Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners / Vaters wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 21. Dezember 2011 - 26 F 1932/11 -

aufgehoben.

2. Der verfahrensbeteiligten Mutter wird im zweiten Rechtszug ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwältin R. beigeordnet.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

5. Der Beschwerdewert wird auf EUR 3.000,00 festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die beteiligten Eltern streiten um den Umgang der in Österreich lebenden Mutter mit der gemeinsamen, am ... April 2005 geborenen Tochter L., die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Die Eltern waren nicht miteinander verheiratet, führten aber eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Der Vater besitzt die deutsche und türkische, die Mutter die österreichische Staatsangehörigkeit. Die Beteiligten zogen im Sommer 2006 nach Deutschland und leben seit ca. August 2006 voneinander getrennt. Mit Senatsbeschluss vom 05. Oktober 2010 (Az: 17 UF 223/08) wurde das Sorgerecht für das Kind auf den Vater übertragen. Das Umgangsrecht der Mutter mit L. war am 13. Oktober 2008 (Az: 26 F 87/07) durch das Familiengericht Stuttgart geregelt worden.
Ende September 2011 beantragte die Mutter beim Familiengericht Stuttgart eine Neuregelung des Umgangs. Der Antrag wurde der Verfahrensbevollmächtigten des Vaters am 07. Oktober 2011 zugestellt. Der Vater meldete sich am 12. Oktober 2011 beim zuständigen Einwohnermeldeamt in S. ab und verzog nach B. in der Türkei. Die Anmeldung erfolgte am 14. Oktober 2011. Seit dem 14. Oktober 2011 besucht L. die Grundschule in B.. Die Mutter stellte daher ihren ursprünglichen Umgangsantrag dahin um, dass ein Umgang außerhalb der türkischen Unterrichtszeiten stattfinden solle.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Familiengericht, das seine internationale Zuständigkeit bejaht hat, eine Umgangsregelung innerhalb der türkischen Schulferien im Januar und August / September 2012 angeordnet. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Vaters, der die internationale Zuständigkeit rügt.
Der Senat entscheidet ohne erneute Anhörung der Beteiligten.
II.
1.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff. FamFG statthaft und zulässig. Im Ergebnis führt sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Denn es fehlt an der vorauszusetzenden internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 17. Februar 2010 - XII ZB 68/09).
2.
Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-Verordnung = EuEheVO) sind für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, an sich die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Zum Zeitpunkt der Einreichung des Umgangsantrages hatte L. noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Gleichwohl ist die internationale Zuständigkeit nunmehr entfallen, da das Kind in der Türkei seinen gewöhnlichen Aufenthalt erlangt hat und daher eine fortbestehende internationale Zuständigkeit nicht mehr gegeben ist.
Zwar lässt sich Art. 8 Abs. 1 EuEheVO der Grundsatz einer „perpetuatio fori“ entnehmen, wonach das bei Antragstellung zuständige Gericht auch dann international zuständig bleibt, wenn das Kind während des Verfahrens in einem anderen als dem angerufenen Staat einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erwirbt (BGH, Beschl. v. 17. Februar 2010 - XII ZB 68/09).
Allerdings ist im Rahmen der EuEheVO zu unterscheiden, ob es sich bei diesem Staat um einen Vertragsstaat oder um einen anderen völkerrechtlich gebundenen Staat handelt. Nur Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind vom Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 1 EuEheVO und damit auch von einer „perpetuatio fori“ betroffen. Für Nichtmitgliedsstaaten verbleibt es dagegen zunächst bei den unmittelbar zwischen einem Mitgliedsstaat und einem nicht durch die EuEheVO gebundenen Drittstaat getroffenen völkerrechtlichen Vereinbarungen. Der Vorrang völkerrechtlicher Verträge folgt bereits aus Art. 60 lit. a EuEheVO, wonach die Vorschriften der EuEheVO nur im Verhältnis der Mitgliedsstaaten untereinander vorrangig zur Anwendung gelangen.
10 
Die Türkei ist nicht Mitglied der Europäischen Union, dagegen Mitglied des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 05. Oktober 1961 (MSA). Dem Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (KSÜ) ist die Türkei allerdings bislang nicht beigetreten. Zwischen der Türkei und Deutschland gilt das MSA seit dem 16. April 1984, wobei auch Umgangsverfahren dem Anwendungsbereich des MSA unterfallen (vgl. u.a. OLG Stuttgart, FamRZ 1998, 1321).
11 
Im Verhältnis zur Türkei verbleibt es deshalb bei den Vorschriften des MSA (vgl. auch NK-BGB/Gruber, 2. Aufl. 2012, Art. 60 EuEheVO, Rn. 4 m.w.N. in Fußn. 988 sowie Andrae, Internationales Familienrecht, 2. Aufl. 2006, § 6 Rn. 46).
12 
Soweit der BGH (Beschl. v. 17. Februar 2010 - XII ZB 68/09) von einer fortbestehenden Zuständigkeit nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO auch im Verhältnis zu Nichtmitgliedsstaaten ausgehen sollte, folgt dem der Senat nicht. Denn die EuEheVO bezweckt nicht den Eingriff in völkerrechtliche Beziehungen ihrer Mitgliedsstaaten gegenüber Nichtmitgliedsstaaten (vgl. Staudinger-Spellenberg, BGB, Neubearbeitung 2005, Art. 12 EuEheVO Rn. 34), weshalb die Regelungen der Europäischen Union bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts lediglich innerhalb ihrer Mitgliedsstaaten Anwendung finden können. Eine Überlagerung völkerrechtlicher Verträge durch eine extensive Auslegung des Art. 8 Abs. 1 EuEheVO findet daher nicht statt. Überdies dürfte auch eine Umgangsentscheidung, für die sich das erkennende Familiengericht Stuttgart aufgrund der EuEheVO für zuständig erachtet hat, in einem Nichtmitgliedsstaat, der lediglich völkerrechtlich gebunden ist, auch nicht anerkennungs- und vollstreckungsfähig sein, da sich der Nichtmitgliedsstaat nur völkerrechtlich, nicht aber auf Grund der Bestimmungen der EuEheVO gebunden sieht.
13 
Bei einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes L. in B. in der Türkei, finden die Vorschriften des MSA Anwendung.
14 
Das internationale Kindschaftsrecht definiert den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nicht. Da sämtliche internationale Abkommen auf diesem Gebiet letztendlich dem Schutz des Kindeswohles dienen, ist von einem einheitlichen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts auszugehen (Winkler von Mohrenfels, FPR 2001, 189, 190 m.w.N.). Nach der umfangreichen Definition des EuGH (Urteil vom 02.04.2009 - RS. C-523/07) ist der gewöhnliche Aufenthalt der Ort, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes ist. Hierfür sind insbesondere die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedsstaat sowie die Gründe für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen. Nach Ansicht des BGH (Beschluss vom 09.02.2011 - XII ZB 182/08) kommt der Erwerb eines gewöhnlichen Aufenthalts auch nach kurzer Zeit dann in Betracht, wenn der Aufenthalt in einem neuen Staat von vornherein auf Dauer angelegt und die auf Dauer angelegte Ausreise rechtmäßig erfolgt ist. Der gewöhnliche Aufenthalt stellt auf den tatsächlichen Mittelpunkt der Lebensführung einer Person ab. Auf den Willen, sich an einem Ort auf Dauer niederzulassen, kommt es nicht an. Aus Sicht des Kindes stellt sich ein Aufenthalt an einem neuen Ort umso mehr als „gewöhnlich“ dar, je länger es sich an diesem Ort aufhält (OLG Frankfurt, FamRZ 2006, 883, 884). Hat der Aufenthalt jedenfalls sechs Monate gedauert, wird vielfach von einem gewöhnlichen Aufenthalt ausgegangen (OLG Karlsruhe, FamRZ 2010, 1577).
15 
Da insbesondere junge Kinder im Hinblick auf eine andere zeitliche Relation sich leichter an eine neue Umgebung gewöhnen, lässt diese Dauer des Aufenthalts auf eine gewisse soziale Integration schließen. Für das zum Zeitpunkt des Umzugs sechsjährige Mädchen sind des Weiteren der Umfang und die Intensität der Beziehungen zu Familienangehörigen von besonderem Gewicht. Der Vater ist die Hauptbezugsperson des Kindes. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes hängt rechtlich nicht vom Willen des Sorgeberechtigten ab. Indes kann hier nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, dass der Umzug zusammen mit dem alleinsorgeberechtigten Vater erfolgte. Seit dem Umzug sind nunmehr knapp sechs Monate vergangen, wobei zum jetzigen Zeitpunkt auch von einer weitgehenden sozialen Integration von L. ausgegangen werden muss. L. geht in B. seit Oktober vergangenen Jahres in die Schule, erhält Deutsch- und Englischunterricht, spielt Klavier, besucht einen Schachverein und hat offensichtlich soziale Kontakte. Somit hat L. ihren Lebensmittelpunkt in B. in der Türkei.
16 
Bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts im Anwendungsbereich des MSA ist für eine „perpetuatio fori“ kein Raum mehr, weil mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts die Zuständigkeit am früheren Aufenthaltsort des Minderjährigen zwangsläufig erlischt (BGH, Beschl. v. 22. Juni 2005 - XII ZB 186/03). Dies hat auch in der Rechtsmittelinstanz zu gelten. Denn vorrangig ist auf die fortbestehende internationale Zuständigkeit abzustellen.
17 
Maßgebend für die Beurteilung der fortbestehenden internationalen Zuständigkeit ist nicht der Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung, sondern vielmehr der Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts (so wohl auch BGH, Beschl. v. 05. Juni 2002 - XII ZB 74/00). Es kommt nicht darauf an, dass das erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit noch bejaht hat, weil es im Zeitpunkt des Erlasses seiner Entscheidung noch von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in Deutschland ausgehen konnte, unabhängig davon, dass es lediglich seine Zuständigkeit nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO bejaht hatte. Entscheidend ist auf den Schutzzweck des Art. 1 MSA abzustellen, wonach dieser Vorschrift der Gedanke zugrunde liegt, dass die Behörden am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts die für Notwendigkeit, Art und Umfang von Schutzmaßnahmen maßgebenden sozialen und familiären Verhältnisse des Minderjährigen am besten und schnellsten ermitteln können (vgl. BGH, Beschl. v. 05. Juni 2002 - XII ZB 74/00). Gerade in Umgangsverfahren können die Gerichte am Aufenthaltsort unter Zuhilfenahme der zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen treffen und soweit notwendig auch die jeweiligen Modalitäten zum Wohl des Kindes umfassend regeln. Das zunächst angerufene Gericht besitzt diese Kompetenz schon im Hinblick auf unterschiedliche Verfahrensordnungen in der Regel nicht. Lediglich innerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mag auf Grund der Vereinheitlichung des Rechts etwas anderes gelten, zumal gem. Art. 41 Abs. 1 EuEheVO auf ein Exequaturverfahren verzichtet wurde.
18 
Der Prüfung der internationalen Zuständigkeit auch in der Rechtsmittelinstanz steht im konkreten Fall auch nicht Art. 5 Abs. 3 MSA entgegen, wonach bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts die in dem Ursprungsstaat nach innerstaatlichen Recht getroffenen Maßnahmen im Staat des neuen gewöhnlichen Aufenthalts in Kraft bleiben. Nach Ansicht des Senates soll Art. 5 Abs. 3 MSA im Verhältnis der Vertragsstaaten lediglich gewährleisten, dass unanfechtbar gewordene Entscheidungen im Ursprungsstaat zunächst weiter gelten, sofern die konkreten Umstände nicht eine Änderung rechtfertigen sollten. Dagegen lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des Art. 5 Abs. 3 MSA entnehmen, dass eine innerstaatliche, noch nicht rechtskräftige Regelung wegen einer im Zeitpunkt der Entscheidung fehlenden internationalen Zuständigkeit, die vorrangig zu prüfen ist, nicht durch das Beschwerdegericht aufgehoben werden kann (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1991, 1346; wohl auch OLG Köln, MDR 1999, 1199; a.A. offensichtlich OLG Hamburg, IPrax 1986, 386; BayObLG, BayObLGZ 1976, 25; beide Gerichte gehen allerdings bereits von einer „perpetuatio fori“ aus).
19 
Nach alledem war der Beschluss des Familiengerichts Stuttgart aufzuheben, da eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte entfallen ist.
III.
20 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG, die Festsetzung des Verfahrenswertes auf §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 FamGKG. Die Rechtsbeschwerde wird zur Klärung der Frage zugelassen, ob und in wie weit deutsche Gerichte in der Rechtsmittelinstanz nach der (endgültigen) Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts noch zuständig sind (§ 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).

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Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 70 Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde


(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. (2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzlic

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 81 Grundsatz der Kostenpflicht


(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen - FamGKG | § 40 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Verfahrenswert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist,

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BESCHLUSS
XII ZB 68/09
vom
17. Februar 2010
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
GG Art. 6; BGB § 1666; FGG §§ 12, 33; FamFG §§ 26, 29, 33

a) In Verfahren nach § 1666 BGB kann ein Elternteil mangels einer gesetzlichen
Grundlage nicht gezwungen werden, sich körperlich oder psychiatrisch
/psychologisch untersuchen zu lassen und zu diesem Zweck bei einem
Sachverständigen zu erscheinen (im Anschluss an BVerfG FamRZ 2009,
944 f.; 2004, 523 f.).

b) Verweigert in Verfahren nach § 1666 BGB ein Elternteil die Mitwirkung an der
Begutachtung, kann dieses Verhalten nicht nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung
gewürdigt werden.

c) In Betracht kommt allerdings, den die Begutachtung verweigernden Elternteil
in Anwesenheit eines Sachverständigen gerichtlich anzuhören und zu diesem
Zweck das persönliche Erscheinen des Elternteils anzuordnen und gegebenenfalls
gemäß § 33 FGG durchzusetzen (vgl. auch § 33 FamFG).
BGH, Beschluss vom 17. Februar 2010 - XII ZB 68/09 - OLG München in Augsburg
AG Augsburg
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Februar 2010 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterin Dr. Vézina sowie die Richter
Dose, Dr. Klinkhammer und Schilling

beschlossen:
1. Der Antrag der Beteiligten zu 1 auf Entpflichtung ihres Verfahrensbevollmächtigten und Beiordnung eines neuen Verfahrensvollmächtigten im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen. 2. Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 wird der Beschluss des 4. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg, vom 26. März 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht gerichtsgebührenfrei. 3. Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe:

A.

1
Die Beteiligte zu 1 ist die Mutter des am 11. Dezember 2000 nichtehelich geborenen Kindes. Sie lebte zunächst mit dem Kind im Haus ihrer Eltern. Nachdem es innerhalb der Familie zu Auseinandersetzungen gekommen war, wandte sich die Mutter Anfang 2007 an das beteiligte Jugendamt (im Folgenden : Jugendamt) mit der Bitte um ein Beratungsgespräch. In der zweiten Jahreshälfte 2007 wurde für die Mutter eine Familienhilfe eingerichtet. Ab November 2007 wechselte die Mutter gemeinsam mit ihrem Kind mehrfach ihren Aufenthaltsort , wobei sie sich abwechselnd in A. und M. aufhielt. Das Kind besuchte in dieser Zeit die Grundschule am jeweiligen Aufenthaltsort. Ab dem 19. Dezember 2007 blieb das Kind dem Schulunterricht unentschuldigt fern. Jedenfalls in der Zeit vom 27. Dezember 2007 bis zum 3. Januar 2008 hielt sich die Mutter mit dem Kind in Österreich auf. In der Folgezeit reiste sie mit dem Kind nach Bolivien.
2
Auf eine Anregung des Jugendamts vom 20. Dezember 2007 hat das Familiengericht der Mutter mit Beschluss vom 21. Dezember 2007 das Aufenthaltsbestimmungsrecht , das Recht zur Heilfürsorge und das Recht zur Beantragung von Leistungen nach dem SGB VIII vorläufig entzogen. Zur Begründung hat es insbesondere auf Wahnvorstellungen verwiesen, unter denen die Mutter leide. Sie habe ihren Umzug gegenüber der Familienhelferin damit begründet, dass sie im Jahre 2008 einen atomaren Vernichtungsschlag befürchte und im Falle eines solchen Angriffs mit ihrem Kind in einem Salzbergwerk vor der Strahlung Zuflucht finden wolle. Diesen Beschluss hat das Familiengericht am 10. Januar 2008 um einen Herausgabebeschluss und am 11. Januar 2008 um einen Durchsuchungsbeschluss erweitert. Mit Beschluss vom 1. April 2008 hat das Familiengericht die einstweilige Anordnung "in der Hauptsache bestätigt“. Zur Begründung hat es auf die vorangegangenen Beschlüsse verwiesen und ergänzend ausgeführt, die Vorgehensweise der Mutter, das Kind von einem Tag auf den anderen aus der Schule zu nehmen und seinem bisherigen Umfeld zu entreißen, entspreche nicht dem Kindeswohl.
3
Aufgrund des Beschlusses vom 1. April 2008 hat das Jugendamt das Kind am 12. April 2008 nach der Rückkehr aus Bolivien in Obhut genommen. Nachdem es zunächst in einer Pflegefamilie gelebt hatte, befindet sich das Kind gegenwärtig in einer Kinder- und Wohngemeinschaft.
4
Im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens hat sich die Mutter geweigert, an einer sachverständigen Begutachtung mitzuwirken. Außerdem haben beide Großeltern des Kindes von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
5
Auf die Beschwerde der Mutter hat das Beschwerdegericht den Beschluss des Amtsgerichts vom 1. April 2008 aufgehoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten hat es nicht angeordnet. Mit der - vom Beschwerdegericht zugelassenen - Rechtsbeschwerde begehrt das Jugendamt die Aufhebung des Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht. Die Mutter wendet sich mit ihrer Anschlussrechtsbeschwerde gegen die Kostenentscheidung des Beschwerdegerichts.

B.

6
Die Rechtsbeschwerde des Jugendamts ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I.

7
Das Beschwerdegericht hat seine internationale Zuständigkeit bejaht. Dies begegnet im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken.
8
Die - in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende - internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-Verordnung = EuEheVO, vgl. EuGH FamRZ 2008, 125, 126). Nach Art. 8 EuEheVO sind - vorbehaltlich der Artikel 9, 10 und 12 EuEheVO - für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Kann der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nicht festgestellt werden, sind vorbehaltlich Art. 12 EuEheVO gemäß Art. 13 Abs. 1 EuEheVO die Gerichte des Mitgliedsstaats zuständig , in dem sich das Kind befindet. Danach war die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts gegeben.
9
Hierbei kann offen bleiben, ob, wie die Mutter geltend macht, am 20. Dezember 2007 noch vor Eingang der Anregung des Jugendamts ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes in Österreich begründet war oder sich das Kind zumindest - nach Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland - dort befand. Denn das Kind hält sich seit Mitte April 2008 wieder in Deutschland auf und ist dort familiär und sozial integriert (vgl. insoweit EuGH FamRZ 2009, 843, 845; Senatsbeschluss vom 18. Juni 1997 - XII ZB 156/95 - FamRZ 1997, 1070). Jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts war daher ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland gegeben. Auch ein erst während des Verfahrens begründeter gewöhnlicher Aufenthalt führt indes zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO, wenn nicht zuvor ein ausländisches Gericht in derselben Rechtssache angerufen wurde. Dass Art. 8 Abs. 1 EuEheVO auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstellt, hat lediglich die Bedeutung, dass ein einmal angerufenes Gericht international zuständig bleibt, auch wenn das Kind während des Verfahrens in einem anderen als dem angerufenen Staat einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erwirbt (sog. perpetuatio fori). Im umgekehrten Fall eines erst im Verlaufe des Verfahrens erworbenen gewöhnlichen Aufenthalts im Staat des angerufenen Gerichts verbleibt es hingegen bei dem allgemeinen Grundsatz, wonach die Zuständigkeitsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen müssen. Eine andere Sichtweise hätte die der Prozessökonomie widersprechende Folge, dass sich das Gericht zunächst gemäß Art. 17 EuEheVO für unzuständig erklären müsste , aber im Anschluss angesichts des nunmehr bestehenden inländischen Aufenthalts sogleich ein neues Verfahren einleiten könnte (Geimer/Schütze/Dilger Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Art. 8 EheVO Rdn. 7 und vor Art. 3 EheVO Rdn. 66; HK-ZPO/Dörner 3. Aufl. Art. 8 EheGVVO Rdn. 7; Rauscher Europäisches Zivilprozessrecht 2. Aufl. Bd. 1 Art. 8 Brüssel IIa-VO Rdn. 5; Solomon FamRZ 2004, 1409, 1411).

II.

10
In der Sache hat das Oberlandesgericht Maßnahmen nach § 1666 BGB abgelehnt. Dazu hat es im Wesentlichen ausgeführt, eine Gefährdung des Kindeswohls , die einen Eingriff in die elterliche Sorge der Mutter notwendig mache, sei derzeit nicht mit Sicherheit festzustellen, obwohl der Senat nachhaltig versucht habe, den zugrunde liegenden Lebenssachverhalt aufzuklären und die der Antragstellung des Jugendamtes und der Entscheidung des Amtsgerichts zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen zu verifizieren.
11
Zwar habe die Zeugin G. von einem Gespräch berichtet, in welchem die Mutter die Wirtschaftskrise in den USA angesprochen und diese als Indiz dafür gewertet habe, dass ein atomarer Vernichtungsschlag drohe. Laut der Zeugin sei die Mutter nach M. gereist, weil dort die Möglichkeit bestünde, sich in einen Salzstollen zu flüchten. Auch habe die Zeugin - ebenso wie die Vertreterin des Jugendamts, die Pflegerin und die Verfahrenspflegerin - Bedenken hinsichtlich der psychischen Verfassung der Mutter angemeldet.
12
Das daraufhin in Auftrag gegebene psychiatrische Gutachten habe indes keinen ausreichenden Aufschluss gegeben. Der Sachverständige sei zu dem Ergebnis gekommen, dass zwar Hinweise für eine psychopathologische Auffälligkeit bei der Mutter vorlägen, eine spezifische diagnostische Einordnung ohne persönliche Untersuchung der Mutter aber nicht möglich sei und eine Beurteilung der Erziehungsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht nicht erfolgen könne. Die Mutter habe jedoch eine persönliche Untersuchung durch den Sachverständigen verweigert, eine zwangsweise Durchsetzung von Terminen beim Sachverständigen komme nicht in Betracht.
13
Auch das gegenüber dem Amtsgericht erstattete psychologische Gutachten , das zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht worden sei, ermögliche keine ausreichenden Feststellungen. Dieses komme zwar zu dem Ergebnis, dass eine Bewertung der rudimentären Daten auf eine erhebliche Einschränkung der Erziehungsfähigkeit der Mutter hindeuteten. Der Sachverständige habe jedoch seiner Begutachtung teilweise unzutreffende Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt. Ob und inwieweit das Gutachten daher ergänzungsbedürftig bzw. verwertbar sei und ob und inwieweit die Begutachtung des Kindes ohne Einverständnis der Mutter zulässig gewesen sei, sei aber nicht verfahrensrelevant. Entscheidend sei, dass auch nach dem psychologischen Gutachten eine gesicherte Aussage nicht ohne Einholung eines psychiatrischen Gutachtens möglich sei. Letzteres sei jedoch nach Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen vorliegend ohne persönliche Untersuchung der Mutter nicht denkbar.
14
Weiter hätten die Großeltern des Kindes von ihrem Aussageverweigerungs - bzw. Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, so dass auch insoweit eine weitere Aufklärung des zugrunde liegenden Sachverhalts nicht möglich sei.
15
Im Ergebnis lägen zwar Hinweise für eine psychopathologische Auffälligkeit der Mutter vor. Art und Umfang der Auffälligkeiten und die Auswirkungen auf die Erziehungsfähigkeit könnten jedoch auch nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht weiter aufgeklärt werden. Nachdem im Rahmen des § 1666 BGB eine objektive Feststellungslast zu Ungunsten der Mutter nicht bestehe, müsse eine Maßnahme nach § 1666 BGB unterbleiben, wenn der gesetzliche Tatbestand dieser Norm nicht festgestellt werden könne.
16
Nachdem die Mutter durch ihren permanenten Ortswechsel unter ständiger Herausnahme des Kindes aus dem bisherigen Umfeld zum Verfahren Ver- anlassung gegeben habe, sei es billig, wenn sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trage.

III.

17
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.
18
1. Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2009 - XII ZR 50/08 - zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
19
2. Nach § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht, wenn das körperliche , geistige oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Als derartige Maßnahme kommt insbesondere auch die Entziehung des Rechts zur Aufenthaltsbestimmung als Teil des Personensorgerechts (§§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB) in Betracht. Voraussetzung für ein Eingreifen des Familiengerichts ist eine gegenwärtige , in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 - FamRZ 2005, 344, 345 m.w.N.).
20
Die Frage, ob im Falle der Rückkehr des Kindes zu seiner Mutter eine derartige Gefahr gegeben ist, hat das Beschwerdegericht zu Unrecht als nicht weiter aufklärbar angesehen. Ihm war es deswegen verwehrt, ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts die in Rede stehenden Maßnahmen nach § 1666 BGB zu unterlassen.
21
3. Nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das Oberlandesgericht davon abgesehen hat, eine Untersuchung der Mutter durch den psychiatrischen Gutachter zu erzwingen. Eine derartige sachverständige Exploration berührt den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG), welches grundsätzlich vor einer Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter schützt. Dieses Recht ist zwar nicht absolut geschützt, vielmehr sind Eingriffe grundsätzlich zulässig, sofern nur der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt wird. Allerdings erfordern Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine klare und unmissverständliche gesetzliche Grundlage. In Ermangelung einer derartigen Ermächtigungsgrundlage kann - von hier nicht einschlägigen Sonderbestimmungen abgesehen - niemand gezwungen werden, sich körperlich oder psychiatrisch/psychologisch untersuchen zu lassen und zu diesem Zweck bei einem Sachverständigen zu erscheinen.
22
Als gesetzliche Grundlage können weder § 1666 BGB noch die §§ 12, 15 Abs. 1 FGG oder § 33 FGG herangezogen werden. § 33 FGG setzt voraus, dass die durch eine gerichtliche Verfügung einem Verfahrensbeteiligten aufgegebene Handlung, Unterlassung bzw. Duldung ihrerseits eine gesetzliche Grundlage hat. Aus § 33 FGG selbst kann diese nicht hergeleitet werden (BVerfG FamRZ 2009, 944 f.; 2004, 523 f. m.w.N.; BGH Urteil vom 24. April 1952 - IV ZR 156/51 - LM § 32 EheG Nr. 3; OLG Stuttgart OLGZ 1975, 132 ff.; Jansen/Briesemeister FGG 3. Aufl. § 12 Rdn. 89).
23
4. Ebenso zutreffend ist der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, dass im vorliegenden Verfahren keine materielle Feststellungslast zu Lasten der Mutter besteht. Vielmehr müssen, wenn in einem Verfahren nach § 1666 BGB die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm nicht festgestellt wer- den können, entsprechende Maßnahmen unterbleiben (BVerfG FamRZ 2009, 944, 945; Keidel/Kuntze/Winkler/Schmidt FGG 15. Aufl. § 12 Rdn. 214).
24
An dieser Feststellungslast des Staates vermag der Umstand, dass die Mutter die Begutachtung verweigert hat, nichts zu ändern. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war dieser Umstand auch nicht nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG FamRZ 2009, 944, 945; a.A. OLG Naumburg FamRZ 2006, 282; OLG Koblenz FamRZ 2000, 1233; OLG Karlsruhe FamRZ 1993, 1479, 1480).
25
Die Grundsätze der Beweisvereitelung können zwar auch im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend anwendbar sein, ohne dass dem der Amtsermittlungsgrundsatz entgegenstünde (Senatsbeschluss vom 1. April 2009 - XII ZB 46/08 - FamRZ 2009, 1130, 1132 zum Versorgungsausgleich; OLG Hamm NJW-RR 1996, 1095, 1096; OLGZ 1967, 74, 79 jeweils zum Erbscheinverfahren ; Keidel/Kuntze/Winkler/Schmidt aaO § 12 Rdn. 216; zum neuen Prozessrecht vgl. Prütting/Helms/Prütting FamFG § 27 Rdn. 10). Danach kann es Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweis- bzw. Feststellungslast zur Folge haben, wenn jemand seinem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung schuldhaft erschwert oder unmöglich macht (BGH Urteil vom 23. Oktober 2008 - VII ZR 64/07 - NJW 2009, 360, 361 f. m.w.N.). Dabei vermag aber nur ein vorwerfbares, missbilligenswertes Verhalten den Vorwurf der Beweisvereitelung zu tragen, also ein Verhalten, das wider Treu und Glauben erfolgt und nach dem allgemeinen Rechtsempfinden als verwerflich erscheint (BGH Beschluss vom 26. September 1996 - III ZR 56/96 - NJW-RR 1996, 1534; Senatsurteil vom 27. Januar 1988 - IVb ZR 82/86 - FamRZ 1988, 482, 485).
26
Im vorliegenden Verfahren können diese Grundsätze indes nicht herangezogen werden. Darin, dass die Mutter die Mitwirkung an einer Begutachtung verweigert hat, kann kein missbilligenswertes Verhalten gesehen werden. Wie vorstehend ausgeführt wurde, berührt eine sachverständige Exploration das Allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen, weshalb sich die Weigerung der Mutter letztlich als Ausübung ihrer Grundrechte darstellt. Würde ihre Weigerung als missbilligenswertes Verhalten gewertet, welches beweisrechtliche Nachteile nach sich zöge, läge in dieser Würdigung zugleich ein ungerechtfertigter Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter (Sauer FamRZ 2005, 1143, 1144; vgl. auch BVerfGE 89, 69, 84).
27
5. Das Oberlandesgericht hat jedoch noch nicht alle gebotenen Ermittlungsansätze ausgeschöpft und damit seine Pflicht zur Amtsermittlung (§ 12 FGG; jetzt § 26 FamFG) verletzt.
28
Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet das Gericht, im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Ermittlungen anzustellen. Zwar braucht nicht jeder nur denkbaren Möglichkeit nachgegangen zu werden. Eine Aufklärungs- und Ermittlungspflicht besteht jedoch insoweit, als das Vorbringen der Beteiligten und der Sachverhalt als solcher bei sorgfältiger Prüfung hierzu Anlass geben. Die Ermittlungen sind erst dann abzuschließen, wenn von weiteren Ermittlungen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist (BGH Beschlüsse vom 24. November 1993 - BLw 53/92 - WM 1994, 265, 266 und BGHZ 40, 54, 57; Rahm/Künkel/Schneider Handbuch des Familiengerichtsverfahrens Rdn. III B 58; Keidel/Sternal FamFG 16. Aufl. § 26 Rdn. 16 f.).
29
Besondere Anforderungen an die tatrichterliche Sachaufklärung gelten in kindschaftsrechtlichen Familiensachen und insbesondere in Verfahren betref- fend die Entziehung der elterlichen Sorge gemäß § 1666 BGB. Denn die verfassungsrechtliche Dimension von Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG beeinflusst auch das Verfahrensrecht und seine Handhabung im Kindschaftsverfahren. Das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung dem Gebot effektiven Grundrechtsschutzes entsprechen, weshalb insbesondere die zur Verfügung stehenden Aufklärungs- und Prüfungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden müssen (BVerfG FamRZ 2009, 399, 400; FamRZ 2002, 1021, 1023). Das bedeutet nicht nur, dass die Verfahrensgestaltung den Elternrechten Rechnung tragen muss. Vielmehr steht das Verfahrensrecht auch unter dem Primat des Kindeswohls, zu dessen Schutz der Staat im Rahmen seines Wächteramtes gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG verpflichtet ist (Rahm/Künkel/Schneider aaO Rdn. III B 61; Leibholz/Rinck Grundgesetz Art. 6 Rdn. 637 ff.). Die Gerichte müssen ihr Verfahren so gestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können (BVerfG FamRZ 2009, 399, 400).
30
Sind demnach in Kindschaftsverfahren die Anforderungen an die tatrichterliche Sachverhaltsaufklärung gesteigert, so kann insbesondere die Weigerung eines Beteiligten, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, nicht ohne Konsequenzen für das Verfahren bleiben (vgl. BVerfG FamRZ 2004, 1166, 1168). Vielmehr ist das Tatgericht hier in besonderer Weise gehalten, die vorhandenen Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und auf diese Weise nach Möglichkeit zu vermeiden, dass sich die Grundsätze der Feststellungslast zu Lasten des Kindes auswirken (vgl. Rahm/Künkel/Schneider aaO Rdn. III B 61).
31
Diesen gesteigerten Anforderungen an die Amtsermittlung ist das Beschwerdegericht nicht gerecht geworden.
32
a) Das Beschwerdegericht hat es versäumt, die Mutter in Anwesenheit eines psychiatrischen - und auch eines psychologischen - Sachverständigen gerichtlich anzuhören und hierzu das persönliche Erscheinen der Mutter anzuordnen und gegebenenfalls gemäß § 33 FGG zu erzwingen. Ein derartiges Vorgehen wäre vorliegend im Rahmen der Amtsermittlung geboten gewesen. Insbesondere ist die beschriebene Vorgehensweise grundsätzlich zulässig. Der Senat schließt sich insofern der ganz herrschenden Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Lehre an (KG OLGZ 1988, 418, 421 ff.; BayObLG BayObLGZ 1972, 201, 204; 1970, 114, 116; OLG Hamm OLGZ 1968, 239, 242 f.; Bassenge/Roth FGG 11. Aufl. § 15 Rdn. 34; Böhm DAVorm 1985, 731, 733, 736; Bumiller/Winkler FGG 8. Aufl. § 33 Rdn. 7; Keidel/ Kuntze/Winkler/Schmidt FGG 15. Aufl. § 15 Rdn. 49; Säcker FamRZ 1971, 81, 83; Sauer FamRZ 2005, 1143, 1144; a.A. noch Jansen FGG 2. Aufl. § 12 Rdn. 68). Zwar ist auch mit einer Erzwingung des persönlichen Erscheinens vor Gericht zum Zwecke der Anhörung in Anwesenheit eines Sachverständigen ein Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen des Betroffenen - insbesondere in dessen Allgemeines Persönlichkeitsrecht - verbunden. Allerdings ist dieser Eingriff vorliegend gerechtfertigt, insbesondere ist hierfür eine gesetzliche Grundlage vorhanden.
33
aa) Während der Betroffene mangels gesetzlicher Grundlage nicht gezwungen werden kann, vor einem Sachverständigen zum Zwecke der Exploration zu erscheinen (vgl. die Ausführungen unter III 3), steht dem Gericht eine Ermächtigungsgrundlage zur Verfügung, wenn es das persönliche Erscheinen des Betroffenen zum Zwecke der gerichtlichen Anhörung erzwingen will (so die ganz herrschende Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Lehre, vgl. OLG Zweibrücken MDR 2008, 570; OLG Bremen FamRZ 1989, 306; KG OLGZ 1988, 418, 422; BayObLG BayObLGZ 1970, 114, 117 f.; OLG Hamm OLGZ 1968, 239, 242; Bumiller/Winkler aaO § 33 Rdn. 7; Keidel/Kuntze/ Winkler/Schmidt aaO § 12 Rdn. 191, Keidel/Kuntze/Winkler/Engelhardt aaO § 50a Rdn. 16; Rahm/Künkel/Schneider aaO Rdn. III B 71; a.A. Jansen/Briesemeister FGG 3. Aufl. § 12 Rdn. 95). Für seit dem 1. September 2009 eingeleitete Verfahren regelt § 33 FamFG ausdrücklich die Anordnung und Durchsetzung des persönlichen Erscheinens. Aber auch das bis zum 31. August 2009 gültige Verfahrensrecht enthält insoweit eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werdende Grundlage. Die zum 1. Juli 2008 in Kraft getretene Vorschrift des § 50e FGG sieht insbesondere in Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls eine Anordnung des persönlichen Erscheinens der Beteiligten vor. Wird einem Beteiligten durch gerichtliche Verfügung aufgegeben, persönlich zu erscheinen, kann sich diese gerichtliche Verfügung daher auf eine gesetzliche Grundlage stützen, weshalb sie ihrerseits mit den Mitteln des § 33 FGG zwangsweise durchgesetzt werden kann (vgl. zu dieser Voraussetzung des § 33 FGG BVerfG FamRZ 2004, 523).
34
bb) Darüber hinaus ist ebenfalls eine gesetzliche Grundlage für den Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gegeben, welcher darin liegt, dass das Gericht die Anhörung zwar in Anwesenheit eines Sachverständigen, allerdings ohne Befragung durch den Sachverständigen durchführt und dass es mit Hilfe des Sachverständigen aus den Äußerungen und dem Verhalten des Betroffenen Rückschlüsse auf dessen Erziehungseignung zieht. Eine derartige gesetzliche Grundlage ist in § 50e FGG i.V. mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu sehen (§ 286 ZPO), der über § 15 FGG auch im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Anwendung findet (Bumiller/Winkler FGG 8. Aufl. § 15 Rdn. 20; Keidel/Kuntze/Winkler/Schmidt FGG 15. Aufl. § 12 Rdn. 207 und § 15 Rdn. 63; vgl. jetzt § 37 FamFG). Danach gehört es im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit zu den Aufgaben des Tatrichters, den gesamten Verfahrensstoff zu würdigen, wozu nicht nur die Ergebnisse der Beweisaufnahme , sondern insbesondere auch die Erklärungen und Stellungnah- men der Verfahrensbeteiligten sowie der von ihnen hinterlassene persönliche Eindruck gehören (Keidel/Kuntze/Winkler/Schmidt FGG 15. Aufl. § 12 Rdn. 207 m.w.N.; vgl. auch Keidel/Meyer-Holz FamFG 16. Aufl. § 37 Rdn. 9). Der Richter ist folglich unter anderem befugt, aus den Äußerungen und dem Verhalten eines Beteiligten im Rahmen seiner gerichtlichen Anhörung - ebenso wie aus sonstigen unstreitigen oder festgestellten Umständen - Schlüsse zu ziehen, welche seine Erziehungseignung betreffen. Fehlt indes dem Richter die notwendige Sachkunde, um diese Schlüsse selbst zu ziehen, umfasst der Grundsatz der freien Würdigung auch die Befugnis, sich insoweit der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen. Dieser ist lediglich Gehilfe des Richters, der ihm die notwendige Sachkunde vermittelt. Der mit der Würdigung einhergehende Eingriff in die Rechte des Beteiligten wird durch die Hinzuziehung des Sachverständigen nicht intensiviert. Ein mit einer Exploration vergleichbarer Eingriff ist damit nicht verbunden.
35
cc) Schließlich verstößt der Eingriff in die Rechte der Mutter, welcher in der Anordnung und Erzwingung des persönlichen Erscheinens und in ihrer Anhörung in Anwesenheit eines Sachverständigen zu sehen ist, auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Hierbei ist zunächst zu beachten, dass ein Beteiligter im Rahmen der gerichtlichen Anhörung nicht zur Äußerung gezwungen werden kann (OLG Hamm OLGZ 1968, 239, 243; Bassenge/Roth FGG 11. Aufl. § 15 Rdn. 34; Säcker FamRZ 1971, 81, 83), weshalb der Eingriff in sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht weniger schwer wiegt. In diesem Umfang tritt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Elternteils jedenfalls dann hinter dem mit Verfassungsrang ausgestalteten staatlichen Wächteramt (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) zurück, wenn dieser in Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls die Mitwirkung an der Begutachtung verweigert, ohne Einbeziehung dieses Elternteils aber - wie das Oberlandesgericht meint - keine ausreichende Grundlage für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 1666 BGB gewonnen werden kann. Denn in solchen Fällen stellt die gerichtliche Anhörung des Elternteils in Anwesenheit des Sachverständigen eine wichtige Möglichkeit für das Gericht dar, der aus § 12 FGG folgenden Aufklärungspflicht nachzukommen und dem Wächteramt des Staates auch verfahrensrechtlich gerecht zu werden.
36
Der Eingriff ist auch nicht mangels Eignung unverhältnismäßig. Zwar hat der psychiatrische Sachverständige ausgeführt, eine diagnostische Einordnung etwaiger psychopathologischer Auffälligkeiten setze eine psychiatrische Untersuchung voraus, ohne eine solche könne die Erziehungsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht nicht beurteilt werden. Jedoch hat der Sachverständige sein Gutachten bislang nur auf der Grundlage von der Mutter verfasster Schriftstücke erstattet. Folglich kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Sachverständige nach einer gerichtlichen Anhörung der Mutter in seiner Anwesenheit und unter Würdigung des gesamten Verfahrensstoffes zu einer ausreichenden Grundlage für die Begutachtung gelangt oder zumindest dem Gericht die Sachkunde vermitteln kann, die es benötigt, um selbst unter Würdigung der gesamten unstreitigen und festgestellten Umstände und unter Einbeziehung auch eines familienpsychologischen Gutachtens (vgl. dazu unten c) zu einem ausreichenden Grad an Überzeugung zu gelangen. Gerade weil in Kindschaftsverfahren die Anforderungen an die tatrichterliche Sachverhaltsaufklärung gesteigert sind, ist es dem Tatgericht verwehrt, sich mit einer entsprechenden sachverständigen Äußerung zufrieden zu geben, ohne sie zu hinterfragen und ohne noch vorhandene Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen.
37
b) Ergänzend zur Anhörung der Mutter in Anwesenheit des Sachverständigen war das Beschwerdegericht aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht gehalten , den Sachverständigen zu einer Begutachtung auf der Grundlage des gesamten Verfahrensstoffes zu veranlassen. Hiervon konnte nicht deshalb abgesehen werden, weil insoweit sachdienliche Erkenntnisse nicht zu erwarten wa- ren (zu dieser Einschränkung der Amtsermittlung BGH Beschluss vom 24. November 1993 - BLw 53/92 - WM 1994, 265, 266). Vielmehr sind - neben den seitens des psychiatrischen Sachverständigen bislang berücksichtigten Umständen - noch weitere Anknüpfungstatsachen vorhanden, denen nicht von vornherein die Eignung abgesprochen werden kann, Rückschlüsse auf die Erziehungsfähigkeit der Mutter zuzulassen.
38
Zu nennen ist insoweit insbesondere das Verhalten der Mutter anlässlich der begleiteten Umgangstermine. Unter anderem hat die Mutter, wie sie selbst einräumt, ihrem damals 7-jährigen Kind aus Gesetzen und juristischen Kommentaren vorgelesen, um ihm aufzuzeigen, dass ihm Unrecht geschehe. Dieses Verhalten hätte Anlass geben müssen, mit sachverständiger Hilfe zu klären, ob die Mutter in der Lage ist, die altersgemäßen Bedürfnisse ihres Kindes einzuschätzen und danach zu handeln, wobei auf der anderen Seite auch zu problematisieren gewesen wäre, ob dieses in einer existenziellen Krisensituation zu beobachtende Verhalten auch Rückschlüsse auf die Erziehungseignung der Mutter unter "normalen" Verhältnissen - also insbesondere nach Rückführung ihrer Tochter - zulässt. Dasselbe gilt für die Verweigerung begleiteten Umgangs durch die Mutter mit der Folge, dass ein Kontakt zwischen Mutter und Kind über längere Zeit hinweg nicht zustande gekommen ist. Auch die Verweigerungshaltung , die die Mutter im Verfahren eingenommen hat, kann hier berücksichtigt werden. Insbesondere könnte diese Haltung die Schlussfolgerung nahe legen, dass die Mutter ihre eigenen Bedürfnisse über das Wohl des Kindes stellt.
39
Als weitere Anknüpfungstatsachen wären etwaige Wahnvorstellungen der Mutter in Betracht zu ziehen gewesen, die möglicherweise Beweggrund für die anfänglichen Aufenthaltswechsel waren. Zu Unrecht geht das Beschwerdegericht davon aus, dass insoweit eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist. Vielmehr ergeben sich nach Aktenlage insbesondere Anhaltspunkte dafür, dass der Wohnungsgeber in M. (Herr K.) Angaben werde machen können. Außerdem wäre noch zu klären gewesen, ob der Interneteintrag vom 8. März 2008 von der Mutter herrührt, in welchem die Einwohner Siebenbürgens vor einem möglichen Krieg in Deutschland gewarnt und aufgefordert werden , sich Dosen und Trinkwasser zu kaufen. Das Beschwerdegericht war hier gehalten, nach Vornahme ergänzender Ermittlungen dem Sachverständigen gemäß §§ 15 FGG, 404a Abs. 3 ZPO mitzuteilen, welche Anknüpfungstatsachen er der Begutachtung zugrunde legen solle.
40
Entsprechendes gilt für den Entwicklungsstand und die Verhaltensweisen des Kindes vor seiner Inobhutnahme, die beispielsweise - wie die Mutter angeregt hat - durch Vernehmung der ehemaligen Kindergarten-Erzieherinnen des Kindes in Anwesenheit der Sachverständigen ermittelt werden können. Auch Aussagen über den Entwicklungsstand und die Verhaltensweisen unmittelbar nach der Inobhutnahme hätten insoweit einbezogen werden müssen, wenn auch zusätzlich zu klären gewesen wäre, ob und inwieweit sich die Verhaltensweisen lediglich als Reaktion auf die Inobhutnahme darstellen.
41
c) Schließlich hat das Beschwerdegericht die im Rahmen der Amtsermittlung gebotene Maßnahme unterlassen, ein neues familienpsychologisches Gutachten einzuholen.
42
Im Ausgangspunkt zu Recht hat das Beschwerdegericht allerdings die seitens des Amtsgerichts veranlasste Stellungnahme des psychologischen Sachverständigen, wonach das Kind aus psychologischer Sicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zur Mutter zurückgeführt werden sollte, unberücksichtigt gelassen. Die Ergebnisse der Begutachtung konnten schon deshalb nicht ohne weiteres in die Würdigung einbezogen werden, weil der Sachverständige teilweise unzutreffende bzw. ungeklärte Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt hatte. Vor allem aber war das Gutachten deshalb nicht verwertbar, weil die psychologische Begutachtung des Kindes erfolgt war, ohne dass die erforderliche Zustimmung der Mutter vorgelegen hätte (vgl. OLG Frankfurt FF 2000, 176; Rahm/Künkel/Schneider aaO Rdn. III B 73; Vogel FPR 2008, 617) und ohne dass von Seiten des Gerichts Maßnahmen ergriffen worden wären, die eine Begutachtung gegen den Willen der Mutter ermöglicht hätten. Insbesondere war zum Zeitpunkt der psychologischen Begutachtung des Kindes am 18. November 2008 der Beschluss des Amtsgerichts vom 5. Juni 2008, mittels dem der Mutter vorläufig die gesamte elterliche Sorge entzogen worden war, bereits durch das Oberlandesgericht aufgehoben worden.
43
Dass das seitens des Amtsgerichts eingeholte psychologische Gutachten nicht verwertbar war, hatte indes nicht zur Folge, dass die Ermittlungsmöglichkeiten des Beschwerdegerichts insofern ausgeschöpft waren. Vielmehr hätte das Beschwerdegericht seinerseits ein neues psychologisches Gutachten in Auftrag geben müssen, nachdem es selbst nicht über die nötige Sachkunde verfügte, um die Frage nach der Gefährdung des Kindeswohls aus psychologischer Sicht beurteilen zu können. Als Anknüpfungstatsachen wären hierbei unter anderem die vorstehend dargelegten Umstände (vgl. 5b) einzubeziehen gewesen , wobei das Beschwerdegericht wiederum gehalten gewesen wäre, den Sachverständigen gemäß §§ 15 FGG, 404a Abs. 3 ZPO anzuleiten. Auf diese Weise hätte insbesondere vermieden werden können, dass die Begutachtung erneut auf der Grundlage unzutreffender Anknüpfungstatsachen erfolgt. Einer erneuten Begutachtung stand auch nicht entgegen, dass laut dem bisher vorliegenden psychologischen Gutachten eine gesicherte Aussage zur Erziehungsfähigkeit der Mutter ohne Einholung eines psychiatrischen Gutachtens nicht möglich war. Wie bereits dargelegt wurde (vgl. 5a cc), war nicht ausgeschlossen , dass eine ergänzende psychiatrische Begutachtung noch ausreichende Erkenntnisse erbringen würde.
44
Einer erneuten psychologischen Begutachtung hätte die fehlende Zustimmung der Mutter zur Exploration des Kindes nicht entgegengestanden. Zunächst war nicht ausgeschlossen, dass ein psychologischer Sachverständiger auch ohne Exploration des Kindes eine ausreichende Grundlage hätte gewinnen können, um zur Frage der Kindeswohlgefährdung aus psychologischer Sicht Stellung nehmen zu können. Dies lag insbesondere deshalb nahe, weil das Beschwerdegericht vorliegend auch gegen den Willen der sorgeberechtigten Mutter befugt gewesen wäre, das Kind in Anwesenheit und unter Mitwirkung des Sachverständigen gerichtlich anzuhören (OLG Frankfurt FF 2000, 176, 177; OLG München FamRZ 1997, 45). Hiermit verbundene Eingriffe in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes und in das Elternrecht der Mutter wären dabei auf der gesetzlichen Grundlage der §§ 15 FGG, 286 ZPO erfolgt. Insoweit können die zur Anhörung der Mutter in Anwesenheit des Sachverständigen angestellten Erwägungen entsprechend herangezogen werden (vgl. oben 5a bb). Zudem wäre auch im Ausgangspunkt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt gewesen.
45
Falls ohne psychologische Untersuchung des Kindes keine hinreichende Aufklärung des Sachverhalts möglich gewesen wäre, hätte darüber hinaus die Möglichkeit bestanden, die Zustimmung der Mutter gemäß § 1666 Abs. 3 BGB zu ersetzen (vgl. OLG Brandenburg OLGR 2008, 692, 693 = FamRZ 2008, 2147 (LS); OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1210, 1211; Rahm/Künkel/Schneider aaO Rdn. III B 73; Staudinger/Coester BGB [2009] § 1666 Rdn. 224; Vogel FPR 2008, 617). Müsste das Gericht ohne psychologische Begutachtung des Kindes von Maßnahmen nach § 1666 BGB absehen, obwohl es eine Kindeswohlgefährdung nicht ausschließen könnte, wird eine Begutachtung regelmäßig zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung erforderlich sein (zu dieser Voraussetzung des § 1666 Abs. 3 BGB vgl. OLG Brandenburg OLGR 2008, 692, 693; OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1210, 1211; OLG Frankfurt FF 2000, 176).

IV.

46
Der angefochtene Beschluss kann danach keinen Bestand haben. Der Senat ist nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu befinden, da sie nicht entscheidungsreif ist. Der Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit dieses noch weitere Feststellungen treffen und insbesondere die aufgezeigten Ermittlungsmöglichkeiten ausschöpfen kann. Nachdem die Aufhebung des Beschlusses auch die Kostenentscheidung des Beschwerdegerichts betrifft, ist die Anschlussbeschwerde gegenstandslos.
47
Für das weitere Vorgehen weist der Senat auf Folgendes hin:
48
1. Sollte die gerichtliche Anhörung der Mutter in Anwesenheit der Sachverständigen keine weiteren Erkenntnisse bringen, wird das Beschwerdegericht dennoch nicht davon entbunden sein, die sonstigen aufgezeigten Ermittlungsmöglichkeiten noch auszuschöpfen. Im Anschluss daran wird das Oberlandesgericht unter Würdigung aller Umstände zu prüfen haben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Entziehung insbesondere des Aufenthaltsbestimmungsrechts gegeben sind oder nicht. Lediglich wenn das Beschwerdegericht weiterhin keine hinreichende Überzeugung gewinnen kann, wird eine Entscheidung auf der Grundlage der Feststellungslast in Betracht kommen.
49
2. Sollte das Beschwerdegericht im weiteren Verlauf des Verfahrens zu dem Ergebnis kommen, dass die seitens des Amtsgerichts beschlossenen Maßnahmen gemäß § 1666 BGB im Ausgangspunkt nicht (mehr) gerechtfertigt sind bzw. dass insoweit keine hinreichenden Feststellungen getroffen werden können, wird außerdem - gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe - zu prüfen sein, ob anstelle der Trennung des Kindes von seiner Mutter Maßnahmen geringerer Eingriffsintensität gerechtfertigt sind (vgl. § 1666a BGB).
50
Vor allem aber wird zu erwägen sein, ob eine nahtlose Rückführung des Kindes zur Mutter dessen Wohl gefährdet. Dies dürfte - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht - insbesondere dann nahe liegen, wenn bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts weiterhin kein (regelmäßiger) Kontakt zwischen Mutter und Kind zustande gekommen sein sollte. Bejahendenfalls wird zu erwägen sein, auf welche Weise einer derartigen Gefährdung begegnet werden kann, ob etwa die Rückführung des Kindes zur Mutter durch zunehmende Umgangskontakte vorbereitet werden sollte.
51
3. Weiter wird im Falle eines Erfolgs der Beschwerde der Mutter von einer Kostenerstattung zugunsten der Mutter nicht mit einer Begründung abgesehen werden können, die - wie die Kostenentscheidung im angefochtenen Beschluss - auf ein vorwerfbares Verhalten der Mutter abstellt. Sollte das Verhalten der Mutter vor Einleitung des Verfahrens bei objektiver Betrachtung in Kenntnis aller Umstände nicht geeignet gewesen sein, eine Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu rechtfertigen, oder kann dies nicht festgestellt werden, so kann der Mutter dieses Verhalten nicht vorgeworfen werden, um auf diese Weise die Kostenentscheidung zu begründen.

V.

52
Der Antrag der Mutter, die Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten aufzuheben und einen neuen Verfahrensbevollmächtigten beizuordnen, war zurückzuweisen.
53
Dabei kann offen bleiben, ob der Mandant - ebenso wie der beigeordnete Rechtsanwalt gemäß § 48 Abs. 2 BRAO - das Recht hat, die Aufhebung der Beiordnung zu beantragen (zum Streitstand vgl. Musielak/Fischer ZPO 7. Aufl.
§ 121 Rdn. 24). Jedenfalls fehlt es hier an dem dafür erforderlichen wichtigen Grund.
54
Insbesondere vermag der Hinweis der Mutter, ihr Verfahrensbevollmächtigter habe nicht alle von ihr aufgezeigten Gesichtspunkte vorgebracht, ihrem Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn es entspricht der Aufgabe des beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts, den Streitstoff auf diejenigen Gesichtspunkte zu konzentrieren, die nach seiner besonderen Sachkunde für eine dem Mandanten günstige Entscheidung Bedeutung haben können (BGH Beschluss vom 23. September 2009 - IV ZR 259/08 - juris Tz. 5). Ebenso wenig kann ein wichtiger Grund in dem Umstand gesehen werden, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Mutter keine Sachstandsanfragen an den Bundesgerichtshof gerichtet hat.
Hahne Vézina Dose Klinkhammer Schilling
Vorinstanzen:
AG Augsburg, Entscheidung vom 01.04.2008 - 408 F 3674/07 -
OLG München in Augsburg, Entscheidung vom 26.03.2009 - 4 UF 161/08 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 182/08
vom
9. Februar 2011
in dem Verfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Brüssel IIa-VO (EuEheVO) Art. 8, 10, 20 Abs. 1, 21 ff., 24

a) Erlässt ein nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO in der Hauptsache zuständiges Gericht eine einstweilige
Maßnahme, welche den Bereich der elterlichen Sorge betrifft, richtet sich die Anerkennung
und Vollstreckung dieser Maßnahme in anderen Mitgliedstaaten nach Art. 21 ff. Brüssel
IIa-VO.

b) Erlässt demgegenüber ein nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO unzuständiges Gericht eine einstweilige
Maßnahme auf der Grundlage des Art. 20 Brüssel IIa-VO, sind die Art. 21 ff. Brüssel IIaVO
nicht anwendbar. In diesen Fällen kommt die Anerkennung und Vollstreckung der Maßnahme
in Anwendung gegenüber der Brüssel IIa-VO nachrangiger Übereinkommen bzw. des
nationalen Rechts in Betracht. Sind allerdings die Voraussetzungen des Art. 20 Brüssel IIa-VO
nicht gegeben, bleibt es bei dem insoweit abschließenden Charakter der Brüssel IIa-VO.

c) Für die Abgrenzung einstweiliger Maßnahmen des in der Hauptsache zuständigen Gerichts
von solchen Maßnahmen, die gegebenenfalls auf Art. 20 Brüssel IIa-VO beruhen, ist nicht
entscheidend, ob das die einstweilige Maßnahme erlassende Gericht tatsächlich in der Hauptsache
zuständig war. Vielmehr ist danach abzugrenzen, ob das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit
auf Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO gestützt hat.

d) Enthält die eine einstweilige Maßnahme anordnende Entscheidung keine eindeutige Begründung
für die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts in der Hauptsache unter Bezugnahme auf
eine der in den Art. 8 bis 14 Brüssel IIa-VO genannten Zuständigkeiten, und ergibt sich die
Hauptsachezuständigkeit auch nicht offensichtlich aus der erlassenen Entscheidung, ist davon
auszugehen, dass die Entscheidung nicht nach den Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel IIaVO
ergangen ist. In diesem Fall ist zu prüfen, ob die Entscheidung unter die Öffnungsklausel
des Art. 20 Brüssel IIa-VO fällt.
BGH, Beschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 182/08 - OLG Stuttgart
AG Stuttgart
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2011 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke, Dose,
Schilling und Dr. Günter

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 17. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 22. September 2008 aufgehoben. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 3. Juli 2008 abgeändert. Der Antrag des Antragstellers, die einstweilige Anordnung des juzgado de primera instancia Nr. 4 San Lorenzo de El Escorial/ Spanien vom 8. November 2007 (Az.: 467/07) für in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckbar zu erklären, wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Gerichtskosten erster Instanz. Die Verfahren der Beschwerde und der Rechtsbeschwerde sind gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe:

I.

1
Die Parteien streiten um die Vollstreckbarkeit der einstweiligen Maßnahme eines spanischen Gerichts zum Aufenthaltsbestimmungsrecht und zur Herausgabe des in Deutschland lebenden Kindes.
2
Mitte 2005 zog die Antragsgegnerin zu dem Antragsteller nach Spanien, wo beide dann in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebten. Am 31. Mai 2006 wurden die gemeinsamen Zwillingskinder der Parteien als Frühgeburten geboren. Der Sohn Merlin konnte das Krankenhaus im September 2006 verlassen. Die Tochter Samira konnte nach zwischenzeitlich eingetretenen Komplikationen erst im März 2007 entlassen werden.
3
Zuvor hatte sich das Verhältnis der Parteien deutlich verschlechtert. Die Antragsgegnerin wollte mit ihren Kindern nach Deutschland zurückkehren, während der Antragsteller damit zunächst nicht einverstanden war. Am 30. Januar 2007 schlossen die Parteien eine notarielle Vereinbarung, wonach die Antragsgegnerin mit den Kindern nach Deutschland zurückkehren durfte und dem Antragsteller ein Umgangsrecht mit den Kindern zustehen sollte. Die Antragsgegnerin beabsichtigte sodann, mit ihrem (aus einer früheren Beziehung hervorgegangen ) Sohn D. und den beiden gemeinsamen Kindern nach Deutschland zurückzukehren. Als Samira wegen eingetretener Komplikationen und eines notwendigen chirurgischen Eingriffs nicht aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte, reiste die Antragsgegnerin am 2. Februar 2007 mit Merlin nach Deutschland. Nach ihrem Vortrag sollte Samira nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ebenfalls nach Deutschland gebracht werden.
4
Der Antragsteller, der sich nicht mehr an die notarielle Vereinbarung gebunden fühlte, leitete im Juni 2007 in Spanien ein einstweiliges Sorgerechtsverfahren ein. In diesem Verfahren erließ das spanische Gericht erster Instanz am 8. November 2007 die hier relevante einstweilige Maßnahme mit folgendem Inhalt:
5
"Als dringende und sofortige einstweilige Maßnahme wird … vorsorglich beschlossen:
6
Die Übertragung des Sorgerechts für die beiden Kinder Samira und Merlin … an den Vater …; die elterliche Gewalt verbleibt bei beiden Elternteilen.
7
Zur Ausführung dieser Verfügung muss die Mutter den minderjährigen Sohn Merlin seinem in Spanien ansässigen Vater zurückgeben. …"
8
In den Gründen der Entscheidung stellte das spanische Gericht unter anderem fest, dass sich der Antragsteller auf das Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (Art. 1 und 2), auf die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 und auf Art. 8 des Deutsch-Spanischen Abkommens vom 14. November 1983 über die Zuständigkeit der spanischen Gerichte berufe. Weiter führte es aus, dass sich das spanische Gericht angesichts der angeführten europäischen Gesetzgebung und der zwischen Spanien und Deutschland geschlossenen Abkommen eindeutig als zuständig erweise. Sodann begründete das spanische Gericht seine Zuständigkeit insbesondere mit Art. 769.3 der spanischen Zivilprozessordnung und Art. 1 des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980. Im Einzelnen verwies es insbesondere auf den letzten Wohnsitz der Familie, den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes bis zur Ausreise nach Deutschland, die Staatsangehörigkeit des Antragstellers, seinen ständigen Wohnsitz in Spanien und den Umstand, dass das vorliegende Verfahren das erste in der Sache eingeleitete Verfahren sei.
Außerdem erwähnte es die Auffassung der spanischen Staatsanwaltschaft, die zusätzlich zu den bereits genannten Gesichtspunkten berücksichtige, dass die notariell beglaubigte Urkunde in Spanien ausgefertigt und das Kind Merlin in Spanien geboren worden sei, und die außerdem bezweifle, dass die Ausreise Merlins aus Spanien ordnungsgemäß erfolgt sei.
9
Der Antragsteller hat beantragt, die spanische Entscheidung für in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckbar zu erklären. Entsprechend hat das Amtsgericht beschlossen, dass die Entscheidung des spanischen Gerichts mit der Vollstreckungsklausel zu versehen sei. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin hatte keinen Erfolg. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Antragsgegnerin nach wie vor die Ablehnung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung.
10
Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 10. Juni 2009 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Vorschriften der Art. 21 ff. der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und im Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-VO = EuEheVO) über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten auch auf vollstreckbare einstweilige Maßnahmen hinsichtlich des Sorgerechts im Sinne von Art. 20 Brüssel IIa-VO anwendbar sind. Der Gerichtshof hat diese Frage mit Urteil vom 15. Juli 2010 (Rs. C-256/09, FamRZ 2010, 1521) grundsätzlich verneint.

II.

11
Die zulässige Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und zur Ablehnung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung.
12
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, Gründe, die einer Vollstreckbarkeit der Entscheidung des spanischen Gerichts entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Zwar handle es sich um eine einstweilige Maßnahme. Die Brüssel IIa-VO unterscheide im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten aber nicht nach der Entscheidungsform, sondern fordere lediglich eine "gerichtliche Entscheidung".
13
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
14
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 15. Juli 2010 (Rs. C-256/09, FamRZ 2010, 1521) die Vorlagefrage dahingehend beantwortet, dass die Vorschriften der Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO nicht auf einstweilige Maßnahmen hinsichtlich des Sorgerechts nach Art. 20 dieser Verordnung anwendbar sind. An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte gebunden.
15
Hieraus ergibt sich allerdings nicht, dass von dem Gericht eines Mitgliedstaates erlassene einstweilige Maßnahmen in einem anderen Mitgliedstaat generell nicht anerkannt und vollstreckt werden können. Diese Schlussfolgerung ist bereits deshalb unzutreffend, weil nicht jede von einem Mitgliedstaat erlassene einstweilige Maßnahme auf Art. 20 Brüssel IIa-VO beruht. Vielmehr ist ein nach Art. 3 ff. Brüssel IIa-VO zuständiges Gericht nicht nur für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig, sondern auch für den Erlass einstweiliger Maß- nahmen. Demgegenüber erfasst Art. 20 Brüssel IIa-VO nur Maßnahmen von nach der Brüssel IIa-VO unzuständigen Gerichten (EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 62 ff. - im Vorlageverfahren; Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im Vorlageverfahren - juris Rn. 106, 132, 155; Helms FamRZ 2009, 1400, 1401 mwN; AnwK-BGB/Gruber Art. 20 EheVO 2003 Rn. 6 f.). Die Frage nach der Anerkennungsfähigkeit und Vollstreckbarkeit lässt sich daher nicht einheitlich beantworten. Vielmehr ist - jedenfalls für den Bereich des Sorgerechts - folgende Differenzierung angezeigt:
16
a) Erlässt ein nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO in der Hauptsache zuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung dieser Maßnahme in anderen Mitgliedstaaten nach Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - C-296/10 - NJW 2011, 363 Rn. 73; Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im Vorlageverfahren - juris Rn. 132, 155).
17
b) Erlässt demgegenüber ein nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO unzuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme, kann diese Maßnahme Art. 20 Brüssel IIa-VO zur Grundlage haben. Art. 20 Brüssel IIa-VO begründet dabei allerdings keine Zuständigkeit im Sinne der Verordnung (EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 61, 87 - im Vorlageverfahren; Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im Vorlageverfahren - juris Rn. 106, 169; Rauscher/Rauscher EuZPR/EuIPR [2010] Art. 20 Brüssel IIa-VO Rn. 17; AnwK-BGB/Gruber Art. 20 EheVO 2003 Rn. 10). Entsprechend sind auf eine derartige Maßnahme - wie der Gerichtshof der europäischen Union im Vorlageverfahren entschieden hat - die Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO nicht anwendbar.
18
Dies steht indes der Anerkennung und Vollstreckung einer auf der Grundlage des Art. 20 Brüssel IIa-VO ergangenen Maßnahme in anderen Mit- gliedstaaten nicht von vornherein entgegen. Vielmehr handelt es sich bei Art. 20 Brüssel IIa-VO um eine Öffnungsklausel. Während die Brüssel IIa-VO grundsätzlich unter den in Art. 59 bis 63 der Verordnung genannten Voraussetzungen Vorrang vor den meisten einschlägigen internationalen Übereinkommen hat (EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 69 - im Vorlageverfahren), lässt Art. 20 Brüssel IIa-VO unter den dort genannten Voraussetzungen den Rückgriff auch auf an sich nachrangige Übereinkommen und gegebenenfalls auf das nationale Recht zu. Dies bedeutet nicht nur, dass sich die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen unter den Voraussetzungen des Art. 20 Brüssel IIa-VO aus nachrangigen Übereinkommen und dem nationalen Recht ergeben kann (Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im Vorlageverfahren - juris Rn. 177; AnwK-BGB/Gruber Art. 20 EheVO 2003 Rn. 7, 10; Rauscher/ Rauscher aaO Art. 20 Brüssel IIa-VO Rn. 17), sondern auch, dass die Anerkennung und Vollstreckung solcher Maßnahmen auf der Grundlage der dort enthaltenen Rechtsinstrumente in Betracht kommt (EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 92 - im Vorlageverfahren; Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im Vorlageverfahren - juris Rn. 176 f.; Helms FamRZ 2009, 1400, 1401).
19
c) Sind schließlich auch die Voraussetzungen des Art. 20 Brüssel IIa-VO nicht gegeben, kommt eine Anerkennung und Vollstreckung der von einem nach der Brüssel IIa-VO unzuständigen Gericht erlassenen einstweiligen Maßnahme grundsätzlich nicht in Betracht. Art. 20 Brüssel IIa-VO erlaubt den Rückgriff auf die genannten anderen Rechtsinstrumente nur, wenn die zu treffende Maßnahme dringlich ist, einstweiligen Charakter hat und sich auf Personen oder Vermögensgegenstände bezieht, die sich in dem Mitgliedstaat befinden, in dem das mit der Sache befasste Gericht seinen Sitz hat (EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 77 - im Vorlageverfahren; EuGH FamRZ 2010, 525 Rn. 39 f.; 2009, 843 Rn. 47). Ist dies nicht der Fall, bleibt es bei dem abschließenden Charakter der Brüssel IIa-VO.
20
Dabei ist das Gericht, das über die Anerkennung und Vollstreckung einer von einem nach der Brüssel IIa-VO unzuständigen Gericht erlassenen Maßnahme zu befinden hat, nicht daran gehindert zu überprüfen, ob bei Erlass der Maßnahme die Voraussetzungen des Art. 20 Brüssel IIa-VO gegeben waren (vgl. EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 78 - im Vorlageverfahren). Denn da die Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO auf derartige Maßnahmen nicht anwendbar sind, greift auch Art. 24 Brüssel IIa-VO nicht, der ansonsten eine Überprüfung der Zuständigkeit verbieten würde (Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im Vorlageverfahren - juris Rn. 179).
21
d) Aus den vorstehend erläuterten Grundsätzen folgt, dass für die Anerkennung und Vollstreckung einer einstweiligen Maßnahme von entscheidender Bedeutung ist, auf welcher Grundlage sie beruht.
22
aa) Maßgebend für die Abgrenzung kann insofern nicht sein, ob das die einstweilige Maßnahme erlassende Gericht tatsächlich in der Hauptsache zuständig war. Vielmehr ist der Anwendungsbereich der Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO danach abzugrenzen, ob das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit auf Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO gestützt hat. Denn Art. 24 Brüssel IIa-VO untersagt es dem Vollstreckungsgericht , die Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats zu überprüfen. Hat das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO bejaht, ist das Vollstreckungsgericht an diese Beurteilung der Zuständigkeit gebunden. Dies ist Ausfluss des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens, auf dem die vereinfachte Anerkennung und Vollstreckung gemäß Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO beruhen (21. Erwägungsgrund der Brüssel IIa-VO; EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 71 f., 74 - im Vorlageverfahren und FamRZ 2010, 525 Rn. 45; Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im Vorlageverfahren - juris Rn. 92, 112, 125).
23
bb) Indes kann zweifelhaft sein, worauf das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit gestützt hat. In derartigen Fällen verbietet es Art. 24 Brüssel IIa-VO nicht, anhand der in der Entscheidung des Ursprungsgerichts enthaltenen Ausführungen zu prüfen, ob dieses seine Zuständigkeit auf eine Vorschrift der Brüssel IIa-VO stützen wollte. Denn eine derartige Prüfung beinhaltet keine Nachprüfung der Zuständigkeit des Ursprungsgerichts, sondern dient nur der Ermittlung der Grundlage, auf der das Gericht seine Zuständigkeit bejaht hat (EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 75 - im Vorlageverfahren; Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im Vorlageverfahren - juris Rn. 139).
24
cc) Ergibt diese Prüfung, dass die zu vollstreckende Entscheidung keine eindeutige Begründung für die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts in der Hauptsache unter Bezugnahme auf eine der in den Art. 8 bis 14 Brüssel IIa-VO genannten Zuständigkeiten enthält, und ergibt sich die Hauptsachezuständigkeit auch nicht offensichtlich aus der erlassenen Entscheidung, so ist davon auszugehen, dass die zu vollstreckende Entscheidung nicht nach den Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel IIa-VO ergangen ist. In diesem Fall ist anhand von Art. 20 der Verordnung zu prüfen, ob die einstweilige Maßnahme unter diese Öffnungsklausel fällt (EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 76 - im Vorlageverfahren ; vgl. außerdem EuGH Slg. 1999, I-2277 Rn. 50, 53 ff. zum Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen).
25
(1) Nur eine derartige Sichtweise entspricht den Zielen der Brüssel IIa-VO. Denn wäre in den vorgenannten Zweifelsfällen zu vermuten, dass sich das Gericht des Ursprungsmitgliedstaates auf seine Zuständigkeit in der Hauptsache gestützt hat, bestünde die Gefahr einer Umgehung der Brüssel IIa-VO (vgl. EuGH Slg. 1999, I-2277 Rn. 47, 55 zum Übereinkommen vom 27. September 1968 aaO).
26
(2) Auch der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens erfordert keine Vermutung zugunsten der Inanspruchnahme einer Hauptsachezuständigkeit. Denn dieser Grundsatz ist mit der Erwartung verknüpft, dass das Gericht, welches über die Anordnung einer einstweiligen Maßnahme zu befinden hat, seine Zuständigkeit anhand der Art. 8 bis 14 Brüssel IIa-VO überprüft und dass aus der von ihm erlassenen Entscheidung klar hervorgeht, dass es sich den in dieser Verordnung vorgesehenen unmittelbar anwendbaren Zuständigkeitsvorschriften hat unterwerfen wollen oder nach diesen entschieden hat (EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 68, 73 mwN - im Vorlageverfahren).
27
(3) Das Vollstreckungsgericht ist in Zweifelsfällen auch nicht verpflichtet, sich zunächst bei dem Gericht des Ursprungsmitgliedstaates zu erkundigen, auf welcher Grundlage dieses sich für zuständig erachtet habe (so aber die Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im Vorlageverfahren - juris Rn. 144 f., 155). Zwar hat der EuGH in einem zwischen den Parteien dieses Verfahrens geführten Parallelverfahren entschieden, dass das später angerufene Gericht zu Erkundigungen beim Ursprungsgericht verpflichtet sein kann, wenn es die Frage nach einer etwa entgegenstehenden Rechtshängigkeit gemäß Art. 19 Abs. 2 Brüssel IIa-VO zu klären hat (EuGH Urteil vom 9. November 2010 - C-296/10 - Purrucker - NJW 2011, 363 Rn. 81 f.). Diese Entscheidung lässt sich indes nicht auf die hier zu entscheidende Frage der Vollstreckbarkeit einer ausländischen Entscheidung übertragen. Ob das später angerufene Gericht das Verfahren gemäß Art. 19 Abs. 2 Brüssel IIa-VO auszusetzen hat, hängt unter anderem davon ab, welches der Gegenstand des vor dem zuerst angerufenen Gericht anhängigen Verfahrens ist, also von Umständen, die außerhalb des Verfahrens des später angerufenen Gerichts liegen. Insoweit liegt es nahe, in Zweifelsfällen weitere Ermittlungen und gegebenenfalls Erkundigungen zu fordern. Demgegenüber betrifft die Frage nach der Grundlage einer zu vollstreckenden Entscheidung allein deren Auslegung, also eine ureigene Aufgabe des Vollstreckungsgerichts. Eine Verpflichtung zur Rückfrage wäre insoweit systemfremd und wurde dementsprechend vom Gerichtshof der Europäischen Union im Vorlageverfahren auch nicht thematisiert.
28
3. Nach diesen Grundsätzen kann die einstweilige Anordnung des spanischen Gerichts vom 8. November 2007 nicht für in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckbar erklärt werden.
29
a) Eine Hauptsachezuständigkeit ergibt sich nicht offensichtlich aus der Entscheidung des spanischen Gerichts.
30
aa) Die Voraussetzungen des Art. 10 Brüssel IIa-VO sind nicht offensichtlich erfüllt. Vielmehr ist in Anbetracht der in der Entscheidung vom 8. November 2007 mitgeteilten Umstände zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin das Kind Merlin widerrechtlich nach Deutschland verbracht oder dort widerrechtlich zurückgehalten hat.
31
Erfolgt eine auf Dauer angelegte Ausreise eines Kindes mit Zustimmung aller Sorgeberechtigter, ist das Verbringen des Kindes ebenso wenig widerrechtlich wie dessen dauerhafter Aufenthalt im Zielstaat. Der Aufenthalt wird auch nicht dadurch nachträglich widerrechtlich - mit der Folge, dass nunmehr ein widerrechtliches Zurückbehalten zu bejahen wäre -, dass ein Sorgeberechtigter nach der Ausreise nicht mehr mit dem weiteren Aufenthalt des Kindes im Zielstaat einverstanden ist und dessen Rückkehr fordert (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 239; Geimer/Schütze/Dilger Internationaler Rechtsverkehr in Zivil - und Handelssachen Art. 10 Brüssel IIa-VO Rn. 11; Rauscher/Rauscher aaO Art. 2 Brüssel IIa-VO Rn. 26).
32
Wie sich aus der zu vollstreckenden Entscheidung vom 8. November 2007 ergibt, haben die Parteien am 30. Januar 2007 eine notarielle Vereinba- rung geschlossen, wonach die Antragsgegnerin mit den Kindern nach Deutschland zurückkehren durfte. Mag diese Vereinbarung mangels gerichtlicher Genehmigung auch nicht vollstreckbar sein (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im Vorlageverfahren - juris Rn. 51), so kommt in ihr doch zum Ausdruck, dass der Antragsteller zunächst mit der auf Dauer angelegten Ausreise der Kinder nach Deutschland einverstanden war.
33
Weiter folgt aus der zu vollstreckenden Entscheidung nicht ohne weiteres , dass der Antragsteller bereits vor der Ausreise Merlins nicht mehr mit dieser einverstanden war. Zwar wird einerseits in der Entscheidung mitgeteilt, dass der Antragsteller noch vor der Ausreise die Polizei aufgesucht habe, weil er eine Ausreise der Antragsgegnerin mit beiden Kindern befürchtet habe, und dass er bei der Gemeindeverwaltung um Auskunft und Hilfe gebeten habe. Andererseits wird aber von erst nach der Ausreise eingetretenen Umständen berichtet, die der Antragsteller zum Anlass genommen habe, sein vor dem Notar erklärtes Einverständnis zurückzuziehen, was für einen erst nach der Ausreise erfolgten Sinneswandel des Antragstellers sprechen könnte.
34
Weil somit nicht unzweifelhaft davon ausgegangen werden kann, dass die auf Dauer angelegte Ausreise Merlins ohne Zustimmung des Antragstellers erfolgte, ist ein widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten nicht offensichtlich zu bejahen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Antragsteller ausweislich des zu vollstreckenden Beschlusses angedeutet hat, die notarielle Vereinbarung könnte unter betrügerischem Einfluss und unter Druck unterzeichnet worden sein. Dies gilt schon deshalb, weil der Antragsteller solches nicht einmal konkret behauptet hat.
35
bb) Ebenso wenig hatte Merlin im Zeitpunkt der Einleitung des Eilverfahrens vor dem spanischen Gericht seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 8 Brüssel IIa-VO offensichtlich noch in Spanien. Zwar waren bei Einleitung des Eilverfahrens seit der Ausreise weniger als vier Monate vergangen. Jedoch kommt der Erwerb eines gewöhnlichen Aufenthalts im Zielstaat auch nach derart kurzer Zeit dann in Betracht, wenn der Aufenthalt von vornherein auf Dauer angelegt ist und die auf Dauer angelegte Ausreise rechtmäßig erfolgt ist (OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 239 mwN; vgl. auch Senatsbeschluss BGHZ 163, 248, 257 = FamRZ 2005, 1540, 1543) - was aus den vorstehenden Gründen nicht ausgeschlossen werden kann. Die für die Frage nach dem gewöhnlichen Aufenthalt maßgebenden Umstände des Einzelfalls begründen vor diesem Hintergrund nicht offensichtlich einen fortbestehenden gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien.
36
cc) Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte mitgeteilt, die eine Zuständigkeit nach Art. 9 oder Art. 12 ff. Brüssel IIa-VO rechtfertigen könnten. Insbesondere fehlt es an einer Anerkennung der Zuständigkeit der spanischen Gerichte durch die Antragsgegnerin im Sinne des Art. 12 Abs. 3 Brüssel IIa-VO. Sie hat der Zuständigkeit der spanischen Gerichte vielmehr ausdrücklich widersprochen.
37
b) Weiter findet sich in der Entscheidung des spanischen Gerichts keine eindeutige Begründung für dessen Hauptsachezuständigkeit unter Bezugnahme auf eine der in den Art. 8 bis 14 Brüssel IIa-VO genannten Zuständigkeiten.
38
Zwar mag die zu vollstreckende Entscheidung einige Anhaltspunkte dafür aufweisen, dass sich das Gericht nach der Brüssel IIa-VO in der Hauptsache für zuständig gehalten hat (vgl. im Einzelnen Schlussanträge der Generalanwältin vom 20. Mai 2010 im Vorlageverfahren - juris Rn. 61, 104, 146). Unzweifelhaft ist dies indes nicht. Vielmehr entsprechen mehrere Umstände, auf die sich das Gericht zur Begründung seiner Zuständigkeit bezogen hat, nicht solchen Kriterien, die eine Zuständigkeit der spanischen Gerichte nach der Brüssel IIa-VO begründen könnten. Die Erwähnung dieser Umstände - etwa die Staatsangehörigkeit des Antragstellers und die Ausfertigung der notariellen Urkunde in Spanien - ergibt nur dann einen Sinn, wenn man unterstellt, dass das spanische Gericht über die Öffnungsklausel des Art. 20 Brüssel IIa-VO Zuständigkeiten in Anspruch genommen hat, die aus gegenüber der Brüssel IIa-VO nachrangigen Übereinkommen bzw. aus nationalem Recht folgen. Erst recht lassen die Ausführungen des spanischen Gerichts nicht erkennen, nach welcher Vorschrift der Brüssel IIa-VO das Gericht gegebenenfalls seine Zuständigkeit bejaht haben könnte (vgl. EuGH FamRZ 2010, 1521 Rn. 65 f. - im Vorlageverfahren

).

39
c) Ist somit davon auszugehen, dass die Entscheidung des spanischen Gerichts nicht nach den Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel IIa-VO ergangen ist, kommt eine Vollstreckbarerklärung der Entscheidung nicht in Betracht. Denn auch die Voraussetzungen der Öffnungsklausel des Art. 20 Brüssel IIa-VO, die eine Vollstreckbarerklärung in Anwendung anderer internationaler oder nationaler Rechtsvorschriften ermöglichen könnte, sind nicht erfüllt. Es fehlt bereits am erforderlichen Inlandsbezug, da sich Merlin im Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Maßnahme nicht in Spanien, sondern in Deutschland befunden hat.

III.

40
Nach alledem ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst abschließend entscheiden, da weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind. Da eine Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des spanischen Gerichts nicht in Betracht kommt, war der entsprechende Antrag des Antragstellers abzulehnen. Hahne Weber-Monecke Dose Schilling Günter
Vorinstanzen:
AG Stuttgart, Entscheidung vom 03.07.2008 - 20 F 835/08 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 22.09.2008 - 17 WF 211/08 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 186/03
vom
22. Juni 2005
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Brüssel II-VO Artt. 3 Abs. 1 und Abs. 2, 4, 13 Abs. 2, 14 Abs. 3, 21 Abs. 1, 42; KiEntFÜbk
Haag Artt. 12 Abs. 1, 16

a) Die nach Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO begründete Annexzuständigkeit der Ehegerichte
für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung endet im Falle der Entführung
der gemeinsamen Kinder in das Ausland, wenn innerhalb der Jahresfrist kein
Rückführungsantrag nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen gestellt
worden ist und die Kinder sich in ihrem neuen Umfeld sozial integriert haben.

b) Zur Vollstreckbarerklärung der Kostenentscheidung eines ausländischen Verbundurteils
(hier: Italien), wenn einheitlich über die Kosten des Ehestatusverfahrens
und des als Folgesache geführten Sorgerechtsstreits entschieden worden ist
und das ausländische Gericht für die erlassene Sorgerechtsentscheidung international
unzuständig war.
BGH, Beschluß vom 22. Juni 2005 - XII ZB 186/03 - OLG Nürnberg
AG Nürnberg
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2005 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagenitz und Dose

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des Oberlandesgerichts Nürnberg - 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen - vom 23. Juli 2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Antrag des Antragstellers auf Vollstreckbarerklärung der Kostenentscheidung aus dem Urteil Nr. 627/02 des Tribunale di Novara vom 22. Juli 2002 (Verfahren Nr. 648/99) unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Nürnberg vom 4. März 2003 zurückgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen. Wert: 12.399 €.

Gründe:


I.

1. Die Parteien streiten um die Vollstreckbarerklärung der Sorgerechtsund Kostenentscheidung aus einem italienischen Verbundurteil im Verfahren über die Trennung der Ehegatten von Tisch und Bett (separazione personale dei coniugi). Der Antragsteller ist Italiener; die Antragsgegnerin ist Deutsche. Aus der Ehe der Parteien sind zwei - 1995 und 1997 geborene - Kinder hervorgegangen , die beide Staatsangehörigkeiten besitzen und mit denen sie bis zum Scheitern der Ehe gemeinsam in Oleggio (Italien) lebten. Am 10. Mai 1999 zog die Antragsgegnerin mit den beiden Kindern nach Deutschland, wo diese sich seitdem mit ihr aufhalten. Mit einem am 9. Juni 1999 bei dem Tribunale (Landgericht) di Novara eingegangenen Schriftsatz leitete der Antragsteller das Trennungsverfahren ein. Im Anschluß an einen am 14. Dezember 1999 durchgeführten Anhörungstermin , zu dem die Antragsgegnerin trotz Ladung nicht erschien, erließ die Gerichtspräsidentin einen vorläufigen Beschluß, in dem sie unter anderem die Ehegatten zum Getrenntleben ermächtigte, das Sorgerecht für die beiden Kinder dem Antragsteller zusprach und die Antragsgegnerin verpflichtete, die sofortige Rückkehr der Kinder nach Italien zu veranlassen. Auf einen weiteren Termin am 6. April 2000, zu dem beide Parteien in Novara erschienen waren, wies das Gericht am 20. April 2000 die Einwendungen der Antragsgegnerin gegen den vorläufigen Beschluß vom 14. Dezember 1999 zurück. Ein am 9. August 2000 bei dem Amtsgericht Nürnberg eingegangener und auf das Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Voll-
streckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses vom 20. Mai 1980 (BGBl. 1990 II, 220 - im Folgenden: ESÜ) gestützter Antrag des Generalbundesanwalts, die durch Beschluß vom 20. April 2000 aufrechterhaltene Sorgerechts- und Rückführungsentscheidung aus dem Beschluß des Tribunale di Novara vom 14. Dezember 1999 für vollstreckbar zu erklären, wurde von dem Amtsgericht Nürnberg durch Beschluß vom 13. Februar 2001 zurückgewiesen. Die dagegen durch den Generalbundesanwalt im Namen des Antragstellers eingelegte Beschwerde wies das Oberlandesgericht Nürnberg durch Beschluß vom 27. Juni 2001 zurück. Beide Instanzen stellten darauf ab, daß der Versagungsgrund gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. b ESÜ einer Anerkennung der italienischen Entscheidung entgegenstehe , weil die noch sehr kleinen Kinder mittlerweile in ihre deutsche Umgebung vollständig integriert seien und eine Rückführung nach Italien ihrem Wohl nicht entspreche. Die Antragsgegnerin hatte ihrerseits bereits am 21. Juli 1999 bei dem Amtsgericht Erlangen beantragt, ihr die elterliche Sorge für die beiden in ihrer Obhut befindlichen Kinder zu übertragen. Diesen Antrag wies das Amtsgericht Erlangen durch Beschluß vom 25. Februar 2000 mit der Begründung zurück, daß es für die begehrte Entscheidung international unzuständig sei. Am 17. August 2000 stellte die Antragsgegnerin bei dem Amtsgericht Erlangen einen neuen Sorgerechtsantrag, der durch Beschluß vom 5. Januar 2001 ebenfalls zurückgewiesen wurde. Auf die nunmehr eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin änderte das Oberlandesgericht Nürnberg die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts nach Anhörung der Parteien und der Kinder ab und übertrug mit Beschluß vom 24. April 2002 (veröffentlicht in FamRZ 2003, 163) die elterliche Sorge für die beiden Kinder auf die Antragsgegnerin.
Am 22. Juli 2002 erließ das Tribunale di Novara ein das Verfahren abschließendes Urteil, in dem es - unter anderem - die persönliche Trennung der Ehegatten erklärte, die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder auf den Antragsteller übertrug und die Antragsgegnerin zur Übernahme von Verfahrenskosten in einer vom Gericht festgesetzten Höhe von 9.398,62 € verurteilte. Mit einem am 6. Februar 2003 bei dem Amtsgericht Nürnberg eingegangenen "Antrag auf Klauselerteilung nach Art. 21 ff. der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29.05.2000" begehrte der Antragsteller, das Urteil des Tribunale di Novara vom 22. Juli 2002, soweit ihm das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder übertragen und die Antragsgegnerin in die Verfahrenskosten verurteilt wurde, durch Anbringung einer Vollstreckungsklausel für vollstreckbar zu erklären. Gegen den am 4. März 2003 antragsgemäß ergangenen Beschluß des Amtsgerichts Nürnberg legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht änderte auf die Beschwerde der Antragsgegnerin den angefochtenen Beschluß ab und wies den Antrag des Antragstellers auf Vollstreckbarerklärung der Entscheidungen zur elterlichen Sorge und zu den Verfahrenskosten insgesamt zurück. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses hinsichtlich der Vollstreckbarerklärung der Sorgerechts - und Kostenentscheidung erstrebt. 2. Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung auszugsweise in FamRZ 2004, 278 (mit krit. Anm. Coester-Waltjen FamRZ 2004, 280 ff.) veröffentlicht ist, hat ausgeführt, daß die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (ABl. EG 2000 Nr. L 160, 19 - im Folgenden: Brüssel II-VO) auf den streitgegenständlichen Fall keine Anwen-
dung finden könne, weil das Verfahren vor dem Gericht in Novara bereits im Juni 1999 und damit vor dem Inkrafttreten der Verordnung am 1. März 2001 anhängig gemacht worden sei. Auch nach Art. 42 Abs. 2 Brüssel II-VO könne die Entscheidung in Deutschland mangels internationaler Zuständigkeit des Gerichts in Novara für die Sorgerechtsentscheidung nicht vollstreckt werden. Lasse man die Brüssel II-VO zunächst außer Acht, sei die internationale Zuständigkeit nach dem Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 (BGBl. 1971 II, 217 - im Folgenden: MSA) zu bestimmen. Nach diesem Abkommen seien für die in Frage stehenden Sorgerechtsentscheidungen die deutschen Gerichte zuständig gewesen, weil die seit Mai 1999 in Deutschland lebenden und sozial eingegliederten Kinder der Parteien jedenfalls im Jahre 2002 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt hätten. Auf die Frage der möglichen Widerrechtlichkeit der Verbringung nach Deutschland komme es nicht an, weil auch in diesem Falle keine besonders hohen Anforderungen an die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes zu stellen seien. Der Grundsatz der perpetuatio fori finde im Rahmen des MSA keine Anwendung, so daß mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthaltes im Zufluchtsstaat die Zuständigkeit der Behörden am bisherigen Aufenthaltsort ende. Dies gelte auch dann, wenn man davon ausginge, daß aufgrund der nationalen italienischen Verfahrensvorschriften im Trennungsverfahren eine Verbundzuständigkeit für die Frage der elterlichen Sorge begründet worden sei, weil Italien keinen Vorbehalt nach Art. 15 Abs. 1 MSA zugunsten seiner Ehegerichte erklärt habe. Auch aus Art. 4 MSA lasse sich eine konkurrierende Zuständigkeit des italienischen Gerichts nicht herleiten, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, daß ein Eingreifen der Heimatbehörden dem Wohl der Kinder mehr diene und ihren Schutz besser gewährleiste als ein Handeln der deutschen Behörden.
Im Rahmen des Art. 42 Abs. 2 Brüssel II-VO könne nach Art. 32 des italienischen Gesetzes Nr. 218 vom 31. Mai 1995 über die Reform des italienischen Systems des internationalen Privatrechtes eine internationale Zuständigkeit des Gerichts in Novara nicht begründet werden. Denn Art. 32 des Gesetzes Nr. 218 knüpfe für die Begründung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts an die Staatsangehörigkeit der Ehegatten oder an den Ort der Eheschließung an, was nicht mit der Regelung in Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO übereinstimme, wo auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes im Forumstaat der Ehesache abgestellt werde. Im Übrigen ließe sich auch aus der Brüssel II-VO selbst eine internationale Zuständigkeit des Gerichts in Novara nicht herleiten. Eine Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO sei im Zeitpunkt der Sorgerechtsentscheidung vom 22. Juli 2002 nicht gegeben gewesen, weil auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder im Zeitpunkt der Entscheidung im Jahre 2002 und nicht - unter Anwendung des Grundsatzes der perpetuatio fori - im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Jahre 1999 abzustellen sei. Eine Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 2 Brüssel II-VO scheide ebenfalls aus, weil die Antragsgegnerin bereits seit 1999 mehrfach und durch mehrere Instanzen vor den deutschen Gerichten Sorgerechtsentscheidungen zu ihren Gunsten zu erwirken versucht habe und deshalb aus ihrer Beteiligung am Verfahren vor dem Gericht in Novara nicht hergeleitet werden könne, daß die internationale Zuständigkeit des dortigen Gerichtes von ihr anerkannt worden sei.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 15 Abs. 1 AVAG bzw. §§ 28, 55 des Gesetzes zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des Internationalen Familien-
rechts (IntFamRVG) vom 26. Januar 2005 (BGBl. 2005 I, 162) statthaft. Sie ist insgesamt zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO), weil der Rechtssache im Hinblick auf die Abgrenzung der Zuständigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Brüssel II-VO in Kindesentführungsfällen grundsätzliche Bedeutung zukommt.

III.

In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg, soweit das Oberlandesgericht es abgelehnt hat, das Urteil des Tribunale di Novara vom 22. Juli 2002 hinsichtlich der darin enthaltenen Entscheidung zur Übertragung der elterlichen Sorge auf den Antragsteller für vollstreckbar zu erklären. 1. Insoweit steht einer Vollstreckbarerklärung nach Art. 21 Abs. 1 Brüssel II-VO von vornherein entgegen, daß Entscheidungen über die Zuweisung der elterlichen Sorge - anders als Umgangsregelungen und Herausgabeanordnungen - keinen vollstreckungsfähigen Inhalt haben (Rauscher/Rauscher, Europäisches Zivilprozeßrecht, Art. 21 Brüssel II-VO Rdn. 4; Schlosser, EU-Zivilprozeßrecht , 2. Aufl., Vorbem. vor Art. 21 EuEheVO; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 21 VO (EG) Nr. 1347/2000 Rdn. 2; MünchKomm /Gottwald, ZPO, 2. Aufl., Art. 21 EheGVO Rdn. 2; Zöller/Geimer, ZPO, 25. Aufl., Art. 28 EG-VO Ehesachen Rdn. 1; Krefft, Vollstreckung und Abänderung ausländischer Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, S. 111). Das Begehren des Antragstellers, der vom italienischen Gericht zu seinen Gunsten vorgenommenen Verteilung der elterlichen Sorge auf der Grundlage der Brüssel II-VO in Deutschland Geltung zu verschaffen, konnte nur im Wege ei-
nes fakultativen Anerkennungsverfahrens (Art. 14 Abs. 3 Brüssel II-VO) verfolgt werden. Es kommt darauf im einzelnen aber nicht an, weil die Ausführungen des Oberlandesgerichts zur internationalen Unzuständigkeit des Tribunale di Novara für den Erlaß der streitgegenständlichen Sorgerechtsentscheidung am 22. Juli 2002 im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung standhalten. 2. Im Ausgangspunkt hat das Oberlandesgericht zutreffend erkannt, daß die Brüssel II-VO auf den vorliegenden Sachverhalt nicht unmittelbar anzuwenden ist. Gemäß Artt. 42 Abs. 1, 46 Brüssel II-VO gilt die Verordnung nur für solche gerichtlichen Verfahren, die nach dem Inkrafttreten der Verordnung am 1. März 2001 eingeleitet worden sind; dies ist hier in Ansehung des bereits im Jahre 1999 bei dem Tribunale di Novara anhängig gewordenen Trennungsverfahrens der Parteien nicht der Fall. Diese Beurteilung wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht angegriffen. Gemäß Art. 42 Abs. 2 Brüssel II-VO werden Entscheidungen, die nach Inkrafttreten der Verordnung in einem vor diesem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren ergangen sind, nach Maßgabe des Kapitels III (Artt. 13 ff. Brüssel II-VO) anerkannt und vollstreckt, sofern das Gericht aufgrund von Vorschriften zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II (Artt. 2 ff. Brüssel II-VO) oder eines Abkommens übereinstimmen, das zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens zwischen dem Ursprungsmitgliedstaat und dem ersuchten Mitgliedstaat in Kraft war. Entsprechende Übergangsvorschriften finden sich in Art. 54 Abs. 2 des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (BGBl. 1972 II, 773 - im Folgenden: EuGVÜ) und Art. 66 Abs. 2 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates
vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001, Nr. L 12, 1 - im Folgenden: Brüssel I-VO). Durch die Formulierung "mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II …. übereinstimmen" sollte klargestellt werden, daß in den Übergangsfällen das Gericht des ersuchten Staates - abweichend vom grundsätzlichen Nachprüfungsverbot der Artt. 17, 24 Abs. 2 Brüssel II-VO - ausnahmsweise die internationale Zuständigkeit des Ursprungsstaates festzustellen hat, weil diese im Erkenntnisverfahren mangels unmittelbarer Geltung der Verordnung nicht auf Betreiben des Antragsgegners hatte geprüft werden können (Borrás, Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen aufgrund von Artikel K. 3 des Vertrags über die Europäische Union über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen, ABl. EG 1998 Nr. C 221, 27, Nr. 111; Albers in Baumbach /Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 63. Aufl., Anh. I zu § 606 a, Art. 42 EheGVVO Rdn. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 26. Aufl., Art. 42 EheVO Rdn. 4). Die mit Art. 42 Abs. 2 Brüssel II-VO verbundene Erweiterung des intertemporalen Geltungsbereiches der Verordnung soll die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen der Ehegerichte bereits in Übergangsfällen erleichtern. Die Entscheidung des Ursprungsstaates kann bereits dann anerkannt und zur Vollstreckung zugelassen werden, wenn das Gericht des ersuchten Staates aufgrund eigener Prüfung zu der Ansicht gelangt, daß die internationale Zuständigkeit des Gerichtes im Ursprungsstaat bei Verfahrenseinleitung auch nach der Brüssel II-VO gegeben gewesen wäre oder nach einem damals zwischen den Vertragsstaaten geltenden völkerrechtlichen Abkommen gegeben war (Spellenberg, Der Anwendungsbereich der EheGVO ["Brüssel II"] in Statussachen , in FS Schumann, 423, 429; vgl. weiterhin zu Art. 54 EuGVÜ: OLG Frankfurt RIW/AWD 1976, 107; OLG Zweibrücken IPRspr. 2001, Nr. 186; MünchKomm/Gottwald aaO Art. 54 EuGVÜ Rdn. 5; Geimer NJW 1975, 1086 f.;
zu Art. 66 Brüssel I-VO: Geimer/Schütze aaO Art. 66 EuGVVO Rdn. 4; Kropholler , Europäisches Zivilprozeßrecht, 7. Aufl., Art. 66 EuGVO Rdn. 6; Rauscher/A. Staudinger aaO Art. 66 Brüssel I-VO Rdn. 12); auf das autonome Verfahrensrecht des Ursprungsstaates kommt es dagegen nicht an (vgl. bereits Geimer NJW aaO, S. 1087 zu Art. 54 EuGVÜ). Deshalb könnte in den Fällen, in denen das Gericht im ersuchten Staat eine hypothetische Verordnungszuständigkeit oder eine Abkommenszuständigkeit des Ursprungsgerichtes feststellt, dessen nach Inkrafttreten der Brüssel II-VO ergangene Entscheidung selbst dann anerkannt und vollstreckt werden, wenn das Ursprungsgericht im Erkenntnisverfahren das nationale Verfahrensrecht falsch angewendet und sich zu Unrecht für international zuständig gehalten hätte (Spellenberg aaO). Gleiches gilt, wenn das Ursprungsgericht - wie das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall meint - seine Zuständigkeit auf exorbitante und der Brüssel II-VO fremde Anknüpfungspunkte seines autonomen Rechtes gestützt hätte. Im Übrigen hat das Oberlandesgericht insoweit möglicherweise übersehen, daß auch das italienische Gesetz Nr. 218 vom 31. Mai 1995 grundsätzlich auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder abstellt und die Staatsangehörigkeit in Art. 37 nur zur Begründung einer zusätzlichen internationalen Zuständigkeit heranzieht (vgl. CoesterWaltjen aaO, S. 281 und Fn. 10). Umgekehrt ist den Gerichten des ersuchten Staates die eigene Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Gerichtes des Ursprungsstaates aber nicht schon dann verwehrt, wenn dessen Ansicht, international zuständig zu sein, mit den autonomen Regelungen seines Rechts übereinstimmt. 3. Soweit auf völkerrechtliche Abkommen abzustellen ist, deren Vertragsstaaten Deutschland und Italien sind, können Fragen der internationalen Zuständigkeit für Sorgerechtsentscheidungen nur nach dem MSA beurteilt werden , da das ESÜ und das Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über
die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (BGBl. 1990 II, 206 - im Folgenden: HKÜ) keine eigenen Regelungen zur internationalen Zuständigkeit enthalten (vgl. hierzu Schulz FamRZ 2003, 336, 339, 340) und das als Nachfolgeabkommen zum MSA konzipierte Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung , Vollstreckung und Zusammenarbeit bezüglich der elterlichen Verantwortung und Maßnahmen zum Schutz von Kindern (abgedruckt bei Jayme/ Hausmann, Internationales Privatrecht, 12. Aufl., Nr. 55 - im Folgenden: KSÜ) im Juni 1999 weder in Deutschland noch in Italien in Kraft war (und es auch jetzt noch nicht ist).
a) Art. 1 MSA begründet für Schutzmaßnahmen zugunsten eines Minderjährigen eine ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; die Regelung der elterliche Sorge für das Kind der Parteien gehört zu den Schutzmaßnahmen im Sinne dieser Vorschrift (Senatsbeschluß vom 11. April 1984 - IVb ZB 96/82 - FamRZ 1984, 686, 687). Das Oberlandesgericht geht davon aus, daß die seit Mai 1999 in Deutschland befindlichen Kinder infolge ihrer sozialen Integration jedenfalls im Jahre 2002 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten. Zwar ist mangels entgegenstehender Feststellungen des Oberlandesgerichts in tatsächlicher Hinsicht für das Rechtsbeschwerdeverfahren davon auszugehen, daß der Antragsteller am 10. Mai 1999 nicht damit einverstanden war, daß die Antragsgegnerin mit den beiden Kindern dauerhaft nach Deutschland übersiedelte. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes aber keine notwendige Voraussetzung für einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 1 MSA. Bei der Begründung des gewöhnlichen Aufenthaltes handelt es sich um einen rein faktisch geprägten Vorgang, der bei langer Verweildauer des Kindes und bei vollständiger Eingliederung in seine soziale Umwelt auch gegen den Willen des in seinem Sorgerecht verletzten
Elternteils vollzogen werden kann (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 78, 293, 296 ff. = FamRZ 1981, 135 ff. und BGHZ 151, 63, 65 = FamRZ 2002, 1182, 1183; vgl. auch BVerfGE 99, 145, 159 = FamRZ 1999, 85, 88). Dabei rechtfertigt die vom Tatrichter herangezogene Lebenserfahrung die Annahme, daß ein kleineres Kind auch in Entführungsfällen jedenfalls nach einem Aufenthalt von fünfzehn Monaten an einem neuen Ort so fest integriert ist, daß es dort seinen neuen Daseinsmittelpunkt gefunden hat (Senatsbeschluß BGHZ 78 aaO S. 301). Vor diesem Hintergrund läßt die tatrichterliche Beurteilung durch das Oberlandesgericht keine Rechtsfehler erkennen, zumal die bei ihrer Ankunft in Deutschland noch sehr jungen Kinder im Jahre 2002 schon einen großen Teil ihres Lebens im deutschen Sprachraum verbracht hatten und von der Antragsgegnerin durchgehend an ihrem neuen Wohnort in Deutschland betreut und versorgt worden sind. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde läßt sich aus dem Grundsatz der perpetuatio fori eine fortdauernde internationale Zuständigkeit nach Art. 1 MSA für die Behörden des früheren Aufenthaltsortes der Kinder in Italien nicht herleiten. Der Senat hat bereits entschieden, daß im Hinblick auf das Zusammenspiel von Art. 1 und Art. 5 MSA für eine perpetuatio fori im Rahmen des MSA kein Raum ist, weil mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthaltes die Zuständigkeit der Behörden am früheren Aufenthaltsort des Minderjährigen zwangsläufig erlischt (Senatsbeschluß BGHZ 151, aaO S. 68 f. = FamRZ aaO S. 1184 mit zust. Anm. Henrich). Das Tribunale di Novara konnte daher am 22. Juli 2002 aus Art. 1 MSA keine internationale Zuständigkeit mehr dafür herleiten, dem Antragsteller die elterliche Sorge für die beiden Kinder zu übertragen.
b) Eine solche Zuständigkeit ergibt sich auch nicht aus Art. 4 MSA. Unabhängig davon, daß es dafür einer vorherigen Verständigung der Behörden im
Aufenthaltsstaat bedurft hätte, begründet Art. 4 MSA eine konkurrierende internationale Zuständigkeit der Behörden und Gerichte des Heimatstaates - der bei Doppelstaatlern nicht der Staat der effektiven Staatsangehörigkeit sein muß (Senatsbeschluß vom 18. Juni 1997 - XII ZB 156/95 - FamRZ 1997, 1070 f.) - für Schutzmaßnahmen im Sinne des Art. 1 MSA nur dann, wenn sie ein Einschreiten zum Wohle des Minderjährigen für erforderlich halten. Dies erfordert die formale Prüfung, ob die Heimatbehörde ihr Einschreiten überhaupt als Notmaßnahme unter den besonderen materiellen Voraussetzungen des Art. 4 MSA begreifen wollte (OLG Hamm IPRspr. 1987 Nr. 78 mit Anm. Henrich IPrax 1988, 39 f.; Hüßtege IPRax 1996, 104, 106 f.). Aus den Gründen des Urteils vom 22. Juli 2002 ergibt sich jedoch kein Anhaltspunkt dafür, daß das italienische Gericht von einem besonderen Eintrittsrecht nach Art. 4 MSA Gebrauch machen wollte, sondern es ist vielmehr davon auszugehen, daß das Tribunale di Novara seine fortdauernde internationale Zuständigkeit für Sorgerechtsentscheidungen aus der Rechtsansicht herleitete, daß im Falle des widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens eines Minderjährigen eine auf dem MSA beruhende internationale Zuständigkeit der Behörden im Zufluchtsstaat für Schutzmaßnahmen von vornherein nicht begründet werden könne und deshalb die Zuständigkeit der Heimatbehörden durch den Aufenthaltswechsel unberührt bleibe. 4. Auch bei hypothetischer Anwendung der - inzwischen durch Art. 71 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. EG 2003 Nr. L 338, 19 - im Folgenden: Brüssel IIa-VO) zum 1. März 2005 aufgehobenen - Brüssel II-VO ließe sich eine internationale Zuständigkeit des Tribunale di No-
vara für die am 22. Juli 2002 ergangene Sorgerechtsentscheidung nicht herleiten.
a) Gemäß Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO sind die Gerichte eines Mitgliedstaats , in dem eine Ehesache im Sinne des Art. 2 Brüssel II-VO zu entscheiden ist, für Entscheidungen, welche die elterliche Verantwortung für ein gemeinsames Kind der beiden Ehegatten betreffen, nur dann international zuständig, wenn dieses Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hat. Entscheidungen der elterlichen Verantwortung sind jedenfalls solche, welche die Zuweisung der elterlichen Sorge zum Gegenstand haben (Vogel MDR 2000, 1045, 1047). Die Frage, ob für eine aus Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO hergeleitete Zuständigkeit der Ehegerichte bei einem Aufenthaltswechsel des Kindes der perpetuatio -Grundsatz gilt, beurteilt sich in den Fällen der Kindesentführung nach Art. 4 Brüssel II-VO, wonach die nach Maßgabe von Art. 3 Brüssel II-VO zuständigen Gerichte ihre Zuständigkeit im Einklang mit den Bestimmungen des HKÜ, insbesondere dessen Artt. 3 und 16, auszuüben haben. Bei Art. 4 Brüssel II-VO handelt es sich um eine besondere Zuständigkeitsvorschrift, die aber keinen neuen Gerichtsstand für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung eröffnet, sondern die Zuständigkeiten nach Art. 3 Brüssel II-VO in Entführungsfällen in einer Weise überlagert, daß ein Widerspruch zu den vorrangigen Zielsetzungen des HKÜ ausgeschlossen ist. Nach Art. 16 HKÜ dürfen die Behörden des Zufluchtsstaates nach der Mitteilung über die widerrechtliche Verbringung oder Zurückhaltung des Kindes im Sinne von Art. 3 HKÜ eine Sachentscheidung über das Sorgerecht erst dann treffen, wenn entschieden ist, daß das Kind aufgrund des HKÜ nicht zurückzugeben oder wenn innerhalb angemessener Frist ein Antrag auf Rückführung
nach dem HKÜ nicht gestellt worden ist (vgl. dazu im einzelnen auch Senatsbeschluß BGHZ 145, 97 ff. = FamRZ 2000, 1502 ff.). Hieraus folgt für die internationale Zuständigkeit der Ehegerichte zum einen, daß die nach Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO zuständigen Gerichte ihre Zuständigkeit nicht ausüben und keine in die elterliche Verantwortung eingreifenden Maßnahmen treffen dürfen, wenn sie davon Mitteilung erhalten, daß sich das Kind nur infolge eines widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens im Forumstaat aufhält (Borrás-Bericht aaO Nr. 41; Hau FamRZ 2000, 1333, 1338; Sumampouw, Parental Responsibility under Brussels II, in Liber Amicorum Kurt Siehr 2000, 729, 741). Zum anderen soll durch den Verweis auf Art. 16 HKÜ im umgekehrten Fall gewährleistet sein, daß der frühere und rechtmäßige Aufenthalt des Kindes im Ursprungsstaat auch dann als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit des dortigen Ehegerichtes dienen kann, wenn in Folge des widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens eine Änderung des Aufenthaltsortes eingetre ten ist (Erwägungsgrund Nr. 13 zur Brüssel II-VO; vgl. Borrás-Bericht aaO;Hau aaO; Sumampouw aaO S. 735 f., 741). Aus dieser Erwägung läßt sich aber gerade im Lichte des HKÜ nicht ableiten, daß in Entführungsfällen die internationale Zuständigkeit ausschließlich an den früheren und rechtmäßigen Aufenthalt des Kindes angeknüpft werden könnte. Auch der widerrechtlich begründete gewöhnliche Aufenthalt wird vom HKÜ in bestimmten Fällen hingenommen, und zwar insbesondere dann, wenn innerhalb der Jahresfrist des Art. 12 Abs. 1 HKÜ kein Antrag auf Rückführung des Kindes nach dem HKÜ gestellt worden ist, weil dann eine Rückführung unterbleibt, wenn sich das Kind erweislich in seine neue Umgebung eingelebt hat (Art. 12 Abs. 2 HKÜ). Auch bei einem innerhalb der Jahresfrist gestellten Antrag findet eine Rückführung nicht statt, wenn diese von den Behörden des Zufluchtsstaates ausnahmsweise nach Art. 13 HKÜ verweigert werden kann. Würde auch in solchen Fällen die fortdauernde Annexzuständigkeit des Ehegerichtes im Ursprungsstaat eine aus staatsvertraglichen Zustän-
digkeitsvorschriften oder aus dem autonomen Recht des Zufluchtsstaates hergeleitete Restzuständigkeit (Art. 8 Abs. 1 Brüssel II-VO) der dortigen Behörden für Sorgerechtsentscheidungen ausschließen, liefe der Wegfall der Entscheidungssperre nach Art. 16 HKÜ ins Leere. Schon vor diesem Hintergrund liegt es nahe, in Entführungsfällen die aus Art. 3 Brüssel II-VO hergeleitete Zuständigkeit der Ehegerichte bei einem Aufenthaltswechsel in einen anderen Mitgliedstaat allenfalls so lange fortdauern zu lassen, wie die Entscheidungssperre des Art. 16 HKÜ für Sorgerechtsentscheidungen im Zufluchtsstaat anhält (Geimer /Schütze aaO Art. 4 VO (EG) Nr. 1347/2000 Rdn. 7 f.; Gruber RPfleger 2002, 545, 547; Coester-Waltjen aaO S. 281). Daß die internationale Zuständigkeit der Ehegerichte im Ursprungsstaat nicht länger andauern kann, findet seine Bestätigung auch im Auslegungsrückgriff auf die Zuständigkeitsvorschriften des für Deutschland und Italien allerdings noch nicht in Kraft getretenen KSÜ. Anders als die Brüssel II-VO enthält das KSÜ - ebenso wie die am 1. März 2005 in Kraft getretene Brüssel IIa-VO - ausdrückliche Abgrenzungsregeln für die internationale Zuständigkeit in den Fällen, in denen das Kind im Sinne des Art. 3 HKÜ widerrechtlich in einen anderen Vertragsstaat verbracht oder dort zurückgehalten wird. Nach Art. 7 Abs. 1 lit. b KSÜ (vgl. nunmehr auch die entsprechende Regelung in Art. 10 lit. b (1) Brüssel IIa-VO) endet die Zuständigkeit der Behörden im Ursprungsstaat, wenn sich das Kind im Zufluchtsstaat mindestens ein Jahr aufgehalten hat, nachdem der Sorgeberechtigte diesen Aufenthaltsort kannte oder hätte kennen müssen, während dieses Zeitraums kein Rückgabeantrag gestellt worden ist und das Kind sich in seinem neuen Umfeld eingelebt hat; durch diese an Art. 12 Abs. 1 HKÜ angelehnte Regelung soll die Harmonisierung der Zuständigkeitsvorschriften mit Art. 16 HKÜ hergestellt werden (Lagarde, Erläuternder Bericht zum KSÜ, Nr. 46 f., 49b, in Conférence de la Haye de droit international privé, Actes et documents de la Dix-huitième session, Tome II - 1998 - S. 534 ff; Kropholler,
Das Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996, Liber Amicorum Kurt Siehr aaO S. 379, 384; Schulz aaO S. 345; vgl. zu Art. 10 Brüssel IIa-VO auch Solomon FamRZ 2004, 1409, 1417). Für die Abgrenzung der internationalen Zuständigkeiten nach der Brüssel II-VO können keine anderen Maßstäbe gelten. Zwar kannte der EU-Verordnungsgeber Art. 7 Abs. 1 KSÜ, ohne daß eine entsprechende Regelung ausdrücklich in die Brüssel II-VO übernommen worden wäre. Das schließt jedoch nicht aus, entsprechende Abgrenzungsregeln unmittelbar aus Art. 4 Brüssel II-VO und der darin enthaltenen Verweisung auf Art. 16 HKÜ herzuleiten, wenn dadurch den vom HKÜ akzeptierten Zuständigkeiten und Befugnissen der Behörden im Zufluchtsstaat Geltung verschafft werden kann. Nach diesen Maßstäben konnte eine bei Einleitung des Trennungsverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO begründete Annexzuständigkeit des Tribunale di Novara für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung jedenfalls nicht mehr bis zum Jahre 2002 fortdauern, da der Antragsteller innerhalb der Jahresfrist keinen Rückführungsantrag nach dem HKÜ gestellt hat und die mittlerweile vollzogene Integration der Kinder in ihr soziales Umfeld in Deutschland vom Oberlandesgericht zu Recht nicht mehr in Zweifel gezogen worden ist.
b) Gemäß Art. 3 Abs. 2 Brüssel II-VO sind die Gerichte im Forumstaat der Ehesache auch dann für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung international zuständig, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hat, zumindest einer der Ehegatten die elterliche Verantwortung für das Kind besitzt, die Zuständigkeit der betreffenden Gerichte von den Ehegatten anerkannt worden ist und im Einklang mit dem Wohl des Kindes steht.
Im Ausgangspunkt setzt die Begründung der Annexzuständigkeit nach Art. 3 Abs. 2 Brüssel II-VO keine ausdrückliche Zuständigkeitsvereinbarung der Ehegatten voraus, so daß ein Anerkenntnis der Zuständigkeit auch aus einem konkludenten Verhalten der Ehegatten geschlossen werden kann (Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO Art. 3 EheGVVO Rdn. 7 m.w.N.). Auf die - für das europäische Zivilprozeßrecht aus Art. 24 Satz 1 Brüssel I-VO herzuleitenden - Grundsätze der rügelosen Einlassung kann allerdings in dem Verfahren über Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung nicht ohne weiteres zurückgegriffen werden; entscheidend ist vielmehr, wie das gesamte Verhalten der Eltern im Verfahren nach Treu und Glauben zu würdigen ist (Rauscher /Rauscher aaO Art. 3 Brüssel II-VO Rdn. 17). Dabei scheidet ein stillschweigendes Anerkenntnis der internationalen Zuständigkeit des Ehegerichtes für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung durch einen Elternteil in der Regel aus, wenn von diesem vor oder nach Einleitung der Ehesache im Aufenthaltsstaat des Kindes ein isoliertes Sorgerechtsverfahren anhängig gemacht worden ist (wie hier: Rauscher/Rauscher aaO Art. 3 Brüssel II-VO Rdn. 18; Puszkajler IPrax 2001, 81, 83). Gerade die in Art. 3 Abs. 2 lit. b Brüssel II-VO als materielles Kriterium besonders verankerten Grundsätze des Kindeswohls gebieten Zurückhaltung bei der Annahme, daß ein Ehegatte allein durch das Unterlassen einer formellen Zuständigkeitsrüge stillschweigend die internationale Zuständigkeit der Gerichte im Forumstaat der Ehesache anerkennt, obwohl er parallel zum Eheverfahren die sachnäheren Behörden und Gerichte im Aufenthaltsstaat anruft, die im allgemeinen besser ermitteln und beurteilen können, in welchen Verhältnissen das Kind lebt und welche Maßnahmen zu seinem Wohl erforderlich sind. Die nach diesen Maßstäben erforderliche Gesamtwürdigung des Verhaltens der Antragsgegnerin hat das Oberlandesgericht vorgenommen und aus dem Umstand, daß die Antragsgegnerin im Anschluß an ihre Übersiedlung
nach Deutschland zunächst am 21. Juli 1999 und danach am 17. August 2000 bei dem Amtsgericht Erlangen eigene Sorgerechtsanträge angebracht hat, in rechtlich unbedenklicher Weise geschlossen, daß ein stillschweigendes Anerkenntnis der internationalen Zuständigkeit des Tribunale di Novara für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung am 6. April 2000 nicht vorgelegen habe.

IV.

Der angefochtene Beschluß des Oberlandesgerichts kann dagegen keinen Bestand haben, soweit in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung auch der Antrag des Antragstellers auf Vollstreckbarerklärung der Kostenentscheidung aus dem Urteil des Tribunale di Novara vom 22. Juli 2002 insgesamt zurückgewiesen worden ist. Zwar erstreckt sich die Verpflichtung zur Vollstreckbarerklärung nach dem Wortlaut des Art. 21 Abs. 1 Brüssel II-VO nur auf - vollstreckbare - Entscheidungen zur elterlichen Sorge. Darauf ist der Anwendungsbereich der Vorschrift aber nicht beschränkt. Nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel II-VO werden ausdrücklich Entscheidungen über die Kostenfestsetzung in das Anerkennungsund Vollstreckungssystem nach dem Kapitel III der Brüssel II-VO einbezogen. Es entspricht daher allgemeiner Ansicht, daß alle Entscheidungen zur Kostenfestsetzung nach den Art. 21 ff. Brüssel II-VO vollstreckbar sind, wenn sie in einem vom Anwendungsbereich der Brüssel II-VO erfaßten Verfahren ergangen sind (Wagner IPrax 2001, 73, 79; Rauscher/Rauscher aaO Art. 13 Brüssel II-VO Rdn. 15, MünchKomm/Gottwald aaO Art. 21 EheGVO Rdn. 4; Albers in Baumbach /Lauterbach/Albers/Hartmann aaO Art. 21 EheGVVO Rdn. 3). Kommt danach eine Vollstreckbarerklärung der Kostenfestsetzung aus dem Urteil des
Tribunale di Novara vom 22. Juli 2002 grundsätzlich in Betracht, konnte das Oberlandesgericht diese nicht mit der Begründung verweigern, daß das Tribunale di Novara für die Sorgerechtsentscheidung international unzuständig gewesen sei. Denn die Kostenentscheidung aus dem Urteil vom 22. Juli 2002 ist nicht in einem isolierten Sorgerechtsverfahren, sondern im Verbund der Ehesache ergangen; daß die italienischen Gerichte bei hypothetischer Anwendung der Brüssel II-VO für das Statusverfahren international zuständig gewesen wäre , ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 lit. a, zweiter, fünfter und sechster Spiegelstrich Brüssel II-VO. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da weitere Feststellungen zu den Verfahrenskosten erforderlich sind. Das Tribunale di Novara hat in seinem Urteil vom 22. Juli 2002 nicht nur über die Trennung der Parteien und die Frage der elterlichen Sorge, sondern im Verbund auch über Folgesachen - Unterhalt, Zuweisung von Ehewohnung und Hausrat - entschieden, die nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel II-VO fallen. Das Oberlandesgericht wird danach zu prüfen haben, ob durch diese Folgesachen abtrennbare Kosten verursacht worden sind, weil die Kosten dieser Folgesachen nur dann nach den Vorschriften der Brüssel II-VO für vollstreckbar erklärt werden können , wenn sie von den Kosten des Ehestatusverfahrens praktisch nicht zu trennen sind (Rauscher/Rauscher aaO Art. 13 Brüssel II-VO, Rdn. 17; ähnlich Schlosser aaO Art. 13 EuEheVO Rdn. 2). Vergleichbare Grundsätze gelten unter den hier obwaltenden Umständen für die Entscheidung zur elterlichen Sorge , für die das Tribunale di Novara international unzuständig war. Auch insoweit können die entstandenen Kosten, soweit sie von den Kosten des Ehestatusverfahrens und den übrigen Kosten abtrennbar sind, nicht für vollstreckbar erklärt werden. Dabei wird das Oberlandesgericht allerdings zu beachten haben, daß das Tribunale di Novara beim Vorliegen einer Kindesentführung erst im Laufe des Verfahrens international unzuständig geworden wäre und einer Vollstreck-
barerklärung hinsichtlich der in der Sorgerechtssache bis zu diesem Zeitpunkt bereits entstandenen Kosten aus dem Gesichtspunkt der Zuständigkeit keine Bedenken entgegenstehen.
Hahne Sprick Weber-Monecke Wagenitz Dose

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 74 / 00
vom
5. Juni 2002
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja

a) Zur Zuständigkeit der Heimatbehörden nach dem Minderjährigenschutzabkommen
, wenn bereits vor einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Minderjährigen
Schutzmaßnahmen im Heimatstaat beantragt oder vorbereitet worden
sind.

b) Zur Anwendbarkeit des Grundsatzes der perpetuatio fori auf die internationale Zuständigkeit.
BGH, Beschluß vom 5. Juni 2002 - XII ZB 74/00 - OLG Stuttgart
AG Besigheim
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Juni 2002 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz
, Dr. Ahlt und Dr. Vézina

beschlossen:
Die weitere Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluû des 15. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. April 2000 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Wert: 766 ? (= 1.500 DM)

Gründe:


I.

Die Parteien streiten im Rahmen des Scheidungsverbundes um die elterliche Sorge für ihre am 8. September 1995 geborene Tochter L. Nach der Mitte Februar 1998 erfolgten Trennung der Parteien nahm der Antragsgegner das Kind Anfang März 1998 zu sich und zog mit ihm im Oktober 1998 nach Frankreich , wo es eingeschult wurde. Die Ehe der Eltern ist seit dem 29. Februar 2000 rechtskräftig geschieden. Das Familiengericht hat im Verbundurteil u.a. der Antragsgegnerin die elterliche Sorge für L. übertragen. Auf die rechtzeitig eingelegte und begründete Beschwerde des Antragstellers hat das Oberlandesgericht das Urteil des Familiengerichts hinsichtlich der Sorgerechtsregelung abgeändert und den Antrag der Mutter, ihr das Sorgerecht zu übertragen, we-
gen fehlender internationaler Zuständigkeit abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen weiteren Beschwerde.

II.

Die weitere Beschwerde ist nicht begründet. Das Oberlandesgericht hat seine internationale Zuständigkeit ebenso wie die internationale Zuständigkeit des Familiengerichts zu Recht und unter zutreffendem Hinweis auf Art. 1 des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 (BGBl. 1971, II 217; im Folgenden: MSA) verneint. 1. Art. 1 MSA begründet für Schutzmaûnahmen zugunsten eines Minderjährigen eine ausschlieûliche gerichtliche Zuständigkeit des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; im Anwendungsbereich des MSA kann auf die Regeln des autonomen nationalen Rechts über die internationale Zuständigkeit nicht zurückgegriffen werden (Staudinger/Kropholler BGB 13. Bearb., Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rdn. 25). Die hier im Streit stehende Regelung der elterlichen Sorge für das Kind der Parteien gehört zu den Schutzmaûnahmen im Sinne des Art. 1 MSA (Senatsbeschluû vom 11. April 1984 - IVb ZB 96/82 - FamRZ 1984, 686, 687). Das MSA wird auch nicht durch andere vertragsrechtliche Regelungen verdrängt; insbesondere läût sich eine internationale Zuständigkeit nicht aus der - dem MSA vorgehenden - Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in
Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für gemeinsame Kinder der Ehegatten (ABl. L 160/19 vom 30. Juni 2000; "Brüssel II") herleiten. Diese Verordnung gilt nach ihrem Art. 42 nicht für Verfahren, die bereits vor ihrem Inkrafttreten anhängig geworden sind. Das ist hier der Fall, da die Mutter den Antrag auf Übertragung der Sorge bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht am 20. Januar 1999 gestellt hat. 2. Das Oberlandesgericht geht davon aus, daû das Kind L. seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hat. Diese tatrichterliche Beurteilung läût Rechtsfehler nicht erkennen: Das Kind ist inzwischen sechs Jahre alt und lebt seit seinem dritten Lebensjahr bei dem Antragsteller in Südfrankreich. L. besucht dort die Schule; der Antragsteller ist dort in einer Familie, mit deren Kindern L. offenbar gemeinsam aufwächst, als Erzieher tätig. Beides spricht dafür, daû der Schwerpunkt der Bindungen des Kindes, also sein Daseinsmittelpunkt (zu diesen Kriterien vgl. Senatsbeschluû vom 29. Oktober 1980 - IVb ZB 586/80 - FamRZ 1981, 135, 136) in Frankreich liegt. Der Umstand, daû der Antragsteller das Kind ohne Zustimmung der Antragsgegnerin nach Frankreich verbracht hat, rechtfertigt es nicht, an die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts besonders scharfe Anforderungen zu stellen (in diese Richtung OLG Hamm FamRZ 1989, 1109, 1110; FamRZ 1991, 1346, 1347). Zwar muû vermieden werden, daû sich ein Elternteil die Zuständigkeit ausländischer Gerichte - insbesondere durch "legal kidnapping" - erschleicht. Das war aber hier nicht der Fall: Die Eltern hatten - nachdem sie zuvor wechselseitig das Kind jeweils im Handstreich an sich gebracht hatten - Einvernehmen erzielt, daû das Kind bis auf weiteres beim Antragsteller verbleibt und der Antragsgegnerin der Umgang ermöglicht wird. Der Antragsteller hat dann im Oktober 1998 - im Zuge seiner beruflichen Veränderung nach Frankreich - die ihm allein überlassene tatsächliche Personensorge genutzt,
das Kind in seinen Wohnsitzwechsel einzubeziehen. Damit hat er zwar faktisch die Möglichkeit der Antragsgegnerin zum Umgang mit dem gemeinsamen Kind unterlaufen oder doch nachhaltig erschwert; eine Erschleichung der Zuständigkeit ausländischer Gerichte liegt darin jedoch um so weniger, als sich durch den Wohnsitzwechsel an der schon bislang praktizierten Wahrnehmung der tatsächlichen Personensorge für L. durch den Antragsteller nichts geändert hat und im übrigen auch nicht ersichtlich ist, welchen Vorteil der Antragsteller aus der Zuständigkeit der französischen Gerichte bei einer künftigen Sorgerechtsregelung ziehen könnte. Die vom Familiengericht in diesem Zusammenhang getroffenen Sorgerechtsregelungen führen zu keiner anderen Beurteilung des Verhaltens des Antragstellers; denn die vom Familiengericht angeordnete einstweilige Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter folgte dem Wohnsitzwechsel des Antragstellers zeitlich ebenso nach wie die damit einhergehende Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt, mit welcher das Familiengericht Zweifeln an der Erziehungsfähigkeit der Mutter Rechnung tragen wollte (vgl. dessen - vom Oberlandesgericht am 12. April 1999 bestätigten - Beschluû vom 20. Januar 1999). Letztlich kann freilich offenbleiben, ob und inwieweit das Verhalten des Antragstellers gedacht und geeignet war, seine Sorgerechtsposition durch die Begründung der Zuständigkeit ausländischer Gerichte zu verbessern. Angesichts der Verweildauer und der sozialen Einbindung des Kindes in Frankreich wird man nämlich mit dem Oberlandesgericht auch dann von einem gewöhnlichem Aufenthalt des Kindes in Frankreich ausgehen müssen, wenn man - wie das OLG Hamm (aaO) - an dieses Tatbestandsmerkmal im Einzelfall verschärfte Anforderungen stellt, um einer miûbräuchlichen Veränderung des internationalen Gerichtsstands in Sorgerechtssachen zu begegnen. 3. Eine dem Art. 1 MSA vorrangige Verbundzuständigkeit der deutschen Gerichte besteht - mangels eines Vorbehalts nach Art. 15 MSA - nicht (Senats-
beschluû vom 11. November 1984 - IVb ZB 41/82 - FamRZ 1984, 350, 353). Auch der Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO), auf den sich die weitere Beschwerde stützt, vermag eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht zu begründen:
a) Es erscheint schon zweifelhaft, ob für das vorliegende Sorgerechtsverfahren überhaupt eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründet war, welche - die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung des Grundsatzes der perpetuatio fori unterstellt - den Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes überdauern könnte. Aus dem am 20. März 1998 - vor dem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts - im Zwangsverbund mit der Scheidung anhängig gewordenen Sorgerechtsverfahren läût sich eine solche fortdauernde Zuständigkeit des Familiengerichts und des Oberlandesgerichts nicht herleiten. Dieses Verfahren ist nämlich - im Hinblick auf den zwischenzeitlichen Wegfall einer amtswegigen Sorgerechtsentscheidung im Scheidungsfall - gemäû Art. 15 § 2 Abs. 4 KindRG als erledigt anzusehen, nachdem kein Elternteil bis zum 31. Oktober 1998 einen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge gestellt hatte. Auch das von der Antragsgegnerin etwa zeitgleich mit dem Scheidungsantrag des Antragstellers im März 1998 eingeleitete gesonderte Verfahren auf Regelung der elterlichen Sorge bei Getrenntleben (§ 1672 BGB a.F.) vermag eine Zuständigkeit des deutschen Familiengerichts für die mit der Beschwerde angegriffene Sorgerechtsregelung nicht zu begründen. Die angegriffene Entscheidung ist nämlich nicht in jenem Verfahren ergangen. Sie beruht vielmehr auf dem am 20. Januar 1999 - im Rahmen des Scheidungsverfahrens - gestellten Antrag der Mutter, ihr die Alleinsorge zu übertragen.
Mit diesem Antrag ist das Sorgerechtsverfahren zwar - wie schon zuvor aufgrund des Scheidungsantrags - erneut als Folgesache anhängig geworden (§ 623 Abs. 3 ZPO). Das bedeutet aber nicht, daû der Sorgerechtsantrag vom 20. Januar 1999 nunmehr rückwirkend als zugleich mit dem Scheidungsantrag rechtshängig geworden anzusehen ist. Eine perpetuatio fori könnte deshalb überhaupt nur Platz greifen, wenn für die Sorgerechtsregelung eine internationale Zuständigkeit des deutschen Familiengerichts bereits am 20. Januar 1999 - als dem Zeitpunkt, in dem die Mutter im Scheidungsverfahren die Übertragung des Sorgerechts auf sich beantragt hatte - begründet war. Zwar hat das Familiengericht noch am 20. Januar 1999 durch eine einstweilige Anordnung die elterliche Sorge der Mutter und das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Jugendamt übertragen; auch hat das Oberlandesgericht mit Beschluû vom 12. April 1999 diese einstweilige Anordnung bestätigt. Die Frage, ob das Kind L. zu diesem Zeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt bereits in Frankreich hatte und damit eine Zuständigkeit der französischen Gerichte nach Art. 1 MSA begründet war, welche die Zuständigkeit von Familiengericht und Oberlandesgericht für die einstweilige Sorgerechtsregelung ausschloû, wird jedoch in beiden Entscheidungen nicht erörtert. Diese Frage wird sich nicht ohne weiteres - als selbstverständlich - verneinen lassen. Immerhin hatte das Kind im Zeitpunkt der einstweiligen Anordnung bereits vier Monate, im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung sogar sechs Monate mit seinem Vater in Frankreich gelebt; auch hatte der Vater bereits Grundlagen für einen längerfristigen Aufenthalt des Kindes und dessen Integration in seine französische Umgebung geschaffen. Letztlich kann diese vorrangig vom Tatrichter zu beantwortende Frage hier aber offenbleiben.
b) Auch wenn nämlich für den von der Mutter am 20. Januar 1999 gestellten Sorgerechtsantrag ursprünglich eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründet war, so könnte eine solche Zuständigkeit den-
noch nicht (entsprechend § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) in der Weise fortwirken, daû die später begründete ausschlieûliche Zuständigkeit der französischen Gerichte , die sich aus Art. 1 MSA herleitet, dahinter zurücktritt. Die Frage, ob der Grundsatz der perpetuatio fori überhaupt FGG-Verfah ren erfaût, wird zum Teil verneint (vgl. etwa OLG Hamm FamRZ 1991, aaO 1347). Auûerdem ist umstritten, ob dieser Grundsatz auch für die internationale Zuständigkeit gilt (verneinend etwa Damrau FS für Bosch 1976, 103, 112 ff.; generell bejahend BAG JZ 1979, 647, 648 m. Anm. Geimer aaO 648 f.; BayObLG FamRZ 1993, 1469; Zöller/Greger ZPO 22. Aufl. § 261 Rdn. 12; Geimer IZPR Rdn. 1830 ff, 1835; einschränkend Stein/Jonas/Schumann ZPO 1997 § 261 Rdn. 86; MünchKomm/Lüke ZPO 2. Aufl., § 261 Rdn. 87; Musielak /Foerste ZPO 2. Aufl., § 261 Rdn. 14; Walchshöfer ZZP 80 (1967), 165, 226 f.). Diese Streitfragen bedürfen hier aber keiner Entscheidung. Auch kann dahin stehen , ob man die vertragsrechtliche ausschlieûliche Zuständigkeitsregel des Art. 1 MSA aufgrund eines aus dem autonomen nationalen Recht - hier aus § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO - hergeleiteten Grundsatzes einschränken darf, ohne daû ein Vorbehalt im MSA eine solche Einschränkung rechtfertigt. Für eine entsprechende Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO auf die internationale Zuständigkeit für FGG-Verfahren ist - worauf auch das Oberlandesgericht zu Recht hinweist - nämlich dann kein Raum, wenn die internationale Zuständigkeit in einem völkerrechtlichen Vertrag besonders geregelt ist und diese Regelung einen Schutzzweck verfolgt, der bei Anwendung des perpetuatio-Grundsatzes unterlaufen würde (vgl. auch Stein/Jonas/Schumann ZPO 21. Aufl., § 261 Rdn. 86). So liegen die Dinge hier: Das MSA trifft in seinem Art. 5 eine - unvollkommene - Regelung für den Fall, daû der gewöhnliche Aufenthalt des Minderjährigen in einen anderen Ver-
tragsstaat verlegt wird: Maûnahmen, welche die Behörden des Staates des früheren gewöhnlichen Aufenthalts bereits getroffen haben, bleiben dann so lange in Kraft, bis die Behörden des neuen gewöhnlichen Aufenthalts sie aufheben oder ersetzen (Art. 5 Abs. 1 MSA). Nicht ausdrücklich geregelt ist die Frage, wie zu verfahren ist, wenn Maûnahmen zwar vor dem Aufenthaltswechsel beantragt oder vorbereitet worden sind, aber nicht mehr rechtzeitig getroffen werden können. Die Antwort ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Art. 1 und Art. 5 MSA: Mit dem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts erlischt die Zuständigkeit der Behörden am bisherigen Aufenthaltsort; zuständig werden die Behörden des Staates, in dem der neue gewöhnliche Aufenthalt des Minderjährigen begründet wird. Maûnahmen sollen deshalb am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts nicht mehr getroffen werden können - und zwar auch dann nicht, wenn sie dort bereits beantragt oder sogar schon vorbereitet worden sind. Dieses Prinzip rechtfertigt sich aus der Überlegung, daû die Behörden am neuen Aufenthaltsort die aktuelle Situation des Minderjährigen - d.h. seine familiären und sozialen Verhältnisse, die bei der Prüfung und Handhabung von Schutzmaûnahmen im Vordergrund stehen - am schnellsten und besten beurteilen können und dabei die Möglichkeit haben, mit den Behörden des früheren Aufenthalts zusammenzuarbeiten (Staudinger/Kropholler BGB 13. Bearb., Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rdn. 147). Daraus folgt, daû für eine Anwendung des Grundsatzes der perpetuatio fori kein Raum ist, wenn - wie im vorliegenden Fall - der gewöhnliche Aufenthalt eines Minderjährigen in einen anderen Vertragsstaat verlegt wird, während im Inland ein gerichtliches Verfahren anhängig ist und in diesem Verfahren eine Tatsacheninstanz über eine Schutzmaûnahme im Sinne des Art. 1 MSA zu entscheiden hat. In diesem Falle ist die Schutzmaûnahme noch nicht im Sinne des Art. 5 MSA "getroffen" und der mit ihr befaûte Tatrichter international nicht mehr zuständig. An der in einem solchen Fall fehlenden internationalen Zuständigkeit
der inländischen Gerichte ändert sich naturgemäû auch dann nichts, wenn - wie hier geschehen - das erstinstanzliche Gericht in Verkennung seiner fehlenden internationalen Zuständigkeit die Schutzmaûnahme erläût und sodann das Beschwerdegericht mit dieser Schutzmaûnahme befaût wird. In diesem Fall hat - wie vom Oberlandesgericht zutreffend erkannt - das Beschwerdegericht die Schutzmaûnahme ersatzlos aufzuheben. Art. 5 MSA ändert an der Notwendigkeit einer solchen Aufhebung nichts: Der von dieser Vorschrift gewährte Bestandsschutz gilt nämlich nur für solche Schutzmaûnahmen, welche die Behörden des bisherigen Aufenthaltsortes im Rahmen der ihnen vom MSA zuerkannten Zuständigkeit getroffen haben. Er hat keineswegs die Aufgabe, die Geltung von Schutzmaûnahmen - hier die Sorgerechtsregelung des Familiengerichts - fortzuschreiben, die unter Verstoû gegen die vom MSA vorgenommene Zuständigkeitsverteilung erlassen worden sind. 4. Die angefochtene Entscheidung ist auch nicht - wie die weitere Beschwerde meint - deshalb fehlerhaft, weil das Oberlandesgericht sein Ermessen für die Inanspruchnahme der ihm von Art. 4 MSA eröffneten Zuständigkeit der Behörden des Heimatstaates nicht ausgeschöpft hat; denn die Voraussetzungen , unter denen Art. 4 MSA den Behörden des Heimatstaates eines Minderjährigen die Anordnung von Schutzmaûnahmen gestattet, liegen ersichtlich nicht vor. Der in Art. 1 MSA festgelegten vorrangigen Zuständigkeit der Behörden des Staates, in dem ein Minderjähriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, liegt - wie ausgeführt - der Gedanke zugrunde, daû die Behörden am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts die für Notwendigkeit, Art und Umfang von Schutzmaûnahmen maûgebenden sozialen und familiären Verhältnisse des Minderjährigen am besten und schnellsten ermitteln können. Deshalb eröffnet Art. 4 MSA eine konkurrierende Zuständigkeit der heimatstaatlichen Behörden im Grundsatz nur dann, wenn aufgrund besonderer Umstände ein Eingreifen der Heimatbehörden dem Wohl des Minderjährigen mehr dient und seinen Schutz
besser gewährleistet als ein Handeln der Behörden des Aufenthaltsstaates. Dafür sind Anhaltspunkte im vorliegenden Fall nicht ersichtlich: Bei der zu treffenden Sorgerechtsregelung müssen die konkreten Lebensverhältnisse des Kindes umfassend aufgeklärt und die Beteiligten persönlich gehört werden (§§ 12, 50 a ff. FGG). Dies wird sich nur ortsnah und nicht ohne Mithilfe der Behörden des Aufenthaltsstaates durchführen lassen. Beides spricht für die vorrangige Zuständigkeit der französischen Behörden. Mit deren Schutzkompetenz wird zudem der Gleichklang zwischen behördlicher Zuständigkeit und anwendbarem Recht verbürgt (Art. 2 MSA; Art. 21 EGBGB) und sichergestellt, daû die französischen Behörden für die Durchführung der von ihnen zu treffenden Schutzmaûnahmen Sorge zu tragen haben (vgl. Art. 4 Abs. 3 MSA). Daû die französischen Behörden nicht willens wären, solche Maûnahmen zu treffen, ist nicht vorgetragen; auch andere - besondere - Umstände, die ein Eingreifen gerade der Heimatbehörden als im Kindesinteresse geboten erscheinen lassen, sind nicht erkennbar.
Hahne Weber-Monecke Wagenitz Bundesrichter Dr. Ahlt ist Vézina krankheitshalber verhindert zu unterschreiben. Hahne

(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn

1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat;
2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste;
3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat;
4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat;
5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.

(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.

(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.

(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Verfahrenswert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Wert ist durch den Wert des Verfahrensgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Dies gilt nicht, soweit der Gegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung der Sprungrechtsbeschwerde ist Verfahrenswert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.