Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 25. Apr. 2012 - 17 UF 35/12

bei uns veröffentlicht am25.04.2012

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragstellers / Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 25. Januar 2012 - 24 F 2504/11 - wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

2. Der Antragsteller / Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Beschwerdewert wird auf EUR 5.000,00 festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Rückführung der gemeinsamen Tochter J. G. L., geboren am 20. Dezember 2007.
Der Antragsteller ist belgischer Staatsangehöriger, die Antragsgegnerin deutsche Staatsangehörige. Die in G. in Belgien geborene J. besitzt sowohl die belgische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit.
Die beteiligten Elternteile haben sich als Studenten im Juni 2006 in Spanien kennengelernt. Nach Rückkehr in ihre jeweiligen Heimatländer führten die Beteiligten eine Fernbeziehung, wobei die Antragsgegnerin im Jahr 2007 schwanger wurde. Am 11. Juli 2007 ist die Antragsgegnerin im 4. Schwangerschaftsmonat zum Antragsteller nach G. gezogen. Die Beteiligten lebten in der Folgezeit in G. bis zum 31. Januar 2010 zusammen, wobei sie ihre Beziehung im Laufe des Jahres 2009 bereits beendet hatten. Die Antragsgegnerin ist mit J. am 01. Februar 2010 unter im Einzelnen zwischen den Beteiligten streitigen Umständen nach Deutschland zurückgekehrt. In der Folgezeit hielt sich J. bis zum 31. August 2010 abwechselnd beim Vater in G. und bei der Mutter in K. in Deutschland auf.
Bereits am 05. Juni 2010 hatte der Antragsteller beim zuständigen Jugendgericht in G. einen Sorgerechtsantrag eingereicht, wobei die Antragsgegnerin nach deren Vorbringen erstmals am 02. Dezember 2010 hiervon Kenntnis erlangt hatte. Mit Beschluss vom 13. Juli 2011 wurde das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater übertragen. Gegen diese Entscheidung hat die Antragsgegnerin Berufung eingelegt, wobei eine abschließende Entscheidung nicht vor Ende Juni 2012 ergehen wird.
Am 04. August 2010 teilte die Antragsgegnerin dem antragstellenden Vater mit, dass J. ab September 2010 in K. in den Kindergarten gehen werde. Mit E-Mail vom gleichen Tage erwiderte der Antragsteller, dass ein Einvernehmen hinsichtlich des Kindergartenbesuches in Deutschland niemals erzielt worden sei. Mit der gegenwärtigen Situation sei er jedenfalls nicht einverstanden. Mit einem weiteren E-Mail, datierend vom 09. September 2010 teilte der Antragsteller mit, dass beide Eltern sorgeberechtigt seien. Die Mutter habe seinen Respekt verloren, weil sie die gemeinsame Tochter „gekidnapped“ habe. Der Vater schlug eine für alle Beteiligten akzeptable zukünftige Vereinbarung vor; eine solche kam allerdings nicht zustande.
In der Folgezeit befand sich J. im Zeitraum vom 29. Oktober bis 14. November 2010 beim Vater in Belgien. Den geplanten Weihnachtsumgang sagte die Mutter am 22. Dezember 2010 ab, da zuvor die rechtliche Situation durch das belgische Gericht geklärt sein müsse. Im Februar 2011 befand sich J. für zwei Wochen beim Vater, ebenso vom 15. April bis 06. Mai 2011 sowie vom 17. Juli bis 15. August 2011. Am 01. September 2011 reichte der Antragsteller bei der zuständigen zentralen Behörde in Belgien einen Rückführungsantrag ein, von dem die Antragsgegnerin Anfang November 2011 Kenntnis erlangt hatte.
Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2011, eingegangen beim Familiengericht Stuttgart am gleichen Tage, stellte der Antragsteller einen Herausgabeantrag zum Zwecke der Rückführung von J. nach Belgien.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Familiengericht nach Anhörung der Beteiligten den Rückführungsantrag zurückgewiesen. Ab September 2010 habe ein widerrechtliches Zurückhalten vorgelegen. Durch den Aufenthalt von J. in den Herbstferien und den folgenden Ferienaufenthalten beim Vater sei das Zurückhalten allerdings beendet worden sei. Deshalb fehle es an der Kausalität zwischen dem widerrechtlichen Zurückhalten im September 2010 und dem jetzigen Aufenthalt von J. in Deutschland. In der einvernehmlichen Durchführung des Umgangs liege überdies eine konkludente Genehmigung des Vaters.
Gegen diesen dem Antragsteller am 30. Januar 2012 zugestellten Beschluss richtet sich die am 13. Februar 2012 beim Amtsgericht eingereichte Beschwerde des Antragstellers. Zur Begründung beruft sich der Antragsteller im Wesentlichen auf die weiterbestehende Kausalität zwischen dem widerrechtlichen Zurückhalten und dem jetzigen Aufenthalt von J. in Deutschland sowie auf die fehlende (konkludente) Genehmigung. Die Jahresfrist sei nicht versäumt worden, jedenfalls aber habe sich J. nicht in K. eingelebt.
10 
Die Antragsgegnerin verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
11 
Mit Beschluss vom 05. März 2012 hat der Senat für J. einen Verfahrensbeistand bestellt.
12 
Der Senat hat J. und deren Eltern in der Sitzung vom 17. April 2012 ausführlich angehört. Der Verfahrensbeistand hat in der Sitzung vom 17. April 2012 seine schriftliche Stellungnahme nochmals mündlich erläutert.
II.
13 
Die gemäß § 40 Absatz 2 Satz 1 IntFamRVG i.V.m. § 58 FamFG statthafte und gemäß § 40 Absatz 2 Satz 2 IntFamRVG i.V.m. § 63 Absatz 1 FamFG fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig.
14 
In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Familiengericht Stuttgart hat auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (HKiEntfÜ) zu Recht nicht die Herausgabe des Kindes zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Belgien angeordnet. Entgegen der Auffassung des Antragstellers sind die Voraussetzungen für eine Rückführung gemäß Art. 12 HKiEntfÜ nicht erfüllt.
1.
15 
Nach Art. 12 Abs. 1 HKiEntfÜ i.V.m. den in Art. 11 der EG-Ratsverordnung vom 27.11.2003, Nr. 2201/2003 (EuEheVO) enthaltenen Ausführungsbestimmungen wird die Rückführung angeordnet, wenn ein Kind unter 16 Jahren widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbracht oder dort zurückgehalten worden ist und bei Eingang des Antrages beim zuständigen Gericht noch kein Jahr vergangen ist. Bei Versäumung der Jahresfrist erfolgt gleichwohl eine Rückführung des Kindes, sofern sich dieses noch nicht in die neue Umgebung eingelebt hat (Art. 12 Abs. 2 HKiEntfÜ).
16 
Der am 19. Dezember 2011 eingegangene Rückführungsantrag hat die Jahresfrist nicht gewahrt und J. ist inzwischen in Deutschland sozial integriert.
a.
17 
J. unterfällt dem Anwendungsbereich des Haager Kindesentführungsabkommens, da sie vor einer widerrechtlichen Verletzung des Sorgerechtes, also der ersten nach außen erkennbar werdenden Verletzung des Sorgerechtes (vgl. OLG Saarbrücken, FamRZ 2011, 1235; Staudinger / Pirrung, BGB, Neubearbeitung 2009, Vorbemerkung D zu Art. 19 EGBGB, Rn. D 34), ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 4 Satz 1 HKiEntfÜ in Belgien hatte.
aa.
18 
Das internationale Kindschaftsrecht definiert den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nicht. Da sämtliche internationale Abkommen auf diesem Gebiet letztendlich dem Schutz des Kindeswohles dienen, ist von einem einheitlichen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts auszugehen (Winkler von Mohrenfels, FPR 2001, 189, 190 m.w.N.). Nach der umfangreichen Definition des EuGH (Urteil vom 02. April 2009 - Rs. C-523/07, FamRZ 2009, 843, 845 sowie Urteil vom 22. Oktober 2010 - Rs. C-497/10, FamRZ 2011, 617, 619) ist der gewöhnliche Aufenthalt der Ort, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes ist. Hierfür sind insbesondere die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedsstaat sowie die Gründe für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen. Der gewöhnliche Aufenthalt stellt auf den tatsächlichen Mittelpunkt der Lebensführung einer Person ab. Auf den Willen, sich an einem Ort auf Dauer niederzulassen, kommt es nicht an. Aus Sicht des Kindes stellt sich ein Aufenthalt an einem neuen Ort umso mehr als „gewöhnlich“ dar, je länger es sich an diesem Ort aufhält (OLG Frankfurt, FamRZ 2006, 883, 884). Hat der Aufenthalt jedenfalls sechs Monate gedauert, wird vielfach von einem gewöhnlichen Aufenthalt ausgegangen (Senatsbeschluss vom 12. April 2012 - 17 UF 22/12; OLG Karlsruhe, FamRZ 2010, 1577).
bb.
19 
Ausgehend von diesen Grundsätzen hatte J. im Zeitpunkt des widerrechtlichen Zurückhaltens (dazu sogleich unter b.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt noch in Belgien. Bis zum 01. Februar 2010 hatte J. jedenfalls unstreitig ihren Lebensmittelpunkt in Belgien, da sie dort mit ihren beiden Eltern lebte. Wie das Familiengericht Stuttgart zutreffend ausgeführt hatte, änderte sich auch nichts am gewöhnlichen Aufenthalt von J. bis Ende August 2010, da sich J. sowohl bei der Antragsgegnerin als auch beim Antragsteller aufgehalten hat. Ein Daseinsschwerpunkt in Deutschland lässt sich bis Ende Juli / Ende August 2010 nicht feststellen.
b.
20 
J. wurde zudem durch die Antragsgegnerin widerrechtlich zurückgehalten.
aa.
21 
Eine Verletzung des Sorgerechtes nach Art. 3 Satz 1 HkiEntfÜ liegt in jedem Zurückhalten durch den Entführer zu seinen Gunsten, das die Ausübung des Sorgerechtes oder auch nur des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechtes durch den Mitsorgeberechtigten beeinträchtigt, das heißt es ihm tatsächlich unmöglich macht, alle oder einzelne Befugnisse oder Verpflichtungen des Sorgerechtsinhabers wahrzunehmen (OLG Zweibrücken, FamRZ 2011, 1235; Staudinger / Pirrung, a.a.O., Rn. D 33). Maßgebend ist auf das Recht desjenigen Staates abzustellen, in dem sich das Kind vor der Sorgerechtsverletzung (zuletzt) gewöhnlich aufgehalten hat. Damit ist auf die Artt. 373 und 374 des belgischen bürgerlichen Gesetzbuches abzustellen, wonach auch bei nicht verheirateten Eltern automatisch die gemeinsame Sorge besteht. Auf deutsche Verhältnisse, mithin § 1626a Abs. 1 BGB, kommt es deshalb nicht an.
22 
Das Zurückhalten ist ein einmaliges Handeln, kein Dauerzustand (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1992, 847 [ansonsten würde sich der rechtswidrige Zustand täglich erneuern] sowie Staudinger / Pirrung, a.a.O., Rn. D 23). Ein Zurückhalten ist gegeben, wenn sich die Elternteile bei bestehender gemeinsamer Sorge nicht über einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes einigen konnten und der andere Elternteil nunmehr ohne Einverständnis des anderen das Kind in der Absicht bei sich behält, mit dem Kind am jetzigen Ort einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen.
bb.
23 
Aufgrund der E-Mail der Antragsgegnerin vom 04. August 2010, in der sie den Antragsgegner von dem zukünftigen ständigen Verbleib von J. in K. und der endgültigen Kindergartenanmeldung unterrichtete, jedenfalls aber mit dem tatsächlichen Besuchs des Kindergartens in K. ab dem 01. September 2010 liegt ein widerrechtliches Zurückhalten vor. Der Vater hat in seinen E-Mails vom 04. August und 09. September 2010 hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er mit einer derartigen Vorgehensweise nicht einverstanden war.
24 
Die Kausalität ist nicht dadurch entfallen, dass sich J. in der Folgezeit beim Antragsteller aufgehalten hat. Unabhängig davon, dass dieser Aufenthalt lediglich in Wahrnehmung des dem Antragsteller zustehenden Umgangsrechtes erfolgte, erfordert das widerrechtliche Zurückhalten nach den Vorgaben des Haager Kindesentführungsabkommens keine fortbestehende Kausalität. Ansonsten wäre die Norm des Art. 13 Abs. 1 lit. a HKiEntfÜ, wonach ein rechtswidrig geschaffener Zustand nachträglich durch den Antragsteller genehmigt werden kann, letztlich überflüssig.
c.
25 
Allerdings ist der Antrag auf Rückführung des Kindes binnen eines Jahres seit dem widerrechtlichen Zurückhalten zu stellen, wobei der Eingang beim Gericht, nicht der Eingang des Antrages bei der zentralen Behörde entscheidend ist. Dies ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 HKiEntfÜ. Die zentrale Behörde kann die sofortige Rückgabe gerade nicht anordnen (vgl. eingehend OLG Bamberg FamRZ 1995, 305). Auch im Hinblick auf den Charakter eines beschleunigten Verfahrens und der erforderlichen zeitnahen Entscheidung des Gerichts bzw. einer mit einer solchen Entscheidungskompetenz ausgestatteten Behörde besteht mit einer am Sinn und Zweck des Verfahrens ausgerichteten Auslegung dieser Vorschrift das Bedürfnis, maßgebend auf den Eingang beim zuständigen Entscheidungsträger abzustellen.
26 
Der am 19. Dezember 2011 eingegangene Eintrag konnte die Jahresfrist somit nicht wahren. Entscheidend ist auf das erstmalige widerrechtliche Zurückhalten der Antragsgegnerin Anfang August / September 2010 abzustellen. Ansonsten begänne die Jahresfrist niemals zu laufen. Der Vortrag des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers, wonach die Antragsgegnerin den Weihnachtsumgang nicht mehr zugelassen habe, ist kein erstmaliges, sondern ein fortgesetztes Zurückhalten, auf das es ebenso wenig wie auf den Umstand der Einleitung eines Sorgerechtsverfahrens in Belgien im Juni 2010 sowie die dort am 13. Juli 2011 durch das Jugendgerichts Gent getroffene Entscheidung ankommt.
d.
27 
Eine Rückführung auf Grund des Art. 12 Abs. 2 HKiEntfÜ hatte gleichfalls zu unterbleiben.
aa.
28 
Ist der Rückgabeantrag nach Ablauf der Jahresfrist eingegangen, so ist die Rückgabe des Kindes ebenfalls anzuordnen, sofern nicht erwiesen ist, dass sich das Kind in seine neue Umgebung eingelebt hat.
29 
Ein Einleben ist anzunehmen, wenn das Kind sich in seinem unmittelbar familiären und sozialen Umfeld in stabilen, seinen Bedürfnissen und seinem Wohl entsprechenden Verhältnissen befindet (Staudinger / Pirrung, BGB, a.a.O., Rn. D 66; OLG Karlsruhe FPR 2001, 236). Das Kind muss mit dem neuen Wohnort und den Bezugspersonen verbunden und verwachsen sein und in seinem neuen Freundes- und Verwandtschaftskreis verwurzelt sein (vgl. OLG Koblenz, FamRZ 1994, 183) und ein Bruch mit der bestehenden Umgebung vollkommen unzumutbar sein (Siehr in Münch.Komm. zum BGB, 5. Aufl., Art. 12 HKiEntfÜ; Rn. 67). Im Rahmen der Gesamtabwägung kommt es dabei auf den Zeitpunkt der Entscheidung und nicht des Antragseinganges an, weil es letztlich um die veränderte Lage des Kindes, nicht um den Schutz des Antragstellers vor Verfahrensverzögerungen geht (Staudinger / Pirrung, BGB, a.a.O., Rn. D 66). Allerdings trägt die Mutter die objektive Beweislast (vgl. Staudinger / Pirrung, a.a.O., Rn. D 66 sowie Perez-Vera, Erläuternder Bericht zum HKiEntfÜ, BT-Drucks. 11/5314, Nr. 109, S. 55).
bb.
30 
Nach der Überzeugung des Senats hat sich J. nunmehr in ihrer neuen Umgebung in K. vollständig eingelebt. Sowohl aus den durch die seitens des Senats erfolgte Anhörung von J. als auch aus dem ausführlichen Bericht des Verfahrensbeistandes gewonnenen Erkenntnissen lässt sich eine weitgehende Integration J.s in ihr bestehendes soziales und familiäres Umfeld feststellen.
31 
J. hat sich altersentsprechend entwickelt. Sie verfügt über ausreichende verwandtschaftliche Kontakte zu ihren Großeltern und zu ihrer knapp ein Jahr älteren Cousine S., mit der sie gemeinsam den Kindergarten in K. besucht. Ebenso bestehen freundschaftliche Kontakte zu Kindern in ihrem Alter. Unter Beibehaltung der bisherigen Umgangskontakte zum Vater wünscht sich J., ihren Lebensmittelpunkt bei ihrer Mutter zu haben. Auch wenn die Äußerungen kleinerer Kinder nicht frei von Einflussnahmen der jeweiligen Bezugspersonen sind, so hat J. doch hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie ihren Daseinsschwerpunkt nunmehr in K. hat. Die Stellungnahme des Verfahrensbeistandes deckt sich mit der Einschätzung des Senats, wonach sich J. nach knapp 20 Monaten an ihrem jetzigen Wohnort eingelebt hat und in ihrem Verwandten- und Freundeskreis fest verwurzelt ist. Ein Herausreißen aus ihrer neuen Umgebung wäre deshalb kontraproduktiv.
32 
Auf Grund der sozialen Integration in Deutschland kommt eine Rückführung daher nicht in Betracht.
2.
33 
Ob der Antragsteller ein widerrechtliches Zurückhalten nach Art. 13 Abs. 1 lit. a HKiEntfÜ nachträglich genehmigt hat, ggf. auch konkludent (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 22. Juni 2011 - 17 UF 150/11; OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1235), kann daher dahingestellt bleiben.
III.
34 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes stützt sich auf § 45 Absatz 3 FamGKG.

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Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 84 Rechtsmittelkosten


Das Gericht soll die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat.

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 58 Statthaftigkeit der Beschwerde


(1) Die Beschwerde findet gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte in Angelegenheiten nach diesem Gesetz statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. (2) Der Beurteilung des Beschwerd

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 63 Beschwerdefrist


(1) Die Beschwerde ist, soweit gesetzlich keine andere Frist bestimmt ist, binnen einer Frist von einem Monat einzulegen. (2) Die Beschwerde ist binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen, wenn sie sich gegen folgende Entscheidungen richtet: 1

Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen - FamGKG | § 45 Bestimmte Kindschaftssachen


(1) In einer Kindschaftssache, die 1. die Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge,2. das Umgangsrecht einschließlich der Umgangspflegschaft,3. das Recht auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1626a Elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern; Sorgeerklärungen


(1) Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, so steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu,1.wenn sie erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärungen),2.wenn sie einander heiraten oder3.so

Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz - IntFamRVG | § 40 Wirksamkeit der Entscheidung; Rechtsmittel


(1) Eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes in einen anderen Vertragsstaat verpflichtet, wird erst mit deren Rechtskraft wirksam. (2) Gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung findet die Beschwerde zum Oberlandesgericht nach Un

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Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 12. Apr. 2012 - 17 UF 22/12

bei uns veröffentlicht am 12.04.2012

Tenor 1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners / Vaters wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 21. Dezember 2011 - 26 F 1932/11 - aufgehoben. 2. Der verfahrensbeteiligten Mutter wird im zweiten Rechtszug r
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Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 18. März 2015 - 17 UF 44/15

bei uns veröffentlicht am 18.03.2015

Tenor 1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 26.01.2015, Az. 24 F 2508/14, wie folgt abgeändert: Die Anträge des Antragstellers auf Rückführung des b

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(1) Eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes in einen anderen Vertragsstaat verpflichtet, wird erst mit deren Rechtskraft wirksam.

(2) Gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung findet die Beschwerde zum Oberlandesgericht nach Unterabschnitt 1 des Abschnitts 5 des Buches 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit statt; § 65 Abs. 2, § 68 Abs. 4 Satz 1 sowie § 69 Abs. 1 Satz 2 bis 4 jenes Gesetzes sind nicht anzuwenden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Die Beschwerde gegen eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes verpflichtet, steht nur dem Antragsgegner, dem Kind, soweit es das 14. Lebensjahr vollendet hat, und dem beteiligten Jugendamt zu. Eine Rechtsbeschwerde findet nicht statt.

(3) Das Beschwerdegericht hat nach Eingang der Beschwerdeschrift unverzüglich zu prüfen, ob die sofortige Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung über die Rückgabe des Kindes anzuordnen ist. Die sofortige Wirksamkeit soll angeordnet werden, wenn die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist oder die Rückgabe des Kindes vor der Entscheidung über die Beschwerde unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten mit dem Wohl des Kindes zu vereinbaren ist. Die Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit kann während des Beschwerdeverfahrens abgeändert werden.

(1) Die Beschwerde findet gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte in Angelegenheiten nach diesem Gesetz statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegen auch die nicht selbständig anfechtbaren Entscheidungen, die der Endentscheidung vorausgegangen sind.

(1) Eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes in einen anderen Vertragsstaat verpflichtet, wird erst mit deren Rechtskraft wirksam.

(2) Gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung findet die Beschwerde zum Oberlandesgericht nach Unterabschnitt 1 des Abschnitts 5 des Buches 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit statt; § 65 Abs. 2, § 68 Abs. 4 Satz 1 sowie § 69 Abs. 1 Satz 2 bis 4 jenes Gesetzes sind nicht anzuwenden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Die Beschwerde gegen eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes verpflichtet, steht nur dem Antragsgegner, dem Kind, soweit es das 14. Lebensjahr vollendet hat, und dem beteiligten Jugendamt zu. Eine Rechtsbeschwerde findet nicht statt.

(3) Das Beschwerdegericht hat nach Eingang der Beschwerdeschrift unverzüglich zu prüfen, ob die sofortige Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung über die Rückgabe des Kindes anzuordnen ist. Die sofortige Wirksamkeit soll angeordnet werden, wenn die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist oder die Rückgabe des Kindes vor der Entscheidung über die Beschwerde unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten mit dem Wohl des Kindes zu vereinbaren ist. Die Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit kann während des Beschwerdeverfahrens abgeändert werden.

(1) Die Beschwerde ist, soweit gesetzlich keine andere Frist bestimmt ist, binnen einer Frist von einem Monat einzulegen.

(2) Die Beschwerde ist binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen, wenn sie sich gegen folgende Entscheidungen richtet:

1.
Endentscheidungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung oder
2.
Entscheidungen über Anträge auf Genehmigung eines Rechtsgeschäfts.

(3) Die Frist beginnt jeweils mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten. Kann die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden, beginnt die Frist spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses.

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners / Vaters wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 21. Dezember 2011 - 26 F 1932/11 -

aufgehoben.

2. Der verfahrensbeteiligten Mutter wird im zweiten Rechtszug ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwältin R. beigeordnet.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

5. Der Beschwerdewert wird auf EUR 3.000,00 festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die beteiligten Eltern streiten um den Umgang der in Österreich lebenden Mutter mit der gemeinsamen, am ... April 2005 geborenen Tochter L., die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Die Eltern waren nicht miteinander verheiratet, führten aber eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Der Vater besitzt die deutsche und türkische, die Mutter die österreichische Staatsangehörigkeit. Die Beteiligten zogen im Sommer 2006 nach Deutschland und leben seit ca. August 2006 voneinander getrennt. Mit Senatsbeschluss vom 05. Oktober 2010 (Az: 17 UF 223/08) wurde das Sorgerecht für das Kind auf den Vater übertragen. Das Umgangsrecht der Mutter mit L. war am 13. Oktober 2008 (Az: 26 F 87/07) durch das Familiengericht Stuttgart geregelt worden.
Ende September 2011 beantragte die Mutter beim Familiengericht Stuttgart eine Neuregelung des Umgangs. Der Antrag wurde der Verfahrensbevollmächtigten des Vaters am 07. Oktober 2011 zugestellt. Der Vater meldete sich am 12. Oktober 2011 beim zuständigen Einwohnermeldeamt in S. ab und verzog nach B. in der Türkei. Die Anmeldung erfolgte am 14. Oktober 2011. Seit dem 14. Oktober 2011 besucht L. die Grundschule in B.. Die Mutter stellte daher ihren ursprünglichen Umgangsantrag dahin um, dass ein Umgang außerhalb der türkischen Unterrichtszeiten stattfinden solle.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Familiengericht, das seine internationale Zuständigkeit bejaht hat, eine Umgangsregelung innerhalb der türkischen Schulferien im Januar und August / September 2012 angeordnet. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Vaters, der die internationale Zuständigkeit rügt.
Der Senat entscheidet ohne erneute Anhörung der Beteiligten.
II.
1.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff. FamFG statthaft und zulässig. Im Ergebnis führt sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Denn es fehlt an der vorauszusetzenden internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 17. Februar 2010 - XII ZB 68/09).
2.
Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-Verordnung = EuEheVO) sind für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, an sich die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Zum Zeitpunkt der Einreichung des Umgangsantrages hatte L. noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Gleichwohl ist die internationale Zuständigkeit nunmehr entfallen, da das Kind in der Türkei seinen gewöhnlichen Aufenthalt erlangt hat und daher eine fortbestehende internationale Zuständigkeit nicht mehr gegeben ist.
Zwar lässt sich Art. 8 Abs. 1 EuEheVO der Grundsatz einer „perpetuatio fori“ entnehmen, wonach das bei Antragstellung zuständige Gericht auch dann international zuständig bleibt, wenn das Kind während des Verfahrens in einem anderen als dem angerufenen Staat einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erwirbt (BGH, Beschl. v. 17. Februar 2010 - XII ZB 68/09).
Allerdings ist im Rahmen der EuEheVO zu unterscheiden, ob es sich bei diesem Staat um einen Vertragsstaat oder um einen anderen völkerrechtlich gebundenen Staat handelt. Nur Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind vom Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 1 EuEheVO und damit auch von einer „perpetuatio fori“ betroffen. Für Nichtmitgliedsstaaten verbleibt es dagegen zunächst bei den unmittelbar zwischen einem Mitgliedsstaat und einem nicht durch die EuEheVO gebundenen Drittstaat getroffenen völkerrechtlichen Vereinbarungen. Der Vorrang völkerrechtlicher Verträge folgt bereits aus Art. 60 lit. a EuEheVO, wonach die Vorschriften der EuEheVO nur im Verhältnis der Mitgliedsstaaten untereinander vorrangig zur Anwendung gelangen.
10 
Die Türkei ist nicht Mitglied der Europäischen Union, dagegen Mitglied des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 05. Oktober 1961 (MSA). Dem Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (KSÜ) ist die Türkei allerdings bislang nicht beigetreten. Zwischen der Türkei und Deutschland gilt das MSA seit dem 16. April 1984, wobei auch Umgangsverfahren dem Anwendungsbereich des MSA unterfallen (vgl. u.a. OLG Stuttgart, FamRZ 1998, 1321).
11 
Im Verhältnis zur Türkei verbleibt es deshalb bei den Vorschriften des MSA (vgl. auch NK-BGB/Gruber, 2. Aufl. 2012, Art. 60 EuEheVO, Rn. 4 m.w.N. in Fußn. 988 sowie Andrae, Internationales Familienrecht, 2. Aufl. 2006, § 6 Rn. 46).
12 
Soweit der BGH (Beschl. v. 17. Februar 2010 - XII ZB 68/09) von einer fortbestehenden Zuständigkeit nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO auch im Verhältnis zu Nichtmitgliedsstaaten ausgehen sollte, folgt dem der Senat nicht. Denn die EuEheVO bezweckt nicht den Eingriff in völkerrechtliche Beziehungen ihrer Mitgliedsstaaten gegenüber Nichtmitgliedsstaaten (vgl. Staudinger-Spellenberg, BGB, Neubearbeitung 2005, Art. 12 EuEheVO Rn. 34), weshalb die Regelungen der Europäischen Union bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts lediglich innerhalb ihrer Mitgliedsstaaten Anwendung finden können. Eine Überlagerung völkerrechtlicher Verträge durch eine extensive Auslegung des Art. 8 Abs. 1 EuEheVO findet daher nicht statt. Überdies dürfte auch eine Umgangsentscheidung, für die sich das erkennende Familiengericht Stuttgart aufgrund der EuEheVO für zuständig erachtet hat, in einem Nichtmitgliedsstaat, der lediglich völkerrechtlich gebunden ist, auch nicht anerkennungs- und vollstreckungsfähig sein, da sich der Nichtmitgliedsstaat nur völkerrechtlich, nicht aber auf Grund der Bestimmungen der EuEheVO gebunden sieht.
13 
Bei einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes L. in B. in der Türkei, finden die Vorschriften des MSA Anwendung.
14 
Das internationale Kindschaftsrecht definiert den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nicht. Da sämtliche internationale Abkommen auf diesem Gebiet letztendlich dem Schutz des Kindeswohles dienen, ist von einem einheitlichen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts auszugehen (Winkler von Mohrenfels, FPR 2001, 189, 190 m.w.N.). Nach der umfangreichen Definition des EuGH (Urteil vom 02.04.2009 - RS. C-523/07) ist der gewöhnliche Aufenthalt der Ort, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes ist. Hierfür sind insbesondere die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedsstaat sowie die Gründe für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen. Nach Ansicht des BGH (Beschluss vom 09.02.2011 - XII ZB 182/08) kommt der Erwerb eines gewöhnlichen Aufenthalts auch nach kurzer Zeit dann in Betracht, wenn der Aufenthalt in einem neuen Staat von vornherein auf Dauer angelegt und die auf Dauer angelegte Ausreise rechtmäßig erfolgt ist. Der gewöhnliche Aufenthalt stellt auf den tatsächlichen Mittelpunkt der Lebensführung einer Person ab. Auf den Willen, sich an einem Ort auf Dauer niederzulassen, kommt es nicht an. Aus Sicht des Kindes stellt sich ein Aufenthalt an einem neuen Ort umso mehr als „gewöhnlich“ dar, je länger es sich an diesem Ort aufhält (OLG Frankfurt, FamRZ 2006, 883, 884). Hat der Aufenthalt jedenfalls sechs Monate gedauert, wird vielfach von einem gewöhnlichen Aufenthalt ausgegangen (OLG Karlsruhe, FamRZ 2010, 1577).
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Da insbesondere junge Kinder im Hinblick auf eine andere zeitliche Relation sich leichter an eine neue Umgebung gewöhnen, lässt diese Dauer des Aufenthalts auf eine gewisse soziale Integration schließen. Für das zum Zeitpunkt des Umzugs sechsjährige Mädchen sind des Weiteren der Umfang und die Intensität der Beziehungen zu Familienangehörigen von besonderem Gewicht. Der Vater ist die Hauptbezugsperson des Kindes. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes hängt rechtlich nicht vom Willen des Sorgeberechtigten ab. Indes kann hier nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, dass der Umzug zusammen mit dem alleinsorgeberechtigten Vater erfolgte. Seit dem Umzug sind nunmehr knapp sechs Monate vergangen, wobei zum jetzigen Zeitpunkt auch von einer weitgehenden sozialen Integration von L. ausgegangen werden muss. L. geht in B. seit Oktober vergangenen Jahres in die Schule, erhält Deutsch- und Englischunterricht, spielt Klavier, besucht einen Schachverein und hat offensichtlich soziale Kontakte. Somit hat L. ihren Lebensmittelpunkt in B. in der Türkei.
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Bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts im Anwendungsbereich des MSA ist für eine „perpetuatio fori“ kein Raum mehr, weil mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts die Zuständigkeit am früheren Aufenthaltsort des Minderjährigen zwangsläufig erlischt (BGH, Beschl. v. 22. Juni 2005 - XII ZB 186/03). Dies hat auch in der Rechtsmittelinstanz zu gelten. Denn vorrangig ist auf die fortbestehende internationale Zuständigkeit abzustellen.
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Maßgebend für die Beurteilung der fortbestehenden internationalen Zuständigkeit ist nicht der Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung, sondern vielmehr der Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts (so wohl auch BGH, Beschl. v. 05. Juni 2002 - XII ZB 74/00). Es kommt nicht darauf an, dass das erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit noch bejaht hat, weil es im Zeitpunkt des Erlasses seiner Entscheidung noch von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in Deutschland ausgehen konnte, unabhängig davon, dass es lediglich seine Zuständigkeit nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO bejaht hatte. Entscheidend ist auf den Schutzzweck des Art. 1 MSA abzustellen, wonach dieser Vorschrift der Gedanke zugrunde liegt, dass die Behörden am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts die für Notwendigkeit, Art und Umfang von Schutzmaßnahmen maßgebenden sozialen und familiären Verhältnisse des Minderjährigen am besten und schnellsten ermitteln können (vgl. BGH, Beschl. v. 05. Juni 2002 - XII ZB 74/00). Gerade in Umgangsverfahren können die Gerichte am Aufenthaltsort unter Zuhilfenahme der zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen treffen und soweit notwendig auch die jeweiligen Modalitäten zum Wohl des Kindes umfassend regeln. Das zunächst angerufene Gericht besitzt diese Kompetenz schon im Hinblick auf unterschiedliche Verfahrensordnungen in der Regel nicht. Lediglich innerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mag auf Grund der Vereinheitlichung des Rechts etwas anderes gelten, zumal gem. Art. 41 Abs. 1 EuEheVO auf ein Exequaturverfahren verzichtet wurde.
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Der Prüfung der internationalen Zuständigkeit auch in der Rechtsmittelinstanz steht im konkreten Fall auch nicht Art. 5 Abs. 3 MSA entgegen, wonach bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts die in dem Ursprungsstaat nach innerstaatlichen Recht getroffenen Maßnahmen im Staat des neuen gewöhnlichen Aufenthalts in Kraft bleiben. Nach Ansicht des Senates soll Art. 5 Abs. 3 MSA im Verhältnis der Vertragsstaaten lediglich gewährleisten, dass unanfechtbar gewordene Entscheidungen im Ursprungsstaat zunächst weiter gelten, sofern die konkreten Umstände nicht eine Änderung rechtfertigen sollten. Dagegen lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des Art. 5 Abs. 3 MSA entnehmen, dass eine innerstaatliche, noch nicht rechtskräftige Regelung wegen einer im Zeitpunkt der Entscheidung fehlenden internationalen Zuständigkeit, die vorrangig zu prüfen ist, nicht durch das Beschwerdegericht aufgehoben werden kann (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1991, 1346; wohl auch OLG Köln, MDR 1999, 1199; a.A. offensichtlich OLG Hamburg, IPrax 1986, 386; BayObLG, BayObLGZ 1976, 25; beide Gerichte gehen allerdings bereits von einer „perpetuatio fori“ aus).
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Nach alledem war der Beschluss des Familiengerichts Stuttgart aufzuheben, da eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte entfallen ist.
III.
20 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG, die Festsetzung des Verfahrenswertes auf §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 FamGKG. Die Rechtsbeschwerde wird zur Klärung der Frage zugelassen, ob und in wie weit deutsche Gerichte in der Rechtsmittelinstanz nach der (endgültigen) Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts noch zuständig sind (§ 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).

(1) Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, so steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu,

1.
wenn sie erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärungen),
2.
wenn sie einander heiraten oder
3.
soweit ihnen das Familiengericht die elterliche Sorge gemeinsam überträgt.

(2) Das Familiengericht überträgt gemäß Absatz 1 Nummer 3 auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Trägt der andere Elternteil keine Gründe vor, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, und sind solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich, wird vermutet, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht.

(3) Im Übrigen hat die Mutter die elterliche Sorge.

Das Gericht soll die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat.

(1) In einer Kindschaftssache, die

1.
die Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge,
2.
das Umgangsrecht einschließlich der Umgangspflegschaft,
3.
das Recht auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes,
4.
die Kindesherausgabe oder
5.
die Genehmigung einer Einwilligung in einen operativen Eingriff bei einem Kind mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung (§ 1631e Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs)
betrifft, beträgt der Verfahrenswert 4 000 Euro.

(2) Eine Kindschaftssache nach Absatz 1 ist auch dann als ein Gegenstand zu bewerten, wenn sie mehrere Kinder betrifft.

(3) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.