Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 11. März 2015 - 3 M 9/15

ECLI:ECLI:DE:OVGST:2015:0311.3M9.15.0A
bei uns veröffentlicht am11.03.2015

Gründe

1

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

Die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, greifen nicht durch.

3

Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, den Antragsteller vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache am Unterricht der Jahrgangsstufe 7 teilnehmen zu lassen, hilfsweise ihn vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache am Unterricht der Jahrgangsstufe 7 mit hauptschulbezogenen Schulunterricht teilnehmen zu lassen.

4

Der Senat lässt es zunächst offen, ob im Zeitpunkt der Antragstellung am 10. Oktober 2014 ein Anordnungsgrund bestanden hat, da der Unterricht nach den Sommerferien bereits am 3. September 2014 begonnen hatte. Es ist zumindest fraglich, ob ein Einstieg in den Unterricht der siebten Klasse mehrere Wochen nach Beginn des Unterrichts noch pädagogisch sinnvoll ist, da die versäumten Lehrinhalte parallel zum laufenden Unterricht nachgeholt werden müssen.

5

Das Verwaltungsgericht ist jedenfalls zu Recht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall kein Anordnungsanspruch gegeben ist. In schulrechtlichen Nichtversetzungssachen ist eine Regelungsanordnung mit dem Inhalt, vorläufig die Teilnahme am Unterricht der erstrebten Klasse oder Jahrgangsstufe zu ermöglichen, nur dann zu erlassen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass erstens gegen die Rechtmäßigkeit der Nichtversetzungsentscheidung ernsthafte Bedenken bestehen und dass zweitens die Versetzungskonferenz bei einer erneuten Entscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Versetzung aussprechen wird (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 14.12.2009 - 9 S 2480/09 -, juris; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 23.11.1999 - 13 M 3944 u. 4473/99 -, juris; HessVGH, Beschl. v. 05.02.1993 - 7 TG 2479/92 -, juris).

6

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Antragsteller hinsichtlich einer vorläufigen Versetzung in die siebte Jahrgangsstufe, hilfsweise hinsichtlich des hauptschulbezogenen Unterrichts dieser Jahrgangsstufe nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller ist bei der nur möglichen summarischen Prüfung im vorliegenden Verfahren aufgrund seiner Noten im Zeugnis vom 18. Juli 2014 nicht zu versetzen.

7

Der Antragsteller hat weder Tatsachen dargelegt noch glaubhaft gemacht, aufgrund derer ihm ein Recht auf Versetzung in die siebte Klasse der Sekundarschule, hilfsweise hinsichtlich des hauptschulbezogenen Unterrichts dieser Klassenstufe zusteht.

8

Gemäß § 4 Abs. 1 und 2 der Versetzungsverordnung vom 17. Dezember 2009 (VersetzVO, GVBl. LSA, S. 730) erfolgt eine Versetzung, wenn die Schülerin oder der Schüler im Jahreszeugnis mindestens ausreichende Leistungen in allen versetzungsrelevanten Lernbereichen und Fächern nachweisen kann oder wenn ohne weitere nicht ausreichende Leistungen in anderen Fächern in nur einem sonstigen versetzungsrelevanten Fach mangelhafte Leistungen vorliegen. Eine Versetzung erfolgt auch, wenn höchstens mangelhafte Leistungen in einem Kernfach und mangelhafte Leistungen in einem sonstigen versetzungsrelevanten Fach oder mangelhafte Leistungen in höchstens zwei sonstigen versetzungsrelevanten Fächern vorliegen und alle nicht ausreichenden Leistungen ausgeglichen werden. Dabei können die mangelhafte Leistung in einem Kernfach nur durch mindestens befriedigende Leistungen in einem anderen Kernfach und mangelhafte Leistungen in sonstigen versetzungsrelevanten Fächern nur durch jeweils mindestens befriedigende Leistungen in anderen versetzungsrelevanten Fächern ausgeglichen werden. Gemäß § 4 Abs. 3 VersetzVO ist ggf. auch nach einem Antrag der Erziehungsberechtigten gemäß § 6 Abs. 2a VersetzVO in den auf den Hauptschulabschluss bezogenen Unterricht auch zu versetzen, wenn neben höchstens einer gemäß § 4 Abs. 2 VersetzVO auszugleichenden mangelhaften Leistung in einem sonstigen versetzungsrelevanten Fach höchstens eine ungenügende Leistung in einem sonstigen versetzungsrelevanten Fach durch eine mindestens gute Leistung in einem anderen Fach ausgeglichen werden kann. Gemäß § 3 Abs. 3 VersetzVO sind Kernfächer in der Sekundarstufe I Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache. Die sonstigen versetzungsrelevanten Fächer sind gemäß § 3 Abs. 2 VersetzVO i. V. m. der Anlage zu § 3 Abs. 2 VersetzVO Astronomie, Biologie, Chemie, Ethikunterricht/Religionsunterricht, Geographie, Geschichte, Hauswirtschaft, Kunsterziehung, Musik, Physik, Sozialkunde, Sport, Technik und Wirtschaft sowie die Wahlpflichtfächer Angewandte Naturwissenschaften; Kultur und Künste; Moderne Medienwelten; Planen, Bauen und Gestalten, Rechtskunde sowie die zweite Fremdsprache.

9

Da der Antragsteller im Abschlusszeugnis der sechsten Klasse vom 18. Juli 2014 in den Fächern Biologie, Physik und Geschichte jeweils die Note „Mangelhaft“ und im Fach Geographie die Note „Ungenügend“ erhalten hat und in keinem der weiteren (versetzungsrelevanten) Fächer die Note „Gut“ erhalten hat, sind sowohl die Voraussetzungen für eine Versetzung in die siebte Klasse mit dem auf den Realschulabschluss bezogenen Unterricht als auch für eine Versetzung in die siebte Klasse mit dem hauptschulabschlussbezogenen Unterricht nicht gegeben.

10

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass auch keine Versetzung des Antragstellers aufgrund der sog. Prognoseklausel in § 4 Abs. 7 VersetzVO, mit welcher die gesetzliche Regelung in § 34 Abs. 5 Satz 2 SchulG LSA aufgrund der Ermächtigung in § 35 Abs. 1 Nr. 3 SchulG LSA konkretisiert worden ist, möglich ist. Erfüllt eine Schülerin oder ein Schüler die Versetzungsvoraussetzungen nicht und gehen die nicht ausreichenden Leistungen auf einen Schulwechsel, ein krankheits- oder schwangerschaftsbedingtes Fehlen im Unterricht oder andere besondere individuelle Belastungen zurück, so kann die Klassenkonferenz eine Versetzung beschließen, wenn unter Berücksichtigung der individuellen Gesamtentwicklung zu erwarten ist, dass die Schülerin oder der Schüler die Anforderungen des nächst höheren Schuljahrgangs bewältigen kann. Mit dieser Regelung soll eine Versetzung in den Fällen einer zeitlich begrenzten individuellen Belastung, welche sich negativ auf das Leistungsvermögen einer Schülerin oder eines Schülers ausgewirkt hat, ermöglicht werden. Der Antragsteller legt bereits nicht dar, dass es sich bei dem ihm vorhandenen persistierenden Moro-Reflex um eine besondere individuelle Belastung im Sinne dieser Vorschrift handelt.

11

Der Antragsteller hat auch nicht substantiiert dargelegt und glaubhaft gemacht, dass seine Leistungen in mehreren Fächern mit einer besseren Note als „Mangelhaft“ bzw. „Ungenügend“ hätten bewertet werden müssen. Insoweit ist in Rechnung zu stellen, dass Zeugnisnoten wie Prüfungsentscheidungen nicht in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegen. Sie sind vielmehr in einem Bezugssystem zu sehen, das durch die persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen der Lehrer, welcher der Klassenkonferenz angehören, aus ihrer Praxis beeinflusst wird. Ob die Leistung eines Schülers danach gut, durchschnittlich oder mangelhaft ist, bewertet der zu einem höchstpersönlichen Fachurteil berufene Klassenkonferenz nach pädagogischen, fachspezifischen Kriterien. Dieser der Klassenkonferenz zustehende Beurteilungsspielraum ist gerichtlich nur daraufhin zu überprüfen, ob das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, die Klassenkonferenz von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt oder sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, insbesondere ob die Beurteilung unter keinem erdenklichen wissenschaftlichen oder pädagogischen Gesichtspunkt gerechtfertigt sein kann und daher willkürlich ist (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 28.09.2007 - 3 M 180/06 -, juris).

12

Gemessen an diesen Maßstäben hat der Antragsteller nicht dargelegt, dass die Noten in den Fächern Biologie, Physik, Geschichte und Geographie von der Klassenkonferenz am 2. Juli 2014 fehlerhaft gebildet worden sind.

13

Soweit der Antragsteller auf den bei ihm festgestellten persistierenden Moro-Reflex verweist, ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin rechtswidrig von der Gewährung eines Nachteilsausgleiches abgesehen hat. Auf die Gewährung eines Nachteilsausgleichs - gestützt auf den Grundsatz der Chancengleichheit - besteht ein verfassungsrechtlicher Anspruch, weil der Nachteilsausgleich es dem behinderten Prüfungsteilnehmer lediglich unter Wahrung der für alle Prüflinge geltenden Leistungsanforderungen ermöglichen soll, sein tatsächlich vorhandenes („wahres“) Leistungsvermögen nachzuweisen. Ein Nachteilsausgleich darf allerdings nur insoweit gewährt werden, als dies zur Herstellung der Chancengleichheit erforderlich ist. Die „Überkompensation“ der Behinderungen des Prüfungsteilnehmers durch Art oder Umfang des gewährten Nachteilsausgleichs führt zu einer Verletzung der Chancengleichheit der anderen Prüfungsteilnehmer (Schüler) und ist insoweit unzulässig (vgl. BayVGH, Urt. v. 28.05.2014 - 7 B 14.22 -, juris; OVG LSA, Beschl. v. 10.02.2014 - 3 M 358/13 -, juris zum über einen Nachteilsausgleich hinausgehenden Notenschutz).

14

§ 33 Abs. 1 Satz 2 SchulG LSA bestimmt in Ausgestaltung dieses Anspruchs, dass unterschiedlichen Bildungschancen und Begabungen durch besondere Förderung der betreffenden Schülerinnen und Schüler entsprochen werden soll. Die Pflicht, die Entwicklung der einzelnen wie aller Schülerinnen und Schüler zu fördern, bestimmt auch Inhalt und Ausmaß der Verordnungsermächtigung des § 35 Abs. 2 SchulG LSA. Auf dieser Grundlage hat das Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt die Verordnung über die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsbedarf vom 8. August 2013 (GVBl. LSA S. 414 - SoPädFV ST 2013 -) erlassen. § 7 Sätze 1 bis 3 SoPädFV ST 2013 bestimmen, dass für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, Behinderungen oder festgestellten Beeinträchtigungen, die zielgleich unterrichtet werden, die Rahmenbedingungen für Leistungsfeststellungen im Unterricht oder bei Leistungsnachweisen so zu gestalten sind, dass sie ihre Leistungsmöglichkeiten nachweisen können. Die Formen des anzuwendenden Nachteilsausgleichs sind individuell nach dem jeweiligen Einzelfall zu bestimmen. Sie berücksichtigen die Anforderungen und Bestimmungen des besuchten Bildungsganges sowie der entsprechenden Abschlussverordnung.

15

Die Anforderungen und Bestimmungen des Bildungsgangs ergeben sich aus dem Runderlass des Kultusministeriums des Landes Sachsen-Anhalt „Leistungsbewertung und Beurteilung an allgemeinbildenden Schulen und Schulen des Zweiten Bildungsweges der Sekundarstufen I und II“ (RdErl. des MK vom 26.06.2012 - 2-83200 -, SVBl. LSA S. 103 - im Folgenden: Leistungsbewertungserlass). Dieser gewährt in Ziffer 1.5 Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen, leistungsbeeinträchtigenden chronischen Erkrankungen oder sonderpädagogischem Förderbedarf ein Recht auf Anwendung von Nachteilsausgleich. Welche Art des Nachteilsausgleiches in Betracht kommt, ist für die jeweils einschlägige Beeinträchtigung in den Ziffern 7.1 und 7.2 des Leistungsbewertungserlasses benannt.

16

Die Antragsgegnerin ist zu Recht davon ausgegangen, dass sich aus den der Klassenkonferenz bis zum 2. Juli 2014 vorgelegten Unterlagen nicht ergibt, dass eine der drei vorgenannten Beeinträchtigungen beim Antragsteller gegeben ist. Für die Feststellung, ob eine Behinderung i. S. d. § 2 Abs. 1 SGB IX vorliegt, ist im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nach § 69 SGB IX ärztliches Fachwissen heranzuziehen (vgl. BSG, Beschl. v. 20.11.2012 - B 9 SB 36/12 B -, juris). Auch für die Frage, ob eine leistungsbeeinträchtigende chronische Erkrankung vorliegt, bedarf es ebenfalls regelmäßig einer auf ärztlichem oder heilkundlichem Fachwissen beruhenden Diagnose (vgl. § 1 Abs. 2 HeilprG, § 2 Abs. 5 BÄO). Die vom Antragsteller vorgelegten Befundberichte der Ergotherapeutin (...) vermögen eine von einem Arzt oder anderen Heilkundler erstellte Diagnose nicht zu ersetzen, da der Beruf des Ergotherapeuten nicht als heilkundlicher Beruf zu bewerten ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.04.2013 - L 22 R 1149/11 -, juris unter Hinweis auf BSG, Urt. v. 04.06.1998 - B 12 KR 9/97 R -, juris). Die fachärztliche Stellungnahme der Frau Dr. (...), Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin vom 31. Juli 2013 enthält keinen Hinweis auf eine Erkrankung, insbesondere wird dort keine Entwicklungsstörung i. S. v. ICD-10 F 81 festgestellt. Auch in der weiteren fachärztlichen Stellungnahme der Frau Dr. (...) vom 2. Oktober 2014 wird nur allgemein auf ein Aufmerksamkeitsdefizit und einen erschwerten Entwicklungsprozess beim Antragsteller verwiesen, ohne dass festgestellt wird, dass diese Defizite einen Krankheitswert, etwa eine hyperkinetische Störung i. S. v. ICD-10 F 90, aufweisen.

17

Auch ein sonderpädagogischer Förderbedarf ist bis zum Ende des Schuljahres 2013/2014 für den Antragsteller nicht im Rahmen eines Verfahrens nach § 4 SoPädFV ST 2013 festgestellt worden. Es ist auch nicht dargelegt worden, dass seitens der Personensorgeberechtigten ein entsprechender Antrag gestellt worden ist.

18

Es wird mit der Beschwerdebegründung auch nicht dargelegt worden, dass die Leistungsbewertung in den Fächern Biologie, Geographie und Physik aus anderen Gründen fehlerhaft erfolgt ist.

19

Der im Prüfungsrecht maßgebliche Grundsatz der Chancengleichheit gilt auch bei der Bewertung schulischer Leistungen. Danach muss gewährleistet sein, dass Prüflinge bzw. hier Schüler ihre Prüfungsleistungen (schulischen Leistungen) möglichst unter gleichen äußeren (Prüfungs-)Bedingungen erbringen können und die gleichen Maßstäbe für die Bewertung einer Leistung gelten. Einem Schüler können die in den jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen vorgesehenen Abschlüsse und Berechtigungen prinzipiell nur dann zuerkannt werden, wenn er die hierfür erforderlichen Leistungen unter den gleichen Bedingungen wie die übrigen Schüler erbracht hat (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17.02.2000 - 19 A 3459/99 -, juris).

20

Soweit der Antragsteller hinsichtlich der Fächer Biologie und Physik rügt, dass ein von ihm gefertigtes Herbarium bzw. ein vorgelegter Physikhefter zu Unrecht nicht mehr in die Leistungsbewertung einbezogen worden seien, greift der Einwand nicht durch. Die Antragsgegnerin hatte im Vermerk der Schulleiterin vom 14. Oktober 2014 (Beiakte A Bl. 53) hierzu ausgeführt, dass das Herbarium bzw. der Physik-Hefter erst nach Notenschluss im Schulsekretariat abgegeben worden sei und daher nicht mehr in die Leistungsbewertung habe eingehen können. Zudem habe die Beschriftung des Herbariums nicht dem Anforderungsniveau der sechsten Klasse entsprochen. Zwar kann es im Einzelfall geboten sein, dass noch nach Notenschluss erbrachte Leistungen in eine Leistungsbewertung für ein Halbjahres- bzw. Jahreszeugnis einzubeziehen sind. Im Hinblick auf die oben dargestellten Maßstäbe zur Wahrung der Chancengleichheit innerhalb einer Gruppe von Schülern kann eine Verpflichtung zur Berücksichtigung von „nachgereichten“ Arbeiten jedoch allenfalls dann bestehen, wenn ein Schüler aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen keine bzw. keine ausreichende Gelegenheit hatte, schriftliche oder mündliche Leistungsnachweise zu erbringen. Hierfür sind jedoch weder Anhaltspunkte vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat in Vermerk vom 14. Oktober 2014 im Einzelnen dargelegt, dass der Antragsteller im zweiten Halbjahr des Schuljahres 2013/2014, insbesondere in den Fächern Biologie und Physik, wiederholt die Gelegenheit hatte, auch durch freiwillige Arbeiten eine Verbesserung der Noten zu erreichen. Hiervon hat der Antragsteller, wie auch im Einzelnen im Protokoll der Klassenkonferenz vom 3. September 2014 (Beiakte A Bl. 39) dargelegt, jedoch keinen Gebrauch gemacht.

21

Eine abweichende Beurteilung der Regelungen der Versetzungsverordnung ist auch dann nicht gegeben, wenn ein Fach - wie hier Geographie - im Wechsel mit einem anderen planmäßig nur in einem Halbjahr unterrichtet wird (sog. Epochenunterricht). Diese Regelungen sind für diese Fallgestaltung weder planwidrig unvollständig noch im Hinblick auf den Gleichheitssatz oder das aus Art. 6 Abs. 2 GG abgeleitete Informationsrecht der Eltern ergänzungs- oder korrekturbedürftig. Der Fall des „Epochenunterrichts“ ist, wie § 2 Abs. 3 VersetzVO zeigt, nicht übersehen worden. Die Benachrichtigung bei Gefährdung der Versetzung im Halbjahreszeugnis nach § 13 Abs. 1 VersetzVO genügt ihrer Aufgabe und der Gewährleistung des Informationsrechtes der Eltern auch dann, wenn das Zeugnis in einem Fach die Note „Ungenügend“ enthält, die ohne eine Verbesserungsmöglichkeit in das Jahresabschlusszeugnis aufzunehmen ist. Sie richtet sich dann darauf, in anderen Fächern am Ende des gesamten Schuljahres einen Leistungsstand zu zeigen, der die bereits feststehende „ungenügende“ Leistung in einem Fach jedenfalls insoweit ausgleicht, dass zumindest gemäß § 4 Abs. 3 VersetzVO eine Versetzung in den auf den Hauptschulabschluss bezogenen Unterricht ermöglicht worden wäre. Der Schüler und seine Erziehungsberechtigten sind gemäß § 2 Abs. 3 VersetzVO zu Beginn des Schuljahres darüber zu informieren, dass einzelne Fächer nur im ersten oder im zweiten Halbjahr unterrichtet werden, der Beurteilungszeitraum in diesen Fällen also jeweils auf das Halbjahr beschränkt ist. Auch wenn der Antragsteller erst nach Beginn des Schuljahres am 13. Oktober 2013 den Unterricht bei der Antragsgegnerin den Unterricht aufgenommen hat, ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass ihm diese Regelung unbekannt war bzw. er hiervon keine Kenntnis erlangen konnte. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin im Vermerk vom 14. Oktober 2014 ausgeführt, dass der Antragsteller nicht nur bei der Klassenarbeit am 7. November 2013 bzw. dem Nachschreibtermin am 15. November 2013 (unentschuldigt) gefehlt hatte, sondern auch bei einer nachfolgenden Leistungskontrolle am 2. Dezember 2013. Zudem hatte er bei einer nachfolgenden mündlichen Leistungskontrolle die Note „ungenügend“, bei einer weiteren topographischen Übung die Note „mangelhaft“ erhalten. Soweit der Antragsteller mit der Beschwerdebegründung ausführt, dass ihm die Praxis der Antragsgegnerin für die Nachschreibetermine nicht bekannt gewesen sei, zeigt er nicht auf, dass es ihm bzw. seinen Personensorgeberechtigten nicht zumutbar gewesen ist, wenn - wie hier - ein Termin für eine Klassenarbeit entschuldigt versäumt worden ist, sich nach dem Termin für ein Nachholen der Leistungskontrolle zu erkundigen.

22

Abgesehen davon könnte ein Verfahrensfehler, selbst wenn er vorläge, allenfalls einen Anspruch des Antragstellers auf Wiederholung seiner schulischen Prüfungsleistungen in einem rechtmäßigen Verfahren begründen, also auf Wiederholung der sechsten Klasse unter Gewährung des angeblich vorenthaltenen Nachteilsausgleichs, nicht aber einen Anspruch auf Besserbewertung und Versetzung in die siebte Klasse (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 30.10.2014 - 19 B 1055/14 -, juris).

23

Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat er auch keinen unmittelbar aus § 34 Abs. 5 Satz 2 SchulG LSA ableitbaren Anspruch auf Absehen von einer Leistungsbewertung verbunden mit einem „prüfungsfreien“ Vorrücken in die nächsthöhere Klassenstufe. § 34 Abs. 5 SchulG LSA enthält die Grundsätze für eine Versetzung an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, welche in der Versetzungsverordnung konkretisiert worden sind. Nach § 34 Abs. 5 Satz 2 SchulG LSA kann von dem Erfordernis einer Versetzung abgesehen werden. In einem solchen Falle rücken die Schüler, ohne dass eine Versetzungsentscheidung getroffen werden wird und ohne dass bestimmte Leistungsanforderungen erfüllt werden müssen, in den nächsthöheren Schuljahrgang auf. Solche allgemeinen, hingegen nicht einzelfallbezogenen Regelungen sind in der Versetzungsverordnung z. B. in § 5 Abs. 1 VersetzVO für die Schuleingangsphase in der Grundschule bzw. in § 5 Abs. 4 VersetzVO für die Überweisung in den dritten Schuljahrgang sowie für den Fall der zweiten Wiederholung eines Schuljahrganges in § 4 Abs. 4 VersetzVO vorgesehen. Eine generelle Regelung für das Absehen von einer Leistungsbewertung auch in einzelnen Fächern enthält diese Vorschrift nicht. Ein Absehen von einer Leistungsbewertung in einzelnen Fächern bzw. Nichtberücksichtigung einer Note bei der Versetzungsentscheidung (Notenschutz) ist vielmehr bei diagnostizierten Lernstörungen in Ziffer 7.2.3 des Leistungsbewertungserlasses vorgesehen. Wie oben dargestellt liegt aber eine auf ärztlichem oder heilkundlichem Fachwissen beruhende Diagnose zu einer Lernstörung nicht vor.

24

Entgegen der Auffassung des Antragstellers war ihm auch nicht entgegen der Regelung in § 4 Abs. 8 VersetzVO eine „Versetzung auf Probe“ zu ermöglichen. Eine solche „Versetzung auf Probe“ soll auch ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung dann nach Auffassung des Antragstellers ermöglicht werden, wenn der Informationsanspruch der Eltern verletzt worden ist und aufgrund der konkreten Umstände es nicht ausgeschlossen erscheint, dass der betroffene Schüler mit einer entsprechenden Hilfestellung der Personensorgeberechtigten doch noch die Versetzung erreicht hätte und es nicht völlig ausgeschlossen erscheint, dass der Schüler mit einer entsprechenden Hilfestellung den Anschluss finden wird und mit Erfolg am Unterricht der nächsten Klassenstufe teilnehmen wird (vgl. Rux/Niehues, Schulrecht, 5 . Aufl. 2013, Rdnr. 496). Es ist hier bereits nicht ersichtlich, dass das Informationsrecht der Personenberechtigten des Antragstellers verletzt worden ist. Die Information über eine drohende Nichtversetzung erfolgte nicht erst im Schreiben der Antragsgegnerin vom 9. Mai 2014, sondern bereits durch den Vermerk im Halbjahreszeugnis vom 31. Januar 2014. Der Antragsteller zeigt mit der Beschwerdebegründung nicht auf, dass nach der Information über die Versetzungsgefährdung Ende Januar 2014 bis zur weiteren Information am 9. Mai 2014 ihm bzw. seiner Personensorgeberechtigten gegenüber der Eindruck erweckt worden sei, dass sich das Leistungsbild des Antragstellers so weit verbessert habe, dass die Versetzung nunmehr nicht mehr gefährdet sei. Im Übrigen wird mit der Beschwerdebegründung nicht dargelegt, welche Hilfestellungen seit der Mitteilung über die Versetzungsgefährdung Ende Januar 2014 durch die Personenberechtigte gewährt worden sind, um doch noch eine Versetzung zum Schuljahresende zu ermöglichen. Da sich die Noten im Abschlusszeugnis gegenüber den Noten im Halbjahreszeugnis in keinem Fach verbessert haben, sondern in einigen Fächern sogar noch eine Verschlechterung eingetreten ist, hätte es insoweit einer substantiierten Darlegung bedurft.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Hinsichtlich der Festsetzung des Streitwertes folgt der Senat der erstinstanzlichen Entscheidung.

26

Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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Tenor Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Das Verfahren wird eingestellt, soweit es hinsichtlich der schriftlichen Zusatzaufgabe im Fach Chemie zurückgenommen worden ist. Die Kosten des Verfahrens werden dem.

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(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Oktober 2009 - 7 K 2699/09 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem das Begehren, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig die Teilnahme am Unterricht der 7. Klasse der xxx-Realschule in xxx zu gestatten, abgelehnt wurde, hat keinen Erfolg.
1. Die Versagung des begehrten Eilrechtsschutzes erweist sich schon deshalb als zutreffend, weil es an dem gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsgrund fehlt. Die in der Hauptsache begehrte Versetzung kann der Antragsteller zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr erreichen, so dass für eine diesen Anspruch sichernde Eilmaßnahme des Gerichts kein Raum mehr besteht. Denn ein „Aufsteigen in der Schule“ (vgl. § 89 Abs. 2 Nr. 4 SchG) setzt grundsätzlich die Teilnahme am Unterricht der nächsthöheren Klasse voraus, die nach dem hier vorliegenden Ablauf von mehr als 12 Unterrichtswochen schon in tatsächlicher Hinsicht nicht mehr erreicht werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 11.12.2007 - 9 S 2312/07 -). Dies gilt auch für die vom Antragsteller hilfsweise begehrte probeweise Aufnahme in die nächsthöhere Klasse nach § 1 Abs. 6 der Verordnung des Kultusministeriums über die Versetzung an Realschulen vom 30.01.1984 (GBl. S. 147, zuletzt geändert durch Verordnung vom 04.02.2004, GBl. S. 397 - Realschulversetzungsordnung -). Denn auch in diesem Falle ist nach Ablauf der vierwöchigen Probezeit eine abschließende Entscheidung herbeizuführen. Selbst im Zeitpunkt der Antragstellung beim Verwaltungsgericht war der einer einstweiligen Anordnung zugängliche Zeitraum daher bereits verstrichen. Ein Fall des zeugnislosen vorläufigen Vorrückens nach § 3 Realschulversetzungsordnung, für den ein anderer zeitlicher Horizont gelten könnte, liegt offenkundig nicht vor.
2. Im Übrigen rechtfertigen die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, auch keine von der Auffassung des Verwaltungsgerichts abweichende Einschätzung zum Fehlen des Anordnungsanspruchs.
a) Hinsichtlich der vorgetragenen Verfahrensfehler folgt dies bereits daraus, dass diese - ihr Vorliegen unterstellt - für sich genommen einen Anordnungsanspruch nicht begründen könnten (vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 11.09.2009 - 7 CE 09.2169 - sowie OVG SH, Beschluss vom 15.10.2009 - 2 ME 07/09 - m.w.N.). Hierzu reichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Nichtversetzungsentscheidung nicht aus, vielmehr muss jedenfalls die hinreichende Möglichkeit glaubhaft gemacht sein, dass die Klassenkonferenz bei einer erneuten Entscheidung die vom Antragsteller begehrte Versetzung aussprechen würde (vgl. Senatsbeschluss vom 21.10.1998 - 9 S 2494/98 -). Verfahrensfehler, die die Sachentscheidung offensichtlich nicht beeinflusst haben, tragen daher den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht (vgl. auch § 46 LVwVfG). Angesichts der Tatsache, dass die Klassenkonferenz ihre Entscheidung explizit auf die zu großen Defizite des Antragstellers gestützt und darauf verwiesen hatte, dass schwache Leistungen in nahezu allen Fächern (außer Sport) und dies nun im dritten Jahr in Folge zu verzeichnen seien, erscheint eine positive Prognoseentscheidung darüber, dass der Antragsteller mit Erfolg am Unterricht der nächsten Klassenstufe teilnehmen können wird, jedoch auch bei einer etwaigen Wiederholung der Klassenkonferenz praktisch ausgeschlossen (vgl. dazu auch Niehues/Rux, Schul- und Prüfungsrecht, Band 1, 4. Aufl. 2006, Rn. 415).
Die Frage, ob die Eltern des Antragstellers rechtzeitig über die drohende Nichtversetzung des Antragstellers unterrichtet worden sind, ist für den Ausgang des Rechtsstreits daher nicht entscheidend. Unabhängig hiervon bestehen bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung indes auch keine Zweifel an einer hinreichenden Informierung. Dies ergibt sich bereits daraus, dass auch die Beschwerde einräumt, dass der Vater bereits im Dezember 2008 vom Rektor auf die mit den derzeitigen Leistungen drohende Versetzungsgefährdung hingewiesen wurde. Warum hierin kein „ordnungsgemäßer Hinweis“ auf die drohende Nichtversetzung liegen sollte, erschließt sich dem erkennenden Senat nicht. Offenbar hatte auch der Vater selbst die Information ernst genommen, denn andernfalls wäre der von ihm abgegebene Verweis auf die besondere familiäre Situation (drohende Insolvenz des von der Familie geführten Hotels) nicht erforderlich gewesen. Im Übrigen ergab sich aus dem Notenbild des Halbjahreszeugnisses unmittelbar, dass die Versetzung des Antragstellers gefährdet war. Eines zusätzlichen Hinweises bedurfte es insoweit nicht, zumal das Leistungsbild angesichts der Vorzeugnisse auch nicht „wesentlich verändert“ erschien (vgl. 4 Abs. 2 der Verordnung des Kultusministeriums über die Notenbildung vom 05.05.1983, GBl. S. 324, zuletzt geändert durch Verordnung vom 17.05.2009, GBl. S. 238 - Notenbildungsverordnung -). Schließlich sind die Eltern des Antragstellers mit Schreiben vom 18.05.2009 ausdrücklich auf die gefährdete Versetzung hingewiesen worden, so dass nach Aktenlage eine Verletzung der Unterrichtungspflichten nicht ersichtlich ist.
Allerdings ist - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist - die Schule verpflichtet, den sorgeberechtigten Eltern auf Verlangen Einsicht in die angefertigten Klassenarbeiten zu gewähren. Denn ohne Kenntnis vom Stand des Unterrichtserfolgs und der Leistungsbewertungen sind diese nicht in der Lage, notwendige Fördermaßnahmen einzuleiten (vgl. § 8 Abs. 1 Notenbildungsverordnung) und ihre rechtlichen Interessen geltend zu machen (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG; dazu auch Niehues/Rux, Schul- und Prüfungsrecht, Band 1, 4. Aufl. 2006, Rn. 497). Im Übrigen ist die Schule gemäß § 55 Abs. 1 SchG ohnehin gehalten, das Elternhaus bei der Erziehung und Bildung der Kinder zu unterstützen und die Kriterien der Leistungsbewertung offen- und darzulegen (§ 7 Notenbildungsverordnung). Auch ein etwaiger Verstoß hiergegen begründete aber keinen Anspruch auf vorläufiges Vorrücken, weil ein entsprechender Fehler den erforderlichen Leistungsnachweis bzw. die Leistungsprognose nicht ersetzen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.01.1992 - 6 B 20/91 -, BayVBl 1992, 442).
Soweit schließlich vorgetragen wurde, die Beschlüsse der Klassenkonferenz seien wegen Fehlens der Musiklehrerin und des TA-Lehrer nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, trifft zu, dass die in der Klasse unterrichtenden Lehrer gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 der Konferenzordnung des Kultusministeriums vom 05.06.1984 (GBl. S. 423, zuletzt geändert durch Verordnung vom 05.02.2004, GBl. S. 82 - Konferenzordnung -) zur Teilnahme verpflichtet und nach § 13 Abs. 1 Konferenzordnung auch stimmberechtigt gewesen wären. Die Tatsache, dass einzelne Lehrer verhindert sind, steht einer Beschlussfassung indes nicht entgegen; vielmehr ist hierfür gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 Konferenzordnung nur erforderlich, dass mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten anwesend ist. Im Übrigen ist nach gegenwärtigem Stand auch nicht davon auszugehen, dass einer der teilnahmeberechtigten Lehrer nicht an den Klassenkonferenzen teilgenommen hatte. Soweit in der Beschwerde auf den TA-Lehrer N. verwiesen wurde, hat dieser in der 6. Klasse keinen Unterricht erteilt. Die Musiklehrerin W. dagegen ist nach den Bekundungen des Schulleiters nicht nur an der regulären Klassenkonferenz vom 13.07.2009, in deren Protokoll auch eine Teilnahme von allen in der Klasse unterrichtenden Lehrern vermerkt ist, sondern auch an der Sonderkonferenz vom 29.07.2009 anwesend gewesen, für die ihre Teilnahme im Protokoll nicht ausgewiesen ist.
b) Schließlich vermögen auch die Einwände gegen die Notenfestsetzung in den Fächern Deutsch und Englisch nicht zu überzeugen.
Hinsichtlich der im Fach Englisch vergebenen Note rügt die Beschwerde allein, dass eine ursprünglich angekündigte weitere Klassenarbeit nicht geschrieben worden sei. Damit ist ein fehlerhaftes Zustandekommen der Note bereits nicht schlüssig dargelegt. Denn dass die in § 9 Abs. 2 Satz 1 Notenbildungsverordnung vorgeschriebene Mindestzahl der Klassenarbeiten unterschritten wäre, ist damit weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Im Übrigen ist von der Fachlehrerin auch bestritten worden, dass eine weitere Klassenarbeit in Aussicht gestellt worden sei. Substanziierte Belege für seine gegenteilige Behauptung enthält das Vorbringen des Antragstellers nicht.
10 
Soweit in Bezug auf die Deutschnote ausgeführt wurde, dem Antragsteller sei keine Gelegenheit zur Leistungserbringung gegeben worden, ist bereits unklar, worauf sich dieser Vortrag bezieht. Hinsichtlich der Buchvorstellung geht der Angriff schon in tatsächlicher Hinsicht ins Leere, weil diese auf den Vorlesewettbewerb gerichtet war. Eine nachträgliche Präsentation - wie in der Beschwerde offenbar anvisiert - scheidet daher aus. Das weiterhin in Bezug genommene „Lesetagebuch“ dagegen war dazu bestimmt, die Heimlektüre des behandelten Buches zu dokumentieren. Inwieweit hierzu keine Möglichkeit gegeben worden sein sollte, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen und auch aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich.
11 
Den im gerichtlichen Verfahren aufgestellten Behauptungen über Äußerungen der Deutsch- und Englischlehrer zur Notenvergabe schließlich sind ausreichende Hinweise auf eine fehlerhafte Benotung nicht zu entnehmen. Die zitierte Äußerung der Englischlehrerin, die Nichtversetzung liege nicht an ihr, bezog sich nach ihren Klarstellungen und den Bezeugungen des beim Telefongespräch anwesenden Schulleiters lediglich auf den Umstand, dass der Antragsteller auch in anderen Fächern entsprechend schlechte Noten erhalten hatte. Die dem Deutschlehrer zugeschriebene Aussage, dass „der Chef die Noten mache“, wird von diesem bestritten und traf ausweislich der Konferenzprotokolle auch nicht zu.
12 
c) Damit sind, soweit im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes feststellbar, die Voraussetzungen für eine reguläre Versetzung nach § 1 Abs. 1 Realschulversetzungsordnung nicht gegeben. Da die Leistungen in den Fächern Deutsch und Englisch beanstandungsfrei mit der Note „mangelhaft“ bewertet wurden, erfüllt der Antragsteller die Anforderungen aus § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 4 Realschulversetzungsordnung nicht. Dass und warum der Antragsteller auch nicht ausnahmsweise (§ 1 Abs. 3 Realschulversetzungsordnung) oder auf Probe (§ 1 Abs. 6 Realschulversetzungsordnung) in die nächste Klasse versetzt werden kann, hat das Verwaltungsgericht ausführlich und zutreffend dargelegt. Substantiierte Angriffe hiergegen enthält auch die Beschwerde nicht.
13 
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 38.5 des Streitwertkatalogs (NVwZ 2004, 1327).
14 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO sowie § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG hinsichtlich der Streitwertfestsetzung).

Tenor

I.

Der Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. Februar 2013 verpflichtet, dem Kläger ein Abiturzeugnis ohne Bemerkungen zur Nichtbewertung von Rechtschreibleistungen und zur Bewertung der schriftlichen und mündlichen Leistungen in den Fremdsprachen im Verhältnis 1:1 auszustellen.

II.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen folgende Bemerkungen der Schule (staatliches Gymnasium in G.) in seinem Abiturzeugnis vom 25. Juni 2010: „Aufgrund einer fachärztlich festgestellten Legasthenie wurden Rechtschreibleistungen nicht bewertet. In den Fremdsprachen wurden die schriftlichen und mündlichen Leistungen im Verhältnis 1:1 bewertet.“

Das Bayerische Verwaltungsgericht München hat auf Klage des Klägers den Beklagten mit Urteil vom 26. Februar 2013 verpflichtet, dem Kläger ein neues Abiturzeugnis auszustellen, in dem kein Hinweis mehr auf die „fachärztlich festgestellte Legasthenie“ enthalten ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die streitgegenständlichen Bemerkungen seien als allgemeine Beurteilung zulässig, welche das Abschlusszeugnis nach Maßgabe des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) enthalten könne (Art. 54 Abs. 4 Satz 3 BayEUG). Zudem seien gemäß den Richtlinien des (ehemaligen) Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zur Förderung von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens vom 16. November 1999, geändert am 11. August 2000, sowie entsprechend dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. Dezember 2003 in der Fassung vom 15. November 2007, Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung - wie vorliegend in Bezug auf die Bewertung der Rechtschreibleistungen und das Verhältnis der Bewertung der schriftlichen und mündlichen Leistungen in den Fremdsprachen - im Abschlusszeugnis zu vermerken. Bei solchen Abweichungen von allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung handele es sich für die betroffenen Schüler um „Notenschutz“, der anders als der „Nachteilsausgleich“, der lediglich Chancengleichheit mit nichtbehinderten Schülern herstelle, eine Bevorzugung des behinderten Schülers darstelle. Der Notenschutz sei aus Gründen der „Notenwahrheit“ und zur Wahrung der Chancengleichheit aller Schüler im Zeugnis zu vermerken. Demgegenüber sei es nicht geboten, den Hinweis auf eine „fachärztlich festgestellte Legasthenie“, der in die Privatsphäre des Klägers unverhältnismäßig eingreife, in das Abiturzeugnis aufzunehmen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.

Mit der vom Senat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Berufung wendet sich der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, soweit die Klage abgewiesen wurde. Die streitgegenständlichen Bemerkungen knüpften ohne gesetzliche Grundlage in diskriminierender Weise unmittelbar an die Legasthenie des Klägers an und erschwerten diesem ohne sachlichen Grund den Übertritt in das Berufsleben. Sie seien nicht aus Gründen der Notenwahrheit gerechtfertigt, weil das Abiturzeugnis dem Kläger keine Kompetenzen bescheinige, über die er nicht verfüge und zudem die Noten in einzelnen Fächern weder bei behinderten noch bei nichtbehinderten Schülern Auskunft über deren tatsächliche Rechtschreibleistungen gäben. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts handele es sich bei der Nichtbewertung von Rechtschreibleistungen und bei der Bewertung der schriftlichen und mündlichen Leistungen in den Fremdsprachen im Verhältnis 1:1 auch nicht um eine Bevorzugung des Klägers, sondern lediglich um einen Ausgleich der mit dessen Legasthenie im Rahmen der schulischen Ausbildung verbundenen Nachteile. Von Bedeutung sei in diesem Zusammenhang auch, dass der Beklagte Fördermaßnahmen für Legastheniker in der gymnasialen Oberstufe nur in einem „Gesamtpaket“ gewähre und er dem betroffenen Schüler nicht erlaube, sich auf einzelne Fördermaßnahmen, etwa auf die Gewährung eines Zeitzuschlages zu beschränken, die als anerkannte Maßnahme des Nachteilsausgleichs unstreitig nicht zu einer Bemerkung im Abiturzeugnis führe. Die streitgegenständlichen Bemerkungen dürften im Übrigen wegen ihrer nachteiligen Wirkungen für den Kläger schon nach Maßgabe einschlägiger Regelungen der Gymnasialschulordnung (GSO) nicht in das Abiturzeugnis aufgenommen werden. Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. Februar 2013 zu verpflichten, das Abiturzeugnis ohne die streitgegenständlichen Bemerkungen auszustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die streitgegenständlichen Bemerkungen im Abiturzeugnis bedürften keiner gesetzlichen Grundlage, weil sie allein der „Kenntlichmachung einer Abweichung von der regulären Leistungsbewertung“ dienten. Ihre Notwendigkeit ergebe sich unmittelbar aus prüfungsrechtlichen Grundsätzen, da Legastheniker bei Maßnahmen des Notenschutzes geringeren Leistungsanforderungen als nichtbehinderte Schüler genügen müssten und diesen gegenüber somit bevorzugt würden. Diese Ungleichbehandlung werde durch die streitgegenständlichen Bemerkungen, die der Zeugniswahrheit dienten und in die der Kläger bzw. dessen Erziehungsberechtigte vor Eintritt in die Oberstufe des Gymnasiums bereits eingewilligt hätten, ausgeglichen. Ein milderes Mittel zur Herstellung der Chancengleichheit aller Schüler sei nicht ersichtlich. Allerdings sei einzuräumen, dass bei Schülern mit anderen Behinderungen nicht in gleicher Weise (Bemerkungen über Maßnahmen des Notenschutzes in Abschlusszeugnissen) verfahren werde.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

Der Kläger hat Anspruch auf Ausstellung eines Abiturzeugnisses, das frei ist von Bemerkungen, die nicht auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen. Für die streitgegenständlichen Bemerkungen, die auf dem Kläger gewährte Maßnahmen des Notenschutzes hinweisen sollen, gibt es keine gesetzliche Grundlage.

1. Die streitgegenständlichen Bemerkungen im Abiturzeugnis beruhen nicht auf Regelungen des Bayerischen Schulrechts.

a) Das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 414, BayRS 22301-K), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Mai 2014 (GVBl S. 186), enthält sowohl in der aktuellen als auch in der für das streitgegenständliche Abiturzeugnis maßgeblichen (bis zum 31.7.2010 geltenden) Fassung des Gesetzes (= a. F.) keine Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Bemerkungen.

Nach Maßgabe des Gesetzes erhält der Prüfling nach bestandener Abschlussprüfung ein Abschlusszeugnis. Dieses enthält die Noten in den einzelnen Fächern und die Feststellung, welche Berechtigung das Zeugnis verleiht. Zusätzlich kann das Zeugnis eine allgemeine Beurteilung enthalten (Art. 54 Abs. 4 Satz 1 bis 3 BayEUG). In den Abiturzeugnissen wird - wie der Beklagte einräumt - jedoch gemäß den Bestimmungen der einschlägigen Schulordnung für die Gymnasien in Bayern (Gymnasialschulordnung - GSO) vom 23. Juli 2007 (GVBl S. 68, BayRS 22351K), zuletzt geändert durch Verordnung vom 12. Juni 2013 (GVBl S. 390), keine allgemeine Beurteilung im Sinn des Art. 54 Abs. 4 Satz 3 BayEUG aufgenommen (vgl. auch LT-Drs. 16/4814 S. 3).

b) Die auf Grundlage des Gesetzes (Art. 89 BayEUG) erlassene Gymnasialschulordnung sieht - sowohl in der aktuellen als auch in der vorliegend maßgeblichen (bis zum 31.7.2010 geltenden) Fassung der Verordnung (= a. F.) - die Aufnahme von Vermerken in das Abiturzeugnis nur in besonders geregelten Fällen vor. So erhalten etwa Schüler, die das Latinum oder Graecum erworben haben, im Abiturzeugnis einen entsprechenden Vermerk (§ 86 Abs. 4 Satz 1 GSO = § 86a Abs. 4 Satz 1 GSO a. F. für das vom Kläger besuchte neunjährige Gymnasium). Ebenso können auf Antrag des Schülers herausragende Leistungen in Vokalensemble (Chor) oder Instrumentalensemble (Orchester) sowie die Tätigkeit in der Schülermitverantwortung oder ähnliche Tätigkeiten im Abiturzeugnis vermerkt werden (§ 86 Abs. 3 Satz 2 GSO = § 86a Abs. 3 Satz 2 GSO a. F.). Bemerkungen über die Gesamtpersönlichkeit des Schülers und damit auch Bemerkungen etwa über dessen Anlagen oder Verhalten werden in das Abiturzeugnis hingegen nicht aufgenommen (§ 86 Abs. 3 Satz 1 GSO = § 86a Abs. 3 Satz 1 GSO a. F.). Auch in Bezug auf die Nichtbewertung von Rechtschreibleistungen oder das Verhältnis der Bewertung der schriftlichen und mündlichen Leistungen in den Fremdsprachen sind Vermerke weder in der Gymnasialschulordnung noch in dem vom Staatsministerium nach Maßgabe des § 86 Abs. 1 GSO (= § 86a Abs. 1 GSO a. F.) herausgegebenen Muster des Abiturzeugnisses (Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife) vorgesehen.

2. Die streitgegenständlichen Bemerkungen können auch nicht auf „prüfungsrechtliche Grundsätze“ gestützt werden. Für sie ist eine gesetzliche Grundlage nicht deshalb entbehrlich, weil sie nach Ansicht des Beklagten der „Kenntlichmachung einer Abweichung von der regulären Leistungsbewertung“ dienen und zum Ausgleich einer Bevorzugung des Legasthenikers („Notenschutz“) notwendig sein sollen. Denn Notenschutz seinerseits darf nur aufgrund einer vorliegend fehlenden ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung gewährt werden.

a) Als Notenschutz werden nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung im Prüfungsrecht allgemein und im Schulrecht in Bezug auf die Bewertung schulischer Leistungen einschließlich der jeweiligen Prüfungsleistungen alle Maßnahmen angesehen, die auf die Bevorzugung des einzelnen Prüflings gerichtet sind, weil diesem gegenüber auf bestimmte Leistungsanforderungen verzichtet wird, die allen anderen Prüflingen abverlangt werden. Notenschutz berührt den anerkannten und insbesondere im Prüfungsrecht maßgeblichen Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG, ggf. i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG) aller Prüflinge (vgl. z. B. zuletzt OVG LSA, B.v. 10.2.2014 - 3 M 358/13 - juris Rn. 13 f. m. w. N.; NdsOVG, B.v. 10.7.2008 - 2 ME 309/08 - NVwZ-RR 2009, 68; BayVGH, B.v. 25.10.2007 - 7 CE 07.2374 - juris Rn. 15). Auf Notenschutz gibt es auch im Hinblick auf das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG geregelte Benachteiligungsverbot für körperlich eingeschränkte oder sonst behinderte Prüfungsteilnehmer keinen verfassungsrechtlich begründeten Anspruch (vgl. z. B. HessVGH, B.v. 5.2.2010 - 7 A 2406/09.Z - NVwZ-RR 2010, 767; NdsOVG, B.v. 10.7.2008 - 2 ME 309/08 - NVwZ-RR 2009, 68; zum Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur, vgl. Cremer/Kolok, DVBl 2014, 333).

Der Notenschutz ist vom „Nachteilsausgleich“ zu unterscheiden, auf den - seinerseits gestützt auf den Grundsatz der Chancengleichheit - ein verfassungsrechtlicher Anspruch deshalb besteht, weil der Nachteilsausgleich es dem behinderten Prüfungsteilnehmer lediglich unter Wahrung der für alle Prüflinge geltenden Leistungsanforderungen ermöglichen soll, sein tatsächlich vorhandenes („wahres“) Leistungsvermögen nachzuweisen (vgl. z. B. Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 249/259 ff. m. w. N.). Nachteilsausgleich darf nur insoweit gewährt werden, als dies zur Herstellung der Chancengleichheit erforderlich ist. Die „Überkompensation“ der Behinderungen des Prüfungsteilnehmers durch Art oder Umfang des gewährten Nachteilsausgleichs führt zu einer Verletzung der Chancengleichheit der anderen Prüfungsteilnehmer und ist insoweit unzulässig (vgl. z. B. BayVGH, B.v. 28.6.2012 - 7 CE 12.1324 - juris Rn. 18). Die Abgrenzung zwischen Maßnahmen des Nachteilsausgleichs und des Notenschutzes ist dann besonders schwierig, wenn sich die körperlichen Einschränkungen oder sonstigen Behinderungen auf das spezifische Leistungsvermögen des Prüfungsteilnehmers auswirken, das - wie etwa im Fach Deutsch die Fehlerfreiheit der Rechtschreibleistungen des Schülers - gerade Gegenstand der von ihm geforderten Prüfungsleistung ist. So sollen nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. Dezember 2003 in der Fassung vom 15. November 2007 über „Grundsätze zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben oder im Rechnen“ im Rahmen des Nachteilsausgleichs Maßnahmen wie die Ausweitung der Arbeitszeit oder die Bereitstellung von technischen und didaktischen Hilfsmitteln in Betracht kommen, während es sich etwa bei der stärkeren Gewichtung mündlicher Leistungen oder dem Verzicht auf eine Bewertung der Lese- und Rechtschreibleistung um Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung und damit um Maßnahmen des Notenschutzes handeln soll. Fehlt eine nähere gesetzliche Regelung über Art und Umfang von Maßnahmen des Nachteilsausgleichs und des Notenschutzes, so ist bei Rechtsstreitigkeiten über deren Zulässigkeit die Abgrenzung zwischen Nachteilsausgleich und Notenschutz unverzichtbar, weil Prüfungsteilnehmer (Schüler) einen verfassungsrechtlich begründeten Anspruch nur auf den zur Herstellung der Chancengleichheit im Einzelfall erforderlichen Nachteilsausgleich, nicht jedoch auf Notenschutz haben.

b) Maßnahmen des Notenschutzes kommen danach nur auf der Grundlage einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung in Betracht. Nach der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte verpflichten dabei das Rechtsstaatsprinzip, das Demokratieprinzip sowie der Grundsatz der Gewaltenteilung den parlamentarischen Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen im Schulwesen selbst zu treffen oder durch eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß begrenzte Ermächtigungsnorm inhaltlich mitzubestimmen und diese nicht allein der Schulverwaltung zu überlassen (Parlamentsvorbehalt). Der Umfang des Parlamentsvorbehalts bestimmt sich dabei von Fall zu Fall nach der Intensität, mit welcher die Grundrechte der Regelungsadressaten betroffen sind (vgl. BVerfG, B.v. 20.10.1981 - 1 BvR 640/80 - BVerfGE 58, 257; BayVerfGH, E.v. 27.3.1980 - Vf. 4-VII-79 - VerfGH 33, 33/37; vgl. zuletzt auch BayVerfGH, E.v. 21.5.2014 - Vf. 7-VII-13 - Rn. 35). Über die Zulässigkeit von Maßnahmen des Notenschutzes einschließlich ihrer Folgen (etwa in Bezug auf das auszustellende Zeugnis) hat dementsprechend, jedenfalls bei schulischen Abschlussprüfungen, die für den beruflichen Werdegang bedeutsam sind, wegen der mit Maßnahmen des Notenschutzes verbundenen und den Anspruch aller Prüflinge auf Chancengleichheit, der aus den Grundrechten des Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlung) und des Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) resultiert, in erheblicher Weise berührenden Abweichungen von den allgemein geltenden Leistungsanforderungen, der parlamentarische Gesetzgeber zu entscheiden (zum Vorbehalt des Gesetzes im Schulrecht allgemein, den notwendigen parlamentarischen Leitentscheidungen und dem Problem individueller Leistungsanforderungen beim gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Schüler im Rahmen des inklusiven Schulsystems, vgl. auch Rux/Niehus, Schulrecht, 5. Aufl. 2013, Rn. 27 ff., 507 ff.). Auf die Erforderlichkeit einer landesrechtlichen Ermächtigung bei Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung namentlich bei Abschlussprüfungen hat im Übrigen bereits die Kultusministerkonferenz in ihrem genannten Beschluss vom 4. Dezember 2003 in der Fassung vom 15. November 2007 hingewiesen, wobei nach Ansicht der Kultusministerkonferenz Maßnahmen der individuellen Förderung von Legasthenikern in allgemeinbildenden Schulen grundsätzlich bis zum Ende der Jahrgangsstufe 10 abgeschlossen sein sollen. Dem Anliegen des Beklagten, entsprechend befähigten Legasthenikern durch Fördermaßnahmen des Notenschutzes den Besuch weiterführender Schulen einschließlich des Gymnasiums und die Möglichkeit des Erwerbs der allgemeinen Hochschulreife im Wege der Abiturprüfung zu eröffnen, kann somit nur durch den parlamentarischen Gesetzgeber entsprochen werden, der eine verbindliche Entscheidung darüber zu treffen hat, ob und in welchem Umfang Notenschutz gewährt werden darf und welche weiteren schulrechtlichen Folgen damit verbunden sind.

c) Der Bayerische Landesgesetzgeber sieht im Schulrecht generell und insbesondere auch bei schulischen Abschlussprüfungen Maßnahmen des Notenschutzes gegenwärtig nicht vor. Er hat sich vielmehr ausdrücklich (lediglich) für Maßnahmen des Nachteilsausgleichs sowie des „Notenausgleichs“ entschieden, die aufgrund der mit Wirkung vom 16. Dezember 2011 in Kraft getretenen geänderten Bestimmungen des Art. 52 Abs. 4 BayEUG und des Art. 54 Abs. 3 Satz 2 BayEUG in den jeweiligen Schulordnungen der unterschiedlichen Schularten konkret und differenziert geregelt werden können (vgl. auch LT-Drs. 16/9412 S. 6). Der in den genannten gesetzlichen Bestimmungen erwähnte „Notenausgleich“ betrifft den seit jeher möglichen Ausgleich mangelhafter oder ungenügender Leistungen in einzelnen Fächern durch sehr gute, gute oder befriedigende Leistungen in anderen Fächern und ist nunmehr ausdrücklich auch im Rahmen der jeweiligen Abschlussprüfungen möglich (vgl. Lindner/Stahl, Das Schulrecht in Bayern, Stand 15.11.2013, Art. 52 BayEUG Rn. 18). Der in den Schulordnungen zu regelnde Notenausgleich bezweckt - anders als der Notenschutz - nicht, einzelnen Schülern „bessere“ Noten zu geben, als diesen nach den allgemein geltenden Bewertungsmaßstäben in Bezug auf ihre schulischen Leistungen (Prüfungsleistungen) zukommen würden. Er kann allerdings ebenso wie der Notenschutz geeignet sein, Schülern trotz ungenügender Leistungen in einzelnen Fächern das Vorrücken in den Jahrgangsstufen, den Besuch weiterführender Schulen und das Bestehen schulischer Abschlussprüfungen zu ermöglichen.

Die seit dem 1. August 2011 (vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes) geltende Neuregelung des § 53 Abs. 4 GSO, wonach das Staatsministerium zur Frage eines Nachteilsausgleichs oder Notenschutzes für Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens gesonderte Festlegungen trifft, hat der Verordnungsgeber danach in Bezug auf den Notenschutz ohne die erforderliche gesetzliche Ermächtigung vorgenommen. Sie ist - unbeschadet weiterer Einwände gegen die fehlende Bestimmtheit der Regelung - auf das bereits am 25. Juni 2010 erteilte streitgegenständliche Abiturzeugnis allerdings ohnehin nicht anwendbar.

d) Aus dem Umstand, dass in Bayern - anders als in anderen Bundesländern - in der Oberstufe des Gymnasiums zugunsten von Legasthenikern Notenschutz gewährt wird und es hierfür, ebenso wie für die streitgegenständlichen Bemerkungen im Abiturzeugnis an der gebotenen gesetzlichen Grundlage fehlt, folgt, dass sich die Zeugnisbemerkungen nicht allein mit Hilfe des vom Beklagten betonten Gedanken der „Zeugniswahrheit“ („Notenwahrheit“) oder der vermeintlichen Wahrung der Chancengleichheit rechtfertigen lassen. Das den Legasthenikern verliehene Abiturzeugnis ist auch nicht ohne weiteres „unwahr“. Es bescheinigt die Befähigung zum Hochschulstudium, die nach Ansicht des Beklagten entsprechend befähigten Legasthenikern nicht allein wegen individueller Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens abgesprochen werden soll, zumal während des Studiums oder im beruflichen Alltag eingeschränkte Fähigkeiten in diesen Bereichen durch Hilfsmittel weitgehend ausgeglichen werden können. Die Bemerkungen geben zudem keinen Hinweis darauf, in welchem Umfang und in Bezug auf welche Fächer die angegebenen Noten tatsächlich nicht den hierfür maßgebenden Leistungsanforderungen entsprechen und deshalb „unwahr“ sein sollen. Im Verhältnis zu den anderen Abiturienten wird schließlich, solange der Gesetzgeber im Rahmen seiner weiten Gestaltungsfreiheit hierfür keine gesetzliche Grundlage geschaffen hat, die durch Maßnahmen des Notenschutzes erfolgte Bevorzugung der Legastheniker nicht notwendigerweise durch Bemerkungen ausgeglichen, die sich auf den beruflichen Werdegang der Legastheniker negativ auswirken können.

e) Der Beklagte kann die streitgegenständlichen Bemerkungen im Abiturzeugnis schließlich nicht mit der Erwägung rechtfertigen, der Kläger bzw. dessen Erziehungsberechtigte hätten in die Gewährung von Maßnahmen des Notenschutzes und damit in die Zeugnisbemerkungen eingewilligt.

Der Beklagte gewährt in der Oberstufe des Gymnasiums „Fördermaßnahmen“ für Legastheniker auf der Grundlage der Bekanntmachung des (ehemaligen) Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 16. November 1999 (KWMBl I S. 379) zur „Förderung von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens“, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 11. August 2000 (KWMBl I S. 403), sowie aufgrund ergänzender Ministerialschreiben (KMS). Die Fördermaßnahmen werden dabei als unteilbares „Gesamtpaket“ - mit der Folge streitgegenständlicher Zeugnisbemerkungen - gewährt. Das Gesamtpaket umfasst die Befreiung von der Teilnahme an schriftlichen Leistungserhebungen, die ausschließlich der Feststellung der Rechtschreibkenntnisse dienen, die Gewährung eines Zeitzuschlags, die Nichtbewertung von Rechtschreibleistungen sowie die Bewertung schriftlicher und mündlicher Leistungen im Verhältnis 1:1 bei Fremdsprachen. Nur dann, wenn Schüler (bzw. deren Erziehungsberechtigte) vor Eintritt in die Oberstufe des Gymnasiums schriftlich beantragen, während der restlichen Schulzeit und in der Abschlussprüfung keine Fördermaßnahmen und damit keinen Nachteilsausgleich und Notenschutz zu erhalten, entfallen die Zeugnisbemerkungen (vgl. KMS vom 28.5.2008). In dem nach Ansicht des Beklagten nicht teilbaren Gesamtpaket der Fördermaßnahmen sind - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - auch Maßnahmen des Nachteilsausgleichs enthalten, auf deren Gewährung im Einzelfall ein verfassungsrechtlicher Anspruch besteht. Das „Einverständnis“ des Maßnahmen des Nachteilsausgleichs begehrenden Schülers mit weitergehenden und gegenwärtig rechtlich unzulässigen Maßnahmen des Notenschutzes, rechtfertigt die Zeugnisbemerkungen daher nicht. Die Koppelung von Maßnahmen des Nachteilsausgleichs an Maßnahmen des Notenschutzes birgt im Übrigen die Gefahr ebenso unzulässiger Überkompensation, weil nicht sämtliche Fördermaßnahmen zum individuellen Ausgleich einer Legasthenie erforderlich sein müssen.

3. Für die streitgegenständlichen Zeugnisbemerkungen fehlt nicht nur eine hinreichende gesetzliche Grundlage. Sie widersprechen gegenwärtig auch einschlägigen Regelungen der Gymnasialschulordnung.

Unbeschadet dessen, dass Bemerkungen über die Gesamtpersönlichkeit des Schülers in das Abiturzeugnis nicht aufgenommen werden (§ 86 Abs. 3 Satz 1 GSO = § 86s Abs. 3 Satz 1 GSO) und zur Gesamtpersönlichkeit eines Schülers auch dessen persönliche Anlagen wie Legasthenie gehören, dürfen bereits in den Jahrgangsstufen 9 und 10 des Gymnasiums die Jahreszeugnisse keine Bemerkungen enthalten, die den Übertritt in das Berufsleben erschweren (§ 70 Abs. 2 Satz 4 GSO). Dies gilt erst recht für das Abiturzeugnis, das bei Bewerbungen um ein Hochschulstudium, eine Berufsausbildung oder einen Arbeitsplatz während des gesamten beruflichen Werdegangs von erheblicher Bedeutung ist. Zeugnisbemerkungen, die auch bei Streichung der Worte der „fachärztlich festgestellten Legasthenie“ unverändert auf die Legasthenie des betroffenen Abiturienten hindeuten, sind geeignet, den Übertritt in das Berufsleben zu erschweren. Der Abiturient ist auch keineswegs verpflichtet, seine Legasthenie durch die Zeugnisbemerkung im Berufsleben einem unbestimmten Personenkreis gegenüber zu offenbaren. Es ist vielmehr von den Umständen des Einzelfalles abhängig, ob etwa ein (potentieller) Arbeitgeber in Bezug auf eine konkrete Beschäftigung nach einer Legasthenie (oder anderen Beeinträchtigungen oder Behinderungen) des Bewerbers fragen darf und dieser zu deren Offenbarung verpflichtet ist oder nicht (vgl. z. B. Linck in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 15. Aufl. 2013, § 26 Rn. 8 ff, 16 ff. m. w. N.).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.

5. Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache wegen ihres verfassungsrechtlichen Bezugs über das Bayerische Landesrecht hinaus grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Gründe

1

Die Beschwerdegründe, auf deren Überprüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller, mit dem sie im Wege einstweiligen Rechtsschutzes einen weitergehenden Nachteilsausgleich und Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung für ihren Sohn F., der die 12. Klasse des Antragsgegners besucht, begehren, zu Recht abgelehnt.

2

Dahingestellt bleiben kann, ob der sinngemäß, § 88 VwGO, gestellte Antrag, den Antragsgegner unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 09. Dezember 2013 zu verpflichten, dem Sohn der Antragsteller Nachteilsausgleich in Form von Zeitzugaben oder reduziertem Aufgabenumfang beim Schreiben in allen Fächern und Entlastung von Schreibarbeit zu gewähren und bei der Bewertung seiner Leistungen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung abzuweichen durch die Ermöglichung von Ausgleichschancen nach Minderleistung, verstärkte mündliche Bewertung und das Absehen von „Punktabzug bei schriftlichen Leistungserhebungen wegen Fehlerhäufung in der Rechtschreibung – so genannter Notenschutz – in den Fächern, bei denen es auf Genauigkeit von Tabellen, Grafiken, Zeichnungen oder ähnlichem ankommt“, schon unzulässig ist. Denn das Recht auf Nachteilsausgleich als Recht auf besondere schulische Förderung steht nicht den Erziehungsberechtigten, sondern den Schülern selbst zu, so dass diese selbst, im Falle der Minderjährigkeit vertreten durch ihre Eltern, den Anspruch gerichtlich geltend machen müssten. Jedenfalls ist der Antrag unbegründet, denn ein Anspruch auf über die bereits gewährte Schreibzeitverlängerung hinausgehenden Nachteilsausgleich steht dem Sohn der Antragsteller nicht zu.

3

Anspruchsgrundlage ist der aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. 12 Abs. 1 GG abzuleitende Anspruch auf Chancengleichheit, der im Prüfungs- wie im Schulrecht zu beachten ist. § 33 Abs. 1 Satz 2 des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt i. d. F. der Bekanntmachung vom 22. Februar 2013 (GVBl. LSA S. 68, - SchulG LSA -) bestimmt in Ausformung dieses Anspruchs, dass unterschiedlichen Bildungschancen und Begabungen durch besondere Förderung der betreffenden Schülerinnen und Schüler entsprochen werden soll. Die Pflicht, die Entwicklung der einzelnen wie aller Schülerinnen und Schüler zu fördern, bestimmt auch Inhalt und Ausmaß der Verordnungsermächtigung, mittels derer die oberste Schulbehörde den Bildungsweg zu regeln ermächtigt wird, § 35 Abs. 2 SchulG LSA. Auf dieser Grundlage hat das Kultusministerium die Verordnung über die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsbedarf vom 08. August 2013 (GVBl. LSA S. 414 - SoPädFV ST 2013 -) erlassen. § 7 Sätze 1 bis 3 SoPädFV ST 2013 bestimmen, dass für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, Behinderungen oder festgestellten Beeinträchtigungen, die zielgleich unterrichtet werden, die Rahmenbedingungen für Leistungsfeststellungen im Unterricht oder bei Leistungsnachweisen so zu gestalten sind, dass sie ihre Leistungsmöglichkeiten nachweisen können. Die Formen des anzuwendenden Nachteilsausgleichs sind individuell nach dem jeweiligen Einzelfall zu bestimmen. Sie berücksichtigen die Anforderungen und Bestimmungen des besuchten Bildungsganges sowie der entsprechenden Abschlussverordnung.

4

Die Anforderungen und Bestimmungen des Bildungsgangs ergeben sich aus dem Runderlass des Kultusministeriums „Leistungsbewertung und Beurteilung an allgemeinbildenden Schulen und Schulen des Zweiten Bildungsweges der Sekundarstufen I und II“ (RdErl. des MK vom 26. Juni 2012 – 2-83200 -, SVBl. LSA S. 103 – im Folgenden: Leistungsbewertungserlass). Dieser gewährt in Ziffer 1.5 Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen, leistungsbeeinträchtigenden chronischen Erkrankungen oder sonderpädagogischem Förderbedarf ein Recht auf Anwendung von Nachteilsausgleich. Ziffer 7.1.2 bestimmt, dass Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die zielgleich unterrichtet werden, Nachteilsausgleich unter Beachtung der Art, des Grades und des Umfanges ihres sonderpädagogischen Förderbedarfs erhalten. Ansonsten unterliegen diese Schülerinnen und Schüler den üblichen Anforderungen an die Leistungsbewertung nach dem Erlass. Bestimmungen zu dem vom Sohn der Antragsteller angestrebten Abschluss (Abitur) enthält die Verordnung über die gymnasiale Oberstufe vom 03. Dezember 2013 (GVBl. S. 5078 – Oberstufenverordnung -). Diese sieht lediglich für behinderte Schüler Sonderregelungen für die Abiturprüfung vor, für die auf Vorschlag des Vorsitzenden der Prüfungskommission Erleichterungen der äußeren Prüfungsbedingungen zugelassen werden können.

5

Gemessen an diesem rechtlichen Rahmen steht dem Sohn der Antragsteller eine Schreibzeitverlängerung von mehr als 10 vom Hundert der regulären Schreibzeit nicht zu. Das Kind hat keinen sonderpädagogischen Förderbedarf, das entsprechende Feststellungsverfahren ist mit bestandskräftigem Bescheid vom 31. Mai 2013 abgeschlossen worden. Der Bescheid stellt fest, dass die vorliegenden pädagogischen Unterlagen die Vermutung auf sonderpädagogischen Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsbedarf durch sonderpädagogische Förderung im Unterricht nicht stützen. Die Leistungen des Kindes entsprächen den Anforderungen. Schwerwiegende Beeinträchtigungen während der Beschulung hätten nicht festgestellt werden können. Medizinische, psychologische oder therapeutische Gutachten seien nicht vorgelegt worden. Dem entsprechen auch die im Verwaltungsvorgang vorgelegten Zeugnisse, die weder ein auffälliges Missverhältnis zwischen den Leistungen in den sprachorientierten und den naturwissenschaftlichen Fächern erkennen lassen noch konstant schlechte Leistungen des Kindes in einem bestimmten Bereich. Vielmehr erbrachte der Sohn der Antragsteller offenbar über Jahre so ausreichende Leistungen, dass der Verdacht einer (Teil-) Leistungsstörung nicht aufkam.

6

Soweit die schulpsychologische Referentin des Landesschulamtes, Frau B., demgegenüber in ihrer „Schulpsychologischen Stellungnahme zur Diagnostik einer Lernstörung“ vom 08. Juli 2013 das Vorliegen einer Rechtschreibschwäche bestätigt, wird aus dem vorgelegten Verwaltungsvorgang schon nicht erkennbar, nach welcher Untersuchung und anhand welcher Maßstäbe diese Diagnose gestellt wurde. Im Ergebnis wurde dem Sohn der Antragsteller keine klassifizierte Lernstörung (z. B. isolierte Rechtschreibstörung, Klassifikation nach ICD-10: F.81.1), sondern nur eine isolierte Rechtschreibschwäche bescheinigt. Zudem seien „auffällig sichtbar gewordene graphomotorische Schwierigkeiten beim Schreiben“ festzustellen. Entscheidend ist, dass es sich dabei weder um einen festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf noch um eine Behinderung oder leistungsbeeinträchtigende chronische Erkrankung handelt. Der Sohn der Antragsteller ist „beeinträchtigt“ im Sinne des § 7 SoPädFV ST 2013, wird zielgleich unterrichtet und hat daher – in der Qualifikationsphase, nicht in den Abiturprüfungen - Anspruch auf eine solche Gestaltung der Rahmenbedingungen für Leistungsfeststellungen im Unterricht oder bei Leistungsnachweisen, dass er seine Leistungsmöglichkeiten nachweisen kann.

7

Eine solche Gestaltung der Rahmenbedingungen kommt nur im Wege des Nachteilsausgleichs in Betracht. Der Nachteilsausgleich betrifft die Art und Weise der Prüfungsleistung sowie die äußeren Prüfungsbedingungen (Prof. Dr. Jörg Ennuschat, „Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Legasthenie oder Dyskalkulie“; Rechtsgutachten erstattet im März 2008 für den Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V., veröffentlicht unter http://bvl-legasthenie.de, S. 18). Häufige Maßnahmen des Nachteilsausgleichs sind etwa veränderte Formen des Leistungsnachweises (z. B. Sprechen auf Band, Einzelsituation), Nutzung methodisch-didaktischer Hilfen (z. B. veränderte Gliederung, Lesepfeil, größere Schrift, veränderte Arbeitsblätter), Einräumen von mehr Bearbeitungszeit, Bereitstellen von technischen und didaktischen Hilfsmitteln (z. B. audio-visuelle Hilfen und Computer) und differenzierte Aufgabenstellungen – in Ausnahmefällen auch in Klassenarbeiten (Ziffer 7.2.2 SoPädFV ST 2013). Die zu wählende Maßnahme orientiert sich am individuell festgestellten Nachteil und beschränkt sich darauf, nur den Nachteil auszugleichen, ohne im Ergebnis einen Vorteil für den betroffenen Schüler hervorzurufen.

8

Die Beschränkung auf Maßnahmen des Nachteilsausgleichs ergibt sich daraus, dass Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung, wie es unter anderem der von den Antragstellern zentral verfolgte „Notenschutz“ wäre, nach den Vorgaben von Ziffer 7.1.1 SoPädFV ST 2013 nur für Schüler und Schülerinnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die zieldifferent unterrichtet werden und für solche der Sekundarstufe I mit diagnostizierten Lernstörungen vorgesehen sind. Sie müssen dann aber ihre Grundlage in den individuellen Förderplänen der Schülerinnen und Schüler haben und dokumentiert sein (Ziffer 7.2.1 Satz 5) und werden auf dem Zeugnis unter „Bemerkungen“ ausgewiesen (Ziffer 7.2.5 Satz 3). Der Sohn der Antragsteller erfüllt diese Anforderungen nicht. Wird aber schon Schülerinnen und Schülern mit ausgewiesenem sonderpädagogischem Förderbedarf, wenn sie zielgleich unterrichtet werden, nur ein Nachteilsausgleich gewährt und von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung nicht abgewichen, kann für den Sohn der Antragsteller, der offenbar weniger in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, nichts anderes gelten. Dies gilt auch, wenn den von der schulpsychologischen Referentin nicht näher beschriebenen „graphomotorischen Schwierigkeiten beim Schreiben“ ein eigener, den Sohn der Antragsteller einschränkender Wert beizumessen ist. Denn gerade solchen Schwierigkeiten, die sich lediglich im Niederlegen der bereits erbrachten gedanklichen Leistung zeigen, lässt sich nicht durch veränderte Beurteilungsmaßstäbe begegnen, sondern nur durch Modifikationen bei der Leistungserbringung.

9

Hierbei ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass ein weitergehender Anspruch als die dem Sohn der Antragsteller bereits bewilligte Verlängerung der Schreibzeit bei allen schriftlichen Klausuren von 10 vom Hundert der regulären Schreibzeit diesem nicht zusteht. Das Landesschulamt hat – im Wege der Fachaufsicht - das dem Antragsgegner zustehende Auswahlermessen zwischen den verschiedenen Möglichkeiten des Nachteilsausgleichs in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Es hat dabei sowohl die Rechtschreibschwäche als auch die graphomotorische Beeinträchtigung in den Blick genommen und diese von einer Lese-Rechtschreib-Schwäche abgegrenzt, die als diagnostizierte Lernstörung gilt. Es hat die Argumentation der Schule in die Erwägung einbezogen, die ausweislich des Protokolls der Lehrerkonferenz überhaupt keinen Bedarf für einen Nachteilsausgleich gesehen hat, auch weil der Sohn der Antragsteller offenbar öfter bereits die regulär zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit für Leistungsnachweise nicht vollständig ausgenutzt hat und daher zunächst durch Ausnutzung der allen zur Verfügung stehenden Zeit seiner Beeinträchtigung im graphomotorischen Bereich wie in der Rechtschreibung hätte begegnen können.

10

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist eine Schreibzeitverlängerung von 10 vom Hundert nachvollziehbar, der Antragsgegner hat im Verfahren über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes seine diesbezüglichen Erwägungen auch noch in zulässiger Weise ergänzt, § 114 Satz 2 VwGO. Es spricht auch nicht gegen die Eignung der Schreibzeitverlängerung zum Nachteilsausgleich, dass der Sohn der Antragsteller schon bislang die zur Verfügung stehende Zeit nicht vollständig ausgenutzt hat. Denn es obliegt letztlich ihm, die gewährten Maßnahmen des Nachteilsausgleichs anzunehmen und etwa besondere Sorgfalt auf die Rechtschreibung zu verwenden oder sich beim Schreiben mehr Zeit zu lassen. Allein der Umstand, dass der Schüler eine gewährte Ausgleichsmaßnahme nicht annimmt oder eine andere bevorzugen würde, führt nicht dazu, dass dem seitens des Antragsgegners auch nachzukommen ist. Bedenken bestehen auch nicht hinsichtlich des gewährten Umfangs der Schreibzeitverlängerung. Der Antragsgegner führt hierzu in nachvollziehbarer Weise aus, dass die von den Antragstellern zum Vergleich herangezogene Schülerin, der eine umfangreichere Schreibzeitverlängerung gewährt wurde, stärker beeinträchtigt war als der Sohn der Antragsteller und daher mehr Zeit benötigte, um den aus ihren Beeinträchtigungen (Lese-Rechtschreib-Schwäche) resultierenden Einschränkungen zu begegnen.

11

Dabei musste der Antragsgegner Abwägungen hinsichtlich der vom Antragsteller begehrten Änderungen der Leistungsbewertung nach obigen Ausführungen nicht treffen und sich insbesondere nicht im Einzelnen mit den von der schulpsychologischen Referentin vorgeschlagenen Maßnahmen auseinandersetzen. Zum einen obliegt die Auswahl zu treffender Fördermaßnahmen grundsätzlich der Schule, die dabei nicht nur ärztliche oder psychologische Befunde, sondern auch die schulalltägliche Beobachtung der Kinder einzubeziehen hat. Zum anderen sind die Vorschläge in der Stellungnahme offenkundig für den in der Qualifikationsphase des Abiturjahrgangs befindlichen Sohn der Antragsteller nicht mehr anwendbar. Die Vorschläge entstammen Ziffer 7.2.3 des Leistungsbewertungserlasses und beschreiben die in der Sekundarstufe I noch zulässigen Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung. Solche sind aber für Schüler der Sekundarstufe II selbst dann nicht mehr zulässig, wenn diese einen festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf haben, vgl. Ziffer 7.1.2 Leistungsbewertungserlass. Dann kann nichts anderes für den Sohn der Antragsteller gelten. Daraus, dass der von den Antragstellern zum Vergleich hinsichtlich gewährter Vergünstigungen herangezogenen Schülerin an der Abendschule der Schule des Zweiten Bildungsweges Halle auch in der Qualifikationsphase vor dem Abitur noch weitere Privilegierungen eingeräumt wurden (keine Berücksichtigung der Rechtschreibung, verstärkte mündliche Bewertung anstelle von schriftlichen Bewertungen), vermag der Sohn der Antragsteller für sich nichts abzuleiten, da es keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gibt.

12

Die Antragsteller können auch nicht erfolgreich einwenden, ohne Notenschutz oder andere weitergehende Maßnahmen zum Ausgleich der Beeinträchtigung ihres Sohnes sei seine Chancengleichheit verletzt, da er wegen der Rechtschreibschwäche und der graphomotorischen Beeinträchtigung nicht die gleiche Prüfungsleistung erbringen könne wie seine Mitschüler. Deren Chancengleichheit würde durch noch umfassendere Erleichterungen für ihn bei der Erstellung der Arbeiten und eine geänderte Beurteilung seiner Arbeiten im Gegensatz dazu nicht verletzt, denn sie seien nicht von einem „Handicap“ betroffen.

13

Der im Prüfungsrecht maßgebliche Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG) gilt auch bei der Bewertung schulischer Leistungen. Danach muss gewährleistet sein, dass Schülerinnen und Schüler ihre schulischen Prüfungsleistungen möglichst unter gleichen äußeren (Prüfungs-) Bedingungen erbringen können und die gleichen Maßstäbe für die Bewertung einer Leistung gelten. Dies wird durch die formale Gleichbehandlung aller Prüflinge und Schüler gesichert. Im Einzelfall kann es aus Gründen der Chancengleichheit darüber hinaus erforderlich sein, zum Ausgleich von in der Person des Schülers oder der Schülerin liegenden Einschränkungen oder sonstigen Nachteilen spezielle (Prüfungs-) Vergünstigungen zu gewähren, die diesen die gleichen Chancen einräumen, den (Prüfungs-) Anforderungen zu genügen. Eine rechtserhebliche Chancenungleichheit kann insbesondere dann festgestellt werden, wenn lediglich die mechanische Darstellungsfähigkeit beeinträchtigt ist, auch wenn sie auf einem dauernden Defekt beruht. Damit ist ein Nachteilsausgleich dann geboten, wenn die Behinderungen außerhalb der durch die Prüfung zu ermittelnden Fähigkeiten liegen und das Prüfungsergebnis negativ beeinflussen können, wie beispielsweise die manuelle Fertigkeit des Schreibens. Eine Überkompensation der Nachteile dient jedoch nicht der Wiederherstellung der Chancengleichheit, sondern würde den Anspruch der Mitschülerinnen und -schüler auf Chancengleichheit verletzen (VG Braunschweig, Urt. v. 16. April 2013 - 6 A 2054/12 -, juris).

14

Nach der überwiegenden Rechtsprechung (Hess. VGH, Beschl. v. 08. Dezember 2011 – 7 A 2621/10 -; OVG BB, Beschl. v. 16. Juni 2009 - OVG 3 M 16.09 -; OVG Nieders., Beschl. v. 10. Juli 2008 – 2 ME 309/08 -; VG München, Urt. v. 26. Februar 2013 – M 3 K 11.2962 -; VG Braunschweig, Urt. v. 16. April 2013 – 6 A 204/12 - alle: juris) ist ein – über den Nachteilsausgleich hinausgehender – Notenschutz jedenfalls nicht mehr mit der durch den prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit allein gebotenen Schaffung von gleichen Ausgangsbedingungen für den rechtschreibschwachen Schüler und seine nicht behinderten Mitschüler vereinbar. Er ist vielmehr auf die Bevorzugung des eingeschränkten Schülers gerichtet, indem diesem gegenüber auf bestimmte Leistungsanforderungen verzichtet werden soll, die den Mitschülern – unabhängig von ihrer intellektuellen Begabung – abverlangt werden. Ausreichende Kenntnisse im (Lesen und) Schreiben gehören zu den Kernkompetenzen, die in der Abiturprüfung nachzuweisen sind. Eine Kompensation der durch die Rechtschreibschwäche oder die graphomotorische Beeinträchtigung bedingten Benachteiligung des Sohns der Antragsteller durch die Absenkung von geltenden Prüfungsanforderungen lässt sich dem geltenden Recht und insbesondere auch dem Grundsatz der Chancengleichheit nicht entnehmen. Der Ausschluss des Notenschutzes für die gymnasiale Oberstufe einschließlich der Abiturprüfung verstößt nicht gegen den Grundsatz der Chancengleichheit (VG Schleswig, Urt. v. 10. Juni 2009 – 9 A 208/08 -, juris).

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.

16

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.


(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. April 2012 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Urteil vom 30.4.2012 hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) im Rahmen einer Überprüfung nach § 48 SGB X einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab Oktober 2008 verneint und die nochmalige Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von dem Sachverständigen Dr. S. abgelehnt. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie einen Verfahrensmangel (Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG) geltend.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist(vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

3

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um ihrer Darlegungspflicht zu genügen, muss eine Beschwerdeführerin mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

4

Die Klägerin hält es für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob das LSG bei der Feststellung eines Gesamt-GdB nach § 69 Abs 1 und 3 SGB IX iVm der zum 1.1.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) zusätzlich zu den in der Anlage zu dieser Verordnung bestimmten Graden Ab- und Aufstufungen im Sinne von "schwachen" oder "starken" Einzel-GdB-Werten vornehmen darf. Es wird bereits nicht deutlich, inwiefern es sich bei dieser Frage um eine Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG handelt, also um eine Frage, die unter Anwendung juristischer Methodik beantwortet werden kann. Nicht dazu gehören Fragen, die Denkgesetze oder Erfahrungssätze bzw wissenschaftliche Erkenntnisse betreffen, die sich auf die Feststellung und Würdigung von Tatsachen beziehen (vgl dazu BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 9).

5

Wie die Klägerin in ihrer Beschwerde selbst ausführt, ist die Bemessung des GdB nach der ständigen Rechtsprechung des BSG in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (BSGE 4, 147, 149 f; BSGE 62, 209, 212 ff = SozR 3870 § 3 Nr 26 S 83 f; BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 10), wobei das Gericht nur bei der Feststellung der einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen (erster Schritt) ausschließlich ärztliches Fachwissen heranziehen muss. Bei der Bemessung der Einzel-GdB (zweiter Schritt) und des Gesamt-GdB (dritter Schritt) kommt es indessen nach § 69 SGB IX maßgebend auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben der Gesellschaft an. Bei diesen Prüfungsschritten hat das Tatsachengericht über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen. Diese Umstände sind in die als sogenannte antizipierte Sachverständigengutachten anzusehenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) einbezogen worden. Dementsprechend sind die AHP nach der ständigen Rechtsprechung des BSG im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu beachten (s BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 25 mwN). Für die seit dem 1.1.2009 geltende Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zur VersMedV gilt das gleiche (vgl BSG Beschluss vom 9.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - RdNr 5 juris). AHP und VG setzen die gesetzlichen Vorgaben um, wobei insbesondere auch medizinische Sachkunde zum Tragen kommt.

6

Da die Ermittlung des GdB zwar in einem rechtlichen Rahmen stattfindet, jedoch als solche die Feststellung von Tatsachen betrifft, hätte es näherer Darlegungen der Klägerin dazu bedurft, woraus sich über die Vorschriften des § 69 SGB IX iVm den VG hinaus rechtliche Grenzen ergeben sollen. Soweit die Klägerin danach fragt, ob die von ihr angesprochene Gewichtung von Einzel-GdB-Werten bei der Bildung des Gesamt-GdB rechtlich unzulässig ist, hat sie unter Berücksichtigung dieser Umstände die höchstrichterliche Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht hinreichend dargetan. Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65) oder wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen ist (vgl BSG SozR 1300 § 13 Nr 1; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 7), wenn sie so gut wie unbestritten ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17), wenn sie praktisch außer Zweifel steht (vgl BSGE 40, 40 = SozR 1500 § 160a Nr 4) oder wenn sich für die Antwort aus den anderen höchstrichterlichen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (vgl BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8).

7

Die Klägerin hat sich nur ungenügend mit den einschlägigen rechtlichen Bestimmungen befasst, um den von ihr behaupteten Klärungsbedarf zu begründen. So ist sie nicht darauf eingegangen, dass der GdB zwar nach Zehnergraden abgestuft festgestellt wird (§ 69 Abs 1 S 4 SGB IX), jedoch ein bis zu fünf Grad geringerer Wert vom höheren Zehnergrad mit umfasst wird (§ 69 Abs 1 S 5 SGB IX iVm § 30 Abs 1 S 2 Halbs 2 BVG). Bereits daraus könnte sich ergeben, dass ein GdB-Wert eine gewisse Bandbreite von Teilhabebeeinträchtigungen umfasst. Wenn § 69 Abs 3 SGB IX regelt, dass bei mehreren Beeinträchtigungen der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt wird, so liegt es nahe, dass die damit geforderte Gesamtschau auch eine Gewichtung der ermittelten Einzel-GdB-Werte erfordert(vgl dazu Teil A Nr 3 VG).

8

Ebenso wenig hat sich die Klägerin näher mit der Rechtsprechung des BSG zur Feststellung des GdB befasst, um zu begründen, dass sich daraus keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung ihrer Frage gewinnen lassen. Sie ist insoweit ausschließlich auf das Senatsurteil vom 2.12.2010 - B 9 SB 3/09 R (SozR 4-3250 § 69 Nr 12) eingegangen. Das reicht nicht aus. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Fehlen einer ausdrücklichen Beantwortung der von der Klägerin aufgeworfenen Frage in der Rechtsprechung des BSG auch darauf hindeuten könnte, dass die von der Klägerin kritisierte Gewichtung von Einzel-GdB-Werten vom BSG ohne Weiteres dem Bereich der tatrichterlichen Würdigung zugeordnet und als solche revisionsgerichtlich nicht beanstandet worden ist.

9

Im Grunde kritisiert die Klägerin mit den Ausführungen zu ihrer (Rechts-)frage die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit sie gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin eine unzutreffende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

10

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

11

Soweit von der Klägerin Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt werden, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu einer weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, für die Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45; BSG SozR 1500 § 160a Nr 24, 34). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.

12

Die im Berufungsverfahren bereits anwaltlich vertretene Klägerin macht geltend, mit Schriftsatz vom 1.3.2012 vor dem LSG beantragt zu haben, dem Sachverständigen Dr. S. erneut Gelegenheit zu geben, seine sachverständigen Erwägungen zur Bildung des Gesamt-GdB vor dem Hintergrund der medizinischen Einschätzungen des LSG in dessen Hinweis an die Beteiligten vom 31.1.2012 mittels seiner medizinischen Beurteilungen zu ergänzen. Diesem Beweisantrag sei das LSG unzulässigerweise nicht nachgegangen und habe stattdessen das hier angefochtene Urteil gefällt.

13

Diese Ausführungen der Klägerin enthalten keine ausreichenden Angaben dazu, weshalb sich das LSG als letztinstanzliche Tatsacheninstanz hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Insoweit hätte es des klägerseitigen Vortrags bedurft, weshalb nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden haben soll (vgl Becker, Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG [Teil II], SGb 2007, 328, 332 zu Fußnote 188 unter Hinweis auf BSG, Beschluss vom 14.12.1999 - B 2 U 311/99 B - mwN). Dies hat die Klägerin versäumt. Da die Bemessung des GdB nicht ausschließlich auf der Beurteilung medizinischer Befunde beruht, hätten insoweit etwaige Lücken in den medizinischen Feststellungen näher dargelegt werden müssen.

14

Ebenso wenig ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin, welche neuen entscheidungserheblichen medizinischen Erkenntnisse die von ihr beantragte Befragung des Sachverständigen Dr. S. erbracht hätte. Vielmehr hat sie in ihrer Beschwerdebegründung lediglich ausgeführt, dass der Sachverständige Dr. S. bei einer ergänzenden Befragung "seine insofern eindeutig getroffene Einschätzung über die Verschlimmerung des Behinderungszustandes der Klägerin … unterstrichen" hätte, so wie er dies bereits in seiner ergänzenden Stellungnahme zu seinem Gutachten vom 13.1.2011 getan habe.

15

Im Wesentlichen kritisiert die Klägerin auch insoweit nur die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit sie eine Zulassung der Revision - wie gesagt - nicht erreichen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).

16

Die Beschwerde ist daher ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

17

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

(1) Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis.

(2) Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.

(3) Wer die Heilkunde bisher berufsmäßig ausgeübt hat und weiterhin ausüben will, erhält die Erlaubnis nach Maßgabe der Durchführungsbestimmungen; er führt die Berufsbezeichnung "Heilpraktiker".

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes den ärztlichen Beruf ausüben will, bedarf der Approbation als Arzt.

(2) Eine vorübergehende oder eine auf bestimmte Tätigkeiten beschränkte Ausübung des ärztlichen Berufs im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist auch aufgrund einer Erlaubnis zulässig.

(3) Ärzte, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder eines Vertragsstaates sind, dem Deutschland und die Europäische Gemeinschaft oder Deutschland und die Europäische Union vertraglich einen entsprechenden Rechtsanspruch eingeräumt haben, dürfen den ärztlichen Beruf im Geltungsbereich dieses Gesetzes ohne Approbation als Arzt oder ohne Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs ausüben, sofern sie vorübergehend und gelegentlich als Erbringer von Dienstleistungen im Sinne des Artikels 50 des EG-Vertrages im Geltungsbereich dieses Gesetzes tätig werden. Sie unterliegen jedoch der Meldepflicht nach diesem Gesetz.

(4) Für die Ausübung des ärztlichen Berufs in Grenzgebieten durch im Inland nicht niedergelassene Ärzte gelten die hierfür abgeschlossenen zwischenstaatlichen Verträge.

(5) Ausübung des ärztlichen Berufs ist die Ausübung der Heilkunde unter der Berufsbezeichnung "Arzt" oder "Ärztin".

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt


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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.