Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 12. Nov. 2013 - 5 UF 140/11

bei uns veröffentlicht am12.11.2013

Tenor

Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Verfahren über eine Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Donaueschingen vom 24.05.2011 (2 F 34/11 SO) wird zurückgewiesen.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller begehrt Verfahrenskostenhilfe für eine von ihm beabsichtigte Beschwerde.
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die nicht miteinander verheirateten Eltern des Kindes A., geb. am 23.07.2007. Der Kindesvater hat im Oktober 2009 die Vaterschaft anerkannt. Die Kindesmutter ist Inhaberin der alleinigen elterlichen Sorge.
Die Eltern lebten zunächst zusammen in einem Haushalt mit zwei weiteren Kindern der Mutter, die von zwei weiteren Vätern abstammen, S. D., geb. am 22.08.2001, und L. D., geb. am 19.10.2004.
Um Pfingsten 2010 trennten sich die Eltern. Der Kindesvater verblieb mit den drei Kindern der Kindesmutter in der ehemals ehelichen Wohnung, die Kindesmutter verließ diese Wohnung spätestens dann, als sie sich in der Schweiz einem neuen Lebenspartner zuwandte, mit diesem zusammenzog und Heiratspläne hatte. Die Kindesmutter sah ihre Kinder unregelmäßig an Wochenenden sowie in den Ferien, bei diesen Gelegenheiten nahm die Kindesmutter die drei Kinder auch mit an ihren neuen Wohnort in der Schweiz.
Für Anfang März 2011 plante die Kindesmutter den Umzug der Kinder an ihren neuen Wohnort in der Schweiz. Zu diesem Zweck ließ sie das Kindergeld, das bis einschließlich Januar 2011 auf das Konto des Kindesvaters überwiesen wurde, ab Februar 2011 auf ihr Konto überweisen. Bereits am 14.01.2011 meldete die Kindesmutter die Kinder beim Einwohnermeldeamt in der Schweiz an (I, 95); auch im Kindergarten bzw. in der Schule wurden die Kinder angemeldet.
Die Kindesmutter teilte Anfang 2011 dem Kindesvater mit, dass sie den Umzug der Kinder in die Schweiz plane.
Im vorliegenden Verfahren hat der Kindesvater mit Anwaltsschriftsatz, datiert auf den 01.03.2011, eingegangen beim Amtsgericht am 07.03.2011, einen Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge gestellt. Er hat sich auf die Verfassungswidrigkeit des damals geltenden § 1626a BGB berufen. Am 10.03.2011 ging mit Datum vom gleichen Tag ein Antrag des Antragstellers auf Verfahrenskostenhilfe ein, in dem ein „beigefügter Schriftsatz“ als „Entwurf“ bezeichnet wird (im VKH-Heft des Antragstellers).
Zwischen dem 03.03. und dem 09.03.2011 verzog die Kindesmutter mit den Kindern in die Schweiz. Ab Montag, den 14.03.2011, besuchten die beiden älteren Kinder die dortige Schule, das gemeinsame Kind A. wurde für die Einschulung zum August 2011 angemeldet (I, 101). Am 29.04.2011 heiratete die Kindesmutter ihren schweizerischen Lebensgefährten (I, 111). Dem gemeinsamen Kind wurde eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz erteilt, die als Einreisedatum den 09.03.2011 ausweist (I, 181).
Nachdem die Kindesmutter mit den Kindern Anfang März 2011 in die Schweiz gezogen war, beantragte der Kindesvater mit Anwaltsschriftsatz vom 10.03.2011, eingegangen beim Familiengericht am gleichen Tag, den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Dies ist Gegenstand des Parallelverfahrens (Az. 2 F 36/11 - 5 UF 139/11).
10 
Das Familiengericht Donaueschingen führte am 14.04.2011 eine Anhörung der Kindeseltern in beiden Verfahren durch (vgl. Protokoll I, 55). In diesem Rahmen wies es insbesondere darauf hin, dass eine internationale Zuständigkeit fehlen könnte.
11 
Mit Beschluss vom 24.05.2011 wies das Familiengericht Donaueschingen den Antrag des Kindesvaters zurück. Zur Begründung führt es aus, dass der Antrag unzulässig sei, da eine internationale Zuständigkeit nicht gegeben sei. Die Zuständigkeit richte sich nach dem KSÜ. Dieses verdränge die in Art. 8 EuEheVO geregelte perpetuatio fori. Ein Fall des widerrechtlichen Verbringens im Sinne von Art. 7 KSÜ bzw. Art. 10 EuEheVO sei nicht gegeben, da die Kindesmutter Inhaberin der alleinigen elterlichen Sorge sei. Das Kind habe mittlerweile seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz. Der Beschluss wurde dem Kindesvater am 26.05.2011 zugestellt (I, 217).
12 
Mit Anwaltsschreiben vom 24.06.2011, eingegangen beim Oberlandesgericht am 24.06.2011 (II, 5, der Stempel des Nachtbriefkastens auf II, 1 dürfte auch für diesen Schriftsatz gelten), beantragte der Kindesvater Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren. Zur Begründung verwies er auf den Entwurf einer Beschwerdeeinlegung und -begründung mit dem angekündigten Antrag:
13 
Unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Donaueschingen vom 24.05.2011 (Az. 2 F 34/11 SO) wird die alleinige elterliche Sorge für die minderjährige Tochter A. D., geboren am 23.07.2007, dem Kindesvater und Antragsteller übertragen.
14 
Es liege eine widerrechtliches Verbringen vor, da der Kindesvater seinen Antrag auf Alleinsorge vor dem Umzug in die Schweiz gestellt habe. Es gebe auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder in der Schweiz, weil die Kinder im Schwarzwald verwurzelt seien.
15 
Die Kindesmutter ist dem Antrag entgegen getreten. Die Kinder seien in der Schweiz integriert.
16 
Das Jugendamt hat mit Schreiben vom 18.07.2011 (II, 45) Stellung genommen und ausgeführt, dass es von einem rechtmäßigen Aufenthaltswechsel ausgeht, da die Mutter die alleinige elterliche Sorge habe, so dass eine internationale Zuständigkeit nicht mehr bestehe.
17 
Am 11.12.2011 schlossen die Kindeseltern eine vorläufige Vereinbarung über den Umgang des Kindesvaters mit dem gemeinsamen Kind (II, 53).
18 
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
19 
Der Antrag des Kindesvaters auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist zurückzuweisen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet, § 76 Abs. 1 FamFG mit § 114 ZPO.
20 
Zu Recht hat das Familiengericht mit dem Beschluss vom 24.05.2011 den Antrag des Kindesvaters auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge zurückgewiesen, da dieser mangels internationaler Zuständigkeit unzulässig ist. Auch bei Einlegung des im Verfahrenskostenhilfeverfahren angezeigten großzügigen Maßstabs ist eine Erfolgsaussicht für ein Rechtsmittel dagegen nicht gegeben.
21 
Zur Begründung verweist der Senat zunächst auf die ausführlichen und überzeugenden Ausführungen im Beschluss vom 24.05.2011, die sich der Senat nach eigener Prüfung zu eigen macht. Nur ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen.
22 
Zutreffend hat das Familiengericht im bezeichneten Beschluss darauf hingewiesen, dass sich eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte hier lediglich aus Art. 8 Abs. 1 EuEheVO ergeben könnte. Danach sind für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, die Gericht des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Bei Anwendung dieser Vorschrift wären die deutschen Gerichte zuständig.
23 
Diese Zuständigkeit wird im vorliegenden Fall jedoch verdrängt durch die Vorschrift des Art. 5 Abs. 1 KSÜ, nach der die Gerichte des Vertragsstaats zuständig sind, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, so dass gem. Abs. 2 bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in einen anderen Vertragsstaat (nur) die Gerichte des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig sind (dazu im Folgenden unter 2.). Jedenfalls zum Zeitpunkt der Beantragung von Verfahrenskostenhilfe für das vorliegende Beschwerdeverfahren Ende Juni 2011 ist ohne jeden Zweifel von einem Aufenthaltswechsel des Kindes in die Schweiz auszugehen (dazu im Folgenden unter 3.).
1.
24 
Zunächst besteht keine gem. Art. 5 Abs. 2 KSÜ bzw. Art. 8 Abs. 2 EuEheVO vorrangige Zuständigkeit nach Art. 7 KSÜ bzw. Art. 10 EuEheVO, da kein widerrechtliches Verbringen des Kindes vorliegt. Zu Recht hat das Amtsgericht insoweit im angefochtenen Beschluss darauf hingewiesen, dass es nach den entsprechenden Legaldefinitionen in Art. 7 Abs. 2 KSÜ bzw. Art. 2 Nr. 11 EuEheVO auf das Verletzen eines Sorgerechts ankommt. Das Sorgerecht stand jedoch der Kindesmutter allein zu. Allein die Möglichkeit für den Kindesvater, wegen der verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die damalige Vorschrift des § 1626a BGB eine entsprechende Abänderung erreichen zu können, führte noch nicht dazu, dass im Sinne dieser Vorschriften eine gemeinsame Sorge oder gar Alleinsorge des Kindesvaters angenommen werden könnte.
2.
25 
Ein in der Schweiz begründeter Aufenthalt des Kindes führt zu einer dortigen Zuständigkeit gem. Art. 5 KSÜ. Art. 8 EuEheVO ist dann nicht (mehr) anwendbar.
26 
Gem. Art. 61 lit. a EuEheVO besteht ein Vorrang der EuEheVO gegenüber dem KSÜ nur dann, wenn das betreffende Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat. Dabei kommt es auf den Aufenthalt im Zeitpunkt der Sachentscheidung an, so dass nach einem Aufenthaltswechsel aus einem Mitgliedstaat der EuEheVO in einen Nichtmitgliedstaat, der aber Mitglied im KSÜ ist, eine perpetuatio fori nicht in Betracht kommt. Nur dann wird der Vorrang der nunmehr gem. Art. 5 KSÜ bestehenden internationalen Zuständigkeit gewahrt.
27 
Dieser Vorrang des internationalen Abkommens vor der Europäischen Verordnung entspricht im Verhältnis zwischen MSA und EuEheVO ganz allgemeiner Meinung, da auch dort durch völkerrechtskonforme Auslegung der Kollisionsnorm des Art. 60 lit. a EuEheVO ein Konflikt mit dem MSA vermieden werden soll (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.04.2012 - 17 UF 22/12 - Juris Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.02.2011 - 18 UF 6/11 - Umdruck, S. 5; Staudinger/Henrich, Bearbeitung 2008, Art. 21 EGBGB Rn. 159; NomosKommentar-BGB/Gruber, 2. Aufl., Band 1; Art. 60 EuEheVO Rn. 6; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, Kap. B, Rn. 76).
28 
Dies gilt aber in gleicher Weise auch für das Verhältnis der EuEheVO zum KSÜ (im Ergebnis ebenso OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.02.2011 - 18 UF 6/11 - Umdruck, S. 5; MünchKomm-FamFG/Rauscher, 2. Aufl., § 99 Rn. 38; Prütting/Hau, FamFG, 3. Aufl., Vor §§ 98-106 Rn. 12; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, Kap. B, Rn. 260; Staudinger/Henrich, Bearb. 2008, Art. 21 EGBGB Rn. 160a; a.A. ohne nähere Begründung Staudinger/Spellenberg, Bearb. 2005, Art. 61 EheGVO Rn. 3). Mit der Vorschrift des Art. 61 lit. a EuEheVO soll ein Konflikt mit der Zuständigkeit nach Art. 5 KSÜ eines Staates vermieden werden, für den die EuEheVO nicht gilt. Diese Vorschrift in der EuEheVO aus dem Jahre 2003 beruht darauf, dass sich bei Abschluss des KSÜ im Jahre 1996 die Vertragsstaaten in Art. 52 Abs. 2 bis 4 KSÜ verpflichtet haben, in künftigen zwischenstaatlichen Vereinbarungen oder regionalem Einheitsrecht den Vorrang des KSÜ gegenüber Drittstaaten zu wahren. Zum hier relevanten Zeitpunkt der Beantragung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bestand aber gem. Art. 5 KSÜ eine internationale Zuständigkeit der Schweiz, auch wenn diese erst nach Einleitung des inländischen deutschen Verfahrens entstanden ist. Ein solcher Übergang der Zuständigkeit auf den Staat des neuen Aufenthalts ist in Art. 5 Abs. 2 KSÜ ausdrücklich vorgesehen, anders als in Art. 8 EuEheVO. Ein Konflikt mit der hier nunmehr bestehenden Zuständigkeit der Schweiz gem. Art. 5 Abs. 2 KSÜ kann nur dann vermieden werden, wenn Art. 8 EuEheVO mit seiner dem KSÜ fremden perpetuatio fori gem. Art. 61 lit. a EuEheVO nicht gilt, weil kein gewöhnlicher Aufenthalt in einem Mitgliedstaat im Sinne von Art. 2 Nr. 3 EuEheVO (mehr) besteht.
29 
Soweit ganz vereinzelt in der Literatur vertreten wird, im Bereich der internationalen Zuständigkeit sei wegen des anderen Wortlauts in Art. 61 EuEheVO gegenüber Art. 60 EuEheVO (in ersterem fehlen die Worte „im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten“) das MSA weitergehend vorrangig gegenüber der EuEheVO als das KSÜ zur EuEheVO (so NomosKommentar-BGB/Gruber, a.a.O., Art. 61 EuEheVO Rn. 4), überzeugt dies nicht. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese etwas andere Formulierung auf einer sachlichen Entscheidung des Verordnungsgebers beruht (so auch Gruber selbst, a.a.O., Art. 60 EuEheVO Rn. 5). In den ersten Entwürfen zur EuEheVO war das KSÜ auch noch als weiterer Buchstabe im heutigen Art. 60 EuEheVO aufgeführt (vgl. KOM (2002) 222 endg., S. 51), obwohl deutlich war, dass gegenüber dem KSÜ der Vorrang der EuEheVO weniger weit geht. Die Kommission hielt zunächst eine ausdrückliche Beschränkung des Vorrangs der Verordnung auf Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat haben, nicht für erforderlich, weil dies ihrer Ansicht nach unmittelbar aus Art. 52 KSÜ folge (a.a.O., S. 20 f.). In einem weiteren Zwischenschritt war dann überlegt worden, an den entsprechenden Buchstaben für das KSÜ im heutigen Art. 60 eine textliche Klarstellung anzufügen (vgl. Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes vom 30.04.2003, Nr. 8281/03, S. 31). Die dann erfolgte Ausgliederung des KSÜ aus der heutigen Vorschrift des Art. 60 EuEheVO in einen eigenen Art. 61 EuEheVO war - soweit ersichtlich - jedenfalls im Bereich der internationalen Zuständigkeit nicht mit einer Erweiterung des Vorrangs der EuEheVO verbunden, vielmehr sollte dieser Vorrang eingeschränkt werden.
3.
30 
Schließlich besteht jedenfalls zum Zeitpunkt der Beantragung von Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerde Ende Juni 2011 kein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes in Deutschland mehr.
31 
Unter dem Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ eines Kindes ist der Ort zu verstehen, an dem eine gewisse Integration des Kindes in ein soziales und familiäres Umfeld zu erkennen ist. Dieser Ort ist unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls festzustellen (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 - C-497/10 PPU - Juris Rn. 47 m.w.N.). Dabei kann die Absicht des betreffenden Elternteils, sich mit dem Kind in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, die sich in bestimmten äußeren Umständen wie dem Erwerb oder der Anmietung einer Wohnung im Aufnahmemitgliedstaat manifestiert, ein Indiz für die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts sein (EuGH, a.a.O., Rn. 50). Zwar ist zur Unterscheidung des gewöhnlichen Aufenthalts von einer bloßen vorübergehenden Anwesenheit festzustellen, dass der gewöhnliche Aufenthalt grundsätzlich von gewisser Dauer sein muss, damit ihm ausreichende Beständigkeit innewohnt. Allerdings ist dabei keine Mindestdauer erforderlich. Maßgebend für die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts in den Aufnahmestaat ist nämlich vor allem der Wille des betreffenden Elternteils, dort den ständigen oder gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Interessen in der Absicht zu begründen, ihm Beständigkeit zu verleihen. Die Dauer eines Aufenthalts kann daher nur als Indiz im Rahmen der Beurteilung seiner Beständigkeit dienen, die im Licht aller besonderen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist (EuGH, a.a.O., Rn. 51, im konkreten Fall befand sich das Kind zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts erst seit vier Tagen im Ausland, a.a.O. Rn. 43). So kommt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Zielstaat auch nach kurzer Zeit dann in Betracht, wenn der Aufenthalt von vornherein auf Dauer angelegt und die auf Dauer angelegte Ausreise rechtmäßig erfolgt ist (BGH FamRZ 2011, 542, 545, Rn. 35; OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 239). Der von der Europäischen Kommission herausgegebene „Leitfaden zur Anwendung der neuen Verordnung Brüssel II“ hält daher für möglich, dass ein Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt am Tag seiner Ankunft in einem Mitgliedstaat erwirbt (S. 15).
32 
Zu Recht hat das Familiengericht im angefochtenen Beschluss darauf hingewiesen, dass angesichts der mindestens seit Januar 2011 dokumentierten Planungen und Vorbereitungen der Kindesmutter und der tatsächlich erfolgten sofortigen Integration des Kindes und seiner Geschwister in die dortigen Lebensverhältnisse (Aufenthaltserlaubnis und Kindergartenbesuch) ein unmittelbar mit Umzug erfolgter Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts vorliegt. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Beantragung von Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerde Ende Juni 2011 kann der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in der Schweiz nicht mehr in Zweifel gezogen werden.
33 
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht.

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(1) Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, so steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu,

1.
wenn sie erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärungen),
2.
wenn sie einander heiraten oder
3.
soweit ihnen das Familiengericht die elterliche Sorge gemeinsam überträgt.

(2) Das Familiengericht überträgt gemäß Absatz 1 Nummer 3 auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Trägt der andere Elternteil keine Gründe vor, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, und sind solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich, wird vermutet, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht.

(3) Im Übrigen hat die Mutter die elterliche Sorge.

(1) Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.

(2) Ein Beschluss, der im Verfahrenskostenhilfeverfahren ergeht, ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572, 127 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung anfechtbar.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, so steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu,

1.
wenn sie erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärungen),
2.
wenn sie einander heiraten oder
3.
soweit ihnen das Familiengericht die elterliche Sorge gemeinsam überträgt.

(2) Das Familiengericht überträgt gemäß Absatz 1 Nummer 3 auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Trägt der andere Elternteil keine Gründe vor, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, und sind solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich, wird vermutet, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht.

(3) Im Übrigen hat die Mutter die elterliche Sorge.

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners / Vaters wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 21. Dezember 2011 - 26 F 1932/11 -

aufgehoben.

2. Der verfahrensbeteiligten Mutter wird im zweiten Rechtszug ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwältin R. beigeordnet.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

5. Der Beschwerdewert wird auf EUR 3.000,00 festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die beteiligten Eltern streiten um den Umgang der in Österreich lebenden Mutter mit der gemeinsamen, am ... April 2005 geborenen Tochter L., die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Die Eltern waren nicht miteinander verheiratet, führten aber eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Der Vater besitzt die deutsche und türkische, die Mutter die österreichische Staatsangehörigkeit. Die Beteiligten zogen im Sommer 2006 nach Deutschland und leben seit ca. August 2006 voneinander getrennt. Mit Senatsbeschluss vom 05. Oktober 2010 (Az: 17 UF 223/08) wurde das Sorgerecht für das Kind auf den Vater übertragen. Das Umgangsrecht der Mutter mit L. war am 13. Oktober 2008 (Az: 26 F 87/07) durch das Familiengericht Stuttgart geregelt worden.
Ende September 2011 beantragte die Mutter beim Familiengericht Stuttgart eine Neuregelung des Umgangs. Der Antrag wurde der Verfahrensbevollmächtigten des Vaters am 07. Oktober 2011 zugestellt. Der Vater meldete sich am 12. Oktober 2011 beim zuständigen Einwohnermeldeamt in S. ab und verzog nach B. in der Türkei. Die Anmeldung erfolgte am 14. Oktober 2011. Seit dem 14. Oktober 2011 besucht L. die Grundschule in B.. Die Mutter stellte daher ihren ursprünglichen Umgangsantrag dahin um, dass ein Umgang außerhalb der türkischen Unterrichtszeiten stattfinden solle.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Familiengericht, das seine internationale Zuständigkeit bejaht hat, eine Umgangsregelung innerhalb der türkischen Schulferien im Januar und August / September 2012 angeordnet. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Vaters, der die internationale Zuständigkeit rügt.
Der Senat entscheidet ohne erneute Anhörung der Beteiligten.
II.
1.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff. FamFG statthaft und zulässig. Im Ergebnis führt sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Denn es fehlt an der vorauszusetzenden internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 17. Februar 2010 - XII ZB 68/09).
2.
Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-Verordnung = EuEheVO) sind für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, an sich die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Zum Zeitpunkt der Einreichung des Umgangsantrages hatte L. noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Gleichwohl ist die internationale Zuständigkeit nunmehr entfallen, da das Kind in der Türkei seinen gewöhnlichen Aufenthalt erlangt hat und daher eine fortbestehende internationale Zuständigkeit nicht mehr gegeben ist.
Zwar lässt sich Art. 8 Abs. 1 EuEheVO der Grundsatz einer „perpetuatio fori“ entnehmen, wonach das bei Antragstellung zuständige Gericht auch dann international zuständig bleibt, wenn das Kind während des Verfahrens in einem anderen als dem angerufenen Staat einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erwirbt (BGH, Beschl. v. 17. Februar 2010 - XII ZB 68/09).
Allerdings ist im Rahmen der EuEheVO zu unterscheiden, ob es sich bei diesem Staat um einen Vertragsstaat oder um einen anderen völkerrechtlich gebundenen Staat handelt. Nur Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind vom Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 1 EuEheVO und damit auch von einer „perpetuatio fori“ betroffen. Für Nichtmitgliedsstaaten verbleibt es dagegen zunächst bei den unmittelbar zwischen einem Mitgliedsstaat und einem nicht durch die EuEheVO gebundenen Drittstaat getroffenen völkerrechtlichen Vereinbarungen. Der Vorrang völkerrechtlicher Verträge folgt bereits aus Art. 60 lit. a EuEheVO, wonach die Vorschriften der EuEheVO nur im Verhältnis der Mitgliedsstaaten untereinander vorrangig zur Anwendung gelangen.
10 
Die Türkei ist nicht Mitglied der Europäischen Union, dagegen Mitglied des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 05. Oktober 1961 (MSA). Dem Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (KSÜ) ist die Türkei allerdings bislang nicht beigetreten. Zwischen der Türkei und Deutschland gilt das MSA seit dem 16. April 1984, wobei auch Umgangsverfahren dem Anwendungsbereich des MSA unterfallen (vgl. u.a. OLG Stuttgart, FamRZ 1998, 1321).
11 
Im Verhältnis zur Türkei verbleibt es deshalb bei den Vorschriften des MSA (vgl. auch NK-BGB/Gruber, 2. Aufl. 2012, Art. 60 EuEheVO, Rn. 4 m.w.N. in Fußn. 988 sowie Andrae, Internationales Familienrecht, 2. Aufl. 2006, § 6 Rn. 46).
12 
Soweit der BGH (Beschl. v. 17. Februar 2010 - XII ZB 68/09) von einer fortbestehenden Zuständigkeit nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO auch im Verhältnis zu Nichtmitgliedsstaaten ausgehen sollte, folgt dem der Senat nicht. Denn die EuEheVO bezweckt nicht den Eingriff in völkerrechtliche Beziehungen ihrer Mitgliedsstaaten gegenüber Nichtmitgliedsstaaten (vgl. Staudinger-Spellenberg, BGB, Neubearbeitung 2005, Art. 12 EuEheVO Rn. 34), weshalb die Regelungen der Europäischen Union bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts lediglich innerhalb ihrer Mitgliedsstaaten Anwendung finden können. Eine Überlagerung völkerrechtlicher Verträge durch eine extensive Auslegung des Art. 8 Abs. 1 EuEheVO findet daher nicht statt. Überdies dürfte auch eine Umgangsentscheidung, für die sich das erkennende Familiengericht Stuttgart aufgrund der EuEheVO für zuständig erachtet hat, in einem Nichtmitgliedsstaat, der lediglich völkerrechtlich gebunden ist, auch nicht anerkennungs- und vollstreckungsfähig sein, da sich der Nichtmitgliedsstaat nur völkerrechtlich, nicht aber auf Grund der Bestimmungen der EuEheVO gebunden sieht.
13 
Bei einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes L. in B. in der Türkei, finden die Vorschriften des MSA Anwendung.
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Das internationale Kindschaftsrecht definiert den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nicht. Da sämtliche internationale Abkommen auf diesem Gebiet letztendlich dem Schutz des Kindeswohles dienen, ist von einem einheitlichen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts auszugehen (Winkler von Mohrenfels, FPR 2001, 189, 190 m.w.N.). Nach der umfangreichen Definition des EuGH (Urteil vom 02.04.2009 - RS. C-523/07) ist der gewöhnliche Aufenthalt der Ort, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes ist. Hierfür sind insbesondere die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedsstaat sowie die Gründe für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen. Nach Ansicht des BGH (Beschluss vom 09.02.2011 - XII ZB 182/08) kommt der Erwerb eines gewöhnlichen Aufenthalts auch nach kurzer Zeit dann in Betracht, wenn der Aufenthalt in einem neuen Staat von vornherein auf Dauer angelegt und die auf Dauer angelegte Ausreise rechtmäßig erfolgt ist. Der gewöhnliche Aufenthalt stellt auf den tatsächlichen Mittelpunkt der Lebensführung einer Person ab. Auf den Willen, sich an einem Ort auf Dauer niederzulassen, kommt es nicht an. Aus Sicht des Kindes stellt sich ein Aufenthalt an einem neuen Ort umso mehr als „gewöhnlich“ dar, je länger es sich an diesem Ort aufhält (OLG Frankfurt, FamRZ 2006, 883, 884). Hat der Aufenthalt jedenfalls sechs Monate gedauert, wird vielfach von einem gewöhnlichen Aufenthalt ausgegangen (OLG Karlsruhe, FamRZ 2010, 1577).
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Da insbesondere junge Kinder im Hinblick auf eine andere zeitliche Relation sich leichter an eine neue Umgebung gewöhnen, lässt diese Dauer des Aufenthalts auf eine gewisse soziale Integration schließen. Für das zum Zeitpunkt des Umzugs sechsjährige Mädchen sind des Weiteren der Umfang und die Intensität der Beziehungen zu Familienangehörigen von besonderem Gewicht. Der Vater ist die Hauptbezugsperson des Kindes. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes hängt rechtlich nicht vom Willen des Sorgeberechtigten ab. Indes kann hier nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, dass der Umzug zusammen mit dem alleinsorgeberechtigten Vater erfolgte. Seit dem Umzug sind nunmehr knapp sechs Monate vergangen, wobei zum jetzigen Zeitpunkt auch von einer weitgehenden sozialen Integration von L. ausgegangen werden muss. L. geht in B. seit Oktober vergangenen Jahres in die Schule, erhält Deutsch- und Englischunterricht, spielt Klavier, besucht einen Schachverein und hat offensichtlich soziale Kontakte. Somit hat L. ihren Lebensmittelpunkt in B. in der Türkei.
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Bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts im Anwendungsbereich des MSA ist für eine „perpetuatio fori“ kein Raum mehr, weil mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts die Zuständigkeit am früheren Aufenthaltsort des Minderjährigen zwangsläufig erlischt (BGH, Beschl. v. 22. Juni 2005 - XII ZB 186/03). Dies hat auch in der Rechtsmittelinstanz zu gelten. Denn vorrangig ist auf die fortbestehende internationale Zuständigkeit abzustellen.
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Maßgebend für die Beurteilung der fortbestehenden internationalen Zuständigkeit ist nicht der Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung, sondern vielmehr der Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts (so wohl auch BGH, Beschl. v. 05. Juni 2002 - XII ZB 74/00). Es kommt nicht darauf an, dass das erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit noch bejaht hat, weil es im Zeitpunkt des Erlasses seiner Entscheidung noch von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in Deutschland ausgehen konnte, unabhängig davon, dass es lediglich seine Zuständigkeit nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO bejaht hatte. Entscheidend ist auf den Schutzzweck des Art. 1 MSA abzustellen, wonach dieser Vorschrift der Gedanke zugrunde liegt, dass die Behörden am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts die für Notwendigkeit, Art und Umfang von Schutzmaßnahmen maßgebenden sozialen und familiären Verhältnisse des Minderjährigen am besten und schnellsten ermitteln können (vgl. BGH, Beschl. v. 05. Juni 2002 - XII ZB 74/00). Gerade in Umgangsverfahren können die Gerichte am Aufenthaltsort unter Zuhilfenahme der zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen treffen und soweit notwendig auch die jeweiligen Modalitäten zum Wohl des Kindes umfassend regeln. Das zunächst angerufene Gericht besitzt diese Kompetenz schon im Hinblick auf unterschiedliche Verfahrensordnungen in der Regel nicht. Lediglich innerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mag auf Grund der Vereinheitlichung des Rechts etwas anderes gelten, zumal gem. Art. 41 Abs. 1 EuEheVO auf ein Exequaturverfahren verzichtet wurde.
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Der Prüfung der internationalen Zuständigkeit auch in der Rechtsmittelinstanz steht im konkreten Fall auch nicht Art. 5 Abs. 3 MSA entgegen, wonach bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts die in dem Ursprungsstaat nach innerstaatlichen Recht getroffenen Maßnahmen im Staat des neuen gewöhnlichen Aufenthalts in Kraft bleiben. Nach Ansicht des Senates soll Art. 5 Abs. 3 MSA im Verhältnis der Vertragsstaaten lediglich gewährleisten, dass unanfechtbar gewordene Entscheidungen im Ursprungsstaat zunächst weiter gelten, sofern die konkreten Umstände nicht eine Änderung rechtfertigen sollten. Dagegen lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des Art. 5 Abs. 3 MSA entnehmen, dass eine innerstaatliche, noch nicht rechtskräftige Regelung wegen einer im Zeitpunkt der Entscheidung fehlenden internationalen Zuständigkeit, die vorrangig zu prüfen ist, nicht durch das Beschwerdegericht aufgehoben werden kann (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1991, 1346; wohl auch OLG Köln, MDR 1999, 1199; a.A. offensichtlich OLG Hamburg, IPrax 1986, 386; BayObLG, BayObLGZ 1976, 25; beide Gerichte gehen allerdings bereits von einer „perpetuatio fori“ aus).
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Nach alledem war der Beschluss des Familiengerichts Stuttgart aufzuheben, da eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte entfallen ist.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG, die Festsetzung des Verfahrenswertes auf §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 FamGKG. Die Rechtsbeschwerde wird zur Klärung der Frage zugelassen, ob und in wie weit deutsche Gerichte in der Rechtsmittelinstanz nach der (endgültigen) Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts noch zuständig sind (§ 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).