Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 24. Feb. 2011 - 2 Ss 30/11
Gericht
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 6. Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 20. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Koblenz zurückverwiesen.
Gründe
I.
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Das Amtsgericht Betzdorf verurteilte den Angeklagten am 29. April 2010 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen zu je 20 €. Seine Berufung hat die 6. Strafkammer des Landgerichts Koblenz mit Urteil vom 20. Oktober 2010 mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass sie die Höhe des Tagessatzes auf 15 € herabgesetzt hat.
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Zur Sache hat die Strafkammer nachfolgende Feststellungen getroffen:
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Der Angeklagte nutzt den weißen Transporter KLW Ford, geschlossener Kasten, zulässiges Gesamtgewicht 2800 kg mit dem amtlichen Kennzeichen: … überwiegend beruflich, aber auch zu privaten Fahrten. Am Freitag, den 01. Januar 2010 befuhr der Angeklagte mit diesem Fahrzeug, dessen Halter er auch ist, zwischen G. und B. die L 280, die in B. „F.straße“ heißt. In einer Linkskurve überholte der Zeuge R.T. mit seinem grünen PKW Peugeot 106, amtliches Kennzeichen: …, den Angeklagten, wobei der Seitenabstand während des Überholvorganges relativ gering war, ohne dass es zu einer Gefährdung gekommen wäre. In B. musste der Zeuge T. an der Ampel, die sich an der Kreuzung F.straße/S. Straße befindet, anhalten; der Zeuge wollte geradeaus weiterfahren. In der Linksabbiegerspur daneben kam vor der Ampel der Angeklagte mit seinem Fahrzeug zum Stehen. Da er sich über das kurz zuvor vom Zeugen T. durchgeführte Überholmanöver geärgert hatte, zeigte er dem Zeugen, um diesen in seiner Ehre herabzusetzen, den gestreckten Mittelfinger der rechten Hand. Dabei sah der Angeklagte den Zeugen nicht an, sondern hielt seinen Blick geradeaus gerichtet, obwohl der Zeuge T. bei geöffnetem Fahrerfenster so laut zum Angeklagten hinüber rief und dabei wild gestikulierte, um ihn wegen der Geste, die er als beleidigend empfand, zur Rede zu stellen, dass der Angeklagte dies bemerkte. Als der Angeklagte auf diese Versuche der Kontaktaufnahme durch den Zeugen T. nicht reagierte und die Ampel grün wurde, fuhr der Zeuge T. ein Stück nach vorne und merkte sich das Kennzeichen des vom Angeklagten gesteuerten Fahrzeugs. Dann fuhr er sogleich zur Polizei, wo er um 12.42 Uhr Anzeige wegen Beleidigung erstattete und einen Strafantrag stellte. Den Fahrer des von ihm als weißen Kleinbus bezeichneten Fahrzeugs beschrieb er dabei als „50 bis 60 Jahre alt, graue Haare, Geheimratsecken, Hängewangen weiß, gerötet, trug eine schwarze Jacke.“ Der Angeklagte und der Zeuge T. kannten sich nicht.
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Gegen das Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, mit der er die Verletzung sachlichen und formellen Rechts geltend macht und Freispruch erstrebt.
II.
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Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.
- 6
Zutreffend hat das Landgericht das Zeigen des gestreckten Mittelfingers als vulgäre Kundgabe der Missachtung gegenüber dem Zeugen R.T. und damit als Beleidigung im Sinne des § 185 StGB gewertet (vgl. BayObLG, Beschluss vom 23. Februar 2000 – 5 StRR 30/00 -). Ungeachtet des vorausgegangenen Verhaltens des Zeugen konnte der Angeklagte sich nicht auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne des § 193 StGB berufen. Seinen Interessen war vielmehr mit der Möglichkeit einer Anzeige gegen den Zeugen Genüge getan. Zu einer Art Selbstjustiz war er nicht berechtigt.
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Ungeprüft gelassen hat das Landgericht jedoch die Vorschrift des § 199 StGB, wonach der Richter dann, wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären kann. Die Feststellung der Strafkammer, dass der über die beleidigende Geste des Angeklagten aufgebrachte Zeuge diesen bei geöffnetem Fahrerfenster laut und wild gestikulierend „zur Rede stellen wollte“, lässt die Annahme nicht fernliegend erscheinen, dass der Zeuge dabei seinerseits den Angeklagten als Reaktion auf dessen Verhalten verbal beleidigt haben könnte. Das Urteil erweist sich insoweit als lückenhaft, als es den Wortlaut der Äußerungen des Zeugen bzw. zumindest deren Sinngehalt nicht mitteilt.
- 8
Für die Straffreiheit wechselseitiger Beleidigungen nach § 199 StGB kommt es nicht auf deren zeitliche Abfolge an. Entscheidend ist allein, dass es sich um wechselseitige, d. h. unmittelbar aufeinanderfolgende, in einem spezifischen Zusammenhang stehende Beleidigungen handelt. Dem entsprechend kann auch derjenige, auf dessen Beleidigung der Beleidigte mit einer eben solchen reagiert hat, nach § 199 StGB für straffrei erklärt werden. Das Gericht hat daher von Amts wegen in einer Gesamtbewertung aller die Tat und den Täter betreffenden Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob der Täter durch die korrespondierende Tat des anderen bereits eine Art „Strafe“ erhalten hat und es deshalb einer weiteren Bestrafung von Seiten des Gerichts nicht mehr bedarf (vgl. KG, Beschluss vom 23. Januar 2009 (3) 1 Ss 545/08 – 2/09 -). Dass die Gegenbeleidigung ihrerseits erwiesen ist, ist für die Anwendbarkeit des § 199 StGB keine notwendige Voraussetzung. Insoweit gilt der allgemeine Grundsatz, dass mögliche Milderungsgründe, die zwar nicht feststellbar, aber auch nicht auszuschließen sind, zugunsten des Angeklagten wirken (vgl. BGHSt 10, 373).
- 9
Da das Gericht im Rahmen des § 199 StGB eine Gesamtbewertung aller die Tat und den Täter betreffenden Umstände, so etwa der Motive der beteiligten Personen, des zeitlichen Ablaufs sowie der Dauer und der Intensität der gegenseitigen Beleidigung, vorzunehmen hat, hat der Senat das angefochtene Urteil nicht nur im Rechtsfolgenausspruch (so KG, a. a. O.), sondern zur Vermeidung sich gegebenenfalls widersprechender Feststellungen insgesamt aufgehoben.
- 10
Sollte die neu mit der Sache befasste Strafkammer die Voraussetzungen des § 199 StGB bejahen, stünde es in ihrem Ermessen, ob sie den Angeklagten für straffrei erklärt. Gezwungen hierzu ist der Richter nicht (vgl. BGH, a. a. O.). Bei Anwendung der Vorschrift ergeht kein Freispruch. Vielmehr ist der Täter schuldig zu sprechen, verbunden mit der Straffreierklärung (vgl. Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 199 Rdn 10).
- 11
Gemäß § 354 Abs. 2 StPO hat der Senat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
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Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) oder mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, desgleichen Äußerungen oder Tathandlungen nach § 192a, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen vorgenommen werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.