Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 17. Feb. 2016 - 4 L 162/14

ECLI:ECLI:DE:OVGST:2016:0217.4L162.14.0A
17.02.2016

Gründe

I.

1

Die Klägerin begehrt die Erstattung bzw. Übernahme der Kosten einer Dyskalkulietherapie im Rahmen der Jugendhilfe.

2

Die 2004 geborene Klägerin leidet unter einer Rechenschwäche (Dyskalkulie). Sie besuchte ab August 2011 die Grundschule in D.. Am 26. Februar 2013 begann die Klägerin eine Dyskalkulietherapie im Zentrum zur Therapie der Rechenschwäche (ZTR) Halle.

3

Am 26. Juli 2013 beantragten die Eltern der Klägerin beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB VIII für die Klägerin wegen des Verdachts auf Rechenschwäche. Diesem Antrag waren von der Klägerin bzw. ihren Eltern ausgefüllte Fragebögen des Beklagten beigefügt, des Weiteren eine Stellungnahme der Schule der Klägerin, eine schulpsychologische Stellungnahme des Landesschulamtes sowie ein Lernstandsbericht des ZTR Halle.

4

Daraufhin holte der Beklagte eine fachärztliche Stellungnahme des (...) Klinikums S. vom 31. Juli 2013 ein, wonach sich bei der Klägerin Hinweise auf eine depressive Symptomatik mit Anzeichen einer Selbstwertstörung und dysphorischer Stimmungslage ergäben. Unter Einbeziehung dieser Stellungnahme gelangte der Beklagte in der Beraterkonferenz vom 16. Oktober 2013 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin bei der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht beeinträchtigt sei.

5

Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16. Oktober 2013 den Antrag auf Übernahme der Kosten der Dyskalkulietherapie mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nach § 35a SGB VIII nicht gegeben seien, weil eine seelische Behinderung der Klägerin nicht habe festgestellt werden können. Die interpretierten psychosozialen Befunde und leichten sozialen Auffälligkeiten der Klägerin könne eine Rechentherapie nicht begleiten. Vielmehr sei es notwendig und geeignet, eine psychologische Psychotherapie fortführend anzunehmen.

6

Die Klägerin hat am 18. November 2013 Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen geltend gemacht: Sie habe einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form einer Dyskalkulietherapie gemäß § 35a SGB VIII, weil eine seelische Störung vorliege und eine neurotische Entwicklung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Sie habe Schulängste, die sich insbesondere darin zeigten, dass sie vor Mathematikarbeiten dauerhaft weine. Auch klage sie im Vorfeld über Schlafstörungen. Es könne davon ausgegangen werden, dass sich aufgrund der Versagensängste eine Schulphobie entwickele. Es zeichne sich schon jetzt eine Vereinzelung ab. Außerschulisch habe sie keinen Kontakt zu Gleichaltrigen oder anderen Kindern außerhalb der Familie. Feste Freundschaften bestünden nicht. Die im Bescheid des Beklagten genannten Freizeitaktivitäten Tanzen und Karate seien spezielle Angebote der Hortbetreuung gewesen. Während der Hortbetreuung suche sie sich stets jüngere Kinder als Spielgefährten, um sich ihnen gegenüber zu positionieren.

7

Die Klägerin hat im Juli 2014 eine Schulstellungnahme zum Abschluss der 3. Klasse der Schuleingangsphase vorgelegt. Danach werde die Fortsetzung der externen Förderung empfohlen, weil der Lernerfolg nur durch intensive Förderung gegeben sei. Zum Verhalten der Klägerin heißt es, sie freue sich über Erfolge sichtbar, Misserfolge spornten sie zum weiteren Üben an. Sie sei sehr sozial und verfüge über ein großes Gerechtigkeitsempfinden. Außerdem suche sie ständig Kontakt zu anderen Kindern und möchte die Führungsrolle übernehmen, auch wenn es von anderen Kindern nicht gewünscht sei. Sie zeige solidarisches Verhalten, agiere allerdings mitunter übereifrig und bevormundend.

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Die Klägerin hat beantragt,

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den Beklagten zu verpflichten, die Kosten für die ZTR-Therapie, die seit Februar 2013 entstanden sind, zu erstatten und die Kosten für die Fortsetzung der ZTR-Therapie bis zum 15. Oktober 2014 zu übernehmen und den Bescheid des Beklagten vom 16. Oktober 2013 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

12

Er hat vorgetragen: Die Dyskalkulie der Klägerin führe weder zu einer Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben noch zu einer drohenden Beeinträchtigung. Weder nach den Angaben der Mutter der Klägerin noch nach der Stellungnahme der Schule sei von einer Vereinzelung oder Ausgrenzung auszugehen. Der Schulbericht vom Juli 2014 gebe zu einer anderen Beurteilung keinen Anlass.

13

Das Verwaltungsgericht hat mit dem auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2014 ergangenen Urteil den Beklagten verpflichtet, der Klägerin die Aufwendungen für die Therapie ihrer Rechenschwäche im ZTR Halle für die Zeit ab dem 16. Oktober 2013 zu erstatten und ihr Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für die Fortsetzung dieser Therapie bis zum 15. Oktober 2014 zu gewähren. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Klägerin eine Erstattung der Kosten der Dyskalkulietherapie für die Zeit vom 16. Oktober 2013 bis zum 15. Oktober 2014 beanspruchen könne, hingegen nicht für die Zeit von Februar 2013 bis zum 15. Oktober 2013. Soweit sich die Klägerin die Hilfe schon selbst beschafft habe, sei Rechtsgrundlage für die begehrte Kostenübernahme § 36a Abs. 3 SGB VIII. Dessen Voraussetzungen seien erfüllt. Die Klägerin habe den Beklagten vor der Selbstbeschaffung über ihren Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt (§ 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII). Zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung hätten auch die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorgelegen (§ 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII). Rechtsgrundlage hierfür sei § 35a SGB VIII, dessen Voraussetzungen gegeben seien. Nach den Feststellungen des (...) Klinikums S. habe die Rechenstörung der Klägerin zu einer seelischen Störung im Sinne des § 35a Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII geführt. Außerdem sei davon auszugehen, dass aufgrund der altersuntypischen Abweichung der seelischen Gesundheit der Klägerin ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist bzw. zumindest eine solche Beeinträchtigung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (§ 35a Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII). Die (drohende) Teilhabebeeinträchtigung in den die Klägerin betreffenden Lebensbereichen wie Familie, Freundeskreis, Schule und Freizeit ergebe sich aus der konkret diagnostizierten seelischen Störung. Es liege auf der Hand, dass die bei der Klägerin diagnostizierte Selbstwertstörung mit beginnender depressiver Symptomatik zu subjektiven Schwierigkeiten führe, aktiv am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Dass diese Schwierigkeiten bereits vorhanden seien, lege schon die in der fachärztlichen Stellungnahme geschilderte dysphorische Stimmungslage der Klägerin nahe. Als weiterer Beleg stellten sich die als „deutlich agitiert“ beschriebenen Verhaltensweisen der Klägerin dar. Dass die Klägerin bereits Schwierigkeiten habe, aktiv am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen, lasse sich auch den Ausführungen der Eltern der Klägerin sowie der schulischen Stellungnahme vom März 2013 entnehmen. Angesichts dessen greife die Argumentation des Beklagten, eine Teilhabebeeinträchtigung liege nicht vor, weil die Klägerin in der Schule nicht vereinzelt sei oder ausgegrenzt werde, zu kurz. Die Beantwortung der Frage nach dem Bestehen oder Drohen einer Teilhabebeeinträchtigung hänge auch nicht allein davon ab, ob eine schulische Vereinzelung oder Ausgrenzung bestehe. Zudem sei es das Ziel der Eingliederungshilfe, bereits den Eintritt einer drohenden seelischen Behinderung zu verhüten, so dass es die Anforderungen überspannen würde, wenn zunächst der Eintritt einer völligen Schulphobie, einer totalen Lern- oder Schulverweigerung oder ein Rückzug aus jedem sozialen Kontakt und die Vereinzelung in der Schule festzustellen wäre. Schließlich duldete die Deckung des Bedarfs seit dem Ergehen des ablehnenden Bescheids auch keinen zeitlichen Aufschub (§ 36a Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a SGB VIII). Die von der Klägerin selbstbeschaffte Hilfe sei auch geeignet und angemessen gewesen. Der Beklagte sei daher verpflichtet, die seit Oktober 2013 angefallenen Kosten für die Therapie der Klägerin zu erstatten. Darüber hinaus habe der Beklagte auch die Kosten der Fortsetzung der Therapie bis zum 15. Oktober 2014 als Eingliederungshilfe zu übernehmen. Rechtsgrundlage hierfür sei § 35a Abs. 1 SGB VIII, wobei davon auszugehen sei, dass die Voraussetzungen für die Hilfegewährung unverändert vorlägen. Von der Ablehnungsentscheidung sei auch der Zeitraum umfasst, der - entsprechend der dem Verwaltungsgericht bekannten Verwaltungspraxis - bei einer Bewilligung hätte geregelt werden können. Dieser Zeitraum belaufe sich auf die Dauer eines Jahres ab Erlass des Bescheids.

14

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten, die der Senat durch Beschluss vom 9. Juni 2015 (4 L 162/14) wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zugelassen hat.

15

Der Beklagte trägt zur Begründung der Berufung vor, die seelische Störung der Klägerin habe nicht zu einer (drohenden) Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft geführt. Die Teilhabebeeinträchtigung könne nicht bloß auf die Annahme möglicher symptomatischer Erscheinungen gestützt werden. Die interpretierten psychosozialen Bedarfe und leichten sozialen Auffälligkeiten des Kindes, wie z. B. Dominanz von Gruppengefügen, Bestimmen sozialer Systeme, „Rechthaberei“ oder ressourcenorientierter Selbstwertaufbau, könne eine Rechentherapie nicht begleiten.

16

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

17

das auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2014 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts - 7. Kammer - zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

18

Die Klägerin beantragt,

19

die Berufung zurückzuweisen.

20

Die Klägerin trägt vor, sie leide aufgrund der Dyskalkulie an enormen Einschränkungen bei sozialen Interaktionen. Sie sei von ihren Mitschülern mit Missachtung gestraft worden, ihre Freunde seien stets weitaus jünger gewesen. Noch heute wirke sie im Schulalltag befangen und unsicher, die gewünschte Anerkennung ihrer Klassenkameraden erhalte sie weiterhin nicht.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

II.

22

Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten über die Berufung gemäß § 130a VwGO durch Beschluss, weil er sie einstimmig für begründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Das Verfahren wirft weder in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten auf noch bestehen erhebliche Unklarheiten in tatsächlicher Hinsicht.

23

Eine erneute Anhörung auf Grund des Schreibens der Klägerin vom 10. Februar 2016 war nicht geboten. Die Verfahrensbeteiligten sind durch eine erneute Anhörungsmitteilung von der fortbestehenden Absicht des Gerichts in Kenntnis zu setzen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn nach der entsprechenden Ankündigung ein erheblicher Beweisantrag gestellt wurde oder sich die prozessuale Lage des Rechtsstreits nach einer Anhörungsmitteilung wesentlich ändert, etwa dadurch, dass ein Prozessbeteiligter seinen bisherigen Sachvortrag in erheblicher Weise ergänzt oder erweitert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 2011 - 9 B 94.10 -, juris, Rn. 5 m.w.N.). Eine solche möglicherweise entscheidungserhebliche Änderung der Prozesssituation lag nicht vor. Das vorgelegte Schreiben der Grundschule D. vom 17. Dezember 2015 deckt sich inhaltlich mit den Erkenntnismitteln, die der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zugrunde lagen und die der Senat bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat. Soweit die Klägerin unter Vorlage eines Schreibens des Schulhortes vom 27. Januar 2016 darauf hinweist, sie erfülle (auch) derzeit die Voraussetzungen von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII, so betrifft dies einen Zeitpunkt, der nicht vom Regelungsgehalt des angegriffenen Bescheids umfasst und deshalb nicht entscheidungserheblich ist.

24

Die zulässige Klage ist insgesamt unbegründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe durch Erstattung bzw. Übernahme der Kosten ihrer Dyskalkulietherapie im ZTR Halle im Zeitraum vom 16. Oktober 2013 bis zum 15. Oktober 2014 (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

25

Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist § 35a Abs. 1 SGB VIII. Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

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1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
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2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
28

Bei Vorliegen beider Voraussetzungen geht das Gesetz von einer „seelischen Behinderung“ aus. Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne des SGB VIII sind Kinder und Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (§ 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII).

29

Anknüpfend an die fachärztliche Stellungnahme des (...) Klinikums S. vom 31. Juli 2013 sowie in Übereinstimmung mit den Beteiligten ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin unter der Teilleistungsstörung Dyskalkulie sowie hierin begründeter Sekundärfolgen im seelischen Bereich leide, womit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII vorlägen. Es hat dabei die obergerichtlich präzisierten Maßstäbe für das Vorliegen einer seelischen Störung im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII zugrunde gelegt (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 4 L 1/13 -, juris, Rn. 7; SächsOVG, Beschluss vom 20. August 2009 - 1 B 432/09 -, juris, Rn. 5; OVG NRW, Urteil vom 22. August 2008 - 12 A 3019/11 -, juris, Rn. 46; jeweils zur Dyskalkulie). Einwände hiergegen sind nicht geltend gemacht und auch nicht ersichtlich.

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Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht allerdings angenommen, dass die Voraussetzungen von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII erfüllt seien.

31

Eine Teilhabebeeinträchtigung i.S.d. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ist (nur) dann gegeben, wenn die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit des Betroffenen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt. Erforderlich ist daher, dass eine nachhaltige Einschränkung der sozialen Funktionstüchtigkeit des Betreffenden vorliegt oder eine solche droht. Dies ist beispielsweise bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, bei einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder bei einer Vereinzelung in der Schule anzunehmen, nicht aber bereits bei bloßen Schulproblemen und Schulängsten, wie sie auch andere Kinder teilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 1998 - BVerwG 5 C 38/97 -, juris, Rn. 15; OVG LSA, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 4 L 1/13 -, juris, Rn. 10; SächsOVG, Beschluss vom 20. August 2009 - 1 B 432/09 -, juris, Rn. 6; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 26. März 2007 - 7 E 10212/07 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Urteil vom 22. August 2014 - 12 A 3019/11 -, juris, Rn. 48 ff.). Während die Beurteilung, ob die seelische Gesundheit im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, regelmäßig Aufgabe von Ärzten oder Psychotherapeuten ist, fällt die Einschätzung, ob die Teilhabe des jungen Menschen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist bzw. eine solche Beeinträchtigung droht, in die Kompetenz sozialpädagogischer Fachlichkeit und somit in den Aufgabenbereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe (vgl. OVG LSA, a.a.O., juris, Rn. 10; OVG NRW, a.a.O., juris, Rn. 52 f.; NdsOVG, Beschluss vom 11. Juni 2008 - 4 ME 184/08 -, juris, Rn. 8; jew. m.w.N.). Die Feststellungen hierzu sind vom Beklagten aus eigener Sachkunde zu treffen gewesen und unterliegen der vollen gerichtlichen Kontrolle (vgl. OVG LSA, a.a.O., juris Rn. 10; OVG Rh.-Pf., a.a.O., juris, Rn. 9; SächsOVG, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 1 B 288/09 -, juris, Rn. 8). Auch insoweit hat das Verwaltungsgericht die einschlägigen rechtlichen Maßstäbe erkannt.

32

Der Senat ist allerdings der Auffassung, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. der Bedarfsdeckung die Teilhabe der Klägerin am Leben in der Gesellschaft nicht im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 SGB VIII beeinträchtigt war. Bei der Klägerin waren keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass sie bereits nachhaltig in ihrer Fähigkeit zur aktiven, selbstbestimmten und altersgemäßen Ausübung sozialer Funktionen und Rollen in den sie betreffenden Lebensbereichen eingeschränkt war. Insbesondere folgt dies nicht quasi zwangsläufig aus der bei der Klägerin diagnostizierten Selbstwertstörung mit beginnender depressiver Symptomatik und sekundärer Neurotisierung. Vielmehr heißt es in der fachärztlichen Stellungnahme des (...) Klinikums S. vom 31. Juli 2013 insofern ausdrücklich, aktuell sei „noch eine mäßige soziale Beeinträchtigung festzustellen, die jedoch bei zunehmenden Problemen progredient verlaufen kann.“ Weiterhin heißt es dort, durch die Wiederholung der 1. Klassenstufe sei eine Stabilisierung erreicht worden, der Verlauf des neuen Schuljahres bleibe abzuwarten. Auch den Ausführungen der Eltern lässt sich eine nachhaltige Teilhabebeeinträchtigung nicht entnehmen. Wenngleich sich feste Freundschaften noch nicht ergeben hätten, so beständen doch freundschaftliche Beziehungen zu anderen Kindern mit gegenseitigen Besuchen und gemeinsamer Freizeitgestaltung. Dass sich die Klägerin dabei gezielt jüngere Kinder als Spielgefährten aussuche, kann im Hinblick auf den für die Annahme einer Teilhabebeeinträchtigung erforderlichen Rückzug aus „jedem sozialen Kontakt“ nicht ausschlaggebend sein. Darüber hinaus interagiert die Klägerin im schulischen Bereich durchaus auch mit gleichaltrigen Kindern, wie sich den Stellungnahmen der Schule vom März 2012 und Juli 2014 entnehmen lässt.

33

Ein Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht auch nicht deshalb, weil eine Beeinträchtigung der Teilhabe der Klägerin am Leben in der Gemeinschaft zu erwarten war (§ 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 SGB VIII). Nach § 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII sind diejenigen Kinder von einer seelischen Behinderung bedroht, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Einschätzung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Insofern ist eine Prognosebeurteilung dahingehend nötig, ob und gegebenenfalls wann bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit der Eintritt einer Behinderung zu erwarten ist (vgl. BVerwG, a.a.O., juris, Rn. 16). Die geforderte hohe Wahrscheinlichkeit einer Teilhabebeeinträchtigung und damit einer seelischen Behinderung ist nicht bereits dann gegeben, wenn eine bloß allgemein oder theoretisch bestehende Möglichkeit einer seelischen Behinderung im Sinne einer abstrakten Gefahrenlage gegeben ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 4. November 1997 - 9 S 1462/96 -, juris, Rn. 29). Vielmehr ist eine Wahrscheinlichkeit der Teilhabebeeinträchtigung von wesentlich mehr als 50 % erforderlich (vgl. BVerwG, a.a.O., juris, Rn. 16). Dies setzt voraus, dass über die abstrakte Gefährdungslage hinaus bereits konkrete Anzeichen dafür vorhanden sind, dass ohne eine entsprechende Hilfe die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und damit eine seelische Behinderung eintreten würde (vgl. auch VG München, Urteil vom 15. Oktober 2014 - M 18 K 13.3666 -, juris, Rn. 33). Daran fehlt es.

34

Zwar ergeben sich aus den Schilderungen der Eltern der Klägerin, aus der fachärztlichen Stellungnahme des (...) Klinikums S. und auch aus den Schulstellungnahmen gewisse Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin wie Versagensängste, Kontaktarmut zu gleichaltrigen Kindern oder ein mitunter bevormundendes Verhalten gegenüber anderen Kindern. Doch ist andererseits festzustellen, dass nach den Angaben der Eltern im Elternfragebogen freundschaftliche Beziehungen - wenn auch keine festen Freundschaften - zu anderen Kindern bestehen und die Klägerin in Veranstaltungen im Dorf oder in der Umgebung stets integriert sei. Entsprechend der Angaben zeigte die Klägerin keine Verweigerungshaltung gegenüber der Schule, sondern war in den Klassenverband und in die Schule allgemein gut integriert. In den Schulstellungnahmen wird hervorgehoben, dass die Stärken der Klägerin gerade im sozialen Bereich lägen. Damit korrespondiert das in den Leistungsdokumentationen beschriebene Interesse der Klägerin am Unterrichtsstoff mit ihrer Freude am Lernen in kleinen Arbeitsgruppen, an neuen Lerninhalten und ihrer Fähigkeit sowohl selbstständig als auch im Team zu arbeiten. Es wird das Bild einer zwar gelegentlich unkonzentrierten, im Großen und Ganzen aber aufgeweckten, leistungsbereiten und motivierten Schülerin gezeichnet.

35

All dies spricht gegen eine (sich andeutende) totale Schul- und Lernverweigerung und einen drohenden Rückzug aus jedem sozialen Kontakt sowie gegen eine sich andeutende Vereinzelung in der Schule und vermag insofern konkrete Anzeichen für derartig nachhaltige Einschränkungen der sozialen Funktionsfähigkeit der Klägerin nicht zu begründen. Solche ergeben sich auch nicht aus den schulischen Leistungen der Klägerin. Nach der Schulstellungnahme vom Juli 2014 liegt der Zensurenschnitt der Klägerin im Fach Mathematik - unter Verwendung von Hilfsmitteln und Nachteilsausgleichen - bei 2,3. Im Fach Deutsch liegt der Zensurenschnitt bei 1,6. Zwar bestehen danach bestimmte Leistungsdefizite in beiden Fächern - insbesondere im Fach Mathematik -, doch zeige die Klägerin dafür besondere Leistungsstärken in anderen Schulfächern (Musik, Ethik). Im 14-tägigen Förderunterricht Mathematik arbeite die Klägerin angestrengt, fleißig und sehr konzentriert und bemühe sich, fehlerlos zu bleiben. Gerade das Bestreben im Förderunterricht reduziert die Gefahr, dass sich die Klägerin aufgrund ihrer Schwierigkeiten beim Rechnen in eine Verweigerungshaltung zurückziehen und so in ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt werden könnte.

36

Gegen eine zu erwartende Teilhabebeeinträchtigung spricht auch, dass die Klägerin hinsichtlich ihrer Schwierigkeiten beim Rechnen von ihrer Familie viel Unterstützung und Rückhalt erfährt und die mit den Schwierigkeiten verbundene Belastung dadurch wesentlich gemildert wird. Sie wird in ihrer Familie aufgefangen. Zudem wird sie von ihren Eltern in ihrer Entwicklung fortlaufend beobachtet, womit zu erwarten ist, dass eine konkret drohende Verschlechterung der Situation frühzeitig erkannt wird und dadurch rechtzeitig die Möglichkeit zur Gegensteuerung besteht. Auch dies ist bei der Prognosebeurteilung zu berücksichtigen. Ist es nämlich Ziel der Eingliederungshilfe für von einer seelischen Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche, den Eintritt einer solchen Behinderung zu verhüten, so ist der Beginn der Bedrohung so früh, aber auch nicht früher anzusetzen, dass noch erfolgversprechende Eingliederungshilfemaßnahmen gegen den Eintritt der Behinderung eingesetzt werden können (vgl. BVerwG, a.a.O., juris, Rn. 16).

37

Abgesehen davon ist das erstinstanzliche Urteil, soweit der Klage stattgegeben worden ist, auch deshalb fehlerhaft, weil es einen Zeitraum betrifft, der vom Regelungsgehalt des angegriffenen Bescheids nicht umfasst ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, welcher der Senat folgt, kann bei einem Rechtsstreit um die Gewährung von Jugendhilfe ebenso wie im Bereich der Sozialhilfe ein Hilfeanspruch grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemacht werden, in dem der Träger der Jugendhilfe den Hilfefall geregelt hat. Das ist regelmäßig der Zeitraum bis zur letzten Verwaltungsentscheidung. Eine Ausnahme von der Regel, dass Gegenstand der gerichtlichen Nachprüfung nur die Zeit bis zum Erlass des letzten Behördenbescheides ist, gilt allerdings für den Fall, dass die Behörde den Hilfefall statt für den dem Bescheid nächstliegenden Zahlungszeitraum für einen längeren Zeitraum geregelt hat. Ein solcher weiterreichender Bewilligungszeitraum braucht nicht ausdrücklich benannt zu sein, sondern kann sich aus dem maßgeblichen Bescheid auch durch Auslegung ergeben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Juni 1996 - BVerwG 5 B 222/95 -, juris, Rn. 5; Urteil vom 30. April 1992 - BVerwG 5 C 1/88 - , juris, Rn. 11 ff.; OVG LSA, Beschluss vom 11. April 2013 - 4 L 25/13 -, juris, Rn. 18; jew. m.w.N.).

38

Wegen des Ausschlusses des Vorverfahrens gemäß § 8a Abs. 1 Satz 1 AG VwGO LSA, § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 3 KJHG LSA stellt der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 16. Oktober 2013 zugleich die letzte Behördenentscheidung dar. Eine Verpflichtung des Beklagten zur Hilfeleistung über diesen Zeitpunkt hinaus kommt vorliegend nicht in Betracht. Dem Bescheid des Beklagten lässt sich nicht entnehmen, dass die Ablehnung der begehrten Hilfe abweichend von der Regel auch einen bestimmten Zeitraum nach Erlass des Bescheids erfassen sollte. Der Beklagte hat eine Hilfegewährung schon dem Grunde nach und damit ohne Aussage zu einem Hilfezeitraum abgelehnt.

39

Der Klägerin war und ist es allerdings unbenommen, bei konkreten Anzeichen für den Eintritt einer seelischen Behinderung erneut einen Antrag auf Eingliederungshilfe zu stellen, der vom Beklagten zu prüfen und zu bescheiden (gewesen) wäre und ggf. einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden könnte (vgl. § 20 Abs. 3 SGB X).

40

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 188 Satz 2 VwGO.

41

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

42

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.


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Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Klägerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen. Tatbestand Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Dyskalkuliethera

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 22. Aug. 2014 - 12 A 3019/11

bei uns veröffentlicht am 22.08.2014

Tenor Das angefochtene Urteil wird geändert. Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Juli 2010 dazu verpflichtet, die Kosten des Besuchs der Privatschule E.    durch die Klägerin in den Schuljahren 2010/2011 und 201

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 11. Apr. 2013 - 4 L 25/13

bei uns veröffentlicht am 11.04.2013

Gründe 1 Der am (…) 2001 geborene Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für eine Dyskalkulietherapie. 2 Nachdem er im August 2008 in die Grundschule N. in A-Stadt eingeschult

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 22. Jan. 2013 - 4 L 1/13

bei uns veröffentlicht am 22.01.2013

Gründe 1 Die Anträge der Klägerin auf Zulassung der Berufung (I.) und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Stellung des Antrages zur Zulassung der Berufung (II.) haben jeweils keinen Erfolg 2 I. 1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der

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(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

(1) Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe trägt die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird; dies gilt auch in den Fällen, in denen Eltern durch das Familiengericht oder Jugendliche und junge Volljährige durch den Jugendrichter zur Inanspruchnahme von Hilfen verpflichtet werden. Die Vorschriften über die Heranziehung zu den Kosten der Hilfe bleiben unberührt.

(2) Abweichend von Absatz 1 soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die niedrigschwellige unmittelbare Inanspruchnahme von ambulanten Hilfen, insbesondere der Erziehungsberatung nach § 28, zulassen. Dazu soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit den Leistungserbringern Vereinbarungen schließen, in denen die Voraussetzungen und die Ausgestaltung der Leistungserbringung sowie die Übernahme der Kosten geregelt werden. Dabei finden der nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelte Bedarf, die Planungen zur Sicherstellung des bedarfsgerechten Zusammenwirkens der Angebote von Jugendhilfeleistungen in den Lebens- und Wohnbereichen von jungen Menschen und Familien nach § 80 Absatz 2 Nummer 3 sowie die geplanten Maßnahmen zur Qualitätsgewährleistung der Leistungserbringung nach § 80 Absatz 3 Beachtung.

(3) Werden Hilfen abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn

1.
der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat,
2.
die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und
3.
die Deckung des Bedarfs
a)
bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder
b)
bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung
keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.
War es dem Leistungsberechtigten unmöglich, den Träger der öffentlichen Jugendhilfe rechtzeitig über den Hilfebedarf in Kenntnis zu setzen, so hat er dies unverzüglich nach Wegfall des Hinderungsgrundes nachzuholen.

(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

Gründe

1

Die Anträge der Klägerin auf Zulassung der Berufung (I.) und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Stellung des Antrages zur Zulassung der Berufung (II.) haben jeweils keinen Erfolg

2

I. 1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat die Klägerin nicht in hinreichender Weise aufgezeigt.

3

Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist immer schon dann erfüllt, wenn im Zulassungsverfahren ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Schlüssige Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn mit dem Zulassungsantrag substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (so BVerfG, Beschl. v. 20. Dezember 2010 - 1 BvR 2011/10 -, zit. nach JURIS).

4

Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Die Klägerin hat die Feststellung des Verwaltungsgerichts, sie habe keinen Anspruch gem. § 35a Abs. 1 SGB VIII auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme zur Therapie ihrer Rechenschwäche, nicht hinreichend in Zweifel gezogen.

5

Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII in der ab 14. Dezember 2006 geltenden Fassung haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1) und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2). Bei Vorliegen beider Voraussetzungen geht das Gesetz von einer „seelischen Behinderung“ aus. Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne des SGB VIII sind dabei Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit „hoher“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (§ 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII).

6

a) Es ist schon fraglich, ob im Falle der Klägerin die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII gegeben sind.

7

Der bislang zuständige 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt geht mit der herrschenden Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass allein das Vorliegen einer Teilleistungsstörung wie der Rechenstörung (Dyskalkulie) als solche nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erfüllt. Hinzukommen muss, dass es als Sekundärfolge der Rechenstörung zu einer seelischen Störung oder psychosomatischen Reaktion des Kindes oder Jugendlichen kommt, so dass deshalb seine seelische Gesundheit länger als sechs Monate von dem für sein Lebensalter typischen Zustand abweicht (sog. sekundäre Neurotisierung, vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 18. April 2012 - 3 L 716/09 -, n.v.; OVG Sachsen, Beschl. v. 29. Januar 2010 - 1 A 143/09 -; VGH Hessen, Urt. v. 20. August 2009 - 10 A 1799/08 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 26. März 2007 - 7 E 10212/07 -, jeweils zit. nach JURIS; Kunkel, SGB VIII, 4. A., § 35a Rdnr. 12, 19; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 28. Oktober 2011 - 12 A 1174/11 -; VGH Bayern, Beschl. v. 3. Februar 2011 - 12 ZB 09.1918 - zu Lese- und Rechtschreibschwäche, jeweils zit. nach JURIS). Denn Dyskalkulie sei eine geistige Leistungsstörung. Es handele sich insoweit um abgegrenzte Ausfälle von Hirnleistungen, die aus dem Rahmen der Gesamtintelligenz und der übrigen Leistungen herausfallen. In Kapitel V, Ziffer F 81.2 der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10, www.dimdi.de) werde die Dyskalkulie beschrieben als eine „…Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Defizit betrifft vor allem die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Algebra, Trigonometrie, Geometrie oder Differential- und Integralrechnung benötigt werden.“ Ein Abweichen der seelischen Gesundheit i.S.v. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von dem für das Lebensalter typischen Zustand verlange daher zusätzlich zu dieser geistigen Teilleistungsstörung die Feststellung hierin begründeter Sekundärfolgen im seelischen Bereich.

8

Ob mit der Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte und Literaturstimmen (z.B. VG Göttingen, Urt. v. 22. Februar 2007 - 2 A 351/05 -, zit. nach JURIS; Jahn, SGB VIII, § 35a Rdnr. 6; vgl. auch Wiesner, Kinder- und Jugendhilfe, 4. A., § 35a, Rdnr. 14) schon Dyskalkulie selbst als seelische Störung i.S.d. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII einzustufen ist, kann aber ebenso offen bleiben wie die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob das Verwaltungsgericht die herrschende Rechtsprechung fehlerhaft angewandt hat.

9

b) Denn das Verwaltungsgericht hat jedenfalls rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII nicht erfüllt seien.

10

(1) In Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der ständigen Rechtsprechung des bisher zuständigen 3. Senats ist eine Teilhabebeeinträchtigung i.S.d. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII (nur) dann gegeben, wenn die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit des Betroffenen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt. Dabei ist eine derartige Teilhabebeeinträchtigung beispielsweise anzunehmen bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, bei einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder bei einer Vereinzelung in der Schule, nicht aber bereits bei bloßen Schulproblemen oder Schulängsten, die andere Kinder oder Jugendliche teilen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11. August 2005 - 5 C 18.04 -; Urt. v. 26. November 1998 - 5 C 38.97 -, jeweils zit. nach JURIS; zuletzt OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 18. April 2012 - 3 L 716/09 -, n.v.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15. Juli 2011 - 12 A 1168/11 -; VGH Bayern, Beschl. v. 29. November 2010 - 12 ZB 09.2199 -; VGH Hessen, Urt. v. 4. Mai 2010 - 10 A 1623/09 -; OVG Sachsen, Beschl. v. 29. Januar 2010 - 1 A 143/09 -; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 4. Februar 2009 - 4 LC 514/07 -; OVG Thüringen, Beschl. v. 10. Juni 2009 - 3 EO 136/09 -, jeweils zit. nach JURIS m.w.N; Münchener Kommentar zum BGB, 6. A., Bd. 8, SGB VIII, § 35a Rdnr. 3; Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, § 35a Rdnr. 39, 40; Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, § 35a Rdnr. 33, 40; Jung, SGB VIII, 2. A., § 35a Rdnr. 7, 8; vgl. auch Jahn, SGB VIII, § 35a Rdnr. 5, 7, 8; Hauck, SGB VIII, § 35a Rdnr. 29, 64: nachhaltige Beeinträchtigung der sozialen Funktionstüchtigkeit). Während die Beurteilung, ob die seelische Gesundheit im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, regelmäßig Aufgabe von Ärzten oder Psychotherapeuten ist, fällt die Einschätzung, ob die Teilhabe des jungen Menschen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist bzw. eine solche Beeinträchtigung droht, in die Kompetenz sozialpädagogischer Fachlichkeit und somit in den Aufgabenbereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15. Juli 2011 - 12 A 1168/11 -; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 25. März 2010 - 4 LA 43/09 -, jeweils zit. nach JURIS; Jahn, SGB VIII, § 35a Rdnr. 8). Bei dem Begriff der Teilhabebeeinträchtigung handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der voller gerichtlichen Prüfung unterliegt (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 23. Januar 2012 - 12 B 1582/11 -; OVG Sachsen, Beschl. v. 9. Juni 2009 - 1 B 288/09 -; VGH Bayern, Beschl. v. 7. Dezember 2010 - 12 CE 10.2326 -, jeweils zit. nach JURIS).

11

Die von der Klägerin insoweit erhobenen Einwendungen sind nicht durchgreifend.

12

Es handelt sich bei den genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht um eine veraltete und überholte Rechtsprechung. Dass in § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII nunmehr ausdrücklich darauf abgestellt wird, dass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist und der Begriff der „Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft“ in den maßgeblichen Bestimmungen nicht mehr ausdrücklich verwandt wird, lässt die Maßgeblichkeit dieser Rechtsprechung nicht entfallen. Dies ergibt sich schon aus der weitergehenden Verwendung des Begriffes „Eingliederungshilfe“ in § 35a SGB VIII und aus § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, wonach es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist, u.a. die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern.

13

Dass § 35a SGB VIII im Gegensatz zu § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht auf eine „wesentliche“ Behinderung abstellt, führt ebenso wenig zu einer anderen Auslegung des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII wie der Hinweis der Klägerin auf die „Internationale Klassifikation für Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ (ICF) der Weltgesundheitsorganisation, auf den von ihr angenommenen Willen des Gesetzgebers, dass es für eine Behinderung genügen solle, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung nur in einem Lebensbereich auswirke, sowie auf den Zweck des SGB VIII und das „erklärte Ziel des Gesetzgebers“. Vor allem ist weder erkennbar oder substanziiert vorgetragen, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts inzwischen internationalen Vorgaben widerspricht. Nicht zu folgen ist auch dem von der Klägerin zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 26. Februar 2008 (- 1 K 1469/07 -), wonach der Begriff der „Beeinträchtigung“ lediglich dazu dient, Bagatellfälle vom Anwendungsbereich der Norm auszuschließen.

14

Ohne Erfolg wendet die Klägerin weiter ein, das Verwaltungsgericht habe die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts falsch auf den vorliegenden Sachverhalt angewandt, weil das Bundesverwaltungsgericht die Frage, an welcher Schwelle eine relevante Beeinträchtigung beginne, nicht erörtert habe; jedenfalls sei es nicht gerechtfertigt, eine (drohende) Teilhabebeeinträchtigung nur dann anzunehmen, wenn diese eine besonders gravierende Intensität habe. Nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und nach der in Bezug genommenen obergerichtlichen Rechtsprechung steht dagegen fest, dass nicht jegliche Teilhabebeeinträchtigung in einem der relevanten Lebensbereiche ausreicht, sondern das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII nur dann zu bejahen ist, wenn die (drohende) Teilhabebeeinträchtigung eine besonders gravierende Intensität aufweist. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht - wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist - durch die in seiner Entscheidung vom 26. November 1998 beispielhaft angeführten Beeinträchtigungen nochmals hervorgehoben und damit zugleich deutlich gemacht, welche Maßstäbe hinsichtlich Art und Umfang relevanter Teilhabebeeinträchtigungen anzulegen sind. Dass einzelne Verwaltungsgerichte - zumal außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt - (womöglich) eine andere Rechtsauffassung vertreten, ist danach unerheblich (so auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 18. April 2012 - 3 L 716/09 -, n.v.).

15

(2) Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch das Vorliegen einer bestehenden oder drohenden Teilhabebeeinträchtigung gem. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII bei der Klägerin verneint.

16

Das Gericht ist in Anlegung der oben dargelegten Maßstäbe in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die Selbstzweifel der Klägerin und ihr schwaches Selbstwertgefühl sowie die Versagensängste nicht über bloße Schulprobleme und Schulängste, die andere Kinder teilten, hinausgingen. In nachvollziehbarer Weise hat das Verwaltungsgericht insbesondere unter Bezugnahme auf eine persönliche Vorsprache der Klägerin und ihrer Mutter am 7. April 2009 sowie auf Stellungnahmen der Kinderärztin vom 28. März 2009 und der Klassenlehrerin vom 31. März 2009 festgestellt, dass bei der Klägerin keine nachhaltige Einschränkung der sozialen Funktionsfähigkeit vorliege oder drohe. Auch die sonstigen Unterlagen enthielten keine Hinweise für eine soziale Ausgrenzung der Klägerin im Schulalltag und es lasse sich ihnen nichts für eine Selbstisolation der Klägerin, emotionale Blockaden oder eine depressive Symptomatik erkennen. Dass ihre alltäglichen Probleme im Umgang mit Geld oder beim Lesen der Uhr zu einem Rückzug aus sozialen Kontakten innerhalb und/oder außerhalb der Schule geführt hätten oder dies zu erwarten sei, mache sie selbst nicht geltend.

17

Die Klägerin ist in ihrer Zulassungsbegründung und dem ergänzenden Schriftsatz vom 17. Mai 2011 dieser Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht substanziiert entgegengetreten.

18

Die von der Klägerin gerügte Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin leide nicht „an wesentlichen Erkrankungen“, bezieht sich ersichtlich auf neben der Dyskalkulie bestehende Erkrankungen.

19

Soweit die Klägerin geltend macht, ihre vom Verwaltungsgericht geschilderten Probleme (Selbstzweifel, schwaches Selbstwertgefühl, Versagensängste, Schwierigkeiten im Umgang mit Geld oder beim Lesen der Uhr) seien sämtlich Anzeichen einer Teilhabebeeinträchtigung und das Gericht habe die Anforderungen an die Tatbestandsvoraussetzung der drohenden Teilhabebeeinträchtigung überspannt, wendet sie sich lediglich erneut gegen die oben dargestellte höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII.

20

Auch der Schulpsychologe im Landesverwaltungsamt Dipl-Psych. N. hat in seiner Stellungnahme vom 6. Juli 2009 keine Einschätzung zu einer bestehenden oder eventuell „drohenden“ Behinderung abgegeben. Seine von der Klägerin zitierten Ausführungen zu einer „Manifestierung der Lernstörung mit ihren stark einschränkenden Anteilen für die Persönlichkeitsentwicklung“ bzw. zur Einschränkung der „Möglichkeiten der schulischen und beruflichen Entwicklung“ lassen keine Rückschlüsse auf eine bestehende oder zu erwartende Teilhabebeeinträchtigung gem. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII zu.

21

Dass das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII deshalb nicht für erfüllt angesehen hat, weil es an der Feststellung einer psychischen Störung der Klägerin durch einen dafür qualifizierten Diagnostiker i.S.d. § 35a Abs. 1a Satz 1 SGB VIII fehle, ist jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden. Denn das Gericht hat schon - wie oben dargelegt - bei der Prüfung des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII hinreichend erläutert, dass bei der Klägerin eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auch nicht absehbar zu erwarten sei. Danach kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin ebenfalls nicht darauf an, ob die Verwendung des Begriffs „psychische Störung“ durch das Verwaltungsgericht eine unzureichende Differenzierung offenbart.

22

Ohne Erfolg macht die Klägerin schließlich geltend, im Gegensatz zur Ansicht des Verwaltungsgerichts sei das Verfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, weil ihr im Ergebnis nicht i.S.d. § 14 Abs. 5 Satz 6 SGB IX mehrere (unabhängige) Gutachter von der Beklagten benannt worden seien. Unabhängig davon, ob und in welchem Umfang eine solche Verpflichtung besteht, ist im Rahmen der von der Klägerin erhobenen Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1, § 113 Abs. 5 VwGO) nicht zu prüfen, ob der Träger der öffentlichen Jugendhilfe seiner verfahrensrechtlichen Verpflichtung nachgekommen ist. Denn über das Vorliegen des eingeklagten Anspruchs ist angesichts des Streitgegenstandes der Verpflichtungsklage ohne Rücksicht auf etwaige Mängel des Verwaltungsverfahrens zu entscheiden (so BVerwG, Urt. v. 18. Oktober 2012 - 5 C 15/11 -, zit. nach JURIS zu § 35a Abs. 1a SGB VIII).

23

c) Ob das Verwaltungsgericht, das für seine Prüfung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und nicht den der letzten Verwaltungsentscheidung abgestellt hat, damit den maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 8. Juni 1995 - 5 C 30/93 -; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 19. Januar 2011 - 4 LB 154/10 -; VGH Hessen, Urt. v. 4. Mai 2010 - 10 A 1623/09 -, jeweils zit. nach JURIS) gewählt hat, muss nicht abschließend geklärt werden. Abgesehen davon, dass die Klägerin insoweit keine Einwendung erhoben hat, ist nicht ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung eine andere Einschätzung geboten war.

24

2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.

25

Es kann offen bleiben, ob der Vortrag der Klägerin, die sich ohne weitere Differenzierung lediglich auf das Vorliegen „besonderer Schwierigkeiten der Rechtssache“ beruft, den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO genügt (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 18. April 2012 - 3 L 716/09 -, n.v.).

26

Die von der Klägerin insoweit allein aufgeführten Differenzen zur Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte und zu vereinzelten Literaturstimmen sind angesichts des oben dargelegten Meinungsstandes in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung nicht ausreichend anzunehmen, dass die Rechtssache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht.

27

3. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat der Klägerin ebenfalls nicht aufgezeigt. Eine solche Bedeutung ist nur dann gegeben, wenn die Rechtssache eine rechtliche oder tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich und im Sinne der Rechtseinheit oder zur Fortbildung des Rechts klärungsbedürftig ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1. Februar 2008 - 2 BvR 2575/07 -; Beschl. v. 29. Juli 2010 - 1 BvR 1634/04 -; jeweils zit. nach JURIS m.w.N.).

28

Die Klägerin hat zwar mehrere Rechtsfragen formuliert. Jedoch behauptet sie lediglich eine grundsätzliche Behauptung der Rechtssache, ohne dass sie die Entscheidungserheblichkeit und die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen substanziiert darlegt. Der bloße Verweis auf die von ihr zu § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Rechtsprechungsdifferenzen ist von vornherein nicht ausreichend. Denn nicht jede Divergenz der angefochtenen Entscheidung zur Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte, zumal wenn sie dem Zuständigkeitsbereich eines anderen Oberverwaltungsgerichts angehören, begründet ohne weiteres eine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Ausreichende Ausführungen insoweit erfolgten auch nicht in dem Schriftsatz vom 17. Mai 2011.

29

Darüber hinaus sind die Fragen, soweit sie die Auslegung des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII betreffen, nicht entscheidungserheblich, und, soweit sie die Auslegung des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII betreffen, angesichts der ständigen Rechtsprechung des bisher zuständigen Senats und der sonstigen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung als bereits geklärt anzusehen.

30

4. Verfahrensfehler i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO sind nicht gegeben.

31

Die von der Klägerin gerügte Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 VwGO) sowie die ebenfalls von ihr gerügte Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots beziehen sich allein auf eine von ihr für notwendig gehaltene Sachverhaltsaufklärung zum Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO. Auf das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals kommt es aber - wie oben unter 1. im Einzelnen dargelegt - nicht entscheidungserheblich an, weil die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII nicht erfüllt ist.

32

Es kann danach offen bleiben, ob der Zulassungsantrag insoweit überhaupt den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO genügt. Denn grundsätzlich hätte es in der Antragsbegründungsschrift auch Ausführungen dazu bedurft, dass ohne die von der Klägerin geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs bzw. unterbliebene weiteren Aufklärung des Sachverhaltes - namentlich bei einer Beweisaufnahme - voraussichtlich eine im Ergebnis andere, für die Klägerin positive Entscheidung ergangen wäre (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 18. April 2012 - 3 L 716/09 -, n.v.).

33

II. Die Rechtsverfolgung durch die Klägerin bot keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.d. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO.

34

Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg ist nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats nur dann gegeben, wenn der klägerische Rechtsstandpunkt ohne Überspannung der Anforderungen zutreffend oder bei schwieriger Rechtslage zumindest vertretbar erscheint. Dabei dürfen schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatsachenfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden. Zwar muss Prozesskostenhilfe nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die Ablehnung der Gewährung kann ungeachtet des Fehlens einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf Auslegungshilfen, die von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellt werden, ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann. Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus, so ist es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen fehlender Erfolgsaussichten ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (so BVerfG, Beschl. v. 19. Februar 2008 - 1 BvR 1807/07 -; Beschl. v. 14. Juni 2006 - 2 BvR 626/06 -, jeweils zit. nach JURIS).

35

Ausgehend von diesen Maßstäben waren von vornherein keine hinreichenden Erfolgsaussichten für einen Zulassungsantrag gegeben.

36

III. Die Kostenentscheidung für das Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.

37

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

Gründe

1

Die Anträge der Klägerin auf Zulassung der Berufung (I.) und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Stellung des Antrages zur Zulassung der Berufung (II.) haben jeweils keinen Erfolg

2

I. 1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat die Klägerin nicht in hinreichender Weise aufgezeigt.

3

Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist immer schon dann erfüllt, wenn im Zulassungsverfahren ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Schlüssige Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn mit dem Zulassungsantrag substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (so BVerfG, Beschl. v. 20. Dezember 2010 - 1 BvR 2011/10 -, zit. nach JURIS).

4

Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Die Klägerin hat die Feststellung des Verwaltungsgerichts, sie habe keinen Anspruch gem. § 35a Abs. 1 SGB VIII auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme zur Therapie ihrer Rechenschwäche, nicht hinreichend in Zweifel gezogen.

5

Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII in der ab 14. Dezember 2006 geltenden Fassung haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1) und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2). Bei Vorliegen beider Voraussetzungen geht das Gesetz von einer „seelischen Behinderung“ aus. Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne des SGB VIII sind dabei Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit „hoher“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (§ 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII).

6

a) Es ist schon fraglich, ob im Falle der Klägerin die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII gegeben sind.

7

Der bislang zuständige 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt geht mit der herrschenden Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass allein das Vorliegen einer Teilleistungsstörung wie der Rechenstörung (Dyskalkulie) als solche nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erfüllt. Hinzukommen muss, dass es als Sekundärfolge der Rechenstörung zu einer seelischen Störung oder psychosomatischen Reaktion des Kindes oder Jugendlichen kommt, so dass deshalb seine seelische Gesundheit länger als sechs Monate von dem für sein Lebensalter typischen Zustand abweicht (sog. sekundäre Neurotisierung, vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 18. April 2012 - 3 L 716/09 -, n.v.; OVG Sachsen, Beschl. v. 29. Januar 2010 - 1 A 143/09 -; VGH Hessen, Urt. v. 20. August 2009 - 10 A 1799/08 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 26. März 2007 - 7 E 10212/07 -, jeweils zit. nach JURIS; Kunkel, SGB VIII, 4. A., § 35a Rdnr. 12, 19; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 28. Oktober 2011 - 12 A 1174/11 -; VGH Bayern, Beschl. v. 3. Februar 2011 - 12 ZB 09.1918 - zu Lese- und Rechtschreibschwäche, jeweils zit. nach JURIS). Denn Dyskalkulie sei eine geistige Leistungsstörung. Es handele sich insoweit um abgegrenzte Ausfälle von Hirnleistungen, die aus dem Rahmen der Gesamtintelligenz und der übrigen Leistungen herausfallen. In Kapitel V, Ziffer F 81.2 der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10, www.dimdi.de) werde die Dyskalkulie beschrieben als eine „…Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Defizit betrifft vor allem die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Algebra, Trigonometrie, Geometrie oder Differential- und Integralrechnung benötigt werden.“ Ein Abweichen der seelischen Gesundheit i.S.v. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von dem für das Lebensalter typischen Zustand verlange daher zusätzlich zu dieser geistigen Teilleistungsstörung die Feststellung hierin begründeter Sekundärfolgen im seelischen Bereich.

8

Ob mit der Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte und Literaturstimmen (z.B. VG Göttingen, Urt. v. 22. Februar 2007 - 2 A 351/05 -, zit. nach JURIS; Jahn, SGB VIII, § 35a Rdnr. 6; vgl. auch Wiesner, Kinder- und Jugendhilfe, 4. A., § 35a, Rdnr. 14) schon Dyskalkulie selbst als seelische Störung i.S.d. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII einzustufen ist, kann aber ebenso offen bleiben wie die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob das Verwaltungsgericht die herrschende Rechtsprechung fehlerhaft angewandt hat.

9

b) Denn das Verwaltungsgericht hat jedenfalls rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII nicht erfüllt seien.

10

(1) In Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der ständigen Rechtsprechung des bisher zuständigen 3. Senats ist eine Teilhabebeeinträchtigung i.S.d. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII (nur) dann gegeben, wenn die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit des Betroffenen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt. Dabei ist eine derartige Teilhabebeeinträchtigung beispielsweise anzunehmen bei einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, bei einer totalen Schul- und Lernverweigerung, bei einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder bei einer Vereinzelung in der Schule, nicht aber bereits bei bloßen Schulproblemen oder Schulängsten, die andere Kinder oder Jugendliche teilen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11. August 2005 - 5 C 18.04 -; Urt. v. 26. November 1998 - 5 C 38.97 -, jeweils zit. nach JURIS; zuletzt OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 18. April 2012 - 3 L 716/09 -, n.v.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15. Juli 2011 - 12 A 1168/11 -; VGH Bayern, Beschl. v. 29. November 2010 - 12 ZB 09.2199 -; VGH Hessen, Urt. v. 4. Mai 2010 - 10 A 1623/09 -; OVG Sachsen, Beschl. v. 29. Januar 2010 - 1 A 143/09 -; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 4. Februar 2009 - 4 LC 514/07 -; OVG Thüringen, Beschl. v. 10. Juni 2009 - 3 EO 136/09 -, jeweils zit. nach JURIS m.w.N; Münchener Kommentar zum BGB, 6. A., Bd. 8, SGB VIII, § 35a Rdnr. 3; Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, § 35a Rdnr. 39, 40; Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, § 35a Rdnr. 33, 40; Jung, SGB VIII, 2. A., § 35a Rdnr. 7, 8; vgl. auch Jahn, SGB VIII, § 35a Rdnr. 5, 7, 8; Hauck, SGB VIII, § 35a Rdnr. 29, 64: nachhaltige Beeinträchtigung der sozialen Funktionstüchtigkeit). Während die Beurteilung, ob die seelische Gesundheit im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, regelmäßig Aufgabe von Ärzten oder Psychotherapeuten ist, fällt die Einschätzung, ob die Teilhabe des jungen Menschen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist bzw. eine solche Beeinträchtigung droht, in die Kompetenz sozialpädagogischer Fachlichkeit und somit in den Aufgabenbereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15. Juli 2011 - 12 A 1168/11 -; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 25. März 2010 - 4 LA 43/09 -, jeweils zit. nach JURIS; Jahn, SGB VIII, § 35a Rdnr. 8). Bei dem Begriff der Teilhabebeeinträchtigung handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der voller gerichtlichen Prüfung unterliegt (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 23. Januar 2012 - 12 B 1582/11 -; OVG Sachsen, Beschl. v. 9. Juni 2009 - 1 B 288/09 -; VGH Bayern, Beschl. v. 7. Dezember 2010 - 12 CE 10.2326 -, jeweils zit. nach JURIS).

11

Die von der Klägerin insoweit erhobenen Einwendungen sind nicht durchgreifend.

12

Es handelt sich bei den genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht um eine veraltete und überholte Rechtsprechung. Dass in § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII nunmehr ausdrücklich darauf abgestellt wird, dass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist und der Begriff der „Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft“ in den maßgeblichen Bestimmungen nicht mehr ausdrücklich verwandt wird, lässt die Maßgeblichkeit dieser Rechtsprechung nicht entfallen. Dies ergibt sich schon aus der weitergehenden Verwendung des Begriffes „Eingliederungshilfe“ in § 35a SGB VIII und aus § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, wonach es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist, u.a. die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern.

13

Dass § 35a SGB VIII im Gegensatz zu § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht auf eine „wesentliche“ Behinderung abstellt, führt ebenso wenig zu einer anderen Auslegung des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII wie der Hinweis der Klägerin auf die „Internationale Klassifikation für Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ (ICF) der Weltgesundheitsorganisation, auf den von ihr angenommenen Willen des Gesetzgebers, dass es für eine Behinderung genügen solle, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung nur in einem Lebensbereich auswirke, sowie auf den Zweck des SGB VIII und das „erklärte Ziel des Gesetzgebers“. Vor allem ist weder erkennbar oder substanziiert vorgetragen, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts inzwischen internationalen Vorgaben widerspricht. Nicht zu folgen ist auch dem von der Klägerin zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 26. Februar 2008 (- 1 K 1469/07 -), wonach der Begriff der „Beeinträchtigung“ lediglich dazu dient, Bagatellfälle vom Anwendungsbereich der Norm auszuschließen.

14

Ohne Erfolg wendet die Klägerin weiter ein, das Verwaltungsgericht habe die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts falsch auf den vorliegenden Sachverhalt angewandt, weil das Bundesverwaltungsgericht die Frage, an welcher Schwelle eine relevante Beeinträchtigung beginne, nicht erörtert habe; jedenfalls sei es nicht gerechtfertigt, eine (drohende) Teilhabebeeinträchtigung nur dann anzunehmen, wenn diese eine besonders gravierende Intensität habe. Nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und nach der in Bezug genommenen obergerichtlichen Rechtsprechung steht dagegen fest, dass nicht jegliche Teilhabebeeinträchtigung in einem der relevanten Lebensbereiche ausreicht, sondern das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII nur dann zu bejahen ist, wenn die (drohende) Teilhabebeeinträchtigung eine besonders gravierende Intensität aufweist. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht - wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist - durch die in seiner Entscheidung vom 26. November 1998 beispielhaft angeführten Beeinträchtigungen nochmals hervorgehoben und damit zugleich deutlich gemacht, welche Maßstäbe hinsichtlich Art und Umfang relevanter Teilhabebeeinträchtigungen anzulegen sind. Dass einzelne Verwaltungsgerichte - zumal außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt - (womöglich) eine andere Rechtsauffassung vertreten, ist danach unerheblich (so auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 18. April 2012 - 3 L 716/09 -, n.v.).

15

(2) Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch das Vorliegen einer bestehenden oder drohenden Teilhabebeeinträchtigung gem. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII bei der Klägerin verneint.

16

Das Gericht ist in Anlegung der oben dargelegten Maßstäbe in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die Selbstzweifel der Klägerin und ihr schwaches Selbstwertgefühl sowie die Versagensängste nicht über bloße Schulprobleme und Schulängste, die andere Kinder teilten, hinausgingen. In nachvollziehbarer Weise hat das Verwaltungsgericht insbesondere unter Bezugnahme auf eine persönliche Vorsprache der Klägerin und ihrer Mutter am 7. April 2009 sowie auf Stellungnahmen der Kinderärztin vom 28. März 2009 und der Klassenlehrerin vom 31. März 2009 festgestellt, dass bei der Klägerin keine nachhaltige Einschränkung der sozialen Funktionsfähigkeit vorliege oder drohe. Auch die sonstigen Unterlagen enthielten keine Hinweise für eine soziale Ausgrenzung der Klägerin im Schulalltag und es lasse sich ihnen nichts für eine Selbstisolation der Klägerin, emotionale Blockaden oder eine depressive Symptomatik erkennen. Dass ihre alltäglichen Probleme im Umgang mit Geld oder beim Lesen der Uhr zu einem Rückzug aus sozialen Kontakten innerhalb und/oder außerhalb der Schule geführt hätten oder dies zu erwarten sei, mache sie selbst nicht geltend.

17

Die Klägerin ist in ihrer Zulassungsbegründung und dem ergänzenden Schriftsatz vom 17. Mai 2011 dieser Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht substanziiert entgegengetreten.

18

Die von der Klägerin gerügte Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin leide nicht „an wesentlichen Erkrankungen“, bezieht sich ersichtlich auf neben der Dyskalkulie bestehende Erkrankungen.

19

Soweit die Klägerin geltend macht, ihre vom Verwaltungsgericht geschilderten Probleme (Selbstzweifel, schwaches Selbstwertgefühl, Versagensängste, Schwierigkeiten im Umgang mit Geld oder beim Lesen der Uhr) seien sämtlich Anzeichen einer Teilhabebeeinträchtigung und das Gericht habe die Anforderungen an die Tatbestandsvoraussetzung der drohenden Teilhabebeeinträchtigung überspannt, wendet sie sich lediglich erneut gegen die oben dargestellte höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII.

20

Auch der Schulpsychologe im Landesverwaltungsamt Dipl-Psych. N. hat in seiner Stellungnahme vom 6. Juli 2009 keine Einschätzung zu einer bestehenden oder eventuell „drohenden“ Behinderung abgegeben. Seine von der Klägerin zitierten Ausführungen zu einer „Manifestierung der Lernstörung mit ihren stark einschränkenden Anteilen für die Persönlichkeitsentwicklung“ bzw. zur Einschränkung der „Möglichkeiten der schulischen und beruflichen Entwicklung“ lassen keine Rückschlüsse auf eine bestehende oder zu erwartende Teilhabebeeinträchtigung gem. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII zu.

21

Dass das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII deshalb nicht für erfüllt angesehen hat, weil es an der Feststellung einer psychischen Störung der Klägerin durch einen dafür qualifizierten Diagnostiker i.S.d. § 35a Abs. 1a Satz 1 SGB VIII fehle, ist jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden. Denn das Gericht hat schon - wie oben dargelegt - bei der Prüfung des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII hinreichend erläutert, dass bei der Klägerin eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auch nicht absehbar zu erwarten sei. Danach kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin ebenfalls nicht darauf an, ob die Verwendung des Begriffs „psychische Störung“ durch das Verwaltungsgericht eine unzureichende Differenzierung offenbart.

22

Ohne Erfolg macht die Klägerin schließlich geltend, im Gegensatz zur Ansicht des Verwaltungsgerichts sei das Verfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, weil ihr im Ergebnis nicht i.S.d. § 14 Abs. 5 Satz 6 SGB IX mehrere (unabhängige) Gutachter von der Beklagten benannt worden seien. Unabhängig davon, ob und in welchem Umfang eine solche Verpflichtung besteht, ist im Rahmen der von der Klägerin erhobenen Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1, § 113 Abs. 5 VwGO) nicht zu prüfen, ob der Träger der öffentlichen Jugendhilfe seiner verfahrensrechtlichen Verpflichtung nachgekommen ist. Denn über das Vorliegen des eingeklagten Anspruchs ist angesichts des Streitgegenstandes der Verpflichtungsklage ohne Rücksicht auf etwaige Mängel des Verwaltungsverfahrens zu entscheiden (so BVerwG, Urt. v. 18. Oktober 2012 - 5 C 15/11 -, zit. nach JURIS zu § 35a Abs. 1a SGB VIII).

23

c) Ob das Verwaltungsgericht, das für seine Prüfung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und nicht den der letzten Verwaltungsentscheidung abgestellt hat, damit den maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 8. Juni 1995 - 5 C 30/93 -; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 19. Januar 2011 - 4 LB 154/10 -; VGH Hessen, Urt. v. 4. Mai 2010 - 10 A 1623/09 -, jeweils zit. nach JURIS) gewählt hat, muss nicht abschließend geklärt werden. Abgesehen davon, dass die Klägerin insoweit keine Einwendung erhoben hat, ist nicht ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung eine andere Einschätzung geboten war.

24

2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.

25

Es kann offen bleiben, ob der Vortrag der Klägerin, die sich ohne weitere Differenzierung lediglich auf das Vorliegen „besonderer Schwierigkeiten der Rechtssache“ beruft, den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO genügt (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 18. April 2012 - 3 L 716/09 -, n.v.).

26

Die von der Klägerin insoweit allein aufgeführten Differenzen zur Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte und zu vereinzelten Literaturstimmen sind angesichts des oben dargelegten Meinungsstandes in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung nicht ausreichend anzunehmen, dass die Rechtssache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht.

27

3. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat der Klägerin ebenfalls nicht aufgezeigt. Eine solche Bedeutung ist nur dann gegeben, wenn die Rechtssache eine rechtliche oder tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich und im Sinne der Rechtseinheit oder zur Fortbildung des Rechts klärungsbedürftig ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1. Februar 2008 - 2 BvR 2575/07 -; Beschl. v. 29. Juli 2010 - 1 BvR 1634/04 -; jeweils zit. nach JURIS m.w.N.).

28

Die Klägerin hat zwar mehrere Rechtsfragen formuliert. Jedoch behauptet sie lediglich eine grundsätzliche Behauptung der Rechtssache, ohne dass sie die Entscheidungserheblichkeit und die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen substanziiert darlegt. Der bloße Verweis auf die von ihr zu § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Rechtsprechungsdifferenzen ist von vornherein nicht ausreichend. Denn nicht jede Divergenz der angefochtenen Entscheidung zur Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte, zumal wenn sie dem Zuständigkeitsbereich eines anderen Oberverwaltungsgerichts angehören, begründet ohne weiteres eine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Ausreichende Ausführungen insoweit erfolgten auch nicht in dem Schriftsatz vom 17. Mai 2011.

29

Darüber hinaus sind die Fragen, soweit sie die Auslegung des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII betreffen, nicht entscheidungserheblich, und, soweit sie die Auslegung des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII betreffen, angesichts der ständigen Rechtsprechung des bisher zuständigen Senats und der sonstigen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung als bereits geklärt anzusehen.

30

4. Verfahrensfehler i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO sind nicht gegeben.

31

Die von der Klägerin gerügte Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 VwGO) sowie die ebenfalls von ihr gerügte Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots beziehen sich allein auf eine von ihr für notwendig gehaltene Sachverhaltsaufklärung zum Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO. Auf das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals kommt es aber - wie oben unter 1. im Einzelnen dargelegt - nicht entscheidungserheblich an, weil die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII nicht erfüllt ist.

32

Es kann danach offen bleiben, ob der Zulassungsantrag insoweit überhaupt den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO genügt. Denn grundsätzlich hätte es in der Antragsbegründungsschrift auch Ausführungen dazu bedurft, dass ohne die von der Klägerin geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs bzw. unterbliebene weiteren Aufklärung des Sachverhaltes - namentlich bei einer Beweisaufnahme - voraussichtlich eine im Ergebnis andere, für die Klägerin positive Entscheidung ergangen wäre (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 18. April 2012 - 3 L 716/09 -, n.v.).

33

II. Die Rechtsverfolgung durch die Klägerin bot keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.d. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO.

34

Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg ist nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats nur dann gegeben, wenn der klägerische Rechtsstandpunkt ohne Überspannung der Anforderungen zutreffend oder bei schwieriger Rechtslage zumindest vertretbar erscheint. Dabei dürfen schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatsachenfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden. Zwar muss Prozesskostenhilfe nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die Ablehnung der Gewährung kann ungeachtet des Fehlens einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf Auslegungshilfen, die von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellt werden, ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann. Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus, so ist es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen fehlender Erfolgsaussichten ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (so BVerfG, Beschl. v. 19. Februar 2008 - 1 BvR 1807/07 -; Beschl. v. 14. Juni 2006 - 2 BvR 626/06 -, jeweils zit. nach JURIS).

35

Ausgehend von diesen Maßstäben waren von vornherein keine hinreichenden Erfolgsaussichten für einen Zulassungsantrag gegeben.

36

III. Die Kostenentscheidung für das Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.

37

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Juli 2010 dazu verpflichtet, die Kosten des Besuchs der Privatschule E.    durch die Klägerin in den Schuljahren 2010/2011 und 2011/2012 zu übernehmen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Instanzen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Dyskalkulietherapie.

Die Klägerin ist am ... 1998 geboren und befindet sich derzeit in einem ökologisch-sozialen Jahr, nachdem sie die Hauptschule der Montessorischule ... mit dem qualifizierenden Hauptschulabschluss verlassen hat.

Am .... Juli 2012 testete Frau ... vom Mathematischen Institut zur Behandlung der Rechenschwäche/Arithmasthenie in ... die Klägerin auf Dyskalkulie. Dabei kam Frau ... zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine schwere Dyskalkulie vorliege. Die Rechenfähigkeit sei auf dem Stand 1. – 2. Klasse. Sie sehe jedoch gute Chancen zur Behebung, da die Klägerin sehr aufgeschlossen sei. Eine Therapie werde dringend empfohlen.

Mit Schreiben vom .... August 2012 bzw. .... September 2012, welches am .... September 2012 beim Beklagten einging, beantragte die Mutter der Klägerin für diese die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für eine Dyskalkulietherapie. Im Schreiben vom .... September 2012 bringt die Mutter der Klägerin auch vor, dass die Klägerin bereits zur Therapie angemeldet sei. Aus dem beigefügten Elternfragebogen geht u.a. hervor, dass die Klägerin hauptsächlich Kontakt mit Schulfreunden habe und mit allen Mitschülern gut zurecht komme. Auch übernehme sie wechselnde Klassendienste. Im Rahmen ihrer Freizeitgestaltung gehöre sie zudem dem TSV ... an und besuche regelmäßig die Konfirmandengruppe.

In der Schulstellungnahme vom .... September 2012 wurde die Schulform als dem Leistungsvermögen der Klägerin angemessen erachtet. Sie sei im Bereich Lesen sehr gut, im Bereich Rechtschreiben durchschnittlich bis gut und im Bereich Rechnen sehr schwach. Dort erlebe sie meist Versagen und es gebe Anzeichen für Versagensängste. Eine externe Förderung werde dringend empfohlen, die Klägerin brauche dringend therapeutische Hilfe und Begleitung, um zu guten Basiskenntnissen in Mathematik zu gelangen. Anzeichen für Leistungsverweigerung gebe es keine. Die Klägerin sei lernwillig und aufgeschlossen, sie arbeite sorgfältig und erledige übernommene Aufgaben zuverlässig. Die besonderen Stärken der Klägerin lägen im sozialen Bereich, im offenen aufgeschlossenen Kontakt zu anderen Menschen und in der Fähigkeit, im Team zu arbeiten. Die Klägerin sei sozial anerkannt und gut in die Klasse integriert.

Laut ärztlich-psychologischem Bericht des ...Klinikums vom .... Januar 2013 wurden bei der Klägerin nach dem Klassifikationsschema der ICD-10 auf Achse I eine Anpassungsstörung den sozioemotionalen Bereich betreffend (F 43.2), auf Achse II eine Rechenstörung (F 81.2), auf Achse III eine durchschnittliche Intelligenz sowie auf Achse VI eine leichte Beeinträchtigung der psychosozialen Anpassungsfähigkeit diagnostiziert. Das Gutachten führt u.a. aus, dass sich die Klägerin als freundliches und aufgeschlossenes Mädchen gezeigt habe. Die Intelligenztestung hätte eine durchschnittliche Begabung mit Schwächen im logischen Denken ergeben. Mathematische Aufgaben seien der Klägerin schwer gefallen, entsprechend sei der Rechentest deutlich unterdurchschnittlich ausgefallen, so dass von einer Rechenstörung ausgegangen werden könne. Auf dem Boden der Rechenstörung habe sich eine Anpassungsstörung entwickelt, die sich vor allem auf eine Unzulänglichkeit und Hilflosigkeit in Prüfungssituationen beziehe. Darüber hinaus bemühe sich die Klägerin sehr, sich im Sinne der sozialen Erwünschtheit darzustellen. Es bestehe ein deutliches Störungsbewusstsein bezüglich der fehlenden Rechenfertigkeiten, die die Klägerin in ihrer Entwicklung beeinträchtigten. Die Klägerin habe Angst, aufgrund der fehlenden Rechenfertigkeiten eventuell den Hauptschulabschluss nicht bestehen zu können, weshalb sie freiwillig das Schuljahr wiederholen möchte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit weiche die seelische Gesundheit der Klägerin für länger als 6 Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand ab. Eine Einschränkung an der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sei nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.

In den Leistungsdokumentationen der Oberstufe 7 - 9 der Montessorischule ... wird das Sozial- und Arbeitsverhalten die Klägerin nahezu ausschließlich als sehr positiv beurteilt, insbesondere der positive Kontakt zu Mitschülern und die Arbeit im Team. Laut Lern- und Entwicklungsbericht der Jahrgangsstufe 9, 1. Halbjahr, zeigten sich bereits klare Verbesserungen in Mathematik, die Klägerin müsse jedoch noch einiges nachholen. Zudem habe sie die Ausbildung zur Streitschlichterin erfolgreich abgeschlossen.

Mit Bescheid vom .... Februar 2013 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe ab.

Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass bei der Klägerin zwar eine Abweichung von der seelischen Gesundheit im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII vorliege, da bei ihr nach der ambulanten Diagnostik des...-Klinikums vom .... Januar 2013 eine Anpassungsstörung und eine Rechenstörung diagnostiziert worden seien. Jedoch müsse zu dieser seelischen Störung noch ein soziales Integrationsrisiko hinzukommen, hierfür hätten sich jedoch keine Anhaltspunkte ergeben. Laut Stellungnahme der Montessorischule ... sei die Klägerin in die Klasse und allgemein in die Schule gut integriert. Auch werde berichtet, dass ihre besonderen Stärken im sozialen Bereich bzw. im offenen aufgeschlossenen Kontakt zu anderen Menschen lägen. Die Eltern berichteten, dass die Klägerin in ihrer Freizeit hauptsächlich Kontakt zu Schulfreunden habe, Mitglied beim TSV ... sei und an der Konfirmationsgruppe der Evangelischen Kirche teilnehme. Die Klägerin komme im Grunde mit allen Mitschülern gut zurecht und übernehme selbst Klassendienste in der Schule. Die genannten Eigenschaften zeigten somit nicht, dass bei der Klägerin eine tiefgreifende seelische Störung vorliege, so dass bei ihr die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft nicht beeinträchtigt werde oder bereits beeinträchtigt sei. Da die Schule nicht nur einen Bildungs- sondern auch einen Erziehungsauftrag habe, sei es in erster Linie Aufgabe der Schule, Schüler mit z.B. einer Rechenstörung angemessen und umfassend zu fördern.

Mit Schreiben vom .... März 2013 legte die Mutter der Klägerin gegen den Bescheid vom .... Februar 2013 beim Beklagten Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass weder nachvollziehbar noch aus dem Gesetz erkennbar sei, dass ein Anspruch nach § 35a SGB VIII erst vorliege, wenn zur seelischen Störung ein soziales Integrationsrisiko hinzukomme. Bei Versagung der Dyskalkulietherapie sei dringend anzunehmen, dass eine adäquate Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bedroht sei. Ein angestrebter Schulabschluss mit einer sodann anschließenden Berufsausbildung sei durch die starke Rechenschwäche extrem gefährdet. Es könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen, wenn das familiäre und schulische Umfeld eine positive Integration ermöglicht hätten. Des Weiteren könne die Schule als Bildungseinrichtung eine schwere Dyskalkulie aufgrund der personellen Voraussetzungen nicht behandeln.

Unter dem .... Juni 2013 legte der Beklagte den Widerspruch der Regierung ... zur Entscheidung vor.

Mit Bescheid vom .... Juli 2013 wies die Regierung ... den Widerspruch gegen den Bescheid vom .... Februar 2013 zurück.

Zur Begründung wurde zusammenfassend ausgeführt, dass der Beklagte den Antrag auf Dyskalkulietherapie zu Recht abgelehnt habe, weil die Anspruchsvoraussetzungen für eine solche Hilfe nicht vorgelegen hätten. Die Klägerin gehöre nicht zum Personenkreis des § 35a SGB VIII. Zwar liege unstreitig eine seelische Störung in Form der fachärztlich diagnostizierten Rechen- und Anpassungsstörung vor (§ 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII). Jedoch sei unter Zugrundelegung der Stellungnahmen des ... Klinikums, der Montessorischule sowie der Eltern der Klägerin die Teilhabe der Klägerin am Leben in der Gesellschaft nicht beeinträchtigt und eine Beeinträchtigung dieser Teilhabe drohe derzeit auch nicht (§ 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII). Es liege derzeit kein soziales Integrationsrisiko vor, so dass eine Hilfe zur Eingliederung in die Gesellschaft nicht erforderlich sei. Es sei vorrangig Aufgabe der Schule eine solche Teilleistungsstörung angemessen zu fördern. Dies gelte grundsätzlich auch für die typischerweise mit der Dyskalkulie verbundenen Sekundärfolgen wie Schulunlust, Gehemmtheit und Versagensängste.

Mit Schriftsatz vom 20. August 2013, eingegangen vorab per Telefax am gleichen Tage, erhoben die Eltern der Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragten den Bescheid vom .... Februar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom .... Juli 2013 aufzuheben und den Beklagten zur Übernahme der Kosten für die Dyskalkulietherapie zu verpflichten.

Zur Begründung der Klage wurde unter dem .... Februar 2014 von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausgeführt, dass die Tochter selbst, vertreten durch ihre Eltern, Klägerin sei. Bei dieser sei eine schwere Dyskalkulie festgestellt worden, die Voraussetzung des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII liege vor. Der Beklagte negiere jedoch das Vorliegen eines sozialen Integrationsrisikos bei der Klägerin (§ 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII). Die Ausführungen hierzu würden der tatsächlich bestehenden Problematik jedoch nicht gerecht. Sowohl die Montessorischule, als auch das ...-Klinikum und das Institut, welches die Dyskalkulietherapie durchführe, hätten auf bestehende Integrationsrisiken und entsprechende Anzeichen bei der Klägerin hingewiesen. Gerade das soziale Verhalten mit Mitschülern und Freunden insgesamt werde maßgeblich davon beeinflusst, dass sich die Klägerin hierdurch den „Rücken stärken“ wolle, um Defizite aufgrund der bestehenden seelischen Störung zu verschleiern. Die Klägerin habe bei alltäglichen Geschäften eine große Hemmschwelle, dies selbst zu tun. In der sozialen Gruppe könne sie sich im Wege der sozialen „Arbeitsteilung“ von der Anforderung des Nachzählens oder Aufaddierens von Summen entziehen und diese anderen überlassen. Das Defizit werde damit auch z. T. kompensiert durch verstärkte Aktivitäten im sozialen Bereich. Aus dem Gutachten des ...-Klinikums lasse sich zudem ableiten, dass die hier zu behandelnde Rechenschwäche (wenn auch nicht oder kaum wahrnehmbar) wesentlich tiefgreifendere Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung und seelische Entwicklung der Klägerin habe, als sie in der Wahrnehmung der befragten Personen (Lehrer, Eltern) zum Anschein habe. Gerade unterschwellige Gefährdungslagen müssten im psychisch-seelischen Bereich besondere Berücksichtigung finden, damit – was Sinn und Zweck des Jugendhilferechts sei – das Problem in einem Alter, in dem noch eine Therapie möglich sei, „an den Wurzeln“ gepackt und zielgerichtet behandelt werde. Entgegen der Auffassung des Beklagten handele es sich bei der Dyskalkulietherapie auch nicht um Nachhilfe und nicht um eine Maßnahme, welche als Aufgabe des Schulträgers anzusehen sei. Eine solche Dyskalkulietherapie befasse sich nicht nur mit den unverstandenen Teilen der Mathematik, da sie immer auch die psychische Komponente des Problems, also die aus dem Unvermögen und Versagen resultierende Angst und Abwehr, bearbeite. Ohne Behandlung sei die Klägerin aller Voraussicht nach von einer Teilhabebeeinträchtigung nicht nur gefährdet, eine solche wäre höchstwahrscheinlich heute bereits eingetreten bzw. spätestens mit Nichtbestehen eines qualifizierten Hauptschulabschlusses eingetreten. Selbst wenn die Klägerin den Abschluss nicht bestehen würde, erlernte sie durch de Dyskalkulietherapie, wie sie mit dem Defizit umgehen könne und verliere die Scheu, die Angst, mit entsprechenden Defiziten konfrontiert zu werden und sei nicht mehr gezwungen Vermeidungsstrategien anzuwenden.

Der Klagebegründung war eine undatierte Stellungnahme des Mathematischen Institut zur Behandlung der Rechenschwäche/Arithmasthenie in München beigefügt, wonach die Klägerin dort seit .... September 2012 regelmäßig in Therapie sei. Weiter wurde der Therapieverlauf als bisher sehr positiv beschrieben.

In der mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2014 erklärte der Bevollmächtigte der Klägerin, dass die Dyskalkulietherapie nur bis zum Schuljahresende durchgeführt und von den Eltern der Klägerin finanziert worden sei. Für den Vater der Klägerin stimmte der Klägerbevollmächtigte nachträglich der Erhebung des Widerspruchs durch die Mutter der Klägerin zu.

Abschließend beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom .... Februar 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom .... Juli 2013 zu verpflichten, der Klägerin die Kosten für die von ihr in den Schuljahren 2012/2013 und 2013/2014 in Anspruch genommene Dyskalkulietherapie zu ersetzen.

Der Beklagtenvertreter beantragte

Klageabweisung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2014 Bezug genommen.

Gründe

Die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage auf Erstattung der Kosten für die in den Schuljahren 2012/2013 und 2013/2014 in Anspruch genommene Dyskalkulietherapie ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen entsprechenden Anspruch gegen den Beklagten auf Kostenerstattung gemäß § 36a Abs. 3 i.V.m. § 35a Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII). Die Ablehnung der Bewilligung einer Dyskalkulietherapie im Bescheid des Beklagten vom .... Februar 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom .... Juli 2013 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch auch nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Nach § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII trägt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten einer Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans und unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass es nicht dem gesetzlichen Auftrag des Jugendhilfeträgers entspricht, nur „Zahlstelle“ und nicht Leistungsträger zu sein. Nur wenn die Eltern bzw. der Hilfeempfänger grundsätzlich den Träger der Jugendhilfe von Anfang an in den Entscheidungsprozess einbeziehen, kann er seine aus §§ 36a Abs. 1, 79 Abs. 1 SGB VIII folgende Gesamtverantwortung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben und die Planungsverantwortung nach § 80 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 SGB VIII wahrnehmen (vgl. BVerwG, B.v. 22.5.2008, JAmt 2008, 600). Wird die Hilfe hiervon abweichend selbst beschafft, ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn 1. der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, 2. die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und 3. die Deckung des Bedarfs a) bis zur Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung oder b) bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.

1. Der Anspruch nach § 36a Abs. 3 SGB VIII könnte vorliegend bereits daran scheitern, dass der Träger der Jugendhilfe vor Beschaffung der Hilfe über den Hilfebedarf nicht in Kenntnis gesetzt wurde.

Gemäß § 36a Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII hätte die Klägerin vor Beschaffung der Hilfe, also Unterzeichnung des Therapievertrages, ihren Hilfebedarf an den Beklagten herantragen müssen. Zwar ist ein Antrag im engeren Sinne nicht erforderlich, es genügt eine eindeutige Willensbekundung des Leistungsberechtigten, Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen, welche schriftlich oder mündlich erfolgen oder sich aus einem Beratungskontakt ergeben kann (vgl. Wiesner, SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 36a RdNr. 44). Auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung konnte der Bevollmächtigte der Klägerin nicht angeben, wann der Therapievertrag durch die Eltern der Klägerin unterzeichnet wurde. Ausweislich der (undatierten) Stellungnahme des Instituts zur Behandlung der Rechenschwäche/Arithmasthenie in ... war die Klägerin dort ab dem .... September 2012 in Behandlung. Der Antrag der Mutter der Klägerin auf Übernahme der Kosten für die Dyskalkulietherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe ging am 13. September 2012 beim Beklagten ein; darin ist ausgeführt, dass die Klägerin bereits zur Therapie angemeldet ist. Ob der Therapievertrag zu diesem Zeitpunkt bereits unterzeichnet war oder erst anschließend unterzeichnet wurde, musste vorliegend nicht aufgeklärt werden. Hierauf kommt es nicht entscheidungserheblich an, da die weiteren Voraussetzungen für den Anspruch auf Kostenübernahme nicht vorliegen.

2. Des Weiteren müssten nämlich gemäß § 36a Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorliegen. Dies ist hier nicht der Fall.

2.1. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Kosten einer Dyskalkulietherapie ist § 35a SGB VIII. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder und Jugendliche im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB VIII Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn (1.) ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und (2.) daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Gemäß § 35a Abs. 1a Satz 1 SGB VIII hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 eine Stellungnahme eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, eines Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder eines über bestimmte Erfahrungen verfügenden Arztes oder psychologischen Psychotherapeuten einzuholen. Es ist damit Aufgabe des Arztes bzw. Psychotherapeuten, die von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII vorausgesetzte Abweichung der seelischen Gesundheit von dem für das jeweilige Lebensalter typischen Zustand festzustellen. An eine entsprechende Feststellung einer seelischen Störung bzw. einer drohenden seelischen Störung sind das Jugendamt und auch das Gericht unter Wahrung des in § 20 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) enthaltenen Grundsatzes der freien Beweiswürdigung gebunden (vgl. Wiesner, SGB VIII 4. Auflage 2011, § 35a RdNr. 10 ff.; Kunkel in LPK-SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 35a RdNr. 16).

2.2. Der Beklagte geht aufgrund des fachärztlichen Gutachtens des ...-Klinikums vom .... Januar 2013, in welchem eine Rechenstörung mit einer daraus resultierenden Anpassungsstörung festgestellt wurde, zutreffend davon aus, dass bei der Klägerin eine seelische Störung i.S.d. § 35a Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII vorliegt.

2.3. Die in § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII genannte zweite Voraussetzung für die Gewährung von Eingliederungshilfe, das sog. Integrationsrisiko, ist auf der Basis des von einem Arzt oder Psychotherapeuten erstellten Gutachtens festzustellen. Allerdings liegt die Federführung hierbei beim Jugendamt selbst und dessen Einschätzung über das Vorliegen eines Integrationsrisikos ist trotz des Vorliegens eines unbestimmten Rechtsbegriffs gerichtlich voll überprüfbar (BayVGH, B.v. 21.1.2009 – 12 CE 08.2731 – BayVBl. 2010, 412; VG Hamburg, U.v. 24.11.2009 – 13 K 4032/07 - juris RdNr. 35). Bei der Prüfung der zweiten Voraussetzung für die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII haben die Fachkräfte des Jugendamts aufgrund ihrer umfassenden Kenntnis des sozialen Umfelds des betroffenen Kindes oder Jugendlichen und ihres sozialpädagogischen und gegebenenfalls psychologischen Sachverstands selbst zu beurteilen, wie sich die Funktionsbeeinträchtigung im Hinblick auf die Teilhabe des Kindes oder Jugendlichen am Leben in der Gesellschaft auswirkt, ohne dass insoweit überhaupt eine fachärztliche oder psychotherapeutische Stellungnahme erforderlich ist (OVG Lüneburg, B.v. 4.2.2009 – 4 LC 514/07 – juris RdNr. 35; VG Hamburg, U.v. 24.11.2009 – 13 K 4032/07 – juris RdNr. 35). Das Jugendamt ist dabei, anders als hinsichtlich der Diagnose einer seelischen Störung, nicht an eventuelle Aussagen des Arztes bzw. Psychiaters zum Vorliegen eines Integrationsrisikos gebunden. Dies bedeutet zwar nicht, dass die fachärztliche Stellungnahme für die Beurteilung der Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII) keinerlei Bedeutung hätte (OVG Lüneburg, B.v. 11.6.2008 – 4 ME 184/08 – NDV-RD 2009, 49). Das Jugendamt muss jedoch hinsichtlich des Vorliegens eines Integrationsrisikos nicht zwingend die Einschätzung des Gutachters im Sinne des § 35a Abs. 1a SGB VIII teilen (VG München, U.v. 23.5.2007 – M 18 K 05.5191 – juris RdNr. 25 unter Verweis auf BayVGH, B.v. 28.11.2006 – 12 CE 06.2558 – juris RdNr.13).

Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII ist gekennzeichnet durch die aktive, selbstbestimmte und altersgemäße Ausübung sozialer Funktionen und Rollen in den das Kind bzw. den Jugendlichen betreffenden Lebensbereichen wie Familie, Verwandtschafts- und Freundeskreis, Schule und außerschulischen Betätigungsfeldern sowie Ausbildungsbereichen (Wiesner, SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 35a RdNr. 19). Für die Frage des Vorliegens einer seelischen Behinderung im Sinne von § 35a Abs. 1 SGB VIII kommt es auf das Ausmaß, den Grad der seelischen Störungen an. Entscheidend ist, ob die seelischen Störungen nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv sind, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft, also die Partizipation an der Gesellschaft, beeinträchtigen (BVerwG, U.v. 26.11.1998 – 5 C 38/97 – juris RdNr. 15). Die Teilhabebeeinträchtigung, die nach Feststellung einer seelischen Störung im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII zur Feststellung einer seelischen Behinderung führt, ist hierbei von den allgemeinen Belastungen des Lebens abzugrenzen (VG Hamburg, U.v. 24.11.2009 – 13 K 4032/07 – juris RdNr. 37). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts begründen bloße Schulprobleme oder Schulängste, die auch andere Kinder teilen, noch kein Integrationsrisiko. Als Beispiele für das Vorliegen eines Integrationsrisikos aufgrund seelischer Störungen werden die auf Versagensängsten beruhende Schulphobie, die totale Schul- und Lernverweigerung, der Rückzug aus jedem sozialen Kontakt und die Vereinzelung in der Schule angeführt (BVerwG, U.v. 26.11.1998 – 5 C 38/97 – juris RdNr. 15). Eine Schulunlust muss so ausgestaltet sein, dass das Kind bzw. der Jugendliche nicht mehr am Schulleben teilnimmt, sich abkapselt, ausgrenzt oder ausgegrenzt wird (VG Hamburg, U.v. 24.11.2009 – 13 K 4032/07 – juris RdNr. 38). Erforderlich ist eine nachhaltige Einschränkung der sozialen Funktionsfähigkeit des Betroffenen (OVG Münster, B.v. 28.10.2011 – 12 A 1174/11 – juris RdNr. 12; VG Göttingen, U.v. 30.11.2006 – 2 A 429/05 – juris RdNr. 38). Insofern ist bei Schulproblemen, die auch viele andere Kinder haben, z.B. bei Gehemmtheit, Versagensängsten oder Schulunlust, ein Integrationsrisiko nicht (zwingend) gegeben (VG Göttingen, U.v. 30.11.2006 – 2 A 429/05 – juris RdNr. 38). Nicht jede dyskalkuliebedingte Beeinträchtigung des Schulbesuchs ist daher eine Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII (VG Münster, U.v. 20.4.2009 – 6 K 1312/07 – juris RdNr. 42). Nicht jeder von Dyskalkulie Betroffene ist dem Personenkreis des § 35a SGB VIII zuzurechnen, mit der Folge, dass ihm Jugendhilfe zu gewähren wäre (vgl. OVG Magdeburg, B.v. 22.1.2013 – 4 L 1/13 – juris RdNr. 9ff.).

Das Gericht geht vorliegend davon aus, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. der Bedarfsdeckung die Teilhabe der Klägerin am Leben in der Gesellschaft nicht im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 1. Alt. SGB VIII beeinträchtigt war. Bei der Klägerin waren keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass sie bereits nachhaltig in ihrer Fähigkeit zur aktiven, selbstbestimmten und altersgemäßen Ausübung sozialer Funktionen und Rollen in den sie betreffenden Lebensbereichen beeinträchtigt war. Da vorliegend allein die Erstattung der Kosten für eine bereits begonnene und inzwischen wieder beendete Hilfemaßnahme in Form einer Dyskalkulietherapie begehrt wird und das Gericht das Vorliegen eines Integrationsrisikos im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII ohne Berücksichtigung eines Beurteilungsspielraums des Beklagten vollumfänglich überprüfen darf, ist jedenfalls vorliegend für die Beurteilung des Integrationsrisikos die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. zum Zeitpunkt der Bedarfsdeckung maßgebend (Kunkel in LPK-SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 36a RdNr. 11; VG Hannover, U.v. 10.2.2012 – 3 A 2962/11 – juris RdNr. 24).

Ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII bestünde jedoch auch dann, wenn zwar die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft noch nicht beeinträchtigt ist, eine solche Beeinträchtigung jedoch zu erwarten ist. Nach § 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII sind diejenigen Kinder von einer seelischen Behinderung bedroht, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Einschätzung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Insofern ist eine Prognosebeurteilung dahingehend nötig, ob und gegebenenfalls wann bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit der Eintritt einer Behinderung zu erwarten ist (BVerwG, U.v. 26.11.1998 – 5 C 38/97 - juris RdNr. 16). Die geforderte hohe Wahrscheinlichkeit einer Teilhabebeeinträchtigung und damit einer seelischen Behinderung ist nicht bereits dann gegeben, wenn eine bloß allgemein oder theoretisch bestehende Möglichkeit einer seelischen Behinderung im Sinne einer abstrakten Gefahrenlage gegeben ist (VGH Mannheim, U.v. 4.11.1997 – 9 S 1462/96 – juris RdNr. 29; VG München, U.v. 11.10.2000 – M 18 K 98.4166 – juris RdNr. 46). Vielmehr ist eine Wahrscheinlichkeit der Teilhabebeeinträchtigung von wesentlich mehr als 50% erforderlich (BVerwG, U.v. 26.11.1998 – 5 C 38/97 - juris RdNr. 16; BayVGH; B.v. 26.3.2001 – 12 ZB 01.219 – juris RdNr. 7). Dies setzt voraus, dass über die abstrakte Gefährdungslage hinaus bereits konkrete Anzeichen dafür vorhanden sind, dass ohne eine entsprechende Hilfe die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und damit eine seelische Behinderung eintreten würde. Ansonsten käme dem Erfordernis einer zu erwartenden Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Alt. SGB VIII neben der Voraussetzung einer seelischen Störung nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII keinerlei eigenständige Bedeutung zu. An solchen konkreten Anzeichen für eine zu erwartende Teilhabebeeinträchtigung der Klägerin fehlte es vorliegend.

Bezogen auf den häuslichen und außerschulischen Bereich wurden keinerlei Verhaltensauffälligkeiten genannt. Die Tatsache, dass die Klägerin durch „soziale Arbeitsteilung“ mit ihren Freunden in alltäglichen Situationen ihre Rechenschwäche umgehen kann, ist eher auf gruppendynamische Prozesse zurückzuführen, als das hieraus konkret die Gefahr eine Beeinträchtigung der Klägerin an der Teilnahme in der Gesellschaft abzuleiten wäre. Die Klägerin war vielmehr in stabile Freundschaften eingebunden und es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Freundschaften durch die Rechenschwäche belastet waren. Die Klägerin war zudem beim TSV ... in die Gemeinschaft eines Vereins integriert und besuchte regelmäßig die Konfirmandengruppe der Evangelischen Kirche.

Sowohl nach der Schulstellungnahme vom .... September 2012 sowie den vorgelegten Leistungsdokumentationen, den Angaben der Eltern im Elternfragebogen vom .... August 2012 und den Ausführungen in der Klagebegründung war die Klägerin in der Schule gut integriert und auch von anderen sozial anerkannt. Ihr Sozialverhalten gab nach den Beschreibungen der Zeugnisse keinen Anlass zu Beanstandungen und wurde ganz überwiegend als positiv beschrieben. Sie wurde in der Schulstellungnahme vom .... September 2012, in den Leistungsdokumentationen und im Gutachten des ...-Klinikums als offen für andere, aufgeschlossen, hilfsbereit und freundlich dargestellt. Die Klägerin war mit einzelnen Klassenkameraden befreundet und traf sich mit diesen auch außerhalb der Schule. Entsprechend der Angaben hatte die Klägerin keinerlei Verweigerungshaltung gegenüber der Schule. Sie war vielmehr gut in den Klassenverband, die Schule allgemein und in ihr persönliches Umfeld integriert. Es wurde hervorgehoben, dass die Stärken der Klägerin gerade im sozialen Bereich liegen. Mit der beschriebenen fehlenden Verweigerungshaltung gegenüber der Schule korrespondiert auch das in den Leistungsdokumentationen durchweg beschriebene Interesse der Klägerin an neuen Lerninhalten und ihrer Fähigkeit sowohl selbstständig als auch im Team zu arbeiten. Es wird das Bild einer lernwilligen, leistungsbereiten und motivierten Schülerin gezeichnet.

All dies spricht gegen eine (sich andeutende) totale Schul- und Lernverweigerung und einen drohenden Rückzug aus jedem sozialen Kontakt sowie gegen eine sich andeutende Vereinzelung in der Schule und vermag insofern konkrete Anzeichen für derartig nachhaltige Einschränkungen der sozialen Funktionsfähigkeit der Klägerin nicht zu begründen. Solche ergeben sich im Übrigen auch nicht aus den schulischen Leistungen der Klägerin. Laut der Schulstellungnahme vom .... September 2014 sind die Leistungen der Klägerin im Bereich Lesen sehr gut und im Bereich Rechtschreiben durchschnittlich bis gut. Lediglich im Bereich Mathematik wurde die Leistung mit sehr schwach angegeben. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne von § 35a Abs. 3 SGB VIII, § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII), wozu auch die von der Klägerin begehrte Dyskalkulietherapie zählt, nicht Hilfe zur optimalen Schulbildung und damit auch nicht Hilfe zur Notenverbesserung bedeutet (vgl. BayVGH, U.v 14.5.2011 –12 B 98.2022 – juris RdNr. 31; VG Münster, U.v. 20.4.2009 – 6 K 1312/07 – juris RdNr. 42). Insofern kann auch die Angst der Klägerin, den Schulabschluss aufgrund der Dyskalkulie nicht zu schaffen, für sich genommen nicht die Gefahr einer Teilhabebeeinträchtigung begründen. Auch aus den Leistungsdokumentationen der Oberstufe ist insgesamt keine Tendenz einer deutlichen Verschlechterung der Leistungen erkennbar, die eventuell Anhaltspunkte für eine beginnende totale Lern- bzw. Schulverweigerung oder eine Schulphobie liefern könnte.

Die im Gutachten des ...-Klinikums vom .... Januar 2013 und in der Schulstellungnahme beschriebene erhöhte Tendenz, sich im Sinne der sozialen Erwünschtheit darzustellen und die leichten Hinweise auf Gefühle von Unzulänglichkeit und Hilflosigkeit in Prüfungssituationen bzw. die Anzeichen für Versagensängste im Bereich der Mathematik können vorliegend gleichwohl nicht die Erwartung einer Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII begründen. Dass man etwas, wobei man Schwierigkeiten hat, nicht gerne macht und unsicher ist bzw. Angst hat zu versagen, ist weit verbreitet. Diese Verhaltensweise teilt die Klägerin mit vielen anderen Kindern und Jugendlichen. Hierin waren zum Zeitpunkt der Bedarfsdeckung keine konkreten Anzeichen für eine einsetzende totale Lern- bzw. Schulverweigerung zu sehen. Zumal sich die Klägerin ihrer Rechenschwäche sehr bewusst war und gezielt daran arbeiten wollte. Laut der Leistungsdokumentationen und der Schulstellungnahme, wollte sich die Klägerin in diesem Bereich unbedingt verbessern. Hiernach hat sie sich sehr bemüht und überwiegend aus eigenem Antrieb gelernt. Auch dies steht konkreten Anhaltspunkten dafür entgegen, dass sich die Klägerin aufgrund ihrer Schwierigkeiten beim Rechnen in eine Verweigerungshaltung zurückziehen und so in ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt werden könnte.

Die für § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Alt., Satz 2 SGB VIII geforderte hohe Wahrscheinlichkeit einer Teilhabebeeinträchtigung ist nicht bereits dann gegeben, wenn eine bloß allgemein oder theoretisch bestehende Möglichkeit einer seelischen Behinderung im Sinne einer abstrakten Gefahrenlage gegeben ist (VGH Mannheim, U.v. 4.11.1997 – 9 S 1462/96 – juris Rn. 29), sondern es müssen über die abstrakte Gefährdungslage hinaus bereits konkrete Anzeichen dafür vorhanden sein, dass ohne eine entsprechende Hilfe die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und damit eine seelische Behinderung eintreten würde. Auch aus den Ausführungen in der Klagebegründung wonach bei der Klägerin vieles im Verborgenen liegen solle, kann diese Erwartung einer Teilhabebeeinträchtigung der Klägerin im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Alt. SGB VIII nicht entnommen werden. Diese Vermutung lässt völlig offen, welche Störungen bei der Klägerin tatsächlich bereits manifest oder zu erwarten sein sollen und ist daher auch nicht geeignet, das durchgehend positive Bild der Klägerin, das sich aus den Schilderungen der Eltern der Klägerin, der Lehrer und letztlich auch aus dem Gutachten des ...-Klinikums speist, ins Gegenteil zu verkehren.

Gegen eine zu erwartende Teilhabebeeinträchtigung spricht auch, dass die Klägerin hinsichtlich ihrer Schwierigkeiten beim Rechnen von ihrer Familie viel Unterstützung und Rückhalt erfährt und die mit den Schwierigkeiten verbundene Belastung dadurch wesentlich gemildert wird. Sie wird in ihrer Familie aufgefangen. Zudem wird sie von ihren Eltern in ihrer Entwicklung fortlaufend beobachtet, so dass zu erwarten ist, dass eine konkret drohende Verschlechterung der Situation frühzeitig erkannt wird und dadurch rechtzeitig die Möglichkeit zur Gegensteuerung besteht (vgl. VG Hamburg, U.v. 24.11.2009 – 13 K 4032/07 – juris RdNr. 60). Für die Prognose einer zu erwartenden Teilhabebeeinträchtigung im Sinne von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Alt. SGB VIII ist der Beginn der Bedrohung von einer Teilhabebeeinträchtigung so früh, aber eben auch nicht früher anzusetzen, als noch erfolgversprechende Eingliederungshilfemaßnahmen gegen den Eintritt der Behinderung eingesetzt werden können (BVerwG, U.v. 26.11.1998 – 5 C 38/97 – juris RdNr. 16).

Derzeit besteht keine Teilhabebeeinträchtigung der Klägerin und es gibt auch keine konkreten Anzeichen für eine drohende Teilhabebeeinträchtigung. Daher war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO.

Gründe

1

Der am (…) 2001 geborene Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für eine Dyskalkulietherapie.

2

Nachdem er im August 2008 in die Grundschule N. in A-Stadt eingeschult worden war, beantragte der Kläger am 4. Februar 2010 unter Beifügung eines zwischen seinen Eltern und dem Zentrum zur Therapie der Rechenschwäche (ZTR) A-Stadt-B-Stadt geschlossenen Vertrages bei der Beklagten die „Kostenübernahme für die Dyskalkulietherapie“. Nach dem am 25. November 2009 geschlossenen Vertrag nahm der Kläger bereits seit dem 1. November 2009 an einer Einzeltherapie (45 min/Woche) teil. Die Kosten der Therapie beliefen sich nach Nr. 3 des Vertrages auf 235,50 € pro Monat. Dem Antrag weiter beigefügt waren ein kinderpsychiatrisches Gutachten einer Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin/Psychotherapie vom 11. Januar 2010, eine von seiner Klassenlehrerin am 8. Oktober 2009 erstellte schriftliche Einschätzung des Lern- und Sozialverhaltens des Klägers sowie das Ergebnis einer vom Landesverwaltungsamt durchgeführten Überprüfung zur Feststellung einer Lernstörung vom 25. August 2009.

3

Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes der Beklagten führte mit dem Kläger und seiner Mutter am 2. März 2010 ein Gespräch. Danach lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. März 2010 die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII ab. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII seien nicht erfüllt. Soweit die schulische Förderung, wie für den Kläger erfolgt, präsent sei, bestehe keine Leistungspflicht der Jugendhilfe. Eine drohende Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Sinne einer Partizipation habe nicht festgestellt werden können.

4

Der Kläger hat am 21. April 2010 beim Verwaltungsgericht Halle Klage erhoben und die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihm Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für die Therapie seiner Rechenschwäche im ZTR A-Stadt-B-Stadt zu gewähren. Er hat im Wesentlichen geltend gemacht, die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII seien erfüllt. Seine Rechenschwäche habe zu manifesten Ängsten und einer deutlichen Selbstwertstörung geführt. Es handele sich dabei um eine seelische Störung, die vom alterstypischen Zustand abweiche und auch im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung bereits länger als sechs Monate vorgelegen habe. Weiterhin sei seine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt.

5

Mit auf die mündliche Verhandlung vom 3. Februar 2011 ergangenem Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Da sich der Kläger die Hilfe bereits beschafft habe, sei § 36a Abs. 3 SGB VIII Rechtsgrundlage für die begehrte Kostenübernahme. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen aber nicht vor, da der Kläger die Beklagte als Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt habe; ein Ausnahmefall läge nicht vor. Äußerst zweifelhaft sei, ob gem. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe (§ 35a SGB VIII) vorgelegen hätten. Jedenfalls aber sei die Bedarfsdeckung nicht i.S.d. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII unaufschiebbar gewesen.

6

Auf den Antrag des Klägers hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt die Berufung gegen das Urteil wegen ernstlicher Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Der Kläger habe zu Recht geltend gemacht, die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung trage die Entscheidung allenfalls für den Zeitraum vom 1. November 2009 bis zur Ablehnung mit dem Bescheid vom 25. März 2010 und für den weiteren Zeitraum habe das Gericht der Frage nachgehen müssen, ob die Voraussetzungen nach § 35a Abs. 1 SGB VIII vorlägen. Diese Frage habe das Verwaltungsgericht aber ausdrücklich offen gelassen.

7

Der Kläger hat fristgerecht Berufung eingelegt und geltend gemacht, die Berufung richte sich lediglich gegen die Nichtgewährung der Eingliederungshilfe ab dem 26. März 2010. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass eine unzulässige Selbstbeschaffung lediglich den Zeitraum bis zur ablehnenden Entscheidung betreffe. Ab dem Zeitpunkt 26. März 2010 sei Rechtsgrundlage des Anspruchs § 35a Abs. 1 SGB VIII, dessen Voraussetzungen bei ihm gegeben seien. Es läge eine seelische Störung i.S.d.  § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vor. Auch sei eine Teilhabebeeinträchtigung i.S.d. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII gegeben.

8

Der Kläger beantragt,

9

das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 7. Kammer - vom 3. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 25. März 2010 zu verpflichten, ihm ab dem 26. März 2010 Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten einer Rechenschwächetherapie im ZTR A-Stadt-B-Stadt zu gewähren.

10

Die Beklagte beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Sie macht geltend, auch für den Zeitraum ab dem 26. März 2010 seien weder die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII noch des § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII gegeben.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorganges, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.

II.

14

Der Kläger hat die Berufung hinsichtlich der Gewährung von Eingliederungshilfe für den Zeitraum vom 1. November 2009 bis 25. März 2010 zurückgenommen, so dass das Verfahren insoweit gem. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen war. Das Verwaltungsgericht hatte die Klage, die auf die Verpflichtung zur Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für die ab 1. November 2009 begonnene Therapie seiner Rechenschwäche im ZTR A-Stadt-B-Stadt gerichtet war, in vollem Umfang abgewiesen. Auf den dagegen erhobenen, im Umfang nicht eingeschränkten Zulassungsantrag des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zugelassen. Soweit der Kläger nunmehr in der Berufungsbegründung beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihm ab dem 26. März 2010 Eingliederungshilfe in der Form der Kostenübernahme zu gewähren, liegt darin - worauf der Kläger auch mit Schreiben des Berichterstatters des Senats vom 29. Januar 2013 hingewiesen worden ist eine teilweise Klagerücknahme.

15

Im Übrigen entscheidet der Senat über die zulässige Berufung durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO, weil er sie einstimmig für unbegründet und bei geklärtem Sachverhalt keine mündliche Verhandlung für erforderlich hält.

16

Die Beteiligten wurden dazu angehört (§§ 130a Satz 2 i.V.m. 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Eine erneute Anhörung auf Grund des Schriftsatzes des Klägers vom 26. März 2013 musste nicht erfolgen. Die Verfahrensbeteiligten sind nur dann durch eine erneute Anhörungsmitteilung von der fortbestehenden Absicht des Gerichts in Kenntnis zu setzen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn nach der entsprechenden Ankündigung ein erheblicher Beweisantrag gestellt wurde oder sich die prozessuale Lage des Rechtsstreits nach einer Anhörungsmitteilung wesentlich ändert, etwa dadurch, dass ein Prozessbeteiligter seinen bisherigen Sachvortrag in erheblicher Weise ergänzt oder erweitert (vgl. BVerwG, Beschlüsse v. 17. August 2010 - 10 B 19/10 - und v. 15. Mai 2008 - 2 B 77/07 - jeweils zit. nach JURIS). Eine solche möglicherweise entscheidungserhebliche Änderung der Prozesssituation lag nicht vor, weil der Kläger in diesem Schriftsatz lediglich auf die in der Berufungsbegründung dargelegten Gründe verweist.

17

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Eingliederungshilfe für einen Zeitraum ab dem 26. März 2010.

18

Der Anspruch auf Gewährung von Jugendhilfe kann grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang zum Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemacht werden, in dem der Träger der Jugendhilfe den Hilfefall geregelt hat. Das ist regelmäßig der Zeitraum bis zur letzten Verwaltungsentscheidung. Eine Ausnahme von der Regel, dass Gegenstand der gerichtlichen Nachprüfung nur dieser Zeitraum ist, gilt nur dann, wenn die Behörde den Hilfefall statt für den dem Bescheid nächstliegenden Zahlungszeitraum für einen längeren Zeitraum geregelt hat (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 17. Juni 1996 - 5 B 222.95 -; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 19. Januar 2011 - 4 LB 154/10 - unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 8. Juni 1995 - 5 C 30/93 -; vgl. auch VGH Hessen, Urt. v. 4. Mai 2010 - 10 A 1623/09 -; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23. April 2007 - 3 M 215/06 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24. Mai 2005 - 12 E 608/04 - jeweils zit. nach JURIS).

19

Wegen des Ausschlusses des Vorverfahrens gem. § 8a Abs. 1 Satz 1 AG VwGO LSA, § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 3 KJHG LSA stellt der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 25. März 2010 zugleich die letzte Behördenentscheidung dar. Dem Bescheid lässt sich nicht entnehmen, dass die Ablehnung der begehrten Hilfe abweichend von der Regel auch einen bestimmten Zeitraum nach Erlass des Bescheides erfassen sollte. Weder der am 4. Februar 2010 eingegangene Kostenübernahmeantrag und der dem zugrunde liegende Therapievertrag vom 25. November 2009 noch der Bescheid selbst enthalten eine zeitliche Begrenzung oder zumindest einen Hinweis auf eine Begrenzung nach dem Schuljahr oder dem gesamten Grundschulbesuch des Klägers. Der Therapievertrag kann vielmehr nach seiner Nr. 6 ohne Angabe von Gründen mit einer Frist von sechs Monaten zum Monatsende gekündigt werden. Die Bezugnahme auf „die schulische Förderung“ in dem Bescheid deutet ebenfalls nicht in hinreichender Weise auf eine derartige Begrenzung hin. Der Kläger hat mit seinem Antrag vom 4. Februar 2010 weiterhin keine Leistungen für einen konkreten Zeitraum beantragt, so dass sich der Regelungszeitraum des Bescheides auch nicht mittelbar auf einen in die Zukunft reichenden Hilfezeitraum erstreckt.

20

Trotz eines Hinweises mit einem Schreiben des Berichterstatters des Senats vom  29. Januar 2013 ist der Kläger dieser Rechtsauffassung weder entgegen getreten noch hat er geltend gemacht, er habe in der Folgezeit weitere Leistungsanträge bei der Beklagten gestellt, die nach Ablehnung in das anhängige Verfahren einzubeziehen seien.

21

Es kann danach offen bleiben, ob einem Hilfeanspruch auch entgegen steht, dass der Kläger seit dem 26. März 2010 tatsächlich keine Therapiemaßnahmen im ZTR A-Stadt-B-Stadt mehr erhalten hat. Auf eine entsprechende Nachfrage des Gerichts hat der Kläger nicht reagiert.

22

Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob im Falle des Klägers überhaupt die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII gegeben sind (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 22. Januar 2013 - 4 L 1/13 -, zit. nach JURIS).

23

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.

24

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

25

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.


(1) Hilft die Behörde dem Widerspruch nicht ab, so ergeht ein Widerspruchsbescheid. Diesen erläßt

1.
die nächsthöhere Behörde, soweit nicht durch Gesetz eine andere höhere Behörde bestimmt wird,
2.
wenn die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- oder oberste Landesbehörde ist, die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat,
3.
in Selbstverwaltungsangelegenheiten die Selbstverwaltungsbehörde, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt wird.
Abweichend von Satz 2 Nr. 1 kann durch Gesetz bestimmt werden, dass die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, auch für die Entscheidung über den Widerspruch zuständig ist.

(2) Vorschriften, nach denen im Vorverfahren des Absatzes 1 Ausschüsse oder Beiräte an die Stelle einer Behörde treten, bleiben unberührt. Die Ausschüsse oder Beiräte können abweichend von Absatz 1 Nr. 1 auch bei der Behörde gebildet werden, die den Verwaltungsakt erlassen hat.

(3) Der Widerspruchsbescheid ist zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und zuzustellen. Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes. Der Widerspruchsbescheid bestimmt auch, wer die Kosten trägt.

(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden.

(2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.

(3) Die Behörde darf die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.