 
aa) Versammlungsbeschränkende Maßnahmen dürfen nach § 15 Abs. 1 VersammlG nur ergriffen werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen, deren Beschränkung für Versammlungen unter freiem Himmel nach Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich zulässig ist. Voraussetzung einer das Versammlungsrecht beschränkenden Verfügung ist eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 - NVwZ 1998, 834; Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - BVerfGK 13, 82). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit sind bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - DVBl 2008, 987 m.w.N.).
50 
bb) Hier bereitet die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG Schwierigkeiten, weil in den von der Beklagten vorgelegten Akten nicht dokumentiert ist, welche Erkenntnisse ihr bei Erlass der Allgemeinverfügung zur Verfügung standen und die Beklagte hierzu auch keine verbindlichen Angaben machen konnte. Aus den in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten Erkenntnissen kann nur indirekt darauf geschlossen werden, dass diese auf entsprechenden Informationen seitens der Polizei - etwa auf einer polizeilichen Lageeinschätzung - beruhen.
51 
cc) Sieht man über diese Unsicherheiten hinweg, so erweist sich die auf dieser Tatsachengrundlage getroffene Gefahrenprognose jedoch im Grundsatz als tragfähig. Es waren erkennbare Umstände, d.h. Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gegeben, die eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründeten. Die in der Begründung angeführten Erfahrungen aus zurückliegenden Castortransporten dürften die Annahme gerechtfertigt haben, dass auch bei dem streitgegenständlichen Castortransport eine hohe Gefahr der Verletzung elementarer Rechtsgüter - insbesondere Blockaden von Abschnitten der Transportstrecke und Eingriffen in den Bahnverkehr - bestand. Dafür sprachen auch die ebenfalls in der Begründung angeführten Blockadeaufrufe im Internet, die größtenteils auf die Webseite „www.nachttanzblockade.de“ verwiesen. In einer Gesamtschau dürften die von der Beklagten in der Allgemeinverfügung aufgeführten Indizien die Prognose gerechtfertigt haben, dass durch verschiedene Aktionen die Transportstrecke blockiert werden sollte. Derartige Blockadeaktionen auf der Schienenstrecke sind von vornherein nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt und stellen eine nicht hinzunehmende Verletzung der öffentlichen Sicherheit dar. Denn eine Sitzblockade auf den Schienen einer dem öffentlichen Eisenbahnverkehr dienenden Schienenstrecke stellt zumindest einen Verstoß gegen § 62 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung - EBO - dar und kann darüber hinaus auch als Transportgefährdung gemäß § 315 StGB strafbar sein. Der Verstoß gegen die EBO und gegen § 315 StGB durch derartige Blockaden ist nicht durch das Versammlungsrecht gerechtfertigt (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 12.03.1998 - 1 BvR 2165/96 - juris). Blockaden, die nicht nur kurzfristig und symbolisch Protest ausdrücken sollen, sondern auf die Verhinderung dessen gerichtet sind, was politisch missbilligt wird, sind grundsätzlich von der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen. Auch wenn Sitzblockaden bei passiver Haltung der Teilnehmer nicht als unfriedlich anzusehen sind und für sie folglich der Schutz des Art. 8 GG nicht von vornherein entfällt, überschreiten sie den Bereich der geistigen Auseinandersetzung, wenn sie sich nicht als demonstrative Sitzblockaden auf die Kundgabe einer Meinung und die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen beschränken, sondern auf die Beeinträchtigung der Rechte anderer und die Ausübung von Zwang sowie die Schaffung von Tatsachen gerichtet sind. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen durch gezielte und absichtliche Behinderung der Rechte Dritter zu steigern (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 206; Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u. a. - BVerfGE 104, 92; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersammlG, 16. Aufl., § 15 Rn. 195 f.; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257 <259 f.>; Nds. OVG, Urt. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 - a.a.O.).
52 
Die Gefahr von Blockadeaktionen dürfte ebenso wie die Gefahr des Werfens von Gegenständen auf die Transportstrecke versammlungsbeschränkende Maßnahmen in einem Korridor entlang der Strecke grundsätzlich gerechtfertigt haben. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Kläger selbst Rechtsverletzungen in der Vergangenheit zu verantworten hatte oder nicht. Es ist auch nicht entscheidend, ob von den angemeldeten Versammlungen in Karlsruhe-Neureut voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausging. Denn die Allgemeinverfügung betraf nicht nur den Kläger, sondern alle Demonstrationsteilnehmer, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt deshalb auf eine Gesamtbetrachtung an, d.h. ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen "Aktionen" entlang der Transportstrecke eine unmittelbare Gefahr der öffentlichen Sicherheit zu erwarten war. Hier spricht vieles dafür, dass die Prognose gerechtfertigt war, dass sich aus zunächst friedlichen Versammlungen rechtswidrige Blockadeaktionen entwickeln und weitere Straftaten wie etwa Gefährdungen des Schienenverkehrs begangen werden. Auch die Befürchtung, dass friedliche Versammlungen genutzt werden, um an die Transportstrecke zu gelangen und aus dem Schutz der Versammlung heraus zu Verhinderungsblockaden und anderen rechtswidrigen Aktionen überzugehen, dürfte gerechtfertigt gewesen sein.
53 
d) Letztlich kann der Senat dies aber offenlassen, weil die zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit jedenfalls nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen, wie die Beklagte es in Gestalt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erlassen hat, gerechtfertigt haben. Denn ein solches Versammlungsverbot darf nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erlassen werden und mangels entsprechender Darlegungen der Beklagten kann nicht festgestellt werden, dass ein solcher Notstand gegeben war.
54 
aa) Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet war, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorgelegen hätten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 m.w.N.). Denn insoweit wurde durch die Allgemeinverfügung auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht hatten, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa Beschädigungen der Gleisanlagen, zu beteiligen.
55 
bb) Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen (BVerwG, Beschl. v. 01.10.2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16; Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O. § 15 Rn. 41 f.; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., Kap. D Rn. 138 ff.). Soweit Rechtsgüter durch Dritte, die nicht im Rahmen der angemeldeten Versammlung handeln, gefährdet werden, hat die Behörde zunächst gegen diese vorzugehen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschl. v. 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01 - NJW 2001, 1411 <1412> u. v. 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 - NVwZ-RR 2007, 641 <642> m.w.N.). Voraussetzung des Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 ff., vgl. auch Beschl. v. 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 - NJW 2000, 3053 und BVerwG, Urt. v. 23.03.1999 - 1 C 12.97 - NVwZ 1999, 991 <992>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz des Castortransports nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht dabei nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde (BVerfG [Kammer], Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
56 
cc) Daran gemessen kann hier nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorlagen. Zwar stellt die Begleitung eines Castortransports angesichts der regelmäßig langen Transportstrecke (hier von Karlsruhe nach Lubmin) und der großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger "Aktionsformen" mit zum Teil vielen, aber teilweise auch wenigen Teilnehmern, die gerade deshalb (bei unangemeldeten Veranstaltungen) entlang der langen Strecke schwer zu "orten" und polizeilich zu begleiten sind, eine außergewöhnlich komplexe polizeiliche Aufgabe dar. Allein dies vermag jedoch noch keinen polizeilichen Notstand zu begründen. Zu berücksichtigen ist, dass die Mobilisierung der Castor-Gegner, von denen Störungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind, entlang der langen Transportstrecke regional höchst unterschiedlich ist. Zu Situationen, die die Annahme eines polizeilichen Notstands rechtfertigten, kam es in der Vergangenheit vor allem im Wendland. Bei den von der Beklagten der Gefahrprognose zugrunde gelegten Vorfällen konnten Störungen überwiegend durch ein gezieltes Vorgehen gegen die Störer (Platzverweise, Ingewahrsam-nahmen) beseitigt werden, ohne dass es zu nennenswerten Verzögerungen des jeweiligen Castortransports gekommen wäre. Lediglich bei dem Transport am 06.11.2010, als im Bereich Berg (Rheinland-Pfalz) bis zu 1.000 Demonstranten gleichzeitig die Transportstrecke blockierten, spricht einiges dafür, dass dort die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands vorgelegen haben könnten. Als es nach Bekanntwerden der Zugumleitung in der Folge zu einer Spontanversammlung von ca. 250 - 300 Personen im Bereich des Hauptbahnhofs Karlsruhe kam, die versuchten, eine Polizeiabsperrung zu überrennen und auf den Gleisanlagen eine Blockade zu errichten, war die Polizei jedoch in der Lage, dies durch den Einsatz starker Kräfte der Bundes- und Landespolizei unter Anwendung von unmittelbarem Zwang zu verhindern. Da die Beklagte bereits nicht dargelegt hat, in welcher Zahl ihr Polizeikräfte zur Sicherung des Castortransports in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung standen und wie viel Polizeibeamte voraussichtlich erforderlich gewesen wären, um ohne ein präventives allgemeines Versammlungsverbot Störungen der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit dem Castortransport zu verhindern, muss vorliegend eine Beweislastentscheidung getroffen werden. Ansatzpunkte für eine weitere Sachaufklärung sind nicht gegeben, nachdem der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, dass der Beklagten bei Erlass der Allgemeinverfügung keine Erkenntnisse zur Zahl der voraussichtlich benötigten und der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte vorgelegen hätten.
57 
e) Erweist sich das Versammlungsverbot als rechtswidrig, so gilt dies auch für die darauf bezogene Zwangsmittelandrohung.
III.
58 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
59 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
60 
Beschluss vom 6. November 2013
61 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
62 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 15. Juni 2017 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2017 wird insoweit wiederhergestellt, als diese die Fläche der vom Antragsteller angemeldeten Veranstaltung mit dem Tenor „Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen“ gemäß der als Anlage 2 zur Antragsschrift beigefügten Skizze betrifft.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin, mit der u.a. die Durchführung der von ihm im Zeitraum vom 30. Juni bis 9. Juli 2017 geplanten Veranstaltung im Stadtpark („Antikapitalistisches Camp“) zeitweise verboten wird.

2

Der Antrag wird analog § 88 VwGO dahingehend verstanden, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 15. Juni 2017 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2017 lediglich insoweit begehrt, wie sich diese auf die Durchführung der vom Antragsteller geplanten Veranstaltung im Stadtpark bezieht. Prüfungsmaßstab eines Antrags ist die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung, soweit sie geeignet ist, die Rechte des Antragstellers zu betreffen (von Alemann/Scheffczyk in BeckOK, Bader/Ronellenfitsch, 35. Ed., Stand 1.4.2017, § 35 Rn. 272). Der Suspensiveffekt von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Allgemeinverfügungen wirken dabei stets nur relativ, d.h. nur für den jeweiligen Widerspruchsführer und nicht auch automatisch für andere Betroffene (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 35, Rn. 160).

3

Der so verstandene Antrag ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 VwGO statthaft. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist zulässig (1.) und begründet (2.).

4

1. Der Antrag ist insbesondere nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Zwar führt die Antragsgegnerin in einem am 12. Juni 2017 an den Bevollmächtigten des Antragstellers ergangenen Schreiben aus, es sei beabsichtigt, gegen den Beschluss des VG Hamburg vom 07.06.2017, 19 E 5697/17, noch an diesem Tage in die Beschwerde zu gehen. Die Frage, ob das Protestcamp als Versammlung zu behandeln sei, sei somit noch offen. Die am 9. Juni 2017 im Amtlichen Anzeiger 2017, S. 869 veröffentlichte versammlungsrechtliche Allgemeinverfügung entfalte somit noch keine Wirkung. Der Antragsteller hat aber gleichwohl mit Schreiben vom 15. Juni 2017 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung eingelegt. Die Antragsgegnerin hat dann auch mit einer ergänzenden Erklärung gegenüber dem Gericht am 16. Juni 2017 klargestellt, dass die Allgemeinverfügung die geplante Veranstaltung des Antragstellers erfasse. Der Antragsteller ist deshalb nicht darauf zu verweisen, den Ausgang des bislang noch offenen Beschwerdeverfahrens vor dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht (Az. 4 Bs 125/17) abzuwarten. Denn die Entscheidung der Kammer entfaltet so lange ihre Wirksamkeit, bis sie gegebenenfalls durch eine Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts aufgehoben wird. Allein das Einlegen der Beschwerde begründet gemäß § 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung.

5

Der Antragsteller ist auch antragsbefugt, da die von ihm geplante Veranstaltung vom örtlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Allgemeinverfügung umfasst wird. Das erkennende Gericht hält unter Berücksichtigung des ergänzenden Sachvortrags des Antragstellers im Beschwerdeverfahren vom 16. Juni 2017, der mit der Antragserwiderung der Antragsgegnerin vom 19. Juni 2017 überreicht wurde, sowie der Ausführungen der Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung vom 12. Juni 2017 an seiner Überzeugung fest, dass die vom Antragsteller geplante Veranstaltung unter den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG fällt. Insoweit wird auf die Ausführungen der Kammer im Beschluss vom 7. Juni 2017 (19 E 5697/17) verwiesen.

6

2. Der Antrag ist auch begründet. Zwar genügt die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Prüfung der Sach- und Rechtslage dürfte der Widerspruch des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 jedoch erfolgreich sein, weshalb das private Interesse des Antragstellers an der Durchführung der Veranstaltung im Stadtpark das öffentliche Interesse am Vollzug der Allgemeinverfügung überwiegt.

7

Die Allgemeinverfügung durfte zwar auf Grundlage von § 15 Abs. 1 VersG erlassen werden (a.). Auch dürften die versammlungsrechtlichen Regelungen in Form der Allgemeinverfügung formell rechtmäßig sein (b.). Die Allgemeinverfügung genügt jedoch nicht den materiell-rechtlichen Anforderungen (c.).

8

a. Rechtsgrundlagen für die erlassene Allgemeinverfügung sind Art. 8 GG, § 15 Abs. 1 VersG in Verbindung mit § 35 Satz 2 HmbVwVfG.

9

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

10

Vorliegend bestehen – entgegen der Auffassung des Antragstellers – keine grundlegenden Bedenken dagegen, ein Versammlungsverbot im Wege der Allgemeinverfügung zu erlassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2168, juris, Rn. 17ff.; BVerfG, Beschl. v. 26.3.2001, 1 BvQ 15/01, NJW 2001, 1411, juris, Rn. 15ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 44ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 6.11.2004, NordÖR 2004, 490, juris, Rn. 13ff.). Eine Allgemeinverfügung ist nach § 35 Satz 2 HmbVwVfG ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

11

b. Die Allgemeinverfügung ist formell nicht zu beanstanden. Sie wurde ordnungsgemäß im Amtlichen Anzeiger der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2017 (S. 869) bekannt gemacht, ohne dass es des Abdrucks der Begründung bedurfte. Dass die Allgemeinverfügung nicht die Unterschrift des Leiters der Versammlungsbehörde trägt, sondern lediglich dessen Namenswiedergabe ist nach § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbVwVfG ausreichend.

12

c. Die Allgemeinverfügung genügt jedoch in materieller Hinsicht den (verfassungs-) rechtlichen Anforderungen nicht. Offen bleiben kann, ob die Allgemeinverfügung im Hinblick auf den hohen Stellenwert des Versammlungsgrundrechts nach Art. 8 Abs. 1 GG den Eingriffsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG genügt (aa.). Denn die Antragsgegnerin hat die notwendige Voraussetzung des polizeilichen Notstands nicht dargelegt (bb.).

13

aa. Es kann auf sich beruhen, ob die Allgemeinverfügung den Eingriffsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG genügt.

14

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt in dem Fall, in dem das Verbot der Versammlung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gestützt wird (§ 15 VersG), die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte voraus, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 1013, 570, juris, Rn. 17).

15

Zwar wird mit der Allgemeinverfügung – worauf die Antragsgegnerin ausdrücklich hinweist – nicht explizit ein Verbot von Versammlungen verfügt, sondern, dass Versammlungen in dem maßgeblichen Zeitraum nur außerhalb des umschriebenen Bereichs stattfinden dürfen (vgl. S. 2 und 3 der Allgemeinverfügung).

16

Unter Berücksichtigung des Umstands, dass dem Veranstalter einer Versammlung ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung zusteht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315, juris Rn. 61) und Art. 8 Abs. 1 GG auch das Interesse des Veranstalters auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen, also gerade durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort schützt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2168, juris, Rn. 23), kann die zeitliche und räumliche Beschränkung jedoch einem Verbot gleichzusetzen sein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2007, 1 BvR 1423/07, NJW 2007, 2168, juris, Rn. 30; VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 54).

17

Zumindest in Bezug auf das vom Antragsteller geplante Camp im Stadtpark dürften die Bestimmungen der Allgemeinverfügung ein zeitweises Verbot darstellen, da mit der teilweisen Untersagung die Gesamtkonzeption des Camps als stationäre Dauerkundgebung, die gerade während des G20-Gipfels stattfinden soll, in Frage gestellt wird. Mögliche geeignete Ausweichflächen für das Camp sind im Hinblick auf den zeitlichen und räumlichen Bedarf nicht ersichtlich. Somit dürfte unbeachtlich sein, dass der Antragsteller in seiner Beschwerdeerwiderung vom 16. Juni 2017 in dem Verfahren 4 Bs 125/17 erklärt hat, dass die Meinungskundgabe auch an einem anderen Ort stattfinden könnte, der über ähnliche Voraussetzungen verfügt.

18

Nach § 15 Abs. 1 VersG ist grundsätzlich erforderlich, dass von einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch die im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung stattfindenden angemeldeten oder unangemeldeten Versammlungen auszugehen ist. Ob dies der Fall ist, kann offen bleiben.

19

Zwar bestehen vorliegend insbesondere für den zwischen dem Veranstaltungsort (Messehallen) und dem Flughafen liegenden Bereich erhebliche Zweifel, ob die von der Antragsgegnerin geschilderten Gefahren im Zusammenhang mit Versammlungen stehen. Die Antragsgegnerin hat für dieses – den größten Teil der Allgemeinverfügung ausmachende – Areal, lediglich vier angemeldete Versammlungen aufgeführt: am 7. Juli 2017 der Aufzug „Solidarität statt G20!“, der vom Hachmannplatz über den Jungfernstieg zum Allende-Platz führen soll, sowie für den 7. und 8. Juli 2017 die Versammlungen „Welcome China“ mit jeweils 15 Teilnehmern in der Moorweidenstraße und der Tesdorpfstraße vor dem Elysee Hotel und das Camp des Antragstellers im Stadtpark.

20

Aufgrund des Vortrags der Antragsgegnerin und unter Berücksichtigung der von dieser zugrunde gelegten Quellen ist derzeit überdies nicht ersichtlich, dass mit einer großen Anzahl weiterer Versammlungen im „Transferkorridor“ zu rechnen ist. Das erkennende Gericht zweifelt daher nach derzeitigem Erkenntnisstand daran, ob tatsächlich für den Bereich des „Transferkorridors“ die von der Antragsgegnerin beschriebene Gefahr droht, dass aus einer Versammlung heraus Gewalttaten verübt werden, demonstrative Blockaden drohen oder mit Zulauf von Gewalttätigen bzw. Personen mit Blockadeabsicht zu friedlichen Demonstrationen zu rechnen sei.

21

Schließlich sind dem Gericht bislang keine tatsächlichen Anhaltspunkte benannt worden, die zu einer belastbaren Gefahrenprognose im Hinblick auf das vom Antragsteller angemeldete Protestcamp führen. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen der Begründung der Allgemeinverfügung bislang lediglich pauschal behauptet, dass bezüglich der angemeldeten Camps zu erwarten sei, dass sich die Teilnehmer aus Kreisen linksalternativer sowie linksextremistischer Strukturen zusammensetzen werden. Erfahrungen aus vergangenen Camps würden belegen, dass aus diesen heraus Straftaten begangen und diese anschließend als Rückzugsorte genutzt wurden. Eine entsprechende Vorgehensweise sei auch anlässlich der G20-Proteste zu erwarten. Insbesondere das angemeldete G20-Camp im Stadtpark sei aufgrund der geografischen Lage und der erwarteten Teilnehmerzahl als Ausgangspunkt z.B. für Blockadeversuche der Protokollstrecken anzusehen (vgl. S. 53 der Allgemeinverfügung). Woraus sich diese Einschätzung der Antragsgegnerin ergibt, ist für das Gericht derzeit nicht nachprüfbar. Weder die im Internet veröffentlichte Karte mit möglichen Blockadepunkten in der Nähe des Stadtparks (vgl. die Ausführungen in Fn. 30 auf Seite 53 der Allgemeinverfügung) noch die Zitate von der Internetseite g20-camp.de, in denen zur Blockade aufgerufen wird (vgl. S. 34 der Allgemeinverfügung), lassen sich derzeit dem Antragsteller zurechnen. In Bezug auf die Karte ist bereits nicht ersichtlich, wer diese veröffentlicht hat und welcher Zusammenhang zu dem vom Antragsteller angemeldeten Camp besteht. Die erwähnte Internetseite hingegen ist diejenige von den Veranstaltern des geplanten Camps im Altonaer Volkspark.

22

Es kommt in diesem Zusammenhang jedoch gar nicht darauf an, ob der Antragsteller selbst in der Vergangenheit versammlungsspezifische Rechtsverletzungen zu verantworten hatte oder solche von ihm drohen. Vorliegend ist auch nicht entscheidend, ob von der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung voraussichtlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Denn die Allgemeinverfügung betrifft nicht nur den Antragsteller, sondern alle Demonstrationsteilnehmer in dem 38 km² großen Gebiet, d.h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten/Versammlungsteilnehmer. Es kommt daher auf eine Gesamtbetrachtung an. Im Rahmen einer solchen ist zu prüfen, ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen Aktionen im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erwarten ist (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 52).

23

Zunächst ist festzustellen, dass die Antragsgegnerin selbst von einem überwiegend friedlichen Verlauf der gegen den G20-Gipfel zu erwartenden Proteste ausgeht (vgl. Hamburger Abendblatt v. 16.6.2017, S.11). Die Kammer verkennt aber nicht, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass es zumindest am sog. Aktionstag (7.7.2017) zu umfangreichen – auch rechtswidrigen – Blockaden im Stadtgebiet kommen kann. Hierauf dürften die von der Antragsgegnerin vorgelegten, auf den konkreten Anlass bezogenen Aufrufe im Internet (vgl. S. 27ff. der Allgemeinverfügung) hinweisen. Die Blockaden, die nicht zeitnah aufgelöst werden können, könnten zum einen, wie von der Antragsgegnerin nachvollziehbar beschrieben (vgl. S. 43ff. der Allgemeinverfügung) eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben der Staatsgäste, der Blockierer selbst oder auch unbeteiligter Dritter hervorrufen. Zum anderen wäre es denkbar, dass umfangreiche Blockadeaktionen die Funktionsfähigkeit des G20-Gipfels beeinträchtigen, weil beispielsweise Gipfelteilnehmer aufgrund der unübersichtlichen Sicherheitslage abreisen (vgl. S. 50 der Allgemeinverfügung).

24

Letztlich kann aber dahin stehen, ob die Antragsgegnerin eine belastbare Gefahrenprognose im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG getroffen hat.

25

bb. Denn die möglicherweise zu erwartenden Gefährdungen bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit dürften nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen rechtfertigen. Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlich verlaufenden Versammlungen im räumlichen Geltungsbereich gerichtet ist, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Antragsgegnerin bei Erlass der Verfügung zulässigerweise vom Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands ausgehen durfte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - a.a.O. S. 360 f.; BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 17; BVerfG, Beschl. v. 26.3.2001, 1 BvQ 15/01, NJW 2001, 1411, juris, Rn. 19; VGH Mannheim, Urt. v. 6.11.2013, 1 S 1640/12, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 54). Durch die Allgemeinverfügung wird auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht haben, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten, zu beteiligen. Die Antragsgegnerin selbst geht in der Begründung der Allgemeinverfügung davon aus, dass auch Nichtstörer Adressaten der Verfügung sein können (vgl. S. 56 der Allgemeinverfügung).

26

Es ist nicht ersichtlich, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ohne den Erlass der streitbefangenen Allgemeinverfügung wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der angemeldeten und unangemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre. Eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.9.2009, 1 BvR 2147/09, NJW 2010,141, juris, Rn. 9; OVG Hamburg, Beschl. v. 11.9.2015, 4 Bs 192/15, S. 8 BA).

27

In diesem Rahmen hat die Antragsgegnerin unter Zugrundelegung der überzeugenden Ausführungen des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 11.9.2015, 4 Bs 192/15, S. 8ff. BA), zunächst auszuführen, wie viele Polizeibeamte zum Schutz der Durchführung aller durch die Allgemeinverfügung verbotenen friedlichen Versammlungen notwendig wären und diese Zahl dann mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden Beamten zu vergleichen. Die Antragsgegnerin müsste ggf. nachweisen, dass und in welchem Umfang sie sich im Wege der Amtshilfe nach Art. 35 GG an die Behörden der anderen Länder und des Bundes gewandt hat und in welchem Maße diesem Ersuchen entsprochen wurde. Darzulegen wäre schließlich für den Fall, dass dem Amtshilfeersuchen nicht vollständig entsprochen wurde, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit in den jeweiligen Ländern und aufgrund welcher konkreter, gegenüber einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestellt wurden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 21; vgl. zu den Anforderungen an die Darlegungspflicht auch VGH München, Beschl. v. 29.4.2010, 10 CS 10.1040, juris, Rn. 16).

28

Eine Darlegung des polizeilichen Notstands, die diesen Anforderungen genügt, nimmt die Antragsgegnerin nicht vor. Die Antragsgegnerin deutet in der Begründung der Verfügung lediglich indirekt das mögliche Vorliegen eines polizeilichen Notstands an:

29

„Die beschriebenen Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit von Schutzpersonen, Versammlungsteilnehmern, Polizeikräften und unbeteiligten Dritten könnten auch unter Heranziehung von landes- und bundesweit verfügbaren Polizeikräften nicht abgewehrt werden.“ (S. 56)

30

„Es ist zu berücksichtigen, dass ein Großteil der maximal zur Verfügung stehenden Kräfte bereits andere Schutzmaßnahmen [s. hierzu die Erläuterungen auf S. 8] zu gewährleisten hat: Diese ergeben sich im Zusammenhang mit angekündigten Aktionen und Blockaden auch außerhalb von angemeldeten Versammlungen, den erforderlichen Schleusungen und Lotsungen, aus der Absicherung der Sicherheitszonen und der Unterbringungshotels, Gewährleistung der kriminalpolizeilichen Abarbeitung, der erforderlichen polizeilichen Aufklärung sowie Gewährleistung von Raum- und Streckenschutz, Objektschutz sonstiger Reizobjekte, verkehrssichernder und –lenkender Maßnahmen, Absicherung und Maßnahmen am Flughafen sowie im Hafen und sonstigen Wasserstraßen, Bereithaltung von Eingreif- und Interventionskräften, Luftsicherung und Begleitung von Versammlungen.

31

Das Erfordernis der zusätzlichen Begleitung und Absicherung im Hinblick auf beabsichtigte oder faktische Blockaden durch Versammlungen in den von dieser Verfügung umfassten Bereichen würde dazu führen, dass ein erforderliches Agieren und Reagieren auf massenhafte Störer (inklusive Blockierer) an diversen Örtlichkeiten kaum mehr möglich wäre.“ (S. 58)

32

„Die Polizei Hamburg hat für den G20-Gipfel die maximal zur Verfügung stehenden Polizeikräfte im Bund und bei den übrigen Bundesländern angefordert. Selbst wenn dieser Anforderung in Gänze entsprochen werden würde (beim G7-Gipfel in Elmau waren etwa 18.000 Beamte tätig) ist angesichts der vielfältigen Aufgabenbereiche, in denen die Polizeikräfte einzusetzen sind, ein derart starkes Aufgebot zur Bewältigung der ohne diese Verfügung zu erwartenden Masse von blockierenden (mit Blockadeabsicht oder durch faktische Herbeiführung) sowie gewaltbereiten Versammlungsteilnehmern nicht erreichbar.“ (S. 59)

33

Konkrete Zahlen zu den benötigten Polizeikräften im räumlichen und zeitlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung sowie eine Begründung, woraus sich diese Zahlen ergeben, werden nicht vorgetragen.

34

Auf eine ausdrückliche Aufforderung des Gerichts, zu den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands weiter vorzutragen, führt die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 19. Juni 2017 aus, dass aufgrund der Bandbreite der zu erwartenden Widerstandsformen gegen den G20-Gipfel mit einer Vielzahl von agierenden Personen und Personengruppen und mit deren Vermengung zu rechnen ist. Eine Trennung bzw. Differenzierung zwischen Störern und Nichtstörern werde in diesen Situationen selbst bei einem theoretisch maximalen Kräfteeinsatz nicht mehr möglich sein. Eine Angabe zu den speziell im „Transferkorridor“ zur Verfügung stehenden Kräften erübrige sich somit. Sie wäre jedoch aus Gründen der Geheimhaltung von taktischen Belangen und zum Schutz von Leib und Leben von Einsatzkräften und Dritten jedenfalls nicht in einem öffentlichen Verfahren vorstellbar.

35

Die Kammer hätte zwar grundsätzlich die Möglichkeit, die Vorlage ggf. vorhandener Informationen durch Beweisbeschluss zu erzwingen und im Fall der Abgabe einer expliziten Sperrerklärung von Seiten der Behörde ein „in-camera“-Verfahren nach § 99 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO durchzuführen. Da sich dem Gericht aufgrund der pauschalen Ausführungen der Antragsgegnerin jedoch schon nicht erschließt, ob entsprechende Unterlagen, die den o.g. Anforderungen genügen, bei ihr überhaupt vorliegen, kann die Frage dahinstehen, ob ein solches Verfahren aufgrund des Erfordernisses der kurzfristigen Verfügbarkeit der Unterlagen im Eilverfahren überhaupt in Betracht kommt (vgl. auch VG Berlin, Beschl. v. 30.4.2010, 1 L 112.10, juris, Rn. 20).

36

Die Antragsgegnerin hat damit einen polizeilichen Notstand nicht im hinreichenden Maße dargelegt, sondern lediglich pauschal behauptet. Allein in dem Umstand, dass die Polizei möglicherweise derzeit noch nicht hinreichend einschätzen kann, durch welche der grundsätzlich friedlich und gewaltfrei angelegten Versammlungen eine Gefahr droht, indem diese etwa eine faktische Blockade bilden oder als Zulaufpunkt für unfriedliche Blockierer dienen, und welche konkreten Kräfte zur Eindämmung dieser Gefahren erforderlich sind, sieht die Kammer entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin keinen Zustand, der sich als polizeilicher Notstand darstellt. Die bloße Vermutung des Inhalts, dass wegen der Vielzahl der zu erwartenden Widerstandsformen gegen den G20-Gipfel eine Differenzierung zwischen Störern und Nichtstörern selbst bei einem theoretisch maximalen Kräfteeinsatz nicht mehr möglich sein werde (vgl. die Ausführungen in der Antragserwiderung), sind jedenfalls dafür nicht ausreichend, da nicht ersichtlich ist, auf welcher faktischen Grundlage diese Behauptung getroffen wurde.

37

Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, die Darlegungspflichten im vorliegenden Fall herabzusetzen. Die rechtliche Möglichkeit, gegen völlig unbeteiligte Dritte mit belastenden Maßnahmen vorzugehen, markiert eine Grenzlinie rechtsstaatlichen Polizeirechts. Die Einhaltung der Grenzen ist entsprechend strikt zu überwachen (vgl. Denninger in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, E 138).

38

3. Das Gericht hat davon abgesehen, das vorliegende Eilverfahren gemäß § 94 VwGO - wie von der Antragsgegnerin beantragt - bis zu einer Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts im Verfahren 4 Bs 125/17 auszusetzen. Zwar ist in dem dortigen Verfahren die vorgreifliche Rechtsfrage zu beantworten, ob es sich bei dem Protestcamp um eine Versammlung handelt, die in den Schutzbereich des Art. 8 GG fällt. Sollte das Hamburgische Oberverwaltungsgericht der Auffassung sein, dass das Protestcamp keine solche Versammlung darstellt, wäre es nicht von der Allgemeinverfügung vom 1. Juni 2017 betroffen und es entfiele das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an der Durchführung des vorliegenden Verfahrens. Da aber mit dem Aufbau des Camps in wenigen Tagen - am 26. Juni 2017 - begonnen werden soll und noch ungewiss ist, wann eine Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts ergehen wird und ob sich der Antragsteller bei einem für ihn ungünstigen Ausgang an das Bundesverfassungsgericht wenden wird, übt das Gericht sein Ermessen nach § 94 VwGO dahin aus, mit einer Entscheidung im vorliegenden Eilverfahren nicht länger zuzuwarten.

39

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes.

(2) Vor dem Abschlusse eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, ist das Land rechtzeitig zu hören.

(3) Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Kostenentscheidungen der Beschlüsse werden aufgehoben. Das Verfahren wird insoweit an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer meldeten Anfang September 2010 bei der Stadt L. ihr Vorhaben an, am 16. Oktober 2010 (von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr) in L. eine Versammlung unter freiem Himmel durchzuführen. Die geplante Versammlung sollte aus drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt von L. bestehen. Die Teilnehmerzahl wurde von den Beschwerdeführern bei der Anmeldung auf 600 Personen geschätzt. Das Motto der geplanten Versammlung lautete "Recht auf Zukunft". Es bezog sich auf eine am 17. Oktober 2009 in L. von der Beschwerdeführerin zu 4), einer Unterorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), veranstaltete Versammlung, bei der es im Zusammenhang mit einer Versammlungsblockade durch Gegendemonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und letztlich zu einer polizeilichen Auflösung der Versammlung kam.

3

Angesichts dieser Vorgeschichte und der Anmeldung von zahlreichen Gegendemonstrationen kam es zwischen der Anmeldung und der Durchführung der geplanten Versammlung zu umfangreichen Verhandlungen zwischen den Beschwerdeführern und der Stadt L., die unter anderem in Kooperationsgesprächen am 4., am 6. und am 13. Oktober 2010 eingehend die polizeilich sicherbare Anzahl der geplanten Aufzüge und die konkrete Streckenführung erörterten. In einer Gefährdungsanalyse am 4. Oktober 2010 bekundete die Polizeidirektion L. dabei laut den tatsächlichen Feststellungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass der Schutz von zwei der angemeldeten Aufzüge mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften gewährleistet werden könne. Am 11. Oktober 2010 teilte der Beschwerdeführer zu 1) der Stadt schließlich mit, dass am 16. Oktober 2010 nunmehr lediglich ein einziger Aufzug stattfinden solle. Am 12. Oktober 2010 ergänzte die Polizeidirektion L. ihre Gefahrprognose insofern, dass nunmehr nur eine maximal vierstündige stationäre Kundgebung durchführbar sei, weil nach den Erfahrungen des Versammlungsgeschehens vom 17. Oktober 2009 mit einer höheren als der angemeldeten Teilnehmerzahl zu rechnen sei und jeweils ca. 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration und der Gegendemonstrationen als gewaltbereit einzustufen seien.

4

2. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 untersagte die Stadt L. die Durchführung der Versammlung als Aufzug, verfügte die Durchführung als stationäre Kundgebung in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in einem Bereich am L. Hauptbahnhof und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Auflage an. Die Polizeidirektion L. habe in ihrer Gefahrprognose vom 12. Oktober 2010 dargelegt, dass im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Oktober 2010 aufgrund von zahlreichen Versammlungsanmeldungen widerstreitender politischer Lager eine latente Gefährdungssituation vorhanden sei, die einen außerordentlich hohen Kräfteeinsatz der Polizei erfordere. Es sei davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer der Aufzüge bei Angriffen durch Personen der linksextremistischen Klientel provozieren ließen und darauf entsprechend reagierten. Die Polizei habe glaubhaft dargelegt, dass sie kräftetechnisch außerstande sei, einen Aufzug zu begleiten, da trotz bundesweiter Anfragen nur 29 der für erforderlich gehaltenen 44 Polizeihundertschaften, also nur 66 % der geplanten Polizeikräfte, zur Verfügung stünden. Die Ausübung der Versammlungsfreiheit werde trotz der Beschränkungen nicht vereitelt, da der zugewiesene Ort eine hinreichende Öffentlichkeitswirksamkeit und eine räumliche Trennung der gegensätzlichen politischen Lager gewährleiste.

5

3. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer noch am gleichen Tag Widerspruch und stellten beim Verwaltungsgericht Leipzig die Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Auflage, nur eine stationäre Kundgebung durchzuführen, wiederherzustellen sowie im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Verbot sämtlicher Versammlungen in einem Umkreis von 300 m um die angemeldeten Aufzugstrecken anzuordnen. Das Verwaltungsgericht Leipzig lehnte die Eilanträge mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Bescheid vom 13. Oktober 2010 rechtmäßig sei und somit das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheids die Interessen der Beschwerdeführer überwiege. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, die Stadt L., sei auf der Grundlage der Einschätzung der Polizeidirektion L. nachvollziehbar davon ausgegangen, dass infolge zahlreicher Gegenaktionen und -demonstrationen bei Durchführung des im Zuge der Kooperation der Beschwerdeführer zuletzt noch geplanten einzigen Aufzuges eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bestehe. Bei der Vielzahl der angemeldeten und geplanten Veranstaltungen am 16.10.2010, unter anderem ein Fußballspiel, und in Anbetracht der beschriebenen begrenzten Kräftelage der Polizei sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einhergehenden Personen- und Sachschäden zu rechnen, denen nur mit der Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung begegnet werden könne. Dieser Gefahr könne in Anbetracht der besonderen Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 auch nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer begegnet werden.

6

4. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts legten die Beschwerdeführer Beschwerde ein. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 zurück. Ob ein polizeilicher Notstand vorliege, sei im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend zu beurteilen. Der Einschätzung der Polizeidirektion lasse sich entnehmen, dass aufgrund des Versammlungsgeschehens im Vorjahr mit gewalttätigen Auseinandersetzungen einer Anzahl von 10 bis 20 % der Teilnehmer sowohl auf Seiten der Beschwerdeführer wie auf Seiten linker Demonstranten gerechnet werde. Zwar erschließe sich dem Gericht nicht, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb kurzer Zeit so erhöht haben solle, dass statt der zwei Aufzüge, die die Polizeidirektion ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten habe, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Wegen der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit sei aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Danach sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil für den Antragsteller die mit der Durchführung einer nur stationären Kundgebung verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmbar seien.

7

5. Die Beschwerdeführer beantragten sodann beim Bundesverfassungsgericht zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen Antrag hat die Kammer aufgrund der besonderen Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, dabei jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Klärung der aufgeworfenen Fragen in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsachverfahren hingewiesen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris).

8

6. Hieraufhin erhoben die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts fristgemäß Verfassungsbeschwerde mit der Rüge, durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Rechten aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt zu sein.

9

7. Das Bundesverfassungsgericht hat der Stadt L. als Gegnerin des Ausgangsverfahrens, dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa sowie der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

10

Nach Auffassung des Rechtsamtes der Stadt L. liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht vor. Das Sächsische Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des unter anderem für das Versammlungsrecht zuständigen 6. Revisionssenats übersandt, in der dieser Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen äußert.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 69, 315 <340 ff.>; 110, 77 <83 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zulässig und begründet.

12

1. Der Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG steht weder der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde noch das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses entgegen.

13

a) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache nur, soweit die geltend gemachte Verletzung von Freiheitsrechten oder von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung der Gerichte in der Hauptsache noch ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier rügen die Beschwerdeführer allerdings gerade die Missachtung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bei der Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr behandelt werden würde.

14

b) Auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer besteht, obwohl der Demonstrationstermin verstrichen und damit der Sofortvollzug der strittigen Auflagen gegenstandslos geworden ist. Sind verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht (mehr) zu klären, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung des ursprünglichen Begehrens im Falle einer Wiederholungsgefahr, also wenn ein Gericht die bereits herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht beachtet hat und bei hinreichend bestimmter Gefahr einer gleichartigen Entscheidung bei gleichartiger Sach- und Rechtslage zu befürchten ist, dass es diese auch in Zukunft verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier führten die Beschwerdeführer bereits konflikthafte Versammlungen in L. durch und planen auch in Zukunft die Durchführung von Versammlungen in L., bei denen sie mit ähnlichen Konfliktsituationen rechnen und gegebenenfalls gleichartige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts befürchten müssten.

15

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

16

a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343> oder <355 ff.>; 128, 226 <250 f.>).

17

Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Nach § 15 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 in der Fassung vom 8. Dezember 2008 (BGBl I S. 2366; im Folgenden: VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung durchgeführt werden darf (vgl. BVerfGK 2, 1 <8>). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Ferner gilt, dass, soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, die Durchführung der Versammlung zu schützen ist und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten sind (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>; BVerfG , Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2072>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfGK 17, 303 <308>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

18

b) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 23. März 2004 - 1 BvR 745/01 -, juris, Rn. 13). Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren als außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegender Rechtsbehelf kann die primäre Rechtsschutzfunktion der Fachgerichte ebenfalls nicht übernehmen. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung auslösen kann, ist hierbei zudem ein strenger, von den verwaltungsgerichtlichen Kriterien grundsätzlich unterschiedener Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris, Rn. 4). Daher müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der beschriebenen strengen Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene.

19

3. Diese Maßstäbe haben das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bei den ihnen obliegenden Entscheidungen über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend berücksichtigt. Beide Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsbeschränkende behördliche Maßnahmen nicht gerecht.

20

a) Die vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die Verhinderung der Versammlung in Form eines Aufzugs hätte rechtfertigen können. Das Verwaltungsgericht legt insofern bereits nicht hinreichend deutlich dar, ob seiner Auffassung nach auch von der Versammlung selbst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder diese Gefahr ausschließlich aufgrund der zahlreichen Gegendemonstrationen und den hieraus zu erwartenden Störungen der Versammlung besteht. Dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Begründung seines Standpunktes im Wesentlichen lediglich auf die Einschätzung der Polizeidirektion L., die ohne nähere Erläuterung 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration dem gewaltbereiten Klientel zurechnete, verweist, genügt den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG insofern jedenfalls nicht.

21

Auch im Hinblick auf eine Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes genügen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht weist insofern zur Begründung des Vorliegens einer nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer abwendbaren Gefahr, insbesondere auf die besondere Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 und die deswegen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräfte, hin und beruft sich dabei pauschal auf die Einschätzung der Polizeidirektion L. vom 13. Oktober 2010. Berücksichtigt man aber den Umstand, dass die Polizeidirektion in ihrer Gefährdungsanalyse vom 4. Oktober 2010 offenbar noch zwei der angemeldeten Aufzüge mit den ihr voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kräften für sicherbar hielt, erfüllt diese pauschale Bezugnahme auf die Einschätzung der Polizeidirektion vom 13. Oktober 2010 nicht die den Anforderungen an die entsprechend obigen Maßstäben bereits im Eilverfahren gebotene intensivere Rechtmäßigkeitsprüfung. Vielmehr hätte die kurzfristige Änderung der polizeilichen Einschätzung, die sich nicht ohne weiteres erschließt, das Verwaltungsgericht zu einer substantiierteren Prüfung der veränderten polizeilichen Einschätzung und zur Nachfrage einer genaueren Begründung ihrer Entscheidung veranlassen müssen. Dass dies vorliegend aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Auch im Übrigen hätte es dezidierterer Feststellungen bedurft, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Die behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Gegendemonstrationen kann nach obigen Maßstäben jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden. Auch die Bindung von Polizeikräften aufgrund eines parallel stattfindenden Fußballspiels und sonstiger Veranstaltungen, deren vorrangige Schutzwürdigkeit sich nicht ohne weiteres erschließt, reicht hierfür nicht aus.

22

b) Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls nicht stand. Zwar hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht deutliche Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen eines für die Rechtfertigung der versammlungsrechtlichen Auflage erforderlichen polizeilichen Notstandes geäußert und nachvollziehbar dargelegt, dass sich ihm nicht erschließe, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der Gefährdungsanalyse der Polizeidirektion L. vom 4. Oktober 2010 und dem Erlass der Auflage am 13. Oktober 2010 so erhöht haben soll, dass statt der zwei Aufzüge, die ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten wurden, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Auch erscheint es nachvollziehbar, dass dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die Vornahme der hier grundsätzlich gebotenen und soweit als möglich nicht lediglich summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Auflage nicht mehr möglich war. Allerdings hätte es dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in dieser Konstellation, um der Freiheitsvermutung zugunsten der Versammlungsfreiheit zumindest in der Sache Rechnung zu tragen, oblegen, eine besonders sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese in der Begründung seiner Entscheidung hinreichend offenzulegen. Vorliegend hat sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, auf die vermeintlich geringe Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzuweisen, ohne auch nur ansatzweise ausreichend auf das Bestehen einer die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit überwiegenden potentiellen Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter einzugehen.

23

4. Demgemäß ist festzustellen, dass sowohl der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig als auch der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Einer Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung bedarf es darüberhinausgehend nur bezüglich der Kostenentscheidungen, da in der Sache selbst Erledigung eingetreten ist (vgl. Schemmer, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. Aufl. 2005, BVerfGG, § 93c Rn. 33).

24

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 9. September 2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen ein Versammlungsverbot.

2

Der Antragsteller meldete am 9. Mai 2015 für Sonnabend, den 12. September 2015 einen Aufzug an mit dem Thema „Tag der Patrioten“. Der Aufzug sollte ab 12 Uhr bis zum Abend vom Hamburger Hauptbahnhof durch die Innenstadt und die Hafencity zurück zum Hauptbahnhof führen. Vorgesehen waren drei etwa einstündige Kundgebungen sowie der Einsatz von einem Ordner auf je 50 Teilnehmer. Der Antragsteller rechnete mit etwa 500 Teilnehmern. Im Verlauf der Kooperationsgespräche änderte der Antragsteller wegen einer in der Hafencity gleichzeitig stattfindenden anderen Veranstaltung die Planung und schlug eine außerhalb des Innenstadtbereichs gelegene Route vor. Er rechnete zuletzt mit einer deutlich größeren Teilnehmerzahl. Die Antragsgegnerin ging zuletzt von ca. 2.000 bis 3.000 Teilnehmern aus, darunter 300 bis 500 Rechtsextremisten, sowie ca. 1.500 „rechtsaffinen, patriotischen Fußballanhängern“, darunter eine große Anzahl problematischer Fans der „Kategorie C“ (Hooligans). Für den Tag dieses Aufzugs erwartet die Antragsgegnerin bis zu 15.000 Teilnehmer an Gegenveranstaltungen, darunter bis zu 2.000 gewaltorientierte, nämlich gewaltbereite und gewaltsuchende Personen.

3

Mit Bescheid vom 3. September 2015 verbot die Antragsgegnerin den angemeldeten Aufzug. Zur Begründung führte sie aus: Es sei zu erwarten, dass gewaltsuchende und gewaltbereite Teilnehmer aus dem Aufzug heraus Straftaten zum Nachteil von Gegendemonstranten sowie gewaltsuchenden und gewaltbereiten Linksextremisten, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten begehen und damit deren Leib und Leben gefährden würden. Unabhängig hiervon werde der Aufzug im Wege des polizeilichen Notstandes verboten, da die Gefahren für Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten, die aufgrund der sicher zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen entstünden, mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht verhindert werden könnten. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch.

4

Beim Verwaltungsgericht hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 9. September 2015 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt: Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Versammlungsverbots überwiege das Interesse des Antragstellers, da sein Widerspruch keine Aussichten auf Erfolg habe. Der Aufzug habe verboten werden können, da ein Großteil der Versammlungsteilnehmer nicht beabsichtige, sich friedlich zu versammeln, sondern die Gelegenheit suche, Gewalt gegen politische Gegner, Polizisten und andere selbst definierte Feinde auszuüben. Es sei deshalb zu erwarten, dass aus dem Aufzug heraus insbesondere (schwere) Körperverletzungen begangen würden, die sich zu schweren Gewaltexzessen ausweiten würden.

5

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 10. September 2015 mittags erhobenen und begründeten Beschwerde.

II.

6

A Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

7

Es kann offen bleiben, ob sich der Antragsteller hinreichend mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) und dessen tragende Erwägungen erschüttert hat. Das Beschwerdegericht geht zugunsten des Antragstellers hiervon aus, da die Effektivität des Rechtsschutzes gefährdet wäre, wollte man in extrem eilbedürftigen und zugleich komplexen Verfahren der vorliegenden Art die formalen gesetzlichen Anforderungen konsequent anwenden. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das Beschwerdegericht führt allerdings im Ergebnis zu keiner Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

8

Die im Rahmen eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durchzuführende Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 3. September 2015 gegenüber dem Interesse des Antragstellers, deren Vollzug auszusetzen und den angemeldeten Aufzug durchführen zu können, überwiegt. Bei der im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Prüfung lässt sich allerdings nicht feststellen, ob - was als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung im Hinblick auf den Schutz des betroffenen Grundrechts in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen wäre (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 18, m.w.N.) - der Widerspruch des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung erfolgreich oder erfolglos sein wird; die Erfolgsaussichten sind vielmehr offen (hierzu unter 1.). Die deshalb unabhängig von den Erfolgsaussichten des Widerspruchs ausnahmsweise (BVerfG, a.a.O.) vorzunehmende reine Folgenabwägung führt zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an einem Versammlungsverbot gegenüber dem Interesse des Antragstellers, den Aufzug oder zumindest eine stationäre Versammlung durchzuführen (hierzu unter 2.).

9

1. Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs sind offen, weil es dem Senat in der nur äußerst knappen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist, die maßgeblichen Tatsachengrundlagen, mit denen die Antragsgegnerin das Versammlungsverbot gerechtfertigt hat, zu überprüfen und ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit festzustellen.

10

a) Allerdings lässt sich feststellen, dass der Sachverhalt, wie er sich aus dem Inhalt der Sachakte der Antragsgegnerin und - diesen zusammenfassend wiedergebend - aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, es nicht rechtfertigt, die Versammlung selbst als unfriedlich anzusehen und sie deshalb zu verbieten.

11

Rechtsgrundlage für ein Verbot oder eine beschränkende Auflage ist mangels einer landesrechtlichen Regelung § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung oder ein Aufzug verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung müssen erkennbare Umstände vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergibt (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, 1 BvR 2793/04, NVwZ 2008, 671, juris Rn. 19 f.). Derartige konkrete Tatsachen sind nicht erkennbar.

12

Aus den im Internet verbreiteten Aufrufen zur Teilnahme an dem Aufzug ergibt sich nicht, dass der Aufzug auf Gewalt ausgerichtet ist oder es zumindest naheliegt, dass er aus sich heraus einen unfriedlichen Verlauf nehmen wird. Die Videoaufrufe, von denen sich Aufzeichnungen in der Sachakte der Antragsgegnerin befinden und deren Inhalte in dem Bescheid zutreffend wiedergegeben werden, stehen überwiegend unter dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“. Weder diese Parole noch die Inhalte der Videos lassen erkennen, dass der Aufzug selbst oder sein Thema auf Gewalt ausgerichtet sind. Die Aufrufe zielen auf die politische Gesinnung der verschiedenen rechtsgerichteten Gruppierungen, die durch die Versammlung angesprochen werden sollen. Im Internet verbreitete Erklärungen der Art, es werde eine „heftige Demo“ werden, ein Tsunami werde über Hamburg hereinbrechen (S. 17 des Bescheides) bzw. man müsse die eine oder andere Blessur von vornherein in Kauf nehmen (S. 18 des Bescheides), drückt die Erwartung Einzelner aus und trägt möglicherweise dem Umstand Rechnung, dass man damit rechnet, dass es zu Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gegendemonstranten kommen wird.

13

Die Zahl der gewaltorientierten Teilnehmer lässt ebenfalls keinen hinreichenden, auf konkreten Tatsachen beruhenden Rückschluss darauf zu, dass der Aufzug „auf einen gewalttätigen Verlauf angelegt“ sei (so aber die Antragsgegnerin, S. 19 des Bescheides) bzw. dass - wie das Verwaltungsgericht meint - diese Teilnehmer den Aufzug derart dominieren werden, dass er nicht mehr als friedlich angesehen werden könnte. Aus der Akte ergibt sich bereits nicht konkret, mit wie vielen gewaltorientierten Teilnehmern die Antragsgegnerin überhaupt rechnet. Sie hat insofern nur angeführt, es würden sich unter den Rechtsextremisten und den rechtsgerichteten Fußballanhängern „gewaltbereite und gewaltsuchende Teilnehmer befinden“; von diesen gewaltorientierten Rechtsextremisten kämen ca. 150 aus Hamburg (S. 10 und 25 Bescheides). Gewaltorientiert soll den Angaben der Antragsgegnerin zufolge auch ein Rechtsradikaler sein, der voraussichtlich aus Berlin zusammen mit ca. 400 Personen anreisen wird (S. 13 des Bescheides). Dass diese Begleiter sämtlich oder überwiegend ebenfalls gewaltorientiert seien, sagt die Antragsgegnerin aber nicht. Offensichtlich gewaltorientiert sind die Teilnehmer der genannten WhatsApp-Gruppe (S. 13 f. des Bescheides). Sie besteht unmittelbar allerdings nur aus 17 Teilnehmern. Dass es speziell diese Gruppe ist, die - wie die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht meinen - mit 500 bis 600 Mann anreisen will, erscheint fraglich. Denn anreisen wollen die Teilnehmer dieser Gruppe nicht mit einem großen Bus, sondern mit zwei 9-Sitzern (Bl. 153 der Sachakte). Jedenfalls ist nichts dafür dargelegt oder aus der Sachakte ersichtlich, dass diese 500 bis 600 Mann sämtlich oder überwiegend ebenfalls gewaltorientiert sind. Mit welcher Gesamtzahl gewaltorientierter Teilnehmer des Aufzugs die Antragsgegnerin rechnet, hat sie nur sehr unbestimmt genannt. Auf Seite 11 ihres Bescheides erwartet sie „eine Anreise von hunderten gewaltsuchenden, mindestens aber gewaltbereiten Hooligans und Rechtsextremisten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern“.

14

Die Prognose, der Aufzug werde einen unfriedlichen Verlauf nehmen, kann auch nicht aufgrund der Erfahrungen mit vergleichbaren Aufzügen und Versammlungen getroffen werden. Vergleichbar sind die Aufzüge am 2. Juni 2012 in Hamburg („Tag der deutschen Zukunft - Unser Signal gegen Überfremdung“) und am 26. Oktober 2014 in Köln („HoGeSa“) sowie die Versammlung am 15. November 2014 in Hannover („Europa gegen den Terror des Islamismus“). Zwar hatte der Antragsteller diese Versammlungen nicht zu verantworten, doch richteten sich diese - noch zeitnah zu dem angemeldeten Aufzug durchgeführten - Versammlungen mit vergleichbarer Thematik an dieselbe Zielgruppe. Deshalb dürfte auch der überwiegend rechtsextreme oder rechtsradikale Teilnehmerkreis mit dem Teilnehmerkreis des angemeldeten Aufzugs weitgehend identisch sein.

15

Aus dem Aufzug vom 2. Juni  2012 heraus sind den Angaben der Antragsgegnerin zufolge keine Straftaten begangen worden. Dargestellt hat sie in ihrem Bescheid (S. 22 f.) ausschließlich gewalttätige Aktionen der Gegendemonstranten. Bei dem Aufzug am 26. Oktober 2014 in Köln wurden zwar aus dem Aufzug heraus Gewalttaten begangen, aber est nachdem die Teilnehmer des Aufzugs von Außenstehenden mit Feuerwerkskörpern beworfen worden waren; daraufhin seien die Teilnehmer des Aufzugs äußerst aggressiv mit Flaschenwürfen sowohl gegen diese Personen als auch gegen Polizisten und Medienvertreter vorgegangen und nach dem Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray durch die Polizei sei diese massiv mit Flaschen beworfen worden. Dieser Vorfall belegt zwar die massive Gewaltbereitschaft eines Teils der etwa 4.800 Teilnehmer des damaligen Aufzugs. Mit derartigen Verhaltensweisen muss auch bei dem angemeldeten Aufzug gerechnet werden. Doch rechtfertigt dies nicht ein Verbot der Versammlung, durch das auch denjenigen das Recht zur Versammlung genommen würde, die sich an derartigen Aktionen nicht beteiligen. Denn die Gefahr, dass es zu derartigen Reaktionen auf Angriffe von außen kommt, könnte auf einfachere Weise verhindert werden. Zum einen könnte diese Gefahr durch den verstärkten Einsatz von Polizeikräften verringert werden; in Köln waren es nur 1.299 Beamte, was sich als viel zu wenig erwiesen hat. Zum anderen könnte der Aufzug so durchgeführt werden, dass Gegendemonstranten nicht unmittelbar in seine Nähe gelangen können. Sollte gleichwohl ein Aufzug nicht ausreichend geschützt werden können, bliebe noch die Möglichkeit, zumindest eine stationäre Versammlung durchzuführen. Bei einer derartigen stationären Versammlung am 15. November 2014 mit gut 3.000 Teilnehmern kam es während der Versammlung zu keinen Ausschreitungen (S. 24 des Bescheides). Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken gab es den Angaben der Antragsgegnerin zufolge nur außerhalb der Versammlung. Das rechtfertigt jedoch kein Versammlungsverbot.

16

Allerdings ist auch das Beschwerdegericht davon überzeugt, dass an dem Aufzug eine beträchtliche Zahl von Personen teilnehmen wird, die nicht nur bereit sind, ggf. Gewalt auszuüben, sondern die gewaltsame Auseinandersetzungen geradezu suchen. Das belegen die oben gewürdigten Aufrufe, das Chat-Protokoll sowie das Verhalten eines Teils der Teilnehmer des Aufzugs in Köln sowie der Versammlung in Hannover, bei dem ein großes Polizeiaufgebot erforderlich war, um die Teilnehmer der Versammlung von heranrückenden Gegendemonstranten zu trennen (S. 24 des Bescheides). Doch rechtfertigt dies gleichwohl kein Verbot des Aufzugs. Steht nicht zu befürchten, dass eine Demonstration im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, bleibt für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch Einzelne oder einer Minderheit zu rechnen ist. In einem solchen Fall setzt ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel voraus, welche den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen (BVerfG, Urt. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81 u.a., BVerfGE 69, 315, 4. Leitsatz).

17

Nach diesen Maßstäben ist ein Verbot des Aufzugs nicht gerechtfertigt. Es ist nicht dargelegt und auch sonst nicht erkennbar, dass der Antragsteller gewalttätige Übergriffe aus der Versammlung heraus dulden oder gar befürworten würde. In seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat er erklärt, er werde alles dafür tun, dass von seinem Aufzug keine Gewalt ausgehen werde und Gewalt von Gegendemonstranten auch nicht mit Gegengewalt beantwortet werde. Das ist nicht von vornherein unglaubhaft. Denn er hat von sich aus angezeigt, eine nicht unerhebliche Zahl von Ordnern einzusetzen, und in den im Internet verbreiteten Aufrufen werden ausdrücklich auch Ordner gesucht. Zudem liegen - wie ausgeführt - keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Versammlung vom Thema her auf Gewalt angelegt ist und die Angaben des Antragstellers deshalb unglaubhaft sein könnten. Schließlich könnten - wie ebenfalls bereits ausgeführt - gewalttätige Aktionen, die aus dem Aufzug heraus von Einzelnen oder Gruppen begangen werden, zielgerichtet unterbunden werden. Dass dies grundsätzlich - sieht man einmal von der Zahl einsatzbereiter Polizisten ab - nicht möglich wäre, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt.

18

b) Die Antragsgegnerin beruft sich unabhängig von den vorstehend gewürdigten Gründen zur Rechtfertigung des Verbots auf den sog. polizeilichen Notstand. Sie hält ein Verbot des Aufzugs mithin auch dann für gerechtfertigt, wenn von dem Aufzug keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen. Sie macht geltend, sie könne die Gefahren für Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten, die aufgrund der sicher zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gegendemonstranten entstünden, mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht verhindern. Ob sich die Antragsgegnerin zu Recht auf den polizeilichen Notstand beruft, ist offen. Dies bedarf einer eingehenden Überprüfung, die im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht möglich ist.

19

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 17, m.w.N.), der das Beschwerdegericht folgt, gilt: Soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, ist die Durchführung der Versammlung zu schützen und sind behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten. Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden. Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.

20

Es erscheint zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin diese Darlegungsanforderungen erfüllt hat. Zwar hat sie die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes nicht nur pauschal behauptet. Sie hat ausgeführt, dass sie zur Abwehr der Gefahren während des Aufzugs sowie in den Zeiten davor und danach insgesamt mindestens 9 Abteilungsführungen (ca. 135 Beamte), 46 Hundertschaften (ca. 5.000 Beamte) sowie 10 Wasserwerferstaffeln (ca. 150 Beamte) benötige. Für eine stationäre Versammlung verringere sich der Mindestbedarf um 7 Hundertschaften. Sie selbst verfüge über 3 Abteilungsführungen, 9 Hundertschaften sowie 2 Wasserwerferstaffeln. Sie benötige deshalb weitere 6 Abteilungsleitungen, 37 Hundertschaften (ca. 4.000 Beamte) und 8 Wasserwerferstaffeln (S. 30 des Bescheides). Diese Kräfte habe sie bundesweit angefordert. Angeboten worden seien ihr bis zuletzt (10.9.2015) aber nur 5 Abteilungsführungen, 14 Hundertschaften sowie 11 Wasserwerferstaffeln. Damit bestehe gegenüber dem Minimalbedarf zur Durchführung eines Aufzugs eine Unterdeckung von 23 Hundertschaften (ca. 2.500 Beamte) und zur Durchführung einer stationären Versammlung eine Unterdeckung von 16 Hundertschaften (ca. 1.750 Beamte). Ausreichend dargelegt hat die Antragsgegnerin auch, dass die Polizeibehörden des Bundes und der Länder ihr tatsächlich nur die genannte Unterstützung angeboten haben. Das ergibt sich aus den Ausdrucken des mit diesen Behörden geführten E-Mail-Verkehrs (Bl. 209 ff. und 478 ff. der Sachakte). Diese Angaben genügen jedoch nicht, um davon ausgehen zu können, dass sich die Antragsgegnerin zu Recht auf den polizeilichen Notstand beruft.

21

Dabei hat das Beschwerdegericht angesichts des Umfangs der mit Sicherheit zu erwartenden Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern (dazu später) keinen Zweifel an der Angemessenheit des genannten Bedarfs. Ähnlich viele Polizisten waren auch bei den vergleichbaren Veranstaltungen am 2. Juni 2012 in Hamburg (4.500 Beamte) und am 15. November 2014 in Hannover (5.300 Beamte bei einer stationären Versammlung) im Einsatz (vgl. S. 22 ff. des Bescheides). Die Zahl der eingesetzten Beamten war lediglich am 26. Oktober 2014 in Köln (deutlich) geringer (1.299 Beamte). Diese Zahl war jedoch offenkundig (viel) zu gering.

22

Zweifelhaft ist allerdings, ob die Antragsgegnerin ein ernsthaftes Amtshilfeersuchen gestellt hat und ob die Behörden des Bundes und der Länder - wenn sie es als solches verstanden haben - zu Recht abgelehnt haben, die erforderliche Hilfe zu leisten. Nach Art. 35 Abs. 1 GG leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. Hierzu sind sie auf ein entsprechendes Ersuchen hin verpflichtet (vgl. Bauer in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 19). Daran, dass ein derartiges Ersuchen gestellt wurde, kann man zweifeln, da die Antragsgegnerin in ihrer E-Mail vom 7. August 2015 (Bl. 209/210 der Sachakte) nur um Prüfung gebeten hat, ob die genannte Unterstützung erfolgen könne, und sodann Bund und Länder um „Angebote“ gebeten hat. Auch in ihrer E-Mail vom 27. August 2015 (Bl. 212/213 der Sachakte) hat sie im Hinblick auf den mitgeteilten erhöhten Bedarf lediglich um Angebote gebeten. Offenbar unterscheidet die Antragsgegnerin selbst zwischen Angeboten und Zusagen, wie sich aus einer anderen E-Mail vom 27. August 2015 ergibt (Bl. 217 R der Sachakte), in der sie sich für die „Prüfung der Unterstützungsmöglichkeiten ... und die eingegangenen Angebote/Zusagen bzw. Absagen“ bedankt hat. Insofern wäre aufzuklären, ob diese Bitte um Angebote von den betroffenen Behörden bereits als Ersuchen um eine dringend erforderliche Amtshilfe, zu der sie verpflichtet sind, verstanden wurde. Sollten die Behörden in der Bitte um Angebote noch kein konkretes Amtshilfeersuchen gesehen und mithin ein derartiges Ersuchen auch noch nicht abgelehnt haben, so lägen die Voraussetzungen für einen polizeilichen Notstand nicht vor. Andererseits erscheint es aber auch möglich, dass jedenfalls einige Behörden die Bitte der Antragsgegnerin bereits als verpflichtendes Amtshilfeersuchen verstanden haben. Denn sie haben sämtlich geantwortet und teilweise auch mitgeteilt, dass Polizeikräfte bereitgestellt würden. Um aufzuklären, ob die Behörden von Bund und Ländern die Bitte der Antragsgegnerin um Angebote als konkretes Amtshilfeersuchen verstanden haben, müssen Auskünfte dieser Behörden eingeholt werden. Das kann im vorliegenden Verfahren nicht erfolgen.

23

Vor allem aber ist aufklärungsbedürftig, aus welchen Gründen die Behörden des Bundes und der Länder nicht bzw. nur in derart geringem Umfang bereit oder in der Lage sind, Amtshilfe zu leisten. So haben einige Länder keinerlei Hilfe oder eine im Wesentlichen nur technische Unterstützung durch Wasserwerfereinheiten angeboten. Soweit sich die Behörden im Übrigen überhaupt bereit erklärt haben, Hundertschaften zur Verfügung zu stellen, beschränkt sich dies zumeist auf jeweils nur eine Hundertschaft. Damit mussten jedenfalls die großen und gleichwohl sehr zurückhaltend Hilfe leistenden Länder davon ausgehen, dass die insgesamt erbetenen 37 Hundertschaften nicht zusammenkommen würden. Insoweit bedarf es konkreter Feststellungen dazu, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit in den jeweiligen Ländern und aufgrund welcher konkreter, gegenüber einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestellt wurden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 21). Hierüber geben die Antworten der Behörden der Länder keine ausreichende Auskunft. Soweit diese Behörden ihre (nur geringen) Zusagen sowie ihre Absagen überhaupt begründet haben, ergibt sich hieraus nichts Konkretes darüber, welche vorrangigen Rechtsgüter in den jeweiligen Ländern zu schützen sind und warum keine (weiteren) Polizeikräfte nach Hamburg entsandt werden können. Dies ist genauestens aufzuklären, um feststellen zu können, dass die Behörden des Bundes und der Länder nicht nur vorgeschoben haben, nicht in der Lage zu sein, Amtshilfe zu leisten. Die Wahrnehmung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 GG darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass die zur Amtshilfe verpflichteten Behörden willens sind, eine Versammlung zu schützen. Die hierzu erforderlichen Feststellungen können aber in der knappen Zeit des Beschwerdeverfahrens nicht getroffen werden.

24

2. Die hiernach nur mögliche, aber auch gebotene Folgenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus.

25

Im Rahmen dieser Abwägung sind einerseits die Folgen zu berücksichtigen, die es für den Antragsteller und die Teilnehmer der angemeldeten Versammlung in Bezug auf die Ausübung ihres durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Rechts hätte, wenn der Aufzug nicht durchgeführt werden kann, sich bei einer späteren Überprüfung aber herausstellen sollte, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands in Wahrheit nicht vorlagen. Andererseits ist zu würdigen, welche Folgen es für den Antragsteller und die Teilnehmer des Aufzugs sowie für Dritte hätte, wenn die Versammlung stattfinden könnte, sich aber später herausstellt, dass ein polizeilicher Notstand tatsächlich bestand. Dabei ist in die Betrachtung auch einzubeziehen, dass möglicherweise zwar die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes objektiv nicht vorliegen, die Behörden von Bund und Ländern aber gleichwohl - rechtswidrig - die Amtshilfe verweigern.

26

Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass in der gegenwärtigen Situation weder der Aufzug noch eine stationäre Versammlung stattfinden können, da dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass die Gesundheit der Teilnehmer der Versammlung, der sie schützenden Polizeibeamten, von Gegendemonstranten sowie unbeteiligten Dritten verletzt wird. Diesem Schutz gebührt nach Auffassung des Beschwerdegerichts der Vorrang gegenüber dem Recht auf Durchführung der Versammlung an diesem Tag. Im Einzelnen:

27

Ein Versammlungsverbot beeinträchtigt den Antragsteller und die potentiellen Teilnehmer des Aufzugs in erheblichem Maße in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Denn es gehört zu der grundgesetzlich geschützten Freiheit des Antragstellers zu bestimmen, wann und wo er eine Versammlung abhalten will. Die Intensität der Rechtsbeeinträchtigung wird dadurch etwas verringert, dass der Antragsteller nicht darauf angewiesen ist, sein Anliegen gerade am 12. September 2015 auszudrücken. Den Tag hat er nach eigenem Bekunden - wie die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid (S. 3) unwidersprochen angeführt hat - willkürlich ausgewählt. Demzufolge wäre es grundsätzlich möglich, die Versammlung zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen, ohne auf Kernaussagen seines Anliegens verzichten zu müssen.

28

Sollte die Versammlung hingegen am 12. September 2015 in Form des angemeldeten Aufzugs, ggf. auf einer anderen als der angemeldeten Route oder in eingeschränkter Weise als lediglich stationäre Versammlung stattfinden, so käme es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu schweren Ausschreitungen, wenn gewaltbereite und gewaltsuchende Teilnehmer der Versammlung auf ebenso gewaltorientierte Gegner aus dem linken Spektrum stoßen. Diese werden versuchen, jede sich ihnen bietende Möglichkeit zu nutzen, die Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs anzugreifen, und zwar unabhängig davon, ob diese einen Aufzug durchführen oder nur eine stationäre Versammlung. Das belegen die zahlreichen, bereits in der Wortwahl unmissverständlichen Aufrufe aus dem linksautonomen Spektrum, die im Internet verbreitet werden. Dort wird u.a. in der im Bescheid der Antragsgegnerin (S. 25 ff.) zutreffend wiedergegebenen Weise dazu aufgerufen, den rechten Aufmarsch anzugreifen, „sich dem deutschen Mob mit allen Mitteln und auf allen Ebenen entgegenzustellen“ und ihn anzugreifen, den „Nazis auf’s Maul!“ zu geben, den Naziaufmarsch anzugreifen, die „braune Pest“ entschlossen aus der Stadt zu jagen und ihnen zu zeigen, „dass dies nur unsere Straßen sind“, und Aufzüge wie diesen um jeden Preis zu verhindern. In dem Aufruf der Gruppe „Roter Aufbau Hamburg“, der auf deren Website (roter-aufbau.de) sowie über die Plattform http://de.indymedia.org verbreitet wird, wird neben der Überschrift „Hamburg wird rechtsfrei - Hetzjagd auf Nazis am 12.9.“ ein rot-maskierter Mann mit einem Baseballschläger gezeigt. In dem Text des Aufrufs heißt es weiter: „Deshalb müssen wir uns und unsere Nachbarschaft selbst vor diesen Gruppen schützen... Wir werden ihnen mit allen Mitteln zeigen, dass ihre Zeichensetzung falsch ist, denn Hamburg sieht nicht nur am 1. Mai rot, sondern immer auch dann, wenn rechtes Gesindel in unserer Stadt auftritt. Wir kennen die Straßen dieser Stadt und werden ihnen entschlossen zeigen, dass es unsere Straßen sind. - Hetzjagd auf Nazis bis zum Kommunismus!“. Entsprechend gewaltorientiert ist auch das Video, welches zum Angriff auf den früheren Aufzug vom 2. Juni 2012 aufrief und offenbar neu ins Internet eingestellt worden ist (S. 26 des Bescheides). Auch in einem Aufruf des Bündnisses gegen Rechts heißt es unter Bezugnahme auf den Aufzug vom 2. Juni 2012: Wir werden flexibel sein und dort protestieren, wo die RassistInnen ihre menschenverachtende Propaganda verbreiten wollen. ... ist uns Ansporn, ein weiteres Mal auf die Straße zu gehen und uns ihnen in den Weg zu stellen. Komm mit!“.

29

Dies belegt, dass mehrere Gruppierungen dazu aufrufen, die rechtsgerichteten Versammlungsteilnehmer jederzeit und an jedem Ort in Hamburg anzugreifen und sich Ihnen zumindest in den Weg zu stellen, um den Aufzug zu verhindern. Sie rufen nicht zur Teilnahme an einer Gegendemonstration auf, sondern zu gezielten Aktionen außerhalb einer Versammlung. Die diesbezüglichen Erfahrungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass das tatsächlich geschieht, und zwar bereits vor der Versammlung, während der Versammlung und nach ihrem Ende. So wurden bereits am 1. Mai 2008 vor Beginn einer Versammlung rechtsgerichteter Kreise die anreisenden Versammlungsteilnehmer (insgesamt ca. 1.500) in verschiedenen Stadtteilen attackiert und es kam während der gesamten Zeit der Versammlung zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den rechten und linken Gruppierungen sowie zu schweren Angriffen auf die eingesetzten Polizisten (S. 21 des Bescheides). In der Nacht vor dem Aufzug am 2. Juni 2012 („Tag der deutschen Zukunft“) wurden Polizeifahrzeuge angezündet. Während der Versammlung versuchte ein Block von mehr als 1.000 Personen, auf die Marschstrecke der Rechten zu gelangen. Dabei wurden die Polizisten, die die Marschstrecke zu sichern hatten, massiv angegriffen. Mit einem großem Polizeiaufgebot - insgesamt waren 4.550 Polizisten im Einsatz - konnte verhindert werden, dass die beiden Gruppierungen aufeinandertrafen (S. 22 des Bescheides). Vergleichbar war die Situation am 15. November 2014 in Hannover. Als dort der Demonstrationszug der Gegendemonstranten unmittelbar an die stationäre Versammlung der Rechten herankam, konnten körperliche Auseinandersetzungen nur mit einem massiven Einsatz von Polizeibeamten verhindert werden; im Einsatz waren 5.330 Beamte. Gleichwohl bewarfen sich die beiden Gruppierungen mit Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen (S. 24 des Bescheides).

30

Aufgrund der Feststellungen der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit kein Zweifel besteht, ist weiter davon auszugehen, dass ein gewichtiger Teil der rechtsgerichteten Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs ebenfalls die körperliche Auseinandersetzung mit den Gegendemonstranten annehmen, wenn nicht gar suchen werden. Dass sich unter den Teilnehmern des angemeldeten Aufzugs eine nicht unerhebliche Zahl von gewaltorientierten Personen befinden würde, ist oben bereits ausgeführt worden. Das vorhandene Gewaltpotential belegt zudem der soeben gewürdigte Verlauf der Versammlung in Hannover. Vor allem aber belegt das der Verlauf des - in jeder Hinsicht vergleichbaren - Aufzugs in Köln am 26. Oktober 2014. Wie oben ausgeführt, haben Teilnehmer des Aufzugs auf Provokationen von Außenstehenden äußerst aggressiv mit Flaschenwürfen sowohl gegen die Provokateure als auch gegen die Polizei und Medienvertreter reagiert. Auch hiernach steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass es - sollten die beiden Gruppierungen zu irgendeiner Zeit während des Aufzugs oder in der Zeit davor oder danach unmittelbar aufeinandertreffen - massive Schlägereien zwischen ihnen geben wird, bei denen es zu erheblichen Körperverletzungen und Sachbeschädigungen kommen wird. Die Zahl der gewaltorientierten Personen im Kreis der Linken wird nach den Einschätzungen der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit der Senat ebenfalls nicht zweifelt, in einer Größenordnung von bis zu 2.000 Personen liegen, darunter 500 bis 1.000 gewaltsuchende Personen (S. 20 des Bescheides). Die vorhandene hohe Gewaltbereitschaft wird schließlich dadurch bestätigt, dass in der Nacht vom 30. auf den 31. August 2015 die Fahrzeuge eines Mitorganisators des Aufzugs sowie zweier anderer Personen aus der rechten Szene in Brand gesetzt wurden.

31

Die zu erwartenden Auseinandersetzungen während des Aufzugs oder in der Zeit davor oder danach könnte die Antragsgegnerin nach ihrer plausiblen und nicht zu beanstandenden Einschätzung nur mit dem genannten Großaufgebot an Kräften ausreichend verhindern. Ohne dieses Großaufgebot wird es mit Sicherheit zu massiven Schlägereinen zwischen den verfeindeten Gruppen kommen. Dieses Aufgebot steht der Antragsgegnerin tatsächlich nicht zur Verfügung. Für die Durchführung eines Aufzugs fehlen ihr nach dem letzten Stand 23 Hundertschaften (ca. 2.500 Beamte). Aber selbst für die Durchführung einer nur stationären Versammlung, für deren Sicherung sie mit insgesamt 7 Hundertschaften weniger auskommen könnte, fehlen ihr noch 16 Hundertschaften (va. 1.750 Beamte). Damit steht fest, dass die Antragsgegnerin nicht ausreichend in der Lage ist, die Gesundheit der betroffenen Personen sowie das Eigentum betroffener Bürger zu schützen. Hinzu kommt, dass die Polizisten, die in einer viel zu geringen Stärke gleichwohl versuchen müssten, die Auseinandersetzungen zu verhindern, in ihrer eigenen Gesundheit über das bei einer regulären Einsatzstärke ohnehin schon bestehende Maß hinaus gefährdet würden.

32

Nach den Hilfeverweigerungen der Behörden des Bundes und der Länder spricht nichts dafür, dass diese „im letzten Moment“ doch noch Einsatzkräfte in der erforderlichen Zahl zur Verfügung stellen könnten, sollte im vorliegenden Verfahren die Durchführung eines Aufzugs oder zumindest einer stationären Versammlung ermöglicht werden. Mit einer derartigen Sinnesänderung in dem erforderlichen Umfang ist nicht zu rechnen, da damit faktisch eingeräumt würde, dass die bisherigen Absagen nicht ernst gemeint waren und möglicherweise nur dazu gedient haben, der Antragsgegnerin die Argumente zu liefern, den Aufzug zu verbieten.

33

B Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Antragstellerin erstrebt Eilrechtsschutz gegen die mit einer Abschiebungsandrohung verknüpfte Ablehnung der Verlängerung ihres Schengen-Visums.

2

Sie ist eine armenische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Eriwan. Dort stellte ihr die Botschaft der Italienischen Republik am 10. Januar 2008 ein vom 19. Januar bis 23. Februar 2008 gültiges Visum für die Schengener Staaten der Kategorie C (Kurzzeitvisum) für eine einmalige Einreise mit der Anmerkung "TURISMO" (Tourismus) aus. Wie die Antragstellerin eidesstaatlich versichert, hatte sie geltend gemacht, ein Visum zu benötigen, um zwecks Heirat zu ihrem Verlobten, dem zukünftigen Vater ihres Kindes, zu reisen, und gleichwohl nur ein Touristenvisum erhalten.

3

Am 21. Januar 2008 reiste sie ins Bundesgebiet ein und begab sich zu Herrn A. an die im Rubrum angegebene Anschrift.

4

Herr A. ist armenischer Staatsangehöriger und Sorgeberechtigter für seine bei ihm lebende sechsjährige Tochter, die deutsche Staatsangehörige M. S.. Für beide bezieht Herr A. Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch vom H. in R.. Er ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG -.

5

Am 7. Februar 2008 erklärten Herr A. und die Antragstellerin beim R.er Standesamt ihre Absicht zur Eheschließung und stellten für beide Verlobten einen Antrag auf Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses, der an den Präsidenten des Oberlandesgerichts weitergeleitet wurde.

6

Am 8. Februar 2008 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Verlängerung ihres Schengen-Visums um zwei Monate bis zum 10. April 2008. Sie gab unter Vorlage einer Bescheinigung der Fachärztin für Frauenheilkunde Dr. med. W. vom 4. Februar 2008 an, von Herrn A., den sie heiraten wolle, ein Kind zu erwarten, dessen Geburt um den 30. Juni 2008 zu erwarten sei.

7

Nach mündlicher Anhörung der Antragstellerin und ihres Verlobten am 8. Februar 2008 erließ der Antragsgegner am 14. Februar 2008 eine Verfügung, mit der er den Antrag auf Verlängerung des Visums ablehnte, der Antragstellerin für die Ausreise eine Frist bis zum 24. Februar 2008 setzte und ihr für den Fall nicht fristgemäßer Ausreise die Abschiebung nach Armenien androhte.

8

Hiergegen erhob die Antragstellerin am 18. Februar 2008 Widerspruch, worüber noch nicht entschieden ist.

9

Gleichzeitig hat sie sich wegen einstweiligen Rechtsschutzes an das beschließende Gericht gewandt.

10

Sie beantragt,

11

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung des Aufenthaltsvisums vom 14. Februar 2008 anzuordnen,

12

hilfsweise

13

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zur Entscheidung über den Widerspruch gegen die Ablehnung der Verlängerung des Visums von Abschiebungsmaßnahmen abzusehen.

14

Der Antragsgegner beantragt,

15

den Antrag abzulehnen,

16

und verteidigt seine Entscheidung.

17

Zwischen den Beteiligten ist insbesondere streitig, inwieweit die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, für die Dauer ihres Aufenthalts über die notwendigen Finanzmittel zur Sicherung des Lebensunterhalts und für die Abdeckung medizinischer Behandlungskosten zu verfügen, ob die Antragstellerin nicht versuche, durch ihre Einreise mit einem Touristenvisum bei fortschreitender Schwangerschaft den Antragsgegner "vor vollendete Tatsachen zu stellen", was die Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung nach Ablauf eines verlängerten Visums betrifft, und ob bei ihr eine die Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung beschränkende "Risikoschwangerschaft" vorliege.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.d:

Entscheidungsgründe

19

Der Antrag ist in der Fassung des Hauptantrags zulässig.

20

Er ist gemäß der ersten Variante des § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - statthaft; denn nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG hat der Widerspruch gegen die Ablehnung der Verlängerung des Aufenthaltstitels im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, soweit er sich gegen die verfügte Abschiebungsandrohung richtet. An der Anordnung der aufschiebenden Wirkung besteht auch hinsichtlich der erfolgten Ablehnung ein die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs begründendes Interesse; hiernach liegt ein "Fall des § 80" im Sinne von § 123 Abs. 5 VwGO vor, obwohl in der Hauptsache mit dem Widerspruch das Antragsbegehren vom 8. Februar 2008 weiterverfolgt wird und damit bei Anrufung des Gerichts eine Verpflichtungsklage zu erheben wäre. Denn die Anordnung der aufschiebenden Wirkung führte zum Wiederaufleben der Fiktion des Fortbestehens des mit dem 23. Februar 2008 abgelaufenen Schengen-Visums, bis über den Antrag auf dessen Verlängerung eine vollziehbare (andere) Entscheidung ergehen würde (§ 81 Abs. 4 AufenthG); durch die angegriffene Ablehnung vom 14. Februar 2008 fiel diese Fiktionswirkung, wie sie der Antragsgegner unter dem 11. Februar 2008 bescheinigte, fort.

21

Der Antrag ist allerdings unbegründet und daher abzulehnen. Ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin daran, bis zur Entscheidung in der Hauptsache von den Folgen des Fortfalls eines die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts bescheinigenden Aufenthaltstitels verschont zu bleiben und nicht Rückführungsbemühungen des Antragsgegners ausgesetzt zu sein, welches höher zu veranschlagen wäre als das im gesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung manifestierte öffentliche Interesse an einer Durchsetzung der Ausreisepflicht, kann die Kammer bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht feststellen. Denn der Widerspruch dürfte aus Rechtsgründen keine Aussicht auf Erfolg haben.

22

Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kann ein Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte - worum es sich bei dem der Antragstellerin erteilten Visum der Kategorie C handelt, vgl. Abschnitt VI. 1.7. der Gemeinsamen konsularischen Instruktion (ABl./EU C 326 vom 22. Dezember 2005, Seite 1 [17]) -, das bei der Erteilung durch die Auslandsvertretung nicht für drei Monate ausgestellt wurde, im Inland bis zu einer Gesamtaufenthaltsdauer von drei Monaten innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab dem Tag der ersten Einreise verlängert werden. Dies gilt nach Satz 2 auch für Schengen-Visa, die, wie im Streitfall, nicht von einer deutschen Auslandsvertretung ausgestellt wurden.

23

Die Möglichkeit dieser Verlängerung eines Schengen-Visums besteht - sofern die Erteilungsvoraussetzungen entsprechend gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben erfüllt sind - nach dem Gesetzestext "in besonderen Fällen". Solche wurden, wie der Antragsgegner zutreffend ausführt und belegt, in dem zum Schengen-Besitzstand zählenden Beschluss des seinerzeitigen Schengen-Exekutivausschusses vom 14. Dezember 1993 bezüglich der Verlängerung des einheitlichen Visums - SCH/Com-ex (93) 21 - (ABl./EU L 239 vom 22. September 2000, Seite 1 [151]) näher eingegrenzt. Der für die Visums-Verlängerung geltende gemeinsame Grundsatz Nr. 2 lautet: "Die Verlängerung der durch das Visum gewährten Aufenthaltsdauer ist möglich, wenn sich nach der Ausstellung des Visums neue Tatsachen ergeben. Der Antrag ist ordnungsgemäß zu begründen; insbesondere können höhere Gewalt, humanitäre, berufliche oder schwerwiegende persönliche Gründe angeführt werden. Eine Änderung des Zwecks des Visums ist in keinem Fall gestattet. Die zuständige Verwaltungsbehörde hat zu beurteilen, ob der angegebene Grund tatsächlich eine Verlängerung rechtfertigt."

24

Hiernach dürfte eine Verlängerung des Schengen-Visums der Antragstellerin nicht in Betracht kommen und daher rechtmäßig abzulehnen sein. Denn eine nach der Visumsausstellung durch die italienische Botschaft eingetretene neue Lage ist nicht festzustellen. Die Antragstellerin erstrebt - wie sie selbst versichert hat, nach wie vor und ausdrücklich - den Aufenthalt in Deutschland zwecks Eheschließung mit dem Vater des erwarteten gemeinsamen Kinds. Dieser Zweck, der sich, wie der Antragsgegner nachvollziehbar argwöhnt, wohl auch nicht im Zusammenleben bis zur erfolgreichen Eheschließung erschöpft, ist mit dem der Visumserteilung zugrunde liegenden Aufenthaltszweck "Tourismus" (vgl. die Anlage 9 zur Gemeinsamen konsularischen Instruktion, a. a. O., Seite 82) nicht zu vereinbaren. Die Antragstellerin erstrebte ersichtlich eine Familienzusammenführung, für die das Visum (wohl eher der Kategorie D, vgl. die genannte Anlage, a. a. O., Seite 78) bei der Botschaft des für die Prüfung des Antrags zuständigen Staats, nämlich der Bundesrepublik Deutschland als Hauptreiseziels, zu beantragen gewesen wäre (Abschnitt II. 1.1. der Gemeinsamen konsularischen Instruktion, a. a. O., Seite 6). Ließ sich die Antragstellerin auf ein von der unzuständigen Botschaft - diejenige Italiens ist lediglich für Italien, Spanien und Finnland zuständig (vgl. die Anlage 18 zur Gemeinsamen konsularischen Instruktion, a. a. O., Seite 135) - ausgestelltes Touristenvisum von lediglich fünfwöchiger Geltung ein, statt die zuständige deutsche Botschaft zu befassen, so hat sie sich dessen fehlende Verlängerbarkeit, die mit einer unzulässigen Zweckänderung einherginge, selbst zuzurechnen. Die strenge Zweckbindung des durch Art. 10 und 11 des Schengener Durchführungsabkommens eingeführten einheitlichen Visums kurzer Geltungsdauer dient der Vermeidung eines Missbrauchs und ist angesichts des überschaubaren Zeitraums, für die das einheitliche Schengen-Visum erteilt wird, auch zumutbar; die Einreise mit einem Schengen-Visum soll nicht dazu beitragen, dass die Verfahren zur Erteilung nationaler Visa für längerfristige Aufenthalte (in Deutschland s. § 6 Abs. 4 AufenthG) umgangen werden können.

25

Die Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG knüpft an die mit Ablauf der zumutbar festgelegten Ausreisefrist vollziehbare Ausreisepflicht der Antragstellerin an, die der Antragsgegner erforderlichenfalls durch Abschiebung zu vollstrecken hat (s. § 4 Abs. 1, § 50 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, § 58 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 AufenthG), und bezieht sich zutreffend auf den Staat, dessen Staatsangehörige die Antragstellerin ist. Gründe, um vom Erlass der Abschiebungsandrohung abzusehen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

26

Der Hilfsantrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO ist auf die Verpflichtung zur einstweiligen Duldung der Antragstellerin gerichtet und damit zulässig; er ist aber ebenfalls unbegründet. Wie der Antragsgegner zutreffend ausführt, ist ein Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer - noch nicht beantragten - Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung nicht ersichtlich. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Mecklenburg-Vorpommern (s. grundlegend den Beschluss vom 17. August 1999 - 2 M 66/99 -, NVwZ-RechtsprechungsReport 2000, Seite 641 f.) stellt er zutreffend fest, dass das Eheschließungsverfahren der Antragstellerin noch kein derart vorgerücktes Stadium erreicht hat, in dem der vorwirkende Schutz der angestrebten ehelichen Lebensgemeinschaft es geböte, vom eigentlich vorgeschriebenen Verlangen nach einer Ausreise und der Einholung eines Visums abzusehen; ein Eheschließungstermin ist bisher nämlich nicht absehbar. Auch ein etwa vorwirkender Schutz der familiären Lebensgemeinschaft nach Geburt des Kindes der Verlobten, die wegen der Tochter von Herrn A. in Deutschland zu leben wäre, geböte kein Absehen von der Pflicht zur Ausreise und Einholung des einschlägigen Visums durch die Antragstellerin. Denn es ist anzunehmen, dass die Antragstellerin dieses Verfahren noch rechtzeitig vor Beginn der üblichen Mutterschutzfristen in Armenien abschließen und sich dann erneut rechtmäßig nach Deutschland begeben kann, um hier zu heiraten; auf kurze Bearbeitungsfristen der deutschen Botschaft Eriwan für Visumsanträge deuten nämlich deren Hinweise hin, wie sie die Kammer den Beteiligten als Ausdruck aus dem Internet übermittelt hat. Außerdem ist die Antragstellerin bereits im Besitz eines gültigen Passes sowie der deutschsprachigen Vaterschaftsanerkenntnis- und Sorgeerklärungsurkunde und der deutschsprachigen Korrespondenz mit dem R.er Standesamt und schließlich auch, wie sie meint, von Nachweisen für ihre Fähigkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ferner ist auch nicht erkennbar, dass die Antragstellerin, auch unter Würdigung der verfassungsrechtlich geschützten Integrität des ungeborenen Kindes, im medizinischen Sinne reiseunfähig wäre. Die von den Beteiligten erörterte frauenärztliche Bescheinigung, dass "auf Grund von Risiko-Faktoren [...] von einer Flugreise abgeraten werden [müsse]", ist nahezu substanzlos und wird von der Antragstellerin in deren eidesstattlicher Versicherung auch nur dahingehend erläutert, dass laut der Ärztin Stress für die Schwangere und deren Kind schädlich sei. Dies lässt nicht den Schluss auf besondere Gefahren zu, wie sie erforderlich wären, um eine Abschiebung auf dem Luftwege rechtlich auszuschließen; im Übrigen erscheint der Kammer ebenso wie dem Antragsgegner für die Antragstellerin die Benutzung der Eisenbahn erwägenswert, so dass nach Allem kein Grund ersichtlich ist, die ausreisepflichtige Antragstellerin im Bundesgebiet zu dulden.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

28

Die Entscheidung zum Streitwert hat ihre Grundlage in § 53 Abs. 3 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes; sie legt die Wertbemessung in Absatz 2 der letztgenannten Vorschrift zugrunde, berücksichtigt aber die Vorläufigkeit der erstrebten Eilentscheidung.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 15. Oktober 2010 - 3 L 1556/10 - und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2010 - 3 B 307/10 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Kostenentscheidungen der Beschlüsse werden aufgehoben. Das Verfahren wird insoweit an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine versammlungsrechtliche Auflage.

I.

2

1. Die Beschwerdeführer meldeten Anfang September 2010 bei der Stadt L. ihr Vorhaben an, am 16. Oktober 2010 (von 12.00 Uhr bis 20.00 Uhr) in L. eine Versammlung unter freiem Himmel durchzuführen. Die geplante Versammlung sollte aus drei Aufzügen und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt von L. bestehen. Die Teilnehmerzahl wurde von den Beschwerdeführern bei der Anmeldung auf 600 Personen geschätzt. Das Motto der geplanten Versammlung lautete "Recht auf Zukunft". Es bezog sich auf eine am 17. Oktober 2009 in L. von der Beschwerdeführerin zu 4), einer Unterorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), veranstaltete Versammlung, bei der es im Zusammenhang mit einer Versammlungsblockade durch Gegendemonstranten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und letztlich zu einer polizeilichen Auflösung der Versammlung kam.

3

Angesichts dieser Vorgeschichte und der Anmeldung von zahlreichen Gegendemonstrationen kam es zwischen der Anmeldung und der Durchführung der geplanten Versammlung zu umfangreichen Verhandlungen zwischen den Beschwerdeführern und der Stadt L., die unter anderem in Kooperationsgesprächen am 4., am 6. und am 13. Oktober 2010 eingehend die polizeilich sicherbare Anzahl der geplanten Aufzüge und die konkrete Streckenführung erörterten. In einer Gefährdungsanalyse am 4. Oktober 2010 bekundete die Polizeidirektion L. dabei laut den tatsächlichen Feststellungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, dass der Schutz von zwei der angemeldeten Aufzüge mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften gewährleistet werden könne. Am 11. Oktober 2010 teilte der Beschwerdeführer zu 1) der Stadt schließlich mit, dass am 16. Oktober 2010 nunmehr lediglich ein einziger Aufzug stattfinden solle. Am 12. Oktober 2010 ergänzte die Polizeidirektion L. ihre Gefahrprognose insofern, dass nunmehr nur eine maximal vierstündige stationäre Kundgebung durchführbar sei, weil nach den Erfahrungen des Versammlungsgeschehens vom 17. Oktober 2009 mit einer höheren als der angemeldeten Teilnehmerzahl zu rechnen sei und jeweils ca. 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration und der Gegendemonstrationen als gewaltbereit einzustufen seien.

4

2. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 untersagte die Stadt L. die Durchführung der Versammlung als Aufzug, verfügte die Durchführung als stationäre Kundgebung in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr in einem Bereich am L. Hauptbahnhof und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Auflage an. Die Polizeidirektion L. habe in ihrer Gefahrprognose vom 12. Oktober 2010 dargelegt, dass im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Oktober 2010 aufgrund von zahlreichen Versammlungsanmeldungen widerstreitender politischer Lager eine latente Gefährdungssituation vorhanden sei, die einen außerordentlich hohen Kräfteeinsatz der Polizei erfordere. Es sei davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer der Aufzüge bei Angriffen durch Personen der linksextremistischen Klientel provozieren ließen und darauf entsprechend reagierten. Die Polizei habe glaubhaft dargelegt, dass sie kräftetechnisch außerstande sei, einen Aufzug zu begleiten, da trotz bundesweiter Anfragen nur 29 der für erforderlich gehaltenen 44 Polizeihundertschaften, also nur 66 % der geplanten Polizeikräfte, zur Verfügung stünden. Die Ausübung der Versammlungsfreiheit werde trotz der Beschränkungen nicht vereitelt, da der zugewiesene Ort eine hinreichende Öffentlichkeitswirksamkeit und eine räumliche Trennung der gegensätzlichen politischen Lager gewährleiste.

5

3. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer noch am gleichen Tag Widerspruch und stellten beim Verwaltungsgericht Leipzig die Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Auflage, nur eine stationäre Kundgebung durchzuführen, wiederherzustellen sowie im Wege einer einstweiligen Anordnung ein Verbot sämtlicher Versammlungen in einem Umkreis von 300 m um die angemeldeten Aufzugstrecken anzuordnen. Das Verwaltungsgericht Leipzig lehnte die Eilanträge mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Bescheid vom 13. Oktober 2010 rechtmäßig sei und somit das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheids die Interessen der Beschwerdeführer überwiege. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, die Stadt L., sei auf der Grundlage der Einschätzung der Polizeidirektion L. nachvollziehbar davon ausgegangen, dass infolge zahlreicher Gegenaktionen und -demonstrationen bei Durchführung des im Zuge der Kooperation der Beschwerdeführer zuletzt noch geplanten einzigen Aufzuges eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bestehe. Bei der Vielzahl der angemeldeten und geplanten Veranstaltungen am 16.10.2010, unter anderem ein Fußballspiel, und in Anbetracht der beschriebenen begrenzten Kräftelage der Polizei sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einhergehenden Personen- und Sachschäden zu rechnen, denen nur mit der Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung begegnet werden könne. Dieser Gefahr könne in Anbetracht der besonderen Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 auch nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer begegnet werden.

6

4. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts legten die Beschwerdeführer Beschwerde ein. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 15. Oktober 2010 zurück. Ob ein polizeilicher Notstand vorliege, sei im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend zu beurteilen. Der Einschätzung der Polizeidirektion lasse sich entnehmen, dass aufgrund des Versammlungsgeschehens im Vorjahr mit gewalttätigen Auseinandersetzungen einer Anzahl von 10 bis 20 % der Teilnehmer sowohl auf Seiten der Beschwerdeführer wie auf Seiten linker Demonstranten gerechnet werde. Zwar erschließe sich dem Gericht nicht, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb kurzer Zeit so erhöht haben solle, dass statt der zwei Aufzüge, die die Polizeidirektion ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten habe, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Wegen der fehlenden Überprüfungsmöglichkeit sei aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Danach sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil für den Antragsteller die mit der Durchführung einer nur stationären Kundgebung verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmbar seien.

7

5. Die Beschwerdeführer beantragten sodann beim Bundesverfassungsgericht zunächst den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen Antrag hat die Kammer aufgrund der besonderen Voraussetzungen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt, dabei jedoch zugleich auf die Möglichkeit der Klärung der aufgeworfenen Fragen in einem verfassungsgerichtlichen Hauptsachverfahren hingewiesen (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris).

8

6. Hieraufhin erhoben die Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts fristgemäß Verfassungsbeschwerde mit der Rüge, durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Rechten aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt zu sein.

9

7. Das Bundesverfassungsgericht hat der Stadt L. als Gegnerin des Ausgangsverfahrens, dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa sowie der Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

10

Nach Auffassung des Rechtsamtes der Stadt L. liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht vor. Das Sächsische Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts hat eine Stellungnahme des unter anderem für das Versammlungsrecht zuständigen 6. Revisionssenats übersandt, in der dieser Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen äußert.

II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. insbesondere BVerfGE 69, 315 <340 ff.>; 110, 77 <83 ff.>). Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Leipzig und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zulässig und begründet.

12

1. Der Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG steht weder der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde noch das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses entgegen.

13

a) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache nur, soweit die geltend gemachte Verletzung von Freiheitsrechten oder von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung der Gerichte in der Hauptsache noch ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier rügen die Beschwerdeführer allerdings gerade die Missachtung der Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG bei der Zurückweisung ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr behandelt werden würde.

14

b) Auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer besteht, obwohl der Demonstrationstermin verstrichen und damit der Sofortvollzug der strittigen Auflagen gegenstandslos geworden ist. Sind verfassungsrechtliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht (mehr) zu klären, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung des ursprünglichen Begehrens im Falle einer Wiederholungsgefahr, also wenn ein Gericht die bereits herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht beachtet hat und bei hinreichend bestimmter Gefahr einer gleichartigen Entscheidung bei gleichartiger Sach- und Rechtslage zu befürchten ist, dass es diese auch in Zukunft verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Hier führten die Beschwerdeführer bereits konflikthafte Versammlungen in L. durch und planen auch in Zukunft die Durchführung von Versammlungen in L., bei denen sie mit ähnlichen Konfliktsituationen rechnen und gegebenenfalls gleichartige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts befürchten müssten.

15

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG.

16

a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfGE 69, 315 <343> oder <355 ff.>; 128, 226 <250 f.>).

17

Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 69, 315 <350 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Nach § 15 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24. Juli 1953 in der Fassung vom 8. Dezember 2008 (BGBl I S. 2366; im Folgenden: VersG) kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Danach kann im Einzelfall auch die Festlegung geboten sein, dass eine ursprünglich als Aufzug angemeldete Versammlung nur als ortsfeste Versammlung durchgeführt werden darf (vgl. BVerfGK 2, 1 <8>). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (BVerfGE 69, 315 <353 f.>; BVerfGK 17, 303 <307>). Ferner gilt, dass, soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, die Durchführung der Versammlung zu schützen ist und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten sind (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 8, 79 <81>; BVerfG , Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>). Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <360 f.>; BVerfGK 17, 303 <308>). Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfGK 8, 79 <82>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, S. 2069 <2072>). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfGK 17, 303 <308>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, NJW 2010, S. 141 <142>).

18

b) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Im Verfahren auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 315 <363>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 23. März 2004 - 1 BvR 745/01 -, juris, Rn. 13). Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren als außerhalb der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG liegender Rechtsbehelf kann die primäre Rechtsschutzfunktion der Fachgerichte ebenfalls nicht übernehmen. Angesichts der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts und im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung auslösen kann, ist hierbei zudem ein strenger, von den verwaltungsgerichtlichen Kriterien grundsätzlich unterschiedener Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 16. Oktober 2010 - 1 BvQ 39/10 -, juris, Rn. 4). Daher müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfGE 69, 315 <363 f.>; 110, 77 <87>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senat vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 <835>). Sofern dies nicht möglich ist, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen, da ansonsten eine Umgehung der beschriebenen strengen Voraussetzungen für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit möglich erschiene.

19

3. Diese Maßstäbe haben das Verwaltungsgericht Leipzig und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bei den ihnen obliegenden Entscheidungen über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend berücksichtigt. Beide Entscheidungen werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsbeschränkende behördliche Maßnahmen nicht gerecht.

20

a) Die vom Verwaltungsgericht Leipzig herangezogenen Umstände sind nicht geeignet, die Annahme einer von der Versammlung selbst ausgehenden unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit zu tragen, die die Verhinderung der Versammlung in Form eines Aufzugs hätte rechtfertigen können. Das Verwaltungsgericht legt insofern bereits nicht hinreichend deutlich dar, ob seiner Auffassung nach auch von der Versammlung selbst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht oder diese Gefahr ausschließlich aufgrund der zahlreichen Gegendemonstrationen und den hieraus zu erwartenden Störungen der Versammlung besteht. Dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Begründung seines Standpunktes im Wesentlichen lediglich auf die Einschätzung der Polizeidirektion L., die ohne nähere Erläuterung 10 bis 20 % der Teilnehmer der angemeldeten Demonstration dem gewaltbereiten Klientel zurechnete, verweist, genügt den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG insofern jedenfalls nicht.

21

Auch im Hinblick auf eine Inanspruchnahme der Veranstalter als Nichtstörer im Wege des polizeilichen Notstandes genügen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht weist insofern zur Begründung des Vorliegens einer nicht durch Maßnahmen gegen potentielle Störer abwendbaren Gefahr, insbesondere auf die besondere Veranstaltungssituation am 16. Oktober 2010 und die deswegen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Polizeikräfte, hin und beruft sich dabei pauschal auf die Einschätzung der Polizeidirektion L. vom 13. Oktober 2010. Berücksichtigt man aber den Umstand, dass die Polizeidirektion in ihrer Gefährdungsanalyse vom 4. Oktober 2010 offenbar noch zwei der angemeldeten Aufzüge mit den ihr voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kräften für sicherbar hielt, erfüllt diese pauschale Bezugnahme auf die Einschätzung der Polizeidirektion vom 13. Oktober 2010 nicht die den Anforderungen an die entsprechend obigen Maßstäben bereits im Eilverfahren gebotene intensivere Rechtmäßigkeitsprüfung. Vielmehr hätte die kurzfristige Änderung der polizeilichen Einschätzung, die sich nicht ohne weiteres erschließt, das Verwaltungsgericht zu einer substantiierteren Prüfung der veränderten polizeilichen Einschätzung und zur Nachfrage einer genaueren Begründung ihrer Entscheidung veranlassen müssen. Dass dies vorliegend aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, ist nicht erkennbar. Auch im Übrigen hätte es dezidierterer Feststellungen bedurft, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und aufgrund welcher konkreter, vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte mehr zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestanden hätten. Die behauptete Bindung von Polizeikräften durch die zeitgleich stattfindenden Gegendemonstrationen kann nach obigen Maßstäben jedenfalls nicht ohne weiteres als hinreichendes Argument dafür herangezogen werden. Auch die Bindung von Polizeikräften aufgrund eines parallel stattfindenden Fußballspiels und sonstiger Veranstaltungen, deren vorrangige Schutzwürdigkeit sich nicht ohne weiteres erschließt, reicht hierfür nicht aus.

22

b) Die angegriffene Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hält den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls nicht stand. Zwar hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht deutliche Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen eines für die Rechtfertigung der versammlungsrechtlichen Auflage erforderlichen polizeilichen Notstandes geäußert und nachvollziehbar dargelegt, dass sich ihm nicht erschließe, wodurch sich das Gefährdungspotential innerhalb des kurzen Zeitraumes zwischen der Gefährdungsanalyse der Polizeidirektion L. vom 4. Oktober 2010 und dem Erlass der Auflage am 13. Oktober 2010 so erhöht haben soll, dass statt der zwei Aufzüge, die ursprünglich noch mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften für sicherbar gehalten wurden, nunmehr nur noch eine stationäre Kundgebung möglich sein solle. Auch erscheint es nachvollziehbar, dass dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die Vornahme der hier grundsätzlich gebotenen und soweit als möglich nicht lediglich summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Auflage nicht mehr möglich war. Allerdings hätte es dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht in dieser Konstellation, um der Freiheitsvermutung zugunsten der Versammlungsfreiheit zumindest in der Sache Rechnung zu tragen, oblegen, eine besonders sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese in der Begründung seiner Entscheidung hinreichend offenzulegen. Vorliegend hat sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt, auf die vermeintlich geringe Beeinträchtigung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinzuweisen, ohne auch nur ansatzweise ausreichend auf das Bestehen einer die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit überwiegenden potentiellen Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter einzugehen.

23

4. Demgemäß ist festzustellen, dass sowohl der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig als auch der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzen. Einer Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung bedarf es darüberhinausgehend nur bezüglich der Kostenentscheidungen, da in der Sache selbst Erledigung eingetreten ist (vgl. Schemmer, in: Umbach/Clemens/Dollinger, 2. Aufl. 2005, BVerfGG, § 93c Rn. 33).

24

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 9. September 2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen ein Versammlungsverbot.

2

Der Antragsteller meldete am 9. Mai 2015 für Sonnabend, den 12. September 2015 einen Aufzug an mit dem Thema „Tag der Patrioten“. Der Aufzug sollte ab 12 Uhr bis zum Abend vom Hamburger Hauptbahnhof durch die Innenstadt und die Hafencity zurück zum Hauptbahnhof führen. Vorgesehen waren drei etwa einstündige Kundgebungen sowie der Einsatz von einem Ordner auf je 50 Teilnehmer. Der Antragsteller rechnete mit etwa 500 Teilnehmern. Im Verlauf der Kooperationsgespräche änderte der Antragsteller wegen einer in der Hafencity gleichzeitig stattfindenden anderen Veranstaltung die Planung und schlug eine außerhalb des Innenstadtbereichs gelegene Route vor. Er rechnete zuletzt mit einer deutlich größeren Teilnehmerzahl. Die Antragsgegnerin ging zuletzt von ca. 2.000 bis 3.000 Teilnehmern aus, darunter 300 bis 500 Rechtsextremisten, sowie ca. 1.500 „rechtsaffinen, patriotischen Fußballanhängern“, darunter eine große Anzahl problematischer Fans der „Kategorie C“ (Hooligans). Für den Tag dieses Aufzugs erwartet die Antragsgegnerin bis zu 15.000 Teilnehmer an Gegenveranstaltungen, darunter bis zu 2.000 gewaltorientierte, nämlich gewaltbereite und gewaltsuchende Personen.

3

Mit Bescheid vom 3. September 2015 verbot die Antragsgegnerin den angemeldeten Aufzug. Zur Begründung führte sie aus: Es sei zu erwarten, dass gewaltsuchende und gewaltbereite Teilnehmer aus dem Aufzug heraus Straftaten zum Nachteil von Gegendemonstranten sowie gewaltsuchenden und gewaltbereiten Linksextremisten, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten begehen und damit deren Leib und Leben gefährden würden. Unabhängig hiervon werde der Aufzug im Wege des polizeilichen Notstandes verboten, da die Gefahren für Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten, die aufgrund der sicher zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen entstünden, mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht verhindert werden könnten. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch.

4

Beim Verwaltungsgericht hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 9. September 2015 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt: Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Versammlungsverbots überwiege das Interesse des Antragstellers, da sein Widerspruch keine Aussichten auf Erfolg habe. Der Aufzug habe verboten werden können, da ein Großteil der Versammlungsteilnehmer nicht beabsichtige, sich friedlich zu versammeln, sondern die Gelegenheit suche, Gewalt gegen politische Gegner, Polizisten und andere selbst definierte Feinde auszuüben. Es sei deshalb zu erwarten, dass aus dem Aufzug heraus insbesondere (schwere) Körperverletzungen begangen würden, die sich zu schweren Gewaltexzessen ausweiten würden.

5

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 10. September 2015 mittags erhobenen und begründeten Beschwerde.

II.

6

A Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

7

Es kann offen bleiben, ob sich der Antragsteller hinreichend mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) und dessen tragende Erwägungen erschüttert hat. Das Beschwerdegericht geht zugunsten des Antragstellers hiervon aus, da die Effektivität des Rechtsschutzes gefährdet wäre, wollte man in extrem eilbedürftigen und zugleich komplexen Verfahren der vorliegenden Art die formalen gesetzlichen Anforderungen konsequent anwenden. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das Beschwerdegericht führt allerdings im Ergebnis zu keiner Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

8

Die im Rahmen eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durchzuführende Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 3. September 2015 gegenüber dem Interesse des Antragstellers, deren Vollzug auszusetzen und den angemeldeten Aufzug durchführen zu können, überwiegt. Bei der im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Prüfung lässt sich allerdings nicht feststellen, ob - was als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung im Hinblick auf den Schutz des betroffenen Grundrechts in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen wäre (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 18, m.w.N.) - der Widerspruch des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung erfolgreich oder erfolglos sein wird; die Erfolgsaussichten sind vielmehr offen (hierzu unter 1.). Die deshalb unabhängig von den Erfolgsaussichten des Widerspruchs ausnahmsweise (BVerfG, a.a.O.) vorzunehmende reine Folgenabwägung führt zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an einem Versammlungsverbot gegenüber dem Interesse des Antragstellers, den Aufzug oder zumindest eine stationäre Versammlung durchzuführen (hierzu unter 2.).

9

1. Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs sind offen, weil es dem Senat in der nur äußerst knappen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist, die maßgeblichen Tatsachengrundlagen, mit denen die Antragsgegnerin das Versammlungsverbot gerechtfertigt hat, zu überprüfen und ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit festzustellen.

10

a) Allerdings lässt sich feststellen, dass der Sachverhalt, wie er sich aus dem Inhalt der Sachakte der Antragsgegnerin und - diesen zusammenfassend wiedergebend - aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, es nicht rechtfertigt, die Versammlung selbst als unfriedlich anzusehen und sie deshalb zu verbieten.

11

Rechtsgrundlage für ein Verbot oder eine beschränkende Auflage ist mangels einer landesrechtlichen Regelung § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung oder ein Aufzug verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung müssen erkennbare Umstände vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergibt (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, 1 BvR 2793/04, NVwZ 2008, 671, juris Rn. 19 f.). Derartige konkrete Tatsachen sind nicht erkennbar.

12

Aus den im Internet verbreiteten Aufrufen zur Teilnahme an dem Aufzug ergibt sich nicht, dass der Aufzug auf Gewalt ausgerichtet ist oder es zumindest naheliegt, dass er aus sich heraus einen unfriedlichen Verlauf nehmen wird. Die Videoaufrufe, von denen sich Aufzeichnungen in der Sachakte der Antragsgegnerin befinden und deren Inhalte in dem Bescheid zutreffend wiedergegeben werden, stehen überwiegend unter dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“. Weder diese Parole noch die Inhalte der Videos lassen erkennen, dass der Aufzug selbst oder sein Thema auf Gewalt ausgerichtet sind. Die Aufrufe zielen auf die politische Gesinnung der verschiedenen rechtsgerichteten Gruppierungen, die durch die Versammlung angesprochen werden sollen. Im Internet verbreitete Erklärungen der Art, es werde eine „heftige Demo“ werden, ein Tsunami werde über Hamburg hereinbrechen (S. 17 des Bescheides) bzw. man müsse die eine oder andere Blessur von vornherein in Kauf nehmen (S. 18 des Bescheides), drückt die Erwartung Einzelner aus und trägt möglicherweise dem Umstand Rechnung, dass man damit rechnet, dass es zu Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gegendemonstranten kommen wird.

13

Die Zahl der gewaltorientierten Teilnehmer lässt ebenfalls keinen hinreichenden, auf konkreten Tatsachen beruhenden Rückschluss darauf zu, dass der Aufzug „auf einen gewalttätigen Verlauf angelegt“ sei (so aber die Antragsgegnerin, S. 19 des Bescheides) bzw. dass - wie das Verwaltungsgericht meint - diese Teilnehmer den Aufzug derart dominieren werden, dass er nicht mehr als friedlich angesehen werden könnte. Aus der Akte ergibt sich bereits nicht konkret, mit wie vielen gewaltorientierten Teilnehmern die Antragsgegnerin überhaupt rechnet. Sie hat insofern nur angeführt, es würden sich unter den Rechtsextremisten und den rechtsgerichteten Fußballanhängern „gewaltbereite und gewaltsuchende Teilnehmer befinden“; von diesen gewaltorientierten Rechtsextremisten kämen ca. 150 aus Hamburg (S. 10 und 25 Bescheides). Gewaltorientiert soll den Angaben der Antragsgegnerin zufolge auch ein Rechtsradikaler sein, der voraussichtlich aus Berlin zusammen mit ca. 400 Personen anreisen wird (S. 13 des Bescheides). Dass diese Begleiter sämtlich oder überwiegend ebenfalls gewaltorientiert seien, sagt die Antragsgegnerin aber nicht. Offensichtlich gewaltorientiert sind die Teilnehmer der genannten WhatsApp-Gruppe (S. 13 f. des Bescheides). Sie besteht unmittelbar allerdings nur aus 17 Teilnehmern. Dass es speziell diese Gruppe ist, die - wie die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht meinen - mit 500 bis 600 Mann anreisen will, erscheint fraglich. Denn anreisen wollen die Teilnehmer dieser Gruppe nicht mit einem großen Bus, sondern mit zwei 9-Sitzern (Bl. 153 der Sachakte). Jedenfalls ist nichts dafür dargelegt oder aus der Sachakte ersichtlich, dass diese 500 bis 600 Mann sämtlich oder überwiegend ebenfalls gewaltorientiert sind. Mit welcher Gesamtzahl gewaltorientierter Teilnehmer des Aufzugs die Antragsgegnerin rechnet, hat sie nur sehr unbestimmt genannt. Auf Seite 11 ihres Bescheides erwartet sie „eine Anreise von hunderten gewaltsuchenden, mindestens aber gewaltbereiten Hooligans und Rechtsextremisten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern“.

14

Die Prognose, der Aufzug werde einen unfriedlichen Verlauf nehmen, kann auch nicht aufgrund der Erfahrungen mit vergleichbaren Aufzügen und Versammlungen getroffen werden. Vergleichbar sind die Aufzüge am 2. Juni 2012 in Hamburg („Tag der deutschen Zukunft - Unser Signal gegen Überfremdung“) und am 26. Oktober 2014 in Köln („HoGeSa“) sowie die Versammlung am 15. November 2014 in Hannover („Europa gegen den Terror des Islamismus“). Zwar hatte der Antragsteller diese Versammlungen nicht zu verantworten, doch richteten sich diese - noch zeitnah zu dem angemeldeten Aufzug durchgeführten - Versammlungen mit vergleichbarer Thematik an dieselbe Zielgruppe. Deshalb dürfte auch der überwiegend rechtsextreme oder rechtsradikale Teilnehmerkreis mit dem Teilnehmerkreis des angemeldeten Aufzugs weitgehend identisch sein.

15

Aus dem Aufzug vom 2. Juni  2012 heraus sind den Angaben der Antragsgegnerin zufolge keine Straftaten begangen worden. Dargestellt hat sie in ihrem Bescheid (S. 22 f.) ausschließlich gewalttätige Aktionen der Gegendemonstranten. Bei dem Aufzug am 26. Oktober 2014 in Köln wurden zwar aus dem Aufzug heraus Gewalttaten begangen, aber est nachdem die Teilnehmer des Aufzugs von Außenstehenden mit Feuerwerkskörpern beworfen worden waren; daraufhin seien die Teilnehmer des Aufzugs äußerst aggressiv mit Flaschenwürfen sowohl gegen diese Personen als auch gegen Polizisten und Medienvertreter vorgegangen und nach dem Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray durch die Polizei sei diese massiv mit Flaschen beworfen worden. Dieser Vorfall belegt zwar die massive Gewaltbereitschaft eines Teils der etwa 4.800 Teilnehmer des damaligen Aufzugs. Mit derartigen Verhaltensweisen muss auch bei dem angemeldeten Aufzug gerechnet werden. Doch rechtfertigt dies nicht ein Verbot der Versammlung, durch das auch denjenigen das Recht zur Versammlung genommen würde, die sich an derartigen Aktionen nicht beteiligen. Denn die Gefahr, dass es zu derartigen Reaktionen auf Angriffe von außen kommt, könnte auf einfachere Weise verhindert werden. Zum einen könnte diese Gefahr durch den verstärkten Einsatz von Polizeikräften verringert werden; in Köln waren es nur 1.299 Beamte, was sich als viel zu wenig erwiesen hat. Zum anderen könnte der Aufzug so durchgeführt werden, dass Gegendemonstranten nicht unmittelbar in seine Nähe gelangen können. Sollte gleichwohl ein Aufzug nicht ausreichend geschützt werden können, bliebe noch die Möglichkeit, zumindest eine stationäre Versammlung durchzuführen. Bei einer derartigen stationären Versammlung am 15. November 2014 mit gut 3.000 Teilnehmern kam es während der Versammlung zu keinen Ausschreitungen (S. 24 des Bescheides). Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken gab es den Angaben der Antragsgegnerin zufolge nur außerhalb der Versammlung. Das rechtfertigt jedoch kein Versammlungsverbot.

16

Allerdings ist auch das Beschwerdegericht davon überzeugt, dass an dem Aufzug eine beträchtliche Zahl von Personen teilnehmen wird, die nicht nur bereit sind, ggf. Gewalt auszuüben, sondern die gewaltsame Auseinandersetzungen geradezu suchen. Das belegen die oben gewürdigten Aufrufe, das Chat-Protokoll sowie das Verhalten eines Teils der Teilnehmer des Aufzugs in Köln sowie der Versammlung in Hannover, bei dem ein großes Polizeiaufgebot erforderlich war, um die Teilnehmer der Versammlung von heranrückenden Gegendemonstranten zu trennen (S. 24 des Bescheides). Doch rechtfertigt dies gleichwohl kein Verbot des Aufzugs. Steht nicht zu befürchten, dass eine Demonstration im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, bleibt für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch Einzelne oder einer Minderheit zu rechnen ist. In einem solchen Fall setzt ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel voraus, welche den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen (BVerfG, Urt. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81 u.a., BVerfGE 69, 315, 4. Leitsatz).

17

Nach diesen Maßstäben ist ein Verbot des Aufzugs nicht gerechtfertigt. Es ist nicht dargelegt und auch sonst nicht erkennbar, dass der Antragsteller gewalttätige Übergriffe aus der Versammlung heraus dulden oder gar befürworten würde. In seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat er erklärt, er werde alles dafür tun, dass von seinem Aufzug keine Gewalt ausgehen werde und Gewalt von Gegendemonstranten auch nicht mit Gegengewalt beantwortet werde. Das ist nicht von vornherein unglaubhaft. Denn er hat von sich aus angezeigt, eine nicht unerhebliche Zahl von Ordnern einzusetzen, und in den im Internet verbreiteten Aufrufen werden ausdrücklich auch Ordner gesucht. Zudem liegen - wie ausgeführt - keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Versammlung vom Thema her auf Gewalt angelegt ist und die Angaben des Antragstellers deshalb unglaubhaft sein könnten. Schließlich könnten - wie ebenfalls bereits ausgeführt - gewalttätige Aktionen, die aus dem Aufzug heraus von Einzelnen oder Gruppen begangen werden, zielgerichtet unterbunden werden. Dass dies grundsätzlich - sieht man einmal von der Zahl einsatzbereiter Polizisten ab - nicht möglich wäre, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt.

18

b) Die Antragsgegnerin beruft sich unabhängig von den vorstehend gewürdigten Gründen zur Rechtfertigung des Verbots auf den sog. polizeilichen Notstand. Sie hält ein Verbot des Aufzugs mithin auch dann für gerechtfertigt, wenn von dem Aufzug keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen. Sie macht geltend, sie könne die Gefahren für Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten, die aufgrund der sicher zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gegendemonstranten entstünden, mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht verhindern. Ob sich die Antragsgegnerin zu Recht auf den polizeilichen Notstand beruft, ist offen. Dies bedarf einer eingehenden Überprüfung, die im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht möglich ist.

19

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 17, m.w.N.), der das Beschwerdegericht folgt, gilt: Soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, ist die Durchführung der Versammlung zu schützen und sind behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten. Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden. Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.

20

Es erscheint zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin diese Darlegungsanforderungen erfüllt hat. Zwar hat sie die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes nicht nur pauschal behauptet. Sie hat ausgeführt, dass sie zur Abwehr der Gefahren während des Aufzugs sowie in den Zeiten davor und danach insgesamt mindestens 9 Abteilungsführungen (ca. 135 Beamte), 46 Hundertschaften (ca. 5.000 Beamte) sowie 10 Wasserwerferstaffeln (ca. 150 Beamte) benötige. Für eine stationäre Versammlung verringere sich der Mindestbedarf um 7 Hundertschaften. Sie selbst verfüge über 3 Abteilungsführungen, 9 Hundertschaften sowie 2 Wasserwerferstaffeln. Sie benötige deshalb weitere 6 Abteilungsleitungen, 37 Hundertschaften (ca. 4.000 Beamte) und 8 Wasserwerferstaffeln (S. 30 des Bescheides). Diese Kräfte habe sie bundesweit angefordert. Angeboten worden seien ihr bis zuletzt (10.9.2015) aber nur 5 Abteilungsführungen, 14 Hundertschaften sowie 11 Wasserwerferstaffeln. Damit bestehe gegenüber dem Minimalbedarf zur Durchführung eines Aufzugs eine Unterdeckung von 23 Hundertschaften (ca. 2.500 Beamte) und zur Durchführung einer stationären Versammlung eine Unterdeckung von 16 Hundertschaften (ca. 1.750 Beamte). Ausreichend dargelegt hat die Antragsgegnerin auch, dass die Polizeibehörden des Bundes und der Länder ihr tatsächlich nur die genannte Unterstützung angeboten haben. Das ergibt sich aus den Ausdrucken des mit diesen Behörden geführten E-Mail-Verkehrs (Bl. 209 ff. und 478 ff. der Sachakte). Diese Angaben genügen jedoch nicht, um davon ausgehen zu können, dass sich die Antragsgegnerin zu Recht auf den polizeilichen Notstand beruft.

21

Dabei hat das Beschwerdegericht angesichts des Umfangs der mit Sicherheit zu erwartenden Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern (dazu später) keinen Zweifel an der Angemessenheit des genannten Bedarfs. Ähnlich viele Polizisten waren auch bei den vergleichbaren Veranstaltungen am 2. Juni 2012 in Hamburg (4.500 Beamte) und am 15. November 2014 in Hannover (5.300 Beamte bei einer stationären Versammlung) im Einsatz (vgl. S. 22 ff. des Bescheides). Die Zahl der eingesetzten Beamten war lediglich am 26. Oktober 2014 in Köln (deutlich) geringer (1.299 Beamte). Diese Zahl war jedoch offenkundig (viel) zu gering.

22

Zweifelhaft ist allerdings, ob die Antragsgegnerin ein ernsthaftes Amtshilfeersuchen gestellt hat und ob die Behörden des Bundes und der Länder - wenn sie es als solches verstanden haben - zu Recht abgelehnt haben, die erforderliche Hilfe zu leisten. Nach Art. 35 Abs. 1 GG leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. Hierzu sind sie auf ein entsprechendes Ersuchen hin verpflichtet (vgl. Bauer in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 19). Daran, dass ein derartiges Ersuchen gestellt wurde, kann man zweifeln, da die Antragsgegnerin in ihrer E-Mail vom 7. August 2015 (Bl. 209/210 der Sachakte) nur um Prüfung gebeten hat, ob die genannte Unterstützung erfolgen könne, und sodann Bund und Länder um „Angebote“ gebeten hat. Auch in ihrer E-Mail vom 27. August 2015 (Bl. 212/213 der Sachakte) hat sie im Hinblick auf den mitgeteilten erhöhten Bedarf lediglich um Angebote gebeten. Offenbar unterscheidet die Antragsgegnerin selbst zwischen Angeboten und Zusagen, wie sich aus einer anderen E-Mail vom 27. August 2015 ergibt (Bl. 217 R der Sachakte), in der sie sich für die „Prüfung der Unterstützungsmöglichkeiten ... und die eingegangenen Angebote/Zusagen bzw. Absagen“ bedankt hat. Insofern wäre aufzuklären, ob diese Bitte um Angebote von den betroffenen Behörden bereits als Ersuchen um eine dringend erforderliche Amtshilfe, zu der sie verpflichtet sind, verstanden wurde. Sollten die Behörden in der Bitte um Angebote noch kein konkretes Amtshilfeersuchen gesehen und mithin ein derartiges Ersuchen auch noch nicht abgelehnt haben, so lägen die Voraussetzungen für einen polizeilichen Notstand nicht vor. Andererseits erscheint es aber auch möglich, dass jedenfalls einige Behörden die Bitte der Antragsgegnerin bereits als verpflichtendes Amtshilfeersuchen verstanden haben. Denn sie haben sämtlich geantwortet und teilweise auch mitgeteilt, dass Polizeikräfte bereitgestellt würden. Um aufzuklären, ob die Behörden von Bund und Ländern die Bitte der Antragsgegnerin um Angebote als konkretes Amtshilfeersuchen verstanden haben, müssen Auskünfte dieser Behörden eingeholt werden. Das kann im vorliegenden Verfahren nicht erfolgen.

23

Vor allem aber ist aufklärungsbedürftig, aus welchen Gründen die Behörden des Bundes und der Länder nicht bzw. nur in derart geringem Umfang bereit oder in der Lage sind, Amtshilfe zu leisten. So haben einige Länder keinerlei Hilfe oder eine im Wesentlichen nur technische Unterstützung durch Wasserwerfereinheiten angeboten. Soweit sich die Behörden im Übrigen überhaupt bereit erklärt haben, Hundertschaften zur Verfügung zu stellen, beschränkt sich dies zumeist auf jeweils nur eine Hundertschaft. Damit mussten jedenfalls die großen und gleichwohl sehr zurückhaltend Hilfe leistenden Länder davon ausgehen, dass die insgesamt erbetenen 37 Hundertschaften nicht zusammenkommen würden. Insoweit bedarf es konkreter Feststellungen dazu, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit in den jeweiligen Ländern und aufgrund welcher konkreter, gegenüber einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestellt wurden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 21). Hierüber geben die Antworten der Behörden der Länder keine ausreichende Auskunft. Soweit diese Behörden ihre (nur geringen) Zusagen sowie ihre Absagen überhaupt begründet haben, ergibt sich hieraus nichts Konkretes darüber, welche vorrangigen Rechtsgüter in den jeweiligen Ländern zu schützen sind und warum keine (weiteren) Polizeikräfte nach Hamburg entsandt werden können. Dies ist genauestens aufzuklären, um feststellen zu können, dass die Behörden des Bundes und der Länder nicht nur vorgeschoben haben, nicht in der Lage zu sein, Amtshilfe zu leisten. Die Wahrnehmung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 GG darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass die zur Amtshilfe verpflichteten Behörden willens sind, eine Versammlung zu schützen. Die hierzu erforderlichen Feststellungen können aber in der knappen Zeit des Beschwerdeverfahrens nicht getroffen werden.

24

2. Die hiernach nur mögliche, aber auch gebotene Folgenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus.

25

Im Rahmen dieser Abwägung sind einerseits die Folgen zu berücksichtigen, die es für den Antragsteller und die Teilnehmer der angemeldeten Versammlung in Bezug auf die Ausübung ihres durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Rechts hätte, wenn der Aufzug nicht durchgeführt werden kann, sich bei einer späteren Überprüfung aber herausstellen sollte, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands in Wahrheit nicht vorlagen. Andererseits ist zu würdigen, welche Folgen es für den Antragsteller und die Teilnehmer des Aufzugs sowie für Dritte hätte, wenn die Versammlung stattfinden könnte, sich aber später herausstellt, dass ein polizeilicher Notstand tatsächlich bestand. Dabei ist in die Betrachtung auch einzubeziehen, dass möglicherweise zwar die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes objektiv nicht vorliegen, die Behörden von Bund und Ländern aber gleichwohl - rechtswidrig - die Amtshilfe verweigern.

26

Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass in der gegenwärtigen Situation weder der Aufzug noch eine stationäre Versammlung stattfinden können, da dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass die Gesundheit der Teilnehmer der Versammlung, der sie schützenden Polizeibeamten, von Gegendemonstranten sowie unbeteiligten Dritten verletzt wird. Diesem Schutz gebührt nach Auffassung des Beschwerdegerichts der Vorrang gegenüber dem Recht auf Durchführung der Versammlung an diesem Tag. Im Einzelnen:

27

Ein Versammlungsverbot beeinträchtigt den Antragsteller und die potentiellen Teilnehmer des Aufzugs in erheblichem Maße in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Denn es gehört zu der grundgesetzlich geschützten Freiheit des Antragstellers zu bestimmen, wann und wo er eine Versammlung abhalten will. Die Intensität der Rechtsbeeinträchtigung wird dadurch etwas verringert, dass der Antragsteller nicht darauf angewiesen ist, sein Anliegen gerade am 12. September 2015 auszudrücken. Den Tag hat er nach eigenem Bekunden - wie die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid (S. 3) unwidersprochen angeführt hat - willkürlich ausgewählt. Demzufolge wäre es grundsätzlich möglich, die Versammlung zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen, ohne auf Kernaussagen seines Anliegens verzichten zu müssen.

28

Sollte die Versammlung hingegen am 12. September 2015 in Form des angemeldeten Aufzugs, ggf. auf einer anderen als der angemeldeten Route oder in eingeschränkter Weise als lediglich stationäre Versammlung stattfinden, so käme es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu schweren Ausschreitungen, wenn gewaltbereite und gewaltsuchende Teilnehmer der Versammlung auf ebenso gewaltorientierte Gegner aus dem linken Spektrum stoßen. Diese werden versuchen, jede sich ihnen bietende Möglichkeit zu nutzen, die Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs anzugreifen, und zwar unabhängig davon, ob diese einen Aufzug durchführen oder nur eine stationäre Versammlung. Das belegen die zahlreichen, bereits in der Wortwahl unmissverständlichen Aufrufe aus dem linksautonomen Spektrum, die im Internet verbreitet werden. Dort wird u.a. in der im Bescheid der Antragsgegnerin (S. 25 ff.) zutreffend wiedergegebenen Weise dazu aufgerufen, den rechten Aufmarsch anzugreifen, „sich dem deutschen Mob mit allen Mitteln und auf allen Ebenen entgegenzustellen“ und ihn anzugreifen, den „Nazis auf’s Maul!“ zu geben, den Naziaufmarsch anzugreifen, die „braune Pest“ entschlossen aus der Stadt zu jagen und ihnen zu zeigen, „dass dies nur unsere Straßen sind“, und Aufzüge wie diesen um jeden Preis zu verhindern. In dem Aufruf der Gruppe „Roter Aufbau Hamburg“, der auf deren Website (roter-aufbau.de) sowie über die Plattform http://de.indymedia.org verbreitet wird, wird neben der Überschrift „Hamburg wird rechtsfrei - Hetzjagd auf Nazis am 12.9.“ ein rot-maskierter Mann mit einem Baseballschläger gezeigt. In dem Text des Aufrufs heißt es weiter: „Deshalb müssen wir uns und unsere Nachbarschaft selbst vor diesen Gruppen schützen... Wir werden ihnen mit allen Mitteln zeigen, dass ihre Zeichensetzung falsch ist, denn Hamburg sieht nicht nur am 1. Mai rot, sondern immer auch dann, wenn rechtes Gesindel in unserer Stadt auftritt. Wir kennen die Straßen dieser Stadt und werden ihnen entschlossen zeigen, dass es unsere Straßen sind. - Hetzjagd auf Nazis bis zum Kommunismus!“. Entsprechend gewaltorientiert ist auch das Video, welches zum Angriff auf den früheren Aufzug vom 2. Juni 2012 aufrief und offenbar neu ins Internet eingestellt worden ist (S. 26 des Bescheides). Auch in einem Aufruf des Bündnisses gegen Rechts heißt es unter Bezugnahme auf den Aufzug vom 2. Juni 2012: Wir werden flexibel sein und dort protestieren, wo die RassistInnen ihre menschenverachtende Propaganda verbreiten wollen. ... ist uns Ansporn, ein weiteres Mal auf die Straße zu gehen und uns ihnen in den Weg zu stellen. Komm mit!“.

29

Dies belegt, dass mehrere Gruppierungen dazu aufrufen, die rechtsgerichteten Versammlungsteilnehmer jederzeit und an jedem Ort in Hamburg anzugreifen und sich Ihnen zumindest in den Weg zu stellen, um den Aufzug zu verhindern. Sie rufen nicht zur Teilnahme an einer Gegendemonstration auf, sondern zu gezielten Aktionen außerhalb einer Versammlung. Die diesbezüglichen Erfahrungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass das tatsächlich geschieht, und zwar bereits vor der Versammlung, während der Versammlung und nach ihrem Ende. So wurden bereits am 1. Mai 2008 vor Beginn einer Versammlung rechtsgerichteter Kreise die anreisenden Versammlungsteilnehmer (insgesamt ca. 1.500) in verschiedenen Stadtteilen attackiert und es kam während der gesamten Zeit der Versammlung zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den rechten und linken Gruppierungen sowie zu schweren Angriffen auf die eingesetzten Polizisten (S. 21 des Bescheides). In der Nacht vor dem Aufzug am 2. Juni 2012 („Tag der deutschen Zukunft“) wurden Polizeifahrzeuge angezündet. Während der Versammlung versuchte ein Block von mehr als 1.000 Personen, auf die Marschstrecke der Rechten zu gelangen. Dabei wurden die Polizisten, die die Marschstrecke zu sichern hatten, massiv angegriffen. Mit einem großem Polizeiaufgebot - insgesamt waren 4.550 Polizisten im Einsatz - konnte verhindert werden, dass die beiden Gruppierungen aufeinandertrafen (S. 22 des Bescheides). Vergleichbar war die Situation am 15. November 2014 in Hannover. Als dort der Demonstrationszug der Gegendemonstranten unmittelbar an die stationäre Versammlung der Rechten herankam, konnten körperliche Auseinandersetzungen nur mit einem massiven Einsatz von Polizeibeamten verhindert werden; im Einsatz waren 5.330 Beamte. Gleichwohl bewarfen sich die beiden Gruppierungen mit Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen (S. 24 des Bescheides).

30

Aufgrund der Feststellungen der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit kein Zweifel besteht, ist weiter davon auszugehen, dass ein gewichtiger Teil der rechtsgerichteten Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs ebenfalls die körperliche Auseinandersetzung mit den Gegendemonstranten annehmen, wenn nicht gar suchen werden. Dass sich unter den Teilnehmern des angemeldeten Aufzugs eine nicht unerhebliche Zahl von gewaltorientierten Personen befinden würde, ist oben bereits ausgeführt worden. Das vorhandene Gewaltpotential belegt zudem der soeben gewürdigte Verlauf der Versammlung in Hannover. Vor allem aber belegt das der Verlauf des - in jeder Hinsicht vergleichbaren - Aufzugs in Köln am 26. Oktober 2014. Wie oben ausgeführt, haben Teilnehmer des Aufzugs auf Provokationen von Außenstehenden äußerst aggressiv mit Flaschenwürfen sowohl gegen die Provokateure als auch gegen die Polizei und Medienvertreter reagiert. Auch hiernach steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass es - sollten die beiden Gruppierungen zu irgendeiner Zeit während des Aufzugs oder in der Zeit davor oder danach unmittelbar aufeinandertreffen - massive Schlägereien zwischen ihnen geben wird, bei denen es zu erheblichen Körperverletzungen und Sachbeschädigungen kommen wird. Die Zahl der gewaltorientierten Personen im Kreis der Linken wird nach den Einschätzungen der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit der Senat ebenfalls nicht zweifelt, in einer Größenordnung von bis zu 2.000 Personen liegen, darunter 500 bis 1.000 gewaltsuchende Personen (S. 20 des Bescheides). Die vorhandene hohe Gewaltbereitschaft wird schließlich dadurch bestätigt, dass in der Nacht vom 30. auf den 31. August 2015 die Fahrzeuge eines Mitorganisators des Aufzugs sowie zweier anderer Personen aus der rechten Szene in Brand gesetzt wurden.

31

Die zu erwartenden Auseinandersetzungen während des Aufzugs oder in der Zeit davor oder danach könnte die Antragsgegnerin nach ihrer plausiblen und nicht zu beanstandenden Einschätzung nur mit dem genannten Großaufgebot an Kräften ausreichend verhindern. Ohne dieses Großaufgebot wird es mit Sicherheit zu massiven Schlägereinen zwischen den verfeindeten Gruppen kommen. Dieses Aufgebot steht der Antragsgegnerin tatsächlich nicht zur Verfügung. Für die Durchführung eines Aufzugs fehlen ihr nach dem letzten Stand 23 Hundertschaften (ca. 2.500 Beamte). Aber selbst für die Durchführung einer nur stationären Versammlung, für deren Sicherung sie mit insgesamt 7 Hundertschaften weniger auskommen könnte, fehlen ihr noch 16 Hundertschaften (va. 1.750 Beamte). Damit steht fest, dass die Antragsgegnerin nicht ausreichend in der Lage ist, die Gesundheit der betroffenen Personen sowie das Eigentum betroffener Bürger zu schützen. Hinzu kommt, dass die Polizisten, die in einer viel zu geringen Stärke gleichwohl versuchen müssten, die Auseinandersetzungen zu verhindern, in ihrer eigenen Gesundheit über das bei einer regulären Einsatzstärke ohnehin schon bestehende Maß hinaus gefährdet würden.

32

Nach den Hilfeverweigerungen der Behörden des Bundes und der Länder spricht nichts dafür, dass diese „im letzten Moment“ doch noch Einsatzkräfte in der erforderlichen Zahl zur Verfügung stellen könnten, sollte im vorliegenden Verfahren die Durchführung eines Aufzugs oder zumindest einer stationären Versammlung ermöglicht werden. Mit einer derartigen Sinnesänderung in dem erforderlichen Umfang ist nicht zu rechnen, da damit faktisch eingeräumt würde, dass die bisherigen Absagen nicht ernst gemeint waren und möglicherweise nur dazu gedient haben, der Antragsgegnerin die Argumente zu liefern, den Aufzug zu verbieten.

33

B Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 9. September 2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen ein Versammlungsverbot.

2

Der Antragsteller meldete am 9. Mai 2015 für Sonnabend, den 12. September 2015 einen Aufzug an mit dem Thema „Tag der Patrioten“. Der Aufzug sollte ab 12 Uhr bis zum Abend vom Hamburger Hauptbahnhof durch die Innenstadt und die Hafencity zurück zum Hauptbahnhof führen. Vorgesehen waren drei etwa einstündige Kundgebungen sowie der Einsatz von einem Ordner auf je 50 Teilnehmer. Der Antragsteller rechnete mit etwa 500 Teilnehmern. Im Verlauf der Kooperationsgespräche änderte der Antragsteller wegen einer in der Hafencity gleichzeitig stattfindenden anderen Veranstaltung die Planung und schlug eine außerhalb des Innenstadtbereichs gelegene Route vor. Er rechnete zuletzt mit einer deutlich größeren Teilnehmerzahl. Die Antragsgegnerin ging zuletzt von ca. 2.000 bis 3.000 Teilnehmern aus, darunter 300 bis 500 Rechtsextremisten, sowie ca. 1.500 „rechtsaffinen, patriotischen Fußballanhängern“, darunter eine große Anzahl problematischer Fans der „Kategorie C“ (Hooligans). Für den Tag dieses Aufzugs erwartet die Antragsgegnerin bis zu 15.000 Teilnehmer an Gegenveranstaltungen, darunter bis zu 2.000 gewaltorientierte, nämlich gewaltbereite und gewaltsuchende Personen.

3

Mit Bescheid vom 3. September 2015 verbot die Antragsgegnerin den angemeldeten Aufzug. Zur Begründung führte sie aus: Es sei zu erwarten, dass gewaltsuchende und gewaltbereite Teilnehmer aus dem Aufzug heraus Straftaten zum Nachteil von Gegendemonstranten sowie gewaltsuchenden und gewaltbereiten Linksextremisten, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten begehen und damit deren Leib und Leben gefährden würden. Unabhängig hiervon werde der Aufzug im Wege des polizeilichen Notstandes verboten, da die Gefahren für Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten, die aufgrund der sicher zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen entstünden, mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht verhindert werden könnten. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch.

4

Beim Verwaltungsgericht hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 9. September 2015 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt: Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Versammlungsverbots überwiege das Interesse des Antragstellers, da sein Widerspruch keine Aussichten auf Erfolg habe. Der Aufzug habe verboten werden können, da ein Großteil der Versammlungsteilnehmer nicht beabsichtige, sich friedlich zu versammeln, sondern die Gelegenheit suche, Gewalt gegen politische Gegner, Polizisten und andere selbst definierte Feinde auszuüben. Es sei deshalb zu erwarten, dass aus dem Aufzug heraus insbesondere (schwere) Körperverletzungen begangen würden, die sich zu schweren Gewaltexzessen ausweiten würden.

5

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 10. September 2015 mittags erhobenen und begründeten Beschwerde.

II.

6

A Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

7

Es kann offen bleiben, ob sich der Antragsteller hinreichend mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) und dessen tragende Erwägungen erschüttert hat. Das Beschwerdegericht geht zugunsten des Antragstellers hiervon aus, da die Effektivität des Rechtsschutzes gefährdet wäre, wollte man in extrem eilbedürftigen und zugleich komplexen Verfahren der vorliegenden Art die formalen gesetzlichen Anforderungen konsequent anwenden. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das Beschwerdegericht führt allerdings im Ergebnis zu keiner Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

8

Die im Rahmen eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durchzuführende Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 3. September 2015 gegenüber dem Interesse des Antragstellers, deren Vollzug auszusetzen und den angemeldeten Aufzug durchführen zu können, überwiegt. Bei der im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Prüfung lässt sich allerdings nicht feststellen, ob - was als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung im Hinblick auf den Schutz des betroffenen Grundrechts in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen wäre (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 18, m.w.N.) - der Widerspruch des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung erfolgreich oder erfolglos sein wird; die Erfolgsaussichten sind vielmehr offen (hierzu unter 1.). Die deshalb unabhängig von den Erfolgsaussichten des Widerspruchs ausnahmsweise (BVerfG, a.a.O.) vorzunehmende reine Folgenabwägung führt zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an einem Versammlungsverbot gegenüber dem Interesse des Antragstellers, den Aufzug oder zumindest eine stationäre Versammlung durchzuführen (hierzu unter 2.).

9

1. Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs sind offen, weil es dem Senat in der nur äußerst knappen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist, die maßgeblichen Tatsachengrundlagen, mit denen die Antragsgegnerin das Versammlungsverbot gerechtfertigt hat, zu überprüfen und ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit festzustellen.

10

a) Allerdings lässt sich feststellen, dass der Sachverhalt, wie er sich aus dem Inhalt der Sachakte der Antragsgegnerin und - diesen zusammenfassend wiedergebend - aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, es nicht rechtfertigt, die Versammlung selbst als unfriedlich anzusehen und sie deshalb zu verbieten.

11

Rechtsgrundlage für ein Verbot oder eine beschränkende Auflage ist mangels einer landesrechtlichen Regelung § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung oder ein Aufzug verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung müssen erkennbare Umstände vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergibt (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, 1 BvR 2793/04, NVwZ 2008, 671, juris Rn. 19 f.). Derartige konkrete Tatsachen sind nicht erkennbar.

12

Aus den im Internet verbreiteten Aufrufen zur Teilnahme an dem Aufzug ergibt sich nicht, dass der Aufzug auf Gewalt ausgerichtet ist oder es zumindest naheliegt, dass er aus sich heraus einen unfriedlichen Verlauf nehmen wird. Die Videoaufrufe, von denen sich Aufzeichnungen in der Sachakte der Antragsgegnerin befinden und deren Inhalte in dem Bescheid zutreffend wiedergegeben werden, stehen überwiegend unter dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“. Weder diese Parole noch die Inhalte der Videos lassen erkennen, dass der Aufzug selbst oder sein Thema auf Gewalt ausgerichtet sind. Die Aufrufe zielen auf die politische Gesinnung der verschiedenen rechtsgerichteten Gruppierungen, die durch die Versammlung angesprochen werden sollen. Im Internet verbreitete Erklärungen der Art, es werde eine „heftige Demo“ werden, ein Tsunami werde über Hamburg hereinbrechen (S. 17 des Bescheides) bzw. man müsse die eine oder andere Blessur von vornherein in Kauf nehmen (S. 18 des Bescheides), drückt die Erwartung Einzelner aus und trägt möglicherweise dem Umstand Rechnung, dass man damit rechnet, dass es zu Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gegendemonstranten kommen wird.

13

Die Zahl der gewaltorientierten Teilnehmer lässt ebenfalls keinen hinreichenden, auf konkreten Tatsachen beruhenden Rückschluss darauf zu, dass der Aufzug „auf einen gewalttätigen Verlauf angelegt“ sei (so aber die Antragsgegnerin, S. 19 des Bescheides) bzw. dass - wie das Verwaltungsgericht meint - diese Teilnehmer den Aufzug derart dominieren werden, dass er nicht mehr als friedlich angesehen werden könnte. Aus der Akte ergibt sich bereits nicht konkret, mit wie vielen gewaltorientierten Teilnehmern die Antragsgegnerin überhaupt rechnet. Sie hat insofern nur angeführt, es würden sich unter den Rechtsextremisten und den rechtsgerichteten Fußballanhängern „gewaltbereite und gewaltsuchende Teilnehmer befinden“; von diesen gewaltorientierten Rechtsextremisten kämen ca. 150 aus Hamburg (S. 10 und 25 Bescheides). Gewaltorientiert soll den Angaben der Antragsgegnerin zufolge auch ein Rechtsradikaler sein, der voraussichtlich aus Berlin zusammen mit ca. 400 Personen anreisen wird (S. 13 des Bescheides). Dass diese Begleiter sämtlich oder überwiegend ebenfalls gewaltorientiert seien, sagt die Antragsgegnerin aber nicht. Offensichtlich gewaltorientiert sind die Teilnehmer der genannten WhatsApp-Gruppe (S. 13 f. des Bescheides). Sie besteht unmittelbar allerdings nur aus 17 Teilnehmern. Dass es speziell diese Gruppe ist, die - wie die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht meinen - mit 500 bis 600 Mann anreisen will, erscheint fraglich. Denn anreisen wollen die Teilnehmer dieser Gruppe nicht mit einem großen Bus, sondern mit zwei 9-Sitzern (Bl. 153 der Sachakte). Jedenfalls ist nichts dafür dargelegt oder aus der Sachakte ersichtlich, dass diese 500 bis 600 Mann sämtlich oder überwiegend ebenfalls gewaltorientiert sind. Mit welcher Gesamtzahl gewaltorientierter Teilnehmer des Aufzugs die Antragsgegnerin rechnet, hat sie nur sehr unbestimmt genannt. Auf Seite 11 ihres Bescheides erwartet sie „eine Anreise von hunderten gewaltsuchenden, mindestens aber gewaltbereiten Hooligans und Rechtsextremisten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern“.

14

Die Prognose, der Aufzug werde einen unfriedlichen Verlauf nehmen, kann auch nicht aufgrund der Erfahrungen mit vergleichbaren Aufzügen und Versammlungen getroffen werden. Vergleichbar sind die Aufzüge am 2. Juni 2012 in Hamburg („Tag der deutschen Zukunft - Unser Signal gegen Überfremdung“) und am 26. Oktober 2014 in Köln („HoGeSa“) sowie die Versammlung am 15. November 2014 in Hannover („Europa gegen den Terror des Islamismus“). Zwar hatte der Antragsteller diese Versammlungen nicht zu verantworten, doch richteten sich diese - noch zeitnah zu dem angemeldeten Aufzug durchgeführten - Versammlungen mit vergleichbarer Thematik an dieselbe Zielgruppe. Deshalb dürfte auch der überwiegend rechtsextreme oder rechtsradikale Teilnehmerkreis mit dem Teilnehmerkreis des angemeldeten Aufzugs weitgehend identisch sein.

15

Aus dem Aufzug vom 2. Juni  2012 heraus sind den Angaben der Antragsgegnerin zufolge keine Straftaten begangen worden. Dargestellt hat sie in ihrem Bescheid (S. 22 f.) ausschließlich gewalttätige Aktionen der Gegendemonstranten. Bei dem Aufzug am 26. Oktober 2014 in Köln wurden zwar aus dem Aufzug heraus Gewalttaten begangen, aber est nachdem die Teilnehmer des Aufzugs von Außenstehenden mit Feuerwerkskörpern beworfen worden waren; daraufhin seien die Teilnehmer des Aufzugs äußerst aggressiv mit Flaschenwürfen sowohl gegen diese Personen als auch gegen Polizisten und Medienvertreter vorgegangen und nach dem Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray durch die Polizei sei diese massiv mit Flaschen beworfen worden. Dieser Vorfall belegt zwar die massive Gewaltbereitschaft eines Teils der etwa 4.800 Teilnehmer des damaligen Aufzugs. Mit derartigen Verhaltensweisen muss auch bei dem angemeldeten Aufzug gerechnet werden. Doch rechtfertigt dies nicht ein Verbot der Versammlung, durch das auch denjenigen das Recht zur Versammlung genommen würde, die sich an derartigen Aktionen nicht beteiligen. Denn die Gefahr, dass es zu derartigen Reaktionen auf Angriffe von außen kommt, könnte auf einfachere Weise verhindert werden. Zum einen könnte diese Gefahr durch den verstärkten Einsatz von Polizeikräften verringert werden; in Köln waren es nur 1.299 Beamte, was sich als viel zu wenig erwiesen hat. Zum anderen könnte der Aufzug so durchgeführt werden, dass Gegendemonstranten nicht unmittelbar in seine Nähe gelangen können. Sollte gleichwohl ein Aufzug nicht ausreichend geschützt werden können, bliebe noch die Möglichkeit, zumindest eine stationäre Versammlung durchzuführen. Bei einer derartigen stationären Versammlung am 15. November 2014 mit gut 3.000 Teilnehmern kam es während der Versammlung zu keinen Ausschreitungen (S. 24 des Bescheides). Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken gab es den Angaben der Antragsgegnerin zufolge nur außerhalb der Versammlung. Das rechtfertigt jedoch kein Versammlungsverbot.

16

Allerdings ist auch das Beschwerdegericht davon überzeugt, dass an dem Aufzug eine beträchtliche Zahl von Personen teilnehmen wird, die nicht nur bereit sind, ggf. Gewalt auszuüben, sondern die gewaltsame Auseinandersetzungen geradezu suchen. Das belegen die oben gewürdigten Aufrufe, das Chat-Protokoll sowie das Verhalten eines Teils der Teilnehmer des Aufzugs in Köln sowie der Versammlung in Hannover, bei dem ein großes Polizeiaufgebot erforderlich war, um die Teilnehmer der Versammlung von heranrückenden Gegendemonstranten zu trennen (S. 24 des Bescheides). Doch rechtfertigt dies gleichwohl kein Verbot des Aufzugs. Steht nicht zu befürchten, dass eine Demonstration im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter und sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, bleibt für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen durch Einzelne oder einer Minderheit zu rechnen ist. In einem solchen Fall setzt ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel voraus, welche den friedlichen Demonstranten eine Grundrechtsverwirklichung ermöglichen (BVerfG, Urt. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81 u.a., BVerfGE 69, 315, 4. Leitsatz).

17

Nach diesen Maßstäben ist ein Verbot des Aufzugs nicht gerechtfertigt. Es ist nicht dargelegt und auch sonst nicht erkennbar, dass der Antragsteller gewalttätige Übergriffe aus der Versammlung heraus dulden oder gar befürworten würde. In seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat er erklärt, er werde alles dafür tun, dass von seinem Aufzug keine Gewalt ausgehen werde und Gewalt von Gegendemonstranten auch nicht mit Gegengewalt beantwortet werde. Das ist nicht von vornherein unglaubhaft. Denn er hat von sich aus angezeigt, eine nicht unerhebliche Zahl von Ordnern einzusetzen, und in den im Internet verbreiteten Aufrufen werden ausdrücklich auch Ordner gesucht. Zudem liegen - wie ausgeführt - keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Versammlung vom Thema her auf Gewalt angelegt ist und die Angaben des Antragstellers deshalb unglaubhaft sein könnten. Schließlich könnten - wie ebenfalls bereits ausgeführt - gewalttätige Aktionen, die aus dem Aufzug heraus von Einzelnen oder Gruppen begangen werden, zielgerichtet unterbunden werden. Dass dies grundsätzlich - sieht man einmal von der Zahl einsatzbereiter Polizisten ab - nicht möglich wäre, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt.

18

b) Die Antragsgegnerin beruft sich unabhängig von den vorstehend gewürdigten Gründen zur Rechtfertigung des Verbots auf den sog. polizeilichen Notstand. Sie hält ein Verbot des Aufzugs mithin auch dann für gerechtfertigt, wenn von dem Aufzug keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgehen. Sie macht geltend, sie könne die Gefahren für Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern, Polizeibeamten und unbeteiligten Dritten, die aufgrund der sicher zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gegendemonstranten entstünden, mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht verhindern. Ob sich die Antragsgegnerin zu Recht auf den polizeilichen Notstand beruft, ist offen. Dies bedarf einer eingehenden Überprüfung, die im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht möglich ist.

19

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 17, m.w.N.), der das Beschwerdegericht folgt, gilt: Soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter - insbesondere von Gegendemonstrationen - zu befürchten sind, ist die Durchführung der Versammlung zu schützen und sind behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten. Gegen die friedliche Versammlung selbst kann dann nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden. Dies setzt voraus, dass die Versammlungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anderenfalls wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.

20

Es erscheint zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin diese Darlegungsanforderungen erfüllt hat. Zwar hat sie die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes nicht nur pauschal behauptet. Sie hat ausgeführt, dass sie zur Abwehr der Gefahren während des Aufzugs sowie in den Zeiten davor und danach insgesamt mindestens 9 Abteilungsführungen (ca. 135 Beamte), 46 Hundertschaften (ca. 5.000 Beamte) sowie 10 Wasserwerferstaffeln (ca. 150 Beamte) benötige. Für eine stationäre Versammlung verringere sich der Mindestbedarf um 7 Hundertschaften. Sie selbst verfüge über 3 Abteilungsführungen, 9 Hundertschaften sowie 2 Wasserwerferstaffeln. Sie benötige deshalb weitere 6 Abteilungsleitungen, 37 Hundertschaften (ca. 4.000 Beamte) und 8 Wasserwerferstaffeln (S. 30 des Bescheides). Diese Kräfte habe sie bundesweit angefordert. Angeboten worden seien ihr bis zuletzt (10.9.2015) aber nur 5 Abteilungsführungen, 14 Hundertschaften sowie 11 Wasserwerferstaffeln. Damit bestehe gegenüber dem Minimalbedarf zur Durchführung eines Aufzugs eine Unterdeckung von 23 Hundertschaften (ca. 2.500 Beamte) und zur Durchführung einer stationären Versammlung eine Unterdeckung von 16 Hundertschaften (ca. 1.750 Beamte). Ausreichend dargelegt hat die Antragsgegnerin auch, dass die Polizeibehörden des Bundes und der Länder ihr tatsächlich nur die genannte Unterstützung angeboten haben. Das ergibt sich aus den Ausdrucken des mit diesen Behörden geführten E-Mail-Verkehrs (Bl. 209 ff. und 478 ff. der Sachakte). Diese Angaben genügen jedoch nicht, um davon ausgehen zu können, dass sich die Antragsgegnerin zu Recht auf den polizeilichen Notstand beruft.

21

Dabei hat das Beschwerdegericht angesichts des Umfangs der mit Sicherheit zu erwartenden Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern (dazu später) keinen Zweifel an der Angemessenheit des genannten Bedarfs. Ähnlich viele Polizisten waren auch bei den vergleichbaren Veranstaltungen am 2. Juni 2012 in Hamburg (4.500 Beamte) und am 15. November 2014 in Hannover (5.300 Beamte bei einer stationären Versammlung) im Einsatz (vgl. S. 22 ff. des Bescheides). Die Zahl der eingesetzten Beamten war lediglich am 26. Oktober 2014 in Köln (deutlich) geringer (1.299 Beamte). Diese Zahl war jedoch offenkundig (viel) zu gering.

22

Zweifelhaft ist allerdings, ob die Antragsgegnerin ein ernsthaftes Amtshilfeersuchen gestellt hat und ob die Behörden des Bundes und der Länder - wenn sie es als solches verstanden haben - zu Recht abgelehnt haben, die erforderliche Hilfe zu leisten. Nach Art. 35 Abs. 1 GG leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. Hierzu sind sie auf ein entsprechendes Ersuchen hin verpflichtet (vgl. Bauer in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 19). Daran, dass ein derartiges Ersuchen gestellt wurde, kann man zweifeln, da die Antragsgegnerin in ihrer E-Mail vom 7. August 2015 (Bl. 209/210 der Sachakte) nur um Prüfung gebeten hat, ob die genannte Unterstützung erfolgen könne, und sodann Bund und Länder um „Angebote“ gebeten hat. Auch in ihrer E-Mail vom 27. August 2015 (Bl. 212/213 der Sachakte) hat sie im Hinblick auf den mitgeteilten erhöhten Bedarf lediglich um Angebote gebeten. Offenbar unterscheidet die Antragsgegnerin selbst zwischen Angeboten und Zusagen, wie sich aus einer anderen E-Mail vom 27. August 2015 ergibt (Bl. 217 R der Sachakte), in der sie sich für die „Prüfung der Unterstützungsmöglichkeiten ... und die eingegangenen Angebote/Zusagen bzw. Absagen“ bedankt hat. Insofern wäre aufzuklären, ob diese Bitte um Angebote von den betroffenen Behörden bereits als Ersuchen um eine dringend erforderliche Amtshilfe, zu der sie verpflichtet sind, verstanden wurde. Sollten die Behörden in der Bitte um Angebote noch kein konkretes Amtshilfeersuchen gesehen und mithin ein derartiges Ersuchen auch noch nicht abgelehnt haben, so lägen die Voraussetzungen für einen polizeilichen Notstand nicht vor. Andererseits erscheint es aber auch möglich, dass jedenfalls einige Behörden die Bitte der Antragsgegnerin bereits als verpflichtendes Amtshilfeersuchen verstanden haben. Denn sie haben sämtlich geantwortet und teilweise auch mitgeteilt, dass Polizeikräfte bereitgestellt würden. Um aufzuklären, ob die Behörden von Bund und Ländern die Bitte der Antragsgegnerin um Angebote als konkretes Amtshilfeersuchen verstanden haben, müssen Auskünfte dieser Behörden eingeholt werden. Das kann im vorliegenden Verfahren nicht erfolgen.

23

Vor allem aber ist aufklärungsbedürftig, aus welchen Gründen die Behörden des Bundes und der Länder nicht bzw. nur in derart geringem Umfang bereit oder in der Lage sind, Amtshilfe zu leisten. So haben einige Länder keinerlei Hilfe oder eine im Wesentlichen nur technische Unterstützung durch Wasserwerfereinheiten angeboten. Soweit sich die Behörden im Übrigen überhaupt bereit erklärt haben, Hundertschaften zur Verfügung zu stellen, beschränkt sich dies zumeist auf jeweils nur eine Hundertschaft. Damit mussten jedenfalls die großen und gleichwohl sehr zurückhaltend Hilfe leistenden Länder davon ausgehen, dass die insgesamt erbetenen 37 Hundertschaften nicht zusammenkommen würden. Insoweit bedarf es konkreter Feststellungen dazu, aufgrund welcher konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit in den jeweiligen Ländern und aufgrund welcher konkreter, gegenüber einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung vorrangig zu schützender sonstiger Veranstaltungen keine ausreichenden Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung und der Rechtsgüter Dritter zur Verfügung gestellt wurden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 21). Hierüber geben die Antworten der Behörden der Länder keine ausreichende Auskunft. Soweit diese Behörden ihre (nur geringen) Zusagen sowie ihre Absagen überhaupt begründet haben, ergibt sich hieraus nichts Konkretes darüber, welche vorrangigen Rechtsgüter in den jeweiligen Ländern zu schützen sind und warum keine (weiteren) Polizeikräfte nach Hamburg entsandt werden können. Dies ist genauestens aufzuklären, um feststellen zu können, dass die Behörden des Bundes und der Länder nicht nur vorgeschoben haben, nicht in der Lage zu sein, Amtshilfe zu leisten. Die Wahrnehmung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 GG darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass die zur Amtshilfe verpflichteten Behörden willens sind, eine Versammlung zu schützen. Die hierzu erforderlichen Feststellungen können aber in der knappen Zeit des Beschwerdeverfahrens nicht getroffen werden.

24

2. Die hiernach nur mögliche, aber auch gebotene Folgenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus.

25

Im Rahmen dieser Abwägung sind einerseits die Folgen zu berücksichtigen, die es für den Antragsteller und die Teilnehmer der angemeldeten Versammlung in Bezug auf die Ausübung ihres durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Rechts hätte, wenn der Aufzug nicht durchgeführt werden kann, sich bei einer späteren Überprüfung aber herausstellen sollte, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands in Wahrheit nicht vorlagen. Andererseits ist zu würdigen, welche Folgen es für den Antragsteller und die Teilnehmer des Aufzugs sowie für Dritte hätte, wenn die Versammlung stattfinden könnte, sich aber später herausstellt, dass ein polizeilicher Notstand tatsächlich bestand. Dabei ist in die Betrachtung auch einzubeziehen, dass möglicherweise zwar die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes objektiv nicht vorliegen, die Behörden von Bund und Ländern aber gleichwohl - rechtswidrig - die Amtshilfe verweigern.

26

Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass in der gegenwärtigen Situation weder der Aufzug noch eine stationäre Versammlung stattfinden können, da dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass die Gesundheit der Teilnehmer der Versammlung, der sie schützenden Polizeibeamten, von Gegendemonstranten sowie unbeteiligten Dritten verletzt wird. Diesem Schutz gebührt nach Auffassung des Beschwerdegerichts der Vorrang gegenüber dem Recht auf Durchführung der Versammlung an diesem Tag. Im Einzelnen:

27

Ein Versammlungsverbot beeinträchtigt den Antragsteller und die potentiellen Teilnehmer des Aufzugs in erheblichem Maße in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Denn es gehört zu der grundgesetzlich geschützten Freiheit des Antragstellers zu bestimmen, wann und wo er eine Versammlung abhalten will. Die Intensität der Rechtsbeeinträchtigung wird dadurch etwas verringert, dass der Antragsteller nicht darauf angewiesen ist, sein Anliegen gerade am 12. September 2015 auszudrücken. Den Tag hat er nach eigenem Bekunden - wie die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid (S. 3) unwidersprochen angeführt hat - willkürlich ausgewählt. Demzufolge wäre es grundsätzlich möglich, die Versammlung zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen, ohne auf Kernaussagen seines Anliegens verzichten zu müssen.

28

Sollte die Versammlung hingegen am 12. September 2015 in Form des angemeldeten Aufzugs, ggf. auf einer anderen als der angemeldeten Route oder in eingeschränkter Weise als lediglich stationäre Versammlung stattfinden, so käme es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu schweren Ausschreitungen, wenn gewaltbereite und gewaltsuchende Teilnehmer der Versammlung auf ebenso gewaltorientierte Gegner aus dem linken Spektrum stoßen. Diese werden versuchen, jede sich ihnen bietende Möglichkeit zu nutzen, die Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs anzugreifen, und zwar unabhängig davon, ob diese einen Aufzug durchführen oder nur eine stationäre Versammlung. Das belegen die zahlreichen, bereits in der Wortwahl unmissverständlichen Aufrufe aus dem linksautonomen Spektrum, die im Internet verbreitet werden. Dort wird u.a. in der im Bescheid der Antragsgegnerin (S. 25 ff.) zutreffend wiedergegebenen Weise dazu aufgerufen, den rechten Aufmarsch anzugreifen, „sich dem deutschen Mob mit allen Mitteln und auf allen Ebenen entgegenzustellen“ und ihn anzugreifen, den „Nazis auf’s Maul!“ zu geben, den Naziaufmarsch anzugreifen, die „braune Pest“ entschlossen aus der Stadt zu jagen und ihnen zu zeigen, „dass dies nur unsere Straßen sind“, und Aufzüge wie diesen um jeden Preis zu verhindern. In dem Aufruf der Gruppe „Roter Aufbau Hamburg“, der auf deren Website (roter-aufbau.de) sowie über die Plattform http://de.indymedia.org verbreitet wird, wird neben der Überschrift „Hamburg wird rechtsfrei - Hetzjagd auf Nazis am 12.9.“ ein rot-maskierter Mann mit einem Baseballschläger gezeigt. In dem Text des Aufrufs heißt es weiter: „Deshalb müssen wir uns und unsere Nachbarschaft selbst vor diesen Gruppen schützen... Wir werden ihnen mit allen Mitteln zeigen, dass ihre Zeichensetzung falsch ist, denn Hamburg sieht nicht nur am 1. Mai rot, sondern immer auch dann, wenn rechtes Gesindel in unserer Stadt auftritt. Wir kennen die Straßen dieser Stadt und werden ihnen entschlossen zeigen, dass es unsere Straßen sind. - Hetzjagd auf Nazis bis zum Kommunismus!“. Entsprechend gewaltorientiert ist auch das Video, welches zum Angriff auf den früheren Aufzug vom 2. Juni 2012 aufrief und offenbar neu ins Internet eingestellt worden ist (S. 26 des Bescheides). Auch in einem Aufruf des Bündnisses gegen Rechts heißt es unter Bezugnahme auf den Aufzug vom 2. Juni 2012: Wir werden flexibel sein und dort protestieren, wo die RassistInnen ihre menschenverachtende Propaganda verbreiten wollen. ... ist uns Ansporn, ein weiteres Mal auf die Straße zu gehen und uns ihnen in den Weg zu stellen. Komm mit!“.

29

Dies belegt, dass mehrere Gruppierungen dazu aufrufen, die rechtsgerichteten Versammlungsteilnehmer jederzeit und an jedem Ort in Hamburg anzugreifen und sich Ihnen zumindest in den Weg zu stellen, um den Aufzug zu verhindern. Sie rufen nicht zur Teilnahme an einer Gegendemonstration auf, sondern zu gezielten Aktionen außerhalb einer Versammlung. Die diesbezüglichen Erfahrungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass das tatsächlich geschieht, und zwar bereits vor der Versammlung, während der Versammlung und nach ihrem Ende. So wurden bereits am 1. Mai 2008 vor Beginn einer Versammlung rechtsgerichteter Kreise die anreisenden Versammlungsteilnehmer (insgesamt ca. 1.500) in verschiedenen Stadtteilen attackiert und es kam während der gesamten Zeit der Versammlung zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den rechten und linken Gruppierungen sowie zu schweren Angriffen auf die eingesetzten Polizisten (S. 21 des Bescheides). In der Nacht vor dem Aufzug am 2. Juni 2012 („Tag der deutschen Zukunft“) wurden Polizeifahrzeuge angezündet. Während der Versammlung versuchte ein Block von mehr als 1.000 Personen, auf die Marschstrecke der Rechten zu gelangen. Dabei wurden die Polizisten, die die Marschstrecke zu sichern hatten, massiv angegriffen. Mit einem großem Polizeiaufgebot - insgesamt waren 4.550 Polizisten im Einsatz - konnte verhindert werden, dass die beiden Gruppierungen aufeinandertrafen (S. 22 des Bescheides). Vergleichbar war die Situation am 15. November 2014 in Hannover. Als dort der Demonstrationszug der Gegendemonstranten unmittelbar an die stationäre Versammlung der Rechten herankam, konnten körperliche Auseinandersetzungen nur mit einem massiven Einsatz von Polizeibeamten verhindert werden; im Einsatz waren 5.330 Beamte. Gleichwohl bewarfen sich die beiden Gruppierungen mit Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen (S. 24 des Bescheides).

30

Aufgrund der Feststellungen der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit kein Zweifel besteht, ist weiter davon auszugehen, dass ein gewichtiger Teil der rechtsgerichteten Teilnehmer des angemeldeten Aufzugs ebenfalls die körperliche Auseinandersetzung mit den Gegendemonstranten annehmen, wenn nicht gar suchen werden. Dass sich unter den Teilnehmern des angemeldeten Aufzugs eine nicht unerhebliche Zahl von gewaltorientierten Personen befinden würde, ist oben bereits ausgeführt worden. Das vorhandene Gewaltpotential belegt zudem der soeben gewürdigte Verlauf der Versammlung in Hannover. Vor allem aber belegt das der Verlauf des - in jeder Hinsicht vergleichbaren - Aufzugs in Köln am 26. Oktober 2014. Wie oben ausgeführt, haben Teilnehmer des Aufzugs auf Provokationen von Außenstehenden äußerst aggressiv mit Flaschenwürfen sowohl gegen die Provokateure als auch gegen die Polizei und Medienvertreter reagiert. Auch hiernach steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass es - sollten die beiden Gruppierungen zu irgendeiner Zeit während des Aufzugs oder in der Zeit davor oder danach unmittelbar aufeinandertreffen - massive Schlägereien zwischen ihnen geben wird, bei denen es zu erheblichen Körperverletzungen und Sachbeschädigungen kommen wird. Die Zahl der gewaltorientierten Personen im Kreis der Linken wird nach den Einschätzungen der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit der Senat ebenfalls nicht zweifelt, in einer Größenordnung von bis zu 2.000 Personen liegen, darunter 500 bis 1.000 gewaltsuchende Personen (S. 20 des Bescheides). Die vorhandene hohe Gewaltbereitschaft wird schließlich dadurch bestätigt, dass in der Nacht vom 30. auf den 31. August 2015 die Fahrzeuge eines Mitorganisators des Aufzugs sowie zweier anderer Personen aus der rechten Szene in Brand gesetzt wurden.

31

Die zu erwartenden Auseinandersetzungen während des Aufzugs oder in der Zeit davor oder danach könnte die Antragsgegnerin nach ihrer plausiblen und nicht zu beanstandenden Einschätzung nur mit dem genannten Großaufgebot an Kräften ausreichend verhindern. Ohne dieses Großaufgebot wird es mit Sicherheit zu massiven Schlägereinen zwischen den verfeindeten Gruppen kommen. Dieses Aufgebot steht der Antragsgegnerin tatsächlich nicht zur Verfügung. Für die Durchführung eines Aufzugs fehlen ihr nach dem letzten Stand 23 Hundertschaften (ca. 2.500 Beamte). Aber selbst für die Durchführung einer nur stationären Versammlung, für deren Sicherung sie mit insgesamt 7 Hundertschaften weniger auskommen könnte, fehlen ihr noch 16 Hundertschaften (va. 1.750 Beamte). Damit steht fest, dass die Antragsgegnerin nicht ausreichend in der Lage ist, die Gesundheit der betroffenen Personen sowie das Eigentum betroffener Bürger zu schützen. Hinzu kommt, dass die Polizisten, die in einer viel zu geringen Stärke gleichwohl versuchen müssten, die Auseinandersetzungen zu verhindern, in ihrer eigenen Gesundheit über das bei einer regulären Einsatzstärke ohnehin schon bestehende Maß hinaus gefährdet würden.

32

Nach den Hilfeverweigerungen der Behörden des Bundes und der Länder spricht nichts dafür, dass diese „im letzten Moment“ doch noch Einsatzkräfte in der erforderlichen Zahl zur Verfügung stellen könnten, sollte im vorliegenden Verfahren die Durchführung eines Aufzugs oder zumindest einer stationären Versammlung ermöglicht werden. Mit einer derartigen Sinnesänderung in dem erforderlichen Umfang ist nicht zu rechnen, da damit faktisch eingeräumt würde, dass die bisherigen Absagen nicht ernst gemeint waren und möglicherweise nur dazu gedient haben, der Antragsgegnerin die Argumente zu liefern, den Aufzug zu verbieten.

33

B Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.