Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 06. Dez. 2017 - 3 LB 11/17

ECLI:ECLI:DE:OVGSH:2017:1206.3LB11.17.00
bei uns veröffentlicht am06.12.2017

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 6. Kammer - vom 21. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Anwendbarkeit des Gleichstellungsgesetzes bei der Entscheidung über die Entsendung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat der … GmbH (... GmbH).

2

Die Stadt Husum ist Mehrheitsgesellschafterin dieser GmbH, die laut ihres Gesellschaftsvertrages einen Aufsichtsrat aus neun Mitgliedern hat. Er setzt sich zusammen aus fünf von der Stadt Husum und vier von der … mbH zu entsendenden Mitgliedern. Die Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder ist auf vier Jahre begrenzt. In der Sitzung vom 25. Juni 2015 beschloss der Kläger, der als Gemeindevertretung der Stadt Husum für die Bestellung der fünf Aufsichtsratsmitglieder zuständig ist, vier Männer und eine Frau als Mitglied bzw. als Ersatzmitglied in den Aufsichtsrat zu entsenden.

3

Diesem Beschluss lagen folgende Entsendungsvorschläge der vertretenen Fraktionen zugrunde:

4

1. CDU-Fraktion - zwei Männer

5

2. SPD-Fraktion - eine Frau und ein Mann

6

3. WGH-Fraktion - ein Mann

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4. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - zwei Frauen.

8

Über diese Vorschläge wurde in der Reihenfolge ihres Einganges abgestimmt. Nachdem den Vorschlägen 1) bis 3) entweder mit mehr Ja- als Nein-Stimmen bzw. einstimmig zugestimmt worden war, kam der unter Nummer 4) angeführte Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht mehr zur Abstimmung. Im Protokoll über die Sitzung des Klägers vom 25. Juni 2015 zu TOP 9 hieß es zur Begründung, es seien fünf Personen in den Aufsichtsrat der ... GmbH entsendet worden.

9

Am 30. Juni 2015 legte der Beklagte gegen den Beschluss des Klägers vom 25. Juni 2015 Widerspruch ein. Er führte zur Begründung aus, durch diese Beschlussfassung werde die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Gleichstellungsgesetz (GstG) verletzt, weil sowohl in Bezug auf die Mitglieder als auch auf die Stellvertretungen eine geschlechterparitätische Besetzung hätte erfolgen müssen. Mithin seien jeweils drei Frauen und zwei Männer als Mitglieder bzw. als Ersatzmitglieder zu benennen, da in der vorigen Amtszeit weibliche Mitglieder im Aufsichtsrat unterrepräsentiert gewesen seien. Entsprechende Personalvorschläge der Fraktionen seien bei der Beschlussfassung nicht berücksichtigt worden.

10

Der Beklagte forderte den Kläger auf, seinen Beschluss aufzuheben, um in seiner nächsten Sitzung eine rechtskonforme Beschlussfassung herbeizuführen. Zu diesem Zweck legte der Beklagte für die Sitzung des Klägers am 24. September 2015 einen Beschlussvorschlag zur Aufhebung des Beschlusses vom 25. Juni 2015 vor.

11

Der Kläger beschloss in der Sitzung vom 24. September 2015, den Vorschlag des Beklagten abzulehnen. Dies beanstandete der Beklagte am 28. September 2015 mit der Begründung, der Beschluss vom 25. Juni 2015 sei aufzuheben, da er gegen § 15 Abs. 1 GstG verstoße.

12

Der Kläger hat am 11. Juli 2016 Klage vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht erhoben, mit der er sich gegen die Beanstandung des Beklagten gewendet hat. Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht, die Beanstandung sei rechtswidrig, da § 15 Abs.1 GstG für den Fall der Entsendung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat nicht anwendbar sei. Das Gleichstellungsgesetz gelte nicht für juristische Personen des Privatrechts, wie hier die ... GmbH, um deren Aufsichtsratsbesetzung es gehe. Darüber hinaus erfasse das Gleichstellungsgesetz auch ehrenamtlich tätige Personen im Aufsichtsrat nicht. Selbst wenn § 15 Abs. 1 GstG einschlägig sein sollte, so gelte vorliegend eine Ausnahme, weil die Vorgabe der geschlechterparitätischen Besetzung des Aufsichtsrates einen unzulässigen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung darstelle. Diese Vorgabe verletze die in sein Ermessen gestellte Entscheidung über die Auswahl der entsprechenden Mitglieder. Die Besetzung des Aufsichtsrates sei vielmehr entsprechend dem Verfahren nach d‘Hondt unter Berücksichtigung der Fraktionsstärke vorzunehmen, so dass die Personalvorschläge der kleineren Fraktionen unberücksichtigt bleiben müssten, wenn die verfügbaren Aufsichtsratsplätze bereits durch die Personalvorschläge der großen Fraktionen besetzt seien. Dabei sei es den Fraktionen überlassen, ggf. qualifizierte Frauen in ihren Personalvorschlag aufzunehmen. Darüber hinaus stehe dem § 15 Abs. 1 GstG höherrangiges Bundesrecht entgegen. Zunächst schreibe das Gesellschaftsrecht Mindestfrauenanteile für die Aufsichtsräte nur bei solchen Gesellschaften vor, die der Mitbestimmung unterlägen oder börsennotiert seien. Nach dem Bundesgleichstellungsgesetz seien Unternehmen, an denen die öffentliche Hand mit mehr als 50 % beteiligt sei, wie hier, vom Anwendungsbereich des Gleichstellungsrechts ausgenommen. Schließlich fehle dem Landesgesetzgeber für das Gleichstellungsgesetz Schleswig-Holstein die Gesetzgebungskompetenz, da der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für das Recht der Wirtschaft Gebrauch gemacht habe.

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Der Kläger hat beantragt,

14

festzustellen, dass die Beanstandung des Beklagten vom 28. September 2015 des von ihm in der Sitzung am 24. September 2015 unter TOP 7 gefassten Beschlusses rechtswidrig ist.

15

Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

17

Er hat geltend gemacht, das Gleichstellungsgesetz sei auf die streitbefangene Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern anwendbar, weil das Gesetz gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GstG für Gemeinden gelte und auf deren Gremienbesetzung anwendbar sei. Danach sei die geschlechterparitätische Besetzung des Aufsichtsrates zwingend, weil spezifische Anforderungen des Gesellschaftsrechts dem nicht entgegenstünden. Schließlich sei auch das Demokratieprinzip nicht verletzt, weil der sogenannte Spiegelbildlichkeitsgrundsatz für die Besetzung des Aufsichtsrats nicht gelte. Vielmehr seien die Aufsichtsratsmitglieder an die Weisungen der Gemeinde gebunden, handelten damit exekutiv und müssten in ihrer Zusammensetzung nicht die politischen Kräfteverhältnisse der Gemeindevertretung wiedergeben. Da hinreichend qualifizierte Frauen für die Aufsichtsratsbesetzung vorgeschlagen worden seien, sei ein Ausnahmetatbestand von der Sollvorschrift des § 15 Abs. 1 GstG nicht gegeben.

18

Mit Urteil vom 21. Dezember 2016, auf dessen Inhalt wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie der Entscheidungsgründe verwiesen wird, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.

19

Mit der vom Senat durch Beschluss vom 11. Juli 2017 wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und trägt zur Begründung ergänzend im Wesentlichen vor:

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Sein Benennungs- und Entsendungsbeschluss vom 25. Juni 2015 verstoße nicht gegen geltendes Recht; er habe das Gleichstellungsgesetz zu Recht nicht angewendet. Denn bei der Auslegung von § 15 GstG seien der in § 1 GstG definierte Gesetzeszweck sowie der in § 2 GstG definierte Geltungsbereich zu berücksichtigen. Zweck des Gleichstellungsgesetzes sei, die Gleichstellung der Frauen im öffentlichen Dienst zu fördern. Damit ziele das Gesetz auf die formal dem öffentlichen Dienst zugehörigen Beschäftigten ab, zu denen weder die Mitglieder der Gemeindevertretungen, noch Mitglieder von Aufsichtsräten externer Gesellschaften gehörten. Dem entspreche auch der Wortlaut des § 2 GstG, welcher in Absatz 1 den Geltungsbereich unter anderem auf Gemeinden erstreckt und in Absatz 2 Bezug nimmt auf Beschäftigte im Sinne des Gleichstellungsgesetzes und diese definiert. Dazu zählten weder die Mitglieder der Gemeindevertretungen, noch die Mitglieder von Aufsichtsräten externer Gesellschaften. Insoweit sei der Wortlaut eindeutig. Schließlich laute die Überschrift des Gleichstellungsgesetzes „Gesetz zur Gleichstellung der Frauen im öffentlichen Dienst“. Der Begriff „Aufsichtsräte“ in § 15 Abs. 1 GstG erstrecke sich demnach ausschließlich auf solche des öffentlichen Dienstes. Dies entspreche auch der Vorstellung des Gesetzgebers, was ein Umkehrschluss aus § 15 Abs. 2 GstG zeige. Danach gelte für Organisationen, die nicht Träger der öffentlichen Verwaltung sind, oder sonstige gesellschaftliche Gruppierungen hinsichtlich der Benennung und Entsendung von Vertreterinnen und Vertretern für öffentlich-rechtliche Beschluss- und Beratungsgremien § 15 Abs. 1 GstG entsprechend. Damit habe der Gesetzgeber in § 15 Abs. 2 GstG ausdrücklich und klarstellend definiert, dass selbst für Organisationen, die nicht Träger der öffentlichen Verwaltung sind, die vom Gleichstellungsgesetz erfasste Zweckbestimmung nur für Benennungen und Entsendungen in öffentlich-rechtliche Beschluss- oder Beratungsgremien gilt. Hätte der Gesetzgeber insoweit auch nicht öffentlich-rechtliche Beschluss- oder Beratungsgremien erfassen wollen, hätte er dies klar zum Ausdruck bringen müssen.

21

Gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 15 Abs. 1 GstG bestünden verfassungsrechtliche Bedenken. Das Gebot der Bestimmtheit von Normen sei verletzt. Denn es sei für die Mitglieder der Gemeindevertretung nicht mit der hinreichenden Klarheit aus den Regelungen des Gleichstellungsgesetzes zu entnehmen, ob unter den Begriff „Aufsichtsräte“ auch Aufsichtsräte externer Gesellschaften fielen. Zudem werde gegen das Gleichheitsgebot aus Art. 3 Abs. 2 GG verstoßen, weil zum Beispiel bei der Besetzung von Ausschüssen der Eigenbetriebe eine paritätische Besetzung nicht vorgesehen sei, sondern eine Verhältniswahl stattfinde. Es seien keine Gründe dafür ersichtlich, die Besetzung von Aufsichtsräten externer Gesellschaften anders vorzunehmen als diejenige von Ausschüssen der Eigenbetriebe. Ferner werde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet. Schließlich liege ein Eingriff in den Wesensgehalt der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie vor, denn die (vermeintliche) Vorgabe, dass in Aufsichtsräten Frauen und Männer jeweils hälftig berücksichtigt werden sollen, könne im Extremfall dazu führen, dass derartige Aufsichtsratssitze auf Dauer nicht besetzt und Gemeinden ihre Mitwirkungsrechte nicht ausüben könnten.

22

Der Kläger beantragt,

23

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 6. Kammer - vom 21. Dezember 2016 zu ändern und festzustellen, dass die Beanstandung des Beklagten vom 28. September 2015 des von ihm - dem Kläger - in seiner Sitzung am 24. September 2015 unter Tagesordnungspunkt 7 gefassten Beschlusses rechtswidrig ist.

24

Der Beklagte beantragt,

25

die Berufung zurückzuweisen.

26

Er trägt im Wesentlichen Folgendes vor:

27

§ 2 Abs. 1 Satz 1 GstG ordne an, dass das Gesetz und mithin § 15 Abs. 1 GstG für die Stadt Husum gelte. § 15 Abs. 1 GstG beanspruche bereits vom Wortlaut ausgehend eine Anwendung auf den Fall der Besetzung des Aufsichtsrats einer zivilrechtlich verfassten Eigengesellschaft. Denn die nicht abschließende Aufzählung von Gremien, bei deren Besetzung Männer und Frauen jeweils hälftig zu berücksichtigen seien, spreche für einen weiten Anwendungsbereich. Es handele sich auch nicht um einen Redaktionsirrtum, sondern um eine bewusste Regelung, was aus der ursprünglichen Gesetzesbegründung der Landesregierung deutlich werde. Die Norm sei auch hinreichend bestimmt.

28

Zudem gingen sowohl § 15 Abs. 1 als auch § 15 Abs. 2 GstG über den Bereich des öffentlichen Dienstes im engeren Sinne hinaus. Absatz 1 Satz 1 beziehe sich auf Tätigkeiten bei privaten Einrichtungen und Absatz 2 gelte für die Tätigkeit Privater in öffentlichen Einrichtungen.

29

§ 2 Abs. 2 GstG stehe der Anwendung des § 15 Abs. 1 GstG auf die Benennung und Entsendung der Vertreterinnen und Vertreter der Stadt Husum für den Aufsichtsrat der... GmbH nicht entgegen. Gemeindevertreter seien weder Ehrenbeamtinnen oder Ehrenbeamte noch kommunale Wahlbeamtinnen oder Wahlbeamten.

30

Die Beschlüsse des Klägers verstießen gegen § 15 Abs. 1 GstG. Denn es liege kein atypischer Fall vor, der ein Abweichen von der gesetzlichen Vorgabe rechtfertige. Anders als Werkausschüsse von Eigenbetrieben, die Ausschüsse der Gemeindevertretung seien und deren Mitglieder von der Gemeindevertretung gewählt würden, hätten Kapitalgesellschaften eine eigene Rechtspersönlichkeit. Da es nicht einmal ein Gebot gebe, dass der Aufsichtsrat überhaupt mit Mitgliedern der Gemeindevertretung besetzt werde, gelte für Aufsichtsräte von Kapitalgesellschaften, an denen eine Gemeinde beteiligt ist, erst recht der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit nicht. Deshalb komme auch eine Anknüpfung an den Geschlechterproporz in der Gemeindevertretung nicht in Betracht.

31

§ 15 Abs. 1 GstG verstoße nicht gegen die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Diese bestehe ausdrücklich nur im Rahmen der Gesetze bzw. nur, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmten. Entscheidend sei, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt sei. Dies sei hier der Fall.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beanstandung des Beklagten ist rechtmäßig, weil der Beschluss des Klägers vom 24. September 2015 die rechtswidrige Beschlussfassung vom 25. Juni 2015 aufrechterhalten hat.

33

I. Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 3 Satz 3 GO zulässig. Danach steht der Gemeindevertretung gegen die Beanstandung des Bürgermeisters oder der Bürgermeisterin die Klage vor dem Verwaltungsgericht zu. Das der Klageerhebung vorgeschaltete Verfahren nach § 43 Abs. 1 bis Abs. 3 Satz 1 und 2 GO ist vollständig und ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der Beklagte hat dem Beschluss des Klägers vom 25. Juni 2015, eine Frau und vier Männer in den Aufsichtsrat der ... GmbH zu entsenden, innerhalb der Zwei-Wochenfrist des § 43 Abs. 2 Satz 1 GO am 30. Juni 2015 widersprochen (vgl. § 43 Abs. 1 GO) und seinen Widerspruch mit der Aufforderung versehen, den Beschluss wegen Verstoßes gegen § 15 Abs. 1 des Gesetzes zur Gleichstellung der Frauen im öffentlichen Dienst (Gleichstellungsgesetz – GstG) vom 13. Dezember 1994 (GVOBl. S. 562) in der Fassung der Änderung vom 16. März 2015 (GVOBl. S. 96) aufzuheben (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 2 GO). Den vom Beklagten zu diesem Zwecke vorgelegten Beschlussvorschlag zur Aufhebung des Beschlusses vom 25. Juni 2015 hat der Kläger mit Beschluss vom 24. September 2015 abgelehnt (vgl. zur Pflicht der erneuten Beschlussfassung: § 43 Abs. 3 Satz 3 GO). Binnen der Zwei-Wochenfrist des § 43 Abs. 3 Satz 1 GO hat der Beklagte am 28. September 2015 den Beschluss wegen Verletzung von § 15 Abs. 1 GstG beanstandet.

34

II. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Beanstandung des Beschlusses vom 24. September 2015, durch den der Beschluss vom 25. Juni 2015 zur Entsendung von Mitgliedern und Ersatzmitgliedern in den Aufsichtsrat der ... GmbH aufrechterhalten wird, ist rechtmäßig und verletzt den Beklagten nicht in seinen Rechten. Denn beide Beschlüsse des Beklagten, vier Männer und nur eine Frau als Mitglied bzw. als Ersatzmitglied in den Aufsichtsrat der ... GmbH zu entsenden, sind rechtswidrig, weil sie den Anforderungen an die geschlechterparitätische Gremienbesetzung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 GstG nicht genügen.

35

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 GstG sollen Frauen und Männer bei Benennungen und Entsendungen von Vertreterinnen und Vertretern für Kommissionen, Beiräte, Ausschüsse, Vorstände, Verwaltungs- und Aufsichtsräte sowie für vergleichbare Gremien, deren Zusammensetzung nicht durch besondere gesetzliche Vorschriften geregelt ist, jeweils hälftig berücksichtigt werden.

36

1. Die Norm ist anwendbar auf die Benennung und Entsendung von Vertreterinnen und Vertretern der Gemeinde in den Aufsichtsrat der ... GmbH. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm (a), aber auch aus der Gesetzeshistorie (b) sowie aus der Systematik des Gesetzes (c) und dessen Sinn und Zweck (d).

37

a) § 15 Abs. 1 Satz 1 GstG hat schon vom Wortlaut her einen weiten Anwendungsbereich, wie bereits die lange und ausdrücklich nicht abschließende Aufzählung zeigt
(„… sowie für vergleichbare Gremien“). Zudem folgt die Anwendbarkeit der Norm auf den Fall der Besetzung des Aufsichtsrats einer zivilrechtlich verfassten Eigengesellschaft (hier GmbH) aus der ausdrücklichen Nennung von „Vorständen… und Aufsichtsräten“. Denn Vorstände und Aufsichtsräte sind typischerweise keine Organe, die im öffentlichen Dienst vorkommen, sondern solche des Gesellschaftsrechts (vgl. z.B. § 52 GmbHG, § 76 AktG, § 95 AktG).

38

b) Dieses Verständnis der Norm steht im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers.

39

In der Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung zum damaligen § 13 Abs. 1 GstG, der weitgehend mit dem heutigen § 15 Abs. 1 GstG übereinstimmt, heißt es (vgl. LT-Drs. 13/1898, S. 29, 30):

40

„Der Verwaltung stehen eine Vielzahl von Benennungs- und Entsendungsrechten für die Besetzung verschiedenster Gremien zu. Absatz 1 verpflichtet die Träger der öffentlichen Verwaltung durch eine Art. 6 Satz 2 der schleswig-holsteinischen Landesverfassung konkretisierende Sollvorschrift, bei der Benennung und Entsendung von Beschäftigen in Gremien Männer und Frauen zu gleichen Teilen zu berücksichtigen. Anders als in Art. 6 Satz 2 der Landesverfassung gilt diese Verpflichtung nicht ausschließlich für öffentlich-rechtliche Beschluss- und Beratungsgremien, sondern etwa auch für Aufsichtsräte von Kapitalgesellschaften, für die einem Träger der öffentlichen Verwaltung Besetzungsrechte zustehen.“

41

Mit dieser Begründung bezieht sich der Gesetzgeber unter anderem auf die in § 28 Satz 1 Nr. 20, § 102 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 104 GO, § 65 Abs. 1 Nr. 3 LHO normierten Benennungs- und Entsendungsrechte von Gemeinden und Land für die Besetzung verschiedenster Gremien in Gesellschaften privater Rechtsform. Der Träger der öffentlichen Verwaltung (vgl. zum Begriff: § 2 Abs. 1 LVwG) hat sich danach die Besetzungsrechte vorzubehalten, wenn er - wie hier - an einer Gesellschaft des Privatrechts beteiligt ist. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich um ein Redaktionsversehen handeln könnte. Vielmehr spricht nicht nur die Gesetzesbegründung, sondern auch der Umstand, dass z.B. in § 102 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GO (§ 102 GO betrifft Gründung von und Beteiligung an Gesellschaften des privaten Rechts) und in § 65 Abs. 1 Nr. 3 LHO (§ 65 LHO betrifft die Beteiligung an privatrechtlichen Unternehmen) gleichermaßen wie in § 15 Abs. 1 Satz 1 GstG von „Aufsichtsräten“ die Rede ist, dafür, dass jeweils Aufsichtsräte als Organ einer privatrechtlich organisierten Gesellschaft gemeint sind.

42

c) Auch aus der systematischen Stellung der Norm im Gefüge des Gleichstellungsgesetzes folgt nichts anderes.

43

aa) § 15 Abs. 1 GstG beansprucht Geltung für die entsendende Gemeinde und nicht für das Gremium, in das entsandt wird - hier die... GmbH -. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 GstG. Diese Vorschrift ordnet an, dass das Gleichstellungsgesetz u.a. für Gemeinden gilt. Die Gemeinde - d.h. die Stadt Husum - ist es, die gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 GstG bei Benennungen und Entsendungen von Vertreterinnen und Vertretern für Gremien durch ihre Gemeindevertretung (vgl. § 28 Satz 1 Nr. 20 GO) tätig wird.

44

bb) Die vorstehende Auslegung des § 15 Abs. 1 Satz 1 GstG steht auch im Einklang mit § 1 Satz 2 Nr. 3 GstG. Danach fördert das Gesetz die Gleichstellung der Frauen im öffentlichen Dienst insbesondere durch die gerechte Beteiligung von Frauen an allen Lohn-, Vergütungs- und Besoldungsgruppen sowie in Gremien. Wie die Überschrift von § 1 GstG „Gesetzeszweck“ zum Ausdruck bringt, enthält die Norm keine abschließende Festlegung des Anwendungsbereichs des Gleichstellungsgesetzes, sondern trifft nur eine Aussage dazu, was das Gesetz fördern soll. Die ausdrückliche Nennung der Beteiligung von Frauen „in Gremien“ deutet darauf hin, dass nach dem Verständnis des Gleichstellungsgesetzes „öffentlicher Dienst“ auch die Tätigkeit für einen öffentlichen Rechtsträger in einer privatrechtlichen Gesellschaft sein kann. Dass der Begriff „öffentlicher Dienst“ im Gleichstellungsgesetz eine weitreichende Bedeutung hat, ergibt sich auch aus § 15 Abs. 2 GstG. Danach gilt § 15 Abs. 1 GstG entsprechend, wenn u.a. Organisationen, die nicht Träger der öffentlichen Verwaltung sind, zur Benennung und Entsendung von Mitgliedern für öffentlich-rechtliche Beschluss- oder Beratungsgremien berechtigt sind.

45

cc) § 2 Abs. 2 GstG ist auf die vorliegende Konstellation nicht anwendbar und steht deshalb der Anwendbarkeit von § 15 Abs. 1 GstG nicht entgegen.

46

§ 2 Abs. 2 Satz 1 GstG definiert, wer Beschäftigte im Sinne des Gesetzes sind, nämlich Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter, Angestellte, Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Auszubildende der Träger der öffentlichen Verwaltung nach Absatz 1. § 2 Abs. 2 Satz 2 GstG besagt, dass das Gesetz nicht für Ehrenbeamtinnen und Ehrenbeamte und kommunale Wahlbeamtinnen und Wahlbeamte gilt. Weder kennt § 15 Abs. 1 GstG die Beschäftigteneigenschaft als Tatbestandsvoraussetzung, noch zählen Gemeindevertreterinnen und -vertreter, über deren Entsendung in den Aufsichtsrat der... GmbH zu befinden war, zu den in § 2 Abs. 2 Satz 2 GstG aufgezählten Beamtengruppen. Sie sind keine Ehrenbeamtinnen und Ehrenbeamte im Sinne von § 5 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 BeamtStG; denn sie nehmen keine hoheitsrechtlichen oder solche Aufgaben wahr, die aus Gründen der Sicherung des Staates oder des öffentlichen Lebens nicht ausschließlich Personen übertragen werden dürfen, die in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis stehen. Aus demselben Grund sind sie auch keine kommunalen Wahlbeamtinnen und Wahlbeamten. Wahlbeamtinnen und Wahlbeamten sind gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 LBG Beamtinnen und Beamte auf Zeit, für deren Berufung in das Beamtenverhältnis es einer Wahl bedarf. Das Beamtenverhältnis auf Zeit dient gemäß § 4 Abs. 2 BeamtStG der befristeten Wahrnehmung von Aufgaben nach § 3 Abs. 2 BeamtStG oder der zunächst befristeten Übertragung eines Amtes mit leitender Funktion.

47

d) Sinn und Zweck des § 15 Abs. 1 GstG ist es, der Verwirklichung des Grundrechtes der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu dienen und die Gleichstellung der Frauen im öffentlichen Dienst zu fördern. Dies soll dazu beitragen, strukturelle Benachteiligungen von Frauen bei der Vergabe von Arbeitsplätzen und bei der beruflichen Entwicklung auszugleichen oder zu mindern.

48

2. Der Kläger hat mit seinen Beschlüssen gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 GstG verstoßen, indem er die gesetzliche Vorgabe, wonach Frauen und Männer jeweils hälftig berücksichtigt werden sollen, nicht beachtet und vier Männer und eine Frau in den Aufsichtsrat der... GmbH entsandt hat. Zwar handelt es sich bei § 15 Abs. 1 Satz 1 GstG um eine Soll-Vorschrift. Derartige Normen sind aber im Regelfall für die mit ihrer Durchführung betraute Behörde rechtlich zwingend und verpflichten sie, grundsätzlich so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Im Regelfall bedeutet das „Soll“ ein „Muss“. Nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen (BVerwG, Beschl. v. 27.02.2003 - 1 WB 57.02 -, juris Rn. 28 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass ein atypischer Fall vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Das wäre etwa der Fall, wenn bei Beachtung der Geschlechterparität geeignete Bewerberinnen und Bewerber nicht oder in nicht ausreichender Zahl gefunden werden könnten. Mangelnde Eignung der von der Fraktion Bündnis90/Die Grünen vorgeschlagenen zwei Frauen war aber nicht der Grund für deren Nicht-Berücksichtigung. Vielmehr war der Kläger davon ausgegangen, dass der Vorschlag nicht mehr zu thematisieren war, nachdem die Entsendung allein nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen beschlossen worden war.

49

3. Gegen § 15 Abs. 1 GstG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

50

a) Die Norm genügt dem Bestimmtheitserfordernis. Dem entspricht eine Norm immer dann, wenn etwaige Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. -, BVerfGE 102, S. 254, 337, juris Rn. 326).

51

Die Auslegung von § 15 Abs. 1 GstG kommt zu einem eindeutigen Ergebnis. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen unter II. 1. Bezug genommen.

52

b) § 15 Abs. 1 GstG steht auch im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. zur Geltung als allgemeiner Rechtsgrundsatz: BVerfG, Beschl. v. 02.05.1967 - 1 BvR 578/63 -, juris Rn. 30). Ein Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatz liegt entgegen der Ansicht des Klägers nicht darin begründet, dass § 15 Abs. 1 GstG zwar für die Entsendung in Aufsichtsräte von Kapitalgesellschaften, an denen eine Gemeinde beteiligt ist, aber nicht für die Mitgliedschaft in „Ausschüssen von Eigenbetrieben“ gilt.

53

Grundlegende Unterschiede zwischen einem Werkausschuss nach § 5 Abs. 2 Eigenbetriebsverordnung (EigVO) einerseits und dem Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften, an denen eine Gemeinde beteiligt ist, andererseits rechtfertigen die Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 GstG.

54

Unberührt von dem Recht der Gemeindevertretung, nach § 45 GO einen Werkausschuss zu bilden und ihm bestimmte Entscheidungen zu übertragen, sind Eigenbetriebe der Gemeinden gemäß § 1 Abs. 1 EigVO wirtschaftliche Unternehmen ohne Rechtspersönlichkeit nach § 106 GO. Deren Werkleitung unterliegt der Aufsicht der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters (§ 2 Abs. 4 Satz 1 EigVO) oder, soweit sich die Gemeinde für einen Werkausschuss entschieden hat (§ 5 Abs. 2 EigVO i.V.m. § 45 GO), der Kontrolle durch diesen. Die Mitglieder des Werkausschusses werden - wie auch die Mitglieder anderer Ausschüsse - je nach Verlangen einer Fraktion im Wege der Verhältniswahl oder aber durch Mehrheitswahl gewählt (§ 46 Abs. 1, § 40 Abs. 3 und 4 GO). Ebenso wie Mitgliedern anderer Ausschüsse obliegt es ihnen, an der Kontrollaufgabe der Gemeindevertretungen mitzuwirken (§ 45 Abs. 1 1. Halbsatz GO). Sie haben einen Repräsentationsauftrag, so dass der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit fortwirkt. Nach diesem Grundsatz müssen, wenn aus einem Organ heraus, in dem das Wahlvolk unmittelbar repräsentiert wird, andere Organe geschaffen werden, diese weiteren Organe in ihrer Zusammensetzung die Mehrheitsverhältnisse in dem übergeordneten Organ in ihrer politischen Gewichtung widerspiegeln (vgl. BVerfG, Urt. v. 08.12.2004 - 2 BvE 3/02 -, juris Rn. 46).

55

Für Aufsichtsräte von Kapitalgesellschaften - wie einer GmbH, an der die Gemeinde hier beteiligt ist - gelten hingegen andere Grundsätze. Anders als die Eigenbetriebe haben Kapitalgesellschaften eine eigene Rechtspersönlichkeit (vgl. z.B. § 13 Abs. 1 GmbHG). Die Aufgaben der Aufsichtsräte bestimmen sich nach dem Gesellschaftsrecht. Einem Aufsichtsrat einer GmbH kommt eine Überwachungs- und Prüfungsfunktion (§ 52 Satz 1 GmbHG i.V.m. § 111 Abs. 1 und Abs. 2 AktG) zu, ohne zugleich - anders als die Gemeindevertretung - oberstes Organ der Gesellschaft bzw. der Gemeinde zu sein. Die Benennung der Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinde für einen Aufsichtsrat ist nicht als Wahl gemäß § 40 GO, sondern als Beschluss gemäß § 39 GO ausgestaltet, weshalb das politische Kräfteverhältnis der Gemeindevertretung nicht abzubilden ist. Die Mitglieder des Aufsichtsrats haben an der Repräsentationsfunktion der Gemeindevertretung nicht teil. Sie sind vielmehr bei Ausübung ihrer Aufsichtsratstätigkeit an die mehrheitlich beschlossenen Weisungen der Gemeindevertretung gebunden (§ 104 Abs. 2 i.V.m. § 25 Abs. 1 GO) und handeln - anders als die Gemeindevertreter oder Mitglieder von Ausschüssen (§ 32 Abs. 1 GO) - nicht in freier Ausübung eines Mandats.

56

c) § 15 Abs. 1 GstG verstößt auch nicht gegen die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 54 Abs. 1 SHVerf.

57

Abgesehen davon, dass die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ausdrücklich nur im Rahmen der Gesetze besteht und die landesverfassungsrechtliche Garantie des Art. 54 Abs. 1 SHVerf die Selbstverwaltung der Gemeinden ausdrücklich nur schützt, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen, sind Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zulässig, soweit die gesetzliche Regelung durch hinreichende sachliche Gründe getragen ist, einem legitimen Zweck dient, den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügt und den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie unangetastet lässt (vgl. BVerfG, Urt. v. 21.11.2017 - 2 BvR 2177/16 -, juris, Rn. 69 ff. m.w.N.). Zu dem verfassungsrechtlich verbürgten Kernbereich zählen vor allem die gemeindlichen Hoheitsrechte (Gebiets-, Planungs-, Personal-, Organisations- und Finanzhoheit), die der Staat den Gemeinden im Interesse einer funktionsgerechten Aufgabenwahrnehmung in ihrem Grundbestand garantieren muss (BVerfG, Urt. v. 21.11.2017, a.a.O., juris Rn. 88).

58

Dies zugrunde legend ist hier festzustellen, dass § 15 Abs. 1 GstG zwar in die Organisations- und Personalhoheit einer Gemeinde eingreift; der damit verfolgte Zweck dient aber der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern und entspricht damit der Staatszielbestimmung des Art. 9 Satz 1 SHVerf, wonach es Aufgabe des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der anderen Träger der öffentlichen Verwaltung ist, die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern. § 15 Abs. 1 GstG verfolgt somit ein verfassungsrechtlich verbürgtes Ziel und damit zugleich einen legitimen Zweck.

59

Die damit einhergehende Einschränkung der Selbstverwaltungsgarantie ist nicht nur geeignet, den legitimen Zweck zu fördern, sondern die in § 15 Abs. 1 GstG getroffene Regelung ist für das Erreichen des damit verfolgten Zieles erforderlich und auch angemessen. Mit einer gesetzlichen Regelung, die eine Repräsentation von Frauen entsprechend dem Geschlechterproporz in der Gemeindevertretung vorsähe, wäre das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern (hier in Gestalt der geschlechterparitätischen Entsendung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat) nicht ebenso wirksam gefördert. Der Eingriff in die Organisationshoheit der Gemeinde hat ein nur geringes Gewicht, weil § 15 Abs. 1 GstG keine absolute Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten der Gemeinde begründet. Denn bei § 15 Abs. 1 GstG handelt es sich um eine Soll-Vorschrift, so dass in atypischen Fällen Ausnahmen zulässig sind.

60

4. § 15 Abs. 1 GstG verstößt auch nicht gegen höherrangiges Bundesrecht. Die bundesrechtlichen Normen haben einen anderen Anwendungsbereich als das Gleichstellungsgesetz, so dass Art. 31 GG (Bundesrecht bricht Landesrecht) nicht zum Tragen kommt.

61

a) § 15 Abs. 1 GstG gehört dem Kommunalrecht (Landesrecht) und nicht dem Gesellschaftsrecht (Bundesrecht) an. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil zu Recht hervorgehoben, dass der Kläger bei der ihm obliegenden Entsendungsentscheidung nicht Normadressat des GmbH-Gesetzes ist und § 52 Abs. 1 GmbHG interne Sonderregelungen für bestimmte Gesellschafter nicht ausschließt.

62

Der Landesgesetzgeber war auch nicht durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gehindert, landesrechtliche Regelungen zur geschlechterparitätischen Gremienbesetzung zu erlassen. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung ebenfalls zutreffend ausgeführt, dass die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Recht der Wirtschaft durch die in § 15 Abs. 1 GstG vorgesehene Gleichstellungsregelung nicht betroffen wird, weil diese Norm nur die internen Verhältnisse der Gesellschafterin Stadt Husum regelt.

63

b) Schließlich steht auch weder das Bundesgremienbesetzungsgesetz (BGremBG) noch das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) der landesrechtlichen Regelung zur geschlechterparitätischen Gremienbesetzung entgegen. Denn beide Gesetze gelten nur, soweit der Bund Mitglieder für Gremien bestimmen kann (§ 1 BGremBG), bzw. für Dienststellen des Bundes (§ 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 BGleiG) und Unternehmen mit Bezug zur Bundesverwaltung (§ 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 9 BGleiG).

64

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

65

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

66

Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 06. Dez. 2017 - 3 LB 11/17 zitiert 22 §§.

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In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt e

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Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 06. Dez. 2017 - 3 LB 11/17 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

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Bundesverfassungsgericht Urteil, 21. Nov. 2017 - 2 BvR 2177/16

bei uns veröffentlicht am 21.11.2017

Tenor Die Verfassungsbeschwerde wird nach Maßgabe der Gründe zurückgewiesen. Gründe A.

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(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Ist nach dem Gesellschaftsvertrag ein Aufsichtsrat zu bestellen, so sind § 90 Abs. 3, 4, 5 Satz 1 und 2, § 95 Satz 1, § 100 Abs. 1 und 2 Nr. 2 und Abs. 5, § 101 Abs. 1 Satz 1, § 103 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 105, 107 Absatz 3 Satz 2 und 3 und Absatz 4, §§ 110 bis 114, 116 des Aktiengesetzes in Verbindung mit § 93 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 2 des Aktiengesetzes, § 124 Abs. 3 Satz 2, §§ 170, 171, 394 und 395 des Aktiengesetzes entsprechend anzuwenden, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist.

(2) Ist nach dem Drittelbeteiligungsgesetz ein Aufsichtsrat zu bestellen, so legt die Gesellschafterversammlung für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und unter den Geschäftsführern Zielgrößen fest, es sei denn, sie hat dem Aufsichtsrat diese Aufgabe übertragen. Ist nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Montan-Mitbestimmungsgesetz oder dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz ein Aufsichtsrat zu bestellen, so legt der Aufsichtsrat für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und unter den Geschäftsführern Zielgrößen fest. Die Zielgrößen müssen den angestrebten Frauenanteil am jeweiligen Gesamtgremium beschreiben und bei Angaben in Prozent vollen Personenzahlen entsprechen. Wird für den Aufsichtsrat oder unter den Geschäftsführern die Zielgröße Null festgelegt, so ist dieser Beschluss klar und verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen. Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 Prozent, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten. Gleichzeitig sind Fristen zur Erreichung der Zielgrößen festzulegen. Die Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein.

(3) Werden die Mitglieder des Aufsichtsrats vor der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister bestellt, gilt § 37 Abs. 4 Nr. 3 und 3a des Aktiengesetzes entsprechend. Die Geschäftsführer haben bei jeder Änderung in den Personen der Aufsichtsratsmitglieder unverzüglich eine Liste der Mitglieder des Aufsichtsrats, aus welcher Name, Vorname, ausgeübter Beruf und Wohnort der Mitglieder ersichtlich ist, zum Handelsregister einzureichen; das Gericht hat nach § 10 des Handelsgesetzbuchs einen Hinweis darauf bekannt zu machen, dass die Liste zum Handelsregister eingereicht worden ist.

(4) Schadensersatzansprüche gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats wegen Verletzung ihrer Obliegenheiten verjähren in fünf Jahren.

(1) Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten.

(2) Der Vorstand kann aus einer oder mehreren Personen bestehen. Bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als drei Millionen Euro hat er aus mindestens zwei Personen zu bestehen, es sei denn, die Satzung bestimmt, daß er aus einer Person besteht. Die Vorschriften über die Bestellung eines Arbeitsdirektors bleiben unberührt.

(3) Mitglied des Vorstands kann nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein. Mitglied des Vorstands kann nicht sein, wer

1.
als Betreuter bei der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten ganz oder teilweise einem Einwilligungsvorbehalt (§ 1825 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) unterliegt,
2.
aufgrund eines gerichtlichen Urteils oder einer vollziehbaren Entscheidung einer Verwaltungsbehörde einen Beruf, einen Berufszweig, ein Gewerbe oder einen Gewerbezweig nicht ausüben darf, sofern der Unternehmensgegenstand ganz oder teilweise mit dem Gegenstand des Verbots übereinstimmt,
3.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlich begangener Straftaten
a)
des Unterlassens der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Insolvenzverschleppung),
b)
nach den §§ 283 bis 283d des Strafgesetzbuchs (Insolvenzstraftaten),
c)
der falschen Angaben nach § 399 dieses Gesetzes oder § 82 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung,
d)
der unrichtigen Darstellung nach § 400 dieses Gesetzes, § 331 des Handelsgesetzbuchs, § 346 des Umwandlungsgesetzes oder § 17 des Publizitätsgesetzes,
e)
nach den §§ 263 bis 264a oder den §§ 265b bis 266a des Strafgesetzbuchs zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr
verurteilt worden ist; dieser Ausschluss gilt für die Dauer von fünf Jahren seit der Rechtskraft des Urteils, wobei die Zeit nicht eingerechnet wird, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist.
Satz 2 Nummer 2 gilt entsprechend, wenn die Person in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum einem vergleichbaren Verbot unterliegt. Satz 2 Nr. 3 gilt entsprechend bei einer Verurteilung im Ausland wegen einer Tat, die mit den in Satz 2 Nr. 3 genannten Taten vergleichbar ist.

(3a) Besteht der Vorstand bei börsennotierten Gesellschaften, für die das Mitbestimmungsgesetz, das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 801-2, veröffentlichten bereinigten Fassung – Montan-Mitbestimmungsgesetz – oder das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 801-3, veröffentlichten bereinigten Fassung – Mitbestimmungsergänzungsgesetz – gilt, aus mehr als drei Personen, so muss mindestens eine Frau und mindestens ein Mann Mitglied des Vorstands sein. Eine Bestellung eines Vorstandsmitglieds unter Verstoß gegen dieses Beteiligungsgebot ist nichtig.

(4) Der Vorstand von Gesellschaften, die börsennotiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen, legt für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands Zielgrößen fest. Die Zielgrößen müssen den angestrebten Frauenanteil an der jeweiligen Führungsebene beschreiben und bei Angaben in Prozent vollen Personenzahlen entsprechen. Legt der Vorstand für den Frauenanteil auf einer der Führungsebenen die Zielgröße Null fest, so hat er diesen Beschluss klar und verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen. Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 Prozent, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten. Gleichzeitig sind Fristen zur Erreichung der Zielgrößen festzulegen. Die Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein.

Der Aufsichtsrat besteht aus drei Mitgliedern. Die Satzung kann eine bestimmte höhere Zahl festsetzen. Die Zahl muß durch drei teilbar sein, wenn dies zur Erfüllung mitbestimmungsrechtlicher Vorgaben erforderlich ist. Die Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder beträgt bei Gesellschaften mit einem Grundkapital

bis zu1 500 000 Euro neun,
von mehr als1 500 000 Euro fünfzehn,
von mehr als10 000 000 Euro einundzwanzig.

Durch die vorstehenden Vorschriften werden hiervon abweichende Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes des Montan-Mitbestimmungsgesetzes und des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes nicht berührt.

(1) Beamtinnen und Beamte stehen zu ihrem Dienstherrn in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis (Beamtenverhältnis).

(2) Die Berufung in das Beamtenverhältnis ist nur zulässig zur Wahrnehmung

1.
hoheitsrechtlicher Aufgaben oder
2.
solcher Aufgaben, die aus Gründen der Sicherung des Staates oder des öffentlichen Lebens nicht ausschließlich Personen übertragen werden dürfen, die in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis stehen.

Kommt eine Abfindung in Land in Betracht, können die in den Ländern tätigen gemeinnützigen Siedlungsunternehmen im Sinne des Reichssiedlungsgesetzes mit der Beschaffung des Ersatzlands und der Durchführung der Umsiedlung beauftragt werden.

(1) Das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit dient der dauernden Wahrnehmung von Aufgaben nach § 3 Abs. 2. Es bildet die Regel.

(2) Das Beamtenverhältnis auf Zeit dient

a)
der befristeten Wahrnehmung von Aufgaben nach § 3 Abs. 2 oder
b)
der zunächst befristeten Übertragung eines Amtes mit leitender Funktion.

(3) Das Beamtenverhältnis auf Probe dient der Ableistung einer Probezeit

a)
zur späteren Verwendung auf Lebenszeit oder
b)
zur Übertragung eines Amtes mit leitender Funktion.

(4) Das Beamtenverhältnis auf Widerruf dient

a)
der Ableistung eines Vorbereitungsdienstes oder
b)
der nur vorübergehenden Wahrnehmung von Aufgaben nach § 3 Abs. 2.

(1) Beamtinnen und Beamte stehen zu ihrem Dienstherrn in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis (Beamtenverhältnis).

(2) Die Berufung in das Beamtenverhältnis ist nur zulässig zur Wahrnehmung

1.
hoheitsrechtlicher Aufgaben oder
2.
solcher Aufgaben, die aus Gründen der Sicherung des Staates oder des öffentlichen Lebens nicht ausschließlich Personen übertragen werden dürfen, die in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis stehen.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als solche hat selbständig ihre Rechte und Pflichten; sie kann Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden.

(2) Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet den Gläubigern derselben nur das Gesellschaftsvermögen.

(3) Die Gesellschaft gilt als Handelsgesellschaft im Sinne des Handelsgesetzbuchs.

(1) Ist nach dem Gesellschaftsvertrag ein Aufsichtsrat zu bestellen, so sind § 90 Abs. 3, 4, 5 Satz 1 und 2, § 95 Satz 1, § 100 Abs. 1 und 2 Nr. 2 und Abs. 5, § 101 Abs. 1 Satz 1, § 103 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 105, 107 Absatz 3 Satz 2 und 3 und Absatz 4, §§ 110 bis 114, 116 des Aktiengesetzes in Verbindung mit § 93 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 2 des Aktiengesetzes, § 124 Abs. 3 Satz 2, §§ 170, 171, 394 und 395 des Aktiengesetzes entsprechend anzuwenden, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist.

(2) Ist nach dem Drittelbeteiligungsgesetz ein Aufsichtsrat zu bestellen, so legt die Gesellschafterversammlung für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und unter den Geschäftsführern Zielgrößen fest, es sei denn, sie hat dem Aufsichtsrat diese Aufgabe übertragen. Ist nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Montan-Mitbestimmungsgesetz oder dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz ein Aufsichtsrat zu bestellen, so legt der Aufsichtsrat für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und unter den Geschäftsführern Zielgrößen fest. Die Zielgrößen müssen den angestrebten Frauenanteil am jeweiligen Gesamtgremium beschreiben und bei Angaben in Prozent vollen Personenzahlen entsprechen. Wird für den Aufsichtsrat oder unter den Geschäftsführern die Zielgröße Null festgelegt, so ist dieser Beschluss klar und verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen. Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 Prozent, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten. Gleichzeitig sind Fristen zur Erreichung der Zielgrößen festzulegen. Die Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein.

(3) Werden die Mitglieder des Aufsichtsrats vor der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister bestellt, gilt § 37 Abs. 4 Nr. 3 und 3a des Aktiengesetzes entsprechend. Die Geschäftsführer haben bei jeder Änderung in den Personen der Aufsichtsratsmitglieder unverzüglich eine Liste der Mitglieder des Aufsichtsrats, aus welcher Name, Vorname, ausgeübter Beruf und Wohnort der Mitglieder ersichtlich ist, zum Handelsregister einzureichen; das Gericht hat nach § 10 des Handelsgesetzbuchs einen Hinweis darauf bekannt zu machen, dass die Liste zum Handelsregister eingereicht worden ist.

(4) Schadensersatzansprüche gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats wegen Verletzung ihrer Obliegenheiten verjähren in fünf Jahren.

(1) Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen.

(2) Der Aufsichtsrat kann die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände, namentlich die Gesellschaftskasse und die Bestände an Wertpapieren und Waren, einsehen und prüfen. Er kann damit auch einzelne Mitglieder oder für bestimmte Aufgaben besondere Sachverständige beauftragen. Er erteilt dem Abschlußprüfer den Prüfungsauftrag für den Jahres- und den Konzernabschluß gemäß § 290 des Handelsgesetzbuchs. Er kann darüber hinaus eine externe inhaltliche Überprüfung der nichtfinanziellen Erklärung oder des gesonderten nichtfinanziellen Berichts (§ 289b des Handelsgesetzbuchs), der nichtfinanziellen Konzernerklärung oder des gesonderten nichtfinanziellen Konzernberichts (§ 315b des Handelsgesetzbuchs) beauftragen.

(3) Der Aufsichtsrat hat eine Hauptversammlung einzuberufen, wenn das Wohl der Gesellschaft es fordert. Für den Beschluß genügt die einfache Mehrheit.

(4) Maßnahmen der Geschäftsführung können dem Aufsichtsrat nicht übertragen werden. Die Satzung oder der Aufsichtsrat hat jedoch zu bestimmen, daß bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen. Verweigert der Aufsichtsrat seine Zustimmung, so kann der Vorstand verlangen, daß die Hauptversammlung über die Zustimmung beschließt. Der Beschluß, durch den die Hauptversammlung zustimmt, bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen umfaßt. Die Satzung kann weder eine andere Mehrheit noch weitere Erfordernisse bestimmen.

(5) Der Aufsichtsrat von Gesellschaften, die börsennotiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen, legt für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und im Vorstand Zielgrößen fest. Die Zielgrößen müssen den angestrebten Frauenanteil am jeweiligen Gesamtgremium beschreiben und bei Angaben in Prozent vollen Personenzahlen entsprechen. Legt der Aufsichtsrat für den Aufsichtsrat oder den Vorstand die Zielgröße Null fest, so hat er diesen Beschluss klar und verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen. Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 Prozent, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten. Gleichzeitig sind Fristen zur Erreichung der Zielgrößen festzulegen. Die Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein. Wenn für den Aufsichtsrat bereits das Mindestanteilsgebot nach § 96 Absatz 2 oder 3 gilt, sind die Festlegungen nur für den Vorstand vorzunehmen. Gilt für den Vorstand das Beteiligungsgebot nach § 76 Absatz 3a, entfällt auch die Pflicht zur Zielgrößensetzung für den Vorstand.

(6) Die Aufsichtsratsmitglieder können ihre Aufgaben nicht durch andere wahrnehmen lassen.

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nach Maßgabe der Gründe zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerinnen sind acht kreisangehörige Gemeinden in Sachsen-Anhalt. Sie waren gemäß § 3 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 und Abs. 2 des Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege des Landes Sachsen-Anhalt (Kinderförderungsgesetz - KiFöG LSA) vom 5. März 2003 Verpflichtete des Anspruchs auf Kinderbetreuung. Mit Art. 1 Nr. 2 Buchstabe c des Gesetzes zur Änderung des Kinderförderungsgesetzes und anderer Gesetze vom 23. Januar 2013 hat der Landesgesetzgeber die Regelung neu gefasst und die Verpflichtung zur Erfüllung dieses Anspruchs in § 3 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 und Abs. 2 KiFöG LSA auf Landkreise und kreisfreie Städte als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe übertragen.

2

Die Beschwerdeführerinnen sehen in der gesetzlichen Neuregelung einen verfassungswidrigen Entzug der Aufgaben und machen insoweit eine Verletzung von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geltend.

I.

3

1. Das Kinderförderungsgesetz Sachsen-Anhalt vom 5. März 2003 trat am 8. März 2003 in Kraft (GVBl LSA S. 48 ff.). Darin wurden die Gemeinden statt der bis dahin für die Vergabe von Kinderbetreuungsplätzen zuständigen örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu Verpflichteten des Anspruchs auf Kinderbetreuung bestimmt und ihnen Pflichten im Zusammenhang mit der Finanzierung von Kindertagesstätten auferlegt. Das Gesetz wurde unter anderem am 12. November 2004 (GVBl LSA S. 774), am 5. November 2009 (GVBl LSA S. 514, 518) und am 17. Februar 2010 (GVBl LSA S. 69) geändert und enthielt in der bis zum Ablauf des 31. Juli 2013 geltenden Fassung unter anderem folgende Regelungen:

§ 3

Anspruch auf Kinderbetreuung

(Fassung vom 12. November 2004)

(1) Jedes Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt im Land Sachsen-Anhalt hat bis zur Versetzung in den 7. Schuljahrgang Anspruch

1. auf einen ganztägigen Platz (§ 17 Abs. 2) in einer Tageseinrichtung,

a) bis zum Schuleintritt, wenn aus Gründen der Erwerbstätigkeit, der Aus-, Fort- und Weiterbildung oder der Teilnahme der Eltern an einer Maßnahme der Arbeitsförderung nach § 3 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch ein Bedarf für eine solche Förderung besteht,

b) vom Schuleintritt bis zur Versetzung in den 7. Schuljahrgang,

c) ausnahmsweise, wenn und solange das Jugendamt entscheidet, Leistungen nach § 3a Abs. 3 Satz 1 zu erbringen,

2. auf einen Halbtagsplatz von mindestens fünf Stunden täglich oder 25 Wochenstunden in allen anderen Fällen.

(…)

(2) Von der Versetzung in den 7. Schuljahrgang bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres hat jedes Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt im Land Sachsen-Anhalt Anspruch auf Förderung und Betreuung in einer Tageseinrichtung, soweit Plätze vorhanden sind.

(3) Der Anspruch nach den Absätzen 1 und 2 richtet sich gegen die Gemeinde, in der das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ist die Gemeinde Mitglied einer Verwaltungsgemeinschaft, richtet sich der Anspruch gegen diese, wenn ihr diese Aufgabe von allen Mitgliedsgemeinden zur Erfüllung übertragen wurde.

(…)

§ 3b

Wunsch- und Wahlrecht

(Fassung vom 12. November 2004)

(1) Die Leistungsberechtigten nach § 3 haben das Recht, im Rahmen freier Kapazitäten zwischen den verschiedenen Tageseinrichtungen am Ort ihres gewöhnlichen Aufenthaltes oder an einem anderen Ort zu wählen. Sie sind von der Leistungsverpflichteten auf dieses Recht hinzuweisen.

(2) Der Wahl soll entsprochen werden, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist.

(…)

§ 9

Träger

(Fassung vom 5. März 2003)

(1) Träger von Tageseinrichtungen können sein:

1. Gemeinden, Zusammenschlüsse von Gemeinden, Verwaltungsgemeinschaften,

2. anerkannte Träger der freien Jugendhilfe oder

3. sonstige juristische Personen, deren Zweck das Betreiben einer Tageseinrichtung ist und die die Anforderungen des Steuerrechts an die Gemeinnützigkeit erfüllen.

(...)

(3) Die Einrichtung oder die Übernahme von Tageseinrichtungen durch Träger im Sinne von Absatz 1 Nrn. 2 oder 3 soll durch die Leistungsverpflichteten unterstützt werden.

§ 10

Sicherstellungsaufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte

(Fassung vom 5. März 2003)

(1) Die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind verantwortlich für die Vorhaltung einer an den Bedürfnissen von Familien und Kindern orientierten, konzeptionell vielfältigen, leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen Struktur von Tageseinrichtungen.

(2) Die Tagespflegepersonen sollen durch die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe fachlich beraten werden. Die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen die Gemeinden bei der Bereitstellung von Tagespflegestellen nach § 3 Abs. 4 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 unterstützen, insbesondere durch den Nachweis geeigneter Tagespflegepersonen.

§ 11

Finanzierung der Tagesbetreuung in Tageseinrichtungen und in Tagespflege

(Fassung vom 17. Februar 2010)

(1) Das Land beteiligt sich an den Kosten der Tagesbetreuung in Tageseinrichtungen und in Tagespflegestellen nach § 3 Abs. 4 und Abs. 1 Satz 2 und 3, soweit diese den Umfang eines Betreuungsangebotes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 übersteigt. Letztere sind auf den Kostenausgleich nach Absatz 5 anzurechnen.

(…)

(4) Wird eine Tageseinrichtung von einem freien Träger gemäß § 9 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 betrieben, erstattet die Leistungsverpflichtete, in deren Zuständigkeitsbereich die Tageseinrichtung ihren Sitz hat, auf Antrag die für den Betrieb notwendigen Kosten abzüglich der Elternbeiträge nach § 13 sowie eines Eigenanteils des Trägers von in der Regel bis zu 5 v. H. der Gesamtkosten. Für die Beurteilung der Notwendigkeit und Angemessenheit sind im Übrigen die Kosten maßgeblich, die die Leistungsverpflichtete selbst als Träger einer Tageseinrichtung aufzuwenden hätte. Die Leistungsverpflichteten sollen vertragliche Vereinbarungen mit den freien Trägern über den Umfang der Kostenerstattung abschließen, die auch Regelungen über die zu leistenden Abschlagszahlungen enthalten.

§ 13

Elternbeiträge

(Fassung vom 5. November 2009)

Hinsichtlich der Erhebung von Elternbeiträgen gelten die Regelungen in § 90 des Achten Buches Sozialgesetzbuch. (…) Träger gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1, in deren Gebiet ein Elternbeirat entsprechend § 19 Abs. 5 gebildet wurde, haben auch diesen Elternbeirat zu beteiligen.

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2. Mit Gesetz zur Änderung des Kinderförderungsgesetzes und anderer Gesetze vom 23. Januar 2013 (GVBl LSA S. 38 ff.) hat der Gesetzgeber das Kinderbetreuungsrecht in Sachsen-Anhalt neu geordnet. Die meisten Änderungen sind gemäß Art. 6 Abs. 1 des Änderungsgesetzes mit Wirkung zum 1. August 2013 in Kraft getreten, der neu eingefügte § 11a KiFöG LSA erst zum 1. Januar 2015 (Art. 6 Abs. 3 des Änderungsgesetzes). Die Neuregelung betraf im Wesentlichen die Verlagerung der Leistungsverpflichtung zur Bereitstellung von Plätzen in der Tageseinrichtung auf den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, die Einführung von Qualitätsstandards und die Finanzierung der Kinderbetreuung. Im Zuge dieser Gesetzesänderung wurden unter anderem folgende Bestimmungen neugefasst:

§ 3

Anspruch auf Kinderbetreuung

(1) Jedes Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt im Land Sachsen-Anhalt hat bis zur Versetzung in den 7. Schuljahrgang Anspruch auf einen ganztägigen Platz in einer Tageseinrichtung.

(2) Von der Versetzung in den 7. Schuljahrgang bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres hat jedes Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt im Land Sachsen-Anhalt Anspruch auf Förderung und Betreuung in einer Tageseinrichtung, soweit Plätze vorhanden sind.

(…)

(4) Der Anspruch nach den Absätzen 1 und 2 richtet sich gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(…)

§ 10

Sicherstellungsaufgabe und Bedarfsplanung

(1) Die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind verantwortlich für die Vorhaltung einer an den Bedürfnissen von Familien und Kindern orientierten, konzeptionell vielfältigen, leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen Struktur von Tageseinrichtungen. Sie haben eine Bedarfsplanung gemäß § 80 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 des Achten Buches Sozialgesetzbuch aufzustellen. Mit den kreisangehörigen Gemeinden, Verbandsgemeinden, Verwaltungsgemeinschaften, den Trägern der freien Jugendhilfe und dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe ist in allen Phasen der Bedarfsplanung das Benehmen herzustellen.

(2) Die Tageseinrichtungen und die Tagespflegepersonen sollen durch die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe fachlich beraten werden.

§ 11

Grundsätze der Finanzierung

(1) Die Förderung und Betreuung in Tageseinrichtungen sowie in Tagespflegestellen wird gemeinsam durch das Land, die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, die Gemeinden, Verbandsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften, in deren Gebiet die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sowie die Eltern finanziert. Das Land und die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe beteiligen sich durch Zuweisungen.

(2) Soweit Kinder in Tageseinrichtungen oder in Tagespflegestellen Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a des Achten Buches Sozialgesetzbuch oder nach den §§ 53 und 54 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Nr. 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch erhalten, erfolgt die Finanzierung dieser Leistungen nach den §§ 78a bis 78g des Achten Buches Sozialgesetzbuch oder nach den §§ 75 bis 81 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. Bei Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung erfolgt die Finanzierung dieser Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch.

§ 11a

Vereinbarungen, Rahmenvertrag

(1) Der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe schließt mit den Trägern von Tageseinrichtungen für seinen Zuständigkeitsbereich Vereinbarungen über den Betrieb der Tageseinrichtungen nach den §§ 78b bis 78e des Achten Buches Sozialgesetzbuch im Einvernehmen mit den Gemeinden, Verbandsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften.

(…)

§ 13

Kostenbeiträge

(1) Für die Inanspruchnahme von Angeboten der Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflegestellen sind von den Eltern Kostenbeiträge zu erheben. Sie sind nach der Anzahl der vereinbarten Betreuungsstunden zu staffeln.

(2) Der Kostenbeitrag wird durch die Gemeinde oder Verbandsgemeinde, in deren Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, nach Anhörung der Träger von Tageseinrichtungen und der Gemeindeelternvertretung, festgelegt. Die Festlegungen bedürfen der Zustimmung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe.

(3) Der Kostenbeitrag wird durch die Gemeinde oder Verbandsgemeinde, in deren Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, erhoben. Die Erhebung kann auf die Träger von Tageseinrichtungen übertragen werden.

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3. Die Änderung des Kinderförderungsgesetzes Sachsen-Anhalt zum 1. August 2013 ging einher mit einer ebenfalls zu diesem Tag wirksam gewordenen Neufassung des § 24 SGB VIII. Demnach sind Kinder (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII) bedarfsgerecht in einer Tageseinrichtung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) oder einer Kindertagespflege (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) zu fördern. Dabei handelt es sich in Bezug auf Kinder unter einem Jahr (§ 24 Abs. 1 SGB VIII) und auf schulpflichtige Kinder (§ 24 Abs. 4 SGB VIII) um eine objektiv-rechtliche Pflicht. Ein- bis zweijährige Kinder (§ 24 Abs. 2 SGB VIII) und dreijährige Kinder bis zum Schuleintritt (§ 24 Abs. 3 SGB VIII) haben dagegen einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz (vgl. BVerfGE 140, 65 <84 Rn. 43 f.>; BGH, Urteil vom 20. Oktober 2016 - III ZR 278/15 -, juris, Rn. 17; Rixen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 24 Rn. 8 ff.). Nach § 24 Abs. 6 SGB VIII bleibt weitergehendes Landesrecht unberührt. Das Nähere über Inhalt und Umfang der in § 24 SGB VIII normierten Rechte und Pflichten regelt das Landesrecht (§ 26 Satz 1 SGB VIII). Der Rechtsanspruch richtet sich nach § 3 Abs. 2 Satz 2, § 85 Abs. 1 SGB VIII gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Wer Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist, bestimmt ebenfalls das Landesrecht (§ 69 Abs. 1 SGB VIII). In Sachsen-Anhalt sind dies gemäß § 1 Kinder- und Jugendhilfegesetz des Landes Sachsen-Anhalt (KJHG LSA) die Landkreise und kreisfreien Städte.

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4. Anlass für die Änderung des Kinderförderungsgesetzes Sachsen-Anhalt war ein befürchteter Interessenkonflikt bei den Gemeinden, der sich nach Auffassung des Gesetzgebers daraus ergeben sollte, dass die Gemeinden sowohl Verpflichtete des Betreuungsanspruchs waren als auch selbst Betreuungsplätze anboten und anbieten. Da diese auch von freien Trägern bereitgestellt werden, stehen sich Gemeinden und freie Träger als Wettbewerber gegenüber. Allerdings soll die öffentliche Jugendhilfe nach § 4 Abs. 2 SGB VIII von eigenen Maßnahmen absehen, soweit freie Träger ein ausreichendes Angebot bereitstellen. Daraus wird mitunter die Subsidiarität kommunaler Betreuungsangebote gegenüber jenen der freien Jugendhilfe abgeleitet, jedenfalls aber ein gewisser Vorrang der freien Träger (vgl. Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 4 Rn. 45). Zum Anlass für die Änderung des Kinderförderungsgesetzes Sachsen-Anhalt heißt es in der Gesetzesbegründung (LT-Drucks 6/1258 vom 4. Juli 2012):

Leistungsverpflichteter (§ 3 Abs. 4)

Leistungsverpflichtete werden wieder die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Auf Gemeindeebene kommt es zu einem Interessenkonflikt. Viele Gemeinden sind selbst Träger von Tageseinrichtungen. Bei abnehmenden Kinderzahlen könnten sie daher ihren Tageseinrichtungen den Vorrang geben, was wiederum gegen den Subsidiaritätsgrundsatz (§§ 3, 4 SGB VIII) verstoßen würde. Dieses kann allerdings nur auf der übergeordneten Ebene der Landkreise zuverlässig vermieden werden. Kommunale Einrichtungen und Einrichtungen freier Träger treten so in einen Wettbewerb.

7

5. Die Beschwerdeführerinnen erhoben im Januar 2014 zusammen mit über 50 anderen Gemeinden gemäß Art. 75 Nr. 7 Verf LSA, § 51 Abs. 1 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht (Landesverfassungsgerichtsgesetz - VerfGG LSA) eine Kommunalverfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt, mit der sie mehrere Vorschriften des Änderungsgesetzes zum Kinderförderungsgesetz und anderer Gesetze angriffen.

8

Die für eine Kommunalverfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt maßgeblichen Bestimmungen der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 1992 (GVBl LSA 1992 S. 600, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Dezember 2014, GVBl LSA S. 494) lauten:

Artikel 2 Verf LSA

Grundlagen

(…)

(3) Die kommunale Selbstverwaltung wird gewährleistet.

(…)

Artikel 75 Verf LSA

Zuständigkeiten

Das Landesverfassungsgericht entscheidet

(…)

7. über Verfassungsbeschwerden von Kommunen und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 2 Abs. 3 und Artikel 87 durch ein Landesgesetz, (…)

Artikel 87 Verf LSA

Kommunale Selbstverwaltung

(1) Die Kommunen (Gemeinden und Landkreise) und die Gemeindeverbände verwalten ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung.

(2) Die Kommunen sind berechtigt und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, in ihrem Gebiet alle öffentlichen Aufgaben selbständig wahrzunehmen, soweit nicht bestimmte Aufgaben im öffentlichen Interesse durch Gesetz anderen Stellen übertragen sind.

(3) Den Kommunen können durch Gesetz Pflichtaufgaben zur Erfüllung in eigener Verantwortung zugewiesen und staatliche Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen werden. Dabei ist gleichzeitig die Deckung der Kosten zu regeln. Führt die Aufgabenwahrnehmung zu einer Mehrbelastung der Kommunen, ist ein angemessener Ausgleich zu schaffen.

(4) Das Land sichert durch seine Aufsicht, dass die Gesetze beachtet und die nach Absatz 3 übertragenen Aufgaben weisungsgemäß ausgeführt werden.

(5) Andere Körperschaften des öffentlichen Rechts können für die Wahrnehmung bestimmter öffentlicher Aufgaben gegenüber ihren Mitgliedern durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes gebildet werden.

§ 51 VerfGG LSA

(1) Kommunen und Gemeindeverbände können die Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, durch ein Landesgesetz in ihrem Recht auf Selbstverwaltung nach Artikel 2 Abs. 3 und Artikel 87 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt verletzt zu sein.

9

Die Beschwerdeführerinnen wandten sich unter anderem gegen die Neufassung in § 3 Abs. 4 KiFöG LSA und rügten eine Verletzung der durch die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt gewährleisteten Garantie der kommunalen Selbstverwaltung.

10

Die Verfassungsbeschwerde hatte hinsichtlich einer die Aufgabenfinanzierung betreffenden Bestimmung Erfolg. Im Übrigen wurde sie durch Urteil des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 20. Oktober 2015 - LVG 2/14 -(DVBl 2015, S. 1535 ff.) zurückgewiesen. Dabei führte das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt mit Blick auf die hier in Rede stehende Übertragung der Leistungsverpflichtung aus:

11

Es fehle bereits an einem Eingriff in ein durch die Landesverfassung gewährleistetes Recht der Gemeinden. Maßstab sei insoweit Art. 87 Verf LSA. Nach dessen Absatz 1 hätten die drei kommunalen Ebenen, das heißt die Kommunen (Gemeinden und Landkreise) und die Gemeindeverbände, gemeinsam gegenüber der staatlichen Ebene den Vorrang. Ein Vorrangverhältnis untereinander, welches die Gemeinden vor einer Verlagerung von Zuständigkeiten auf die Landkreise schütze, bestehe in der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt grundsätzlich nicht. Diese ordne vielmehr einen Dualismus der Selbstverwaltungsrechte von Landkreisen und Gemeinden an; danach sei die gemeindliche Selbstverwaltung nur eine Form der kommunalen Selbstverwaltung und stehe gleichrangig neben jener der Landkreise. Nach den landesverfassungsrechtlichen Vorgaben sei eine Verlagerung von Aufgaben von der Gemeinde- auf die Kreisebene daher grundsätzlich kein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 87 Abs. 1 Verf LSA. Ein solcher sei erst dann anzunehmen, wenn durch die Übertragung von Aufgaben und Befugnissen eine der beiden kommunalen Ebenen so ausgehöhlt werde, dass nur noch eine "leere Hülle" zurückbleibe und damit die sowohl für Gemeinden als auch für Landkreise bestehende "institutionelle Bestandsgarantie" in Frage stellte. Das sei vorliegend aber nicht der Fall (LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Oktober 2015 - LVG 2/14 -, DVBl 2015, S. 1535 <1538 f.>). Diese Auslegung von Art. 87 Abs. 1 Verf LSA stützte das Landesverfassungsgericht vor allem auf dessen Entstehungsgeschichte (LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Oktober 2015 - LVG 2/14 -, DVBl 2015, S. 1535 <1539>).

12

Zwar gewährleiste Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG einen Mindestschutz, den das Landesrecht nicht unterschreiten dürfe. Dieses Gebot richte sich jedoch nur an das Landesrecht insgesamt. Dem Landesverfassungsgeber schreibe es nicht vor, welches Schutzniveau die Landesverfassung vorsehen müsse. Das Grundgesetz enthalte keine Vorgaben dazu, durch Normen welchen Ranges seine Garantien landesrechtlich umgesetzt werden müssten. Gewähre es einen weitergehenden Schutz als die Landesverfassung, könne dies den landesverfassungsrechtlichen Schutzumfang nicht erweitern. In einer solchen Diskrepanz liege kein "geltungsvernichtender Widerspruch", sondern eine strukturbedingte Normalität in einer bundesstaatlichen Ordnung mit ihren getrennten und eigenständigen Verfassungsräumen. Maßstab für die Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht sei allein das Landesverfassungsrecht und nicht Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG (LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Oktober 2015, a.a.O.). Es entstünden dadurch auch keine Rechtsschutzlücken. Eine Prüfung am Maßstab des Art. 28 Abs. 2 GG sei dem Landesverfassungsgericht verwehrt, sie stehe allein dem Bundesverfassungsgericht zu (LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Oktober 2015, a.a.O.).

13

Im Übrigen erscheine der mit der angefochtenen Regelung verbundene Eingriff in das grundgesetzliche Aufgabenverteilungsprinzip auch im Lichte des - nicht maßgeblichen - Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gerechtfertigt. Insoweit dürften die vom Gesetzgeber angeführten Gründe für die Rückübertragung der erst 2003 auf die Gemeinden verlagerten Aufgaben bei der Erfüllung des Leistungsanspruches auf den Träger der öffentlichen Jugendhilfe ausreichen, um diese zu rechtfertigen (LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Oktober 2015, a.a.O.).

II.

14

Die Beschwerdeführerinnen rügen, die Übertragung der Leistungsverpflichtung von den Gemeinden auf die Landkreise und kreisfreien Städte verstoße gegen die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.

15

Der Zulässigkeit der Kommunalverfassungsbeschwerde stünden weder deren Subsidiarität gegenüber dem Rechtsweg zum Landesverfassungsgericht noch die für Rechtssatzverfassungsbeschwerden geltende Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG entgegen. Die Kommunalverfassungsbeschwerde des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG sei nur gegenüber solchen landesverfassungsgerichtlichen Rechtsbehelfen subsidiär, die einen gegenüber den bundesrechtlichen Vorgaben materiell gleichwertigen Rechtsschutz gewährleisteten. Dies sei in Sachsen-Anhalt jedoch nicht der Fall. Indem das Landesverfassungsrecht von Sachsen-Anhalt in der Auslegung des Landesverfassungsgerichts Gemeinden und Landkreise als eine kommunalverfassungsrechtliche Einheit behandele, setze es sich zu Art. 28 Abs. 2 GG in Widerspruch, der den Gemeinden Eigenständigkeit auch und gerade gegenüber den Landkreisen garantiere. Unter diesem Blickwinkel sei auch die Jahresfrist gewahrt. Stelle sich, wie vorliegend, erst nach Durchführung eines landesverfassungsgerichtlichen Verfahrens heraus, dass ein gleichwertiger Rechtsschutz auf Landesebene nicht bestehe, beginne die Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG erst mit dem Abschluss dieses Verfahrens zu laufen.

16

Die Übertragung der Leistungsverpflichtung von den Gemeinden auf die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe greife in das Recht der kommunalen Selbstverwaltung ein. Mit der Leistungsverpflichtung seien von den Gemeinden bislang autonom wahrgenommene Aufgaben untrennbar verbunden gewesen. So hätte die Leistungsverpflichtung insbesondere die ortsbezogene Zuständigkeit zur Planung und Koordinierung eines nachfrageadäquaten Betreuungsangebots im jeweiligen Gemeindegebiet umfasst. Im Einzelnen habe hierzu gehört:

- die Koordinierung und Durchsetzung des Anspruchs auf Kinderbetreuung im Wege der Erarbeitung einer Bedarfsanalyse und Bedarfsplanung,

- die Erstellung und Fortschreibung einer Leitplanung im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung zur Sicherung eines bedarfsgerechten Angebots an Plätzen in Kindertageseinrichtungen im Gemeindegebiet (unter Berücksichtigung der künftigen Auslastung mit Blick auf die demographische Entwicklung und etwaigen Sanierungsbedarf),

- die Entwicklung und konzeptionelle Planung des Platzangebots sowie des Bestandes an Kindertageseinrichtungen und Planumsetzung in engem Zusammenwirken mit den freien Trägern,

- die Vermittlung von Plätzen in Kindertagesstätten an die Leistungsberechtigten (Bescheiderstellung für die An-, Um- und Abmeldung), Entscheidung über Anträge auf Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts,

- die Erstellung von Jahresstatistiken,

- die Federführung bei Haushalts- und Finanzplanung in den Einrichtungen,

- der Abschluss der vertraglichen Grundlagen für den Betrieb von Kindertageseinrichtungen freier Träger im Gemeindegebiet,

- die Abstimmung der Gebühren zwischen den Kindertageseinrichtungen einer Gemeinde,

- die Defizitabrechnungen mit den freien Trägern in Bezug auf Vorauszahlungen und Endabrechnungen.

17

Mit der Zuordnung der Leistungsverpflichtung zu den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe seien ihnen die genannten Selbstverwaltungsaufgaben entzogen worden. Bei der Verlagerung dieser mit der Leistungsverpflichtung zusammenhängenden örtlichen Planungs- und Koordinierungsaufgaben auf die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe habe es sich daher um einen echten Entzug örtlicher Aufgaben zu Lasten der kreisangehörigen Gemeinden gehandelt.

18

Dieser Eingriff sei nicht gerechtfertigt. Die Gesetzesänderung verfolge schon kein legitimes Ziel. Die Befürchtung, die Gemeinden könnten sich nicht an bundesgesetzliche Vorgaben halten, indem sie freie Träger rechtswidrig benachteiligten, entbehre jeder Grundlage und werde auch durch den zu beobachtenden stetigen Anstieg freier Träger bei den Betreuungseinrichtungen widerlegt. Der Landesgesetzgeber missverstehe außerdem die einschlägigen bundesgesetzlichen Vorgaben. Diese verlangten gerade keinen unbedingten Vorrang der freien Träger und forderten insbesondere nicht, dass das vorhandene Angebot öffentlicher Einrichtungen reduziert werden müsse. Ferner werde das mit der Gesetzesänderung verfolgte Ziel nicht folgerichtig und systemkonform umgesetzt. In jedem Fall sei die Änderung aber unverhältnismäßig. Sollten sich Gemeinden nicht rechtskonform verhalten - eine Annahme, für die im Übrigen jede empirische Grundlage fehle - sei dem mit Mitteln der Rechtsaufsicht zu begegnen.

III.

19

Der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung (Bundeskanzleramt und Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), der Landtag Sachsen-Anhalt, alle Landesregierungen, der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Landkreistag, der Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder, die Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V., die Landesvereinigung für Gesundheit Sachsen-Anhalt e.V., der Bundesverband für Kindertagespflege e.V., der Humanistische Verband Deutschlands und der Bundesverband der Natur- und Waldkindergärten in Deutschland e.V. hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Von dieser Möglichkeit haben die Landesregierung Sachsen-Anhalt, der Deutsche Landkreistag, der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund und der Bundesverband für Kindertagespflege e.V. Gebrauch gemacht.

20

1. Die Landesregierung Sachsen-Anhalt hält die Kommunalverfassungsbeschwerde für unzulässig. Sie sei gegenüber der Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht subsidiär. Von dieser hätten die Beschwerdeführerinnen - teilweise erfolgreich - Gebrauch gemacht. Unerheblich sei dabei, ob die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG und § 91 Satz 2 BVerfGG enthaltene Subsidiaritätsklausel nur voraussetze, dass auf Landesebene überhaupt ein verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung stehe, oder ob darüber hinaus auch zu fordern sei, dass die in der Landesverfassung enthaltene Selbstverwaltungsgarantie den in Art. 28 Abs. 2 GG enthaltenen Gewährleistungen gleichwertig sein müsse. Im ersten Fall sei die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil in Sachsen-Anhalt vor dem Landesverfassungsgericht Rechtsschutz gegen förmliche Gesetze gewährt werde. Die zweite Alternative komme von vornherein nicht in Betracht, weil sie eine Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bundesverfassungsgericht und den Landesverfassungsgerichten unmöglich mache und der Verfassungsautonomie der Länder nur unzureichend Rechnung trage. Sie liefe auf eine unzulässige bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle landesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen hinaus und würde so zu einer nicht gewollten Verdopplung des Rechtsschutzes führen. Beschwerdeführende Kommunen könnten im Falle des Misserfolgs einer Kommunalverfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht stets behaupten, der insoweit gewährte Rechtsschutz bleibe hinter den Gewährleistungen des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zurück.

21

Auch die Beschwerdefrist sei nicht gewahrt. Die Rechtslage sei auch schon vor dem von den Beschwerdeführerinnen erwirkten Urteil des Landesverfassungsgerichts klar gewesen. Dies folge aus dem Wortlaut von Art. 87 Abs. 1 Verf LSA, in dem die in Art. 28 Abs. 2 GG verankerte Differenzierung zwischen Gemeinden und Landkreisen gerade nicht zum Ausdruck komme, sowie aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift. Das Landesverfassungsgericht habe sich zu keinem Zeitpunkt dahingehend geäußert, dass der Landesverfassung Sachsen-Anhalt ein dem Grundgesetz vergleichbares Konzept zugrunde liege. Um die Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG zu wahren, hätten die Beschwerdeführerinnen die vorliegende Kommunalverfassungsbeschwerde daher parallel zur Landesverfassungsbeschwerde erheben müssen.

22

Die Kommunalverfassungsbeschwerde sei aber auch unbegründet. Der mit der Übertragung der Leistungsverpflichtung auf die Landkreise gegebenenfalls verbundene Eingriff in die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie sei gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe dadurch Synergieeffekte mit den Aufgaben Kinderbetreuung, Kinderschutz und Hilfe zur Erziehung erzielen und zugleich Interessenkonflikte in den Gemeinden abbauen wollen. Die Gemeinden stünden mit Blick auf das Angebot von Tageseinrichtungen der Kinderbetreuung im Wettbewerb mit freien Trägern, denen nach § 4 Abs. 2 SGB VIII ein Vorrang zukomme. In Zeiten abnehmender Kinderzahlen habe eine Verzerrung des Wettbewerbs gedroht, weil die Gemeinden geneigt seien, ihren eigenen Tageseinrichtungen den Vorrang zu geben. Dies gelte besonders angesichts des stetig gestiegenen Anteils an freien Trägern, der im Jahr 2013 in Sachsen-Anhalt 45 % betragen habe; ein weiterer Anstieg sei zu erwarten gewesen. Diese Entwicklung habe einen strukturellen Anreiz für die Gemeinden dargestellt, ihre eigenen Einrichtungen zu bevorzugen. Das damit verbundene Konfliktpotential habe sich in der Vergangenheit bei Fragen der Kostenerstattung auch realisiert. Hier hätten Gemeinden bewusst zu niedrige Kosten angesetzt, wodurch freie Träger finanziell schlechter gestellt worden seien. Auch hätten Gemeinden ihre Pflicht zur Kostentragung sogar dem Grunde nach bestritten, obwohl sie zu deren Übernahme gesetzlich verpflichtet gewesen seien.

23

Die Übertragung der Leistungsverpflichtung sei geeignet, erforderlich und angemessen, um die dargestellten Zwecke zu erreichen. Ein Einschreiten im Wege der Rechtsaufsicht wäre nicht gleichermaßen wirksam gewesen, da dies eine konkrete Rechtsverletzung voraussetze und den strukturellen Konflikt daher nicht neutralisieren könne. Zudem habe die Aufgabenentziehung nur ein geringes Gewicht gehabt. In der Sache habe die Neuregelung keinerlei Veränderungen in Bezug auf die Vermittlung von Plätzen in freien und kommunalen Einrichtungen nach sich gezogen. Allein die diesbezügliche Planungs- und Gewährleistungsverpflichtung treffe nun Landkreise und kreisfreie Städte. Soweit Gemeinden bislang die Bedarfsplanung wahrgenommen hätten, sei dies keine ihnen zugewiesene Aufgabe gewesen. Die Pflicht habe vielmehr schon immer Landkreisen und kreisfreien Städten oblegen, die diese freilich teilweise nicht erfüllt und insoweit ein Vakuum geschaffen hätten, in das die Gemeinden hineingestoßen seien. Soweit die Bedarfsplanung betroffen sei, ändere die Neuregelung daher nichts am bisherigen Rechtszustand. Im Übrigen würden die Gemeinden von Planung und Gestaltung des Leistungsangebots nicht vollständig ausgeschlossen, sondern behielten bestimmenden Einfluss.

24

Soweit kreisfreie Städte und besonders ermächtigte Gemeinden zugleich Träger der Einrichtungen und der öffentlichen Jugendhilfe seien, bleibe der Interessenkonflikt zwar abstrakt bestehen; bei entsprechender Größe der Gemeinde könne dies aber durch eine hinreichend klare interne Kompetenzverteilung aufgefangen werden.

25

2. Der Deutsche Landkreistag führt aus, dass die in § 24 Abs. 2 und Abs. 3 SGB VIII normierte Verpflichtung der Landkreise als Träger der öffentlichen Jugendhilfe eine Pflicht zur sorgfältigen Planung der Jugendhilfe im Bereich der Kindertagesbetreuung begründe. Sie hätten ferner dafür zu sorgen, dass freie und öffentliche Träger die benötigten Plätze schüfen. Wenn dies nicht gelinge, seien sie verpflichtet, selbst eigene Plätze bereitzustellen. Dies sei allerdings bis heute nie der Fall gewesen.

26

Die Kindertagesbetreuung werde bundesweit nahezu flächendeckend von den kreisangehörigen Städten und Gemeinden gewährleistet. In Sachsen-Anhalt seien die Gemeinden durchweg hinreichend leistungsfähig, um die organisatorischen Aufgaben der Kindertagesbetreuung selbst wahrnehmen zu können. Davon blieben die Stellung der Landkreise als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe und ihre Gesamtverantwortung jedoch unberührt. Im Übrigen habe die Wahrnehmung der den Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt im Bereich der Kindertagesbetreuung übertragenen Aufgaben nie Anlass zur Kritik gegeben.

27

3. Der Deutsche Städtetag erläutert, dass die Sicherstellung des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 und Abs. 3 SGB VIII eine umfangreiche Bedarfsanalyse und Bedarfsplanung der öffentlichen Träger der Jugendhilfe voraussetze. Um ein bedarfsgerechtes, vielfältiges und wohnortnahes lokales Angebot sicherzustellen und den Wünschen der Eltern zu entsprechen, sei darauf zu achten, dass möglichst verschiedene Angebote vorhanden seien. Dabei seien vielfältige Kriterien zu berücksichtigen (Wohnort- oder Arbeitsplatznähe, Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln, pädagogische Ausrichtung, Betreuungszeiten) und eine kleinräumige Analyse und Planung erforderlich. Für diese würden unterschiedliche Instrumente (Elternbefragung, Auswertung von Informationen über die Entwicklung von Wohnraum und Arbeitsmarkt sowie zur demographischen Entwicklung, Zusammenarbeit mit freien, kirchlichen und gewerblichen Trägern) eingesetzt, die genaue Kenntnisse der lokalen Situation erforderten. Städte und Gemeinden hätten wichtige Aufgaben bei der Gewinnung, Aus- und Fortbildung von Pflegepersonen und bei der Vermittlung von Betreuungsplätzen. Zu ihren Aufgaben gehöre schließlich auch der Betrieb eigener Einrichtungen, die damit zusammenhängende Haushalts- und Finanzplanung, der Abschluss von Verträgen mit freien und gewerblichen Trägern, die Abrechnung mit diesen Trägern, die Erstellung von Jahresstatistiken und der Erlass einer Gebührenordnung.

28

Gründe, die einer Wahrnehmung dieser Aufgaben durch die kreisangehörigen Städte und Gemeinden entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Die Aufgaben hätten einen starken lokalen Bezug, der ihre Anbindung an die kommunale Ebene sinnvoll erscheinen lasse. Die Landkreise hätten durch Gebietsreformen zudem eine Größe erlangt, bei der sie Aufgaben der örtlichen Daseinsvorsorge nur noch schwer erfüllen könnten.

29

4. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund ist der Auffassung, aus Art. 28 Abs. 2 GG folge ein verfassungsunmittelbares Recht der Gemeinden, Kindertageseinrichtungen zu errichten, zu unterhalten und zu betreiben. Dies sei eine Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge und eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft. Zur Sicherstellung dieser Aufgabe würden von den Gemeinden umfangreiche Planungen zur Bedarfsermittlung der verschiedenen Anspruchsgruppen durchgeführt, müssten Plätze vermittelt, Anträge unter Wahrung des Wunsch- und Wahlrechts der Eltern bearbeitet und Verträge mit freien Trägern abgeschlossen werden. Es sei daher folgerichtig, wenn den kreisangehörigen Gemeinden eine Sicherstellungsfunktion zugesprochen werde, die neben die Pflichten des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe trete.

30

Es habe sich bewährt, dass in Sachsen-Anhalt bislang die Gemeinden den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung zu gewährleisten gehabt hätten. Nur so habe ein bedarfsgerechtes Angebot orts- und stadtteilgenau geplant und mit den freien Trägern im Gemeindegebiet koordiniert werden können. Gründe, diese Aufgabe auf die Landkreise zu übertragen, gebe es nicht. Im Gegenteil habe die Gebietsreform in Sachsen-Anhalt besonders große Gemeinden hervorgebracht, die auch entsprechend leistungsfähig seien. Die Landkreise seien dagegen zu groß und heterogen geworden, als dass eine ortsnahe, auf die Bedürfnisse von Eltern und Kindern ausgerichtete Planung noch möglich sei. Zwischen den Gemeinden und den freien Trägern habe sich ein partnerschaftliches Vertrauensverhältnis entwickelt. 45 % der Einrichtungen in Sachsen-Anhalt würden heute durch freie Träger betrieben, obwohl 1990 alle Einrichtungen noch von den Gemeinden betrieben worden seien. Dies allein belege, dass die Gemeinden ihren eigenen Einrichtungen weder den Vorrang gäben, noch diese bei der Finanzierung bevorzugten. Nach der Neuregelung habe den Gemeinden hinsichtlich der freien Träger zwar eine - vom Landesverfassungsgericht beanstandete - Restfinanzierungsverantwortung oblegen; sie dürften aber nicht mehr die Verhandlungen mit den freien Trägern führen.

31

5. Der Bundesverband für Kindertagespflege e.V. führt aus, dass diejenige Stelle, die die Gesamtverantwortung innehabe, für ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen sorgen müsse. Obwohl sich der Rechtsanspruch gegen den örtlichen Träger der Jugendhilfe und damit in der Regel gegen einen Landkreis oder eine kreisfreie Stadt richte, erfolge die konkrete Erfüllung und Bearbeitung des Rechtsanspruchs in der Regel auf kommunaler Ebene. Der örtliche Träger sei zwar für die Bereitstellung verantwortlich; Auswahl und Besichtigung der Einrichtungen erfolgten jedoch auf der lokalen Ebene. An die Einrichtungen wendeten sich in der Regel auch die Eltern, wenn sie einen Betreuungsplatz suchten. Entschieden sich die Eltern für eine kommunale Einrichtung, seien typischerweise die Einrichtung und die Kommune für Vermittlung und Bewilligung zuständig. Sehr häufig würden Kinder bei mehreren Einrichtungen angemeldet, um die Erfolgsaussichten auf einen Platz zu erhöhen, woraus sich Koordinationserfordernisse ergäben. Ohne die Mitwirkung des Leistungsträgers auf der kommunalen Ebene könne ein Betreuungsplatz daher in der Regel nicht bereitgestellt werden.

32

Die Befürchtung des Gesetzgebers, Gemeinden könnten ihre Einrichtungen bevorzugen, sei aus Sicht des Bundesverbands begründet. Dessen Mitglieder berichteten häufig, dass Gemeinden Eltern offensiv zu einer kommunalen Einrichtung rieten. Allerdings bedeute die Übertragung der Zuständigkeit auf die Landkreise als solche keine Abhilfe. Auch dort komme es häufig vor, dass "staatliche" Einrichtungen gegenüber solchen freier Träger bevorzugt würden. Diesem Mangel könne nur dadurch abgeholfen werden, dass auch Zusammenschlüsse freier Träger in der Planung frühzeitig beteiligt würden. Das sei bislang nicht der Fall. Die Fähigkeit zur Aufgabenerfüllung hänge daher nicht davon ab, ob sie von den Gemeinden oder den Kreisen erfüllt würden, sondern davon, ob alle Träger der verschiedenen Einrichtungen in die Bedarfsplanung einbezogen würden. Es bestehe schließlich kein Grund zur Annahme, dass dem Subsidiaritätsgebot für kommunale Einrichtungen durch eine Verlagerung der Aufgaben auf die Landkreise gedient sei. Sinnvoll seien allein landesrechtliche Vorgaben.

IV.

33

In der mündlichen Verhandlung vom 12. April 2017 haben die Beteiligten ihr schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt.

34

Die Landesregierung Sachsen-Anhalt hat klarstellend ausgeführt, dass den Gemeinden mit der angegriffenen Gesetzesänderung vom 23. Januar 2013 keine Planungs- und Koordinierungsrechte entzogen worden seien. Die Neuregelung in § 3 Abs. 4 KiFöG LSA betreffe ausschließlich die Frage, wer Adressat des gesetzlichen Anspruchs auf Kinderbetreuung sei und diesen zu erfüllen habe. Es handele sich insoweit um die Auferlegung einer Gewährleistungspflicht, für die nunmehr die Jugendämter einzustehen hätten. Dies führe zu keinem Kompetenzzuwachs bei den Landkreisen, sondern begründe, im Gegenteil, neue Haftungsrisiken für diese, weil die Nichtbereitstellung eines Kinderbetreuungsplatzes einen Amtshaftungsanspruch auslösen könne. Auswirkungen habe die Neuregelung lediglich an drei Stellen: Unmittelbar regele sie, wer Verpflichteter des Anspruchs auf Kinderbetreuung sei, mittelbar wirke sie sich aber auf das Wunsch- und Wahlrecht (§ 3b Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 KiFöG LSA) und die Unterstützungspflicht zur Einrichtung oder Übernahme von Tageseinrichtungen durch Träger gemäß § 9 Abs. 3 KiFöG LSA aus. In der Sache diene sie der Stärkung der Jugendämter, die die von ihnen zu erbringenden Leistungen aus einer Hand anbieten könnten. Dies sei im Sinne einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung, für welche die örtlichen Träger der Jugendhilfe gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 79a SGB VIII zu sorgen hätten.

B.

35

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

36

Die Gemeinden wenden sich ausdrücklich gegen Art. 1 Nr. 2 Buchstabe c des Gesetzes zur Änderung des Kinderförderungsgesetzes und anderer Gesetze vom 23. Januar 2013. Dabei handelt es sich um einen tauglichen Beschwerdegegenstand im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 Satz 1 BVerfGG, durch den sie selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sind (I.). Die Kommunalverfassungsbeschwerde genügt auch den Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes gemäß Art. 93 Nr. 4b GG, § 91 Satz 2 BVerfGG (II.) und wurde fristgemäß erhoben (III.).

I.

37

1. Mit ihrer kommunalen Verfassungsbeschwerde greifen die Beschwerdeführerinnen unmittelbar Art. 1 Nr. 2 Buchstabe c des Gesetzes zur Änderung des Kinderförderungsgesetzes und anderer Gesetze vom 23. Januar 2013 an, soweit mit diesem § 3 Abs. 3 KiFöG LSA 2004 geändert und als § 3 Abs. 4 KiFöG LSA 2013 neu gefasst wurde.

38

2. Die angegriffene Norm betrifft unmittelbar die Auswechslung des zur Erfüllung des Anspruchs auf Kinderbetreuung Verpflichteten gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 2 KiFöG LSA. Dem Beschwerdevorbringen ist darüber hinaus zu entnehmen, dass sich die Beschwerdeführerinnen auch gegen die Entziehung der mit der Leistungsverpflichtung typischerweise zusammenhängenden Aufgaben wenden.

39

a) Das betrifft insbesondere die Regelungen in § 3b Abs. 1 und § 9 Abs. 3 KiFöG LSA, die selbst zwar unverändert geblieben sind, jedoch auf den Leistungsverpflichteten im Sinne des § 3 Abs. 3 KiFöG LSA 2004 Bezug nehmen und daran rechtliche Wirkungen knüpfen.

40

Gemäß § 3b Abs.1 KiFöG LSA haben die Leistungsberechtigten nach § 3 KiFöG LSA das Recht, im Rahmen freier Kapazitäten zwischen den verschiedenen Einrichtungen am Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts oder einem anderen Ort zu wählen. Sie sind von den Leistungsverpflichteten auf dieses Recht hinzuweisen. Gemäß § 9 Abs. 3 KiFöG LSA soll die Einrichtung oder die Übernahme von Tageseinrichtungen durch Träger im Sinne von Abs. 1 Nr. 2 (anerkannte Träger der freien Jugendhilfe) oder Nr. 3 (sonstige juristische Personen, deren Zweck das Betreiben einer Tageseinrichtung ist und die die Anforderungen des Steuerrechts an die Gemeinnützigkeit erfüllen) durch die Leistungsverpflichteten unterstützt werden. Mit dem Fortfall der Leistungsverpflichtung sind damit auch die in § 3b Abs. 1 und § 9 Abs. 3 KiFöG LSA geregelten Aufgaben auf die örtlichen Träger der Jugendhilfe übergegangen. Da diese Vorschriften an die Stellung als Leistungsverpflichteter anknüpfen, sind sie ebenfalls Gegenstand der vorliegenden Verfassungsbeschwerde.

41

b) Das gilt auch für den behaupteten Entzug der mit der Leistungsverpflichtung verbundenen Planungs- und Koordinierungsaufgaben. Darunter fallen die von den Beschwerdeführerinnen angeführten Aufgaben der Koordinierung und Durchsetzung des Anspruchs auf Kinderbetreuung durch eine Bedarfsanalyse und Bedarfsplanung, die Erstellung und Fortschreibung einer Leitplanung zur Sicherung eines bedarfsgerechten Angebots an Plätzen in Kindertageseinrichtungen im Gemeindegebiet (unter Berücksichtigung der künftigen Auslastung mit Blick auf die demographische Entwicklung und etwaigen Sanierungsbedarf), die Entwicklung und konzeptionelle Planung des Platzangebots sowie des Bestandes an Kindertageseinrichtungen und die Umsetzung der Planung in engem Zusammenwirken mit den freien Trägern, die Erstellung von Jahresstatistiken, der Abschluss von Verträgen über den Betrieb von Kindertageseinrichtungen freier Träger im Gemeindegebiet und die Abstimmung der Gebühren zwischen den Kindertageseinrichtungen einer Gemeinde.

42

Soweit die Beschwerdeführerinnen die Entziehung der Federführung bei der Haushalts- und Finanzplanung in den Einrichtungen und, damit einhergehend, den Verlust der Zuständigkeit für die Defizitabrechnungen mit den freien Trägern in Bezug auf Vorauszahlungen und Endabrechnungen angreifen, wenden sie sich der Sache nach gegen die ersatzlose Streichung des § 11 Abs. 4 KiFöG LSA 2010 durch Art. 1 Nr. 11 des Gesetzes zur Änderung des Kinderförderungsgesetzes und anderer Gesetze vom 23. Januar 2013. Nach dieser Regelung oblag den Kommunen eine partielle und vorübergehende Finanzierungspflicht bezüglich der vom Land und den örtlichen Trägern der Jugendhilfe erhaltenen Pauschalzahlungen (LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12. Juli 2005 - LVG 6/04 -, juris, Rn. 86; vgl. auch LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Oktober 2015 - LVG 2/14 -, DVBl 2015, S. 1535 <1536>). In diesem Rahmen waren die leistungsverpflichteten Gemeinden gemäß § 11 Abs. 4 Satz 1 KiFöG LSA 2010 verpflichtet, den freien Trägern von Kindertageseinrichtungen die für den Betrieb notwendigen Kosten abzüglich Elternbeiträge und eines Eigenanteils von in der Regel bis zu 5 v. H. der Gesamtkosten aus den ihnen zweckgebunden zugewandten Mitteln zu erstatten. Gemäß Satz 3 sollten die Leistungsverpflichteten vertragliche Vereinbarungen mit den freien Trägern über den Umfang der Kostenerstattung abschließen, die auch Regelungen über die zu leistenden Abschlagszahlungen enthielten.

43

3. Die Beschwerdeführerinnen sind durch die angegriffenen Rechtsnormen selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Sie haben ihre Rechtsstellung als Leistungsverpflichtete für die Kindertagesbetreuung und die unmittelbar daran anknüpfenden Aufgaben durch die angegriffene Regelung des Art. 1 Nr. 2 Buchstabe c und Nr. 11 des Gesetzes vom 23. Januar 2013 zur Änderung des Kinderförderungsgesetzes und anderer Gesetze verloren. Insoweit haben sie eine mögliche Verletzung von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG dargelegt (vgl. BVerfGE 71, 25 <36 f.>; 76, 107 <116>; 107, 1 <8>).

II.

44

Der Zulässigkeit der Kommunalverfassungsbeschwerde steht deren Subsidiarität gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 Satz 2 BVerfGG nicht entgegen. Zwar ist eine Kommunalverfassungsbeschwerde gegen Landesgesetze unzulässig, soweit eine solche auch beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 Satz 2 BVerfGG (1.). Der Grundsatz der Subsidiarität der Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG findet jedoch keine Anwendung, soweit die landesverfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung hinter dem Gewährleistungsniveau des Art. 28 Abs. 2 GG zurückbleibt (2.). Dies ist hier der Fall (3.).

45

1. Das Grundgesetz eröffnet den Kommunen bei legislativen Eingriffen in ihr durch Art. 28 Abs. 2 GG garantiertes Selbstverwaltungsrecht den Weg zum Bundesverfassungsgericht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG). Diese Zuständigkeit besteht allerdings nur, soweit die betroffenen Kommunen nicht Beschwerde zum Landesverfassungsgericht erheben können. Der den Landesverfassungsgerichten damit zukommende prinzipielle Vorrang bei der Gewährung von Rechtsschutz gegen Eingriffe in die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung ist Ausdruck der den Ländern zukommenden Verfassungsautonomie.

46

Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG genießen die Länder Verfassungsautonomie. Soweit das Grundgesetz nicht besondere Anforderungen statuiert, können sie ihr Verfassungsrecht und ihre Verfassungsgerichtsbarkeit nach eigenem Ermessen ordnen (vgl. BVerfGE 4, 178 <189>; 36, 342 <361>; 60, 175 <207 f.>; 96, 345 <368 f.>; 103, 332 <350>). Sie können in ihre Verfassung nicht nur Staatsfundamentalnormen aufnehmen, die das Grundgesetz nicht kennt, sondern auch Staatsfundamentalnormen, die mit den entsprechenden Staatsfundamentalnormen der Bundesverfassung nicht übereinstimmen (vgl. BVerfGE 36, 342 <361>). Sie sind auch weitgehend frei in der Entscheidung, ob sie Regelungen, die das Grundgesetz enthält, in ihre Landesverfassungen übernehmen oder nicht. Aufgrund ihrer Verfassungsautonomie sind sie nicht verpflichtet, in ihren Verfassungen bestimmte Regelungen vorzusehen. Sie sind nicht einmal verpflichtet, sich überhaupt eine formelle Verfassung zu geben (vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 28 Rn. 43, m.w.N.).

47

Insbesondere der Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder soll vom Bundesverfassungsgericht möglichst unangetastet bleiben (vgl. BVerfGE 36, 342 <357>; 41, 88 <119>; 60, 175 <209>; 96, 231 <242>; 107, 1 <10>). Die Landesverfassungsgerichtsbarkeit soll nicht in größere Abhängigkeit gebracht werden, als es nach dem Bundesverfassungsrecht unvermeidbar ist (vgl. BVerfGE 36, 342 <357>; 41, 88 <119>; 60, 175 <209>; 96, 231 <242>; 107, 1 <10>). Dies bedeutet, dass die Länder - abgesehen von den Fällen der Art. 99 und Art. 100 Abs. 3 GG - durch eine eigene Verfassungsgerichtsbarkeit über die Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit der Landesverfassung entscheiden und diese grundsätzlich ohne (inhaltliche) Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht auslegen können (vgl. BVerfGE 41, 88 <119>; 97, 298 <314>). Daraus folgt zugleich, dass für die Landesverfassungsgerichte - unbeschadet spezifischer Anforderungen an die Wirksamkeit landesverfassungsrechtlicher Bestimmungen im Einzelfall - ausschließlich die Landesverfassung den Maßstab ihrer Entscheidungsfindung bildet (vgl. BVerfGE 103, 332 <350 f.>; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, § 91 Rn. 80 ff. ; Lechner/Zuck, BVerfGG, 7. Aufl. 2015, § 91 Rn. 38; vgl. zu den Fällen des Art. 93 Abs. 1 Nr. 5, Art. 99 GG: BVerfGE 6, 376<382>; 64, 301 <317>; 69, 112 <117>; 120, 82 <101>).

48

2. Grenzen der Verfassungsautonomie der Länder ergeben sich aus zwingenden Vorgaben des Grundgesetzes. Die Landesverfassungen müssen diese zwar nicht selbst repetitiv aufnehmen, dürfen ihnen aber auch nicht zuwider- oder sie unterlaufen (vgl. BVerfGE 103, 332 <347 f.>; 139, 321 <361 ff. Rn. 123 ff.).

49

Zu den für die Länder zwingenden Vorgaben des Grundgesetzes gehört auch Art. 28 Abs. 2 GG. In ständiger Rechtsprechung hat nicht nur das Bundesverfassungsgericht Bestimmungen des Landesrechts unmittelbar am Maßstab des Art. 28 Abs. 2 GG gemessen (zuletzt BVerfGE 138, 1<16 ff. Rn. 43 ff.>). Dass die Bestimmungen des Landesrechts einschließlich der Landesverfassung im Einklang mit Art. 28 Abs. 2 GG stehen müssen, entspricht auch der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte (vgl. BremStGH, Entscheidung vom 4. Juli 1953 - St 1/1953 -, BremStGHE 1, 42 <44>; NdsStGH, Urteil vom 15. Februar 1973 - StGH 2/72 und 3/72 -, DVBl 1973, S. 310 <311 f.>; LVerfG Bbg, Urteil vom 19. Mai 1994 - VfgBbg 9/93 -, LVerfGE 2, 93 <101 f.>; vgl. auch ThürVerfGH, Urteil vom 18. Dezember 1996 - 2/95 und 6/95 -, LVerfGE 5, 391 <409>) und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum (vgl. Tettinger/Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 28 Abs. 2 Rn. 136, 141; Dreier, in: ders., GG, Bd. 2, Art. 28 Rn. 83; Nierhaus, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 28 Rn. 39; Mehde, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Abs. 2 Rn. 1, 48 ). Das Landesrecht darf daher keine Regelungen enthalten, die mit Art. 28 Abs. 2 GG nicht vereinbar sind. Aus der Sicht des Grundgesetzes macht es dabei keinen Unterschied, ob es sich um ein einfaches Landesgesetz oder eine Regelung der Landesverfassung handelt. Auch Letztere darf dem Grundgesetz nicht widersprechen. Bleiben die landesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen hingegen hinter der Garantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zurück, verstieße ein mit dieser Garantie unvereinbares Landesgesetz zwar nicht gegen die Landesverfassung; das Landesverfassungsgericht könnte einen entsprechenden Verstoß auch nicht feststellen. An der Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz ändert dies indes nichts.

50

3. Vor diesem Hintergrund findet der Grundsatz der Subsidiarität der Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG keine Anwendung, wenn die landesverfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung hinter dem Gewährleistungsniveau des Art. 28 Abs. 2 GG zurückbleibt. Der Vorrang der Landesverfassungsgerichtsbarkeit reicht nur so weit, wie die Landesverfassung den Garantiegehalt von Art. 28 Abs. 2 GG auch im Wesentlichen abdeckt und seine Wahrung von der Landesverfassungsgerichtsbarkeit überprüft werden kann. Die Subsidiaritätsklausel greift daher zum einen nicht ein, wenn der landesverfassungsrechtliche Rechtsschutz hinter dem durch das Bundesverfassungsgericht gewährten Rechtsschutz zurückbleibt und keine Überprüfung untergesetzlicher Normen zulässt (a). Der Subsidiaritätsgrundsatz steht der Zulässigkeit einer Kommunalverfassungsbeschwerde zum andern dann nicht entgegen, wenn die landesverfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung hinsichtlich ihres materiellen Gewährleistungsgehalts den aus Art. 28 Abs. 2 GG folgenden Gewährleistungsumfang nicht erreicht (b).

51

a) Durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG soll eine möglichst umfassende verfassungsgerichtliche Kontrolle von gesetzlichen Gestaltungen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts gewährleistet werden (BVerfGE 107, 1<9>). Eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ist daher nicht nur gegeben, wenn das Landesrecht überhaupt keine Kommunalverfassungsbeschwerde vorsieht, sondern auch dann, wenn der zulässige Verfahrensgegenstand durch das Landesrecht enger gefasst wird als dies gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG der Fall ist (vgl. BVerfGE 107, 1 <9>). Gemeinden und Gemeindeverbände können eine nach Landesrecht nicht angreifbare Norm dem Bundesverfassungsgericht daher zur Prüfung stellen, wenn diese nach Bundesrecht "Gesetz" (vgl. BVerfGE 71, 25 <34>; 76, 107 <114>; 137, 108 <137 Rn. 63>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. August 2016 - 2 BvR 2953/14 -, juris, Rn. 18) und damit zulässiger Beschwerdegegenstand der Kommunalverfassungsbeschwerde ist (vgl. BVerfGE 107, 1 <9 f.>). Die Kommunen könnten einen dem Bundesrecht gleichwertigen Rechtsschutz sonst nicht erlangen (vgl. BVerfGE 107, 1 <10>).

52

Eine solche Auslegung der Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG beeinträchtigt nicht die Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder als Teil ihrer Verfassungsautonomie. Deren Vorrang reicht nur soweit wie die Kommunen im Land einen der bundesrechtlichen Kommunalverfassungsbeschwerde gleichwertigen Rechtsschutz erlangen können (vgl. BVerfGE 107, 1 <10 f.>). Ein eingeschränkter landesverfassungsgerichtlicher Rechtsschutz begründet dagegen die Reservezuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 107, 1 <11>; aus der Kammerrechtsprechung BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Oktober 2013 - 2 BvR 1961/13 u.a. -, juris, Rn. 4 und vom 25. Juni 2007 - 2 BvR 635/07 -, juris, Rn. 3).

53

b) An einem gleichwertigen Schutz der kommunalen Selbstverwaltung fehlt es auch dann, wenn die landesverfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in der Sache erkennbar hinter den Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 GG zurückbleibt (aa). Das ist jedenfalls der Fall, wenn die Landesverfassung wesentliche Gewährleistungen von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht enthält (bb). Eine eingeschränkte Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung auf Ebene der Landesverfassung nimmt das Grundgesetz zwar hin; es verzichtet jedoch nicht auf die Durchsetzung seiner eigenen Anforderungen an die Garantie kommunaler Selbstverwaltung (cc).

54

aa) Schon der Wortlaut des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG ("wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Art. 28") deutet darauf hin, dass im - dann vorrangigen - Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht zumindest eine Art. 28 Abs. 2 GG vergleichbare Garantie Maßstab sein muss. Art. 28 Abs. 2 GG will bestimmte Mindeststandards an bürgerschaftlicher Selbstbestimmung in ganz Deutschland einheitlich garantieren und tatsächlich gewährleisten. Ohne seine unmittelbare Geltung in den Ländern wäre dies nicht zu erreichen (vgl. BremStGH, Entscheidung vom 4. Juli 1953 - St 1/1953 -, BremStGHE 1, 42 <44>; NdsStGH, Urteil vom 15. Februar 1973 - StGH 2/72 und 3/72 -, DVBl 1973, S. 310 <311 f.>; LVerfG Bbg, Urteil vom 19. Mai 1994 - VfgBbg 9/93 -, LVerfGE 2, 93 <101 f.>; ThürVerfGH, Urteil vom 18. Dezember 1996 - 2/95 und 6/95 -, LVerfGE 5, 391 <409>; Tettinger/Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 28 Abs. 2 Rn. 136, 141; Dreier, in: ders., GG, Bd. 2, Art. 28 Rn. 83; Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 39; Mehde, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Abs. 2 Rn. 1, 48 ). Insoweit handelt es sich bei Art. 28 Abs. 2 GG um ein unmittelbar anwendbares, von der einzelnen Kommune im Rahmen ihrer subjektiven Rechtsstellungsgarantie individuell einklagbares Recht (vgl. BVerfGE 23, 353 <372 f.>; 26, 228 <244>; 76, 107 <119>; 83, 363 <393>; 137, 108 <155 Rn. 109>). Soll diese Garantie nicht leerlaufen, so müssen die Kommunen, wenn nicht wegen einer vergleichbaren landesverfassungsrechtlichen Gewährleistung Zugang zu einem Landesverfassungsgericht besteht, eine Verletzung ihrer Rechte vor dem Bundesverfassungsgericht rügen können.

55

Dieses Verständnis wird auch durch die Entstehungsgeschichte der Vorschriften über die Kommunalverfassungsbeschwerde gestützt. Mit dem Wort "soweit" in § 91 Satz 2 BVerfGG sollte nach dem Willen des Gesetzgebers eine Einschränkung formuliert werden, die Kompetenzen zwischen den Landesverfassungsgerichten und dem Bundesverfassungsgericht aufteilt. Damit sollte jedoch keine Verkürzung der Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes für die Gemeinden und Gemeindeverbände hinsichtlich des durch Art. 28 Abs. 2 GG verbürgten Mindeststandards einhergehen (vgl. Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Arndt (SPD) zu Tagesordnungspunkt 11 der 16. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 1. Februar 1951 - Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgerichtsgesetz -, Plenarprotokoll vom 1. Februar 1951, S. 4413 f.).

56

bb) Soweit eine prinzipielle Gleichwertigkeit der Garantien kommunaler Selbstverwaltung auf Bundes- und Landesebene gegeben ist, können Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte vom Bundesverfassungsgericht nicht am Maßstab von Art. 28 Abs. 2 GG überprüft werden. Die Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG eröffnet nicht den Weg zu deren mittelbarer Kontrolle (Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 654).

57

Gleichwertigkeit der Selbstverwaltungsgarantien setzt voraus, dass der landesrechtliche Schutz vergleichbar umfassend und effektiv ist. Der Schutz durch die Landesverfassungsgerichtsbarkeit muss wirksam und funktionsadäquat sein (vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 654; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, § 91 Rn. 87 ).

58

Jedenfalls in Fällen, in denen der landesverfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in der autoritativen Auslegung des Landesverfassungsgerichts wesentliche Gewährleistungsinhalte von Art. 28 Abs. 2 GG fehlen, steht die Eröffnung der Kommunalverfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht derjenigen zum Bundesverfassungsgericht insoweit nicht entgegen.

59

Wesentliche Gewährleistungsinhalte von Art. 28 Abs. 2 GG sind solche, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass die institutionelle Garantie der kommunalen Selbstverwaltung substantiell verändert würde. Dazu gehören unter anderem die Gewährleistung eines eigenen Aufgabenbereichs der Gemeinden sowie die Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenerfüllung (vgl. BVerfGE 138, 1 <18 Rn. 52>). Zu den grundlegenden Strukturelementen von Art. 28 Abs. 2 GG gehört zudem die Eigenständigkeit der Gemeinden auch und gerade gegenüber den Landkreisen (vgl. BVerfGE 21, 117 <128 f.>; 23, 353 <365>; 79, 127 <150>). Ferner ist das durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG statuierte verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden hierher zu rechnen (BVerfGE 79, 127<150 f.>; 83, 363 <383>; 91, 228 <236>; 110, 370 <400>; 137, 108 <156 f. Rn. 114>; 138, 1 <19 Rn. 54 ff.>), das auch der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber zu beachten hat (vgl. BVerfGE 79, 127 <150 ff.>; 107, 1 <12>; 110, 370 <399 ff.>; 137, 108 <156 f. Rn. 114>; 138, 1 <15 Rn. 41>) sowie die für die Entziehung einer solchen Angelegenheit geltenden strengen Rechtfertigungsanforderungen (vgl. BVerfGE 138, 1 <19 Rn. 54>).

60

cc) Zwar steht es den Ländern somit frei zu bestimmen, inwiefern sie die kommunale Selbstverwaltung durch eine landesrechtliche Garantie absichern, ob deren Verletzung mit einer Kommunalverfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht gerügt werden kann und welcher Prüfungsumfang dem Landesverfassungsgericht dabei auferlegt wird. Bleibt das so bestimmte Schutzniveau jedoch derart hinter den Gewährleistungen des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zurück, dass wesentliche Gewährleistungsinhalte des Art. 28 Abs. 2 GG nicht existieren oder eingeklagt werden können, greift die Subsidiaritätsklausel des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 Satz 2 BVerfGG nicht ein.

61

4. Hiernach steht das Subsidiaritätserfordernis der Zulässigkeit der Kommunalverfassungsbeschwerde nicht entgegen. Vorliegend besteht zwar die Möglichkeit, das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 Verf LSA anzurufen (Art. 75 Nr. 7 Verf LSA, § 51 Abs. 1 VerfGG LSA), was die Beschwerdeführerinnen auch getan haben. Nach der insoweit bindenden Auslegung der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, wie sie das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt in seinem Urteil vom 20. Oktober 2015 - LVG 2/14 - vorgenommen hat, unterscheidet die landesverfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung jedoch nicht zwischen Gemeinden und Landkreisen. Beide werden in den einschlägigen Bestimmungen vielmehr unter dem Begriff "Kommunen" zusammengefasst (LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Oktober 2015, DVBl 2015, S. 1535 <1538 f.>). Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt kennt danach auch kein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, das der Gesetzgeber zu beachten hat und aus dem sich ein prinzipieller Vorrang der Gemeinde- vor der Kreisebene ableiten lässt, der auch bei kommunalrechtlichen Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen Berücksichtigung verlangt (LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Oktober 2015, a.a.O.).

62

In Sachsen-Anhalt besteht somit kein gleichwertiger verfassungsrechtlicher Schutz der gemeindlichen Selbstverwaltung. In der Auslegung durch das Landesverfassungsgericht bleibt die in Art. 87 Verf LSA gewährleistete Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in einem wesentlichen Gesichtspunkt hinter der Gewährleistung von Art. 28 Abs. 2 GG zurück, so dass auf Landesebene insoweit auch kein hinreichender Rechtsschutz gegen eine Verletzung der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie besteht.

III.

63

1. Die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG findet auch im Verfahren der Kommunalverfassungsbeschwerde Anwendung (BVerfGE 107, 1<8>). Sie beginnt allerdings nicht schon mit dem Inkrafttreten des angegriffenen Rechtssatzes, sondern erst mit dem Abschluss eines fachgerichtlichen Verfahrens, wenn die Durchführung dieses Verfahrens nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG geboten ist (vgl. BVerfGE 76, 107 <115 f.>; 107, 1 <8>). Entsprechendes gilt, wenn die Kommune, nachdem sie eine Kommunalverfassungsbeschwerde erhoben hat, auf einen solchen Rechtsbehelf oder auf ein Verfahren vor einem Landesverfassungsgericht verwiesen worden ist und nach Abschluss dieses Verfahrens erneut Kommunalverfassungsbeschwerde erhebt (vgl. BVerfGE 79, 127 <142>; 107, 1 <8>).

64

Dieser Rechtsprechung liegt der allgemeine Gedanke zugrunde, dass die Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG immer dann erst mit Abschluss eines - binnen Jahresfrist eingeleiteten - fach- oder landesverfassungsgerichtlichen Verfahrens beginnt, wenn dessen offensichtliche Erfolglosigkeit bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung nicht von vornherein feststand. Erhebt eine Gemeinde unmittelbar eine Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, ohne sich zuvor an das Landesverfassungsgericht gewandt zu haben, muss das Bundesverfassungsgericht diese als unzulässig zurückweisen, wenn die dortige Kommunalverfassungsbeschwerde gleichwertig im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 Satz 2 BVerfGG erscheint. Stellt sich jedoch in dem Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht heraus, dass das Landesverfassungsrecht kein dem Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gleichwertiges Schutzniveau verbürgt, greift der Subsidiaritätsgrundsatz nicht ein (vgl. Rn. 50 ff.). In diesem Fall kann die Gemeinde nicht rechtsschutzlos gestellt werden. Es kann letztlich keinen Unterschied machen, ob eine Kommune das Bundesverfassungsgericht direkt anruft und das nicht fern liegende Risiko in Kauf nimmt, dass die Kommunalverfassungsbeschwerde wegen des Subsidiaritätserfordernisses unzulässig ist, oder ob sie zunächst eine nicht von vornherein aussichtslos erscheinende Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht erhebt, sich diese jedoch mit Blick auf das Schutzgut des Art. 28 Abs. 2 GG als unzureichend erweist (vgl. BVerfGE 107, 1). Die Frist nach § 93 Abs. 3 BVerfGG kann im zweiten Fall nicht anders als im ersten erst mit Abschluss des landesverfassungsgerichtlichen Verfahrens beginnen.

65

2. Die Kommunalverfassungsbeschwerde wurde fristgerecht erhoben.

66

a) Die im Urteil des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 20. Oktober 2015 vorgenommene Auslegung von Art. 87 Verf LSA, die - soweit es für den vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung ist - zur Erfolglosigkeit der kommunalen Verfassungsbeschwerde nach Landesrecht geführt hat, war in der bisherigen Rechtsprechung nicht angelegt. Die Beschwerdeführerinnen mussten daher nicht davon ausgehen, dass das Landesverfassungsgericht keinen dem Grundgesetz gleichwertigen Schutz der kommunalen Selbstverwaltung gewährleisten würde. Auch aus dem Wortlaut der Regelungen der Landesverfassung musste nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass das Landesverfassungsgericht wie geschehen entscheiden würde. Das lag schon deshalb nicht nahe, weil diese Auslegung nicht nur von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 28 Abs. 2 GG, sondern auch von derjenigen aller anderen Landesverfassungsgerichte, -gerichtshöfe und Staatsgerichtshöfe zu den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen (vgl. HessStGH, Urteil vom 21. Mai 2013 - P.St. 2361 -, juris, Rn. 88 ff.; LVerfG Bbg, Urteil vom 17. Juli 1997 - 1/97 -, juris, Rn. 64 ff., 86 ff.; Urteil vom 19. Mai 1994 - 9/93 -, juris, Rn. 41 ff.; NdsStGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 - 1/06 -, juris, Rn. 50 ff., 72 ff.; VerfGH NRW, Urteil vom 12. Oktober 2010 - 12/09 -, juris, Rn. 59 ff.; VerfGH RP, Beschluss vom 30. Oktober 2015 - VGH N 65/14 -, juris, Rn. 72 ff.; Urteil vom 28. März 2000 - VGH N 12/98 -, juris, Rn. 28; siehe auch StGH BW, Urteil vom 8. Mai 1976 - 2/75 und 8/75 -, juris, Orientierungssatz; BayVerfGH, Entscheidung vom 9. Mai 2016 - Vf. 14-VII-14 u.a. -, juris, Rn. 165 f.; Entscheidung vom 18. April 1996 - Vf. 13-VII-93 -, juris, Rn. 86 ff.) abgewichen und damit erstmals hinter dem Schutzniveau von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zurückgeblieben ist. Bis dahin war die Rechtslage bundesweit ausnahmslos dadurch gekennzeichnet, dass die Landesverfassungsgerichte die kommunalen Selbstverwaltungsgarantien im Gleichlauf mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ausgelegt haben oder darüber hinaus gegangen sind (siehe nur BayVerfGH, Entscheidung vom 9. Mai 2016 - Vf. 14-VII-14 u.a. -, juris, Rn. 165 f.; Entscheidung vom 18. April 1996 - Vf. 13-VII-93 -, juris, Rn. 86 ff., der Art. 11 BV ein - freilich nicht den Einzelnen schützendes - Grundrecht entnimmt). Die Verfassungsrechtslage in den Ländern wurde insoweit allgemein dahingehend bewertet, dass keine der 16 Landesverfassungen hinter den Vorgaben des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zurückbleibe (Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 28 Rn. 36, m.w.N.). Dass das Landesverfassungsgericht eine grundgesetzkonforme Auslegung der Landesverfassung nicht einmal in Betracht ziehen würde, war daher für die Beschwerdeführerinnen nicht vorauszusehen.

67

b) Die Änderung des § 3 Abs. 4 KiFöG LSA ist zum 1. August 2013 in Kraft getreten. Die Beschwerdeführerinnen haben die Kommunalverfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt am 28. Januar 2014 und damit innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben. Das Urteil des Landesverfassungsgerichts datiert vom 20. Oktober 2015 und ist den Beschwerdeführerinnen am 10. November 2015 zugestellt worden. Ihre am 18. Oktober 2016 beim Bundesverfassungsgericht eingegangene Kommunalverfassungsbeschwerde ist damit innerhalb der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG erhoben.

C.

68

Die Verfassungsbeschwerde ist bei verfassungskonformer Auslegung von Art. 1 Nr. 2 Buchstabe c des Gesetzes zur Änderung des Kinderförderungsgesetzes und anderer Gesetze vom 23. Januar 2013 unbegründet. Die Übertragung der Verpflichtung zur Erfüllung des Anspruchs auf Kinderbetreuung auf die Landkreise und die Entziehung der damit verbundenen Aufgaben verletzen die Beschwerdeführerinnen nicht in ihren Rechten aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.

I.

69

1. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich (a) sowie die Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte (b).

70

a) Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sind solche Aufgaben, die das Zusammenleben und -wohnen der Menschen vor Ort betreffen oder einen spezifischen Bezug darauf haben (vgl. BVerfGE 8, 122 <134>; 50, 195 <201>; 52, 95 <120>; 79, 127 <151 f.>; 110, 370 <400>; 138, 1 <16 Rn. 45>). Eine inhaltlich umrissene Aufgabengarantie enthält Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG allerdings nicht (vgl. BVerfGE 79, 127 <146>; 107, 1 <12>; 137, 108 <157 Rn. 114>; 138, 1 <16 Rn. 45>).

71

Die örtlichen Bezüge einer Aufgabe und deren Gewicht für die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung lassen sich nicht an scharf konturierten Merkmalen messen. Vielmehr muss bei ihrer Bestimmung der geschichtlichen Entwicklung und den historischen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGE 59, 216 <226>; 91, 228 <238>; 125, 141 <167>; 138, 1 <16 f. Rn. 46>). Es kommt darauf an, ob eine Aufgabe für das Bild der typischen Gemeinde charakteristisch ist (BVerfGE 138, 1 <16 f. Rn. 46>).

72

Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG enthält jedoch keine Garantie des Status quo im Sinne eines einmal erreichten Aufgabenbestands (vgl. BVerfGE 78, 331 <340>; 138, 1 <17 Rn. 47>). Die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft bilden keinen ein für alle Mal feststehenden Aufgabenkreis, weil sich die örtlichen Bezüge einer Angelegenheit mit ihren sozialen, wirtschaftlichen oder technischen Rahmenbedingungen wandeln (BVerfGE 138, 1 <17 Rn. 47>).

73

Um in den Schutzbereich von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zu fallen, muss eine Aufgabe nicht hinsichtlich aller ihrer Teilaspekte eine örtliche Angelegenheit darstellen; sie kann auch nur teilweise als eine solche der örtlichen Gemeinschaft anzusehen, im Übrigen jedoch überörtlicher Natur sein (BVerfGE 138, 1 <17 Rn. 48>; vgl. BVerfGE 110, 370 <401>). Weist eine Aufgabe örtliche und überörtliche Aspekte auf, muss der Gesetzgeber diese bei der Ausgestaltung der Selbstverwaltungsgarantie angemessen berücksichtigen (BVerfGE 138, 1 <17 Rn. 48>).

74

b) Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Gemeinden ferner die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte. Eine umfassende staatliche Steuerung der kommunalen Organisation wäre mit dieser verfassungsrechtlich garantierten Eigenverantwortlichkeit unvereinbar (vgl. BVerfGE 91, 228 <239>; 137, 108 <158 Rn. 117>; 138, 1 <17 Rn. 49>). Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Gemeinden insbesondere die Organisationshoheit als das Recht, über die innere Verwaltungsorganisation einschließlich der bei der Aufgabenwahrnehmung notwendigen Abläufe und Zuständigkeiten eigenverantwortlich zu entscheiden. Dies schließt die Befugnis ein, selbst darüber zu befinden, ob eine bestimmte Aufgabe eigenständig oder gemeinsam mit anderen Verwaltungsträgern wahrgenommen wird (sog. Kooperationshoheit; BVerfGE 138, 1 <17 f. Rn. 49>; vgl. BVerfGE 119, 331 <362>).

75

2. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert die kommunale Selbstverwaltung nur im Rahmen der Gesetze. Bei der somit gebotenen gesetzlichen Ausgestaltung steht dem Gesetzgeber jedoch keine ungebundene Gestaltungsfreiheit zu (vgl. BVerfGE 110, 370 <400>; 138, 1 <18 Rn. 50>). Die Bedeutung der Gemeinden für den demokratischen Staatsaufbau (a) bedingt vielmehr einen grundsätzlichen Vorrang der kommunalen Aufgabenzuständigkeit im Bereich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (b).

76

a) Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung ist Ausdruck der grundgesetzlichen Entscheidung für eine dezentral organisierte und bürgerschaftlich getragene Verwaltung (BVerfGE 138, 1 <18 Rn. 51>).

77

aa) Art. 28 Abs. 1 und Abs. 2 GG konstituieren die Gemeinden als einen wesentlichen Bestandteil der staatlichen Gesamtorganisation; sie sind ein Teil des Staates, in dessen Aufbau sie integriert und mit eigenen Rechten ausgestattet sind (vgl. BVerfGE 79, 127 <148 f.>; 83, 37 <54>; 138, 1 <18 Rn. 52>). Indem der Verfassungsgeber die gemeindliche Selbstverwaltung in den Aufbau des politisch-demokratischen Gemeinwesens des Grundgesetzes eingefügt und - anders als die Reichsverfassung von 1849 (§ 184), die Weimarer Reichsverfassung von 1919 (Art. 127) oder die Bayerische Verfassung (Art. 11) - nicht als Grundrecht, sondern als institutionelle Garantie ausgestaltet hat, hat er ihr eine spezifisch demokratische Funktion beigemessen (vgl. BVerfGE 47, 253 <275 ff.>; 91, 228 <244>; 138, 1 <18 Rn. 52>). Das Bild der Selbstverwaltung, wie sie der Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 GG zugrunde liegt, wird daher maßgeblich durch das Prinzip der Partizipation geprägt. Kommunale Selbstverwaltung bedeutet ihrer Intention nach Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten, die die örtliche Gemeinschaft zur eigenverantwortlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben zusammenschließt mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und örtliche Eigenart zu wahren (vgl. BVerfGE 11, 266 <275 f.>; 138, 1 <18 Rn. 52>). Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG fordert für die örtliche Ebene insofern eine mit wirklicher Verantwortlichkeit ausgestattete Einrichtung der Selbstverwaltung, die den Bürgern eine effektive Mitwirkung an den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ermöglicht (vgl. BVerfGE 79, 127 <150>; 91, 228 <238>; 107, 1 <12>; 138, 1 <18 f. Rn. 52>). Hierfür gewährleistet die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung den Gemeinden einen eigenen Aufgabenbereich sowie die Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenerfüllung und sichert so die notwendigen Bedingungen einer wirksamen Selbstverwaltung (BVerfGE 138, 1 <18 f. Rn. 52>).

78

bb) Dem Wesen der institutionellen Garantie entsprechend bezieht sich der Schutz des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht auf die individuelle Gemeinde, sondern ist abstrakt-generell zu verstehen. Vor diesem Hintergrund kommt es bei der Bestimmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nicht darauf an, ob die Verwaltungskraft einer Gemeinde für die Bewältigung der Aufgabe tatsächlich ausreicht (BVerfGE 138, 1 <19 Rn. 53>; vgl. auch BVerfGE 79, 127 <151 f.>; 110, 370 <400>). Entscheidend ist, ob eine Aufgabe in gemeindlicher Trägerschaft bei typisierender Betrachtung eine sachangemessene, für die spezifischen Interessen der Einwohner und die Wahrnehmung anderer Gemeindeaufgaben förderliche Erledigung finden kann. Auch die Finanzkraft einzelner Gemeinden hat auf die Bestimmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft grundsätzlich keinen Einfluss; vielmehr muss der Staat gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG den Gemeinden gegebenenfalls die Mittel zur Verfügung stellen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen (vgl. BVerfGE 138, 1 <19 Rn. 53>).

79

b) Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG statuiert ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden (BVerfGE 137, 108<156 f. Rn. 114>; 138, 1 <19 Rn. 54>; vgl. auch BVerfGE 79, 127 <150 f.>; 83, 363 <383>; 91, 228 <236>; 110, 370 <400>). Der Entzug einer solchen Angelegenheit unterliegt strengen Rechtfertigungsanforderungen (aa) und findet in einem unantastbaren Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung (bb) seine Grenze (BVerfGE 138, 1 <19 Rn. 54>).

80

aa) Eingriffe in den von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Aufgabenbestand unterliegen den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 76, 256 <359>; 80, 109 <119 f.>; 108, 129 <136>) auch im Staatsorganisationsrecht dort Bedeutung erlangen kann, wo Träger öffentlicher Gewalt mit Rechten gegenüber dem Staat ausgestattet sind. Das ist bei der Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie durch den Gesetzgeber der Fall (BVerfGE 138, 1 <19 f. Rn. 55>; vgl. BVerfGE 79, 127 <143 ff., 154>; 103, 332 <367>; 119, 331 <363>; 125, 141 <167 f.>).

81

(1) Steht der Entzug einer Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft im Raum, wandelt sich die für institutionelle Garantien typische Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers praktisch zum Gesetzesvorbehalt (BVerfGE 138, 1 <20 Rn. 56>; vgl. BVerfGE 79, 127 <143>; 107, 1 <12>; 110, 370 <402>). Gesetzliche Regelungen, die den Gemeinden Aufgaben entziehen, sind auf ihre Vereinbarkeit mit dem grundsätzlichen Zuständigkeitsvorrang zugunsten der Kommunen zu prüfen, wenn sie Bezüge zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft aufweisen. Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ist dabei umso enger und die verfassungsgerichtliche Kontrolle umso intensiver, je mehr die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden als Folge der gesetzlichen Regelung an Substanz verliert (BVerfGE 138, 1 <20 Rn. 56>; vgl. BVerfGE 79, 127 <154>).

82

Hat die Aufgabe einen relevanten örtlichen Charakter, so muss der Gesetzgeber berücksichtigen, dass sie insoweit an sich der gemeindlichen Ebene zuzuordnen ist. Will er die Aufgabe den Gemeinden gleichwohl entziehen, so kann er dies nur, wenn die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG überwiegen; sein Entscheidungsspielraum ist insoweit normativ gebunden (vgl. BVerfGE 79, 127 <154>).

83

(2) Der Gesetzgeber hat die widerstreitenden Belange der Verwaltungseffizienz und Bürgernähe in einen vertretbaren Ausgleich zu bringen. Dabei muss er nicht jeder einzelnen Gemeinde, auch nicht jeder insgesamt gesehen unbedeutenden Gruppe von Gemeinden, Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 79, 127 <153 f.>). Auch wenn die Verwaltungskraft der einzelnen Gemeinde grundsätzlich ohne Bedeutung für die Bestimmung der örtlichen Angelegenheiten ist, können die Aufgaben nicht für alle Gemeinden unabhängig von ihrer Einwohnerzahl, Ausdehnung und Struktur gleich sein (vgl. BVerfGE 79, 127 <153 f.>). Die Gemeinden sind Teil der staatlichen Verwaltung und dem Gemeinwohl verpflichtet. Unbedingten Vorrang vor den Interessen des Gesamtstaats kann ihr Interesse an einer möglichst weit gehenden Zuständigkeitszuweisung nicht beanspruchen (vgl. BVerfGE 110, 370 <401>). Trotz örtlicher Bezüge ist es deshalb nicht ausgeschlossen, dass eine Aufgabe, die einzelne größere Gemeinden in einem Landkreis auf örtlicher Ebene zu erfüllen vermögen, für andere Teile des Landkreises nur überörtlich erfüllbar ist (BVerfGE 138, 1 <20 f. Rn. 57>).

84

(3) Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG konstituiert ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, wonach der Gesetzgeber den Gemeinden örtliche Aufgaben nur aus Gründen des Gemeinwohls entziehen darf, vor allem wenn die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung anders nicht sicherzustellen wäre. Das bloße Ziel der Verwaltungsvereinfachung oder der Zuständigkeitskonzentration - etwa im Interesse der Übersichtlichkeit der öffentlichen Verwaltung - scheidet als Rechtfertigung eines Aufgabenentzugs aus; denn dies zielte ausschließlich auf die Beseitigung eines Umstandes, der gerade durch die vom Grundgesetz gewollte dezentrale Aufgabenansiedlung bedingt ist (BVerfGE 138, 1 <21 Rn. 58>; vgl. BVerfGE 79, 127 <153>). Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung rechtfertigen eine Hochzonung erst, wenn ein Belassen der Aufgabe bei den Gemeinden zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen würde. Auch wenn eine zentralistisch organisierte Verwaltung rationeller und billiger arbeiten könnte, setzt die Verfassung diesen ökonomischen Erwägungen den politisch-demokratischen Gesichtspunkt der Teilnahme der örtlichen Bürgerschaft an der Erledigung ihrer öffentlichen Aufgaben entgegen und gibt ihm den Vorzug. Der Staat ist daher zunächst darauf beschränkt, sicherzustellen, dass die Gemeinden ihre Angelegenheiten nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit erfüllen; dass andere Aufgabenträger in größeren Erledigungsräumen dieselbe Aufgabe insgesamt wirtschaftlicher erledigen könnten, gestattet - jedenfalls grundsätzlich - keinen Aufgabenentzug (BVerfGE 138, 1 <21 Rn. 58>; vgl. BVerfGE 79, 127 <153 f.>).

85

Dieses Aufgabenverteilungsprinzip gilt zugunsten kreisangehöriger Gemeinden auch gegenüber den Kreisen. Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG sichert den Gemeindeverbänden - und damit den Kreisen - anders als Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Gemeinden gerade keinen bestimmten Aufgabenbereich (vgl. BVerfGE 21, 117 <128 f.>; 23, 353 <365>; 79, 127 <150>). Aus diesem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip folgt ein prinzipieller Vorrang der Gemeindeebene vor der Kreisebene (BVerfGE 138, 1 <15 Rn. 41>; vgl. BVerfGE 79, 127 <150 ff.>; 107, 1 <12>; 110, 370 <399 ff.>; 137, 108 <156 f. Rn. 114>).

86

Genügen Leistungsfähigkeit und Verwaltungskraft einer Gemeinde nicht, um kommunale Aufgaben wahrzunehmen, gewährleistet Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Kommunen das Recht, diese in kommunaler Zusammenarbeit zu erfüllen, bevor der Staat sie an sich zieht (BVerfGE 138, 1<28 Rn. 74>; vgl. BVerfGE 26, 228 <239>). Daher besteht grundsätzlich ein Vorrang der interkommunalen Zusammenarbeit vor der Hochzonung gemeindlicher Aufgaben auf die Landkreisebene. Erst wenn durch gemeindliche Kooperation die Erfüllung kommunaler Aufgaben nicht sichergestellt werden kann, darf der Staat den Gemeinden die davon betroffenen Zuständigkeiten entziehen.

87

Benehmenserfordernisse genügen grundsätzlich nicht, um den Entzug kommunaler Kompetenzen zu rechtfertigen, weil diese den Gemeinden kein wirksames Mitentscheidungsrecht gewähren. Sie stehen für eine verfahrensrechtliche Beteiligung, der nach dem Willen des Gesetzgebers keine materielle Rechtsposition des beteiligten Trägers öffentlicher Belange korrespondiert. Benehmenserfordernisse sind im Regelfall ausschließlich dem objektiv-rechtlichen Ziel einer breiteren Beurteilungsgrundlage und damit einer besseren Entscheidungsfindung verpflichtet (vgl. BVerfGE 138, 1 <31 Rn. 85>). Die Herstellung des Benehmens erfordert zwar eine Anhörung des Trägers öffentlicher Belange durch die entscheidende Behörde und verpflichtet diese, die Stellungnahme zu erwägen und Möglichkeiten einer Berücksichtigung auszuloten. Der beteiligte Träger öffentlicher Belange soll seinen Standpunkt darlegen, Einwände im Hinblick auf die von ihm vertretenen Interessen erheben und auf das Ergebnis der Entscheidung auch Einfluss nehmen können (BVerfGE 138, 1 <32 Rn. 87>). Eine Benehmensherstellung erfordert allerdings keine Einigung der beteiligten Verwaltungsträger, sondern gestattet es der entscheidenden, das Benehmen herstellenden Behörde, sich über das Vorbringen des beteiligten Trägers öffentlicher Belange hinwegzusetzen. Anders als bei Einvernehmens- oder Zustimmungserfordernissen gewährt das Benehmenserfordernis somit kein echtes Mitentscheidungsrecht (BVerfGE 138, 1 <32 Rn. 87>).

88

bb) Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers findet seine Grenze darüber hinaus im Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie. Mit Blick auf die Aufgabengarantie zählt zum Kernbereich allerdings kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog, wohl aber die Allzuständigkeit als die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft anzunehmen, die nicht anderen Verwaltungsträgern zugeordnet sind (BVerfGE 138, 1 <21 f. Rn. 59>; vgl. BVerfGE 79, 127 <146>; 107, 1 <11 f.>). Im Hinblick auf die Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenwahrnehmung zählen vor allem die gemeindlichen Hoheitsrechte (Gebiets-, Planungs-, Personal-, Organisations- und Finanzhoheit), die der Staat den Gemeinden im Interesse einer funktionsgerechten Aufgabenwahrnehmung garantieren muss, zu dem durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten Kernbereich. Das gilt jedoch nur in ihrem Grundbestand. Insofern verbietet Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG auch Regelungen, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommunen ersticken würden (BVerfGE 138, 1<21 f. Rn. 59>; vgl. BVerfGE 91, 228 <239>).

II.

89

Die mit der Neuregelung in Art. 1 Nr. 2 Buchstabe c des Gesetzes zur Änderung des Kinderförderungsgesetzes und anderer Gesetze vom 23. Januar 2013 verbundene Übertragung der Leistungsverpflichtung zur Erfüllung des Anspruchs auf Kinderbetreuung auf die Landkreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe genügt den Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 GG. Die von den Gemeinden bislang wahrgenommenen Aufgaben betreffen zwar Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft und fallen somit in den Gewährleistungsbereich des Art. 28 Abs. 2 GG (1.). Soweit in der Übertragung der Verpflichtung zur Erfüllung des Betreuungsanspruchs auf Landkreise und kreisfreie Städte ein Eingriff in die kommunale Allzuständigkeit liegen sollte, ist die damit einhergehende Hochzonung der Aufgaben jedenfalls gerechtfertigt (2.).

90

1. Gemäß § 3 Abs. 3 KiFöG LSA 2004 waren die kreisangehörigen Gemeinden für die Erfüllung des Anspruchs auf Kinderbetreuung zuständig (a). Ihnen oblag ferner die Unterstützung der Träger von Tageseinrichtungen gemäß § 9 Abs. 3 KiFöG LSA 2003 (b). Daneben nahmen die Gemeinden mit der Erfüllung dieser Verpflichtungen zusammenhängende Planungs- und Koordinierungsaufgaben wahr (c). Bei sämtlichen dieser Aufgaben handelt es sich um Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (d).

91

a) § 3 Abs. 3 KiFöG LSA 2004 regelte die Verpflichtung zur Erfüllung des Anspruchs auf Bereitstellung eines Kinderbetreuungsplatzes. Die Vorschrift legte fest, dass der Anspruch von der Gemeinde zu erfüllen war, in der das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die Kommune konnte den Anspruch gemäß § 3 Abs. 4 KiFöG LSA 2004 bedienen, in dem sie einen Platz in einer für Kinder zumutbar erreichbaren Tageseinrichtung anbot (Satz 1). Bei Kindern bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres konnte der Anspruch auch durch das Angebot einer Tagespflegestelle erfüllt werden (Satz 2). Damit war der Gemeinde die Aufgabe übertragen, den Anspruchsberechtigten verfügbare Betreuungsplätze zuzuteilen und ihrer Gewährleistungs- und Erfüllungsverpflichtung nachzukommen.

92

Bei der Vergabe eines Betreuungsplatzes hatte die Gemeinde nicht nur das Kriterium einer zumutbar erreichbaren Tageseinrichtung (§ 3 Abs. 4 KiFöG LSA 2004), sondern auch das Wunsch- und Wahlrecht (§ 3b KiFöG LSA 2004) zu beachten. Diese Vorschrift räumte den Leistungsberechtigten das Recht ein, im Rahmen freier Kapazitäten zwischen den verschiedenen Tageseinrichtungen am Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts oder an einem anderen Ort zu wählen (Abs. 1 Satz 1). Hierauf waren diese von der Leistungsverpflichteten hinzuweisen (Abs. 1 Satz 2).

93

Als weiteres Kriterium bei der Vergabe von Betreuungsplätzen hatten die Kommunen den Vorrang der freien Träger (§ 4 Abs. 2 SGB VIII) zu beachten. Standen nach Berücksichtigung der für die Vergabe maßgeblichen Kriterien (zumutbare Erreichbarkeit der Einrichtung, Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts, Beachtung des Vorrangs der freien Träger) noch freie Betreuungsplätze zur Verfügung, verblieb den leistungsverpflichteten Gemeinden ein Spielraum, innerhalb dessen sie vorhandene Kapazitäten vergeben konnten.

94

b) Den Gemeinden oblag gemäß § 9 Abs. 3 in Verbindung mit § 3 Abs. 4 KiFöG LSA 2004 ferner die Pflicht zur Unterstützung der anerkannten freien Träger von Tageseinrichtungen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 KiFöG LSA) und sonstigen juristischen Personen, deren Zweck das Betreiben einer Tageseinrichtung war und die die Anforderungen des Steuerrechts an die Gemeinnützigkeit erfüllten (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 KiFöG LSA). Der genaue Inhalt dieser Unterstützungspflicht war gesetzlich nicht definiert, wurde jedoch in Anlehnung an die Regelung des § 4 Abs. 3 SGB VIII als eine auf Kindertageseinrichtungen zugeschnittene spezielle Ausprägung der allgemeinen jugendhilferechtlichen Förderungspflicht zugunsten der freien Träger verstanden (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 17. Mai 2005 - 12 ME 93/05 -, juris, Rn. 5; VGH BW, Urteil vom 22. Mai 2013 - 9 S 889/11 -, juris, Rn. 38 f.; Neumann/Bieritz-Harder, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Werks- stand 12/15, juris, § 4 Rn. 16). Gegenstand der Unterstützung waren etwa die Vergabe von Zuwendungen, die Bereitstellung von Räumen, die Hilfe bei der Beschaffung von Grundstücken, die Zulassung von Mitarbeitern der freien Träger zu Fortbildungsveranstaltungen oder auch eine fachliche Beratung, die die Gemeinden im Anwendungsbereich des § 9 Abs. 3 KiFöG LSA den freien Trägern zukommen lassen konnten.

95

c) Aus den Planungs- und Koordinierungsaufgaben, wie sie den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe aufgrund ihrer Gesamtverantwortung obliegen (aa), hatte der Landesgesetzgeber mit dem Kinderförderungsgesetz Sachsen-Anhalt 2003 Teilbereiche auf die kreisangehörigen Gemeinden übertragen (bb). Daneben nahmen diese Aufgaben der Kinderbetreuung auch im Rahmen ihrer Allzuständigkeit wahr (cc).

96

aa) Nach § 10 Abs. 1 KiFöG LSA 2003 in Verbindung mit § 1 KJHG LSA waren Landkreise und kreisfreie Städte als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Vorhaltung einer an den Bedürfnissen von Familien und Kindern orientierten, konzeptionell vielfältigen, leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen Struktur von Tageseinrichtungen verantwortlich. Diese landesrechtliche Vorschrift stand im Zusammenhang mit § 79 SGB VIII und sollte gewährleisten, dass zur Erfüllung der Aufgaben nach SGB VIII die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen (vgl. § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII in der seit 1. Januar 2012 geltenden Fassung und § 79 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII in den seit 1. Juli 1998 und 1. Januar 2007 geltenden Fassungen, jeweils i.V.m. § 1 KJHG LSA). Ferner sollte eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung nach Maßgabe von § 79a SGB VIII erfolgen (vgl. § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII in der seit 1. Januar 2012 geltenden Fassung i.V.m. § 1 KJHG LSA). Die Gesamtverantwortung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe, einschließlich ihrer Planungsverantwortung, wurde in § 15 KJHG LSA klargestellt.

97

(1) § 79 SGB VIII legt als eine Art "Fundamentalnorm" (Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, beck-online, § 79 Rn. 3; vgl. auch VGH BW, Urteil vom 4. Juni 2008 - 12 S 2559/06 -, juris, Rn. 64) die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe fest. Diese müssen gewährleisten, dass die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlichen und geeigneten Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen (§ 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII).

98

Die Planungsverantwortung wird - als ein in die Zukunft gerichteter Gestaltungsprozess (vgl. Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, beck-online, § 79 Rn. 5) - als nicht trennbarer und wesentlicher Bestandteil der Gesamtverantwortung in § 79 Abs. 1 SGB VIII verstanden (Hilke, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Werksstand 12/14, juris, § 79 Rn. 10). Erst auf der Grundlage einer Planung kann festgestellt werden, ob Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen ausreichen und geeignet sind. Um den Bedarf feststellen zu können, muss der Landkreis die kreisangehörigen Gemeinden in die Planung einbeziehen, wenn dort Einrichtungen und Dienste vorhanden sind oder aufgebaut werden sollen (Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, beck-online, § 79 Rn. 6). Dabei stellt die Planung nach § 80 SGB VIII das entscheidende und umfassende (Steuerungs-)Instrument für die Erfüllung des Sicherstellungsauftrags dar (vgl. Hilke, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Werksstand 12/14, juris, § 79 Rn. 10). Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben im Rahmen ihrer Planungsverantwortung den Bestand an Einrichtungen und Diensten festzustellen (Abs. 1 Nr. 1), den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Personensorgeberechtigten für einen mittelfristigen Zeitraum zu ermitteln (Abs. 1 Nr. 2) und die zur Befriedigung des Bedarfs notwendigen Vorhaben rechtzeitig und ausreichend zu planen; dabei ist Vorsorge zu treffen, dass auch ein unvorhergesehener Bedarf befriedigt werden kann (Abs. 1 Nr. 3). Einrichtungen und Dienste sollen so geplant werden, dass insbesondere Kontakte in der Familie und im sozialen Umfeld erhalten und gepflegt werden können (Abs. 2 Nr. 1), ein möglichst wirksames, vielfältiges und aufeinander abgestimmtes Angebot von Jugendhilfeleistungen gewährleistet ist (Abs. 2 Nr. 2), junge Menschen und Familien in gefährdeten Lebens- und Wohnbereichen besonders gefördert werden (Abs. 2 Nr. 3) und Mütter und Väter Aufgaben in der Familie und Erwerbstätigkeit besser miteinander vereinbaren können (Abs. 2 Nr. 4).

99

Bei der Planungsverantwortung im Sinne des § 80 SGB VIII handelt es sich um eine nicht delegierbare, gesetzliche Verpflichtung der Träger öffentlicher Jugendhilfe zur Planung (Eger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 80 Rn. 8; vgl. Hilke, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Werksstand 03/13, juris, § 80 Rn. 4), mit der diese ihre Gewährleistungsverpflichtung gemäß § 79 SGB VIII realisieren. Ihr haben sie kontinuierlich nachzukommen. Jugendhilfeplanung kann insofern nicht als eine nach einmaligem Geschehen abgeschlossene Aufgabe verstanden werden (Eger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 80 Rn. 8).

100

Die Gesamtverantwortung schließt die Finanzverantwortung ein (Eger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 79 Rn. 15; Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, beck-online, § 79 Rn. 7; Hilke, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Werksstand 12/14, juris, § 79 Rn. 13). Demnach haben die Jugendämter die Pflicht, die für die Erfüllung der Aufgaben erforderlichen Finanzmittel bereitzustellen (Wiesner, SGB VIII, beck-online, § 79 Rn. 6).

101

(2) Die Gewährleistungspflicht des § 79 Abs. 2 SGB VIII ist Bestandteil der umfassenden Gesamtverantwortung des öffentlichen Trägers (Eger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 79 Rn. 19) und ermöglicht deren Wahrnehmung in struktureller und individueller Hinsicht (vgl. Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, beck-online, § 79 Rn. 9). Sie verpflichtet die Jugendämter, zur Erfüllung ihrer Aufgaben die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung zu stellen. Damit ist die Gewährleistungspflicht auf Bereitstellung einer zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Infrastruktur gerichtet (vgl. Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, beck-online, § 79 Rn. 13).

102

§ 79 Abs. 2 SGB VIII verpflichtet den Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Schaffung einer pluralen Angebotsstruktur, die Voraussetzung dafür ist, dass die Leistungsberechtigten ihr Wunsch- und Wahlrecht (§ 5) tatsächlich ausüben können (vgl. Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, beck-online, § 79 Rn. 17 f.). Zur Erfüllung aller Aufgaben nach § 2 SGB VIII, also auch zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII), müssen Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen zur Verfügung stehen, die den unterschiedlichen Wertorientierungen in der Gesellschaft entsprechen (§ 3 Abs. 1 SGB VIII), soweit die Leistungsberechtigten dies wünschen (§ 5 Abs. 1 SGB VIII).

103

bb) Mit Inkrafttreten des Kinderförderungsgesetzes Sachsen-Anhalt am 8. März 2003 hat der Gesetzgeber einen Teilbereich der von den örtlichen Trägern der Jugendhilfe aufgrund ihrer Gesamtverantwortung wahrzunehmenden Aufgaben, soweit diese mit der Leistungsverpflichtung im Sinne von § 3 Abs. 3 KiFöG LSA 2004 einhergehen, auf die Gemeinden übertragen.

104

(1) Nach § 69 Abs. 5 Satz 1 und Satz 4 SGB VIII in der vom 8. Dezember 1998 bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung konnten kreisangehörige Gemeinden und Gemeindeverbände, die nicht örtliche Träger sind, kraft Landesrechts für den örtlichen Bereich Aufgaben der Jugendhilfe wahrnehmen. Demnach konnte der Gesetzgeber in Sachsen-Anhalt im Jahre 2003 die Gemeinden rechtswirksam zur Erfüllung des Anspruchs auf Kinderbetreuung verpflichten (vgl. LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12. Juli 2005 - LVG 6/04 -, juris, Rn. 93). Im Zuge der Föderalismusreform I von 2006 wurde die Vorschrift grundlegend überarbeitet und die Bestimmung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe dem Landesrecht zugewiesen (§ 69 Abs. 1 SGB VIII). Seitdem ist der Landesgesetzgeber ohne Weiteres befugt, einzelne Aufgabenfelder den Gemeinden zuzuweisen (vgl. Kunkel/Vondung, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, beck-online, § 69 Rn. 21-23; Weißenberger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 69 Rn. 31).

105

Durch das Kinderförderungsgesetz Sachsen-Anhalt 2003 wurden die Aufgaben der Gemeinden im Bereich der Bereitstellung von Kindertageseinrichtungen wesentlich erweitert. Danach sollten sie in eigenen Einrichtungen eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen vorhalten, soweit ansonsten die Betreuungsansprüche nach § 3 Abs. 1 KiFöG LSA 2004 im Gemeindegebiet nicht erfüllt werden konnten. Der bis dahin den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe durch § 12 des Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen (KiBeG LSA) zugewiesene Sicherstellungsauftrag wurde auf die Gemeinden verlagert und ihnen als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe zugewiesen (vgl. LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12. Juli 2005 - LVG 6/04 -, juris, Rn. 84). Sie erhielten damit eine örtliche Gesamtverantwortung unabhängig von ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit. In Fällen zusätzlicher Nachfrage nach Betreuungsplätzen aufgrund des Zuzugs von Familien, der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit der Eltern, aber auch der Schließung von Einrichtungen freier Träger war die Gemeinde verpflichtet, kurzfristig die eigene Betreuungskapazität zu erhöhen, um die Rechtsansprüche aus § 3 Abs. 1 KiFöG LSA 2004 erfüllen zu können (vgl. LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12. Juli 2005 - LVG 6/04 -, juris, Rn. 85).

106

(2) (a) Die Gemeinden waren für die Koordinierung und Durchsetzung des Anspruchs auf Kinderbetreuung und die Erarbeitung von Bedarfsplanungen ebenso zuständig wie für die Sicherung eines bedarfsgerechten Angebots an Plätzen in Kindertageseinrichtungen sowie die Umsetzung der Planung im Zusammenwirken mit den freien Trägern. Damit nahmen die Gemeinden Planungsaufgaben im Sinne des § 79 Abs. 1, § 80 SGB VIII wahr, die ihnen durch das KiFöG LSA 2003 mit der Verpflichtung zur Erfüllung des Betreuungsanspruchs und der damit verbundenen örtlichen Gesamtverantwortung in Gestalt einer subsidiären Erfüllungsverantwortung (vgl. LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12. Juli 2005 - LVG 6/04 -, juris, Rn. 85) übertragen worden waren.

107

(b) Nach § 11 Abs. 4 Satz 1 KiFöG LSA 2010 waren die Gemeinden ferner verpflichtet, aus den zweckgebundenen Mitteln des Landes und der Träger der öffentlichen Jugendhilfe den freien Trägern von Kindertageseinrichtungen die für den Betrieb notwendigen Kosten abzüglich von Elternbeiträgen und eines Eigenanteils des Trägers von in der Regel bis zu 5 v. H. der Gesamtkosten zu erstatten. Gemäß Satz 3 sollten sie vertragliche Vereinbarungen mit den freien Trägern über den Umfang der Kostenerstattung abschließen. Etwaige Fehlbeträge mussten die Gemeinden selbst aufbringen.

108

(c) Die Gemeinden waren ferner für die Erstellung von Jahresstatistiken zuständig. Hierzu gehörten gemäß § 102 Abs. 2 Nr. 5 SGB VIII in der Fassung vom 8. Dezember 1998 in Verbindung mit § 99 Abs. 8 bis 10 SGB VIII in der Fassung vom 12. Oktober 2000 Erhebungen über die Einrichtungen, Behörden und Geschäftsstellen in der Jugendhilfe und die dort tätigen Personen (Abs. 9) sowie der Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Jugendhilfe (Abs. 10). Daneben mussten sie statistische Erhebungen durchführen, um ihre Betreuungsverpflichtungen erfüllen zu können. Zudem waren die Gemeinden gehalten, eine genaue Bedarfsanalyse und Bedarfsplanung für die örtliche Betreuungsplatzleitplanung durchzuführen und die hierfür erforderlichen Daten zu erfassen.

109

(d) Eine Zuständigkeit für die Schaffung der rechtlichen Grundlagen für den Betrieb von Kindertageseinrichtungen freier Träger im Gemeindegebiet stand den kreisangehörigen Gemeinden dagegen nicht zu. Die öffentliche Anerkennung der freien Träger nach § 75 SGB VIII oblag gemäß § 14 Abs. 1 KJHG LSA entweder den örtlichen Jugendämtern (Nr. 1), dem Landesjugendamt (Nr. 2) oder der obersten Landesjugendbehörde (Nr. 3). Für die Erteilung der Betriebserlaubnis für die konkrete Tageseinrichtung waren gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 6, § 45 SGB VIII die überörtlichen Träger der Jugendhilfe zuständig.

110

cc) Im Übrigen haben die kreisangehörigen Gemeinden in Sachsen-Anhalt Aufgaben im Bereich der Kinderbetreuung auf der Grundlage von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG übernommen. Zum Kernbereich des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts gehört die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen (vgl. BVerfGE 79, 127 <146>; 107, 1 <11 f.>; 138, 1 <21 f. Rn. 59>). Diese Aufgaben standen gewissermaßen neben den ihnen übertragenen - jugendhilferechtlich determinierten - Aufgaben und haben sich mit diesen zum Teil überschnitten. So waren die kreisangehörigen Gemeinden in Sachsen-Anhalt - wie überall in Deutschland - auch für die Errichtung, den Betrieb und die Finanzierung eigener Kindertagesstätten, die "Mikroplanung" des kommunalen Betreuungsbedarfs, die Unterstützung der freien Träger und die Statistik zuständig.

111

d) Die von den kreisangehörigen Gemeinden aufgrund ihrer Verpflichtung zur Erfüllung des Anspruchs auf Kinderbetreuung gemäß § 3 Abs. 3 KiFöG LSA 2004, zur Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts (§ 3b KiFöG LSA 2004) und zur Unterstützung der freien Träger von Tageseinrichtungen gemäß § 9 Abs. 3 KiFöG LSA 2003 wahrgenommenen Aufgaben sowie die mit diesen zusammenhängenden Planungs- und Koordinierungsaufgaben sind Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft und insoweit durch Art. 28 Abs. 2 GG gegen eine rechtsgrundlose und unverhältnismäßige Entziehung geschützt. Ihr örtlicher Bezug (aa) wird weder durch die begrenzte Dauer der Aufgabenwahrnehmung (bb) noch durch die teilweise bundesrechtliche Determinierung der Aufgabe in Frage gestellt (cc).

112

aa) Die Gewährleistungsverpflichtung für die Kinderbetreuung hat einen örtlichen Bezug und ist für das Zusammenleben vor Ort von zentraler Bedeutung. Das Bedürfnis an Betreuungseinrichtungen für ihre nicht schulpflichtigen Kinder ist den Gemeindeeinwohnern gemeinsam, weil es das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betrifft (vgl. BVerfGE 138, 1 <24 Rn. 65>). Insoweit zählen die wohnortnahe Bereitstellung von Betreuungsplätzen für Kinder und die damit zusammenhängenden Verwaltungsaufgaben zu den Bedürfnissen und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben.

113

Dass die Wahrnehmung der mit der Kinderbetreuung zusammenhängenden Verwaltungsaufgaben durch die Gemeinden in Sachsen-Anhalt nicht auf historische Vorläufer zurückblicken kann, ändert nichts an diesem Befund. Zwar wurde die Leistungsverpflichtung den Gemeinden erst im Jahre 2003 auferlegt. Daraus folgt indes nicht, dass diese Aufgaben aus dem Gewährleistungsgehalt des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG herausfielen. Für die Bestimmung des Gewährleistungsbereichs ist das historische Erscheinungsbild der Gemeinden insofern relevant, als der Umstand, dass eine Aufgabe schon seit jeher von den Gemeinden erfüllt wurde, ein - unter Umständen entscheidendes - Indiz für die Zugehörigkeit zur Garantie der kommunalen Selbstverwaltung sein kann (vgl. BVerfGE 138, 1 <23 ff. Rn. 63 ff.>). Das geschichtliche Erscheinungsbild ist insoweit ein gegebenenfalls hinreichendes, aber kein notwendiges Kriterium (vgl. Mehde, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Abs. 2 Rn. 51 ). Denn die örtlichen Bezüge einer Angelegenheit wandeln sich mit ihren sozialen, wirtschaftlichen oder technischen Rahmenbedingungen (BVerfGE 138, 1 <17 Rn. 47>). Der erforderliche örtliche Bezug kann deshalb auch bei neuen Aufgaben gegeben sein, die keine historischen Vorläufer kennen.

114

Dies wird auch durch die rechtliche Ausgestaltung des Betreuungsanspruchs deutlich. Anspruch auf einen Betreuungsplatz haben alle Kinder bis zu einem bestimmten Alter, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Sachsen-Anhalt haben (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 KiFöG LSA). Dieser Anspruch ist auf eine zumutbar erreichbare Tageseinrichtung gerichtet (§ 3 Abs. 5 Satz 1 KiFöG LSA) und entspricht dem das Jugendhilferecht beherrschenden Prinzip der Wohnortnähe (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII). Dasselbe folgt aus der Gesamtverantwortung des Jugendhilfeträgers für ein bedürfnis- und bedarfsgerechtes Angebot gemäß § 79, § 22 Abs. 3 SGB VIII (Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, § 24 Rn. 18). Daher wird der aus § 24 SGB VIII folgende Anspruch nur erfüllt, wenn die Betreuungseinrichtung vom Wohnsitz des Kindes aus in vertretbarer Zeit erreicht werden kann (vgl. BayVGH, Urteil vom 22. Juli 2016 - 12 BV 15.719 -, juris, Rn. 46 ff.). Das Bundesrecht verlangt, dass der örtliche Bedarf primär örtlich befriedigt wird und dass überörtliche Angebote den Anspruchsberechtigten nur in entsprechend gelagerten Einzelfällen zugemutet werden. Ein genereller Verweis auf alle in einem Landkreis bestehenden Angebote würde dem nicht gerecht.

115

Die Gewährleistungsverpflichtung zielt also darauf, dem lokalen Bedarf ein lokales Angebot gegenüberzustellen. Auch soweit es Bedarf daran gibt, Kinder auswärtig betreuen zu lassen, ändert dies nichts an der grundsätzlichen Zuordnung der Aufgabe zum örtlichen Bereich (vgl. BVerfGE 110, 370 <401>; 138, 1 <17 Rn. 48>).

116

Dieses Ergebnis wird durch einen Vergleich mit der Trägerschaft für Grund- und Hauptschulen bestätigt, die der Senat ebenfalls als Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft qualifiziert hat (vgl. BVerfGE 138, 1 <24 f. Rn. 65 f.). Hat das Bildungsangebot für schulpflichtige Kinder einen spezifisch örtlichen Bezug, muss dies erst recht für Kinder im Vorschulalter gelten, da deren Mobilität noch eingeschränkter ist und die Verwirklichung der insoweit bestehenden Ansprüche und Pflichten noch stärker vom Wohnort der Eltern abhängt.

117

Vor diesem Hintergrund war die Leistungsverpflichtung den Gemeinden durch Gesetz zugewiesen und zur Pflichtaufgabe gemacht worden. Es handelte sich insoweit um eine "pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe" (LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12. Juli 2005 - LVG 6/04 -, juris, Rn. 81 und Rn. 84), die zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinden gehörte und daher von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG erfasst ist (vgl. HessStGH, Urteil vom 6. Juni 2012 - P.St.2292 -, juris, Rn. 93 f.). Eine Fachaufsicht bestand nicht.

118

bb) Diese Rechtslage hat in Sachsen-Anhalt zwar nur in der Zeit von 2003 bis 2013 gegolten. Die begrenzte Dauer der Aufgabenwahrnehmung spielt für die Zuordnung zum Gewährleistungsbereich des Art. 28 Abs. 2 GG - anders als das Landesverfassungsgericht offenbar annimmt (vgl. LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Oktober 2015 - LVG 2/14 -, DVBl 2015, S. 1535 <1539>) - jedoch keine entscheidende Rolle, weil die historische Zuordnung einer Aufgabe für die Zugehörigkeit zum Begriff der örtlichen Angelegenheit und der Funktion der Selbstverwaltungsgarantie von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist.

119

cc) Etwas anderes folgt schließlich auch nicht aus der bundesrechtlichen Determinierung der Aufgabe. Zwar ergibt sich der Anspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder teilweise schon aus § 24 SGB VIII, auch ist für den in § 24 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB VIII näher definierten Betreuungsanspruch der örtliche Träger zuständig, § 85 Abs. 1 SGB VIII. Eine Aufgabenzuweisung an die Kommunen ist damit jedoch nicht verbunden (§ 69 Abs. 1 SGB VIII) und darf es von Verfassungs wegen auch nicht sein (Art. 84 Abs.1 Satz 7 GG).

120

(1) Dass die Pflicht, eine bestimmte Aufgabe wahrzunehmen bundesgesetzlich geregelt ist, hindert ihre Einordnung als Selbstverwaltungsaufgabe nicht (vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. 2, Art. 28 Rn. 105; Tettinger/Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 28 Abs. 2 Rn. 174 f.; anders ist dies bei staatlichen Aufgaben: Mehde, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Abs. 2 Rn. 44 ). Ob die Pflicht bundes- oder landesrechtlich normiert ist, ist eine Frage der Gesetzgebungskompetenz; davon unabhängig ist zu entscheiden, ob die Aufgabe dem Gewährleistungsbereich von Art. 28 Abs. 2 GG unterfällt. Begründet der Bund im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenzen eine (materielle) Aufgabe, die unter dem Blickwinkel von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft ist, liegt es an den Ländern, die Zuständigkeiten so zu regeln, dass die Direktiven des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewahrt sind (vgl. BVerfGE 79, 127 <152>). Das gilt auch für das Achte Buch Sozialgesetzbuch (vgl. Schellhorn, in: Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII, 3. Aufl. 2007, § 69 Rn. 25).

121

(2) Die Wahrnehmung der Leistungsverpflichtung durch die Gemeinden kollidiert auch nicht mit bundesgesetzlichen Vorgaben über Zuständigkeiten im Bereich des Kinder- und Jugendhilferechts. Insbesondere stehen ihr nicht die Zuständigkeitsregelungen der § 69, § 85 SGB VIII entgegen.

122

Ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ist in § 24 Abs. 2 und Abs. 3 SGB VIII insoweit normiert, als es um den Anspruch auf Betreuung in einer Tageseinrichtung zwischen dem ersten Geburtstag und dem Schuleintritt geht. Nach § 24 Abs. 6 SGB VIII bleibt weitergehendes Landesrecht unberührt, was insbesondere die Rechtslage in den ostdeutschen Ländern sichern soll (statt aller Kaiser, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, § 24 Rn. 41). Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII und § 85 Abs. 1 SGB VIII richtet sich der Rechtsanspruch gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Winkler, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkommentierung zum SGB VIII Rn. 91; Struck, in: Wiesner, SGB VIII, § 24 Rn. 18; Wiesner/Grube/Kößler, Der Anspruch auf frühkindliche Förderung und seine Durchsetzung, 2013, S. 9). Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe werden durch Landesrecht bestimmt, § 69 Abs. 1 SGB VIII. Gleichzeitig bestimmt § 79 SGB VIII, dass die Gesamtverantwortung für die Erfüllung der Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch VIII beim Träger der öffentlichen Jugendhilfe liegt, der nach § 80 SGB VIII auch für die Bedarfsplanung zuständig ist.

123

Mit dem Verweis auf das Landesrecht verlangt § 69 Abs. 1 SGB VIII - anders als vor der Föderalismusreform I - nicht mehr, dass Landkreise und kreisfreie Städte örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe sein müssen (Weißenberger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 69 Rn. 11). Der Vorschrift ist auch nicht zu entnehmen, dass die nach Bundesrecht dem örtlichen Träger zugewiesenen Aufgaben zwingend von demselben Verwaltungsträger wahrzunehmen sind. Dies folgt nicht nur aus einem Vergleich mit der früheren Rechtslage, in der die Übertragung der Trägerschaft als solche oder auch nur die Zuweisung einzelner Aufgaben durch die Landkreise an kreisangehörige Gemeinden ausdrücklich geregelt war. Dieses Verständnis ergibt sich auch aus Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG in seiner durch die Föderalismusreform I 2006 geschaffenen Fassung, der es grundsätzlich ausschließt, dass Bundesgesetze (verpflichtende) Regelungen über die Einrichtung der Landesbehörden enthalten. Regelungen über die Einrichtung der Behörden dürfen ausweislich des Art. 84 Abs. 1 Satz 3 GG nicht abweichungsfest ausgestaltet werden, und mit Blick auf Gemeinden und Gemeindeverbänden bestimmt Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG ausdrücklich, dass ihnen durch Bundesgesetz Aufgaben nicht übertragen werden dürfen. Dieses Durchgriffsverbot gilt ausnahmslos (vgl. BVerfGE 119, 331 <359>; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 84 Rn. 56; F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 84 Rn. 154 ).

124

Das Bundesrecht legt vorliegend weder fest, welche Verwaltungsebene die von ihm normierten materiell-rechtlichen Aufgaben erfüllen muss, noch regelt es, dass diese einheitlich von derselben Ebene wahrgenommen werden müssen. Eine zuständigkeitsbezogene Vorgabe besteht allerdings insoweit, als diejenige Körperschaft, die nach Landesrecht der örtliche Träger ist, die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung zu tragen hat, § 79 Abs. 1 SGB VIII. Dazu gehört auch die Pflicht, für eine ausreichende Zahl an Betreuungsplätzen zu sorgen (Struck, in: Wiesner, SGB VIII, § 24 Rn. 20 f.). Daraus mögen sich Grenzen für die Möglichkeit ergeben, die Trägerschaft auf kreisangehörige Gemeinden zu übertragen; der Übertragung der Leistungsverpflichtung steht die Gesamtverantwortung des Trägers aber nicht entgegen.

125

2. Vor diesem Hintergrund stellt die Übertragung der Leistungsverpflichtung auf Landkreise und kreisfreie Städte durch Art. 1 Nr. 2 Buchstabe c des Gesetzes zur Änderung des Kinderförderungsgesetzes und anderer Gesetze vom 23. Januar 2013 beziehungsweise § 3 Abs. 4 KiFöG LSA 2013 eine Hochzonung von Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft dar (a). Der damit verbundene Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ist jedoch von sachlichen Gründen getragen (b). Die Übertragung der Leistungsverpflichtung auf die Landkreise erscheint deshalb für die Gemeinden zumutbar (c).

126

a) Es sprechen gute Gründe dafür, dass die Auswechslung des Leistungsverpflichteten mit § 3 Abs. 4 KiFöG LSA 2013 und die damit verbundene Übertragung der mit der Erfüllung des Anspruchs auf einen Betreuungsplatz zusammenhängenden Verwaltungsaufgaben eine Hochzonung von Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft darstellt. Dies betrifft zunächst die Leistungsverpflichtung zur Erfüllung des Anspruchs auf Kinderbetreuung unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts gemäß § 3b, § 3 Abs. 4 KiFöG LSA 2013. Auch im Bereich der Finanzierung der Kinderbetreuung hat die gesetzliche Neuregelung Einschränkungen des Aufgabenfeldes der kreisangehörigen Gemeinden mit sich gebracht. So fiel den Kommunen nach der alten Gesetzeslage die Finanzierung der freien Träger im Rahmen einer partiellen und vorübergehenden Finanzierungspflicht als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe (vgl. Rn. 105) zu. Sie konnten mit den im Gemeindegebiet ansässigen freien Trägern von Kindertageseinrichtungen vertragliche Vereinbarungen über den Umfang der Kostenerstattung nach § 11 Abs. 4 Satz 3 KiFöG LSA 2010 schließen (vgl. Rn. 107). Insoweit hatten sie aufgrund ihrer Leistungsverpflichtung eine ihrer örtlichen Gesamtverantwortung entspringende umfassende Finanzverantwortung für die Errichtung, den Betrieb und die Unterhaltung der in ihrem Gemeindegebiet vorhandenen oder zusätzlich aus Bedarfsgründen erforderlichen Kindertagesstätten (vgl. Rn. 105), die ihnen heute nicht mehr zusteht.

127

b) Die gesetzliche Regelung wird indes durch hinreichende sachliche Gründe getragen (vgl. BVerfGE 138, 1 <29 ff. Rn. 78 ff.>). Die Übertragung der Leistungsverpflichtung soll der Stärkung der staatlichen Jugendämter (aa), einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung (bb), sowie der Zusammenführung der haftungsbewehrten Gewährleistungspflicht zur Bereitstellung eines Kinderbetreuungsplatzes mit der landesrechtlichen Verpflichtung zur Erfüllung des Anspruchs auf Kinderbetreuung (cc) dienen.

128

aa) Das Anliegen, die staatlichen Jugendämter zu stärken, zielt auf die Konzentration der Aufgaben der Jugendhilfe bei den örtlichen Trägern. Es entspricht damit dem gesetzlichen Leitbild des § 79 Abs. 1 SGB VIII, der die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe begründet und sie verpflichtet zu gewährleisten, dass die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlichen und geeigneten Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen (VGH BW, Urteil vom 4. Juni 2008 - 12 S 2559/06 -, juris, Rn. 64).

129

Diesem Leitbild entspricht, wie die Landesregierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, das Anliegen des sachsen-anhaltinischen Gesetzgebers, die Leistungen der Kinderbetreuung aus einer Hand anzubieten und sie bei den örtlichen Trägern der Jugendhilfe zu konzentrieren. Dem folgend, hat er die mit der Leistungsverpflichtung verbundene örtliche Gesamtverantwortung (vgl. LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12. Juli 2005 - LVG 6/04 -, juris, Rn. 85) (wieder) den örtlichen Trägern der Jugendhilfe übertragen und ihnen auch die Bedarfsplanung gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 SGB VIII zugewiesen (§ 10 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 KiFöG LSA). Der Stärkung der staatlichen Jugendämter dient - wie die Vertreterin der Landesregierung in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat - ferner das Anliegen, durch die gemeinsame Wahrnehmung der Aufgaben der Kinderbetreuung, des Kinderschutzes und der Hilfe zur Erziehung Synergieeffekte zu erzielen.

130

bb) Der Bündelung der Kompetenzen bei den Jugendämtern liegt zugleich das Anliegen einer Qualitätssteigerung zugrunde. Die Gewährleistung einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung ist Teil der Gesamtverantwortung des örtlichen Trägers der Jugendhilfe (§ 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 79a SGB VIII) und war bereits vor ihrer ausdrücklichen gesetzlichen Verankerung zum 1. Januar 2012 als solcher anerkannt (Eger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 79a Rn. 4).

131

Die Pflicht zur Qualitätsentwicklung bezieht sich nach § 79a Satz 1 Nr. 1 SGB VIII auf die Gewährung und Erbringung von Leistungen und gilt auch für die Aufgaben der Kinderbetreuung. Vor diesem Hintergrund wollte der Gesetzgeber die Gesamtverantwortung für die Vergabe von Kinderbetreuungsplätzen im Interesse der Qualitätssicherung bei den Jugendämtern konzentrieren. Zur Qualitätssicherung gehört die Einhaltung der maßgeblichen Vergabekriterien, also die Sicherstellung rechtmäßiger Vergabeentscheidungen. Bei diesen ist neben dem Kriterium der zumutbar erreichbaren Tageseinrichtung gemäß § 3 Abs. 5 KiFöG LSA 2013 sowie des Wunsch- und Wahlrechts gemäß § 3b KiFöG LSA 2013 auch der Vorrang der freien Träger gemäß § 4 Abs. 2 SGB VIII zu berücksichtigen.

132

Es ist darüber hinaus ein legitimes Anliegen der Qualitätsentwicklung bei der Vergabe von Kinderbetreuungsplätzen, einer möglichen Missbrauchsgefahr, die sich aus der Wettbewerbssituation zwischen Gemeinden und freien Trägern ergeben kann, und möglichen Fehlentscheidungen in der Zukunft zu begegnen. Ob die Konkurrenz zwischen kommunalen und freien Betreuungsangeboten zu einem strukturellen Interessenkonflikt geführt hat, kann an dieser Stelle dahinstehen. Ein solcher kann jedenfalls nicht allein damit begründet werden, dass kreisangehörige Gemeinden in der Vergangenheit mit freien Trägern über die Erstattung der nach § 11 Abs. 4 KiFöG LSA 2010 für den Betrieb der Tageseinrichtung notwendigen Kosten gestritten haben und es deshalb zu einigen wenigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren gekommen ist (vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 22. Februar 2006 - 6 A 230/04 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 9. Februar 2011 - 3 L 792/08 -, juris). Dessen ungeachtet ist die Prognose des Gesetzgebers nicht zu beanstanden, dass es aufgrund des Nebeneinanders von kommunalen und freien Einrichtungen einen Interessenkonflikt zwischen den Gemeinden und ihren privaten Wettbewerbern geben und der von der Landesregierung als Vorrangregelung für letztere verstandene § 4 Abs. 2 SGB VIII dadurch unterlaufen werden kann. Offen bleibt allerdings, warum ein solcher Interessenkonflikt bei kreisfreien Städten, bei denen Leistungsverpflichtung und die Trägerschaft von Kindertagesstätten weiterhin zusammenfallen, nicht möglich sein soll. Jedenfalls handelt es sich mit Blick auf die in § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 79a SGB VIII normierte Pflicht zur Gewährleistung einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung um einen legitimen Zweck, wenn zum Schutz der freien Träger vor potentieller Benachteiligung bei der Vergabe von Betreuungsplätzen die maßgebliche Vergabeentscheidung auf die örtlichen Träger der Jugendhilfe übertragen wird.

133

cc) Die Zusammenführung der haftungsbewehrten unbedingten Gewährleistungspflicht zur Bereitstellung eines Kinderbetreuungsplatzes und der landesrechtlichen Leistungsverpflichtung auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte stellt ebenfalls einen legitimen Zweck dar.

134

Die Änderung des Leistungsverpflichteten in § 3 Abs. 4 KiFöG LSA zum 1. August 2013 ging einher mit der am selben Tag in Kraft getretenen Änderung des § 24 SGB VIII. Dieser sieht zum einen objektiv-rechtliche Verpflichtungen zur Betreuung von Kindern ab der Geburt bis vor Vollendung des ersten Lebensjahres (Abs. 1) und im schulpflichtigen Alter (Abs. 4) vor (vgl. Rixen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 24 Rn. 8). Zum andern beinhaltet er in den Absätzen 2 und 3 Rechtsansprüche auf Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen oder in der Kindertagespflege von der Vollendung des ersten Lebensjahrs an bis zum Schuleintritt, bei deren Nichterfüllung Amtshaftungsansprüche aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG entstehen können (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2016 - III ZR 302/15 -, juris, Leitsatz und Rn. 15 ff.). Aus der Regelung erwächst für den örtlich und sachlich zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe somit die (Amts-)Pflicht, im Rahmen seiner Gesamtverantwortung sicherzustellen, dass für jedes anspruchsberechtigte Kind, für das ein entsprechender Bedarf rechtzeitig angemeldet worden ist (§ 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII), ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht; insoweit trifft ihn eine unbedingte Gewährleistungspflicht (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2016 - III ZR 302/15 -, juris, Rn. 17). Die vorbezeichnete Amtspflicht besteht nicht nur im Rahmen der vorhandenen Kapazität; vielmehr trifft den gesamtverantwortlichen Jugendhilfeträger die unbedingte Pflicht, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte - freie Träger der Jugendhilfe, Kommunen oder Tagespflegepersonen - bereitzustellen (vgl. BVerfGE 140, 65 <84 Rn. 43>; BGH, Urteil vom 20. Oktober 2016 - III ZR 302/15 -, juris, Rn. 18). Gesamtverantwortlich sind aufgrund der landesrechtlichen Regelung in § 1 KJHG LSA in Sachsen-Anhalt die Landkreise und kreisfreien Städte. Die gesetzliche Neuregelung sorgt für einen Gleichlauf der die Landkreise und kreisfreien Städte aus § 24 Abs. 2 und Abs. 3 SGB VIII in Verbindung mit dem Landesrecht treffenden haftungsbewehrten Gewährleistungspflicht zur Bereitstellung eines Kinderbetreuungsplatzes auf der einen Seite und der landesrechtlichen Verpflichtung zur Erfüllung des Anspruchs auf Kinderbetreuung gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 2 KiFöG LSA 2013 auf der anderen Seite.

135

c) Die angegriffene Regelung genügt auch den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Sie ist geeignet, erforderlich und zumutbar.

136

aa) Sie lässt das Recht der kreisangehörigen Gemeinden unberührt, sich aufgrund ihrer Allzuständigkeit freiwillig der örtlichen Aufgabe der Kinderbetreuung und insbesondere der damit zusammenhängenden Planungs- und Koordinierungsaufgaben für ihr Gemeindegebiet anzunehmen. Die Allzuständigkeit erlaubt den kreisangehörigen Gemeinden auch im Bereich der Jugendhilfe einzelne Aufgaben freiwillig zu übernehmen (vgl. Weißenberger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 69 Rn. 32), solange diese nicht zum ausschließlichen gesetzlichen Aufgabenfeld der staatlichen Jugendämter gehören.

137

Ausgehend davon sind die kreisangehörigen Gemeinden nach der KiFöG-Reform des Jahres 2013 weiterhin für folgende Aufgaben im Rahmen der Kinderbetreuung zuständig:

138

Sie können Kindertageseinrichtungen in eigener Trägerschaft errichten, finanzieren und betreiben (vgl. VG Göttingen, Beschluss vom 21. August 1998 - 2 B 2297-98 -, NVwZ-RR 1999, S. 130; Weißenberger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 69 Rn. 32; Kunkel/Vondung, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, beck-online, § 69 Rn. 24; für Art. 11 Abs. 2 BayVerf: VG Augsburg, Urteil vom 22. Februar 2000 - Au 9 K 99.426 -, juris, Rn. 38; Wolff, in: Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 11 Rn. 32; für Art. 137 Abs. 3 HessVerf: HessStGH, Urteil vom 6. Juni 2012 - P.St. 2292 -, juris, Rn. 93). Dafür sind sie zwar auf die Erteilung einer Betriebserlaubnis gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 6, § 45 SGB VIII durch die überörtlichen Träger der Jugendhilfe angewiesen. Sie haben zudem mit den örtlichen Trägern der Jugendhilfe eine Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung gemäß § 11 Abs. 1 KiFöG LSA 2013 in Verbindung mit § 78b bis § 78e SGB VIII abzuschließen. Innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens steht es ihnen jedoch frei, durch den Betrieb eigener Einrichtungen Kinderbetreuungsplätze in der Gemeinde zu schaffen oder durch deren Schließung das Angebot zu verringern.

139

Den Gemeinden steht ferner das Recht zu, für ihr Gemeindegebiet den Betreuungsbedarf zu planen und zu koordinieren. Dieses Recht zur "Mikroplanung" ist von der Jugendhilfeplanung gemäß § 80 SGB VIII zu unterscheiden, die im Bereich der Kinderbetreuung die Belange des gesamten Landkreises zu berücksichtigen hat. Auf den konkreten kommunalen Betreuungsbedarf bezogen können die Gemeinden deshalb freiwillig die Aufgaben wahrnehmen, die den staatlichen Jugendämtern für ihren Zuständigkeitsbereich obliegen, ohne hierzu aufgrund einer örtlichen Gesamtverantwortung in Gestalt einer subsidiären Erfüllungsverantwortung verpflichtet zu sein. Ihnen steht es deshalb insbesondere offen, lokale Kinderbetreuungsleitplanungen zu erstellen und fortzuschreiben, hierzu die demographische Entwicklung im Gemeindegebiet zu analysieren, das Platzangebot konzeptionell zu planen und mit den in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen freien Trägern von Kindertageseinrichtungen zusammenzuarbeiten. Ebenso steht den Gemeinden ein Recht zur Kooperation mit Nachbargemeinden zu (sog. Kooperationshoheit, vgl. Rn. 74), um einen möglicherweise bestehenden gemeindeübergreifenden Betreuungsbedarf festzustellen und freiwillig abzudecken.

140

Innerhalb ihres Gemeindegebiets können die Kommunen die örtlich ansässigen freien Träger auch unterstützen. Dies gilt - ähnlich wie im Rahmen ihrer vormaligen Unterstützungspflicht gemäß § 9 Abs. 3 KiFöG LSA 2003 - für die Vergabe von Zuwendungen, die Bereitstellung von Räumen, Hilfe bei der Beschaffung von Grundstücken, bei der Fortbildung von Mitarbeitern der freien Träger oder auch nur für fachliche Beratung (vgl. Rn. 94). Im Gegensatz zur früheren Gesetzeslage sind die Gemeinden hierzu allerdings nicht mehr objektiv-rechtlich verpflichtet, sondern nehmen die Unterstützung der freien Träger bei Bedarf als freiwillige Aufgabe wahr.

141

Die Gemeinden können für ihr Gebiet ferner statistische Erhebungen durchführen, soweit diese für die Bereitstellung von Betreuungsplätzen und die konzeptionelle Planung des Betreuungsangebots erforderlich sind. Dieses Recht steht ihnen bereits als Ausfluss der allgemeinen kommunalen Informations- und Statistikhoheit zu. Davon unberührt bleibt ihre Verpflichtung, Meldungen zur Kinder- und Jugendhilfestatistik vorzunehmen, § 102 Abs. 2 Nr. 5 SGB VIII in Verbindung mit § 99 Abs. 7 bis Abs. 10 SGB VIII (vgl. Rn. 108).

142

bb) Gemäß § 13 KiFöG LSA 2013 haben die Gemeinden nunmehr die neue Aufgabe, für die Inanspruchnahme von Kinderbetreuungsleistungen Kostenbeiträge nach Anhörung der Träger von Tageseinrichtungen und Zustimmung des örtlichen Trägers der Jugendhilfe festzulegen (Abs. 2) sowie selbst zu erheben oder die Erhebung auf die Träger von Tageseinrichtungen zu übertragen (Abs. 3). Damit ist ihnen eine zusätzliche Pflichtaufgabe auferlegt und das von den Gemeinden vor der Gesetzesänderung im Jahr 2013 wahrgenommene Aufgabenfeld erweitert worden.

143

cc) Die angegriffene Regelung ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil der Gesetzgeber bei eventuellen Rechtsverstößen der kreisangehörigen Gemeinden zur Wahrnehmung ihrer subsidiären Gesamtverantwortung auf das Instrument der Rechtsaufsicht hätte zurückgreifen können.

144

Die Nichterfüllung von Aufgaben kann ebenso wenig wie die Überforderung einer Gemeinde bei der Aufgabenwahrnehmung einen Aufgabenentzug begründen, solange im Wege der Aufsicht ausreichend Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Beachtung der gesetzlichen Anforderungen sicherzustellen (vgl. BVerfGE 138, 1 <31 Rn. 84>). Daher kann die Gefahr einer rechtswidrigen Aufgabenerfüllung durch die Gemeinden eine Verlagerung kommunaler Aufgaben auf die Kreisebene grundsätzlich nicht rechtfertigen. Vielmehr kann das Land mit der Rechtsaufsicht die Rechtmäßigkeit des gemeindlichen Handelns überprüfen und die Kommunen zu einem gesetzesmäßigen Vollzug ihrer Aufgaben anhalten.

145

Das führt vorliegend jedoch nicht zur Unangemessenheit der angegriffenen Vorschriften. Denn die in der Gesetzesbegründung angeführte Missbrauchsgefahr im Hinblick auf die Benachteiligung der freien Träger ist nur einer von mehreren legitimen Zwecken, die der gesetzlichen Neuregelung zu Grunde liegen. Wesentlich ist, dass für die staatlichen Jugendämter die bundesrechtliche Verpflichtung zur Gewährleistung einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 79a SGB VIII besteht, die sich nach der nicht zu widerlegenden Einschätzung des Gesetzgebers in der zentralen Wahrnehmung der Jugendämter besser verwirklichen lässt.

146

dd) Die Übertragung der Leistungsverpflichtung auf Landkreise und kreisfreie Städte und die damit verbundene Hochzonung von Aufgaben erscheint auch verhältnismäßig im engeren Sinne.

147

(1) Gesetzliche Regelungen, die den Gemeinden Aufgaben entziehen, sind auf ihre Vereinbarkeit mit dem grundsätzlichen Zuständigkeitsvorrang zugunsten der Kommunen zu prüfen, wenn sie Bezüge zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft aufweisen. Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ist dabei umso enger und die verfassungsgerichtliche Kontrolle umso intensiver, je mehr die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden als Folge der gesetzlichen Regelung an Substanz verliert (vgl. BVerfGE 79, 127 <154>; 138, 1 <20 Rn. 56>).

148

Vorliegend ist der mit der gesetzlichen Neuregelung einhergehende Substanzverlust für das kommunale Aufgabenfeld jedoch gering. Den kreisangehörigen Gemeinden geht zwar die Zuständigkeit zur Erfüllung des Betreuungsanspruchs unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts (§ 3b, § 3 Abs. 4 KiFöG LSA 2013) verloren (vgl. Rn. 126). Auch entfallen ihre partielle Verantwortung für die Finanzierung der freien Träger und das Recht, mit diesen Vereinbarungen über den durchzuführenden Defizitausgleich abzuschließen (vgl. Rn. 126), sowie die örtliche Gesamtverantwortung in Gestalt einer subsidiären Erfüllungsverantwortung, die mit der pflichtigen Wahrnehmung umfassender Planungs- und Koordinierungsaufgaben verbunden war (vgl. Rn. 126). Dem gegenüber stehen allerdings zahlreiche Zuständigkeiten im Bereich der Kinderbetreuung, die den Gemeinden nach der KiFöG-Novelle im Jahr 2013 verblieben sind (vgl. Rn. 137 ff.).

149

(2) Soweit Aufgabenbereiche auf die örtlichen Träger der Jugendhilfe übertragen wurden, bleiben die Interessen der Gemeinden zudem weitgehend gewahrt. Dies betrifft insbesondere die Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen gemäß § 78b bis § 78e SGB VIII, die zwischen den örtlichen Trägern der Jugendhilfe und den Trägern von Tageseinrichtungen geschlossen werden. Für deren Zustandekommen ist ein Einvernehmen der Gemeinden, Verbandsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften erforderlich (§ 11a Abs. 1 KiFöG LSA). Damit ist gesetzlich gesichert, dass ohne Beteiligung der kreisangehörigen Gemeinden keine neuen Tageseinrichtungen im Gemeindegebiet betrieben werden können. Dies sichert die aus der Allzuständigkeit fließende Befugnis der Kommunen, in ihrem Gemeindegebiet eigene Kindertagesstätten zu errichten, zu betreiben und zu finanzieren (vgl. Rn. 138).

150

Ferner ist im Hinblick auf die überörtliche Kinderbetreuungsplanung eine Beteiligung der Gemeinden über das Benehmenserfordernis des § 10 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 KiFöG LSA 2013 gesichert. Dieses ermöglicht den Gemeinden, ihren Standpunkt darzulegen, Einwände im Hinblick auf die von ihnen vertretenen Interessen zu erheben und so auf das Ergebnis der Entscheidung Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 138, 1 <32 Rn. 87>). Eine Benehmensherstellung erfordert keine Einigung der beteiligten Verwaltungsträger, sondern gestattet es der entscheidenden, das Benehmen herstellenden Behörde, sich über das Vorbringen des beteiligten Trägers öffentlicher Belange hinwegzusetzen (BVerfGE 138, 1 <32 Rn. 87>). Benehmenserfordernisse genügen deshalb grundsätzlich nicht, um die Entziehung kommunaler Kompetenzen zu rechtfertigen, weil diese den Gemeinden kein wirksames Mitentscheidungsrecht gewähren. Sie stehen lediglich für eine verfahrensrechtliche Beteiligung, mit der nach dem Willen des Gesetzgebers keine materielle Rechtsposition des beteiligten Trägers öffentlicher Belange korrespondiert. Benehmenserfordernisse sind im Regelfall ausschließlich dem objektiv-rechtlichen Ziel einer breiteren Beurteilungsgrundlage und damit einer besseren Entscheidungsfindung verpflichtet (BVerfGE 138, 1 <31 f. Rn. 85 f.>). Vorliegend geht es jedoch um die überörtliche Planung der Kinderbetreuung, die keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft ist, sondern die "Mikroplanung" der Kommunen im Bereich der Kinderbetreuung lediglich beeinflusst. Insofern stellt sich das Benehmenserfordernis als ein Instrument für eine weitergehende Beteiligung der Gemeinden an der Aufgabe der Sicherung der Kinderbetreuung dar.

(1) Ist nach dem Gesellschaftsvertrag ein Aufsichtsrat zu bestellen, so sind § 90 Abs. 3, 4, 5 Satz 1 und 2, § 95 Satz 1, § 100 Abs. 1 und 2 Nr. 2 und Abs. 5, § 101 Abs. 1 Satz 1, § 103 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 105, 107 Absatz 3 Satz 2 und 3 und Absatz 4, §§ 110 bis 114, 116 des Aktiengesetzes in Verbindung mit § 93 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 2 des Aktiengesetzes, § 124 Abs. 3 Satz 2, §§ 170, 171, 394 und 395 des Aktiengesetzes entsprechend anzuwenden, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist.

(2) Ist nach dem Drittelbeteiligungsgesetz ein Aufsichtsrat zu bestellen, so legt die Gesellschafterversammlung für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und unter den Geschäftsführern Zielgrößen fest, es sei denn, sie hat dem Aufsichtsrat diese Aufgabe übertragen. Ist nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Montan-Mitbestimmungsgesetz oder dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz ein Aufsichtsrat zu bestellen, so legt der Aufsichtsrat für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und unter den Geschäftsführern Zielgrößen fest. Die Zielgrößen müssen den angestrebten Frauenanteil am jeweiligen Gesamtgremium beschreiben und bei Angaben in Prozent vollen Personenzahlen entsprechen. Wird für den Aufsichtsrat oder unter den Geschäftsführern die Zielgröße Null festgelegt, so ist dieser Beschluss klar und verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen. Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 Prozent, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten. Gleichzeitig sind Fristen zur Erreichung der Zielgrößen festzulegen. Die Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein.

(3) Werden die Mitglieder des Aufsichtsrats vor der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister bestellt, gilt § 37 Abs. 4 Nr. 3 und 3a des Aktiengesetzes entsprechend. Die Geschäftsführer haben bei jeder Änderung in den Personen der Aufsichtsratsmitglieder unverzüglich eine Liste der Mitglieder des Aufsichtsrats, aus welcher Name, Vorname, ausgeübter Beruf und Wohnort der Mitglieder ersichtlich ist, zum Handelsregister einzureichen; das Gericht hat nach § 10 des Handelsgesetzbuchs einen Hinweis darauf bekannt zu machen, dass die Liste zum Handelsregister eingereicht worden ist.

(4) Schadensersatzansprüche gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats wegen Verletzung ihrer Obliegenheiten verjähren in fünf Jahren.

(1) Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete:

1.
das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs), die Rechtsanwaltschaft, das Notariat und die Rechtsberatung;
2.
das Personenstandswesen;
3.
das Vereinsrecht;
4.
das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer;
5.
(weggefallen)
6.
die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen;
7.
die öffentliche Fürsorge (ohne das Heimrecht);
8.
(weggefallen)
9.
die Kriegsschäden und die Wiedergutmachung;
10.
die Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und Opfer von Gewaltherrschaft;
11.
das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen) ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte;
12.
das Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung;
13.
die Regelung der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung;
14.
das Recht der Enteignung, soweit sie auf den Sachgebieten der Artikel 73 und 74 in Betracht kommt;
15.
die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft;
16.
die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung;
17.
die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung (ohne das Recht der Flurbereinigung), die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Hochsee- und Küstenfischerei und den Küstenschutz;
18.
den städtebaulichen Grundstücksverkehr, das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht;
19.
Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte;
19a.
die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze;
20.
das Recht der Lebensmittel einschließlich der ihrer Gewinnung dienenden Tiere, das Recht der Genussmittel, Bedarfsgegenstände und Futtermittel sowie den Schutz beim Verkehr mit land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz;
21.
die Hochsee- und Küstenschiffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschiffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen;
22.
den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen;
23.
die Schienenbahnen, die nicht Eisenbahnen des Bundes sind, mit Ausnahme der Bergbahnen;
24.
die Abfallwirtschaft, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm);
25.
die Staatshaftung;
26.
die medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen, Geweben und Zellen;
27.
die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung;
28.
das Jagdwesen;
29.
den Naturschutz und die Landschaftspflege;
30.
die Bodenverteilung;
31.
die Raumordnung;
32.
den Wasserhaushalt;
33.
die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse.

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 25 und 27 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

Ziel des Gesetzes ist die paritätische Vertretung von Frauen und Männern in Gremien, soweit der Bund Mitglieder für diese bestimmen kann.

Im Sinne dieses Gesetzes sind:

1.
Arbeitsplätze: Ausbildungsplätze, Stellen, Planstellen sowie Dienstposten, die mit Beschäftigten im Sinne dieses Gesetzes besetzbar sind und für deren personelle Ausführung lediglich finanzielle Mittel benötigt werden, unabhängig davon, ob die Beschäftigung aus für Stellen und Planstellen bereitgestellten oder sonstigen Haushaltsmitteln finanziert wird;
2.
Bereiche: Besoldungs- und Entgeltgruppen oder Laufbahngruppen, Laufbahnen und Fachrichtungen, Berufsausbildungen einschließlich des Vorbereitungsdienstes sowie Ebenen mit Führungspositionen einschließlich der Stellen und Planstellen Vorsitzender Richterinnen und Vorsitzender Richter;
3.
beruflicher Aufstieg: Beförderungen, Höhergruppierungen, Höherreihungen sowie Übertragungen höher bewerteter Dienstposten und Arbeitsplätze;
4.
Beschäftigte: Beamtinnen und Beamte, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einschließlich Auszubildender, Richterinnen und Richter sowie Inhaberinnen und Inhaber öffentlich-rechtlicher Ämter;
5.
Dienststellen:
a)
Bundesgerichte,
b)
Behörden und Verwaltungsstellen der unmittelbaren Bundesverwaltung einschließlich solcher im Bereich der Streitkräfte sowie
c)
Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts des Bundes;
maßgebend sind § 4 Absatz 1 Nummer 4 und 6 sowie § 6 des Bundespersonalvertretungsgesetzes;
6.
Familienaufgaben: die tatsächliche Betreuung von mindestens einem Kind unter 18 Jahren durch Beschäftigte; dies schließt auch die Inanspruchnahme einer Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz ein;
7.
Pflegeaufgaben: die tatsächliche, nicht erwerbsmäßige häusliche Pflege oder Betreuung einer im Sinne des Siebten Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch pflegebedürftigen Person durch Beschäftigte; dies schließt auch die Inanspruchnahme einer Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz sowie die Inanspruchnahme einer Familienpflegezeit nach dem Familienpflegezeitgesetz ein;
8.
Qualifikation: Eignung, Befähigung und fachliche Leistung;
9.
unterrepräsentiert: Status von Frauen, wenn ihr jeweiliger Anteil an der Gesamtzahl der weiblichen und männlichen Beschäftigten in einem einzelnen Bereich unter 50 Prozent liegt; bei einer ungeraden Gesamtzahl der weiblichen und männlichen Beschäftigten sind Frauen unterrepräsentiert, wenn das Ungleichgewicht mindestens zwei Personen beträgt;
10.
Führungspositionen: alle Arbeitsplätze mit Vorgesetzten- oder Leitungsaufgaben.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.