Tenor

1. Auf die Beschwerde der Verfahrenspflegerin wird unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Emmendingen vom 29.03.2012 – XVII 358/05 - die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis zum 06.07.2012 betreuungsgerichtlich genehmigt.

2. Von der Erhebung von Kosten wird abgesehen.

3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Betroffene befand sich erstmals wegen einer Suizidankündigung vom 09.03.1999 bis zum 10.03.1999 im Zentrum für Psychiatrie in Emmendingen. Anschließend wurde sie dort vom 23.03.1999 bis zum 05.05.1999 behandelt, nachdem sie in verworrenem Zustand am Straßenverkehr teilgenommen hatte.
Mit Schreiben vom 21.08.2003 regte die Gemeinde F. die Betreuung der Betroffenen an, da diese tags und nachts auf der Straße herumirre und einen verwirrten Eindruck hinterlasse.
Mit Beschluss vom 14.10.2003 genehmigte das Amtsgericht Emmendingen die Unterbringung der Betroffenen bis längstens 06.11.2003, da die Betroffene sich selbst und andere durch Beißen und Bedrohen sowie durch das Anzünden von Papierschnipseln auf der Herdplatte gefährde.
Mit Beschluss vom 22.10.2003 ordnete das Amtsgericht Emmendingen eine Betreuung für die Betroffene mit den Aufgabenkreisen der Vermögenssorge, der Wohnungsangelegenheiten, der Geltendmachung von Ansprüchen auf Sozialhilfe, der Aufenthaltsbestimmung, der Entscheidung über die Unterbringung und der Gesundheitssorge an.
Mit Beschluss vom 25.09.2008 wurde die bestehende Betreuung bis längstens 24.09.2013 verlängert.
Mit Schreiben vom 06.03.2012 beantragte der Betreuer die Unterbringung der Betroffenen. Ziel der Unterbringung sei eine Heilbehandlung mit Medikamenten auch gegen den Willen der Betroffenen. Mit Beschluss vom 08.03.2012 bestellte das Amtsgericht Emmendingen für die Betroffene eine Verfahrenspflegerin. Zu einer Anhörung der Betroffenen kam es nicht, da die Betroffene am 15.03.2012 nicht zum Termin erschien. Mit Schreiben vom 16.03.2012 befürwortete die Betreuungsbehörde des Landratsamts Emmendingen die Unterbringung der Betroffenen. Mit Schreiben vom 21.03.2012 befürwortete auch die Verfahrenspflegerin die Unterbringung der Betroffenen.
Mit Beschluss vom 29.03.2012 lehnte das Amtsgericht Emmendingen die Unterbringung der Betroffenen ab. Zur Begründung führte das Amtsgericht Emmendingen im wesentlichen aus, eine Genehmigung der Unterbringung sei nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht möglich, da die Unterbringung alleine den Zweck verfolge, die Betroffene gegen ihren Willen einer Behandlung zuzuführen.
Mit Schreiben vom 09.04.2012 legte die Verfahrenspflegerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Emmendingen Beschwerde ein. Mit Schreiben vom 25.04.2012 befürwortete der Betreuer erneut eine Unterbringung der Betroffenen. Hierbei führte er erstmals an, diese gefährde sich selbst, da sie auf der Straße zwischen fahrenden Autos herumirre. Mit Schreiben vom 03.05.2012 legte der Betreuer eine E-Mail der Tochter der Betroffenen vor, nach welcher die Betroffene am 30.04.2012 mehrfach beinahe vor eine Straßenbahn gelaufen wäre, da sie Stimmen gehört habe. Auch habe sie vom Tod gesprochen, den „die“ von ihr wollten, wobei davon auszugehen sei, dass mit „die“ die Stimmen gemeint seien, welche die Betroffene höre.
Die Kammer hat die Betroffene am 11.05.2012 durch die beauftragte Richterin im Zentrum für Psychiatrie persönlich angehört.
10 
Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
11 
Die zulässige (§ 303 Abs. 3 FamFG) Beschwerde ist begründet, da die Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen durch den Betreuer gegeben sind.
1.
12 
Zunächst liegen mittlerweile die Voraussetzungen der Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vor.
13 
Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.
14 
Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. R. leidet die Betroffene an einer paranoiden Schizophrenie, die sich durch Ich-Störungen, Wahnvorstellungen und Stimmen-Hören auszeichnet. Dies führt gegenwärtig dazu, dass die Betroffene in verwirrtem Zustand im öffentlichen Straßenverkehr zwischen Autos und Straßenbahnen herumirrt und hierbei die Verkehrssituation nicht adäquat einschätzen kann. Sie laufe deshalb Gefahr, einen Unfall zu verursachen und einen erheblichen gesundheitlichen Schaden davonzutragen. Diese gutachterlichen Feststellungen stimmen mit den Ausführungen der behandelnden Ärztin, Dr. Sch., sowie den Angaben des Betreuers, der Tochter der Betroffenen und der Verfahrenspflegerin überein. Darüber hinaus hört die Betroffene nach Angaben der Tochter der Betroffenen Stimmen, die ihr Todesphantasien vorgeben. In Anbetracht einer bereits im Jahr 1999 erfolgten Suizidankündigung ist deshalb auch vom Vorliegen einer konkreten Gefahr selbstschädigender Handlungen bis hin zur Selbsttötung auszugehen.
15 
Die Kammer hat die Betroffene am 11.05.2012 gemäß §§ 68 Abs. 3, 319 Abs. 1 FamFG iVm § 375 Abs. 1a ZPO durch die beauftragte Richterin im Zentrum für Psychiatrie Emmendingen aufgesucht, um diese persönlich anzuhören. Angesichts des Verhaltens der Betroffenen, welche sich dem Gespräch verweigerte und sich der Gesprächssituation fluchtartig zu entziehen versuchte, schließt sich die Kammer den Ausführungen der Sachverständigen vollumfänglich an.
2.
16 
Darüber hinaus liegen auch die Voraussetzungen der Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB vor.
2.1.
17 
Die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen zur Heilbehandlung scheitert nicht bereits an einer fehlenden Ermächtigungsgrundlage, obwohl diese allein darauf gerichtet ist, die Betroffene einer medikamentösen Behandlung gegen ihren natürlichen Willen zuzuführen.
18 
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 6 Abs. 1 Satz 2 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über den Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln (BVerfG, Beschluss vom 23.03.2011- 2 BvR 882/09) und zu § 8 Abs. 2 Satz 2 des baden-württembergischen Landesgesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (BVerfG, Beschluss vom 12.10.2011 - 2 BvR 633/11) bietet keinen Anlass, an dem Vorliegen einer verfassungsmäßigen Ermächtigungsgrundlage im Betreuungsrecht für die Unterbringung zum Zwecke der Heilbehandlung gegen den Willen des Betroffenen zu zweifeln.
19 
In den genannten Entscheidungen stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass im Maßregelvollzug strenge Anforderungen an die gesetzlich normierte Zulässigkeit eines Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gelten, welche sowohl die materiell-rechtlichen Eingriffsvoraussetzungen als auch das Verfahrensrecht betreffen. Insbesondere bedürfe es einer hinreichend klaren und bestimmten Regelung der Eingriffsvoraussetzungen, auf deren konkrete inhaltliche Ausgestaltung das Bundesverfassungsgericht näher eingeht (BVerfG, Beschluss vom 23.03.2011 – 2 BvR 882/09 – zitiert nach juris Rn. 38 ff).
20 
Die Kammer verkennt nicht, dass im Anschluss an diese Rechtsprechung die Unterbringung eines Betroffenen bzw. die isolierte Genehmigung einer Entscheidung des Betreuers zur Behandlung eines betreuungsrechtlich untergebrachten Betroffenen gegen seinen Willen teilweise mit dem Hinweis auf eine fehlende verfassungsgemäße Ermächtigungsgrundlage in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB abgelehnt wurde (LG Stuttgart, Beschluss vom 16.02.2012 - 2 T 35/12; AG Bremen, Beschluss vom 16.01.2012 - 41 XVII A 89/03; AG Ludwigsburg, Beschluss vom 30.01.2012 - 8 XVII 58/12). Dieser Auffassung schließt sich die Kammer nicht an.
a.
21 
In den genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist darauf hingewiesen worden, dass der Vormund im Rahmen der Fürsorge öffentliche Funktionen wahrnimmt und sich daher der Mündel auch gegenüber Handlungen des Vormunds auf seine Grundrechte berufen kann; nichts anderes gilt im Verhältnis des Betreuers zum Betreuten (so auch LG Stuttgart, Beschluss vom 16.02.2012 - 2 T 35/12 - zitiert nach juris Rn. 10ff). Dies vorausgesetzt, greift auch in der vorliegenden Konstellation der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG ein und es bedarf zur Vornahme von Zwangshandlungen gegen den Widerstand des Betreuten einer Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz (BGH, Beschluss vom 01.02.2006 - XII ZB 236/05 - zitiert nach Juris Rn. 15).
b.
22 
Das Betreuungsrecht enthält in §§ 1901, 1902 und 1904 BGB grundsätzlich eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Entscheidung des Betreuers, auch gegen den Willen des Betroffenen in eine ärztliche Behandlung einzuwilligen. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt eine ergänzende Ermächtigungsgrundlage dar, die dem Betreuer ausnahmsweise das Recht gibt, nach bereits erfolgter Einwilligung zur Heilbehandlung den entgegenstehenden natürlichen Willen des Betroffenen im Rahmen dieser Heilbehandlung während der Unterbringung tatsächlich durch Zwang zu überwinden (BGH, Beschluss vom 01.02.2006 – XII ZB 236/05 – zitiert nach juris Rn. 16-24 mwN).
c.
23 
Diese gesetzliche Grundlage ist auch im Hinblick auf die materiell-rechtlichen sowie verfahrensrechtlichen Anforderungen verfassungsgemäß.
aa.
24 
Soweit das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 23.03.2011 – 2 BvR 882/09 –Anforderungen an die materiell-rechtliche Ausgestaltung der Eingriffsnorm stellt, hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 01.02.2006 - XII ZB 236/05 - bereits ausführlich dargelegt, dass diese Voraussetzungen bei verständiger Würdigung des § 1906 I Nr. 2 BGB vorliegen (BGH a.a.O. Rn. 23ff).
bb.
25 
Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Anforderungen genügen die betreuungsrechtlichen Vorschriften in doppelter Hinsicht den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht stellt, da sie zum einen eine Entscheidung durch einen von der Unterbringungseinrichtung unabhängigen Dritten und zumindest mittelbar eine der Durchführung der Zwangsmedikation vorgeschaltete gerichtliche Prüfung vorsehen.
26 
Die genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts betreffen jeweils die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes, das eine Rechtsgrundlage für eine Zwangsmedikation durch Entscheidungsträger beinhaltete, welche der Unterbringungseinrichtung unmittelbar angehörten. Eine vergleichbare Konstellation ist im Betreuungsrecht gerade nicht gegeben. Die hier vorliegenden Fallgestaltungen sind entscheidend davon geprägt, dass ein unabhängiger Dritter auf Grund einer gesetzlichen Vertretungsbefugnis eine die Zustimmung des Betroffenen ersetzende Entscheidung trifft. Auch das Bundesverfassungsgericht selbst erwägt ausdrücklich die Einschaltung eines Betreuers zur Herbeiführung eines den Anforderungen der Verfassung genügenden Verfahrens (BVerfG, Beschluss vom 23.03.2011 - 2 BvR 882/09 - zitiert nach juris Rn. 71). So billigt es der zustimmungsersetzenden Entscheidung eines Betreuers als externem Dritten eine entscheidende objektive Schutzwirkung mit Blick auf die grundrechtlich geschützten Positionen des Betroffenen zu. Bei abschließender Betrachtung kommt es lediglich zu dem Ergebnis, dass dem Schutzbedürfnis auch auf andere Weise als durch Einschaltung eines Betreuers Rechnung getragen werden kann (BVerfG a.a.O.: „Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, die Rechte des Betroffenen gerade auf diese Weise - Anmerkung der Kammer: durch Einschaltung eines Betreuers - zu schützen, besteht jedoch nicht.“). Der für das Fehlen einer verfassungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage oft zitierte Satz des Bundesverfassungsgerichts „Für den Betroffenen wird der Eingriff, der in einer medizinischen Zwangsbehandlung liegt, nicht dadurch weniger belastend, dass gerade ein Betreuer ihr zugestimmt hat“ (BVerfG a.a.O. Rn. 71) ist deshalb nicht dahingehend zu verstehen, dass die Einschaltung eines Betreuers bei Fallgestaltungen der Zwangsmedikation im weiteren Sinne verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht genügen würde. Vielmehr dient dieser Hinweis dem Bundesverfassungsgericht dazu, zu begründen, dass neben dem Betreuer auch andere Ausgestaltungen der Zwischenschaltung eines externen Dritten (z.B. in der Form des Richtervorbehalts oder der Einschaltung eines Ombudsmanns oder einer sonstigen Behörde) denkbar sind. Konsequenterweise überlässt es das Bundesverfassungsgericht dem Landesgesetzgeber, statt der Einschaltung eines Betreuers mögliche andere Ausgestaltungen der Zwischenschaltung eines externen Dritten zu wählen (BVerfG a.a.O. Rn. 71 a.E.: „ Die Ausgestaltung der Art und Weise, in der sichergestellt wird, dass vor Durchführung einer Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugszieles eine - sich nicht in bloßer Schreibtischroutine erschöpfende - Prüfung in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung stattfindet, ist danach Sache der jeweils zuständigen Gesetzgeber“.).
27 
Darüber hinaus unterliegt die Entscheidung des Betreuers zur Zwangsmedikation im Rahmen der Unterbringung mittelbar einer vorgeschalteten gerichtlichen Überprüfung, so dass auch der vom Bundesverfassungsgericht alternativ erwähnte Richtervorbehalt gesetzlich geregelt ist. Denn wenngleich das Bundesverfassungsgericht der Einschaltung eines Betreuers eine grundrechtsschützende Funktion zukommen lässt, führt dies nach den Regeln des Betreuungsrechts gleichwohl nicht automatisch dazu, dass der entgegenstehende natürliche Wille des untergebrachten Betroffenen allein auf Grund der Einwilligung des Betreuers ohne weiteres überwunden werden dürfte. Die Frage, ob der Betreuer seine Zustimmung gegen den Willen des Betroffenen erteilen darf, ist von der Frage, ob nach Zustimmung des Betreuers der entgegenstehende natürliche Wille des Betroffenen auch tatsächlich mit Zwang überwunden werden darf, zu trennen (so bereits BGH, Beschluss vom 01.02.2006 - XII ZB 236/05 - zitiert nach juris Rn. 20). Die Beantwortung dieser weitergehenden Frage bedarf einer besonders sorgfältigen Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Unterbringung (BGH a.a.O. zitiert nach juris Rn. 11). In diesem Zusammenhang ist von den Betreuungsgerichten mit Blick auf die Zwangsmedikation im Betreuungsrecht auch weiterhin sorgfältig zu prüfen, ob die mit der Unterbringung verbundenen Nachteile so gewichtig sind, dass die Genehmigung der Unterbringung zu versagen ist.
d.
28 
Diesen - bereits bisher in der Rechtsprechung verfolgten Ansatz - scheint auch der Bundesgerichtshof im Anschluss an die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Zwangsmedikation im Maßregelvollzug konsequent weiter zu verfolgen, da eine etwaige fehlende Ermächtigungsgrundlage für eine Unterbringung zur Heilbehandlung offensichtlich nicht erwogen wird (siehe BGH, Beschluss vom 14.12.2011 - XII ZB 171/11- zitiert nach juris Rn. 10ff).
2.2.
29 
Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
30 
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
a.
31 
Es ist auf Grund der derzeit akuten paranoiden Schizophrenie erforderlich, die Betroffene einer Heilbehandlung in Form einer medikamentösen Behandlung einschließlich der psychiatrischen Cotherapien zu unterziehen. Diese Maßnahmen können nicht ohne Unterbringung ergriffen werden, da die Betroffene auf Grund ihrer psychischen Krankheit die Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht erkennen kann.
b.
32 
Mildere Mittel als die Unterbringung kommen derzeit zur Sicherstellung der Heilbehandlung nicht in Betracht, da die Betroffene für etwaige Hilfen des Betreuers, ihrer Tochter oder sonstiger Dritter nicht zugänglich ist und ihre Handlungen ausschließlich ihrem wahnhaften Erleben anpasst. Da die Betroffene krankheitsuneinsichtig ist, sich verfolgt fühlt und sich unliebsamer Beaufsichtigung konsequent entzieht, ist insbesondere die regelmäßige Überwachung der Einnahme von Medikamenten außerhalb der Unterbringung nicht zu gewährleisten.
c.
33 
Die Unterbringung ist unter Berücksichtigung der Gesamtumstände auch verhältnismäßig im engeren Sinne, da davon auszugehen ist, dass die zu erwartenden Vorteile der Unterbringung die mit ihr verbundenen Nachteile überwiegen. Frau Dr. R. hatte in ihrem Gutachten vom 24.03.2012 überzeugend ausgeführt, dass die Betroffene bereits in der Vergangenheit zunächst gegen ihren Willen behandelt werden musste und sodann zwischen 2004 und 2009 regelmäßig Medikamente genommen habe, wodurch es ihr gelungen sei, sich zu stabilisieren und ein soziales Netz aufzubauen. Diese Medikation sei in Rücksprache mit der behandelnden Ärztin vor 2 Jahren zunächst reduziert und dann abgesetzt worden, woraufhin die Betroffene weitere 2 Jahre in einem psychisch stabilen Zustand verblieben sei. Ungefähr seit Januar hätten sich wieder Krankheitssymptome in Form von Unruhe, Getriebenheit, Gereiztheit und Krankheitsuneinsichtigkeit gezeigt, wobei der dringende Verdacht eines wahnhaften Erlebens mit Beziehungsideen vorliege. Es sei angesichts der Krankheitsgeschichte zu befürchten, dass sich das Krankheitsbild bei fehlender Behandlung in seiner Ausprägung verstärke. Der vorherige Krankheitsverlauf spreche dafür, dass ohne die Unterbringung eine Zunahme der Progredienz einhergehend mit einer Eigen- und Fremdgefährdung eintreten werde. In der Ergänzung zum Gutachten mit Datum vom 25.04.2012 erkannte Frau Dr. R. für die Kammer nachvollziehbar und in Übereinstimmung mit der behandelnden Ärztin Dr. Sch. bereits eine Eigengefährdung, nachdem die Betroffene im Straßenverkehr zwischen Autos und Straßenbahnen herumirrte und von Todesphantasien gesprochen hatte. Diese gutachterlichen Feststellungen decken sich mit den Angaben der Tochter der Betroffenen, des Betreuers und der Verfahrenspflegerin sowie mit der ursprünglichen Betreuungsanregung. Nach dem Verhalten, das die Betroffene auch bei ihrer persönlichen Anhörung zeigte, schließt sich die Kammer den Ausführungen der Sachverständigen vollumfänglich an.
d.
34 
Bei der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit hat die Kammer auch berücksichtigt, dass die Betroffene während der Unterbringung entgegen ihrem natürlichen Willen mit Medikamenten versorgt werden soll. Derzeit wird die Betroffene mit einer neuroleptischen Depotspritze behandelt. Die behandelnde Ärztin, Dr. Sch., führte aus, dass mögliche unerwünschte Nebenwirkungen in Form von extrapyramidalen motorischen Auswirkungen (z.B. Zittern, Unsicherheit des Gangs, Steifigkeit der Muskeln, Schluckbeschwerden) bisher bei der Betroffenen nicht aufgetreten seien. Sobald die Medikation abgesetzt würde, würden jedoch etwaige unerwünschte Nebenwirkungen nach kurzer Zeit ohnehin folgenlos abklingen. Demgegenüber sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass bereits nach der zweiten Depotspritze eine positive Wirkung in Form einer Reduktion des wahnhaften Erlebens eintrete. Sie führte überzeugend weiter aus, dass es sich vorliegend erst um die 2. Krankheitsphase handle. Bei einer entsprechenden Behandlung sei mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass eine Vollremission, d.h. eine Wiederherstellung der psychischen Stabilität ohne Beeinträchtigung, zu erzielen sei. Zumindest aber sei eine Teilremission zu erwarten, so dass die Betroffene mit leichter Beeinträchtigung außerhalb einer Einrichtung leben könne.
35 
Neben den naheliegenden und schwerwiegenden Gefahren der Selbstschädigung bis hin zur Selbsttötung und der Chronifizierung der Erkrankung, die der Betroffenen ohne die Unterbringung zur Heilbehandlung drohen, hat die Kammer vor allem den zu erwartenden günstigen Verlauf der Erkrankung nach Beendigung der Unterbringung berücksichtigt. Da die Betroffene jedenfalls derzeit nicht unter unerwünschten Nebenwirkungen leidet und die begründete Aussicht auf eine Wiederherstellung der psychischen Stabilität besteht, steht fest, dass auch bei Berücksichtigung einer gewissen „Freiheit zur Krankheit“ (BGH, Beschluss vom 01.02.2006 -XII ZB 236/05 - zitiert nach juris Rn. 9f mwN) die Unterbringung der Betroffenen zum Zwecke der Heilbehandlung gegen deren Willen verhältnismäßig ist.
3.
36 
Der Festsetzung der Zeitdauer für die Genehmigung der Unterbringung hat die Kammer die Ausführungen der Sachverständigen Dr. R. zugrundegelegt, wonach ein Zeitraum von bis zu 3 Monaten für die Unterbringung zur Heilbehandlung und lediglich von bis zu 2 Monaten für die Unterbringung wegen Eigengefährdung erforderlich sei. Angesichts der Tatsache, dass die derzeit behandelnde Ärztin für die Unterbringung zur Heilbehandlung einen Zeitraum von mindestens 6 bis 8 Wochen und für die Unterbringung wegen Eigengefährdung von 8 Wochen als ausreichend erachtete, geht die Kammer davon aus, dass ein Zeitraum von mindestens 8 Wochen erforderlich ist, um im Rahmen der Heilbehandlung einen Erfolg zu erzielen.
4.
37 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG, die Entscheidung über den Geschäftswert auf §§ 131 Abs. 4, 30 KostO.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Landgericht Freiburg Beschluss, 16. Mai 2012 - 4 T 93/12

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

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(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 68 Gang des Beschwerdeverfahrens


(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 303 Ergänzende Vorschriften über die Beschwerde


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Tenor 1. § 8 Absatz 2 Satz 2 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UBG) vom 2. Dezember 1991 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg

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(1) Das Recht der Beschwerde steht der zuständigen Behörde gegen Entscheidungen über

1.
die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Umfang, Inhalt oder Bestand einer in Nummer 1 genannten Maßnahme
zu.

(2) Das Recht der Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung steht im Interesse des Betroffenen

1.
dessen Ehegatten oder Lebenspartner, wenn die Ehegatten oder Lebenspartner nicht dauernd getrennt leben, sowie den Eltern, Großeltern, Pflegeeltern, Abkömmlingen und Geschwistern des Betroffenen sowie
2.
einer Person seines Vertrauens
zu, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind.

(3) Das Recht der Beschwerde steht dem Verfahrenspfleger zu.

(4) Der Betreuer oder der Vorsorgebevollmächtigte kann gegen eine Entscheidung, die seinen Aufgabenkreis betrifft, auch im Namen des Betroffenen Beschwerde einlegen. Führen mehrere Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigte ihr Amt gemeinschaftlich, kann jeder von ihnen für den Betroffenen selbständig Beschwerde einlegen.

(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.

(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.

(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:

1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

(1) Die Aufnahme des Zeugenbeweises darf einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht nur übertragen werden, wenn von vornherein anzunehmen ist, dass das Prozessgericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag, und

1.
wenn zur Ausmittlung der Wahrheit die Vernehmung des Zeugen an Ort und Stelle dienlich erscheint oder nach gesetzlicher Vorschrift der Zeuge nicht an der Gerichtsstelle, sondern an einem anderen Ort zu vernehmen ist;
2.
wenn der Zeuge verhindert ist, vor dem Prozessgericht zu erscheinen und eine Zeugenvernehmung nach § 128a Abs. 2 nicht stattfindet;
3.
wenn dem Zeugen das Erscheinen vor dem Prozessgericht wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann und eine Zeugenvernehmung nach § 128a Abs. 2 nicht stattfindet.

(1a) Einem Mitglied des Prozessgerichts darf die Aufnahme des Zeugenbeweises auch dann übertragen werden, wenn dies zur Vereinfachung der Verhandlung vor dem Prozessgericht zweckmäßig erscheint und wenn von vornherein anzunehmen ist, dass das Prozessgericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag.

(2) Der Bundespräsident ist in seiner Wohnung zu vernehmen.

Tenor

1. § 8 Absatz 2 Satz 2 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UBG) vom 2. Dezember 1991 (Gesetzblatt für Baden-WürttembergSeite 794) ist mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

2. Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 8. Februar 2011 - 2 Ws 161/10 - und des Landgerichts Heidelberg vom 3. Mai 2010 - 7 StVK 139/09 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Heidelberg zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

I.

1

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten auf der Grundlage des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UBG BW) vom 2. Dezember 1991 (GBl S. 794, zuletzt geändert durch Art. 9 des Vierten Gesetzes zur Bereinigung des baden-württembergischen Landesrechts vom 4. Mai 2009, GBl S. 195, 199). Die einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzes lauten:

2

§ 8

3

Heilbehandlung

4

(1) Wer auf Grund dieses Gesetzes in einer anerkannten Einrichtung untergebracht ist, hat Anspruch auf notwendige Heilbehandlung. Die Heilbehandlung umfaßt auch Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Untergebrachten nach seiner Entlassung ein eigenverantwortliches Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.

5

(2) Der Untergebrachte ist über die beabsichtigte Untersuchung oder Behandlung angemessen aufzuklären. Er hat diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen zu dulden, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, soweit die Untersuchung oder Behandlung nicht unter Absatz 3 fällt.

6

(3) Erfordert die Untersuchung oder Behandlung einen operativen Eingriff oder ist sie mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden, darf sie nur mit der Einwilligung des Untergebrachten vorgenommen werden.

7

(4) Ist der Untergebrachte in den Fällen des Absatzes 3 nicht fähig, Grund, Bedeutung oder Tragweite der Untersuchung oder Behandlung einzusehen oder seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, so ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters maßgeblich. Besitzt der Untergebrachte die in Satz 1 genannten Fähigkeiten, ist er aber geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig, so ist neben der Einwilligung des Untergebrachten die des gesetzlichen Vertreters erforderlich.

8

§ 12

9

Unmittelbarer Zwang

10

(1) Bedienstete der anerkannten Einrichtungen dürfen gegen Untergebrachte unmittelbaren Zwang nur dann anwenden, wenn der Untergebrachte zur Duldung der Maßnahme verpflichtet ist. Unmittelbarer Zwang zur Untersuchung und Behandlung ist nur auf ärztliche Anordnung zulässig.

11

(2) Unmittelbarer Zwang ist vorher anzukündigen. Die Ankündigung darf nur dann unterbleiben, wenn die Umstände sie nicht zulassen.

12

§ 15

13

Maßregelvollzug

14

(1) Für den Vollzug der durch rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt gelten die §§ 7 bis 10 und 12 entsprechend.

15

(...)

16

2. Der Beschwerdeführer ist seit dem Jahr 2005, unterbrochen nur durch vorübergehende Verlegung, im Maßregelvollzug im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN), Wiesloch, untergebracht. Nach dem Strafurteil, das der Unterbringung zugrundeliegt, leidet er an einer multiplen Störung der Sexualpräferenz und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Im Juni 2009 kündigte die Maßregelvollzugsklinik dem Beschwerdeführer an, dass er mit dem Neuroleptikum Abilify behandelt werden und diese Behandlung erforderlichenfalls auch gegen seinen Willen - durch Injektion unter Fesselung - durchgeführt werden solle.

17

Hiergegen beantragte der Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG. Eine zwangsweise Medikamentengabe, insbesondere die Verabreichung von Neuroleptika, sei seit Beginn seiner Unterbringung niemals angeordnet oder für erforderlich gehalten worden und auch derzeit nicht erforderlich. Zur Begründung der Maßnahme habe man ihm erklärt, dass die Anordnung unter anderem deswegen erfolgt sei, weil er stets seine Interessen auf juristischem Wege verfolge und man ihn nunmehr zur Einsicht zwingen werde. Die zwangsweise Verabreichung von Neuroleptika sei für ihn jedoch wegen einer Herzerkrankung (Mitralklappenprolapssyndrom, bereits erlittener Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen) mit erheblicher Gefahr für Leben und Gesundheit verbunden. Nach § 15 Abs. 1, § 8 Abs. 3 UBG BW sei sie daher ohne seine Einwilligung nicht zulässig. Die geplante Verabreichung gegen seinen ausdrücklichen Willen verstoße darüber hinaus gegen sein allgemeines Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht. Sie sei zudem medizinisch nicht indiziert; auch insoweit sei eine unabhängige sachverständige Begutachtung erforderlich. Zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen sei die Verabreichung von Neuroleptika nicht zwingend erforderlich. Das medizinische Risiko stehe angesichts der massiven Nebenwirkungen außer Verhältnis zum beabsichtigten Behandlungserfolg.

18

3. Nachdem die Strafvollstreckungskammer der Maßregelvollzugsklinik zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig die Verabreichung von Abilify oder anderen Neuroleptika untersagt und zur Frage der Behandlungsrisiken aus kardiologischer und internistischer Sicht ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte, wies sie mit angegriffenem Beschluss vom 3. Mai 2010 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurück.

19

Nach dem eingeholten Gutachten und der Stellungnahme der Klinik hierzu könnten aus kardiologischer und internistischer Sicht gesundheitliche Risiken, die den Nutzen der Medikation überstiegen, ausgeschlossen werden. Aus dem Sachverständigengutachten ergebe sich ausdrücklich, dass aus kardiologischer Sicht Kontraindikationen für die Anwendung eines Neuroleptikums nicht bestünden. Dem Gutachten zufolge habe die Untersuchung des Beschwerdeführers keinen wesentlichen Mitralklappenprolaps nachweisen können; es zeige sich allenfalls eine minimale Mitralklappeninsuffizienz, die einer Behandlung mit Neuroleptika nicht entgegenstehe. Nach diesem überzeugenden Gutachten, dem die Klinik sich angeschlossen habe und das die Kammer sich zu eigen mache, könne der Antrag des Beschwerdeführers keinen Erfolg haben. Die Behandlung solle jedoch mit den vom Sachverständigen beschriebenen Vorsichtsmaßnahmenerfolgen. Dem weiteren Antrag auf Einholung eines Gutachtens zur Notwendigkeit der Behandlung mit Neuroleptika sei nicht nachzukommen gewesen. Die Klinik habe die Notwendigkeit einer solchen Behandlung im bisherigen Verfahren bereits dezidiert und überzeugend damit begründet, dass wegen des Misstrauens und der Feindseligkeit, die der Beschwerdeführer seinen Behandlern entgegenbringe und die auf sei- ne Persönlichkeitsstörung zurückzuführen seien, allein mit einer psychotherapeutischen Behandlung, wie der Behandlungsverlauf der letzten vier Jahre eindeutig belege, keine Fortschritte erzielt werden könnten. Die zusätzliche Behandlung mit Neuroleptika sei nach den Ausführungen der Klinik erforderlich, um die paranoiden Anteile der Persönlichkeitsstörung zurückzudrängen und das Misstrauen des Beschwerdeführers zu verringern, da sonst mit einer unabsehbar langen Verweildauer in der Unterbringung zu rechnen sei. Dem schließe die Kammer sich an.

20

4. Der Beschwerdeführer erhob Rechtsbeschwerde (§ 116 StVollzG). Die Ausführungen des Sachverständigen hätten zu einer anderen als der getroffenen Beurteilung führen müssen. Die Auflistung der erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen im Sachverständigengutachten wecke nicht nur Ängste, sondern werfe auch die Frage der Verhältnismäßigkeit auf. Das mit der Medikation verfolgte Ziel sei nicht klar definiert, nach derzeitigem Kenntnisstand solle eher "herumexperimentiert" werden. Der Sachverständige verweise zudem auf eine weitere Einschränkung, nämlich auf die zwingende Notwendigkeit einer strengen psychiatrischen Indikationsstellung. Daran fehle es. Allein Psychosen seien mit Neuroleptika zu behandeln. Beim Beschwerdeführer seien bislang nur Persönlichkeitsstörungen, von keinem einzigen Gutachter dagegen eine Psychose diagnostiziert worden. Die Klinik nenne allein den Grund, dass der Beschwerdeführer endlich eine vermeintliche Pädophilie einräumen solle, die er bislang abstreite. Mit der Verabreichung von Neuroleptika könne dieses Ziel aber nicht erreicht werden. Aus medizinischer Sicht spreche im Gegenteil einiges dafür, dass aufgrund der inneren Abwehrhaltung des Beschwerdeführers das Neuroleptikum den gewünschten Zielerfolg gerade nicht erreichen werde, denn Neuroleptika seien nicht zur Beseitigung einer inneren Abwehrhaltung, sondern allein zur Beseitigung von Psychosen geeignet. Demgemäß habe der Beschwerdeführer im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer die Einschaltung eines unabhängigen psychiatrischen Gutachters zur Klärung der psychiatrischen Indikation beantragt.

21

5. Das Oberlandesgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss vom 8. Februar 2011 die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG lägen nicht vor.

22

Es sei nicht geboten, die Nachprüfung der gerichtlichen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Der vorliegende Einzelfall gebe keinen Anlass zur Aufstellung von Leitsätzen für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften oder zur Ausfüllung von Gesetzeslücken. Rechtsgrundlage der Zwangsbehandlung sei § 138 Abs. 1 StVollzG in Verbindung mit den landesrechtlichen Unterbringungsgesetzen. Eine Behandlung gegen den Willen des Untergebrachten sei daher zulässig, wenn sie auf der Grundlage und unter Berücksichtigung der Voraussetzungen einer landesrechtlichen Vorschrift erfolge und der Bekämpfung der Anlasserkrankung diene. In diesen Fällen stelle die erzwungene Behandlung - die Wahrung der Verhältnismäßigkeitvorausgesetzt - auch keinen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Maßnahmen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich seien, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, hätten Maßregelvollzugspatienten gemäß § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW zu dulden. Eingriffe und Behandlungen, die mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit verbunden seien, bedürften nach § 8 Abs. 3 UBG BW allerdings der Einwilligung des Untergebrachten. Eine zwangsweise Gabe von Psychopharmaka zur Behandlung der Anlasskrankheit sei danach zulässig, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst indiziert und erforderlich sei und keine erheblichen Gesundheitsgefahren damit verbunden seien. Die behandelnden Ärzte verfügten in Bezug auf Diagnose und Indikation über einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum. Da der vorliegende Fall hinsichtlich dieser gesetzlichen Vorgaben keine besonderen rechtlichen Probleme aufgeworfen habe, sei eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nicht gefordert.

23

Die Nachprüfung des angegriffenen Beschlusses sei auch nicht zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung geboten, weil die angefochtene Entscheidung rechtsfehlerfrei ergangen sei. Die - gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare - medizinische Indikation habe die Strafvollstreckungskammer auf die nachvollziehbare Stellungnahme der Klinik gestützt, die im besonderen Fall des Beschwerdeführers eine Behandlung der Persönlichkeitsstörung auch mit Neuroleptika für angezeigt halte. Es sei nicht ersichtlich, dass die Regeln der ärztlichen Kunst dabei außer Acht gelassen worden seien. Hinsichtlich der weiteren und für den Beschwerdeführer ersichtlich bedeutsamen Frage, ob die Gabe von Neuroleptika wegen einer kardialen Vorerkrankung mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit im Sinne des § 8 Abs. 3 UBG BW verbunden sei, habe die Strafvollstreckungskammer ein externes kardiologisches Gutachten eingeholt und das Vorliegen dieser Gefahren auf der Grundlage des Gutachtens nachvollziehbar verneint.

II.

24

1. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der - hier nicht mehr anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer, die angegriffenen Beschlüsse verletzten ihn in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Die zwangsweise Verabreichung von Medikamenten gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen sei nicht zulässig. Eine mit einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben verbundene Behandlung bedürfe nach § 15 Abs. 1 und § 8 Abs. 3 UBG BW der Einwilligung des Betroffenen. Sein Herzklappenfehler und die Unverträglichkeiten, an denen er leide, würden einfach ignoriert. Die Klinik wolle nur seine Einsicht wecken und unterstelle eine Denkblockade. Man dürfe ihm nicht zwangsweise Medikamente verabreichen, wenn keine Psychose vorliege, erst recht nicht, wenn es nie zu Bedrohungen oder Übergriffen gekommen sei, und schon gar nicht wegen einer bloßen - angeblichen - Denkblockade. Neuroleptika seien nur zur Behandlung von Psychosen entwickelt worden. Das Land Baden-Württemberg nehme damit, dass es hier möglich sein solle, jemanden auch dann zwangszumedizieren, wenn, wie in seinem Fall, keine Psychose, sondern nur eine Persönlichkeitsstörung vorliege, eine Sonderrolle ein. Eine scharfe psychiatrische Indikation sei nicht gestellt. Er leide massivst unter den Nebenwirkungen der Medikation; diese verursache ihm Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen, unangenehmes Gefühl im Magen, Benommenheit, Schläfrigkeit, verschwommenes Sehen und Blickfeldeinengung. Mit diesen Nebenwirkungen könne er sich auch nicht wie im Normalzustand konzentrieren. Im Übrigen verweist der Beschwerdeführer auf seine Schriftsätze aus dem fachgerichtlichen Verfahren.

25

2. Auf Antrag des Beschwerdeführers hat die 3. Kammer des Zweiten Senats durch Beschluss vom 21. April 2011 (- 2 BvR 633/11 -, EuGRZ 2011, S. 339 f.) dem Psychiatrischen Zentrum Nordbaden, Wiesloch, sowie dem Klinikum am Weissenhof, Weinsberg, in das der Beschwerdeführer zwischenzeitlich vorübergehend verlegt worden war, im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 32 BVerfGG) bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, untersagt, die angedrohte Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers mit dem Neuroleptikum Abilify zu vollziehen.

III.

26

1. Neben dem gemäß § 94 Abs. 2 BVerfGG anzuhörenden baden-württembergischen Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren erhielten gemäß § 94 Abs. 4 in Verbindung mit § 77 Nr. 1, § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, der Landtag und die Landesregierung von Baden-Württemberg, jeweils unter Hinweis auf den zu Fragen der Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug ergangenen Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, Gelegenheit zur Äußerung.

27

Das baden-württembergische Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren hat wie folgt Stellung genommen: Gemäß § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 UBG BW bedürfe eine Untersuchung oder Behandlung nur dann der Einwilligung des Untergebrachten, wenn sie einen operativen Eingriff erfordere oder mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sei. Beides sei bei der vorliegenden Art der Medikation nicht der Fall. Eine Einwilligung des Beschwerdeführers sei daher nicht erforderlich gewesen. Die von ihm befürchteten lebensgefährlichen Nebenwirkungen hätten nach dem eingeholten Gutachten ausgeschlossen werden können. Im Übrigen handele es sich bei Neuroleptika um eine der weltweit am häufigsten verordneten Medikamentengruppen, bei denen der Nutzen bei weitem etwaige seltene ernstere Risiken überwiege. Die von der Maßregelvollzugsklinik beabsichtigte Medikation habe den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW entsprochen, da mit ihr die Krankheit des Beschwerdeführers habe behandelt werden sollen. Im Unterschied zu dem Fall, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 zugrundegelegen habe - dort sei eine für die Anlasstat ursächliche paranoide Psychose behandelt worden -, leide der Beschwerdeführer unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Bei einer Persönlichkeitsstörung könne die Behandlung mit Neuroleptika erforderlich sein, um die paranoiden Anteile der Störung zurückzudrängen und das Misstrauen des Patienten gegenüber seinen Behandlern zu verringern. Dies könne dazu beitragen, dem betroffenen Patienten eine konkrete Entlassungsperspektive zu eröffnen. Diesen Zweck verfolge die beabsichtigte Behandlung. Eine zwangsweise Verabreichung der Medikamente sei insbesondere dann angezeigt, wenn der Patient ohne die Medikation krankheitsbedingt nicht einsichtsfähig sei und der Eingriff darauf abziele, die tatsächlichen Voraussetzungen freier Selbstbestimmung des Untergebrachten wiederherzustellen.Vorliegend sei ohne die Medikation mit einer unabsehbar langen Verweildauer des Beschwerdeführers im Maßregelvollzug zu rechnen. Dem solle mit der Zwangsmedikation entgegengewirkt werden. Die Forensischen Kliniken in Baden-Württemberg seien sich stets bewusst, dass Zwangsbehandlungen gravierende Eingriffe in die grundgesetzlich geschützten Rechte der untergebrachten Patienten darstellten. Daher sollten diese, sofern überhaupt für notwendig erachtet, mit großer Umsicht durchgeführt werden. Stets werde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Die Zwangsmedikation erfolge nur dann, wenn weniger einschneidende Maßnahmen - wie beispielsweise eine Psychotherapie - zu keinen oder nur zu geringen Fortschritten bei der Behandlung der Krankheit führten und die medikamentöse Behandlung damit ein geeignetes und im Hinblick auf den Erfolg das mildeste Mittel sei. Aus diesem Grund habe sich auch das Psychiatrische Zentrum Nordbaden entschlossen, dem Beschwerdeführer die Medikamente zu verabreichen. Im Übrigen sei Voraussetzung jeder Zwangsmedikation deren ärztliche Verordnung und Überwachung.

28

Die weiteren Äußerungsberechtigten haben keine Stellungnahme abgegeben.

29

2. Dem Senat haben die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens vorgelegen.

B.

I.

30

Die Verfassungsbeschwerde ist im Wesentlichen zulässig.

31

1. Unzulässig sind allerdings die Rügen, mit denen der Beschwerdeführer geltend macht, die Bedeutung einer bei ihm vorliegenden Herzerkrankung und damit zusammenhängender Unverträglichkeiten für die Zulässigkeit der angefochtenen Zwangsmedikation mit Neuroleptika sei von den Gerichten unter Verstoß gegen grundrechtliche Anforderungen unzutreffend gewürdigt worden. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde nicht ausreichend begründet, weil der Beschwerdeführer das im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer eingeholte Sachverständigengutachten, auf dessen Grundlage die Gerichte entschieden haben und ohne dessen Kenntnis die Berechtigung seiner diesbezüglichen Rügen sich nicht beurteilen lässt, weder vorgelegt noch im Einzelnen wiedergegeben hat (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfGK 5, 170 <171>).

32

2. Die Unzulässigkeit der den Umgang mit der behaupteten Vorerkrankung betreffenden Rügen berührt nicht die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde im Übrigen. Der Beschwerdeführer sieht sich auch dadurch in Grundrechten verletzt, dass die angegriffenen Beschlüsse die von ihm beanstandete neuroleptische Zwangsmedikation als rechtmäßig bestätigt haben, obwohl sie in seinem - durch das Vorliegen einer bloßen Persönlichkeitsstörung, keiner Psychose, gekennzeichneten - Fall medizinisch nicht angezeigt, zur Erreichung des angestrebten Behandlungserfolgs daher nicht geeignet und auch im Übrigen, ganz unabhängig von den bei ihm bestehenden besonderen gesundheitlichen Risiken, unverhältnismäßig sei, und obwohl die insoweit erforderliche Sachverhaltsaufklärung durch Einholung eines unabhängigen Gutachtens nicht stattgefunden habe.

33

3. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht insoweit auch nicht der Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>) im Hinblick darauf entgegen, dass der Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren nicht ausdrücklich auch die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlagen seiner Zwangsbehandlung in Frage gestellt hat. Es kann offen bleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit bereits sein Vorbringen vor den Fachgerichten, da objektiv auch die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung nach dem baden-württembergischen Unterbringungsgesetz betreffend, als sinngemäß auch gegen diese gerichtet auszulegen war. Auch wenn davon auszugehen wäre, dass der Beschwerdeführer sich im fachgerichtlichen Verfahren darauf beschränkt hat, auf eine seine Grundrechte nicht verletzende Anwendung der ihn betreffenden Gesetzesbestimmungen hinzuwirken, wäre ihm dies nicht als unzureichende Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes entgegenzuhalten (vgl. BVerfGE 112, 50 <60 ff., 63>). Insbesondere handelt es sich bei den Fragen, die der vorliegende Fall hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten gesetzlichen Vorschriften aufwirft, nicht um solche, zu deren Prüfung die Gerichte nur auf der Grundlage - hinreichend substantiierten - klägerischen Vorbringens angehalten sind (vgl. BVerfGE 112, 50 <62>; Beispiel etwa BVerfGE 115, 118 <135 f.>).

II.

34

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit zulässig, begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

35

1. Die medizinische Zwangsbehandlung eines Untergebrachten greift in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein, das die körperliche Integrität des Grundrechtsträgersund damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht schützt (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, EuGRZ 2011, S. 321 <326>). Entsprechendes gilt für die angegriffenen Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers als rechtmäßig bestätigen.

36

Die Eingriffsqualität entfällt nicht bereits dann, wenn der Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand entgegensetzt (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 326). Eine Zwangsbehandlung im Sinne einer medizinischen Behandlung, die gegen den Willen des Betroffenen erfolgt, liegt unabhängig davon vor, ob eine gewaltsame Durchsetzung der Maßnahme erforderlich wird oder der Betroffene sich, etwa weil er die Aussichtslosigkeit eines körperlichen Widerstandes erkennt, ungeachtet fortbestehender Ablehnung in die Maßnahme fügt und damit die Anwendung körperlicher Gewalt entbehrlich macht (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 332). Dem grundrechtseingreifenden Charakter der angegriffenen Entscheidungen steht es daher nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer sich unter der Drohung, dass man ihm das Neuroleptikum anderenfalls zwangsweise unter Fesselung injizieren würde, zur Vermeidung des zusätzlichen Übels der Gewaltanwendung zunächst auf die Einnahme der Medikamente eingelassen hatte.

37

2. Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten kann allerdings ungeachtet der besonderen Schwere des darin liegenden Eingriffs durch das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst gerechtfertigt sein. Dies gilt auch für eine Zwangsbehandlung zur Erreichung des Ziels des Maßregelvollzuges.Die Voraussetzungen hierfür hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23. März 2011 geklärt (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 327 f.).

38

3. Nach den in diesem Beschluss konkretisierten Maßstäben verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer bereits deshalb in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, weil es für die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers, die sie als rechtmäßig bestätigen, an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt. § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und nichtig.

39

a) Die medizinische Zwangsbehandlung des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels ist nach dieser Vorschrift nicht, wie verfassungsrechtlich geboten (s. im Einzelnen BVerfG, a.a.O., S. 328 f., 332), auf die Fälle seiner krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit begrenzt.

40

Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW hat der Betroffene diejenigen Untersuchungs- und Heilmaßnahmen zu dulden, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, soweit die Untersuchung oder Behandlung nicht unter Absatz 3 - d. h. unter das Einwilligungserfordernis für operative Eingriffe und Eingriffe, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind - fällt.

41

In der vorgesehenen Bindung an die Regeln der ärztlichen Kunst liegt keine hinreichend deutliche gesetzliche Begrenzung der Möglichkeit der Zwangsbehandlung auf Fälle der fehlenden Einsichtsfähigkeit. Bereits der Umstand, dass eine Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen nur für operative Eingriffe und für Maßnahmen, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit des Untergebrachten verbunden sind, verlangt wird - nur diese bedürfen nach § 8 Abs. 4 Satz 1 UBG BW einer Einwilligung des Betroffenen, die dessen Einwilligungsfähigkeit voraussetzt -, spricht dafür, dass Eingriffe unterhalb der genannten Schwelle unabhängig von der Frage einer krankheitsbedingten Selbstbestimmungsunfähigkeit zugelassen sein sollen. Auch wenn man annehmen wollte, dass zwischen der Fähigkeit zu wirksamer rechtfertigender Einwilligung in eine medizinisch indizierte Behandlung und der Fähigkeit zur Einsicht in die Notwendigkeit der Behandlung zu unterscheiden ist, weil eine psychische Krankheit speziell die letztere Fähigkeit - insbesondere die Fähigkeit, die Risiken der Behandlung nicht zu überschätzen - beeinträchtigen kann, stellt jedenfalls nicht schon der Verweis auf die Regeln der ärztlichen Kunst in der notwendigen Weise klar, dass krankheitsbedingtfehlende Einsichtsfähigkeit Voraussetzung der Zwangsbehandlung ist. In Deutschland existieren, nachdem von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in den neunziger Jahren initiierte Versuche zur Etablierung medizinischer Standards für Zwangsbehandlungen nicht zu einem Ergebnis geführt haben (vgl. Steinert, in: Ketelsen/Schulz/Zechert, Seelische Krise und Aggressivi- tät,2004, S. 44 <47>), keine medizinischen Standards für psychiatrische Zwangsbehandlungen, aus denen mit der notwendigen Deutlichkeit hervorginge, dass Zwangsbehandlungen mit dem Ziel, den Untergebrachten entlassungsfähig zu machen, ausschließlich im Fall krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit zulässig sind. Dass dementsprechend ein Bewusstsein hierfür in den medizinischen und juristischen Fachkreisen noch nicht allgemein verbreitet und eine gesetzliche Regelung, wie im Beschluss des Senats vom 23. März 2011 festgestellt, unverzichtbar ist, illustriert nicht zuletzt der vorliegende Fall, in dem weder die Klinik noch die Fachgerichte sich mit der Frage, ob beim Beschwerdeführer eine krankheitsbedingte Unfähigkeit zur Einsicht in die Notwendigkeit der Behandlung besteht, auch nur ansatzweise auseinandergesetzt haben. Die bloße Feststellung einer Persönlichkeitsstörung beantwortet diese Frage nicht.

42

b) § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW entspricht auch nicht den weiteren aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitenden Anforderungen, denen ein zur medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten ermächtigendes Gesetz genügen muss. Voraussetzung der Zulässigkeit für nicht unter § 8 Abs. 3 UBG BW (operativer Eingriff, erhebliche Lebens- oder Gesundheitsgefahr) fallende Maßnahmen der Zwangsbehandlung ist nach dieser Vorschrift nur, dass sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln. Damit ist dem Erfordernis, die Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung über abstrakte Verhältnismäßigkeitsanforderungen hinaus gesetzlich zu konkretisieren (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 331 f.), nicht genügt.

43

In verfahrensrechtlicher Hinsicht fehlt es beispielsweise an einer angemessenen Regelung des - unabhängig von der Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit des Betroffe- nen bestehenden - Erfordernisses der vorherigen Bemühung um eine auf Vertrauen gegründete, im Rechtssinne freiwillige Zustimmung (vgl. im Einzelnen BVerfG, a.a.O., S. 329, 332). Eine hinreichend konkretisierte Ankündigung ist ebenfalls nicht vorgesehen.§ 8UBG BW enthält hierzu nichts. § 12 Abs. 2 UBG BW fordert eine vorherige Ankündigung nur - sofern die Umstände sie zulassen - für die Anwendung unmittelbaren Zwangs. Mit einer Regelung, die eine Androhung allein für die Anwendung physischen Zwangs vorschreibt, sind jedoch die Fälle, für die das Ankündigungserfordernis von Verfassungs wegen besteht, schon im Ansatz nicht ausreichend erfasst (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 329, 332). Entsprechendes gilt für das Erfordernis der Anordnung und Überwachung durch einen Arzt (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 330). Auch hier greift die Regelung des baden-württembergischen Unterbringungsgesetzes zu kurz, indem sie ein Erfordernis ärztlicher Anordnung nur für den Fall der Anwendung unmittelbaren Zwangs vorsieht (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UBG BW). Weiter fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Regelung zur Dokumentation (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 330, 332). Entgegen den verfassungsrechtlichen Erfordernissen ist auch eine vorausgehende Überprüfung der Maßnahme durch Dritte in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 330, 332) nicht vorgesehen.

44

c) Angesichts der festgestellten Mängel der gesetzlichen Eingriffsgrundlage bedarf es keiner Entscheidung, ob diese selbst und die auf sie gestützten gerichtlichen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 327 ff.) noch in weiteren Hinsichten nicht genügen.

III.

45

1. Die Verfassungswidrigkeit des § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW führt zur Nichtigkeit der Vorschrift. Die Voraussetzungen für eine bloße Unvereinbarerklärung liegen nicht vor (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 332).

46

2. Die angegriffenen Beschlüsse sind aufzuheben, und die Sache ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Landgericht Heidelberg zurückzuverweisen.

47

3. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Tenor

1. Die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts L. vom 26.01.2012 wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.

3. Die Rechtsbeschwerde wird gem. § 70 Abs. 2 FamFG zugelassen.

Gründe

 
I.
Bei der Betroffenen wurde durch Gutachten des Landratsamts L. im November 2011 eine blande Psychose bei vielfältigen sozialen Problemen und eine Borderline Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Die Betroffene war nach Einschätzung des Sachverständigen aufgrund der krankheitsbedingten Auffassungsstörungen, der deutlichen Einschränkung des Urteils- und Kritikvermögens, einer depressiv gehemmten Symptomatik und ihrer Verhaltensstörung auf Dauer nicht in der Lage ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Daraufhin wurde vom zuständigen Betreuungsgericht mit Beschluss vom 14.12.2011 nach Anhörung der Betroffenen eine Betreuung für die Bereiche Vermögenssorge, die Bestimmung des Aufenthalts einschließlich Maßnahmen der Freiheitsbeschränkung und -entziehung sowie der Unterbringung, die medizinische und pflegerische Betreuung und Versorgung, einschließlich der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen und Eingriffe, die Entgegennahme, das Öffnen und Anhalten der Post, Angelegenheiten betreffend der Wohnung der Betroffenen, einschließlich der Hausratsauflösung angeordnet. Die Beteiligte Ziff. 1 wurde zur Betreuerin bestellt.
Am 04.01.2012 stellte die Beteiligte Ziff. 1 beim Amtsgericht L. den Antrag, die betreuungsgerichtliche Genehmigung für eine geschlossene psychiatrische Unterbringung der Betroffenen zu erteilen. Die Betroffene sei sehr stark abgemagert, wegen fehlender Krankheitseinsicht sei eine stationäre Behandlung nur verbunden mit einer freiheitsentziehenden Maßnahme möglich. Durch einstweilige Anordnung vom 09.01.2012 genehmigte das Amtsgericht L. die Unterbringung der Betroffenen auf der geschlossenen Station einer psychiatrischen Einrichtung für die Dauer von zunächst sechs Wochen. Zur Begründung führt es aus, es sehe dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsmaßnahme nach § 1906 Abs. 1 BGB gegeben seien und dass ein Aufschub eine erhebliche Gefahr für die Betroffene bedeuten würde.
Am 10.01.2012 kam die Betroffene in die psychiatrische Abteilung des Klinikums L.. Ein psychiatrisches Gutachten wurde am 12.01.2012 vorgelegt. Darin wird der Verdacht auf paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Die Betroffene reagiere inadäquat, indem sie u. a. im Sitzen schlafe, agiere aufbrausend gegenüber jeder Kontaktaufnahme, ein Gespräch sei mit der Betroffenen nicht möglich. Die Betroffene sei - so die Einschätzung der Sachverständigen - in ihrer freien Willensbildung erheblich eingeschränkt und verweigere jegliche Medikation. Es bestehe krankheitsbedingt die erhebliche Gefahr, dass sie durch ihre eingeschränkte Handlungsfähigkeit aufgrund psychotischer Verkennung sich oder anderen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge.
Mit Schreiben vom 23.01.2012 beantragte die Beteiligte Ziff. 1 die „betreuungsgerichtliche Zustimmung für eine Zwangsmedikation“ nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Die Betroffene reagiere hochgradig aggressiv und werde auch gegenüber Mitpatienten tätlich. Eine Einnahme von Medikamenten lehne sie ab. Mit Beschluss vom 30.01.2012 lehnte das Amtsgericht nach persönlicher Anhörung der Betroffenen die „betreuungsgerichtliche Genehmigung der Zwangsmedikation“ ab. Es verweist auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom März und Oktober 2011, die die bisherige Auslegung des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGBG als Ermächtigungsgrundlage für die gerichtliche Genehmigung einer zwangsweisen Behandlung des Betroffenen nicht mehr erlaube.
Die Beteiligte Ziff. 1 legte mit Schreiben vom 01.02.2011 Beschwerde ein; zur Begründung trägt sie vor, die Betroffene sei hochgradig gesundheitlich eigengefährdet, es sei verantwortungslos, die Betroffene in diesem gesundheitlichen Zustand in die Obdachlosenunterkunft zu entlassen. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 30.01.2012 ist zulässig, in der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg.
Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht, eine Unterbringung zur Heilbehandlung gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, die allein zum Zwecke der zwangsweisen Durchsetzung einer Behandlung angeordnet werden soll, nicht genehmigt.
1.
Die Kammer geht mit dem Bundesverfassungsgericht (NJW 2011, 2113) und dem Bundesgerichtshof (NJW 2006, 1277) davon aus, dass die Verabreichung von Medikamenten gegen den geäußerten Willen des Betroffenen selbst dann einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit darstellt, wenn der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen.
Der Maßnahme kann nicht schon deshalb die Eingriffsqualität abgesprochen werden, weil sie mit Zustimmung oder auf Anordnung des Betreuers erfolgt, der, wenn die Einwilligung des Betroffenen fehlt, diese nach § 1901 BGB ersetzen kann.
10 
Für den Betroffenen wird der Eingriff, der in einer medizinischen Zwangsbehandlung liegt, nicht dadurch weniger belastend, dass gerade ein Betreuer zustimmt (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2118), Rdn. 71). Deshalb ist die Zwangsbehandlung auch im Verhältnis Betreuer - Betroffener als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Rechte des Betroffenen auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit zu werten.
11 
Die Eingriffsqualität einer Zwangsbehandlung entfällt auch nicht deshalb, weil sie etwa zum Zweck der Heilung erfolgen soll, geht es doch um den Schutz auch und insbesondere der Selbstbestimmung.
2.
12 
Ein solcher Grundrechtseingriff ist gem. Art 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG nur aufgrund eines formellen Gesetzes, das - so das BVerfG - die Voraussetzungen des Eingriffs in materieller und formeller Hinsicht ausdrücklich bestimmt, möglich. Dabei müssen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs hinreichend klar und bestimmt geregelt sein, wobei die Anforderung an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit umso strenger sind, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den eine Norm vorsieht. Für die näheren Anforderungen kann, nicht zuletzt hinsichtlich der Frage, inwieweit Maßgaben, die sich aus dem Grundgesetz ableiten lassen, ausdrücklicher und konkretisierender Festlegung im einfachen Gesetz bedürfen, auch der jeweilige Kreis der Normanwender und Normbetroffenen von Bedeutung sein (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2119), Rdn. 73).
13 
In der Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka sieht die Kammer mit dem BVerfG (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2114), Rdn. 44) schon angesichts der Wirkweise der Medikamente, die seelische Veränderungen bezwecken, einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen. Der Kreis der Normbetroffenen besteht jedenfalls zum Teil aus schwer psychisch Kranken. Diese Umstände begründen hohe Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Ermächtigungsnorm. Für die aktuell oder potentiell betroffenen Untergebrachten sowie für die zur Normanwendung in erster Linie berufenen Entscheidungsträger, die einer klaren, Rechtssicherheit vermittelnden Eingriffsgrundlage auch im eigenen Interesse bedürfen, müssen die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung zur Erreichung eines fest definierten Zwecks erkennbar sein (vgl. BVerfG, NJW 2011, 2113 (2119), Rdn. 74).
a)
14 
Im Einzelnen ist den Entscheidungen des BVerfG zu entnehmen, dass eine Zwangsbehandlung im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung nur für die Fälle gesetzlich vorgesehen werden kann, in denen eine Einwilligung in die Behandlung an der krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit des Betroffenen scheitert. Eine Behandlung unter Zwang darf nur als letztes Mittel und nur dann eingesetzt werden, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg verspricht und für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden ist, die außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen stehen. Dies muss sich in hinreichend konkretem Maße bereits aus der gesetzlichen Ermächtigung ergeben. Eine Norm, die lediglich vorsieht, dass die Maßnahmen dem Betroffenen zumutbar sein müssen und nicht außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg stehen dürfen, hat das BVerfG als nicht hinreichend konkret angesehen (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2120), Rdn. 77).
15 
Weiterhin muss nach den Vorgaben des BVerfG die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, die eine Zwangsbehandlung im Bereich der öffentlich-rechtlichen Unterbringung rechtfertigt, verfahrensrechtliche Vorgaben enthalten: Eine Zwangsbehandlung darf nur auf Anordnung und unter der Leitung eines Arztes und nach vorheriger Ankündigung, unter vorgegebenen Regeln für die Dokumentation durchgeführt werden. Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss klarstellen, dass eine Zwangsbehandlung nur nach vorheriger Bemühung um eine auf Vertrauen gegründeten, im Rechtssinne freiwilligen Zustimmung angeordnet werden darf, zudem muss sie eine vorausgehende Überprüfung der Maßnahme durch Dritte in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung vorsehen (BVerfG, NJW 2011, 3571 (3572), Rdn. 43 und 44; NJW 2011, 2113 (2120), Rdn. 79 f.).
16 
Dabei hat das BVerfG ausdrücklich festgestellt, dass die wesentlichen Voraussetzungen der Zwangsbehandlung aus dem Gesetz selbst erkennbar sein müssen und etwaigen Mängeln der gesetzlichen Regelung nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung abgeholfen werden kann (BVerfG, NJW 2117 (2113), Rdn. 74, 80)
b)
17 
Richtigerweise geht das Amtsgericht davon aus, dass die Norm des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, der die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Unterbringung zur Heilbehandlung regelt, keine derartige Ermächtigung zur zwangsweisen Durchsetzung der Behandlung gegenüber dem Betroffenen enthält.
aa)
18 
Die bisherige Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2006, 615) hat in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB letztlich eine Ermächtigung zur Zwangsbehandlung gesehen.
19 
Dabei geht auch die bisherige Rechtsprechung davon aus, dass allein aus den gesetzlichen Vertretungsvorschriften der §§ 1901, 1902 BGB ein Betreuer keine Zwangsbefugnis zur Behandlung herleiten kann.
20 
Durch die gesetzliche Vertreterstellung“ - so der BGH (NJW 2006, 1277 (1279)) - „wird zwar die Rechtsmacht des Betreuers nach außen begründet. Innerhalb seines Aufgabenkreises ist der Betreuer berechtigt, die Geschäfte des Betroffenen zu besorgen. Indessen ist mit der Einräumung dieser Rechtsmacht nicht zwingend die Macht verbunden, die betroffene Entscheidung auch durchsetzen zu können. Gerade im grundrechtsrelevanten Bereich ist die Rechtsmacht des gesetzlichen Vertreters beschränkt. (…) Der Vormund nimmt im Rahmen der Fürsorge eine öffentliche Funktion wahr und deshalb kann sich auch das Mündel gegenüber dem Vormund auf seine Grundrechte berufen. Dies vorausgesetzt, greift der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG ein; es bedarf zur Vornahme von Zwangsbehandlungen gegen den Widerstand des Betreuten einer Rechtsgrundlage durch formelles Gesetz.“.
21 
Dieses formelle Gesetz sieht der BGH in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Dieser soll die Zwangsbehandlung einwilligungsunfähiger Betroffenen gegen deren natürlichen Willen während der - gerichtlich genehmigten - stationären Unterbringung ermöglichen. Eine Unterbringung zur Heilbehandlung sei nur dann betreuungsgerichtlich zu genehmigen, wenn die Heilbehandlung medizinisch notwendig sei. Als medizinisch notwendig könne sie jedoch nur angesehen werden, wenn sie rechtlich zulässig sei, so dass der Betroffene auf Grund von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur dann untergebracht werden könne, wenn er während der Unterbringung auch behandelt werden dürfe. Würde man die zwangsweise Überwindung des der Behandlung entgegenstehenden Willens des Betreuten auch im Rahmen einer Unterbringungsmaßnahme als unzulässig ansehen, wäre der Anwendungsbereich des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGBG sehr begrenzt. Die Vorschrift könne daher sinnvoll nur so ausgelegt werden, dass der Betreute die notwendigen medizinischen Maßnahmen, in die der Betreuer zu dessen Wohl bereits eingewilligt habe, und derentwegen der Betreute untergebracht werden dürfe, unabhängig von seinem möglicherweise entgegenstehenden natürlichen Willen während der Unterbringung zu dulden habe. (BGH, NJW 2006, 1277 (1280), Rdn. 24). Deshalb sei im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung über die Unterbringung zur Heilbehandlung die dann zwangsweise zu duldende Behandlung so präzise wie möglich anzugeben, weil sich nur aus diesen Angaben der Unterbringungszweck sowie Inhalt, Gegenstand und Ausmaß der vom Betreuten zu duldenden Behandlung hinreichend konkret und bestimmbar ergäben (BGH, NJW 2006, 1277 (1281), Rdn. 27).
bb)
22 
Nach den Entscheidungen des BVerfG vom März und Oktober 2011, deren Beachtung des BVerfG in seiner letzten Entscheidung (BVerfG, Beschl. v. 15.12.2011, 2 BvR 2362/11 zit. n. juris) ausdrücklich den Fachgerichten zur Aufgabe macht, ist nunmehr § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB anhand der unter 2.a. beschriebenen Maßstäbe verfassungskonform auszulegen.
23 
§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ermächtigt das Betreuungsgericht nach seinem Wortlaut nur dazu, die Unterbringung des Betroffenen zur Heilbehandlung zu genehmigen, dem Betroffenen gegenüber also eine freiheitsentziehende Maßnahme anzuordnen, in deren Rahmen dann eine Heilbehandlung durchgeführt werden kann. Der Wortlaut des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB enthält keinerlei Hinweis auf eine Zwangsbehandlung. Für den jeweiligen Kreis der Normbetroffenen, bei denen es sich in aller Regel um schwer psychisch erkrankte und deshalb beeinträchtigte Menschen handelt, ergibt sich keineswegs bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, dass die Heilbehandlung auch gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt werden kann, dass die Norm also etwa zur Zwangsmedikation berechtigen soll (so auch Moll-Vogel, FamRB 2011, 249, jedenfalls zweifelnd: Bienwald, FRP 2012, 4; AG Bremen, Beschl. v. 16.01.2012, 41 XVII A 89/03, zit. n. juris).
24 
Zudem hat der Gesetzgeber § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB bewusst nicht als Grundlage für eine Zwangsbehandlung formuliert. Er hat vielmehr trotz Problembewusstseins (BT-Drucks 11/4528 S. 70 - 72) ausdrücklich davon abgesehen, im Betreuungsrecht eine Ermächtigung zur Zwangsbehandlung wie auch ein generelles Verbot der Zwangsbehandlung zu regeln (BT-Drucks. 11/4528, 72). Ein formelles Gesetz (Art. 2 Abs. 2 GG), das zum Grundrechtseingriff berechtigt, hat er also gerade nicht geschaffen.
25 
Dass die Vorschrift nach diesem Verständnis nur einen beschränkten Anwendungsbereich hat, muss angesichts der unmissverständlichen Vorgaben des BVerfG hingenommen werden. Diesem Verständnis steht - wie oben ausgeführt - auch der gesetzgeberische Wille nicht entgegen. Weiter verkennt die Kammer nicht, dass es zumeist dem objektiven Wohl des Betroffenen entsprechen mag, eine Behandlung durchzuführen. Die Kammer sieht - wie auch das BVerfG (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2120), Rdn. 81) - die Gefahr, dass sich durch diese Handhabung die Unterbringungszeiten für den Einzelnen durchaus verlängern können. Die Kammer sieht auch, dass die derzeitige Situation, die eine Behandlung gegen den Willen der Betroffenen, trotz Behandlungsbedürftigkeit, nicht zulässt und auch Akutzuständen nur noch unzulänglich, etwa mit Fixierungen, begegnen lässt, für alle Beteiligten unbefriedigend ist. Dieser Nachteil muss angesichts der Schwere der Grundrechtseingriffe und des Fehlens einer klaren und bestimmten Eingriffsnorm im Sinne eines wirksamen Grundrechtsschutzes und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung hingenommen werden (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2120), Rdn. 81).
cc)
26 
Die Kammer muss nicht entscheiden, ob und inwieweit die übrigen Anforderungen, die das BVerfG in den genannten Entscheidungen zum baden-württembergischen UnterbringungsG und zum rheinland-pfälzischen MaßregelvollzugsG für eine Ermächtigungsgrundlage formuliert hat, im Bereich der Unterbringung nach BGB gewährleistet sind, da es bereits an einer gesetzlich normierten Ermächtigung zur Zwangsbehandlung fehlt.
27 
Die Ansicht, die Vorgaben des BVerfG gelten für den Bereich des Betreuungsrechts nicht, weil die §§ 1896 ff BGB ein geschlossenen Regelungssystem enthalten, dessen Schutzniveau den verfassungsrechtlichen Anforderungen sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht gerecht würde (vgl. Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233), kann nicht überzeugen. Die Vorgaben des BVerfG zur ermächtigenden Norm gründen auf der Qualität des Grundrechtseingriffs. Für den Betroffenen wird der Eingriff, der in der medizinischen Zwangsbehandlung liegt, nicht dadurch weniger belastend, dass gerade ein Betreuer zustimmt (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2118), Rdn. 71). Es ist gem. Art. 2 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber vorbehalten, Eingriffsbereiche und deren Ziele zu formulieren, dies ist hier nicht erfolgt. Eine Norm, deren Wortlaut für den Kreis der Normanwender und Normbetroffenen klar ergibt, dass die Zwangsbehandlung betreuungsgerichtlich genehmigt werden kann, erkennt die Kammer auch nicht in den übrigen Vorschriften des Betreuungsrechts. Lediglich in § 1904 BGB wird für gefährliche ärztliche Eingriffe das betreuungsgerichtliche Genehmigungserfordernis - allerdings unabhängig vom natürlichen Willen des Betroffenen - geregelt, dies ist hier nicht gegeben.
c)
28 
Die Beteiligte Ziff. 1 begehrt auch nicht die Anordnung einer Unterbringung an sich. Die freiheitsentziehende Maßnahme ist bereits durch den Beschluss des Amtsgerichts L. vom 09.01.2012 aufgrund § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfolgt. Der Antrag der Beteiligten Ziff.1 auf Unterbringung zur Heilbehandlung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verfolgt vielmehr ausschließlich den Zweck, die von der Betroffenen verweigerte medikamentöse Behandlung zwangsweise gegen ihren Willen durchzusetzen. Eine solche Zwangsbehandlung ist aber - wie vorstehend ausgeführt - nicht möglich. Eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, bei der die Heilbehandlung - aus welchen Gründen auch immer - nicht durchgeführt wird oder werden kann, darf jedoch nicht genehmigt werden (BGH, BtPrax 2010, 80). Wenn und soweit weiterhin die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorliegen, wird eine Unterbringung der Betroffenen auch weiterhin betreuungsgerichtlich zu genehmigen sein. Die Gefahr, dass die Betroffene in hilfloser Lage in die Obdachlosenunterkunft entlassen werden muss - wie die Beteiligte Ziff. 1 befürchtet - kann hierdurch abgewendet werden.
29 
Aus diesen Gründen war die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts L., der die „Genehmigung der Zwangsmedikation“ ablehnt, zurückzuweisen.
30 
3. Der Kostenausspruch ergeht gem. § 131 Abs. 3 KostO. Die Beteiligte Ziff. 1 hat ihre Beschwerde im Interesse der Betroffenen eingelegt.
31 
4. Die Rechtsbeschwerde gem. § 70 FamFG zum Bundesgerichtshof war zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 171/11
vom
14. Dezember 2011
in der Familiensache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2011 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Dose, Dr. Klinkhammer,
Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger

beschlossen:
1. Der Betroffenen wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. 2. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer 1 - vom 11. März 2011 aufgehoben, soweit darin die Beschwerde des Verfahrenspflegers gegen den Beschluss des Amtsgerichts HamburgWandsbek vom 25. Januar 2011 bezogen auf die Genehmigung der Unterbringung zurückgewiesen worden ist. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Landgericht zurückverwiesen. Wert: 6.000 €

Gründe:

I.

1
Für die Betroffene besteht seit Oktober 2009 eine rechtliche Betreuung. Sie leidet an einer organischen psychotischen Störung und ist an Multipler Sklerose erkrankt. Sie hat sechs Kinder von vier Vätern.
2
Durch die angefochtenen Beschlüsse hat das Amtsgericht die Unterbringung der Betroffenen genehmigt, die sich seit Januar 2011 in einer Klinik befindet. Außerdem hat es die Betreuung um die Aufgabenkreise "Wohnungsangelegenheiten" und "Entgegennahme und Öffnen der Post" erweitert. Dagegen hat der Verfahrenspfleger Beschwerde eingelegt, die vom Landgericht nach einer vom beauftragten Richter durchgeführten Anhörung der Betroffenen zurückgewiesen worden ist. Mit der von ihr eingelegten Rechtsbeschwerde erstrebt die Betroffene die Aufhebung der amtsgerichtlichen Beschlüsse.

II.

3
Die gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 1 und 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet und führt insoweit zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung.
4
1. a) Das Landgericht hat die Voraussetzungen der Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BGB als gegeben erachtet. Die Erkrankung der Betroffenen mache auch eine "fach(pflege)psychiatrische Behandlung" erforderlich. Die Behandlung im Krankenhaus habe bereits eine signifikante Verbesserung erreichen können. Die Behandlung mit einem Depotmedikament sei weiterhin notwendig, was nur geschlossen-stationär möglich sei, weil die Betroffene mutmaßlich damit überfordert wäre, die Medikation ambulant fortzusetzen. Ein Absetzen der Medikation und eine weniger strukturierte Umgebung bzw. das Fehlen eines engen therapeutischen Rahmens würde alsbald eine Verschlechterung bewirken. Daneben sei die Maßnahme auch im Sinne einer beschützenden Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zur Abwehr einer erheblichen Eigengefährdung gerechtfertigt. Die Betroffene sei nicht wohnfähig und wäre alsbald akut von Obdachlosigkeit bedroht. Die Unterbringung sei auch verhältnismäßig. Da die Betroffene ihre Medikamente mittlerweile freiwillig nehme, bedürfe es keiner Entscheidung über die aus Rechtsgründen ohnehin nicht erforderliche ausdrückliche Genehmigung der Zwangsmedikation.
5
b) Die Betroffene sei wegen ihrer psychischen Krankheit auch nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten in den Aufgabenkreisen "Entgegennahme und Öffnen der Post" sowie "Wohnungsangelegenheiten" selbstständig zu besorgen. Die Notwendigkeit der Betreuung in Wohnungsangelegenheiten ergebe sich daraus, dass die Betroffene nach Lage der Dinge nicht in ihre Wohnung zurückkehren könne und die Suche nach einer neuen Unterkunft für die Zeit nach der geschlossenen Unterbringung anstehe. Der Aufgabenkreis "Entgegennahme und Öffnen der Post" sei notwendig, weil die Betroffene ihre Mitwirkung nahezu vollständig verweigere und die Betreuerin nicht über den laufenden Schriftverkehr informiere.
6
2. Das hält hinsichtlich der Genehmigung der Unterbringung den von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen nicht stand. Die vom Landgericht durchgeführte Sachaufklärung genügt insoweit nicht den Anforderungen nach § 26 FamFG.
7
a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB nicht hinreichend festgestellt sind.
8
aa) Eine Unterbringung ist nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Senats auch die Gefahr einer völligen Verwahrlosung des Betroffenen die Unterbringung rechtfertigen , wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14 mwN). Die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB muss aber auch erforderlich sein. Das ist zu verneinen , wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14 mwN).
9
Im vorliegenden Fall ist die Erforderlichkeit nicht festgestellt. Die Rechtsbeschwerde weist zutreffend darauf hin, dass nach dem SachverständigenGutachten anstelle der Unterbringung für die Betroffene auch eine betreute Wohneinrichtung in Frage kommt, die - ggf. als mildere Maßnahme - gegenüber der Unterbringung vorrangig ist. Warum von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht worden ist, lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen. Damit fehlt es im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer Unterbringung an einer hinreichenden Aufklärung.
10
bb) Auch die Voraussetzungen einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB sind nicht hinreichend festgestellt worden.
11
Vor einer Unterbringungsmaßnahme hat nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der vom Amtsgericht beauftragte Sachverständige hat in seinem Gutachten die Voraussetzungen der Unterbringung zur Heilbehandlung jedoch als nicht gegeben erachtet. Das Landgericht hat die geschlossen-stationäre Behandlung dennoch für erforderlich gehalten, weil die Betroffene mutmaßlich damit überfordert würde, die Medikation ambulant fortzusetzen. Dafür hat es sich auf die Angaben des behandelnden Arztes gestützt.
12
Nach der Rechtsprechung des Senats vermag die Anhörung des behandelnden Arztes eine förmliche Beweisaufnahme indessen nicht zu ersetzen (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 17). Das gilt nicht nur, wenn das Gericht von der Beauftragung eines geeigneten Gutachters absieht, sondern auch, wenn es zwar ein Sachverständigen -Gutachten einholt, im Ergebnis aber - wie hier - davon abweicht, ohne die Abweichung zu begründen und sich mit der abweichenden Einschätzung des Gutachters auseinanderzusetzen. Von dem Mangel ist auch die vom Amtsgericht ausdrücklich ausgesprochene Genehmigung der Zwangsmedikation mit einem Depotmedikament erfasst, weil schon ein hinreichender Grund für die Unterbringung zur Heilbehandlung demnach nicht festgestellt ist.
13
cc) Dass die Anhörung der Betroffenen vor dem beauftragten Richter und nicht vor der gesamten Kammer stattgefunden hat, ist schließlich nicht zu beanstanden. Den persönlichen Eindruck hat das Landgericht in der Beschwerdeentscheidung nur zur Stützung der vom Gutachter angestellten Diagnose verwertet , die schon für sich genommen eine hinreichende Grundlage für die Feststellung einer psychischen Krankheit im Sinne von § 1906 Abs. 1 BGB bietet.
14
b) Im Hinblick auf die Erweiterung der Aufgabenkreise der Betreuung greifen die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen nicht durch. Von der weiteren Begründung wird insoweit gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
15
3. Die Entscheidung zur Unterbringung beruht auf den aufgezeigten Verfahrensfehlern. Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat insoweit nicht möglich, weil entsprechend den Vorgaben des Senats weitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich sind.
Hahne Dose Klinkhammer Günter Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
AG Hamburg-Wandsbek, Entscheidung vom 25.01.2011 - 707a XVII M 1819 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 11.03.2011 - 301 T 91/11 -

(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn

1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat;
2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste;
3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat;
4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat;
5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.

(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.

(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.

(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.