Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 19. Dez. 2014 - 4 Sa 10/14

ECLI:ECLI:DE:LAGST:2014:1219.4SA10.14.0A
bei uns veröffentlicht am19.12.2014

Tenor

1. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 04.12.2013 – 3 Ca 1303/13 NMB – wird zurückgewiesen.

2. Das beklagte Land trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 18. April 2013 (Bl.18 d. A.) sowie einer hilfsweisen ordentlichen Kündigung (unter Einhaltung der einschlägigen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres zum 31.12.2013, hilfsweise zum nächst möglichen Kündigungstermin) mit Schreiben vom 13. Mai 2013 (Bl. 46 d. A.). Die fristlose Kündigung des beklagten Landes vom 18. April 2013 ist dem Kläger am 22. April 2013 zugegangen. Die hilfsweise ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 13. Mai 2013 hat er am 15. Mai 2013 erhalten.

2

Der am xx.xxx. 1954 geborene Kläger ist beim beklagten Land seit dem xx.xxx. 1992 in Vollzeit nach Maßgabe des TV-L beschäftigt.

3

Dienstort des Klägers ist das O. (fortan: O.) in N. Dort ist er als Justizangestellter tätig und als „IT-Verantwortlicher“ im Wesentlichen mit der System- und Netzwerkbetreuung beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehört u. a. auch die Verwaltung des ADV-Depots, die Wartung, Pflege und Betreuung der Hart- und Software, die technische Unterstützung der Nutzer des Hauses, die Administration der elektronischen Berechtigungen und die Passwortvergabe. Zuletzt wurde der Kläger in die Entgeltgruppe 9 TV-L eingestuft und erhält eine monatliche Vergütung in Höhe von derzeit rund xxx,- € brutto.

4

Am 06. März 2013 fand zwischen dem Geschäftsleiter W. und Bediensteten C. sowie der Vorsitzenden des örtlichen Personalrats B. ein Personalgespräch statt, das am 19. März 2013 fortgesetzt wurde. Der diesbezügliche Besprechungsvermerk, der mit dem Schriftsatz des beklagten Land vom 17.09.2014 (Bl. 513 – 513 R. d. A.) überreicht wurde, lautet:

5

„Besprechungsvermerk

Teilnehmer:

EJHW C.
JA W.
JRin B. als Vorsitzende des örtlichen Personalrats

6. März 2013

Herr W weist Herrn C. analog § 136 StPO darauf hin, dass er sich nicht äußern und auch nicht selbst belasten muss.

Im Anschluss hält Herr W Herrn C. vor, CD-Cover auf dem im Zimmer O /D befindlichen Farbdrucker ausgedruckt zu haben, die eindeutig keinen dienstlichen Charakter haben. In diesem Zusammenhang weist er nochmals auf die Hausmitteilung hin, in der auf die veränderten Standorte der Drucker hingewiesen wurde. In dieser sei auch der Hinweis enthalten gewesen, dass selbstverständlich Ausdrucke gefertigt werden könnten, sofern sie dienstlichen Bezug hätten.

Herr C. gibt zu, die Ausdrucke gefertigt zu haben, obwohl ihm die dienstliche Anweisung bekannt gewesen sei. Er entschuldigt sich und erklärt, er hätte fragen sollen und wolle die Ausdrucke auch bezahlen. Sein Farbdrucker Zuhause sei defekt und er habe der Tochter eines guten Bekannten, der kürzlich verstorben sei, einen Gefallen tun und sie ablenken wollen. Er begründet dies auch damit, dass er ein besonderes Vertrauensverhältnis zu der Tochter habe. Einige der Cover seien auch für den Eigengebrauch gewesen. Er erklärt, die Cover auf einem Stick von Zuhause mitgebracht zu haben, auch das Papier sei sein eigenes gewesen – dienstliches Material habe er nicht verwandt.

Auf Nachfrage gesteht er ein, auch zuvor bereits gelegentlich (ca. 5 – 10 mal) Ausdrucke gefertigt zu haben. CDs habe er nicht gebrannt, das gebe seine Technik nicht her. Er habe lediglich Musik-CD-Cover ausgedruckt, sofern er diese von Kumpel ohne Cover erhalte.

Herr W. erkundigt sich nach dem Gesundheitszustand der Ehefrau, die Ende letzten Jahres einen Herzinfarkt erlitten hat. Herr C. berichtet und erklärt darüber hinaus, dass auch seine Mutter schwer herzkrank und sein Schwiegervater im letzten Jahr verstorben sein. Alles in allem sei die private Situation derzeit eher von Sorge geprägt.

Herr W weist abschließend darauf hin, dass – zunächst rein theoretisch – verschiedene Maßnahmen in Betracht kämen:

. Entzug der Leitung der Wachtmeisterei
. Versetzung an eine andere Dienststelle
. Disziplinarverfahren.

Außerdem sei der PC eingezogen worden und werde auf die von Herrn C. gemachten Angaben überprüft. Sofern ihm noch Dinge, die im Zusammenhang mit dem Drucken von Covern sowie der Herstellung von CDs einfallen würden, könne sich Herr C. gern an ihn oder Frau B. wenden.

Herr C. betont, dass er gern am O. tätig sei und auch gern bleiben würde.

Herr W. hält als bisheriges Zwischenergebnis fest, dass ein Disziplinarverfahren einzuleiten sei. Er tue sich schwer, aufgrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse den Äußerungen Glauben zu schenken.

Herr C. entgegnet, dass er die Sachen (Cover) ausgedruckt habe, CDs stünden Zuhause im Regal.

Auf die Frage, was zu finden wäre, wenn die Internetprotokolle aus Barby abgefordert würden, entgegnet Herr C., nur in absoluten Ausnahmefällen Cover aus dem Internet heruntergeladen zu haben. Er habe diese weitestgehend zu Hause eingescannt. Die Original-CDs habe er aus dem Freundeskreis erhalten.

Herrn C. wird vorgehalten, dass die Anzahl der Cover, die sich in 1 ½ Jahren angesammelt hätten, ca. 11 CDs pro Tag ergäbe. Er erklärt, dass er sich am Wochenende viel mit Musik beschäftige, die Cover hier ausgedruckt, aber Zuhause fertig gemacht habe. Ihm sei bewusst, dass er das nicht hätte machen dürfen und hätte das nicht an die große Glocke gehängt. Er sei jedoch gewiss nicht der Einzige, der hier bunte Bilder drucke, u. a. sei am 28.02. eine Geburtstagskarte gedruckt worden.

Auf Nachfrage: Druckaufträge habe ich immer vom PC aus ausgelöst.

Auf Herrn Ws Äußerung, er könne sich nicht vorstellen, dass z. B. Herr S. nicht mitbekommen haben solle, dass Cover-Ausdrucke gefertigt wurden, erklärt Herr C., es habe ihn niemand darauf angesprochen.

Zur Bestellung von EDV-Verbrauchsmitteln erklärt Herr C., dass Herr Sch. für die Bestellung des Zubehörs für den EDV-Raum (z. B. Datensicherungsbänder), DVDs und CDs zuständig sei. Er habe hingegen lediglich Druckerpatronen bestellt. CDs und DVDs habe er nicht bestellt, habe lediglich ein paar bei sich für Eilfälle (z. B. Bibliothek).

Herr C. wird erneut darauf hingewiesen, dass ein Disziplinarverfahren einzuleiten sei und ein Ermittlungsführer bestellt werde.

Herr C. betont nochmals, keine Musik illegal aus dem Internet herunter geladen zu haben. Er habe ca. 6.000 Original-CDs Zuhause und Kopien wirklich nur für den Eigenbedarf gefertigt. Dafür habe er sich CDs bei Freunden ausgeliehen, die Cover eingescannt und diese Zuhause, aber auch im O. ausgedruckt. Leider sei das mehr und häufiger vorgekommen, als hätte sein sollen.

Fortsetzung 19.03.2013

Teilnehmer: s. o.

Herr C. bittet um ein Gespräch und bietet Folgendes an:

. Erstattung der Kosten für die Ausdrucke (2 Seiten pro Cover, dass i. d. R. aus 3 Dateien besteht)
. Nacharbeiten der durch die Cover-Bearbeitung versäumten Dienstzeiten
. Evtl. Versetzungsgesuch an das A. N.

Herr W. wird in diesem Sinne bei Herr Schu. vortragen.“

6

Am 14.03.2013 wurde im Dienstzimmer 211 des O. eine Geschäftsprüfung der Arbeitsplätze des Klägers und eines weiteren dort tätigen Mitarbeiters durchgeführt. Über die bei der Prüfung getätigten Feststellungen fertigte der Geschäftsleiter des O. am 11.04.2013 einen Vermerk (Prüfungsbericht) mit folgendem Inhalt (Bl. 166 ff. d. A.):

7

 „…     

Am 14.03.2013 habe ich eine Geschäftsprüfung der Arbeitsplätze des Justizangestellten H. Sch. und des … im Dienstzimmer 211 durchgeführt.

Herr Sch. ist gemäß Geschäftsverteilungsplan im Referat IV (ADV) überwiegend als System- und Netzwerkbetreuer für das O. zuständig… Bis zum 31.12.2012 war Herr Sch. auch für die Depotverwaltung und Verwaltung der EDV-Verbrauchsmittel einschließlich deren Bestellung verantwortlich.

An der Geschäftsprüfung nahmen neben dem Unterzeichner teil;

. Herr H. Sch.,
. Frau P.,
. Herr H. und
. Herr K.

Frau P., Herr H. und Herr K. nahmen auf meine Anordnung an der Geschäftsprüfung teil, um bei der Bestandsaufnahme unterstützend tätig zu sein,

Die Dokumentation der Schrank- und Regalinhalte einschließlich des Raumplanes ist als Anlage 1 (Dokumentation) und als Anlage 2 (Raumplan) dem Protokoll beigefügt

Herr Sch. und … teilten auf Befragen mit, dass sich nur noch bei Herrn C. einige DVD's und CD's befinden könnten.

Auf Befragen teilten sowohl Herr Sch. als auch … mit, dass keine Nachweise über den Zugang und den Abgang der EDV-Verbrauchsmittel geführt werden und vorliegen. Hierunter fallen neben Druckerpatronen auch DVD’s und CD's. Genaue Angaben über Zugänge und Abgänge konnten mir gegenüber nicht gemacht werden. Geschildert wurde jedoch das Procedere der Bestellung der EDV-Verbrauchsmittel. Herr Sch. bestellte bis zum 31.12.2012 halbjährlich die EDV-Verbrauchsmittel, die mit anderen zu beschaffenden Verbrauchsmitteln von Herrn C. zusammengefasst und von ihm an die ZBS als Bestellung weitergeleitet worden sind.

Die Anzahl der seit dem 2. Halbjahr 2008 bestellten und gelieferten DVD's und CD’s ist in Anlage 3 aufgeführt. Die in Anlage 3 aufgeführten Zahlen sind mir auf telefonische Nachfrage von der ZBS zur Verfügung gestellt worden.

Diesbezüglich bleibt festzustellen:

In der Zelt vom 01.07.2008 bis zum 31.12.2012 sind für das O. N. insgesamt 2.325 DVD's und 1.500 CD's bestellt worden; für die ADV-Stelle Justiz sind in demselben Zeitraum 870 DVD's und 650 CD's bestellt worden.

Im Nachgang der Geschäftsprüfung erklärte Herr Sch. in Gegenwart von Frau P. auf meine Nachfrage, dass seit der Einführung von JURIS kaum DVD’s und CD's von Bediensteten bei ihm abgefordert wurden; genaue bzw. genauere Angaben kann er jedoch nicht machen. Auf Befragen teilt er weiter mit. dass vor der Einführung von JURIS seines Erachtens nach 50 bis 60 DVD's und CD's vierteljährlich und nach der Einführung von JURIS ca. 150 bis 200 DVD's und ca. 50 CD's jährlich bestellt worden sind. Einer Verfügung vom 02.03.2006 ist zu entnehmen, dass JURIS landesweit seit 2006 genutzt werden kann. Die Verfügung ist als Anlage 4 beigefügt.

Auf der Grundlage der erfolgten Bestellmengen (= Liefermengen) abzüglich des vorgefundenen Bestandes hätten in der Zeit vom 01.07.2008 bis zum 31.12.2012 durchschnittlich jährlich 383 DVD's und 315 CD's dienstlich verwendet werden müssen. Anhaltspunkte hierüber liegen nicht vor; Erklärungen hierüber sind nicht bekannt.

Es bleibt festzuhalten. dass der Verbleib der DVD’s und CD's zu einem überwiegenden Teil am 14.03.2013 nicht nachvollziehbar und erklärbar ist.

Im Rahmen der Prüfung sind auch jeweils der Rechner von Herrn Sch. und … von sowie drei externe Festplatten - zwei der drei externen Festplatten sind bezeichnet mit "EXTERN700GB" und "Extern 700GB", eine dritte Festplatte war nicht gesondert gekennzeichnet -, die im Schrank Nummer 7 aufbewahrt werden, untersucht worden.

Nach einem groben Oberflächenscannen ist am 08.04.2013 folgendes Zwischenergebnis festzuhalten:

a) Rechner Herr Sch.

Harr Sch. räumte während der Prüfung ein, dass einige private Dateien auf dem Rechner seien.

Der Rechner ist nicht in die Domäne eingebunden; der Rechner ist nicht wie bei allen anderen dienstlichen Rechnern üblich "greifbar". Mit Herrn Sch. konnte als "lokaler Admin" nur ein Nutzer festgestellt werden. Ein Zugriff Dritter aus der "Ferne" ist nicht feststellbar und nahezu nicht möglich. weil der Rechner nicht in die Domäne eingebunden war.

Der Rechner besteht aus

• zwei Festplatten,
• zwei Brennern und
• einem Kartenleser (SD, CF).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Festplatte und ein Brenner nachgerüstet wurden.

Eine der beiden Festplatten wies keine Auffälligkeiten auf.

Die andere Festplatte im Rechner als,,2. Festplatte" bezeichnet, verfügt über eine Speicherkapazität von ca. 232 GB. Vor der Wiederherstellung waren ca. 16 GB belegt. Letzte Aktivitäten waren am 14.03.2013 ab 05.59 Uhr registriert.

Nach der Wiederherstellung wurden insgesamt 6.427 Dateien festgestellt, die Speicherkapazität war mit 232 GB nahezu erschöpft. Die letzte Verwendung datiert vom 14.03.2013. Eine erste vorgenommene Sichtung der 2. Festplatte am 08.04.2013 ergab, dass regelmäßig Überschreibungen vorgenommen worden sind und von einer fast ausschweifenden Nutzung ausgegangen werden muss.

Den 6.427 gefundenen Dateien sind unter anderem

• 2.466 elektronische Bücher (ebook),
• 2.378 Bilddateien (wahrscheinlich Cover),
• 834 Audiodateien (Hörbücher und Musik) und
• 230 Videodateien (DVD-Kopien als VOB Datei bezeichnet)

zuzuordnen. Von den Hörbüchern sind grundsätzlich drei Formate als PDF, epub und mobi angelegt, wobei die Formate epub und mobi sogenannte "ebook-Formate" sind.

Auf dem Rechner ist auch das Programm "DVD Shrink" installiert Dieses Programm ist geeignet, den Kopierschutz des Herstellers seiner DVD's (Filme betreffend) zu decodieren. Das Programm Shrink wurde nach Auswertung der Rechnerdaten in der Zeit vom 06.10.2010 bis 14.03.2013 regelmäßig genutzt. In diesem Zeitraum sind 1.128 DVD's bearbeitet worden. Anzumerken ist, dass für diesen Zeitraum insgesamt 1.150 DVD's bestellt und geliefert worden sind, deren dienstlicher Verbleib nicht erklärbar ist.

Neben dem Programm "DVD Shrink" waren auch die Programme

• d\ldfab (eigene Werbung im Internet: "Beste Software zum Kopieren von Blueray und DVD").
• Engelmann media (videoconverter, geeignet zum Umwandeln) und
• anyDVD (Kopierprogramm zum Herunterladen aus dem Internet)

installiert.

Für den Dienstgebrauch sind diese Programme ihrem Wesen nach zu 100% entbehrlich und absolut nicht erforderlich.

Am 02.04.2013 bat Herr Sch. am Ende eines von ihm gewünschten und mit mir geführten Gesprächs, an dem auch die Vorsitzende des Örtlichen Personalrates, Frau JR’in B., teilnahm, um die Rückgabe einer silberfarbigen Festplatte. die anlässlich der Geschäftsprüfung zu Untersuchungszwecken mitgenommen worden ist, Er bräuchte diese, um auf bereits vorhandene Sicherungen zurückgreifen zu können. wenn ein PC wieder herzustellen ist. Das erspare ihm viel Zeit. Ohne die Festplatte benötigte er 1,5 Tage. Die anderen Festplatten können wir behalten „bis Weihnachten ist."

Herr Sch. führte ohne Nachfrage aus, dass er für (andere) Mitarbeiter des O. sowie deren Verwandte mit Erlaubnis die privaten Rechner und Laptops wiederhergestellt habe und entsprechende Sicherungen auf einer der (dienstlichen) Festplatten gespeichert habe. So sei im Falle einer wiederholten Wiederherstellung des Rechners I Laptops das Procedere erleichtert.

Auf Nachfrage erklärte Herr Sch., dass eine Festplatte (schwarzes Gehäuse) leer ist und auf einer weiteren Festplatte (ebenfalls schwarzes Gehäuse) 2 bis 3 Sicherungen enthalten sind.

Die Untersuchung der externen Festplatten am 08.04.2013 ergab folgendes Ergebnis:

c) externe Festplatte "EXTERN700GB" (schwarzes Gehäuse, Typ Buffalo 700 GB)

Die Festplatte war anscheinend leer. Nach der Wiederherstellung wurden 38.899 Dateien sichtbar.

Den 38.899 gefundenen Dateien sind unter anderem

• 34.090 Audiodateien (fast ausschließlich Musikdateien, die ein breites Spektrum bzw. nahezu alle Musikrichtungen abdecken) und
• 1.822 Cover

zuzuordnen, Der Ordnerpfad heißt „Musikbox".

d) externe Festplatte "Extern 700GB“ (schwarzes Gehäuse. Typ Buffalo 700 GB)

Die Festplatte war anscheinend leer. Nach der Wiederherstellung wurden 36.899 Dateien sichtbar.

Den 9.969 gefundenen Dateien sind unter anderem

• 1.152 Audiodateien (Hörbücher und Musik) und
• 41 DVD-Kopien (Musik DVD's u.a. ACDC)

zuzuordnen.

e) externe Festplatte (silberfarbenes Gehäuse, Typ Buffalo 500 GB)

Der Aufbau dieser Festplatte ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Bereich dem dienstlichen Gebrauch vorbehalten, ist während ein zweiter Bereich Sicherungen von Dienstrechnern, aber auch Privatrechnern dient.

In dem angelegten Ordner „Private Rechner" sind die nachfolgenden Unterordner angelegt:

• C., C.
• Daten B. hierunter Unterordner: I. W. PC, L., M., W.
• Esprimo 5905
• Hausmeister privat
• Laptop B.
• Laptop B.
• Laptop B.
• Laptop H.
• Laptop K.
• Laptop Tochter B.
• Laptop Z.
• Rechner für S.
• Rechner H.
• Rechner S.

 Dokumentation Schrank-I Regalinhalte, Nummerierung gem. Raumplan

Schrank 1

• Jacke Sch.
• Tonerrollen für Fax
• Laserjet-Etiketten
• HP-Fotopapier für Farblaserdrucker
• diverses Telefonzubehör
• diverse Parallelkabel für Drucker
• Computer-Etiketten
• diverse Strommehrfachverteiler

Schrank 2

• Jacke S.
• Geschirr
• verschlossener Karton (auf Nachfrage an Herrn S. privat, blieb daher ungeöffnet)

Schrank 3

• diverse Leitz-Ordner
• 4x 10er CD·Spindeln leer
• 1x 50er CD-Spindeln ½ voll (CD-R)
• 1x 25er CD-Spindel fast voll {CD-R}
• 3x 50er CD-Spindel leer

Schrank 4

• 4x 50er CD-Spindel leer
• 1X 50er Spindel gefüllt mit 10 CDs gebrannt, Software dienstlich
• Gebrannte Musik-CDs: „Ich und Ich" (handbeschriftet)
                         ,,Bela B - Code B" (gedrucktes Label)
                         „Kaki King" (gedrucktes Label)
                         "Bela B -Code B" (handbeschriftet)
                         „Avin Geffen“ (handbeschriftet)
                         „EF" (hand beschriftet)
                         „Neues Glas aus alten Scherben" (handbeschriftet)
                         "Pink Floyd" (handbeschriftet)
                         „Steven Wilson" (handbeschriftet)
                         "Dante - November Red" (original)
                         "Epicloud" (original)

Schrank 5

• diverse Kabel
• diverse Portreplikatoren
• diverse Strom-Mehrfachverteiler
• 32x DVG-Softcover unterschiedliche Größen leer
• 24 X10er Pck. DVD-R neu
• 10 x DVD·RW neu
• 16 x CD-R neu
• 31 x DVD-RW neu
• diverse Software dienstlich
• diverse Software dienstlich (PC-Praxis aus Zeitschrift)
• Nero 9
• Navigon 5
• externes DVD-Laufwerk
• Pocket Loox mit GPS-Maus und Netzteil
• alte Diktiertechnik
• alte Anrufbeantworter

Schrank 6

• Werkzeugkoffer befüllt
• diverse Kabel
• interne CD-Laufwerke alt
• Grafickarte Ge Force 6400 GS Noiseless Edition 3D Club (verpackt) privat
• USB-Verteiler
• 2 x 5fach GBit-Switche
• diverse Leitzordner
• Alt-Technik Netzwerkkarten

Schrank 7

• 31 x 10er Pck. DVD-R neu + 3 einzeln
• 2 x Cover gedruckt PC-Spiel in gelber Umlaufhülle
• 5 x DVD-RW neu
• Notbook dienstlich
• 3 x externe Festplatten dienstlich
• 104 CD-Leerhüllen
• 45 DVD-Softcover unterschiedliche Größen, leer
• 54 x CD-R neu
• 10 x CD-RW neu
• 2 x 25er CD/DVD-Spindel leer
• 1 X 10er CD/DVD-Spindel leer
• 14 CD-Leerhüllen in grünem Beutel

Schrank 8

• diverse Tastaturen
• diverse PC-Zeitschriften

Schrank 9

• Geschirr

Regal 10

• Literatur -diverse IT-Fachbücher
• Mehrere KVM-Switche
• 15 PC's dienstlich
• Boxen X-230 Logitech

 …“     

8

Die Verfügung vom 16. April 2013 betreffend das Schreiben an die Vorsitzende des Örtlichen Personalrates – dieser noch am gleichen Tage ausgehändigt – lautet (vgl. Bl. 164/165 d. A.):

9

„…    

1. Schreiben an Frau Vorsitzende des Örtlichen Personalrates

Sehr geehrte Frau B.,

anliegend übersende ich Ihnen den Auszug meines Geschäftsprüfungsberichts vom 11.04.2013. Die Anlage erkläre ich vollinhaltlich zum Gegenstand dieses Berichts, um Wiederholungen zu vermeiden. Der Auszug aus dem Geschäftsprüfungsbericht betrifft Herrn Justizangestellten H. Sch.

Auf Grund der bisher mir seit dem 08.04.2013 vorliegenden Erkenntnisse ist Folgendes festzustellen:

• Herr H. Sch. hat auf dem dienstlichen Rechner Programme installiert, die von ihm privat genutzt worden sind.

• Mit Hilfe des Programms „DVD-Shrink“ sind in dem Zeitraum vom 06.10.2010 bis 13.04.2013 auf dem dienstlichen Rechner insgesamt 1.128 DVD´s bearbeitet worden. Das Bearbeiten erfolgte sehr häufig während der Dienstzeit.

• Auf dem dienstlichen Rechner befanden sich zum Zeitpunkt der Prüfung 6.427 Dateien, die nicht dem Dienstgebrauch zuzuordnen sind.

• Der Verbleib von insgesamt 2.325 DVD´s und 1.500 CD´s, die in dem Zeitraum vom 01.07.2008 bis zum 31.12.2012 über die Zentrale Beschaffungsstelle bestellt wurden, ist nicht bekannt. In dem Zeitraum vom 06.10.2010 bis 13.04.2013 (s.o.) sind 1.150 DVD´s bestellt und geliefert worden, deren dienstlicher Verbleib nicht erklärbar ist. Herr H. Sch. war bis zum 31.12.2012 für die Verwaltung des ADV-Depots zuständig.

• Die externe dienstliche Festplatte „EXTERN700GB“ (schwarzes Gehäuse, Typ Buffalo 700 GB) hatte ausschließlich privaten Inhalt.

• Die externe Festplatte „Extern 700GB“ (schwarzes Gehäuse, Typ Buffalo 700 GB) hatte ausschließlich privaten Inhalt.

• Die externe Festplatte (silberfarbenes Gehäuse, Typ Buffalo, 500 GB) hatte neben dienstlichen auch private Inhalte.

Herr H. Sch. hat somit den dienstlichen Rechner sowie die dienstlichen externen Festplatten in vielschichtiger Art und Weise für private Zwecke genutzt, kann über den Verbleib von bestellten EDV-Verbrauchsmitteln (hier DVD´s und CD´s) keine hinreichenden Aussagen treffen und nutzte das Programm „DVD-Shrink“ für private Zwecke wiederholt während der Dienstzeit.

Das Vertrauensverhältnis ist zutiefst und dauerhaft gestört. Die geschilderten Sachverhalte stellen gröbste Vertragspflichtverletzungen dar. Auch unter Berücksichtigung der nach dem Geschäftsverteilungsplan zugewiesenen Aufgaben ist eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar.

Ich beabsichtigte daher, Herrn Sch. eine außerordentliche Kündigung auszusprechen.

Die Anhörung des Örtlichen Personalrates folgt aus § 67 Abs. 2 Satz 1 PersVG LSA).

Des Weiteren füge ich als Anlage das Datenblatt bei.

Mit freundlichen Grüßen

z.p.U. (Dr. Z.)

2. Datenblatt zu 1. beifügen
3. Anlagen 1. beifügen
4. Herrn Dr. Z. mit der Bitte um Unterschrift
5. Wiedervorlage

Im Auftrag
W.“

10

Der Vermerk über die Besprechung mit dem Kläger am 17. April 2013 (Bl. 229 – 230 d. A.) lautet:

11

„Besprechungsvermerk:

Teilnehmer:
Herr H. Sch.
RiOLG B. W.
JAM W.

17. April 2013

Herr W. weist Herrn H. Sch. vorsorglich analog der Vorschriften des Strafprozessrechts darauf hin, dass er sich nicht äußern und auch nicht selbst belasten muss.

Im Anschluss hält Herr W. Herrn H. Sch. die Ergebnisse des Geschäftsprüfungsberichts vom 11.04.2013 vor.

Herrn H. Sch. wird mündlich mitgeteilt, dass aufgrund der vorliegenden Ergebnisse beabsichtigt ist, ihm eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Ferner ist Herrn H. Sch. mitgeteilt worden, dass er ab sofort freigestellt ist und alle in seinem Besitz befindlichen dienstlichen Gegenstände abzugeben hat. Dieser Aufforderung ist Herr H. Sch. nach Beendigung des Gesprächs nachgekommen; er erklärte keine dienstlichen Gegenstände mehr in seinem Besitz zu haben; er hat im Anschluss an das Gespräch seine privaten Gegenstände aus seinem Dienstzimmer geholt und die Schlüssel abgegeben.

Herr H. Sch. erklärte sinngemäß:

Alles was auf dem Rechner bezüglich der DVD´s ist, habe ich gemacht.

Bei dem Rechner handelt es sich um einen Test-Rechner. Ich selbst habe ihn zusammengebaut. Es ist ein Rechner des O..

Den Rechner durfte ich mit nach Hause nehmen, weil ich zu Hause keinen Rechner hatte. Mal hatte ich den Rechner für 1 Woche oder für 2 Wochen und manchmal einen Tag. Es war aber nicht so, dass ich den Rechner täglich mit nach Hause genommen habe. Wenn ich zu Hause was machen wollte, konnte ich den Rechner mitnehmen. Das hat man mir erlaubt, das war so.

Natürlich haben wir auch kopiert. Was das für DVD´s und CD´s waren, weiß ich nicht mehr. Ich habe den Leuten (Mitarbeitern des O.) einen Gefallen getan. Wir (Mitarbeiter der ADV-Stelle Haus O.) sollten auch sonst unseren Leuten helfen, wenn sie Probleme mit ihren privaten PC´s hatten.

Ich habe manchmal festgestellt, dass mein Rechner von anderen Personen genutzt wurde. Eine Mitteilung an den Geschäftsführer oder Referenten habe ich nicht gemacht, weil es sich nur um den Test-Rechner handelte. Seit ca. Dezember 2012 habe ich ein Passwort vergeben. Das Passwort ist aber so einfach, dass es jeder knacken kann, der meine Familie kennt.

Ich habe hundertprozentig keine privaten Sachen für mich im Dienst gemacht. Für andere Leute aus dem O. habe ich für private Zwecke im Dienst was gemacht, zum Beispiel Kopien von DVD´s und CD´s. Wir sollten ja helfen.

Herrn H. Sch. sind das Anschreiben an den Örtlichen Personalrat vom 16.04.2013 und der Geschäftprüfungsbericht vom 11.04.2013 nebst Anlagen übergeben worden. Herrn H. Sch. wurde erklärt, dass er über das bereits Gesagte hinaus die Möglichkeit zur Stellungnahme bis zum 18.04.2013 um 09.00 Uhr hat. Er antwortete, dass er erstmal zum Anwalt gehen werde.

Am Ende des Gesprächs wurde Herr H. Sch. darauf hingewiesen, sich am Montag, den 22.04.2013, 14.00 Uhr im Dienstzimmer des amt. Geschäftsleiters einzufinden.“

12

Die Verfügung betreffend das Schreiben des Präsidenten des O. an die Vorsitzende des Örtlichen Personalrates vom 18. April 2013 (Bl. 176 d. A.) lautet:

13

„Verfügung

1. Schreiben an Frau Vorsitzende des Örtlichen Personalrates

Sehr geehrte Frau B.,

in Ergänzung meines Berichts vom 16.04.2013 möchte ich Sie davon in Kenntnis setzen, dass ich Herrn H. Sch. in einem am 17.04.2013 geführten Gespräch von der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung unterrichtet habe. Den Vermerk über das Gespräch füge ich als Anlage bei. Darüber hinaus habe ich Herrn H. Sch. die Möglichkeit eröffnet, eine Stellungnahme bis zum 18.04.2013, um 09.00 Uhr abzugeben. Eine Stellungnahme liegt mir nicht vor.

Des Weiteren füge ich ein Protokoll über die Nutzung des Programms „DVD-Shrink“ und einen Kalenderausdruck vom 01.01.2011 und 30.04.2014 (?) sowie ein Journal der Arbeitszeit vom 01.04.2012 bis 14.03.2013 bei. Diesen Anlagen ist zu entnehmen, dass in der Zeit vom 01.04.2012 bis 31.03.2012 das Programm „DVD-Shrink“ insgesamt 630 Mal an Tagen genutzt worden ist, an denen Herr H. Sch. im Dienst war. In der Zeit vom 01.04.2012 bis 14.03.2013 ist das Programm „DVD-Shrink“ insgesamt 181 Mal während der Dienstzeit des Herrn H. Sch. genutzt worden. An den mit „x“ markierten Tagen war Herr H. Sch. im Dienst.

Mit freundlichen Grüßen
z.p.U. (Schu.)

2. Herrn Schu. mit der Bitte um Unterschrift
3. Wiedervorlage

Im Auftrag
W.“

14

Der Besprechungsvermerk vom 22.April 2013 (Bl. 395 – 395 R. d. A.) lautet:

15

„Besprechungsvermerk

Teilnehmer:
JHS S.
JA W.
JRin B. als Vorsitzende des örtlichen Personalrats

22. April 2013

Herr W. weist Herrn S. analog § 136 StPO darauf hin, dass er sich nicht äußern und auch nicht selbst belasten muss.

Herr W. hält Herrn S. die wesentlichen Inhalte des Prüfungsberichts vor.

Herr S. erklärt sinngemäß:

Die 2. Festplatte auf meinem Dienstrechner ist von Herrn H. Sch. vor längerer Zeit (vor mindestes 3 Jahren) installiert worden. Ob darüber hinaus ein Brenner und oder Laufwerk nachgerüstet wurden, weiß ich nicht.

Die 2. Festplatte wurde für den Dienstgebrauch eingebaut.

Die Löschung der 2. Festplatte erfolgte zwischen dem 04.03.2013 und dem 14.03.2013.

Die drei externen Festplatten hatte Herr H. Sch. unter Verschluss.

Der Inhalt der silberfarbigen Festplatte war mir hinsichtlich der privaten Rechner bekannt. Der Inhalt der anderen externen Festplatten war mir nicht bekannt.

Herr M. C. und ich sind von Herrn B. wegen der angefertigten Farbausdrucke ca. 2011 in ermahnender Weise angesprochen worden. Ob Herr H. Sch. von Herrn B. angesprochen wurde, weiß ich nicht.

Ich habe CD`s und DVD`s für Musik und Filme jeweils im mittleren dreistelligen Bereich gebrannt.

Von Herrn M. C. habe ich Musik, dessen Herkunft mir nicht bekannt war, auf die Festplatte meines Dienstrechners gespeichert.

Ich habe Musik und Filme für mich gebrannt; Vorlagen habe ich in regelmäßigen (?) von Herrn M. C. und Herrn H. Sch. erhalten.

Das Programm „DVD-Shrink“ habe ich für DVD`s privat genutzt.

Die bei der Zentrale Beschaffungsstelle bei dem Landgericht Magdeburg bestellten und von ihr gelieferten DVD`s und CD`s sind im Schrank (Schrank Nummer 5 gemäß Anlage zum Geschäftsprüfungsbericht vom 11.04.2013) aufbewahrt worden. Der Schrank war immer verschlossen. Den Schlüssel für diesen Schrank hatte Herr H. Sch., er hat meines Erachtens den Schlüssel immer mitgenommen.

Über die Bestellmengen und die Verbrauchsmengen bis zum 31.12.2012 war mir nichts bekannt.

geschlossen“

16

Das Schreiben des Präsidenten des O. an die Vorsitzende des Örtlichen Personalrats vom 23. April 2013 (Bl. 261 – 262 d. A.) hat folgenden Inhalt:

17

„…    

Sehr geehrte Frau B.,

anliegend übersende ich Ihnen den Auszug meines Geschäftsprüfungsberichts vom 11.04.2013. Die Anlage erkläre ich vollinhaltlich zum Gegenstand dieses Berichts, um Wiederholungen zu vermeiden. Der Auszug aus dem Geschäftsprüfungsbericht betrifft Herrn Justizangestellten H. Sch.

Auf Grund der bisher mir seit dem 08.04.2013 vorliegenden Erkenntnisse ist Folgendes festzustellen:

• Herr H. Sch. hat auf dem dienstlichen Rechner Programme installiert, die von ihm privat genutzt worden sind.

• Mit Hilfe des Programms „DVD-Shrink“ sind in dem Zeitraum vom 06.10.2010 bis 13.04.2013 auf dem dienstlichen Rechner insgesamt 1.128 DVD´s bearbeitet worden. Das Bearbeiten erfolgte sehr häufig während der Dienstzeit.

• Auf dem dienstlichen Rechner befanden sich zum Zeitpunkt der Prüfung 6.427 Dateien, die nicht dem Dienstgebrauch zuzuordnen sind.

• Der Verbleib von insgesamt 2.325 DVD´s und 1.500 CD´s, die in dem Zeitraum vom 01.07.2008 bis zum 31.12.2012 über die Zentrale Beschaffungsstelle bestellt wurden, ist nicht bekannt. In dem Zeitraum vom 06.10.2010 bis 13.04.2013 (s.o.) sind 1.150 DVD´s bestellt und geliefert worden, deren dienstlicher Verbleib nicht erklärbar ist. Herr H. Sch. war bis zum 31.12.2012 für die Verwaltung des ADV-Depots zuständig.

• Die externe dienstliche Festplatte „EXTERN700GB“ (schwarzes Gehäuse, Typ Buffalo 700 GB) hatte ausschließlich privaten Inhalt.

• Die externe Festplatte „Extern 700GB“ (schwarzes Gehäuse, Typ Buffalo 700 GB) hatte ausschließlich privaten Inhalt.

• Die externe Festplatte (silberfarbenes Gehäuse, Typ Buffalo, 500 GB) hatte neben dienstlichen auch private Inhalte.

Herr H. Sch. hat somit den dienstlichen Rechner sowie die dienstlichen externen Festplatten in vielschichtiger Art und Weise für private Zwecke genutzt, kann über den Verbleib von bestellten EDV-Verbrauchsmitteln (hier DVD´s und CD´s) keine hinreichenden Aussagen treffen und nutzte das Programm „DVD-Shrink“ für private Zwecke wiederholt während der Dienstzeit.

Als Anlage füge ich ein Protokoll über die Nutzung des Programms „DVD-Shrink“ und einen Kalenderausdruck vom 01.01.2011 bis 30.04.2014 sowie ein Journal der Arbeitszeiterfassung Herrn H Sch betreffend vom 01.04.2012 bis 14.03.2013 bei. Diesen Anlagen ist zu entnehmen, dass in der Zeit vom 01.04.2012 bis 31.03.2012 das Programm „DVD-Shrink“ insgesamt 630 Mal an Tagen genutzt worden ist, an denen Herr H. Sch. im Dienst war. In der Zeit vom 01.04.2012 bis 14.03.2013 ist das Programm „DVD-Shrink“ insgesamt 181 Mal während der Dienstzeit des Herrn H. Sch. genutzt worden. An den mit „x“ markierten Tagen war Herr H. Sch. im Dienst.

Des Weiteren füge ich die Vermerke über die mit Herrn H. Sch. am 17.04.2013 und am 22.04.2013 geführten Gespräche sowie das Datenblatt bei.

Das Vertrauensverhältnis ist zutiefst und dauerhaft gestört. Die geschilderten Sachverhalte stellen gröbste Vertragspflichtverletzungen dar. Auch unter Berücksichtigung der nach dem Geschäftsverteilungsplan zugewiesenen Aufgaben ist eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar.

Ich beabsichtige daher, unter Verweis auf meine Berichte vom 16.04.2013 und vom 18.04.2013 sowie der am 22.04.2013 ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung Herrn H. Sch. hilfsweise eine ordentliche Kündigung unter Einhaltung der einschlägigen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres (§ 34 Abs. 1 TV-L) aus verhaltensbedingten Gründen auszusprechen. Das Arbeitsverhältnis würde mit Ablauf des 31.12.2013 enden.

Ich habe Herrn H. Sch. am 22.04.2013 die Möglichkeit eröffnet, eine Stellungnahme bis zum 25.04.2013, um 09.00 Uhr abzugeben. Eine weitere Stellungnahme ist nicht zu erwarten (siehe Vermerk vom 22.04.2013).

Ich bitte um die Zustimmung des Örtlichen Personalrates zu der beabsichtigten Personalmaßnahme (§ 67 Abs. 1 Nr. 8 PersVG LSA).

Mit freundlichen Grüßen
z.p.U (Schu.)

1. Datenblatt zu 1. beifügen
2. Anlagen zu 1. beifügen
3. Herrn Schu. mit der Bitte um Unterschrift
4. Wiedervorlage

Im Auftrag
W. …“

18

Am 02.05.2013 hat der Kläger beim Arbeitsgericht Halle die vorliegende Klage erhoben. Dort hat er zunächst die Feststellung begehrt, dass sein Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 18. April 2013 – ihm zugegangen am 22.04.2013 – nicht wirksam aufgelöst worden ist.

19

Der Personalrat hat der beabsichtigten Maßnahme (ordentliche Kündigung) sodann mit Schreiben vom 06. Mai 2013 zugestimmt (vgl. Bl. 106 d. A.).

20

Nach Erhalt der ordentlichen Kündigung vom 13. Mai 2013 (Zugang am 15. Mai 2013) hat der Kläger die Klage am 17.05.2013 erweitert und begehrt nunmehr auch die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis auch durch die ordentliche Kündigung vom 13.05.2013 nicht wirksam beendet wird. Ferner verlangt er die vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Rechtstreits.

21

Der Kläger hat sowohl das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes für die außerordentliche Kündigung als auch das Vorliegen hinreichender Kündigungsgründe für die ordentliche Kündigung bestritten. Bei dem Rechner, auf dem sich die betreffenden Dateien und Programme befänden, handele sich um einen von der Dienststelle zusätzlich angeschafften Rechner, der sich auch in seinem Dienstzimmer befunden habe. Dieser sei nicht mit den dienstlichen Rechnern vernetzt gewesen. Die hier installierten Kopier- und Brennprogramme seien auch dienstlich genutzt worden, etwa für Videoaufnahmen in Strafverfahren, die oftmals nur in veralteten Formaten vorlägen. Zutreffend sei, dass auch der Kläger gelegentlich die Programme privat genutzt habe. Diese Vorgänge hätte jedoch jeweils nur wenige Sekunden in Anspruch genommen, so dass von Arbeitszeitbetrug nicht die Rede sein könne. Auch sei die gelegentliche Privatnutzung niemals ausdrücklich untersagt worden. Des Weiteren habe er auf den externen Speichermedien Sicherungen von dienstlichen und Privatrechnern anderer Mitarbeiter des Hauses vorgenommen. Dies sei ihm durch den früheren Referatsleiter ausdrücklich erlaubt worden.

22

Ebenfalls habe er sich in der Dienstzeit gelegentlich um die Privatrechner anderer Bedienstete kümmern dürfen, wenn dort Probleme aufgetreten seien. Dies sei zu keinem Zeitpunkt vom Arbeitgeber beanstandet worden. Der vom beklagten Land behauptete Umfang seiner Privatnutzung werde ausdrücklich bestritten. Er habe auch keine illegalen Kopien gefertigt und/oder sich strafbar gemacht. Die einzelnen Vorgänge seien dem Kläger in keiner Weise zuzuordnen. Wer den Rechner wann genutzt habe, sei unklar. Es müsse ausdrücklich bestritten werden, dass dies nur der Kläger gewesen sei. Dies sei nicht der Fall. Grundsätzlich hätten viele Bedienstete des Hauses Zugang zu diesem Rechner gehabt und diesen auch privat genutzt, sowohl während der Kläger anwesend war als auch in dessen Abwesenheit. Zutritt zum Dienstzimmer sei jederzeit auch für andere Bedienstete möglich. Das einfache Passwort für den Zugang sei allgemein bekannt. Keiner der dokumentierten Vorgänge auf dem Rechner sei ihm nachweislich persönlich zuzuordnen. Dass viele Nutzungen (Brennvorgänge etc.) während seiner Abwesenheit, etwa bei Urlaub oder Krankheit, erfolgt seien, beweise die Zugriffsmöglichkeit anderer Personen. Auch die externen Festplatten hätten anderen Bedienstete zur Verfügung gestanden.

23

Der hohe Verbrauch von Büromaterialien wie der Rohlinge sei nicht von ihm zu vertreten. Das Material sei ebenfalls frei zugänglich gewesen; viele Mitarbeiter hätten sich bedient. Er habe auch nicht die Bestellungen des Materials vorgenommen oder ausgelöst. Schließlich werde bestritten, dass er in irgendeiner Weise Vorgänge auf dem Rechner oder den externen Festplatten verschleiert oder versteckt habe. Ein Kündigungsgrund habe nach alledem nicht vorgelegen. Ferner hat der Kläger die Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gerügt und jeweils die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch beider Kündigungen bestritten.

24

Der Kläger hat in der 1. Instanz beantragt,

25

1) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung des beklagten Landes vom 18.04.2013 beendet wurde, noch aufgrund der ordentlichen Kündigung des beklagten Landes vom 13.05.2013 beendet wird;

26

2) das beklagte Land zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Angestellten im O. N. im Rahmen der zuletzt ausgeübten Tätigkeit System- und Netzwerkbetreuung für das O., insbesondere mit

27

- Installation, Wartung und Fehlerbehebung der Hardware
- Installation, Pflege und Betreuung der Software
- Technische Unterstützung der Nutzer
- Administration der elektronischen Berechtigungen
- Hardwarevoraussetzungen
- Softwareangelegenheiten einschließlich Passwortvergabe

28

weiterzubeschäftigen.

29

Das beklagte Land hat in der 1. Instanz beantragt,

30

die Klage abzuweisen.

31

Es hat ausgeführt, die außerordentliche Kündigung, zumindest jedoch die ordentliche Kündigung, sei aus verhaltenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt und damit wirksam. Der Kläger habe mindestens von Oktober 2010 bis März 2013 den ihm dienstlich anvertrauten Rechner in erheblichem Umfang privat und zu nicht dienstlichen Zwecken genutzt, insbesondere zum Kopieren und Brennen von DVDs und CDs sowie zum Herunterladen von Musik- und Videodateien. Zu diesem Zweck habe er bestimmte Programme installiert, z. B. das Programm „DVD Shrink“. Es seien (Stand:11.04.2013) insgesamt 6.427 Dateien mit offenbar nicht dienstlichem Inhalt gesichtet worden. Auch dienstlich angeschaffte Festplatten habe er privat genutzt. Mit seinem Verhalten habe er seine Vertragspflichten in grober Weise über einen langen Zeitraum verletzt. Da illegale Kopien hergestellt worden seien, habe er sich wohl auch strafbar gemacht. Dazu komme der Arbeitszeitbetrug, weil die umfangreichen Privatnutzungen des Rechners überwiegend in der Dienstzeit erfolgt seien. Schließlich habe er über 2.000 DVD-Rohlinge und über 1.000 CD-Rohlinge auf Kosten des Arbeitgebers bestellt und privat verwendet.

32

Das notwendige Vertrauensverhältnis sei durch die Verhaltensweisen des Klägers vollständig zerstört worden. Darüber hinaus sei es auch wegen der Gefahr für den ordnungsgemäßen Betriebsablauf und der Gefahr, dass es Nachahmer gebe, für das beklagte Land nicht mehr zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Eine vorherige Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen, weil der Kläger von vornherein gewusst habe, dass sein Verhalten verboten sei und in keiner Weise vom Arbeitgeber geduldet werden würde.

33

Es werde ausdrücklich bestritten, dass andere Bedienstete des Hauses die Möglichkeit gehabt hätten, auf den Rechner des Klägers zuzugreifen und dass tatsächlich auch andere Mitarbeiter den Rechner privat genutzt hätten. Dies sei auszuschließen. Der bei der Geschäftsprüfung festgestellte Sachverhalt sei dem Präsidenten des O. erst am 11.04.2013 bekannt gegeben worden, so dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten worden sei. Vor Ausspruch der Kündigung sei der Kläger persönlich gehört worden, habe jedoch die Vorwürfe letztlich nicht entkräften können. Auch der Personalrat sei vor beiden Kündigungen ordnungsgemäß nach den Bestimmungen des Landespersonalvertretungsgesetzes beteiligt worden.

34

Die Ziffern 1. und 2. des Urteils des Arbeitsgerichts Halle vom 04. Dezember 2013 lauten:

35
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers weder durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 18.04.2013 beendet worden ist noch durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 13.05.2013 zum 31.12.2013 beendet wird.
36
2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vorläufig zu unveränderten Bedingungen als vollbeschäftigten Angestellten in der Entgeltgruppe 9 TV-L im O. N. weiterzubeschäftigen.
37

Wegen des Tatbestands des vorgenannten Urteils des Arbeitsgerichts Halle vom 04. Dezember 2013 wird auf dessen Seiten 2 bis 12 (Bl. 271 – 281 d. A.) Bezug genommen.

38

Das Arbeitsgericht Halle hat in seinem vorgenannten Urteil vom 04. Dezember 2013 ausgeführt, die Kündigung vom 18. April 2013 sei unwirksam, weil kein wichtiger Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB vorgelegen habe. Die Voraussetzungen für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers seien nicht gegeben.

39

Die Wirksamkeit der Kündigung sei nicht unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung zu prüfen gewesen, weil das beklagte Land ausdrücklich keine Verdachtskündigung ausgesprochen und dies auch nicht gewollt habe – wie die Beklagtenvertreter im Kammertermin auf Nachfragen des Vorsitzenden bestätigt hätten. Zudem sei der Personalrat auch nicht zu einer etwaigen Verdachtskündigung angehört worden. Als Tatkündigung erweise sich die fristlose Kündigung vom 18. April 2013 im Ergebnis wegen des nicht nachgewiesenen (wichtigen) Kündigungsgrundes als unwirksam.

40

Obgleich gewisse Verdachtsmomente vorliegen würden, sei es letztlich nur eine unbewiesene Behauptung des beklagten Landes, dass alle vorgefunden Privatdateien dem Kläger zuzurechnen seien und dass dieser (allein) alle Privatnutzungen durchgeführt, damit auch etwaige (nach § 106 UrhG strafbare) Vervielfältigungen vorgenommen und auch alle Brennvorgänge durchgeführt habe. Keiner der dokumentierten Vorgänge lasse sich einzelnen Personen und damit auch nicht dem Kläger zuordnen. Das beklagte Land stelle letztlich nur Vermutungen an und ziehe Schlussfolgerungen, weil sich der Rechner am Arbeitsplatz bzw. Dienstzimmer des Klägers befunden habe. Niemand habe den Kläger bei einzelnen Privatnutzungen beobachtet.

41

Es sei auch nicht bewiesen, dass es gerade der Kläger gewesen sei, der die Kopierprogramme installiert habe. Allein die unstreitige Tatsache, dass auch in Zeiten, in denen sich der Kläger wegen Urlaubs oder Krankheit nicht am Arbeitsplatz aufgehalten habe oder sonst wie dienstlich abwesend gewesen sei, zahlreiche „Vorgänge“ dokumentiert worden seien, beweise, dass andere Personen sowohl Zugriff auf den Rechner gehabt hätten als auch in der Lage gewesen seien, die Kopierprogramme usw. zu nutzen. Sodann heißt es auf den Seiten 16 und 17 des vorgenannten Urteils u. a.:

42

„Weshalb der Beklagte diesen eindeutigen Umstand bis zuletzt ignoriert hat, blieb unverständlich. Geradezu für abenteuerlich hält die Kammer die Behauptung der Beklagtenvertreter im Kammertermin, dann müsse der Kläger wohl auch während seiner Krankheitszeiten und seiner Urlaube regelmäßig auf Arbeit erschienen sein und den Rechner privat genutzt haben. Wie es der Kläger allerdings hat anstellen sollen, beispielsweise aus seinem Neuseeland-Urlaub zwischenzeitlich das O. aufzusuchen, nur um ein paar CDs zu brennen, konnte niemand schlüssig erläutern. Viele Mitarbeiter des O. verfügen über einen Dienstschüssel für das Zimmer des Klägers. Das Passwort für den Rechner ist leicht herauszufinden. Wenn die entsprechenden Programme einmal installiert sind, dürfte es auch für einen technisch nicht sehr bewanderten Mitarbeiter leicht möglich sein, diese zu nutzen. Schließlich war auch zu berücksichtigen, dass sich die Ermittlungen des Beklagten auch gegen zumindest einen weiteren Mitarbeiter des Hauses richten, von dem ebenfalls angenommen wird, er habe Privatnutzungen vorgenommen.

43

Die „Ermittlungen“ gegen andere Mitarbeiter, die vom Kläger als mögliche Nutzer bezeichnet wurden, haben sich offensichtlich darauf beschränkt, zu fragen, ob sie den Rechner genutzt haben. Nachdem diese Mitarbeiter schlicht mit „Nein“ geantwortet haben, war für den Beklagten die Sachlage klar. So jedenfalls wurde es im Kammertermin erklärt, nachdem der Vorsitzende fragte, weshalb sich der Beklagte sicher sei, dass keine anderen Mitarbeiter beteiligt seien. Diese Art der Aufklärung überzeugte die Kammer jedoch nicht.

44

Nach alledem steht gerade nicht zur Überzeugung der erkennenden Kammer fest, dass der Kläger für alle Privatnutzungen verantwortlich ist. Auch können ihm somit konkrete Straftaten im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzung nicht nachgewiesen werden. Wann genau etwa hat er welche konkrete CD oder DVD unzulässig vervielfältigt?

45

Es muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass unter diesen Umständen allenfalls eine Verdachtskündigung in Betracht gekommen wäre.“

46

„Soweit eine (zugestandene) Privatnutzung in geringem Umfang verbleibt, wobei jedoch der zeitliche Umfang und die Intensität vollkommen ungeklärt blieben, reichte dies keinesfalls für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus.

47

Die unbefugte Privatnutzung von Dienstrechnern, verbunden mit dem Verbrauch dienstlich angeschafften Materials (hier Rohlinge) während der Arbeitszeit stellt zweifelsfrei eine gravierende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers dar, die nicht bagatellisiert werden soll. Unter Umständen handelt es sich sogar um strafbares Verhalten (Arbeitszeitbetrug, Diebstahl oder Unterschlagung). Regelmäßig sind solche Verhaltensweisen nach den Umständen des Einzelfalls geeignet, eine fristlose oder fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.

48

Im Streitfall sind jedoch schon Umfang und Intensität der Pflichtverletzung des Klägers unklar. Zu beachten ist zudem, dass nicht jedes strafbare Verhalten oder jede grobe Pflichtverletzung eines Arbeitnehmers ohne Weiteres eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen kann (vgl. den Fall „Emmely“: BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – juris).

49

Wenn man lediglich das zugestandene Verhalten des Klägers zugrunde legt, nämlich eine Privatnutzung in geringem Umfang (alles andere konnte nicht bewiesen werden), konnte eine Kündigung, jedenfalls ohne vorherige Abmahnung, nicht wirksam ausgesprochen werden.

50

Zwar liegt ein „Arbeitszeitbetrug“ insoweit vor, als dass der Kläger während seiner Arbeitszeit, für die er bezahlt wird, weil er dienstliche Dinge erledigen soll, Privates erledigt hat. Unabhängig von dem nicht feststehenden Umfang der privat genutzten Zeit ist hier jedoch zu berücksichtigen, dass es dem Kläger jedenfalls (unbestritten!) erlaubt war, sich um die Privatrechner von Mitarbeitern des Hauses „zu kümmern“, wenn ein Problem auftrat. Hier durfte er also während der Arbeitszeit nicht dienstliche Dinge erledigen. Auf Nachfrage in der Kammerverhandlung haben die Beklagtenvertreter erklärt, dass die Kündigung auf diese Tätigkeiten des Klägers ausdrücklich nicht gestützt werde.

51

Wenn dies jedoch in der Arbeitszeit erlaubt oder zumindest geduldet wurde, war für den Kläger nicht ohne weiteres ersichtlich, dass eine Privatnutzunge des Rechners, beispielsweise zum Kopieren einer CD, streng untersagt war und er damit rechnen musste, hierfür ohne weiteres gekündigt zu werden.

52

Auch weil es sich eindeutig um steuerbares Verhalten handelt, welches hier gerügt wird, musste der Beklagte schon zur Klarstellung, welches Verhalten gebilligt und welches Verhalten nicht toleriert wird, zunächst eine Abmahnung aussprechen, bevor er zum (letzten) Mittel der fristlosen Kündigung greift. In der Abmahnung hätte er klarstellen müssen, welches Verhalten künftig nicht mehr geduldet wird und er hätte für den Fall weitergehender einschlägiger Pflichtverletzungen eine Kündigung androhen müssen. Im Falle, dass sich die Pflichtverletzungen wiederholt hätten, wäre dann eine Kündigung grundsätzlich möglich gewesen. Angesichts aller Umstände ist anzunehmen, dass der Kläger nach einer etwaigen Abmahnung sein Verhalten geändert hätte.

53

Die fristlose Kündigung war aus objektiver Sicht keinesfalls die „ultima ratio“, zumal auch nicht feststellbar war, ob und welcher Schaden gerade durch den Kläger verursacht wurde. Schon wegen Unverhältnismäßigkeit erweist sich die Kündigung daher als rechtsunwirksam.

54

Auf die Interessenabwägung, die auch das Lebensalter des Klägers und die xx-jährige - beanstandungsfreie - Beschäftigungszeit berücksichtigen müsste, kam es nicht mehr an.

55

Für die Kammer war letztlich nicht nachvollziehbar, wie die nunmehr vorgetragenen Umstände und insbesondere der erhebliche Umfang privater Nutzung von dienstlichen Ressourcen so lange unentdeckt geblieben sein soll. Möglicherweise wurden bestimmte Dinge toleriert und geduldet, wohl weil eine Anzahl von Mitarbeitern des Hauses hiervon in unterschiedlicher Weise profitiert hat. Nachdem jedoch bestimmte Sachverhalte und Verhaltensweisen offiziell festgestellt, gemeldet und damit nachweislich bekannt wurden, wurde sogleich ein Exempel statuiert.“

56

Weiter hat das Arbeitsgericht Halle in seinem vorgenannten Urteil ausgeführt (S. 19 ff), die vorsorglich ausgesprochene ordentliche verhaltensbedingte Kündigung sei ebenfalls sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam. Es habe kein hinreichender Kündigungsgrund vorgelegen. Insoweit nimmt das Arbeitsgericht auf seine Ausführungen zur außerordentlichen Kündigung Bezug. Trotz Vorliegens vertragswidriger und vorwerfbarer Pflichtverletzungen seitens des Klägers sei auch die ordentliche (fristgemäße Kündigung) des Arbeitsverhältnisses nicht verhältnismäßig. Insoweit sei zunächst eine Abmahnung erforderlich gewesen. Da sich beide Kündigungen im Ergebnis wegen eines fehlenden hinreichenden Kündigungsgrundes als rechtsunwirksam erwiesen hätten, habe die Frage der ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrats vor Ausspruch der Kündigungen keiner Erörterungen mehr bedurft. Der Kläger sei bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.

57

Wegen der übrigen Gründe der vorgenannten Entscheidung des Arbeitsgerichts Halle vom 04. Dezember 2013 wird auf dessen Seiten 12 bis 21 (Bl. 281 – 290 d. A.) verwiesen.

58

Dieses Urteil wurde dem beklagten Land am 09. Dezember 2013 zugestellt. Dessen Berufungsschrift ist am 08. Januar 2014 und dessen Berufungsbegründung – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 10. März 2014 – am 10. März 2014 beim Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt eingegangen.

59

Das beklagte Land hat in seiner hier ausdrücklich in Bezug genommenen Berufungsbegründung vom 10. März 2014 nebst Anlagen (Bl. 354 – 399 d. A.) ausgeführt, die angefochtene Entscheidung des Arbeitsgerichts Halle beruhe auf einer unzureichenden Tatsachenfeststellung. Auf dem dienstlichen Rechner des Klägers seien im Zeitraum vom 06. Oktober 2010 bis zum 13. April 2013 bzw. 14. März 2013 mit dem Programm „DVD-Shrink“ insgesamt 1128 DVDs vorwiegend während der Dienstzeit bearbeitet worden.

60

Dieses Programm sei im vorgenannten Zeitraum insgesamt 630-mal an Tagen benutzt worden, an denen der Kläger im Dienst gewesen sei. Dabei habe das Arbeitsgericht Halle die vermeintliche fehlende Plausibilität auf einen Gesichtspunkt des Vortrages des Klägers gestützt, dessen entscheidungserhebliche Bedeutung dem beklagten Land nicht ohne richterlichen Hinweis habe bewusst sein können.

61

Der Tatsachenstoff, wie der Kläger es habe anstellen sollen, beispielsweise aus seinem N.-urlaub zwischendurch das O. aufzusuchen, „nur um ein paar CDs zu brennen“ (Seite 16 des Urteils des Arbeitsgerichts Halle) habe nicht ohne vorherigen gerichtlichen Hinweis verwendet werden dürfen. Im Rahmen der Besprechung zwischen dem Kläger und dem Geschäftsleiter des O. N. vom 17. April 2013 habe der Kläger sinngemäß ausgeführt, alles, was auf dem Rechner bezüglich der DVDs sei, habe er gemacht.

62

Im Übrigen habe das Arbeitsgericht Halle den erstinstanzlich vorgebrachten Tatsachenstoff nicht ausgeschöpft. Darüber hinaus lasse die angefochtene Entscheidung des Arbeitsgerichts Halle jede Auseinandersetzung mit der fehlenden Schlüssigkeit des klägerischen Vorbringens dazu vermissen, dass die dokumentierten Transfervorgänge nicht auf sein Verhalten, sondern ausschließlich auf den Zugriff anderer Bediensteter auf seinen Computer zurückzuführen seien. Auch den Sachvortrag des beklagten Landes zum Verbrauch der für den Dienstgebrauch bestimmten CDs und DVDs habe das Arbeitsgericht nicht ausgeschöpft. Der streitgegenständliche Rechner sei der Benutzung durch den Kläger zugewiesen gewesen. Es handele sich um einen vom Kläger zusammengebauten „Testrechner“ des O. Der Kläger sei als Benutzer zugelassen gewesen. Der Kläger habe ein individuelles Passwort vergeben. Dem Kläger sei seit dem Jahr 2004 bekannt, dass die auf dem Rechner des Klägers vorgefundenen Programme für diese Installation nicht frei gegeben gewesen seien. Sodann erfolgt seitens des beklagten Landes Hilfsvorbringen zu arbeitsteiligem Vorgehen. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten nimmt das beklagte Land auf die Besprechung vom 22. April 2013 Bezug. Danach erfolgt ab Seite 18 ff. der vorgenannten Berufungsbegründung vom 10.03.2014 Hilfsvorbringen zur Verdachtskündigung. Hierüber sei auch der Personalrat unterrichtet worden. Ab der Seite 20 der Berufungsbegründung erfolgen Ausführungen des beklagten Landes dazu, dass es hier am Erfordernis einer Abmahnung fehlt. Damit ergebe sich auch, dass der geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch unbegründet sei.

63

Das beklagte Land beantragt,

64

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage abzuweisen.

65

Der Kläger beantragt,

66

die Berufung zurückzuweisen.

67

Der Kläger führt in seiner ebenfalls ausdrücklich in Bezug genommenen Berufungserwiderung vom 09. Mai 2014 (Bl. 417 - 427 d. A.) aus, eine Vielzahl von Vorgängen sei auch durch den Bediensteten S erfolgt. Damit sei – wie das Arbeitsgericht ausgeführt habe – lediglich eine geringe Privatnutzung von den ursprünglichen Vorwürfen übrig geblieben. Dies reiche jedoch keinesfalls für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Das gelte umso mehr, als das beklagte Land nunmehr als Anlage BK2 a die Dienstanweisung für die Nutzung von E-Mail, Intranet und Internet im Geschäftsbereich des Ministeriums xxx vom 12. Juli 2004 vorlege. Dieser sei zu entnehmen, dass – jedenfalls soweit es E-Mail, Intranet und Internet betrifft – eine Nutzung der EDV des beklagten Landes zu privaten Zwecken zulässig sei. Eine im Umfang ungeklärte und lediglich behauptete verbotene Nutzung von Rechnern des Arbeitgebers rechtfertige keine fristlose Kündigung. Bei der vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung vom 13. Mai 2013 fehle es bereits an einer Abmahnung. Daher habe offen bleiben können, ob die Anhörung des Betriebsrates (gemeint ist offenbar der Personalrat) ordnungsgemäß erfolgt sei. Mit seinem Schreiben vom 18. April 2013 habe der Präsident des O die ursprünglich mit Schreiben vom 16. April 2013 erfolgte Anhörung des Personalrates ergänzt und insbesondere auf die am 17. April 2013 erfolgte Anhörung des Klägers verwiesen. Eine nachträgliche Information sei zwar zulässig, führe allerdings dazu, dass insoweit die Frist für die Stellungnahme des Personalrates neu zu laufen beginne. Diese Frist sei im Zeitpunkt des Zugangs der fristlosen Kündigung am 22. April 2013 noch nicht verstrichen gewesen.

68

Soweit das beklagte Land den Vermerk vom 17. April 2013 zitiere, sei dies unzureichend. Tatsächlich habe der Kläger ausweislich dieses Vermerks geäußert:

69

„Ich habe manchmal festgestellt, dass mein Rechner von anderen Personen genutzt wurde. Eine Mitteilung an den Geschäftsleiter oder Referenten habe ich nicht gemacht, weil es sich nur um den Testrechner handelt. Seit ca. Dezember 2012 habe ich ein Passwort vergeben. Das Passwort ist aber so einfach, dass es jeder knacken kann…“

70

Im Weiteren verschweige das beklagte Land, dass der Kläger anlässlich der Übergabe der Kündigung ausdrücklich erklärt habe:

71

„Aufgrund des Druckes wegen der anstehenden Disziplinarmaßnahmen habe ich Aussagen getätigt, die mir nicht deutlich sind bzw. dem Schutz von Kollegen und Vorgesetzten und mir dienen sollten. Die nehme ich hiermit ausdrücklich zurück. Ich werde in dem anstehenden arbeitsrechtlichen Verfahren neu aussagen (Vermerk JAM W. vom 22.04.2013, Anlage B 3 zum Schriftsatz des Beklagten vom 03.07.2013).“

72

Der Kläger habe über die Nutzung des Testrechners durch dritte Personen kein Buch geführt. Die Behauptung des beklagten Landes, der Kläger habe höchst sorgfältig darauf geachtet, Dritten keinen Einblick in seine Arbeitsvorgänge zu gewähren, sei aus der Luft gegriffen und falsch. Tatsächlich seien im O. seit 2011 mindestens 4 Administratoren eingesetzt, nämlich neben dem Kläger Frau P, Herr P. und Herr S. Das Dienstzimmer des Klägers sei für jedermann offen gewesen. Dort hätten Farbdrucker gestanden, die für jeden Mitarbeiter des O. zugänglich sein mussten. Schlüssel für die Schränke hätten neben dem Kläger der Zeuge P. als Vertreter des Klägers gehabt. Sodann heißt es auf Seite 8 der Berufungserwiderung des Klägers vom 09. Mai 2014 u. a.:

73

„Eine Erklärung für den Verbleib von DVD´s und CD´s liefert das beklagte Land im Übrigen selbst, indem es auf den Besprechungsvermerk vom 22.04.2013 (Anlage BK 4) verweist. Danach hat Herr S CD´s und DVD´s für Musik und Filme jeweils im mittleren dreistelligen Bereich gebrannt.“

74

Außerdem heißt es auf Seite 8 der vorgenannten Berufungserwiderung des Klägers weiter:

75

„Bei dem streitgegenständlichen Rechner handelt es sich um einen Testrechner des O.. Dieser war zur allgemeinen Benutzung durch die Mitarbeiter des DV-Referats bestimmt und wurde durch diese auch entsprechend genutzt. Auf den diesbezüglichen erstinstanzlichen Vortrag nimmt der Kläger Bezug. Auf dem Testrechner waren während seiner Lebensdauer unterschiedliche Betriebssysteme installiert. Ein Passwort befindet sich auf dem Computer erst seit Anfang 2013. Bis Ende 2007 war der Computer ohne Passwort nutzbar. Der Benutzernahme „Sch“ war jedem Interessierten bekannt. Dieser konnte den Computer dann auch nutzen.“

76

Weiterhin heißt es auf Seite 10 der vorgenannten Berufungserwiderung des Klägers unter 4.7:

77

„Die Datei „H. und K.“ ist dem Kläger ebenso unbekannt, wie die Datei „Take Shelter“. Entsprechende „Transfervorgänge“ hat der Kläger nicht vorgenommen. Der Kläger hat auch keine E-Box kopiert.

78

Dem Kläger ist in seiner Eigenschaft als Administrator bekannt, dass eine Vielzahl von Programmen entgegen der Dienstanweisung auf allen Ebenen installiert und benutzt wurde. Darüber hinaus befanden sich auf dem Server des O. mehrere tausend private Dateien von Urlauben oder kleinen Filmen. Auf diesem Umstand hat der Kläger mehrfach in Dienstbesprechungen hingewiesen, ohne Ergebnis.“

79

Das beklagte Land habe die Kündigung ausdrücklich nicht als Verdachtskündigung ausgesprochen. Es habe den Personalrat auch nicht zu einer Verdachtskündigung angehört. Der Ausspruch einer Verdachtskündigung würde im Übrigen vorausgesetzt haben, dass das beklagte Land vor Anhörung des Personalrates den Kläger dazu angehört hätte. Dies habe das beklagte Land nicht getan. Vielmehr habe dieses in der erstinstanzlichen Kammerverhandlung ausdrücklich erklärt, dass die Kündigung nicht als Verdachtskündigung ausgesprochen worden sei.

80

Schließlich heißt es auf Seite 11 der Berufungserwiderung des Klägers vom 09. Mai 2014 unter 4.9. (Bl. 427 d. A.):

81

„Dem Kläger kann die Nutzung des Testrechners dafür, Computer von Mitgliedern des O. zu sichern bzw. zu reparieren, nicht vorgeworfen werden, da diese Tätigkeit ausdrücklich durch den damaligen Referatsleiter gebilligt wurde. Dass der Kläger Mitarbeiter des O. bei Computerproblemen geholfen hat und dies auch tun sollte, war im gesamten O. bekannt. Dies folgt schon daraus, dass er für die Vorsitzenden Richter GB. bzw. H. entsprechend tätig war.

82

Der Kläger hat den Datenbestand nicht verschleiert. Datenüberschreibungen sind keine Verschleierungen, sondern ein in der Natur der Sache liegender Vorgang. Damit ist auch nicht von einer Veränderung des Computers auszugehen.“

83

Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2014 hat das beklagte Land zur Berufungserwiderung des Klägers vom 09. Mai 2014 Stellung genommen. Auf diesen Schriftsatz (Bl. 454 – Bl. 460 d. A.) wird Bezug genommen. Anschließend hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13. August 2014 zum vorgenannten Schriftsatz des beklagten Landes vom 28. Juli 2014 Stellung genommen. Auf diesen Schriftsatz wird ebenfalls Bezug genommen (Bl. 469 – Bl. 474 d. A.).

84

Wegen des Inhalts des am Ende der Berufungsverhandlung vom 20. August 2014 verkündeten Kammerbeschlusses wird auf Bl. 478 d. A. Bezug genommen.

85

Dazu hat der Kläger mit Schriftsatz vom 15. September 2014 (Bl. 487 d. A.) Stellung genommen. Das beklagte Land hat mit Schriftsatz vom 17. September 2014 nebst Anlagen (Bl. 503 – Bl. 516 d. A.) Stellung genommen, dem u. a. das Schreiben des Personalrates beim O. N. vom 06. Mai 2013, wonach der örtliche Personalrat der beantragten Maßnahme zugestimmt hat, beigefügt war. Sodann hat der Kläger mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2014 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 17. September 2014 Stellung genommen. Wegen der Einzelheiten dieses Schriftsatzes vom 15. Oktober 2014 wird auf Blatt 523 – Bl. 527 der Akte Bezug genommen. Im Rahmen der Berufungsverhandlung vom 12. November 2014 erhielten beide Parteien Gelegenheit, sich zu verschiedenen Punkten zu äußern. Es blieb streitig, ob der Kläger zu einem Zeitraum im Urlaub im N. war, während es auf dem ausgewerteten Rechner zu Brennvorgängen gekommen ist. Am Schluss dieser Sitzung wurde ein Kammerbeschluss verkündet, wegen dessen Inhalts auf Bl. 533 d. A. verwiesen wird.

86

Daraufhin legte der Kläger mit Schriftsatz vom 19. November 2014 eine Buchungsbestätigung nebst Anlagen vor, wonach er sich vom 23. Oktober 2011 bis zum 18. November 2011 im Rahmen der Rundreise „xxx“ in A. und N. befunden hat (vgl. Bl. 536 – Bl. 537 d. A. und Bl. 538 – Bl. 544 d. A.). Das beklagte Land hat dazu mit Schriftsatz vom 09. Dezember 2014 (Bl. 545 bis 551 d. A.) Stellung genommen.

87

Mit Schreiben vom 03. November 2014 hat die Polizeidirektion xxx xxx unter dem Az.: xxx beim LAG Sachsen-Anhalt – dort eingegangen am 05. November 2014 – im Auftrag der Staatsanwaltschaft H. um Aktenübersendung wegen geführter Ermittlungen gegen den Kläger wegen des Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz gebeten. Unter dem 06. November 2014 ist dort mitgeteilt worden, dass hier Termin am 12. November 2014 ansteht und der dortige Antrag danach bearbeitet wird.

Entscheidungsgründe

88

Den Parteien ist aufgrund der beiden Berufungsverhandlungen nebst den dortigen Erörterungen und anschließenden Kammerbeschlüssen ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden. Die Berufungskammer hat sich dort jeweils darum bemüht, auf eine Einigung der Parteien hinzuwirken. In beiden Berufungsverhandlungen war das beklagte Land jedoch nicht bereit, etwaige Inhalte einer einvernehmlichen Regelung zu erörtern. Der Kläger hat dazu auf seine Rentennähe sowie seine grundsätzliche Bereitschaft, auszuscheiden, hingewiesen. Folglich bedurfte es hier dieser Entscheidung:

I.

89

Die statthafte (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässige (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- und fristgerechte eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 517, 519 ZPO) des beklagten Landes gegen das vorgenannte Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 04.12.2013 ist ohne Weiteres zulässig.

II.

90

Die Berufung des beklagten Landes gegen dieses Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 04.12.2013 – 3 Ca 1303/13 NMB – ist jedoch unbegründet. Sie war demgemäß zurückzuweisen. Die Kosten des Berufungsverfahrens waren dem beklagten Land aufzuerlegen. Die Revision war zuzulassen. Dabei folgt die Berufungskammer zunächst der erstinstanzlichen Entscheidung des Arbeitsgerichts Halle gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG und macht sich diese Ausführungen – auch zur Vermeidung von Wiederholungen – zu Eigen. Dies gilt auch insoweit, als das Arbeitsgericht Halle in seinem Urteil vom 04. Dezember 2013 auf S.18 bis S. 19 folgendes ausgeführt hat:

91

„Für die Kammer war letztlich nicht nachvollziehbar, wie die nunmehr vorgetragenen Umstände und insbesondere der erhebliche Umfang privater Nutzung von dienstlichen Ressourcen so lange unentdeckt geblieben sein soll. Möglicherweise wurden bestimmte Dinge toleriert und geduldet, wohl weil eine Anzahl von Mitarbeitern des Hauses hiervon in unterschiedlicher Weise profitiert hat. Nachdem jedoch bestimmte Sachverhalte und Verhaltensweisen offiziell festgestellt, gemeldet und damit nachweislich bekannt wurden, wurde sogleich ein Exempel statuiert.“

92

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis hat demgemäß weder durch die fristlose Kündigung des beklagten Landes vom 18. April 2013 noch durch die anschließende ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 13. Mai 2013 sein Ende gefunden. Beide Kündigungen sind rechtsunwirksam. Deshalb ist der Kläger weiter zu beschäftigen. Im Einzelnen:

1.

93

Die streitgegenständliche fristlose Kündigung des beklagten Landes vom 18. April 2013 ist unwirksam. Es fehlt für diese am wichtigen Grund im Sinne von § 626 (1) BGB und an der Einhaltung der Frist gemäß § 626 (2) BGB.

a)

94

Auch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (fortan: BGH) setzt die Feststellung eines zur außerordentlichen Kündigung eines Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses berechtigenden Grundes eine umfassende und rechtlich einwandfreie Abwägung aller Umstände voraus (vgl. bereits BGH vom 09. November 1992 – II ZR 234/91 – = NJW 1993, 463).

95

Eine fristlose Kündigung eines Geschäftsführer - Anstellungsvertrages kommt z. B. in Betracht, wenn der Fall eines missbräuchlichen Ausnutzens für diesen bzw. sich selbst vorliegt. Ein solches Verhalten kann einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 BGB darstellen, weil bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses bis zu seinem Ablauf unzumutbar ist (vgl. BGH vom 13. Februar 1995 – II ZR 225/93 – NJW 1995, 1358). Die BGH-Entscheidung vom 28. Oktober 2002 – II ZR 353/00 – = NJW 2003, 431 verhält sich über einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung im Zusammenhang mit der Erstattung von Spesen.

96

Der wichtige Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB – ein objektives Tatbestandsmerkmal – bestimmt sich nach ganz herrschender Auffassung anhand objektiver Kriterien, d. h. der wichtige Grund wird allein aufgrund der objektiv vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Weder enthält dieser Begriff des wichtigen Grundes ein subjektives Element noch ist ein Verschulden für das Vorliegen eines solchen wichtigen Grundes erforderlich (sog. erste Stufe). Erst im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung (sog. zweite Stufe) wird die Frage des Verschuldens relevant. Insoweit wird ein wichtiger Grund in der Regel nur bei einem sowohl rechtswidrigen als auch schuldhaften Verhalten bejaht werden können, wobei allerdings unter Umständen auch Fahrlässigkeit ausreichen kann (vgl. HWK-Sandmann, 6. Auflage, § 626 BGB Rz. 115 f mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Ob Straftaten des Arbeitnehmers einen wichtigen Grund ergeben, hängt von der Bedeutung der Straftat für das Arbeitsverhältnis ab. Erst dann, wenn durch die Straftat arbeitsvertragliche Pflichten verletzt werden und dem Arbeitgeber deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar geworden ist, liegt ein wichtiger Grund vor (HWK-Sandmann, a. a. O., § 626 BGB Rz. 236). Daneben können Arbeitspflichtverletzungen ebenfalls einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Dasselbe gilt für Arbeitszeitbetrugsfälle. Im Übrigen stellen nicht genehmigungsfähige Nebentätigkeiten in Unkenntnis des Arbeitgebers regelmäßig bereits für sich – also ohne das Hinzutreten besonderer Umstände – einen wichtigen Grund für eine Kündigung i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB dar (vgl. Bundesarbeitsgericht - fortan kurz: BAG vom 18. September 2008 – 2 AZR 827/06 – = DB 2009, 743). Dies muss nach Auffassung der Kammer erst recht gelten, wenn derartige Tätigkeiten nicht außerhalb, sondern während der Arbeitszeit erfolgen.

b)

97

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Streitfall ergibt dazu folgenden Befund:

98

Das Arbeitsgericht Halle hat hierzu bereits in seinem Urteil vom 04. Dezember 2013 auf S. 15 f. (Bl.283-Bl.284 d. A.) zu Recht u.a. ausgeführt:

99

„Obgleich gewisse Verdachtsmomente vorliegen würden, sei es letztlich nur eine unbewiesene Behauptung des beklagten Landes, dass alle vorgefunden Privatdateien dem Kläger zuzurechnen seien und dass dieser (allein) alle Privatnutzungen durchgeführt, damit auch etwaige (nach § 106 UrhG strafbare) Vervielfältigungen vorgenommen und auch alle Brennvorgänge durchgeführt habe. Keiner der dokumentierten Vorgänge lasse sich einzelnen Personen und damit auch nicht dem Kläger zuordnen. Das beklagte Land stelle letztlich nur Vermutungen an und ziehe Schlussfolgerungen, weil sich der Rechner am Arbeitsplatz bzw. Dienstzimmer des Klägers befunden habe. Niemand habe den Kläger bei einzelnen Privatnutzungen beobachtet.

100

Es sei auch nicht bewiesen, dass es gerade der Kläger gewesen sei, der die Kopierprogramme installiert habe. Allein die unstreitige Tatsache, dass auch in Zeiten, in denen sich der Kläger wegen Urlaubs oder Krankheit nicht am Arbeitsplatz aufgehalten habe oder sonst wie dienstlich abwesend gewesen sei, zahlreiche „Vorgänge“ dokumentiert worden seien, beweise, dass andere Personen sowohl Zugriff auf den Rechner gehabt hätten als auch in der Lage gewesen seien, die Kopierprogramme usw. zu nutzen.“

101

Weiter heißt es auf den Seiten 16 und 17 des vorgenannten Urteils u. a.:

102

„Weshalb der Beklagte diesen eindeutigen Umstand bis zuletzt ignoriert hat, blieb unverständlich. Geradezu für abenteuerlich hält die Kammer die Behauptung der Beklagtenvertreter im Kammertermin, dann müsse der Kläger wohl auch während seiner Krankheitszeiten und seiner Urlaube regelmäßig auf Arbeit erschienen sein und den Rechner privat genutzt haben. Wie es der Kläger allerdings hat anstellen sollen, beispielsweise aus seinem Neuseeland-Urlaub zwischenzeitlich das O. aufzusuchen, nur um in paar CDs zu brennen, konnte niemand schlüssig erläutern. Viele Mitarbeiter des O. verfügen über einen Dienstschüssel für das Zimmer des Klägers. Das Passwort für den Rechner ist leicht herauszufinden. Wenn die entsprechenden Programme einmal installiert sind, dürfte es auch für einen technisch nicht sehr bewanderten Mitarbeiter leicht möglich sein, diese zu nutzen. Schließlich war auch zu berücksichtigen, dass sich die Ermittlungen des Beklagten auch gegen zumindest einen weiteren Mitarbeiter des Hauses richten, von dem ebenfalls angenommen wird, er habe Privatnutzungen vorgenommen.

103

Die „Ermittlungen“ gegen andere Mitarbeiter, die vom Kläger als mögliche Nutzer bezeichnet wurden, haben sich offensichtlich darauf beschränkt, zu fragen, ob sie den Rechner genutzt haben. Nachdem diese Mitarbeiter schlicht mit „Nein“ geantwortet haben, war für den Beklagten die Sachlage klar. So jedenfalls wurde es im Kammertermin erklärt, nachdem der Vorsitzende fragte, weshalb sich der Beklagte sicher sei, dass keine anderen Mitarbeiter beteiligt seien. Diese Art der Aufklärung überzeugte die Kammer jedoch nicht.“

aa)

104

Außerdem muss ein Arbeitgeber bei seinen „Ermittlungen“ auch den Tatsachen bzw. Umständen konkret nachgehen, die der Arbeitnehmer zu seiner Rechtfertigung bzw. zu seiner Entschuldigung vorträgt. Er trägt nämlich die Darlegungs-und Beweislast auch dafür, dass nicht solche Tatsachen vorgelegen haben, die das kündigungsrelevante Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen (BAG vom 08. Mai 2014 - 2 AZR 75/13 - m. w. N.)

105

Unterlässt der (öffentliche) Arbeitgeber dieses gleichwohl, so geht dies – wie hier - zu seinen Lasten. Diesbezüglich geht es hier insbesondere um folgendes:

106

- Am 06.03.2013 fand zwischen dem Geschäftsleiter W. und dem EJHW C. ein Personalgespräch im Beisein der Personalratsvorsitzenden B. statt, das am 18.03.2013 fortgesetzt wurde (vgl. den mit Schriftsatz vom 17.09.2014 überreichten Besprechungsvermerk (Bl. 513 und Bl. 513 R. d. A.);

107

- Am 14.03.2013 (Tag der Geschäftsprüfung beim Kläger) befand sich im Schrank 2 des Bediensteten S. offenbar ein verschlossener Karton. Dazu heißt im Vermerk (Prüfungsbericht) des Geschäftsleiters W vom 11.04.2013 zu dieser Geschäftsprüfung am 14.03.2013: „(auf Nachfrage an Herrn S. privat, blieb daher ungeöffnet).“ (vgl. dazu auch oben S.7 dieses Urteils). Hier zeigt sich mehr als deutlich der Unterschied zwischen „privaten“ Ermittlungen des Arbeitgebers und einer förmlichen Untersuchung durch die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft, die auch zur Entlastung des Klägers hätte führen können. Das kann nicht ohne weiteres zu Lasten des Klägers gehen;

108

- Der Bedienstete JHS S. hat sich ausweislich des Besprechungsvermerks vom 22.April 2013 nach Hinweis des Geschäftsleiters W (analog § 136 StPO/JHS S. müsse sich nicht selbst belasten) im Beisein der Vorsitzenden des Örtlichen Personalrats „zur Sache“ geäußert. Er hat dort aus der Sicht der Berufungskammer eindeutig erklärt, an den hier streitgegenständlichen Geschehnissen im O. beteiligt gewesen zu sein. Diesem Besprechungsvermerk vom 22.April 2013 ist auch deutlich zu entnehmen, dass neben JHS S. und dem Kläger außerdem der EJHW C. an den Geschehnissen im O. beteiligt war. Der JHS S. hat dort sozusagen jedenfalls in Teilen ein „Geständnis“ abgelegt.

109

- Erläuterungen zu den Aufgaben des Klägers, u.a. die technische Unterstützung der Nutzer des Hauses einerseits, wozu laut dem früheren Referatsleiter allen Bediensteten einschließlich Richterschaft/Leitung geholfen werden soll, welche darum bitten. Andererseits die etwaige ausdrückliche Erlaubnis des früheren Referatsleiters, Sicherungen für dienstliche und private Rechner (auch) auf den externen Speichermedien vorzunehmen. Außerdem: Nichtuntersagung gelegentlicher Privatnutzung der Programme durch den Kläger auch außerhalb des O. (seit wann?). Verteilung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf die 4 Administratoren (der Kläger und 3 weitere);

110

- Die (konkludente) Erlaubnis, sich während der Arbeitszeit um die „Privatrechner“ der Bediensteten des O. und deren Angehörigen zu kümmern (bzw. dies zu dürfen), worauf sich das beklagte Land in diesem Verfahren nicht stützt;

111

- Nachvollziehbare Erklärungen dafür, dass die private Nutzung dienstlicher Ressourcen so lange unentdeckt blieb. Nutzung des „Testrechners“ mit einem einfachen Passwort während der Anwesenheit des Klägers und bei dessen Abwesenheit (Urlaub, Krankheit) durch welche Bedienstete des O.;

112

- Büromaterial und Rohlinge sowie Cover: Bestellvorgänge, Zeichnung und Gegenzeichnung unter Beteiligung welcher Bediensteten des O., ggf. nebst Kostenvergleich mit anderen vergleichbaren Behörden.

bb)

113

All das ist vorliegend vom beklagten Land weder hinreichend vorgetragen noch zuvor weiter aufgeklärt worden. Die Berufungskammer kann und will andererseits nicht ausschließen, dass die drei Bediensteten S., C. und der Kläger einvernehmlich außerhalb des zulässigen arbeitsvertraglichen, beamtenmäßigen und gesetzlichen Rahmens tätig waren, wobei ein konkreter Tatbeitrag des Klägers vom beklagten Land nicht dargelegt worden ist. Lediglich die im O. und im MJ angestellten Ermittlungen ohne amtliche Klärung durch Polizei und Staatsanwaltschaft genügen wohl nicht z.B. zur Beantwortung der Frage, ob hier etwa eine sogenannte Mittäterschaft mit welchen konkreten Verantwortlichkeiten vorliegt und wer von diesen 3 Personen (JHS S., EJHW C. und der Kläger) sowie welcher weitere Personenkreis von diesen Handlungen konkret profitiert hat, und zwar besonders auch durch Kosteneinsparungen unter Verletzung geschützter Urheberrechte, also etwa durch sogenanntes „Schwarzbrennen“.

114

All dies geht – wie dargelegt - zu Lasten des beklagten Landes. Der Umfang der „Taten“ mag feststehen, nicht aber der Umfang der konkreten Verantwortlichkeit des Klägers.

c)

115

Das beklagte Land hat zudem die zweiwöchige Frist des § 626 (2) BGB beim Ausspruch der hier streitgegenständlichen Kündigung vom 18. April 2013 nicht eingehalten, die der Kläger am 22.04.2013 erhalten hat.

116

Eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grunde gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich nachweisen (§ 626 Abs. 2 BGB). Diese kurze Frist dient dem Gebot der Rechtssicherheit und -klarheit. Es darf nicht unangemessen lange ungewiss bleiben, ob ein bestimmter Umstand kündigungsrechtliche Folgen nach sich zieht oder nicht. Der Kündigungsberechtigte soll sich keinen Kündigungsgrund aufsparen, um damit den Vertragspartner unter Druck setzen zu können (ständige Rechtsprechung auch des BAG; vgl. etwa BAG vom 25.02.1983 – 2 AZR 298/81 – = DB 1983, 1605). Demgegenüber soll die Frist des § 626 Abs. 2 BGB den Kündigungsberechtigten aber nicht etwa dazu veranlassen, voreilig zu kündigen. Deshalb genügt erst die vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen, um die Frist in Gang zu setzen. Dem Kündigungsberechtigten muss eine (überlegte) Gesamtwürdigung möglich sein, die auch beinhaltet, dass sie genügend Tatsachen kennt, um seiner Behauptungs- und Beweislast im Prozess nachkommen zu können (h. M.; vgl. etwa HWK-Sandmann, a. a. O., § 626 BGB Rz. 339 unter Hinweis auf BAG vom 15. November 1995 – 2 AZR 974/94 – = NJW 1996, 1556). In dieser BAG-Entscheidung vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12 – heißt es u. a. zu 1. und 2.:

117

„1. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginne. Sollte der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen. Bei Vorliegen besonderer Umstände darf sie auch überschritten werden. Unerheblich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhaltes beigetragen haben oder nicht …

118

1. Das bedeutet zugleich, dass der mit der beabsichtigten Anhörung verbundene Fristaufschub i. S. v. § 626 Abs. 2 BGB nicht nachträglich entfällt, wenn der Arbeitgeber das ergebnislose Verstreichen der Frist zur Stellungnahme für den Arbeitnehmer zum Anlass nimmt, nunmehr auf dessen Anhörung zu verzichten. Ein solcher nachträglicher Wegfall des ursprünglichen Aufschubs käme nur in Frage, wenn der betreffende Entschluss des Arbeitgebers auf Willkür beruhte. Davon kann die Rede nicht sein, wenn Anlass für den neuen Entschluss der Umstand ist, dass sich der Arbeitnehmer innerhalb einer ihm gesetzten, angemessenen Frist nicht geäußert hat …“

119

Geht es aber um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Aus- oder Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen (vgl. BAG vom 27.01.2011 – 2 AZR 825/09 – = NJW 2011, 2231).

120

Einen Sonderfall betrifft die Entscheidung des BAG vom 21. Februar 2013 – 2 AZR 433/12 – = BB 2013, 1716, wonach sich der Arbeitgeber ausnahmsweise die Kenntnis derjenigen Personen i. S. v. § 626 Abs. 2 BGB zurechnen lassen muss, wenn diese eine herausgehobene Position und Funktion haben sowie in der Lage sind, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der Kündigungsberechtigte die Entscheidung abgewogen treffen kann. Allerdings schränkt das BAG dies ein auf eine unsachgemäße Organisation des Betriebs bzw. der Verwaltung.

121

Weitere wichtige Gründe können grundsätzlich auch noch im Rechtsstreit nachgeschoben werden, soweit sie erst nach Ausspruch der Kündigung objektiv vorlagen und dem Kündigenden nicht länger als zwei Wochen zuvor bekannt geworden waren. Bei einem Dauerverhalten beginnt die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ohnehin nicht vor der Beendigung dieses Verhaltens (so zutreffend BGH vom 20. Juni 2005 – II ZR 18/03 – = NJW 2005, 3069 im Einzelnen zur fristlosen und ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung sowie zur Tat- und Verdachtskündigung und zur Personalratsbeteiligung).

aa)

122

Auch hier geht es auch um ein strafbares Verhalten des Klägers. Deshalb hätte das beklagte Land den Aus- oder Fortgang eines Ermittlungs- und Strafverfahrens ohne weiteres abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt auf einer konkreten Ermittlungsgrundlage kündigen können (vgl. BAG vom 27.01.2011 – 2 AZR 825/09 – = NJW 2011, 2231).

bb)

123

Das beklagte Land hat hier zunächst davon abgesehen, die möglicherweise strafbaren Vorgänge den Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen, um dadurch sofort staatsanwaltliche Ermittlungen einzuleiten. Es hat lediglich eigene Ermittlungen durch Bedienstete des O. und MJ angestellt, und zwar spätestens ab der Geschäftsprüfung am 14.03.2013 bis zum 22. 04.2013 (Vermerk über die Besprechung zwischen dem Geschäftsleiter W., dem JHS S. sowie der Personalratsvorsitzenden B. einerseits und der Aushändigung der fristlosen Kündigung vom 18.04.2013 an der Kläger andererseits).

124

Diese „Ermittlungen“ haben jedoch keinen Einfluss auf den Lauf der Frist des § 626 (2) BGB.Der Kündigungsberechtigte, der möglicherweise bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann zwar nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen (so oben bereits BAG vom 20.03.2014 - 2 AZR 1037/12).

125

Zwar soll der Kläger hier bestimmte Dinge eingeräumt und sinngemäß zugegeben haben.Die erforderliche fristgerechte Anhörung des Klägers ist bereits nicht erfolgt. Auch die den Kläger möglicherweise entlastenden Erklärungen des JHS S. am 22.04.2013 sind nicht mit ihm, dem Kläger, besprochen worden. Im Übrigen vermag die Berufungskammer auch nicht zu erkennen, warum die Inhalte und Ergebnisse der Geschäftsprüfung am 14.3.2013 erst durch Vermerk vom 11.04.2013 niedergelegt wurden. Allein dazwischen liegen rund 4 Wochen. Besondere Schwierigkeiten bei der Wiederherstellung der Inhalte der Festplatten vermag die Kammer im Rahmen des diesbezüglichen Vorbringens des beklagten Landes nicht zu erkennen. Es ist nicht konkret vorgetragen worden, mit welchen Verfahren im Einzelnen die Festplatten „initial“ gelöscht wurden und mit welchen Sicherheitsstufen diese Löschvorgänge durchgeführt wurden (Anzahl der Löschvorgänge). Die Menge der Datensätze für sich alleine vermag nur schwerlich die Zeitdauer der Datenwiederherstellung zu erklären. Entscheidend dürfte dafür vielmehr – wie dargelegt – vor allem auch die Anzahl der Überschreibungen sein.

126

Somit reicht das Vorbringen des beklagten Landes auf den Seiten 4 und 5 des Schriftsatzes vom 17.09.2014 (Bl. 506 und Bl. 507 d. A.) zur Begründung der Dauer der Datenwiederherstellung nicht aus.

127

Nach alledem kann hier mangels substantiierten Vortrags des beklagten Landes nicht von „aller Zügigkeit“ ausgegangen werden. Der Arbeitgeber hat es – wie oben dargelegt - weder in der Privatwirtschaft noch im öffentlichen Dienst in der Hand, den Beginn dieser Ausschlussfrist herauszuzögern.

2.

128

Die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 13. Mai 2013 ist ebenfalls unwirksam.

a)

129

Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG kommt eine Kündigung auch durch Gründe in Betracht, die in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Eine solche verhaltensbedingte Kündigung ist grundsätzlich in drei Stufen zu prüfen: Zunächst ist festzustellen, ob eine Verletzung von Vertragspflichten vorliegt. Weiterhin ist zu prüfen, ob eine einschlägige Abmahnung erforderlich ist oder ob diese wegen der Schwere der Pflichtverletzung ausnahmsweise entbehrlich ist. Auf dritter Stufe ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. In Abwägung der Interessen beider Vertragsteile muss die Kündigung billigenswert und angemessen erscheinen. Eine nähere Bestimmung des verhaltensbedingten Kündigungsgrundes enthält das Kündigungsschutzgesetz nicht. Ganz unstreitig ist, dass die verhaltensbedingte Kündigung eine Vertragspflichtverletzung durch steuerbares Verhalten erfordert. Dabei kann das Vortäuschen der Aufgabenerfüllung während der Arbeitszeit durch den Arbeitnehmer eine erhebliche Arbeitspflichtverletzung und damit grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Machen diese Arbeitsaufgaben, die nur selten anfallen, aber nur einen Teil seiner geschuldeten Tätigkeit aus und ist bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht mit weiteren Vertragsstörungen zu rechnen, kann es dem Arbeitgeber zumutbar sein, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen (so BAG vom 09. Juni 2011 – 2 AZR 284/10 – = DB 2011, 2724).

130

Als Tatkündigung kommt die vorliegende ordentliche Kündigung nicht in Betracht. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Es fehlt bereits an der konkreten Darlegung des genauen Tatvorwurfs. Abgesehen davon dürfte mit dem Arbeitsgericht Halle mit Blick auf den hier vorliegenden Sachverhalt, wonach fast alle Bediensteten einschließlich der Richterschaft offenbar von der Tätigkeit des Klägers profitiert und dieser auch nicht widersprochen haben, eher eine Abmahnung als eine Kündigung dem Ultima-Ratio-Pip entsprochen haben. Für seine Handlungen fehlte dem Kläger deshalb möglicherweise ebenso wie vielen anderen (auch richterlichen) Bediensteten im O. ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein.

131

Zudem ist insoweit in Ermangelung diesbezüglichen Vorbringens des beklagten Landes auch nicht hinreichend erkennbar, ob und wie das beklagte Land in dieser Angelegenheit gegenüber den Beamten, nämlich dem JHS S. und dem EJHW C., in vergleichbarer Weise wie gegenüber dem Kläger verfährt. Zwar findet der Gleichbehandlungsgrundsatz hier im Verhältnis zwischen Beamten und Angestellten nicht ohne weiteres unmittelbare Anwendung (vgl. dazu etwa BAG vom 20.03.2002 – 4 AZR 90/01). Das gilt aber hier unabhängig von den anerkannten mittelbaren Wirkungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht für begangene Pflichtverletzungen, die von Beamten und Angestellten gemeinsam begangen wurden. Diese wiegen bei Beamten sicher nicht ohne weiteres leichter als bei Angestellten. Gleichwohl sind die hier betroffenen Beamten nach wie vor im Dienst. Es ist nicht ersichtlich, dass ihre Entlassung veranlasst ist bzw. konkret bevorsteht oder gegen sie andere disziplinarische Maßnahmen ergriffen wurden.

b)

132

Eine Verdachtskündigung hat das beklagte Land weder mit der fristlosen Kündigung vom 18. April 2013 noch mit der fristgerechten Kündigung vom 13.Mai 2013 sind ausgesprochen.

aa)

133

Ist eine erhebliche Vertragspflichtverletzung nachweislich erfolgt und damit als Tat erwiesen, kann sie sowohl einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB als auch einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG darstellen. Aber auch der dringende, schwerwiegende Verdacht eine strafbaren Handlung mit Bezug zum Arbeitsverhältnis oder eine Verletzung erheblicher arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber einem verdächtigen Arbeitnehmer darstellen oder als Grund für eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG in Betracht kommt. Dabei stellt der Verdacht einer strafbaren Handlung gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe eine Tat tatsächlich begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf noch nicht enthalten ist (vgl. bereits BAG vom 14. September 1994 – 2 AZR 164/4 – = DB 1995, 534).

134

Eine sog. Verdachtskündigung kommt – schon wegen der in besonderem Maße bestehenden Gefahr, dass ein Unschuldiger getroffen wird – auch als ordentliche Kündigung neben einer außerordentlichen Kündigung nur in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis bereits durch den Verdacht so gravierend beeinträchtigt wird, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Dies setzt voraus, dass nicht nur der Verdacht als solcher schwerwiegend ist, vielmehr muss ihm ein erhebliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers – strafbare Handlung oder schwerwiegende Pflichtverletzung (Tat) – zugrunde liegen. Die Verdachtsmomente müssen daher, auch im Falle einer ordentlichen Kündigung, regelmäßig ein solches Gewicht erreichen, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überhaupt nicht mehr zugemutet werden kann, hierauf also grundsätzlich eine ordentliche Kündigung gestützt werden könnte (vgl. BAG 27.11.2008 – 2 AZR 98/07).

135

Wenn sich somit starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen und diese Verdachtsmomente geeignet sind, dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhebliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen hat, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, ist eine solche Verdachtskündigung zulässig. Die Anhörung des Arbeitnehmers hat im Zuge der gebotenen Aufklärung des Sachverhaltes zu erfolgen. Ihr Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen zu bezeichnen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Allein um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt. Dagegen ist sie nicht dazu bestimmt, als verfahrensrechtliche Erschwernis die Aufklärung zu verzögern und Wahrheit zu verdunkeln.

136

Die Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Verdachtskündigung soll diesem somit die Möglichkeit geben, den gegen ihn bestehenden Verdacht zu entkräften. Dies ist aber nur dann möglich, wenn der Arbeitnehmer eigene Kenntnis von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen hat (so BAG vom 13.03.2008 – 2 AZR 961/06). Im Übrigen entspricht es den Besonderheiten der Verdachtskündigung, dass der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen zur Erfüllung der Aufklärungspflicht als Voraussetzung einer wirksamen Verdachtskündigung vollständig nachkommt (so BAG vom 26.09.2002 – 2 AZR 424/01 – = DB 2003, 1336).

137

Im Übrigen gilt folgendes: Eine Verdachtskündigung liegt begrifflich nur dann vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Um eine Verdachtskündigung handelt es sich dagegen nicht, wenn der Arbeitgeber, obwohl er nur einen Verdacht hegt, die Verfehlung des Arbeitnehmers als sicher hinstellt und mit dieser Begründung die Kündigung erklärt (so LAG Rheinland-Pfalz vom 27. Januar 2004 – 2 Sa 1221/03 – = NZA – RR 2004, 473). Dementsprechend hat das BAG in seiner Entscheidung vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12 – a. a. O., noch einmal hervorgehoben, dass die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist.

138

Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung also Gelegenheit geben, zu den Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen, um dessen Einlassung bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Versäumt er dies, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam. Demgegenüber ist das Unterlassen der Anhörung nur dann unschädlich, wenn der Arbeitnehmer entweder von vorn herein nicht bereit war, sich gegen die ihn erhobenen Vorwürfe einzulassen und nach seinen Kräften an einer Aufklärung mitzuwirken oder wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Rahmen des Zumutbaren Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat und dieser sich innerhalb einer gesetzten angemessenen Frist gleichwohl nicht geäußert hat (BAG vom 20. März 2014 – 2 AZR 1037/12 – a. a. O.).

139

Schließlich kann sich der Arbeitgeber auch für die Überlegung, ob er eine Verdachtskündigung aussprechen soll, am Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens orientieren. Dort gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörde können die Annahme verstärken, der Vertragspartner habe die Pflichtverletzungen begangen. Eine solche den Verdacht intensivierende Wirkung kann auch die Erhebung der öffentlichen Klage haben (vgl. BAG vom 27.01.2011 – 2 AZR 825/09 – = NJW 2011, 2231).

bb)

140

Die fristlose Kündigung vom 18.04.2013 und die ordentliche Kündigung vom 13.05.2013 wollte das beklagte Land bis zum Ende der I. Instanz nur als Tatkündigung aussprechen. Eigenständige Verdachtskündigungen wurden ersichtlich nicht ausgesprochen. Erstmals in der Berufungsinstanz meint das beklagte Land offenbar, sich allein durch sein erstmaliges schriftsätzliches Vorbringen auf diesen eigenständigen Kündigungsgrund stützen zu können. Beim Ausspruch dieser Kündigungen war das noch gar nicht gewollt. Demgemäß wurde der Kläger auch nicht eigens hierzu angehört. Diese Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Verdachtskündigung soll diesem – wie dargelegt - die Möglichkeit geben, den gegen ihn bestehenden Verdacht zu entkräften. Dies ist diesem aber nur dann möglich, wenn der Arbeitnehmer eigene Kenntnis von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen hat. Das mag zwar zum Teil der Fall sein. Im Rahmen einer solchen Anhörung in Zusammenhang mit dem beabsichtigten Ausspruch einer eigenständigen Verdachtskündigung hätte der Kläger aber auch diejenigen Gründe darlegen können, die sein Verhalten rechtfertigen oder entschuldigen können. Abgesehen von alledem liegen aber alleine aufgrund der arbeitgeberseitigen Ermittlungen durch Bedienstete des O. und des MJ nicht die notwendigen Voraussetzungen für den Ausspruch einer solchen Verdachtskündigung vor, und zwar weder hinsichtlich der hier streitgegenständlichen fristlosen Kündigung vom 18.04.2013 noch der ordentlichen Kündigung vom 13.05.2013.

3.

a)

141

Die streitgegenständlichen Kündigungen sind auch wegen fehlerhafter Beteiligung des Personalrats unwirksam.

142

Im Bereich des öffentlichen Dienstes hat der Personalrat bei ordentlichen verhaltensbedingten Kündigungen mitzuwirken. Dieses zwingende Mitwirkungsrecht besteht aber lediglich bei der ordentlichen Kündigung i. S. v. § 622 BGB. Vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ist der Personalrat hingegen nur anzuhören. Da die Beteiligungsrechte jedoch unterschiedlich ausgestaltet sind, scheidet eine Umdeutung einer fristlosen in eine ordentliche Kündigung aus. Daher muss zwingend vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung der Personalrat auch hinsichtlich einer „vorsorglichen ordentlichen Kündigung“ beteiligt werden (vgl. BAG vom 03. Dezember 1981 – 2 AZR 679/79 und BAG vom 23.04.1998 – 8 AZR 622/96 jeweils n. v.; so auch Groeger-Schulte, Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, 2. Auflage, Seite 529 Teil 4 B – Rz. 65). Unstreitig ist einer der Hauptanwendungsfälle für Wahrnehmung von Rechten durch Personalräte die Beteiligung an der Kündigung. Eine ohne die vorgeschriebene Beteiligung des Personalrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam (vgl. Groeger-Pahlen, a. a. O., Seite 555 – Teil 4 D Rz. 9). Der Personalrat ist zum einen rechtzeitig und zum anderen umfassend zu unterrichten. Rechtzeitig ist die Unterrichtung, wenn die gesamte Personalvertretung die Möglichkeit hat, die ihr mitgeteilten rechtlichen und tatsächlichen Umstände vor der Erörterung und Beschlussfassung im Gremium zu verarbeiten und die erteilten Informationen bei ihrer Willensbildung zu berücksichtigen. Ist die Beteiligung des Personalrates mit der Einhaltung einer Frist verbunden, beginnt die Äußerungsfrist erst, wenn die für die Meinungs- und Willensbildung erforderliche Information erteilt und die notwendigen Unterlagen überreicht wurden. Außerdem muss die Information umfassend sein. Dem Personalrat sind die rechtlichen und tatsächlichen Umstände mitzuteilen, die ihn in die Lage versetzen, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Dabei ist nicht auf die konkret beteiligte, sondern eine objektive, verständig würdigende Personalvertretung abzustellen. Eine den Anforderungen des Gesetzes entsprechende Information erfordert zudem regelmäßig auch die Vorlage der notwendigen Unterlagen (so zutreffend und mit weiteren Nachweisen Groeger-Pahlen, a. a. O., Seite 561 f – Teil 4 D Rz. 19 – 20 m. w. N.). In seiner Entscheidung vom 26. September 2013 – 2 AZR 843/12 – = DB 2014, 1028 hat sich das BAG erneut auf den Standpunkt gestellt, dass eine durch den Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung unwirksam ist, wenn die Personalvertretung nicht oder nicht ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Die ordnungsgemäße Durchführung der jeweiligen vom Landesgesetzgeber vorgeschriebenen Beteiligungsverfahren ist damit Wirksamkeitsvoraussetzung jeder Kündigung.

b)

143

Vorliegend gilt folgendes:

aa)

144

Die fristlose Kündigung datiert auf den 18.04.2013, ist also an diesem Tage unterschrieben worden. Übergeben wurde sie dem Kläger aber erst am 22.04.2013. Der Besprechungsvermerk Bl.395-Bl.395 R d. A. datiert ebenfalls auf den 22. April 2013. Also ist der Inhalt der Besprechung vom 22.04.2013 nicht mehr ohne weiteres in die Kündigungsentscheidung eingeflossen. Zwar hat die Personalratsvorsitzende B. an dem Gespräch vom 22.04.2013 (W., S., B.) teilgenommen, es ist jedoch nicht vorgetragen worden, dass der Personalrat - als Gremium - von den Erklärungen des JHS S. am 22.04.2013 noch Kenntnisse erlangte, bevor es zu dem Entschluss des beklagten Landes kam, fristlos zu kündigen. Diese Erklärung des JHS S. ist aus der Sicht der Berufungskammer von Bedeutung. Aus ihr folgt ggf. eine Mittäterschaft.

bb)

145

Bezüglich der ordentlichen Kündigung vom 13. Mai 2013 hat der Personalrat keine vollständigen Informationen zum Tatvorwurf gegenüber dem Kläger erhalten. Es fehlt insbesondere die Darlegung der Rechtfertigungs-und Entschuldigungsgründe.

cc)

146

Zum Thema „ eigenständige Verdachtskündigungen“ fehlt es bereits an ordnungsgemäßen Unterrichtungen. Diese sind bereits deshalb nicht erfolgt, weil das beklagte Land bis zum Ende der I. Instanz noch gar keine Verdachtskündigungen aussprechen wollte.

147

Nach alldem kann dahinstehen, ob dem Personalrat überhaupt hinreichend verdeutlicht wurde, dass die ihm vorgetragenen Sachverhalte nur auf eigenen Arbeitgeberermittlungen durch Bedienstete des O. und des MJ ohne amtlichen Charakter erfolgt sind. Möglicherweise hätte der Personalrat dann auch aus Gründen der Transparenz auf die Einschaltung der Polizei bzw. der Staatsanwaltschaft gedrungen, wie es bei jedem Fahrraddiebstahl üblich ist.

III.

148

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

IV.

149

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Hier geht es auch um die (unterschiedliche) Behandlung von (gemeinsam begangenen) Pflichtverletzungen durch Beamte und Angestellte.


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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 64 Grundsatz


(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen


(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt is

Zivilprozessordnung - ZPO | § 519 Berufungsschrift


(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 69 Urteil


(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Woch

Zivilprozessordnung - ZPO | § 517 Berufungsfrist


Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 622 Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen


(1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden. (2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die K

Strafprozeßordnung - StPO | § 136 Vernehmung


(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern

Urheberrechtsgesetz - UrhG | § 106 Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke


(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jah

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bei uns veröffentlicht am 26.05.2016

Tenor Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 04.12.2013 – 3 Ca 1303/13 NMB – abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Ko

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Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers weder durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 18.04.2013 beendet worden ist noch durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 13.05.2013 zum 31.12.2013 beendet wird.

2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vorläufig zu unveränderten Bedingungen als vollbeschäftigten Angestellten in der Entgeltgruppe 9 TV-L im Oberlandesgericht A-Stadt weiterzubeschäftigen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

5. Der Streitwert wird auf 16.429,05 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer (hilfsweise ausgesprochenen) ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.

2

Der am … geborene verheiratete Kläger ist seit dem 17.02.1992 beim beklagten Land beschäftigt, zunächst als Arbeiter und seit September 1992 im Angestelltenverhältnis. Im Arbeitsvertrag / Änderungsvertrag vom 14.09.1992 (Bl. 15 d. A.) wurde unter anderem folgendes vereinbart:

3

„ zu § 1
Herr A. wird mit Wirkung vom 01. September 1992 nicht mehr als Arbeiter tätig sein, sondern als vollbeschäftigter Angestellter auf unbestimmte Zeit weiterbeschäftigt

zu § 2
Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich somit nach dem BAT-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung.

… „

4

Dienstort des Klägers ist das Oberlandesgericht in A-Stadt. Dort ist er als Justizangestellter tätig und als „IT-Verantwortlicher“ im Wesentlichen mit der System- und Netzwerkbetreuung beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehört u. a. auch die Verwaltung des ADV-Depots, die Wartung, Pflege und Betreuung der Hard- und Software, die technische Unterstützung der Nutzer des Hauses, die Administration der elektronischen Berechtigungen und die Passwortvergabe.

5

Nach der Einführung des neuen Tarifwerks und der Überleitung des Arbeitsverhältnisses auf die Bestimmungen des TV–L wurde der Kläger tariflich in die Entgeltgruppe 9 TV-L eingestuft und erhält derzeit eine monatliche Vergütung in Höhe von 3.285,81 € brutto.

6

Am 14.03.2013 wurde im Dienstzimmer … des Oberlandesgerichts eine Geschäftsprüfung der Arbeitsplätze des Klägers und eines weiteren dort tätigen Mitarbeiters durchgeführt. Über die bei der Prüfung getätigten Feststellungen fertigte der Geschäftsleiter des OLG am 11.04.2013 einen Vermerk (Prüfungsbericht) mit folgendem Inhalt (Bl. 166 ff. d. A.):

7

„…

8

Am 14.03.2013 habe ich eine Geschäftsprüfung der Arbeitsplätze des Justizangestellten A. und des im Dienstzimmer 211 durchgeführt.

9

Herr A. ist gemäß Geschäftsverteilungsplan im Referat IV (ADV) überwiegend als System- und Netzwerkbetreuer für das Oberlandesgericht zuständig für. Bis zum 31.12.2012 war Herr A. auch für die Depotverwaltung und Verwaltung der EDV-Verbrauchsmittel einschließlich deren Bestellung verantwortlich.

10

An der Geschäftsprüfung nahmen neben dem Unterzeichner teil;

11

. Herr A.,

12

.
. Frau …,
. Herr … und
. Herr ….

13

Frau …, Herr … und Herr … nahmen auf meine Anordnung an der Geschäftsprüfung teil, um bei der Bestandsaufnahme unterstützend tätig zu sein,

14

Die Dokumentation der Schrank- und Regalinhalte einschließlich des Raumplanes ist als Anlage 1 (Dokumentation) und als Anlage 2 (Raumplan) dem Protokoll beigefügt

15

Herr A. und teilten auf Befragen mit, dass sich nur noch bei Herrn Cramer einige DVD's und CD's befinden könnten.

16

Auf Befragen teilten sowohl Herr A. als auch mit, dass keine Nachweise über den Zugang und den Abgang der EDV-Verbrauchsmittel geführt werden und vorliegen. Hierunter fallen neben Druckerpatronen auch DVD’s und CD's. Genaue Angaben über Zugänge und Abgänge konnten mir gegenüber nicht gemacht werden. Geschildert wurde jedoch das Procedere der Bestellung der EDV-Verbrauchsmittel. Herr A. bestellte bis zum 31.12.2012 halbjährlich die EDV-Verbrauchsmittel, die mit anderen zu beschaffenden Verbrauchsmitteln von Herrn … zusammengefasst und von ihm an die ZBS als Bestellung weitergeleitet worden sind.

17

Die Anzahl der seit dem 2. Halbjahr 2008 bestellten und gelieferten DVD's und CD’s ist in Anlage 3 aufgeführt. Die in Anlage 3 aufgeführten Zahlen sind mir auf telefonische Nachfrage von der ZBS zur Verfügung gestellt worden.

18

Diesbezüglich bleibt festzustellen:

19

In der Zelt vom 01.07.20013 bis zum 31.12.2012 sind für das Oberlandesgericht … insgesamt 2.325 DVD's und 1.500 CD's bestellt worden; für die ADV-Stelle Justiz sind in demselben Zeitraum 870 DVD's und 650 CD's bestellt worden.

20

Im Nachgang der Geschäftsprüfung erklärte Herr A. in Gegenwart von Frau … auf meine Nachfrage. dass seit der Einführung von JURIS kaum DVD’s und CD's von Bediensteten bei ihm abgefordert wurden; genaue bzw. genauere Angaben kann er jedoch nicht machen. Auf Befragen teilt er weiter mit. dass vor der Einführung von JURIS seines Erachtens nach 50 bis 60 DVD's und CD's vierteljährlich und nach der Einführung von JURIS ca. 150 bis 200 DVD's und ca. 50 CD's jährlich bestellt worden sind. Einer Verfügung vom 02.03.2006 ist zu entnehmen, dass JURIS landesweit seit 2006 genutzt werden kann. Die Verfügung ist als Anlage 4 beigefügt.

21

Auf der Grundlage der erfolgten Bestellmengen (= Liefermengen) abzüglich des vorgefundenen Bestandes hätten in der Zeit vom 01.07.2008 bis zum 31.12.2012 durchschnittlich jährlich 383 DVD's und 315 CD's dienstlich verwendet werden müssen. Anhaltspunkte hierüber liegen nicht vor; Erklärungen hierüber sind nicht bekannt.

22

Es bleibt festzuhalten. dass der Verbleib der DVD’s und CD's zu einem überwiegenden Teil am 14.03.2013 nicht nachvollziehbar und erklärbar ist.

23

Im Rahmen der Prüfung sind auch jeweils der Rechner von Herrn A. und von sowie drei externe Festplatten - zwei der drei externen Festplatten sind bezeichnet mit "EXTERN700GB" und "Extern 700GB", eine dritte Festplatte war nicht gesondert gekennzeichnet -, die im Schrank Nummer 7 aufbewahrt werden, untersucht worden.

24

Nach einem groben Oberflächenscannen ist am 08.04.2013 folgendes Zwischenergebnis festzuhalten:

25

a) Rechner Herr A.

26

Harr A. räumte während der Prüfung ein, dass einige private Dateien auf dem Rechner seien.

27

Der Rechner ist nicht in die Domäne eingebunden; der Rechner ist nicht wie bei allen anderen dienstlichen Rechnern üblich "greifbar". Mit Herrn A. konnte als "lokaler Admin" nur ein Nutzer festgestellt werden. Ein Zugriff Dritter aus der "Ferne" ist nicht feststellbar und nahezu nicht möglich. weil der Rechner nicht in die Domäne eingebunden war.

28

Der Rechner besteht aus

29

• zwei Festplatten,
• zwei Brennern und
• einem Kartenleser (SD, CF).

30

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Festplatte und ein Brenner nachgerüstet wurden.

31

Eine der beiden Festplanen wies keine Auffälligkeiten auf.

32

Die andere Festplatte im Rechner als,,2. Festplatte" bezeichnet, verfügt über eine Speicherkapazität von ca. 232 GB. Vor der Wiederherstellung waren ca. 16 GB belegt. Letzte Aktivitäten waren am 14.03.2013 ab 05.59 Uhr registriert.

33

Nach der Wiederherstellung wurden insgesamt 6.427 Dateien festgestellt, die Speicherkapazität war mit 232 GB nahezu erschöpft. Die letzte Verwendung datiert vom 14.03.2013. Eine erste vorgenommene Sichtung der 2. Festplatte am 08.04.2013 ergab, dass regelmäßig Überschreibungen vorgenommen worden sind und von einer fast ausschweifenden Nutzung ausgegangen werden muss.

34

Den 6.427 gefundenen Dateien sind unter anderem

35

• 2.466 elektronische Bücher (ebook),
• 2.378 Bilddateien (wahrscheinlich Cover),
• 834 Audiodateien (Hörbücher und Musik) und
• 230 Videodateien (DVD-Kopien als VOB Datei bezeichnet)

36

zuzuordnen. Von den Hörbüchern sind grundsätzlich drei Formate als PDF, epub und mobi angelegt, wobei die Formate epub und mobi sogenannte "ebook-Formate" sind.

37

Auf dem Rechner ist auch das Programm "DVD Shrink" installiert Dieses Programm ist geeignet, den Kopierschutz des Herstellers seiner DVD's (Filme betreffend) zu decodieren. Das Programm Shrink wurde nach Auswertung der Rechnerdaten in der Zeit vom 06.10.2010 bis 14,03.2013 regelmäßig genutzt. In diesem Zeitraum sind 1.128 DVD's bearbeitet worden. Anzumerken ist, dass für diesen Zeitraum insgesamt 1.150 DVD's bestellt und geliefert worden sind, deren dienstlicher Verbleib nicht erklärbar ist.

38

Neben dem Programm "DVD Shrink" waren auch die Programme

39

• d\ldfab (eigene Werbung im Internet: "Beste Software zum Kopieren von Blueray und DVD").
• Engelmann media (videoconverter, geeignet zum Umwandeln) und
• anyDVD (Kopierprogramm zum Herunterladen aus dem Internet)

40

installiert.

41

Für den Dienstgebrauch sind diese Programme ihrem Wesen nach zu 100% entbehrlich und absolut nicht erforderlich.

42

Am 02.04.2013 bat Herr A. am Ende eines von ihm gewünschten und mit mir geführten Gesprächs, an dem auch die Vorsitzende des Örtlichen Personalrates, Frau …,. teilnahm, um die Rückgabe einer silberfarbigen Festplatte. die anlässlich der Geschäftsprüfung zu Untersuchungszwecken mitgenommen worden ist, Er bräuchte diese, um auf bereits vorhandene Sicherungen zurückgreifen zu können. wenn ein PC wieder herzustellen ist. Das erspare ihm viel Zeit. Ohne die Festplatte benötigte er 1,5 Tage. Die anderen Festplatten können wir behalten „bis Weihnachten ist."

43

Herr A. führte ohne Nachfrage aus, dass er für (andere) Mitarbeiter des Oberlandesgerichts sowie deren Verwandte mit Erlaubnis die privaten Rechner und Laptops wiederhergestellt habe und entsprechende Sicherungen auf einer der (dienstlichen) Festplatten gespeichert habe. So sei im Falle einer wiederholten Wiederherstellung des Rechners I Laptops das Procedere erleichtert.

44

Auf Nachfrage erklärte Herr A., dass eine Festplatte (schwarzes Gehäuse) leer ist und auf einer weiteren Festplatte (ebenfalls schwarzes Gehäuse) 2 bis 3 Sicherungen enthalten sind.

45

Die Untersuchung der externen Festplatten am 08.04.2013 ergab folgendes Ergebnis:

46

c) externe Festplatte "EXTERN700GB" (schwarzes Gehäuse, Typ Buffalo 700 GB)

47

Die Festplatte war anscheinend leer. Nach der Wiederherstellung wurden 38.899 Dateien sichtbar.

48

Den 38.899 gefundenen Dateien Sind unter anderem

49

• 34.090 Audiodateien (fast ausschließlich Musikdateien, die ein breites Spektrum bzw. nahezu alle Musikrichtungen abdecken) und
• 1.822 Cover

50

zuzuordnen, Der Ordnerpfad heißt „Musikbox".

51

d) externe Festplatte "Extern 700GB“ (schwarzes Gehäuse. Typ Buffalo 700 GB)

52

Die Festplatte war anscheinend leer. Nach der Wiederherstellung wurden 36.899 Dateien sichtbar.

53

Den 9.969 gefundenen Dateien sind unter anderem

54

• 1.152 Audiodateien (Hörbücher und Musik) und
• 41 DVD-Kopien (Musik DVD's u.a. ACDC)

55

zuzuordnen.

56

e) externe Festplatte (silberfarbenes Gehäuse, Typ Buffalo 500 GB)

57

Der Aufbau dieser Festplatte ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Bereich dem dienstlichen Gebrauch vorbehalten ist während ein zweiter Bereich Sicherungen von Dienstrechnern, aber auch Privatrechnern dient

58

In dem angelegten Ordner „Private Rechner" sind die nachfolgenden Unterordner angelegt:

59

• …
• Daten Berzau hierunter Unterordner: … PC, …
• Esprimo 5905
• Hausmeister privat
• Laptop …
• Laptop …
• Laptop …
• Laptop …
• Laptop …
• Laptop …
• Laptop …
• Rechner für …
• Rechner …
• Rechner ….

60

Dokumentation Schrank-I Regalinhalte, Nummerierung gem. Raumplan

61

Schrank 1

62

• Jacke A.
• Tonerrollen für Fax
• Laserjet-Etiketten
• HP-Fotopapier für Farblaserdrucker
• diverses Telefonzubehör
• diverse Parallelkabel für Drucker
• Computer-Etiketten
• diverse Strommehrfachverteiler

63

Schrank 2

64

• Jacke ...
• Geschirr
• verschlossener Karton (auf Nachfrage an Herrn ... privat, blieb daher ungeöffnet)

65

Schrank 3

66

• diverse Leitz-Ordner
• 4x 10er CD·Spindeln leer
• 1x 50er CD-Spindeln ½ voll (CD-R)
• 1x 25er CD-Spindel fast voll {CD-R}
• 3x 50er CD-Spindel leer

67

Schrank 4

68

• 4x 50er CD-Spindel leer
• 1X 50er Spindel gefüllt mit 10 CDs gebrannt, Software dienstlich
• Gebrannte Musik-CDs: „Ich und Ich" (handbeschriftet)
                               ,,Bela B - Code B" (gedrucktes Label)
                               „Kaki King" (gedrucktes Label)
                               "Bela B -Code B" (handbeschriftet)
                               „Avin Geffen“ (handbeschriftet)
                               „EF" (hand beschriftet)
                               „Neues Glas aus alten Scherben" (handbeschriftet)
                               "Pink Floyd" (handbeschriftet)
                               „Steven Wilson" (handbeschriftet)
                               "Dante - November Red" (original)
                               "Epicloud" (original)

69

Schrank 5

70

• diverse Kabel
• diverse Portreplikatoren
• diverse Strom-Mehrfachverteiler
• 32x DVG-Softcover unterschiedliche Größen leer
• 24 X10er Pck. DVD-R neu
• 10 x DVD·RW neu
• 16 x CD-R neu
• 31 x DVD-RW neu
• diverse Software dienstlich
• diverse Software dienstlich (PC-Praxis aus Zeitschrift)
• Nero 9
• Navigon 5
• externes DVD-Laufwerk
• Pocket Loox mit GPS-Maus und Netzteil
• alte Diktiertechnik
• alte Anrufbeantworter

71

Schrank 6

72

• Werkzeugkoffer befüllt
• diverse Kabel
• interne CD-Laufwerke alt
• Grafickarte Ge Force 6400 GS Noiseless Edition 3D Club (verpackt) privat
• USB-Verteiler
• 2 x 5fach GBit-Switche
• diverse Leitzordner
• Alt-Technik Netzwerkkarten

73

Schrank 7

74

• 31 x 10er Pck. DVD-R neu + 3 einzeln
• 2 x Cover gedruckt PC-Spiel in gelber Umlaufhülle
• 5 x DVD-RW neu
• Notbook dienstlich
• 3 x externe Festplatten dienstlich
• 104 CD-Leerhüllen
• 45 DVD-Softcover unterschiedliche Größen, leer
• 54 x CD-R neu
• 10 x CD-RW neu
• 2 x 25er CD/DVD-Spindel leer
• 1 X 10er CD/DVD-Spindel leer
• 14 CD-Leerhüllen in grünem Beutel

75

Schrank 8

76

• diverse Tastaturen
• diverse PC-Zeitschriften

77

Schrank 9

78

• Geschirr

79

Regal 10

80

• Literatur -diverse IT-Fachbücher
• Mehrere KVM-Switche
• 15 PC's dienstlich
• Boxen X-230 Logitech

81

…“

82

Am 17.04.2013 wurde der Kläger vom Geschäftsleiter des OLG zu dem Ergebnis der Geschäftsprüfung sowie zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses persönlich angehört. Über den Inhalt des Gesprächs fertigte der Geschäftsleiter einen Besprechungsvermerk (Bl. 177 d. A.), auf dessen Inhalt ausdrücklich Bezug genommen wird.

83

Mit Schreiben vom 18.04.2013 (Bl. 18 d. A.), dem Kläger am 22.04.2013 ausgehändigt, kündigte der Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos.

84

Mit Schreiben vom 13.05.2013 (Bl. 46 d. A.), dem Kläger am 15.05.2013 zugegangen, wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers unter Bezugnahme auf die außerordentliche Kündigung nochmals vorsorglich („hilfsweise“) ordentlich zum 31.12.2013 gekündigt.

85

Am 02.05.2013 hat Kläger beim Arbeitsgericht Halle die vorliegende Klage erhoben, im Rahmen derer er zunächst die Feststellung begehrte, dass sein Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 18.04.2013 nicht wirksam aufgelöst worden ist. Nach Erhalt der zweiten Kündigung hat er die Klage am 17.05.2013 erweitert und begehrt nunmehr auch die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 13.05.2013 nicht wirksam beendet wird. Ferner verlangt er die vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Rechtstreits.

86

Der Kläger bestreitet sowohl das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes für die außerordentliche Kündigung als auch das Vorliegen hinreichender Kündigungsgründe für die ordentliche Kündigung. Zunächst werde bestritten, dass er seinen Dienstrechner privat genutzt habe. Bei dem Rechner, auf dem sich die betreffenden Dateien und Programme befänden, handele sich um einen von der Dienststelle zusätzlich angeschafften Rechner, der sich auch in seinem Dienstzimmer befunden habe. Dieser sei nicht mit den dienstlichen Rechnern vernetzt gewesen. Die hier installierten Kopier- und Brennprogramme seien auch dienstlich genutzt worden, etwa für Videoaufnahmen in Strafverfahren, die oftmals nur in veralteten Formaten vorlägen. Zutreffend sei, dass auch der Kläger gelegentlich die Programme privat genutzt habe. Diese Vorgänge hätte jedoch jeweils nur wenige Sekunden in Anspruch genommen, so dass von Arbeitszeitbetrug nicht die Rede sein könne. Auch sei die gelegentliche Privatnutzung niemals ausdrücklich untersagt worden. Des Weiteren werde darauf verwiesen, dass der Kläger auf den externen Speichermedien Sicherungen von dienstlichen und Privatrechnern anderer Mitarbeiter des Hauses vorgenommen habe. Dies sei ihm durch den früheren Referatsleiter ausdrücklich erlaubt worden. Ebenfalls habe er sich in der Dienstzeit gelegentlich um die Privatrechner anderer Mitarbeiter kümmern dürfen, wenn dort Probleme aufgetreten seien. Dies sei zu keinem Zeitpunkt vom Arbeitgeber beanstandet worden. Der vom Beklagten behauptete Umfang seiner Privatnutzung werde ausdrücklich bestritten. Er habe auch keine illegalen Kopien gefertigt und/oder sich strafbar gemacht. Die einzelnen Vorgänge seien dem Kläger in keiner Weise zuzuordnen. Wer den Rechner wann genutzt habe, sei unklar. Es müsse ausdrücklich bestritten werden, dass dies nur der Kläger gewesen sei. Dies sei nicht der Fall. Grundsätzlich hätten viele Mitarbeiter des Hauses Zugang zu diesem Rechner gehabt und diesen auch privat genutzt, sowohl während der Kläger anwesend war als auch in dessen Abwesenheit. Zutritt zum Dienstzimmer sei jederzeit auch für andere Mitarbeiter möglich. Das einfache Passwort für den Zugang sei allgemein bekannt. Keiner der dokumentierten Vorgänge auf dem Rechner sei dem Kläger nachweislich persönlich zuzuordnen. Dass viele Nutzungen (Brennvorgänge etc.) während der Abwesenheit des Klägers, etwa bei Urlaub oder Krankheit, erfolgt seien, beweise die Zugriffsmöglichkeit anderer Personen. Auch die externen Festplatten hätten anderen Mitarbeitern zur Verfügung gestanden. Der hohe Verbrauch von Büromaterialien wie der Rohlinge sei nicht vom Kläger zu vertreten. Das Material sei ebenfalls frei zugänglich gewesen; viele Mitarbeiter hätten sich bedient. Der Kläger habe auch nicht die Bestellungen des Materials vorgenommen oder ausgelöst. Schließlich werde bestritten, dass der Kläger in irgendeiner Weise Vorgänge auf dem Rechner oder den externen Festplatten verschleiert oder versteckt habe. Ein Kündigungsgrund habe nach alledem nicht vorgelegen. Ferner rügt der Kläger die Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB und bestreitet jeweils die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch beider Kündigungen.

87

Der Kläger beantragt,

88

1) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers weder durch die Kündigung des Beklagten vom 18.04.2013 beendet wurde, noch aufgrund der ordentlichen Kündigung des Beklagten vom 13.05.2013 beendet wird;

89

2) den Beklagten zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Angestellten im Oberlandesgericht A-Stadt im Rahmen der zuletzt ausgeübten Tätigkeit System- und Netzwerkbetreuung für das Oberlandesgericht, insbesondere mit

90

− Installation, Wartung und Fehlerbehebung der Hardware
− Installation, Pflege und Betreuung der Software
− Technische Unterstützung der Nutzer
− Administration der elektronischen Berechtigungen
− Hardwarevoraussetzungen
− Softwareangelegenheiten einschließlich Passwortvergabe

91

weiterzubeschäftigen.

92

Der Beklagte beantragt,

93

die Klage abzuweisen.

94

Der Beklagte hält die außerordentliche Kündigung, zumindest jedoch die ordentliche Kündigung aus verhaltenbedingten Gründen für gerechtfertigt und damit wirksam. Der Kläger habe mindestens von Oktober 2010 bis März 2013 den ihm dienstlich anvertrauten Rechner in erheblichem Umfang privat und zu nicht dienstlichen Zwecken genutzt, insbesondere zum Kopieren und Brennen von DVDs und CDs sowie zum Herunterladen von Musik- und Videodateien. Zu diesem Zweck habe er bestimmte Programme installiert, z. B. das Programm „DVD Shrink“. Es seien (Stand:11.04.2013) insgesamt 6.427 Dateien mit offenbar nicht dienstlichem Inhalt gesichtet worden. Auch dienstlich angeschaffte Festplatten habe er privat genutzt. Mit seinem Verhalten habe er seine Vertragspflichten in grober Weise über einen langen Zeitraum verletzt. Da illegale Kopien hergestellt worden seien, habe er sich wohl auch strafbar gemacht. Dazu komme der Arbeitszeitbetrug, weil die umfangreichen Privatnutzungen des Rechners überwiegend in der Dienstzeit erfolgt seien. Schließlich habe er über 2.000 DVD-Rohlinge und über 1.000 CD-Rohlinge auf Kosten des Arbeitgebers bestellt und privat verwendet. Das notwendige Vertrauensverhältnis sei durch die Verhaltensweisen des Klägers vollständig zerstört worden. Darüber hinaus sei es auch wegen der Gefahr für den ordnungsgemäßen Betriebsablauf und der Gefahr, dass es Nachahmer gebe, für den Beklagten nicht mehr zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Eine vorherige Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen, weil der Kläger von vornherein gewusst habe, dass sein Verhalten verboten sei und in keiner Weise vom Arbeitgeber geduldet werden würde. Es werde ausdrücklich bestritten, dass andere Mitarbeiter des Hauses die Möglichkeit gehabt hätten, auf den Rechner des Klägers zuzugreifen und dass tatsächlich auch andere Mitarbeiter den Rechner privat genutzt hätten. Dies sei auszuschließen. Der bei der Geschäftsprüfung festgestellte Sachverhalt sei dem Präsidenten des OLG am 11.04.2013 bekannt gegeben worden, so dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten worden sei. Vor Ausspruch der Kündigung sei der Kläger persönlich gehört worden, habe jedoch die Vorwürfe letztlich nicht entkräften können. Auch der Personalrat sei vor beiden Kündigungen ordnungsgemäß nach den Bestimmungen des Landespersonalvertretungsgesetzes beteiligt worden.

95

Wegen der zahlreichen Einzelheiten des Parteivorbringens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

96

Die Klage ist zulässig und begründet.

97

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist weder durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 18.04.2013 wirksam mit sofortiger Wirkung beendet worden noch wird es durch die vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 13.05.2013 wirksam zum 31.12.2013 aufgelöst. Folglich steht dem Kläger auch ein Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu.

I.

98

Die außerordentliche Kündigung vom 18.04.2013 ist rechtsunwirksam, weil nach den Feststellungen der Kammer kein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorgelegen hat.

1.

99

Nach dieser gesetzlichen Bestimmung kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Voraussetzung für eine fristlose Kündigung ist daher zunächst das Vorliegen eines Sachverhalts, der an sich objektiv geeignet ist, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dabei bilden verhaltensbedingte Gründe dann einen wichtigen Grund, wenn der Arbeitnehmer nicht nur objektiv, sondern auch rechtswidrig und schuldhaft seine Vertragspflichten verletzt hat. Sodann müssten eine Einzelfallprüfung und eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass eine fristlose Kündigung nur dann wirksam ausgesprochen werden kann, wenn dem Kündigenden das Festhalten am Arbeitsverhältnis schlechthin nicht mehr zumutbar ist und andere Sanktionsmöglichkeiten als nicht ausreichend erscheinen (fristlose Kündigung als ultima-ratio).

100

Bevor ein Arbeitnehmer wegen eines vertragswidrigen Verhaltens gekündigt werden kann, ist er in aller Regel zuvor einschlägig und wirksam abzumahnen. Dies gilt bei Störungen im Verhaltensbereich und im Leistungsbereich sowie eingeschränkt auch im Vertrauensbereich. Soweit „steuerbares“ Verhalten vorliegt, wird regelmäßig anzunehmen sein, dass der Arbeitsnehmer nach einer Abmahnung sein verhalten ändern und sich vertragskonform verhalten wird.

101

Entbehrlich sind Abmahnungen nur dann, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht erfolgversprechend angesehen werden durfte, weil objektiv nicht erwartet werden kann, dass sich das Verhalten trotz Abmahnung künftig ändern wird, oder bei außergewöhnlich schweren und regelmäßig vorsätzlichen Vertragsverletzungen, die das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundlegend und vollständig erschüttern (vgl. BAG, Urteil vom 12.01.2006 – 2 AZR 179/05 – juris). Hier handelt es sich insbesondere um zu Lasten des Arbeitgebers begangene Straftaten, wie etwa Eigentumsdelikte, die an sich stets einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen. Jedoch sind grundsätzlich immer die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und abschließend zu würdigen (vgl. BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – juris; LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 06.12.2005 – 8 Sa 327/05 – juris).

102

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur eine erwiesene strafbare Handlung oder eine erwiesene erhebliche schuldhafte Vertragsverletzung des Arbeitnehmers, sondern auch der Verdacht, dieser habe eine strafbare Handlung oder eine erhebliche schuldhafte Vertragsverletzung begangen, einen Grund für eine außerordentliche oder ordentliche verhaltensbedingte Kündigung darstellen (vgl. BAG, Urteil vom 03. 07. 2003 – 2 AZR 437/02 – juris; BAG, Urteil vom 23. 06. 2009 – 2 AZR 474/07 – juris).

103

Der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung oder einer strafbaren Handlung ist gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, ein eigenständiger Kündigungsgrund, der im Tatvorwurf nicht zwangsläufig enthalten ist. Hier ist es gerade der Verdacht der – nicht erwiesenen – Pflichtverletzung, der das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauensverhältnis zerstört. Voraussetzung ist aber immer, dass im Zeitpunkt der Kündigung der Verdacht durch objektive Tatsachen begründet ist und dass es sich um sehr schwerwiegende Pflichtverletzungen handelt. Es muss eine sehr große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der betreffende Arbeitnehmer eine schwerwiegende Pflichtverletzung oder strafbare Handlung (in der Regel zum Nachteil des Arbeitgebers) begangen hat. Der Arbeitgeber muss alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhaltes genutzt und insbesondere auch den Arbeitnehmer persönlich zu allen Verdachtsmomenten angehört haben. Wegen der Gefahr, dass ein „Unschuldiger“ seinen Arbeitsplatz (nach unter Umständen langjähriger Betriebszugehörigkeit) allein wegen eines Verdachts einer Pflichtverletzung verliert, sind an die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung sehr strenge Maßstäbe anzulegen.

2.

104

Im Streitfall waren nach Auffassung der Kammer die Voraussetzungen für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers nicht gegeben.

a.

105

Die Wirksamkeit der Kündigung war nicht unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung zu prüfen, weil der Beklagte ausdrücklich keine Verdachtskündigung ausgesprochen hat und dies auch nicht wollte (wie die Beklagtenvertreter im Kammertermin auf Nachfrage des Vorsitzenden bestätigt haben). Zudem wurde auch der Personalrat nicht zu einer etwaigen Verdachtskündigung angehört.

b.

106

Als Tatkündigung erweist sich die fristlose Kündigung vom 18.04.2013 im Ergebnis wegen des nicht nachgewiesenen (wichtigen) Kündigungsgrundes als unwirksam. Dies folgt aus folgenden Erwägungen:

aa.

107

Obgleich gewisse Verdachtsmomente vorliegen, ist es letztlich nur eine unbewiesene Behauptung des Beklagten, dass alle vorgefundenen Privatdateien dem Kläger zuzurechnen seien und dass dieser (allein) alle Privatnutzungen durchgeführt, damit auch etwaige (nach § 106 UrhG strafbare) Vervielfältigungen vorgenommen und auch alle Brennvorgänge selbst durchgeführt hat. Keiner der dokumentierten Vorgänge lässt sich einzelnen Personen und damit auch nicht dem Kläger zuordnen. Der Beklagte stellt letztlich nur Vermutungen an und zieht Schlussfolgerungen, weil sich der Rechner am Arbeitsplatz bzw. im Dienstzimmer des Klägers befunden hat. Niemand hat den Kläger bei einzelnen Privatnutzungen beobachtet. Es ist auch nicht bewiesen, dass es gerade der Kläger war, der die Kopierprogramme installiert hat.

108

Allein die unstreitige Tatsache, dass auch in Zeiten, in denen sich der Kläger wegen Urlaubs oder Krankheit nicht am Arbeitsplatz aufgehalten hat oder sonstwie dienstlich abwesend war, zahlreiche „Vorgänge“ dokumentiert wurden, beweist, dass andere Personen sowohl Zugriff auf den Rechner hatten als auch in der Lage waren, die Kopierprogramme usw. zu nutzen.

109

Weshalb der Beklagte diesen eindeutigen Umstand bis zuletzt ignoriert hat, blieb unverständlich. Geradezu abenteuerlich hält die Kammer die Behauptung der Beklagtenvertreter im Kammertermin, dann müsse der Kläger wohl auch während seiner Krankheitszeiten und seiner Urlaube regelmäßig auf Arbeit erschienen sein und den Rechner privat genutzt haben. Wie es der Kläger allerdings hat anstellen sollen, beispielsweise aus seinem Neuseeland-Urlaub zwischenzeitlich das OLG aufzusuchen, nur um in paar CDs zu brennen, konnte niemand schlüssig erläutern. Viele Mitarbeiter des OLG verfügen über einen Dienstschüssel für das Zimmer des Klägers. Das Passwort für den Rechner (laut Angaben des Klägers: „OLG“) ist leicht herauszufinden. Wenn die entsprechenden Programme einmal installiert sind, dürfte es auch für einen technisch nicht sehr bewanderten Mitarbeiter leicht möglich sein, diese zu nutzen. Schließlich war auch zu berücksichtigen, dass sich die Ermittlungen des Beklagten auch gegen zumindest einen weiteren Mitarbeiter des Hauses richten, von dem ebenfalls angenommen wird, er habe Privatnutzungen vorgenommen.

110

Die „Ermittlungen“ gegen andere Mitarbeiter, die vom Kläger als mögliche Nutzer bezeichnet wurden, haben sich offensichtlich darauf beschränkt, zu fragen, ob sie den Rechner genutzt haben. Nachdem diese Mitarbeiter schlicht mit „Nein“ geantwortet haben, war für den Beklagten die Sachlage klar. So jedenfalls wurde es im Kammertermin erklärt, nachdem der Vorsitzende fragte, weshalb sich der Beklagte sicher sei, dass keine anderen Mitarbeiter beteiligt seien. Diese Art der Aufklärung überzeugte die Kammer jedoch nicht.

111

Nach alledem steht gerade nicht zur Überzeugung der erkennenden Kammer fest, dass der Kläger für alle Privatnutzungen verantwortlich ist. Auch können ihm somit konkrete Straftaten im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzung nicht nachgewiesen werden. Wann genau etwa hat er welche konkrete CD oder DVD unzulässig vervielfältigt?

112

Es muss nochmals darauf hingewiesen, werden, dass unter diesen Umständen allenfalls eine Verdachtskündigung in Betracht gekommen wäre.

bb.

113

Soweit eine (zugestandene) Privatnutzung in geringem Umfang verbleibt, wobei jedoch der zeitliche Umfang und die Intensität vollkommen ungeklärt blieben, reichte dies keinesfalls für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus.

114

Die unbefugte Privatnutzung von Dienstrechnern, verbunden mit dem Verbrauch dienstlich angeschafften Materials (hier Rohlinge) während der Arbeitszeit stellt zweifelsfrei eine gravierende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers dar, die nicht bagatellisiert werden soll. Unter Umständen handelt es sich sogar um strafbares Verhalten (Arbeitszeitbetrug, Diebstahl oder Unterschlagung). Regelmäßig sind solche Verhaltensweisen nach den Umständen des Einzelfalls geeignet, eine fristlose oder fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.

115

Im Streitfall sind jedoch schon Umfang und Intensität der Pflichtverletzung des Klägers unklar. Zu beachten ist zudem, dass nicht jedes strafbare Verhalten oder jede grobe Pflichtverletzung eines Arbeitnehmers ohne Weiteres eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen kann (vgl. den Fall „Emmely“: BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – juris).

116

Wenn man lediglich das zugestandene Verhalten des Klägers zugrunde legt, nämlich eine Privatnutzung in geringem Umfang (alles andere konnte nicht bewiesen werden), konnte eine Kündigung, jedenfalls ohne vorherige Abmahnung, nicht wirksam ausgesprochen werden.

117

Zwar liegt ein „Arbeitszeitbetrug“ insoweit vor, als dass der Kläger während seiner Arbeitszeit, für die er bezahlt wird, weil er dienstliche Dinge erledigen soll, Privates erledigt hat. Unabhängig von dem nicht feststehenden Umfang der privat genutzten Zeit ist hier jedoch zu berücksichtigen, dass es dem Kläger jedenfalls (unbestritten!) erlaubt war, sich um die Privatrechner von Mitarbeitern des Hauses „zu kümmern“, wenn ein Problem auftrat. Hier durfte er also während der Arbeitszeit nicht dienstliche Dinge erledigen. Auf Nachfrage in der Kammerverhandlung haben die Beklagtenvertreter erklärt, dass die Kündigung auf diese Tätigkeiten des Klägers ausdrücklich nicht gestützt werde.

118

Wenn dies jedoch in der Arbeitszeit erlaubt oder zumindest geduldet wurde, war für den Kläger nicht ohne weiteres ersichtlich, dass eine Privatnutzunge des Rechners, beispielsweise zum Kopieren einer CD, streng untersagt war und er damit rechnen musste, hierfür ohne weiteres gekündigt zu werden.

119

Auch weil es sich eindeutig um steuerbares Verhalten handelt, welches hier gerügt wird, musste der Beklagte schon zur Klarstellung, welches Verhalten gebilligt und welches Verhalten nicht toleriert wird, zunächst eine Abmahnung aussprechen, bevor er zum (letzten) Mittel der fristlosen Kündigung greift. In der Abmahnung hätte er klarstellen müssen, welches Verhalten künftig nicht mehr geduldet wird und er hätte für den Fall weitergehender einschlägiger Pflichtverletzungen eine Kündigung androhen müssen. Im Falle, dass sich die Pflichtverletzungen wiederholt hätten, wäre dann eine Kündigung grundsätzlich möglich gewesen. Angesichts aller Umstände ist anzunehmen, dass der Kläger nach einer etwaigen Abmahnung sein Verhalten geändert hätte.

120

Die fristlose Kündigung war aus objektiver Sicht keinesfalls die „ultima ratio“, zumal auch nicht feststellbar war, ob und welcher Schaden gerade durch den Kläger verursacht wurde. Schon wegen Unverhältnismäßigkeit erweist sich die Kündigung daher als rechtsunwirksam.

121

Auf die Interessenabwägung, die auch das Lebensalter des Klägers und die 21jährige - beanstandungsfreie - Beschäftigungszeit berücksichtigen müsste, kam es nicht mehr an.

122

Für die Kammer war letztlich nicht nachvollziehbar, wie die nunmehr vorgetragenen Umstände und insbesondere der erhebliche Umfang privater Nutzung von dienstlichen Ressourcen so lange unentdeckt geblieben sein soll. Möglicherweise wurden bestimmte Dinge toleriert und geduldet, wohl weil eine Anzahl von Mitarbeitern des Hauses hiervon in unterschiedlicher Weise profitiert hat. Nachdem jedoch bestimmte Sachverhalte und Verhaltensweisen offiziell festgestellt, gemeldet und damit nachweislich bekannt wurden, wurde sogleich ein Exempel statuiert.

II.

123

Die vorsorglich ausgesprochene ordentliche verhaltensbedingte Kündigung vom 13.05.2013 ist sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG und damit ebenfalls rechtsunwirksam, weil kein hinreichender Kündigungsgrund vorgelegen hat.

124

Insofern wird grundsätzlich auf die obigen Ausführungen zur außerordentlichen Kündigung Bezug genommen. Trotz Vorliegens vertragswidriger und vorwerfbarer Pflichtverletzungen seitens des Klägers ist auch die ordentliche (fristgemäße) Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter den gegebenen Umständen nicht verhältnismäßig. Auch insoweit wäre zunächst eine Abmahnung erforderlich gewesen, mit denen die Pflichtverletzungen hätten sanktioniert werden können und müssen.

III.

125

Nachdem sich beide Kündigungen im Ergebnis wegen eines fehlenden hinreichenden Kündigungsgrundes als rechtsunwirksam erwiesen haben, bedurfte die Frage der ordnungsgemäßen Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch der Kündigungen keiner Erörterung mehr.

IV.

126

Da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitgegenständlichen Kündigungen nicht wirksam beendet worden ist bzw. beendet wird, ist der Beklagte verpflichtet, den Kläger – vorläufig – bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu den bisherigen vertraglichen Bedingungen weiter zu beschäftigen.

127

Das Bundesarbeitsgericht hat den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach Obsiegen mit einer Kündigungsschutzklage in erster Instanz grundsätzlich anerkannt, da dann in aller Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung überwiegt (vgl. BAG, Beschluss des Großen Senats vom 27.02.1985 – GS 1/84 – juris). Gründe, die hier ausnahmsweise ein besonderes überwiegendes Interesse des Beklagten an der vorläufigen Nichtbeschäftigung begründen könnten, wurden beklagtenseits nicht vorgetragen. Die tatsächliche Beschäftigungsmöglichkeit ist auch nicht entfallen. Darüber hinaus könnte sich der Beklagte zur Abwendung der Weiterbeschäftigungspflicht nicht erfolgreich auf den Aspekt der Wiederholungsgefahr berufen. Wenn man davon ausgeht (s. o.), dass sich das vorgeworfene Verhalten nach dem Ausspruch der Kündigung wohl nicht wiederholen wird bzw. nach dem Ausspruch einer einschlägigen Abmahnung nicht wiederholt hätte, wäre es widersprüchlich, den Weiterbeschäftigungsanspruch eben unter Hinweis auf die Wiederholungsgefahr abzulehnen.

128

Der Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des laufenden Rechtstreits ist jedoch nur auf eine vertragsgemäße Beschäftigung gerichtet. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer zur den bisherigen Vertragsbedingungen weiter zu beschäftigen. Dabei obliegt die konkrete Zuweisung der Tätigkeit grundsätzlich dem Direktionsrecht, soweit dieses nicht arbeitsvertraglich oder tarifvertraglich beschränkt ist. Somit hat der Kläger – wie bisher – nur Anspruch auf eine Beschäftigung als Angestellter im OLG A-Stadt mit Tätigkeiten in der Entgeltgruppe 9 TV-L. Auch durch langjährige Beschäftigung mit bestimmten Tätigkeiten erwirbt ein Angestellter im öffentlichen Dienst keinen Anspruch darauf, auch künftig ausschließlich und gerade mit diesen Tätigkeiten beschäftigt zu werden, soweit nicht ausnahmsweise im Arbeitsvertrag anderes vereinbart wurde, was hier nicht der Fall ist.

129

Folglich konnte dem Antrag nur in der allgemeinen Form entsprochen werden. Der Arbeitnehmer kann im Zuge der vorläufigen Weiterbeschäftigung nicht besser behandelt werden als im regulären Arbeitsverhältnis.

130

Nach alledem war der Klage in dem im Tenor der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Umfang stattzugeben; im Übrigen war sie abzuweisen.

131

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Grundsätzlich hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Zwar war der Kläger hinsichtlich des konkreten Inhalts des Weiterbeschäftigungsanspruchs teilweise unterlegen. Jedoch fällt dies geringfügige Unterliegen nicht ins Gewicht, zumal es auch keine höheren Kosten veranlasst hat. Somit kam Kostenquotelung nicht in Betracht und dem Beklagten waren die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

132

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 2 GKG, 3 ZPO. Für den Feststellungsantrag bezogen auf die erste Kündigung wurde ein Betrag in Höhe des dreifachen Bruttomonatsverdienstes des Klägers (3.285,81 €) in Ansatz gebracht. Für die zweite Kündigung wurde ein weiterer Monatsverdienst angesetzt, da zwischen dem Ausspruch beider Kündigungen ein Zeitraum von ca. einem Monat lag. Der Weiterbeschäftigungsanspruch wurde (üblicherweise) mit einem weiteren Monatsverdienst bewertet.


(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers weder durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 18.04.2013 beendet worden ist noch durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 13.05.2013 zum 31.12.2013 beendet wird.

2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vorläufig zu unveränderten Bedingungen als vollbeschäftigten Angestellten in der Entgeltgruppe 9 TV-L im Oberlandesgericht A-Stadt weiterzubeschäftigen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

5. Der Streitwert wird auf 16.429,05 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer (hilfsweise ausgesprochenen) ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.

2

Der am … geborene verheiratete Kläger ist seit dem 17.02.1992 beim beklagten Land beschäftigt, zunächst als Arbeiter und seit September 1992 im Angestelltenverhältnis. Im Arbeitsvertrag / Änderungsvertrag vom 14.09.1992 (Bl. 15 d. A.) wurde unter anderem folgendes vereinbart:

3

„ zu § 1
Herr A. wird mit Wirkung vom 01. September 1992 nicht mehr als Arbeiter tätig sein, sondern als vollbeschäftigter Angestellter auf unbestimmte Zeit weiterbeschäftigt

zu § 2
Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich somit nach dem BAT-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung.

… „

4

Dienstort des Klägers ist das Oberlandesgericht in A-Stadt. Dort ist er als Justizangestellter tätig und als „IT-Verantwortlicher“ im Wesentlichen mit der System- und Netzwerkbetreuung beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehört u. a. auch die Verwaltung des ADV-Depots, die Wartung, Pflege und Betreuung der Hard- und Software, die technische Unterstützung der Nutzer des Hauses, die Administration der elektronischen Berechtigungen und die Passwortvergabe.

5

Nach der Einführung des neuen Tarifwerks und der Überleitung des Arbeitsverhältnisses auf die Bestimmungen des TV–L wurde der Kläger tariflich in die Entgeltgruppe 9 TV-L eingestuft und erhält derzeit eine monatliche Vergütung in Höhe von 3.285,81 € brutto.

6

Am 14.03.2013 wurde im Dienstzimmer … des Oberlandesgerichts eine Geschäftsprüfung der Arbeitsplätze des Klägers und eines weiteren dort tätigen Mitarbeiters durchgeführt. Über die bei der Prüfung getätigten Feststellungen fertigte der Geschäftsleiter des OLG am 11.04.2013 einen Vermerk (Prüfungsbericht) mit folgendem Inhalt (Bl. 166 ff. d. A.):

7

„…

8

Am 14.03.2013 habe ich eine Geschäftsprüfung der Arbeitsplätze des Justizangestellten A. und des im Dienstzimmer 211 durchgeführt.

9

Herr A. ist gemäß Geschäftsverteilungsplan im Referat IV (ADV) überwiegend als System- und Netzwerkbetreuer für das Oberlandesgericht zuständig für. Bis zum 31.12.2012 war Herr A. auch für die Depotverwaltung und Verwaltung der EDV-Verbrauchsmittel einschließlich deren Bestellung verantwortlich.

10

An der Geschäftsprüfung nahmen neben dem Unterzeichner teil;

11

. Herr A.,

12

.
. Frau …,
. Herr … und
. Herr ….

13

Frau …, Herr … und Herr … nahmen auf meine Anordnung an der Geschäftsprüfung teil, um bei der Bestandsaufnahme unterstützend tätig zu sein,

14

Die Dokumentation der Schrank- und Regalinhalte einschließlich des Raumplanes ist als Anlage 1 (Dokumentation) und als Anlage 2 (Raumplan) dem Protokoll beigefügt

15

Herr A. und teilten auf Befragen mit, dass sich nur noch bei Herrn Cramer einige DVD's und CD's befinden könnten.

16

Auf Befragen teilten sowohl Herr A. als auch mit, dass keine Nachweise über den Zugang und den Abgang der EDV-Verbrauchsmittel geführt werden und vorliegen. Hierunter fallen neben Druckerpatronen auch DVD’s und CD's. Genaue Angaben über Zugänge und Abgänge konnten mir gegenüber nicht gemacht werden. Geschildert wurde jedoch das Procedere der Bestellung der EDV-Verbrauchsmittel. Herr A. bestellte bis zum 31.12.2012 halbjährlich die EDV-Verbrauchsmittel, die mit anderen zu beschaffenden Verbrauchsmitteln von Herrn … zusammengefasst und von ihm an die ZBS als Bestellung weitergeleitet worden sind.

17

Die Anzahl der seit dem 2. Halbjahr 2008 bestellten und gelieferten DVD's und CD’s ist in Anlage 3 aufgeführt. Die in Anlage 3 aufgeführten Zahlen sind mir auf telefonische Nachfrage von der ZBS zur Verfügung gestellt worden.

18

Diesbezüglich bleibt festzustellen:

19

In der Zelt vom 01.07.20013 bis zum 31.12.2012 sind für das Oberlandesgericht … insgesamt 2.325 DVD's und 1.500 CD's bestellt worden; für die ADV-Stelle Justiz sind in demselben Zeitraum 870 DVD's und 650 CD's bestellt worden.

20

Im Nachgang der Geschäftsprüfung erklärte Herr A. in Gegenwart von Frau … auf meine Nachfrage. dass seit der Einführung von JURIS kaum DVD’s und CD's von Bediensteten bei ihm abgefordert wurden; genaue bzw. genauere Angaben kann er jedoch nicht machen. Auf Befragen teilt er weiter mit. dass vor der Einführung von JURIS seines Erachtens nach 50 bis 60 DVD's und CD's vierteljährlich und nach der Einführung von JURIS ca. 150 bis 200 DVD's und ca. 50 CD's jährlich bestellt worden sind. Einer Verfügung vom 02.03.2006 ist zu entnehmen, dass JURIS landesweit seit 2006 genutzt werden kann. Die Verfügung ist als Anlage 4 beigefügt.

21

Auf der Grundlage der erfolgten Bestellmengen (= Liefermengen) abzüglich des vorgefundenen Bestandes hätten in der Zeit vom 01.07.2008 bis zum 31.12.2012 durchschnittlich jährlich 383 DVD's und 315 CD's dienstlich verwendet werden müssen. Anhaltspunkte hierüber liegen nicht vor; Erklärungen hierüber sind nicht bekannt.

22

Es bleibt festzuhalten. dass der Verbleib der DVD’s und CD's zu einem überwiegenden Teil am 14.03.2013 nicht nachvollziehbar und erklärbar ist.

23

Im Rahmen der Prüfung sind auch jeweils der Rechner von Herrn A. und von sowie drei externe Festplatten - zwei der drei externen Festplatten sind bezeichnet mit "EXTERN700GB" und "Extern 700GB", eine dritte Festplatte war nicht gesondert gekennzeichnet -, die im Schrank Nummer 7 aufbewahrt werden, untersucht worden.

24

Nach einem groben Oberflächenscannen ist am 08.04.2013 folgendes Zwischenergebnis festzuhalten:

25

a) Rechner Herr A.

26

Harr A. räumte während der Prüfung ein, dass einige private Dateien auf dem Rechner seien.

27

Der Rechner ist nicht in die Domäne eingebunden; der Rechner ist nicht wie bei allen anderen dienstlichen Rechnern üblich "greifbar". Mit Herrn A. konnte als "lokaler Admin" nur ein Nutzer festgestellt werden. Ein Zugriff Dritter aus der "Ferne" ist nicht feststellbar und nahezu nicht möglich. weil der Rechner nicht in die Domäne eingebunden war.

28

Der Rechner besteht aus

29

• zwei Festplatten,
• zwei Brennern und
• einem Kartenleser (SD, CF).

30

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Festplatte und ein Brenner nachgerüstet wurden.

31

Eine der beiden Festplanen wies keine Auffälligkeiten auf.

32

Die andere Festplatte im Rechner als,,2. Festplatte" bezeichnet, verfügt über eine Speicherkapazität von ca. 232 GB. Vor der Wiederherstellung waren ca. 16 GB belegt. Letzte Aktivitäten waren am 14.03.2013 ab 05.59 Uhr registriert.

33

Nach der Wiederherstellung wurden insgesamt 6.427 Dateien festgestellt, die Speicherkapazität war mit 232 GB nahezu erschöpft. Die letzte Verwendung datiert vom 14.03.2013. Eine erste vorgenommene Sichtung der 2. Festplatte am 08.04.2013 ergab, dass regelmäßig Überschreibungen vorgenommen worden sind und von einer fast ausschweifenden Nutzung ausgegangen werden muss.

34

Den 6.427 gefundenen Dateien sind unter anderem

35

• 2.466 elektronische Bücher (ebook),
• 2.378 Bilddateien (wahrscheinlich Cover),
• 834 Audiodateien (Hörbücher und Musik) und
• 230 Videodateien (DVD-Kopien als VOB Datei bezeichnet)

36

zuzuordnen. Von den Hörbüchern sind grundsätzlich drei Formate als PDF, epub und mobi angelegt, wobei die Formate epub und mobi sogenannte "ebook-Formate" sind.

37

Auf dem Rechner ist auch das Programm "DVD Shrink" installiert Dieses Programm ist geeignet, den Kopierschutz des Herstellers seiner DVD's (Filme betreffend) zu decodieren. Das Programm Shrink wurde nach Auswertung der Rechnerdaten in der Zeit vom 06.10.2010 bis 14,03.2013 regelmäßig genutzt. In diesem Zeitraum sind 1.128 DVD's bearbeitet worden. Anzumerken ist, dass für diesen Zeitraum insgesamt 1.150 DVD's bestellt und geliefert worden sind, deren dienstlicher Verbleib nicht erklärbar ist.

38

Neben dem Programm "DVD Shrink" waren auch die Programme

39

• d\ldfab (eigene Werbung im Internet: "Beste Software zum Kopieren von Blueray und DVD").
• Engelmann media (videoconverter, geeignet zum Umwandeln) und
• anyDVD (Kopierprogramm zum Herunterladen aus dem Internet)

40

installiert.

41

Für den Dienstgebrauch sind diese Programme ihrem Wesen nach zu 100% entbehrlich und absolut nicht erforderlich.

42

Am 02.04.2013 bat Herr A. am Ende eines von ihm gewünschten und mit mir geführten Gesprächs, an dem auch die Vorsitzende des Örtlichen Personalrates, Frau …,. teilnahm, um die Rückgabe einer silberfarbigen Festplatte. die anlässlich der Geschäftsprüfung zu Untersuchungszwecken mitgenommen worden ist, Er bräuchte diese, um auf bereits vorhandene Sicherungen zurückgreifen zu können. wenn ein PC wieder herzustellen ist. Das erspare ihm viel Zeit. Ohne die Festplatte benötigte er 1,5 Tage. Die anderen Festplatten können wir behalten „bis Weihnachten ist."

43

Herr A. führte ohne Nachfrage aus, dass er für (andere) Mitarbeiter des Oberlandesgerichts sowie deren Verwandte mit Erlaubnis die privaten Rechner und Laptops wiederhergestellt habe und entsprechende Sicherungen auf einer der (dienstlichen) Festplatten gespeichert habe. So sei im Falle einer wiederholten Wiederherstellung des Rechners I Laptops das Procedere erleichtert.

44

Auf Nachfrage erklärte Herr A., dass eine Festplatte (schwarzes Gehäuse) leer ist und auf einer weiteren Festplatte (ebenfalls schwarzes Gehäuse) 2 bis 3 Sicherungen enthalten sind.

45

Die Untersuchung der externen Festplatten am 08.04.2013 ergab folgendes Ergebnis:

46

c) externe Festplatte "EXTERN700GB" (schwarzes Gehäuse, Typ Buffalo 700 GB)

47

Die Festplatte war anscheinend leer. Nach der Wiederherstellung wurden 38.899 Dateien sichtbar.

48

Den 38.899 gefundenen Dateien Sind unter anderem

49

• 34.090 Audiodateien (fast ausschließlich Musikdateien, die ein breites Spektrum bzw. nahezu alle Musikrichtungen abdecken) und
• 1.822 Cover

50

zuzuordnen, Der Ordnerpfad heißt „Musikbox".

51

d) externe Festplatte "Extern 700GB“ (schwarzes Gehäuse. Typ Buffalo 700 GB)

52

Die Festplatte war anscheinend leer. Nach der Wiederherstellung wurden 36.899 Dateien sichtbar.

53

Den 9.969 gefundenen Dateien sind unter anderem

54

• 1.152 Audiodateien (Hörbücher und Musik) und
• 41 DVD-Kopien (Musik DVD's u.a. ACDC)

55

zuzuordnen.

56

e) externe Festplatte (silberfarbenes Gehäuse, Typ Buffalo 500 GB)

57

Der Aufbau dieser Festplatte ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Bereich dem dienstlichen Gebrauch vorbehalten ist während ein zweiter Bereich Sicherungen von Dienstrechnern, aber auch Privatrechnern dient

58

In dem angelegten Ordner „Private Rechner" sind die nachfolgenden Unterordner angelegt:

59

• …
• Daten Berzau hierunter Unterordner: … PC, …
• Esprimo 5905
• Hausmeister privat
• Laptop …
• Laptop …
• Laptop …
• Laptop …
• Laptop …
• Laptop …
• Laptop …
• Rechner für …
• Rechner …
• Rechner ….

60

Dokumentation Schrank-I Regalinhalte, Nummerierung gem. Raumplan

61

Schrank 1

62

• Jacke A.
• Tonerrollen für Fax
• Laserjet-Etiketten
• HP-Fotopapier für Farblaserdrucker
• diverses Telefonzubehör
• diverse Parallelkabel für Drucker
• Computer-Etiketten
• diverse Strommehrfachverteiler

63

Schrank 2

64

• Jacke ...
• Geschirr
• verschlossener Karton (auf Nachfrage an Herrn ... privat, blieb daher ungeöffnet)

65

Schrank 3

66

• diverse Leitz-Ordner
• 4x 10er CD·Spindeln leer
• 1x 50er CD-Spindeln ½ voll (CD-R)
• 1x 25er CD-Spindel fast voll {CD-R}
• 3x 50er CD-Spindel leer

67

Schrank 4

68

• 4x 50er CD-Spindel leer
• 1X 50er Spindel gefüllt mit 10 CDs gebrannt, Software dienstlich
• Gebrannte Musik-CDs: „Ich und Ich" (handbeschriftet)
                               ,,Bela B - Code B" (gedrucktes Label)
                               „Kaki King" (gedrucktes Label)
                               "Bela B -Code B" (handbeschriftet)
                               „Avin Geffen“ (handbeschriftet)
                               „EF" (hand beschriftet)
                               „Neues Glas aus alten Scherben" (handbeschriftet)
                               "Pink Floyd" (handbeschriftet)
                               „Steven Wilson" (handbeschriftet)
                               "Dante - November Red" (original)
                               "Epicloud" (original)

69

Schrank 5

70

• diverse Kabel
• diverse Portreplikatoren
• diverse Strom-Mehrfachverteiler
• 32x DVG-Softcover unterschiedliche Größen leer
• 24 X10er Pck. DVD-R neu
• 10 x DVD·RW neu
• 16 x CD-R neu
• 31 x DVD-RW neu
• diverse Software dienstlich
• diverse Software dienstlich (PC-Praxis aus Zeitschrift)
• Nero 9
• Navigon 5
• externes DVD-Laufwerk
• Pocket Loox mit GPS-Maus und Netzteil
• alte Diktiertechnik
• alte Anrufbeantworter

71

Schrank 6

72

• Werkzeugkoffer befüllt
• diverse Kabel
• interne CD-Laufwerke alt
• Grafickarte Ge Force 6400 GS Noiseless Edition 3D Club (verpackt) privat
• USB-Verteiler
• 2 x 5fach GBit-Switche
• diverse Leitzordner
• Alt-Technik Netzwerkkarten

73

Schrank 7

74

• 31 x 10er Pck. DVD-R neu + 3 einzeln
• 2 x Cover gedruckt PC-Spiel in gelber Umlaufhülle
• 5 x DVD-RW neu
• Notbook dienstlich
• 3 x externe Festplatten dienstlich
• 104 CD-Leerhüllen
• 45 DVD-Softcover unterschiedliche Größen, leer
• 54 x CD-R neu
• 10 x CD-RW neu
• 2 x 25er CD/DVD-Spindel leer
• 1 X 10er CD/DVD-Spindel leer
• 14 CD-Leerhüllen in grünem Beutel

75

Schrank 8

76

• diverse Tastaturen
• diverse PC-Zeitschriften

77

Schrank 9

78

• Geschirr

79

Regal 10

80

• Literatur -diverse IT-Fachbücher
• Mehrere KVM-Switche
• 15 PC's dienstlich
• Boxen X-230 Logitech

81

…“

82

Am 17.04.2013 wurde der Kläger vom Geschäftsleiter des OLG zu dem Ergebnis der Geschäftsprüfung sowie zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses persönlich angehört. Über den Inhalt des Gesprächs fertigte der Geschäftsleiter einen Besprechungsvermerk (Bl. 177 d. A.), auf dessen Inhalt ausdrücklich Bezug genommen wird.

83

Mit Schreiben vom 18.04.2013 (Bl. 18 d. A.), dem Kläger am 22.04.2013 ausgehändigt, kündigte der Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos.

84

Mit Schreiben vom 13.05.2013 (Bl. 46 d. A.), dem Kläger am 15.05.2013 zugegangen, wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers unter Bezugnahme auf die außerordentliche Kündigung nochmals vorsorglich („hilfsweise“) ordentlich zum 31.12.2013 gekündigt.

85

Am 02.05.2013 hat Kläger beim Arbeitsgericht Halle die vorliegende Klage erhoben, im Rahmen derer er zunächst die Feststellung begehrte, dass sein Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 18.04.2013 nicht wirksam aufgelöst worden ist. Nach Erhalt der zweiten Kündigung hat er die Klage am 17.05.2013 erweitert und begehrt nunmehr auch die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 13.05.2013 nicht wirksam beendet wird. Ferner verlangt er die vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Rechtstreits.

86

Der Kläger bestreitet sowohl das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes für die außerordentliche Kündigung als auch das Vorliegen hinreichender Kündigungsgründe für die ordentliche Kündigung. Zunächst werde bestritten, dass er seinen Dienstrechner privat genutzt habe. Bei dem Rechner, auf dem sich die betreffenden Dateien und Programme befänden, handele sich um einen von der Dienststelle zusätzlich angeschafften Rechner, der sich auch in seinem Dienstzimmer befunden habe. Dieser sei nicht mit den dienstlichen Rechnern vernetzt gewesen. Die hier installierten Kopier- und Brennprogramme seien auch dienstlich genutzt worden, etwa für Videoaufnahmen in Strafverfahren, die oftmals nur in veralteten Formaten vorlägen. Zutreffend sei, dass auch der Kläger gelegentlich die Programme privat genutzt habe. Diese Vorgänge hätte jedoch jeweils nur wenige Sekunden in Anspruch genommen, so dass von Arbeitszeitbetrug nicht die Rede sein könne. Auch sei die gelegentliche Privatnutzung niemals ausdrücklich untersagt worden. Des Weiteren werde darauf verwiesen, dass der Kläger auf den externen Speichermedien Sicherungen von dienstlichen und Privatrechnern anderer Mitarbeiter des Hauses vorgenommen habe. Dies sei ihm durch den früheren Referatsleiter ausdrücklich erlaubt worden. Ebenfalls habe er sich in der Dienstzeit gelegentlich um die Privatrechner anderer Mitarbeiter kümmern dürfen, wenn dort Probleme aufgetreten seien. Dies sei zu keinem Zeitpunkt vom Arbeitgeber beanstandet worden. Der vom Beklagten behauptete Umfang seiner Privatnutzung werde ausdrücklich bestritten. Er habe auch keine illegalen Kopien gefertigt und/oder sich strafbar gemacht. Die einzelnen Vorgänge seien dem Kläger in keiner Weise zuzuordnen. Wer den Rechner wann genutzt habe, sei unklar. Es müsse ausdrücklich bestritten werden, dass dies nur der Kläger gewesen sei. Dies sei nicht der Fall. Grundsätzlich hätten viele Mitarbeiter des Hauses Zugang zu diesem Rechner gehabt und diesen auch privat genutzt, sowohl während der Kläger anwesend war als auch in dessen Abwesenheit. Zutritt zum Dienstzimmer sei jederzeit auch für andere Mitarbeiter möglich. Das einfache Passwort für den Zugang sei allgemein bekannt. Keiner der dokumentierten Vorgänge auf dem Rechner sei dem Kläger nachweislich persönlich zuzuordnen. Dass viele Nutzungen (Brennvorgänge etc.) während der Abwesenheit des Klägers, etwa bei Urlaub oder Krankheit, erfolgt seien, beweise die Zugriffsmöglichkeit anderer Personen. Auch die externen Festplatten hätten anderen Mitarbeitern zur Verfügung gestanden. Der hohe Verbrauch von Büromaterialien wie der Rohlinge sei nicht vom Kläger zu vertreten. Das Material sei ebenfalls frei zugänglich gewesen; viele Mitarbeiter hätten sich bedient. Der Kläger habe auch nicht die Bestellungen des Materials vorgenommen oder ausgelöst. Schließlich werde bestritten, dass der Kläger in irgendeiner Weise Vorgänge auf dem Rechner oder den externen Festplatten verschleiert oder versteckt habe. Ein Kündigungsgrund habe nach alledem nicht vorgelegen. Ferner rügt der Kläger die Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB und bestreitet jeweils die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch beider Kündigungen.

87

Der Kläger beantragt,

88

1) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers weder durch die Kündigung des Beklagten vom 18.04.2013 beendet wurde, noch aufgrund der ordentlichen Kündigung des Beklagten vom 13.05.2013 beendet wird;

89

2) den Beklagten zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Angestellten im Oberlandesgericht A-Stadt im Rahmen der zuletzt ausgeübten Tätigkeit System- und Netzwerkbetreuung für das Oberlandesgericht, insbesondere mit

90

− Installation, Wartung und Fehlerbehebung der Hardware
− Installation, Pflege und Betreuung der Software
− Technische Unterstützung der Nutzer
− Administration der elektronischen Berechtigungen
− Hardwarevoraussetzungen
− Softwareangelegenheiten einschließlich Passwortvergabe

91

weiterzubeschäftigen.

92

Der Beklagte beantragt,

93

die Klage abzuweisen.

94

Der Beklagte hält die außerordentliche Kündigung, zumindest jedoch die ordentliche Kündigung aus verhaltenbedingten Gründen für gerechtfertigt und damit wirksam. Der Kläger habe mindestens von Oktober 2010 bis März 2013 den ihm dienstlich anvertrauten Rechner in erheblichem Umfang privat und zu nicht dienstlichen Zwecken genutzt, insbesondere zum Kopieren und Brennen von DVDs und CDs sowie zum Herunterladen von Musik- und Videodateien. Zu diesem Zweck habe er bestimmte Programme installiert, z. B. das Programm „DVD Shrink“. Es seien (Stand:11.04.2013) insgesamt 6.427 Dateien mit offenbar nicht dienstlichem Inhalt gesichtet worden. Auch dienstlich angeschaffte Festplatten habe er privat genutzt. Mit seinem Verhalten habe er seine Vertragspflichten in grober Weise über einen langen Zeitraum verletzt. Da illegale Kopien hergestellt worden seien, habe er sich wohl auch strafbar gemacht. Dazu komme der Arbeitszeitbetrug, weil die umfangreichen Privatnutzungen des Rechners überwiegend in der Dienstzeit erfolgt seien. Schließlich habe er über 2.000 DVD-Rohlinge und über 1.000 CD-Rohlinge auf Kosten des Arbeitgebers bestellt und privat verwendet. Das notwendige Vertrauensverhältnis sei durch die Verhaltensweisen des Klägers vollständig zerstört worden. Darüber hinaus sei es auch wegen der Gefahr für den ordnungsgemäßen Betriebsablauf und der Gefahr, dass es Nachahmer gebe, für den Beklagten nicht mehr zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Eine vorherige Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen, weil der Kläger von vornherein gewusst habe, dass sein Verhalten verboten sei und in keiner Weise vom Arbeitgeber geduldet werden würde. Es werde ausdrücklich bestritten, dass andere Mitarbeiter des Hauses die Möglichkeit gehabt hätten, auf den Rechner des Klägers zuzugreifen und dass tatsächlich auch andere Mitarbeiter den Rechner privat genutzt hätten. Dies sei auszuschließen. Der bei der Geschäftsprüfung festgestellte Sachverhalt sei dem Präsidenten des OLG am 11.04.2013 bekannt gegeben worden, so dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten worden sei. Vor Ausspruch der Kündigung sei der Kläger persönlich gehört worden, habe jedoch die Vorwürfe letztlich nicht entkräften können. Auch der Personalrat sei vor beiden Kündigungen ordnungsgemäß nach den Bestimmungen des Landespersonalvertretungsgesetzes beteiligt worden.

95

Wegen der zahlreichen Einzelheiten des Parteivorbringens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

96

Die Klage ist zulässig und begründet.

97

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist weder durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 18.04.2013 wirksam mit sofortiger Wirkung beendet worden noch wird es durch die vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 13.05.2013 wirksam zum 31.12.2013 aufgelöst. Folglich steht dem Kläger auch ein Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu.

I.

98

Die außerordentliche Kündigung vom 18.04.2013 ist rechtsunwirksam, weil nach den Feststellungen der Kammer kein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorgelegen hat.

1.

99

Nach dieser gesetzlichen Bestimmung kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Voraussetzung für eine fristlose Kündigung ist daher zunächst das Vorliegen eines Sachverhalts, der an sich objektiv geeignet ist, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dabei bilden verhaltensbedingte Gründe dann einen wichtigen Grund, wenn der Arbeitnehmer nicht nur objektiv, sondern auch rechtswidrig und schuldhaft seine Vertragspflichten verletzt hat. Sodann müssten eine Einzelfallprüfung und eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass eine fristlose Kündigung nur dann wirksam ausgesprochen werden kann, wenn dem Kündigenden das Festhalten am Arbeitsverhältnis schlechthin nicht mehr zumutbar ist und andere Sanktionsmöglichkeiten als nicht ausreichend erscheinen (fristlose Kündigung als ultima-ratio).

100

Bevor ein Arbeitnehmer wegen eines vertragswidrigen Verhaltens gekündigt werden kann, ist er in aller Regel zuvor einschlägig und wirksam abzumahnen. Dies gilt bei Störungen im Verhaltensbereich und im Leistungsbereich sowie eingeschränkt auch im Vertrauensbereich. Soweit „steuerbares“ Verhalten vorliegt, wird regelmäßig anzunehmen sein, dass der Arbeitsnehmer nach einer Abmahnung sein verhalten ändern und sich vertragskonform verhalten wird.

101

Entbehrlich sind Abmahnungen nur dann, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht erfolgversprechend angesehen werden durfte, weil objektiv nicht erwartet werden kann, dass sich das Verhalten trotz Abmahnung künftig ändern wird, oder bei außergewöhnlich schweren und regelmäßig vorsätzlichen Vertragsverletzungen, die das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundlegend und vollständig erschüttern (vgl. BAG, Urteil vom 12.01.2006 – 2 AZR 179/05 – juris). Hier handelt es sich insbesondere um zu Lasten des Arbeitgebers begangene Straftaten, wie etwa Eigentumsdelikte, die an sich stets einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen. Jedoch sind grundsätzlich immer die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und abschließend zu würdigen (vgl. BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – juris; LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 06.12.2005 – 8 Sa 327/05 – juris).

102

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur eine erwiesene strafbare Handlung oder eine erwiesene erhebliche schuldhafte Vertragsverletzung des Arbeitnehmers, sondern auch der Verdacht, dieser habe eine strafbare Handlung oder eine erhebliche schuldhafte Vertragsverletzung begangen, einen Grund für eine außerordentliche oder ordentliche verhaltensbedingte Kündigung darstellen (vgl. BAG, Urteil vom 03. 07. 2003 – 2 AZR 437/02 – juris; BAG, Urteil vom 23. 06. 2009 – 2 AZR 474/07 – juris).

103

Der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung oder einer strafbaren Handlung ist gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, ein eigenständiger Kündigungsgrund, der im Tatvorwurf nicht zwangsläufig enthalten ist. Hier ist es gerade der Verdacht der – nicht erwiesenen – Pflichtverletzung, der das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauensverhältnis zerstört. Voraussetzung ist aber immer, dass im Zeitpunkt der Kündigung der Verdacht durch objektive Tatsachen begründet ist und dass es sich um sehr schwerwiegende Pflichtverletzungen handelt. Es muss eine sehr große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der betreffende Arbeitnehmer eine schwerwiegende Pflichtverletzung oder strafbare Handlung (in der Regel zum Nachteil des Arbeitgebers) begangen hat. Der Arbeitgeber muss alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhaltes genutzt und insbesondere auch den Arbeitnehmer persönlich zu allen Verdachtsmomenten angehört haben. Wegen der Gefahr, dass ein „Unschuldiger“ seinen Arbeitsplatz (nach unter Umständen langjähriger Betriebszugehörigkeit) allein wegen eines Verdachts einer Pflichtverletzung verliert, sind an die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung sehr strenge Maßstäbe anzulegen.

2.

104

Im Streitfall waren nach Auffassung der Kammer die Voraussetzungen für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers nicht gegeben.

a.

105

Die Wirksamkeit der Kündigung war nicht unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung zu prüfen, weil der Beklagte ausdrücklich keine Verdachtskündigung ausgesprochen hat und dies auch nicht wollte (wie die Beklagtenvertreter im Kammertermin auf Nachfrage des Vorsitzenden bestätigt haben). Zudem wurde auch der Personalrat nicht zu einer etwaigen Verdachtskündigung angehört.

b.

106

Als Tatkündigung erweist sich die fristlose Kündigung vom 18.04.2013 im Ergebnis wegen des nicht nachgewiesenen (wichtigen) Kündigungsgrundes als unwirksam. Dies folgt aus folgenden Erwägungen:

aa.

107

Obgleich gewisse Verdachtsmomente vorliegen, ist es letztlich nur eine unbewiesene Behauptung des Beklagten, dass alle vorgefundenen Privatdateien dem Kläger zuzurechnen seien und dass dieser (allein) alle Privatnutzungen durchgeführt, damit auch etwaige (nach § 106 UrhG strafbare) Vervielfältigungen vorgenommen und auch alle Brennvorgänge selbst durchgeführt hat. Keiner der dokumentierten Vorgänge lässt sich einzelnen Personen und damit auch nicht dem Kläger zuordnen. Der Beklagte stellt letztlich nur Vermutungen an und zieht Schlussfolgerungen, weil sich der Rechner am Arbeitsplatz bzw. im Dienstzimmer des Klägers befunden hat. Niemand hat den Kläger bei einzelnen Privatnutzungen beobachtet. Es ist auch nicht bewiesen, dass es gerade der Kläger war, der die Kopierprogramme installiert hat.

108

Allein die unstreitige Tatsache, dass auch in Zeiten, in denen sich der Kläger wegen Urlaubs oder Krankheit nicht am Arbeitsplatz aufgehalten hat oder sonstwie dienstlich abwesend war, zahlreiche „Vorgänge“ dokumentiert wurden, beweist, dass andere Personen sowohl Zugriff auf den Rechner hatten als auch in der Lage waren, die Kopierprogramme usw. zu nutzen.

109

Weshalb der Beklagte diesen eindeutigen Umstand bis zuletzt ignoriert hat, blieb unverständlich. Geradezu abenteuerlich hält die Kammer die Behauptung der Beklagtenvertreter im Kammertermin, dann müsse der Kläger wohl auch während seiner Krankheitszeiten und seiner Urlaube regelmäßig auf Arbeit erschienen sein und den Rechner privat genutzt haben. Wie es der Kläger allerdings hat anstellen sollen, beispielsweise aus seinem Neuseeland-Urlaub zwischenzeitlich das OLG aufzusuchen, nur um in paar CDs zu brennen, konnte niemand schlüssig erläutern. Viele Mitarbeiter des OLG verfügen über einen Dienstschüssel für das Zimmer des Klägers. Das Passwort für den Rechner (laut Angaben des Klägers: „OLG“) ist leicht herauszufinden. Wenn die entsprechenden Programme einmal installiert sind, dürfte es auch für einen technisch nicht sehr bewanderten Mitarbeiter leicht möglich sein, diese zu nutzen. Schließlich war auch zu berücksichtigen, dass sich die Ermittlungen des Beklagten auch gegen zumindest einen weiteren Mitarbeiter des Hauses richten, von dem ebenfalls angenommen wird, er habe Privatnutzungen vorgenommen.

110

Die „Ermittlungen“ gegen andere Mitarbeiter, die vom Kläger als mögliche Nutzer bezeichnet wurden, haben sich offensichtlich darauf beschränkt, zu fragen, ob sie den Rechner genutzt haben. Nachdem diese Mitarbeiter schlicht mit „Nein“ geantwortet haben, war für den Beklagten die Sachlage klar. So jedenfalls wurde es im Kammertermin erklärt, nachdem der Vorsitzende fragte, weshalb sich der Beklagte sicher sei, dass keine anderen Mitarbeiter beteiligt seien. Diese Art der Aufklärung überzeugte die Kammer jedoch nicht.

111

Nach alledem steht gerade nicht zur Überzeugung der erkennenden Kammer fest, dass der Kläger für alle Privatnutzungen verantwortlich ist. Auch können ihm somit konkrete Straftaten im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzung nicht nachgewiesen werden. Wann genau etwa hat er welche konkrete CD oder DVD unzulässig vervielfältigt?

112

Es muss nochmals darauf hingewiesen, werden, dass unter diesen Umständen allenfalls eine Verdachtskündigung in Betracht gekommen wäre.

bb.

113

Soweit eine (zugestandene) Privatnutzung in geringem Umfang verbleibt, wobei jedoch der zeitliche Umfang und die Intensität vollkommen ungeklärt blieben, reichte dies keinesfalls für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus.

114

Die unbefugte Privatnutzung von Dienstrechnern, verbunden mit dem Verbrauch dienstlich angeschafften Materials (hier Rohlinge) während der Arbeitszeit stellt zweifelsfrei eine gravierende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers dar, die nicht bagatellisiert werden soll. Unter Umständen handelt es sich sogar um strafbares Verhalten (Arbeitszeitbetrug, Diebstahl oder Unterschlagung). Regelmäßig sind solche Verhaltensweisen nach den Umständen des Einzelfalls geeignet, eine fristlose oder fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.

115

Im Streitfall sind jedoch schon Umfang und Intensität der Pflichtverletzung des Klägers unklar. Zu beachten ist zudem, dass nicht jedes strafbare Verhalten oder jede grobe Pflichtverletzung eines Arbeitnehmers ohne Weiteres eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen kann (vgl. den Fall „Emmely“: BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – juris).

116

Wenn man lediglich das zugestandene Verhalten des Klägers zugrunde legt, nämlich eine Privatnutzung in geringem Umfang (alles andere konnte nicht bewiesen werden), konnte eine Kündigung, jedenfalls ohne vorherige Abmahnung, nicht wirksam ausgesprochen werden.

117

Zwar liegt ein „Arbeitszeitbetrug“ insoweit vor, als dass der Kläger während seiner Arbeitszeit, für die er bezahlt wird, weil er dienstliche Dinge erledigen soll, Privates erledigt hat. Unabhängig von dem nicht feststehenden Umfang der privat genutzten Zeit ist hier jedoch zu berücksichtigen, dass es dem Kläger jedenfalls (unbestritten!) erlaubt war, sich um die Privatrechner von Mitarbeitern des Hauses „zu kümmern“, wenn ein Problem auftrat. Hier durfte er also während der Arbeitszeit nicht dienstliche Dinge erledigen. Auf Nachfrage in der Kammerverhandlung haben die Beklagtenvertreter erklärt, dass die Kündigung auf diese Tätigkeiten des Klägers ausdrücklich nicht gestützt werde.

118

Wenn dies jedoch in der Arbeitszeit erlaubt oder zumindest geduldet wurde, war für den Kläger nicht ohne weiteres ersichtlich, dass eine Privatnutzunge des Rechners, beispielsweise zum Kopieren einer CD, streng untersagt war und er damit rechnen musste, hierfür ohne weiteres gekündigt zu werden.

119

Auch weil es sich eindeutig um steuerbares Verhalten handelt, welches hier gerügt wird, musste der Beklagte schon zur Klarstellung, welches Verhalten gebilligt und welches Verhalten nicht toleriert wird, zunächst eine Abmahnung aussprechen, bevor er zum (letzten) Mittel der fristlosen Kündigung greift. In der Abmahnung hätte er klarstellen müssen, welches Verhalten künftig nicht mehr geduldet wird und er hätte für den Fall weitergehender einschlägiger Pflichtverletzungen eine Kündigung androhen müssen. Im Falle, dass sich die Pflichtverletzungen wiederholt hätten, wäre dann eine Kündigung grundsätzlich möglich gewesen. Angesichts aller Umstände ist anzunehmen, dass der Kläger nach einer etwaigen Abmahnung sein Verhalten geändert hätte.

120

Die fristlose Kündigung war aus objektiver Sicht keinesfalls die „ultima ratio“, zumal auch nicht feststellbar war, ob und welcher Schaden gerade durch den Kläger verursacht wurde. Schon wegen Unverhältnismäßigkeit erweist sich die Kündigung daher als rechtsunwirksam.

121

Auf die Interessenabwägung, die auch das Lebensalter des Klägers und die 21jährige - beanstandungsfreie - Beschäftigungszeit berücksichtigen müsste, kam es nicht mehr an.

122

Für die Kammer war letztlich nicht nachvollziehbar, wie die nunmehr vorgetragenen Umstände und insbesondere der erhebliche Umfang privater Nutzung von dienstlichen Ressourcen so lange unentdeckt geblieben sein soll. Möglicherweise wurden bestimmte Dinge toleriert und geduldet, wohl weil eine Anzahl von Mitarbeitern des Hauses hiervon in unterschiedlicher Weise profitiert hat. Nachdem jedoch bestimmte Sachverhalte und Verhaltensweisen offiziell festgestellt, gemeldet und damit nachweislich bekannt wurden, wurde sogleich ein Exempel statuiert.

II.

123

Die vorsorglich ausgesprochene ordentliche verhaltensbedingte Kündigung vom 13.05.2013 ist sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG und damit ebenfalls rechtsunwirksam, weil kein hinreichender Kündigungsgrund vorgelegen hat.

124

Insofern wird grundsätzlich auf die obigen Ausführungen zur außerordentlichen Kündigung Bezug genommen. Trotz Vorliegens vertragswidriger und vorwerfbarer Pflichtverletzungen seitens des Klägers ist auch die ordentliche (fristgemäße) Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter den gegebenen Umständen nicht verhältnismäßig. Auch insoweit wäre zunächst eine Abmahnung erforderlich gewesen, mit denen die Pflichtverletzungen hätten sanktioniert werden können und müssen.

III.

125

Nachdem sich beide Kündigungen im Ergebnis wegen eines fehlenden hinreichenden Kündigungsgrundes als rechtsunwirksam erwiesen haben, bedurfte die Frage der ordnungsgemäßen Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch der Kündigungen keiner Erörterung mehr.

IV.

126

Da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitgegenständlichen Kündigungen nicht wirksam beendet worden ist bzw. beendet wird, ist der Beklagte verpflichtet, den Kläger – vorläufig – bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu den bisherigen vertraglichen Bedingungen weiter zu beschäftigen.

127

Das Bundesarbeitsgericht hat den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach Obsiegen mit einer Kündigungsschutzklage in erster Instanz grundsätzlich anerkannt, da dann in aller Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung überwiegt (vgl. BAG, Beschluss des Großen Senats vom 27.02.1985 – GS 1/84 – juris). Gründe, die hier ausnahmsweise ein besonderes überwiegendes Interesse des Beklagten an der vorläufigen Nichtbeschäftigung begründen könnten, wurden beklagtenseits nicht vorgetragen. Die tatsächliche Beschäftigungsmöglichkeit ist auch nicht entfallen. Darüber hinaus könnte sich der Beklagte zur Abwendung der Weiterbeschäftigungspflicht nicht erfolgreich auf den Aspekt der Wiederholungsgefahr berufen. Wenn man davon ausgeht (s. o.), dass sich das vorgeworfene Verhalten nach dem Ausspruch der Kündigung wohl nicht wiederholen wird bzw. nach dem Ausspruch einer einschlägigen Abmahnung nicht wiederholt hätte, wäre es widersprüchlich, den Weiterbeschäftigungsanspruch eben unter Hinweis auf die Wiederholungsgefahr abzulehnen.

128

Der Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des laufenden Rechtstreits ist jedoch nur auf eine vertragsgemäße Beschäftigung gerichtet. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer zur den bisherigen Vertragsbedingungen weiter zu beschäftigen. Dabei obliegt die konkrete Zuweisung der Tätigkeit grundsätzlich dem Direktionsrecht, soweit dieses nicht arbeitsvertraglich oder tarifvertraglich beschränkt ist. Somit hat der Kläger – wie bisher – nur Anspruch auf eine Beschäftigung als Angestellter im OLG A-Stadt mit Tätigkeiten in der Entgeltgruppe 9 TV-L. Auch durch langjährige Beschäftigung mit bestimmten Tätigkeiten erwirbt ein Angestellter im öffentlichen Dienst keinen Anspruch darauf, auch künftig ausschließlich und gerade mit diesen Tätigkeiten beschäftigt zu werden, soweit nicht ausnahmsweise im Arbeitsvertrag anderes vereinbart wurde, was hier nicht der Fall ist.

129

Folglich konnte dem Antrag nur in der allgemeinen Form entsprochen werden. Der Arbeitnehmer kann im Zuge der vorläufigen Weiterbeschäftigung nicht besser behandelt werden als im regulären Arbeitsverhältnis.

130

Nach alledem war der Klage in dem im Tenor der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Umfang stattzugeben; im Übrigen war sie abzuweisen.

131

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Grundsätzlich hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Zwar war der Kläger hinsichtlich des konkreten Inhalts des Weiterbeschäftigungsanspruchs teilweise unterlegen. Jedoch fällt dies geringfügige Unterliegen nicht ins Gewicht, zumal es auch keine höheren Kosten veranlasst hat. Somit kam Kostenquotelung nicht in Betracht und dem Beklagten waren die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

132

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 2 GKG, 3 ZPO. Für den Feststellungsantrag bezogen auf die erste Kündigung wurde ein Betrag in Höhe des dreifachen Bruttomonatsverdienstes des Klägers (3.285,81 €) in Ansatz gebracht. Für die zweite Kündigung wurde ein weiterer Monatsverdienst angesetzt, da zwischen dem Ausspruch beider Kündigungen ein Zeitraum von ca. einem Monat lag. Der Weiterbeschäftigungsanspruch wurde (üblicherweise) mit einem weiteren Monatsverdienst bewertet.


(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 19. Dezember 2012 - 7 Sa 603/12 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.

2

Der 1969 geborene, ledige Kläger war seit 1985 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er wurde zuletzt als Kundendiensttechniker im Außendienst eingesetzt. Zu dienstlichen Zwecken stand ihm ein Dienstfahrzeug zur Verfügung. Vor Urlaubsantritt oder bei Arbeitsunfähigkeit hatte er den Fahrzeugschlüssel und das Fahrtenbuch im Betrieb abzugeben. Weil er dieser Weisung anlässlich einer Arbeitsunfähigkeit und eines Urlaubs in der Zeit vom 19. November 2002 bis zum 25. Februar 2003 nicht nachgekommen war, mahnte die Rechtsvorgängerin der Beklagten ihn ab und kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien im Februar 2003 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage hatte Erfolg.

3

Vor Antritt eines Urlaubs im Oktober 2008 hatte der Kläger den Schlüssel des Dienstfahrzeugs und das Fahrtenbuch erneut nicht im Betrieb hinterlegt. Mit Schreiben vom 29. Januar 2009 ermahnte ihn die Beklagte nochmals, die Anweisungen einzuhalten. Gleichzeitig kündigte sie an, weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, wenn bis zum 15. Februar 2009 keine Besserung erkennbar sei und er die Anweisungen weiterhin missachte. Am selben Abend nahm er die Kfz-Utensilien nach einer Spätschicht erneut mit nach Hause.

4

Ab dem 9. Februar 2009 war der Kläger krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Ausweislich einer Aufstellung der Krankenkasse war er im Zeitraum vom 9. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 aufgrund einer Gastritis sowie vom 9. bis 17. März 2009 an einer „sonstigen depressiven Episode“ erkrankt. Ab dem 17. März 2009 behandelte ihn ein Facharzt für Psychiatrie, der ihm ebenfalls eine „sonstige depressive Episode“ bescheinigte. In einem Attest seiner Hausärztin vom 1. Oktober 2010 heißt es, bei dem Kläger beständen seit Jahren „massive Beschwerden vom Magen sowie von der Psyche her“. Insbesondere in der Zeit vom 9. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 habe er unter Magenschmerzen, Tendenz zu sozialem Rückzug, Antriebsstörungen und Vermeidungshaltungen gelitten. Während seiner Erkrankung gab der Kläger erneut weder die Fahrzeugutensilien heraus noch teilte er der Beklagten mit, wo sie sich befänden und wie eine Herausgabe sichergestellt werden könne.

5

Mit Schreiben vom 16. und 18. Februar 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab. Mit Schreiben vom 2. März 2009 hörte sie den Betriebsrat zu ihrer Absicht an, das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zu kündigen. Der Betriebsrat widersprach dem. Mit Schreiben vom 9. März 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Oktober 2009.

6

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt. Er hat behauptet, in der Zeit vom 9. Februar bis 7. März 2009 habe er sich in einer akuten depressiven Episode befunden, die durch völlige Antriebsschwäche gekennzeichnet gewesen sei. Aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung sei er nicht in der Lage gewesen, wie von ihm verlangt zu handeln. Zudem lägen keine schwerwiegenden Pflichtverstöße vor. Wahrer Hintergrund der Kündigung sei seine schwere Erkrankung, die zu häufigen Fehlzeiten führe.

7

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 9. März 2009 nicht mit Ablauf des 31. Oktober 2009 aufgelöst worden ist.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe bewusst und beharrlich gegen ihm erteilte Weisungen verstoßen. Er sei offensichtlich nicht bereit, berechtigten Forderungen nachzukommen. Eine Beschäftigung im Innendienst sei nicht möglich, weil er unter Vorlage eines betriebsärztlichen Attests die Beschäftigung im Außendienst verlangt habe. Zudem sei ein geeigneter freier Arbeitsplatz im Innendienst nicht vorhanden. Für eine Erkrankung, die ein schuldhaftes Verhalten des Klägers ausschließe, lägen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor.

9

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat der Senat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts mit Urteil vom 3. November 2011 (- 2 AZR 748/10 -) aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Die Pflichtverletzung des Klägers könne eine ordentliche Kündigung nicht rechtfertigen, wenn dieser aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, sein Verhalten bewusst zu steuern. Dem entsprechenden Vortrag des Klägers sei das Landesarbeitsgericht nicht nachgegangen.

10

Die Beklagte hat sich daraufhin zum Beweis für eine Steuerungsfähigkeit des Klägers auf das Zeugnis der ihn behandelnden Ärzte berufen. Mit Schriftsatz vom 21. Juni 2012 hat der Kläger drei auf den 12. Juni 2012 datierte, gleichlautende Erklärungen des Inhalts zur Gerichtsakte gereicht, dass er die betreffenden Ärzte „von der ärztlichen Schweigepflicht [entbinde und sich] damit einverstanden [erkläre], dass alle erforderlichen Auskünfte erteilt werden, die im Zusammenhang mit [seiner] Erkrankung stehen und dass von allen Berichten, Auskünften und Gutachten [seinem Prozessbevollmächtigten] Abschriften zur Verfügung gestellt werden“.

11

Mit Beschluss vom 20. August 2012 bestimmte das Landesarbeitsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung und Durchführung einer Beweisaufnahme. Mit Schriftsatz vom 26. September 2012 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers „ausdrücklich“ darum, ärztliche Atteste und Krankenunterlagen der behandelnden Ärzte, die bei Gericht eingereicht würden, nicht an die Beklagte und deren anwaltliche Vertretung zu versenden.

12

Am 4. Oktober 2012 teilte das Landesarbeitsgericht mit, eine Schweigepflichtentbindung, die den Prozessgegner ausspare, sei „nicht möglich“. Es setzte dem Kläger eine Frist bis zum 19. Oktober 2012, um die ihn behandelnden Ärzte auch gegenüber der Beklagten von der Schweigepflicht zu entbinden. Mit Schriftsatz vom selben Tag erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, die Beklagte habe keinen Anspruch auf Kenntnis der höchstpersönlichen Krankheitsmerkmale. Möglicherweise komme „eine Vorgehensweise derart in Betracht, dass für die Zeit der Beweisaufnahme nur der anwaltliche Prozessvertreter der Beklagten, … [nicht dagegen] der Vertreter der Arbeitgeberin“ anwesend sei.

13

Mit Beschluss vom 25. Oktober 2012 wies das Landesarbeitsgericht den Kläger unter nochmaliger Fristsetzung darauf hin, dass eine Beweisaufnahme unter Ausschluss der beklagten Partei prozessual unzulässig sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte daraufhin mit, eine Rücksprache mit diesem sei bislang nicht möglich gewesen. „Ohne Verzicht auf die höchstpersönlichen Grundrechte des Klägers“ erkläre er aber, dass „die bereits vom Kläger abgegebene Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht uneingeschränkt gelten“ solle.

14

Mit Beschluss vom 13. November 2012 wies das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass die Entbindung eines Arztes von der Schweigepflicht eine höchstpersönliche Entscheidung der Partei sei. Sie sei von der erteilten Prozessvollmacht nicht gedeckt. Der Kläger erhalte bis zum 16. November 2012 erneut Gelegenheit, eine uneingeschränkte Erklärung über die Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zur Akte zu reichen.

15

Mit Schriftsatz vom 15. November 2012 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers darum, die als Zeugen geladenen Ärzte nicht abzuladen, und kündigte an, der Kläger werde im Termin zur mündlichen Verhandlung eine Erklärung über ihre Entbindung von der Schweigepflicht zu Protokoll geben. Dafür mache er sich persönlich „stark“.

16

Bei der mündlichen Verhandlung am 21. November 2012 war der Kläger nicht anwesend. Mit E-Mail vom selben Tag hatte er mitgeteilt, er sei arbeitsunfähig erkrankt. Sein Prozessbevollmächtigter wiederum erschien aufgrund einer Verkehrsstörung verspätet zum Termin. Er hatte vorab telefonisch um Vernehmung der Zeugen gebeten. Der Kläger wünsche dies ausdrücklich. Im Besitz einer schriftlichen Erklärung des Klägers, mit der dieser die Zeugen von ihrer Schweigepflicht entbinde, sei er nicht. Davon setzte die Kammervorsitzende die Zeugen und die Beklagte in Kenntnis. Die Zeugen erklärten, sie sagten nur bei Vorliegen einer schriftlichen Entbindungserklärung aus. Das Gericht entließ die Zeugen daraufhin noch vor dem Eintreffen des Klägervertreters. Nachdem dieser erschienen war, teilte er mit, er habe am Tag zuvor mit dem Kläger telefoniert; dieser habe ihm gegenüber erklärt, dass die Schweigepflichtentbindung vom 12. Juni 2012 uneingeschränkt gelten solle.

17

Der Klägervertreter hat keinen Antrag gestellt. Die Beklagte hat beantragt, nach Lage der Akten zu entscheiden und die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen. Das Landesarbeitsgericht beschloss, nach Lage der Akten zu entscheiden, und beraumte Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 19. Dezember 2012 an. Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2012 reichte der Kläger eine ärztliche Bescheinigung zur Akte, derzufolge er vom 20. bis 23. November 2012 arbeitsunfähig erkrankt und außerstande gewesen sei, am Termin zur mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

18

Nach Beratung am 18. Dezember 2012 hat das Landesarbeitsgericht die Klage mit Urteil vom 19. Dezember 2012 „auf die mündliche Verhandlung vom 21.11.2012“ abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger, das Urteil des Arbeitsgerichts wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

19

Die Revision ist begründet. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Klage nicht abweisen. Die Sache war erneut an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch immer nicht festgestellt.

20

I. Das Landesarbeitsgericht durfte nach Lage der Akten entscheiden.

21

1. Gemäß § 331a Satz 2, § 251a Abs. 2 ZPO darf beim Ausbleiben einer Partei im Termin ein Urteil nach Lage der Akten ergehen, wenn in einem früheren Termin mündlich verhandelt worden ist. Es darf frühestens zwei Wochen später verkündet werden. Das Gericht hat der nicht erschienenen Partei den Verkündungstermin formlos mitzuteilen. Es bestimmt einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung, wenn die Partei dies spätestens am siebenten Tag vor dem zur Verkündung bestimmten Termin beantragt und glaubhaft macht, dass sie ohne ihr Verschulden ausgeblieben ist und die Verlegung des Termins nicht rechtzeitig beantragen konnte.

22

2. Eine Verhandlung „in einem früheren Termin“ ist auch eine solche, die bei dem Landesarbeitsgericht vor einer Zurückverweisung der Sache durch das Bundesarbeitsgericht stattgefunden hat.

23

a) Durch die Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht wird das Verfahren in der Lage wieder eröffnet, in der es sich befunden hat, als die Verhandlung vor dem Erlass des aufgehobenen Urteils geschlossen wurde (RG 1. November 1935 - VI 453/34 - zu 1 der Gründe, RGZ 149, 157). Das Verfahren vor und nach der Zurückverweisung bildet eine Einheit (MüKoZPO/Gehrlein 4. Aufl. § 251a Rn. 16; Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. § 251a Rn. 3). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Revisionsgericht nicht allein das Berufungsurteil, sondern nach § 562 Abs. 2 ZPO zugleich das diesem zugrunde liegende Verfahren aufgehoben hat.

24

b) Dem steht nicht entgegen, dass es nach der Zurückverweisung zu einem Wechsel der zuständigen Richter kommen kann. Das Erfordernis einer früheren mündlichen Verhandlung soll gewährleisten, dass die Parteien ihre Standpunkte zumindest einmal mündlich vortragen können (RG 1. November 1935 - VI 453/34 - zu 1 der Gründe, RGZ 149, 157). Diesem Zweck ist auch dann Rechnung getragen, wenn die erkennende Kammer bei der mündlichen Verhandlung personell anders besetzt war oder die Verhandlung vor einer anderen Kammer stattgefunden hat (RG 1. November 1935 - VI 453/34 - aaO). § 309 ZPO ist insoweit nicht anwendbar. Die frühere Verhandlung ist lediglich Voraussetzung für das Urteil nach Lage der Akten, sie liegt diesem jedoch nicht iSv. § 309 ZPO zugrunde(RG 1. November 1935 - VI 453/34 - aaO; MüKoZPO/Gehrlein 4. Aufl. § 251a Rn. 17).

25

c) Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine mündliche Verhandlung nach der Zurückverweisung auch nicht deshalb Voraussetzung für eine Entscheidung nach Lage der Akten, weil die Parteien die Möglichkeit haben müssen, neue Tatsachen vorzutragen. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs erfordert nicht stets eine mündliche Verhandlung. Ihm ist auch dann Genüge getan, wenn die betreffende Partei Gelegenheit hatte, sich zu der Rechtssache schriftlich zu äußern.

26

3. Das Landesarbeitsgericht musste keinen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumen. Es kann dahinstehen, ob das in § 251a Abs. 2 Satz 4 ZPO vorgesehene Recht, die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung zu beantragen, nur einer Partei zusteht, die dem Termin ohne ihr Verschulden gänzlich ferngeblieben ist(so Stein/Jonas/Roth 22. Aufl. § 251a Rn. 19; Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. § 251a Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Gerken 4. Aufl. § 251a ZPO Rn. 24; Musielak/Stadler ZPO 11. Aufl. § 251a Rn. 4), oder auch einer Partei, die zwar erschienen ist, aber nicht verhandelt hat (so MüKoZPO/Gehrlein 4. Aufl. § 251a Rn. 27, 29). Der Kläger hat nicht geltend gemacht, er habe ohne sein Verschulden nicht verhandelt. Zwar konnte er selbst aus gesundheitlichen Gründen nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen. Dies führte jedoch nicht dazu, dass auch sein im Termin anwesender Prozessbevollmächtigter nicht in der Lage gewesen wäre zu verhandeln. Gründe dafür, dass eine Verhandlung in seiner persönlichen Abwesenheit nicht möglich gewesen sei, hat der Kläger nicht vorgetragen.

27

4. Ein Verfahrensfehler folgt nicht daraus, dass das Landesarbeitsgericht den Parteien den Beratungstermin nicht mitgeteilt hatte. § 251a Abs. 2 Satz 3 ZPO sieht nur die Mitteilung des Verkündungstermins vor. Spätestens ab dem sechsten Tag vor dem Verkündungstermin müssen die Parteien jederzeit mit einer, ggf. mehreren Beratungen der Kammer rechnen. Inwiefern dem Kläger, wie er meint, „zu dieser Beratung“ Gelegenheit zur Stellungnahme hätte eingeräumt werden müssen, ist nicht ersichtlich. Seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs war dadurch Genüge getan, dass das Landesarbeitsgericht sämtliche bis zu seiner Beratung eingegangenen Schriftsätze der Parteien zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat.

28

5. Das angefochtene Urteil ist - anders als der Kläger meint - nicht deshalb verfahrensfehlerhaft, weil es ausweislich seines Rubrums „auf die mündliche Verhandlung vom 21.11.2012“ ergangen ist. Zwar ist die Entscheidung nicht auf eine mündliche Verhandlung hin, sondern nach Lage der Akten am 21. November 2012 ergangen. In der falschen Angabe liegt jedoch keine Verletzung einer Rechtsnorm iSv. § 73 ArbGG. Der Fehler unterliegt als offenbare Unrichtigkeit nur der Berichtigung gemäß § 319 ZPO.

29

II. Das Landesarbeitsgericht hat auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen zu Unrecht angenommen, der Kläger habe im Frühjahr 2009 seine arbeitsvertraglichen Pflichten in vorwerfbarer Weise verletzt. Es durfte den Vortrag der Beklagten, der Kläger sei nicht außerstande gewesen, sein vertragswidriges Verhalten zu steuern, nicht ohne Vernehmung der Zeugen für wahr erachten.

30

1. Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das kündigungsrelevante Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen (vgl. BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 70, 262). Beruft sich der Arbeitnehmer insoweit auf eine Erkrankung und legt er substantiiert dar, woran er erkrankt war und weshalb er aus diesem Grunde nicht nur arbeitsunfähig war, sondern auch bestimmte Nebenpflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen konnte, kann sich der Arbeitgeber zum Beweis dafür, dass die Behauptungen des Arbeitnehmers nicht zutreffen, auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte berufen. Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht obliegt es dem Kläger, diese von ihrer Schweigepflicht zu entbinden (zur prozessualen Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers bei der krankheitsbedingten Kündigung vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - zu B I 2 a der Gründe).

31

2. Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Das Gericht hat dabei auch die prozessualen und vorprozessualen Handlungen, Erklärungen und Unterlassungen der Parteien und ihrer Vertreter zu würdigen. Weigert sich ein Prozessbeteiligter, seine Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, und macht er der beweispflichtigen Gegenpartei die Beweisführung unmöglich, kann das als Beweisvereitelung im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sein. Dabei führt eine solche Beweisvereitelung - anders als mangelndes Bestreiten nach § 138 Abs. 3 ZPO - nicht ohne Weiteres dazu, dass der Vortrag der beweisbelasteten Partei als zugestanden gilt. Vielmehr kommen Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast in Betracht, wenn dem Beweispflichtigen die volle Beweislast billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann (BAG 19. Februar 1997 - 5 AZR 747/93 - zu B II 3 der Gründe, BAGE 85, 140; BGH 23. Oktober 2008 - VII ZR 64/07 - Rn. 23). Welche beweisrechtlichen Konsequenzen angemessen sind, ist unter Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (BGH 23. Oktober 2008 - VII ZR 64/07 - aaO).

32

3. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, der Kläger habe die Beweisführung der Beklagten vereitelt, weil er die ihn behandelnden Ärzte nicht in ausreichender Weise von der Schweigepflicht entbunden habe.

33

a) Die Entbindung von der Schweigepflicht kann dem Zeugen, der Gegenpartei oder dem Gericht gegenüber erklärt werden. Da es sich bei den Daten, die der Schweigepflicht unterliegen, um geheim zu haltende Angelegenheiten höchstpersönlicher Art handelt, muss in jedem Fall sichergestellt sein, dass die Entbindung von dem Rechtsträger selbst stammt. Das schließt nicht aus, dass die Erklärung nach außen durch einen Prozessbevollmächtigten erfolgen oder schon in der Benennung einer der in § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bezeichneten Personen als Zeuge zu sehen sein kann. In Zweifelsfällen hat das Gericht zu klären, ob die Erklärung von der Partei selbst getragen wird oder ohne entsprechendes Einverständnis abgegeben worden ist (BAG 12. Januar 1995 - 2 AZR 366/94 - zu 2 c der Gründe).

34

b) Der Kläger hatte die von der Beklagten benannten Zeugen wirksam von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbunden.

35

aa) Mit drei gleichlautenden, von ihm persönlich unterzeichneten Schreiben vom 12. Juni 2012 hatte er erklärt, er entbinde die betreffenden Ärzte von ihrer Schweigepflicht. Er sei damit einverstanden, dass alle erforderlichen Auskünfte erteilt würden, die im Zusammenhang mit seiner Erkrankung ständen.

36

bb) Die mit Schriftsatz vom 26. September 2012 nachträglich erklärte Beschränkung dieser Entbindung hat der Kläger entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht aufrechterhalten.

37

(1) Das Landesarbeitsgericht hat den Kläger nach Eingang des Schriftsatzes zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Entbindung von der Schweigepflicht, die dem Arzt eine Aussage nur in Abwesenheit der gegnerischen Partei gestattet, der prozessualen Mitwirkungspflicht nicht genügt. Die Entbindung von der Schweigepflicht nach § 385 Abs. 2 ZPO soll die Erhebung des Zeugenbeweises durch Vernehmung einer gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 4, Nr. 6 ZPO an sich zur Zeugnisverweigerung berechtigten Person ermöglichen. Gestattet ein Prozessbeteiligter dem ihn behandelnden Arzt die Aussage nur in Abwesenheit der gegnerischen Partei, ist das Gericht gehindert, den Arzt als Zeugen zu vernehmen. Andernfalls verstieße es gegen das Gebot der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme in § 357 Abs. 1 ZPO und verletzte damit den Anspruch der nicht anwesenden Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

38

(2) Nach diesem Hinweis hat der Kläger an der Beschränkung seiner Entbindung nicht festgehalten.

39

(a) Zwar vermochte das Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 12. November 2012, die Entbindung von der Schweigepflicht solle uneingeschränkt gelten, die zuvor erklärte Beschränkung nicht aufzuheben. Angesichts der Bemerkung des Prozessbevollmächtigten, er habe bislang keine Gelegenheit gehabt, mit dem Kläger persönlich Rücksprache zu halten, war nicht sichergestellt, dass der Erklärung eine Gestattung des Klägers als des Rechtsinhabers zugrunde lag.

40

(b) Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 21. November 2012 hat der anreisende Prozessbevollmächtigte jedoch auf telefonische Nachfrage mitgeteilt, er habe zwar keine schriftliche Erklärung des Klägers über die Entbindung der anwesenden Zeugen von ihrer Schweigepflicht bei sich, der Kläger habe ihm gegenüber aber ausdrücklich die Zeugenvernehmung gewünscht. Das war nicht anders zu verstehen, als dass der Kläger eine Beweisaufnahme auch in Gegenwart eines Vertreters der Beklagten gestatte. Dies hat der Klägervertreter nach seinem Erscheinen im Termin unter Verweis auf ein mit dem Kläger am Vortag geführtes Telefonat klargestellt. Anhaltspunkte für die Annahme, die Erklärung sei gleichwohl nicht vom höchstpersönlichen Willen des Klägers getragen, bestanden nicht. Dies gilt umso mehr, als das Landesarbeitsgericht in seinem Urteil ausgeführt hat, der Kläger sei in den Tagen vor der mündlichen Verhandlung „zweifellos dazu in der Lage [gewesen], sachgerechte Erklärungen abzugeben“. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts war es für die Wirksamkeit der Erklärung nicht erforderlich, dass sie schriftlich erfolgt wäre. Selbst eine in der Benennung von Zeugen liegende konkludente Erklärung kann ausreichen (vgl. Musielak/Huber ZPO 11. Aufl. § 385 Rn. 8).

41

c) Das Landesarbeitsgericht durfte nicht deshalb von der Beweisaufnahme absehen, weil die der prozessualen Mitwirkungspflicht schließlich genügende Entbindungserklärung erst nach Ablauf der seitens des Gerichts nach § 356 ZPO bis zum 16. November 2012 gesetzten Frist einging. Durch die Vernehmung der im Termin anwesenden Zeugen wäre das Verfahren nicht verzögert worden.

42

d) Selbst wenn dem Landesarbeitsgericht zugute zu halten sein sollte, dass es letzte Zweifel am Willen des Klägers, die Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden, als nicht ausgeräumt betrachten durfte, so durfte es angesichts des Ablaufs der Geschehnisse doch nicht annehmen, der Kläger wolle den der Beklagten obliegenden Beweis seiner Steuerungsfähigkeit tatsächlich vereiteln. Sein Ziel war es ersichtlich nicht, der Beklagten die Beweisführung unmöglich zu machen. Es ging ihm lediglich darum, ihren Mitarbeitern - nicht auch ihrem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht - sensible höchstpersönliche Daten vorzuenthalten. Dies ist grundsätzlich von § 385 Abs. 2, § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO gedeckt. Wenn der Kläger deshalb - und sei es ungeschickt und auf rechtlich nicht mögliche Weise - die Entbindung seiner Ärzte von der Schweigepflicht möglichst eng zu gestalten suchte, liegt darin nicht die Absicht der Beweisvereitelung.

43

III. Der Senat kann den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO). Es bedarf der Vernehmung der von der Beklagten als Zeugen benannten Ärzte.

44

1. Die Beklagte ist der ihr obliegenden Darlegungslast nachgekommen. Sie hat unter Verweis auf dessen Verhalten in der Vergangenheit, den häufigen Wechsel der Ärzte und deren Diagnosen die vom Kläger behauptete Steuerungsunfähigkeit in Abrede gestellt und zum Beweis für die Richtigkeit ihres Vortrags die behandelnden Ärzte als Zeugen benannt. Eine weitergehende Darlegung war von ihr nicht zu verlangen. Der Beweisgegenstand betrifft Geschehensabläufe aus der Sphäre des Klägers.

45

2. Das Landesarbeitsgericht wird die bislang unterbliebene Beweisaufnahme nachzuholen haben. Der Kläger hat die zu vernehmenden Ärzte ordnungsgemäß von ihrer Schweigepflicht entbunden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht hat er überdies persönlich bekräftigt, er sei damit einverstanden, dass die Zeugen auch in Gegenwart eines weiteren Vertreters der Beklagten vernommen würden.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. August 2009 - 19/3 Sa 575/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 6. März 2008 - 19 Ca 9432/06 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine fristlose Verdachtskündigung.

2

Der im Jahr 1961 geborene Kläger war bei der beklagten Stadt seit dem 1. September 1989 als Orchestermusiker (2. Hornist) gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt 4.580,79 Euro beschäftigt. Nach den anzuwendenden Bestimmungen des Tarifvertrags für Musiker in Kulturorchestern (TVK) sind Arbeitnehmer, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und mehr als 15 Jahre beschäftigt sind, ordentlich nicht mehr kündbar.

3

Ihren Eigenbetrieb der städtischen Bühnen leitete die Beklagte mit Wirkung zum 1. September 2004 auf die S GmbH (nachfolgend S GmbH) über. Der Kläger widersprach einem Übergang seines Arbeitsverhältnisses. In der Folge wies die Beklagte den Kläger - ebenso wie die übrigen Mitarbeiter, die einer Überleitung widersprochen hatten - aufgrund eines mit der S GmbH geschlossenen Personalgestellungsvertrags dieser zur Dienstausübung zu. Im Februar 2005 fand eine Betriebsratswahl für einen von der Beklagten und der S GmbH gemeinsam geführten Betrieb „Städtische Bühnen“ statt. In dem von der S GmbH eingeleiteten Wahlanfechtungsverfahren wurde der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl rechtskräftig abgewiesen. Mit - weiterem - Beschluss vom 19. Februar 2009 erklärte das Hessische Landesarbeitsgericht die Wahl für „ungültig“.

4

Der Kläger war mit einem Kollegen aus dem Orchester befreundet. Dieser hat zwei Töchter, geboren 1990 und 1994. Der Kläger berührte das ältere der Mädchen - damals fünf- bis sechsjährig - bei Besuchen im Haus des Freundes in den Jahren 1995 und 1996 unsittlich, das jüngere - damals acht bis neun Jahre alt - mehrmals bei Besuchen bei der inzwischen allein lebenden Mutter in den Jahren 2002 und 2003. Am 22. September 2004 erstattete die Mutter Anzeige. Gegen den Kläger wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren ua. wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eingeleitet. Gegenstand des Verfahrens war auch der Vorwurf, der Kläger habe im Jahr 1994 ein weiteres, damals elf Jahre altes Mädchen sexuell missbraucht.

5

Am 20. Oktober 2004 wurde die Beklagte durch den Vater der Mädchen über die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe informiert. In einem Gespräch der Beklagten mit den übrigen Hornbläsern am 22. November 2004 offenbarte einer der Musiker, dass sich der Kläger auch seinem Sohn unsittlich genähert habe und ein strafrechtliches Verfahren gegen Zahlung eines Bußgelds eingestellt worden sei. Er und andere Mitglieder der Stimmgruppe der Hornisten erklärten, mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten zu können.

6

Am 13. Dezember 2004 hörte die Beklagte den Kläger zu den Vorwürfen an. Dieser bestritt deren Berechtigung. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2004 sprach die Beklagte eine auf den Verdacht der Tatbegehungen gestützte fristlose Kündigung aus. Der dagegen erhobenen Klage gab das Hessische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 9. Oktober 2006 mit der Begründung - rechtskräftig - statt, dass die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt habe.

7

Nachdem die Beklagte im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 9. Oktober 2006 erfahren hatte, dass gegen den Kläger Anklage erhoben worden war, bemühte sie sich vergeblich um Akteneinsicht. In einem Telefonat mit dem zuständigen Richter am 30. November 2006 erfuhr sie, dass die Anklageerhebung auf dem ihr bekannten Inhalt der Ermittlungsakte beruhe. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2006 lud sie den Kläger erneut zu einem Anhörungsgespräch am 11. Dezember 2006. Der Kläger teilte ihr am 8. Dezember 2006 mit, dass er nicht erscheinen werde. Nach Anhörung des - trotz Wahlanfechtung weiterhin amtierenden - Betriebsrats sprach die Beklagte am 21. Dezember 2006 erneut eine außerordentliche, fristlose Verdachtskündigung aus. Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage.

8

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei mangels Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Frist sei spätestens am 3. Dezember 2004 abgelaufen. Die Kündigung sei eine unzulässige Wiederholungskündigung. Die von ihm begangenen Straftaten könnten als außerdienstliches Verhalten die Kündigung ohnehin nicht rechtfertigen. Der Kläger hat bestritten, dass es zu einem Vertrauensverlust bei seinen Kollegen gekommen sei und seine Anwesenheit die künstlerische Qualität des Orchesters beeinträchtige. Seine sexuellen Neigungen seien seit Anfang der 90-er Jahre im Orchester bekannt gewesen. Er befinde sich seit 1992 in therapeutischer Behandlung. Deswegen bestehe keine Wiederholungsgefahr. Seine Taten seien Folge einer psychischen Disposition. Die Kündigung sei deshalb nach den Grundsätzen der krankheitsbedingten Kündigung zu beurteilen und mangels negativer Prognose unwirksam. Außerdem habe statt des Betriebsrats der zuständige Personalrat angehört werden müssen.

9

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2006 nicht beendet worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, mit der Erhebung der Anklage sei ein wesentlicher Einschnitt im Strafverfahren verbunden gewesen. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei erneut in Gang gesetzt worden, als sie von der Anklageerhebung Kenntnis erhalten habe. Wegen des dringenden Verdachts der Begehung der fraglichen Straftaten sei die Kündigung auch materiell gerechtfertigt. Das Verhalten des Klägers weise einen hinreichenden dienstlichen Bezug auf. Das Vertrauensverhältnis zu den Mitgliedern des Orchesters, insbesondere zu den Hornbläsern, sei zerstört. Die Anwesenheit des Klägers beeinträchtige die künstlerische Qualität bei Proben und Vorstellungen. Die Neigungen des Klägers seien keineswegs allgemein im Orchester bekannt gewesen. Es bestehe ein unkalkulierbares Risiko, dass er wieder einschlägig auffällig werde. Im Hinblick darauf, dass sie in der Komparserie und im Rahmen von Praktika minderjährige Kinder beschäftige, sei ihr eine Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten. Die Beteiligung des Personalrats sei nicht erforderlich gewesen.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zur Abweisung der Klage. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt(I.). Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dies kann der Senat selbst entscheiden, da die maßgeblichen Tatsachen feststehen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor(II.). Die Kündigung ist nicht mangels Anhörung des Personalrats unwirksam (III.).

13

I. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Beklagte hat die gesetzliche Frist zur Erklärung der Kündigung gewahrt.

14

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

15

a) Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (Senat 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - Rn. 15 mwN, NZA-RR 2011, 177; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 319 mwN). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - aaO). Solange er die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - zu B I 3 der Gründe, aaO). Um den Lauf der Frist nicht länger als notwendig hinauszuschieben, muss eine Anhörung allerdings innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf im Allgemeinen, und ohne dass besondere Umstände vorlägen, nicht mehr als eine Woche betragen (Senat 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - Rn. 24, BAGE 117, 168).

16

b) Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Aus- oder Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 25, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; Bader/Bram/Dörner/Kriebel-Bader KSchG Stand Dezember 2010 § 626 BGB Rn. 77; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 321). Für den betreffenden Zeitpunkt bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn etwa der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen - neuen - ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch der Kündigung nehmen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 20, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9).

17

c) Der Arbeitgeber kann sich auch für die Überlegung, ob er eine Verdachtskündigung aussprechen soll, am Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens orientieren (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Dort gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Vertragspartner habe die Pflichtverletzung begangen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; vgl. HaKo-Gieseler 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 106; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Eine solche den Verdacht intensivierende Wirkung kann auch die Erhebung der öffentlichen Klage haben (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; AnwK-ArbR/Bröhl 2. Aufl. Bd. 1 § 626 BGB Rn. 102; HaKo-Gieseler aaO; SPV/Preis aaO). Zwar kann die Erhebung der öffentlichen Klage für sich genommen keinen dringenden Verdacht im kündigungsrechtlichen Sinne begründen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 27, aaO; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5). Sie bedeutet aber einen Einschnitt, der in der Lage ist, die anderweitig schon genährte Überzeugung des Arbeitgebers zu verstärken. Während die Einleitung des Ermittlungsverfahrens lediglich einen Anfangsverdacht erfordert, ist die Erhebung der öffentlichen Klage nach der Strafprozessordnung an das Bestehen eines „hinreichenden“ Verdachts gebunden. Der Verdacht erhält damit eine andere Qualität. Dies rechtfertigt es, die Erhebung der öffentlichen Klage als einen Umstand anzusehen, bei dessen Eintritt der Arbeitgeber einen sachlichen Grund hat, das Kündigungsverfahren einzuleiten (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; AnwK-ArbR/Bröhl aaO; HaKo-Gieseler aaO; SPV/Preis aaO).

18

d) Der Arbeitgeber hat nicht nur zwei Möglichkeiten, dem sich mit der Zeit entwickelnden Zuwachs an Erkenntnissen durch eine außerordentliche Kündigung zu begegnen. Es gibt nicht lediglich zwei objektiv genau bestimmbare Zeitpunkte, zu denen die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begönne: einen Zeitpunkt für den Ausspruch einer Verdachts-, einen weiteren für den Ausspruch einer Tatkündigung. Im Laufe des Aufklärungszeitraums kann es vielmehr mehrere Zeitpunkte geben, in denen der Verdacht „dringend“ genug ist, um eine Verdachtskündigung darauf zu stützen. Dabei steht dem Kündigungsberechtigten ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 22 ff., AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).

19

e) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt demnach erneut zu laufen, wenn der Arbeitgeber eine neue, den Verdacht der Tatbegehung verstärkende Tatsache zum Anlass für eine Kündigung nimmt. Eine den Verdacht verstärkende Tatsache kann die Anklageerhebung im Strafverfahren darstellen, selbst wenn sie nicht auf neuen Erkenntnissen beruht. Der Umstand, dass eine unbeteiligte Stelle mit weiterreichenden Ermittlungsmöglichkeiten, als sie dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, einen hinreichenden Tatverdacht bejaht, ist geeignet, den gegen den Arbeitnehmer gehegten Verdacht zu verstärken. Der Arbeitgeber kann ihn auch dann zum Anlass für den Ausspruch einer Verdachtskündigung nehmen, wenn er eine solche schon zuvor erklärt hatte. Da die neuerliche Kündigung auf einem neuen, nämlich um die Tatsache der Anklageerhebung ergänzten Sachverhalt beruht, handelt es sich nicht etwa um eine unzulässige Wiederholungskündigung. Ebenso wenig ist das Recht, eine weitere Verdachtskündigung auszusprechen, mit dem Ausspruch einer ersten Verdachtskündigung verbraucht. Der Arbeitgeber hat sich dadurch, dass er eine Verdachtskündigung bereits vor Anklageerhebung ausgesprochen hat, auch nicht dahin gebunden, vor Ausspruch einer weiteren Kündigung den Ausgang des Ermittlungs- oder Strafverfahrens abzuwarten. Für die Annahme eines solchen Verzichts auf ein - noch nicht absehbares späteres - Kündigungsrecht gibt es keine Grundlage. Zwar bezieht sich der Verdacht jeweils auf dieselbe Tat, der zur Kündigung führende Sachverhalt ist aber gerade nicht identisch. Die zweite Kündigung stützt sich auf eine erweiterte, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB neu in Gang setzende Tatsachengrundlage.

20

2. Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte mit Ausspruch der Kündigung am 21. Dezember 2006 die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Diese begann am 8. Dezember 2006 erneut zu laufen. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 erfolgte innerhalb von zwei Wochen.

21

a) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB begann erneut in dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem die Beklagte vollständige Kenntnis davon erhielt, dass gegen den Kläger Anklage wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eines Kollegen erhoben worden war und neue entlastende Gesichtspunkte nicht zu ermitteln waren. Der Verdacht bezieht sich zwar auf dieselbe Tat wie der, welcher der Kündigung vom 23. Dezember 2004 zugrunde lag. Der Sachverhalt ist aber deshalb nicht identisch, weil sich die Beklagte zusätzlich auf die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft beruft.

22

b) Vollständige positive Kenntnis von den den Verdacht verstärkenden Umständen hatte die Beklagte erst am 8. Dezember 2006. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte sie zwar bereits während der mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 2006 Kenntnis davon erhalten, dass gegen den Kläger Anklage erhoben worden war. Sie hatte aber erst aufgrund des Gesprächs mit dem zuständigen Richter am 30. November 2006 erfahren, dass die Anklage auf dem ihr bekannten Inhalt der Ermittlungsakte beruhte und damit ua. die Vorwürfe zum Gegenstand hatte, die den von ihr gehegten Verdacht gegen den Kläger betrafen. Ihre vorausgegangenen Bemühungen, Akteneinsicht zu erhalten, waren erfolglos geblieben. Die Beklagte durfte anschließend dem Kläger Gelegenheit geben, neue entlastende Umstände vorzubringen. Mit der Einladung zu einem Anhörungstermin am 11. Dezember 2006 ist sie diese Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts auch hinreichend zügig angegangen. Zwar war die dafür in der Regel zu veranschlagende Wochenfrist am 11. Dezember überschritten. Die Beklagte ging gleichwohl mit der gebotenen Eile vor. Der 30. November 2006 war ein Donnerstag. Das Einladungsschreiben vom 4. Dezember wurde am auf ihn folgenden zweiten Arbeitstag verfasst. Dies ist zumindest angesichts der Besonderheit, dass sie schon zuvor eine Verdachtskündigung ausgesprochen hatte und die Notwendigkeit einer weiteren Anhörung des Klägers damit nicht unmittelbar auf der Hand lag, nicht zu beanstanden. Dass die Beklagte den Termin erst auf eine weitere Woche später anberaumte, ist ihr ebenso wenig vorzuhalten. Sie berücksichtigte damit in angemessener Weise das Interesse des im Betrieb nicht mehr beschäftigten Klägers an einer Ankündigungszeit. Mit dem Erhalt von dessen Nachricht am 8. Dezember 2006, er werde den Anhörungstermin nicht wahrnehmen, stand sodann fest, dass sich neue entlastende Umstände durch eine Anhörung des Klägers nicht ergeben würden.

23

II. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

24

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt des sexuellen Missbrauchs von Kindern eines Kollegen ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet.

26

a) Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung der Kündigung zwar nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen. Obwohl der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund darstellt (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8), stehen beide Gründe aber nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, aaO ). Ergibt sich nach tatrichterlicher Würdigung das tatsächliche Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen; es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - mwN, aaO). Nichts anderes gilt für das Revisionsgericht, wenn das Berufungsgericht zwar nicht selbst geprüft hat, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben ist, aber gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindend festgestellt hat, dass die Pflichtwidrigkeit tatsächlich begangen wurde.

27

b) Dies ist hier der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Kläger sowohl während mehrerer Besuche im Haus der Familie seines Kollegen in den Jahren 1995/1996 die ältere von dessen Töchtern, damals fünf- bis sechsjährig, unsittlich berührte als auch mehrmals in den Jahren 2002 und 2003 die jüngere Tochter, damals acht bis neun Jahre alt, anlässlich von Besuchen im Haus der inzwischen allein lebenden Ehefrau. Das Landesarbeitsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass ein weiterer Kollege der Beklagten während eines Gesprächs am 22. November 2004 mitgeteilt hatte, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Vorwurfs, dieser habe sich dem Sohn des Kollegen unsittlich genähert, sei eingestellt worden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erklärten der betreffende Kollege und andere Mitglieder der Hornisten-Gruppe, mit dem Kläger wegen dieser Vorwürfe nicht mehr zusammenarbeiten zu können.

28

c) Der Umstand, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer gerichtlichen Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat nicht entgegen. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner Entscheidung, ob der ungültig gewählte, aber während des Wahlanfechtungsverfahrens weiter amtierende Betriebsrat überhaupt nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen war. Ausreichend ist jedenfalls, wenn dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung Genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Danach ist der Betriebsrat hier ausreichend unterrichtet worden. Die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen sind auch Gegenstand des Anhörungsschreibens vom 15. Dezember 2006.

29

d) Eine schwere und schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Das gilt auch für die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten (Senat 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30, EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Arbeitnehmervertreter Nr. 1; 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8).

30

e) Der Kläger hat seine Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, auf die berechtigten Interessen der Beklagten Rücksicht zu nehmen, durch den sexuellen Missbrauch von Kindern eines Kollegen in erheblichem Maße verletzt. Darauf, ob sich aus § 5 Abs. 1 TVK aF noch weiter gehende Pflichten zur Rücksichtnahme ergaben, kommt es nicht an.

31

aa) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19, NZA 2011, 112; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77). Der Arbeitnehmer ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - aaO). Die Pflicht zur Rücksichtnahme kann deshalb auch durch außerdienstliches Verhalten verletzt werden (vgl. ErfK/Müller-Glöge 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 83). Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO). Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 22, aaO; 27. November 2008 -  2 AZR 98/07  - Rn. 21, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4). Fehlt ein solcher Zusammenhang, scheidet eine Pflichtverletzung regelmäßig aus (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO; SPV/Preis Rn. 642).

32

bb) Die von dem Kläger außerdienstlich begangenen Straftaten haben einen solchen Bezug zum Arbeitsverhältnis.

33

(1) Dieser Bezug besteht zunächst darin, dass Opfer der Straftaten des Klägers die Kinder eines Kollegen waren.

34

(2) Die von dem Kläger an den Kollegenkindern begangenen Sexualstraftaten hatten zudem negative Auswirkungen auf das betriebliche Miteinander. So haben mehrere Mitglieder der Stimmgruppe des Klägers in dem Gespräch am 22. November 2004 gegenüber der Beklagten erklärt, mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten zu können. Der Einwand des Klägers, in dem Orchester herrsche ohnehin keine Atmosphäre des Vertrauens, sondern eine Atmosphäre der Angst, ist unbeachtlich. Er ändert nichts daran, dass im vorliegenden Zusammenhang allein der Kläger für die Störung des Betriebsfriedens verantwortlich ist.

35

cc) Die Straftaten des Klägers haben das kollegiale Miteinander und damit das Arbeitsverhältnis schwer belastet. Der Kläger hat das Vertrauen seines Kollegen und von dessen Familie wiederholt massiv missbraucht. Aus eben diesem Grund haben mehrere Kollegen aus seiner Stimmgruppe ausgeschlossen, mit ihm weiter zusammenarbeiten zu können.

36

Der Kläger hat vorsätzlich gehandelt. Soweit er seine sexuellen Neigungen im Laufe des Rechtsstreits auf krankhafte Störungen zurückgeführt hat, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Der Kläger hat nicht behauptet, dass es ihm unmöglich gewesen sei, sein Verhalten zu steuern. Die Grundsätze einer personenbedingten Kündigung finden keine Anwendung.

37

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gerechtfertigt. Der Beklagten war es unzumutbar, den Kläger auch nur bis zum Ablauf einer - fiktiven - Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.

38

a) Obwohl das Landesarbeitsgericht - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - eine Interessenabwägung nicht vorgenommen hat, ist eine eigene Abwägung durch den Senat möglich. Der dem Berufungsgericht in der Rechtsprechung des Senats zugestandene Beurteilungsspielraum (vgl. Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5) schränkt lediglich die revisionsrechtliche Überprüfung der Interessenabwägung ein. Hat das Berufungsgericht eine Interessenabwägung vorgenommen, ist - wenn sämtliche relevanten Tatsachen feststehen - eine eigene Interessenabwägung des Revisionsgerichts nur dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist (vgl. Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 35 f., AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Fehlt es indessen an einer Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts, ist es - wenn alle relevanten Tatsachen festgestellt sind - nicht erforderlich, dem Landesarbeitsgericht Gelegenheit zu geben, zunächst eine eigene Abwägung vorzunehmen. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist zwar in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, aaO).

39

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 f. mwN).

40

c) Danach ist die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2006 gerechtfertigt.

41

aa) Der Kläger hat wiederholt die Kinder eines Kollegen sexuell missbraucht und dadurch bewirkt, dass sich mehrere Mitglieder seiner Stimmgruppe weigerten, mit ihm weiter zusammenzuarbeiten. Ohne erhebliche Auswirkungen auf den Betriebsfrieden war eine Mitwirkung des Klägers in seiner Stimmgruppe damit nicht mehr vorstellbar. Zwar war der betreffende Kollege zum Zeitpunkt der Kündigung bereits aus dem Orchester ausgeschieden. Der zweite betroffene Kollege und weitere Mitglieder, die an dem Gespräch am 22. November 2004 teilgenommen hatten, waren aber auch im Dezember 2006 noch beschäftigt. Unerheblich ist, ob die sexuellen Neigungen des Klägers schon länger im Orchester bekannt waren. Der Kläger hat nicht behauptet, es sei auch bekannt gewesen, dass er tatsächlich Straftaten an Kollegenkindern beging.

42

bb) Für die Beklagte war es nicht zumutbar, den Kläger unter Inkaufnahme einer fortbestehenden Störung des Betriebsfriedens weiterzubeschäftigen. Anders als in einer Drucksituation, der kein Verhalten des Arbeitnehmers und kein personenbedingter Grund zugrunde liegt, war die Beklagte nicht gehalten, sich etwa schützend vor den Kläger zu stellen und zu versuchen, die Kollegen von ihrer Weigerung, weiter mit dem Kläger zusammenzuarbeiten, abzubringen (vgl. dazu Senat 19. Juni 1986 - 2 AZR 563/85 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 33 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 39). Der Kläger hatte durch sein Verhalten die Betriebsstörung vielmehr selbst herbeigeführt. Er hat das ihm von einem Kollegen und dessen Familie entgegengebrachte Vertrauen in schwerwiegender Weise mehrfach missbraucht. Dass auch anderen Kollegen angesichts dessen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr möglich erschien, ist objektiv nachvollziehbar. Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein die Integrität der Opfer in schwerwiegender Weise verletzendes Delikt. Geschützt ist die Entwicklung der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung (Fischer StGB 58. Aufl. § 176 Rn. 2 mwN). Äußere, fremdbestimmte Eingriffe in die kindliche Sexualität sind in besonderer Weise geeignet, diese Entwicklung zu stören. Die Tat birgt die Gefahr von nachhaltigen Schädigungen des Kindes (Fischer Rn. 36 mwN, aaO). Sie ist nach § 176 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht.

43

cc) Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht. Angesichts der Schwere seiner Pflichtverletzungen war deren - auch nur erstmalige - Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen (vgl. zu diesem Maßstab Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

44

dd) Nicht entscheidend ist, ob zu erwarten stand, der Kläger werde weiterhin sexuelle Straftaten an (Kollegen-)Kindern begehen. Die von dem Kläger vorgetragenen Therapiebemühungen und der Umstand, dass er strafrechtlich nur zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde, rechtfertigen deshalb ebenso wenig eine andere Bewertung wie Gesichtspunkte der Resozialisierung. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Beklagte angesichts der Erklärungen von Mitgliedern der Stimmgruppe des Klägers davon ausgehen musste, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen diesem und seinen Kollegen nicht mehr zu erwarten war. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, nicht alle Orchestermusiker hätten sich geweigert, mit ihm zusammenzuarbeiten, kann die Richtigkeit dieser Behauptung dahinstehen. Der Kläger bestreitet nicht, dass mehrere Mitglieder seiner Stimmgruppe nicht mehr zu einer Zusammenarbeit bereit waren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die musikalische Qualität von Proben oder Vorstellungen bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers tatsächlich gelitten hätte. Der Beklagten war es angesichts der Taten des Klägers schon nicht zumutbar, von seinen Kollegen eine weitere Zusammenarbeit überhaupt zu fordern. Darauf, ob der Kläger im Dienst Kontakt zu Kindern hatte, kommt es ebenfalls nicht an.

45

ee) An dem Ergebnis der Interessenabwägung ändert sich auch dann nichts, wenn die Behauptung des Klägers zutrifft, erst eine als Krankheit anzusehende Ausprägung seiner sexuellen Neigungen habe ihn straffällig werden lassen. Der Beklagten ist es auch unter dieser Voraussetzung nicht zuzumuten, von den Kollegen des Klägers die weitere Zusammenarbeit zu verlangen. Die durch das Verhalten des Klägers verursachte Störung des Betriebsfriedens wird dadurch nicht geringer.

46

ff) Disziplinarrechtliche Maßstäbe zur Beurteilung von Dienstvergehen eines Beamten sind für den Streitfall ohne Bedeutung. Die Sachverhalte, die den vom Kläger herangezogenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zugrunde liegen, sind zudem schon deshalb nicht vergleichbar, weil es dabei nicht um den Missbrauch von Kollegenkindern ging. Der Kläger will überdies aus dem Umstand, dass die Beklagte Opernaufführungen mit sexuellen Bezügen inszeniert, eine Bereitschaft zur Toleranz von Kindesmissbrauch ableiten. Dies ist abwegig. Soweit er darüber hinaus meint, seine Taten hätten einen Bezug zu seiner Tätigkeit als bildender Künstler, bleibt unklar, welchen Schluss er daraus ableitet. Er kann schwerlich gemeint haben, die Kunstfreiheit rechtfertige Kindesmissbrauch.

47

gg) Beschäftigungsdauer und Lebensalter des Klägers rechtfertigen kein anderes Ergebnis. An der Schwere der Pflichtverletzungen und Störung des Betriebsfriedens ändern sie nichts.

48

hh) Der Umstand, dass der Kläger ordentlich unkündbar war, hat auf die Interessenabwägung keinen gesonderten Einfluss. Ist es dem Arbeitgeber - wie hier - nicht zumutbar, den tariflich unkündbaren Arbeitnehmer bis zum Ablauf der „fiktiven“ Frist einer ordentlichen Beendigungskündigung weiterzubeschäftigen, ist eine außerordentliche fristlose Kündigung auch des tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers gerechtfertigt (Senat 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 5 b der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; 15. November 2001 -  2 AZR 605/00  - BAGE 99, 331).

49

III. Die Kündigung ist nicht mangels Beteiligung eines für den Kläger zuständigen Personalrats nach § 78 Abs. 2 des Hessischen Personalvertretungsgesetzes vom 24. März 1988 (HPVG) unwirksam.

50

1. Bei einer außerordentlichen Kündigung sieht § 78 Abs. 2 HPVG eine Anhörung des Personalrats vor. Soweit der Kläger das Unterbleiben einer Beteiligung nach § 77 HPVG gerügt hat, handelt es sich offensichtlich um eine Falschbezeichnung. § 77 Nr. 2 Buchst. i HPVG betrifft die Mitbestimmung bei ordentlichen Kündigungen (außerhalb der Probezeit). Eine Anhörung war im Streitfall nicht etwa nach § 104 Abs. 3 Satz 1 HPVG entbehrlich. Nach dieser Bestimmung entfallen zwar die Mitbestimmung und Mitwirkung des Personalrats in Personalangelegenheiten der in § 104 Abs. 1 HPVG genannten Orchestermitglieder. Das Beteiligungsrecht bei außerordentlichen Kündigungen wird aber als bloßes Anhörungsrecht von dem Ausschluss nicht erfasst (Burkholz HPVG 2. Aufl. § 104 zu 3.2; ders. in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 104 HPVG Rn. 17).

51

2. Indessen sind aus dem Parteivorbringen keine Umstände dafür ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Kündigung vom 21. Dezember 2006 ein Personalrat im Amt gewesen wäre, der nach § 78 Abs. 2 HPVG hätte angehört werden müssen.

52

a) Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe, da in Wirklichkeit kein gemeinsamer Betrieb bestanden habe, nicht den für diesen gewählten Betriebsrat, sondern „den zuständigen Personalrat“ beteiligen müssen. Nach ihrem Vorbringen im Rechtsstreit über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 23. Dezember 2004 hatte die Beklagte vor Ausspruch dieser Kündigung den Personalrat des „Restamts Städtische Bühnen“ angehört. Dabei handelte es sich um denjenigen Personalrat, der für die von der Beklagten zuvor als Eigenbetrieb geführten Städtischen Bühnen gewählt war. Im Konsens aller Beteiligten sollte dieser ein „Übergangsmandat“ für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter bis zur Wahl eines eigenen Betriebsrats wahrnehmen (vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 - zu I der Gründe).

53

b) Die Amtszeit dieses Personalrats hatte mit Ablauf des 31. August 2004 geendet. Auf die Frage, ob nicht bis zur Rechtskraft der die Betriebsratswahl vom Februar 2005 für ungültig erklärenden gerichtlichen Entscheidung ohnehin nur der für den - vermeintlichen - Gemeinschaftsbetrieb gebildete Betriebsrat zu beteiligen gewesen wäre, kommt es deshalb nicht an.

54

aa) Das Amt des für den Eigenbetrieb gewählten Personalrats endete mit Ablauf des 31. August 2004. Der Eigenbetrieb als Dienststelle der Beklagten wurde durch die Überleitung des Betriebs auf die S GmbH mit Wirkung zum 1. September 2004 iSv. § 81 Abs. 2 HPVG aufgelöst. Im Falle einer Privatisierung endet das Amt des Personalrats (Fitting 25. Aufl. § 130 Rn. 10, 15). Die Änderung der Rechtsform des Trägers der Betriebsorganisation hat den Verlust der bisherigen personalvertretungsrechtlichen Repräsentation zur Folge (Fitting aaO Rn. 15). Die Überführung in eine privatrechtliche Trägerschaft stellt eine Auflösung der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinne dar (Burkholz HPVG 2. Aufl. § 1 zu 4 aE; Hohmann in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 81 HPVG Rn. 276 mwN; v.Roetteken in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 1 HPVG Rn. 158). Hieran ändert im Streitfall nichts, dass zusammen mit dem Kläger eine Vielzahl weiterer Arbeitnehmer der Überleitung ihrer Arbeitsverhältnisse auf die S GmbH widersprochen hatten. Damit blieben sie zwar Arbeitnehmer der Beklagten. Auch mag diese sie in einer Organisationseinheit „Restamt Städtische Bühnen“ zusammengefasst haben. Darin lag aber keine Aufrechterhaltung der Dienststelle des Eigenbetriebs „Städtische Bühnen“. Dieser war auf die S GmbH übergeleitet und damit aufgelöst worden. Dies ergibt sich auch aus einer Organisationsverfügung der Oberbürgermeisterin der Beklagten vom 28. September 2004. Ihr zufolge wurden die bisherigen Organisationseinheiten der Städtischen Bühnen mit Wirkung vom 1. September 2004 aufgelöst und gleichzeitig eine neue Organisationseinheit „Restamt Städtische Bühnen“ eingerichtet (vgl. die Entscheidung des BAG im Verfahren über die Anfechtung der Wahl des Betriebsrats im vermeintlichen Gemeinschaftsbetrieb vom 16. April 2008 - 7 ABR 4/07 - zu A der Gründe, AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 32 = EzA BetrVG 2001 § 1 Nr. 7). Der Kläger behauptet nicht, dass für diese Organisationseinheit bis zum Ausspruch der Kündigung ein neuer Personalrat gewählt worden sei.

55

bb) Der Personalrat der bisherigen Dienststelle „Städtische Bühnen“ blieb nicht deshalb über die Privatisierung zum 1. September 2004 hinaus im Amt, weil im Personalgestellungsvertrag zwischen der Beklagten und der S GmbH vom 1. April 2004 geregelt war, dass der Personalrat gemäß § 103 HPVG die zuständige Interessenvertretung für die gestellten Arbeitnehmer sei(vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 - zu I der Gründe). § 103 HPVG bestimmt, dass öffentliche Theater und selbständige Orchester Dienststellen im Sinne des HPVG sind. Diese gesetzliche Fiktion dient vor allem der Klarstellung (Burkholz in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 103 HPVG Rn. 7). Zu den Folgen der Auflösung einer Dienststelle durch ihre Privatisierung verhält sich § 103 HPVG nicht. Durch vertragliche Vereinbarung wiederum kann der gesetzliche Anwendungsbereich des Personalvertretungsrechts nicht wirksam verändert werden.

56

cc) Ein gesetzlich vorgesehenes Übergangsmandat des Personalrats, wie es zB für die Umwandlung eines Universitätsklinikums in § 98 Abs. 6 HPVG geregelt ist, bestand im Streitfall nicht. Wenn der Personalrat zur Schließung dieser möglichen Schutzlücke (vgl. dazu Fitting 25. Aufl. § 130 Rn. 15) ein Übergangsmandat für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter wahrnahm (vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 -), dauerte dieses allenfalls bis zur Wahl des Betriebsrats, längstens sechs Monate (vgl. Fitting aaO Rn. 17). Zudem gilt ein Personalrat, der in Privatisierungsfällen ein Übergangsmandat wahrnimmt, als Betriebsrat und hat Rechte und Pflichten aus dem Betriebsverfassungs-, nicht dem Personalvertretungsgesetz (vgl. Fitting aaO Rn. 18 f.).

57

3. Für die Anhörung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers war nicht ein bei der Beklagten errichteter Gesamtpersonalrat zuständig. Bei individuellen Maßnahmen ist der Gesamtpersonalrat, unabhängig von der Entscheidungsbefugnis des Dienststellenleiters, gem. § 83 Abs. 4 iVm. Abs. 1 und Abs. 2 HPVG unzuständig (Hohmann in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 83 HPVG Rn. 96). Bei der Anhörung zu einer außerordentlichen Kündigung nach § 78 Abs. 2 HPVG gibt es zudem kein Stufenverfahren, so dass eine Beteiligung des Gesamtpersonalrats nach § 52 Abs. 2 HPVG ebenfalls nicht in Betracht kommt.

58

IV. Als unterlegene Partei hat der Kläger gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Beckerle    

        

    B. Schipp    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 18/03 Verkündet am:
20. Juni 2005
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Ein Insolvenzverwalter des Vermögens einer GmbH ist befugt, einen wichtigen
Grund für eine von der GmbH vor Insolvenzeröffnung erklärte außerordentliche
Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB) des Anstellungsvertrages ihres
Geschäftsführers nachzuschieben.

b) Eine schuldhafte Insolvenzverschleppung durch den Geschäftsführer einer
GmbH berechtigt diese zur Kündigung seines Anstellungsvertrages aus wichtigem
Grund (§ 626 Abs. 1 BGB). Die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1
BGB beginnt nicht vor Beendigung des pflichtwidrigen Dauerverhaltens.
BGH, Urteil vom 20. Juni 2005 - II ZR 18/03 - OLG Brandenburg
LG Cottbus
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Juni 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette
und die Richter Kraemer, Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Strohn und Caliebe

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11. Dezember 2002 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Beklagten zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Kläger war ab 1991 Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Er hatte zuletzt ein Geschäftsführergehalt von monatlich 14.000,00 DM zu beanspruchen. Sein Anstellungsvertrag war mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalenderhalbjahres ordentlich kündbar. Am 10. November 2000 beschloß die Gesellschafterversammlung die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer sowie die Kündigung seines Anstellungsvertrages mit Wirkung ab 13. November 2000 und beauftragte die beiden anderen Gesellschafter-
Geschäftsführer, dem Kläger die Kündigung zu übermitteln, was mit Schreiben vom 10. November 2000 geschah. Ein Kündigungsgrund ist weder in diesem Schreiben noch in dem Beschlußprotokoll angegeben.
Mit seiner Klage hat der Kläger zunächst gegenüber der GmbH die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und die Weiterzahlung seines Geschäftsführergehalts begehrt. Mit Schriftsatz vom 1. März 2001 erklärte die vormalige Beklagte, sie anerkenne, daß das Anstellungsverhältnis des Klägers erst zum 30. Juni 2001 enden werde, weil die Kündigung keine solche aus wichtigem Grunde darstelle und deshalb die vertragliche Kündigungsfrist einzuhalten gewesen sei. Bereits durch Beschluß des Amtsgerichts vom 28. Februar 2001 war mit Wirkung zum 1. März 2001, 0.00 Uhr, das Insolvenzverfahren über das Vermögen der vormaligen Beklagten (im folgenden: Schuldnerin) eröffnet und der jetzige Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Er hat - nach Aufnahme des Rechtsstreits - geltend gemacht, die Kündigung sei als solche aus wichtigem Grund wirksam, weil der Kläger es trotz der ihm bekannten Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft über mehrere Monate hinweg pflichtwidrig unterlassen habe, Insolvenzantrag zu stellen. Die anderen Gesellschafter hätten von der Insolvenzreife der Schuldnerin nicht früher als zwei Wochen vor der Kündigung erfahren (§ 626 Abs. 2 BGB). Hilfsweise hat der Beklagte u.a. mit angeblichen Ersatzansprüchen wegen Schädigung der Gesellschaft in Höhe von 17.000,00 DM und von 25.000,00 DM die Aufrechnung erklärt.
Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben und dem zuletzt nur noch für die Zeit von März bis Juni 2001 geltend gemachten Zahlungsbegehren des Klägers in Höhe von 56.000,00 DM unter Abzug der Aufrechnungsforderung des Klägers von 25.000,00 DM entsprochen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht - unter Zurückweisung der Berufung
des Klägers - festgestellt, daß das Anstellungsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Schuldnerin zum 30. Juni 2001 beendet worden und der Beklagte dem Kläger zur Zahlung von 15.850,04 € (= 31.000,00 DM) nebst Zinsen verpflichtet sei, nachdem der Beklagte zuvor Masseunzulänglichkeit angezeigt (§ 208 InsO) und der Kläger deshalb seinen Leistungs- auf einen Feststellungsantrag umgestellt hatte. Mit seiner - von dem Senat auf Nichtzulassungsbeschwerde zugelassenen - Revision erstrebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage, hilfsweise die zusätzliche Berücksichtigung der Aufrechnungsforderung von 17.000,00 DM.

Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I. Die Wirksamkeit des Senatsbeschlusses vom 21. Juni 2004 über die Zulassung der Revision des Beklagten und damit deren Statthaftigkeit gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 2 ZPO bleiben davon unberührt, daß das Verfahren aufgrund der von dem Kläger erst am 15. Juli 2004 mitgeteilten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen mit Wirkung ab 12. Januar 2004 - nach Einreichung der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung vom 10. März 2003 - gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen war (vgl. BGHZ 66, 59, 61 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO 26. Aufl. § 249 Rdn. 9). Das Revisionsverfahren war fortzusetzen , nachdem der Treuhänder des Klägers (§ 313 InsO) die streitigen Ansprüche am 7. Januar 2005 freigegeben hat und beide Parteien den Rechtsstreit aufgenommen haben (vgl. BGHZ 36, 258, 261 f.).
II. Insoweit zutreffend und von der Revision unbeanstandet geht das Berufungsgericht von der Zulässigkeit der beiden Feststellungsanträge des Klägers aus.
1. Der Kläger hätte zwar als Gesellschafter der Schuldnerin auch mit einer Anfechtungsklage entsprechend § 246 AktG (vgl. BGHZ 51, 210; st.Rspr.) gegen den Kündigungsbeschluß der Gesellschafterversammlung vorgehen können; es ist ihm aber - ebenso wie einem Fremdgeschäftsführer - nicht verwehrt , die behauptete Unwirksamkeit der - von dem Beschluß zu unterscheidenden - Kündigungserklärung mit einer Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO geltend zu machen (vgl. auch Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG 17. Aufl. § 35 Rdn. 122 a; mißverständlich Hachenburg/Stein, GmbHG 8. Aufl. § 38 Rdn. 99).
2. Ein Feststellungsinteresse für den Antrag zu 1 entfällt auch nicht insoweit , als dieser sich in zeitlicher Hinsicht mit dem Antrag zu 2 deckt. Denn der Antrag zu 1 des Klägers auf Feststellung, daß sein Anstellungsverhältnis durch die Kündigung vom 10. November 2000 nicht beendet worden sei, sondern unverändert fortbestehe, betrifft zum Teil ein vorgreifliches Rechtsverhältnis für den Antrag zu 2 (Gehaltszahlung) i.S. von § 256 Abs. 2 ZPO, geht aber nicht nur in zeitlicher, sondern auch in sachlicher Hinsicht über den Antrag zu 2 hinaus , weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts aus dem Anstellungsvertrag im Falle seines Fortbestandes nicht nur Gehalts-, sondern auch Ansprüche auf Nebenleistungen resultieren würden.
Der nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit auf einen Feststellungsantrag umgestellte Antrag zu 2 ist ebenfalls zulässig, weil die geltend gemachten Gehaltsforderungen sog. "Altmasseverbindlichkeiten" i.S. von § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO betreffen, die unter das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO fallen
(vgl. Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 209 Rdn. 14; § 210 Rdn. 6; Landfermann in Heidelberger Komm. zur InsO 2. Aufl. § 210 Rdn. 5).
III. Das Berufungsgericht meint, der Beklagte habe schon nicht hinreichend dargelegt, daß die von ihm als wichtiger Grund (§ 626 Abs. 1 BGB) für die Kündigung des Anstellungsvertrages behauptete monatelange Insolvenzverschleppung durch den Kläger den Gesellschaftern der Schuldnerin erst innerhalb von zwei Wochen vor der Kündigungserklärung vom 10. November 2000 bekannt geworden sei (§ 626 Abs. 2 Satz 1, 2 BGB). Die pauschale und in das Wissen zweier Mitgesellschafter gestellte Behauptung des Beklagten, die Frist sei gewahrt worden, genüge nicht, zumal die als Zeugen benannten Gesellschafter "scheinbar Mitgeschäftsführer der Schuldnerin" und daher auch ihrerseits zur Überwachung der Schuldnerin in der sich anbahnenden Krise verpflichtet gewesen seien. Ein weiteres "Schlüssigkeitsdefizit" auf Beklagtenseite liege darin, daß die Schuldnerin erstinstanzlich eingeräumt habe, ihre Kündigung stelle keine solche aus wichtigem Grund dar. Diese sei jedoch - so meint das Berufungsgericht - in eine ordentliche Kündigung zum Ende des folgenden Kalenderhalbjahres (§ 11 Abs. 2 des Anstellungsvertrages), mithin zum 30. Juni 2001, umzudeuten. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. März 2001 sei der Anstellungsvertrag gemäß § 108 Abs. 1 InsO noch nicht beendet worden; ebensowenig habe der Beklagte diesen vor dem 30. Juni 2001 gemäß § 113 Abs. 1 InsO gekündigt. Die Hilfsaufrechnung des Beklagten gegenüber dem Zahlungsanspruch des Klägers greife nur in Höhe von 25.000,00 DM (12.782,30 €) durch.
IV. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung in entscheidenden Punkten nicht stand.
1. Nach der Rechtsprechung des Senats bedarf es für die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eines Geschäftsführeranstellungsvertrages (§ 626 Abs. 1 BGB) nicht der sofortigen Angabe eines wichtigen Grundes (Senat, BGHZ 27, 220, 225; 157, 151, 157 f.). Dieser oder auch weitere wichtige Gründe können grundsätzlich auch noch im Rechtsstreit nachgeschoben werden, soweit sie bei Ausspruch der Kündigung objektiv vorlagen und dem kündigenden Gesellschaftsorgan nicht länger als zwei Wochen zuvor bekannt geworden waren (BGHZ 157, 151, 157 m.w.Nachw.). Handelt es sich aber - wie hier - bei dem für die fristlose Kündigung maßgebenden Grund um ein Dauerverhalten , so beginnt die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht vor dessen Beendigung (Sen.Urt. v. 5. Juni 1975 - II ZR 131/73, WM 1975, 793 f.; v. 26. Juni 1995 - II ZR 109/94, ZIP 1995, 1334, 1336; BAGE 24, 383, 396 ff.; Hachenburg/Stein, GmbHG 8. Aufl. § 38 Rdn. 70). Schon deshalb ist hier entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts unerheblich, wann die beiden anderen Gesellschafter-Geschäftsführer - richtigerweise die Gesellschafterversammlung als Kollektivorgan (vgl. BGHZ 139, 89 ff.) unter Einschluß des ebenfalls an der Kündigung mitwirkenden Gesellschafters N. - erstmals Kenntnis von der (angeblichen) Konkursverschleppung erlangt haben.
Im übrigen hätte das Berufungsgericht auch von seinem Rechtsstandpunkt aus das unter Beweis gestellte Vorbringen des Beklagten, die Mitgesellschafter des Klägers hätten erst innerhalb von zwei Wochen vor der Kündigung von der Konkursverschleppung erfahren, nicht als "pauschal" abtun dürfen. Grundsätzlich genügt für einen Sachvortrag die Behauptung von Tatsachen, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als entstanden anzusehen (vgl. BGHZ 127, 354, 358 f. m.w.Nachw.).
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht einem Nachschieben des vom Beklagten geltend gemachten Kündigungsgrundes auch nicht der Vortrag in der Klageerwiderung der Schuldnerin vom 1. März 2001 entgegen, wonach es sich nicht um eine Kündigung aus wichtigem Grunde gehandelt haben soll. Dieser Vortrag war und ist gemäß § 249 Abs. 2 ZPO prozessual unbeachtlich , weil um 0.00 Uhr dieses Tages bereits das Insolvenzverfahren eröffnet und der Rechtsstreit damit gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen worden war. Zudem handelt es sich bei der Kündigungserklärung vom 10. November mit Wirkung ab 13. November 2000 um eine außerordentliche, nicht an der vereinbarten Frist orientierte Kündigung, der grundsätzlich ein wichtiger Grund nachgeschoben werden kann. Soweit in dem Schriftsatz vom 1. März 2001 der Fortbestand des Anstellungsverhältnisses des Klägers bis zum 30. Juni 2001 "anerkannt" wird, ist dies sowohl prozessual als auch materiell-rechtlich unbeachtlich, weil die Schuldnerin schon zuvor ihre Verfügungsbefugnis gemäß § 81 Abs. 1 InsO verloren hatte und dieser Verlust der Verfügungsbefugnis auch auf Rechtshandlungen ihres Prozeßbevollmächtigten durchgriff (vgl. Uhlenbruck aaO § 81 Rdn. 4 m.w.Nachw.).
V. Das angefochtene Urteil kann daher mit der ihm von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben. Es läßt sich auch nicht mit anderer Begründung durch abschließende Endentscheidung des Senats ganz oder zum Teil aufrechterhalten (vgl. § 561 ZPO).
1. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin am 1. März 2001 wurde der Anstellungsvertrag des Klägers nicht beendet, wie sich aus §§ 108 Abs. 1, 113 Abs. 1 InsO ergibt. Danach bestehen Dienstverhältnisse mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort, können allerdings von dem Insolvenzverwalter nach Maßgabe des § 113 Abs. 1 InsO gekündigt
werden. Diese Vorschriften gelten für alle Dienstverhältnisse einschließlich desjenigen eines Gesellschafter-Geschäftsführers in der Insolvenz der Gesellschaft (vgl. Uhlenbruck/Hirte, InsO 12. Aufl. § 11 Rdn. 127 m.w.Nachw.). Entsprechendes hat der Senat (BGHZ 75, 209) bereits zu § 22 KO entschieden. Daran hat sich durch die Insolvenzordnung nichts geändert. Es kommt daher im vorliegenden Fall auf die Wirksamkeit der Kündigung der Schuldnerin vom 10. November 2000 und den von dem Beklagten im Rechtsstreit geltend gemachten Kündigungsgrund an.
2. Dem Beklagten fehlte nicht etwa die Befugnis, den geltend gemachten Kündigungsgrund nachzuschieben. Handelt es sich - wie möglicherweise hier - um einen anderen als denjenigen Grund, der die Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5 GmbHG) zu der außerordentlichen Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB) eines Geschäftsführeranstellungsvertrages veranlaßt hat, so hat über das Nachschieben dieses Grundes das für eine Kündigung zuständige Organ zu entscheiden (BGHZ 157, 151, 159). Mit der Bestellung des Beklagten zum Insolvenzverwalter ist die Kündigungsbefugnis der Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5 GmbHG) auf ihn übergegangen (vgl. § 113 InsO sowie - zu § 22 KO - Senat, BGHZ 75, 209). Das gilt auch für die "Nachschiebebefugnis", die der Beklagte seinerseits nicht innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung von dem nachgeschobenen Grund (angebliche Konkursverschleppung des Klägers) ausüben mußte (BGHZ 157, 151, 157 f.). Ebensowenig kommt es darauf an, ob der Gesellschafterversammlung der Schuldnerin der nachgeschobene Grund bei Ausspruch der Kündigung überhaupt bekannt war (vgl. Sen.Urt. v. 13. Juli 1998 - II ZR 131/97, DStR 1998, 398 = NJW-RR 1998, 1409).
3. Die von dem Beklagten behauptete Insolvenzverschleppung seitens des Klägers wäre ggf. als wichtiger Grund i.S. von § 626 Abs. 1 BGB auch nicht ungeeignet. Zwar genügt dafür die Verletzung von Organpflichten (hier § 64 Abs. 1 GmbHG) für sich allein nicht; maßgebend ist vielmehr, ob der Gesellschaft die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses wegen der Pflichtverletzung nicht mehr zugemutet werden konnte. Handelt es sich wie hier um eine Insolvenzverschleppung, so steht bei der erforderlichen Zumutbarkeits- und Interessenabwägung auf seiten der insolvenzreifen Gesellschaft ihr normatives Eigeninteresse im Vordergrund, ihre noch vorhandene Vermögensmasse im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten. Das zeigt z.B. § 64 Abs. 2 GmbHG, welcher der Gesellschaft einen Ersatzanspruch gegen ihren Geschäftsführer im Fall einer Masseverkürzung zugunsten einzelner Gläubiger zuweist. Aus dieser Sicht ist es der Gesellschaft im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB nicht zuzumuten, einen ihre Insolvenz schuldhaft verschleppenden Geschäftsführer weiterzubeschäftigen und ihm auch noch über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinaus - bis zum Wirksamwerden einer etwaigen Kündigung durch den Insolvenzverwalter gemäß § 113 Abs. 1 InsO - Gehalt aus der Insolvenzmasse (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO; vgl. Uhlenbruck/Hirte, InsO 12. Aufl. § 11 Rdn. 127 m.w.Nachw.) zu zahlen. Schon wegen der Maßgeblichkeit des genannten Gesellschaftsinteresses kann der Kläger der Kündigung aus dem vom Beklagten geltend gemachten wichtigen Grund nicht entgegenhalten, daß die beiden an der Kündigung mitwirkenden anderen Gesellschafter-Geschäftsführer auch ihrerseits zu rechtzeitiger Stellung eines Insolvenzantrages verpflichtet gewesen wären. Davon abgesehen läge nach dem Vortrag des Beklagten eine Pflichtwidrigkeit des Klägers auch ihnen gegenüber vor, weil er sie über die offenbar zunächst nur ihm bekannte Insolvenzreife der Schuldnerin
nicht rechtzeitig informiert hat. Hinzu kommt, daß auch noch ein weiterer, nicht geschäftsführender Gesellschafter an dem Kündigungsbeschluß mitgewirkt hat.
4. Nach allem hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob der von dem Beklagten erhobene Vorwurf einer Insolvenzverschleppung seitens des Klägers zutrifft und daher die Kündigung der Schuldnerin gegenüber dem Kläger vom 10. November 2000 aus dem vom Beklagten nachgeschobenen wichtigen Grund berechtigt war. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war der mit dem Zeugnis der beiden anderen GesellschafterGeschäftsführer unter Beweis gestellte Vortrag des Beklagten, die Schuldnerin habe spätestens ab 1. Juli 2000 die Löhne für ihre 200 Mitarbeiter nicht mehr bezahlen und auch ihre sonstigen Verbindlichkeiten nicht voll decken können, hinreichend substantiiert. Da das Berufungsgericht zu der behaupteten Insolvenzverschleppung keine Feststellungen getroffen hat, ist die Sache zur Nachholung der noch erforderlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
5. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß das Berufungsgericht dem Beklagten den von diesem hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Erstattungsanspruch wegen der von dem Kläger am 20. Oktober 2000 aus dem Gesellschaftsvermögen entnommenen 17.000,00 DM mit unzutreffender Begründung aberkannt hat. Für die streitige Berechtigung zu der Entnahme ist der Kläger darlegungs- und beweispflichtig (vgl. Senat, BGHZ 152, 280, 284 f.; Urt. v. 26. November 1990 - II ZR 223/89, WM 1991, 281 f.); er hat deshalb auch den von ihm behaupteten Darlehensrückzahlungsanspruch gegenüber der Schuldnerin nachzuweisen. Aus der von ihm vorgelegten Einzahlungsquittung über 17.000,00 DM ergibt sich nicht, daß es sich um eine Darlehensgewährung handelte. War die Schuldnerin zum Zeit-
punkt der Entnahme in einer Krise und darüber hinaus sogar insolvenzreif, wie der Beklagte behauptet, stünden der Rechtmäßigkeit der Entnahme auch der Gesichtspunkt des Eigenkapitalersatzes sowie § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG entgegen.
Goette Kraemer Gehrlein
Strohn Caliebe

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. August 2009 - 19/3 Sa 575/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 6. März 2008 - 19 Ca 9432/06 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine fristlose Verdachtskündigung.

2

Der im Jahr 1961 geborene Kläger war bei der beklagten Stadt seit dem 1. September 1989 als Orchestermusiker (2. Hornist) gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt 4.580,79 Euro beschäftigt. Nach den anzuwendenden Bestimmungen des Tarifvertrags für Musiker in Kulturorchestern (TVK) sind Arbeitnehmer, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und mehr als 15 Jahre beschäftigt sind, ordentlich nicht mehr kündbar.

3

Ihren Eigenbetrieb der städtischen Bühnen leitete die Beklagte mit Wirkung zum 1. September 2004 auf die S GmbH (nachfolgend S GmbH) über. Der Kläger widersprach einem Übergang seines Arbeitsverhältnisses. In der Folge wies die Beklagte den Kläger - ebenso wie die übrigen Mitarbeiter, die einer Überleitung widersprochen hatten - aufgrund eines mit der S GmbH geschlossenen Personalgestellungsvertrags dieser zur Dienstausübung zu. Im Februar 2005 fand eine Betriebsratswahl für einen von der Beklagten und der S GmbH gemeinsam geführten Betrieb „Städtische Bühnen“ statt. In dem von der S GmbH eingeleiteten Wahlanfechtungsverfahren wurde der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl rechtskräftig abgewiesen. Mit - weiterem - Beschluss vom 19. Februar 2009 erklärte das Hessische Landesarbeitsgericht die Wahl für „ungültig“.

4

Der Kläger war mit einem Kollegen aus dem Orchester befreundet. Dieser hat zwei Töchter, geboren 1990 und 1994. Der Kläger berührte das ältere der Mädchen - damals fünf- bis sechsjährig - bei Besuchen im Haus des Freundes in den Jahren 1995 und 1996 unsittlich, das jüngere - damals acht bis neun Jahre alt - mehrmals bei Besuchen bei der inzwischen allein lebenden Mutter in den Jahren 2002 und 2003. Am 22. September 2004 erstattete die Mutter Anzeige. Gegen den Kläger wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren ua. wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eingeleitet. Gegenstand des Verfahrens war auch der Vorwurf, der Kläger habe im Jahr 1994 ein weiteres, damals elf Jahre altes Mädchen sexuell missbraucht.

5

Am 20. Oktober 2004 wurde die Beklagte durch den Vater der Mädchen über die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe informiert. In einem Gespräch der Beklagten mit den übrigen Hornbläsern am 22. November 2004 offenbarte einer der Musiker, dass sich der Kläger auch seinem Sohn unsittlich genähert habe und ein strafrechtliches Verfahren gegen Zahlung eines Bußgelds eingestellt worden sei. Er und andere Mitglieder der Stimmgruppe der Hornisten erklärten, mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten zu können.

6

Am 13. Dezember 2004 hörte die Beklagte den Kläger zu den Vorwürfen an. Dieser bestritt deren Berechtigung. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2004 sprach die Beklagte eine auf den Verdacht der Tatbegehungen gestützte fristlose Kündigung aus. Der dagegen erhobenen Klage gab das Hessische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 9. Oktober 2006 mit der Begründung - rechtskräftig - statt, dass die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt habe.

7

Nachdem die Beklagte im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 9. Oktober 2006 erfahren hatte, dass gegen den Kläger Anklage erhoben worden war, bemühte sie sich vergeblich um Akteneinsicht. In einem Telefonat mit dem zuständigen Richter am 30. November 2006 erfuhr sie, dass die Anklageerhebung auf dem ihr bekannten Inhalt der Ermittlungsakte beruhe. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2006 lud sie den Kläger erneut zu einem Anhörungsgespräch am 11. Dezember 2006. Der Kläger teilte ihr am 8. Dezember 2006 mit, dass er nicht erscheinen werde. Nach Anhörung des - trotz Wahlanfechtung weiterhin amtierenden - Betriebsrats sprach die Beklagte am 21. Dezember 2006 erneut eine außerordentliche, fristlose Verdachtskündigung aus. Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage.

8

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei mangels Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Frist sei spätestens am 3. Dezember 2004 abgelaufen. Die Kündigung sei eine unzulässige Wiederholungskündigung. Die von ihm begangenen Straftaten könnten als außerdienstliches Verhalten die Kündigung ohnehin nicht rechtfertigen. Der Kläger hat bestritten, dass es zu einem Vertrauensverlust bei seinen Kollegen gekommen sei und seine Anwesenheit die künstlerische Qualität des Orchesters beeinträchtige. Seine sexuellen Neigungen seien seit Anfang der 90-er Jahre im Orchester bekannt gewesen. Er befinde sich seit 1992 in therapeutischer Behandlung. Deswegen bestehe keine Wiederholungsgefahr. Seine Taten seien Folge einer psychischen Disposition. Die Kündigung sei deshalb nach den Grundsätzen der krankheitsbedingten Kündigung zu beurteilen und mangels negativer Prognose unwirksam. Außerdem habe statt des Betriebsrats der zuständige Personalrat angehört werden müssen.

9

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2006 nicht beendet worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, mit der Erhebung der Anklage sei ein wesentlicher Einschnitt im Strafverfahren verbunden gewesen. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei erneut in Gang gesetzt worden, als sie von der Anklageerhebung Kenntnis erhalten habe. Wegen des dringenden Verdachts der Begehung der fraglichen Straftaten sei die Kündigung auch materiell gerechtfertigt. Das Verhalten des Klägers weise einen hinreichenden dienstlichen Bezug auf. Das Vertrauensverhältnis zu den Mitgliedern des Orchesters, insbesondere zu den Hornbläsern, sei zerstört. Die Anwesenheit des Klägers beeinträchtige die künstlerische Qualität bei Proben und Vorstellungen. Die Neigungen des Klägers seien keineswegs allgemein im Orchester bekannt gewesen. Es bestehe ein unkalkulierbares Risiko, dass er wieder einschlägig auffällig werde. Im Hinblick darauf, dass sie in der Komparserie und im Rahmen von Praktika minderjährige Kinder beschäftige, sei ihr eine Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten. Die Beteiligung des Personalrats sei nicht erforderlich gewesen.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zur Abweisung der Klage. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt(I.). Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dies kann der Senat selbst entscheiden, da die maßgeblichen Tatsachen feststehen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor(II.). Die Kündigung ist nicht mangels Anhörung des Personalrats unwirksam (III.).

13

I. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Beklagte hat die gesetzliche Frist zur Erklärung der Kündigung gewahrt.

14

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

15

a) Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (Senat 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - Rn. 15 mwN, NZA-RR 2011, 177; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 319 mwN). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - aaO). Solange er die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - zu B I 3 der Gründe, aaO). Um den Lauf der Frist nicht länger als notwendig hinauszuschieben, muss eine Anhörung allerdings innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf im Allgemeinen, und ohne dass besondere Umstände vorlägen, nicht mehr als eine Woche betragen (Senat 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - Rn. 24, BAGE 117, 168).

16

b) Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Aus- oder Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 25, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; Bader/Bram/Dörner/Kriebel-Bader KSchG Stand Dezember 2010 § 626 BGB Rn. 77; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 321). Für den betreffenden Zeitpunkt bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn etwa der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen - neuen - ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch der Kündigung nehmen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 20, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9).

17

c) Der Arbeitgeber kann sich auch für die Überlegung, ob er eine Verdachtskündigung aussprechen soll, am Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens orientieren (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Dort gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Vertragspartner habe die Pflichtverletzung begangen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; vgl. HaKo-Gieseler 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 106; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Eine solche den Verdacht intensivierende Wirkung kann auch die Erhebung der öffentlichen Klage haben (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; AnwK-ArbR/Bröhl 2. Aufl. Bd. 1 § 626 BGB Rn. 102; HaKo-Gieseler aaO; SPV/Preis aaO). Zwar kann die Erhebung der öffentlichen Klage für sich genommen keinen dringenden Verdacht im kündigungsrechtlichen Sinne begründen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 27, aaO; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5). Sie bedeutet aber einen Einschnitt, der in der Lage ist, die anderweitig schon genährte Überzeugung des Arbeitgebers zu verstärken. Während die Einleitung des Ermittlungsverfahrens lediglich einen Anfangsverdacht erfordert, ist die Erhebung der öffentlichen Klage nach der Strafprozessordnung an das Bestehen eines „hinreichenden“ Verdachts gebunden. Der Verdacht erhält damit eine andere Qualität. Dies rechtfertigt es, die Erhebung der öffentlichen Klage als einen Umstand anzusehen, bei dessen Eintritt der Arbeitgeber einen sachlichen Grund hat, das Kündigungsverfahren einzuleiten (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; AnwK-ArbR/Bröhl aaO; HaKo-Gieseler aaO; SPV/Preis aaO).

18

d) Der Arbeitgeber hat nicht nur zwei Möglichkeiten, dem sich mit der Zeit entwickelnden Zuwachs an Erkenntnissen durch eine außerordentliche Kündigung zu begegnen. Es gibt nicht lediglich zwei objektiv genau bestimmbare Zeitpunkte, zu denen die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begönne: einen Zeitpunkt für den Ausspruch einer Verdachts-, einen weiteren für den Ausspruch einer Tatkündigung. Im Laufe des Aufklärungszeitraums kann es vielmehr mehrere Zeitpunkte geben, in denen der Verdacht „dringend“ genug ist, um eine Verdachtskündigung darauf zu stützen. Dabei steht dem Kündigungsberechtigten ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 22 ff., AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).

19

e) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt demnach erneut zu laufen, wenn der Arbeitgeber eine neue, den Verdacht der Tatbegehung verstärkende Tatsache zum Anlass für eine Kündigung nimmt. Eine den Verdacht verstärkende Tatsache kann die Anklageerhebung im Strafverfahren darstellen, selbst wenn sie nicht auf neuen Erkenntnissen beruht. Der Umstand, dass eine unbeteiligte Stelle mit weiterreichenden Ermittlungsmöglichkeiten, als sie dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, einen hinreichenden Tatverdacht bejaht, ist geeignet, den gegen den Arbeitnehmer gehegten Verdacht zu verstärken. Der Arbeitgeber kann ihn auch dann zum Anlass für den Ausspruch einer Verdachtskündigung nehmen, wenn er eine solche schon zuvor erklärt hatte. Da die neuerliche Kündigung auf einem neuen, nämlich um die Tatsache der Anklageerhebung ergänzten Sachverhalt beruht, handelt es sich nicht etwa um eine unzulässige Wiederholungskündigung. Ebenso wenig ist das Recht, eine weitere Verdachtskündigung auszusprechen, mit dem Ausspruch einer ersten Verdachtskündigung verbraucht. Der Arbeitgeber hat sich dadurch, dass er eine Verdachtskündigung bereits vor Anklageerhebung ausgesprochen hat, auch nicht dahin gebunden, vor Ausspruch einer weiteren Kündigung den Ausgang des Ermittlungs- oder Strafverfahrens abzuwarten. Für die Annahme eines solchen Verzichts auf ein - noch nicht absehbares späteres - Kündigungsrecht gibt es keine Grundlage. Zwar bezieht sich der Verdacht jeweils auf dieselbe Tat, der zur Kündigung führende Sachverhalt ist aber gerade nicht identisch. Die zweite Kündigung stützt sich auf eine erweiterte, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB neu in Gang setzende Tatsachengrundlage.

20

2. Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte mit Ausspruch der Kündigung am 21. Dezember 2006 die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Diese begann am 8. Dezember 2006 erneut zu laufen. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 erfolgte innerhalb von zwei Wochen.

21

a) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB begann erneut in dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem die Beklagte vollständige Kenntnis davon erhielt, dass gegen den Kläger Anklage wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eines Kollegen erhoben worden war und neue entlastende Gesichtspunkte nicht zu ermitteln waren. Der Verdacht bezieht sich zwar auf dieselbe Tat wie der, welcher der Kündigung vom 23. Dezember 2004 zugrunde lag. Der Sachverhalt ist aber deshalb nicht identisch, weil sich die Beklagte zusätzlich auf die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft beruft.

22

b) Vollständige positive Kenntnis von den den Verdacht verstärkenden Umständen hatte die Beklagte erst am 8. Dezember 2006. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte sie zwar bereits während der mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 2006 Kenntnis davon erhalten, dass gegen den Kläger Anklage erhoben worden war. Sie hatte aber erst aufgrund des Gesprächs mit dem zuständigen Richter am 30. November 2006 erfahren, dass die Anklage auf dem ihr bekannten Inhalt der Ermittlungsakte beruhte und damit ua. die Vorwürfe zum Gegenstand hatte, die den von ihr gehegten Verdacht gegen den Kläger betrafen. Ihre vorausgegangenen Bemühungen, Akteneinsicht zu erhalten, waren erfolglos geblieben. Die Beklagte durfte anschließend dem Kläger Gelegenheit geben, neue entlastende Umstände vorzubringen. Mit der Einladung zu einem Anhörungstermin am 11. Dezember 2006 ist sie diese Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts auch hinreichend zügig angegangen. Zwar war die dafür in der Regel zu veranschlagende Wochenfrist am 11. Dezember überschritten. Die Beklagte ging gleichwohl mit der gebotenen Eile vor. Der 30. November 2006 war ein Donnerstag. Das Einladungsschreiben vom 4. Dezember wurde am auf ihn folgenden zweiten Arbeitstag verfasst. Dies ist zumindest angesichts der Besonderheit, dass sie schon zuvor eine Verdachtskündigung ausgesprochen hatte und die Notwendigkeit einer weiteren Anhörung des Klägers damit nicht unmittelbar auf der Hand lag, nicht zu beanstanden. Dass die Beklagte den Termin erst auf eine weitere Woche später anberaumte, ist ihr ebenso wenig vorzuhalten. Sie berücksichtigte damit in angemessener Weise das Interesse des im Betrieb nicht mehr beschäftigten Klägers an einer Ankündigungszeit. Mit dem Erhalt von dessen Nachricht am 8. Dezember 2006, er werde den Anhörungstermin nicht wahrnehmen, stand sodann fest, dass sich neue entlastende Umstände durch eine Anhörung des Klägers nicht ergeben würden.

23

II. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

24

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt des sexuellen Missbrauchs von Kindern eines Kollegen ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet.

26

a) Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung der Kündigung zwar nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen. Obwohl der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund darstellt (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8), stehen beide Gründe aber nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, aaO ). Ergibt sich nach tatrichterlicher Würdigung das tatsächliche Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen; es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - mwN, aaO). Nichts anderes gilt für das Revisionsgericht, wenn das Berufungsgericht zwar nicht selbst geprüft hat, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben ist, aber gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindend festgestellt hat, dass die Pflichtwidrigkeit tatsächlich begangen wurde.

27

b) Dies ist hier der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Kläger sowohl während mehrerer Besuche im Haus der Familie seines Kollegen in den Jahren 1995/1996 die ältere von dessen Töchtern, damals fünf- bis sechsjährig, unsittlich berührte als auch mehrmals in den Jahren 2002 und 2003 die jüngere Tochter, damals acht bis neun Jahre alt, anlässlich von Besuchen im Haus der inzwischen allein lebenden Ehefrau. Das Landesarbeitsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass ein weiterer Kollege der Beklagten während eines Gesprächs am 22. November 2004 mitgeteilt hatte, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Vorwurfs, dieser habe sich dem Sohn des Kollegen unsittlich genähert, sei eingestellt worden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erklärten der betreffende Kollege und andere Mitglieder der Hornisten-Gruppe, mit dem Kläger wegen dieser Vorwürfe nicht mehr zusammenarbeiten zu können.

28

c) Der Umstand, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer gerichtlichen Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat nicht entgegen. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner Entscheidung, ob der ungültig gewählte, aber während des Wahlanfechtungsverfahrens weiter amtierende Betriebsrat überhaupt nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen war. Ausreichend ist jedenfalls, wenn dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung Genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Danach ist der Betriebsrat hier ausreichend unterrichtet worden. Die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen sind auch Gegenstand des Anhörungsschreibens vom 15. Dezember 2006.

29

d) Eine schwere und schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Das gilt auch für die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten (Senat 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30, EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Arbeitnehmervertreter Nr. 1; 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8).

30

e) Der Kläger hat seine Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, auf die berechtigten Interessen der Beklagten Rücksicht zu nehmen, durch den sexuellen Missbrauch von Kindern eines Kollegen in erheblichem Maße verletzt. Darauf, ob sich aus § 5 Abs. 1 TVK aF noch weiter gehende Pflichten zur Rücksichtnahme ergaben, kommt es nicht an.

31

aa) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19, NZA 2011, 112; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77). Der Arbeitnehmer ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - aaO). Die Pflicht zur Rücksichtnahme kann deshalb auch durch außerdienstliches Verhalten verletzt werden (vgl. ErfK/Müller-Glöge 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 83). Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO). Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 22, aaO; 27. November 2008 -  2 AZR 98/07  - Rn. 21, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4). Fehlt ein solcher Zusammenhang, scheidet eine Pflichtverletzung regelmäßig aus (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO; SPV/Preis Rn. 642).

32

bb) Die von dem Kläger außerdienstlich begangenen Straftaten haben einen solchen Bezug zum Arbeitsverhältnis.

33

(1) Dieser Bezug besteht zunächst darin, dass Opfer der Straftaten des Klägers die Kinder eines Kollegen waren.

34

(2) Die von dem Kläger an den Kollegenkindern begangenen Sexualstraftaten hatten zudem negative Auswirkungen auf das betriebliche Miteinander. So haben mehrere Mitglieder der Stimmgruppe des Klägers in dem Gespräch am 22. November 2004 gegenüber der Beklagten erklärt, mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten zu können. Der Einwand des Klägers, in dem Orchester herrsche ohnehin keine Atmosphäre des Vertrauens, sondern eine Atmosphäre der Angst, ist unbeachtlich. Er ändert nichts daran, dass im vorliegenden Zusammenhang allein der Kläger für die Störung des Betriebsfriedens verantwortlich ist.

35

cc) Die Straftaten des Klägers haben das kollegiale Miteinander und damit das Arbeitsverhältnis schwer belastet. Der Kläger hat das Vertrauen seines Kollegen und von dessen Familie wiederholt massiv missbraucht. Aus eben diesem Grund haben mehrere Kollegen aus seiner Stimmgruppe ausgeschlossen, mit ihm weiter zusammenarbeiten zu können.

36

Der Kläger hat vorsätzlich gehandelt. Soweit er seine sexuellen Neigungen im Laufe des Rechtsstreits auf krankhafte Störungen zurückgeführt hat, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Der Kläger hat nicht behauptet, dass es ihm unmöglich gewesen sei, sein Verhalten zu steuern. Die Grundsätze einer personenbedingten Kündigung finden keine Anwendung.

37

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gerechtfertigt. Der Beklagten war es unzumutbar, den Kläger auch nur bis zum Ablauf einer - fiktiven - Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.

38

a) Obwohl das Landesarbeitsgericht - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - eine Interessenabwägung nicht vorgenommen hat, ist eine eigene Abwägung durch den Senat möglich. Der dem Berufungsgericht in der Rechtsprechung des Senats zugestandene Beurteilungsspielraum (vgl. Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5) schränkt lediglich die revisionsrechtliche Überprüfung der Interessenabwägung ein. Hat das Berufungsgericht eine Interessenabwägung vorgenommen, ist - wenn sämtliche relevanten Tatsachen feststehen - eine eigene Interessenabwägung des Revisionsgerichts nur dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist (vgl. Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 35 f., AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Fehlt es indessen an einer Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts, ist es - wenn alle relevanten Tatsachen festgestellt sind - nicht erforderlich, dem Landesarbeitsgericht Gelegenheit zu geben, zunächst eine eigene Abwägung vorzunehmen. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist zwar in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, aaO).

39

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 f. mwN).

40

c) Danach ist die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2006 gerechtfertigt.

41

aa) Der Kläger hat wiederholt die Kinder eines Kollegen sexuell missbraucht und dadurch bewirkt, dass sich mehrere Mitglieder seiner Stimmgruppe weigerten, mit ihm weiter zusammenzuarbeiten. Ohne erhebliche Auswirkungen auf den Betriebsfrieden war eine Mitwirkung des Klägers in seiner Stimmgruppe damit nicht mehr vorstellbar. Zwar war der betreffende Kollege zum Zeitpunkt der Kündigung bereits aus dem Orchester ausgeschieden. Der zweite betroffene Kollege und weitere Mitglieder, die an dem Gespräch am 22. November 2004 teilgenommen hatten, waren aber auch im Dezember 2006 noch beschäftigt. Unerheblich ist, ob die sexuellen Neigungen des Klägers schon länger im Orchester bekannt waren. Der Kläger hat nicht behauptet, es sei auch bekannt gewesen, dass er tatsächlich Straftaten an Kollegenkindern beging.

42

bb) Für die Beklagte war es nicht zumutbar, den Kläger unter Inkaufnahme einer fortbestehenden Störung des Betriebsfriedens weiterzubeschäftigen. Anders als in einer Drucksituation, der kein Verhalten des Arbeitnehmers und kein personenbedingter Grund zugrunde liegt, war die Beklagte nicht gehalten, sich etwa schützend vor den Kläger zu stellen und zu versuchen, die Kollegen von ihrer Weigerung, weiter mit dem Kläger zusammenzuarbeiten, abzubringen (vgl. dazu Senat 19. Juni 1986 - 2 AZR 563/85 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 33 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 39). Der Kläger hatte durch sein Verhalten die Betriebsstörung vielmehr selbst herbeigeführt. Er hat das ihm von einem Kollegen und dessen Familie entgegengebrachte Vertrauen in schwerwiegender Weise mehrfach missbraucht. Dass auch anderen Kollegen angesichts dessen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr möglich erschien, ist objektiv nachvollziehbar. Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein die Integrität der Opfer in schwerwiegender Weise verletzendes Delikt. Geschützt ist die Entwicklung der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung (Fischer StGB 58. Aufl. § 176 Rn. 2 mwN). Äußere, fremdbestimmte Eingriffe in die kindliche Sexualität sind in besonderer Weise geeignet, diese Entwicklung zu stören. Die Tat birgt die Gefahr von nachhaltigen Schädigungen des Kindes (Fischer Rn. 36 mwN, aaO). Sie ist nach § 176 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht.

43

cc) Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht. Angesichts der Schwere seiner Pflichtverletzungen war deren - auch nur erstmalige - Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen (vgl. zu diesem Maßstab Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

44

dd) Nicht entscheidend ist, ob zu erwarten stand, der Kläger werde weiterhin sexuelle Straftaten an (Kollegen-)Kindern begehen. Die von dem Kläger vorgetragenen Therapiebemühungen und der Umstand, dass er strafrechtlich nur zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde, rechtfertigen deshalb ebenso wenig eine andere Bewertung wie Gesichtspunkte der Resozialisierung. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Beklagte angesichts der Erklärungen von Mitgliedern der Stimmgruppe des Klägers davon ausgehen musste, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen diesem und seinen Kollegen nicht mehr zu erwarten war. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, nicht alle Orchestermusiker hätten sich geweigert, mit ihm zusammenzuarbeiten, kann die Richtigkeit dieser Behauptung dahinstehen. Der Kläger bestreitet nicht, dass mehrere Mitglieder seiner Stimmgruppe nicht mehr zu einer Zusammenarbeit bereit waren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die musikalische Qualität von Proben oder Vorstellungen bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers tatsächlich gelitten hätte. Der Beklagten war es angesichts der Taten des Klägers schon nicht zumutbar, von seinen Kollegen eine weitere Zusammenarbeit überhaupt zu fordern. Darauf, ob der Kläger im Dienst Kontakt zu Kindern hatte, kommt es ebenfalls nicht an.

45

ee) An dem Ergebnis der Interessenabwägung ändert sich auch dann nichts, wenn die Behauptung des Klägers zutrifft, erst eine als Krankheit anzusehende Ausprägung seiner sexuellen Neigungen habe ihn straffällig werden lassen. Der Beklagten ist es auch unter dieser Voraussetzung nicht zuzumuten, von den Kollegen des Klägers die weitere Zusammenarbeit zu verlangen. Die durch das Verhalten des Klägers verursachte Störung des Betriebsfriedens wird dadurch nicht geringer.

46

ff) Disziplinarrechtliche Maßstäbe zur Beurteilung von Dienstvergehen eines Beamten sind für den Streitfall ohne Bedeutung. Die Sachverhalte, die den vom Kläger herangezogenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zugrunde liegen, sind zudem schon deshalb nicht vergleichbar, weil es dabei nicht um den Missbrauch von Kollegenkindern ging. Der Kläger will überdies aus dem Umstand, dass die Beklagte Opernaufführungen mit sexuellen Bezügen inszeniert, eine Bereitschaft zur Toleranz von Kindesmissbrauch ableiten. Dies ist abwegig. Soweit er darüber hinaus meint, seine Taten hätten einen Bezug zu seiner Tätigkeit als bildender Künstler, bleibt unklar, welchen Schluss er daraus ableitet. Er kann schwerlich gemeint haben, die Kunstfreiheit rechtfertige Kindesmissbrauch.

47

gg) Beschäftigungsdauer und Lebensalter des Klägers rechtfertigen kein anderes Ergebnis. An der Schwere der Pflichtverletzungen und Störung des Betriebsfriedens ändern sie nichts.

48

hh) Der Umstand, dass der Kläger ordentlich unkündbar war, hat auf die Interessenabwägung keinen gesonderten Einfluss. Ist es dem Arbeitgeber - wie hier - nicht zumutbar, den tariflich unkündbaren Arbeitnehmer bis zum Ablauf der „fiktiven“ Frist einer ordentlichen Beendigungskündigung weiterzubeschäftigen, ist eine außerordentliche fristlose Kündigung auch des tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers gerechtfertigt (Senat 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 5 b der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; 15. November 2001 -  2 AZR 605/00  - BAGE 99, 331).

49

III. Die Kündigung ist nicht mangels Beteiligung eines für den Kläger zuständigen Personalrats nach § 78 Abs. 2 des Hessischen Personalvertretungsgesetzes vom 24. März 1988 (HPVG) unwirksam.

50

1. Bei einer außerordentlichen Kündigung sieht § 78 Abs. 2 HPVG eine Anhörung des Personalrats vor. Soweit der Kläger das Unterbleiben einer Beteiligung nach § 77 HPVG gerügt hat, handelt es sich offensichtlich um eine Falschbezeichnung. § 77 Nr. 2 Buchst. i HPVG betrifft die Mitbestimmung bei ordentlichen Kündigungen (außerhalb der Probezeit). Eine Anhörung war im Streitfall nicht etwa nach § 104 Abs. 3 Satz 1 HPVG entbehrlich. Nach dieser Bestimmung entfallen zwar die Mitbestimmung und Mitwirkung des Personalrats in Personalangelegenheiten der in § 104 Abs. 1 HPVG genannten Orchestermitglieder. Das Beteiligungsrecht bei außerordentlichen Kündigungen wird aber als bloßes Anhörungsrecht von dem Ausschluss nicht erfasst (Burkholz HPVG 2. Aufl. § 104 zu 3.2; ders. in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 104 HPVG Rn. 17).

51

2. Indessen sind aus dem Parteivorbringen keine Umstände dafür ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Kündigung vom 21. Dezember 2006 ein Personalrat im Amt gewesen wäre, der nach § 78 Abs. 2 HPVG hätte angehört werden müssen.

52

a) Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe, da in Wirklichkeit kein gemeinsamer Betrieb bestanden habe, nicht den für diesen gewählten Betriebsrat, sondern „den zuständigen Personalrat“ beteiligen müssen. Nach ihrem Vorbringen im Rechtsstreit über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 23. Dezember 2004 hatte die Beklagte vor Ausspruch dieser Kündigung den Personalrat des „Restamts Städtische Bühnen“ angehört. Dabei handelte es sich um denjenigen Personalrat, der für die von der Beklagten zuvor als Eigenbetrieb geführten Städtischen Bühnen gewählt war. Im Konsens aller Beteiligten sollte dieser ein „Übergangsmandat“ für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter bis zur Wahl eines eigenen Betriebsrats wahrnehmen (vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 - zu I der Gründe).

53

b) Die Amtszeit dieses Personalrats hatte mit Ablauf des 31. August 2004 geendet. Auf die Frage, ob nicht bis zur Rechtskraft der die Betriebsratswahl vom Februar 2005 für ungültig erklärenden gerichtlichen Entscheidung ohnehin nur der für den - vermeintlichen - Gemeinschaftsbetrieb gebildete Betriebsrat zu beteiligen gewesen wäre, kommt es deshalb nicht an.

54

aa) Das Amt des für den Eigenbetrieb gewählten Personalrats endete mit Ablauf des 31. August 2004. Der Eigenbetrieb als Dienststelle der Beklagten wurde durch die Überleitung des Betriebs auf die S GmbH mit Wirkung zum 1. September 2004 iSv. § 81 Abs. 2 HPVG aufgelöst. Im Falle einer Privatisierung endet das Amt des Personalrats (Fitting 25. Aufl. § 130 Rn. 10, 15). Die Änderung der Rechtsform des Trägers der Betriebsorganisation hat den Verlust der bisherigen personalvertretungsrechtlichen Repräsentation zur Folge (Fitting aaO Rn. 15). Die Überführung in eine privatrechtliche Trägerschaft stellt eine Auflösung der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinne dar (Burkholz HPVG 2. Aufl. § 1 zu 4 aE; Hohmann in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 81 HPVG Rn. 276 mwN; v.Roetteken in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 1 HPVG Rn. 158). Hieran ändert im Streitfall nichts, dass zusammen mit dem Kläger eine Vielzahl weiterer Arbeitnehmer der Überleitung ihrer Arbeitsverhältnisse auf die S GmbH widersprochen hatten. Damit blieben sie zwar Arbeitnehmer der Beklagten. Auch mag diese sie in einer Organisationseinheit „Restamt Städtische Bühnen“ zusammengefasst haben. Darin lag aber keine Aufrechterhaltung der Dienststelle des Eigenbetriebs „Städtische Bühnen“. Dieser war auf die S GmbH übergeleitet und damit aufgelöst worden. Dies ergibt sich auch aus einer Organisationsverfügung der Oberbürgermeisterin der Beklagten vom 28. September 2004. Ihr zufolge wurden die bisherigen Organisationseinheiten der Städtischen Bühnen mit Wirkung vom 1. September 2004 aufgelöst und gleichzeitig eine neue Organisationseinheit „Restamt Städtische Bühnen“ eingerichtet (vgl. die Entscheidung des BAG im Verfahren über die Anfechtung der Wahl des Betriebsrats im vermeintlichen Gemeinschaftsbetrieb vom 16. April 2008 - 7 ABR 4/07 - zu A der Gründe, AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 32 = EzA BetrVG 2001 § 1 Nr. 7). Der Kläger behauptet nicht, dass für diese Organisationseinheit bis zum Ausspruch der Kündigung ein neuer Personalrat gewählt worden sei.

55

bb) Der Personalrat der bisherigen Dienststelle „Städtische Bühnen“ blieb nicht deshalb über die Privatisierung zum 1. September 2004 hinaus im Amt, weil im Personalgestellungsvertrag zwischen der Beklagten und der S GmbH vom 1. April 2004 geregelt war, dass der Personalrat gemäß § 103 HPVG die zuständige Interessenvertretung für die gestellten Arbeitnehmer sei(vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 - zu I der Gründe). § 103 HPVG bestimmt, dass öffentliche Theater und selbständige Orchester Dienststellen im Sinne des HPVG sind. Diese gesetzliche Fiktion dient vor allem der Klarstellung (Burkholz in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 103 HPVG Rn. 7). Zu den Folgen der Auflösung einer Dienststelle durch ihre Privatisierung verhält sich § 103 HPVG nicht. Durch vertragliche Vereinbarung wiederum kann der gesetzliche Anwendungsbereich des Personalvertretungsrechts nicht wirksam verändert werden.

56

cc) Ein gesetzlich vorgesehenes Übergangsmandat des Personalrats, wie es zB für die Umwandlung eines Universitätsklinikums in § 98 Abs. 6 HPVG geregelt ist, bestand im Streitfall nicht. Wenn der Personalrat zur Schließung dieser möglichen Schutzlücke (vgl. dazu Fitting 25. Aufl. § 130 Rn. 15) ein Übergangsmandat für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter wahrnahm (vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 -), dauerte dieses allenfalls bis zur Wahl des Betriebsrats, längstens sechs Monate (vgl. Fitting aaO Rn. 17). Zudem gilt ein Personalrat, der in Privatisierungsfällen ein Übergangsmandat wahrnimmt, als Betriebsrat und hat Rechte und Pflichten aus dem Betriebsverfassungs-, nicht dem Personalvertretungsgesetz (vgl. Fitting aaO Rn. 18 f.).

57

3. Für die Anhörung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers war nicht ein bei der Beklagten errichteter Gesamtpersonalrat zuständig. Bei individuellen Maßnahmen ist der Gesamtpersonalrat, unabhängig von der Entscheidungsbefugnis des Dienststellenleiters, gem. § 83 Abs. 4 iVm. Abs. 1 und Abs. 2 HPVG unzuständig (Hohmann in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 83 HPVG Rn. 96). Bei der Anhörung zu einer außerordentlichen Kündigung nach § 78 Abs. 2 HPVG gibt es zudem kein Stufenverfahren, so dass eine Beteiligung des Gesamtpersonalrats nach § 52 Abs. 2 HPVG ebenfalls nicht in Betracht kommt.

58

IV. Als unterlegene Partei hat der Kläger gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Beckerle    

        

    B. Schipp    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 19. März 2012 - 2 Sa 1105/11 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1958 geborene Kläger war seit September 1981 bei der beklagten Rundfunkanstalt beschäftigt, zuletzt als Techniker im IT-Service. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren Manteltarifvertrag war das Arbeitsverhältnis - es sei denn wegen Leistungsminderung - nur noch außerordentlich kündbar.

3

Im Juli und November 2010 wurden Räume der Beklagten durchsucht. Nach dem Vorbringen der Beklagten hatte es eine anonyme Anzeige gegeben, derzufolge mehrere ihrer Mitarbeiter, ua. der Kläger, bei Ausschreibungen über Telekommunikations- und Datennetzleistungen in Absprache mit einer beauftragten Firma die Leistungsverzeichnisse manipuliert hatten. Am 7. Dezember 2010 lag der Beklagten ein Bericht ihrer Innenrevision über die Leistungsabrufe der betreffenden Firma vor. Danach hat der Kläger von dieser ua. einen Barbetrag in Höhe von 200,00 Euro erhalten. Eine Schließanlage, die er von der Firma schon zuvor erhalten und bei sich eingebaut hatte, hatte der Kläger an die Beklagte zurückgegeben.

4

Mit Schreiben vom 8. Dezember 2010 lud die Beklagte den Kläger zu einer Anhörung für den 13. Dezember 2010 in ihre Geschäftsräume ein. Der Kläger war seit dem 26. Juli 2010 erkrankt. Er teilte mit E-Mail vom 12. Dezember 2010 mit, er könne den Termin wegen einer Rehabilitationsmaßnahme nicht wahrnehmen. Er bat darum, ihn schriftlich anzuhören und die Fragen seinem Prozessbevollmächtigten zu schicken. Die Beklagte sandte daraufhin am 14. Dezember 2010 sowohl an den Kläger als auch an dessen Prozessbevollmächtigten einen zehn Seiten langen Fragenkatalog, der sich auf 13 einzelne Fragenbereiche bezog. Sie setzte dem Kläger eine Frist zur Beantwortung bis zum 17. Dezember 2010, 12:00 Uhr.

5

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2010 - welches nach Angaben der Beklagten am 20. Dezember 2010 bei ihr einging -, teilten die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dieser befinde sich noch bis zum 11. Januar 2011 in der Rehabilitationsmaßnahme. Es sei deshalb „kaum möglich“, innerhalb der gesetzten Frist zu den Fragen Stellung zu nehmen. Es sei eine zeitaufwendige Besprechung mit dem Kläger erforderlich. Diese könne wegen der noch laufenden Rehabilitationsmaßnahme erst im Laufe des Monats Januar 2011 erfolgen. Eine Stellungnahme sei nach Ablauf der Maßnahme zu erwarten. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2010, welches bei der Beklagten tags darauf einging, nahmen die Prozessbevollmächtigten auf ihr Schreiben vom 15. Dezember 2010 Bezug und rügten, die Zusendung des Fragenkataloges habe zu einem gesundheitlichen Rückschlag des Klägers geführt. Tatsächlich litt der Kläger an einer psychischen Erkrankung. Ob dies der Beklagten bekannt war, ist nicht festgestellt.

6

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Personalrat zu einer beabsichtigten Verdachts- und Tatkündigung an. Der Personalrat widersprach mit Schreiben vom 22. Dezember 2010 mit der Begründung, der Kläger sei nicht ausreichend angehört worden.

7

Mit Schreiben vom 27. Dezember 2010 kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis fristlos.

8

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat gemeint, es fehle an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Außerdem habe die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Von dem Kündigungsschreiben habe er erst am 30. Dezember 2010 Kenntnis erlangt. Für eine auf den Verdacht einer Pflichtverletzung gestützte Kündigung fehle es an seiner ordnungsgemäßen Anhörung.

9

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 27. Dezember 2010 nicht aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wirksam. Der Kläger habe an Straftaten zu ihren Lasten mitgewirkt. Er habe bei der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen für den Rahmenvertrag mit der beauftragten Firma bewusst fehlerhafte Mengenangaben zugrunde gelegt. Dies habe dazu geführt, dass diese die Ausschreibung gewonnen habe. Dadurch sei ihr - der Beklagten - ein wirtschaftlicher Nachteil entstanden. Die beauftragte Firma sei in demjenigen Leistungsbereich besonders teuer gewesen, in welchem der Kläger eine zu geringe Auftragsanzahl prognostiziert habe. Zudem habe der Kläger zu Gunsten der Firma Aufmaße mit einem unzutreffend hohen Leistungsumfang bestätigt. Insgesamt sei ihr durch sein Verhalten ein Schaden von wenigstens 19.000,00 Euro entstanden. Sie habe alle zumutbaren Anstrengungen unternommen, um den Sachverhalt aufzuklären. Der Kläger habe den Fragenkatalog beantworten können. Er sei äußerungsfähig gewesen. Das Kündigungsschreiben sei noch am 27. Dezember 2010 um 15:15 Uhr in seinen Briefkasten eingeworfen worden.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung vom 27. Dezember 2010 nicht als unwirksam ansehen. Ob sie wirksam ist, steht noch nicht fest.

13

I. Die Kündigung wegen vom Kläger tatsächlich begangener Pflichtverletzungen ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte die zweiwöchige Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten hätte. Die Frist hat entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht spätestens am Tag nach dem 7. Dezember 2010 zu laufen begonnen.

14

1. Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Abs. 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen eine Kündigung sprechenden Umstände ( BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 27; 27. Januar 2011 -  2 AZR 825/09  - Rn. 15 , BAGE 137, 54). Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne( BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - aaO; 25. November 2010 - 2 AZR 171/09  - Rn. 15). Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen (BAG 31. März 1993 - 2 AZR 492/92 - zu II 1 der Gründe, BAGE 73, 42). Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15, aaO; 2. März 2006 -  2 AZR 46/05  - Rn. 24 , BAGE 117, 168 ). Bei Vorliegen besonderer Umstände darf sie auch überschritten werden (BAG 2. März 2006 -  2 AZR 46/05  - aaO). Unerheblich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder nicht ( BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - aaO; 25. November 2010 - 2 AZR 171/09  - aaO). Gibt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Stellungnahme, so gereicht ihm dies hinsichtlich des Beginns der zweiwöchigen Ausschlussfrist deshalb auch dann nicht zum Nachteil, wenn der Arbeitnehmer innerhalb angemessener Überlegungszeit keine Erklärung abgibt oder seine Stellungnahme rückblickend zur Feststellung des Sachverhalts nichts beiträgt (BAG 27. Januar 1972 - 2 AZR 157/71 - zu 3 der Gründe, BAGE 24, 99). Das bedeutet zugleich, dass der mit der beabsichtigten Anhörung verbundene Fristaufschub iSv. § 626 Abs. 2 BGB nicht nachträglich entfällt, wenn der Arbeitgeber das ergebnislose Verstreichen der Frist zur Stellungnahme für den Arbeitnehmer zum Anlass nimmt, nunmehr auf dessen Anhörung zu verzichten. Ein solcher nachträglicher Wegfall des ursprünglichen Aufschubs käme nur in Frage, wenn der betreffende Entschluss des Arbeitgebers auf Willkür beruhte. Davon kann die Rede nicht sein, wenn Anlass für den neuen Entschluss der Umstand ist, dass sich der Arbeitnehmer innerhalb einer ihm gesetzten, angemessenen Frist nicht geäußert hat.

15

2. Danach hat die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht deshalb nicht gewahrt, weil diese spätestens mit dem auf den 7. Dezember 2010 folgenden Tag zu laufen begonnen hätte.

16

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte sei spätestens am 7. Dezember 2010 in der Lage gewesen, sich ein Bild darüber zu machen, ob die im Revisionsbericht aufgeführten Sachverhalte Grundlage für die Überzeugung sein konnten, der Kläger habe die ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen begangen. Um darauf eine Kündigung zu stützen, habe es für sie keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung, insbesondere keiner Anhörung des Klägers bedurft. Sie sei schließlich auch ohne neue Erkenntnisse zu dem Schluss gekommen, der ihr bereits am 7. Dezember 2010 möglich gewesen sei. Die Frist für den Ausspruch einer auf tatsächlich begangene Pflichtverletzungen gestützten Kündigung habe damit am 21. Dezember 2010 geendet. Bis zu diesem Zeitpunkt sei die Kündigung dem Kläger - unstreitig - nicht zugegangen.

17

b) Diese Würdigung hält einer Überprüfung nicht stand. Zwar lag der Beklagten am 7. Dezember 2010 der Bericht ihrer Innenrevision vor. Sie durfte es aber nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich halten, dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu den darin enthaltenen Anschuldigungen zu geben. Es war nicht ausgeschlossen, dass sie dadurch von Umständen Kenntnis erlangen könnte, die den bisher ermittelten Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen ließen. Darauf, ob die Anhörung tatsächlich neue Erkenntnisse erbrachte, kommt es nicht an.

18

3. Ob die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt hat, steht noch nicht fest.

19

a) Allerdings hat die Beklagte, nachdem der Bericht der Innenrevision vorlag, den Kläger hinreichend zeitnah zu einer Anhörung eingeladen. Der vorgesehene Termin am 13. Dezember 2010 lag innerhalb einer Woche. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass er den Termin wegen seiner Rehabilitationsmaßnahme nicht wahrnehmen könne, widersprach es auch nicht der gebotenen Eile, ihm zur Beantwortung des Fragenkatalogs eine Frist bis zum 17. Dezember 2010 zu setzen. Der Kläger selbst hatte um schriftliche Anhörung gebeten. Dies ist ein Umstand, der für die Anhörung das Überschreiten der Regelfrist von einer Woche rechtfertigt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB begann demnach erst mit Ablauf der dem Kläger gesetzten Frist zur Stellungnahme, dh. am 18. Dezember 2010 zu laufen. Die Beklagte hätte die Kündigungserklärungsfrist selbst dann eingehalten, wenn die Kündigung dem Kläger erst am 30. Dezember 2010 zugegangen sein sollte.

20

b) Das Landesarbeitsgericht hat bisher aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob eine für die Beklagte kündigungsberechtigte Person schon vor dem 17. Dezember 2010 von Umständen Kenntnis erlangt hatte, die darauf schließen ließen, der Kläger werde sich bis zum Ablauf der ihm gesetzten Frist ohnehin nicht mehr äußern. In diesem Fall käme ein entsprechend früherer Fristbeginn in Betracht. Dann wiederum könnte es für die Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB darauf ankommen, wann genau die Kündigung dem Kläger im Rechtssinne zugegangen ist. Ebenso wenig hat das Landesarbeitsgericht bisher aufgeklärt, ob die Beklagte bis zur Vorlage des Berichts der Innenrevision am 7. Dezember 2010 die Aufklärungsmaßnahmen mit der gebotenen Eile vorgenommen hat.

21

c) Demgegenüber wurde der Fristbeginn nicht schon deshalb hinausgeschoben, weil der Kläger eine Stellungnahme erst nach dem Ende seiner Rehabilitationsmaßnahme in Aussicht gestellt hatte. Die Beklagte hatte die ihm bis zum 17. Dezember 2010 gesetzte Frist nicht verlängert. Darauf, ob andernfalls ein entsprechendes Zuwarten noch mit dem Gebot hinreichend zügiger Aufklärung vereinbar wäre, kommt es nicht an.

22

II. Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten, wird es zu prüfen haben, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Sofern es dies nicht wegen erwiesener Pflichtverletzung(en) des Klägers bejahen sollte, wird es prüfen müssen, ob ein solcher Grund zumindest wegen des Verdachts einer erheblichen Pflichtverletzung gegeben ist. Unter diesem Aspekt wäre die Kündigung auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht deshalb unwirksam, weil es an der erforderlichen Anhörung des Klägers fehlte.

23

1. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung. Bei ihr besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Dessen Anhörung ist deshalb ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. Unterbliebe sie, wäre die Kündigung nicht „ultima ratio“ (BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 31; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 32). Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung Gelegenheit geben, zu den Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen, um dessen Einlassungen bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können (BAG 30. April 1987 - 2 AZR 283/86 - zu B I 2 c der Gründe). Versäumt er dies, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam (BAG 30. April 1987 - 2 AZR 283/86 - zu B I 2 d der Gründe; 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zu C III 3 der Gründe, BAGE 49, 39).

24

a) Der Umfang der Anhörung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Einerseits muss sie nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden(BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 33; 13. März 2008 - 2 AZR 961/06  - Rn. 15 ). Andererseits reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt ( BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - aaO; 13. März 2008 - 2 AZR 961/06  - aaO).

25

b) Unterblieb die Anhörung, weil der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit war, sich auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einzulassen und nach seinen Kräften an der Aufklärung mitzuwirken, steht dies der Wirksamkeit der Verdachtskündigung nicht entgegen. Erklärt der Arbeitnehmer, er werde sich zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf nicht äußern, und nennt er für seine Weigerung keine relevanten Gründe, muss der Arbeitgeber ihn über die Verdachtsmomente nicht näher informieren ( BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 16; 28. November 2007 - 5 AZR 952/06  - Rn. 20). Eine solche Anhörung wäre überflüssig. Sie könnte zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Willensbildung des Arbeitgebers nichts beitragen ( BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - aaO; 30. April 1987 - 2 AZR 283/86 - zu B I 2 d aa der Gründe).

26

c) Ein Unterlassen der Anhörung kann auch dann unschädlich sein, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer - im Rahmen des Zumutbaren - Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, und dieser sich innerhalb der gesetzten - angemessenen - Frist gleichwohl nicht geäußert hat. Dies gilt einmal, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich schweigt, kann aber selbst bei unfreiwilligem Schweigen gelten. Ist etwa der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht nur an einem persönlichen Gespräch, sondern längerfristig auch an einer schriftlichen Stellungnahme auf ihm übermittelte Fragen verhindert, muss der Arbeitgeber nicht notwendig die Zeit abwarten, zu der sich der Arbeitnehmer wieder äußern kann. Zwar mag die Frist des § 626 Abs. 2 BGB noch nicht zu laufen beginnen, solange der Arbeitgeber entsprechend zuwartet(vgl. dazu LAG Köln 25. Januar 2001 - 6 Sa 1310/00 -; Hessisches LAG 8. Oktober 1979 - 11 Sa 544/79 -). Wartet der Arbeitgeber diesen Zeitpunkt aber nicht ab, führt das nicht automatisch dazu, dass ihm eine Verletzung seiner Aufklärungspflicht vorzuwerfen wäre.

27

aa) Wartet der Arbeitgeber, dem der Arbeitnehmer mitteilt, er könne sich wegen einer Erkrankung nicht, auch nicht schriftlich äußern, dessen Gesundung ab, um ihm eine Stellungnahme zu den Vorwürfen zu ermöglichen, liegen in der Regel hinreichende besondere Umstände vor, aufgrund derer der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB entsprechend lange hinausgeschoben wird. Dem Arbeitgeber, der die Möglichkeit einer weiteren Aufklärung durch den Arbeitnehmer trotz der Zeitverzögerung nicht ungenutzt lassen möchte, wird regelmäßig nicht der Vorwurf gemacht werden können, er betreibe keine hinreichend eilige Aufklärung, insbesondere dann nicht, wenn der Arbeitnehmer selbst um eine Fristverlängerung gebeten hat (ebenso Eylert/Friedrichs DB 2007, 2203, 2206; Mennemeyer/Dreymüller NZA 2005, 382). Dies dient nicht zuletzt dem Interesse des Arbeitnehmers an der Vermeidung einer vorschnell, ohne Rücksicht auf mögliche Entlastungen erklärten Kündigung (vgl. dazu BAG 26. September 2013 - 2 AZR 741/12 - Rn. 23, 34).

28

bb) Umgekehrt verletzt der Arbeitgeber in einem solchen Fall nicht notwendig seine Aufklärungspflicht aus § 626 Abs. 1 BGB, wenn er von einem weiteren Zuwarten absieht. Ihm kann - abhängig von den Umständen des Einzelfalls - eine weitere Verzögerung unzumutbar sein. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitgeber davon ausgehen darf, der Arbeitnehmer werde sich in absehbarer Zeit nicht äußern (können). Hat etwa der Arbeitnehmer mehrmals um eine Verlängerung der gesetzten Frist zur Stellungnahme gebeten und hat sich seine Prognose, wann er sich werde äußern können, wiederholt als unzutreffend erwiesen, wird dem Arbeitgeber ein weiteres Zuwarten nicht zuzumuten sein. Mehrfache ergebnislose Fristverlängerungen können überdies die Annahme rechtfertigen, der Arbeitnehmer wolle sich in Wirklichkeit ohnehin nicht äußern. Einige weitere Tage warten zu müssen, wird der Arbeitgeber dabei in der Regel eher hinzunehmen haben als eine Wartezeit von mehreren Wochen. Es kann wiederum auch das Ende eines längeren Zeitraums abzuwarten sein, wenn schon die bisherigen Aufklärungsmaßnahmen längere Zeit in Anspruch genommen haben und keine Ansprüche des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug drohen.

29

2. Danach ist das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, es habe an der erforderlichen Anhörung des Klägers gefehlt.

30

a) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Beklagte habe nicht annehmen dürfen, der Kläger wolle sich einer Anhörung entziehen. Der Kläger habe seine Mitwirkung bei der Anhörung angekündigt, seine Prozessbevollmächtigten hätten sie für Mitte Januar 2011 in Aussicht gestellt. Der Kläger sei psychisch erkrankt gewesen und habe sich in einer Reha-Maßnahme befunden. „Hierüber“ habe er die Beklagte unverzüglich in Kenntnis gesetzt.

31

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht alle relevanten Umstände in seine Prüfung mit einbezogen. Die bislang festgestellten Tatsachen tragen seine Begründung nicht.

32

aa) Das Landesarbeitsgericht hat nicht gewürdigt, dass der Kläger zunächst ohne einen Hinweis auf zeitliche Einschränkungen durch die Reha-Maßnahme um eine schriftliche Anhörung gebeten hatte. Erst anschließend stellten seine Prozessbevollmächtigten eine Äußerung für eine geraume Zeit später und zu einem recht vagen Zeitpunkt in Aussicht. Sie kündigten diese nicht für „Mitte Januar 2011“ an - wovon das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist - sondern kündigten an, sie würde „im Laufe des Januar 2011“ erfolgen. Die Prozessbevollmächtigten erläuterten überdies nicht, warum nicht schon während der noch laufenden Reha-Maßnahme eine Besprechung mit dem Kläger möglich wäre. Ob sich der Kläger dazu gesundheitlich nicht in der Lage sah, ob er möglicherweise überhaupt nicht äußerungsfähig war oder ob es nur Terminprobleme bzw. sonstige organisatorische Schwierigkeiten gab, die dem entgegenstünden, wird aus ihren Schreiben nicht ersichtlich.

33

bb) Dafür, dass die Beklagte aus der Art der Erkrankung des Klägers Rückschlüsse auf das Fehlen seiner Fähigkeit hätte ziehen können, sich - und sei es schriftlich - zu äußern, gibt es nach den bisherigen Feststellungen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Es ist unklar, ob das Landesarbeitsgericht angenommen hat, der Kläger habe die Beklagte nicht nur über seinen Aufenthalt in einer Reha-Klinik, sondern auch über die Art seiner Erkrankung informiert. In der E-Mail vom 12. Dezember 2010 hatte der Kläger lediglich mitgeteilt, er befinde sich bis zum 11. Januar 2011 in der Klinik, sei gesundheitlich nicht in der Lage, an der Anhörung in den Räumen der Beklagten teilzunehmen, und bitte um eine schriftliche Anhörung. In den Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten werden zur Art seiner Erkrankung keine Angaben gemacht.

34

c) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dem Kläger sei es wegen seiner Erkrankung und der Durchführung der Reha-Maßnahme nicht möglich gewesen, den Fragenkatalog innerhalb der gesetzten Frist angemessen zu beantworten, beruht ebenfalls nicht auf hinreichenden Tatsachenfeststellungen. Sie rechtfertigt deshalb nicht die Würdigung, die Beklagte habe, weil sie dem Kläger keine längere Frist zur Stellungnahme gewährt habe, ihre Aufklärungspflicht verletzt.

35

aa) Das Landesarbeitsgericht stellt darauf ab, der Kläger sei von den betrieblichen Informationsquellen abgeschnitten gewesen, die ihm möglicherweise Entlastungsmaterial hätten liefern können. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger darauf - insbesondere gegenüber der Beklagten - überhaupt berufen hätte. Abgesehen davon hätte er in seiner Antwort auf diesen Umstand hinweisen können.

36

bb) Soweit das Landesarbeitsgericht annimmt, die zeitliche Beanspruchung des Klägers durch Therapieeinheiten habe die ihm zur Verfügung stehende Zeit zur Stellungnahme erheblich eingeschränkt, fehlt es an Feststellungen zum konkreten zeitlichen Umfang dieser Einheiten. Ebenso wenig ist festgestellt, dass die Beklagte von dieser Beanspruchung Kenntnis gehabt hätte und sie bei ihrer Entscheidung, dem Kläger keine Nachfrist zu gewähren, hätte in Rechnung stellen müssen.

37

d) Unerheblich ist, ob die Beklagte das Gebot der zügigen Aufklärung aus § 626 Abs. 2 BGB verletzt hätte, wenn sie dem Kläger eine Nachfrist jedenfalls bis Mitte Januar 2011 gesetzt hätte. Selbst wenn dies zu verneinen wäre, folgt allein daraus - entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts - nicht, dass sie ihre Aufklärungspflicht nach § 626 Abs. 1 BGB verletzt hat, weil sie dem Kläger eine solche Frist nicht gewährte.

38

3. Das Landesarbeitsgericht wird - falls es darauf ankommt - die Frage, ob der Kläger vor Ausspruch der Verdachtskündigung im Rahmen des der Beklagten Zumutbaren Gelegenheit zur Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen hatte, unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen und aller relevanten Umstände des Streitfalls erneut zu prüfen haben.

        

    Kreft    

        

    Berger     

        

    Rachor    

        

        

        

    Perreng     

        

    Wolf    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

I. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 7. Oktober 2009 - 3 Sa 235/08 - wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Berufung gegen die Abweisung des Antrags auf Rücknahme und Entfernung der Abmahnungen vom 3. August 2006 und 23. Oktober 2007 im Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 6. März 2008 - 16 Ca 5432/07 - richtet.

II. Auf die weitergehende Revision des Klägers wird das genannte Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts teilweise aufgehoben.

III. Auf die Berufung des Klägers wird das genannte Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 29. November 2007 nicht aufgelöst worden ist.

IV. Im Übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.

V. Der Kläger hat 4/5, der Beklagte hat 1/5 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund außerordentlicher, zumindest aufgrund ordentlicher Kündigung geendet hat.

2

Der beklagte Landkreis ist nach Sächsischem Landesgesetz untere Brandschutz-, Rettungsdienst- und Katastrophenschutzbehörde. In seinem Auftrag werden die damit verbundenen Aufgaben teilweise von Kreisverbänden des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) wahrgenommen. Der beklagte Landkreis selbst hat die angemessene Ausstattung und Einsatzfähigkeit des damit betrauten Personals und der benötigten Sachmittel sicherzustellen. Dazu werden ua. die Einsatzfahrzeuge und deren Ausstattung einmal jährlich auf ihre Funktionstauglichkeit hin überprüft.

3

Behördenintern war mit diesen Überprüfungen - neben sonstigen Aufgaben - seit Oktober 2003 der Kläger betraut. Der Kläger wurde 1962 geboren. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Er war bei dem beklagten Landkreis und dessen Rechtsvorgänger seit dem 1. April 1995 beschäftigt, zuletzt als Sachbearbeiter im Ordnungsamt. Zum Zwecke der Überprüfungen hatte er die bereitgehaltenen Katastrophenschutzfahrzeuge persönlich zu inspizieren und die Vollständigkeit und Funktionstauglichkeit ihrer Ausstattung einschließlich der Funkausrüstung zu kontrollieren. Darüber hatte er Protokolle zu führen, die dem Regierungspräsidium als obere Aufsichtsbehörde vorzulegen waren. Über das Ergebnis der Inspektionen war neben dem Regierungspräsidium auch das Innenministerium zu informieren.

4

Der Kläger erfüllte seine Aufgabe nur unvollständig. Er hatte Überprüfungen ua. beim DRK G und DRK W durchzuführen. Im Jahr 2004 unterließ er die Kontrollen gänzlich. Im Jahr 2005 überprüfte er nur die Fahrzeuge des DRK G. Als das Regierungspräsidium im November 2007 die Ausbildung des Sanitätszugs beim DRK W kontrollierte, ergab sich, dass dort seit 2004 keine staatlichen Überprüfungen vor Ort mehr vorgenommen worden waren. Der Kreisverband hatte lediglich Eigenkontrollen durchgeführt, bei denen der Kläger nicht anwesend war. In den Jahren 2004 bis 2006 hatte er jeweils Kopien der Prüfprotokolle an den Kläger gesandt. An einem Prüftermin im September 2007 hatte der Kläger ebenfalls nicht teilgenommen. Er hatte dem DRK vorab teilweise schon ausgefüllte und abgestempelte Protokollvordrucke übersandt, in denen er die Ausstattung der Fahrzeuge als ausreichend und die Fahrzeuge selbst als einsatzfähig und in gutem Pflegezustand befindlich eingestuft und die er als „Prüfender“ bereits unterzeichnet hatte. Die Mitarbeiter des DRK hatten sie anschließend vervollständigt und an den Kläger zurückgesandt.

5

Von diesen Vorgängen erhielt der beklagte Landkreis aufgrund eines Schreibens des Regierungspräsidiums vom 16. November 2007 Kenntnis. Noch am selben Tag nahm er eigene Recherchen beim DRK G vor. Er erfuhr, dass auch dort im Januar 2007 eine Überprüfung stattgefunden hatte, bei der der Kläger nicht anwesend war. Dennoch waren die Prüfprotokolle von ihm als „Prüfendem“ unterschrieben worden. Für künftige Überprüfungen hatte der Kläger dem DRK G teilweise vorweg ausgefüllte und unterschriebene Blanko-Formulare bereits zukommen lassen.

6

Bei seiner Anhörung am 27. November 2007 räumte der Kläger die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein. Mit Schreiben vom selben Tage unterrichtete der Landkreis den Personalrat über seine Absicht, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich, hilfsweise ordentlich zu kündigen. Der Personalrat teilte tags darauf mit, er stimme einer ordentlichen Kündigung zu, die Absicht zur außerordentlichen Kündigung nehme er zur Kenntnis.

7

Mit vier separaten Schreiben vom 29. November 2007 kündigte der beklagte Landkreis das Arbeitsverhältnis der Parteien zweimal außerordentlich fristlos, zweimal ordentlich jeweils zum 30. Juni 2008.

8

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, Kündigungsgründe lägen nicht vor. Er hat vorgetragen, er sei - unstreitig - von Oktober 2004 bis Juli 2005 erkrankt gewesen. Das habe dazu geführt, dass er im gesamten Jahr 2005 nicht selbst habe Auto fahren dürfen. Zudem sei er durch schwere Erkrankungen seines Sohnes und seiner Schwiegermutter im Jahr 2006 und seiner Ehefrau im Jahr 2007 psychisch stark belastet gewesen. Vor einer Kündigung habe er abgemahnt werden müssen. Zwei Abmahnungen vom August 2006 und Oktober 2007 seien insoweit nicht einschlägig. Im Übrigen habe der beklagte Landkreis den Personalrat nicht hinreichend über entlastende Umstände unterrichtet.

9

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die zwei außerordentlichen Kündigungen vom 29. November 2007 noch durch die zwei ordentlichen Kündigungen von diesem Tag aufgelöst worden ist;

        

2.    

den Beklagten zu verurteilen, die Abmahnungen vom 3. August 2006 und 23. Oktober 2007 zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.

10

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, der Kläger habe grob gegen seine Arbeitspflichten verstoßen. Mit seinem Verhalten habe er die erforderliche Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit zerstört. Eine Beschäftigung an anderer Stelle komme nicht in Betracht. Bei allen Tätigkeiten, die der für den Kläger einschlägigen Entgeltgruppe 9 der Anlage 3 zum TVÜ-VKA entsprächen, habe der jeweilige Stelleninhaber in der Regel selbständige Entscheidungen zu treffen und Aufgaben von nicht geringer Bedeutung zu erfüllen. Daraus folge mit Blick auf den Kläger eine dauernde Wiederholungsgefahr.

11

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist teilweise begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde nicht durch eine außerordentliche Kündigung aufgelöst. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB liegen nicht vor. Die Revision ist unbegründet, soweit sich der Kläger auch gegen eine Auflösung durch fristgerechte Kündigung wehrt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat mit Ablauf der Kündigungsfrist am 30. Juni 2008 geendet. Die Revision ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Rücknahme und Entfernung der Abmahnung richtet.

13

I. Die Revision ist nicht wegen eines absoluten Revisionsgrundes iSv. § 547 ZPO - in vollem Umfang - begründet. Zwar hat das Landesarbeitsgericht über die Frage einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 Abs. 1, Abs. 2 ZPO ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter entschieden. Darin liegt ein Besetzungsfehler nach § 547 Nr. 1 ZPO. Eine Rechtsverletzung iSv. § 73 ArbGG, § 547 Halbs. 1 ZPO ist aber vom Revisionsgericht wegen § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO nur zu beachten, wenn die Revision (auch) auf sie gestützt wird. Die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts ist keine in der Rechtsmittelinstanz von Amts wegen zu prüfende Voraussetzung für die Fortsetzung des Prozesses (BAG 28. September 1961 - 2 AZR 32/60 - BAGE 11, 276; Müller-Glöge in Germelmann/Matthes/Prüt-ting/Müller-Glöge ArbGG 7. Aufl. § 74 Rn. 103). Erhebt der Revisionskläger die entsprechende Verfahrensrüge nicht, kommt es auf einen Verstoß gegen § 547 Nr. 1 ZPO nicht an. Dies gilt selbst dann, wenn gerade diese Rüge der Beschwerde, die gegen die Nichtzulassung der Revision geführt wurde, nach § 72 Abs. 2 Nr. 3, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ArbGG zum Erfolg verholfen hat. Der Beschwerdeführer muss seine Rüge im anschließenden Revisionsverfahren nicht aufrechterhalten.

14

Danach ist das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes iSv. § 547 Nr. 1 ZPO im Streitfall ohne Bedeutung. Der Kläger hat in der Revisionsbegründung ausdrücklich erklärt, er erhebe die im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Verfahrensrüge im Revisionsverfahren selber nicht.

15

II. Die Revision hat Erfolg, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch außerordentliche Kündigung beendet worden ist.

16

1. Der entsprechende Antrag des Klägers bedarf der Auslegung. Er ist auf die Feststellung gerichtet, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht „durch die zwei außerordentlichen Kündigungen vom 29. November 2007“ aufgelöst worden ist. Der Antrag nimmt mit dieser Formulierung darauf Bezug, dass der beklagte Landkreis mit zwei separaten, indes nach äußerem Erscheinungsbild und Wortlaut vollständig identischen Schreiben vom 29. November 2007 jeweils die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärt hat. Dem Verhalten des beklagten Landkreises liegt offenbar die Absicht zugrunde, mit unterschiedlichen Kündigungsgründen jeweils eine eigenständige Kündigungserklärung zu verbinden.

17

Aus der nach §§ 133, 157 BGB maßgeblichen Sicht des Klägers als des Empfängers der Erklärungen stellen die beiden Schreiben dagegen eine einheitliche identische Willenserklärung dar, die zweimal ausgesprochen wurde. Schon weil in den beiden Schreiben selbst die ihnen jeweils zugeordneten Kündigungsgründe nicht aufgeführt waren, konnte der Kläger sie angesichts ihrer völligen äußeren Übereinstimmung nicht als eigenständige Willenserklärungen verstehen - unbeschadet der Frage, ob nicht selbst bei Angabe von Kündigungsgründen materiell-rechtlich nur eine einzige, einheitliche Erklärung - gestützt auf die in beiden Schreiben aufgeführten Gründe - vorläge.

18

Entsprechend der materiell-rechtlichen Lage ist der Antrag des Klägers dahin zu verstehen, dass er sich gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die eine einheitliche außerordentliche Kündigung seitens des beklagten Landkreises vom 29. November 2007 richtet.

19

2. Der Antrag ist begründet. Die außerordentliche Kündigung vom 29. November 2007 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

20

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

21

Eine Kündigung aus wichtigem Grund kann insbesondere dann berechtigt sein, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Hauptleistungspflichten und/oder vertragliche Nebenpflichten erheblich verletzt hat. Liegt eine solche Pflichtverletzung vor, ist nach § 626 Abs. 1 BGB weiter zu prüfen, ob nicht eine ordentliche Kündigung genügt hätte, um künftige Vertragsstörungen seitens des Arbeitnehmers zu vermeiden(BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Dazu ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist abzuwägen. Es hat eine Bewertung des konkreten Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen.

22

Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen - der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn dem Arbeitgeber angesichts der Gesamtumstände sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam, wenn schon eine ordentliche Kündigung geeignet war, das Risiko künftiger Störungen zu vermeiden (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34 mwN, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt auch bei Vertragsstörungen im Vertrauensbereich.

23

b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, dem beklagten Landkreis sei es unzumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung fortzusetzen. Seine Entscheidung hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Zwar liegt eine erhebliche Vertragspflichtverletzung des Klägers und damit „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Dennoch erweist sich die außerordentliche Kündigung als unverhältnismäßig. Aufgrund der besonderen, vom Landesarbeitsgericht nicht hinreichend beachteten Umstände des Streitfalls war dem beklagten Landkreis die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls für die Dauer der Kündigungsfrist zuzumuten.

24

aa) Der Kläger hat gegen seine vertraglichen Pflichten erheblich verstoßen. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist es dabei nicht von Belang, ob das Verhalten des Klägers insgesamt als Verletzung von Hauptleistungspflichten anzusehen ist oder zwischen einem Verstoß gegen die Hauptleistungspflicht - dem Unterlassen der vorgeschriebenen Überprüfungen - und einem Verstoß gegen Nebenpflichten aus § 241 Abs. 2 BGB - dem zusätzlichen Vortäuschen ihrer Vornahme - unterschieden werden kann.

25

(1) Das Landesarbeitsgericht hat - für den Senat nach § 559 Abs. 1 ZPO bindend - festgestellt, dass der Kläger beim Kreisverband des DRK in W auch nach dem Ende seiner Arbeitsunfähigkeit im Sommer 2005 nicht nur keine eigenen Kontrollen mehr durchgeführt, sondern vorgedruckte Protokolle über eine angeblich im September 2007 von ihm vorgenommene Überprüfung als „Prüfender“ unterzeichnet hat, nachdem er die Formulare teilweise vorab schon ausgefüllt und mit dem Behördenstempel versehen hatte. Gleiches gilt für eine angebliche Kontrolle der Ausrüstung beim DRK G am 18. Januar 2007. Auch für danach anstehende Überprüfungen hatte der Kläger bereits unterzeichnete Blanko-Formulare übermittelt. Ähnlich war er, wie das Landesarbeitsgericht in den Entscheidungsgründen festgestellt hat, schon im Jahr 2006 verfahren.

26

(2) Ein solches Verhalten kommt „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht. Der Kläger hat durch das Unterlassen eigener Überprüfungen über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren, ohne dass er daran durch eigene Arbeitsunfähigkeit gehindert gewesen wäre, nicht nur einige seiner Hauptleistungspflichten nicht erfüllt. Er hat durch die Unterzeichnung der Protokolle überdies aktiv darüber getäuscht, seine Pflichten wahrgenommen zu haben. Beides zusammen genommen wiegt schwer. Der Kläger hat auf diese Weise sein tatsächliches Untätigbleiben gerade verschleiert. Er hat den Aufsichtsbehörden damit die Möglichkeit und Chance genommen, auf erkennbare Unregelmäßigkeiten zeitnah zu reagieren. Sein Verhalten stellt sich vor dem Hintergrund, vor welchem die behördlichen Kontrollen vorzunehmen sind - einem möglichen Brand- oder Katastrophenfall -, und angesichts der Zeitspanne, während derer er untätig geblieben war, als erheblicher Verstoß gegen seine vertraglichen Pflichten dar.

27

bb) Eine außerordentliche Kündigung ist bei Berücksichtigung aller Umstände des Streitfalls und nach Abwägung der gegenteiligen Interessen der Parteien gleichwohl nicht gerechtfertigt.

28

(1) Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Zwar kommt dem Berufungsgericht bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung nach der Rechtsprechung des Senats ein Beurteilungsspielraum zu(vgl. BAG 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Dennoch handelt es sich auch dabei nicht um Tatsachenfeststellung, sondern um Rechtsanwendung. Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist deshalb möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

(2) So liegt der Fall hier. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Es hat außer Betracht gelassen, dass der Kläger nicht ausschließlich mit der Überprüfung von Gerätschaften des Katastrophenschutzes und Rettungsdienstes betraut war. Seine Arbeitsaufgaben bestanden vielmehr nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat überwiegend in Sachbearbeitertätigkeiten am Dienstsitz selbst. Diese Aufgaben hat er ohne Einschränkungen erfüllt. War es dem beklagten Landkreis nach den gesamten Umständen zwar nicht zuzumuten, den Kläger jemals noch bei den fraglichen Kontrollen einzusetzen, so war der Kläger doch ohne diese Aufgabe nicht etwa beschäftigungslos. Die Überprüfungen waren zudem nur je einmal im Jahr vorzunehmen. Für die Dauer der bis zum 30. Juni 2008 laufenden Kündigungsfrist war weder mit weiteren Vertragsstörungen durch den Kläger noch mit organisatorischen Schwierigkeiten zu rechnen, die gerade dadurch entstünden, dass der Kläger auf seiner Stelle nicht umgehend ersetzt würde.

30

Angesichts dessen und angesichts des Umstands, dass der Kläger durch seine familiäre Situation in einer Weise psychisch belastet war, von der das Landesarbeitsgericht angenommen hat, sie sei „geeignet [gewesen], Schlecht- oder Fehlleistungen zu begünstigen“, war es dem beklagten Landkreis zumutbar, das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen.

31

III. Die Revision ist unbegründet, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis ebensowenig durch ordentliche Kündigung geendet hat.

32

1. Der Feststellungsantrag ist auch hinsichtlich der von ihm erfassten „zwei ordentlichen Kündigungen“ vom 29. November 2007 dahin zu verstehen, dass er sich - entsprechend der materiellen Rechtslage - gegen eine einzige einheitliche fristgemäße Kündigung von diesem Tage richtet. Die Ausführungen unter II 1 gelten im vorliegenden Zusammenhang gleichermaßen.

33

2. Der so verstandene Antrag ist unbegründet. Die ordentliche Kündigung vom 29. November 2007 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 30. Juni 2008 beendet.

34

a) Auf das Arbeitsverhältnis findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Sie ist durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12, EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, 37, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Im Vergleich mit einer fristgemäßen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere Versetzung und Abmahnung in Betracht.

35

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 36, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; Schlachter NZA 2005, 433, 436). Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37 mwN, aaO).

36

b) Danach ist die ordentliche Kündigung vom 29. November 2007 durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt.

37

aa) Der Kläger hat seine vertraglichen Pflichten - wie dargelegt - schuldhaft erheblich verletzt.

38

bb) Der Ausspruch der darauf gestützten fristgerechten Kündigung ist nicht unverhältnismäßig. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen war eine Hinnahme des Verhaltens des Klägers durch den beklagten Landkreis ausgeschlossen. Die mit einer Abmahnung oder Versetzung als mildere Mittel verbundene Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus ist dem beklagten Landkreis objektiv unzumutbar.

39

(1) Der Kläger hat über sein Untätigsein nicht nur einmal, sondern über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren mehrfach, dh. systematisch getäuscht. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass er seine Kontrolltätigkeit in absehbarer Zeit von sich aus wieder aufgenommen hätte.

40

(2) Der Kläger hat durch seine Falschangaben Aktivitäten vorgetäuscht, deren tatsächliche Vornahme gewährleisten soll, dass bei plötzlichen Brand- oder Katastrophenfällen und im „regulären“ Rettungsdienst effektive und technisch zuverlässige Mittel zur Bekämpfung bzw. für den Einsatz zur Verfügung stehen. Durch sein Verhalten hat er diese Gewähr leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Zwar ist anzunehmen, dass die zu kontrollierenden DRK-Kreisverbände auf die Einsatzfähigkeit ihrer Ausrüstung auch von sich aus geachtet haben. Gleichwohl konnten sich dabei „Großzügigkeiten“ einschleichen, denen eine staatliche Kontrolle gerade entgegenwirken soll.

41

(3) Der Kläger hat durch sein Verhalten gezeigt, dass er um offensichtlich privater, freilich von ihm nicht näher erläuterter Dispositionen willen bereit ist, erhebliche Risiken für das Allgemeinwohl in Kauf zu nehmen. Dass er den Weg der Täuschung und nicht - wenn er denn der Auffassung gewesen sein sollte, die vorgesehenen Überprüfungen seien sachlich nicht geboten - den der offenen Erklärung und ggf. Aussprache gewählt hat, ist durch schwierige private Umstände und psychische Belastungen weder zu erklären noch zu entschuldigen. Seine systematischen Verschleierungen, die auch den zu kontrollierenden Einrichtungen nicht verborgen geblieben sind, machen es dem beklagten Landkreis objektiv unzumutbar, das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Kündigungsfrist am bisherigen oder - nach Versetzung - auf einem anderen Arbeitsplatz fortzusetzen.

42

c) Die ordentliche Kündigung ist nicht gem. § 108 BPersVG, § 78 Abs. 3 SächsPersVG mangels ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats unwirksam.

43

aa) Nach § 78 Abs. 1 SächsPersVG hat der Personalrat bei ordentlichen Kündigungen mitzuwirken. Gem. § 76 Abs. 1 SächsPersVG ist dazu die beabsichtigte Maßnahme vor ihrer Durchführung mit dem Ziel einer Verständigung rechtzeitig und eingehend mit ihm zu erörtern.

44

Hier hat die Personalratsvorsitzende, nachdem das Mitwirkungsverfahren durch Übermittlung des Begründungsschreibens vom 27. November 2007 seitens des beklagten Landkreises eingeleitet worden war, mit Schreiben vom 28. November 2007 erklärt, der Personalrat stimme der ordentlichen Kündigung zum 30. Juni 2008 zu. Damit war das Mitwirkungsverfahren äußerlich ordnungsgemäß abgeschlossen.

45

bb) Es ist nicht deshalb fehlerhaft, weil der Personalrat vom beklagten Landkreis über die Kündigungsgründe unzutreffend unterrichtet und damit nicht korrekt iSv. § 78 Abs. 1, § 76 Abs. 1 SächsPersVG beteiligt worden wäre.

46

(1) Die im Rahmen der Mitwirkung erforderliche Unterrichtung des Personalrats über die Gründe für die beabsichtigte ordentliche Kündigung soll diesem die Möglichkeit eröffnen, sachgerecht zur Kündigungsabsicht Stellung zu nehmen. Dazu ist es nötig, dass der Dienstherr dem Personalrat die für ihn - den Dienstherrn - maßgeblichen Kündigungsgründe mitteilt. Der Personalrat ist ordnungsgemäß unterrichtet, wenn der Dienstherr ihm die aus seiner subjektiven Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat (zu § 102 BetrVG: BAG 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13 mwN, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 163 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 26). Darauf, ob diese Umstände auch objektiv geeignet und ausreichend sind, die Kündigung zu stützen, kommt es für die Korrektheit der Unterrichtung nicht an (zu § 102 BetrVG: BAG 11. Juli 1991 - 2 AZR 119/91 - zu II 2 a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 57 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 81). Fehlerhaft ist die Unterrichtung indessen, wenn der Dienstherr dem Personalrat bewusst unrichtige oder unvollständige Sachverhalte unterbreitet oder einen für dessen Entschließung wesentlichen, insbesondere einen den Arbeitnehmer entlastenden Umstand verschweigt. Enthält der Dienstherr dem Personalrat bewusst ihm bekannte und seinen Kündigungsentschluss bestimmende Tatsachen vor, die nicht nur eine Ergänzung oder Konkretisierung des mitgeteilten Sachverhalts darstellen, sondern diesem erst das Gewicht eines Kündigungsgrundes verleihen oder weitere eigenständige Kündigungsgründe enthalten, ist die Unterrichtung fehlerhaft und die Kündigung unwirksam (zu § 102 BetrVG: BAG 11. Juli 1991 - 2 AZR 119/91 - zu II 2 b der Gründe, aaO).

47

(2) Danach hat der beklagte Landkreis den Personalrat ordnungsgemäß unterrichtet.

48

(a) Der Einwand des Klägers, der Personalrat habe nicht erkennen können, welche einzelnen Gründe welche der beiden beabsichtigten Kündigungen hätten tragen sollen, ist unerheblich. Abgesehen von der dargelegten materiell-rechtlichen und prozessualen Lage war der Personalrat trotz dieser Unkenntnis nicht gehindert, zu den einzelnen Kündigungsgründen Stellung zu nehmen.

49

(b) Soweit der Kläger vorbringt, der beklagte Landkreis habe bei der Erwähnung der beiden Abmahnungen vom 3. August 2006 und 23. Oktober 2007 nicht auf seine - des Klägers - Gegendarstellungen hingewiesen, macht dieser Umstand die Unterrichtung nicht fehlerhaft. Eines Hinweises auf die Gegendarstellungen bedurfte es schon deshalb nicht, weil der beklagte Landkreis seinen Kündigungsentschluss nicht von der Erteilung der betreffenden Abmahnungen abhängig gemacht hatte. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen des Klägers hielt der beklagte Landkreis eine vorherige Abmahnung gerade für entbehrlich. Die erteilten Abmahnungen betrafen überdies gänzlich andere Sachverhalte. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der beklagte Landkreis habe ihnen ersichtlich kein entscheidendes Gewicht bei seiner Kündigungsabsicht beigemessen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Übrigen hat der Kläger zum Inhalt seiner Gegendarstellungen nicht näher vorgetragen. Es lässt sich deshalb nicht beurteilen, ob diese überhaupt substantiiertes und erhebliches Entlastungsvorbringen enthielten, welches dem Personalrat ggf. hätte mitgeteilt werden müssen.

50

(c) Soweit der beklagte Landkreis dem Personalrat bestimmte tatsächliche Umstände mitgeteilt hat, auf die er vor Gericht die ausgesprochene Kündigung gar nicht stützt, ist dies für die Korrektheit der Unterrichtung ohne Bedeutung. Der Dienstherr ist nicht verpflichtet, sämtliche Kündigungsgründe, die er dem Personalrat mitgeteilt hat, auch vor Gericht heranzuziehen. Problematisch ist nur der umgekehrte Fall.

51

(d) Anders als der Kläger gemeint hat, musste der beklagte Landkreis dem Personalrat nicht mitteilen, dass er - der Kläger - im Jahr 2004 Überprüfungen wegen eigener Arbeitsunfähigkeit nicht wahrnehmen konnte. Auf ein Untätigbleiben im Jahr 2004 hat der beklagte Landkreis die Kündigung nicht gestützt. Das zeigt die nur beiläufige Erwähnung dieses Jahres unter B IV des Unterrichtungsschreibens und der Umstand, dass dieses Jahr in der Zusammenfassung der Recherche-Ergebnisse unter D I des Schreibens nicht aufgeführt wird.

52

(e) Weitergehende Einwände gegen die Korrektheit der Unterrichtung des Personalrats hat der Kläger nicht erhoben.

53

IV. Die Revision ist unzulässig, soweit der Kläger den Antrag auf Rücknahme und Entfernung der Abmahnungen vom August 2006 und Oktober 2007 verfolgt. Der Kläger hat sich mit den Gründen des Berufungsurteils nicht hinreichend auseinandergesetzt.

54

1. Gem. § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO müssen zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision die Gründe angegeben werden, auf die sie gestützt wird. Will der Revisionskläger die Verletzung materiellen Rechts geltend machen, hat er nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt. Die Revisionsbegründung muss dazu den möglichen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts in einer Weise verdeutlichen, die Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennen lässt. Sie muss sich mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils auseinandersetzen und darlegen, worin sie den Rechtsfehler erblickt. Dadurch soll zum einen sichergestellt werden, dass der Revisionskläger das angefochtene Urteil auf das Rechtsmittel hin überprüft und die Rechtslage präzise durchdenkt. Zum anderen sollen Kritik und Diskussion des angefochtenen Urteils zu einer richtigen Rechtsfindung durch das Revisionsgericht beitragen (st. Rspr., vgl. zuletzt BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 346/10 - Rn. 10 mwN, NZA 2011, 878).

55

2. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung mit Blick auf die Entscheidung über den Leistungsantrag nicht gerecht. Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil ausgeführt, der Kläger habe wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Anspruch auf Rücknahme und Entfernung der ihm erteilten Abmahnungen. Dazu habe es der Darlegung von Umständen bedurft, aus denen erkennbar werde, dass ihm trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem beklagten Landkreis Nachteile aus einem Verbleib der Abmahnungen in der Personalakte entstehen könnten. Allein die Möglichkeit, dass er bei einer erneuten Bewerbung für den öffentlichen Dienst die Personalakte vorlegen müsse, reiche dazu nicht aus.

56

Die Revisionsbegründung des Klägers greift allein die sachliche Berechtigung der Abmahnungen an, die sie zu widerlegen unternimmt. Mit dem für das Landesarbeitsgericht entscheidenden Umstand, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet ist, setzt sie sich nicht auseinander.

57

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Koch    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Dr. Roeckl    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 19. März 2012 - 2 Sa 1105/11 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1958 geborene Kläger war seit September 1981 bei der beklagten Rundfunkanstalt beschäftigt, zuletzt als Techniker im IT-Service. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren Manteltarifvertrag war das Arbeitsverhältnis - es sei denn wegen Leistungsminderung - nur noch außerordentlich kündbar.

3

Im Juli und November 2010 wurden Räume der Beklagten durchsucht. Nach dem Vorbringen der Beklagten hatte es eine anonyme Anzeige gegeben, derzufolge mehrere ihrer Mitarbeiter, ua. der Kläger, bei Ausschreibungen über Telekommunikations- und Datennetzleistungen in Absprache mit einer beauftragten Firma die Leistungsverzeichnisse manipuliert hatten. Am 7. Dezember 2010 lag der Beklagten ein Bericht ihrer Innenrevision über die Leistungsabrufe der betreffenden Firma vor. Danach hat der Kläger von dieser ua. einen Barbetrag in Höhe von 200,00 Euro erhalten. Eine Schließanlage, die er von der Firma schon zuvor erhalten und bei sich eingebaut hatte, hatte der Kläger an die Beklagte zurückgegeben.

4

Mit Schreiben vom 8. Dezember 2010 lud die Beklagte den Kläger zu einer Anhörung für den 13. Dezember 2010 in ihre Geschäftsräume ein. Der Kläger war seit dem 26. Juli 2010 erkrankt. Er teilte mit E-Mail vom 12. Dezember 2010 mit, er könne den Termin wegen einer Rehabilitationsmaßnahme nicht wahrnehmen. Er bat darum, ihn schriftlich anzuhören und die Fragen seinem Prozessbevollmächtigten zu schicken. Die Beklagte sandte daraufhin am 14. Dezember 2010 sowohl an den Kläger als auch an dessen Prozessbevollmächtigten einen zehn Seiten langen Fragenkatalog, der sich auf 13 einzelne Fragenbereiche bezog. Sie setzte dem Kläger eine Frist zur Beantwortung bis zum 17. Dezember 2010, 12:00 Uhr.

5

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2010 - welches nach Angaben der Beklagten am 20. Dezember 2010 bei ihr einging -, teilten die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dieser befinde sich noch bis zum 11. Januar 2011 in der Rehabilitationsmaßnahme. Es sei deshalb „kaum möglich“, innerhalb der gesetzten Frist zu den Fragen Stellung zu nehmen. Es sei eine zeitaufwendige Besprechung mit dem Kläger erforderlich. Diese könne wegen der noch laufenden Rehabilitationsmaßnahme erst im Laufe des Monats Januar 2011 erfolgen. Eine Stellungnahme sei nach Ablauf der Maßnahme zu erwarten. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2010, welches bei der Beklagten tags darauf einging, nahmen die Prozessbevollmächtigten auf ihr Schreiben vom 15. Dezember 2010 Bezug und rügten, die Zusendung des Fragenkataloges habe zu einem gesundheitlichen Rückschlag des Klägers geführt. Tatsächlich litt der Kläger an einer psychischen Erkrankung. Ob dies der Beklagten bekannt war, ist nicht festgestellt.

6

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Personalrat zu einer beabsichtigten Verdachts- und Tatkündigung an. Der Personalrat widersprach mit Schreiben vom 22. Dezember 2010 mit der Begründung, der Kläger sei nicht ausreichend angehört worden.

7

Mit Schreiben vom 27. Dezember 2010 kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis fristlos.

8

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat gemeint, es fehle an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Außerdem habe die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Von dem Kündigungsschreiben habe er erst am 30. Dezember 2010 Kenntnis erlangt. Für eine auf den Verdacht einer Pflichtverletzung gestützte Kündigung fehle es an seiner ordnungsgemäßen Anhörung.

9

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 27. Dezember 2010 nicht aufgelöst worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wirksam. Der Kläger habe an Straftaten zu ihren Lasten mitgewirkt. Er habe bei der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen für den Rahmenvertrag mit der beauftragten Firma bewusst fehlerhafte Mengenangaben zugrunde gelegt. Dies habe dazu geführt, dass diese die Ausschreibung gewonnen habe. Dadurch sei ihr - der Beklagten - ein wirtschaftlicher Nachteil entstanden. Die beauftragte Firma sei in demjenigen Leistungsbereich besonders teuer gewesen, in welchem der Kläger eine zu geringe Auftragsanzahl prognostiziert habe. Zudem habe der Kläger zu Gunsten der Firma Aufmaße mit einem unzutreffend hohen Leistungsumfang bestätigt. Insgesamt sei ihr durch sein Verhalten ein Schaden von wenigstens 19.000,00 Euro entstanden. Sie habe alle zumutbaren Anstrengungen unternommen, um den Sachverhalt aufzuklären. Der Kläger habe den Fragenkatalog beantworten können. Er sei äußerungsfähig gewesen. Das Kündigungsschreiben sei noch am 27. Dezember 2010 um 15:15 Uhr in seinen Briefkasten eingeworfen worden.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung vom 27. Dezember 2010 nicht als unwirksam ansehen. Ob sie wirksam ist, steht noch nicht fest.

13

I. Die Kündigung wegen vom Kläger tatsächlich begangener Pflichtverletzungen ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte die zweiwöchige Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten hätte. Die Frist hat entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht spätestens am Tag nach dem 7. Dezember 2010 zu laufen begonnen.

14

1. Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Abs. 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen eine Kündigung sprechenden Umstände ( BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 27; 27. Januar 2011 -  2 AZR 825/09  - Rn. 15 , BAGE 137, 54). Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne( BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - aaO; 25. November 2010 - 2 AZR 171/09  - Rn. 15). Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen (BAG 31. März 1993 - 2 AZR 492/92 - zu II 1 der Gründe, BAGE 73, 42). Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15, aaO; 2. März 2006 -  2 AZR 46/05  - Rn. 24 , BAGE 117, 168 ). Bei Vorliegen besonderer Umstände darf sie auch überschritten werden (BAG 2. März 2006 -  2 AZR 46/05  - aaO). Unerheblich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder nicht ( BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - aaO; 25. November 2010 - 2 AZR 171/09  - aaO). Gibt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Stellungnahme, so gereicht ihm dies hinsichtlich des Beginns der zweiwöchigen Ausschlussfrist deshalb auch dann nicht zum Nachteil, wenn der Arbeitnehmer innerhalb angemessener Überlegungszeit keine Erklärung abgibt oder seine Stellungnahme rückblickend zur Feststellung des Sachverhalts nichts beiträgt (BAG 27. Januar 1972 - 2 AZR 157/71 - zu 3 der Gründe, BAGE 24, 99). Das bedeutet zugleich, dass der mit der beabsichtigten Anhörung verbundene Fristaufschub iSv. § 626 Abs. 2 BGB nicht nachträglich entfällt, wenn der Arbeitgeber das ergebnislose Verstreichen der Frist zur Stellungnahme für den Arbeitnehmer zum Anlass nimmt, nunmehr auf dessen Anhörung zu verzichten. Ein solcher nachträglicher Wegfall des ursprünglichen Aufschubs käme nur in Frage, wenn der betreffende Entschluss des Arbeitgebers auf Willkür beruhte. Davon kann die Rede nicht sein, wenn Anlass für den neuen Entschluss der Umstand ist, dass sich der Arbeitnehmer innerhalb einer ihm gesetzten, angemessenen Frist nicht geäußert hat.

15

2. Danach hat die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht deshalb nicht gewahrt, weil diese spätestens mit dem auf den 7. Dezember 2010 folgenden Tag zu laufen begonnen hätte.

16

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte sei spätestens am 7. Dezember 2010 in der Lage gewesen, sich ein Bild darüber zu machen, ob die im Revisionsbericht aufgeführten Sachverhalte Grundlage für die Überzeugung sein konnten, der Kläger habe die ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen begangen. Um darauf eine Kündigung zu stützen, habe es für sie keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung, insbesondere keiner Anhörung des Klägers bedurft. Sie sei schließlich auch ohne neue Erkenntnisse zu dem Schluss gekommen, der ihr bereits am 7. Dezember 2010 möglich gewesen sei. Die Frist für den Ausspruch einer auf tatsächlich begangene Pflichtverletzungen gestützten Kündigung habe damit am 21. Dezember 2010 geendet. Bis zu diesem Zeitpunkt sei die Kündigung dem Kläger - unstreitig - nicht zugegangen.

17

b) Diese Würdigung hält einer Überprüfung nicht stand. Zwar lag der Beklagten am 7. Dezember 2010 der Bericht ihrer Innenrevision vor. Sie durfte es aber nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich halten, dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu den darin enthaltenen Anschuldigungen zu geben. Es war nicht ausgeschlossen, dass sie dadurch von Umständen Kenntnis erlangen könnte, die den bisher ermittelten Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen ließen. Darauf, ob die Anhörung tatsächlich neue Erkenntnisse erbrachte, kommt es nicht an.

18

3. Ob die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt hat, steht noch nicht fest.

19

a) Allerdings hat die Beklagte, nachdem der Bericht der Innenrevision vorlag, den Kläger hinreichend zeitnah zu einer Anhörung eingeladen. Der vorgesehene Termin am 13. Dezember 2010 lag innerhalb einer Woche. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass er den Termin wegen seiner Rehabilitationsmaßnahme nicht wahrnehmen könne, widersprach es auch nicht der gebotenen Eile, ihm zur Beantwortung des Fragenkatalogs eine Frist bis zum 17. Dezember 2010 zu setzen. Der Kläger selbst hatte um schriftliche Anhörung gebeten. Dies ist ein Umstand, der für die Anhörung das Überschreiten der Regelfrist von einer Woche rechtfertigt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB begann demnach erst mit Ablauf der dem Kläger gesetzten Frist zur Stellungnahme, dh. am 18. Dezember 2010 zu laufen. Die Beklagte hätte die Kündigungserklärungsfrist selbst dann eingehalten, wenn die Kündigung dem Kläger erst am 30. Dezember 2010 zugegangen sein sollte.

20

b) Das Landesarbeitsgericht hat bisher aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob eine für die Beklagte kündigungsberechtigte Person schon vor dem 17. Dezember 2010 von Umständen Kenntnis erlangt hatte, die darauf schließen ließen, der Kläger werde sich bis zum Ablauf der ihm gesetzten Frist ohnehin nicht mehr äußern. In diesem Fall käme ein entsprechend früherer Fristbeginn in Betracht. Dann wiederum könnte es für die Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB darauf ankommen, wann genau die Kündigung dem Kläger im Rechtssinne zugegangen ist. Ebenso wenig hat das Landesarbeitsgericht bisher aufgeklärt, ob die Beklagte bis zur Vorlage des Berichts der Innenrevision am 7. Dezember 2010 die Aufklärungsmaßnahmen mit der gebotenen Eile vorgenommen hat.

21

c) Demgegenüber wurde der Fristbeginn nicht schon deshalb hinausgeschoben, weil der Kläger eine Stellungnahme erst nach dem Ende seiner Rehabilitationsmaßnahme in Aussicht gestellt hatte. Die Beklagte hatte die ihm bis zum 17. Dezember 2010 gesetzte Frist nicht verlängert. Darauf, ob andernfalls ein entsprechendes Zuwarten noch mit dem Gebot hinreichend zügiger Aufklärung vereinbar wäre, kommt es nicht an.

22

II. Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten, wird es zu prüfen haben, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Sofern es dies nicht wegen erwiesener Pflichtverletzung(en) des Klägers bejahen sollte, wird es prüfen müssen, ob ein solcher Grund zumindest wegen des Verdachts einer erheblichen Pflichtverletzung gegeben ist. Unter diesem Aspekt wäre die Kündigung auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht deshalb unwirksam, weil es an der erforderlichen Anhörung des Klägers fehlte.

23

1. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung. Bei ihr besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Dessen Anhörung ist deshalb ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. Unterbliebe sie, wäre die Kündigung nicht „ultima ratio“ (BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 31; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 32). Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung Gelegenheit geben, zu den Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen, um dessen Einlassungen bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können (BAG 30. April 1987 - 2 AZR 283/86 - zu B I 2 c der Gründe). Versäumt er dies, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam (BAG 30. April 1987 - 2 AZR 283/86 - zu B I 2 d der Gründe; 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zu C III 3 der Gründe, BAGE 49, 39).

24

a) Der Umfang der Anhörung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Einerseits muss sie nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden(BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 33; 13. März 2008 - 2 AZR 961/06  - Rn. 15 ). Andererseits reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt ( BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - aaO; 13. März 2008 - 2 AZR 961/06  - aaO).

25

b) Unterblieb die Anhörung, weil der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit war, sich auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einzulassen und nach seinen Kräften an der Aufklärung mitzuwirken, steht dies der Wirksamkeit der Verdachtskündigung nicht entgegen. Erklärt der Arbeitnehmer, er werde sich zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf nicht äußern, und nennt er für seine Weigerung keine relevanten Gründe, muss der Arbeitgeber ihn über die Verdachtsmomente nicht näher informieren ( BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 16; 28. November 2007 - 5 AZR 952/06  - Rn. 20). Eine solche Anhörung wäre überflüssig. Sie könnte zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Willensbildung des Arbeitgebers nichts beitragen ( BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - aaO; 30. April 1987 - 2 AZR 283/86 - zu B I 2 d aa der Gründe).

26

c) Ein Unterlassen der Anhörung kann auch dann unschädlich sein, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer - im Rahmen des Zumutbaren - Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, und dieser sich innerhalb der gesetzten - angemessenen - Frist gleichwohl nicht geäußert hat. Dies gilt einmal, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich schweigt, kann aber selbst bei unfreiwilligem Schweigen gelten. Ist etwa der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht nur an einem persönlichen Gespräch, sondern längerfristig auch an einer schriftlichen Stellungnahme auf ihm übermittelte Fragen verhindert, muss der Arbeitgeber nicht notwendig die Zeit abwarten, zu der sich der Arbeitnehmer wieder äußern kann. Zwar mag die Frist des § 626 Abs. 2 BGB noch nicht zu laufen beginnen, solange der Arbeitgeber entsprechend zuwartet(vgl. dazu LAG Köln 25. Januar 2001 - 6 Sa 1310/00 -; Hessisches LAG 8. Oktober 1979 - 11 Sa 544/79 -). Wartet der Arbeitgeber diesen Zeitpunkt aber nicht ab, führt das nicht automatisch dazu, dass ihm eine Verletzung seiner Aufklärungspflicht vorzuwerfen wäre.

27

aa) Wartet der Arbeitgeber, dem der Arbeitnehmer mitteilt, er könne sich wegen einer Erkrankung nicht, auch nicht schriftlich äußern, dessen Gesundung ab, um ihm eine Stellungnahme zu den Vorwürfen zu ermöglichen, liegen in der Regel hinreichende besondere Umstände vor, aufgrund derer der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB entsprechend lange hinausgeschoben wird. Dem Arbeitgeber, der die Möglichkeit einer weiteren Aufklärung durch den Arbeitnehmer trotz der Zeitverzögerung nicht ungenutzt lassen möchte, wird regelmäßig nicht der Vorwurf gemacht werden können, er betreibe keine hinreichend eilige Aufklärung, insbesondere dann nicht, wenn der Arbeitnehmer selbst um eine Fristverlängerung gebeten hat (ebenso Eylert/Friedrichs DB 2007, 2203, 2206; Mennemeyer/Dreymüller NZA 2005, 382). Dies dient nicht zuletzt dem Interesse des Arbeitnehmers an der Vermeidung einer vorschnell, ohne Rücksicht auf mögliche Entlastungen erklärten Kündigung (vgl. dazu BAG 26. September 2013 - 2 AZR 741/12 - Rn. 23, 34).

28

bb) Umgekehrt verletzt der Arbeitgeber in einem solchen Fall nicht notwendig seine Aufklärungspflicht aus § 626 Abs. 1 BGB, wenn er von einem weiteren Zuwarten absieht. Ihm kann - abhängig von den Umständen des Einzelfalls - eine weitere Verzögerung unzumutbar sein. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitgeber davon ausgehen darf, der Arbeitnehmer werde sich in absehbarer Zeit nicht äußern (können). Hat etwa der Arbeitnehmer mehrmals um eine Verlängerung der gesetzten Frist zur Stellungnahme gebeten und hat sich seine Prognose, wann er sich werde äußern können, wiederholt als unzutreffend erwiesen, wird dem Arbeitgeber ein weiteres Zuwarten nicht zuzumuten sein. Mehrfache ergebnislose Fristverlängerungen können überdies die Annahme rechtfertigen, der Arbeitnehmer wolle sich in Wirklichkeit ohnehin nicht äußern. Einige weitere Tage warten zu müssen, wird der Arbeitgeber dabei in der Regel eher hinzunehmen haben als eine Wartezeit von mehreren Wochen. Es kann wiederum auch das Ende eines längeren Zeitraums abzuwarten sein, wenn schon die bisherigen Aufklärungsmaßnahmen längere Zeit in Anspruch genommen haben und keine Ansprüche des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug drohen.

29

2. Danach ist das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, es habe an der erforderlichen Anhörung des Klägers gefehlt.

30

a) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Beklagte habe nicht annehmen dürfen, der Kläger wolle sich einer Anhörung entziehen. Der Kläger habe seine Mitwirkung bei der Anhörung angekündigt, seine Prozessbevollmächtigten hätten sie für Mitte Januar 2011 in Aussicht gestellt. Der Kläger sei psychisch erkrankt gewesen und habe sich in einer Reha-Maßnahme befunden. „Hierüber“ habe er die Beklagte unverzüglich in Kenntnis gesetzt.

31

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht alle relevanten Umstände in seine Prüfung mit einbezogen. Die bislang festgestellten Tatsachen tragen seine Begründung nicht.

32

aa) Das Landesarbeitsgericht hat nicht gewürdigt, dass der Kläger zunächst ohne einen Hinweis auf zeitliche Einschränkungen durch die Reha-Maßnahme um eine schriftliche Anhörung gebeten hatte. Erst anschließend stellten seine Prozessbevollmächtigten eine Äußerung für eine geraume Zeit später und zu einem recht vagen Zeitpunkt in Aussicht. Sie kündigten diese nicht für „Mitte Januar 2011“ an - wovon das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist - sondern kündigten an, sie würde „im Laufe des Januar 2011“ erfolgen. Die Prozessbevollmächtigten erläuterten überdies nicht, warum nicht schon während der noch laufenden Reha-Maßnahme eine Besprechung mit dem Kläger möglich wäre. Ob sich der Kläger dazu gesundheitlich nicht in der Lage sah, ob er möglicherweise überhaupt nicht äußerungsfähig war oder ob es nur Terminprobleme bzw. sonstige organisatorische Schwierigkeiten gab, die dem entgegenstünden, wird aus ihren Schreiben nicht ersichtlich.

33

bb) Dafür, dass die Beklagte aus der Art der Erkrankung des Klägers Rückschlüsse auf das Fehlen seiner Fähigkeit hätte ziehen können, sich - und sei es schriftlich - zu äußern, gibt es nach den bisherigen Feststellungen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Es ist unklar, ob das Landesarbeitsgericht angenommen hat, der Kläger habe die Beklagte nicht nur über seinen Aufenthalt in einer Reha-Klinik, sondern auch über die Art seiner Erkrankung informiert. In der E-Mail vom 12. Dezember 2010 hatte der Kläger lediglich mitgeteilt, er befinde sich bis zum 11. Januar 2011 in der Klinik, sei gesundheitlich nicht in der Lage, an der Anhörung in den Räumen der Beklagten teilzunehmen, und bitte um eine schriftliche Anhörung. In den Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten werden zur Art seiner Erkrankung keine Angaben gemacht.

34

c) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dem Kläger sei es wegen seiner Erkrankung und der Durchführung der Reha-Maßnahme nicht möglich gewesen, den Fragenkatalog innerhalb der gesetzten Frist angemessen zu beantworten, beruht ebenfalls nicht auf hinreichenden Tatsachenfeststellungen. Sie rechtfertigt deshalb nicht die Würdigung, die Beklagte habe, weil sie dem Kläger keine längere Frist zur Stellungnahme gewährt habe, ihre Aufklärungspflicht verletzt.

35

aa) Das Landesarbeitsgericht stellt darauf ab, der Kläger sei von den betrieblichen Informationsquellen abgeschnitten gewesen, die ihm möglicherweise Entlastungsmaterial hätten liefern können. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger darauf - insbesondere gegenüber der Beklagten - überhaupt berufen hätte. Abgesehen davon hätte er in seiner Antwort auf diesen Umstand hinweisen können.

36

bb) Soweit das Landesarbeitsgericht annimmt, die zeitliche Beanspruchung des Klägers durch Therapieeinheiten habe die ihm zur Verfügung stehende Zeit zur Stellungnahme erheblich eingeschränkt, fehlt es an Feststellungen zum konkreten zeitlichen Umfang dieser Einheiten. Ebenso wenig ist festgestellt, dass die Beklagte von dieser Beanspruchung Kenntnis gehabt hätte und sie bei ihrer Entscheidung, dem Kläger keine Nachfrist zu gewähren, hätte in Rechnung stellen müssen.

37

d) Unerheblich ist, ob die Beklagte das Gebot der zügigen Aufklärung aus § 626 Abs. 2 BGB verletzt hätte, wenn sie dem Kläger eine Nachfrist jedenfalls bis Mitte Januar 2011 gesetzt hätte. Selbst wenn dies zu verneinen wäre, folgt allein daraus - entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts - nicht, dass sie ihre Aufklärungspflicht nach § 626 Abs. 1 BGB verletzt hat, weil sie dem Kläger eine solche Frist nicht gewährte.

38

3. Das Landesarbeitsgericht wird - falls es darauf ankommt - die Frage, ob der Kläger vor Ausspruch der Verdachtskündigung im Rahmen des der Beklagten Zumutbaren Gelegenheit zur Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen hatte, unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen und aller relevanten Umstände des Streitfalls erneut zu prüfen haben.

        

    Kreft    

        

    Berger     

        

    Rachor    

        

        

        

    Perreng     

        

    Wolf    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. August 2009 - 19/3 Sa 575/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 6. März 2008 - 19 Ca 9432/06 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine fristlose Verdachtskündigung.

2

Der im Jahr 1961 geborene Kläger war bei der beklagten Stadt seit dem 1. September 1989 als Orchestermusiker (2. Hornist) gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt 4.580,79 Euro beschäftigt. Nach den anzuwendenden Bestimmungen des Tarifvertrags für Musiker in Kulturorchestern (TVK) sind Arbeitnehmer, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und mehr als 15 Jahre beschäftigt sind, ordentlich nicht mehr kündbar.

3

Ihren Eigenbetrieb der städtischen Bühnen leitete die Beklagte mit Wirkung zum 1. September 2004 auf die S GmbH (nachfolgend S GmbH) über. Der Kläger widersprach einem Übergang seines Arbeitsverhältnisses. In der Folge wies die Beklagte den Kläger - ebenso wie die übrigen Mitarbeiter, die einer Überleitung widersprochen hatten - aufgrund eines mit der S GmbH geschlossenen Personalgestellungsvertrags dieser zur Dienstausübung zu. Im Februar 2005 fand eine Betriebsratswahl für einen von der Beklagten und der S GmbH gemeinsam geführten Betrieb „Städtische Bühnen“ statt. In dem von der S GmbH eingeleiteten Wahlanfechtungsverfahren wurde der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl rechtskräftig abgewiesen. Mit - weiterem - Beschluss vom 19. Februar 2009 erklärte das Hessische Landesarbeitsgericht die Wahl für „ungültig“.

4

Der Kläger war mit einem Kollegen aus dem Orchester befreundet. Dieser hat zwei Töchter, geboren 1990 und 1994. Der Kläger berührte das ältere der Mädchen - damals fünf- bis sechsjährig - bei Besuchen im Haus des Freundes in den Jahren 1995 und 1996 unsittlich, das jüngere - damals acht bis neun Jahre alt - mehrmals bei Besuchen bei der inzwischen allein lebenden Mutter in den Jahren 2002 und 2003. Am 22. September 2004 erstattete die Mutter Anzeige. Gegen den Kläger wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren ua. wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eingeleitet. Gegenstand des Verfahrens war auch der Vorwurf, der Kläger habe im Jahr 1994 ein weiteres, damals elf Jahre altes Mädchen sexuell missbraucht.

5

Am 20. Oktober 2004 wurde die Beklagte durch den Vater der Mädchen über die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe informiert. In einem Gespräch der Beklagten mit den übrigen Hornbläsern am 22. November 2004 offenbarte einer der Musiker, dass sich der Kläger auch seinem Sohn unsittlich genähert habe und ein strafrechtliches Verfahren gegen Zahlung eines Bußgelds eingestellt worden sei. Er und andere Mitglieder der Stimmgruppe der Hornisten erklärten, mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten zu können.

6

Am 13. Dezember 2004 hörte die Beklagte den Kläger zu den Vorwürfen an. Dieser bestritt deren Berechtigung. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2004 sprach die Beklagte eine auf den Verdacht der Tatbegehungen gestützte fristlose Kündigung aus. Der dagegen erhobenen Klage gab das Hessische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 9. Oktober 2006 mit der Begründung - rechtskräftig - statt, dass die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt habe.

7

Nachdem die Beklagte im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 9. Oktober 2006 erfahren hatte, dass gegen den Kläger Anklage erhoben worden war, bemühte sie sich vergeblich um Akteneinsicht. In einem Telefonat mit dem zuständigen Richter am 30. November 2006 erfuhr sie, dass die Anklageerhebung auf dem ihr bekannten Inhalt der Ermittlungsakte beruhe. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2006 lud sie den Kläger erneut zu einem Anhörungsgespräch am 11. Dezember 2006. Der Kläger teilte ihr am 8. Dezember 2006 mit, dass er nicht erscheinen werde. Nach Anhörung des - trotz Wahlanfechtung weiterhin amtierenden - Betriebsrats sprach die Beklagte am 21. Dezember 2006 erneut eine außerordentliche, fristlose Verdachtskündigung aus. Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage.

8

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei mangels Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Frist sei spätestens am 3. Dezember 2004 abgelaufen. Die Kündigung sei eine unzulässige Wiederholungskündigung. Die von ihm begangenen Straftaten könnten als außerdienstliches Verhalten die Kündigung ohnehin nicht rechtfertigen. Der Kläger hat bestritten, dass es zu einem Vertrauensverlust bei seinen Kollegen gekommen sei und seine Anwesenheit die künstlerische Qualität des Orchesters beeinträchtige. Seine sexuellen Neigungen seien seit Anfang der 90-er Jahre im Orchester bekannt gewesen. Er befinde sich seit 1992 in therapeutischer Behandlung. Deswegen bestehe keine Wiederholungsgefahr. Seine Taten seien Folge einer psychischen Disposition. Die Kündigung sei deshalb nach den Grundsätzen der krankheitsbedingten Kündigung zu beurteilen und mangels negativer Prognose unwirksam. Außerdem habe statt des Betriebsrats der zuständige Personalrat angehört werden müssen.

9

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2006 nicht beendet worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, mit der Erhebung der Anklage sei ein wesentlicher Einschnitt im Strafverfahren verbunden gewesen. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei erneut in Gang gesetzt worden, als sie von der Anklageerhebung Kenntnis erhalten habe. Wegen des dringenden Verdachts der Begehung der fraglichen Straftaten sei die Kündigung auch materiell gerechtfertigt. Das Verhalten des Klägers weise einen hinreichenden dienstlichen Bezug auf. Das Vertrauensverhältnis zu den Mitgliedern des Orchesters, insbesondere zu den Hornbläsern, sei zerstört. Die Anwesenheit des Klägers beeinträchtige die künstlerische Qualität bei Proben und Vorstellungen. Die Neigungen des Klägers seien keineswegs allgemein im Orchester bekannt gewesen. Es bestehe ein unkalkulierbares Risiko, dass er wieder einschlägig auffällig werde. Im Hinblick darauf, dass sie in der Komparserie und im Rahmen von Praktika minderjährige Kinder beschäftige, sei ihr eine Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten. Die Beteiligung des Personalrats sei nicht erforderlich gewesen.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zur Abweisung der Klage. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt(I.). Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dies kann der Senat selbst entscheiden, da die maßgeblichen Tatsachen feststehen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor(II.). Die Kündigung ist nicht mangels Anhörung des Personalrats unwirksam (III.).

13

I. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Beklagte hat die gesetzliche Frist zur Erklärung der Kündigung gewahrt.

14

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

15

a) Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (Senat 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - Rn. 15 mwN, NZA-RR 2011, 177; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 319 mwN). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - aaO). Solange er die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - zu B I 3 der Gründe, aaO). Um den Lauf der Frist nicht länger als notwendig hinauszuschieben, muss eine Anhörung allerdings innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf im Allgemeinen, und ohne dass besondere Umstände vorlägen, nicht mehr als eine Woche betragen (Senat 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - Rn. 24, BAGE 117, 168).

16

b) Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Aus- oder Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 25, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; Bader/Bram/Dörner/Kriebel-Bader KSchG Stand Dezember 2010 § 626 BGB Rn. 77; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 321). Für den betreffenden Zeitpunkt bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn etwa der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen - neuen - ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch der Kündigung nehmen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 20, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9).

17

c) Der Arbeitgeber kann sich auch für die Überlegung, ob er eine Verdachtskündigung aussprechen soll, am Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens orientieren (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Dort gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Vertragspartner habe die Pflichtverletzung begangen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; vgl. HaKo-Gieseler 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 106; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Eine solche den Verdacht intensivierende Wirkung kann auch die Erhebung der öffentlichen Klage haben (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; AnwK-ArbR/Bröhl 2. Aufl. Bd. 1 § 626 BGB Rn. 102; HaKo-Gieseler aaO; SPV/Preis aaO). Zwar kann die Erhebung der öffentlichen Klage für sich genommen keinen dringenden Verdacht im kündigungsrechtlichen Sinne begründen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 27, aaO; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5). Sie bedeutet aber einen Einschnitt, der in der Lage ist, die anderweitig schon genährte Überzeugung des Arbeitgebers zu verstärken. Während die Einleitung des Ermittlungsverfahrens lediglich einen Anfangsverdacht erfordert, ist die Erhebung der öffentlichen Klage nach der Strafprozessordnung an das Bestehen eines „hinreichenden“ Verdachts gebunden. Der Verdacht erhält damit eine andere Qualität. Dies rechtfertigt es, die Erhebung der öffentlichen Klage als einen Umstand anzusehen, bei dessen Eintritt der Arbeitgeber einen sachlichen Grund hat, das Kündigungsverfahren einzuleiten (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; AnwK-ArbR/Bröhl aaO; HaKo-Gieseler aaO; SPV/Preis aaO).

18

d) Der Arbeitgeber hat nicht nur zwei Möglichkeiten, dem sich mit der Zeit entwickelnden Zuwachs an Erkenntnissen durch eine außerordentliche Kündigung zu begegnen. Es gibt nicht lediglich zwei objektiv genau bestimmbare Zeitpunkte, zu denen die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begönne: einen Zeitpunkt für den Ausspruch einer Verdachts-, einen weiteren für den Ausspruch einer Tatkündigung. Im Laufe des Aufklärungszeitraums kann es vielmehr mehrere Zeitpunkte geben, in denen der Verdacht „dringend“ genug ist, um eine Verdachtskündigung darauf zu stützen. Dabei steht dem Kündigungsberechtigten ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 22 ff., AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).

19

e) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt demnach erneut zu laufen, wenn der Arbeitgeber eine neue, den Verdacht der Tatbegehung verstärkende Tatsache zum Anlass für eine Kündigung nimmt. Eine den Verdacht verstärkende Tatsache kann die Anklageerhebung im Strafverfahren darstellen, selbst wenn sie nicht auf neuen Erkenntnissen beruht. Der Umstand, dass eine unbeteiligte Stelle mit weiterreichenden Ermittlungsmöglichkeiten, als sie dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, einen hinreichenden Tatverdacht bejaht, ist geeignet, den gegen den Arbeitnehmer gehegten Verdacht zu verstärken. Der Arbeitgeber kann ihn auch dann zum Anlass für den Ausspruch einer Verdachtskündigung nehmen, wenn er eine solche schon zuvor erklärt hatte. Da die neuerliche Kündigung auf einem neuen, nämlich um die Tatsache der Anklageerhebung ergänzten Sachverhalt beruht, handelt es sich nicht etwa um eine unzulässige Wiederholungskündigung. Ebenso wenig ist das Recht, eine weitere Verdachtskündigung auszusprechen, mit dem Ausspruch einer ersten Verdachtskündigung verbraucht. Der Arbeitgeber hat sich dadurch, dass er eine Verdachtskündigung bereits vor Anklageerhebung ausgesprochen hat, auch nicht dahin gebunden, vor Ausspruch einer weiteren Kündigung den Ausgang des Ermittlungs- oder Strafverfahrens abzuwarten. Für die Annahme eines solchen Verzichts auf ein - noch nicht absehbares späteres - Kündigungsrecht gibt es keine Grundlage. Zwar bezieht sich der Verdacht jeweils auf dieselbe Tat, der zur Kündigung führende Sachverhalt ist aber gerade nicht identisch. Die zweite Kündigung stützt sich auf eine erweiterte, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB neu in Gang setzende Tatsachengrundlage.

20

2. Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte mit Ausspruch der Kündigung am 21. Dezember 2006 die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Diese begann am 8. Dezember 2006 erneut zu laufen. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 erfolgte innerhalb von zwei Wochen.

21

a) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB begann erneut in dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem die Beklagte vollständige Kenntnis davon erhielt, dass gegen den Kläger Anklage wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eines Kollegen erhoben worden war und neue entlastende Gesichtspunkte nicht zu ermitteln waren. Der Verdacht bezieht sich zwar auf dieselbe Tat wie der, welcher der Kündigung vom 23. Dezember 2004 zugrunde lag. Der Sachverhalt ist aber deshalb nicht identisch, weil sich die Beklagte zusätzlich auf die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft beruft.

22

b) Vollständige positive Kenntnis von den den Verdacht verstärkenden Umständen hatte die Beklagte erst am 8. Dezember 2006. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte sie zwar bereits während der mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 2006 Kenntnis davon erhalten, dass gegen den Kläger Anklage erhoben worden war. Sie hatte aber erst aufgrund des Gesprächs mit dem zuständigen Richter am 30. November 2006 erfahren, dass die Anklage auf dem ihr bekannten Inhalt der Ermittlungsakte beruhte und damit ua. die Vorwürfe zum Gegenstand hatte, die den von ihr gehegten Verdacht gegen den Kläger betrafen. Ihre vorausgegangenen Bemühungen, Akteneinsicht zu erhalten, waren erfolglos geblieben. Die Beklagte durfte anschließend dem Kläger Gelegenheit geben, neue entlastende Umstände vorzubringen. Mit der Einladung zu einem Anhörungstermin am 11. Dezember 2006 ist sie diese Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts auch hinreichend zügig angegangen. Zwar war die dafür in der Regel zu veranschlagende Wochenfrist am 11. Dezember überschritten. Die Beklagte ging gleichwohl mit der gebotenen Eile vor. Der 30. November 2006 war ein Donnerstag. Das Einladungsschreiben vom 4. Dezember wurde am auf ihn folgenden zweiten Arbeitstag verfasst. Dies ist zumindest angesichts der Besonderheit, dass sie schon zuvor eine Verdachtskündigung ausgesprochen hatte und die Notwendigkeit einer weiteren Anhörung des Klägers damit nicht unmittelbar auf der Hand lag, nicht zu beanstanden. Dass die Beklagte den Termin erst auf eine weitere Woche später anberaumte, ist ihr ebenso wenig vorzuhalten. Sie berücksichtigte damit in angemessener Weise das Interesse des im Betrieb nicht mehr beschäftigten Klägers an einer Ankündigungszeit. Mit dem Erhalt von dessen Nachricht am 8. Dezember 2006, er werde den Anhörungstermin nicht wahrnehmen, stand sodann fest, dass sich neue entlastende Umstände durch eine Anhörung des Klägers nicht ergeben würden.

23

II. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

24

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt des sexuellen Missbrauchs von Kindern eines Kollegen ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet.

26

a) Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung der Kündigung zwar nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen. Obwohl der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund darstellt (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8), stehen beide Gründe aber nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, aaO ). Ergibt sich nach tatrichterlicher Würdigung das tatsächliche Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen; es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - mwN, aaO). Nichts anderes gilt für das Revisionsgericht, wenn das Berufungsgericht zwar nicht selbst geprüft hat, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben ist, aber gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindend festgestellt hat, dass die Pflichtwidrigkeit tatsächlich begangen wurde.

27

b) Dies ist hier der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Kläger sowohl während mehrerer Besuche im Haus der Familie seines Kollegen in den Jahren 1995/1996 die ältere von dessen Töchtern, damals fünf- bis sechsjährig, unsittlich berührte als auch mehrmals in den Jahren 2002 und 2003 die jüngere Tochter, damals acht bis neun Jahre alt, anlässlich von Besuchen im Haus der inzwischen allein lebenden Ehefrau. Das Landesarbeitsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass ein weiterer Kollege der Beklagten während eines Gesprächs am 22. November 2004 mitgeteilt hatte, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Vorwurfs, dieser habe sich dem Sohn des Kollegen unsittlich genähert, sei eingestellt worden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erklärten der betreffende Kollege und andere Mitglieder der Hornisten-Gruppe, mit dem Kläger wegen dieser Vorwürfe nicht mehr zusammenarbeiten zu können.

28

c) Der Umstand, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer gerichtlichen Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat nicht entgegen. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner Entscheidung, ob der ungültig gewählte, aber während des Wahlanfechtungsverfahrens weiter amtierende Betriebsrat überhaupt nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen war. Ausreichend ist jedenfalls, wenn dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung Genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Danach ist der Betriebsrat hier ausreichend unterrichtet worden. Die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen sind auch Gegenstand des Anhörungsschreibens vom 15. Dezember 2006.

29

d) Eine schwere und schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Das gilt auch für die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten (Senat 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30, EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Arbeitnehmervertreter Nr. 1; 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8).

30

e) Der Kläger hat seine Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, auf die berechtigten Interessen der Beklagten Rücksicht zu nehmen, durch den sexuellen Missbrauch von Kindern eines Kollegen in erheblichem Maße verletzt. Darauf, ob sich aus § 5 Abs. 1 TVK aF noch weiter gehende Pflichten zur Rücksichtnahme ergaben, kommt es nicht an.

31

aa) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19, NZA 2011, 112; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77). Der Arbeitnehmer ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - aaO). Die Pflicht zur Rücksichtnahme kann deshalb auch durch außerdienstliches Verhalten verletzt werden (vgl. ErfK/Müller-Glöge 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 83). Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO). Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 22, aaO; 27. November 2008 -  2 AZR 98/07  - Rn. 21, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4). Fehlt ein solcher Zusammenhang, scheidet eine Pflichtverletzung regelmäßig aus (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO; SPV/Preis Rn. 642).

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bb) Die von dem Kläger außerdienstlich begangenen Straftaten haben einen solchen Bezug zum Arbeitsverhältnis.

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(1) Dieser Bezug besteht zunächst darin, dass Opfer der Straftaten des Klägers die Kinder eines Kollegen waren.

34

(2) Die von dem Kläger an den Kollegenkindern begangenen Sexualstraftaten hatten zudem negative Auswirkungen auf das betriebliche Miteinander. So haben mehrere Mitglieder der Stimmgruppe des Klägers in dem Gespräch am 22. November 2004 gegenüber der Beklagten erklärt, mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten zu können. Der Einwand des Klägers, in dem Orchester herrsche ohnehin keine Atmosphäre des Vertrauens, sondern eine Atmosphäre der Angst, ist unbeachtlich. Er ändert nichts daran, dass im vorliegenden Zusammenhang allein der Kläger für die Störung des Betriebsfriedens verantwortlich ist.

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cc) Die Straftaten des Klägers haben das kollegiale Miteinander und damit das Arbeitsverhältnis schwer belastet. Der Kläger hat das Vertrauen seines Kollegen und von dessen Familie wiederholt massiv missbraucht. Aus eben diesem Grund haben mehrere Kollegen aus seiner Stimmgruppe ausgeschlossen, mit ihm weiter zusammenarbeiten zu können.

36

Der Kläger hat vorsätzlich gehandelt. Soweit er seine sexuellen Neigungen im Laufe des Rechtsstreits auf krankhafte Störungen zurückgeführt hat, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Der Kläger hat nicht behauptet, dass es ihm unmöglich gewesen sei, sein Verhalten zu steuern. Die Grundsätze einer personenbedingten Kündigung finden keine Anwendung.

37

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gerechtfertigt. Der Beklagten war es unzumutbar, den Kläger auch nur bis zum Ablauf einer - fiktiven - Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.

38

a) Obwohl das Landesarbeitsgericht - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - eine Interessenabwägung nicht vorgenommen hat, ist eine eigene Abwägung durch den Senat möglich. Der dem Berufungsgericht in der Rechtsprechung des Senats zugestandene Beurteilungsspielraum (vgl. Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5) schränkt lediglich die revisionsrechtliche Überprüfung der Interessenabwägung ein. Hat das Berufungsgericht eine Interessenabwägung vorgenommen, ist - wenn sämtliche relevanten Tatsachen feststehen - eine eigene Interessenabwägung des Revisionsgerichts nur dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist (vgl. Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 35 f., AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Fehlt es indessen an einer Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts, ist es - wenn alle relevanten Tatsachen festgestellt sind - nicht erforderlich, dem Landesarbeitsgericht Gelegenheit zu geben, zunächst eine eigene Abwägung vorzunehmen. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist zwar in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, aaO).

39

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 f. mwN).

40

c) Danach ist die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2006 gerechtfertigt.

41

aa) Der Kläger hat wiederholt die Kinder eines Kollegen sexuell missbraucht und dadurch bewirkt, dass sich mehrere Mitglieder seiner Stimmgruppe weigerten, mit ihm weiter zusammenzuarbeiten. Ohne erhebliche Auswirkungen auf den Betriebsfrieden war eine Mitwirkung des Klägers in seiner Stimmgruppe damit nicht mehr vorstellbar. Zwar war der betreffende Kollege zum Zeitpunkt der Kündigung bereits aus dem Orchester ausgeschieden. Der zweite betroffene Kollege und weitere Mitglieder, die an dem Gespräch am 22. November 2004 teilgenommen hatten, waren aber auch im Dezember 2006 noch beschäftigt. Unerheblich ist, ob die sexuellen Neigungen des Klägers schon länger im Orchester bekannt waren. Der Kläger hat nicht behauptet, es sei auch bekannt gewesen, dass er tatsächlich Straftaten an Kollegenkindern beging.

42

bb) Für die Beklagte war es nicht zumutbar, den Kläger unter Inkaufnahme einer fortbestehenden Störung des Betriebsfriedens weiterzubeschäftigen. Anders als in einer Drucksituation, der kein Verhalten des Arbeitnehmers und kein personenbedingter Grund zugrunde liegt, war die Beklagte nicht gehalten, sich etwa schützend vor den Kläger zu stellen und zu versuchen, die Kollegen von ihrer Weigerung, weiter mit dem Kläger zusammenzuarbeiten, abzubringen (vgl. dazu Senat 19. Juni 1986 - 2 AZR 563/85 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 33 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 39). Der Kläger hatte durch sein Verhalten die Betriebsstörung vielmehr selbst herbeigeführt. Er hat das ihm von einem Kollegen und dessen Familie entgegengebrachte Vertrauen in schwerwiegender Weise mehrfach missbraucht. Dass auch anderen Kollegen angesichts dessen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr möglich erschien, ist objektiv nachvollziehbar. Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein die Integrität der Opfer in schwerwiegender Weise verletzendes Delikt. Geschützt ist die Entwicklung der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung (Fischer StGB 58. Aufl. § 176 Rn. 2 mwN). Äußere, fremdbestimmte Eingriffe in die kindliche Sexualität sind in besonderer Weise geeignet, diese Entwicklung zu stören. Die Tat birgt die Gefahr von nachhaltigen Schädigungen des Kindes (Fischer Rn. 36 mwN, aaO). Sie ist nach § 176 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht.

43

cc) Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht. Angesichts der Schwere seiner Pflichtverletzungen war deren - auch nur erstmalige - Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen (vgl. zu diesem Maßstab Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

44

dd) Nicht entscheidend ist, ob zu erwarten stand, der Kläger werde weiterhin sexuelle Straftaten an (Kollegen-)Kindern begehen. Die von dem Kläger vorgetragenen Therapiebemühungen und der Umstand, dass er strafrechtlich nur zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde, rechtfertigen deshalb ebenso wenig eine andere Bewertung wie Gesichtspunkte der Resozialisierung. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Beklagte angesichts der Erklärungen von Mitgliedern der Stimmgruppe des Klägers davon ausgehen musste, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen diesem und seinen Kollegen nicht mehr zu erwarten war. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, nicht alle Orchestermusiker hätten sich geweigert, mit ihm zusammenzuarbeiten, kann die Richtigkeit dieser Behauptung dahinstehen. Der Kläger bestreitet nicht, dass mehrere Mitglieder seiner Stimmgruppe nicht mehr zu einer Zusammenarbeit bereit waren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die musikalische Qualität von Proben oder Vorstellungen bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers tatsächlich gelitten hätte. Der Beklagten war es angesichts der Taten des Klägers schon nicht zumutbar, von seinen Kollegen eine weitere Zusammenarbeit überhaupt zu fordern. Darauf, ob der Kläger im Dienst Kontakt zu Kindern hatte, kommt es ebenfalls nicht an.

45

ee) An dem Ergebnis der Interessenabwägung ändert sich auch dann nichts, wenn die Behauptung des Klägers zutrifft, erst eine als Krankheit anzusehende Ausprägung seiner sexuellen Neigungen habe ihn straffällig werden lassen. Der Beklagten ist es auch unter dieser Voraussetzung nicht zuzumuten, von den Kollegen des Klägers die weitere Zusammenarbeit zu verlangen. Die durch das Verhalten des Klägers verursachte Störung des Betriebsfriedens wird dadurch nicht geringer.

46

ff) Disziplinarrechtliche Maßstäbe zur Beurteilung von Dienstvergehen eines Beamten sind für den Streitfall ohne Bedeutung. Die Sachverhalte, die den vom Kläger herangezogenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zugrunde liegen, sind zudem schon deshalb nicht vergleichbar, weil es dabei nicht um den Missbrauch von Kollegenkindern ging. Der Kläger will überdies aus dem Umstand, dass die Beklagte Opernaufführungen mit sexuellen Bezügen inszeniert, eine Bereitschaft zur Toleranz von Kindesmissbrauch ableiten. Dies ist abwegig. Soweit er darüber hinaus meint, seine Taten hätten einen Bezug zu seiner Tätigkeit als bildender Künstler, bleibt unklar, welchen Schluss er daraus ableitet. Er kann schwerlich gemeint haben, die Kunstfreiheit rechtfertige Kindesmissbrauch.

47

gg) Beschäftigungsdauer und Lebensalter des Klägers rechtfertigen kein anderes Ergebnis. An der Schwere der Pflichtverletzungen und Störung des Betriebsfriedens ändern sie nichts.

48

hh) Der Umstand, dass der Kläger ordentlich unkündbar war, hat auf die Interessenabwägung keinen gesonderten Einfluss. Ist es dem Arbeitgeber - wie hier - nicht zumutbar, den tariflich unkündbaren Arbeitnehmer bis zum Ablauf der „fiktiven“ Frist einer ordentlichen Beendigungskündigung weiterzubeschäftigen, ist eine außerordentliche fristlose Kündigung auch des tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers gerechtfertigt (Senat 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 5 b der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; 15. November 2001 -  2 AZR 605/00  - BAGE 99, 331).

49

III. Die Kündigung ist nicht mangels Beteiligung eines für den Kläger zuständigen Personalrats nach § 78 Abs. 2 des Hessischen Personalvertretungsgesetzes vom 24. März 1988 (HPVG) unwirksam.

50

1. Bei einer außerordentlichen Kündigung sieht § 78 Abs. 2 HPVG eine Anhörung des Personalrats vor. Soweit der Kläger das Unterbleiben einer Beteiligung nach § 77 HPVG gerügt hat, handelt es sich offensichtlich um eine Falschbezeichnung. § 77 Nr. 2 Buchst. i HPVG betrifft die Mitbestimmung bei ordentlichen Kündigungen (außerhalb der Probezeit). Eine Anhörung war im Streitfall nicht etwa nach § 104 Abs. 3 Satz 1 HPVG entbehrlich. Nach dieser Bestimmung entfallen zwar die Mitbestimmung und Mitwirkung des Personalrats in Personalangelegenheiten der in § 104 Abs. 1 HPVG genannten Orchestermitglieder. Das Beteiligungsrecht bei außerordentlichen Kündigungen wird aber als bloßes Anhörungsrecht von dem Ausschluss nicht erfasst (Burkholz HPVG 2. Aufl. § 104 zu 3.2; ders. in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 104 HPVG Rn. 17).

51

2. Indessen sind aus dem Parteivorbringen keine Umstände dafür ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Kündigung vom 21. Dezember 2006 ein Personalrat im Amt gewesen wäre, der nach § 78 Abs. 2 HPVG hätte angehört werden müssen.

52

a) Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe, da in Wirklichkeit kein gemeinsamer Betrieb bestanden habe, nicht den für diesen gewählten Betriebsrat, sondern „den zuständigen Personalrat“ beteiligen müssen. Nach ihrem Vorbringen im Rechtsstreit über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 23. Dezember 2004 hatte die Beklagte vor Ausspruch dieser Kündigung den Personalrat des „Restamts Städtische Bühnen“ angehört. Dabei handelte es sich um denjenigen Personalrat, der für die von der Beklagten zuvor als Eigenbetrieb geführten Städtischen Bühnen gewählt war. Im Konsens aller Beteiligten sollte dieser ein „Übergangsmandat“ für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter bis zur Wahl eines eigenen Betriebsrats wahrnehmen (vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 - zu I der Gründe).

53

b) Die Amtszeit dieses Personalrats hatte mit Ablauf des 31. August 2004 geendet. Auf die Frage, ob nicht bis zur Rechtskraft der die Betriebsratswahl vom Februar 2005 für ungültig erklärenden gerichtlichen Entscheidung ohnehin nur der für den - vermeintlichen - Gemeinschaftsbetrieb gebildete Betriebsrat zu beteiligen gewesen wäre, kommt es deshalb nicht an.

54

aa) Das Amt des für den Eigenbetrieb gewählten Personalrats endete mit Ablauf des 31. August 2004. Der Eigenbetrieb als Dienststelle der Beklagten wurde durch die Überleitung des Betriebs auf die S GmbH mit Wirkung zum 1. September 2004 iSv. § 81 Abs. 2 HPVG aufgelöst. Im Falle einer Privatisierung endet das Amt des Personalrats (Fitting 25. Aufl. § 130 Rn. 10, 15). Die Änderung der Rechtsform des Trägers der Betriebsorganisation hat den Verlust der bisherigen personalvertretungsrechtlichen Repräsentation zur Folge (Fitting aaO Rn. 15). Die Überführung in eine privatrechtliche Trägerschaft stellt eine Auflösung der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinne dar (Burkholz HPVG 2. Aufl. § 1 zu 4 aE; Hohmann in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 81 HPVG Rn. 276 mwN; v.Roetteken in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 1 HPVG Rn. 158). Hieran ändert im Streitfall nichts, dass zusammen mit dem Kläger eine Vielzahl weiterer Arbeitnehmer der Überleitung ihrer Arbeitsverhältnisse auf die S GmbH widersprochen hatten. Damit blieben sie zwar Arbeitnehmer der Beklagten. Auch mag diese sie in einer Organisationseinheit „Restamt Städtische Bühnen“ zusammengefasst haben. Darin lag aber keine Aufrechterhaltung der Dienststelle des Eigenbetriebs „Städtische Bühnen“. Dieser war auf die S GmbH übergeleitet und damit aufgelöst worden. Dies ergibt sich auch aus einer Organisationsverfügung der Oberbürgermeisterin der Beklagten vom 28. September 2004. Ihr zufolge wurden die bisherigen Organisationseinheiten der Städtischen Bühnen mit Wirkung vom 1. September 2004 aufgelöst und gleichzeitig eine neue Organisationseinheit „Restamt Städtische Bühnen“ eingerichtet (vgl. die Entscheidung des BAG im Verfahren über die Anfechtung der Wahl des Betriebsrats im vermeintlichen Gemeinschaftsbetrieb vom 16. April 2008 - 7 ABR 4/07 - zu A der Gründe, AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 32 = EzA BetrVG 2001 § 1 Nr. 7). Der Kläger behauptet nicht, dass für diese Organisationseinheit bis zum Ausspruch der Kündigung ein neuer Personalrat gewählt worden sei.

55

bb) Der Personalrat der bisherigen Dienststelle „Städtische Bühnen“ blieb nicht deshalb über die Privatisierung zum 1. September 2004 hinaus im Amt, weil im Personalgestellungsvertrag zwischen der Beklagten und der S GmbH vom 1. April 2004 geregelt war, dass der Personalrat gemäß § 103 HPVG die zuständige Interessenvertretung für die gestellten Arbeitnehmer sei(vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 - zu I der Gründe). § 103 HPVG bestimmt, dass öffentliche Theater und selbständige Orchester Dienststellen im Sinne des HPVG sind. Diese gesetzliche Fiktion dient vor allem der Klarstellung (Burkholz in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 103 HPVG Rn. 7). Zu den Folgen der Auflösung einer Dienststelle durch ihre Privatisierung verhält sich § 103 HPVG nicht. Durch vertragliche Vereinbarung wiederum kann der gesetzliche Anwendungsbereich des Personalvertretungsrechts nicht wirksam verändert werden.

56

cc) Ein gesetzlich vorgesehenes Übergangsmandat des Personalrats, wie es zB für die Umwandlung eines Universitätsklinikums in § 98 Abs. 6 HPVG geregelt ist, bestand im Streitfall nicht. Wenn der Personalrat zur Schließung dieser möglichen Schutzlücke (vgl. dazu Fitting 25. Aufl. § 130 Rn. 15) ein Übergangsmandat für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter wahrnahm (vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 -), dauerte dieses allenfalls bis zur Wahl des Betriebsrats, längstens sechs Monate (vgl. Fitting aaO Rn. 17). Zudem gilt ein Personalrat, der in Privatisierungsfällen ein Übergangsmandat wahrnimmt, als Betriebsrat und hat Rechte und Pflichten aus dem Betriebsverfassungs-, nicht dem Personalvertretungsgesetz (vgl. Fitting aaO Rn. 18 f.).

57

3. Für die Anhörung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers war nicht ein bei der Beklagten errichteter Gesamtpersonalrat zuständig. Bei individuellen Maßnahmen ist der Gesamtpersonalrat, unabhängig von der Entscheidungsbefugnis des Dienststellenleiters, gem. § 83 Abs. 4 iVm. Abs. 1 und Abs. 2 HPVG unzuständig (Hohmann in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 83 HPVG Rn. 96). Bei der Anhörung zu einer außerordentlichen Kündigung nach § 78 Abs. 2 HPVG gibt es zudem kein Stufenverfahren, so dass eine Beteiligung des Gesamtpersonalrats nach § 52 Abs. 2 HPVG ebenfalls nicht in Betracht kommt.

58

IV. Als unterlegene Partei hat der Kläger gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Beckerle    

        

    B. Schipp    

                 

(1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.

(2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen

1.
zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats,
2.
fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
3.
acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
4.
zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats,
5.
zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats,
6.
15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats,
7.
20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats.

(3) Während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten, kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.

(4) Von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Regelungen können durch Tarifvertrag vereinbart werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags gelten die abweichenden tarifvertraglichen Bestimmungen zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn ihre Anwendung zwischen ihnen vereinbart ist.

(5) Einzelvertraglich kann eine kürzere als die in Absatz 1 genannte Kündigungsfrist nur vereinbart werden,

1.
wenn ein Arbeitnehmer zur vorübergehenden Aushilfe eingestellt ist; dies gilt nicht, wenn das Arbeitsverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird;
2.
wenn der Arbeitgeber in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt und die Kündigungsfrist vier Wochen nicht unterschreitet.
Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen. Die einzelvertragliche Vereinbarung längerer als der in den Absätzen 1 bis 3 genannten Kündigungsfristen bleibt hiervon unberührt.

(6) Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.