Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2011 - XII ZB 171/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Für die Betroffene besteht seit Oktober 2009 eine rechtliche Betreuung. Sie leidet an einer organischen psychotischen Störung und ist an Multipler Sklerose erkrankt. Sie hat sechs Kinder von vier Vätern.
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- Durch die angefochtenen Beschlüsse hat das Amtsgericht die Unterbringung der Betroffenen genehmigt, die sich seit Januar 2011 in einer Klinik befindet. Außerdem hat es die Betreuung um die Aufgabenkreise "Wohnungsangelegenheiten" und "Entgegennahme und Öffnen der Post" erweitert. Dagegen hat der Verfahrenspfleger Beschwerde eingelegt, die vom Landgericht nach einer vom beauftragten Richter durchgeführten Anhörung der Betroffenen zurückgewiesen worden ist. Mit der von ihr eingelegten Rechtsbeschwerde erstrebt die Betroffene die Aufhebung der amtsgerichtlichen Beschlüsse.
II.
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- Die gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 1 und 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet und führt insoweit zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung.
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- 1. a) Das Landgericht hat die Voraussetzungen der Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BGB als gegeben erachtet. Die Erkrankung der Betroffenen mache auch eine "fach(pflege)psychiatrische Behandlung" erforderlich. Die Behandlung im Krankenhaus habe bereits eine signifikante Verbesserung erreichen können. Die Behandlung mit einem Depotmedikament sei weiterhin notwendig, was nur geschlossen-stationär möglich sei, weil die Betroffene mutmaßlich damit überfordert wäre, die Medikation ambulant fortzusetzen. Ein Absetzen der Medikation und eine weniger strukturierte Umgebung bzw. das Fehlen eines engen therapeutischen Rahmens würde alsbald eine Verschlechterung bewirken. Daneben sei die Maßnahme auch im Sinne einer beschützenden Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zur Abwehr einer erheblichen Eigengefährdung gerechtfertigt. Die Betroffene sei nicht wohnfähig und wäre alsbald akut von Obdachlosigkeit bedroht. Die Unterbringung sei auch verhältnismäßig. Da die Betroffene ihre Medikamente mittlerweile freiwillig nehme, bedürfe es keiner Entscheidung über die aus Rechtsgründen ohnehin nicht erforderliche ausdrückliche Genehmigung der Zwangsmedikation.
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- b) Die Betroffene sei wegen ihrer psychischen Krankheit auch nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten in den Aufgabenkreisen "Entgegennahme und Öffnen der Post" sowie "Wohnungsangelegenheiten" selbstständig zu besorgen. Die Notwendigkeit der Betreuung in Wohnungsangelegenheiten ergebe sich daraus, dass die Betroffene nach Lage der Dinge nicht in ihre Wohnung zurückkehren könne und die Suche nach einer neuen Unterkunft für die Zeit nach der geschlossenen Unterbringung anstehe. Der Aufgabenkreis "Entgegennahme und Öffnen der Post" sei notwendig, weil die Betroffene ihre Mitwirkung nahezu vollständig verweigere und die Betreuerin nicht über den laufenden Schriftverkehr informiere.
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- 2. Das hält hinsichtlich der Genehmigung der Unterbringung den von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen nicht stand. Die vom Landgericht durchgeführte Sachaufklärung genügt insoweit nicht den Anforderungen nach § 26 FamFG.
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- a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB nicht hinreichend festgestellt sind.
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- aa) Eine Unterbringung ist nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Senats auch die Gefahr einer völligen Verwahrlosung des Betroffenen die Unterbringung rechtfertigen , wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14 mwN). Die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB muss aber auch erforderlich sein. Das ist zu verneinen , wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14 mwN).
- 9
- Im vorliegenden Fall ist die Erforderlichkeit nicht festgestellt. Die Rechtsbeschwerde weist zutreffend darauf hin, dass nach dem SachverständigenGutachten anstelle der Unterbringung für die Betroffene auch eine betreute Wohneinrichtung in Frage kommt, die - ggf. als mildere Maßnahme - gegenüber der Unterbringung vorrangig ist. Warum von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht worden ist, lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen. Damit fehlt es im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer Unterbringung an einer hinreichenden Aufklärung.
- 10
- bb) Auch die Voraussetzungen einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB sind nicht hinreichend festgestellt worden.
- 11
- Vor einer Unterbringungsmaßnahme hat nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der vom Amtsgericht beauftragte Sachverständige hat in seinem Gutachten die Voraussetzungen der Unterbringung zur Heilbehandlung jedoch als nicht gegeben erachtet. Das Landgericht hat die geschlossen-stationäre Behandlung dennoch für erforderlich gehalten, weil die Betroffene mutmaßlich damit überfordert würde, die Medikation ambulant fortzusetzen. Dafür hat es sich auf die Angaben des behandelnden Arztes gestützt.
- 12
- Nach der Rechtsprechung des Senats vermag die Anhörung des behandelnden Arztes eine förmliche Beweisaufnahme indessen nicht zu ersetzen (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 17). Das gilt nicht nur, wenn das Gericht von der Beauftragung eines geeigneten Gutachters absieht, sondern auch, wenn es zwar ein Sachverständigen -Gutachten einholt, im Ergebnis aber - wie hier - davon abweicht, ohne die Abweichung zu begründen und sich mit der abweichenden Einschätzung des Gutachters auseinanderzusetzen. Von dem Mangel ist auch die vom Amtsgericht ausdrücklich ausgesprochene Genehmigung der Zwangsmedikation mit einem Depotmedikament erfasst, weil schon ein hinreichender Grund für die Unterbringung zur Heilbehandlung demnach nicht festgestellt ist.
- 13
- cc) Dass die Anhörung der Betroffenen vor dem beauftragten Richter und nicht vor der gesamten Kammer stattgefunden hat, ist schließlich nicht zu beanstanden. Den persönlichen Eindruck hat das Landgericht in der Beschwerdeentscheidung nur zur Stützung der vom Gutachter angestellten Diagnose verwertet , die schon für sich genommen eine hinreichende Grundlage für die Feststellung einer psychischen Krankheit im Sinne von § 1906 Abs. 1 BGB bietet.
- 14
- b) Im Hinblick auf die Erweiterung der Aufgabenkreise der Betreuung greifen die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen nicht durch. Von der weiteren Begründung wird insoweit gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
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- 3. Die Entscheidung zur Unterbringung beruht auf den aufgezeigten Verfahrensfehlern. Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat insoweit nicht möglich, weil entsprechend den Vorgaben des Senats weitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich sind.
Vorinstanzen:
AG Hamburg-Wandsbek, Entscheidung vom 25.01.2011 - 707a XVII M 1819 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 11.03.2011 - 301 T 91/11 -
Annotations
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Vor einer Unterbringungsmaßnahme hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Das Gutachten soll sich auch auf die voraussichtliche Dauer der Unterbringungsmaßnahme erstrecken. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie sein; er muss Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung soll der Sachverständige nicht der zwangsbehandelnde Arzt sein.
(2) Für eine freiheitsentziehende Maßnahme nach § 312 Nummer 2 oder 4 genügt ein ärztliches Zeugnis.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.