Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss, 31. Okt. 2016 - 1 Ws 154/16

bei uns veröffentlicht am31.10.2016

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 18. August 2016 wird auf seine Kosten verworfen.

Gründe

I.

1

Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Juni 2016 (256 Ls 25/16) durch die in der Beschlussformel benannte Entscheidung nach § 322 Abs. 1 StPO verworfen. Die Berufungsstrafkammer erachtet die in einem anderen Berufungsverfahren im Rahmen einer Absprache erklärte - verfahrensübergreifende - Berufungsrücknahme des Angeklagten als wirksam. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde.

II.

2

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten ist zulässig (§§ 311, 322 Abs. 2 StPO); dem Rechtsmittel bleibt aber der Erfolg versagt. Das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Juni 2016 ist in Rechtskraft erwachsen. Der Angeklagte hat seine hiergegen zunächst geführte Berufung wirksam zurückgenommen; für eine erneute Rechtsmitteleinlegung während noch laufender Berufungseinlegungsfrist war hier kein Raum.

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1. Der Berufungsrücknahme durch den Beschwerdeführer ging folgendes Verfahrensgeschehen voraus:

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a) Das Amtsgericht hatte den Beschwerdeführer - gegen den Untersuchungshaft vollstreckt wurde - am 13. Juni 2016 unter anderem wegen versuchten Diebstahls mit Waffen zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt (254 Ls 25/16). Hiergegen legte er am Folgetag durch seine Verteidigerin, Rechtsanwältin Dr. Y., „Rechtsmittel" ein (Bl. 237 d.A.). Gegen den Beschwerdeführer wurde am 15. Juni 2016 um 10 Uhr ein weiteres Berufungsstrafverfahren vor dem Landgericht geführt (710 Ns 15/16). In diesem erklärte der - hier durch Rechtsanwältin D. verteidigte - Beschwerdeführer, dass er sein im Verfahren 256 Ls 25/16 „eingelegtes Rechtsmittel" zurücknehme und „ausdrücklich" auf Rechtsmittel gegen dieses Urteil verzichte; diese Erklärung genehmigte der Beschwerdeführer nach lautem Vorlesen. Während einer anschließend durch den Strafkammervorsitzenden um 10:15 Uhr angeordneten Unterbrechung brachte dieser einen „Auszug des Protokollentwurfs der heutigen Sitzung" selbst auf die Geschäftsstelle der im selben Gebäude ansässigen Abteilung 256 des Amtsgerichts. Hiervon unterrichtete er die Verfahrensbeteiligten in der um 10:30 Uhr fortgesetzten Hauptverhandlung. Hierauf wurde das Berufungsverfahren 710 Ns 15/16 auf Antrag der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft „gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, im Hinblick auf das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Juni 2016."

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b) Am 16. Juni 2016 erklärte der Beschwerdeführer beim Rechtsantragsdienst zum amtsgerichtlichen Aktenzeichen 256 Ls 25/16: „In der gestrigen Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Hamburg ... wurde vereinbart, dass die gegenständlichen fünf Monate Freiheitsstrafe nicht verhängt werden, wenn ich die am Montag, den 13. Juni 2016, ... gegen mich verhängte Freiheitsstrafe von 15 Monaten akzeptiere und die dort eingelegte Berufung zurücknehmen würde. Da der amtsgerichtliche Termin jedoch sehr chaotisch verlief, ich kein Vertrauen zu meiner dort beigeordneten Rechtsanwältin Frau Dr. Y. habe und die verhängten 15 Monate Freiheitsstrafe so nicht akzeptieren kann, widerrufe ich hiermit die vor dem Landgericht Hamburg in der Verhandlung am 15. Juni 2016 getroffene Absprache und bitte um Fortsetzung des Verfahrens" (Bl. 249 d.A.). Diesen Antrag wiederholte der Beschwerdeführer mit handschriftlicher Eingabe an das Amtsgericht vom 20. Juni 2016. Am selben Tag ging ein Schriftsatz der nunmehr durch den Beschwerdeführer mandatierten Rechtsanwältin Dr. J. ein, mit dem ein unbestimmtes Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Juni 2016 eingelegt wurde (Bl. 250 d.A.).

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c) Das Landgericht Hamburg hat durch Beschluss vom 18. August 2016 die „Berufungen des Angeklagten und seiner Verteidigerin" als unzulässig verworfen. Zur Begründung führte es aus, dass die Rücknahmeerklärung vor der weiteren Berufungsstrafkammer wirksam gewesen sei. Der Angeklagte sei verteidigt gewesen; überdies habe ihm ein Dolmetscher im Verfahren zur Seite gestanden.

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2. Der Beschwerdeführer hat sein zunächst eingelegtes Rechtsmittel wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die Abgabe einer entsprechenden Erklärung steht zur - freibeweislich anhand des Akteninhalts und einer dienstlicher Erklärung des Strafkammervorsitzenden des Verfahrens 710 Ns 15/16 (vgl. BGH, Beschl. v. 24. August 2016 - 1 StR 301/16, BeckRS 2016, 17113) - gewonnenen Überzeugung des Senats fest. Diese Rechtsmittelrücknahme erweist sich hier auch als wirksam (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO).

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a) Die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme bestimmt sich nach den für Prozesserklärungen geltenden allgemeinen rechtlichen Maßgaben (vgl. nur LR/Jesse 26. Aufl., § 302 Rn. 6). Dabei geht das Gesetz mit § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO selbst von der grundsätzlichen Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme aus. Als Prozesserklärung ist diese grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (std. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 21. April 1999 - 5 StR 714/98, BGHSt 45, 51, 55; Beschlüsse v. 24. August 2016 - 1 StR 380/16, BeckRS 2016, 17114, und 1 StR 301/16, BeckRS 17113; v. 8. Oktober 2015 - 2 StR 103/15, NStZ-RR 2016, 180 m.w.N.). Anderes gilt hingegen ausnahmsweise bei täuschungs- oder unverschuldet irrtumsbedingten schwerwiegenden Willensmängeln (vgl. BGH, Beschl. v. 3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 58; Beschl. v. 21. Januar 1997 - 1 StR 732/96, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 17; ferner LR/Jesse. 26. Aufl., § 302 Rn. 52; KK-StPO/Paul, 7. Aufl., § 302 Rn 13; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einl. Rn. 110, 116 und § 302 Rn. 23ff.jew. m.w.N.).

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b) Gemessen hieran erweist sich die Rechtsmittelrücknahme des Beschwerdeführers als frei von Willensmängeln. Dem Beschwerdeführer war ein Dolmetscher zur Seite gestellt worden; es ist weder ersichtlich noch wird solches geltend gemacht, dass der Beschwerdeführer über die Reichweite seiner Erklärung im Ungewissen war oder durch das Gericht etwa zur Abgabe einer Rücknahmeerklärung durch unlautere Mittel bewogen wurde.

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c) Die Unwirksamkeit der Prozesserklärung folgt hier auch nicht aus dem vom Beschwerdeführer zumindest ansatzweise vorgetragenen (vgl. Senatsbeschl. v. 5. August 2014 - 1 Rev 27/14, NStZ 2014, 534, 535; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. Rn. 11a; Ventzke, NStZ 2016, 177, 179) - von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift nicht erkennbar in den Blick genommenen - Verfahrensgeschehen vor der Berufungsstrafkammer. Die Verfahrensbeteiligten haben dort eine rechtsfehlerhafte Verständigung getroffen; diese allein bemakelt hier indes die Prozesserklärung des Beschwerdeführers nicht.

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aa) Die vom Beschwerdeführer mitgeteilte „Vereinbarung" vor der Berufungsstrafkammer erweist sich - insoweit vollständig getragen durch den freibeweislich vom Senat gewürdigten Akteninhalt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5. März 2012 - 2 BvR 1464/11, NJW 2012, 1136, 1137) - als rechtsfehlerhafte Verständigung (vgl. zur Begrifflichkeit näher Niemöller, NStZ 2013, 19, 21).

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(1) In die hier gebotene Gesamtbewertung des Verfahrensganges hat der Senat zahlreiche aussagekräftige prozessuale Beweiszeichen eingestellt (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 24. September 2013 - 2 StR 267/13, BGHSt 59, 21; ferner OLG Hamm, Beschl. v. 29. Dezember 2015 - III-2 RVs 47/15, NStZ 2016, 565, 566). Zunächst lässt sich der Prozessverlauf - eine Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO als Gegenleistung für die zuvor erklärte Rechtsmittelrücknahme des Angeklagten in anderer Sache - mit der vom Beschwerdeführer behaupteten „Absprache" und damit verständigungsorientierten Erörterungsgegenständen in Einklang bringen (vgl. hierzu BGH, a.a.O., S. 24). Auch wird ein Verständigungsgeschehen durch die Sitzungsniederschrift bewiesen. Auf den Bericht des Strafkammervorsitzenden folgte demnach unmittelbar die Rechtsmittelrücknahme des Angeklagten in anderer Sache. Nachdem der Strafkammervorsitzenden persönlich die protokollierte Erklärung des Beschwerdeführers dem Amtsgericht überbracht und die Fortsetzung der Berufungshauptverhandlung angeordnet hatte, wurde nicht mehr zur Sache verhandelt. Vielmehr wurde unmittelbar anschließend auf Antrag der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft das Verfahren insgesamt nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Etwaige - höchstwahrscheinlich zuvor erfolgte - Erörterungen zwischen den Verfahrensbeteiligten gibt die Sitzungsniederschrift nicht wieder (vgl. zu den wesentlichen Förmlichkeiten etwa BeckOK-StPO/Peglau, 25. Ed., § 273 Rn. 21a). Das Schweigen des Protokolls hierzu ist vor diesem Hintergrund daher ebenso beredt, wie schließlich das Fehlen eines - auch in Fällen der Verfahrenseinstellung gebotenen - Negativattests nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO (vgl. zur Beweiszeichenqualität BVerfG, Beschl. v. 9. Dezember 2016 - 2 BvR 1043/15, BeckRS 2016, 40841).

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(2) Dieser für den Senat feststehende Verfahrensablauf belegt zahlreiche Verstöße gegen die Maßgaben des Verständigungsgesetzes. Hier sind zunächst die ein transparentes Prozedieren gewährleistenden Regelungen nach § 273 Abs. 1 Satz 2 und Absatz 1a StPO zu nennen. Diese wurden vollständig missachtet. Weiter wurde - durch die Staatsanwaltschaft unbeanstandet - kein Verständigungsvorschlag durch das Gericht bekannt gegeben (vgl. § 257c Abs. 3 Satz 1 StPO), keine Zustimmung von Angeklagtem bzw. Staatsanwaltschaft hierzu abgegeben (§ 257c Abs. 3 Satz 3 StPO) und auch keine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erteilt (§ 274 StPO). Schließlich ist nicht erkennbar, in welcher Weise das für die Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO maßgebliche Verfahren des Amtsgerichts Hamburg Eingang in die Berufungshauptverhandlung gefunden hat und wie die Öffentlichkeit das Prozedieren der Verfahrensbeteiligten überhaupt nachvollziehen konnte (vgl. zur dualen Schutzkonzeption etwa des § 243 Abs. 4 StPO grundlegend BVerfG, Beschl. v. 15. Januar 2015 - 2 BvR 878/14, NJW 2015, 1235, 1236).

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bb) Diese Rechtsfehler bewirken hier gleichwohl nicht die Unwirksamkeit der abgegebenen Rechtsmittelrücknahmeerklärung.

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(1) Verfahrensverstöße sind - mit Ausnahme etwa von erklärungsspezifischen Formverletzungen (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einl. 128 f.) - grundsätzlich für die Wirksamkeit von Prozesserklärung ohne Bedeutung. Ausnahmsweise kann indes der Grundsatz von der Unanfechtbarkeit von Prozesserklärungen aus übergeordneten Gründen der Gerechtigkeit durchbrochen werden (vgl. BGH, Urt. 21. April 1999 - 5 StR 714/98, BGHSt 45, 51, 53; Beschl. v. 3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 40, 60; Senatsbeschl. v. 5. August 2014 - 1 Rev 27/14, NStZ 2014, 534, 353), wenn die Art und Weise des Zustandekommens der Prozesserklärung durch schwere Verfahrensmängel kontaminiert wird. Hierzu zählen einerseits Verfahrenskonstellationen, in denen sich das Gericht unlauterer Mittel bedient, um etwa eine Rechtsmittelbeschränkung zu erreichen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 302 Rn. 10); andererseits wird hiervon die Irreführung eines Angeklagten durch eine unrichtige oder gänzlich fehlende amtliche Auskunft erfasst (vgl. nur BGH, Beschl. v. 26. April 1995 - 3 StR 600/94, NStZ 1995, 556 sowie jüngst OLG Braunschweig, Beschl. v. 2. Februar 2016 - 1 Ss 69/15, NStZ 2016, 563, 564). Diese allgemeinen Maßgaben gelten auch für Rechtsverstöße im Verständigungskontext; Mitteilungs- oder Belehrungsmängel können im Einzelfall fehlerhafte amtliche Auskünfte darstellen.

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(2) Stets erforderlich ist überdies in jedem Fall ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem solchen - staatlich zurechenbaren - Rechtsverstoß und der Willensbildung eines Verfahrensbeteiligten bei der Rechtsmittelrücknahme (Senatsbeschl. v. 5. August 2014 - 1 Rev 27/14, NStZ 2014, 534, 535). Unzureichend ist die nur abstrakt bestehende Möglichkeit, dass sich ein Verfahrensfehler auf die Willensbildung eines Verfahrensbeteiligt ausgewirkt haben könnte (vgl. bereits Senatsbeschl. v. 5. August 2014 - 1 Rev 27/14, NStZ 2014, 534, 535; OLG Braunschweig, Beschl. v. 2. Februar 2016 - 1 Ss 69/15, NStZ 2016, 563, 564; offengelassen hingegen von KG, Beschl. v. 9. Dezember 2014 - 2 Ws 7/15, NStZ 2015, 236, 238; OLG Nürnberg, Beschl. v. 10. August 2016 - 2 OLG 8 Ss 289/15, zitiert nach juris; a.A. BeckOK-StPO/Eschelbach, 25. Ed., § 318 Rn. 20a). Denn über das Bestehen eines durch die teilweise Rechtsmittelrücknahme und die dadurch bewirkte Teilrechtskraft begründeten Befassungsverbotes für das Gericht darf aus Gründen der Rechtssicherheit kein Zweifel herrschen (vgl. Senatsbeschl. a.a.O.); ein gegenteiliges Verständnis würde einem Angeklagten zudem seine Stellung als Prozesssubjekt rauben, kraft derer ihm die Möglichkeit gegeben sein muss, auf den Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss zu nehmen (BGH, Beschl. v. 24. November 2015 - 3 StR 312/15, NStZ 2016, 177 mit Anm. Ventzke; KG, Beschl. v. 9. Dezember 2014 - 2 Ws 7/15, NStZ 2015, 236 mit Anm. Knauer/Pretsch). Notwendig ist daher, dass die eine Unwirksamkeit der Prozesshandlung bewirkenden Umstände erwiesen sind (vgl. Senatsbeschl. a.a.O; vgl. auch BGH, Beschl. v. 29. September 2010 - 2 StR 371/10, BGHSt 56, 3, 5; Beschl. v. 20. April 2004 - 5 StR 11/04, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 25; sowie OLG Braunschweig, Beschl. v. 2. Februar 2016 - 1 Ss 69/15, NStZ 2016, 563, 564; ferner bereits OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8. Mai 1996 - 2 Ss 150/96, NStZ-RR 1996, 307, 308; ähnl. bereits BGH, Beschl. v. 22. September 1993 - 2 StR 367/93, StV 1994, 64; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 302 Rn 22; Schneider, NZWiSt 2015, 1, 7; a.A. OLG Stuttgart, Beschl. v. 26. März 2014 - 4a Ss 462/13, BeckRS 2014, 67810; ähnlich auch KG, Urt. v. 23. April 2012 - 3 (121) Ss 34/12 (28/12), StV 2014, 654, 655 = BeckRS 2012, 18312, das eine materiell unvertretbare Rechtsanwendung als Unwirksamkeitsgrund erkennbar stets ausreichen lassen will).

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(3) E in solcher ursächlicher Zusammenhang zwischen Rechtsfehler und Willensbildung des Beschwerdeführers ist nicht zur Überzeugung des Senats erwiesen. Nicht einmal der Beschwerdeführer selbst macht dies geltend. Er beschränkt sich vielmehr auf Hinweise zum früheren amtsgerichtlichen Verfahren. Die Hauptverhandlung dort sei „sehr chaotisch" verlaufen und er habe „kein Vertrauen" zu seiner in jenem Verfahren mandatierten Verteidigerin. Einen Bezug zum hier maßgeblichen Berufungsverfahren stellt der Beschwerdeführer selbst nicht her. Vor diesem Hintergrund war eine weitergehende freibeweisliche Aufklärung durch den Senat hier nicht geboten.

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d) Auch die Maßgaben des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO führen nicht zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung.

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aa) Die Vorschrift ist nicht unmittelbar anwendbar. Ihre Anwendung scheitert daran, dass hier kein Rechtsmittelverzicht - im Anschluss an ein verständigungsbasiertes Urteil - erklärt worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 14. April 2014 - 1 StR 64/10, BGHSt 55, 82, 85: KG, Beschl. v. 17. Februar 2015 - 2 Ws 7/15, BeckRS 2015, 05635; Wenske, NStZ 2015, 137,139).

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bb) Aber auch eine entsprechende Anwendung kommt hier - bei einer Rechtsmittelrücknahme während laufender Rechtsmitteleinlegungsfrist - schon mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht (vgl. BGH, a.a.O.; OLG Nürnberg, Beschl. v. 10. August 2016 - 2 OLG 8 Ss 289/15 Rn. 41; Wenske, a.a.O.; a.A. Niemöller, NStZ 2013, 19, 23). Überdies fehlt es an einer vergleichbaren Interessenlage. Während der durch eine verständigungsbasierte Entscheidung verurteilte Angeklagte einem von den übrigen Verfahrensbeteiligten, etwa seinem Verteidiger oder dem Gericht, erzeugten Erwartungsdruck ausgesetzt ist, nun auch - in aller Regel am Ende der Hauptverhandlung - zu dem Vereinbarten zu stehen und dies schnellstmöglich durch einen Rechtsmittelverzicht zu bekunden (vgl. nur Frisch in Dencker-FS, 2012, S. 103, 95, 105; Schneider, NZWiSt 2015, 1, 5; ferner bereits BT-Drucks. 16/13095, S. 10) ist die Verfahrenssituation hier eine andere. Der Angeklagte erklärt nämlich gegenüber einem anderen Gericht seine Rechtsmittelrücknahme. Zwar mag dem Zeitmoment bei noch nicht abgelaufener Rechtsmitteleinlegungsfrist nicht dasselbe Gewicht beigemessen werden, wie etwa bei Prozesserklärungen, die nach mehr als einer Woche abgegeben werden (vgl. hierzu OLG Nürnberg, Beschl. v. 10. August 2016 - 2 OLG 8 Ss 289/15; hierzu Frisch, a.a.O., S. 106 f.). Besonderes Gepräge erhält die Verfahrenssituation hier indes durch die räumliche und weitgehend emotionale Distanz vom Verfahrensablauf im ersten Verfahren. Der fehlende vergleichbare Loyalitätsdruck und der größere zeitliche Abstand ermöglichen nunmehr eine besonnenere - nachvollziehbare Eigeninteressen eines Angeklagten wahrende (vgl. Frisch, a.a.O., S. 108 f., 111; Ventzke, NStZ 2016, 177, 179) - Disposition über Art und Umfang des Rechtsmittelangriffs (ähnlich für den Fall abgelaufener Rechtsmitteleinlegungsfrist OLG Nürnberg, Beschl. v. 10. August 2016 - 2 OLG 8 Ss 289/15, a.a.O.). Auch die vorstehend beschriebenen Verfahrenstatsachen für den hier zu entscheidenden Fall machen dies deutlich.

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e) Der Beschwerdeführer hat seine Prozesserklärung auch gegenüber dem sachlich zuständigen Gericht abgegeben.

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aa) Für die Rechtsmittelrücknahme gelten die für die Einlegung des Rechtsmittels gesetzlich vorgeschriebenen Formen (vgl. BGHSt 18, 257, 260; ferner nur Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 302 Rn. 7 m.w.N.). Grundsätzlich ist die Berufungsrücknahme daher gegenüber dem zuständigen Gericht schriftlich oder mündlich zu Protokoll der dortigen Geschäftsstelle zu erklären (vgl. § 314 Abs. 1 StPO). Wird die Erklärung indes mündlich vor einer unzuständigen Stelle abgegeben und dort in ein Protokoll aufgenommen, kommt es ebenso wie bei der privatschriftlichen Erklärung darauf an (vgl. nur MünchKomm-StPO/Valerius, § 44 Rn. 10 m.w.N), dass die Berufungsrücknahme bei der zuständigen Stelle eingeht (vgl. LR/Graalmann-Scheerer, 27. Aufl., Vor § 42 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., vor § 42 Rn. 12; MüKo-StPO/Valerius, § 44 Rn. 10). Dies ist das Amtsgericht, solange die Akten noch nicht an das Berufungsgericht gelangt sind (vgl. § 319 Abs. 1, §§ 320, 321 Satz 2 StPO; HansOLG Hamburg, Beschl. v. 1. November 1982 - 1 Ss 47/82, MDR 1983, 154).

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bb) Der Eingang der Prozesserklärung des Beschwerdeführers bei der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Hamburg wird durch die Verfahrensakte und die dienstliche Äußerung des Strafkammervorsitzenden belegt. Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft waren die Maßgaben des § 299 StPO hier nicht anzuwenden. Es handelte sich bei der Berufungsstrafkammer schon nicht um das Amtsgericht, das im Bezirk der Anstalt liegt, in dem der Beschwerdeführer zur Zeit der Antragsstellung verwahrt war; überdies gilt § 299 StPO nicht für die - hier maßgebliche - schriftliche Abgabe von Prozesserklärungen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 299 Rn. 4 m.w.N.).

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f) Nach Eingang der Rücknahmeerklärung am 14. Juni 2016 war ein Widerruf am Folgetag nicht mehr möglich (vgl. hierzu nur Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 302 Rn. 21 m.w.N.).

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g) Für die abermalige Berufungseinlegung während der noch nicht abgelaufenen Rechtsmitteleinlegungsfrist war mit Blick auf den zugleich vom Beschwerdeführer erklärten Verzicht auf sein Rechtsmittel kein Raum. Auch deshalb kam es hier auf die Frage, ob dem Beschwerdeführer seine Rechtsmittelbefugnis schon wegen der mit einer Rechtsmittelrücknahme in aller Regel konkludent miterklärten Rechtsmittelverzichtserklärung verlustig gegangen ist (vgl. bereits BGH, Beschl. v. 3. Mai 1957 - 5 StR 52/57, BGHSt 10, 245, 257), nicht an (vgl. zu den im Verständigungskontext diskutierten Ansichten etwa BeckOK-StPO/Cirener, a.a.O., § 302 Rn. 23a; Niemöller, NStZ 2013, 13, 23; ders., StV 2010, 597; ders., StV 2011, 54; Meyer-Goßner, StV 2011, 53; Frisch, a.a.O., S. 114 f.).

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3. Ergänzend bemerkt der Senat:

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a) Die vollständige, verfahrensübergreifende Rechtsmittelrücknahme erweist sich als Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten im Sinne des § 257c Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 StPO (vgl. KG, Beschl. v. 9. Dezember 2014 - 2 Ws 7/15, NStZ 2015, 236, 237; mit. krit. Anm. Knauer/Pretsch; Ventzke, NStZ 2016, 177, 179; MünchKomm-StPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 105; Wenske in Sinn/Schößling, a.a.O., Rn. 81 ff.; offen gelassen von BGH, Beschl. v. 24. November 2015 - 3 StR 312/15, NStZ 2016, 17; abl. hingegen Mosbacher, JuS 2015, 701 702), das ohne Bruch mit dem verfassungsgerichtlichen Verbot von verfahrensübergreifenden Gesamtlösungen (vgl. BVerfG, Urt. v. 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 214 Rn. 79; vgl. hierzu auch Knauer, NStZ 2013, 433, 436) zum Gegenstand einer Verständigung gemacht werden kann (KG, Beschl. v. 9. Dezember 2014 - 2 W s 7/15, NStZ 2015, 236, 237; MünchKomm-StPO/Jahn/Kudlich, a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 257c Rn. 15b; Wenske, a.a.O., Rn. 81 ff.; a.A. Mosbacher, a.a.O.). Im Einzelnen:

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aa) Zwar gilt nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO grundsätzlich, dass sich eine Verständigung nur auf „verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrunde liegenden Erkenntnisverfahren beziehen und demzufolge in eine Verständigung nicht Verfahren mit Bindungswirkung einbezogen werden können, die außerhalb der Kompetenz des Gerichts liegen" (vgl. BVerfG, a.a.O.). Denn die Bindungswirkung einer Verständigung für das Gericht kann nur soweit gehen, wie das Gericht das Verfahren selbst mitbestimmt. Mitteilungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Verständigung, bei einem bestimmten Ergebnis andere Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO zu behandeln, entfalten daher keine Bindungswirkung (vgl. BVerfG, a.a.O.).

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bb) Ebenso wenig wie der Staatsanwaltschaft aber hierdurch verboten ist, Zusagen zu Einstellungen in anderen Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO anlässlich einer Verständigung zu machen (vgl. BGH, Beschl. v. 12. Juli 2016 - 1 StR 136/16, BeckRS 2016, 16906; ebenso bereits Knauer, NStZ 2013, 433, 435 f.; Mosbacher, NZWiSt 2013, 201, 204) kann es aber einem Angeklagten verwehrt sein, eine Rechtsmittelrücknahme in anderer Sache anlässlich einer Verständigung mit Blick auf einen für diesen Fall zugesagten - freilich nicht an der Bindungswirkung, die eine Verständigung für das Gericht entfaltet, teilnehmenden (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S. 13, BGH, a.a.O.) - Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 154 Abs. 2 StPO im gegenwärtig verhandelten Erkenntnisverfahren anzukündigen (ebenso MünchKomm-StPO/Jahn/Kudlich, a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; Wenske, a.a.O.).

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cc) Hierbei sind freilich die weiteren verständigungsspezifischen gesetzlichen Maßgaben zu beachten. Namentlich ist der Angeklagte nach § 257c Abs. 5 StPO zu belehren. Dabei ist er insbesondere darauf hinzuweisen, dass seine verständigungsbasierte Rechtsmittelrücknahme bei einer nach § 257c Abs. 4 Satz 4 StPO wegen eintretender Nova (§ 257c Abs. 4 Satz 1 StPO) aus Fairnessgründen - verstanden als falsche amtliche Auskunft (vgl. 2.bb) - entfallenden Bindungswirkung ausnahmsweise unwirksam sein könnte (Art. 6 Abs. 1 MRK). Weiter kann dem falschen Eindruck, dass es sich bei dem von der Anklagebehörde für den Fall der Rechtsmittelrücknahme zugesagten Antrag nach § 154 Abs. 2 StPO um einen von der Bindungswirkung der Verständigung für das Gericht erfassten Bestandteil handelt (§ 257c Abs. 3 StPO), durch einen - § 257c Abs. 5 StPO insoweit ebenfalls ergänzenden - Hinweis entgegen gewirkt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 12. Juli 2016 - 1 StR 136/16, BeckRS 2016, 16906; Mosbacher, a.a.O.). Dieser kann gerade auch umfassen, dass das Gericht keinen Einfluss auf die spätere Antragstellung der Anklagebehörde hat. Schließlich liegt es nahe, die gebotene Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO dahin zu ergänzen, dass im Falle einer - absprachewidrig - ausbleibenden Antragsstellung der Staatsanwaltschaft die Prozesserklärung des Angeklagten grundsätzlich nicht anfechtbar ist, sondern er allein durch den Grundsatz der Verfahrensfairness und die hierdurch bewirkte Unwirksamkeit seiner Rechtsmittelrücknahmeerklärung geschützt wäre (Art. 6 Abs. 1 MRK; vgl. auch Wenske, a.a.O., Rn. 84).

31

dd) Die - wie stets im Verständigungskontext (vgl. nur BeckOK-StPO/Eschelbach, a.a.O., § 257c Rn. 26 f.; MünchKomm/Jahn/Kudlich, a.a.O., § 257c Rn. 66; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 7. Aufl., § 257c Rn. 9) - gebotene gerichtliche Zurückhaltung ist freilich schwer vereinbar mit einer Sachbehandlung, die ein überbordendes Interesse des Tatgerichts an einer dieserart erfolgten Verfahrensbeendigung dadurch erkennbar werden lässt, dass der Richter selbst die vor ihm zu Protokoll erklärte Rechtsmittelrücknahme auf den Weg bringt und nicht nur - etwa durch das zur Verfügung stellen eines Telefax-Geräts - seine technische Unterstützung hierzu anbietet.

32

ee) Der Verständigungsgegenstand ist schließlich auch mit notwendigen verständigungsspezifischen Kontrolle durch die Gerichtsöffentlichkeit vereinbar (vgl. hierzu nur BVerfG, Beschl. v. 15. Januar 2015 - 2 BvR 878/14, NStZ 2015, 1235, 1237). Die verfassungsgerichtlich geforderte verständigungsspezifische Transparenz kann das erkennende Gericht etwa durch die Bekanntgabe bereits vorliegender schriftlicher Urteilsgründe, der Anklageschrift oder einer Rechtsmittelbegründung des Angeklagten in der anderen Sache herstellen.

33

ff) Ein Konnex zwischen dem einzustellenden Verfahren und der Tatschuld in dem durch die verständigungsbasierte Verfahrenseinstellung zu beendenden Erkenntnisverfahren scheint - entgegen zahlreicher gewichtiger Einwände (vgl. BeckOK-StPO/Eschelbach, 25. Ed., § 257c Rn. 17; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 257c Rn. 14; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, a.a.O. Rn. 22; Wenske in Schößling/Sinn, a.a.O., Rn 83) - zumindest aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zwingend (vgl. zur Rücknahme von Beweisanträgen BVerfG, Beschl. v. 21. April 2016 - 2 BvR 1422/15, NStZ 2016, 422, 424 mit Anm. Bittmann).

34

b) Wird die Rechtsmittelrücknahme in anderer Sache während noch laufender Rechtsmitteleinlegungsfrist erklärt, liegt es nahe, überdies eine ausdrückliche Verzichtserklärung des Angeklagten auf eine erneute Rechtsmitteleinlegung aufzunehmen.

35

c) Obgleich weder Revision noch Berufung eine Kontrolle der verständigungsbasierten Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ermöglichen, steht der Angeklagte nicht rechtsschutzlos dar. Er kann - wie hier geschehen - die Wirksamkeit seiner Prozesserklärung auch in diesen Verfahrenskonstellationen rechtsmittelgerichtlich überprüfen lassen, indem er die Fortsetzung des Verfahrens beantragt und bei Ablehnung dessen den Beschwerderechtszug beschreitet (§ 304 StPO; vgl. Senatsbeschl. v. 11. März 2015 - 1 Ws 32/15). Macht der Angeklagte - anders als in der vom Senat entschiedenen Verfahrenskonstellation - geltend, dass er durch das Gericht zur Abgabe der Rechtsmittelrücknahme gedrängt oder hierzu sonst durch die gerichtliche Missachtung verständigungsspezifischer Verfahrensregelungen verleitet worden sei, wird sich das entsprechende Verfahrensgeschehen schon anhand der Sitzungsniederschrift beweisen lassen. Fehlt es an der ordnungsgemäßen Dokumentation steht dem mit der Überprüfung befassten Gericht das Freibeweisverfahren offen; vereitelt gerade die unzulängliche Sitzungsniederschrift die Nachweisbarkeit des Verfahrensganges, kommen zugunsten eines Angeklagten Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr in Betracht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5. März 2012 - 2 BvR 1464/11, NJW 2012, 1136, 1137; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, a.a.O., § 257 Rn. 56; Schmitt, StraFo 2012, 386, 393).

36

cc) Den - auch in Bezug auf die Kontrolle durch die Saalöffentlichkeit - ordnungsgemäßen Verfahrensgang hat zudem der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft kraft des durch die Anklagebehörde auszuübenden „Wächteramts“ zu gewährleisten (vgl. dazu BVerfG, Urt. v. 19. März 2013 - 2 BvR 2628, 2883/10 und 2155/11, BVerfGE 133, 168, 220 Rn. 93 sowie - erneut - Beschl. v. 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10 u.a., BVerfGE 139, 245, 265 Rn. 58 „Wächter des Gesetzes“). Die Behandlung der Regelungen über die Verständigung in Strafsachen als bloße - etwa gar allein durch das Gericht zu wahrende - „Förmelei“ ist hiermit freilich unvereinbar.

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Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss, 31. Okt. 2016 - 1 Ws 154/16 zitiert oder wird zitiert von 17 Urteil(en).

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(1) Erachtet das Berufungsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Berufung nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. Andernfalls entscheidet es darüber durch Urteil; § 322a bleibt unberührt.

(2) Der Beschluß kann mit sofortiger Beschwerde angefochten werden.

(1) Für die Fälle der sofortigen Beschwerde gelten die nachfolgenden besonderen Vorschriften.

(2) Die Beschwerde ist binnen einer Woche einzulegen; die Frist beginnt mit der Bekanntmachung (§ 35) der Entscheidung.

(3) Das Gericht ist zu einer Abänderung seiner durch Beschwerde angefochtenen Entscheidung nicht befugt. Es hilft jedoch der Beschwerde ab, wenn es zum Nachteil des Beschwerdeführers Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet hat, zu denen dieser noch nicht gehört worden ist, und es auf Grund des nachträglichen Vorbringens die Beschwerde für begründet erachtet.

(1) Erachtet das Berufungsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Berufung nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. Andernfalls entscheidet es darüber durch Urteil; § 322a bleibt unberührt.

(2) Der Beschluß kann mit sofortiger Beschwerde angefochten werden.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.

(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 301/16
vom
24. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:240816B1STR301.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 24. August 2016 gemäß § 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 4. Februar 2016 wird als unzulässig verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte war im ersten Rechtsgang durch das Landgericht unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht sowie wegen eines (weiteren) Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer (Gesamt)Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hatte der Senat diese Entscheidung durch Urteil vom 28. April 2015 mit den zugrundeliegenden Feststellungen insoweit aufgehoben, als die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden war, und die Sache im Umfang der Aufhebung an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2
Die nunmehr zuständige Strafkammer hat durch das jetzt angefochtene Urteil die Anordnung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
3
Das dagegen gerichtete Rechtsmittel erweist sich als unzulässig. Der Angeklagte hat vor der Einlegung der Revision einen wirksamen Rechtsmittelverzicht erklärt.

I.


4
1. Das Urteil ist am 4. Februar 2016 in Anwesenheit des Angeklagten verkündet worden. Ausweislich der Sitzungsniederschrift ist ihm eine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden.
5
Am 8. Februar 2016 ging bei der Allgemeinen Annahmestelle der Justizbehörde in München ein von dem Angeklagten und seinem Verteidiger, Rechtsanwalt M. , unterzeichnetes Schreiben ein. Darin teilt der Angeklagte mit, er habe sich entschlossen, gegen das „gestrige Urteil“, mit dem gegen ihn die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden sei, nichts zu unternehmen. Wörtlich heißt es weiter: „Ich erkläre hiermit also Rechtsmittelverzicht“ , wobei das Wort „Rechtsmittelverzicht“ durch Großbuchstaben, Sperrschrift und Unterstreichung optisch hervorgehoben wird. Es folgt die Unterschrift des Angeklagten. Im nachfolgenden Absatz erklärt der Verteidiger, sich „nach Sachbesprechung mit Herrn B. “ dem Rechtsmittelverzicht anzuschließen.
6
Mit einem auf den 9. Februar 2016 datierten und am 11. Februar 2016 eingegangenen Schreiben legte der Angeklagte Revision ein. Er machte geltend , durch seinen Verteidiger unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu dem Rechtsmittelverzicht genötigt worden zu sein; den Rechtsmittelverzicht ziehe er zurück. Sein Verteidiger habe ihm erklärt, den Rechtsmittelverzicht deshalb unterschreiben zu müssen, weil im selben Verfahren keine zweite Revision möglich sei. Später hat ein vom Angeklagten neu mandatierter Verteidiger, Rechts- anwalt H. , die Revision begründet und diese auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützt.
7
2. Die Revision ist wegen des am 8. Februar 2016 durch den Angeklagten selbst schriftlich erklärten Rechtsmittelverzichts unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO). Ein – wie hier – wirksamer Verzicht auf das Rechtsmittel führt zu dessen Verlust (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 2005 – 1 StR 563/04, StraFo 2005, 161 und vom 10. September 2009 – 4 StR 120/09, NStZ-RR 2010, 55, 56). Der Angeklagte konnte daher mit seinem am 11. Februar 2016 eingegangenen Schreiben keine Revision mehr einlegen.
8
a) Der Inhalt der schriftlichen Erklärung vom 8. Februar 2016 ist als Verzicht auf das Rechtsmittel unmissverständlich.
9
b) Es bestehen keine Zweifel an der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts.
10
aa) Insbesondere war die prozessuale Handlungsfähigkeit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2006 – 4 StR 182/06, NStZ-RR 2007, 210 f.; vom 28. Juli 2004 – 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341 und vom 15. Dezember 2015 – 4 StR491/15, NStZ-RR 2016, 180 f.; Frisch in Systematischer Kommentar zur StPO, 5. Aufl., Band VI, § 302 Rn. 14 mwN) des Angeklagten gegeben.
11
(1) Prozessual handlungsfähig ist, wer aufgrund seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten in der Lage ist, seine Interessen verständig wahrzunehmen sowie Prozesshandlungen mit Verständnis und Vernunft auszuführen (siehe BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 16, 18 und vom 15. Dezember 2015 – 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180 f.; siehe auch Frisch aaO). Ausschlaggebend ist bei Prozesshandlungen im Zusam- menhang mit Rechtsmitteln die Fähigkeit, die verfahrensrechtliche Bedeutung einer Rechtsmittelrücknahme oder eines Rechtsmittelverzichts zu erkennen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. März 2000 – 1 StR 607/99, NStZ 2000, 386, 387; vom 10. Januar 2001 – 2 StR 500/00, BGHSt 46, 257, 258 und vom 15. Dezember 2015 – 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180 f.). Diese Fähigkeit wird erst durch schwerwiegende psychische oder auch körperliche Erkrankungen oder Beeinträchtigungen aufgehoben (BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 1994 – 5 StR 39/94, wistra 1994, 197; vom 28. Juli 2004 – 2 StR 199/04, NStZRR 2004, 341 und vom 15. Dezember 2015 – 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180 f.; Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 302 Rn. 2; Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, 2011, § 302 Rn. 9 mwN). Ob die prozessuale Handlungsfähigkeit besteht bzw. bestand, hat das jeweils zuständige Gericht im Freibeweisverfahren aufzuklären (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 StR 693/98, NStZ 1999, 258, 259; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 11. Oktober 2007 – 3 StR 368/07 Rn. 5 und vom 29. September 2010 – 2 StR 371/10, BGHSt 56, 3, 6 Rn. 7). Das Revisionsgericht darf sich dafür auf den Akteninhalt beschränken (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2007 – 3 StR 368/07 Rn. 5 mwN).
12
(2) An diesen Maßstäben gemessen war der Angeklagte im Zeitpunkt der Verzichtserklärung prozessual handlungsfähig. Bereits ausweislich der Feststellungen und der zugrunde liegenden beweiswürdigenden Erwägungen im angefochtenen Urteil liegen bei dem Angeklagten keine hirnorganischen Störungen oder forensisch relevanten Minderbegabungen vor. Im Rahmen testpsychologischer Untersuchungen hat er bei dem Hamburg-WechslerIntelligenztest für Erwachsene einen Gesamt-IQ von 81 erreicht (UA S. 10 und 31). Der vom Tatgericht gehörte psychologische Sachverständige hat hirnorganisch bedingte Leistungseinbußen des Angeklagten ausgeschlossen. Dem hat sich der ebenfalls gehörte psychiatrische Sachverständige angeschlossen (UA S. 35). Nach Einschätzung des psychologischen Sachverständigen verfügt der Angeklagte über ein präzises Gedächtnis, ist geistig flexibel, ausdauernd und in der Lage, sich bestens zu konzentrieren. Der Angeklagte sei lernfähig und „intellektuell wie assoziativ beweglich“. Er könne gemachte Eindrücke adäquat verarbeiten (UA S. 32). Bereits diese Bewertungen des Sachverständigen schließen für die Beurteilung der prozessualen Handlungsfähigkeit bedeutsame Beeinträchtigungen des Angeklagten sicher aus. Zudem ist er im Hinblick auf seine mehrfachen Vorahndungen mit den Abläufen des Strafverfahrens, insbesondere auch die im Anschluss an eine Urteilsverkündung regelmäßig erfolgende Belehrung über die statthaften Rechtsmittel sowie die mit ihnen verbundenen Form- und Fristerfordernisse, vertraut. Der Senat ist daher davon überzeugt , dass der Angeklagte bei Abgabe der Verzichtserklärung wenige Tage nach der Urteilsverkündung ohne weiteres in der Lage war, die Bedeutung seiner schriftlichen Erklärung zu erkennen.
13
bb) Der Rechtsmittelverzicht ist auch nicht aufgrund eines durch Täuschung hervorgerufenen Irrtums des Angeklagten unwirksam.
14
(1) Eine Täuschung durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, die eine irrtumsbedingte Abgabe der Verzichtserklärung durch den Angeklagten verursacht hat und deshalb zur Unwirksamkeit führen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1999 – 5 StR 714/98, BGHSt 45, 51, 55; BGH, Beschlüsse vom 25. April 2001 – 5 StR 53/01, NStZ-RR 2002, 101; vom 5. Dezember 2001 – 1 StR 482/01, NStZ-RR 2002, 114; vom 22. August 2012 – 1 StR 170/12, NStZ-RR 2013, 155 f. und vom 8. Oktober 2015 – 2 StR 103/15, NStZ-RR 2016, 180), ist weder durch die Revision nachvollziehbar geltend gemacht worden , noch ist sie sonst ersichtlich.
15
(2) Ein durch den Verteidiger hervorgerufener Irrtum würde nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zur Unwirksamkeit führen (BGH, Beschluss vom 13. Mai 2003 – 4 StR 135/03 bei Becker NStZ-RR 2004, 228). Im Übrigen ist die von dem Angeklagten vorgetragene Täuschung durch seinen Verteidiger, Rechtsanwalt M. , nicht bewiesen. Dies wäre aber für den Nachweis der Unwirksamkeit des Rechtsmittels erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2002 – 5 StR 12/02 Rn. 4 mwN; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 3 Ws 141/10, NStZ-RR 2010, 213, 214; Radtke in Radtke/ Hohmann aaO § 302 Rn. 25 mwN). Rechtsanwalt M. hat mit Schreiben vom 15. Februar 2016 nachvollziehbar dargelegt, wie es zu der Rechtsmittelverzichtserklärung gekommen ist und dass dieser keine Täuschung über die Möglichkeit , Revision einzulegen, vorausgegangen ist. Das vom Angeklagten und von Rechtsanwalt H. vorgetragene Geschehen, Rechtsanwalt M. habe gegenüber dem Angeklagten behauptet, gegen ein zweites Urteil in einer Sache sei keine Revision mehr möglich, ist zudem – wie der Generalbundeswalt zutreffend hervorgehoben hat – angesichts des Wortlauts der Rechtsmittelverzichtserklärung nicht nachvollziehbar. Das gilt erst recht angesichts der dem Angeklagten wenige Tage zuvor erteilten Belehrung über die Möglichkeit, das Rechtsmittel der Revision einzulegen. Entgegen dem Vorbringen von Rechtsanwalt H. gibt es aus den bereits zur Prozesshandlungsfähigkeit dargelegten Gründen keine Anhaltspunkte in der Person des Angeklagten dafür, dass dieser die vorhandene Rechtsmittelmöglichkeit und die Bedeutung des Verzichts nicht erfasst haben könnte.
16
c) Der wirksame Verzicht auf das Rechtsmittel ist weder durch einen Widerruf noch eine Rücknahme der Verzichtserklärung oder deren Anfechtung revidierbar (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2015 – 2 StR 103/15, NStZ-RR 2016, 180 mwN).
17
d) Da der Verzicht nach dem eindeutigen Wortlaut des Schreibens vom 8. Februar 2016 durch den Angeklagten selbst erklärt worden ist, kommt es auf die Voraussetzungen von § 302 Abs. 2 StPO entgegen der Auffassung von Rechtsanwalt H. nicht an.
18
3. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand findet nach wirksamem Rechtsmittelverzicht nicht statt (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2009 – 4StR 120/09, NStZ-RR 2010, 55 und vom 8. Oktober 2015 – 2 StR 103/15, NStZ-RR 2016, 180 mwN). Den vom Angeklagten in seinem Schreiben vom 9. Februar 2016 „prophylaktisch“ gestellten Antrag auf „Zurückversetzung in den vorigen Stand“ legt der Senat anhand des Kontextes des entsprechenden Absatzes aber ohnehin dahingehend aus (§ 300 StPO), dass Wiedereinsetzung lediglich für den Fall der verspäteten Einlegung der Revision nicht aber für denjenigen des Verlusts der Revision aufgrund wirksamen Rechtsmittelverzichts begehrt wird. Da kein Fall der Verfristung vorliegt, bedurfte es keiner Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch.

II.


19
Das Rechtsmittel wäre auch in der Sache erfolglos geblieben. Es erwiese sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Graf Jäger Radtke Mosbacher Bär

(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.

(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 380/16
vom
24. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:240816B1STR380.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. August 2016 beschlossen :
1. Der Beschluss des Landgerichts Aschaffenburg vom 2. Juni 2016, mit dem die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 12. Mai 2016 als unzulässig verworfen worden ist, wird aufgehoben. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 349 Abs. 1 StPO auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Gründe:

1
Die Revision des Angeklagten ist unzulässig.
2
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt: "Der Angeklagte hat die von seinem Verteidiger eingelegte Revision wirksam zurückgenommen. Die erneute Einlegung der Revision ist daher unzulässig. Der Verteidiger des Angeklagten hat mit Schriftsatz vom 18. Mai 2016 Revision eingelegt. Der Angeklagte hat mit Schreiben vom 19. Mai 2016 (Bl. 2060 Bd. X d.A.), welches am 25. Mai 2016 beim Landgericht Aschaffenburg eingegangen ist, die Rücknahme der Revision erklärt. Mit Schreiben vom 22. Mai 2016 (Bl. 2065 Bd. X d.A.), eingegangen beim Landgericht Aschaffenburg am 27. Mai 2016, hat er erneut Revision eingelegt. Die Rücknahmeerklärung ('… hiermit ziehe ich den Revisionsantrag zu- rück und nehme die Strafe vom 12.05.16 an.') ist inhaltlich eindeutig. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte - wie von ihm im Schreiben vom 15. Juni 2016 (Bl. 2087 Bd. X d.A.) behauptet - tatsächlich bedingt durch die Einnahme von Medikamenten 'geschäftsunfähig' und 'unzurechnungsfähig' war sowie 'neben sich stand' und dadurch die Bedeutung seiner Erklärung nicht erkannt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Denn es ist für die Wirksamkeit einer Revisionsrücknahme im Hinblick auf den psychischen Zustand ausreichend, dass der Erklärende sich bei Abgabe der Erklärung in einem Zustand geistiger Freiheit und Klarheit befindet, der ihn in die Lage versetzt, die Bedeutung der abgegebenen Erklärung zu erkennen, was sogar durch Geschäftsunfähigkeit oder Schuldfähigkeit nicht notwendig ausgeschlossen wird (BGH, Beschluss vom 19. September 1996 - 1 StR 487/96). Vielmehr sprechen die handschriftliche Abfassung der Rücknahmeerklärung vom 19. Mai 2016 sowie deren gewählte Formulierung dafür, dass der Angeklagte die Bedeutung und die Tragweite seiner Rücknahme zutreffend erfasst hat. Soweit die Rücknahme der Revision auf einem Motivirrtum des Angeklagten beruhen sollte, ist ein solcher Irrtum ohne Einfluss auf die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts (BGH, Beschluss vom 31. Mai 2005 - 1 StR 158/05 mwN). Umstände, die auf die Erforderlichkeit weiterer Aufklärung im Freibeweisverfahren hindeuten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Sofern man in dem Schreiben des Angeklagten vom 22. Mai 2016, welches am 27. Mai 2016 beim Landgericht Aschaffenburg eingegangen ist, einen Widerruf der zuvor erklärten Rechtsmittelrücknahme erblicken mag, ist dieser unwirksam, da dieser nicht spätestens zeitgleich mit der Rechtsmittelrücknahme am 25. Mai 2016 eingegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1996 - 1 StR 620/96). An diese Rücknahme ist der Angeklagte gebunden. Denn eine wirksame Rücknahmeerklärung ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr. vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 15. April 2015 - 1 StR 112/15). Die Unzulässigkeit der Revision infolge wirksam erklärter Revisionsrücknahme kann allerdings nur das Revisionsgericht feststellen (§ 349 Abs. 1 StPO). Für eine Entscheidung des Tatrichters nach § 346 Abs. 1 StPO ist daneben kein Raum. Die Frage der Rechtzeitigkeit der eingelegten Revision stellt sich bei einer zuvor wirksam erklärten Rechtsmittelrücknahme nicht mehr. Der Beschluss des Landgerichts, durch den die - erneut eingelegte - Revision des Angeklagten wegen verspäteter Einlegung als unzulässig verworfen worden ist, ist daher aufzuheben. Einer im Tenor zum Ausdruck kommenden deklaratorischen Feststellung, dass die mit Schriftsatz des Verteidigers vom 18. Mai 2016 eingelegte Revision wirksam zurückgenommen worden ist, bedarf es nicht (BGH, Beschluss vom 23. November 2005 - 1 StR 436/05)."
3
Dem schließt sich der Senat an.
4
Im Übrigen hätte das Rechtsmittel des Angeklagten auch in der Sache keinen Erfolg. Raum Graf Jäger Cirener Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 301/16
vom
24. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:240816B1STR301.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 24. August 2016 gemäß § 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 4. Februar 2016 wird als unzulässig verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte war im ersten Rechtsgang durch das Landgericht unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht sowie wegen eines (weiteren) Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer (Gesamt)Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hatte der Senat diese Entscheidung durch Urteil vom 28. April 2015 mit den zugrundeliegenden Feststellungen insoweit aufgehoben, als die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden war, und die Sache im Umfang der Aufhebung an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2
Die nunmehr zuständige Strafkammer hat durch das jetzt angefochtene Urteil die Anordnung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
3
Das dagegen gerichtete Rechtsmittel erweist sich als unzulässig. Der Angeklagte hat vor der Einlegung der Revision einen wirksamen Rechtsmittelverzicht erklärt.

I.


4
1. Das Urteil ist am 4. Februar 2016 in Anwesenheit des Angeklagten verkündet worden. Ausweislich der Sitzungsniederschrift ist ihm eine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden.
5
Am 8. Februar 2016 ging bei der Allgemeinen Annahmestelle der Justizbehörde in München ein von dem Angeklagten und seinem Verteidiger, Rechtsanwalt M. , unterzeichnetes Schreiben ein. Darin teilt der Angeklagte mit, er habe sich entschlossen, gegen das „gestrige Urteil“, mit dem gegen ihn die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden sei, nichts zu unternehmen. Wörtlich heißt es weiter: „Ich erkläre hiermit also Rechtsmittelverzicht“ , wobei das Wort „Rechtsmittelverzicht“ durch Großbuchstaben, Sperrschrift und Unterstreichung optisch hervorgehoben wird. Es folgt die Unterschrift des Angeklagten. Im nachfolgenden Absatz erklärt der Verteidiger, sich „nach Sachbesprechung mit Herrn B. “ dem Rechtsmittelverzicht anzuschließen.
6
Mit einem auf den 9. Februar 2016 datierten und am 11. Februar 2016 eingegangenen Schreiben legte der Angeklagte Revision ein. Er machte geltend , durch seinen Verteidiger unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu dem Rechtsmittelverzicht genötigt worden zu sein; den Rechtsmittelverzicht ziehe er zurück. Sein Verteidiger habe ihm erklärt, den Rechtsmittelverzicht deshalb unterschreiben zu müssen, weil im selben Verfahren keine zweite Revision möglich sei. Später hat ein vom Angeklagten neu mandatierter Verteidiger, Rechts- anwalt H. , die Revision begründet und diese auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützt.
7
2. Die Revision ist wegen des am 8. Februar 2016 durch den Angeklagten selbst schriftlich erklärten Rechtsmittelverzichts unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO). Ein – wie hier – wirksamer Verzicht auf das Rechtsmittel führt zu dessen Verlust (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 2005 – 1 StR 563/04, StraFo 2005, 161 und vom 10. September 2009 – 4 StR 120/09, NStZ-RR 2010, 55, 56). Der Angeklagte konnte daher mit seinem am 11. Februar 2016 eingegangenen Schreiben keine Revision mehr einlegen.
8
a) Der Inhalt der schriftlichen Erklärung vom 8. Februar 2016 ist als Verzicht auf das Rechtsmittel unmissverständlich.
9
b) Es bestehen keine Zweifel an der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts.
10
aa) Insbesondere war die prozessuale Handlungsfähigkeit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2006 – 4 StR 182/06, NStZ-RR 2007, 210 f.; vom 28. Juli 2004 – 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341 und vom 15. Dezember 2015 – 4 StR491/15, NStZ-RR 2016, 180 f.; Frisch in Systematischer Kommentar zur StPO, 5. Aufl., Band VI, § 302 Rn. 14 mwN) des Angeklagten gegeben.
11
(1) Prozessual handlungsfähig ist, wer aufgrund seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten in der Lage ist, seine Interessen verständig wahrzunehmen sowie Prozesshandlungen mit Verständnis und Vernunft auszuführen (siehe BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 16, 18 und vom 15. Dezember 2015 – 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180 f.; siehe auch Frisch aaO). Ausschlaggebend ist bei Prozesshandlungen im Zusam- menhang mit Rechtsmitteln die Fähigkeit, die verfahrensrechtliche Bedeutung einer Rechtsmittelrücknahme oder eines Rechtsmittelverzichts zu erkennen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. März 2000 – 1 StR 607/99, NStZ 2000, 386, 387; vom 10. Januar 2001 – 2 StR 500/00, BGHSt 46, 257, 258 und vom 15. Dezember 2015 – 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180 f.). Diese Fähigkeit wird erst durch schwerwiegende psychische oder auch körperliche Erkrankungen oder Beeinträchtigungen aufgehoben (BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 1994 – 5 StR 39/94, wistra 1994, 197; vom 28. Juli 2004 – 2 StR 199/04, NStZRR 2004, 341 und vom 15. Dezember 2015 – 4 StR 491/15, NStZ-RR 2016, 180 f.; Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 302 Rn. 2; Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, 2011, § 302 Rn. 9 mwN). Ob die prozessuale Handlungsfähigkeit besteht bzw. bestand, hat das jeweils zuständige Gericht im Freibeweisverfahren aufzuklären (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 StR 693/98, NStZ 1999, 258, 259; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 11. Oktober 2007 – 3 StR 368/07 Rn. 5 und vom 29. September 2010 – 2 StR 371/10, BGHSt 56, 3, 6 Rn. 7). Das Revisionsgericht darf sich dafür auf den Akteninhalt beschränken (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2007 – 3 StR 368/07 Rn. 5 mwN).
12
(2) An diesen Maßstäben gemessen war der Angeklagte im Zeitpunkt der Verzichtserklärung prozessual handlungsfähig. Bereits ausweislich der Feststellungen und der zugrunde liegenden beweiswürdigenden Erwägungen im angefochtenen Urteil liegen bei dem Angeklagten keine hirnorganischen Störungen oder forensisch relevanten Minderbegabungen vor. Im Rahmen testpsychologischer Untersuchungen hat er bei dem Hamburg-WechslerIntelligenztest für Erwachsene einen Gesamt-IQ von 81 erreicht (UA S. 10 und 31). Der vom Tatgericht gehörte psychologische Sachverständige hat hirnorganisch bedingte Leistungseinbußen des Angeklagten ausgeschlossen. Dem hat sich der ebenfalls gehörte psychiatrische Sachverständige angeschlossen (UA S. 35). Nach Einschätzung des psychologischen Sachverständigen verfügt der Angeklagte über ein präzises Gedächtnis, ist geistig flexibel, ausdauernd und in der Lage, sich bestens zu konzentrieren. Der Angeklagte sei lernfähig und „intellektuell wie assoziativ beweglich“. Er könne gemachte Eindrücke adäquat verarbeiten (UA S. 32). Bereits diese Bewertungen des Sachverständigen schließen für die Beurteilung der prozessualen Handlungsfähigkeit bedeutsame Beeinträchtigungen des Angeklagten sicher aus. Zudem ist er im Hinblick auf seine mehrfachen Vorahndungen mit den Abläufen des Strafverfahrens, insbesondere auch die im Anschluss an eine Urteilsverkündung regelmäßig erfolgende Belehrung über die statthaften Rechtsmittel sowie die mit ihnen verbundenen Form- und Fristerfordernisse, vertraut. Der Senat ist daher davon überzeugt , dass der Angeklagte bei Abgabe der Verzichtserklärung wenige Tage nach der Urteilsverkündung ohne weiteres in der Lage war, die Bedeutung seiner schriftlichen Erklärung zu erkennen.
13
bb) Der Rechtsmittelverzicht ist auch nicht aufgrund eines durch Täuschung hervorgerufenen Irrtums des Angeklagten unwirksam.
14
(1) Eine Täuschung durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, die eine irrtumsbedingte Abgabe der Verzichtserklärung durch den Angeklagten verursacht hat und deshalb zur Unwirksamkeit führen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1999 – 5 StR 714/98, BGHSt 45, 51, 55; BGH, Beschlüsse vom 25. April 2001 – 5 StR 53/01, NStZ-RR 2002, 101; vom 5. Dezember 2001 – 1 StR 482/01, NStZ-RR 2002, 114; vom 22. August 2012 – 1 StR 170/12, NStZ-RR 2013, 155 f. und vom 8. Oktober 2015 – 2 StR 103/15, NStZ-RR 2016, 180), ist weder durch die Revision nachvollziehbar geltend gemacht worden , noch ist sie sonst ersichtlich.
15
(2) Ein durch den Verteidiger hervorgerufener Irrtum würde nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zur Unwirksamkeit führen (BGH, Beschluss vom 13. Mai 2003 – 4 StR 135/03 bei Becker NStZ-RR 2004, 228). Im Übrigen ist die von dem Angeklagten vorgetragene Täuschung durch seinen Verteidiger, Rechtsanwalt M. , nicht bewiesen. Dies wäre aber für den Nachweis der Unwirksamkeit des Rechtsmittels erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2002 – 5 StR 12/02 Rn. 4 mwN; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 3 Ws 141/10, NStZ-RR 2010, 213, 214; Radtke in Radtke/ Hohmann aaO § 302 Rn. 25 mwN). Rechtsanwalt M. hat mit Schreiben vom 15. Februar 2016 nachvollziehbar dargelegt, wie es zu der Rechtsmittelverzichtserklärung gekommen ist und dass dieser keine Täuschung über die Möglichkeit , Revision einzulegen, vorausgegangen ist. Das vom Angeklagten und von Rechtsanwalt H. vorgetragene Geschehen, Rechtsanwalt M. habe gegenüber dem Angeklagten behauptet, gegen ein zweites Urteil in einer Sache sei keine Revision mehr möglich, ist zudem – wie der Generalbundeswalt zutreffend hervorgehoben hat – angesichts des Wortlauts der Rechtsmittelverzichtserklärung nicht nachvollziehbar. Das gilt erst recht angesichts der dem Angeklagten wenige Tage zuvor erteilten Belehrung über die Möglichkeit, das Rechtsmittel der Revision einzulegen. Entgegen dem Vorbringen von Rechtsanwalt H. gibt es aus den bereits zur Prozesshandlungsfähigkeit dargelegten Gründen keine Anhaltspunkte in der Person des Angeklagten dafür, dass dieser die vorhandene Rechtsmittelmöglichkeit und die Bedeutung des Verzichts nicht erfasst haben könnte.
16
c) Der wirksame Verzicht auf das Rechtsmittel ist weder durch einen Widerruf noch eine Rücknahme der Verzichtserklärung oder deren Anfechtung revidierbar (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2015 – 2 StR 103/15, NStZ-RR 2016, 180 mwN).
17
d) Da der Verzicht nach dem eindeutigen Wortlaut des Schreibens vom 8. Februar 2016 durch den Angeklagten selbst erklärt worden ist, kommt es auf die Voraussetzungen von § 302 Abs. 2 StPO entgegen der Auffassung von Rechtsanwalt H. nicht an.
18
3. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand findet nach wirksamem Rechtsmittelverzicht nicht statt (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2009 – 4StR 120/09, NStZ-RR 2010, 55 und vom 8. Oktober 2015 – 2 StR 103/15, NStZ-RR 2016, 180 mwN). Den vom Angeklagten in seinem Schreiben vom 9. Februar 2016 „prophylaktisch“ gestellten Antrag auf „Zurückversetzung in den vorigen Stand“ legt der Senat anhand des Kontextes des entsprechenden Absatzes aber ohnehin dahingehend aus (§ 300 StPO), dass Wiedereinsetzung lediglich für den Fall der verspäteten Einlegung der Revision nicht aber für denjenigen des Verlusts der Revision aufgrund wirksamen Rechtsmittelverzichts begehrt wird. Da kein Fall der Verfristung vorliegt, bedurfte es keiner Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch.

II.


19
Das Rechtsmittel wäre auch in der Sache erfolglos geblieben. Es erwiese sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Graf Jäger Radtke Mosbacher Bär

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 1 0 3 / 1 5
vom
8. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Oktober 2015 beschlossen:
Es wird festgestellt, dass die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 24. November 2014 wirksam zurückgenommen ist.

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 24. November 2014 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil legte der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt K. , mit Schriftsatz vom 27. November 2014 Revision ein, die er mit Schreiben vom 24. Februar 2015 zurücknahm. Mit Schreiben vom 26. Februar 2015 versicherte er unter Hinweis auf einen anliegenden schriftlichen und durch den Angeklagten am 24. Februar 2015 unterzeichneten Auftrag zur Rücknahme der Revision anwaltlich, vom Angeklagten hierzu beauftragt worden zu sein. Mit Beschluss vom 27. Februar 2015 legte das Landgericht Köln dem Angeklagten die Kosten der von ihm eingelegten Revision sowie die notwendigen Auslagen des Nebenklägers auf.
2
Mit Schreiben vom 8. März 2015 hat der Angeklagte dem Landgericht mitgeteilt, die Rücknahme der Revision sei nicht gewollt gewesen und beruhe auf einer Eigenmächtigkeit von Rechtsanwalt K. . Herr K. sei in einem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass eine Entscheidung über eine eventuelle Rücknahme nicht ohne Abstimmung und ohne Rücksprache mit ihm und seinem zweiten Verteidiger, Herrn Rechtsanwalt Dr. B. , ergehe. Mit weiterem Schreiben vom 12. März 2015 an das Landgericht hat der Angeklagte ausdrücklich um Rücknahme der irrtümlich von Rechtsanwalt K. zurückgenommenen Revision gebeten.
3
Zwischenzeitlich hatte Rechtsanwalt Dr. B. mit Schreiben vom 3. März 2015 die Revision begründet. Rechtsanwalt K. hat mit Schriftsatz vom 19. März 2015 dem Landgericht mitgeteilt, die Rücknahme der Revision sei nicht eigenmächtig, sondern nach Rücksprache mit dem Angeklagten erfolgt. Eine vorherige Absprache mit Rechtsanwalt Dr. B. sei nicht vereinbart worden; ein Schreiben des Angeklagten, in dem er ihm dies mitgeteilt haben soll, habe ihn nicht erreicht.
4
2. Bei dieser Sachlage ist entsprechend der Anregung des Generalbundesanwalts eine feststellende Klärung der Wirksamkeit der Revisionsrücknahme durch förmliche Entscheidung des Rechtsmittelgerichts angezeigt (vgl. Senat BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 11; BGH NStZ 2001, 104).
5
Die Rücknahme der Revision durch Rechtsanwalt K. ist wirksam. Die hierzu gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung lag zum Zeitpunkt der Rücknahme in schriftlicher Form vor.
6
Soweit der Angeklagte mit seinen Schreiben vom 8. und 12. März 2015 mitgeteilt hat, mit der Revisionsrücknahme nicht einverstanden gewesen zu sein, und zugleich um Rücknahme der irrtümlich zurückgezogenen Revision gebeten hat, sind diese Schreiben nach der Revisionsrücknahme und der schriftlichen Ermächtigungserklärung des Angeklagten und damit verspätet eingegangen. Der Widerruf wäre nur dann wirksam geworden, wenn sie vor oder spätestens zeitgleich mit der Rechtsmittelrücknahme eingegangen wären (BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 1, 2 und 4).
7
Eine Rechtsmittelrücknahme ist ebenso wie der Rechtsmittelverzicht als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. BGHSt 45, 51, 53; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 - Rechtsmittelverzicht 1, 4, 8, 12, 15, 17). Sie ist jedoch ausnahmsweise dann unwirksam, wenn sie durch Drohung , durch Täuschung oder schwerwiegende Willensmängel veranlasst wurde (vgl. BGHSt 45, 51, 53; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 - Rechtsmittelverzicht 14). Anhaltspunkte dafür ergeben sich aus den Schreiben des Angeklagten nicht. Fischer Appl Krehl Ott Bartel

(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.

(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.

Tenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 - 3 Ws 33/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Dresden zurückverwiesen.

2. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Juni 2011 - 3 Ws 33/11 - gegenstandslos und erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

4. ...

5. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000,00 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Art und Weise der Prüfung des Zustandekommens einer Verfahrensabsprache in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung durch das Rechtsmittelgericht, wenn der Angeklagte unter Berufung auf eine solche Absprache die Unwirksamkeit eines von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts geltend macht.

2

1. Das Amtsgericht Pirna - Schöffengericht - verurteilte den Beschwerdeführer, der sich zur Zeit der Hauptverhandlung seit etwa fünf Monaten in Untersuchungshaft befand, wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit gewerbsmäßiger Hehlerei in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten.

3

a) Dem Protokoll zufolge wurde die Hauptverhandlung auf Anregung der damaligen Verteidigerin des Beschwerdeführers kurz nach ihrem Beginn für ein "Rechtsgespräch" unterbrochen. Als die Hauptverhandlung - etwa eine Stunde später - fortgesetzt wurde, verlas die Verteidigerin eine ein Geständnis enthaltende Erklärung für den Beschwerdeführer, der danach Fragen beantwortete. Im Anschluss verzichteten die Verfahrensbeteiligten auf eine Vernehmung der geladenen Zeugen und es wurde gemäß § 154 Abs. 2 StPO von der Verfolgung eines mitangeklagten Vorwurfs abgesehen. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten sowie die Aufhebung des Haftbefehls; die Verteidigung beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung und die Aufhebung des Haftbefehls. Nach der Urteilsverkündung und der Aufhebung des Haftbefehls verzichteten Staatsanwaltschaft und Beschwerdeführer auf Rechtsmittel.

4

b) Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält weder einen Hinweis auf das Zustandekommen einer Absprache (§ 273 Abs. 1a Satz 1 StPO) noch die Angabe, dass eine Verständigung nicht erfolgt sei (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO). Auch die Entscheidungsgründe äußern sich nicht dazu, ob dem Urteil eine Absprache vorausging.

5

2. a) Der Beschwerdeführer legte Berufung ein und machte eine Unwirksamkeit seines Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO geltend. Hierfür legte er eine Erklärung seiner damaligen Verteidigerin vor, die Verständigungsgespräche vor dem Amtsgericht Pirna schilderte und das Zustandekommen einer Absprache bejahte.

6

b) Das Landgericht Dresden verwarf die Berufung mit Beschluss vom 10. März 2011 als unzulässig, nachdem es dienstliche Stellungnahmen der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und des Vorsitzenden des Schöffengerichts eingeholt hatte.

7

aa) Die damalige Verteidigerin des Beschwerdeführers hatte in ihrer Erklärung angegeben, das Rechtsgespräch habe zunächst im Richterzimmer zwischen dem Vorsitzenden des Schöffengerichts, der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und ihr stattgefunden. Die Staatsanwältin habe gleich zu Beginn klargestellt, schon wegen der Vorstrafen des Beschwerdeführers sei aus ihrer Sicht nicht mit einer Bewährungsstrafe zu rechnen. Sie selbst habe mit Blick auf die konkreten Vorwürfe eine Bewährungsstrafe noch für realistisch gehalten und den Inhalt eines möglichen Geständnisses angerissen. Der Vorsitzende habe ausgeführt, auch er könne sich eine Bewährungsstrafe nicht mehr vorstellen, dafür aber eine Aufhebung des Haftbefehls, sofern sich der Beschwerdeführer wie angekündigt einlasse. In diesem Fall werde eine Beweisaufnahme durch Zeugeneinvernahme nicht erfolgen. Der Vorsitzende habe darauf hingewiesen, dies aber noch mit den Schöffen besprechen zu müssen. Die Staatsanwältin habe zunächst mehr als drei Jahre Freiheitsstrafe gefordert und sei schließlich von zwei Jahren und zehn Monaten ausgegangen. Der Vorsitzende habe die Strafhöhe ähnlich gesehen, aber noch keinen eindeutigen Hinweis gegeben. Sie habe sich daraufhin mit dem Beschwerdeführer besprechen und die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft die Verfasserin der Anklageschrift unterrichten wollen. Nachdem sie die Angelegenheit mit dem Beschwerdeführer in dem Sinne erörtert gehabt habe, dass dieser sich zur Sache einlasse, wenn der Haftbefehl aufgehoben werde, sei sie zu dem Vorsitzenden gegangen und habe mitgeteilt, mit der besprochenen Vorgehensweise bestehe Einverständnis. Der Vorsitzende habe aber noch nicht mit den Schöffen gesprochen gehabt. Als sie in den Sitzungssaal zurückgekommen sei, habe die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft ihr mitgeteilt, man könne so verfahren, dass der Beschwerdeführer zwei Jahre und zehn Monate erhalte, der Haftbefehl aufgehoben und die Sache rechtskräftig werde. Über diese Aussage sei sie überaus erstaunt gewesen, da in den Gesprächen zuvor zu keinem Zeitpunkt eine Rechtskraft des Urteils thematisiert worden sei. Die Staatsanwältin habe jedoch geäußert, sie könne die Verteidigerin nicht verstehen, da ein entsprechendes Gespräch stattgefunden habe und sie davon ausgegangen sei, alle Beteiligten seien sich über diese Punkte einig. Als das Gericht in den Saal gekommen sei, habe sie den Vorsitzenden über die Äußerung der Staatsanwältin informiert und ihn gefragt, ob er das auch so sehe, was der Vorsitzende bestätigt habe. Hierüber habe sie mit dem Beschwerdeführer gesprochen, der sich für die Rechtskraft entschieden habe, weil der Haftbefehl aufgehoben werden sollte. Sodann sei die Hauptverhandlung fortgesetzt worden. Sie und der Beschwerdeführer hätten später auf Rechtsmittel verzichtet, weil sie befürchtet hätten, anderenfalls werde der Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt. Zunächst sei sie davon ausgegangen, im Richterzimmer sei eine Vereinbarung nicht getroffen worden. Der Vorsitzende und die Staatsanwältin hätten sie in der Hauptverhandlung jedoch eindeutig anders belehrt.

8

bb) Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft hatte in ihrer dienstlichen Erklärung ausgeführt, sie habe klargestellt, dass aus ihrer Sicht eine Bewährungsstrafe nicht in Betracht komme. Der Vorsitzende habe mit Blick auf übliche Strafen bei vergleichbaren Taten Ähnliches geäußert, ohne ein konkretes Strafmaß benannt zu haben, da auch eine Abstimmung mit den Schöffen nicht erfolgt gewesen sei. Auf die Ankündigung des Gerichts, gegebenenfalls den Haftbefehl aufzuheben, habe sie eingewandt, wegen der hohen Fluchtgefahr sei mit einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft zu rechnen. Für den Fall der Rechtskraft sei dies natürlich anders. Sie habe Verteidigung und Beschwerdeführer so verstanden, dass es ihnen vordergründig um die Aufhebung des Haftbefehls gegangen sei, wobei sie mehrfach ihre Position deutlich gemacht habe. Gänzlich nicht nachvollziehen könne sie die Äußerung der Verteidigerin zum Zustandekommen einer Absprache, da das Gericht die Position vertreten gehabt habe, den Haftbefehl aufheben zu wollen und sie eine sofortige Beschwerde dagegen avisiert habe. Die Verteidigerin habe schließlich auch einen anderen Antrag zum Strafmaß als sie gestellt. Sie habe auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet, weil aus ihrer Sicht keine Beweisprobleme vorgelegen hätten und sie sich sicher gewesen sei, dass das Strafmaß den Erwartungen der Staatsanwaltschaft nahekommen werde. Ein regelrechtes Gespräch über ein bestimmtes Strafmaß mit Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft, wie sie es sonst kenne, habe es ihres Erachtens nicht gegeben. Ihr sei es um die Fortsetzung der Untersuchungshaft gegangen.

9

cc) Der Vorsitzende des Schöffengerichts hatte in seiner dienstlichen Stellungnahme mitgeteilt, der genaue Werdegang der Gespräche und deren Inhalt seien ihm nach dem eingetretenen Zeitablauf nicht mehr genau erinnerlich. Er denke aber, dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft den Geschehensablauf zutreffend geschildert habe.

10

dd) Das Landgericht hielt das Zustandekommen einer Absprache für nicht erwiesen und deshalb den Rechtsmittelverzicht für wirksam. Zwar habe die Verteidigerin ausgeführt, es sei Einigkeit erzielt worden, dass der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt sowie der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben wird, wenn das Urteil rechtskräftig werde. Dies stelle jedoch bereits wegen des Einschlusses des Rechtsmittelverzichts keine zulässige Verständigung im Sinne von § 257c StPO dar. Zudem stehe der Antrag der Verteidigerin auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung der Annahme entgegen, es sei eine Verständigung auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten erzielt worden.

11

3. a) Der Beschwerdeführer legte gegen den Beschluss des Landgerichts sofortige Beschwerde ein.

12

b) Das Oberlandesgericht Dresden verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom 19. April 2011 als unbegründet. Die Annahme der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts sei nicht zu beanstanden. Da das Verhandlungsprotokoll weder die Erklärung nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO noch das Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO enthalte, sei dessen Beweiskraft entfallen. Damit sei aber nicht der Vortrag des Beschwerdeführers als wahr zu unterstellen, sondern dieser habe nur die Möglichkeit, den Nachweis zu führen, dass ein bestimmter Vorgang geschehen oder nicht geschehen sei. Das Rechtsmittelgericht müsse dann im Freibeweisverfahren und in freier Beweiswürdigung den wirklichen Verfahrensablauf klären.

13

Hiernach sei das Vorliegen einer Verständigung nicht bewiesen. Die Erklärungen der damaligen Verteidigerin und der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft seien angesichts des Inhalts des Hauptverhandlungsprotokolls zum Verfahrensablauf nicht geeignet, diesen Beweis zu erbringen. Der Annahme einer Absprache über das Strafmaß stehe entscheidend entgegen, dass die Verteidigerin eine Strafe von maximal zwei Jahren mit Bewährung beantragt habe, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft aber eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Bereits aus diesem Grund liege es fern, dass sich die Verfahrensbeteiligten auf ein Strafmaß von zwei Jahren und zehn Monaten geeinigt haben sollen. Dass Verteidigung und Staatsanwaltschaft übereinstimmend beantragt hätten, den Haftbefehl aufzuheben, beweise eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO ebenfalls nicht. Dieses Prozessverhalten könne auch dem Umstand geschuldet sein, dass der Vorsitzende von Anfang an seine Absicht bekundet gehabt habe, den Haftbefehl aufzuheben. Außerdem wäre bei einem Nichteintritt der Rechtskraft trotz dieses Antrags eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft möglich gewesen. Aus den Stellungnahmen der Prozessbeteiligten ergebe sich auch keine ausreichende Grundlage für eine Verständigung über die Aufhebung des Haftbefehls und einen Rechtsmittelverzicht. Die Annahme einer Absprache bei dem Gespräch im Richterzimmer scheide schon mangels Beteiligung der Schöffen aus. Der nachfolgende Geschehensablauf lasse unter Zugrundelegung der Schilderung der Verteidigerin die Bejahung einer Verständigung ebenfalls nicht zu, da diese mit der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft keinen Konsens erzielt gehabt habe. Zudem habe letztere geäußert, sie habe es nach wie vor als problematisch erachtet, dass der Haftbefehl aufgehoben werden sollte.

14

Aus diesen Gründen habe sich der Senat nicht die Überzeugung bilden können, dass eine Verständigung erfolgt sei. Daran ändere auch die ergänzend vorgelegte eigene Stellungnahme des Beschwerdeführers nichts, der angegeben habe, seine Verteidigerin habe ihm mitgeteilt, "es sei alles klar, er werde zwei Jahre und zehn Monate kriegen, könne nach Hause gehen und müsse auf Berufung verzichten". Nach ihrer Schilderung des Verfahrensablaufs habe die Verteidigerin nicht von einem Konsens ausgehen können.

15

4. a) Mit seiner Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 beanstandete der Beschwerdeführer insbesondere, das Gericht habe die zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht ausgeschöpft und wesentliche Gesichtspunkte unerwähnt gelassen.

16

b) Das Oberlandesgericht Dresden wies die Anhörungsrüge am 6. Juni 2011 als unbegründet zurück. Es habe keine weiteren Stellungnahmen einholen oder ergänzenden Beweis erheben müssen, da hieraus keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien. Gegen eine Verständigung sprächen weiterhin die unterschiedlichen Anträge von Verteidigung und Staatsanwaltschaft zum Strafmaß. Die Nichteinvernahme von Zeugen in der Hauptverhandlung beweise eine Verständigung ebenfalls nicht.

II.

17

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Landgerichts sowie des Oberlandesgerichts Dresden. Er rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG wegen Nichtwahrung der Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung. Die Fachgerichte hätten seinem Vortrag zu der getroffenen Verfahrensabsprache in angemessener Weise nachgehen müssen, statt sich mit dienstlichen Erklärungen zu begnügen, die auf die entscheidenden Fragen nicht eingingen und erst recht nicht antworteten. Ferner habe das Oberlandesgericht gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes verstoßen und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

18

2. Der Beschwerdeführer beantragt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen.

III.

19

Der Freistaat Sachsen hat von einer Äußerung zu der Verfassungsbeschwerde abgesehen. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat auf eine Stellungnahme des Vorsitzenden des 2. Strafsenats verwiesen, in der dieser die Rechtsprechung seines Senats zum Fehlen des Protokollvermerks über das (Nicht-)Zustandekommen einer Absprache darstellt. Die anderen Strafsenate haben von einer Stellungnahme abgesehen. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde für begründet, soweit sie sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 richtet. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben vorgelegen.

IV.

20

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Hiernach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

21

1. Die vorliegende Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Art und Weise der Prüfung des Zustandekommens (also des "ob") einer Verfahrensabsprache vor dem Amtsgericht Pirna durch die Rechtsmittelgerichte als Vorfrage der Entscheidung über die (Un-)Wirksamkeit des von dem Beschwerdeführer erklärten Rechtsmittelverzichts. Der etwaige Inhalt der von ihm behaupteten Verständigung vor dem Amtsgericht Pirna ist ebenso wenig Gegenstand der Verfassungsbeschwerde wie die Verfassungsmäßigkeit urteilsbezogener Verfahrensabsprachen im Strafprozess. Die vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht entschiedene Frage der Vereinbarkeit solcher Absprachen (vgl. dazu lediglich BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 f.) und ihrer gesetzlichen Regelung mit dem Grundgesetz ist im vorliegenden Verfahren somit nicht entscheidungserheblich und kann deshalb offen bleiben.

22

2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

23

a) Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 122, 248 <271 f.>). Soweit sie verfassungsrechtlich nicht bereits anderweitig erfasst werden, stellt das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren zudem Mindestanforderungen für eine zuverlässige Sachverhaltsaufklärung auf (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 70, 297 <308>; 122, 248 <270>).

24

b) Diesen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 nicht gerecht. Der Beschluss weicht in einer Weise von den obergerichtlichen Anforderungen an die richterliche Sachaufklärung ab, die verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar ist. Das Oberlandesgericht hätte nicht von einer weiteren Sachaufklärung absehen und verbleibende Zweifel nicht im Ergebnis zulasten des Beschwerdeführers werten dürfen.

25

aa) Es hätte jedenfalls der augenfälligen Ungereimtheit in der dienstlichen Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nachgehen müssen, die primär das Ziel einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft verfolgt und für den Fall einer Aufhebung des Haftbefehls die Einlegung einer Beschwerde angekündigt haben will, aber in der Hauptverhandlung die Aufhebung des Haftbefehls beantragte. Ferner hätte das Oberlandesgericht Stellungnahmen der Schöffen und der Urkundsbeamtin einholen müssen, nachdem die damalige Verteidigerin plausibel und widerspruchsfrei erklärt hatte, die Gespräche seien im Sitzungssaal fortgesetzt worden, und die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden ohne sachlichen Gehalt geblieben war.

26

bb) Schließlich hätte das Oberlandesgericht verbleibende Zweifel nicht zulasten des Beschwerdeführers werten dürfen. Zwar ist es grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach der auch im Freibeweisverfahren gebotenen Sachaufklärung nicht zu beseitigende Zweifel am Vorliegen von Verfahrenstatsachen grundsätzlich zulasten des Angeklagten gehen. Das dort vom Angeklagten grundsätzlich zu tragende Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts findet aber dort seine Grenze, wo die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts und dadurch entstehende Zweifel des Gerichts ihre Ursache in einem Verstoß gegen eine gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht finden (vgl. BVerfGK 16, 1 <18>).

27

3. Es kann dahinstehen, ob der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 auch das Gebot effektiven Rechtsschutzes und den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt.

V.

28

1. Soweit die Kammer die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annimmt, wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.

29

2. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG. Da der nicht zur Entscheidung angenommene Teil der Verfassungsbeschwerde von untergeordneter Bedeutung ist, sind die Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BVerfGE 86, 90 <122>).

30

3. Die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

31

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 267/13
vom
24. September 2013
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________
1. Wenn Verteidigung und Staatsanwaltschaft in Gegenwart der für die Entscheidung
zuständigen Richter Anträge zur Strafart und Strafhöhe nach
Teileinstellung des Verfahrens und Ablegung eines Geständnisses erörtern,
im Anschluss daran das Gericht nach dem Vortrag eines Formalgeständnisses
auf eine - an sich vorgesehene - Beweisaufnahme verzichtet, den
übereinstimmenden Anträgen folgt und der Angeklagte Rechtsmittelverzicht
erklärt, ist in der Regel von einer konkludent geschlossenen Urteilsabsprache
auszugehen, die dem Zweck dient, die Anforderungen und Rechtswirkungen
einer Verständigung rechtswidrig zu umgehen. Bloßes Schweigen
der Richter bei einem Verständigungsgespräch oder die Erklärung, das Gericht
trete den Vorschlägen nicht bei, stehen dem nicht entgegen.
2. Ein Rechtsmittelverzicht ist unwirksam, wenn dem Urteil eine informelle
Verständigung vorausgegangen ist.
BGH, Beschluss vom 24. September 2013 - 2 StR 267/13 - LG Marburg
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 24. September 2013 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 25. Februar 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 36 Fällen und wegen Betrugs in 36 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung sowie zu einer Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Die Revision ist zulässig. Der in der Hauptverhandlung vom 25. Februar 2013 durch den Verteidiger erklärte Rechtsmittelverzicht ist entsprechend § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam, denn dem Urteil lag eine (konkludente) Absprache zugrunde.
3
1. a) Dem Protokoll der Hauptverhandlung ist Folgendes zu entnehmen:
4
Nach Verlesung des Anklagesatzes wurde der Angeklagte vernommen. Dieser erklärte, dass er nicht zu einer Äußerung bereit sei. Darauf wurde die Hauptverhandlung von 09.40 Uhr bis 11.10 Uhr unterbrochen. Danach wurde „gem. § 243 Abs. 4 StPO festgestellt, dass Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gem. § 257c StPO gewesen ist, stattgefunden haben, aber ohne konkrete Ergebnisse geblieben sind.“
5
Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft erklärte, dass ein weiteres Verfahren wegen des Vorwurfs des versuchten Betrugs zum Nachteil der Firma H. gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt werde. Im Anschluss an diese Ankündigung der Staatsanwaltschaft gab der Wahlverteidiger des Angeklagten für diesen eine Erklärung ab, worauf der Angeklagte erklärte: „Die gemachten Angaben meines Verteidigers treffen zu“. Danach wurden „die persönlichen Verhältnisse“ mit dem Angeklagten erörtert, und anhand des Auszugs aus dem Bundeszentralregister wurde festgestellt, dass er nicht vorbestraft sei. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte hinsichtlich der Fälle 1 bis 12 und 49 bis 55 der Anklageschrift die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO. „Nach Beratung am Richtertisch“ beschloss die Strafkammer dies.
6
Der Vorsitzende erklärte anschließend, dass eine „qualifizierte Abspra- che gem. § 257c StPO“ nicht stattgefunden habe.
7
Hierauf wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und der Wahlverteidiger beantragten übereinstimmend die Verurteilung des Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung und zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu 30 Euro.
8
Das Landgericht verurteilte den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung und einer Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 30 Euro. Nach der allgemeinen Rechtsmittelbelehrung erklärten die Verteidiger mit Zustimmung des Angeklagten sowie die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft jeweils Rechtsmittelverzicht.
9
b) Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch einen anderen Verteidiger form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese mit der Sachrüge begründet. Er behauptet, der Rechtsmittelverzicht sei wegen einer informellen Urteilsabsprache unwirksam.
10
Nach der Unterbrechung der Hauptverhandlung habe die Staatsanwältin ihm angekündigt, sie werde im Fall einer geständigen Einlassung eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung und eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen beantragen. Dann sei es zu Erörterungen zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern im Beratungszimmer gekommen. Dort habe die Staatsanwältin ihr Angebot wiederholt. Anschließend sei ihm in der Gerichtskantine von den Verteidigern dazu geraten worden, den Vorschlag anzunehmen, „da auch das Gericht signalisiert habe, diesem Ergebnis nicht entgegen zu treten“. Er habe Bedenken geäußert, sei aber von beiden Verteidigern „relativ harsch“ darauf hingewiesen worden, dass er andernfalls eine zu vollstreckende Freiheitsstrafe zu erwarten habe. Deshalb habe sein Wahlverteidiger in der Hauptverhandlung für ihn ein „schlankes Geständnis“ formuliert, das er bestätigt habe. Schließlich seien die übereinstimmenden Anträge gestellt worden.
11
c) Nach der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden der Strafkammer haben sich die Richter bei den Erörterungen im Beratungszimmer zu den Strafmaßvorstellungen der Verfahrensbeteiligten nicht geäußert. Die Strafkammer selbst habe weder eine Obergrenze noch eine Untergrenze der im Geständnisfall zu erwartenden Strafen genannt. Zu einer Verständigung im Sinne von § 257c StPO unter Mitwirkung der Strafkammer sei es nicht gekommen. Vielmehr habe er, der Vorsitzende, in der Hauptverhandlung betont, dass die Strafkammer „etwaigen Strafmaßverabredungen anderer Beteiligter“ nicht bei- trete.
12
Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft hat dienstlich erklärt, sie erinnere sich zwar nicht an konkrete Äußerungen der Richter. Jedenfalls habe die Strafkammer aber nicht erklärt, dass sie ihre Einschätzung für fernliegend halte.
13
2. Die beschriebenen Abläufe in der Hauptverhandlung lassen - auch unter Berücksichtigung der dienstlichen Erklärungen - erkennen, dass zumindest konkludent eine rechtswidrige Urteilsabsprache zustande gekommen ist, die zudem rechtsfehlerhaft nicht dokumentiert wurde.
14
a) Der Protokollvermerk, dass eine „qualifizierte Absprache“ gemäß § 257c StPO nicht stattgefunden habe, steht der freibeweislichen Feststellung nicht entgegen, dass ein hiervon abweichendes Verfahren stattgefunden hat.
15
b) Aus der Gesamtschau der vorliegenden Umstände ergibt sich, dass eine konkludente Urteilsabsprache stattgefunden hat:
16
Hierauf deutet schon die besondere Betonung des Fehlens einer „qualifizierten Absprache“ hin, ebenso die Tatsache, dass die Strafkammer die von der Staatsanwaltschaft beantragte Teileinstellung des Verfahrens hinsichtlich 19 weiterer Fälle nur „am Richtertisch“ abstimmte, bevor der Beschluss erging.
17
Das Gericht hat sich zwar - folgt man der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden - verbal von den Vorschlägen und Anträgen distanziert, die (in seinem Beisein) im Beratungszimmer zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft zur Verfahrensbeendigung nach einem Geständnis und Teileinstellungen erörtert wurden. Es ist ihnen anschließend aber in der Sache fast vollständig gefolgt, ohne dass eine diesbezügliche Änderung der Sach- und Rechtslage dies erklären könnte. Es hat zudem ein diesen Vorschlägen genau entsprechendes Verfahren gewählt.
18
Der Angeklagte legte ein Geständnis ab, jedoch nur in der Weise, dass sein Verteidiger für ihn eine Erklärung abgab, deren Inhalt er pauschal als zutreffend bezeichnete. Das Gericht stellte keine Fragen zu den Vorwürfen der Anklage und erhob dazu keine Beweise. Von der ursprünglich vorgesehenen umfangreichen Beweisaufnahme wurde vollständig abgesehen.
19
Die Anträge von Verteidigung und Staatsanwaltschaft, die nach Abschluss der Beweisaufnahme gestellt wurden, sind in ihrer Übereinstimmung nur damit zu erklären, dass die Antragsteller Grund zu der Annahme hatten, das Gericht werde jedenfalls nicht darüber hinaus gehen. Die Verteidiger hatten keinen Grund, dem Angeklagten zur Befolgung der Vorschläge der Staatsan- waltschaft zu raten, wenn sie nicht ihrerseits davon ausgingen, das Gericht werde im Fall des Geständnisses keine höhere als die von dieser vorgeschlagene Strafe verhängen. Die protokollierte Mitteilung des Vorsitzenden, es hät- ten Erörterungen „ohne konkrete Ergebnisse“ stattgefunden, traf daher nicht zu.
20
Ein bloßes Schweigen der Richter zu den in ihrer Anwesenheit erfolgten Erörterungen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigern stand der Annahme einer konkludenten Absprache ebenso wenig entgegen wie eine - von diesem behauptete - Äußerung des Vorsitzenden, er - oder „die Strafkammer“ - trete den Abreden nicht bei. Wenn ein solches Verhalten der Richter für die Beteiligten erkennbar nur den Sinn haben sollte, die formellen Anforderungen an eine Absprache gemäß § 257c StPO und deren Rechtsfolgen zu umgehen, kam es nicht auf ein äußeres Verhalten oder eine ausdrückliche Erklärung, sondern allein darauf an, was nach dem Gesamtzusammenhang und dem Erkenntnishorizont der Beteiligten damit gemeint war. In einer Konstellation wie der vorliegenden , in der die zuvor angeblich nicht getroffenen Absprachen anschließend fast vollständig umgesetzt werden und der Angeklagte Rechtsmittelverzicht erklärt , ist in der Regel von einer konkludenten Einigung der Beteiligten auszugehen , die einerseits Form und Inhalt der Verfahrensbeendigung, andererseits die stillschweigende Verabredung umfasst, das hierfür gesetzlich vorgeschriebene (Protokollierungs-) Verfahren in allseitiger Zustimmung zu umgehen. Eine solche - bewusst rechtswidrige - Verfahrensweise ist von vornherein nicht geeignet , die verfassungsrechtlichen Grenzen des gesetzlich geregelten Verständigungsverfahrens zu Lasten des Beschuldigten zu verschieben.
21
3. Die informelle Absprache gebietet eine entsprechende Anwendung von § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO.
22
Nach dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. 2009 I, S. 2353) ist für informelle Absprachen über das Prozessergebnis kein Raum. Nach dem Zweck des gesetzlichen Ausschlusses eines Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO muss diese Regelung für informelle Absprachen erst recht gelten (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 27. September 2011 - 1 Ws 381/11, StV 2012, 141, 142 mit Anm. Meyer-Goßner; OLG München, Beschluss vom 17. Mai 2013 - 2 Ws 1149, 1150/12, StV 2013, 495, 499 f. mit Anm. Meyer-Goßner, StV 2013, 614; SK/Frisch, StPO, 4. Aufl., § 302 Rn. 32d; vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 offen gelassen von BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2010 - 5 StR 419/10, NStZ 2011, 473; a.A. Niemöller NStZ 2013, 19, 22).
23
Diese Bewertung der Rechtslage zum Rechtsmittelverzicht nach informellen Urteilsabsprachen steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das von der Rechtswidrigkeit informeller Verfahrenserledigungen ausgeht und die Effektivität der revisionsgerichtlichen Verfahrenskontrolle angemahnt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1064 ff.).
24
Ein Angeklagter, der an Erörterungen der Richter, Verteidiger und Vertreter der Staatsanwaltschaft im Beratungszimmer nicht beteiligt war, dem die für das Verständigungsverfahren vorgesehenen Informationen über den wesentlichen Inhalt der Erörterungen (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) nicht protokollfest (§ 273 Abs. 1 Nr. 1a StPO) erteilt wurden (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR 195/12, NJW 2013, 3046, 3047 f., für BGHSt bestimmt) und der nach der Urteilsverkündung vom Gericht nicht qualifiziert über seine Rechtsmittelmöglichkeit belehrt wurde (§ 35a Satz 3 StPO), ist besonders schutzwürdig. Er kann unmittelbar nach Urteilsverkündung nicht eigenverantwortlich entscheiden, ob eine Rechtsmittelmöglichkeit noch mit Aussicht auf Erfolg genutzt werden kann oder ein Rechtsmittelverzicht erklärt werden soll.

II.


25
Die Feststellung der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts führt nicht zur Rückgabe der Akten an das Landgericht zu einer Ergänzung des „abgekürzt“ verfassten Urteils.Vom Fall der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung oder zur Begründung der Revision abgesehen (§ 267 Abs. 4 Satz 4 StPO), kommt eine nachträgliche Urteilsergänzung grundsätzlich nicht in Betracht. Davon ausgenommen sind nur Fälle, in denen das Gericht bei der Urteilsabsetzung aus anderen Gründen ohne weiteres davon ausgehen konnte, dass § 267 Abs. 4 Satz 1 StPO anzuwenden sei (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2008 - 5 StR 114/08, NStZ 2008, 646 f.). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, denn dem Gericht war die rechtswidrige Umgehung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO bewusst. Es konnte nicht darauf vertrauen, dass ein hierauf erklärter Rechtsmittelverzicht Bestand haben würde.

III.


26
Das Urteil ist aufgrund der Sachrüge aufzuheben, denn ihm fehlt eine tragfähige Beweisgrundlage. Das Landgericht hat sich auf die Mitteilung be- schränkt: „Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten eingeräumt. An der Richtigkeit des Geständnisses besteht kein Zweifel.“ Dies trägt die Verurtei- lung nicht.
27
Aus dem Schuldprinzip folgt die Verpflichtung der Strafgerichte, von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1060). Diese Pflicht darf nicht dem Interesse an einer einfachen und schnellstmöglichen Erledigung des Verfahrens geopfert werden. Es ist unzulässig, dem Urteil einen Sachverhalt zu Grunde zu legen, der nicht auf einer Überzeugungsbildung unter Ausschöpfung des Beweismaterials beruht. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte geständig gezeigt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. April 2013 - 3 StR 35/13, StV 2013, 684, vom 6. August 2013 - 3 StR 212/13, StV 2013, 703 f. und vom 5. November 2013 - 2 StR 265/13).
28
Nach diesem Maßstab ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, denn das Landgericht hat es ausweislich der Urteilsgründe unterlassen, das Geständnis des Angeklagten einer Überprüfung zu unterziehen. Damit beruht seine Überzeugung nicht auf einer tragfähigen Grundlage.
Fischer Krehl Eschelbach
Ott Zeng

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die

Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

Gründe

I.

1

Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 14. Juli 2014 wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 256 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren; zudem hat es den Verfall von Wertersatz angeordnet.

2

Gegen dieses Urteil, dem eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO nicht vorausging, wandte sich der Beschwerdeführer mit seiner Revision und rügte - neben Verstößen gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO sowie gegen § 24 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 338 Nr. 3 StPO - eine Verletzung von § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, da das Hauptverhandlungsprotokoll kein Negativattest im Sinne dieser Vorschrift enthalte. Der Generalbundesanwalt beantragte, die Revision des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen. Der Rüge nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO müsse der Erfolg versagt bleiben, weil das Urteil auf einem Protokollierungsmangel schlechterdings nicht beruhen könne: Die Sitzungsniederschrift werde erst nach Verkündung der Urteilsformel fertiggestellt. Der Bundesgerichtshof verwarf mit Beschluss vom 14. April 2015 die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO und schloss in Zusammenhang mit den gerügten Verstößen gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO unter Berücksichtigung des Verfahrensablaufs, des Revisionsvorbringens und der unwidersprochen gebliebenen dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden der Strafkammer aus, dass eine gesetzeswidrige Absprache angestrebt oder gar getroffen wurde; zur Rüge der Verletzung des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO verhielt sich der Beschluss nicht.

3

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem, der Bundesgerichtshof habe die indizielle Bedeutung eines Verstoßes gegen § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO für einen Verstoß gegen § 257c StPO verkannt und mit seiner Auslegung der Vorschrift gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen.


II.

4

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ihr kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>).

5

1. Soweit der Beschwerdeführer in der Auslegung und Anwendung des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO durch den Bundesgerichtshof Grundrechte verletzt sieht, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet, da die angefochtene Entscheidung jedenfalls nicht auf einem etwaigen Verfassungsverstoß beruht.

6

a) Der Prüfungsmaßstab ist dem Grundrecht auf ein faires Verfahren zu entnehmen. Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 86, 288 <317>; 118, 212 <231>; 122, 248 <271>) und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 46, 202 <210>). Es enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten (vgl. BVerfGE 57, 250 <275 f.>; 70, 297 <308>; 130, 1 <25>). Diese Konkretisierung ist zunächst Aufgabe des Gesetzgebers und sodann, in den vom Gesetz gezogenen Grenzen, Pflicht der zuständigen Gerichte bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung (vgl. BVerfGE 63, 45 <61>; 64, 135 <145>; 122, 248 <272>; 133, 168 <200 Rn. 59>). Die Gerichte haben den Schutzgehalt der in Frage stehenden Verfahrensnormen und anschließend die Rechtsfolgen ihrer Verletzung zu bestimmen. Dabei sind Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren angemessen zu berücksichtigen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. zur Bedeutung der Grundrechte als objektive Wertordnung BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; stRspr). Die Verkennung des Schutzgehalts einer verletzten Verfahrensnorm kann somit in das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren eingreifen (vgl. BVerfGK 9, 174 <188 f.>; 17, 319 <328>).

7

b) Die in dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgesehenen Schutzmechanismen in Form von Transparenz- und Dokumentationsvorschriften, zu denen auch § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO gehört, verfolgen als ein wesentliches Ziel, eine wirksame "vollumfängliche" Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen. Diese Kontrolle soll dazu beitragen, dass "Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht" (vgl. BVerfGE 133, 168 <221 Rn. 94 f.> unter Hinweis auf die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). Intransparente, unkontrollierbare "Deals" sind im Strafprozess wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens dagegen bereits von Verfassungs wegen untersagt (vgl. BVerfGE 133, 168 <232 Rn. 115>). Gerade das sogenannte Negativattest dient ausweislich der Gesetzesmaterialien dazu, mit höchstmöglicher Gewissheit und auch in der Revision überprüfbar die Geschehnisse in der Hauptverhandlung zu dokumentieren und auszuschließen, dass "stillschweigend" ohne Beachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten solche Verhaltensweisen stattgefunden haben (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 15). Die Vorschrift des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO kann daher nicht als bloße Ordnungsvorschrift verstanden werden, sie gehört vielmehr zum Kern des gesetzlichen Regelungskonzepts (vgl. BVerfGE 133, 168 <222 Rn. 96>; siehe auch BGHSt 56, 3 <5> m.w.N.).

8

c) Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass, soweit eine Verständigung nicht zustande kommt und es an dem vorgeschriebenen Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO fehlt, nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c StPO grundsätzlich nicht auszuschließen sein wird, sofern nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand. Bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten wird sich nämlich in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige "informelle" Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht (BVerfGE 133, 168 <223 Rn. 98>).

9

2. Der Beschwerdeführer geht danach zu Recht davon aus, dass die einem Fehlen des Negativattests zukommende Indizwirkung für einen Verstoß gegen § 257c StPO durch eine heimliche Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen bei Auslegung und Anwendung des Verfahrensrechts zu berücksichtigen ist. Dies führt aber nicht dazu, dass für Rügen, mit denen eine Verletzung von § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO geltend gemacht wird, von Verfassungs wegen eine Ausnahme vom ansonsten geltenden Grundsatz der Unzulässigkeit sogenannter "Protokollrügen" gelten würde, mit denen lediglich die Fehlerhaftigkeit der Sitzungsniederschrift gerügt wird, auf der das Urteil nicht beruhen kann (vgl. dazu BGHSt 7, 162 <163 f. >; BGH, Urteil vom 20. April 2006 - 4 StR 604/05 -, NStZ-RR 2007, S. 52 <53>; Beschluss vom 8. Juni 2011 - 4 StR 111/11 -, juris, Rn. 3; BGHSt 59, 130 <132 f.>; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 344 Rn. 26; Gericke, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2013, § 344 Rn. 21; Momsen, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 2. Aufl. 2016, § 344 Rn. 38, jeweils m.w.N.).

10

a) Die Konkretisierung des Grundrechts auf ein faires Verfahren bei und durch Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts ist zunächst Aufgabe der Fachgerichte; das Bundesverfassungsgericht kann erst eingreifen, wenn eine Gesamtschau ergibt, dass dabei rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht ge- zogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfGE 57, 250 <276>; 64, 135 <145 f.>; 122, 248 <272>; 133, 168 <200, Rn. 59>).

11

Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es nicht geboten, den Hinweis auf das fehlende Negativattest als schon für sich zulässige Beanstandung eines Verfahrensfehlers anzusehen, der sich ausnahmsweise allein aus der fehlerhaften Protokollierung ergibt (vgl. zu diesem Ansatz BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13 -, StV 2014, S. 515; BGHSt 58, 310 <311 f.>; krit. etwa Schneider, NStZ 2014, S. 252 <255 ff.>), wenn und soweit dem Schutzgedanken des §273 Abs. 1a Satz 3 StPO auf andere Weise angemessen Rechnung getragen wird. Dies ist jedenfalls dann gewährleistet, wenn eine diesbezügliche Verfahrensrüge in jedem Einzelfall sorgfältig darauf geprüft wird, ob damit der Sache nach nicht ein Verstoß gegen § 257c StPO durch eine informelle Absprache geltend gemacht wird. Dass auch vordergründige "Protokollrügen" auslegungsfähig und gegebenenfalls auslegungsbedürftig sind, ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 300 StPO, der bei der Auslegung der Revisionsbegründungsschrift zu beachten ist (vgl. BVerfGE 112, 185 <211> m.w.N.). Eine falsche Bezeichnung der verletzten Rechtsvorschrift ist gemäß § 352 Abs. 2 StPO ohnehin unschädlich (vgl. Gericke, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl. 2013, § 344 Rn. 19). Dementsprechend ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass missverständliche Formulierungen wie "ausweislich des Sitzungsprotokolls" oder "aus dem Sitzungsprotokoll ergibt sich nicht" unter Umständen nur als Hinweis auf die Beweisführung hinsichtlich des behaupteten Verfahrensfehlers verstanden werden können und der Zulässigkeit der Rüge nicht entgegenstehen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1981 - 4 StR 496/81 -, StV 1982, S. 4 <5>; Beschluss vom 13. Mai 1997 - 4 StR 191/97 -, StV 1997, S. 515 f.; Urteil vom 12. Januar 2005 - 2 StR 138/04 -, NStZ 2005, S. 281; Beschluss vom 11. November 2014 - 3 StR 497/14 -, juris, Rn. 2; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 344 Rn. 26; Franke, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 344 Rn. 86; Hamm, Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl. 2010, Rn. 239).

12

b) Welche Anforderungen nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO allgemein - und damit auch als Voraussetzung für eine entsprechende Auslegung - an die Rüge einer gesetzeswidrigen informellen Absprache oder diesbezüglicher Gesprächsbemühungen zu stellen sind, ist als Frage der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts den Revisionsgerichten übertragen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 26. August 2014 - 2 BvR 2400/13 -, NJW 2014, S. 3504 <3506> zu § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO). Ihnen obliegt etwa die Entscheidung, dass die Revision konkret und im Einzelnen mitteilen muss, welche Kenntnisse sie - gegebenenfalls nach zumutbarer Einholung von Auskünften beim Instanzverteidiger (vgl. BVerfGK 6, 235 <237 f.>) - von einer derartigen Absprache hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 - 4 StR 121/13 -, NStZ 2013, S. 541; BGHSt 56, 3 <6>; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Juni 2015 - 1 StR 579/14 - NStZ 2015, S. 657 <658> zu § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO). Möglich wäre aber auch eine Entscheidung, mit Blick auf das gesetzliche Schutzkonzept pauschalere Behauptungen genügen zu lassen, die dann vom Revisionsgericht im Freibeweisverfahren überprüft werden (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2015 - 2 StR 389/13 -, juris, Rn. 61 f. und BGH, Beschluss vom 3. September 2013 - 1 StR 237/13 -, NStZ 2013, S. 724 f., jeweils zu § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO; vgl. allgemein zur Möglichkeit des Freibeweisverfahrens beim Fehlen des Negativattestes BGHSt 56, 3 <5 f.>).

13

3. Ob der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung den verfassungsrechtlichen Schutzgehalt des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO verkannt hat, kann hier dahinstehen.

14

Zwar hat sich der Bundesgerichtshof in dem angegriffenen Beschluss nicht ausdrücklich zur Rüge der Verletzung des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO geäußert, so dass davon auszugehen ist, dass er sich insoweit die Ausführungen des Generalbundesanwalts zu eigen gemacht hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2014 - 2 BvR 792/11 -, NJW 2014, S. 2563 <2564> m.w.N.). Dieser hat zwar die entsprechende Verfahrensbeanstandung als bloße Protokollrüge angesehen, ohne erkennbar zu prüfen, ob sie in der beschriebenen Weise ausgelegt werden kann. Die Frage, ob durch die Unterlassung dieser Prüfung das Grundrecht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren verletzt wurde, kann gleichwohl offenbleiben. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann in derartigen Fällen ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß jedenfalls dann ausgeschlossen werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass das Urteil weder auf eine gesetzeswidrige informelle Absprache noch diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht (vgl. BVerfGE 133, 168 <223 Rn. 98>).

15

So liegt es hier. Der Bundesgerichtshof hat sich im Zusammenhang mit den anderen erhobenen Verfahrensrügen unter Berücksichtigung des Verfahrensablaufs, des Revisionsvorbringens und der unwidersprochen gebliebenen dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden - und damit nach Aufklärung der Verfahrenstatsachen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 26. August 2014 - 2 BvR 2400/13 -, NJW 2014, S. 3504 <3505>) - umfassend mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine gesetzeswidrige Absprache angestrebt oder getroffen wurde, und dies verfassungsrechtlich vertretbar eindeutig ausgeschlossen. Von daher lässt sich auch ausschließen, dass der Bundesgerichtshof selbst dann, wenn er die Verfahrensrüge als zulässig angesehen hätte, zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Die angefochtene Entscheidung würde daher nicht auf dem unterstellten Grundrechtsverstoß beruhen.

16

4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

17

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf 5.000 € (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Mit Urteil vom 15. November 2012 verurteilte das Landgericht Karlsruhe den Beschwerdeführer wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Der Verurteilung gingen außerhalb der Hauptverhandlung geführte Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung voraus. Die näheren Umstände stellen sich wie folgt dar:

2

Kurz nach ihrem Beginn wurde die Hauptverhandlung für die Dauer von etwa 90 Minuten unterbrochen. Während dieser Unterbrechung wurden im Dienstzimmer des Vorsitzenden unter Beteiligung der beiden Berufsrichter, des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und der beiden Verteidiger des Beschwerdeführers Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung geführt. Nach Erinnerung eines der beiden Verteidiger wurden dabei als Untergrenze vier Jahre, möglicherweise auch vier Jahre und sechs Monate, und als Obergrenze sechs Jahre Freiheitsstrafe in Aussicht gestellt. Beide Verteidiger erörterten den Gegenstand des Gesprächs mit dem Beschwerdeführer, der weiterhin auf seiner Unschuld beharrte und daher die Verständigung ablehnte.

3

Nach Wiedereintritt in die öffentliche Hauptverhandlung gab der Vorsitzende bekannt, dass während der Unterbrechung zwischen den Verteidigern, dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und den beiden Berufsrichtern Gespräche über eine Verständigung stattgefunden hätten und eine Verständigung nicht zustande gekommen sei. Den näheren Inhalt der Gespräche teilte er nicht mit.

4

In einem späteren Termin gab der Vorsitzende gemäß § 257b StPO bekannt, dass das Gericht entgegen der Anklage nicht von einer Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln ausgehe. Daraufhin bat die Verteidigung erneut um eine Unterbrechung für ein Gespräch mit der Kammer. Die Hauptverhandlung wurde für etwas mehr als eine Stunde unterbrochen. Das Gespräch fand wiederum im Beisein der beiden Berufsrichter, des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger im Dienstzimmer des Vorsitzenden statt. Nach Erinnerung beider Verteidiger stellten die Berufsrichter unter Bezugnahme auf die bisherige Beweisaufnahme bei geständiger Einlassung nunmehr eine Freiheitsstrafe von vier Jahren sowie die Außervollzugsetzung des Haftbefehls bei Hinterlegung einer angemessenen Kaution in Aussicht. Der Beschwerdeführer lehnte eine Verständigung jedoch weiterhin ab.

5

Nach der Unterbrechung gab der Vorsitzende in der öffentlichen Hauptverhandlung wiederum lediglich bekannt, dass die Möglichkeit einer Verständigung zwischen den Berufsrichtern, der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern erörtert worden sei. Nähere Angaben zum Inhalt des Gesprächs machte er dagegen nicht.

6

Eine Verständigung kam im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht zu Stande. Eine weitere Mitteilung des Inhalts der außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche erfolgte ebenfalls nicht.

7

2. Gegen das Urteil des Landgerichts legte der Beschwerdeführer Revision ein und rügte unter anderem einen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO, weil der Vorsitzende es unterlassen habe, in der öffentlichen Sitzung den wesentlichen Inhalt der außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche über eine verfahrensbeendende Verständigung mitzuteilen.

8

3. Durch Beschluss vom 29. November 2013 verwarf der Bundesgerichtshof die Revision des Beschwerdeführers mit der Begründung, es liege zwar ein Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO vor; dies stelle jedoch keinen absoluten Revisionsgrund dar, und das Urteil beruhe auch nicht auf dem Verstoß.

9

Der Strafsenat teile zwar die Auffassung, dass auch bei dem letztendlichen Scheitern von Verständigungsgesprächen über das bloße Ergebnis hinaus deren Inhalt ähnlich wie der Inhalt nicht gescheiterter Gespräche bekannt zu geben und zu protokollieren sei. Dies folge letztlich aus dem Grundsatz der Transparenz, der das Recht der Verfahrensverständigung insgesamt beherrsche. Die Annahme, es liege ein von § 338 Nr. 6 StPO erfasster Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz vor, wenn zwar die Durchführung von Gesprächen und deren Ergebnislosigkeit, nicht aber der detaillierte Ablauf der Gespräche in der Hauptverhandlung mitgeteilt werde, sei aber weder aus verfassungsrechtlichen noch aus sonstigen Gründen geboten.

10

Die Revision habe auch keinen Erfolg, soweit sie geltend mache, ein Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Dokumentationsmangel sei nicht auszuschließen. Die Auswirkungen unzulänglicher Protokollierung von Verständigungsgesprächen beträfen im Kern das Aussageverhalten des Angeklagten, das von einer Verständigung regelhaft tangiert sei. Der Angeklagte solle autonom und daher nur auf der Grundlage umfassender (und angesichts ihrer Bedeutung auch umfassend protokollierter) Unterrichtung durch das Gericht über die regelmäßig in seiner Abwesenheit durchgeführten Gespräche darüber entscheiden, ob er den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit aufgebe und sich mit einem Geständnis des Schweigerechts begebe. All dies sei hier nicht einschlägig, weil der Angeklagte bis zuletzt von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht habe.

11

Auszuschließen sei ferner, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige informelle Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgehe. Die Gespräche als solche seien nicht geheim gehalten worden. Dass sie nicht auf eine wie auch immer geartete inhaltlich unzulässige Absprache gerichtet gewesen seien, ergebe sich aus den Erklärungen der Instanzverteidiger, die zum Gegenstand des Revisionsvortrages gemacht worden seien. Dementsprechend heiße es in der Revisionsbegründung auch zusammenfassend, dass es ausweislich der anwaltlichen Erklärungen Angebote zu gesetzeswidrigen Verständigungen nicht gegeben habe. Wenn aber die Revision ausdrücklich vortrage, dass eine bestimmte Konstellation aus tatsächlichen Gründen nicht vorgelegen habe, so könne das Revisionsgericht seiner Entscheidung nicht diese ausdrücklich ausgeschlossene Möglichkeit zu Grunde legen.

12

Der Strafsenat habe schließlich auch erwogen, ob der Beschwerdeführer durch die unzulänglich protokollierte Unterrichtung durch das Gericht zu seinem Nachteil davon abgehalten worden sein könnte, sich (auch jenseits einer Verständigung) zur Sache einzulassen. Auch dieser Gesichtspunkt greife jedoch nicht durch. Ausweislich der in der Revisionsbegründung mitgeteilten anwaltlichen Erklärungen sei der Beschwerdeführer "ohnehin" zu geständigen Angaben nicht bereit gewesen, weil er auf seiner "Unschuld beharrt" habe. Sei der Beschwerdeführer also keinesfalls zu solchen Angaben bereit gewesen, könne seine Entscheidung nicht darauf beruhen, dass er nicht vom Gericht umfassend über den Ablauf der Gespräche unterrichtet worden sei.

13

4. Eine Anhörungsrüge des Beschwerdeführers wies der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 27. Februar 2014 zurück.

II.

14

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die genannten Entscheidungen und rügt unter anderem eine Verletzung des Rechts auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren. Die unterbliebene Information der Öffentlichkeit und des Beschwerdeführers durch das Gericht über den Inhalt dessen, was sich außerhalb der Hauptverhandlung zugetragen habe, stelle nicht nur einen einfachgesetzlichen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO dar. Sie sei obendrein mit dem durch das Verständigungsgesetz zu bewahrenden und verfassungsrechtlich als Ausdruck eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens zu sehenden Öffentlichkeitsgrundsatz nicht vereinbar. Dem hätte das Revisionsgericht im Sinne des effektiven Revisionsrechtsschutzes, wie ihn das Verständigungsgesetz vorgebe und das Bundesverfassungsgericht fordere, Rechnung tragen müssen. Der Bundesgerichtshof sei stattdessen davon ausgegangen, die Mitteilungspflicht diene in erster Linie der Information des Angeklagten und weniger der Transparenz für die Öffentlichkeit. Nur so könne seine Beschlussbegründung verstanden werden, wonach der Rüge der unzureichenden Mitteilung keine Folgen zuzumessen seien, da der Beschwerdeführer ausweislich der anwaltlichen Erklärungen zu einem Geständnis nicht bereit gewesen sei. Damit werde die Schutzrichtung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO in eine gänzlich andere Richtung interpretiert, als es dem Willen des Gesetzgebers entspreche.

III.

15

Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Generalbundesanwalt und der Vorsitzende des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs Stellung genommen. Der Beschwerdeführer hat auf die Stellungnahmen erwidert. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.

IV.

16

Auf Antrag des Beschwerdeführers hat die Kammer mit Beschluss vom 4. Juni 2014 die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 15. November 2012 bis zur Entscheidung über die Verfassungs-beschwerde - längstens für die Dauer von sechs Monaten (§ 32 Abs. 6 Satz 1 BVerfGG) - ausgesetzt. Die einstweilige Anordnung wurde mit Beschluss vom 26. November 2014 für die Dauer von sechs Monaten, längstens jedoch bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde wiederholt.

V.

17

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits geklärt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Zwar kommt in der Begründung der Revisionsentscheidung eine Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren für die Auslegung und Anwendung des § 243 Abs. 4 StPO zum Ausdruck; denn die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zum Beruhen des erstinstanzlichen Urteils auf dem Verfahrensverstoß blenden die den Angeklagten schützende Funktion der vom Gesetzgeber für wesentlich erachteten Kontrolle von Verständigungsgesprächen durch die Öffentlichkeit aus (1.). Allerdings wird die Verwerfung der Revision auch auf einen hiervon unabhängigen Aspekt gestützt, der unter den vorliegenden Umständen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (2.).

18

1. Wenn der Bundesgerichtshof das Beruhen des landgerichtlichen Urteils auf dem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO allein unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten prüft und die von dem Verstoß in erster Linie betroffene, auch dem Schutz des Angeklagten dienende Kontrollmöglichkeit der Öffentlichkeit außer Acht lässt, so verkennt er Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) für die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Verständigung im Strafprozess (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Januar 2015 - 2 BvR 2055/14 -).

19

a) Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 86, 288 <317>; 118, 212 <231>; 122, 248 <271>) und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 46, 202 <210>). Am Recht auf ein faires Verfahren ist die Ausgestaltung des Strafprozesses zu messen, wenn und soweit keine spezielle verfassungsrechtliche Gewährleistung existiert (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 109, 13 <34>; 122, 248 <271>; 130, 1 <25>).

20

Das Recht auf ein faires Verfahren enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten (vgl. BVerfGE 57, 250 <275 f.>; 70, 297 <308>; 130, 1 <25>). Diese Konkretisierung ist zunächst Aufgabe des Gesetzgebers und sodann, in den vom Gesetz gezogenen Grenzen, Pflicht der zuständigen Gerichte bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung (vgl. BVerfGE 63, 45 <61>; 64, 135 <145>; 122, 248 <272>; 133, 168 <200>). Die Gerichte haben den Schutzgehalt der in Frage stehenden Verfahrensnormen und anschließend die Rechtsfolgen ihrer Verletzung zu bestimmen. Dabei sind Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren angemessen zu berücksichtigen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. zur Bedeutung der Grundrechte als objektive Wertordnung BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; stRspr). Die Verkennung des Schutzgehalts einer verletzten Verfahrensnorm kann somit in das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren eingreifen (vgl. BVerfGK 9, 174 <188, 189>; 17, 319 <326 ff.>).

21

b) Ein zentrales Anliegen der vom Gesetzgeber mit dem Verständigungsgesetz verfolgten Regelungskonzeption ist die Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit. Dem Gesetzgeber kam es maßgeblich darauf an, die Transparenz der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gerade im Falle einer Verständigung zu bewahren; die Verständigung muss sich nach dem Willen des Gesetzgebers "im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren" (vgl. BVerfGE 133, 168 <214 f., Rn. 81 f.> unter Hinweis auf die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 12).

22

aa) Der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen stützt sich auf eine lange Tradition, die ihre Wurzeln in der Zeit der Aufklärung hat. Der Grundsatz wurde in Deutschland insbesondere durch Anselm von Feuerbach geprägt (vgl. von Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, 1821, Neudruck 1969, Bd. 1). Die Gerichtsöffentlichkeit sollte zum einen in Gestalt einer Verfahrensgarantie dem Schutz der an der Verhandlung Beteiligten, insbesondere der Angeklagten im Strafverfahren, gegen eine der öffentlichen Kontrolle entzogene Geheimjustiz dienen. Zum anderen wurde davon ausgegangen, dass "das Volk um seines eigenen Rechtes willen bei Gericht zu erscheinen berufen wird" (vgl. von Feuerbach, a.a.O., S. 180). Es wurde also als Rechtsposition des Volkes empfunden, von den Geschehnissen im Verlauf einer Gerichtsverhandlung Kenntnis zu nehmen und die durch die Gerichte handelnde Staatsgewalt einer Kontrolle in Gestalt des Einblicks der Öffentlichkeit zu unterziehen. Beide Gesichtspunkte werden unter dem Grundgesetz vom Rechtsstaatsprinzip erfasst und sind auch wesentlich für die Demokratie. Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention normiert den Grundsatz ergänzend dahingehend, dass vor einem Gericht öffentlich verhandelt und das Urteil öffentlich verkündet wird (vgl. BVerfGE 103, 44 <63 f.>).

23

bb) Die mit der Möglichkeit einer Beobachtung der Hauptverhandlung durch die Allgemeinheit verbundene öffentliche Kontrolle der Justiz erhält durch die gesetzliche Zulassung der in eine vertrauliche Atmosphäre drängenden Verständigungen zusätzliches Gewicht. Dem hat der Gesetzgeber durch die Mitteilungspflicht in § 243 Abs. 4 StPO Rechnung getragen. Die Öffentlichkeit kann ihre Kontrollfunktion nur ausüben, wenn sie die Informationen erhält, die zur Beurteilung der Angemessenheit einer etwaigen Verständigung erforderlich sind. Nur so bleibt der gerichtliche Entscheidungsprozess transparent und die Rechtsprechung auch in Verständigungsfällen für die Allgemeinheit durchschaubar. Dies ist notwendig, damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit des Staates, mittels einer wirksamen Strafverfolgung öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten und Gerechtigkeit im Einzelfall sowie eine gleichmäßige Behandlung aller zu garantieren, uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann (vgl. BVerfGE 133, 168 <217, Rn. 88 f.>).

24

Zugleich dienen die Transparenzvorschriften des Verständigungsgesetzes dem Schutz des Angeklagten vor einem im Geheimen sich vollziehenden "Schulterschluss" zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2014 - 2 BvR 989/14 -, juris, Rn. 11). Die Kontrolle durch die Öffentlichkeit soll verhindern, dass "sachfremde, das Licht der Öffentlichkeit scheuende Umstände auf das Gericht und damit auf das Urteil Einfluss gewinnen" (vgl. BGHSt 9, 280 <282>). Intransparente, unkontrollierbare "Deals" sind im Strafprozess wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens bereits von Verfassungs wegen untersagt (BVerfGE 133, 168 <232, Rn. 115>).

25

c) Diese Zusammenhänge verkennt der Bundesgerichtshof, wenn er angesichts der unzureichenden Mitteilung des Inhalts außerhalb der Hauptverhandlung geführter Verständigungsgespräche die Möglichkeit eines Beruhens des landgerichtlichen Urteils (§ 337 Abs. 1 StPO) auf dem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO allein unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten prüft, indem er darauf abstellt, dass der Beschwerdeführer sich nicht seines Schweigerechts begeben habe und zu geständigen Angaben "ohnehin" nicht bereit gewesen sei. Hierdurch wird die Bedeutung der Transparenzvorschriften des Verständigungsgesetzes für die auch dem Schutz des Angeklagten vor sachfremder Beeinflussung des Gerichts und damit der Verfahrensfairness dienende Kontrolle des gesamten Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit ausgeblendet; gerade sie erfährt jedoch durch den Verstoß gegen die Mitteilungspflicht eine Beeinträchtigung. Dieser Schutzgehalt des § 243 Abs. 4 StPO, der unabhängig vom Aussageverhalten des Angeklagten Geltung beansprucht, hätte bei der Beruhensprüfung Berücksichtigung finden müssen.

26

Dagegen kann nicht eingewandt werden, die Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens (§§ 169 ff. GVG) sei vom Gesetzgeber in § 338 Nr. 6 StPO gerade deshalb als absoluter Revisionsgrund ausgestaltet worden, weil ein Beruhen des Urteils auf einem solchen Verstoß im Sinne eines echten Kausalzusammenhangs sich kaum jemals feststellen lassen wird. Es wäre unverständlich und würde zu einer Entwertung des in § 243 Abs. 4 StPO enthaltenen Öffentlichkeitsaspekts führen, wenn einerseits ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nicht als absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 338 Nr. 6 StPO angesehen, andererseits aber gerade unter Hinweis auf die Kausalitätsproblematik die Möglichkeit eines Beruhens des Urteils im Sinne des § 337 StPO auf der durch den Verstoß beeinträchtigten Kontrolle durch die Öffentlichkeit generell verneint würde. Hierdurch würde § 243 Abs. 4 StPO insoweit entgegen der Vorgabe in BVerfGE 133, 168<222, Rn. 96> zu einer bloßen Ordnungsvorschrift degradiert. Stattdessen ist die Beruhensprüfung gegebenenfalls um normative Aspekte anzureichern, die über eine reine Kausalitätsprüfung hinausgehen. Solche Aspekte hat etwa der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme zur vorliegenden Verfassungsbeschwerde aufgezeigt.

27

2. Die Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf ein faires Verfahren war für die Revisionsentscheidung aber letztlich nicht tragend, denn der Bundesgerichtshof hat ein Beruhen des landgerichtlichen Urteils auf dem Transparenzverstoß auch deshalb verneint, weil die Gespräche als solche nicht geheim gehalten worden seien und im konkreten Fall trotz der unzureichenden Mitteilung ihres Inhalts ausnahmsweise davon auszugehen sei, dass sie nicht auf eine wie auch immer geartete inhaltlich unzulässige Absprache gerichtet gewesen seien, weil die Revision selbst dies ausdrücklich vorgetragen habe. Diese Erwägung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

28

a) Haben Erörterungen, deren Inhalt die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden, muss der Vorsitzende hierüber nach § 243 Abs. 4 StPO auch bei einem ergebnislosen Verlauf in der Hauptverhandlung umfassend unter Darlegung der Standpunkte aller beim Gespräch anwesenden Verfahrensbeteiligten informieren (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, wistra 2011, S. 72 f. = StV 2011, S. 72 f.). Fehlt es an der entsprechenden Mitteilung, wird ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c StPO nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts grundsätzlich nicht auszuschließen sein, da sich bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen wird, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige "informelle" Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht (vgl. BVerfGE 133, 168 <223 f., Rn. 98>).

29

Allerdings hat der Gesetzgeber Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen der Verständigung, zu denen auch die Transparenz- und Dokumentationspflichten gehören, nicht als absolute Revisionsgründe eingestuft (vgl. BVerfGE 133, 168 <223, Rn. 97>). Der Generalbundesanwalt weist in seiner Stellungnahme zur vorliegenden Verfassungsbeschwerde zutreffend darauf hin, dass die Bandbreite möglicher Verstöße gegen § 243 Abs. 4 StPO von lediglich geringfügigen Unvollständigkeiten oder Unrichtigkeiten einer Mitteilung bis hin zu deren vollständigem Fehlen oder groben Falschdarstellungen reicht. Die Revisionsgerichte sind daher nicht gehindert, bei der Prüfung, ob sich ein Beruhen des Urteils auf einem Transparenzverstoß ausnahmsweise ausschließen lässt, Art und Schwere des Verstoßes zu berücksichtigen. Da die Transparenz- und Dokumentationspflichten auch der Verhinderung gesetzwidriger Verständigungsbemühungen dienen, kann ferner von Bedeutung sein, welcher Art die Gesprächsinhalte waren, die in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt und damit der Öffentlichkeit vorenthalten wurden, sofern sie sich trotz des Transparenzverstoßes zweifelsfrei feststellen lassen. Das Stattfinden von Gesprächen, die auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet waren, wird allerdings umso weniger auszuschließen sein, je schwerer der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht wiegt.

30

b) Im vorliegenden Fall sind nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung jeweils Mitteilungen nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO erfolgt. Zwar hat sich der Vorsitzende nicht zum genauen Ablauf und Inhalt der in der Verhandlungspause geführten Verständigungsgespräche geäußert, was eine Verletzung der Mitteilungspflicht darstellt. Er hat jedoch offengelegt, dass entsprechende Gespräche stattgefunden haben und dass diese ergebnislos verlaufen sind. Ferner enthielt die Revisionsbegründung detaillierte Stellungnahmen der erstinstanzlichen Verteidiger, aus denen sich Ablauf und Inhalt der Gespräche ergaben. Diese wurden zum Bestandteil des Revisionsvorbringens gemacht. Das Revisionsgericht konnte hieraus zweifelsfrei entnehmen, dass die Gespräche nicht auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet waren. Auch die Revisionsbegründung selbst gelangt zu dieser Schlussfolgerung. Unter diesen Umständen konnte der Bundesgerichtshof ausnahmsweise ohne Verstoß gegen das gesetzliche Schutzkonzept und die dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Wertungen ein Beruhen des landgerichtlichen Urteils auf der Verletzung der Mitteilungspflicht verneinen.

31

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

VI.

32

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 und § 14 Abs. 1 RVG.

33

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 312/15
vom
24. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:241115B3STR312.15.1

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2015
beschlossen:
Der Angeklagte hat die Kosten der von ihm eingelegten und rechtswirksam zurückgenommenen Revision gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 25. Februar 2015 zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe:

1
Der Angeklagte hat gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 25. Februar 2015 jeweils form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese begründet. In einer erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor dem Landgericht Neubrandenburg hat er im Rahmen einer Verständigung mit Erklärung zu Protokoll die Revision zurückgenommen. Die Rechtsmittelrücknahme ist wirksam.
2
Eine Rücknahmeerklärung ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. September 1993 - 2 StR 367/93, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 13; MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 302 Rn. 9 f., 22 auch zu Ausnahmen). Es kann offenbleiben, ob sie tauglicher Gegenstand einer Verständigung sein kann (so KG, Beschluss vom 9. Dezember 2014 - 2 Ws 7/15, NStZ 2015, 236, 237). Denn selbst wenn man eine derartige Gesamtlösung unter Einbeziehung eines anderen Verfahrens für unzulässig hält (so ausdrücklich Knauer/Pretsch, NStZ 2015, 238; Mosbacher, JuS 2015, 701, 703 unter Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 214), kann dies nicht dazu führen, dass eine entsprechende Erklärung unbeachtlich ist.
Dies würde dem Angeklagten seine Stellung als Prozesssubjekt rauben, kraft derer ihm die Möglichkeit gegeben sein muss, auf den Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 1983 - 2 BvR 1304/80 u.a., BVerfGE 63, 380, 390; ebenso KG aaO, 238). Schon deshalb verbietet sich mangels vergleichbarer Sachverhalte auch eine analoge Anwendung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO (im Ergebnis ebenso KG aaO, 237), der lediglich den Verzicht auf ein Rechtsmittel untersagt, wenn dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, dieses aber nicht von Amts wegen einer Überprüfung durch das Berufungs- bzw. das Revisionsgericht unterstellt.
Becker Pfister Hubert Mayer Gericke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 371/10
vom
29. September 2010
BGHR: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja

a) Ein Protokoll, in dem weder vermerkt ist, dass eine Verständigung stattgefunden
, noch dass eine solche nicht stattgefunden hat, ist widersprüchlich
bzw. lückenhaft und verliert insoweit seine Beweiskraft.

b) Beruft sich ein Angeklagter auf die Unwirksamkeit eines von ihm erklärten
Rechtsmittelverzichts wegen einer vorausgegangenen Verständigung und
schweigt das Protokoll dazu, so muss der Beschwerdeführer, um dem Revisionsgericht
eine Überprüfung im Freibeweisverfahren zu ermöglichen, im
einzelnen darlegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit
welchem Inhalt die von ihm behauptete Verständigung zustande gekommen
ist.
BGH, Beschluss vom 29. September 2010 - 2 StR 371/10 - Landgericht Köln
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
am 29. September 2010 gemäß § 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 10. Februar 2010 wird als unzulässig verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat den geständigen Angeklagten am 10. Februar 2010 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt , von der drei Monate als vollstreckt gelten. Darüber hinaus hat es einen Geldbetrag in Höhe von 63.500 € für verfallen erklärt.
2
Im Anschluss an die Urteilsverkündung haben der Angeklagte, sein Verteidiger und der Vertreter der Staatsanwaltschaft ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung auf Rechtsmittel verzichtet. Gleichwohl hat der Angeklagte mit Schriftsatz eines neuen Verteidigers am 16. Februar 2010 fristgerecht Revision eingelegt und zu deren Zulässigkeit ausgeführt, der am 10. Februar 2010 erklärte Rechtsmittelverzicht sei gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam, weil dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen sei; dies werde er - was später aber nicht geschehen ist - noch im einzelnen erläutern.
3
2. Die innerhalb der Wochenfrist eingelegte Revision ist unzulässig, weil der Angeklagte wirksam auf Rechtsmittel verzichtet hat. Zwar ist ein Verzicht nach § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO ausgeschlossen, wenn dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist. Eine solche ist hier jedoch nicht erwiesen:
4
a) Weder in der Urteilsurkunde (dazu BGH NStZ-RR 2010, 151) noch im Hauptverhandlungsprotokoll findet sich gemäß den §§ 267 Abs. 3 Satz 5, 273 Abs. 1 Satz 2, Abs. 1a Satz 1 und 2 StPO die Feststellung, dass eine Verständigung im Laufe des Verfahrens stattgefunden habe. Andererseits fehlt im Hauptverhandlungsprotokoll auch das sogenannte Negativattest des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, dass eine Verständigung nicht stattgefunden habe. Entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts ist durch das völlige Schweigen des Protokolls das Fehlen einer Verständigung daher nicht bewiesen. Der nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO zwingend vorgeschriebene Vermerk, dass eine Verständigung nicht stattgefunden habe, gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 274 Satz 1 StPO (BGH NStZ-RR 2010, 213; a.M. MeyerGoßner , StPO 53 Aufl. § 273 Rn. 12c). Ausweislich der Gesetzesmaterialien dient das sogenannte Negativattest dazu, mit höchst möglicher Gewissheit und auch in der Revision überprüfbar die Geschehnisse in der Hauptverhandlung zu dokumentieren und auszuschließen, dass "stillschweigend" ohne Beachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten solche Verhaltensweisen stattgefunden haben (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/12310 S. 15; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/11736 S. 13; vgl. auch Jahn/Müller NJW 2009, 2625, 2630). Diesem gesetzgeberischen Anliegen würde es widersprechen, § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO entgegen seinem klaren Wortlaut als überflüssige systemwidrige Ordnungsvorschrift ohne jeglichen An- wendungsbereich zu begreifen (so aber Meyer-Goßner aaO; dagegen Brand/Petermann NJW 2010, 268, 269).
5
Enthält nach alledem das Protokoll weder den nach § 273 Abs. 1, Satz 2, Abs. 1a Satz 1 und 2 StPO zwingend vorgeschriebenen Vermerk, dass eine Verständigung gegebenenfalls tatsächlich stattgefunden habe, noch den ebenso zwingend vorgeschriebenen Vermerk nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, dass eine Verständigung gegebenenfalls nicht stattgefunden habe, ist das Protokoll in diesem Punkt widersprüchlich bzw. lückenhaft und verliert insoweit seine Beweiskraft (so auch Peglau in Beck OK StPO, § 273 Rn. 21). Das Revisionsgericht kann dann im Wege des Freibeweisverfahrens zum Beispiel durch die Einholung dienstlicher Erklärungen der Prozessbeteiligten klären, ob dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, die zur Unwirksamkeit des nachfolgend erklärten Rechtsmittelverzichts führen würde (vgl. Niemöller in Niemöller /Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren 2010 § 273 Rn. 30).
6
b) Wenn ein Angeklagter sich - wie hier - bei Schweigen des Protokolls und der Urteilsurkunde zu einer Verständigung auf die Unwirksamkeit des von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO beruft, ist er gehalten konkret darzulegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt die von ihm behauptete Verständigung zustande gekommen ist. Nur dann kann das Revisionsgericht beurteilen und gegebenenfalls im Freibeweisverfahren durch die Einholung dienstlicher Erklärungen überprüfen , ob eine dem Regelungsgehalt des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unterfallende Verständigung erfolgt war.
7
Allein die pauschale - und entgegen der Ankündigung der Revision auch nicht näher konkretisierte - Behauptung einer Verständigung gibt dem Senat hingegen keine Veranlassung, weitere Aufklärung im Freibeweisverfahren zu betreiben.
Fischer Appl Schmitt Krehl Ott
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Satz 1
Unwirksamkeit eines sofort nach Urteilsverkündung erklärten
Rechtsmittelverzichts des Angeklagten, auf den der Staatsanwalt mit
der Ankündigung eines unsachgemäßen Haftantrages für den
Weigerungsfall gedrängt hatte.
BGH, Beschluß vom 20. April 2004 – 5 StR 11/04
LG Berlin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. April 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. April 2004

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten R wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Mai 2003, soweit es diesen An- geklagten betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten R wegen 14 Fällen der Steuerhinterziehung, zehnmal qualifiziert nach § 370a AO, unter Einbeziehung einer anderweitig rechtskräftig verhängten Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zwei Mitangeklagte , gegen die das Urteil rechtskräftig ist, wurden wegen des gleichen Schuldspruchs zu Gesamtfreiheitsstrafen von fünf Jahren bzw. ebenfalls drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Verurteilung betrifft die im Zusammenwirken mehrerer Firmen arbeitsteilig mit mindestens fünf gesondert Verfolgten betriebene Hinterziehung von insgesamt 3,4 uern im Zusammenhang mit dem Erwerb und Weiterverkauf von Gold. Die Revision des Angeklagten R hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Der vom Angeklagten R im Anschluß an die Urteilsverkündung erklärte Rechtsmittelverzicht erweist sich als unwirksam. Aufgrund der Art und Weise seines Zustandekommens liegt ein Ausnahmefall vor, in dem die – grundsätzlich unwiderrufliche und unanfechtbare – Verzichtserklärung als unwirksam anzusehen ist (vgl. BGHSt 45, 51, 53).

a) Der Rechtsmittelverzicht erfolgte als Reaktion des Angeklagten R auf die Androhung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, die Aufhebung der unmittelbar zuvor mit Urteilsverkündung beschlossenen Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen den Angeklagten R für den Fall seiner Verweigerung eines sofortigen Rechtsmittelverzichts zu beantragen. Mit dem Generalbundesanwalt hält der Senat den Sachvortrag der Revision in diesem Zusammenhang für erwiesen. Die Staatsanwaltschaft ist ihm in ihrer Gegenerklärung nicht entgegengetreten; dem Vortrag entgegenstehende dienstliche Erklärungen sind nach Eingang der Revisionsschriften nicht erfolgt.
Dem Vorgang war folgendes vorangegangen: Alsbald nach Anklageerhebung wurden Verständigungsgespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten initiiert; gegen R wurde das Hauptverfahren ohne Gewährung einer Erklärungsfrist – worauf erst später verzichtet wurde – eröffnet; es erfolgte dann eine ganz ungewöhnlich zügige, bereits zehn Tage nach Anklageerhebung vollzogene Aburteilung von drei Angeklagten nach gut zweistündiger Hauptverhandlung in einem umfangreichen Steuerstrafverfahren.
Vor diesem Hintergrund stützen insbesondere zwei weitere ungewöhnliche Verfahrensvorgänge das Revisionsvorbringen: Zum einen ist es die im Zusammenhang mit dem Schlußvortrag abgegebene, vom Gericht unwidersprochen hingenommene und protokollierte Erklärung des Staatsanwalts , bei allen drei Angeklagten stehe – nach Strafanträgen über erhebliche Gesamtfreiheitsstrafen, die der anschließenden Verurteilung entsprachen – „im Falle der Rechtskraft des Urteils“ einer Haftverschonung nichts entgegen. Zum anderen ist es der Umstand, daß die Hauptverhandlung nach Verkündung des Urteils und der Haftverschonungsbeschlüsse sowie den Rechts- mittelverzichtserklärungen der beiden Mitangeklagten zu einer Beratung des Angeklagten R mit seinem Verteidiger vor Abgabe der in Streit stehenden Rechtsmittelverzichtserklärung eigens unterbrochen wurde.

b) Nach den der Urteilsfindung vorangegangenen Verständigungsgesprächen deutet die Ankündigung des Staatsanwalts, er werde die Aufhebung der mit Urteilsverkündung beschlossenen Außervollzugsetzung des Haftbefehls für den Fall mangelnder Bereitschaft des Angeklagten R zum Rechtsmittelverzicht beantragen, ebenso wie bereits die Erklärung des Staatsanwalts zur Haftverschonung im Schlußvortrag klar darauf hin, daß jedenfalls aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine Verständigung im Strafverfahren in unstatthafter Weise (BGHSt 43, 195, 204 f.; 45, 227, 230 f.) mit der Zusage eines Rechtsmittelverzichts verknüpft werden sollte. Entscheidend für die Annahme einer unzulässigen Willensbeeinflussung zum Nachteil des Angeklagten ist hier indes, daß sich die Sicht der Staatsanwaltschaft auf eine Abhängigkeit zwischen Haftverschonung und Rechtsmittelverzicht als eklatant sachwidrig erweist. Dadurch hebt sich der vorliegende Sachverhalt von dem in BGHSt 17, 14 entschiedenen Fall eines letztlich als wirksam erachteten Rechtsmittelverzichts nach einem ebenfalls bedenklichen, aber nicht in gleicher Weise unvertretbaren staatsanwaltlichen Haftantrag noch ab.
Die nach § 268b StPO mit Urteilsverkündung zu treffende Haftentscheidung darf grundsätzlich nicht von der Rechtskraft eines Urteils abhängen , soweit dabei – wie hier – über die Fortdauer der Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr bzw. über eine Außervollzugsetzung der aus diesem Grunde angeordneten Untersuchungshaft zu entscheiden ist. Regelmäßig besteht – auch hier ist nichts Abweichendes ersichtlich – kein tragfähiger Grund, einem Angeklagten, der die Überprüfung einer gegen ihn ergangenen landgerichtlichen Verurteilung zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe mit dem Rechtsmittel der Revision erstrebt, eine Außervollzugsetzung der wegen Fluchtgefahr angeordneten Untersuchungshaft etwa zu versagen, die ihm ohne ein solches zulässiges Rechtsmittel gewährt werden könnte.

c) Der Generalbundesanwalt meint, eben wegen dieser klaren Rechtslage könne der Verteidiger seinem Mandanten bei der dem Rechtsmittelverzicht vorangegangenen Beratung nur die Aussichtslosigkeit des von dem Staatsanwalt angekündigten Antrags deutlich gemacht haben; danach scheide eine relevante negative Einflußnahme auf den anschließend abgegebenen Rechtsmittelverzicht aus. Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen. Es bleibt dabei nämlich, wie die Verteidigung zutreffend einwendet , folgendes außer acht: Das Gericht hat es schon anläßlich der ohne weiteren Einwand entgegengenommenen protokollierten Erklärung des Staatsanwalts zur Haftfrage in seinem Schlußantrag und dann insbesondere bei der sachwidrigen Ankündigung des Antrags auf Aufhebung des Haftverschonungsbeschlusses verabsäumt, dieser unsachgemäßen Haltung zur Haftfrage deutlich entgegenzutreten. Angemessen wäre allein gewesen, die Verhandlung alsbald zu schließen und dem Angeklagten anheim zu geben, sich die Frage der Einlegung eines Rechtsmittels in der hierfür vorgesehenen Wochenfrist zu überlegen. Stattdessen war das Gericht – letztlich in ebenfalls unzulässiger Verknüpfung mit der vorangegangenen Verfahrensabsprache – durch Gewährung einer nach dem Verfahrensstand sachlich nicht gerechtfertigten Pause bestrebt, den Angeklagten an Ort und Stelle zu einer Erklärung über einen alsbaldigen Rechtsmittelverzicht zu veranlassen (vgl. dazu BGHSt 19, 101, 102 ff.).
Damit hat sich das Gericht den vom Staatsanwalt mit seiner Antragsankündigung ausgehenden Druck aus der maßgeblichen Sicht des in diese Situation gebrachten Angeklagten so weitgehend zueigen gemacht, daß infolge der Art und Weise dieses gesamten Vorgehens der Rechtsmittelverzicht des erkennbar auf den Gedanken sofortiger Haftentlassung fixierten Angeklagten wegen hierdurch hervorgerufener schwerwiegender Willensmängel als unwirksam zu werten ist. In der gegebenen Situation hätte das Gericht keine sofortige Rechtsmittelverzichtserklärung entgegennehmen dürfen. Die fristgerecht eingelegte Revision ist mithin zulässig.

d) Aufgrund dieses Befundes, der den vorliegenden Fall als Ausnahmefall eines unwirksamen Rechtsmittelverzichts aufgrund massiver Wil- lensmängel des Erklärenden nach der Art und Weise seines Zustandekommens nach bislang anerkannten Auslegungskriterien kennzeichnet, kommt es nicht darauf an, ob die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts auch daraus abzuleiten wäre, daß das Gericht im Zusammenhang mit einer Absprache unzulässigerweise auf den Verzicht hingewirkt hat (vgl. BGH – Anfrage des 3. Strafsenats – NJW 2003, 3426). Es kann auch offenbleiben, ob ein Fall der Verständigung vorliegt, in dem die Frage des Untersuchungshaftvollzugs zu einem maßgeblichen, dabei aber nicht „konnexen“, sachwidrigen Absprachegegenstand gemacht worden ist (vgl. BGH, Urt. vom 19. Februar 2004 – 4 StR 371/03, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt), und welche rechtlichen Folgerungen gegebenenfalls hieraus, auch für die Wirksamkeit des anschließend erklärten Rechtsmittelverzichts, zu ziehen wären.
2. In der Sache hat die Revision mit der auf Verletzung des § 261 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg, die der im Zusammenhang mit der „mißglückten Verständigung“ erhobenen Rüge zu entnehmen ist.

a) Bei der vorliegenden Verfahrensgestaltung läßt sich aus dem Umstand , daß der Verteidiger an dem nunmehr beanstandeten strafprozeßrechtlich zweifelhaften Vorgehen von Gericht und Staatsanwaltschaft weitgehend mitgewirkt hat, eine Beschränkung der Rügebefugnis nicht herleiten.
Da die Sachrüge, soweit absehbar, in keinem Anklagepunkt zur Durchentscheidung auf Freispruch führen würde, bedarf es keiner Entscheidung , inwieweit das Urteil sachlichrechtlicher Prüfung standhielte. Soweit dies nicht der Fall wäre, müßte zwar die Erstreckung einer Urteilsaufhebung auf die Nichtrevidenten nach § 357 StPO in Betracht gezogen werden. Daraus folgt indes kein Vorrang der sachlichrechtlichen Überprüfung gegenüber der Verfahrensrüge (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 357 Rdn. 5).

b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist im Urteil allein darauf gestützt, die Angeklagten hätten „in der Hauptverhandlung die ihnen mit der Anklageschrift zur Last gelegten Taten“ in dem zuvor festgestellten Umfang „eingeräumt“ (UA S. 12). Daß dies bezogen auf den Angeklagten R von dessen Einlassung in der Hauptverhandlung nicht getragen wird, ist offensichtlich. Dieser Angeklagte hat nämlich in der Hauptverhandlung zur Sache lediglich erklärt, daß er „den Vorwürfen der Anklage nicht entgegentrete und das in Aussicht gestellte Strafmaß akzeptiere“; daneben äußerte er sich zu seinen persönlichen Verhältnissen (S. 4 des Hauptverhandlungsprotokolls). Es ist der Sitzungsniederschrift nicht zu entnehmen, daß der Angeklagte R darüber hinaus Fragen zur Sache beantwortet hätte. Weitere Äußerungen sind nicht protokolliert, abgesehen von einer Erklärung im letzten Wort. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß ausgerechnet jenes letzte Wort des Angeklagten R erstmalig ein inhaltsbezogenes Geständnis enthalten haben könnte.
Ein irgendwie geartetes – auch nur „schlankes“ – Geständnis, das einen als glaubhaft bewertbaren inhaltlichen Gehalt hätte, auf den einen Schuldspruch tragende Feststellungen gestützt werden könnten (vgl. BGHSt 43, 195, 204), läßt sich diesem Einlassungsverhalten nicht entnehmen. Ein bloßer Verurteilungskonsens reicht auch nach einer Verständigung als Basis für eine Verurteilung mit tragfähigem Schuldspruch selbstverständlich nicht aus.

c) Die Verurteilung des Angeklagten R kann auch nicht deshalb auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhen, weil sich das Gericht etwa allein auf die geständigen Einlassungen der zur Sache aussagenden beiden Mitangeklagten stützen durfte. Ganz abgesehen von der – dem entgegenstehenden – knappen Begründung der Beweiswürdigung im Urteil würde es insoweit an jeglicher kritischer Hinterfragung der geständigen Angaben der Mitangeklagten fehlen, wie sie namentlich nach im Rahmen einer Verständigung abgegebenen Geständnissen unerläßlich wäre (BGHSt 48, 161). Im übrigen wäre hier eine ähnlich kritische Beweiswürdigung für den Fall erforderlich gewesen, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung eine nicht weiter hinterfragte geständige Erklärung zur Sache abgegeben hätte.
3. Zur Sache beschränkt sich der Senat auf folgende Hinweise an das neue Tatgericht: Zu den eigentlichen eigenen Tathandlungen des Angeklagten R , insbesondere im Zusammenhang mit der Fertigung von Scheinrechnungen nach tatsächlich umsatzsteuerfreien Goldeinkäufen, fehlt es an jeglichen näheren konkreten Feststellungen. Die Gesamtdauer seiner monatlichen Entlohnungen wird nicht hinreichend deutlich. Daß die Revision allein schon aus der Divergenz zwischen deren geringer Höhe und den festgestellten üppigen Erlösen des Mitangeklagten H (UA S. 12) Bedenken gegen die Zumessung gleich hoher Einzelstrafen herleitet, erscheint nachvollziehbar. Zu § 370a AO verweist der Senat auf die bestehenden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift (vgl. Harms in Festschrift für Günter Kohlmann, 2003, S. 413; Park wistra 2003, 328 m.w.N.).
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum

(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.

(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.

Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 27. März 2013

a u f g e h o b e n.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Tübingen

z u r ü c k v e r w i e s e n .

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht - Schöffengericht - hat die Angeklagten am 29. August 2011 jeweils der gemeinschaftlichen sexuellen Nötigung in Tateinheit mit versuchter gemeinschaftlicher Nötigung, den Angeklagten B. desweiteren der versuchten Nötigung im Straßenverkehr schuldig gesprochen. Es verurteilte deswegen den Angeklagten B. unter Einbeziehung der Strafe des Amtsgerichts vom 26. Januar 2011 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten, den Angeklagten N. zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten und den Angeklagten W. zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Es ordnete zudem gegen die seit 28. September 2010 inhaftierten Angeklagten die Fortdauer der Untersuchungshaft an.
Gegen dieses Urteil wandten sich alle drei Angeklagte mit einer form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Auch die Staatsanwaltschaft legte rechtzeitig Berufung ein. Sie beschränkte zeitgleich mit der Vorlage der Akten gemäß § 321 StPO an die Kleine Strafkammer des Landgerichts am 20. Oktober 2011 ihre Berufung auf das Strafmaß.
Am 6. Dezember 2011 erklärte die (neue) Verteidigerin des Angeklagten W. gegenüber dem Landgericht eine Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch; eine solche erklärten am 8. Dezember 2011 auch der Verteidiger des Angeklagten B. und am 8. Februar 2012 der (neue) Verteidiger des Angeklagten N.. Die diesen Erklärungen vorangegangenen Geschehnisse und die Wirksamkeit der Beschränkungen sind unter den Beteiligten strittig und waren auch Gegenstand der Beweisaufnahme vor der Berufungskammer.
Mit dem angefochtenen Urteil verwarf das Landgericht, das die Beschränkungen für wirksam erachtete, die Berufungen der Angeklagten; auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wurde das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch wie folgt abgeändert: Der Angeklagte B. wurde unter Einbeziehung der Strafe des Amtsgerichts vom 26. Januar 2011 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren zehn Monaten, der Angeklagte N. zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten und der Angeklagte W. zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten verurteilt. Bei sämtlichen Angeklagten wurde ein Monat wegen der überlangen Verfahrensdauer als bereits vollstreckt erkannt.
II.
Auf die form- und fristgerecht eingelegten Revisionen der Angeklagten ist das Urteil des Landgerichts aufzuheben. Es kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil die Berufungskammer zu Unrecht von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkungen der Angeklagten ausgegangen ist und deshalb keine eigenen Feststellungen zum Schuldspruch getroffen hat. Eines Eingehens auf die zulässig erhobenen Verfahrens- und Sachrügen bedarf es daher nicht.
1.
Die Wirksamkeit von Berufungsbeschränkungen ist vom Revisionsgericht, wie auch zuvor von der Berufungskammer, von Amts wegen zu prüfen. Entgegen teilweise anderer Ansicht in der Revisionsbegründungsschrift der Verteidigerin Rechtsanwältin S. enthält das amtsgerichtliche Urteil ausreichende Feststellungen, die eine Berufungsbeschränkung nicht von vornherein als unwirksam erscheinen lassen würden. Die Ausführungen und Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils stellen grundsätzlich eine ausreichende Grundlage für eine zu treffende Rechtsfolgenentscheidung dar.
2.
Die Berufungsbeschränkungen aller drei Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch können hier jedoch deswegen keine Wirksamkeit entfalten, weil ihnen Gespräche des (damaligen) Strafkammervorsitzenden mit Verteidigern der Angeklagten vorangegangen sind, die entgegen §§ 202a, 212 StPO nicht dokumentiert wurden. Auch die Staatsanwaltschaft hat derartige Gespräche entgegen § 160b StPO nicht dokumentiert und zur Akte gebracht.
a) Die für die Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung, wie sie die Beschränkung einer Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch darstellt, maßgeblichen tatsächlichen Umstände hat das Revisionsgericht von Amts wegen im Freibeweisverfahren zu klären. Neben den im Strengbeweis von der Strafkammer festgestellten Tatsachen steht dem Revisionsgericht dazu auch der gesamte Akteninhalt offen. Die Prüfung der Frage, wie und unter welchen Umständen es hier zu den von den Verteidigern der Angeklagten für diese erklärten Berufungsbeschränkungen gekommen ist, hat für den Senat folgendes tatsächliche Geschehen ergeben, das den rechtlichen Überlegungen zu Grunde zu legen ist:
Nach Eingang der Akten bei der Berufungskammer am 27. Oktober 2011 verfügte der damals zuständige Vorsitzende am 2. November 2011, als ihm die Akten erstmals vorgelegt wurden, u. a. bei allen Verteidigern anzufragen, in welchem Umfang die Berufungen durchgeführt werden sollen. Zugleich könne auch zur Frage der Haftfortdauer Stellung genommen werden. Desweiteren ließ er mitteilen, dass eine Berufungshauptverhandlung „kaum noch in diesem Jahr stattfinden“ könne, „da der zuständige Richter Anfang Dezember 2011 in Ruhestand“ gehe und „ein/e Nachfolger/in noch nicht in Sicht“ sei. Aus dem Protokoll und Urteil des Schöffengerichts ist zu entnehmen, dass die Angeklagten sich in erster Instanz zur Sache nicht eingelassen hatten, über ihre (damaligen) Verteidiger jedoch den Vorwurf vehement in Abrede stellten und mit einer Vielzahl von Beweisanträgen einen Freispruch erzielen wollten. Am 22. November 2011 teilte die (neue) Verteidigerin des Angeklagten W. auf die Anfrage des Gerichts mit, dass die Berufung vollumfänglich durchgeführt werde. Mit Schriftsatz vom selben Tag beantragte sie die Durchführung einer mündlichen Haftprüfung. Mit Schreiben vom 25. November 2011 beantragte auch der (neue) Verteidiger des Angeklagten N., den Haftbefehl aufzuheben bzw. hilfsweise gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen und regte an, über den gestellten Antrag in einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. Am 28. November 2011 beantragte die Verteidigerin des Angeklagten W. ebenfalls, den Haftbefehl des Amtsgerichts aufzuheben oder diesen hilfsweise gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen. Mit Schreiben vom 29. November 2011 beantragte auch ein Verteidiger des Angeklagten B., einen Termin zur mündlichen Haftprüfung zu bestimmen und kündigte an, dort zu beantragen, den Haftbefehl aufzuheben bzw. hilfsweise ihn gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen. Am 29. November 2011 beantragte die Staatsanwaltschaft, den Haftbefehl gegen den Angeklagten N. aufrechtzuerhalten und in Vollzug zu belassen; am 30. November 2011 stellte sie inhaltsgleiche Anträge auch bezüglich der Angeklagten B. und W.. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2011 erhob ein weiterer Verteidiger des Angeklagten B. gegen den Haftfortdauerbeschluss Beschwerde und beantragte ebenfalls, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise ihn gegen Auflagen außer Vollzug zu setzen.
10 
Mit Fax vom 6. Dezember 2011 beschränkte die Rechtsanwältin des Angeklagten W. namens und im Auftrag ihres Mandanten die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch. Mit Fax vom 7. Dezember 2011 beantragte die Staatsanwaltschaft, den Haftbefehl gegen den Beschuldigten (sic!) W. gegen im Einzelnen benannte Auflagen außer Vollzug zu setzen. Auf den Vorschlag der Staatsanwaltschaft bezüglich einer Sicherheitsleistung reagierte die Verteidigerin des Angeklagten W. mit Fax vom 7. Dezember 2011 und äußerte dabei u. a., „angesichts der getroffenen Vereinbarung besteht sicher keine Fluchtgefahr“. Dieser Äußerung wurde seitens des Gerichts nicht widersprochen. Der Verteidiger des Angeklagten B. beschränkte mit Fax vom 8. Dezember 2011 namens und im Auftrag seines Mandanten ebenfalls die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch. Am 8. Dezember 2011 setzte der Vorsitzende der Berufungskammer bezüglich aller drei Angeklagten den Haftbefehl jeweils gegen Auflagen außer Vollzug. Mit Schreiben vom 8. Februar 2012 beschränkte auch der Verteidiger des Angeklagten N. namens und im Auftrag des Angeklagten das eingelegte Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch und teilte dazu mit, dass dies im Hinblick darauf geschehe, dass die beiden Mitangeklagten ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt haben.
11 
Durch nachträglich eingeholte (dienstliche) Erklärungen bzw. durch die Vernehmung des damaligen, mittlerweile im Ruhestand befindlichen Vorsitzenden der Berufungskammer, des sachbearbeitenden Staatsanwalts und einer damals im Büro der Verteidigerin des Angeklagten W. tätigen Rechtsanwältin in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht steht dazuhin fest, dass es vor der jeweiligen Außervollzugsetzung des Haftbefehls und der Beschränkungserklärungen der Angeklagten W. und B. Gespräche zwischen den Verteidigern und der Staatsanwaltschaft und dem Gericht gab, in denen es gerade auch um die Außervollzugsetzung der Haftbefehle ging und bei denen zumindest die Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, dass, „wenn Bewährung und Außervollzugsetzung in Betracht komme, dann nur gegen die Beschränkung des Rechtsmittels“. Fest steht weiter, dass der damalige Vorsitzende der Berufungskammer mit je einem Verteidiger der Angeklagten B. und N. bzw. mit einer damals im Büro der Verteidigerin des Angeklagten W. tätigen Rechtsanwältin mindestens ein Telefonat führte, in dem es jeweils „primär“ um die Außervollzugsetzung der Haftbefehle ging und bei denen zumindest gegenüber den Anwälten der Angeklagten W. und B. auch die Frage einer Berufungsbeschränkung Gegenstand des Gesprächs war. Nähere Einzelheiten, z. B. Daten, der jeweilige genaue Gesprächsinhalt und -verlauf, Gesprächsbeteiligte und eventuelle Hinweise darauf, von wem welche Erwartungen hinsichtlich des weiteren Verfahrensverlaufs und eines möglichen Verfahrensergebnisses geäußert worden sein könnten, mussten offen bleiben.
12 
Die Staatsanwaltschaft vertrat, wie sich aus ihrer dienstlichen Erklärung vom 24. Juni 2013 ergibt, in den Gesprächen - mit wem sie wann genau gesprochen hatte, bleibt offen - die Position, dass „einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls nur unter der Voraussetzung der Rechtsmittelbeschränkung zugestimmt“ werde. Sie habe allerdings im Zusammenhang mit der Außervollzugsetzung mit keinem der Verteidiger Absprachen im Hinblick auf das zu erwartende Strafmaß getroffen. Es habe deshalb für sie keine Veranlassung bestanden, darüber einen Aktenvermerk zu fertigen.
13 
Eine Dokumentation des oder der Gespräche, die den Beschränkungserklärungen und den Außervollzugsetzungsbeschlüssen vorangegangen waren, wurde durch den Vorsitzenden der Berufungskammer nicht gefertigt, sie findet sich daher auch nicht in der Akte. Gesprächsdokumentationen wurden - da ja nichts vorhanden war - weder den (auch jeweils anderen) Verteidigern noch den Angeklagten und auch nicht der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägervertreterin zur Kenntnis gebracht.
14 
Schon hierbei ist zu sehen, dass Angeklagte das im Freibeweisverfahren grundsätzlich von ihnen zu tragende Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts in den Fällen nicht zu tragen haben, in denen die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts und dadurch entstehende Zweifel ihre Ursache in einem Verstoß gegen eine gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht finden (BVerfG, NJW 2012, 1136 ff.).
15 
b) Damit entsprachen das Vorgehen des Vorsitzenden und auch der Staatsanwaltschaft nicht den in §§ 212, 202a bzw. § 160b StPO statuierten Dokumentationspflichten, wie sie durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2009, S. 2353; im Folgenden: Verständigungsgesetz) geschaffen wurden, die das Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 19. März 2013 (NJW 2013, 1058 ff.; Rn im Folgenden nach juris) ausdrücklich als zentralen Teil und Kern der Regelungen ansieht.
16 
(1) Neben anderen sollen auch diese Vorschriften der §§ 160b, 202a, 212 StPO ein wesentliches Ziel des Gesetzgebers im Zusammenhang mit seiner (gesetzlichen) Gestattung der bisher gesetzlich nicht geregelten Absprachen, nämlich Transparenz und Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens, bewirken. Gerade deswegen wurden umfassende Mitteilungs- und Protokollierungspflichten des Gerichts eingefügt (s. BT-Drs. 16/12310, S. 1). Die Vorschriften zur Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung, zu dessen Dokumentation und zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht zählen zum Kern des gesetzlichen Regelungskonzepts (BVerfG, aaO Rn 96). Diese Vorschriften gelten nicht nur für das erstinstanzliche Verfahren, sondern müssen auch im Berufungsverfahren, das durch eine zweite Tatsacheninstanz mit grundsätzlich vollwertiger Hauptverhandlung und Beweisaufnahme gekennzeichnet ist, zur Geltung kommen. Auch wenn Gesetzgeber und bisherige Rechtsprechung - soweit ersichtlich - der Problematik einer Verständigung bzw. einer solchen vorgelagerter Bemühungen einschließlich des möglichen Scheiterns in der Berufungsinstanz nur relativ wenig Raum gewidmet haben, besteht für den Senat kein Zweifel, dass die Regelungen des Verständigungsgesetzes auch für diesen Verfahrensabschnitt vollumfänglich gelten (LG Freiburg, StV 2010, 236; Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, Teil C Rn.100; Jahn, StV 2011, 497 ff. [499]; Altenhain/Haimerl, StV 2012, 394 ff. [398]; s. zur Absprache in der Berufungsinstanz - jeweils noch vor Inkrafttreten des Verständigungsgesetzes - auch: KG, NStZ-RR 2004, 175 ff., OLG München, NStZ 2006, 353 ff.).
17 
(2) Der Senat kann dabei offenlassen, ob die Zusage einer Berufungsbeschränkung gegen die Zusage eines durch Unter- und Obergrenze bestimmten Strafmaßes - im Stadium nach Ergehen eines Urteils erster Instanz - Gegenstand einer Urteilsabsprache nach § 257c StPO sein könnte (bejahend: LG Freiburg aaO; Schlothauer/Weider, StV 2009 600 ff [603]; Niemöller/Schlothauer/Weider, aaO; bejahend wohl auch: Altenhain/Haimerl, aaO; ablehnend wohl: Eschelbach in BeckOK StPO, § 318 Rn 15). Denn soweit im Freibeweisverfahren überhaupt noch aufklärbar, ist hier nämlich nicht davon auszugehen, dass der damalige Berufungskammervorsitzende den Angeklagten eine noch zur Bewährung aussetzungsfähige Strafe für den Fall einer Berufungsbeschränkung zugesichert haben könnte. Allerdings sind nach §§ 202a, 212 StPO schon die Gegenstände/Inhalte der Gespräche, die geführt wurden, protokollierungspflichtig, unabhängig davon, ob eine Verständigung i.S. v. § 257c StPO erörtert oder gar vorbereitet wurde. § 202a StPO gestattet Erörterungen nicht nur im Sinne von Verständigungen nach § 257c StPO, die ohnehin erst in einer Hauptverhandlung getroffen werden könnten, sondern erlaubt es, den Stand des Verfahrens zu erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Möglicher Inhalt von Erörterung können auch Rechtsgespräche über die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses sein. Sie begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, solange sie transparent bleiben und kein Verfahrensbeteiligter hiervon ausgeschlossen ist (BVerfG, aaO Rn. 106). Nicht dokumentationspflichtig (und somit später auch nicht von der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO umfasst) sind nur Gespräche, die ausschließlich der Organisation sowie der verfahrenstechnischen Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, etwa die Abstimmung der Verhandlungstermine. Derartige Gespräche sind dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert und nicht von ihm betroffen (BVerfG, aaO Rn 84). Allerdings sind bereits alle weiteren Gespräche, die als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können, dokumentationspflichtig. Sobald im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung in Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen, greift nicht nur die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO (BVerfG, aaO Rn 85), sondern dieser vorgelagert als Konsequenz des gesetzgeberischen Gebotes von Transparenz auch die Dokumentationspflicht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zu einem Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt (BVerfG, aaO Rn 85; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - 1 StR 423/13 -, juris). Über derartige Gespräche ist dann auch in der Hauptverhandlung zu informieren. Zum mitzuteilenden Inhalt solcher Erörterungen gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei den anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (BVerfG, aaO Rn 85).
18 
Da nach § 257c StPO grundsätzlich schon das Prozessverhalten von Verfahrensbeteiligten und sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen Teil einer Verständigung sein könnten, kann nach alledem kein Zweifel bestehen, dass die Frage einer Außervollzugsetzung von Haftbefehlen (zur Dokumentationspflicht von Gesprächen über die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls außerhalb der Hauptverhandlung s. BGH, Beschluss vom 03. Dezember 2013 - 2 StR 410/13 -, juris: „auch die Vollstreckung von Untersuchungshaft [kann] grundsätzlich zulässiger Verständigungsinhalt sein“) und die Erörterung, ob eine Berufung (zuvor) auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wird, dokumentationspflichtig sind, selbst wenn keinerlei Gespräch über Strafhöhen oder eine Aussetzung zur Bewährung beinhaltet ist.
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Zur Vermeidung von Situationen, wie sie hier auf Grund der nicht vorhandenen Dokumentation entstanden sind, wird es sich daher empfehlen, das Ergebnis von Erörterungen „zeitnah in frischer Erinnerung an das Erlebte zur Akte zu bringen“ und „von sich aus den hieran nicht Beteiligten eine Ablichtung des gefertigten Aktenvermerks zuzuleiten“ (Schneider in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 202a Rn 16 a.E.).
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(3) Der Staatsanwaltschaft ist ebenfalls die Aufgabe zugewiesen, an der Sicherung der Gesetzmäßigkeit des Verfahrensablaufs und -ergebnisses mitzuwirken. Mit ihrer Verpflichtung zur Objektivität ist sie Garantin für Rechtsstaatlichkeit und gesetzmäßige Verfahrensabläufe. Sie hat eine effektive Strafrechtspflege zu gewährleisten. Diese Aufgabenstellung setzt sich auch im Rechtsmittelverfahren fort. Ihr obliegt - auch nach dem Verständigungsgesetz - eine Rolle als „Wächter des Gesetzes“ (BVerfG, aaO Rn. 92, 93). Sie hat daher z. B. auch solche Gespräche über eine mögliche Abkürzung der Hauptverhandlung, in die das Gericht nicht einbezogen ist, aktenkundig zu dokumentieren und offenzulegen und durch die dadurch geschaffene Transparenz Missverständnissen vorzubeugen (BGH, NStZ 2013, 353 ff.). Dass eine erörterte mögliche Berufungsbeschränkung von Angeklagten einer Abkürzung einer Hauptverhandlung dienen kann, steht ebenfalls nicht in Frage. Auch für eine Dokumentation durch das Gericht wäre erforderlich, dass ersichtlich würde, welchen Standpunkt die Staatsanwaltschaft eingenommen hat, unter welchen Bedingungen (Auflagen) für sie etwa eine Außervollzugsetzung in Betracht gekommen wäre und wo insoweit gegebenenfalls abweichende Standpunkte eingenommen worden sind (BGH, Beschluss vom 03. Dezember 2013 - 2 StR 410/13 -, juris).
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c) Die fehlende Dokumentation von Gesprächen durch den Vorsitzenden und/oder die Staatsanwaltschaft vor oder außerhalb einer Hauptverhandlung muss im Lichte der durch das Verständigungsgesetz in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht getroffenen Bestimmungen die Unwirksamkeit einer in Folge solcher Gespräche erklärten Beschränkung der Berufung eines Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch zur Folge haben, wenn nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass die Beschränkungserklärung von der Verletzung der Dokumentations- und Transparenzpflicht vollständig unbeeinflusst geblieben ist.
22 
(1) Ein Rechtsmittelverzicht ist als Prozesserklärung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (ständige Rechtsprechung; s. u.a. BGHSt 45, 51 ff.). Auch sind Willensmängel des Verzichtenden unbeachtlich, insbesondere hätte eine falsche Unterrichtung eines Angeklagten durch einen Verteidiger grundsätzlich keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung (OLG Stuttgart, Die Justiz 1990, 496 ff.). Allerdings wird in der Rechtsprechung seit langem von diesen Grundsätzen aus Gründen der Gerechtigkeit eine Ausnahme gemacht (BGHSt, aaO; OLG Stuttgart, NStZ-RR 1996, 146 f.:„wenn das Gebot der Gerechtigkeit dazu zwingt“). Zu den vom Bundesgerichtshof anerkannten Fallgruppen der Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts gehören schwerwiegende Willensmängel des Erklärenden, unzulässige Absprachen oder sonstige Umstände der Art und Weise des Zustandekommens des Rechtsmittelverzichts (s. BGHSt, aaO). Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens ist es geboten, derartigen Mängeln eine Wirkung auf die Wirksamkeit der Rechtsmittelerklärung beizumessen. Zur Fairness der staatlichen Strafverfolgung gehört, den Betroffenen von den nachteiligen Folgen einer mit einem Willensmangel behafteten Rechtsmittelerklärung jedenfalls dann zu entbinden, wenn die Lage durch objektiv unrichtige Maßnahmen der staatlichen Strafverfolgungsorgane herbeigeführt worden ist (OLG Stuttgart, Die Justiz 1990, 496 ff.; OLG Hamm, NJW 1976, 1952 f., jeweils mwN). Dabei ist unerheblich und bedarf daher hier auch keiner weiteren Aufklärung, ob ein Vorsitzender Angeklagte eventuell bewusst irregeführt haben könnte oder wie es sonst zu Missverständnissen gekommen ist. Auch versehentlich falsche Informationen des Gerichts können zur Folge haben, dass durch sie verursachte Rechtsmittelerklärungen unwirksam sind (OLG Stuttgart, NStZ-RR 1996, 146).
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(2) Diese Grundsätze haben im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht und der von ihm hervorgehobenen Bedeutung von Transparenz und Dokumentation auch für Berufungsbeschränkungen zu gelten, die auf unzureichender Transparenz und Dokumentation durch staatliche Strafverfolgungsorgane beruhen können.
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Intransparente, unkontrollierbare „Deals“ im Strafprozess sind wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens bereits von Verfassungs wegen untersagt. Auch vom Gesetzgeber wurden derartige Vorgehensweisen in unmissverständlicher Weise verworfen (BVerfG, aaO Rn 115).
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Durch die umfassenden Transparenz- und Dokumentationspflichten soll auch die Wirksamkeit der Kontrolle sichergestellt werden. Diese Schutzmechanismen können daher nicht als bloße Ordnungsvorschriften verstanden werden (BVerfG, aaO Rn. 96). Durch die Protokollierung im Rahmen von § 202a StPO soll insbesondere auch die erforderliche Kontrolle im Revisionsverfahren gewährleistet werden (BGH, NStZ 2010, 293). Das Bundesverfassungsgericht erwartet, dass durch die spezifischen Schutzmechanismen, mit denen der Gesetzgeber sein Regelungskonzept zur Verständigung im Strafprozess versehen hat, bei der gebotenen präzisierenden Auslegung und Anwendung die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Strafprozesses erfüllt werden (BVerfG, aaO Rn 64). Der Richter hat die intendierte Regelungskonzeption möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (BVerfG, aaO Rn 66). Das Bundesverfassungsgericht stellt zudem in Aussicht, dass der Gesetzgeber, sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen hinwegsetzen und sollten die materiellen und prozeduralen Vorkehrungen des Verständigungsgesetzes nicht ausreichen, um das festgestellte Vollzugsdefizit zu beseitigen und dadurch die an eine Verständigung im Strafverfahren zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen, der Fehlentwicklung durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken müsse. Unterbliebe dies, träte ein verfassungswidriger Zustand ein (BVerfG, aaO Rn. 121).
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Diese vom Bundesverfassungsgericht angemahnte „Effektivität der revisionsgerichtlichen Verfahrenskontrolle“ (s. hierzu auch BGH, NStZ 2014, 113 ff.) kann u. a. nur dann erfolgen, wenn Berufungsbeschränkungen, die unter vorangegangenem Verstoß gegen das Dokumentations- und Transparenzgebot zustande gekommen sind, die Wirksamkeit versagt wird. Während in anderen Konstellationen Verstöße gegen die Dokumentationspflicht nach §§ 202a, 212 unter Umständen keine rechtlichen Bindungswirkungen entfalten, da sie eine Verständigung ohnehin nicht vorwegnehmen dürfen, kommt hier hinzu, dass aufgrund und in unmittelbarem Zusammenhang der nicht dokumentierten Gespräche durch die Berufungsbeschränkung letztlich eine Art „Vorleistung“ der Angeklagten erbracht wird (s. hierzu: Ignor in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 2014, § 202a Rn 17), an die der Angeklagte unter Fairness-Gesichtspunkten nicht gebunden werden darf.
27 
Die Dokumentations- und Transparenzpflichten dienen auch gerade dem Schutz von Angeklagten. Schon durch das Fehlen der Dokumentation kann das Prozessverhalten eines Angeklagten beeinflusst werden. Für einen Angeklagten ist es von besonderer Bedeutung, ob er über die Einzelheiten der in seiner Abwesenheit geführten Gespräche nur zusammenfassend und in nicht dokumentierter Weise von einem Verteidiger nach dessen Wahrnehmung und Verständnis informiert wird oder ob ihn das Gericht durch eine Dokumentation der Gespräche unterrichtet (BGHSt 58, 310 ff.). Da ein Angeklagter autonom und daher nur auf der Grundlage umfassender und angesichts ihrer Bedeutung auch umfassend protokollierter Unterrichtung durch das Gericht über die regelmäßig in seiner Abwesenheit durchgeführten Gespräche darüber entscheiden soll, ob er den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit aufgibt und sich mit einem Geständnis - hier mit einer Berufungsbeschränkung - des Schweigerechts begibt (s. hierzu BGH, NStZ-RR 2014, 86-87), kann einer auf staatlicherseits zurechenbarer Verletzung des Transparenzgebots beruhenden Berufungsbeschränkung auch aus diesem Grund keine Wirksamkeit zugesprochen werden. Über § 243 Abs. 4 StPO soll der Informationsgleichstand sämtlicher Verfahrensbeteiligter, auch derjenigen, die an einer Erörterung gemäß §§ 202a, 212 StPO nicht beteiligt waren, sichergestellt werden (BGH, NStZ 2013, 724 ff.). Die Bekanntgabe verständigungsbezogener Erörterungen dient gerade der Unterrichtung eines Angeklagten, der hieran nicht teilgenommen hat und auf diesem Wege Kenntnis von der Sichtweise des Gerichts zum Zwecke der Einrichtung seiner Verteidigung erlangen kann (BGH, NStZ-RR 2014, 52 mwN). Durch das Unterbleiben der Dokumentation kann aber, wie hier durch den Wechsel im Vorsitz der Berufungskammer besonders augenfällig, das Gericht im weiteren Fortgang des Verfahrens auch diese ihm nach § 243 StPO obliegenden Verpflichtungen, die ebenfalls alle dem Schutz von Angeklagten dienen, nicht erfüllen, da Nichts vorhanden ist, was bekannt gegeben werden könnte.
28 
d) Hier kann nicht nur nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass die Berufungsbeschränkungen auf dem Verstoß gegen die Dokumentationspflicht beruhen, es spricht im Gegenteil vielmehr Vieles dafür, dass die Entscheidungen der Angeklagten auf der Grundlage unzureichender Transparenz der Gespräche getroffen und daher (auch) durch die dem Staat zurechenbare, objektiv unrichtige Verfahrensgestaltung herbeigeführt wurden.
29 
Die Angeklagten haben hier, nachdem sie bis dahin Freisprüche erstrebt hatten und die Vorwürfe vehement in Abrede stellen ließen, die Rechtsmittelbeschränkung ersichtlich nur deswegen abgegeben, weil sie einen ihnen - sei es vom Gericht und/oder von der Staatsanwaltschaft und/oder ihren Verteidigern - deutlich vor Augen geführten sofort gewährten Vorteil, nämlich die Entlassung aus der Untersuchungshaft, dem Nachteil einer von ihnen nicht mehr angreifbaren Verurteilung hinsichtlich des Schuldspruchs vorgezogen haben. Ein solches Entscheidungsverhalten ist psychologisch nachvollziehbar (s. hierzu: BGHSt 45, 51 ff.) und nach Aktenlage auch nur so plausibel zu erklären. Gericht, aber auch Staatsanwaltschaft kamen den ihnen durch das Verständigungsgesetz auferlegten Pflichten nicht nur unzureichend, sondern überhaupt nicht nach. Folge dieser Versäumnisse waren - bei mehreren Angeklagten und Verteidigern nahezu immer unvermeidbar und unschwer vorherzusehen (s. auch hierzu: BGHSt 45, 51 ff.) - Missverständnisse bzw. Fehlverständnisse oder Falschinformationen darüber, wie weit denn nun die „Angebote/Zusagen“ von Staatsanwaltschaft und/oder Gericht reichten. Bei korrekter Vorgehensweise, insbesondere unverzüglicher korrekter Dokumentation von Gesprächen bzw. Telefonaten und Mitteilung der zur Akte gebrachten Dokumentationen an alle Verfahrensbeteiligte, wären - wie hier u. a. durch Stellungnahmen der Rechtsanwältin U. und der Eheleute W. exemplarisch belegt - im Nachhinein kaum noch zuverlässig aufklärbarer Dissens und die Behauptung falscher Informationsverständnisse bzw. -weitergaben unschwer vermeidbar gewesen. Dadurch wäre die Situation für die Angeklagten und deren Angehörige, aber auch für die (Mit-)Verteidiger im Vorfeld einer Entscheidung über die Berufungsbeschränkung wesentlich transparenter gewesen und diese Entscheidung hätte auf einer verlässlichen, aktenmäßig festgehaltenen Grundlage getroffen werden können. Dem Entstehen möglicherweise falscher Erwartungen, die aus Sicht eines anderen Beteiligten nicht realistisch oder akzeptabel waren, wäre so von vornherein entgegengewirkt worden. Selbst die Berufungsbeschränkung durch den Verteidiger des Angeklagten N. beruhte letztlich noch auf solchen aus der fehlenden Dokumentation herrührenden Mängeln und damit auf der nicht vorhandenen Transparenz von Gesprächen. Er berief sich ausdrücklich darauf, dass er die Berufungsbeschränkung im Hinblick auf die von den beiden anderen Angeklagten erfolgten Berufungsbeschränkungen erkläre, was zeigt, dass er hiervon Kenntnis hatte und sich möglicherweise mangels Transparenz und Dokumentation unzureichende oder falsche Vorstellungen von möglicherweise getätigten Zusagen der Strafverfolgungsbehörden gegenüber den beiden anderen Angeklagten machen musste, daher Nachteile für den von ihm verteidigten Angeklagten im weiteren Verfahren befürchtete und so diesen auch nur unzureichend beraten konnte.
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e) Da die oben dargestellten Dokumentationspflichten auch schon im November/Dezember 2011 geltender Gesetzeslage entsprachen, ist es unerheblich, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 samt dessen Ausführungen und Folgerungen zum Zeitpunkt der Nichtdokumentation durch Landgericht und Staatsanwaltschaft nicht berücksichtigt werden konnten (s. zu ähnlicher Konstellation: BVerfG, NStZ-RR 2013, 315 ff.).

(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.

(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.

(1) Die Berufung muß bei dem Gericht des ersten Rechtszuges binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt werden.

(2) Hat die Verkündung des Urteils nicht in Anwesenheit des Angeklagten stattgefunden, so beginnt für diesen die Frist mit der Zustellung, sofern nicht in den Fällen der §§ 234, 387 Abs. 1, § 411 Abs. 2 und § 428 Absatz 1 Satz 1 die Verkündung in Anwesenheit des Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht stattgefunden hat.

(1) Ist die Berufung verspätet eingelegt, so hat das Gericht des ersten Rechtszuges das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Berufungsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Berufungsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.

Ist die Berufung rechtzeitig eingelegt, so hat nach Ablauf der Frist zur Rechtfertigung die Geschäftsstelle ohne Rücksicht darauf, ob eine Rechtfertigung stattgefunden hat oder nicht, die Akten der Staatsanwaltschaft vorzulegen. Diese stellt, wenn die Berufung von ihr eingelegt ist, dem Angeklagten die Schriftstücke über Einlegung und Rechtfertigung der Berufung zu.

Die Staatsanwaltschaft übersendet die Akten an die Staatsanwaltschaft bei dem Berufungsgericht. Diese übergibt die Akten binnen einer Woche dem Vorsitzenden des Gerichts.

(1) Der nicht auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte kann die Erklärungen, die sich auf Rechtsmittel beziehen, zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts geben, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, wo er auf behördliche Anordnung verwahrt wird.

(2) Zur Wahrung einer Frist genügt es, wenn innerhalb der Frist das Protokoll aufgenommen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 312/15
vom
24. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:241115B3STR312.15.1

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2015
beschlossen:
Der Angeklagte hat die Kosten der von ihm eingelegten und rechtswirksam zurückgenommenen Revision gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 25. Februar 2015 zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe:

1
Der Angeklagte hat gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 25. Februar 2015 jeweils form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese begründet. In einer erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor dem Landgericht Neubrandenburg hat er im Rahmen einer Verständigung mit Erklärung zu Protokoll die Revision zurückgenommen. Die Rechtsmittelrücknahme ist wirksam.
2
Eine Rücknahmeerklärung ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. September 1993 - 2 StR 367/93, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 13; MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 302 Rn. 9 f., 22 auch zu Ausnahmen). Es kann offenbleiben, ob sie tauglicher Gegenstand einer Verständigung sein kann (so KG, Beschluss vom 9. Dezember 2014 - 2 Ws 7/15, NStZ 2015, 236, 237). Denn selbst wenn man eine derartige Gesamtlösung unter Einbeziehung eines anderen Verfahrens für unzulässig hält (so ausdrücklich Knauer/Pretsch, NStZ 2015, 238; Mosbacher, JuS 2015, 701, 703 unter Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 214), kann dies nicht dazu führen, dass eine entsprechende Erklärung unbeachtlich ist.
Dies würde dem Angeklagten seine Stellung als Prozesssubjekt rauben, kraft derer ihm die Möglichkeit gegeben sein muss, auf den Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 1983 - 2 BvR 1304/80 u.a., BVerfGE 63, 380, 390; ebenso KG aaO, 238). Schon deshalb verbietet sich mangels vergleichbarer Sachverhalte auch eine analoge Anwendung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO (im Ergebnis ebenso KG aaO, 237), der lediglich den Verzicht auf ein Rechtsmittel untersagt, wenn dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, dieses aber nicht von Amts wegen einer Überprüfung durch das Berufungs- bzw. das Revisionsgericht unterstellt.
Becker Pfister Hubert Mayer Gericke

A. 

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen ihre strafgerichtliche Verurteilung im Anschluss an eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten. Mittelbar richten sich die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. zudem gegen die Vorschrift des § 257c StPO, die durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2353) - im Folgenden: Verständigungsgesetz - in die Strafprozessordnung eingefügt wurde und seither die rechtliche Grundlage für die Verständigung bildet. 

I. 

1. Die Praxis urteilsbezogener Verständigungen hat sich - feststellbar jedenfalls seit den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts - als Instrument zur Bewältigung von Strafverfahren herausgebildet, ohne dass es dafür eine ausdrückliche Rechtsgrundlage gegeben hätte. Es handelt sich hierbei um Absprachen zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft sowie der Verteidigung und dem Angeklagten, nach denen das Gericht dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine bestimmte Strafe oder jedenfalls eine Strafobergrenze zusagt. Solche Verständigungen wurden häufig außerhalb der Hauptverhandlung getroffen. Bei Abgabe des Geständnisses wurde sodann in der Regel auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet, so dass die Verständigung zu einer wesentlichen Verfahrensabkürzung führte. In den meisten Fällen wurde gegen ein Urteil, das auf einer solchen Verständigung beruhte, kein Rechtsmittel eingelegt, oftmals wurde sogar ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet (vgl. zur Entwicklung der Verständigungspraxis Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, Einl. Rn. 119 ff.). 

2. Eine wesentliche Ursache für die hohe praktische Bedeutung von Verständigungen wird in der stetig wachsenden Arbeitsbelastung der Strafjustiz gesehen, die bereits an die Grenze der Überlastung heranreiche (vgl. eingehend Krey/Windgätter, in: Festschrift für Hans Achenbach, 2011, S. 233 ff.). Neben der zunehmenden Komplexität der Fallgestaltungen infolge des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts sowie der Globalisierung, die auch in neuen Formen grenzüberschreitender Kriminalität in Erscheinung tritt, trägt der Bundesgesetzgeber durch eine immer stärkere strafrechtliche Durchdringung vieler Lebensbereiche zu dieser Entwicklung bei. Die Regelungsdichte des materiellen Strafrechts ist in den vergangenen Jahrzehnten beständig gestiegen; dies gilt besonders für das Wirtschafts- und das Nebenstrafrecht (vgl. etwa Braun, AnwBl 2000, S. 222 <225>; Theile, MSchrKrim 2010, S. 147 <149 f.>; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 249). Gleichzeitig bringt die zunehmende Differenzierung und Komplizierung des Strafprozessrechts immer höhere Anforderungen mit sich. So ist etwa die Rechtsprechung zu den Beweisverwertungsverboten für die tatrichterliche Praxis mittlerweile kaum noch überschaubar (vgl. Gössel, in: Festschrift für Reinhard Böttcher, 2007, S. 79 <80>; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 242 ff.). Zudem bieten extensiv einsetzbare Verfahrensrechte der Verteidigung zahlreiche Möglichkeiten, den Fortgang des Verfahrens zu erschweren; vor allem Ablehnungsgesuche und Beweisanträge sowie das Fragerecht können zu diesem Zweck missbraucht werden (vgl. Gössel, a.a.O., S. 81; Krey/Windgätter, a.a.O., S. 238 ff.). Unterdessen sehen sich die Tatgerichte durch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen einem immer stärkeren Druck ausgesetzt, die Verfahrensdauer trotz aller prozessualen Schwierigkeiten zu verkürzen. Dass die Bewertung richterlicher Arbeit und die Festsetzung der Arbeitspensen nicht unwesentlich nach quantitativen Gesichtspunkten erfolgt, schafft zusätzliche Anreize für eine möglichst rasche Verfahrenserledigung auch unter Inkaufnahme inhaltlicher Defizite. Der steigenden Belastung der Strafjustiz haben die Länder nicht durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung Rechnung getragen; vielmehr ist auch die Justiz immer wieder von Sparmaßnahmen betroffen (vgl. Krey/Windgätter, a.a.O., S. 235). 
 
3. Das Bundesverfassungsgericht prüfte 1987 in einer Kammerentscheidung (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 f.) die Zulässigkeit von Verständigungen im Strafprozess unter den Gesichtspunkten eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und des Schuldprinzips. Diese Grundsätze verböten nicht, außerhalb der Hauptverhandlung eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Verhandlung herbeizuführen, der schon das Strafrecht Grenzen setze. Sie schlössen es aber aus, die Handhabung der richterlichen Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung in einer Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil zur Schuldfrage abschließen solle, ins Belieben oder zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht und der Staatsanwaltschaft sei es deshalb untersagt, sich auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einzulassen. Das Gericht dürfe sich also beispielsweise nicht mit einem Geständnis des Angeklagten begnügen, das dieser gegen die Zusage oder das In-Aussicht-Stellen einer Strafmilderung abgelegt habe, obwohl es sich beim gegebenen Verfahrensstand mit Blick auf das Ziel der Wahrheitserforschung und der schuldangemessenen, gerechten Ahndung der Tat zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Das Gericht müsse es sich auch versagen, den Angeklagten auf eine in Betracht kommende geständnisbedingte Strafmilderung hinzuweisen, mit der es den Boden schuldangemessenen Strafens verließe. Darüber hinaus sei die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Angeklagten vor beachtenswerter Beeinträchtigung geschützt, was seinen Ausdruck auch in der Bestimmung des § 136a StPO finde. Der Angeklagte dürfe infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen oder durch Täuschung zu einem Geständnis gedrängt werden. Das schließe jedoch eine Belehrung oder einen konkreten Hinweis auf die Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses nicht aus, wenn dies im Stand der Hauptverhandlung eine sachliche Grundlage finde. Nach diesen Maßstäben gelangte die Kammer im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass die Verständigung bei der im damaligen Ausgangsverfahren gegebenen besonderen Sachverhaltsgestaltung - der anwaltlich verteidigte Angeklagte hatte von sich aus eine Verständigung angeregt, als die Beweisaufnahme bereits vor ihrem Abschluss stand - keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. 

4. Nachdem der Bundesgerichtshof gegenüber Verständigungen (in dessen früherer Terminologie: „Absprachen“) außerhalb der Hauptverhandlung anfänglich eine ablehnende Haltung eingenommen hatte (vgl. etwa BGHSt 37, 298 <304 f.>; BGH, Beschlüsse vom 19. Oktober 1993 - 1 StR 662/93 -, NJW 1994, S. 1293 f., und vom 25. Oktober 1995 - 2 StR 529/95 -, wistra 1996, S. 68; BGHSt 42, 46 <48>), wurden Verständigungen innerhalb der Hauptverhandlung zunächst durch den 4. Strafsenat und sodann durch den Großen Senat für Strafsachen grundsätzlich gebilligt. 

a) In seiner Leitentscheidung vom 28. August 1997 (BGHSt 43, 195 ff.) erklärte der 4. Strafsenat - trotz ausdrücklicher Anerkennung der Vergleichsfeindlichkeit des Strafverfahrens und des Verbots einer Disposition über den staatlichen Strafanspruch - in der Hauptverhandlung getroffene Verständigungen für grundsätzlich zulässig und sprach zudem aus, dass sie - sofern nach den von ihm aufgestellten Vorgaben zustande gekommen - für das Gericht verbindlich seien. Unter folgenden Voraussetzungen könne eine Verständigung getroffen werden: Der Schuldspruch dürfe nicht Gegenstand der Verständigung sein. Ein verständigungsbasiertes Geständnis müsse auf seine Glaubhaftigkeit überprüft werden; sich hierzu aufdrängende Beweiserhebungen dürften nicht unterbleiben. Die freie Willensentschließung des Angeklagten müsse gewahrt bleiben; insbesondere dürfe er nicht durch Drohung mit einer höheren Strafe oder durch Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils zu einem Geständnis gedrängt werden. Die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts sei unzulässig. Die Verständigung selbst müsse in öffentlicher Hauptverhandlung erfolgen; Vorgespräche außerhalb der Hauptverhandlung seien aber möglich. In die Verständigung seien alle Verfahrensbeteiligten einzubeziehen. Das Ergebnis der Verständigung sei im Protokoll niederzulegen. Eine bestimmte Strafe dürfe das Gericht nicht zusagen; unbedenklich sei aber die Zusage einer Strafobergrenze. Von dieser dürfe nur abgewichen werden, wenn sich neue schwerwiegende Umstände zu Lasten des Angeklagten ergäben; auf eine beabsichtigte Abweichung sei in der Hauptverhandlung hinzuweisen. Der Strafausspruch dürfe den Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen. 
 
b) Der Große Senat für Strafsachen hielt in seinem Beschluss vom 3. März 2005 (BGHSt 50, 40 ff.) an den vom 4. Strafsenat aufgestellten Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Verständigungen fest und präzisierte diese dahingehend, dass die Differenz zwischen der verständigungsgemäßen und der bei einem „streitigen Verfahren“ zu erwartenden Sanktion nicht unangemessen groß sein („Sanktionsschere“) und das Gericht nicht nur wegen neuer Erkenntnisse von seiner Zusage abweichen dürfe, sondern - nach entsprechendem Hinweis - auch dann, wenn schon bei der Verständigung vorhandene relevante tatsächliche oder rechtliche Aspekte übersehen worden seien. Der nach einer Verständigung erklärte Rechtsmittelverzicht sei grundsätzlich unwirksam; die Unwirksamkeit entfalle jedoch, wenn der Rechtsmittelberechtigte darüber belehrt worden sei, dass er ungeachtet der Verständigung in seiner Entscheidung frei sei, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Die grundsätzliche Billigung der Verständigung begründete der Große Strafsenat mit der Notwendigkeit, trotz knapper Ressourcen die Funktionstüchtigkeit der Strafjustiz zu gewährleisten, und mit Hinweisen auf den Beschleunigungsgrundsatz, die Prozessökonomie sowie den Zeugen- und Opferschutz. Allerdings sei die Strafprozessordnung in ihrer geltenden Form am Leitbild der materiellen Wahrheit orientiert, die vom Gericht in der Hauptverhandlung von Amts wegen zu ermitteln und der Disposition der Verfahrensbeteiligten weitgehend entzogen sei. Die Praxis der Verständigungen sei daher kaum ohne Bruch in das gegenwärtige System einzupassen. Aus diesem Grund appellierte der Große Senat für Strafsachen an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und, bejahendenfalls, die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen von Verständigungen im Strafprozess gesetzlich zu regeln. 

5. Dieser Forderung nach einer gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber mit dem Verständigungsgesetz Rechnung getragen. Das darin enthaltene Regelungskonzept geht ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 8) in seinem Grundansatz davon aus, dass für die Verständigung im Strafverfahren keine neue - dem deutschen Strafprozess bislang unbekannte - Form einer konsensualen Verfahrenserledigung eingeführt werden sollte, die die Rolle des Gerichts, insbesondere seine Verpflichtung zur Ermittlung der materiellen Wahrheit, zurückdrängen würde. Die Grundsätze des Strafverfahrens sollten vielmehr weiterhin Geltung behalten, namentlich, dass eine Verständigung unter Beachtung aller maßgeblichen Verfahrensregeln einschließlich der Überzeugung des Gerichts vom festgestellten Sachverhalt und der Glaubhaftigkeit eines Geständnisses stattfinden müsse, die Grundsätze des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs, nicht zuletzt auch die Transparenz der Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gewahrt sein müssten, und dass insbesondere der Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlassen werden dürfe. 

Die zentrale Bestimmung des gesetzgeberischen Regelungskonzepts in § 257c StPO hat folgenden Wortlaut:

§ 257c
(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. 
(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein. 
(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen. 
(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen. 

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren. 

Die Vorschrift erlaubt dem Gericht ausdrücklich eine Verständigung über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens nach den darin genannten Maßgaben; sie stellt außerdem klar, dass die Pflicht des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) unberührt bleibt. Hierdurch soll in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs die Beachtung der rechtsstaatlichen Anforderungen an das Strafverfahren gewährleistet und insbesondere die Schuldangemessenheit der Strafe sichergestellt werden (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 9). 

Außerdem wurden Vorschriften eingeführt, die es der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren sowie dem Gericht vor und nach Eröffnung des Hauptverfahrens sowie in der Hauptverhandlung ausdrücklich erlauben, „den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern“ (§§ 160b, 202a, 212, 257b StPO). Der wesentliche Inhalt einer solchen Erörterung ist jeweils aktenkundig zu machen; der Inhalt einer in der Hauptverhandlung durchgeführten Erörterung ist in das Protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 1 Satz 2 StPO). 

§ 160b
Die Staatsanwaltschaft kann den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. 

§ 202a
Erwägt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, kann es den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. 

§ 212
Nach Eröffnung des Hauptverfahrens gilt § 202a entsprechend. 

§ 257b
Das Gericht kann in der Hauptverhandlung den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. 

§ 273
(1) […] In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden. […] 
Flankiert werden diese Regelungen durch weitere neue Vorschriften, die die Transparenz der Verständigung und die Möglichkeit einer Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gewährleisten sollen. Nach § 243 Abs. 4 StPO ist in der Hauptverhandlung mitzuteilen, ob - und falls ja mit welchem Inhalt - außerhalb der Hauptverhandlung Erörterungen des Verfahrensstandes zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten stattgefunden haben, in denen die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO thematisiert wurde:

§ 243
[…] (4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. […] 
Ist dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen, muss dies in den schriftlichen Urteilsgründen angegeben werden (§ 267 Abs. 3 Satz 5, Abs. 4 Satz 2 StPO). 

Die in § 273 StPO enthaltenen Vorschriften über die Protokollierung der Hauptverhandlung wurden wie folgt erweitert:

§ 273
[…] (1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken. […] 
Ist dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen, ist ein Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO). In diesem Fall ist der Angeklagte darüber zu belehren, dass er in jedem Fall frei in seiner Entscheidung ist, ein Rechtsmittel einzulegen (§ 35a Satz 3 StPO). 

6. Das Regelungskonzept des Gesetzgebers ist teils auf Zustimmung (vgl. etwa Jahn/Müller, NJW 2009, S. 2625 ff.) gestoßen, teils aber auch auf scharfe Kritik (vgl. etwa Meyer-Goßner, ZRP 2009, S. 107 ff.; Bittmann, wistra 2009, S. 414 ff.; Fezer, NStZ 2010, S. 177 ff.). Nach verbreiteter Ansicht entsprechen die gesetzlichen Vorschriften über die Verständigung nicht den Bedürfnissen der Praxis. So werden die Protokollierungs- und Belehrungspflichten sowie der generelle Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts als Erschwerung der richterlichen Tätigkeit und damit als Rückschritt gegenüber der früheren Rechtslage empfunden; der mit der Verständigung angestrebte Entlastungseffekt werde dadurch jedenfalls teilweise wieder zunichte gemacht (vgl. Polomski, DRiZ 2011, S. 315 f.). Ferner wird die Auffassung vertreten, § 257c StPO regele nur die „förmliche“ Verständigung, weshalb für „informelle“ Absprachen oder „Gentlemen‘s Agreements“ außerhalb der Hauptverhandlung weder die gesetzlichen Protokollierungs- und Belehrungspflichten noch der Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts gälten (vgl. Peglau, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 1; Niemöller, StV 2012, S. 387 <388 f.>; ders., in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 273 Rn. 16, § 302 Rn. 5; Bittmann, a.a.O., S. 416 Fn. 25). 

II. 

1. a) Der Beschwerdeführer zu I. wurde als einer von vier Angeklagten durch das Landgericht München II mit Urteil vom 9. März 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 259 tatmehrheitlichen Fällen in Tateinheit mit vier Fällen der Beihilfe zum vorsätzlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Unmittelbar nach Anklageverlesung und Belehrung der Angeklagten war die Hauptverhandlung für ein Rechtsgespräch unterbrochen worden. Anschließend gaben die Verteidiger für ihre Mandanten jeweils eine Erklärung ab, und die Angeklagten erklärten sich zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Vorsitzende schlug die Erteilung eines Hinweises vor, wonach das Gericht in voller Besetzung das Verfahren gemäß § 257b StPO mit den Verteidigern und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft ausführlich erörtert habe. Unter Berücksichtigung der vorläufigen rechtlichen Bewer- tung, der Vorstrafen und eines angekündigten Geständnisses der Angeklagten rege die Kammer an, dass sich die Verfahrensbeteiligten dahingehend verständigten, dass der Beschwerdeführer zu I. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Jahren und die drei Mitangeklagten zu Gesamtfreiheitsstrafen von nicht mehr als fünf Jahren und sechs Monaten, zwei Jahren und vier Jahren verurteilt würden. Für den Fall einer Verurteilung in dieser Größenordnung habe die Staatsanwaltschaft angekündigt, ein dort noch anhängiges Ermittlungsverfahren zu einem weiteren Tatkomplex im Wesentlichen nach § 154 Abs. 1 StPOeinzustellen. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht. Die Angeklagten, die Verteidiger und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erklärten sich mit dem Vorschlag des Gerichts einverstanden. Im Anschluss machten die Angeklagten jeweils Angaben zur Sache, wobei der Beschwerdeführer zu I. auch Fragen beantwortete. Sämtliche polizeilichen Zeugenvernehmungsprotokolle wurden gemäß § 249 Abs. 2, § 251 Abs. 1 Satz 1 StPO im Selbstleseverfahren eingeführt und die entsprechenden Zeugen abgeladen. In der Folge vernahm die Kammer noch mehrere Polizeibeamte und Behördenmitarbeiter als Zeugen. Unterlagen wurden teils in Augenschein genommen oder verlesen, teils im Selbstleseverfahren eingeführt. 

b) Mit seiner Revision beanstandete der Beschwerdeführer zu I. den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO und erhob die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss vom 8. Oktober 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. In Bezug auf den Belehrungsfehler verwies der Bundesgerichtshof auf eine frühere Entscheidung (Beschluss vom 17. August 2010 - 4 StR 228/10 -), in der er die Rüge eines Verstoßes gegen § 257c Abs. 5 StPO mit der Erwägung zurückgewiesen hatte, das Urteil beruhe nicht auf dem Fehler, weil die Strafkammer die im Rahmen der Verständigung angekündigte Strafobergrenze eingehalten habe. 

2. a) Die Beschwerdeführer zu II. wurden durch das Landgericht München II mit Urteil vom 27. April 2010 wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges in 27 tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten (Beschwerdeführer zu II. 1)) und drei Jahren und vier Monaten (Beschwerdeführer zu II. 2)) verurteilt. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Zu Beginn der Hauptverhandlung hatte der Verteidiger des Beschwerdeführers zu II. 2) ein Rechtsgespräch angeregt, für das die Verhandlung unterbrochen wurde. In der Pause führten die Verteidiger, das Gericht und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Verständigungsgespräche. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung stellte das Gericht fest, das Verfahren gemäß § 257b StPO mit allen Verfahrensbeteiligten ausführlich erörtert zu haben. Die Kammer habe darauf hingewiesen, dass nach Aktenlage und vorbehaltlich des Ergebnisses der Hauptverhandlung und der Beweisaufnahme ein Schuldspruch wegen 27 Fällen des Betruges in besonders schwerem Fall jeweils in Tateinheit mit dem vorsätzlichen gemeinschaftlichen unerlaubten Betreiben eines Bankgeschäfts in Betracht komme. Unter Berücksichtigung dieser Bewertung sowie eines angekündigten Geständnisses rege die Kammer an, dass sich die Verfahrensbeteiligten dahingehend verständigten, dass der Beschwerdeführer zu II. 1) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und sechs Monaten verurteilt werde und der Beschwerdeführer zu II. 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren und vier Monaten. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte nicht. Dem Vorschlag stimmten die Beschwerdeführer zu II., ihre Verteidiger und die Staatsanwaltschaft ausdrücklich zu. Auf die Einvernahme von Zeugen - mit Ausnahme des ermittelnden Polizeibeamten - wurde allseits verzichtet. Die Verteidiger gaben Erklärungen zur Sache ab, die sich die Beschwerdeführer zu II. jeweils zu eigen machten. Die Feststellungen im Urteil beruhen ausschließlich auf diesen Erklärungen und auf den Angaben des ermittelnden Polizeibeamten sowie den im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführten Ergebnissen einer von der Polizei in Form von Fragebögen durchgeführten schriftlichen Zeugenbefragung. 

b) Mit ihrer Revision beanstandeten die Beschwerdeführer zu II. den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 257c Abs. 5 StPO und erhoben die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss vom 2. November 2010 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Zu dem Belehrungsmangel führte er aus, dass eine der von § 257c Abs. 4 StPO erfassten Fallgestaltungen, über deren Rechtsfolgen vorab zu belehren sei, nicht vorliege. Die verhängten Strafen überstiegen auch nicht die vom Gericht jeweils zugesicherte Höhe. Konkrete, fallbezogene Gründe, die für die auch nur entfernte Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausgewirkt haben könnte, so dass letztlich ein für sie günstigeres Urteil nicht auszuschließen wäre, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. 

3. a) Der Beschwerdeführer zu III. wurde als einer von zwei Angeklagten durch das Landgericht Berlin mit Urteil vom 15. März 2011 wegen zweier Fälle des schweren Raubes und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verurteilung ging eine Verständigung voraus. Der Vorsitzende hatte die Angeklagten nach Verlesung der Anklageschrift darauf hingewiesen, dass es hinsichtlich der Raubtaten im Wesentlichen drei Möglichkeiten gebe. Die erste sei ein Freispruch, die zweite eine Verurteilung wegen eines oder zweier Fälle des schweren Raubes mit jeweils einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren nach streitiger Beweisaufnahme. In der zweitgenannten Konstellation - so die Urteilsgründe - „verspüre“ die Kammer angesichts dessen, dass es sich um Taten handele, die die Angeklagten als Polizeibeamte im Dienst begangen hätten, „wenig Neigung“ zur Annahme von minder schweren Fällen. Die dritte Möglichkeit schließlich sei hinsichtlich der Konsequenzen ein Mittelweg: Falls die Angeklagten sich zu Geständnissen, die eine Beweisaufnahme überflüssig machen, entschlössen, könne dieser Umstand bei der Gesamtabwägung, ob minder schwere Fälle vorliegen, eine entscheidende Rolle spielen und letztlich den Ausschlag zugunsten der Angeklagten geben. In diesem Fall seien Gesamtfreiheitsstrafen zu erwarten, deren Vollstreckung die Kammer zur Bewährung aussetzen könne. Während einer 85-minütigen Verhandlungspause hatten die Angeklagten Gelegenheit, über den Vorschlag des Gerichts nachzudenken und ihn mit ihren Verteidigern zu beraten. Der Vorsitzende mahnte derweil zur Eile. Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers zu III. warnte ihn sein Verteidiger zudem vor der Möglichkeit einer „Saalverhaftung“, wenn er der vorgeschlagenen Verständigung nicht nähertrete. Nach der Verhandlungspause erklärten die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zu dem Vorschlag des Gerichts, was entsprechend zu Protokoll genommen wurde. Nach allgemeiner und besonderer Belehrung gemäß § 257c Abs. 4 und 5 StPO legten die Angeklagten Geständnisse in Form einer schlichten Bestätigung des Anklagesatzes ab. Anschließend erklärten die Verteidiger jeweils, dass Fragen zur Sache nicht beantwortet würden. Auf die Vernehmung von Zeugen wurde allseits verzichtet. Nach den Plädoyers und dem letzten Wort der Angeklagten zog sich die Kammer zur Beratung zurück, trat sodann aber noch einmal in die Beweisaufnahme ein, um die Angeklagten zu fragen, ob sie bei den Taten ihre Dienstwaffen bei sich geführt hätten und ob diese geladen gewesen seien, was die Angeklagten bejahten. Die Feststellungen im Urteil beruhen ausschließlich auf den Erklärungen der Angeklagten und entsprechen weitgehend dem Anklagesatz. 

b) Mit seiner Revision machte der Beschwerdeführer zu III. im Wege der Verfahrensrüge Verstöße gegen § 244 Abs. 2 StPO und gegen § 136a StPO geltend und erhob daneben die Sachrüge. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 349 Abs. 2 StPOals unbegründet und bemerkte lediglich ergänzend, dass er der Revision jenseits der vom Generalbundesanwalt zutreffend als unzulässig bewerteten Verfahrensrügen eine noch zulässig erhobene Beanstandung der Anwendung von § 257c StPO entnehme. Diese greife in der Sache aber nicht durch. Das Landgericht habe den Angeklagten vor Augen halten dürfen, dass im Verurteilungsfall nur unter der Voraussetzung eines Geständnisses der Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB (minder schwerer Fall) eröffnet sein könne. Eine Drohung mit einer willkürlich bemessenen „Sanktionsschere“ liege deshalb nicht vor. Zu allen darüber hinausgehenden Behauptungen unzulässigen Drucks fehle es schon an ausreichendem Revisionsvortrag. Abgesehen davon sei insoweit ersichtlich nichts erwiesen. 

III. 

1. Die Beschwerdeführer zu I. und zu II. rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Selbstbelastungsfreiheit und des fairen Verfahrens sowie dem Schuldprinzip, ferner Verstöße gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG, Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 101 Abs. 1 GG durch das Unterlassen der von § 257c Abs. 5 StPO verlangten Belehrung vor Zustandekommen der Verständigung. Hilfsweise rügen sie die Verfassungswidrigkeit des § 257c StPOwegen Verstoßes insbesondere gegen das Schuldprinzip und das Rechtsstaatsgebot. 

a) Die Möglichkeit einer Beeinflussung des Verfahrensausgangs durch eine Verständigung übe mittelbar Druck auf den Angeklagten aus, ein Geständnis abzulegen. Eine freiverantwortliche, auf autonomer Einschätzung des damit verbundenen Risikos beruhende Entscheidung über die Abgabe eines Geständnisses setze voraus, dass der Angeklagte wisse, dass sich das Gericht über § 257c Abs. 4 StPOwieder von der Verständigung lösen könne. Die Gerichte hätten diese Aufgabe, die der Gesetzgeber der Belehrungspflicht zugewiesen habe, übersehen und § 257c Abs. 5 StPO unter Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG zu einer reinen Ordnungsvorschrift entwertet. Käme nämlich - worauf die Revisionsentscheidung hinauslaufe - ein Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO nur bei einer Abweichung des Gerichts von der Verständigung zum Tragen, so bliebe ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht letztlich in allen Fällen ohne Konsequenz, da bei einer Abweichung von der Verständigung das Geständnis schon wegen § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO nicht verwertbar sei. Auch aus tatsächlicher Sicht überzeuge die Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht, da niemand wissen könne, ob bei ordnungsgemäßer Belehrung die Verständigung überhaupt zustande gekommen wäre. 

b) Die Vorschrift des § 257c StPO verstoße gegen das Schuldprinzip und das aus Rechtsstaatsgebot und Gleichheitssatz folgende Legalitätsprinzip, die beide die Ermittlung des wahren Sachverhalts verlangten. Das Bemühen um Gewährleistung einer - trotz der Verständigung - schuldangemessenen Strafe sei mit dem zugleich verfolgten Anliegen einer Verfahrensverkürzung unvereinbar. Dieser innere Widerspruch präge die gesamte Diskussion zu § 257c StPO. Die gesetzliche Regelung sei nicht geeignet, die Realität der Verständigungspraxis zu beeinflussen. Eine wirksame revisionsgerichtliche Kontrolle von Verständigungen sei nicht möglich. Die Verständigung laufe darauf hinaus, der gerichtlichen Entscheidung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zugrundezulegen; dieses sei aber gerade nicht zur Findung der materiellen Wahrheit, sondern lediglich zu einer Verdachtsklärung bestimmt. Die Schöffen, die den Akteninhalt nicht kennten, seien für ihre Überzeugungsbildung auf den Inbegriff der Hauptverhandlung angewiesen. Im Falle eines Scheiterns der Verständigung sei die Neutralität des Richters im weiteren Verlauf des Verfahrens gefährdet. Dass dem unverteidigten Angeklagten faktisch die Möglichkeit einer Verständigung verschlossen bleibe, verstoße gegen den Gleichheitssatz. 

2. Der Beschwerdeführer zu III. rügt eine Verletzung seiner Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG. Der Bundesgerichtshof habe die Anforderungen an die Zulässigkeit von Verfahrensrügen in der Revision überspannt. Ferner verstoße die vom Landgericht angedrohte „Sanktionsschere“ gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Schließlich habe das Landgericht seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es das Geständnis nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft habe. 

IV. 

1. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, die durch das Verständigungsgesetz eingeführten Vorschriften seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Durch die Verständigung werde nicht ermöglicht, dass sich die Verfahrensbeteiligten ohne Ermittlung des wahren Sachverhalts auf ein bestimmtes Ergebnis einigten. § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO stelle vielmehr klar, dass der Amtsermittlungsgrundsatz auch im Falle einer Verständigung unberührt bleibe. Entsprechendes gelte für die Strafzumessung, die sich weiterhin nach § 46 StGB bestimme. Der Angeklagte könne unabhängig vom Vorliegen einer Verständigung frei entscheiden, ob er sich geständig einlassen wolle oder nicht. § 257c StPO lasse daher die Selbstbelastungsfreiheit unberührt. Auch die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege werde durch die gesetzliche Regelung nicht beeinträchtigt. Vielmehr könne eine geständige Einlassung zu einer weniger umfangreichen Beweisaufnahme führen. Auch könnten Verständigungen eine Verbesserung des Opferschutzes bewirken, wenn ein Geständnis die Vernehmung von Opferzeugen in der Hauptverhandlung entbehrlich mache. 

2. Die Bayerische Staatsregierung, die sich zu den Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und zu II. geäußert hat, hält diese für unbegründet. Ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren liege nicht vor. Zum einen habe sich das Gericht an die zugesagten Strafobergrenzen gehalten, zum anderen mache die bloß abstrakte Möglichkeit, dass die Beschwerdeführer bei ordnungsgemäßer Belehrung von der Verständigung insgesamt Abstand genommen hätten, das Verfahren nicht unfair. § 257c StPO verletze weder das Schuldprinzip noch den Legalitätsgrundsatz. Die nunmehr gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, ein Ermittlungs- oder Strafverfahren durch Einräumung von inneren und äußeren Umständen im Rahmen einer Verständigung abzukürzen, werde der Tatsache gerecht, dass dem Angeklagten aufgrund seiner Subjektqualität auch zugetraut werden müsse, Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen. Außerdem lasse § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO die Amtsaufklärungspflicht unberührt. 

3. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Stellungnahmen der Vorsitzenden des 1., 3., 4. und 5. Strafsenats vorgelegt. 

a) Der Vorsitzende des 1. Strafsenats führt aus, eine frühe Einbeziehung des Angeklagten und seines Verteidigers in die Überlegungen zur Strafzumessung bis hin zu einer Verständigung stärke die Stellung des Angeklagten als Subjekt. An der Bedeutung eines Geständnisses für die Strafzumessung habe sich durch § 257c StPO nichts geändert. Seien die zur Wahrheitsfindung erforderlichen Tatsachen nach Überzeugung des Gerichts durch ein Geständnis umfassend erwiesen, komme einer weiteren Beweisaufnahme keine Bedeutung mehr zu. Sie werde von § 244 Abs. 2 StPO nicht gefordert und sei zur Vermeidung unnötiger Belastung des Angeklagten, der Tatopfer sowie zum effektiven Einsatz der Ressource Recht zu vermeiden. Eine überdurchschnittliche Fehlerquote könne der Senat bei dem Verständigungsverfahren gemäß § 257c StPO nicht konstatieren. Von den im Jahr 2011 beim 1. Strafsenat anhängig gewordenen 650 Revisionsverfahren habe dem Urteil nur in 34 Fällen (ca. 5 %) eine Verständigung zugrunde gelegen. Nur in drei Fällen habe es Anlass zu Kritik gegeben: In zwei Fällen habe eine unzulässige Vereinbarung über den Schuldspruch vorgelegen, im dritten Fall eine unvertretbare Nichtberücksichtigung eines besonders schweren Falles. 

b) Die Vorsitzenden des 3. und 4. Strafsenats verweisen auf Entscheidungen ihrer Senate. Der Vorsitzende des 5. Strafsenats verweist ebenfalls auf Entscheidungen seines Senats und teilt mit, die von seinem Strafsenat bislang entschiedenen Fälle ließen aus seiner Sicht noch keine generelle Beurteilung der Normanwendung durch die Tatgerichte aus der in diesem Bereich ohnehin eingeschränkten Sicht des Revisionsgerichts zu. Der Senat hege bislang keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 257c StPO.
 
4. Der Generalbundesanwalt hält § 257c StPO für grundsätzlich verfassungskonform. Die Norm ersetze nicht die bisherige Struktur des Strafprozesses durch ein adversatorisches Verfahren, sondern füge sich entsprechend dem Willen des Gesetzgebers in das bestehende System ein. Sie verletze weder das Schuldprinzip noch das Recht auf ein faires Verfahren. Die Unschuldsvermutung und die Selbstbelastungsfreiheit blieben ebenso unangetastet wie der Gleichheitssatz. Zwar führe die gesetzliche Zulassung von Verständigungen zu Spannungen mit zahlreichen Verfahrensmaximen des Strafprozesses. In Anbetracht des Gestaltungsermessens des Gesetzgebers folge hieraus aber nicht die Verfassungswidrigkeit der Norm. Erheblich für die Verfassungsmäßigkeit der Verständigung spreche, dass sie besonders geeignet sei, den - in seiner Bedeutung im Verhältnis zum Ideal der Wahrheitsfindung zuletzt deutlich aufgewerteten - Zweck der Herstellung von Rechtsfrieden zu erreichen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Verständigung auch auf einer angemessenen Einbeziehung und Interessenwahrung des Opfers beruhe. Eine Legitimation der Verständigung lasse sich teilweise auch aus dem Prinzip der Disponibilität von Rechten ableiten. Die Rechtsordnung gewähre dem Angeklagten in weitem Umfang die Möglichkeit, auf Verfahrensrechte zu verzichten und die Art seines Verteidigungsverhaltens autonom zu bestimmen. Anführen lasse sich für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Verständigungen ferner, dass diese Erledigungsart auf dem durchweg als modern und zeitgemäß empfundenen Gebot eines offenen und kommunikativen Verhandlungsstils aufbaue. 

Ungeachtet dessen entfalte die gesetzliche Verankerung der Verständigung eine erhebliche Sogwirkung in Richtung auf strukturelle Veränderungen des Strafprozesses. Die Anerkennung und Ausbreitung quasi-vertraglicher Erledigungsformen habe sich in mehreren Stufen mit bislang ungebrochen expansiver Tendenz vollzogen. Rechtsprechung und Gesetzgebung hätten die normative Kraft des Faktischen nur nachholend bestätigen können, wobei gegenläufige, auf eine Kanalisierung der Verständigungspraxis gerichtete Bestrebungen bislang nicht in der Lage gewesen seien, die Dynamik der Entwicklung aufzuhalten. Ein wesentliches Motiv für die gewachsene Zahl von Verständigungen sei die in den vergangenen Jahrzehnten gestiegene Arbeitsbelastung der Justiz, mit der deren sachliche und personelle Ausstattung nicht Schritt gehalten habe. Angesichts dessen beziehe die Verständigung als Gegenmodell zur Durchführung einer aufwendigen streitigen Hauptverhandlung einen wesentlichen Teil ihrer Attraktivität aus der Möglichkeit für alle Beteiligten, das Verfahren drastisch abzukürzen, es möglichst weiterer rechtlicher Kontrolle zu entziehen und so über die Einsparung von Arbeitsaufwand im konkreten Fall die jeweiligen Erledigungsquoten - beim Verteidiger zudem mit positiven ökonomischen Folgen - zu erhöhen. 

Zur Sicherung der Verfassungskonformität sei daher einer weiteren Expansion von Formen der Verständigung im Strafprozess Einhalt zu gebieten. Dieser Erledigungsart könne im strafprozessualen System nach dem Willen des Gesetzgebers nur eine ergänzende Funktion zukommen. Sie dürfe nicht zum Regelfall des Strafverfahrens werden. Um den mit ihr verbundenen mittelbaren Gefährdungen verfassungsrechtlich geschützter Verfahrensprinzipien auf Dauer entgegenzuwirken, bedürften Anwendungsbereich und Voraussetzungen des § 257c StPO in Fortführung bereits vorhandener Ansätze in der fachgerichtlichen Rechtsprechung einer einschränkenden Auslegung. Ferner seien die im Gesetz angelegten Restriktionspotenziale über die bisherige Rechtsanwendung hinaus weiter auszuschöpfen und weitere flankierende Maßnahmen geboten. 

Vor diesem Hintergrund hält der Generalbundesanwalt die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. für unbegründet. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Beruhensprüfung hinsichtlich des Belehrungsmangels sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu III. erachtet der Generalbundesanwalt dagegen auf der Grundlage der von ihm als notwendig erachteten verfassungskonformen Auslegung des § 257c StPOals nicht aussichtslos. Es fehle bereits an der plausiblen Darlegung der Eignung des Falles für eine Verständigung, auf die die Strafkammer vorschnell ausgewichen sei. Zudem habe das Landgericht das erkennbar auf eine reine Bestätigung der Anklage beschränkte Geständnis keiner weiteren Überprüfung unterzogen. Schließlich gehe die Verständigung auf ein verfassungsrechtlich bedenkliches Aufzeigen von Alternativstrafen zurück. 

5. Der Senat hat ferner Stellungnahmen des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer eingeholt. 
a) Der Deutsche Richterbund vertritt die Auffassung, das Verständigungsgesetz habe zwar einen erheblichen Gewinn an Rechtssicherheit gebracht; gleichwohl habe sich die gesetzliche Regelung aus Sicht der Praxis nicht uneingeschränkt bewährt. Das Risiko, dass eine Verständigung auch und gerade wegen des erwünschten Beschleunigungseffekts einen Verzicht auf gründliche und umfassende Sachaufklärung zur Folge haben könne, sei unübersehbar. Die Verkürzung der Hauptverhandlung führe außerdem dazu, dass der - in der Praxis in aller Regel von der Polizei erstellte - schriftliche Inhalt der Akten an Bedeutung gewinne. Die Justiz drohe die gebotene Kontrolle über die polizeilichen Ermittlungsergebnisse zu verlieren. Hinzu komme, dass es für alle Verfahrensbeteiligten verführerisch sei, sich die oft notwendige Erfassung, Auswertung und Beurteilung umfangreicher elektronisch gespeicherter Beweismittel durch eine Verständigung zu ersparen unter Inkaufnahme und im Bewusstsein des Umstandes, dadurch nur einen kleinen Teil des Beweisstoffes zur Kenntnis zu nehmen. Nicht von der Hand zu weisen sei die Gefahr, dass gerade bei Verfahren großen Umfangs das zu einem frühen Zeitpunkt aus echter Reue abgegebene Geständnis im Vergleich zu dem im Hinblick auf eine mögliche Verständigung taktisch zurückgehaltenen Geständnis entwertet werde. Damit verbunden sei die bedenkliche Tendenz, „kleine“, häufig unverteidigte Straftäter härter zu bestrafen, während die Justiz in Großverfahren aus Mangel an Mitteln immer nachgiebiger werde. Die in vielen Ländern unzureichende Personalausstattung der Justiz führe in der Kombination mit weiteren ungünstigen Rahmenbedingungen des deutschen Strafprozesses, deren Verbesserung bislang nicht gelungen sei, immer wieder zu Hauptverhandlungen, die der Öffentlichkeit nicht als dem hohen Gerechtigkeitsanspruch der deutschen Justiz entsprechend vermittelt werden könnten. Dadurch leide das Ansehen der Rechtspflege insgesamt. Hinzu komme, dass das Verständigungsverfahren zahlreiche noch offene Probleme aufweise. So würden die Öffentlichkeits- und Protokollierungspflichten teilweise als Belastung empfunden; zugleich würden vielfältige Hinweis- und Fürsorgepflichten des Tatrichters die Handhabung des § 257c StPO erschweren. Auch die umfangreichen Belehrungspflichten des § 257c Abs. 5 StPO hätten sich als wenig praxistauglich erwiesen. Der Ausschluss des Verzichts auf Rechtsmittel stehe im Widerspruch zu der Erwartung der Praxis, mit der ausgehandelten Verständigung eine rasche Rechtskraft des Ergebnisses zu erreichen. Die Verlockung, „es so zu machen wie früher“ und eine unzulässige „informelle“ Absprache außerhalb des § 257c StPO zu treffen, erscheine daher evident. Nicht zu unterschätzen sei zudem die Gefahr, dass sich Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidiger dergestalt an Absprachen gewöhnten, dass die Beendigung des Verfahrens auf diese Weise zum Regelfall werde. Die Warnungen vor einem „schleichend eingeläuteten Systemwechsel“ seien ernst zu nehmen. Dem Zeitgeist folgend versuche der Gesetzgeber, unter dem Deckmantel der Förderung eines offenen und kommunikativen Verhandlungsstils Versäumnisse bei der Ausgestaltung und Praktikabilität des formellen und materiellen Rechts zu kompensieren. Der Gesetzgeber sei jedoch verpflichtet, die prozessualen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass die Justiz ihrem gesetzlichen Strafverfolgungsauftrag gerecht werden könne, ohne sich auf Verhandlungen mit dem Angeklagten zulasten der materiellen Wahrheit und der Gerechtigkeit einlassen zu müssen. Um dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot Genüge zu tun und die Handlungsfähigkeit der Justiz zu gewährleisten, kämen etwa eine Neuordnung des Ablehnungsrechts, die Befristung von Beweisanträgen, eine Neufassung des § 265 Abs. 3 StPO, Erleichterungen bei Beweistransfers aus dem Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung (etwa bei der Einführung von Urkunden) und eine Änderung des § 273 Abs. 3 StPO in Betracht. 

b) Der Deutsche Anwaltverein hält die Anwendung des § 257c StPO durch die Gerichte in den Ausgangsverfahren für verfassungswidrig und die Verfassungsbeschwerden daher für begründet. Insbesondere verstoße die Verletzung der Belehrungspflicht aus § 257c Abs. 5 StPO gegen das Recht auf ein faires Verfahren, da bei fehlender Belehrung die Willensfreiheit des Angeklagten im Zeitpunkt der Entscheidung über den Abschluss der Verständigung nicht gegeben sei. Zudem bestünden an der Verfassungsmäßigkeit des § 257c StPO erhebliche Zweifel. Der Aufklärungsgrundsatz und das Schuldprinzip stünden dem mit § 257c StPO verfolgten Ziel einer Verfahrensverkürzung und -vereinfachung strukturell entgegen. Eine „Bändigung der Verständigung“ sei durch die gesetzliche Regelung nicht geglückt. Dieser Befund werde durch Erfahrungsberichte von Mitgliedern des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins bestätigt. In einem Fall habe etwa der Vorsitzende einer Strafkammer im Gespräch mit dem Verteidiger geäußert, dass das Urteil, das aufgrund der Verständigung zustande kommen sollte, einer revisionsgerichtlichen Überprüfung vermutlich nicht standhalten würde. Dieses Risiko würde er aber eingehen, weil er davon ausgehe, dass sich alle Beteiligten an die Verständigung halten und daher keine Revision eingelegt werde. In einem anderen Fall habe die Kammer für die Abgabe umfassender Geständnisse im Sinne der Anklage eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich in Aussicht gestellt, obwohl sich der Sachverhalt in der Hauptverhandlung anders dargestellt habe. Da für die Angeklagten die Freiheit wichtiger gewesen sei als die Wahrheit, seien entsprechende, die Anklage bestätigende Geständnisse abgegeben worden. Die Gefahr falscher Geständnisse habe durch das Verständigungsgesetz eher zugenommen. Benachteiligt werde der Angeklagte, der schon früh im Ermittlungsverfahren gestanden habe, da er für eine Verständigung nichts mehr anzubieten habe. Die Förmlichkeiten und Beschränkungen des gesetzlich vorgesehenen Verständigungsverfahrens würden in der Praxis überwiegend umgangen. Die Revisionsgerichte ließen die Möglichkeiten zur „Domestizierung“ der Verständigung ungenutzt. 

c) Die Bundesrechtsanwaltskammer hält § 257c StPO für verfassungsgemäß. Die Vorschrift stehe im Spannungsverhältnis zwischen den Verpflichtungen zur Ermittlung des wahren Sachverhalts und zur Bestimmung der schuldangemessenen Strafe als Elementen des Schuldprinzips, dem Grundsatz des fairen Verfahrens und dem Gebot wirksamer Strafrechtspflege. Die gesetzliche Regelung sei ausgerichtet auf einen praktisch konkordanten Ausgleich zwischen diesen Grundsätzen. Sie schaffe im Vergleich zur früheren Rechtslage ein beträchtliches Maß an Rechtssicherheit. Tragende Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens seien nicht verletzt. Dies gelte insbesondere für den Amtsermittlungsgrundsatz, die Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit und das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung. Das generell mit der Verurteilung auf der Grundlage eines Geständnisses verbundene Risiko eines Fehlurteils werde durch die gesetzlichen Verständigungsregelungen nicht signifikant erhöht. Dass der Bundesgerichtshof dazu neige, bei Verstößen gegen die formellen Voraussetzungen einer Verständigung, namentlich die Dokumentations-, Mitteilungs- und Belehrungspflichten, ein Beruhen des Urteils auszuschließen, sei der vom Gesetzgeber angestrebten Transparenz des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens allerdings nicht förderlich. Die Eindämmung „informeller“ Absprachen werde dadurch erschwert. Im Ergebnis sei ein struktureller Mangel des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren derzeit nicht erkennbar. Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und II. für unbegründet. Die unterbliebene Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO habe das Verfahren nicht insgesamt unfair gemacht, da das Gericht letztlich von der Verständigung nicht abgewichen sei. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu III. hält die Bundesrechtsanwaltskammer dagegen für begründet. Insbesondere habe das Landgericht seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es sich mit einem Formalgeständnis begnügt habe. Zudem sei dem Geständnis ein Aufzeigen von Alternativstrafen vorausgegangen. Dies stelle einen Verstoß gegen das Schuldprinzip dar. 

V. 

Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. Altenhain, Universitätsprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, mit der Durchführung einer repräsentativen empirischen Untersuchung zur Praxis der Verständigung im Strafverfahren beauftragt. Zu diesem Zweck hat der Sachverständige im Zeitraum zwischen dem 17. April und 24. August 2012 insgesamt 190 mit Strafsachen befasste Richterinnen und Richter des Landes Nordrhein-Westfalen befragt, von denen 117 als Strafrichter oder Vorsitzende eines Schöffengerichts und 73 als Vorsitzende einer Strafkammer tätig waren. Als Kontrollgruppe wurden daneben 68 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie 76 Fachanwältinnen und Fachanwälte für Strafrecht befragt. 

Nach Einschätzung der befragten Richter wurden im Kalenderjahr 2011 17,9 % der Strafverfahren an Amtsgerichten und 23 % der Strafverfahren an Landgerichten durch Absprachen erledigt. Auf die Frage, in wieviel Prozent der Fälle nach ihrer Einschätzung in der gerichtlichen Praxis die gesetzlichen Vorschriften zur Verständigung verletzt würde, gaben etwas mehr als die Hälfte der Richter an, dass dies in mehr als der Hälfte aller Verfahren mit Absprachen der Fall sein dürfte. So gaben 58,9 % der befragten Richter an, mehr als die Hälfte ihrer Absprachen „informell“, also ohne Anwendung des § 257c StPOdurchgeführt zu haben, 26,7 % gaben an, immer so vorgegangen zu sein. 33 % der befragten Richter gaben an, außerhalb der Hauptverhandlung Absprachen geführt zu haben, ohne dass dies in der Hauptverhandlung offengelegt wurde, während 41,8 % der Staatsanwälte und 74,7 % der Verteidiger angaben, dies schon erlebt zu haben. Die Offenlegungspflicht wird von einem nicht unbeachtlichen Teil der Richter als überflüssiger Formalismus empfunden. Die Regelung zum sogenannten Negativattest (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO) bleibt in der Praxis oft unbeachtet. 54,4 % der befragten Richter gaben an, eine nicht erfolgte Verständigung für im Protokoll nicht erwähnenswert zu halten. 46,7 % der befragten Richter weisen entgegen § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO nicht in den Urteilsgründen auf eine dem Urteil vorausgegangene Verständigung hin. Sehr häufiger Inhalt von Absprachen ist die Einstellung beziehungsweise Beschränkung des Verfahrens nach §§ 154, 154a StPO; in diesem Zusammenhang wird auch die Einstellung anderer, nicht in die Anklage einbezogener Verfahren im Rahmen sogenannter „Gesamtlösungen“ immer wieder thematisiert. (Im Rahmen einer von G. Schöch durchgeführten anonymisierten empirischen Erhebung zur Absprachepraxis in München sind sogar „Familienlösungen“ bekanntgeworden, bei denen etwa der Mann eine höhere Freiheitsstrafe erhält und im Gegenzug die Frau eine Bewährungsstrafe, um zu Hause die Kinder versorgen zu können, oder die zukünftigen Strafen von Familienangehörigen in anderen Verfahren gleich mit abgesprochen werden [vgl. G. Schöch, Urteilsabsprachen in der Strafrechtspraxis, 2007, S. 147]). Teilweise werden ausweislich der Studie von Prof. Dr. Altenhain durch § 257c Abs. 2 StPO ausdrücklich ausgeschlossene Inhalte wie etwa der Schuldspruch in die Absprache aufgenommen. Während 61,7 % der Richter angaben, die Glaubhaftigkeit von im Anschluss an eine Absprache abgelegten Geständnissen immer zu überprüfen, räumten 38,3 % der Richter ein, die Glaubhaftigkeit des Geständnisses nicht immer, sondern nur häufig, manchmal, selten oder nie zu überprüfen. 35,3 % der befragten Richter haben nach eigenem Bekunden dem Angeklagten oder seinem Verteidiger in Verständigungsgesprächen neben der Strafobergrenze beziehungsweise dem bestimmten Strafmaß für den Fall einer Kooperation schon einmal eine zweite Strafe für den Fall einer „streitigen“ Hauptverhandlung genannt, 16 % gaben an, typischerweise so vorzugehen. Die Einlegung eines Rechtsmittels nach einer Absprache ist sehr selten. Nach Auskunft von 27,4 % der Richter wurde sogar bei Verständigungen gemäß § 257c StPO - entgegen § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO - ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet. Von den Richtern gaben 14,7 % an, dass bei ihnen nach einer Absprache „immer“ auf Rechtsmittel verzichtet werde; bei 56,6 % geschah dies „häufig“ (Staatsanwälte: 5,6 % bzw. 64,8 %; Verteidiger: 5,6 % bzw. 76,1 %). Nicht weniger als 16,4 % der Richter und 30,9 % der Staatsanwälte erklärten, sich im Rahmen einer Absprache schon auf eine ihrer Ansicht nach zu milde Strafe eingelassen zu haben.

Demgegenüber haben sich von den Verteidigern 30,3 % nach eigener Auskunft schon auf eine ihrer Ansicht nach zu hohe Strafe im Wege der Absprache eingelassen. Der „Strafrabatt“ im Anschluss an ein absprachegemäß abgelegtes Geständnis liegt nach Angaben der Befragten zumeist zwischen 25 % und 33,3 % der wahrscheinlich zu erwartenden Strafe nach „streitiger“ Verhandlung. 

VI. 

Mit Beschlüssen vom 22. Mai 2012 und vom 21. Juni 2012 hat die 1. Kammer des Zweiten Senats auf Antrag der sich zu dieser Zeit in Strafhaft befindenden Beschwerdeführer zu I. und II. die Vollstreckung aus den angegriffenen Urteilen des Landgerichts München II bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden, längstens für sechs Monate, einstweilen ausgesetzt. Mit Beschlüssen vom 22. Oktober 2012 und vom 5. Dezember 2012 hat der Senat auf Antrag der Beschwerdeführer zu I. und II. die einstweiligen Anordnungen wiederholt. 

VII. 

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat Prof. Dr. Altenhain zu dessen im Auftrag des Senats angefertigter empirischer Studie über die Praxis der Verständigung im Strafverfahren gehört, zu den Erfahrungen und Einschätzungen bei den Tat- und Revisionsgerichten den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, Generalbundesanwalt Range, Vorsitzenden Richter am Landgericht Marburg Dr. Paul, Vorsitzenden Richter am Landgericht Hildesheim Pohl, Vorsitzenden Richter am Landgericht Hamburg Dr. Tully und Vorsitzenden Richter am Landgericht Freiburg im Breisgau i.R. Royen. Prof. Dr. Frisch, Direktor der Abteilung 1 des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, hat sich zum Schuldprinzip und dessen Bedeutung für die Legitimation staatlichen Strafens im Rechtsstaat und die Erfüllung der freiheitssichernden Funktion des Strafrechts sowie zur Vereinbarkeit der Verständigungspraxis und des § 257c StPO mit dem Schuldprinzip geäußert. Die Bevollmächtigten der Beschwerdeführer sowie Vertreter der Bundesregierung, des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins und der Bundesrechtsanwaltskammer haben ihren schriftlichen Vortrag ergänzt und vertieft. Zur Verfassungsmäßigkeit von Verständigungen im Strafprozess hat ferner ein Vertreter der Neuen Richtervereinigung Stellung genommen. 

B. 

Die Verfassungsbeschwerden sind begründet, soweit sie sich gegen die angegriffenen Entscheidungen richten; im Übrigen haben sie keinen Erfolg. 

I. 

1. Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz (BVerfGE 123, 267 <413>), der den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrscht. Der Schuldgrundsatz hat Verfassungsrang; er ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert (vgl. BVerfGE 45, 187 <259 f.>; 86, 288 <313>; 95, 96 <140>; 120, 224 <253 f.>; 130, 1 <26>). 
a) Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ (nulla poena sine culpa) setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann. Dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 123, 267 <413>). Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG die Auffassung vom Wesen der Strafe und das Verhältnis von Schuld und Sühne (vgl. BVerfGE 95, 96 <140>) sowie den Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 80, 367 <378>; 90, 145 <173>; 123, 267 <413>). Die Strafe ist im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch gekennzeichnet, dass sie - wenn nicht ausschließlich, so doch auch - auf gerechte Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt. Mit der Strafe wird dem Täter ein sozialethisches Fehlverhalten vorgeworfen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>; 110, 1 <13>). Eine solche strafrechtliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 95, 96 <140>). 

b) Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes (BVerfGE 20, 323 <331>). Es sichert den Gebrauch der Freiheitsrechte, indem es Rechtssicherheit gewährt, die Staatsgewalt an das Gesetz bindet und Vertrauen schützt (BVerfGE 95, 96 <130>). Das Rechtsstaatsprinzip umfasst als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit (vgl. BVerfGE 7, 89 <92>; 7, 194 <196>; 45, 187 <246>; 74, 129 <152>; 122, 248 <272>) und schließt den Grundsatz der Rechtsgleichheit als eines der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate ein (vgl. BVerfGE 84, 90 <121>). Für den Bereich des Strafrechts werden diese rechtsstaatlichen Anliegen auch im Schuldgrundsatz aufgenommen (BVerfGE 95, 96 <130 f.>). Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit müssen Straftatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 25, 269 <286>; 27, 18 <29>; 50, 205 <214 f.>; 120, 224 <241>; stRspr). Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen (vgl. BVerfGE 20, 323 <331>; 45, 187 <228>; 50, 5 <12>; 73, 206 <253>; 86, 288 <313>; 96, 245 <249>; 109, 133 <171>; 110, 1 <13>; 120, 224 <254>). In diesem Sinne hat die Strafe die Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BVerfGE 45, 187 <253 f.>; 109, 133 <173>; 120, 224 <253 f.>). 

2. Aufgabe des Strafprozesses ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf (vgl. BVerfGE 80, 244 <255>; 95, 96 <140>), zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen. Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 118, 212 <231>; 122, 248 <270>; 130, 1 <26>). Dem Täter müssen Tat und Schuld prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden (vgl. BVerfGE 9, 167 <169>; 74, 358 <371>). Bis zum Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (vgl. BVerfGE 35, 311 <320>; 74, 358 <371>). 

a) Der Staat ist von Verfassungs wegen gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272>; 130, 1 <26>). Der Schutz elementarer Rechtsgüter durch Strafrecht und seine Durchsetzung im Verfahren sind Verfassungsaufgaben (vgl. BVerfGE 107, 104 <118 f.>; 113, 29 <54>). Das erfordert, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten, also schuldangemessenen Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272 f.>; 129, 208 <260>). Die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, umfasst auch die Pflicht, die Durchführung eingeleiteter Strafverfahren und die Vollstreckung rechtskräftig erkannter (Freiheits-)Strafen sicherzustellen. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und der Anspruch aller in Strafverfahren Beschuldigten auf Gleichbehandlung erfordern grundsätzlich, dass der Strafanspruch durchgesetzt, also auch eingeleitete Verfahren fortgesetzt und rechtskräftig verhängte Strafen vollstreckt werden (BVerfGE 46, 214 <222 f.>; 49, 24 <54>; 51, 324 <344>). 

b) Bei alledem darf der Beschuldigte im Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht bloßes Objekt des Strafverfahrens sein; ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 65, 171 <174 f.>; 66, 313 <318>). 

aa) Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 122, 248 <271 f.>). Dies bedeutet allerdings nicht, dass im Strafverfahren - unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ (vgl. BVerfGE 110, 226 <253>) - in der Rollenverteilung begründete verfahrensspezifische Unterschiede in den Handlungsmöglichkeiten von Staatsanwaltschaft und Verteidigung in jeder Beziehung ausgeglichen werden müssten (vgl. BVerfGE 63, 45 <67>; 63, 380 <392 f.>; 122, 248 <272>); vielmehr sind angesichts der besonderen, zur Objektivität verpflichtenden Stellung der Staatsanwaltschaft Differenzierungen möglich. Die Bestimmung der verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen, die dem Beschuldigten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens im Einzelnen einzuräumen und die Festlegung, wie diese auszugestalten sind, ist in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann - in den vom Gesetz gezogenen Grenzen - den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfGE 57, 250 <276>; 64, 135 <145 f.>; 122, 248 <272>). Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, 239 <250>; 80, 367 <375>; 122, 248 <272>). Verfahrensgestaltungen, die den Erfordernissen einer wirksamen Strafrechtspflege dienen, verletzen daher nicht schon dann den grundrechtlichen Anspruch auf ein faires Strafverfahren, wenn verfahrensrechtliche Positionen des Angeklagten oder Beschuldigten dabei eine Zurücksetzung zugunsten einer wirksameren Strafrechtspflege erfahren (BVerfGE 122, 248 <273>). Das Beschleunigungsgebot ist bei der Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren ebenfalls zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 41, 246 <250>; 63, 45 <68 f.>; 122, 248 <273>), denn unnötige Verfahrensverzögerungen stellen nicht nur die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>) und die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage, sondern beeinträchtigen, da die Beweisgrundlage durch Zeitablauf verfälscht werden kann, auch die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit (vgl. BVerfGE 57, 250 <280>; 122, 248 <273>; 130, 1 <27>). 

bb) Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) sind notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <43>). Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist im Rechtsstaatsprinzip verankert und hat Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <43>; 110, 1 <31>). Er umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit innerhalb des Strafverfahrens. Dazu gehört, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. BVerfGE 56, 37 <49>; 109, 279 <324>). Der Beschuldigte muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt (vgl. BVerfGE 38, 105 <113>; 56, 37 <43>). Dies setzt voraus, dass er über seine Aussagefreiheit in Kenntnis gesetzt wird. 

cc) Die Unschuldsvermutung hat als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls Verfassungsrang (BVerfGE 74, 358 <371>). Sie verbietet zum einen, im konkreten Strafverfahren ohne prozessordnungsgemäßen - nicht notwendiger Weise rechtskräftigen - Schuldnachweis Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen, und ihn verfahrensbezogen als schuldig zu behandeln; zum anderen verlangt sie den rechtskräftigen Nachweis der Schuld, bevor diese dem Verurteilten im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden darf (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <371>). Als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips enthält die Unschuldsvermutung - wie auch das Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren - allerdings keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote; ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürfen vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dies ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers (BVerfGE 74, 358 <371 f.>; vgl. auch BVerfGE 7, 89 <92 f.>; 57, 250 <275 f.>; 65, 283 <291>). 

3. Das Grundgesetz gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet (vgl. BVerfGE 4, 412 <416>; 21, 139 <145 f.>; 23, 321 <325>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>). Neben der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs.1 und 2 GG) ist es wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes, dass die richterliche Tätigkeit von einem „nicht beteiligten Dritten“ ausgeübt wird (vgl. BVerfGE 3, 377 <381>; 4, 331 <346>; 21, 139 <145>; 27, 312 <322>; 48, 300 <316>; 87, 68 <85>; 103, 111 <140>). Diese Vorstellung von neutraler Amtsführung ist mit den Begriffen „Richter“ und „Gericht“ untrennbar verknüpft (vgl. BVerfGE 4, 331 <346>; 60, 175 <214>; 103, 111 <140>). Die richterliche Tätigkeit erfordert daher unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten (BVerfGE 21, 139 <146>; 103, 111 <140>). Das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt deshalb nicht nur einen Anspruch auf den sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergebenden Richter (vgl. BVerfGE 89, 28 <36>), sondern garantiert auch, dass der Betroffene nicht vor einem Richter steht, der aufgrund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt (BVerfGE 21, 139 <146>; 89, 28 <36>). Dieses Verlangen nach Unvoreingenommenheit und Neutralität des Richters ist zugleich ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BVerfGE 3, 377 <381>; 37, 57 <65>). 

4. Das im Rechtsstaatsprinzip und dem allgemeinen Freiheitsrecht verankerte Recht auf ein faires Strafverfahren umfasst das Recht des Beschuldigten, sich von einem Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BVerfGE 66, 313 <318 f.>; 110, 226 <253>). Wenngleich das Recht auf ein faires Verfahren keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote enthält, sondern der Konkretisierung durch den Gesetzgeber je nach den sachlichen Gegebenheiten bedarf, untersagt es jedenfalls eine Ausgestaltung des Strafverfahrens, bei der rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind (BVerfGE 57, 250 <276>; 122, 248 <272>). Angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zukommt (vgl. BVerfGE 110, 226 <254>), verbietet es sich, im Strafprozess Verfahrensweisen vorzusehen, die - etwa aufgrund der Schaffung sachwidriger Anreize - erwarten lassen, dass dieses Vertrauen unterlaufen und damit das Recht auf eine effektive Verteidigung entwertet wird. 

II. 

Nach diesen Maßstäben kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung der Verständigung im Strafverfahren nicht festgestellt werden. Der Gesetzgeber hat Verständigungen im Strafprozess lediglich in einem begrenzten Rahmen zugelassen und sein Regelungskonzept mit spezifischen Schutzmechanismen versehen, die bei der gebotenen präzisierenden Auslegung und Anwendung erwarten lassen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Strafprozesses erfüllt werden (1. und 2.). Eine das Verständigungsgesetz in nicht unerheblichem Umfang vernachlässigende Praxis belegt derzeit noch kein verfassungsrechtlich relevantes Regelungsdefizit (3.). Der Gesetzgeber ist allerdings gehalten, die Wirksamkeit der zur Wahrung eines verfassungskonformen Strafverfahrens vorgesehenen Vorkehrungen zu beobachten und erforderlichenfalls erneut über die Zulässigkeit sowie die Bedingungen von Verständigungen zu entscheiden (4.). 

1. Das Verständigungsgesetz statuiert nach dem in seinem Wortlaut und Normgefüge zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers (a) kein neues, „konsensuales“ Verfahrensmodell. Vielmehr integriert es die von ihm zugelassene Verständigung mit dem Ziel in das geltende Strafprozessrechtssystem, weiterhin ein der Erforschung der materiellen Wahrheit und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich klargestellt, dass eine Verständigung als solche niemals alleinige Urteilsgrundlage sein kann, sondern das Gericht weiterhin an die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Amtsaufklärungspflicht gebunden ist und die rechtliche Würdigung nicht der Disposition der Beteiligten an einer Verständigung unterliegt (b). Das Verständigungsgesetz regelt die Zulässigkeit einer Verständigung im Strafverfahren abschließend; es untersagt damit die beschönigend als „informell“ bezeichneten Vorgehensweisen bei einer Verständigung (c). Der Gesetzgeber hat sein Regelungskonzept mit spezifischen Schutzmechanismen versehen, die eine vollständige Transparenz und Dokumentation des zu einer Verständigung führenden Geschehens sicherstellen und so die vom Gesetzgeber als erforderlich bewertete vollumfängliche Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht ermöglichen sollen (d). Schließlich gewährleistet das Gesetz über eine Einschränkung der Bindungswirkung einer Verständigung die Neutralität des Gerichts und sieht mit der Pflicht zur Belehrung des Angeklagten über diese Einschränkung eine dessen Belangen dienende Sicherung vor (e). 

a) Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 11, 126 <130 f.>; 105, 135 <157>; stRspr). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>; 105, 135 <157>). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfGE 122, 248 <283> - abw. M.). Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall - auch unter gewandelten Bedingungen - möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 96, 375 <394 f.>). In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen (vgl. BVerfGE 78, 20 <24> m.w.N.). Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen (vgl. BVerfGE 122, 248 <284> - abw. M.).  

b) Der Gesetzgeber hat eine gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren als notwendig erachtet, weil das in der Praxis entstandene und dort bedeutsame, aber stets umstritten gebliebene Institut der Verständigung zur Herstellung von Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung dringend klarer gesetzlicher Vorgaben bedürfe. Dabei war dem Gesetzgeber bewusst, dass sich auf das Urteil bezogene Verständigungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten nicht ohne Weiteres mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Strafverfahren, insbesondere hinsichtlich der Erforschung der materiellen Wahrheit, der Schuldangemessenheit der Strafe und der Verfahrensfairness, würden in Einklang bringen lassen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1). Dementsprechend war es ausdrücklich sein zentrales Ziel, die Verständigung in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werdenden Weise in das geltende Strafverfahrensrecht zu integrieren, ohne die den Strafprozess dominierenden Grundsätze der richterlichen Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung anzutasten. Die Auslegung und Anwendung des Verständigungsgesetzes hat sich zuvörderst an diesem gesetzgeberischen Konzept zu orientieren. Das gilt auch für das Bundesverfassungsgericht, das dann, wenn eine präzisierende Auslegung eines Gesetzes möglich ist, diese seiner Prüfung zugrunde zu legen hat (vgl. zur Bestimmtheit von Strafnormen BVerfGE 126, 170 <196 f.>; siehe auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2012 - 1 BvR 1509/10 -). Der Gesetzgeber wollte zwar eine offene, kommunikative Verhandlungsführung des Gerichts stärken, aber gerade kein neues, „konsensuales“ Verfahrensmodell einführen. Vielmehr war es sein erklärtes Regelungsziel, weiterhin ein Strafverfahren sicherzustellen, das dem fundamentalen und verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Wahrheitsermittlung sowie der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtet ist (vgl. dazu Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f.), weshalb auch in der Verständigungssituation das Maß der Schuldangemessenheit weder über- noch unterschritten werden darf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10 -, NStZ 2011, S. 592 <594>, und vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 -, juris, Rn. 23; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 44). Um diese Aufgabenstellung zu verwirklichen, hat der Gesetzgeber nicht nur den zulässigen Inhalt von Verständigungen und das Verständigungsverfahren „umfassend“ normieren wollen, sondern einen Schwerpunkt seines Regelungskonzepts in der Herstellung von Transparenz, Öffentlichkeit und einer vollständigen Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens gesehen, die wiederum die von ihm als erforderlich bewertete „vollumfängliche“ Rechtsmittelkontrolle ermöglichen und wirksam ausgestalten soll (vgl. nur Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f., 12, 15, sowie Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 16/12310, S. 22). Das Verlangen nach umfassender Transparenz des Verständigungsgeschehens kennzeichnet die gesetzliche Regelung insgesamt (ebenso BGH, Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11 -, NStZ 2012, S. 347 <348>, und Beschluss vom 22. Februar 2012 - 1 StR 349/11 -, StV 2012, S. 649 <652>). Hiernach muss sich eine Verständigung unter allen Umständen „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren“ (BTDrucks 16/12310, S. 12). 

aa) Als Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, Möglichkeiten einer Verständigung in das geltende Strafprozessrechtssystem zu integrieren, ist vor allem die Klarstellung des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO zu verstehen, die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen bleibe „unberührt“. Der Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO ist eindeutig; die Norm schließt jede Disposition über Gegenstand und Umfang der dem Gericht von Amts wegen obliegenden Pflicht zur Aufklärung des mit der Anklage vorgeworfenen Geschehens aus. Damit wird hervorgehoben, dass eine Verständigung niemals als solche die Grundlage eines Urteils bilden kann, sondern weiterhin allein und ausschließlich die - ausreichend fundierte - Überzeugung des Gerichts von dem von ihm festzustellenden Sachverhalt maßgeblich bleibt (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13). Dem Gesetzgeber waren die Besonderheiten des aufgrund einer Verständigung abgegebenen Geständnisses, insbesondere dessen erhöhte Fehleranfälligkeit infolge der Anreiz- und Verlockungssituation, in der sich der Angeklagte wie auch sein Verteidiger befinden können, und demzufolge die Gefahr von „Falschgeständnissen“, bewusst, und er hat deshalb die Geltung der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO ausdrücklich klargestellt. Dementsprechend bleibt das nach § 244 Abs. 2 StPO erforderliche Maß an Beweiserhebung stets insoweit unberührt, als ein wirksamer Verzicht auf (weitere) Beweisanträge und Beweiserhebungen sich nicht außerhalb dessen bewegen kann, was durch die unverändert geltende Sachaufklärungspflicht des Gerichtes bestimmt ist (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13; siehe auch BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 - 3 StR 285/11 -, StV 2012, S. 653 <654>; BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11 -, juris, Rn. 5). 

Die Regelung des § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO, nach der die Bindung des Gerichts an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist, baut auf der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO auf und bestätigt die dargelegte Grundentscheidung des Gesetzgebers. Entsprechendes gilt für das die Zulässigkeit von Verständigungen nach § 257c Abs. 1 Satz 1 StPObeschränkende Kriterium der „geeigneten Fälle“, mit dem der Gesetzgeber nicht nur die Anwendung der Verständigung im Jugendstrafverfahren mit Blick auf den dieses beherrschenden Erziehungsgedanken einschränken, sondern vor allem auch sicherstellen wollte, dass das Gericht nicht vorschnell auf eine Verständigung ausweicht, ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich und rechtlich überprüft zu haben (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 10, 13; siehe auch BGHSt 50, 40 <49>, sowie BGH, Beschlüsse vom 20. April 2004 - 5 StR 11/04 -, juris, Rn. 14 ff., und vom 9. Juni 2004 - 5 StR 579/03 -, juris, Rn. 13 ff.). 

Aufgrund des klarstellenden Hinweises auf § 244 Abs. 2 StPO durch § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO bedurfte es auch keiner zusätzlichen ausdrücklichen Festlegung der an ein Geständnis zu stellenden „Qualitätsanforderungen“. Vielmehr genügt dieser Hinweis, um einerseits zu verdeutlichen, dass auch in der Verständigungssituation ein bloßes inhaltsleeres Formalgeständnis - vor allem, wenn die Beantwortung von Fragen zum Sachverhalt verweigert wird - oder gar die nicht einmal ein Geständnis darstellende schlichte Erklärung, der Anklage nicht entgegenzutreten, allein keine taugliche Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein können. Andererseits hat es der Gesetzgeber damit den Gerichten ermöglicht, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. 

Vor dem Hintergrund des Regelungsziels, die Grundsätze der Amtsaufklärungspflicht des Gerichts und der richterlichen Überzeugungsbildung unangetastet zu lassen, kann § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO zudem nur so verstanden werden, dass das verständigungsbasierte Geständnis zwingend auf seine Richtigkeit zu überprüfen ist. Diese Überprüfung hat sich - unter zusätzlicher Berücksichtigung des Grundanliegens des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen - durch Beweiserhebung in der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO) zu vollziehen. Freilich kann dies nicht bedeuten, dass die Überprüfung eines verständigungsbasierten Geständnisses strengeren Anforderungen unterliegt als sie an eine Beweisaufnahme in der nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung nach Abgabe eines Geständnisses zu stellen wären; so bleiben etwa Vorhalte oder das Selbstleseverfahren nach den allgemeinen Regeln möglich. Es genügt jedoch nicht, das verständigungsbasierte Geständnis durch einen bloßen Abgleich mit der Aktenlage zu überprüfen (anders noch BGHSt 50, 40 <49>, in diese Richtung auch Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <387 f.>), da dies keine hinreichende Grundlage für die erforderliche Überzeugungsbildung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) darstellt und mit einem solchen Verständnis dem Transparenzanliegen des Verständigungsgesetzes und der Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle verständigungsbasierter Urteile gerade nicht Rechnung getragen werden könnte. 

Dieses Verständnis des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass hiernach der Raum für Verständigungen - insbesondere mit Blick auf das Ausmaß der ermöglichten Verfahrensabkürzung - spürbar eingeengt wird. Diese Wirkung ist nicht etwa Ausdruck einer unauflösbaren inneren Widersprüchlichkeit der Norm, sondern achtet das ausdrückliche Ziel des Gesetzgebers, die Verständigung mit den Grundsätzen der Amtsaufklärung nach § 244 Abs. 2 StPO und der richterlichen Überzeugungsbildung in Einklang zu bringen. Die Beschränkung des praktischen Anwendungsbereichs von Verständigungen ist die zwangsläufige Konsequenz der Einfügung von Verständigungsmöglichkeiten in das System des geltenden Strafprozessrechts. 

bb) Nach dem Regelungsziel des Gesetzgebers, weiterhin ein der Wahrheitserforschung und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen, bleiben nicht nur die tatsächlichen Feststellungen, sondern auch deren rechtliche Würdigung der Disposition der an einer Verständigung Beteiligten entzogen (ebenso BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 - 4 StR 623/11 -, juris, Rn. 16). Unmittelbaren Ausdruck findet das gesetzliche Regelungsanliegen in § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO, der den zulässigen Gegenstand von Verständigungen ausdrücklich auf die „Rechtsfolgen“ beschränkt, ferner in dem von § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO ausgesprochenen Verbot einer Verständigung über den Schuldspruch und dem Wegfall der Bindungswirkung einer Verständigung unter den Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO

Aus § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO folgt unter Berücksichtigung der Systematik und von Sinn und Zweck des gesetzlichen Regelungskonzepts insbesondere, dass eine Strafrahmenverschiebung nicht Gegenstand einer Verständigung sein darf, und zwar auch dann nicht, wenn sie sich auf Sonderstrafrahmen für besonders schwere oder minder schwere Fälle im Vergleich zum Regelstrafrahmen bezieht. Zwar handelt es sich bei diesen Sonderstrafrahmen nach herrschender Meinung (vgl. BGHSt 23, 254 <256>; 26, 104 <105>; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, Vor §§ 38 ff., Rn. 47; Theune, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, Vor §§ 46 ff. Rn. 18) um gesetzliche Strafzumessungsregeln, die mit Ausnahme von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht in den Urteilstenor aufzunehmen sind. Allerdings weist die Regelungstechnik der besonders schweren und minder schweren Fälle eine spezifische Nähe zu Qualifikations- und Privilegierungstatbeständen auf. Wesentliche Unterschiede zwischen diesen Regelungsbereichen sind im Hinblick auf die Schuldangemessenheit des Strafens nicht zu erkennen. So werden die Regelbeispiele besonders schwerer Fälle als „tatbestandsähnlich“ angesehen (vgl. BGHSt 33, 370 <374>; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1997 - 5 StR 328/97 -, NStZ 1998, S. 91 <92>; Urteil vom 7. August 2001 - 1 StR 470/00 -, NStZ 2001, S. 642 <643>; Beschluss vom 28. Juli 2010 - 1 StR 332/10 -, NStZ 2011, S. 167). Die Regelungstechnik unterfällt auch dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 45, 363 <371>) sowie dem Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 2004 - 3 StR 113/04-, NStZ-RR 2004, S. 262, und vom 20. Juli 2004 - 3 StR 231/04 -, NStZ-RR 2005, S. 373 <374>). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Fall besonders schwer, wenn er sich nach dem Gewicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt vorkommender Fälle so abhebt, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (vgl. BGHSt 28, 318, <319 f.>; BGH, Urteil vom 26. Juni 1991 - 3 StR 145/91 -, NStZ 1991, S. 529 <530>); für das Vorliegen eines minder schweren Falls ist zu prüfen, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maß abweicht, dass die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2000 - 5 StR 349/00 -, NJW 2000, S. 3580; Urteil vom 13. Februar 2003 - 3 StR 349/02 -, NJW 2003, S. 1679 <1680>; Beschluss vom 26. August 2008 - 3 StR 316/08 -, NStZ 2009, S. 37). Auch die Sonderstrafrahmen sind daher - wie jeder Strafrahmen - Ausdruck des Unwert- und Schuldgehalts, den der Gesetzgeber einem unter Strafe gestellten Verhalten beigemessen hat. Mit der Normierung von Sonderstrafrahmen bringt der Gesetzgeber - nicht anders als bei Qualifikationen und Privilegierungen - zum Ausdruck, innerhalb eines Deliktstypus eine Differenzierung schon auf der Ebene der Strafrahmenwahl für geboten zu erachten. Bei umfassender Würdigung des dem Verständigungsgesetz zugrundeliegenden Regelungskonzepts kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe diese Bewertung für den Fall einer Verständigung aufgeben und den Begriff der „Rechtsfolge“ in § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO auch auf Strafrahmenverschiebungen ausdehnen wollen. 
c) Mit den Vorschriften des Verständigungsgesetzes hat die Zulassung von Verständigungen im Strafverfahren eine abschließende Regelung erfahren. Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende sogenannte informelle Absprachen sind unzulässig. 

aa) Bereits aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO, der Verständigungen nur „nach Maßgabe der folgenden Absätze“ zulässt, folgt, dass jegliche sonstigen „informellen“ Absprachen, Vereinbarungen und „Gentlemen‘s Agreements“ untersagt sind. Damit wird das Ziel der gesetzlichen Regelung, der Verständigung zur Herstellung von Rechtssicherheit und der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung durch ein „umfassendes und differenziertes Regelungskonzept“ (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 7 f., 9) klare Vorgaben zu setzen, verwirklicht. Hätte die Regelung keinen abschließenden Charakter, könnten die vom Gesetzgeber als erforderlich erachteten flankierenden Vorschriften, die Transparenz und Öffentlichkeit des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens sichern, die ihnen zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle von Verständigungen zugedachte Funktion von vornherein nicht wirksam erfüllen. Hierin liegt aber gerade ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers. So ist im Gesetzgebungsverfahren die in der Stellungnahme des Bundesrats kritisierte Regelung des sogenannten „Negativattests“ in § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO mit dem Argument verteidigt worden, dass mit ihrer Streichung „eine wichtige Regelung entfiele, die dazu dienen soll, mit höchst möglicher Gewissheit und in der Revision überprüfbar das Geschehen in der Hauptverhandlung zu dokumentieren und auszuschließen, dass ‚stillschweigend‘ und ohne Beachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten eine Verständigung stattgefunden hat“ (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 16/12310, S. 22). Schließlich findet sich in dem Anliegen, eine „vollumfängliche“ Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht zu gewährleisten, eine Bestätigung des abschließenden Charakters des gesetzlichen Regelungskonzepts. Diese Kontrolle soll nämlich gerade „einen unterstützenden Beitrag dazu leisten, dass Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht“ (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). 

In Anbetracht der strikten Bindung jeglicher Ausübung hoheitlicher Gewalt an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) bedurfte die Absicht des Gesetzgebers, nur solche Verständigungen zuzulassen, die sich innerhalb des vom Gesetz gezogenen Rahmens bewegen, keiner weiteren ausdrücklichen Hervorhebung. 

bb) Aus dem gesetzlichen Regelungskonzept zum Inhalt, zum Zustandekommen und zu den Folgen einer Verständigung folgt unter anderem, dass ein wirksamer Rechtsmittelverzicht auch dann ausgeschlossen ist, wenn sich die Beteiligten unter Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften verständigt haben (vgl. dazu bereits BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. März 2012 - 2 BvR 1464/11 -, juris, Rn. 21 ff.; ebenso etwa Jahn/Müller, NJW 2009, S. 2625 <2630>; Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <393>). Eine solche Verständigung unterliegt zudem der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO. Sollte in letzterem Fall ein Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO erteilt werden, wäre dieses falsch und könnte den Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) erfüllen. 

cc) Ebenso wenig können etwaige Zusagen der Staatsanwaltschaft, andere bei ihr anhängige Ermittlungsverfahren - etwa nach § 154 Abs. 1 StPO - einzustellen, eine Bindungswirkung oder ein schutzwürdiges Vertrauen auslösen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 13; anders noch zur Rechtslage vor dem Verständigungsgesetz BGHSt 37, 10 <13 f.>). Aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 und 2 StPO folgt, dass sich Verständigungen ausschließlich auf das „zugrundeliegende Erkenntnisverfahren“ beziehen dürfen, also sogenannte „Gesamtlösungen“ unter Einbeziehung anderer Verfahren und nicht in der Kompetenz des Gerichts liegende Zusagen unzulässig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2010 - 2 StR 354/10 -, wistra 2011, S. 28; siehe auch Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 34; Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <387>). Nur dieses Verständnis entspricht dem Ziel des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen. Bei Einbeziehung anderer, nicht den Gegenstand der Hauptverhandlung bildender Verfahren ist insoweit eine wirksame Kontrolle der Verständigung - insbesondere durch die Öffentlichkeit - nicht gewährleistet. 

d) Einen Schwerpunkt des Regelungskonzeptes des Verständigungsgesetzes bildet die Gewährleistung der vom Gesetzgeber ausdrücklich als „erforderlich“ bewerteten Transparenz und Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens als Voraussetzung einer effektiven Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1, 8 f.). Zur Erreichung dieses Ziels hat der Gesetzgeber spezifische, das Regelungskonzept prägende Schutzmechanismen vorgesehen. 

aa) In der Konzeption des Gesetzgebers kommt der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung eine zentrale Bedeutung zu. Mit dem Gebot, die mit einer Verständigung verbundenen Vorgänge umfassend in die Hauptverhandlung einzubeziehen, gewährleistet der Gesetzgeber nicht nur vollständige Transparenz; er legt zugleich besonderes Gewicht auf die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und bekräftigt damit, dass auch im Fall der Verständigung der Inbegriff der Hauptverhandlung die Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung bleibt (§ 261 StPO). 
(1) (a) Dem Gesetzgeber kam es maßgeblich darauf an, die Transparenz der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gerade im Falle einer Verständigung zu bewahren; die Verständigung müsse sich „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren“ (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 12). Dementsprechend hat das Verständigungsgesetz umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten mit Bezug auf die Hauptverhandlung statuiert. Sie zielen darauf, nicht nur die Verständigung selbst, also den formalen Verständigungsakt des § 257c Abs. 3 StPO, sondern darüber hinausgehend auch die zu einer Verständigung führenden Vorgespräche in die Hauptverhandlung einzuführen. Zwar ist nach der Begründung des Regierungsentwurfs die „Vorbereitung“ einer Verständigung auch außerhalb der Hauptverhandlung möglich. Gegenstand einer Erörterung im Vorfeld der Hauptverhandlung kann es danach auch sein, Möglichkeit und Umstände einer Verständigung zu besprechen (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 9, 12). Für alle Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung verlangt § 243 Abs. 4 StPO eine Mitteilung deren „wesentlichen Inhalts“. Diese Mitteilung ist gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO zu protokollieren. Demgegenüber sind hinsichtlich der Verständigung selbst gemäß § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO der wesentliche Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis wiederzugeben. Die Protokollierungspflicht hinsichtlich der Verständigung geht also über die Protokollierung der nach § 243 Abs. 4 StPO vorgeschriebenen Mitteilung hinaus. Dem liegt zugrunde, dass die Verständigung als solche nach § 257c Abs. 1 StPO nur in der Hauptverhandlung erfolgen kann. Die im Vergleich zur Verständigung selbst reduzierte Pflicht zur Dokumentation der Gespräche zur Vorbereitung einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2, § 243 Abs. 4 StPO fügt sich in das vom Gesetzgeber verfolgte Konzept der Stärkung der Transparenz und Dokumentation ein, weil die Verständigung selbst erst in der Hauptverhandlung stattfinden kann und § 273 Abs. 1a Satz 1 StPOdie Dokumentation der wesentlichen Abläufe, des Inhalts und des Ergebnisses dieser Verständigung gebietet. Alle wesentlichen Elemente einer Verständigung, zu denen angesichts des vom Gesetzgeber verfolgten Konzepts auch außerhalb der Hauptverhandlung geführte Vorgespräche zählen, sind zum Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung zu machen und unterliegen der Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO

(b) Hinsichtlich des Inhalts möglicher Erörterungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten und der dabei bestehenden Transparenz- und Dokumentationspflichten ist zu unterscheiden: 

(aa) Möglich sind Gespräche, die ausschließlich der Organisation sowie der verfahrenstechnischen Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung dienen, etwa die Abstimmung der Verhandlungstermine. Mangels eines Bezugs auf das Verfahrensergebnis sind diese Gespräche dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert und von ihm nicht betroffen. Sie unterliegen deshalb nicht der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO

(bb) In Betracht kommen weiterhin Gespräche, die als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können und über deren wesentlichen Inhalt deshalb nach § 243 Abs. 4 StPO in der Hauptverhandlung zu informieren ist. Die Mitteilungspflicht greift ein, sobald bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 12) einer Verständigung im Raum stehen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt. Im Zweifel wird in der Hauptverhandlung zu informieren sein. Zum mitzuteilenden Inhalt solcher Erörterungen gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, juris; siehe auch Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 243 Rn. 18a; Altenhain/Haimerl, JZ 2010, S. 327 <336>; Schlothauer/Weider, StV 2009, S. 600 <603>). Fehlt im Hauptverhandlungsprotokoll der nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO vorgeschriebene Hinweis auf eine Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO, ergibt sich daraus lediglich, dass eine solche Mitteilung in der Hauptverhandlung unterblieben ist, nicht aber, dass es keine Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung gegeben hat, weil diese Tatsache nicht von der negativen Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) umfasst ist (a.A. ohne nähere Begründung Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 243 Rn. 18a a.E.). 

(cc) Die Verständigung selbst hat zwingend in der Hauptverhandlung stattzufinden, wo die vom Gesetzgeber verlangte Protokollierung nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO und damit eine Voraussetzung vollumfänglicher Kontrolle gewährleistet ist. Zum „wesentlichen Ablauf und Inhalt“ im Sinne dieser Norm gehört nach Sinn und Zweck der Dokumentationspflicht insbesondere, wer die Anregung zu den Gesprächen gab und welchen Inhalt die einzelnen „Diskussionsbeiträge“ aller Verfahrensbeteiligten sowie der Richter hatten, insbesondere von welchem Sachverhalt sie hierbei ausgingen und welche Ergebnisvorstellungen sie äußerten (vgl. Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 71). 

(2) Darüber hinaus folgt aus dem Ziel des Gesetzgebers, die Verständigung in das Licht der öffentlichen Hauptverhandlung zu stellen, dass er der Kontrollfunktion der Öffentlichkeit besondere Bedeutung beigemessen hat. 

Der in § 169 GVG niedergelegte Öffentlichkeitsgrundsatz soll eine Kontrolle der Justiz durch die am Verfahren nicht beteiligte Öffentlichkeit ermöglichen und ist Ausdruck der demokratischen Idee. Die mit der Möglichkeit einer Beobachtung der Hauptverhandlung durch die Allgemeinheit verbundene öffentliche Kontrolle der Justiz, die historisch als unverzichtbares Institut zur Verhinderung obrigkeitlicher Willkür eingeführt wurde (vgl. zum Ganzen Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 2 ff. m.w.N.), erhält als demokratisches Gebot durch die gesetzliche Zulassung der in eine vertrauliche Atmosphäre drängenden Verständigungen zusätzliches Gewicht. Dem hat der Gesetzgeber durch die Mitteilungspflicht in § 243 Abs. 4 StPO Rechnung getragen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 12). 
Die Öffentlichkeit kann ihre Kontrollfunktion nur ausüben, wenn sie die Informationen erhält, die zur Beurteilung der Angemessenheit einer etwaigen Verständigung erforderlich sind. Nur so bleibt der gerichtliche Entscheidungsprozess transparent und die Rechtsprechung auch in Verständigungsfällen für die Allgemeinheit durchschaubar. Dies ist notwendig, damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit des Staates, mittels einer wirksamen Strafverfolgung öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten (vgl. zu dieser Aufgabe des Öffentlichkeitsgrundsatzes Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 2 ff.) und Gerechtigkeit im Einzelfall sowie eine gleichmäßige Behandlung aller zu garantieren, uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann. 

(3) Die Einbeziehung des zu einer Verständigung führenden Geschehens in die öffentliche Hauptverhandlung hat auch die Aufgabe, deren Funktion als alleinige Grundlage richterlicher Überzeugungsbildung zu wahren. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll diese Funktion der öffentlichen Hauptverhandlung unberührt bleiben. In den Materialien wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Überzeugung des Gerichts von dem festzustellenden Sachverhalt stets erforderlich bleibt und eine Verständigung als solche niemals die Grundlage eines Urteils bilden kann (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 13). Das Gericht bildet sich seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO). Dieser Grundsatz ist nicht zuletzt im Hinblick auf die während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichter ausübenden Schöffen (§§ 30, 77 Abs. 1 GVG) von Bedeutung. Da aus § 257c Abs. 4 StPO folgt, dass der Gesetzgeber der Verständigung eine - wenn auch nur eingeschränkte - Bindungswirkung für das Gericht beigemessen hat, musste er zugleich gewährleisten, dass die Schöffen in das zu einer Verständigung führende Geschehen, soweit es in der Hauptverhandlung stattfindet, unmittelbar eingebunden und im Übrigen nach § 243 Abs. 4 StPO umfassend über dieses unterrichtet sind. Anderenfalls wäre ihnen eine verantwortbare Entscheidung über die Verständigung - insbesondere die damit verbundene Zusage einer Strafobergrenze und Ankündigung einer Strafuntergrenze - und über den Inhalt des nach einer Verständigung oder nach dem Scheitern von Verständigungsbemühungen ergehenden Urteils nicht möglich. Dementsprechend ermöglicht § 257c StPO es ausschließlich „dem Gericht“ - nicht nur dem Vorsitzenden oder nur den Berufsrichtern -, eine Verständigung mit den Verfahrensbeteiligten herbeizuführen. Damit ist es ausgeschlossen, dass ohne eine Beteiligung der Schöffen Strafgrenzen mit der Bindungswirkung des § 257c Abs. 4 StPO in Aussicht gestellt werden. 

bb) Mit dem Erfordernis ihrer Zustimmung zu einer Verständigung weist der Gesetzgeber der Staatsanwaltschaft eine aktive Rolle bei der Verwirklichung seines Ziels zu, eine wirksame Kontrolle von Verständigungen zu gewährleisten. 

Ihr ist die Aufgabe zugewiesen, an der Sicherung der Gesetzmäßigkeit des Verfahrensablaufs und -ergebnisses mitzuwirken. Mit ihrer Verpflichtung zur Objektivität (§ 160 Abs. 2 StPO) ist sie Garantin für Rechtsstaatlichkeit und gesetzmäßige Verfahrensabläufe; als Vertreterin der Anklage gewährleistet sie eine effektive Strafrechtspflege (vgl. Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2006, Einl. J Rn. 42). Diese Bedeutung der Staatsanwaltschaft ist nicht auf die erstinstanzliche Hauptverhandlung beschränkt, sondern setzt sich in ihrer Aufgabenstellung im Rechtsmittelverfahren fort (vgl. § 296 Abs. 2, § 301 StPO). Ihren Niederschlag hat diese Stellung der Staatsanwaltschaft in den Bestimmungen der Nr. 127 Abs. 1 Satz 1 und Nr. 147 Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) gefunden. 

In der Verständigungssituation kommt der Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft herausgehobene Bedeutung zu, weil sich Angeklagter und Gericht hinsichtlich des möglichen Verfahrensergebnisses einer - wenngleich eingeschränkten - Bindung unterwerfen. Die Einbindung der Staatsanwaltschaft in die Verständigung hat damit vor allem den Zweck, deren Gesetzmäßigkeit zu sichern (vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Mai 2011 - 1 StR 116/11 -, juris, Rn. 23 f.; BGH, Beschluss vom 12. Juli 2011 - 1 StR 274/11 -, StV 2011, S. 645 f.; BGH, Urteil vom 9. November 2011 - 1 StR 302/11 -, juris, Rn. 45). Dem Verständigungsgesetz liegt die Erwartung zugrunde, dass die Staatsanwaltschaft - entsprechend ihrer Rolle als „Wächter des Gesetzes“ (vgl. hierzu Promemoria der Staats- und Justiz-Minister von Savigny und Uhden über die Einführung der Staats-Anwaltschaft im Kriminal-Prozesse vom 23. März 1846, abgedruckt bei Otto, Die Preußische Staatsanwaltschaft, 1899, S. 40 ff.) - sich gesetzwidrigen Vorgehensweisen im Zusammenhang mit Verständigungen verweigert. Weisungsgebundenheit und Berichtspflichten ermöglichen es, einheitliche Standards für die Erteilung der Zustimmung zu Verständigungen sowie für die Ausübung der Rechtsmittelbefugnis aufzustellen und durchzusetzen. Die Staatsanwaltschaft ist nicht nur gehalten, ihre Zustimmung zu einer gesetzwidrigen Verständigung zu versagen. Sie hat darüber hinaus gegen Urteile, die - beispielsweise von der Staatsanwaltschaft zunächst unerkannt - auf solchen Verständigungen beruhen, Rechtsmittel einzulegen. In Anbetracht der hohen Bedeutung, die der Gesetzgeber der Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess auch in Verständigungsfällen beigemessen hat, werden Verstöße gegen die Vorgaben des Verständigungsgesetzes in der Regel von wesentlicher Bedeutung (vgl. auch Nr. 147 Abs. 1 Satz 1 RiStBV) und deshalb durch die Staatsanwaltschaft einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zuzuführen sein. Auch kann es angezeigt sein, dass sich die Generalstaatsanwaltschaften dieser Aufgabe in besonderer Weise annehmen. 

cc) Schließlich verfolgen die in dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgesehenen Schutzmechanismen das Ziel, eine wirksame „vollumfängliche“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile durch das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen. 

(1) Diese Kontrolle soll dazu beitragen, dass „Verständigungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspricht“ (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 9). Hiernach verzichtete der Gesetzgeber darauf, nach vorangegangener Verständigung Rechtsmittel auszuschließen oder einzuschränken, um die Verständigung in einer insbesondere mit dem Gebot schuldangemessenen Strafens und der daraus folgenden Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit in Einklang stehenden Weise in das geltende Strafverfahren integrieren zu können (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1 f., 8 f.; siehe auch Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrats, BTDrucks 16/4197, S. 12). Mit dieser Zielsetzung grenzt sich das Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes ausdrücklich von dem vom Bundesrat vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren (BTDrucks 16/4197) ab, der die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen ein verständigungsbasiertes Urteil durch einen Ausschluss der Berufung sowie eine Beschränkung der Revision auf im Zusammenhang mit der Verständigung stehende Verfahrensfehler und die Revisionsgründe des § 338 StPO wesentlich einschränken wollte (vgl. Gesetzentwurf und Begründung des Bundesrats, BTDrucks 16/4197, S. 5 f., 7, 11 sowie die Stellungnahme der Bundesregierung, BTDrucks 16/4197, S. 12). Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Möglichkeit eines Rechtsmittelverzichts nach gesonderter qualifizierter Belehrung hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages verworfen, um sicherzustellen, dass sich die Berechtigten in Ruhe und ohne Druck überlegen können, ob sie Rechtsmittel einlegen wollen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 6, 15 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 16/13095, S. 7, 10). In bewusster Abkehr von den Entwürfen schränkt das Verständigungsgesetz die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen verständigungsbasierte Urteile nicht ein, sondern schließt - über die dem Regelungskonzept weitgehend zugrundeliegende Entscheidung des Großen Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGHSt 50, 40 ff.) hinausgehend - einen Rechtsmittelverzicht nach einer Verständigung generell aus (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO) und sichert die Ermöglichung einer Rechtsmittelkontrolle durch das Erfordernis einer qualifizierten Belehrung noch zusätzlich ab. 

(2) Die Wirksamkeit der Kontrolle soll durch umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten sichergestellt werden. Diese Schutzmechanismen können nicht als bloße Ordnungsvorschriften verstanden werden. Die Gewährleistung einer „vollumfänglichen“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile setzt umfassende Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung sowie eine vollständige Dokumentation im Verhandlungsprotokoll voraus. Dementsprechend kommt im Wortlaut der Normen, in der Systematik des Regelungskonzepts und in den Materialien unmissverständlich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber eine Verständigung nur bei Wahrung der Transparenz- und Dokumentationspflichten für zulässig hält. Das gesetzliche Regelungskonzept ist damit als eine untrennbare Einheit aus Zulassung und inhaltlicher Beschränkung von Verständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten zu begreifen. Dabei dienen die Verfahrensnormen in gleicher Weise wie die den zulässigen Inhalt von Verständigungen beschränkenden Vorschriften und der Verweis des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO auf § 244 Abs. 2 StPO dem Ziel, die mit einer urteilsbezogenen Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten verbundenen Risiken für die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess zu minimieren. Die Vorschriften zur Transparenz des Verständigungsgeschehens in der öffentlichen Hauptverhandlung, zu dessen Dokumentation und zur Ermöglichung einer wirksamen Kontrolle auch durch das Rechtsmittelgericht zählen zum Kern des gesetzlichen Regelungskonzepts. 

(3) Ein Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten führt deshalb grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer gleichwohl getroffenen Verständigung. Hält sich das Gericht an eine solche gesetzwidrige Verständigung, wird ein Beruhen des Urteils auf diesem Gesetzesverstoß regelmäßig schon deshalb nicht auszuschließen sein, weil die Verständigung, auf der das Urteil beruht, ihrerseits mit einem Gesetzesverstoß behaftet ist. Diese Auslegung entspricht der Funktion dieser Vorschriften im Konzept des Verständigungsgesetzes. Dass Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen der Verständigung nicht den absoluten Revisionsgründen zugeordnet worden sind, steht einer Auslegung des § 337 Abs. 1 StPO nicht entgegen, derzufolge das Revisionsgericht ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten - die nach dem Willen des Gesetzgebers gerade zum Kern des dem Verständigungsgesetz zugrunde liegenden Schutzkonzepts gehören - nur in besonderen Ausnahmefällen wird ausschließen können (vgl. zur Verletzung von § 258 Abs. 2 und 3 StPOBGHSt 21, 288<290>; 22, 278 <280 f.>). 

(4) Kommt eine Verständigung nicht zustande und fehlt es an der gebotenen Negativmitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, wistra 2011, S. 72 f. = StV 2011, S. 72 f.) oder dem vorgeschriebenen Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, wird nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c StPO grundsätzlich ebenfalls nicht auszuschließen sein (str., im Ergebnis wie hier Kirsch, StraFo 2010, S. 96 <100>; Schlothauer, StV 2011, S. 205 <206>; in der Tendenz auch Schmitt, StraFo 2012, S. 386 <390>; anders BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10 -, NStZ 2011, S. 592 <593> zu § 243 Abs. 4 StPO), sofern nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 - 32 Ss 87/11 -, juris, Rn. 11, 13). Bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten wird sich nämlich in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige „informelle“ Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht.

e) Aus der in § 257c Abs. 4 StPO getroffenen Regelung ergibt sich zwar einerseits, dass das Gericht (nur) an eine nach den Vorgaben des Gesetzes entsprechende Verständigung grundsätzlich gebunden ist. Andererseits stellt die Regelung zugleich klar, dass die Bindungswirkung entfällt, wenn das Gericht nach Zustandekommen der Verständigung zu der Überzeugung gelangt, dass der nach § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht (mehr) tat- und schuldangemessen ist. Die Bestimmung des § 257c Abs. 4 StPO ist somit Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, die richterliche Überzeugungsbildung unangetastet zu lassen. Mit dem Verwertungsverbot des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO ist dort zudem eine dem Schutz des Angeklagten dienende Vorschrift enthalten, der im Vertrauen auf den Bestand einer Verständigung ein Geständnis abgegeben und damit von seinem Recht, sich nicht zur Sache einzulassen, keinen Gebrauch gemacht und der Verurteilung eine Grundlage verschafft hat. Mit dem Ziel, dem Angeklagten überhaupt eine autonome Entscheidung über das für ihn mit einer Mitwirkung an einer Verständigung verbundene Risiko zu ermöglichen, sieht schließlich § 257c Abs. 5 StPO vor, dass der Angeklagte vor der Verständigung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren ist. Hiermit wollte der Gesetzgeber die Fairness des Verständigungsverfahrens sichern und - wie sein Hinweis auf das Ziel der Ermöglichung einer autonomen Einschätzung (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 15) bestätigt - zugleich die Autonomie des Angeklagten im weiten Umfang schützen. Der Angeklagte sieht sich durch die Aussicht, mit der Verständigung eine das Gericht bindende Zusage einer Strafobergrenze zu erreichen und so Einfluss auf den Verfahrensausgang zu nehmen, einer besonderen Anreiz- und Verlockungssituation ausgesetzt. Der hiermit einhergehenden Gefährdung der Selbstbelastungsfreiheit soll unter anderem durch die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO Rechnung getragen werden. Bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht wird daher im Rahmen der revisionsgerichtlichen Prüfung regelmäßig davon auszugehen sein, dass das Geständnis und damit auch das Urteil auf dem Unterlassen der Belehrung beruht. Ein Beruhen wird nur dann verneint werden können, wenn sich feststellen lässt, dass der Angeklagte das Geständnis auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte (vgl. zu dem in seiner Bedeutung für die Selbstbelastungsfreiheit ähnlich gelagerten Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPOBGHSt 38, 214<226 f.>). Nur so ist gewährleistet, dass die Schutzfunktion der Belehrungspflicht ihre vorgesehene Wirkung entfaltet. 

2. Das Verständigungsgesetz ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dieses schließt Verständigungen im Strafprozess nicht schlechthin aus (a). Der Gesetzgeber hat ausreichende Vorkehrungen getroffen, um zu gewährleisten, dass sich Verständigungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren halten (b).

a) Verständigungen im Strafprozess berühren die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren (aa), der Gesetzgeber ist aber nicht gehindert, Verständigungen mit den zur Sicherung der Verfassungsmäßigkeit gebotenen Vorkehrungen zuzulassen (bb). 
aa) Der Strafprozess hat das Schuldprinzip zu verwirklichen und darf sich von dem ihm vorgegebenen Ziel der bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit und der Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein unabhängiges und neutrales Gericht nicht entfernen. Das Fehlen eines nicht an den sachlichen Verfahrenszielen orientierten eigenen Interesses des Gerichts am Verfahrensausgang bildet im Zusammenwirken mit seiner Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) die Grundlage für die bestmögliche Ermittlung des wahren Sachverhaltes und die richtige Anwendung des materiellen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt. Dabei trägt das Gebot einer schuldangemessenen Bestrafung auch im Einzelfall dem Verlangen nach Rechtsgleichheit als einem der grundlegenden Gerechtigkeitspostulate Rechnung. Das Maß der verwirklichten Schuld legitimiert die Differenzierung in den Rechtsfolgen und sichert so zugleich die gebotene Gleichbehandlung der Beschuldigten im Strafverfahren. 
(1) Das verfassungsrechtliche Schuldprinzip steht nicht zur Disposition des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 123, 267 <413>). Dies schließt es nicht aus, den Strafverfolgungsbehörden Möglichkeiten zu einem Absehen von der Strafverfolgung zu eröffnen, namentlich in Fällen geringfügiger Kriminalität, in denen der Rechtsfrieden nicht ernsthaft beeinträchtigt und eine Kriminalstrafe zum Schuldausgleich nicht zwingend geboten ist, so dass ein öffentliches Interesse an einem Schuldspruch nicht besteht oder durch die Erfüllung von Auflagen oder/und Weisungen beseitigt werden kann. Solche Ausnahmen dürfen die Geltungskraft des Schuldprinzips nicht in Frage stellen und bedürfen stets einer gesetzlichen Regelung, wie sie der Gesetzgeber etwa in den §§ 153 ff. StPO getroffen hat. Als Ausnahmen von der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sind sie fest zu umgrenzen und bedürfen jeweils einer eigenständigen Legitimation (vgl. zu Beschränkungen der Sachverhaltsaufklärung BVerfGE 33, 367 <382 f.>; 46, 214 <222 f.>; 49, 24 <54>; 51, 324 <344>; 129, 208 <260>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2000 - 1 BvR 77/96 -, NStZ 2001, S. 43 <44>). 

(2) Als unerlässliche Voraussetzung der Verwirklichung des Schuldprinzips unterliegt auch die Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit nicht der Disposition des Gesetzgebers. Sie ist das bestimmende Ziel, von dem sich der Strafprozess nicht entfernen darf. Allerdings ist es Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln er die Verwirklichung des Schuldprinzips gewährleistet. Es ist dem Gesetzgeber auch nicht versagt, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze für Fälle einfach gelagerter und eindeutiger Sachverhalte - etwa bei einer sich mit den Ermittlungsergebnissen deckenden geständigen Einlassung schon im Ermittlungsverfahren oder bei einem auf frischer Tat angetroffenen Beschuldigten - ein vereinfachtes Verfahren zur Gewinnung der richterlichen Überzeugung von Schuld oder Unschuld des Angeschuldigten und der hieraus zu ziehenden Folgen ohne das Erfordernis einer öffentlichen Hauptverhandlung mit ihrer formalisierten Beweisaufnahme einzurichten, wie es die Strafprozessordnung mit dem Strafbefehlsverfahren gemäß § 407 Abs. 1 und 2 StPO vorsieht (vgl. dazu Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, Vor § 407 Rn. 25 f. m.w.N.). Ermöglichen es die in der Akte befindlichen Unterlagen und Beweismittel dem Richter, sich die Überzeugung von der Richtigkeit des dem Angeschuldigten zur Last gelegten Sachverhalts zu bilden, ist eine öffentliche Hauptverhandlung zur Gewinnung einer tragfähigen Grundlage für die Schuldfeststellung, die rechtliche Beurteilung und die Strafzumessung von Verfassungs wegen nicht zwingend geboten, sofern es der Angeschuldigte in der Hand hat, durch einfache Erklärung die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung zu erzwingen (vgl. BVerfGE 25, 158 <164 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Februar 1995 - 2 BvR 1950/94 -, NJW 1995, S. 2545 <2546> und vom 4. Juli 2002 - 2 BvR 2168/00 -, NJW 2002, S. 3534 m.w.N.). 
(3) Das im Grundgesetz verankerte Schuldprinzip und die mit ihm verbundene Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit sowie der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, die Unschuldsvermutung und die Neutralitätspflicht des Gerichts schließen es jedoch aus, die Handhabung der Wahrheitserforschung, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafzumessung in der Hauptverhandlung, die letztlich mit einem Urteil zur Schuldfrage abschließen soll, zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht muss es untersagt bleiben, im Wege vertragsähnlicher Vereinbarungen mit den Verfahrensbeteiligten über die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit zu verfügen und sich von dem Gebot schuldangemessenen Strafens zu lösen. Es ist Gericht und Staatsanwaltschaft untersagt, sich auf einen „Vergleich“ im Gewande des Urteils, auf einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ einzulassen (vgl. schon BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>) und mit dem Angeklagten einen bestimmten Schuldspruch oder auch nur eine konkrete Strafe zu vereinbaren. Der Rechtsanwendungspraxis ist es untersagt, das vom Gesetzgeber normierte Strafverfahren in einer Weise zu gestalten, die auf solche vertragsähnliche Erledigungsformen hinausläuft. 

Demgegenüber steht das Grundgesetz unverbindlichen Erörterungen der Beurteilung der Sach- und Rechtslage zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten nicht entgegen. Eine offene, kommunikative Verhandlungsführung kann der Verfahrensförderung dienlich sein und ist daher heute selbstverständliche Anforderung an eine sachgerechte Prozessleitung. So begegnen etwa Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Solche Formen der kommunikativen Verhandlungsführung stellen insbesondere nicht die Unvoreingenommenheit des Gerichts in Frage, solange sie transparent bleiben und kein Verfahrensbeteiligter hiervon ausgeschlossen ist. 

bb) Verständigungen zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten über Stand und Aussichten der Hauptverhandlung, die dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine Strafobergrenze zusagen und eine Strafuntergrenze ankündigen, tragen das Risiko in sich, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in vollem Umfang beachtet werden. Gleichwohl ist es dem Gesetzgeber in Anbetracht seiner Gestaltungsmacht von Verfassungs wegen nicht schlechthin verwehrt, zur Verfahrensvereinfachung Verständigungen zuzulassen. Er muss jedoch zugleich durch hinreichende Vorkehrungen sicherstellen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt bleiben. Die Wirksamkeit der vorgesehenen Schutzmechanismen hat der Gesetzgeber fortwährend zu überprüfen. Ergibt sich, dass sie unvollständig oder ungeeignet sind, hat er insoweit nachzubessern und erforderlichenfalls seine Entscheidung für die Zulässigkeit strafprozessualer Absprachen zu revidieren (vgl. BVerfGE 110, 141 <158> m.w.N.). 

b) Das Verständigungsgesetz sichert die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in ausreichender Weise. 

aa) Nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO dürfen Gegenstand einer Verständigung nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrunde liegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO schließt den Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung als Gegenstand einer Verständigung aus. Das Verständigungsgesetz entbindet das Gericht auch nicht von der Beachtung der Strafzumessungsregeln, wenn es in § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO das Gericht ermächtigt, bei der Bekanntgabe des möglichen Inhalts einer Verständigung unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe anzugeben. Damit sind nicht nur, wie vom Schuldgrundsatz gefordert, Verständigungen über den Schuldspruch wirksam ausgeschlossen, sondern es ist auch sichergestellt, dass die aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens folgenden Grundsätze der Strafzumessung nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten stehen. Dem Gericht ist es nicht gestattet, im Wege der Verständigung seine Wertungen an die Stelle derjenigen des Strafgesetzgebers zu setzen. Dabei ist zu beachten, dass eine maßgebliche Bedeutung insoweit den gesetzlichen Strafrahmen zukommt, die mit ihren nach Straftat und Strafhöhe gestaffelten Sanktionen die Abstufung der verschiedenen Straftaten nach ihrem Unrechtsgehalt erst zum Ausdruck bringen (vgl. BVerfGE 27, 18 <29>). Tatbestand und Rechtsfolge sind wechselseitig aufeinander bezogen und müssen - gemessen an der Idee der Gerechtigkeit - sachgerecht aufeinander abgestimmt sein. Einerseits richtet sich die Strafhöhe nach dem normativ festgelegten Wert des verletzten Rechtsgutes und der Schuld des Täters. Andererseits lässt sich das Gewicht einer Straftat, der ihr in der verbindlichen Wertung des Gesetzgebers beigemessene Unwertgehalt, in aller Regel erst aus der Höhe der angedrohten Strafe entnehmen. Insofern ist auch die Strafandrohung für die Charakterisierung, Bewertung und Auslegung des Straftatbestandes von entscheidender Bedeutung (BVerfGE 25, 269 <286>; 27, 18 <29>). Erst von einer differenzierenden Bewertung des Unwertgehaltes der verschiedenen Straftaten her wird die Abstufung der strafrechtlichen Sanktionen verständlich und sachlich gerechtfertigt (BVerfGE 27, 18 <29>). Innerhalb eines Deliktstypus kommt die differenzierende Bewertung des Unwertgehaltes vor allem durch Qualifikations- und Privilegierungstatbestände zum Ausdruck. Aber auch die Sonderstrafrahmen für besonders schwere und minder schwere Fälle nehmen an dieser Abstufung teil, auch wenn es sich hierbei nach überwiegender Auffassung um Strafzumessungsregeln handelt (Nachweise siehe oben unter B. II. 1. b) bb)). Diese Regelungstechnik ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt (vgl. BVerfGK 14, 177 <182>). Wenn er jedoch mit der Einführung solcher Sonderstrafrahmen zum Ausdruck gebracht hat, eine Differenzierung schon bei der Strafandrohung für erforderlich zu halten, ist diese Bewertung für die Rechtsanwendung bindend. 

bb) Das Verständigungsgesetz wahrt den Schuldgrundsatz auch insoweit, als eine Verfahrensverkürzung um den Preis der Erforschung der materiellen Wahrheit ausgeschlossen ist. Wie dargestellt, enthebt die Möglichkeit einer Verständigung das Gericht nicht von der Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen. Ein Geständnis darf nicht zur „Handelsware“ werden und kann als Grundlage der Zusage einer Strafobergrenze nur akzeptiert werden, wenn es - aus sich heraus oder aufgrund der Beantwortung von Fragen - überprüfbar ist. Das im Zusammenhang mit der Zusage einer Strafobergrenze abgegebene Geständnis in der - die Grundlage der richterlichen Überzeugung über Schuld oder Unschuld und die daran zu knüpfenden Folgen bildenden - Hauptverhandlung ist auf seine Richtigkeit zu überprüfen, denn eine solche Zusage kann den Angeklagten zur Abgabe eines (teilweise) falschen Geständnisses veranlassen. 

cc) Mit den Bestimmungen zum Entfallen der Bindung des Gerichts an eine Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO) hat der Gesetzgeber ferner die aus dem Schuldprinzip, der Pflicht des Gerichts zur Erforschung der materiellen Wahrheit und seiner Neutralitätspflicht sowie der Unschuldsvermutung zu ziehenden Konsequenzen für die Grenzen der richterlichen Selbstbindung an gegebene Zusagen konkretisiert. Es ist gewährleistet, dass die der Verständigung beigemessene Bindung entfällt, wenn sich im Laufe der Hauptverhandlung der in Aussicht gestellte eingegrenzte Strafrahmen als nicht (mehr) tat- oder schuldangemessen erweist. 

dd) Der insbesondere im Grundsatz der Verfahrensfairness verankerten Forderung, dass der Angeklagte autonom darüber entscheiden kann, ob er den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit aufgibt, sich auf eine Verständigung einlässt und mit einem Geständnis sich seines Schweigerechts begibt, genügt das Verständigungsgesetz ebenfalls. Das Strafverfahrensrecht trägt dem Anliegen, die Entscheidungsfreiheit des Angeklagten zu wahren, bereits generell in allen Verfahrensstadien Rechnung. So haben Belehrungspflichten sowie die Freiheit von Willensentschließung und Willensbetätigung in den allgemeinen Vorschriften der §§ 136, 136a StPO und - beispielsweise - für das Ermittlungsverfahren in § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO sowie für die Hauptverhandlung in § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO ihren Niederschlag gefunden. Wenn diese Sicherungen schon bei der Entscheidungsfindung über allgemeines Aussageverhalten greifen, so haben sie eine umso größere Bedeutung, wenn es um die Frage eines Schuldeingeständnisses geht, vor allem in der für eine Verständigung typischen Anreiz- und Verlockungssituation (vgl. oben B. II. 1. e)). Vor diesem Hintergrund kommt der in § 257c Abs. 5 StPOvorgesehenen Belehrung über die Reichweite der Bindungswirkung und die Folgen eines Scheiterns der Verständigung besondere Bedeutung zu, der auch revisionsrechtlich Rechnung zu tragen ist. 

Von ebenso hohem Gewicht ist, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit es dem Gericht verbietet, dem Angeklagten eine geständnisbedingte Strafmilderung in Aussicht zu stellen, mit der es den Boden schuldangemessenen Strafens verließe. Der Angeklagte darf infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen, aber auch nicht durch Täuschung oder Drohung zu einem Geständnis gedrängt werden. Letzteres hat in § 136a StPO bereits seinen Ausdruck gefunden (vgl. BVerfG, Vorprüfungsausschuss, Beschluss vom 19. Oktober 1983 - 2 BvR 859/83 -, NStZ 1984, S. 82; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 <2663>). Erst recht greift dieses Schutzgebot zugunsten eines Angeklagten, mit dessen Geständnis in der Hauptverhandlung der Ausgang des Verfahrens steht oder fällt. 
ee) Das Verständigungsgesetz trifft umfangreiche Vorkehrungen dahin, dass das maßgebliche Verständigungsgeschehen in die Hauptverhandlung einbezogen und dokumentiert wird, und gibt mit der in § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO vorgesehenen Abhängigkeit der Verständigung von der Zustimmung der Staatsanwaltschaft dieser ein Mittel zur Wahrung rechtsstaatlicher Standards in die Hand, zu der die effektiv zu handhabende Überprüfung durch Rechtsmittel hinzutritt (vgl. oben B. II. 1. d)). Der Gesetzgeber begegnet damit der mit der Möglichkeit der Verfahrensverkürzung durch eine Verständigung einhergehenden Gefahr einer Motivationsverschiebung bei dem erkennenden Gericht und trägt dem mit der Zusage einer wesentlichen Strafmilderung für den Fall eines Geständnisses verbundenen Anreiz für den Angeklagten Rechnung, ein (teilweise) falsches Geständnis abzulegen. Zugleich wirkt er dem Risiko entgegen, dass sich ein möglicher Interessengleichlauf von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zum Nachteil des Angeklagten auswirkt. Die verfahrensrechtlichen Sicherungen lassen jedenfalls in ihrem Zusammenwirken erwarten, dass die mit Verständigungen verbundenen rechtsstaatlichen Risiken beherrscht werden. Dabei kann unentschieden bleiben, ob bestimmte Vorkehrungen von Verfassungs wegen unverzichtbar sind, solange ein ausreichendes Gewährleistungsniveau verwirklicht wird. 

ff) Schließlich hat der Gesetzgeber eindeutig entschieden, dass auf das Strafurteil bezogene „informelle“ Absprachen unzulässig sind. Ausweislich des § 257c Abs. 1 StPO sind Verständigungen über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens nur nach Maßgabe der folgenden Absätze zulässig. Intransparente, unkontrollierbare „Deals“ sind im Strafprozess wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens bereits von Verfassungs wegen untersagt, und der Gesetzgeber hat derartige Vorgehensweisen in unmissverständlicher Weise verworfen. 

3. Der in erheblichem Maße defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes führt derzeit nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung. 

a) Die repräsentative empirische Erhebung von Prof. Dr. Altenhain, die Anhörung der Auskunftspersonen in der mündlichen Verhandlung, aber auch die schriftlichen Stellungnahmen zu den Verfassungsbeschwerden und die vorliegende obergerichtliche Rechtsprechung zeigen zwar, dass Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidigung in einer hohen Zahl von Fällen die gesetzlichen Vorgaben missachten und die Rechtsmittelgerichte der ihnen zugewiesenen Aufgabe der Kontrolle der Verständigungspraxis nicht immer in genügendem Maße nachgekommen sind. Aus diesem empirischen Befund kann jedoch derzeit noch nicht auf ein in der Norm selbst angelegtes und daher zu deren Verfassungswidrigkeit führendes Versagen der zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Vorgaben normierten Schutzmechanismen geschlossen werden. 

b) Eine gesetzliche Regelung, gegen die in der Rechtsanwendungspraxis in verfassungswidriger Weise verstoßen wird, verletzt nur dann auch selbst das Grundgesetz, wenn die verfassungswidrige Praxis auf die Vorschrift selbst zurückzuführen, mithin Ausdruck eines strukturbedingt zu dieser Praxis führenden normativen Regelungsdefizits ist. Ein solches Defizit kann im vorliegenden Zusammenhang nicht schon darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber urteilsbezogene Verständigungen, welche sich durch ihre Grundstruktur für die Verwirklichung des Schuldprinzips als gefährlich erweisen, überhaupt gestattet hat. Dies ließe unberücksichtigt, dass er ihre Zulassung an umfangreiche flankierende Schutzmechanismen gekoppelt hat, die die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess sicherstellen sollen (vgl. auch BVerfGE 81, 123 <129 f.>; 83, 24 <31>; 118, 212 <231 f.>). Verfassungswidrig wäre das gesetzliche Regelungskonzept nur, wenn die vorgesehenen Schutzmechanismen in einer Weise lückenhaft oder sonst unzureichend wären, die eine gegen das Grundgesetz verstoßende „informelle“ Absprachepraxis fördert, das Vollzugsdefizit also durch die Struktur der Norm determiniert wäre. 

c) Ein strukturelles Regelungsdefizit kann gegenwärtig nicht festgestellt werden. Die Gründe für den erheblichen, keineswegs auf Einzelfälle beschränkten Vollzugsmangel sind vielschichtig und finden sich nach gegenwärtiger Erkenntnis nicht in einer Schutzlücke der gesetzlichen Regelung. Die gesetzliche Regelung traf auf Rahmenbedingungen, die von immer komplexer werdenden Lebenssachverhalten, einer stetigen Ausweitung des materiellen Strafrechts sowie immer differenzierteren Anforderungen an den Ablauf des Strafverfahrens geprägt sind, und hatte die schwierige Aufgabe, eine zuvor über drei Jahrzehnte in der Praxis entstandene und dort längst verfestigte Entwicklung in geordnete Bahnen zu lenken. Im Vergleich zu der lang andauernden und - wie auch die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeigt - immer weiter um sich greifenden Praxis jedenfalls gesetzlich nicht geregelter Absprachen ist der Zeitraum der bisherigen Geltungsdauer der gesetzlichen Schutzmechanismen noch sehr kurz, was dafür spricht, dass die Durchsetzung der strikt umgrenzten und stark formalisierten Verständigungsform entsprechend dem gesetzlichen Regelungskonzept noch nicht abgeschlossen ist und insbesondere die hohe Bedeutung der Schutzmechanismen von der Praxis noch nicht vollständig verinnerlicht wurde. Hierfür spricht auch, dass in der Literatur Stellungnahmen anzutreffen sind, die dahin verstanden werden können, dass die gesetzliche Regelung nicht abschließend sei und die Schutzmechanismen insbesondere des § 273 Abs. 1a und des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht für „informelle“ Vorgehensweisen außerhalb der Vorgaben des § 257c StPO gälten (vgl. etwa Peglau, jurisPR-StrafR 4/2012 Anm. 1; Niemöller, StV 2012, S. 387 <388 f.>; ders., in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 273 Rn. 16, § 302 Rn. 5; Bittmann, wistra 2009, S. 414 <416>; Kirsch, StraFo 2010, S. 96 <101>). Hinzu kommt die nicht selten anzutreffende Bewertung gerade der Schutzmechanismen als „praxisuntauglich“, welche die Sicherung der verfassungsrechtlichen Vorgaben als zentrale Aufgabenstellung des Strafverfahrensrechts übergeht. Dies verkennt, dass im Rechtsstaat des Grundgesetzes das Recht die Praxis bestimmt und nicht die Praxis das Recht. 
d) Weder das Ergebnis der empirischen Erhebung noch die in den Verfassungsbeschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahmen zwingen zu der Annahme, dass es strukturelle Mängel des gesetzlichen Regelungskonzepts sind, die zu dem bisherigen Vollzugsdefizit geführt haben könnten. Als Hauptgrund für die Nichtbeachtung der gesetzlichen Regelungen wird in der empirischen Untersuchung vielmehr eine „fehlende Praxistauglichkeit“ der Vorschriften genannt. Dabei werden als praxisuntauglich oftmals die Begrenzung des zulässigen Inhalts von Verständigungen, die Transparenz- und Dokumentationspflichten - hier vor allem das Negativattest des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO - sowie das Verbot eines Rechtsmittelverzichts angeführt, also gerade diejenigen Vorschriften, die die Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben gewährleisten sollen. So gaben viele Verteidiger in der Befragung an, die gesetzliche Regelung widerspreche dem „Wesen des Deals“; dieser sei informell. Auch dies spricht für ein bisher nur unzureichend ausgeprägtes Bewusstsein, dass es Verständigungen ohne die Einhaltung der Anforderungen des Verständigungsgesetzes nicht geben darf. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung stützen daher nicht die Annahme eines im gesetzlichen Regelungskonzept verankerten strukturellen Defizits, sondern sprechen für interessengeleitete Missverständnisse und Bestrebungen, die gesetzliche Regelung wegen ihrer - als unpraktisch empfundenen - Schutzmechanismen zu umgehen. 

4. Auch wenn derzeit aus dem defizitären Vollzug des Verständigungsgesetzes nicht auf eine Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung geschlossen werden kann, muss der Gesetzgeber die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge behalten. Sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen hinwegsetzen und sollten die materiellen und prozeduralen Vorkehrungen des Verständigungsgesetzes nicht ausreichen, um das festgestellte Vollzugsdefizit zu beseitigen und dadurch die an eine Verständigung im Strafverfahren zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen, muss der Gesetzgeber der Fehlentwicklung durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken (vgl. zu Beobachtungs- und Nachbesserungspflichten des Gesetzgebers BVerfGE 25, 1 <12 f.>; 49, 89 <130>; 95, 267 <314>; 110, 141 <158, 166>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. November 2009 - 1 BvR 213/08 -, GRUR 2010, S. 332 <334>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Januar 2011 - 1 BvR 3222/09 -, NJW 2011, S. 1578 <1582>). Unterbliebe dies, träte ein verfassungswidriger Zustand ein. 

5. Das Normgefüge des Verständigungsgesetzes gestattet nach der hier zugrunde gelegten Auslegung des einfachen Rechts keine Verfahrensweise im Strafprozess, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben widerspräche. Die durch das Verständigungsgesetz eingeführten Vorschriften sind deshalb weder für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären noch besteht Anlass, sie im Wege einer verfassungskonformen Auslegung einzugrenzen. Damit ist der Anwendungsbereich von § 79 BVerfGGnicht eröffnet. 

III.  

Die mit den Verfassungsbeschwerden angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen sind mit den Vorgaben des Grundgesetzes für eine Verständigung im Strafprozess nicht zu vereinbaren. 

1. Die von den Beschwerdeführern zu I. und II. angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts München II und des Bundesgerichtshofs verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und verstoßen gegen die Selbstbelastungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Im Anschluss an die in beiden Fällen unterbliebene Belehrung der Angeklagten über die Voraussetzungen und Folgen des Wegfalls der Bindung an eine Verständigung (§ 257c Abs. 5 StPO) hat der Bundesgerichtshof im Rahmen der Prüfung, ob die Urteile des Landgerichts München II auf dem Gesetzesverstoß beruhen, die grundlegende Bedeutung der Belehrungspflicht nach § 257c Abs. 5 StPOfür die Fairness des Verfahrens und die Selbstbelastungsfreiheit verkannt. 

a) Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist. Die Belehrungspflicht verliert nicht deshalb an Bedeutung oder wird gar obsolet, weil eine Lösung des Gerichts von der Verständigung nach § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO das infolge der Verständigung abgegebene Geständnis unverwertbar macht. Denn die Belehrung hat sicherzustellen, dass der Angeklagte vor dem Eingehen einer Verständigung, deren Bestandteil das Geständnis ist, vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung an der Verständigung informiert ist (vgl. auch Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/12310, S. 15). Nur so ist gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, (weiterhin) Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt. 

Zwar muss der Angeklagte unabhängig von der Möglichkeit einer Verständigung darüber befinden, ob und gegebenenfalls wie er sich zur Sache einlässt. Mit der Aussicht auf eine Verständigung wird jedoch eine verfahrensrechtliche Situation geschaffen, in der es dem Angeklagten in die Hand gegeben wird, durch sein Verhalten spezifischen Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses zu nehmen. Anders als in einer nach der herkömmlichen Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung kann er nämlich mit einem Geständnis die das Gericht grundsätzlich bindende Zusage einer Strafobergrenze und damit Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens erreichen. Damit ist aus der Perspektive des Angeklagten das Festhalten an der Freiheit von Selbstbelastung nur noch um den Preis der Aufgabe der Gelegenheit zu einer das Gericht bindenden Verständigung und damit einer (vermeintlich) sicheren Strafobergrenze zu erlangen. Die Erwartung der Bindung des Gerichts bildet dementsprechend Anlass und Grundlage der Entscheidung des Angeklagten über sein prozessuales Mitwirken; damit entsteht eine wesentlich stärkere Anreiz- und Verführungssituation als es - mangels Erwartung einer festen Strafobergrenze - etwa in der Situation von § 136 Abs. 1 oder § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO der Fall ist. Der Angeklagte muss deshalb wissen, dass die Bindung keine absolute ist, sondern unter bestimmten Voraussetzungen - die er ebenfalls kennen muss - entfällt. Nur so ist es ihm möglich, Tragweite und Risiken der Mitwirkung an einer Verständigung autonom einzuschätzen. Die in § 257c Abs. 5 StPO verankerte Belehrungspflicht ist aus diesem Grund keine bloße Ordnungsvorschrift, sondern eine zentrale rechtsstaatliche Sicherung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit. 

b) Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs verkennen diese besondere Funktion des § 257c Abs. 5 StPO. Eine Verständigung ohne vorherige Belehrung nach dieser Vorschrift verletzt den Angeklagten grundsätzlich in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seiner Selbstbelastungsfreiheit. Bleibt die unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommene Verständigung bestehen und fließt das auf der Verständigung basierende Geständnis in das Urteil ein, beruht dieses auf der mit dem Verstoß einhergehenden Grundrechtsverletzung, es sei denn eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis kann ausgeschlossen werden, weil der Angeklagte dieses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte. Hierzu müssen vom Revisionsgericht konkrete Feststellungen getroffen werden. Soweit der Bundesgerichtshof in beiden Fällen damit argumentiert, dass ein Entfallen der Bindung des Gerichts an die Verständigung nach § 257c Abs. 4 StPO nicht eingetreten sei, führt dies im Hinblick auf die Frage, ob die Urteile gerade wegen der Verwertung des nach einem Belehrungsmangel abgegebenen Geständnisses auf einer Verletzung der Autonomie des Angeklagten beruhen, nicht weiter. Wenn der Bundesgerichtshof im Fall der Beschwerdeführer zu II. ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO darüber hinaus mit der Erwägung verneint, konkrete, fallbezogene Gründe, die für die auch nur entfernte Möglichkeit sprächen, dass sich der aufgezeigte Verfahrensmangel auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausgewirkt haben könnte, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, verkennt er die grundlegende Bedeutung des § 257c Abs. 5 StPO für den Grundsatz des fairen Verfahrens und die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten. Es ist nicht auszuschließen, dass der Bundesgerichtshof bei Anwendung des oben genannten Maßstabs in beiden Fällen zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Aus diesem Grund sind die angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs aufzuheben und die Sachen an diesen zurückzuverweisen. 

2. Die von dem Beschwerdeführer zu III. angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Bundesgerichtshofs verletzen den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG

a) Das Urteil des Landgerichts Berlin verstößt schon deshalb gegen den verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz und die darin verankerte Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit, weil das Landgericht ein unter weitgehender Weigerung, Fragen zu beantworten, abgegebenes inhaltsleeres Formalgeständnis als Grundlage einer Verurteilung akzeptiert hat, ohne es - abgesehen von einer, dann auch beantworteten Frage zum Mitführen und Ladezustand der Dienstwaffen - durch eine weitere, auf eigenständige Spezifizierung seitens des Angeklagten zielende Beweiserhebung in der Hauptverhandlung zu überprüfen. Ein Geständnis, das sich in einer Bezugnahme auf die Anklage erschöpft, ist als Grundlage einer Verständigung bereits deshalb ungeeignet, weil es keine Grundlage für eine Überprüfung seiner Glaubhaftigkeit (§ 257c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO) bietet. Darüber hinaus beruht das angegriffene Urteil auf einer Verständigung, die infolge der Kopplung eines Geständnisses „im Sinne der Anklage“ an den Verzicht auf die Stellung von Beweisanträgen „zur Schuldfrage“ unzulässig über den Schuldspruch disponiert und zudem eine Strafrahmenverschiebung zum Gegenstand hat. Deshalb stellt sich das Urteil als ein vom Grundgesetz untersagter „Handel mit der Gerechtigkeit“ dar. 
Hinzu kommt, dass dieser „Handel mit der Gerechtigkeit“ auf einer verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit des Beschwerdeführers beruht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob für den Fall einer Verurteilung ohne vorherige Verständigung für jede der beiden angeklagten schweren Raubtaten eine Mindeststrafe von drei Jahren in Aussicht gestellt wurde - so die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden der Strafkammer im Revisionsverfahren - oder ob eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren im Raum stand, wie der Beschwerdeführer vorträgt. Entscheidend ist die vor dem Gebot schuldangemessenen Strafens nicht zu rechtfertigende Spannweite zwischen der zugesagten Strafobergrenze für den Fall einer Verständigung auf der einen Seite und der für den Fall einer Verurteilung in einer nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung im Raum stehenden Straferwartung auf der anderen Seite. Die Frage, wann die Grenze zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit überschritten ist, entzieht sich zwar einer exakten mathematischen Berechnung. Im vorliegenden Fall ist diese Grenze jedoch deutlich überschritten, nachdem eine schon für sich gesehen übermäßige Differenz zwischen den beiden Strafgrenzen noch zusätzlich mit der Zusage einer Strafaussetzung zur Bewährung verbunden wurde, die überhaupt nur aufgrund der ebenfalls zugesagten Strafrahmenverschiebung zu einem minder schweren Fall (§ 250 Abs. 3 StGB) möglich war. 

b) Das Urteil des Landgerichts Berlin ist aus diesen Gründen aufzuheben; gleiches gilt für den Beschluss des Bundesgerichtshofs, mit dem die Grundrechtsverletzung perpetuiert worden ist. Die Sache ist an das Landgericht Berlin zurückzuverweisen. 

C. 

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.
 

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 136/16
vom
12. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:120716B1STR136.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juli 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 23. Oktober 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in vier Fällen und wegen Untreue in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Zwar verfängt die Rüge eines Verstoßes gegen § 257c StPO unter dem Gesichtspunkt eines „unzulässigen Gesamtpakets“ nicht.
3
a) Die Revision trägt hierzu vor, dass der in öffentlicher Hauptverhandlung unterbreitete Verständigungsvorschlag des Gerichts entsprechend dem Ergebnis der Vorgespräche die Wendung enthielt, die Staatsanwaltschaft wirke darauf hin, dass ein gegen den Angeklagten anhängiges Berufungsverfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt werde.
4
b) In diesem Hinweis auf ein geplantes Vorgehen der Staatsanwaltschaft liegt entgegen der Auffassung der Revision kein Rechtsverstoß.
5
Die Verständigung kann sich nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO nur auf „verfahrensbezogeneMaßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren“ beziehen. Daraus folgt, dass in eine Verständigung nicht Verfahren mit Bindungswirkung einbezogen werden können, die außerhalb der Kompetenz des Gerichts liegen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10 und 2 BvR 22 BvR 2155/11, BVerfGE 133, 168, 214 Rn. 79: Verbot von „Ge- samtlösungen“; offengelassen hinsichtlich der Zusage einer Rechtsmittelrück- nahme in einem anderen Verfahren von BGH, Beschluss vom 24. November 2015 – 3 StR 312/15, NStZ 2016, 177 m. Anm. Ventzke). Die Bindungswirkung der Verständigung kann nur soweit gehen, wie das Gericht das Verfahren mitbestimmt. Mitteilungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Verständigung, bei einem bestimmten Ergebnis andere Verfahren nach § 154 StPO zu behandeln , entfalten also keine Bindungswirkung und lösen auch kein schutzwürdiges Vertrauen aus (vgl. BVerfG aaO Rn. 79).
6
Zusagen der Staatsanwaltschaft zu Einstellungen in anderen Verfahren nach § 154 StPO anlässlich einer Verständigung sind aber nicht etwa verboten (vgl. näher Knauer, NStZ 2013, 433, 435 f.; Mosbacher, NZWiSt 2013, 201, 204). In der Gesetzesbegründung zu § 257c StPO, der bei der Auslegung der Verständigungsvorschriften besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG aaO, BVerfGE 133, 168, 204 ff. Rn. 65 ff.), heißt es hierzu ausdrücklich: „Nicht ausgeschlossen ist aber, dass die Staatsanwaltschaft Zusagen im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse zur Sachbehandlung in anderen, bei ihr anhängigen Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten, wie z.B. eine Einstellung nach § 154 StPO, abgibt. Solche Zusagen können aber naturgemäß nicht an der Bindungswirkung teilnehmen, die eine zustande gekommene Verständigung nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 für das Gericht entfaltet“ (BT-Drucks. 16/12310 S. 13).
7
Zulässig ist deshalb, dass die Staatsanwaltschaft anlässlich einer Verständigung nach § 257c StPO ankündigt, andere bei ihr anhängige Ermittlungsverfahren nach § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf die zu erwartende Verurteilung einzustellen oder auf eine Einstellung bereits anhängiger Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO hinzuwirken, solange nicht der Eindruck erweckt wird, dass es sich dabei um einen von der Bindungswirkung der Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO) erfassten Bestandteil handelt. Einem solchen Eindruck kann entgegengewirkt werden, indem der Vorsitzende den Angeklagten – wie hier geschehen – darüber belehrt, dass diese Ankündigung keine solche Bindungswirkung entfaltet (vgl. Mosbacher aaO).
8
2. Die Revision rügt hingegen zu Recht, dass der Vorsitzende nicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO über sämtliche außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgespräche berichtet hat.
9
a) Schon die Mitteilung über das am 20. Oktober 2015 während unterbrochener Hauptverhandlung geführte Gespräch zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung ist defizitär. Denn mitzuteilen ist bei einem solchen, auf eine Verständigung abzielenden Gespräch außerhalb der Hauptverhandlung der wesentliche Inhalt dieses Gesprächs. Hierzu gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßenist (BVerfG aaO Rn. 85; Senat, Beschluss vom 13. Januar 2016 – 1 StR 630/15 mwN). Diesen Anforderungen genügt die erfolgte Mitteilung nicht, weil sie sich neben dem Hinweis auf die Erörterung der Sach- und Rechtslage auf die Wiedergabe des Gesprächsergebnisses hinsichtlich der Auffassungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung beschränkt; wesentliche Gesprächsinhalte fehlen.
10
b) Zu Recht rügt die Revision als Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO zudem, dass in öffentlicher Hauptverhandlung keine Mitteilung über die anschließenden Telefonate des Vorsitzenden mit der Verteidigerin und der Staatsanwaltschaft erfolgt ist. Im Rahmen dieser Gespräche hielt die Staatsanwaltschaft – abweichend vom zuvor geführten (mitgeteilten) Verständigungsgespräch – eine Freiheitsstrafe im Bereich unter vier Jahren für möglich; dem schloss sich das Gericht an. Mitzuteilen sind nach § 243 Abs. 4 StPO sämtliche auf eine Verständigung abzielende Gespräche, also auch solche, durch die anfängliche Verständigungsgespräche inhaltlich später modifiziert werden.
11
c) Jedenfalls hinsichtlich der telefonisch geführten Verständigungsgespräche kann der Senat ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsverstoß nicht ausschließen. Bei Verstößen gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein Verständigungsurteil auf diesem Verstoß beruht, wenn – wie hier – das wegen Verstoßes gegen Verständi- gungsvorschriften „bemakelte“ Geständnis des Angeklagten verwertet wurde (vgl. Senat, Urteil vom 13. Februar 2014 – 1 StR 423/13, NStZ 2014, 217 und Beschluss vom 13. Januar 2016 – 1 StR 630/15 mwN). Ein Fall, in dem ausnahmsweise das Beruhen ausgeschlossen werden kann, liegt nicht vor. Graf Cirener Radtke Mosbacher Bär

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 136/16
vom
12. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:120716B1STR136.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juli 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 23. Oktober 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in vier Fällen und wegen Untreue in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Zwar verfängt die Rüge eines Verstoßes gegen § 257c StPO unter dem Gesichtspunkt eines „unzulässigen Gesamtpakets“ nicht.
3
a) Die Revision trägt hierzu vor, dass der in öffentlicher Hauptverhandlung unterbreitete Verständigungsvorschlag des Gerichts entsprechend dem Ergebnis der Vorgespräche die Wendung enthielt, die Staatsanwaltschaft wirke darauf hin, dass ein gegen den Angeklagten anhängiges Berufungsverfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt werde.
4
b) In diesem Hinweis auf ein geplantes Vorgehen der Staatsanwaltschaft liegt entgegen der Auffassung der Revision kein Rechtsverstoß.
5
Die Verständigung kann sich nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO nur auf „verfahrensbezogeneMaßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren“ beziehen. Daraus folgt, dass in eine Verständigung nicht Verfahren mit Bindungswirkung einbezogen werden können, die außerhalb der Kompetenz des Gerichts liegen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10 und 2 BvR 22 BvR 2155/11, BVerfGE 133, 168, 214 Rn. 79: Verbot von „Ge- samtlösungen“; offengelassen hinsichtlich der Zusage einer Rechtsmittelrück- nahme in einem anderen Verfahren von BGH, Beschluss vom 24. November 2015 – 3 StR 312/15, NStZ 2016, 177 m. Anm. Ventzke). Die Bindungswirkung der Verständigung kann nur soweit gehen, wie das Gericht das Verfahren mitbestimmt. Mitteilungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Verständigung, bei einem bestimmten Ergebnis andere Verfahren nach § 154 StPO zu behandeln , entfalten also keine Bindungswirkung und lösen auch kein schutzwürdiges Vertrauen aus (vgl. BVerfG aaO Rn. 79).
6
Zusagen der Staatsanwaltschaft zu Einstellungen in anderen Verfahren nach § 154 StPO anlässlich einer Verständigung sind aber nicht etwa verboten (vgl. näher Knauer, NStZ 2013, 433, 435 f.; Mosbacher, NZWiSt 2013, 201, 204). In der Gesetzesbegründung zu § 257c StPO, der bei der Auslegung der Verständigungsvorschriften besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG aaO, BVerfGE 133, 168, 204 ff. Rn. 65 ff.), heißt es hierzu ausdrücklich: „Nicht ausgeschlossen ist aber, dass die Staatsanwaltschaft Zusagen im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse zur Sachbehandlung in anderen, bei ihr anhängigen Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten, wie z.B. eine Einstellung nach § 154 StPO, abgibt. Solche Zusagen können aber naturgemäß nicht an der Bindungswirkung teilnehmen, die eine zustande gekommene Verständigung nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 für das Gericht entfaltet“ (BT-Drucks. 16/12310 S. 13).
7
Zulässig ist deshalb, dass die Staatsanwaltschaft anlässlich einer Verständigung nach § 257c StPO ankündigt, andere bei ihr anhängige Ermittlungsverfahren nach § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf die zu erwartende Verurteilung einzustellen oder auf eine Einstellung bereits anhängiger Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO hinzuwirken, solange nicht der Eindruck erweckt wird, dass es sich dabei um einen von der Bindungswirkung der Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO) erfassten Bestandteil handelt. Einem solchen Eindruck kann entgegengewirkt werden, indem der Vorsitzende den Angeklagten – wie hier geschehen – darüber belehrt, dass diese Ankündigung keine solche Bindungswirkung entfaltet (vgl. Mosbacher aaO).
8
2. Die Revision rügt hingegen zu Recht, dass der Vorsitzende nicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO über sämtliche außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgespräche berichtet hat.
9
a) Schon die Mitteilung über das am 20. Oktober 2015 während unterbrochener Hauptverhandlung geführte Gespräch zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung ist defizitär. Denn mitzuteilen ist bei einem solchen, auf eine Verständigung abzielenden Gespräch außerhalb der Hauptverhandlung der wesentliche Inhalt dieses Gesprächs. Hierzu gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßenist (BVerfG aaO Rn. 85; Senat, Beschluss vom 13. Januar 2016 – 1 StR 630/15 mwN). Diesen Anforderungen genügt die erfolgte Mitteilung nicht, weil sie sich neben dem Hinweis auf die Erörterung der Sach- und Rechtslage auf die Wiedergabe des Gesprächsergebnisses hinsichtlich der Auffassungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung beschränkt; wesentliche Gesprächsinhalte fehlen.
10
b) Zu Recht rügt die Revision als Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO zudem, dass in öffentlicher Hauptverhandlung keine Mitteilung über die anschließenden Telefonate des Vorsitzenden mit der Verteidigerin und der Staatsanwaltschaft erfolgt ist. Im Rahmen dieser Gespräche hielt die Staatsanwaltschaft – abweichend vom zuvor geführten (mitgeteilten) Verständigungsgespräch – eine Freiheitsstrafe im Bereich unter vier Jahren für möglich; dem schloss sich das Gericht an. Mitzuteilen sind nach § 243 Abs. 4 StPO sämtliche auf eine Verständigung abzielende Gespräche, also auch solche, durch die anfängliche Verständigungsgespräche inhaltlich später modifiziert werden.
11
c) Jedenfalls hinsichtlich der telefonisch geführten Verständigungsgespräche kann der Senat ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsverstoß nicht ausschließen. Bei Verstößen gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein Verständigungsurteil auf diesem Verstoß beruht, wenn – wie hier – das wegen Verstoßes gegen Verständi- gungsvorschriften „bemakelte“ Geständnis des Angeklagten verwertet wurde (vgl. Senat, Urteil vom 13. Februar 2014 – 1 StR 423/13, NStZ 2014, 217 und Beschluss vom 13. Januar 2016 – 1 StR 630/15 mwN). Ein Fall, in dem ausnahmsweise das Beruhen ausgeschlossen werden kann, liegt nicht vor. Graf Cirener Radtke Mosbacher Bär

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf 5.000 € (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Mit Urteil vom 15. November 2012 verurteilte das Landgericht Karlsruhe den Beschwerdeführer wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Der Verurteilung gingen außerhalb der Hauptverhandlung geführte Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung voraus. Die näheren Umstände stellen sich wie folgt dar:

2

Kurz nach ihrem Beginn wurde die Hauptverhandlung für die Dauer von etwa 90 Minuten unterbrochen. Während dieser Unterbrechung wurden im Dienstzimmer des Vorsitzenden unter Beteiligung der beiden Berufsrichter, des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und der beiden Verteidiger des Beschwerdeführers Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung geführt. Nach Erinnerung eines der beiden Verteidiger wurden dabei als Untergrenze vier Jahre, möglicherweise auch vier Jahre und sechs Monate, und als Obergrenze sechs Jahre Freiheitsstrafe in Aussicht gestellt. Beide Verteidiger erörterten den Gegenstand des Gesprächs mit dem Beschwerdeführer, der weiterhin auf seiner Unschuld beharrte und daher die Verständigung ablehnte.

3

Nach Wiedereintritt in die öffentliche Hauptverhandlung gab der Vorsitzende bekannt, dass während der Unterbrechung zwischen den Verteidigern, dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und den beiden Berufsrichtern Gespräche über eine Verständigung stattgefunden hätten und eine Verständigung nicht zustande gekommen sei. Den näheren Inhalt der Gespräche teilte er nicht mit.

4

In einem späteren Termin gab der Vorsitzende gemäß § 257b StPO bekannt, dass das Gericht entgegen der Anklage nicht von einer Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln ausgehe. Daraufhin bat die Verteidigung erneut um eine Unterbrechung für ein Gespräch mit der Kammer. Die Hauptverhandlung wurde für etwas mehr als eine Stunde unterbrochen. Das Gespräch fand wiederum im Beisein der beiden Berufsrichter, des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger im Dienstzimmer des Vorsitzenden statt. Nach Erinnerung beider Verteidiger stellten die Berufsrichter unter Bezugnahme auf die bisherige Beweisaufnahme bei geständiger Einlassung nunmehr eine Freiheitsstrafe von vier Jahren sowie die Außervollzugsetzung des Haftbefehls bei Hinterlegung einer angemessenen Kaution in Aussicht. Der Beschwerdeführer lehnte eine Verständigung jedoch weiterhin ab.

5

Nach der Unterbrechung gab der Vorsitzende in der öffentlichen Hauptverhandlung wiederum lediglich bekannt, dass die Möglichkeit einer Verständigung zwischen den Berufsrichtern, der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern erörtert worden sei. Nähere Angaben zum Inhalt des Gesprächs machte er dagegen nicht.

6

Eine Verständigung kam im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht zu Stande. Eine weitere Mitteilung des Inhalts der außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche erfolgte ebenfalls nicht.

7

2. Gegen das Urteil des Landgerichts legte der Beschwerdeführer Revision ein und rügte unter anderem einen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO, weil der Vorsitzende es unterlassen habe, in der öffentlichen Sitzung den wesentlichen Inhalt der außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche über eine verfahrensbeendende Verständigung mitzuteilen.

8

3. Durch Beschluss vom 29. November 2013 verwarf der Bundesgerichtshof die Revision des Beschwerdeführers mit der Begründung, es liege zwar ein Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO vor; dies stelle jedoch keinen absoluten Revisionsgrund dar, und das Urteil beruhe auch nicht auf dem Verstoß.

9

Der Strafsenat teile zwar die Auffassung, dass auch bei dem letztendlichen Scheitern von Verständigungsgesprächen über das bloße Ergebnis hinaus deren Inhalt ähnlich wie der Inhalt nicht gescheiterter Gespräche bekannt zu geben und zu protokollieren sei. Dies folge letztlich aus dem Grundsatz der Transparenz, der das Recht der Verfahrensverständigung insgesamt beherrsche. Die Annahme, es liege ein von § 338 Nr. 6 StPO erfasster Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz vor, wenn zwar die Durchführung von Gesprächen und deren Ergebnislosigkeit, nicht aber der detaillierte Ablauf der Gespräche in der Hauptverhandlung mitgeteilt werde, sei aber weder aus verfassungsrechtlichen noch aus sonstigen Gründen geboten.

10

Die Revision habe auch keinen Erfolg, soweit sie geltend mache, ein Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Dokumentationsmangel sei nicht auszuschließen. Die Auswirkungen unzulänglicher Protokollierung von Verständigungsgesprächen beträfen im Kern das Aussageverhalten des Angeklagten, das von einer Verständigung regelhaft tangiert sei. Der Angeklagte solle autonom und daher nur auf der Grundlage umfassender (und angesichts ihrer Bedeutung auch umfassend protokollierter) Unterrichtung durch das Gericht über die regelmäßig in seiner Abwesenheit durchgeführten Gespräche darüber entscheiden, ob er den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit aufgebe und sich mit einem Geständnis des Schweigerechts begebe. All dies sei hier nicht einschlägig, weil der Angeklagte bis zuletzt von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht habe.

11

Auszuschließen sei ferner, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige informelle Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgehe. Die Gespräche als solche seien nicht geheim gehalten worden. Dass sie nicht auf eine wie auch immer geartete inhaltlich unzulässige Absprache gerichtet gewesen seien, ergebe sich aus den Erklärungen der Instanzverteidiger, die zum Gegenstand des Revisionsvortrages gemacht worden seien. Dementsprechend heiße es in der Revisionsbegründung auch zusammenfassend, dass es ausweislich der anwaltlichen Erklärungen Angebote zu gesetzeswidrigen Verständigungen nicht gegeben habe. Wenn aber die Revision ausdrücklich vortrage, dass eine bestimmte Konstellation aus tatsächlichen Gründen nicht vorgelegen habe, so könne das Revisionsgericht seiner Entscheidung nicht diese ausdrücklich ausgeschlossene Möglichkeit zu Grunde legen.

12

Der Strafsenat habe schließlich auch erwogen, ob der Beschwerdeführer durch die unzulänglich protokollierte Unterrichtung durch das Gericht zu seinem Nachteil davon abgehalten worden sein könnte, sich (auch jenseits einer Verständigung) zur Sache einzulassen. Auch dieser Gesichtspunkt greife jedoch nicht durch. Ausweislich der in der Revisionsbegründung mitgeteilten anwaltlichen Erklärungen sei der Beschwerdeführer "ohnehin" zu geständigen Angaben nicht bereit gewesen, weil er auf seiner "Unschuld beharrt" habe. Sei der Beschwerdeführer also keinesfalls zu solchen Angaben bereit gewesen, könne seine Entscheidung nicht darauf beruhen, dass er nicht vom Gericht umfassend über den Ablauf der Gespräche unterrichtet worden sei.

13

4. Eine Anhörungsrüge des Beschwerdeführers wies der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 27. Februar 2014 zurück.

II.

14

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die genannten Entscheidungen und rügt unter anderem eine Verletzung des Rechts auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren. Die unterbliebene Information der Öffentlichkeit und des Beschwerdeführers durch das Gericht über den Inhalt dessen, was sich außerhalb der Hauptverhandlung zugetragen habe, stelle nicht nur einen einfachgesetzlichen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO dar. Sie sei obendrein mit dem durch das Verständigungsgesetz zu bewahrenden und verfassungsrechtlich als Ausdruck eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens zu sehenden Öffentlichkeitsgrundsatz nicht vereinbar. Dem hätte das Revisionsgericht im Sinne des effektiven Revisionsrechtsschutzes, wie ihn das Verständigungsgesetz vorgebe und das Bundesverfassungsgericht fordere, Rechnung tragen müssen. Der Bundesgerichtshof sei stattdessen davon ausgegangen, die Mitteilungspflicht diene in erster Linie der Information des Angeklagten und weniger der Transparenz für die Öffentlichkeit. Nur so könne seine Beschlussbegründung verstanden werden, wonach der Rüge der unzureichenden Mitteilung keine Folgen zuzumessen seien, da der Beschwerdeführer ausweislich der anwaltlichen Erklärungen zu einem Geständnis nicht bereit gewesen sei. Damit werde die Schutzrichtung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO in eine gänzlich andere Richtung interpretiert, als es dem Willen des Gesetzgebers entspreche.

III.

15

Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Generalbundesanwalt und der Vorsitzende des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs Stellung genommen. Der Beschwerdeführer hat auf die Stellungnahmen erwidert. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.

IV.

16

Auf Antrag des Beschwerdeführers hat die Kammer mit Beschluss vom 4. Juni 2014 die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 15. November 2012 bis zur Entscheidung über die Verfassungs-beschwerde - längstens für die Dauer von sechs Monaten (§ 32 Abs. 6 Satz 1 BVerfGG) - ausgesetzt. Die einstweilige Anordnung wurde mit Beschluss vom 26. November 2014 für die Dauer von sechs Monaten, längstens jedoch bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde wiederholt.

V.

17

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits geklärt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Zwar kommt in der Begründung der Revisionsentscheidung eine Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren für die Auslegung und Anwendung des § 243 Abs. 4 StPO zum Ausdruck; denn die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zum Beruhen des erstinstanzlichen Urteils auf dem Verfahrensverstoß blenden die den Angeklagten schützende Funktion der vom Gesetzgeber für wesentlich erachteten Kontrolle von Verständigungsgesprächen durch die Öffentlichkeit aus (1.). Allerdings wird die Verwerfung der Revision auch auf einen hiervon unabhängigen Aspekt gestützt, der unter den vorliegenden Umständen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (2.).

18

1. Wenn der Bundesgerichtshof das Beruhen des landgerichtlichen Urteils auf dem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO allein unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten prüft und die von dem Verstoß in erster Linie betroffene, auch dem Schutz des Angeklagten dienende Kontrollmöglichkeit der Öffentlichkeit außer Acht lässt, so verkennt er Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) für die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Verständigung im Strafprozess (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Januar 2015 - 2 BvR 2055/14 -).

19

a) Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 86, 288 <317>; 118, 212 <231>; 122, 248 <271>) und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 46, 202 <210>). Am Recht auf ein faires Verfahren ist die Ausgestaltung des Strafprozesses zu messen, wenn und soweit keine spezielle verfassungsrechtliche Gewährleistung existiert (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 109, 13 <34>; 122, 248 <271>; 130, 1 <25>).

20

Das Recht auf ein faires Verfahren enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten (vgl. BVerfGE 57, 250 <275 f.>; 70, 297 <308>; 130, 1 <25>). Diese Konkretisierung ist zunächst Aufgabe des Gesetzgebers und sodann, in den vom Gesetz gezogenen Grenzen, Pflicht der zuständigen Gerichte bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung (vgl. BVerfGE 63, 45 <61>; 64, 135 <145>; 122, 248 <272>; 133, 168 <200>). Die Gerichte haben den Schutzgehalt der in Frage stehenden Verfahrensnormen und anschließend die Rechtsfolgen ihrer Verletzung zu bestimmen. Dabei sind Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren angemessen zu berücksichtigen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. zur Bedeutung der Grundrechte als objektive Wertordnung BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; stRspr). Die Verkennung des Schutzgehalts einer verletzten Verfahrensnorm kann somit in das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren eingreifen (vgl. BVerfGK 9, 174 <188, 189>; 17, 319 <326 ff.>).

21

b) Ein zentrales Anliegen der vom Gesetzgeber mit dem Verständigungsgesetz verfolgten Regelungskonzeption ist die Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit. Dem Gesetzgeber kam es maßgeblich darauf an, die Transparenz der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und die Unterrichtung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung gerade im Falle einer Verständigung zu bewahren; die Verständigung muss sich nach dem Willen des Gesetzgebers "im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren" (vgl. BVerfGE 133, 168 <214 f., Rn. 81 f.> unter Hinweis auf die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 8, 12).

22

aa) Der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen stützt sich auf eine lange Tradition, die ihre Wurzeln in der Zeit der Aufklärung hat. Der Grundsatz wurde in Deutschland insbesondere durch Anselm von Feuerbach geprägt (vgl. von Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, 1821, Neudruck 1969, Bd. 1). Die Gerichtsöffentlichkeit sollte zum einen in Gestalt einer Verfahrensgarantie dem Schutz der an der Verhandlung Beteiligten, insbesondere der Angeklagten im Strafverfahren, gegen eine der öffentlichen Kontrolle entzogene Geheimjustiz dienen. Zum anderen wurde davon ausgegangen, dass "das Volk um seines eigenen Rechtes willen bei Gericht zu erscheinen berufen wird" (vgl. von Feuerbach, a.a.O., S. 180). Es wurde also als Rechtsposition des Volkes empfunden, von den Geschehnissen im Verlauf einer Gerichtsverhandlung Kenntnis zu nehmen und die durch die Gerichte handelnde Staatsgewalt einer Kontrolle in Gestalt des Einblicks der Öffentlichkeit zu unterziehen. Beide Gesichtspunkte werden unter dem Grundgesetz vom Rechtsstaatsprinzip erfasst und sind auch wesentlich für die Demokratie. Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention normiert den Grundsatz ergänzend dahingehend, dass vor einem Gericht öffentlich verhandelt und das Urteil öffentlich verkündet wird (vgl. BVerfGE 103, 44 <63 f.>).

23

bb) Die mit der Möglichkeit einer Beobachtung der Hauptverhandlung durch die Allgemeinheit verbundene öffentliche Kontrolle der Justiz erhält durch die gesetzliche Zulassung der in eine vertrauliche Atmosphäre drängenden Verständigungen zusätzliches Gewicht. Dem hat der Gesetzgeber durch die Mitteilungspflicht in § 243 Abs. 4 StPO Rechnung getragen. Die Öffentlichkeit kann ihre Kontrollfunktion nur ausüben, wenn sie die Informationen erhält, die zur Beurteilung der Angemessenheit einer etwaigen Verständigung erforderlich sind. Nur so bleibt der gerichtliche Entscheidungsprozess transparent und die Rechtsprechung auch in Verständigungsfällen für die Allgemeinheit durchschaubar. Dies ist notwendig, damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit des Staates, mittels einer wirksamen Strafverfolgung öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten und Gerechtigkeit im Einzelfall sowie eine gleichmäßige Behandlung aller zu garantieren, uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann (vgl. BVerfGE 133, 168 <217, Rn. 88 f.>).

24

Zugleich dienen die Transparenzvorschriften des Verständigungsgesetzes dem Schutz des Angeklagten vor einem im Geheimen sich vollziehenden "Schulterschluss" zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2014 - 2 BvR 989/14 -, juris, Rn. 11). Die Kontrolle durch die Öffentlichkeit soll verhindern, dass "sachfremde, das Licht der Öffentlichkeit scheuende Umstände auf das Gericht und damit auf das Urteil Einfluss gewinnen" (vgl. BGHSt 9, 280 <282>). Intransparente, unkontrollierbare "Deals" sind im Strafprozess wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens bereits von Verfassungs wegen untersagt (BVerfGE 133, 168 <232, Rn. 115>).

25

c) Diese Zusammenhänge verkennt der Bundesgerichtshof, wenn er angesichts der unzureichenden Mitteilung des Inhalts außerhalb der Hauptverhandlung geführter Verständigungsgespräche die Möglichkeit eines Beruhens des landgerichtlichen Urteils (§ 337 Abs. 1 StPO) auf dem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO allein unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten prüft, indem er darauf abstellt, dass der Beschwerdeführer sich nicht seines Schweigerechts begeben habe und zu geständigen Angaben "ohnehin" nicht bereit gewesen sei. Hierdurch wird die Bedeutung der Transparenzvorschriften des Verständigungsgesetzes für die auch dem Schutz des Angeklagten vor sachfremder Beeinflussung des Gerichts und damit der Verfahrensfairness dienende Kontrolle des gesamten Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit ausgeblendet; gerade sie erfährt jedoch durch den Verstoß gegen die Mitteilungspflicht eine Beeinträchtigung. Dieser Schutzgehalt des § 243 Abs. 4 StPO, der unabhängig vom Aussageverhalten des Angeklagten Geltung beansprucht, hätte bei der Beruhensprüfung Berücksichtigung finden müssen.

26

Dagegen kann nicht eingewandt werden, die Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens (§§ 169 ff. GVG) sei vom Gesetzgeber in § 338 Nr. 6 StPO gerade deshalb als absoluter Revisionsgrund ausgestaltet worden, weil ein Beruhen des Urteils auf einem solchen Verstoß im Sinne eines echten Kausalzusammenhangs sich kaum jemals feststellen lassen wird. Es wäre unverständlich und würde zu einer Entwertung des in § 243 Abs. 4 StPO enthaltenen Öffentlichkeitsaspekts führen, wenn einerseits ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nicht als absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 338 Nr. 6 StPO angesehen, andererseits aber gerade unter Hinweis auf die Kausalitätsproblematik die Möglichkeit eines Beruhens des Urteils im Sinne des § 337 StPO auf der durch den Verstoß beeinträchtigten Kontrolle durch die Öffentlichkeit generell verneint würde. Hierdurch würde § 243 Abs. 4 StPO insoweit entgegen der Vorgabe in BVerfGE 133, 168<222, Rn. 96> zu einer bloßen Ordnungsvorschrift degradiert. Stattdessen ist die Beruhensprüfung gegebenenfalls um normative Aspekte anzureichern, die über eine reine Kausalitätsprüfung hinausgehen. Solche Aspekte hat etwa der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme zur vorliegenden Verfassungsbeschwerde aufgezeigt.

27

2. Die Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf ein faires Verfahren war für die Revisionsentscheidung aber letztlich nicht tragend, denn der Bundesgerichtshof hat ein Beruhen des landgerichtlichen Urteils auf dem Transparenzverstoß auch deshalb verneint, weil die Gespräche als solche nicht geheim gehalten worden seien und im konkreten Fall trotz der unzureichenden Mitteilung ihres Inhalts ausnahmsweise davon auszugehen sei, dass sie nicht auf eine wie auch immer geartete inhaltlich unzulässige Absprache gerichtet gewesen seien, weil die Revision selbst dies ausdrücklich vorgetragen habe. Diese Erwägung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

28

a) Haben Erörterungen, deren Inhalt die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden, muss der Vorsitzende hierüber nach § 243 Abs. 4 StPO auch bei einem ergebnislosen Verlauf in der Hauptverhandlung umfassend unter Darlegung der Standpunkte aller beim Gespräch anwesenden Verfahrensbeteiligten informieren (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10 -, wistra 2011, S. 72 f. = StV 2011, S. 72 f.). Fehlt es an der entsprechenden Mitteilung, wird ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c StPO nach Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzkonzepts grundsätzlich nicht auszuschließen sein, da sich bei einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen wird, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige "informelle" Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht (vgl. BVerfGE 133, 168 <223 f., Rn. 98>).

29

Allerdings hat der Gesetzgeber Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen der Verständigung, zu denen auch die Transparenz- und Dokumentationspflichten gehören, nicht als absolute Revisionsgründe eingestuft (vgl. BVerfGE 133, 168 <223, Rn. 97>). Der Generalbundesanwalt weist in seiner Stellungnahme zur vorliegenden Verfassungsbeschwerde zutreffend darauf hin, dass die Bandbreite möglicher Verstöße gegen § 243 Abs. 4 StPO von lediglich geringfügigen Unvollständigkeiten oder Unrichtigkeiten einer Mitteilung bis hin zu deren vollständigem Fehlen oder groben Falschdarstellungen reicht. Die Revisionsgerichte sind daher nicht gehindert, bei der Prüfung, ob sich ein Beruhen des Urteils auf einem Transparenzverstoß ausnahmsweise ausschließen lässt, Art und Schwere des Verstoßes zu berücksichtigen. Da die Transparenz- und Dokumentationspflichten auch der Verhinderung gesetzwidriger Verständigungsbemühungen dienen, kann ferner von Bedeutung sein, welcher Art die Gesprächsinhalte waren, die in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt und damit der Öffentlichkeit vorenthalten wurden, sofern sie sich trotz des Transparenzverstoßes zweifelsfrei feststellen lassen. Das Stattfinden von Gesprächen, die auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet waren, wird allerdings umso weniger auszuschließen sein, je schwerer der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht wiegt.

30

b) Im vorliegenden Fall sind nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung jeweils Mitteilungen nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO erfolgt. Zwar hat sich der Vorsitzende nicht zum genauen Ablauf und Inhalt der in der Verhandlungspause geführten Verständigungsgespräche geäußert, was eine Verletzung der Mitteilungspflicht darstellt. Er hat jedoch offengelegt, dass entsprechende Gespräche stattgefunden haben und dass diese ergebnislos verlaufen sind. Ferner enthielt die Revisionsbegründung detaillierte Stellungnahmen der erstinstanzlichen Verteidiger, aus denen sich Ablauf und Inhalt der Gespräche ergaben. Diese wurden zum Bestandteil des Revisionsvorbringens gemacht. Das Revisionsgericht konnte hieraus zweifelsfrei entnehmen, dass die Gespräche nicht auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet waren. Auch die Revisionsbegründung selbst gelangt zu dieser Schlussfolgerung. Unter diesen Umständen konnte der Bundesgerichtshof ausnahmsweise ohne Verstoß gegen das gesetzliche Schutzkonzept und die dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Wertungen ein Beruhen des landgerichtlichen Urteils auf der Verletzung der Mitteilungspflicht verneinen.

31

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

VI.

32

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 und § 14 Abs. 1 RVG.

33

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 2015 - 1 StR 120/15 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

1

1. Das Landgericht Frankfurt am Main verurteilte den Beschwerdeführer am 24. Juli 2014 wegen Bestechung in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue sowie wegen Beihilfe zum Betrug und Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, wovon vier Monate als bereits vollstreckt gelten sollten.

2

Nach den Feststellungen war der Beschwerdeführer Mehrheitsgesellschafter und maßgebliche Führungsfigur einer nach ihm benannten Unternehmensgruppe, die sich schwerpunktmäßig mit Sicherheitsdienstleistungen für Bahnbauprojekte beschäftigte. Im Zentrum der Verurteilung stand die Tat Fall 117 des Anklagevorwurfs: Der Beschwerdeführer bestach in Zusammenhang mit zwei Serienbaustellen der D... AG ("M..." und "M...") den Projektleiter der zuständigen Tochterunternehmen DB... GmbH/DB... GmbH. Den auf diese Weise erhaltenen Auftrag für das Projekt "M..." nutzte der Beschwerdeführer, um mittels gefälschter Leistungsbelege im Zeitraum vom 31. Mai 2001 bis 30. Juni 2002 fünfzehn um insgesamt mindestens 800.000 Euro überhöhte Rechnungen zu erstellen.

3

Das Landgericht wertete dieses Verhalten als Bestechung in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue. Es entnahm die Strafe dem Strafrahmen des § 335 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StGB und verhängte eine Einzelstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Die Höhe des durch die überhöhten Abrechnungen verursachten Vermögensnachteils wurde strafschärfend berücksichtigt.

4

Der Verurteilung gingen Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung voraus, die vor allem die Höhe des Vermögensnachteils zum Gegenstand hatten. Das Verfahrensgeschehen stellt sich, soweit hier von Belang, wie folgt dar:

5

Bereits in einem vor Beginn der Hauptverhandlung geführten Gespräch hatte der Vorsitzende der Strafkammer den Verteidigern des Beschwerdeführers und den Sitzungsvertreten der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass er sich unter Umständen eine "höhenmäßige" Beschränkung des von der Staatsanwaltschaft ursprünglich auf 3,7 Millionen Euro bezifferten Vermögensnachteils gemäß § 154a Abs. 2 StPO vorstellen könne. In der Folge kam es zu weiteren Gesprächen. In diesen regte die Verteidigung eine Beschränkung des Untreueschadens auf rund eine Million Euro an. Die Staatsanwaltschaft sah dagegen eine teilgeständige Einlassung des Beschwerdeführers in Höhe von 1,4 Millionen Euro und eine nennenswerte Schadenswiedergutmachung als Voraussetzung für eine "einvernehmliche Erledigung" an. Die Verteidigung teilte darauf mit, dass sich der Beschwerdeführer außerstande sehe, ein Geständnis in dieser Höhe abzugeben, und regte an, eine Verständigung auf Basis eines Geständnisses zwischen 800.000 Euro und einer Million Euro in Betracht zu ziehen. Dem widersprach die Staatsanwaltschaft. Der Vorsitzende stellte daraufhin in der Sitzung vom 8. Mai 2014 fest, dass eine Verständigung auf dieser Basis nicht zu erwarten sei.

6

In der Sitzung vom 10. Juli 2014 beantragte der Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers, das Gutachten eines Schriftsachverständigen einzuholen. Im Hauptverhandlungstermin vom 14. Juli 2014 stellte er vier weitere Beweisanträge, die die Vernehmung von Zeugen und die Verlesung eines zivilprozessualen Schriftsatzes zum Gegenstand hatten. Die Beweisanträge sollten zum Teil die Richtigkeit der den Rechnungen zu Grunde liegenden Leistungsnachweise belegen und zum Teil den Nachweis erbringen, dass bestimmte Leistungsnachweise nicht vom Beschwerdeführer selbst gefertigt worden waren. Den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens lehnte die Strafkammer am 14. Juli 2014 ab. Der Vorsitzende lud jedoch einen der beantragten Zeugen und bat die Staatsanwaltschaft erneut um Prüfung, ob das Verfahren gemäß § 154a StPO "der Höhe nach" beschränkt werden könne.

7

In einer E-Mail an den Vorsitzenden vom 16. Juli 2014 - von der der Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers eine Kopie erhielt - kündigte der zuständige Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft an, einer Beschränkung des Verfahrens auf einen Schaden in Höhe von circa 800.000 Euro, entstanden durch In-Rechnung-Stellen tatsächlich nicht erbrachter Leistungen "unter anderem" in den Abschlagsrechnungen vom 30. November 2001, 14. Dezember 2001, 31. Mai 2002 und 30. Juni 2002 zuzustimmen, wenn das Verfahren ohne die Erledigung weiterer Beweisanträge und damit ohne weitere Verzögerung der Hauptverhandlung abgeschlossen werden könne. Allein maßgeblicher Gesichtspunkt für die Zustimmung sei die Vermeidung einer ansonsten möglicherweise noch monatelang andauernden Hauptverhandlung. Sollte die Beschränkung nicht zu der erhofften Abkürzung der Hauptverhandlung und einem Urteil noch vor dem 24. Juli 2014 führen - ab diesem Zeitpunkt war eine längere Unterbrechung der Hauptverhandlung vorgesehen -, werde die Staatsanwaltschaft unverzüglich die Wiedereinbeziehung der ausgeschiedenen Verfahrensteile beantragen und weiter prüfen, ob noch weitere, bereits ausgeschiedene Verfahrensteile wiedereinzubeziehen seien.

8

Am folgenden Hauptverhandlungstermin, dem 17. Juli 2014, erörterte der Vorsitzende mit den Verfahrensbeteiligten erneut die Frage einer Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO und sprach die Möglichkeit an, ob eine Rücknahme der am letzten Hauptverhandlungstag gestellten Beweisanträge in Betracht komme. Er wies darauf hin, dass "diesbezüglich keine (ausdrückliche oder gar konkludente) Absprache in Betracht komme". Die Staatsanwaltschaft habe aber seines Erachtens die Möglichkeit, eine erteilte Zustimmung zu einer Verfahrensbeschränkung zurückzunehmen, wenn es nicht zu der erhofften Beschleunigung komme. Die Verteidigung habe dagegen die Möglichkeit, einen etwa zurückgenommenen Beweisantrag erneut zu stellen, wenn es nicht zu der erhofften Verfahrensbeschränkung komme. Der Vorsitzende regte sodann an, das Verfahren auf eine Schadenshöhe von insgesamt 800.000 Euro mit der Maßgabe zu beschränken, dass dieser Schaden "zumindest zum großen Teil" auf der Überhöhung der Rechnungen vom 30. November 2001, 14. Dezember 2001, 31. Mai 2002 und 30. Juni 2002 beruhe, wobei sämtliche Rechnungen in Zusammenhang mit der M... Gegenstand des Verfahrens bleiben sollten. Die Staatsanwaltschaft stimmte dem zu, woraufhin der Pflichtverteidiger die gestellten Beweisanträge bis auf den Verlesungsantrag zurücknahm. Nach erneuter Unterbrechung der Hauptverhandlung erließ das Gericht einen Beschränkungsbeschluss gemäß § 154a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 154 Abs. 1 Nr. 2 StPO, der inhaltlich dem Wortlaut der Anregung des Vorsitzenden entsprach. Im Anschluss wurde die von der Verteidigung beantragte Urkundenverlesung durchgeführt. Den weiteren Beweisanträgen wurde nicht mehr nachgegangen.

9

Am folgenden Sitzungstag ließ sich der Beschwerdeführer zur Sache ein. Er räumte ein, Leistungsbelege neu geschrieben und dadurch um jedenfalls 350.000 Euro überhöhte Rechnungen gestellt zu haben; er könne aber nicht ausschließen, um 800.000 Euro überhöht abgerechnet zu haben. Nach der Verlesung weiterer Urkunden teilte der Vorsitzende mit, dass es keine Verständigung gemäß § 257c StPO gegeben habe. Anschließend schloss er die Beweisaufnahme.

10

2. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil machte der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung von § 257c Abs. 3 Satz 3 und 4 StPO geltend. Sowohl die Rücknahme von Beweisanträgen als auch die Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO seien zulässiger Gegenstand einer Verständigung. Die vorgenommene Verknüpfung im Sinne von Leistung und Gegenleistung charakterisiere das Geschehen als Verständigung im Sinne von § 257c StPO. Gleichwohl habe es das Landgericht rechtsfehlerhaft unterlassen, den Beschwerdeführer zu dem "Anregung" genannten Verständigungsvorschlag anzuhören und seine Zustimmung dazu einzuholen. Es sei nicht nur der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt worden, sondern die gesetzlichen Vorgaben für eine Verständigung insgesamt. Der Sache nach handle es sich um eine informelle Absprache, die nach Maßgabe von BVerfGE 133, 168 (212 Rn. 75) das Urteil insgesamt kontaminiere.

11

3. Der Generalbundesanwalt beantragte, die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Die Rügen einer Verletzung des § 257c StPO sowie des Rechts auf rechtliches Gehör seien unbegründet. Der Anwendungsbereich des Verständigungsgesetzes sei nicht eröffnet. Eine Verständigung liege nur dann vor, wenn die Verfahrensbeteiligten eine rechtsverbindliche Verpflichtung zu einer später zu erbringenden Leistung eingingen. An einem solchen Rechtsbindungswillen der Beteiligten fehle es hier. Dies werde an der Äußerung des Vorsitzenden, dass keine Absprache in Betracht komme, und an seinem Hinweis auf die Möglichkeit der Wiedereinbeziehung eingestellter Taten und der erneuten Stellung von Beweisanträgen deutlich. Selbst wenn man von einer Verständigung ausgehe, liege kein revisionsrechtlich beachtlicher Fehler vor. Dass eine informelle, gegen §§ 243, 257c, 273 StPO verstoßende Absprache beabsichtigt oder gar durchgeführt worden sei, sei weder gerügt noch aus dem Verfahrensablauf ersichtlich. Die Rücknahme der Beweisanträge und die Verfahrensbeschränkung seien prozessordnungsgemäß zustande gekommen. Durch die fehlende Aufklärung des Vermögensnachteils, soweit er 800.000 Euro überschreite, sei der Beschwerdeführer nicht beschwert.

12

4. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision des Beschwerdeführers mit Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO vom 25. Juni 2015 als unbegründet.

II.

13

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren durch eine Umgehung des § 257c StPO verbunden mit einer ineffektiven revisionsgerichtlichen Kontrolle. Der Anwendungsbereich des Verständigungsgesetzes sei eröffnet gewesen. In der synallagmatischen Verknüpfung der Rücknahme der Beweisanträge mit der Beschränkung der Strafverfolgung trete das Kernelement einer Verständigung zum Vorschein. Auf das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens komme es dabei nach dem Gesetz nicht an, so dass der Generalbundesanwalt von einem falschen Maßstab ausgehe. Dieser habe zudem verkannt, dass der Hinweis des Vorsitzenden, keine ausdrückliche oder konkludente Verständigung zu wollen, eine "Verständigungspantomime" kennzeichnen könne. Ein Beruhen des Urteils auf der Vereinbarung könne schon deswegen nicht ausgeschlossen werden, weil die durch die Verständigung festgestellte Schadenshöhe ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt worden sei.

III.

14

Zu der Verfassungsbeschwerde hat der Generalbundesanwalt Stellung genommen. Der Beschwerdeführer hat auf die Stellungnahme erwidert. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben der Kammer vorgelegen.

IV.

15

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Revisionsentscheidung richtet, wird sie zur Entscheidung angenommen, da dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt erscheint (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind insoweit gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt. Danach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Sinn offensichtlich begründet. Die dem Beschluss des Bundesgerichtshofs zugrunde liegende Auslegung und Anwendung des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).

16

1. Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 86, 288 <317>; 118, 212 <231>; 122, 248 <271>) und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 46, 202 <210>). Es enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten (vgl. BVerfGE 57, 250 <275 f.>; 70, 297 <308>; 130, 1 <25>). Diese Konkretisierung ist zunächst Aufgabe des Gesetzgebers und sodann, in den vom Gesetz gezogenen Grenzen, Pflicht der zuständigen Gerichte bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung (vgl. BVerfGE 63, 45 <61>; 64, 135 <145>; 122, 248 <272>; 133, 168 <200 Rn. 59>). Die Gerichte haben den Schutzgehalt der in Frage stehenden Verfahrensnormen und anschließend die Rechtsfolgen ihrer Verletzung zu bestimmen. Dabei sind Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren angemessen zu berücksichtigen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. zur Bedeutung der Grundrechte als objektive Wertordnung BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; stRspr). Die Verkennung des Schutzgehalts einer verletzten Verfahrensnorm kann somit in das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren eingreifen (vgl. BVerfGK 9, 174 <188 f.>; 17, 319 <328>; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Januar 2015 - 2 BvR 2055/14 -, juris, Rn. 14 und vom 9. Dezember 2015 - 2 BvR 1043/15 -, juris, Rn. 6).

17

2. Gemessen daran liegt dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 2015 eine Auslegung und Anwendung des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO zugrunde, die den verfassungsrechtlichen Schutzgehalt der Vorschrift grundlegend verkennt und auch bei einer Gesamtschau (vgl. BVerfGE 133, 168 <200 Rn. 59>) als nicht mehr hinnehmbar erscheint. Der verfassungsrechtlichen Prüfung sind insoweit die Ausführungen des Generalbundesanwalts zugrunde zu legen, da der Bundesgerichtshof die Revision des Beschwerdeführers ohne nähere Begründung verworfen hat und daher davon auszugehen ist, dass er sich dessen Ausführungen zu Eigen gemacht hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2014 - 2 BvR 792/11 -, NJW 2014, S. 2563 <2564> m.w.N.).

18

a) Bereits aus dem Wortlaut von § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO, der Verständigungen nur "nach Maßgabe der folgenden Absätze" zulässt, folgt, dass jegliche sonstigen "informellen" Absprachen, Vereinbarungen und "Gentlemen's Agreements" untersagt sind (vgl. BVerfGE 133, 168 <212 Rn. 76>). Dem Gesetzgeber des Verständigungsgesetzes war insoweit bewusst, dass sich Verständigungen nicht ohne Weiteres mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Strafverfahren, insbesondere hinsichtlich der Erforschung der materiellen Wahrheit, der Schuldangemessenheit der Strafe und der Verfahrensfairness, in Einklang bringen lassen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/12310, S. 1). Dementsprechend war es sein zentrales Ziel, die Verständigung in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werdenden Weise in das geltende Strafverfahrensrecht zu integrieren, ohne die den Strafprozess dominierenden Grundsätze der richterlichen Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung anzutasten (vgl. BVerfGE 133, 168 <206 Rn. 67>). Vor diesem Hintergrund wollte der Gesetzgeber den zulässigen Inhalt von Verständigungen und das Verständigungsverfahren umfassend und abschließend normieren (vgl. BVerfGE 133, 168 <212 Rn. 75 f.>). Die Auslegung und Anwendung des Verständigungsgesetzes hat sich zuvörderst an diesem gesetzgeberischen Konzept zu orientieren (vgl. BVerfGE 133, 168 <206 Rn. 67>). Außerhalb des gesetzlichen Regelungskonzepts erfolgende "informelle" Absprachen oder "Deals" sind wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens bereits von Verfassungs wegen untersagt (vgl. BVerfGE 133, 168 <233 Rn. 115>).

19

b) Die dem angegriffenen Beschluss zugrunde liegende Argumentation ist danach weder mit dem gesetzlichen Regelungskonzept noch mit den dahinter stehenden verfassungsrechtlichen Wertungen vereinbar. Sowohl eine Rücknahme von gestellten Beweisanträgen als auch eine Verfolgungsbeschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO können zulässiger Gegenstand einer Verständigung sein (aa). Sie wurden in einer für eine Verständigung typischen Weise miteinander verknüpft (bb). Soweit der Bundesgerichtshof gleichwohl eine verbotene "informelle" Absprache unter Berufung auf einen fehlenden Rechtsbindungswillen verneint, verkennt er den anzulegenden Prüfungsmaßstab und damit den Schutzgehalt des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO (cc). Dies wiegt umso schwerer, als das Vorgehen des Landgerichts eine Absprache über den Schuldspruch besorgen lässt (dd).

20

aa) Nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO kann sich das Gericht mit den Verfahrensbeteiligten nicht nur über Rechtsfolgen, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sondern auch über sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren und das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten verständigen. Unter die Kategorie der sonstigen verfahrensbezogenen Maßnahmen fallen - ohne dass es insoweit einer abschließenden Bestimmung bedürfte - insbesondere Einstellungsentscheidungen (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 13). Hierbei kommen namentlich Verfahrenseinstellungen nach Vorschriften in Betracht, denen das Opportunitätsprinzip zu Grunde liegt, wie dies vor allem bei § 153 Abs. 2 StPO, § 153a Abs. 2 StPO und § 154 Abs. 2 StPO der Fall ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 - 2 StR 139/14 -, NStZ 2016, S. 171 <173>; Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 470/14 -, NJW 2016, S. 513 <517>; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. Oktober 2010 - 3 Ws 538/10 -, NStZ-RR 2011, S. 49 <50>, jeweils m.w.N.). Dabei spielt es keine Rolle, ob das Verfahren ganz oder nur zum Teil eingestellt wird (a. A. aber KG, Beschluss vom 10. Januar 2014 - (2) 161 Ss 132/13 (47/13) -, NStZ 2014, S. 293). Auch die hier vorgenommene Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO fällt unter diese Kategorie (vgl. Moldenhauer/Wenske, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 257c Rn. 15; Ignor, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 2. Aufl. 2016, § 257c Rn. 58; Niemöller, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 257c Rn. 35). Der Verzicht auf und die Rücknahme bereits gestellter Beweisanträge können als Prozesshandlungen eines Verfahrensbeteiligten gleichfalls tauglicher Gegenstand einer Verständigung sein (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 13; Niemöller, a.a.O., Rn. 37).

21

bb) Die Rücknahme der gestellten Beweisanträge und die beabsichtigte Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO standen im Sinne von Leistung und Gegenleistung zueinander. Eine solche synallagmatische Verknüpfung der jeweiligen Handlungsbeiträge kennzeichnet ein Verständigungsgeschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2015 - 5 StR 9/15 -, NStZ 2015, S. 535 <537>; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 257c Rn. 43; Niemöller, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 257c Rn. 7 f., 85 ff.; Schneider, NStZ 2015, S. 53 <54>).

22

Die wechselseitige Verknüpfung ergibt sich hier insbesondere aus dem Hinweis des Vorsitzenden auf die - seines Erachtens bestehende - Möglichkeit der Staatsanwaltschaft, ihre Zustimmung zu einer Verfahrensbeschränkung zurückzunehmen, wenn es nicht zu der erhofften Beschleunigung komme, und auf die Möglichkeit der Verteidigung, zurückgenommene Beweisanträge erneut zu stellen, wenn es umgekehrt nicht zu der erhofften Verfahrensbeschränkung komme. Ein derartiger Hinweis auf die möglichen Folgen einer enttäuschten Erwartung über das Prozessverhalten der jeweils anderen Seite setzt gerade voraus, dass die Zusage einer Rücknahme der Beweisanträge um der erhofften Zustimmung zu der angeregten Verfahrensbeschränkung willen erfolgen sollte und umgekehrt. Er stellt daher den Bestand einer Abrede nicht in Frage, sondern belegt ihn. Die beabsichtigte gegenseitige Zweckbindung wird zudem aus der Ankündigung der Staatsanwaltschaft in der E-Mail vom 16. Juli 2014 deutlich, wonach sie einer Verfahrensbeschränkung nur dann zustimmen werde, wenn das Verfahren ohne die Erledigung weiterer Beweisanträge und ohne weitere Verzögerung der Hauptverhandlung abgeschlossen werden könne. Dass dabei Endziel der Beteiligten nicht bloß die Zustimmung der Staatsanwaltschaft, sondern die Verfahrensbeschränkung selbst war, liegt auf der Hand.

23

Das Verfahrensgeschehen weist insoweit typische Merkmale einer Verständigung über Fortgang und Ergebnis des Verfahrens im Sinne des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO auf. Die Bemerkung des Vorsitzenden, eine ausdrückliche oder gar konkludente Absprache komme nicht Betracht, führt zu keiner anderen Bewertung. Es kommt insoweit nicht auf verbale Distanzierungen, sondern darauf an, was mit den Äußerungen und Verfahrenshandlungen unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs und des Empfängerhorizonts den Umständen nach wirklich gemeint war (vgl. BGHSt 59, 21 <25 f.>). Danach bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Rücknahme der gestellten Beweisanträge und die beabsichtigte Verfolgungsbeschränkung im Verhältnis eines "do ut des" zueinander standen. Da sich das Gericht und die Verfahrensbeteiligten ausdrücklich außerhalb des gesetzlich geregelten Verfahrens verständigen wollten und verständigten, steht eine - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts auch ausdrücklich in der Revision gerügte - gesetzeswidrige informelle Absprache im Raum.

24

cc) Indem der Bundesgerichtshof das Vorliegen einer Verständigung dagegen unter dem Gesichtspunkt eines Rechtsbindungswillens der Beteiligten prüft, geht er von einem mit dem gesetzlichen Regelungskonzept nicht zu vereinbarenden Maßstab aus und überspannt die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Verständigung im Sinne des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO zu stellen sind. Darin liegt eine Verkennung der Bedeutung, die dem in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommenden Verbot informeller Absprachen für das gesetzliche Schutzkonzept und die dahinter stehenden verfassungsrechtlichen Wertungen zukommt (vgl. BVerfGE 133, 168 <232 f. Rn. 115>).

25

Das Gesetz hat zwar den Begriff der Verständigung nicht näher definiert. Die Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 13) verweist insoweit auf den allgemeinen Sprachgebrauch, wonach wesentliches Merkmal der Begriff des Einvernehmens sei. Dies bedarf hier indes keiner vertieften Erörterung. Denn das Erfordernis eines Rechtsbindungswillens in dem Sinne, dass sich die Beteiligten unwiderruflich und endgültig zu der fraglichen Handlung oder Entscheidung verpflichten müssten, ist dem gesetzgeberischen Regelungskonzept, wonach eine Verständigung gerade keine vertraglich bindende Vereinbarung darstellen soll (vgl. BTDrucks 16/12310, S. 8), jedenfalls fremd. Das Gesetz sieht in § 257c Abs. 4 StPO eine ausdrückliche Bindungswirkung nur für das Gericht, und dies auch nur in eingeschränktem Umfang vor (vgl. Niemöller, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, § 257c Rn. 108 ff.). Ein Rechtsbindungswille kann aber nicht weitergehen, als das Recht eine Bindung vorsieht. Soweit sich der Generalbundesanwalt insoweit auf Ausführungen im strafrechtlichen Schrifttum beruft (vgl. Velten, in: Systematischer Kommentar zur StPO, 4. Aufl. 2012, § 257c Rn. 10), ist zu bemerken, dass diese die in der Entscheidung BVerfGE 133, 168 vorgenommene präzisierende Auslegung des Verständigungsgesetzes noch nicht berücksichtigen konnten und im Übrigen nicht zwingend im dargestellten Sinne zu verstehen sind.

26

Eine derartige Auslegung des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO ist auch nicht durch sonstige Sachgründe gerechtfertigt. Sie ist vielmehr geeignet, in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise informelles Verständigungsgeschehen den Schutz- und Transparenzvorschriften des Gesetzes und der gebotenen effektiven revisionsrechtlichen Kontrolle (vgl. BVerfGE 133, 168 <221 Rn. 94>) zu entziehen.

27

dd) Diese Verkennung des Schutzgehalts des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO wiegt umso schwerer, als das Vorgehen des Landgerichts zudem eine unzulässige Absprache über den Schuldspruch besorgen lässt.

28

(1) Nach § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO darf der Schuldspruch nicht Gegenstand einer Verständigung sein. Nach dem Regelungsziel des Gesetzgebers, weiterhin ein der Wahrheitserforschung und der Findung einer gerechten, schuldangemessenen Strafe verpflichtetes Strafverfahren sicherzustellen, sollen die tatsächlichen Feststellungen und deren rechtliche Würdigung der Disposition der Beteiligten entzogen bleiben (vgl. BVerfGE 133, 168 <210 Rn. 73>). Eine solche gesetzeswidrige Disposition über den Schuldspruch und die tatsächlichen Feststellungen ergibt sich zwar nicht schon aus der Anwendung der in § 154a Abs. 2 StPO eingeräumten gesetzlichen Möglichkeit einer Verfahrensbeschränkung, die kraft ihrer Natur Einfluss auf den Schuldspruch hat. Etwas anderes muss aber dann gelten, wenn zusätzliche Umstände darauf hindeuten, dass die Verfahrensbeschränkung einer Umgehung des in § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO normierten Verbots dienen soll; dies kann etwa dann der Fall sein, wenn das Gericht den ihm insoweit eingeräumten Beurteilungsspielraum überschreitet oder das Vorgehen sonst nicht vom Gesetz gedeckt war (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 470/14 -, NJW 2016, S. 513 <517>; Ignor, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 2. Aufl. 2016, § 257c Rn. 58).

29

(2) So liegt es hier. Gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StPO können mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft einzelne abtrennbare Teile der Tat (Alt. 1) oder einzelne Gesetzesverletzungen (Alt. 2) aus der Strafverfolgung ausgeschieden werden. Von der ersten Alternative werden einzelne Elemente innerhalb einer Tat im prozessualen Sinne erfasst, die in tatsächlicher Hinsicht in gewissem Umfang in sich abgeschlossen sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 154a Rn. 5 m.w.N.). Nach der zweiten Alternative können einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind und tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, von der Strafverfolgung ausgenommen werden (vgl. Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 154a Rn. 4).

30

Das Vorgehen des Landgerichts war von keiner der beiden Alternativen gedeckt. Die Strafkammer ging insoweit von einer Beihilfehandlung des Beschwerdeführers im Rechtssinne aus. Es hat sodann die Höhe des Vermögensnachteils auf 800.000 Euro mit der Maßgabe beschränkt, dass dieser Schaden "zumindest zum großen Teil" auf der Überhöhung der Rechnungen vom 30. November 2001, 14. Dezember 2001, 31. Mai 2002 und 30. Juni 2002 beruht, wobei ausdrücklich sämtliche Rechnungen Gegenstand des Verfahrens bleiben sollten. Damit hat es aber weder einzelne Abrechnungen als gegebenenfalls abtrennbare Bestandteile einer prozessualen Tat noch bestimmte Gesetzesverletzungen ausgeschieden (zur Notwendigkeit, den ausgeschiedenen Verfahrensstoff genau zu bezeichnen, siehe BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2013 - 4 StR 461/13 -, juris, Rn. 6 m.w.N.). Überdies ist zu berücksichtigen, dass der Verfahrensbeschränkung umfassende Verhandlungen über die "zu gestehende" Höhe des Vermögensnachteils vorausgingen und sie dem Betrag nach dem letzten Verständigungsvorschlag der Verteidigung entsprach. Ihr folgte eine Einlassung des Beschwerdeführers, die die vereinbarte Höhe ersichtlich abdecken sollte. Dies alles lässt besorgen, dass die Höhe des Vermögensnachteils unter Missachtung der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) im Wege des Konsenses festgelegt wurde.

31

3. Auf dem Verstoß gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren beruht die angegriffene Revisionsentscheidung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Bundesgerichtshof bei hinreichender Berücksichtigung des verletzten Grundrechts zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Beschwerdeführer durch die Verfahrensbeschränkung - ungeachtet ihrer Fehlerhaftigkeit - nicht beschwert sei. Denn dies wäre nur dann der Fall, wenn sich sicher ausschließen ließe, dass das Landgericht bei Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben nicht einen geringeren Vermögensnachteil festgestellt hätte. Dies anhand der umfangreichen Beweiswürdigung des Landgerichts zu prüfen, ist indes Aufgabe des Revisionsgerichts. Ihm obliegt es, am Maßstab des einfachen Rechts (vgl. § 337 Abs. 1 StPO) zu beurteilen, ob insoweit ein Beruhen des landgerichtlichen Urteils auf einer informellen Absprache ausgeschlossen werden kann oder ob dieses etwa mit Blick auf das - hinsichtlich einer 350.000 Euro übersteigenden Schadenshöhe inhaltsleere - Geständnis des Beschwerdeführers jedenfalls hinsichtlich des Strafausspruchs aufzuheben wäre.

V.

32

Soweit die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird, wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.

VI.

33

Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

34

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

Tenor

Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 26. Januar 2015 aufgehoben.

Die Sache wird an die zuständige Kleine Strafkammer des Landgerichts Berlin abgegeben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

1

Mit Urteil vom 2. April 2013 hat das Amtsgericht Tiergarten den Beschwerdeführer wegen gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten Wahl und wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zum Nachteil der Geschädigten Becker zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt.

2

Die gegen das Urteil des Amtsgerichts gerichtete Berufung des Beschwerdeführers hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 15. Juli 2013 verworfen. Auf die Revision des Beschwerdeführers hat das Kammergericht das Urteil des Landgerichts Berlin mit Beschluss vom 2. Dezember 2013 unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten Wahl verurteilt worden ist, sowie im Gesamtstrafenausspruch.

3

In der neuen Berufungshauptverhandlung vor der 80. Kleine Strafkammer des Landgerichts Berlin erklärte der Beschwerdeführer am 17. Januar 2014 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Rücknahme der Berufung nachdem der Vollzug des Haftbefehls im Anschluss an inhaltlich nicht weiter protokollierte Erörterungen ausgesetzt worden war.

4

Der Beschwerdeführer verbüßt die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe seit dem 16. April 2014, seit November 2014 in der Justizvollzugsanstalt Billwerder in Hamburg.

5

Am 10. Oktober 2014 hat der Beschwerdeführer „Beschwerde gegen die Wiedereinsetzung des Haftbefehls“ eingelegt und insoweit ausgeführt, es sei nach Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht Berlin nicht zu einer erneuten Verhandlung gekommen, er, der Beschwerdeführer, bitte um Mitteilung, warum das Verfahren nicht erneut - unter Einvernahme von Zeugen - verhandelt werde.

6

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer die „Haftbeschwerde“ als Einwendung gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung gemäß § 458 StPO des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 2. April 2013 ausgelegt und diese Einwendung zurückgewiesen.

7

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten, der geltend macht, die Berufung nicht wirksam zurückgenommen, sondern nur einer Haftverschonung zugestimmt zu haben. Die Dolmetscherin habe er kaum verstanden. Im Übrigen sei die Zustimmung nur bedingt erklärt und durch eine illegitime Gegenleistung erwirkt worden, über die der Beschwerdeführer „getäuscht worden sein dürfte“.

II.

8

Die Beschwerde ist begründet. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist aufzuheben, weil sie nicht dazu berufen war, über den Antrag des Beschwerdeführers zu entscheiden.

9

Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag zu Unrecht als Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung nach § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO ausgelegt (§ 300 StPO). Zwar können mit dem Rechtsbehelf des § 458 StPO durch den Verurteilten Vollstreckungshindernisse geltend gemacht werden, zu denen grundsätzlich auch die fehlende Rechtskraft der Vollstreckungsgrundlage gehört (vgl. HansOLG Hamburg, Beschl. vom 30. Juni 2009 - 2 Ws 118/09, VRS 117 (2009), 201 [zu Zweifeln an der wirksamen Zustellung eines Gesamtstrafenbeschlusses]; Graalmann-Scheerer in LR 26. Aufl., § 458 StPO Rn. 6; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt StPO 57. Aufl. § 458 StPO Rn. 10). Soweit der Verurteilte aber die Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme bestreitet, erweist sich der - zunächst an die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde gerichtete, sodann vom Gericht erster Instanz bzw. nach § 462a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 462 Abs. 1 StPO von der Strafvollstreckungskammer zu entscheidende - Rechtsbehelf des § 458 StPO als unzulässig, weil der Streit über die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme ausschließlich durch das Rechtsmittelgericht zu klären ist.

10

Bei Zweifeln an der Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme hat das Rechtsmittelgericht, sofern es bereits mit der Sache befasst war, darüber eine feststellende Klärung durch förmliche Entscheidung herbeizuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2000 - 3 StR 257/00; Beschluss vom 5. Februar 2014 - 1 StR 527/13; BeckOK StPO/Cirener § 302 Rn. 13 m.w.N.). Zuständiges Gericht ist bei Zweifeln an der vor dem Berufungsgericht erklärten Rechtsmittelrücknahme die Kleine Strafkammer. Gegen ihre Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft.

11

Die Sache war daher an die 80. Kleine Strafkammer des Landgerichts Berlin abzugeben. Diese wird zu entscheiden haben, ob die Berufungsrücknahme - nach Zurückverweisung nur eines Teils der angefochtenen Entscheidung der 65. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Berlin durch das Kammergericht (vgl. dazu Jesse in LR 26. Aufl., § 302 Rn. 14 m.w.N.) - wirksam war.

Tenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 - 3 Ws 33/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Dresden zurückverwiesen.

2. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Juni 2011 - 3 Ws 33/11 - gegenstandslos und erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

4. ...

5. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000,00 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Art und Weise der Prüfung des Zustandekommens einer Verfahrensabsprache in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung durch das Rechtsmittelgericht, wenn der Angeklagte unter Berufung auf eine solche Absprache die Unwirksamkeit eines von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts geltend macht.

2

1. Das Amtsgericht Pirna - Schöffengericht - verurteilte den Beschwerdeführer, der sich zur Zeit der Hauptverhandlung seit etwa fünf Monaten in Untersuchungshaft befand, wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit gewerbsmäßiger Hehlerei in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten.

3

a) Dem Protokoll zufolge wurde die Hauptverhandlung auf Anregung der damaligen Verteidigerin des Beschwerdeführers kurz nach ihrem Beginn für ein "Rechtsgespräch" unterbrochen. Als die Hauptverhandlung - etwa eine Stunde später - fortgesetzt wurde, verlas die Verteidigerin eine ein Geständnis enthaltende Erklärung für den Beschwerdeführer, der danach Fragen beantwortete. Im Anschluss verzichteten die Verfahrensbeteiligten auf eine Vernehmung der geladenen Zeugen und es wurde gemäß § 154 Abs. 2 StPO von der Verfolgung eines mitangeklagten Vorwurfs abgesehen. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten sowie die Aufhebung des Haftbefehls; die Verteidigung beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung und die Aufhebung des Haftbefehls. Nach der Urteilsverkündung und der Aufhebung des Haftbefehls verzichteten Staatsanwaltschaft und Beschwerdeführer auf Rechtsmittel.

4

b) Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält weder einen Hinweis auf das Zustandekommen einer Absprache (§ 273 Abs. 1a Satz 1 StPO) noch die Angabe, dass eine Verständigung nicht erfolgt sei (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO). Auch die Entscheidungsgründe äußern sich nicht dazu, ob dem Urteil eine Absprache vorausging.

5

2. a) Der Beschwerdeführer legte Berufung ein und machte eine Unwirksamkeit seines Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO geltend. Hierfür legte er eine Erklärung seiner damaligen Verteidigerin vor, die Verständigungsgespräche vor dem Amtsgericht Pirna schilderte und das Zustandekommen einer Absprache bejahte.

6

b) Das Landgericht Dresden verwarf die Berufung mit Beschluss vom 10. März 2011 als unzulässig, nachdem es dienstliche Stellungnahmen der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und des Vorsitzenden des Schöffengerichts eingeholt hatte.

7

aa) Die damalige Verteidigerin des Beschwerdeführers hatte in ihrer Erklärung angegeben, das Rechtsgespräch habe zunächst im Richterzimmer zwischen dem Vorsitzenden des Schöffengerichts, der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und ihr stattgefunden. Die Staatsanwältin habe gleich zu Beginn klargestellt, schon wegen der Vorstrafen des Beschwerdeführers sei aus ihrer Sicht nicht mit einer Bewährungsstrafe zu rechnen. Sie selbst habe mit Blick auf die konkreten Vorwürfe eine Bewährungsstrafe noch für realistisch gehalten und den Inhalt eines möglichen Geständnisses angerissen. Der Vorsitzende habe ausgeführt, auch er könne sich eine Bewährungsstrafe nicht mehr vorstellen, dafür aber eine Aufhebung des Haftbefehls, sofern sich der Beschwerdeführer wie angekündigt einlasse. In diesem Fall werde eine Beweisaufnahme durch Zeugeneinvernahme nicht erfolgen. Der Vorsitzende habe darauf hingewiesen, dies aber noch mit den Schöffen besprechen zu müssen. Die Staatsanwältin habe zunächst mehr als drei Jahre Freiheitsstrafe gefordert und sei schließlich von zwei Jahren und zehn Monaten ausgegangen. Der Vorsitzende habe die Strafhöhe ähnlich gesehen, aber noch keinen eindeutigen Hinweis gegeben. Sie habe sich daraufhin mit dem Beschwerdeführer besprechen und die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft die Verfasserin der Anklageschrift unterrichten wollen. Nachdem sie die Angelegenheit mit dem Beschwerdeführer in dem Sinne erörtert gehabt habe, dass dieser sich zur Sache einlasse, wenn der Haftbefehl aufgehoben werde, sei sie zu dem Vorsitzenden gegangen und habe mitgeteilt, mit der besprochenen Vorgehensweise bestehe Einverständnis. Der Vorsitzende habe aber noch nicht mit den Schöffen gesprochen gehabt. Als sie in den Sitzungssaal zurückgekommen sei, habe die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft ihr mitgeteilt, man könne so verfahren, dass der Beschwerdeführer zwei Jahre und zehn Monate erhalte, der Haftbefehl aufgehoben und die Sache rechtskräftig werde. Über diese Aussage sei sie überaus erstaunt gewesen, da in den Gesprächen zuvor zu keinem Zeitpunkt eine Rechtskraft des Urteils thematisiert worden sei. Die Staatsanwältin habe jedoch geäußert, sie könne die Verteidigerin nicht verstehen, da ein entsprechendes Gespräch stattgefunden habe und sie davon ausgegangen sei, alle Beteiligten seien sich über diese Punkte einig. Als das Gericht in den Saal gekommen sei, habe sie den Vorsitzenden über die Äußerung der Staatsanwältin informiert und ihn gefragt, ob er das auch so sehe, was der Vorsitzende bestätigt habe. Hierüber habe sie mit dem Beschwerdeführer gesprochen, der sich für die Rechtskraft entschieden habe, weil der Haftbefehl aufgehoben werden sollte. Sodann sei die Hauptverhandlung fortgesetzt worden. Sie und der Beschwerdeführer hätten später auf Rechtsmittel verzichtet, weil sie befürchtet hätten, anderenfalls werde der Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt. Zunächst sei sie davon ausgegangen, im Richterzimmer sei eine Vereinbarung nicht getroffen worden. Der Vorsitzende und die Staatsanwältin hätten sie in der Hauptverhandlung jedoch eindeutig anders belehrt.

8

bb) Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft hatte in ihrer dienstlichen Erklärung ausgeführt, sie habe klargestellt, dass aus ihrer Sicht eine Bewährungsstrafe nicht in Betracht komme. Der Vorsitzende habe mit Blick auf übliche Strafen bei vergleichbaren Taten Ähnliches geäußert, ohne ein konkretes Strafmaß benannt zu haben, da auch eine Abstimmung mit den Schöffen nicht erfolgt gewesen sei. Auf die Ankündigung des Gerichts, gegebenenfalls den Haftbefehl aufzuheben, habe sie eingewandt, wegen der hohen Fluchtgefahr sei mit einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft zu rechnen. Für den Fall der Rechtskraft sei dies natürlich anders. Sie habe Verteidigung und Beschwerdeführer so verstanden, dass es ihnen vordergründig um die Aufhebung des Haftbefehls gegangen sei, wobei sie mehrfach ihre Position deutlich gemacht habe. Gänzlich nicht nachvollziehen könne sie die Äußerung der Verteidigerin zum Zustandekommen einer Absprache, da das Gericht die Position vertreten gehabt habe, den Haftbefehl aufheben zu wollen und sie eine sofortige Beschwerde dagegen avisiert habe. Die Verteidigerin habe schließlich auch einen anderen Antrag zum Strafmaß als sie gestellt. Sie habe auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet, weil aus ihrer Sicht keine Beweisprobleme vorgelegen hätten und sie sich sicher gewesen sei, dass das Strafmaß den Erwartungen der Staatsanwaltschaft nahekommen werde. Ein regelrechtes Gespräch über ein bestimmtes Strafmaß mit Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft, wie sie es sonst kenne, habe es ihres Erachtens nicht gegeben. Ihr sei es um die Fortsetzung der Untersuchungshaft gegangen.

9

cc) Der Vorsitzende des Schöffengerichts hatte in seiner dienstlichen Stellungnahme mitgeteilt, der genaue Werdegang der Gespräche und deren Inhalt seien ihm nach dem eingetretenen Zeitablauf nicht mehr genau erinnerlich. Er denke aber, dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft den Geschehensablauf zutreffend geschildert habe.

10

dd) Das Landgericht hielt das Zustandekommen einer Absprache für nicht erwiesen und deshalb den Rechtsmittelverzicht für wirksam. Zwar habe die Verteidigerin ausgeführt, es sei Einigkeit erzielt worden, dass der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt sowie der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben wird, wenn das Urteil rechtskräftig werde. Dies stelle jedoch bereits wegen des Einschlusses des Rechtsmittelverzichts keine zulässige Verständigung im Sinne von § 257c StPO dar. Zudem stehe der Antrag der Verteidigerin auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung der Annahme entgegen, es sei eine Verständigung auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten erzielt worden.

11

3. a) Der Beschwerdeführer legte gegen den Beschluss des Landgerichts sofortige Beschwerde ein.

12

b) Das Oberlandesgericht Dresden verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom 19. April 2011 als unbegründet. Die Annahme der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts sei nicht zu beanstanden. Da das Verhandlungsprotokoll weder die Erklärung nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO noch das Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO enthalte, sei dessen Beweiskraft entfallen. Damit sei aber nicht der Vortrag des Beschwerdeführers als wahr zu unterstellen, sondern dieser habe nur die Möglichkeit, den Nachweis zu führen, dass ein bestimmter Vorgang geschehen oder nicht geschehen sei. Das Rechtsmittelgericht müsse dann im Freibeweisverfahren und in freier Beweiswürdigung den wirklichen Verfahrensablauf klären.

13

Hiernach sei das Vorliegen einer Verständigung nicht bewiesen. Die Erklärungen der damaligen Verteidigerin und der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft seien angesichts des Inhalts des Hauptverhandlungsprotokolls zum Verfahrensablauf nicht geeignet, diesen Beweis zu erbringen. Der Annahme einer Absprache über das Strafmaß stehe entscheidend entgegen, dass die Verteidigerin eine Strafe von maximal zwei Jahren mit Bewährung beantragt habe, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft aber eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Bereits aus diesem Grund liege es fern, dass sich die Verfahrensbeteiligten auf ein Strafmaß von zwei Jahren und zehn Monaten geeinigt haben sollen. Dass Verteidigung und Staatsanwaltschaft übereinstimmend beantragt hätten, den Haftbefehl aufzuheben, beweise eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO ebenfalls nicht. Dieses Prozessverhalten könne auch dem Umstand geschuldet sein, dass der Vorsitzende von Anfang an seine Absicht bekundet gehabt habe, den Haftbefehl aufzuheben. Außerdem wäre bei einem Nichteintritt der Rechtskraft trotz dieses Antrags eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft möglich gewesen. Aus den Stellungnahmen der Prozessbeteiligten ergebe sich auch keine ausreichende Grundlage für eine Verständigung über die Aufhebung des Haftbefehls und einen Rechtsmittelverzicht. Die Annahme einer Absprache bei dem Gespräch im Richterzimmer scheide schon mangels Beteiligung der Schöffen aus. Der nachfolgende Geschehensablauf lasse unter Zugrundelegung der Schilderung der Verteidigerin die Bejahung einer Verständigung ebenfalls nicht zu, da diese mit der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft keinen Konsens erzielt gehabt habe. Zudem habe letztere geäußert, sie habe es nach wie vor als problematisch erachtet, dass der Haftbefehl aufgehoben werden sollte.

14

Aus diesen Gründen habe sich der Senat nicht die Überzeugung bilden können, dass eine Verständigung erfolgt sei. Daran ändere auch die ergänzend vorgelegte eigene Stellungnahme des Beschwerdeführers nichts, der angegeben habe, seine Verteidigerin habe ihm mitgeteilt, "es sei alles klar, er werde zwei Jahre und zehn Monate kriegen, könne nach Hause gehen und müsse auf Berufung verzichten". Nach ihrer Schilderung des Verfahrensablaufs habe die Verteidigerin nicht von einem Konsens ausgehen können.

15

4. a) Mit seiner Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 beanstandete der Beschwerdeführer insbesondere, das Gericht habe die zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht ausgeschöpft und wesentliche Gesichtspunkte unerwähnt gelassen.

16

b) Das Oberlandesgericht Dresden wies die Anhörungsrüge am 6. Juni 2011 als unbegründet zurück. Es habe keine weiteren Stellungnahmen einholen oder ergänzenden Beweis erheben müssen, da hieraus keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien. Gegen eine Verständigung sprächen weiterhin die unterschiedlichen Anträge von Verteidigung und Staatsanwaltschaft zum Strafmaß. Die Nichteinvernahme von Zeugen in der Hauptverhandlung beweise eine Verständigung ebenfalls nicht.

II.

17

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Landgerichts sowie des Oberlandesgerichts Dresden. Er rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG wegen Nichtwahrung der Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung. Die Fachgerichte hätten seinem Vortrag zu der getroffenen Verfahrensabsprache in angemessener Weise nachgehen müssen, statt sich mit dienstlichen Erklärungen zu begnügen, die auf die entscheidenden Fragen nicht eingingen und erst recht nicht antworteten. Ferner habe das Oberlandesgericht gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes verstoßen und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

18

2. Der Beschwerdeführer beantragt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen.

III.

19

Der Freistaat Sachsen hat von einer Äußerung zu der Verfassungsbeschwerde abgesehen. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat auf eine Stellungnahme des Vorsitzenden des 2. Strafsenats verwiesen, in der dieser die Rechtsprechung seines Senats zum Fehlen des Protokollvermerks über das (Nicht-)Zustandekommen einer Absprache darstellt. Die anderen Strafsenate haben von einer Stellungnahme abgesehen. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde für begründet, soweit sie sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 richtet. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben vorgelegen.

IV.

20

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Hiernach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

21

1. Die vorliegende Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Art und Weise der Prüfung des Zustandekommens (also des "ob") einer Verfahrensabsprache vor dem Amtsgericht Pirna durch die Rechtsmittelgerichte als Vorfrage der Entscheidung über die (Un-)Wirksamkeit des von dem Beschwerdeführer erklärten Rechtsmittelverzichts. Der etwaige Inhalt der von ihm behaupteten Verständigung vor dem Amtsgericht Pirna ist ebenso wenig Gegenstand der Verfassungsbeschwerde wie die Verfassungsmäßigkeit urteilsbezogener Verfahrensabsprachen im Strafprozess. Die vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht entschiedene Frage der Vereinbarkeit solcher Absprachen (vgl. dazu lediglich BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 f.) und ihrer gesetzlichen Regelung mit dem Grundgesetz ist im vorliegenden Verfahren somit nicht entscheidungserheblich und kann deshalb offen bleiben.

22

2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

23

a) Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 122, 248 <271 f.>). Soweit sie verfassungsrechtlich nicht bereits anderweitig erfasst werden, stellt das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren zudem Mindestanforderungen für eine zuverlässige Sachverhaltsaufklärung auf (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 70, 297 <308>; 122, 248 <270>).

24

b) Diesen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 nicht gerecht. Der Beschluss weicht in einer Weise von den obergerichtlichen Anforderungen an die richterliche Sachaufklärung ab, die verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar ist. Das Oberlandesgericht hätte nicht von einer weiteren Sachaufklärung absehen und verbleibende Zweifel nicht im Ergebnis zulasten des Beschwerdeführers werten dürfen.

25

aa) Es hätte jedenfalls der augenfälligen Ungereimtheit in der dienstlichen Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nachgehen müssen, die primär das Ziel einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft verfolgt und für den Fall einer Aufhebung des Haftbefehls die Einlegung einer Beschwerde angekündigt haben will, aber in der Hauptverhandlung die Aufhebung des Haftbefehls beantragte. Ferner hätte das Oberlandesgericht Stellungnahmen der Schöffen und der Urkundsbeamtin einholen müssen, nachdem die damalige Verteidigerin plausibel und widerspruchsfrei erklärt hatte, die Gespräche seien im Sitzungssaal fortgesetzt worden, und die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden ohne sachlichen Gehalt geblieben war.

26

bb) Schließlich hätte das Oberlandesgericht verbleibende Zweifel nicht zulasten des Beschwerdeführers werten dürfen. Zwar ist es grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach der auch im Freibeweisverfahren gebotenen Sachaufklärung nicht zu beseitigende Zweifel am Vorliegen von Verfahrenstatsachen grundsätzlich zulasten des Angeklagten gehen. Das dort vom Angeklagten grundsätzlich zu tragende Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts findet aber dort seine Grenze, wo die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts und dadurch entstehende Zweifel des Gerichts ihre Ursache in einem Verstoß gegen eine gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht finden (vgl. BVerfGK 16, 1 <18>).

27

3. Es kann dahinstehen, ob der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 auch das Gebot effektiven Rechtsschutzes und den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt.

V.

28

1. Soweit die Kammer die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annimmt, wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.

29

2. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG. Da der nicht zur Entscheidung angenommene Teil der Verfassungsbeschwerde von untergeordneter Bedeutung ist, sind die Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BVerfGE 86, 90 <122>).

30

3. Die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

31

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 75.000 € (in Worten: fünfundsiebzigtausend Euro) festgesetzt (§ 37 Absatz 2 Satz 2 RVG in der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Fassung).