Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 10. Okt. 2017 - 6 Sa 43/17

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2017:1010.6Sa43.17.00
bei uns veröffentlicht am10.10.2017

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 16. Dezember 2017 - 8 Ca 1226/16 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung und um einen Auflösungsantrag der Beklagten.

2

Die Beklagte ist zuständig für das Management und den Betrieb von Lieferkette, Logistik, Gestaltung und Optimierung von Geschäftsprozessen entlang der Wertschöpfungskette, sowie die Beratung, Entwicklung und den Betrieb von IT-Systemen für die B-Gruppe und beschäftigt weit mehr als zehn Arbeitnehmer mit Ausnahme der Auszubildenden.

3

Die 1972 geborene, ledige Klägerin wurde von der Beklagten kraft schriftlichen Arbeitsvertrages vom 12. Juli 2002 (Bl. 39 ff. d. A.) zum 01. August 2002 als Betriebswirtin eingestellt. Zuletzt ist die Klägerin, auf deren Beschäftigungsverhältnis kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die Tarifverträge für die Chemische Industrie Anwendung finden, als Junior Project Managerin zu einem Bruttomonatsgehalt von 5.766,00 Euro beschäftigt.

4

Die Klägerin wies in den vergangenen Jahren unstreitig jedenfalls folgende Fehlzeiten wegen Arbeitsunfähigkeit auf:

5

2008   

28 Arbeitstage

2009   

86 Arbeitstage

2010   

185 Arbeitstage

2011   

42,5 Arbeitstage

2012   

118,43 Arbeitstage

2013   

60 Arbeitstage

2014   

5 Arbeitstage

2015   

135,7 Arbeitstage

2016   

32 Arbeitstage (bis 10. Juni 2016)

6

Teilweise war die Klägerin kurzfristig arbeitsunfähig erkrankt, teilweise lagen den Fehlzeiten Arbeitsunfähigkeitszeiten über mehrere Monate zugrunde, so beispielsweise vom 21. September 2009 bis 23. September 2010, vom 25. Oktober 2012 bis 05. März 2013 und zuletzt vom 13. Juli 2015 bis 06. Dezember 2015 (zum Teil mit Krankenhausaufenthalt, Rehabilitations- und Wiedereingliederungsmaßnahme). Ob über diese Fehlzeiten hinaus in einzelnen Jahren weitere Fehltage angefallen und welche Entgeltfortzahlungskosten der Beklagten durch die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin entstanden sind, ist zwischen den Parteien streitig.

7

Mit Schreiben vom 18. April 2016 (Bl. 98 f. d. A.) unterbreitete das Betriebliche Eingliederungs-Management Team der Beklagten der Klägerin ein Angebot zu einem Gespräch für das betriebliche Eingliederungsmanagement. Wegen der Formulierungen des Anschreibens im Einzelnen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. Dem Anschreiben beigefügt war neben einem Ausdruck des Textes von § 84 SGB IX jedenfalls ein Teilnahmeformular Betriebliches Eingliederungsmanagement (Bl. 103 f. d. A.), welches - neben Eintragungsmöglichkeiten zu den Kontaktdaten des Arbeitnehmers - ua. folgenden Text enthielt:

8

„Ich wurde über die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEMs) aufgeklärt. Des Weiteren bin ich darüber informiert worden, dass die Teilnahme am BEM freiwillig ist und von mir jederzeit ohne Angabe von Gründen beendet werden kann.

9

o Ich habe Interesse an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement. Bitte setzen Sie sich wegen eines Termins unter der angegebenen Telefonnummer bzw. E-Mail mit mir in Verbindung. Ich möchte mit ___________ ein Erstgespräch führen.

10

o Ich lehne die Durchführung des mir angebotenen betrieblichen Eingliederungsmanagement ab und habe kein weiteres Interesse. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich mich im Falle einer Kündigung meines Arbeitsverhältnisses auf ein nicht durchgeführtes BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX nicht berufen kann.

11

o Ich kann/möchte gegenwärtig an keinem BEM teilnehmen.

12

Begründung (freiwillig):______________

13

o Bitte nehmen Sie erneut am ______ Kontakt mit mir auf.“

14

Die Klägerin kreuzte unter dem Datum des 25. April 2016 die vorletzte Rubrik an und trug handschriftlich ein „Begründung wird bei Bedarf nachgereicht“.

15

Die Beklagte hörte den im Betrieb gewählten Betriebsrat mit Schreiben vom 10. Juni 2016 zur beabsichtigten ordentlichen fristgerechten Kündigung an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 16. Juni 2016 ua. mit der Begründung, die Klägerin könne zur Vermeidung weiterer Fehlzeiten auf offenen Stellen als Controller und Risk Management Specialist, gegebenfalls nach Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen weiterbeschäftigt werden.

16

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20. Juni 2016, der Klägerin zugegangen am gleichen Tag, aus personenbedingten Gründen zum 30. September 2016. Die Klägerin hat am 07. Juli 2016 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein erhoben und zugleich verschiedene Weiterbeschäftigungsanträge, Feststellungsanträge wegen Versetzungen, sowie Anträge auf Entfernung von Abmahnungen angekündigt. Die Klägerin wurde nach Ablauf der Kündigungsfrist infolge des Widerspruchs des Betriebsrates weiterbeschäftigt.

17

Die Klägerin hat - soweit für das Berufungsverfahren noch von Belang - erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. Eine negative Gesundheitsprognose sei bereits nicht gerechtfertigt. Sämtliche Krankheiten der Vergangenheit seien ausgeheilt (vgl. ärztliche Bescheinigung des Dr. R F vom 06. Oktober 2016 (Bl. 474 d. A.). Die Beklagte habe einen zu langen und daher falschen Prognosezeitraum verwendet und die Zahl der Kranktage und die Höhe der geleisteten Entgeltfortzahlung unzutreffend angegeben. Die dargestellten Kranktage hätten nicht auf derselben Erkrankung beruht. Im Jahr 2008 habe sie - im Einzelnen ausgeführt - an lediglich 28 Arbeitstagen (mit Entgeltfortzahlung) gefehlt, im Jahr 2009 an 86 Tagen (davon 47 mit Entgeltfortzahlung), im Jahr 2010 an 185 Arbeitstagen (keine Entgeltfortzahlungskosten), im Jahr 2011 an 42,5 Arbeitstagen mit 42 Tagen Entgeltfortzahlung, in 2012 an 118,43 Arbeitstagen (davon 97 Tage mit Entgeltfortzahlung), in 2013 an 60 Arbeitstagen (davon 19 Tage mit Entgeltfortzahlung), im Jahr 2014 an 5 Tagen (mit Entgeltfortzahlung), in 2015 an 135,7 Tagen (davon 60 Tage Entgeltfortzahlung) und in 2016 an 32 Arbeitstagen (mit 21 Tagen Entgeltfortzahlung). Insgesamt seien mit 54.447,14 Euro 28.708,24 Euro Entgeltfortzahlungskosten weniger angefallen, als von der Beklagten behauptet, wobei die - benannten - unfallbedingten Ausfallzeiten noch herauszurechnen seien. Die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates werde gerügt. Nachdem die Beklagte ihr mit Schreiben vom 18. April 2016 mitgeteilt habe, ihr entstünden keine beruflichen Nachteile, wenn sie das Gesprächsangebot nicht oder noch nicht annehme, habe sie darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte ihr - nachdem sie ihr Interesse an einem bEM-Gespräch aufrechterhalten und eine Begründung angeboten habe, zu einem späteren Zeitpunkt noch ein solches Gespräch anbieten werde, zumal das Wiederaufgreifen des bEM-Gespräches, wie von ihrer bEM-Vertreterin D per E-Mail vom 16. Juni 2016 (Bl. 489 f. d. A.) mitgeteilt, für Juli 2016 bereits geplant gewesen sei. Die Klägerin hat im Rahmen ihres erstinstanzlichen Vortrags mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2016 (Bl. 153 ff. d. A.) im Hinblick auf behauptete im Arbeitsverhältnis erlebte Benachteiligungen und Schikanen ua. geltend gemacht, sie sei von ihrem Vorgesetzten Feil eiskalt abserviert worden, habe Benachteiligungen durch Unterstellungen der internen Führung (zB T in Absprache mit der Geschäftsführerin S) erfahren müssen, sei Schikanen des Kunden S ausgesetzt gewesen, bewusst aus dem EB-Workshop ausgegrenzt worden, man habe sie 2006 am langen Arm verhungern lassen, der Personalchef S habe sie ins Leere laufen lassen, es sei ihr aufgezwungen worden, zum angeblichen Aufbau von Selbstbewusstsein mit einem Organisationspsychologen von Extern in Kontakt zu treten, die neue Managerin I-B habe ihr leere Versprechungen gemacht, Eskalation, statt Deeskalation herbeigeführt, sie sei vom Zeugen R forsch und negativ und laut angegangen worden, der Zeuge S sei ihr regelrecht in den Rücken gefallen und habe gegen sie intrigiert und die Beklagte habe sie durch die Vorkommnisse - auch durch diverse unwirksame Versetzungen - in die Krankheit getrieben, um einen Kündigungsgrund zu schaffen. Sämtliche Behauptungen der Beklagten zur schwierigen Zusammenarbeit und erheblichen Ablaufstörungen würden - im Einzelnen dargelegt - bestritten. Die den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit folge aus den vorgelegten positiven Kundenbewertungen, die sich insbesondere dann fänden, wenn sie in einem unbeeinflussten Umfeld arbeiten und Projekte leiten dürfe. Der Auflösungsantrag der Beklagten sei zurückzuweisen.

18

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

19

1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. Juni 2016, zugegangen am 20. Juni 2016, nicht aufgelöst worden ist,

20

2. die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin vorläufig für die Dauer des Prozesses wegen des Widerspruchs des Betriebsrates als Senior Project Managerin bei G/D weiter zu beschäftigen,

21

3. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 2:

22

die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin vorläufig für die Dauer des Prozesses wegen des Widerspruchs des Betriebsrates als Project Managerin bei G/D weiter zu beschäftigen,

23

4. es wird festgestellt, dass die am 11. Mai 2016 erklärte Versetzung rechtswidrig ist,

24

5. es wird festgestellt, dass die im Februar 2015 erklärte Versetzung rechtswidrig ist,

25

6. es wird festgestellt, dass die am 10. Oktober 2010 erklärte Versetzung rechtswidrig ist

26

Die Beklagte hat beantragt,

27

die Klage abzuweisen.

28

Sie hat weiter beantragt,

29

dass das Gericht das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung auflöst.

30

Die Klägerin hat beantragt,

31

den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

32

Die Beklagte hat - soweit für das Berufungsverfahren noch maßgeblich - erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die Kündigung sei aus krankheitsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt, da aufgrund der häufig aufgetretenen Erkrankungen in den Jahren 2008 bis 2016 auch in Zukunft mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen sei, wovon die Klägerin selbst ausgehe, wenn sie vortragen lasse, dass die Hauptursache für die Fehlzeiten in der Vergangenheit im Arbeitsverhältnis vorgegeben erlebte Benachteiligungen gewesen seien, vor allem dann, wenn sie den - auch in einem vierseitigen E-Mail-Schreiben an den Aufsichtsratsvorsitzenden vom 01. März 2016 (Bl. 111 ff. d. A.) geltend gemachten - Forderungen der Klägerin nicht nachkomme, sie als Senior Projektmanager mit Job-Garantie im AT-Bereich zu beschäftigen. Die Klägerin habe krankheitsbedingt in 2008 an 39 Arbeitstagen mit Entgeltfortzahlung gefehlt, in 2009 an 89 Arbeitstagen mit 48 Tagen Entgeltfortzahlung, in 2010 an 188 Arbeitstagen (mit 2 Tagen Entgeltfortzahlung), in 2011 an 42,5 Arbeitstagen mit 42 Tagen Entgeltfortzahlung, in 2012 an 119,43 Arbeitstagen, davon 97 Tage mit Entgeltfortzahlung, in 2013 an 60 Arbeitstagen (5 Tage Entgeltfortzahlung), in 2014 an 5 Arbeitstagen (mit Entgeltfortzahlung), in 2015 an 135, 7 Arbeitstagen mit 60 Tagen Entgeltfortzahlung und in 2016 bis zum Kündigungsausspruch an 32 Arbeitstagen mit 21 Tagen Entgeltfortzahlung. Wegen der Zeiträume der von der Beklagten angeführten Erkrankungen im Einzelnen wird auf Bl. 72 ff. d. A. Bezug genommen. Die betrieblichen Beeinträchtigungen seien angesichts der von ihr korrekt berechneten Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von 82.657,09 Euro erheblich. Zudem seien die betrieblichen Interessen auch durch das Verhalten der Klägerin gegenüber Kollegen und Vorgesetzten erheblich beeinträchtigt, welches mutmaßlich im Zusammenhang mit ihren Erkrankungen stehe. So habe sie bereits zweimal in 2014 auf Kundenwunsch wegen unzureichender Kommunikation und Teamfähigkeit aus Projekten herausgenommen werden müssen, wobei sich derzeit sämtliche Senior Projekt Manager weigerten, mit der Klägerin zusammenzuarbeiten. Die Interessenabwägung falle angesichts der Tatsache, dass das dreizehnjährige Arbeitsverhältnis bereits seit 2008 durch erhebliche Entgeltfortzahlungskosten belastet sei und die Konflikte nach eigenem Vortrag der Klägerin sogar bis 2004 zurückreichten zu Lasten der ledigen, kinderlosen Klägerin ohne Unterhaltspflichten aus, die mit ihrem Alter und ihrer Ausbildung noch gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe. Mit den im Rechtsstreit ihr gegenüber unberechtigt erhobenen Vorwürfen versteige sich die Klägerin nicht nur im Ton gänzlich, so dass eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht zu erwarten stehe und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen sei.

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Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 16. Dezember 2016 stattgegeben, den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es - im Hinblick auf den Gegenstand des Berufungsverfahrens - im Wesentlichen angeführt, die wegen häufiger Kurzerkrankungen ausgesprochene Kündigung habe das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Zwar liege noch eine negative Zukunftsprognose vor, da die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, auf die drei Jahre vor Kündigungsausspruch abzustellen und es der Klägerin nicht gelungen sei, die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten zu erschüttern, weil sie sich zu den Krankheitsbildern, die den einzelnen Ausfallzeitenzugrunde gelegen hätten, nicht geäußert habe, sondern vielmehr den Arbeitgeber für ihre Fehlzeiten verantwortlich gemacht habe. Zu Gunsten der Beklagten könne auch unterstellt werden, dass sie auch künftig Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für mindestens sechs Wochen jährlich zu zahlen habe. Die Kündigung sei gleichwohl ungerechtfertigt, weil sie nicht „ultima ratio“ und deshalb unverhältnismäßig sei. Es sei bereits zweifelhaft, ob das bEM-Team der Beklagten die Klägerin durch das Schreiben vom 18. April 2016 ordnungsgemäß auf Art und Umfang der bei Durchführung des bEM im Einzelnen erhobenen Daten hingewiesen habe. Des Weiteren bestünden Bedenken, dass das eingeleitete bEM zu früh beendet worden sei, weil die Beklagte nicht vor Kündigungsausspruch auf die Klägerin zugegangen sei, die lediglich angegeben habe, sie wolle derzeit an keinem bEM teilnehmen. Da ein ordnungsgemäßes bEM nicht durchgeführt worden sei, treffe die Beklagte eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast, der sie nicht nachgekommen sei. Der Auflösungsantrag der Beklagten sei zurückzuweisen, da das Verhalten des Arbeitnehmers im Rechtsstreit zwar einen Auflösungsgrund bieten könne, die diesbezüglichen Voraussetzungen hier jedoch nicht gegeben seien. Die Klägerin habe im Kündigungsschutzverfahren berechtigte Interessen wahrgenommen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 793 ff. d. A. Bezug genommen.

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Die Beklagte hat gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 04. Januar 2017 zugestellte Urteil mit am 01. Februar 2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 04. April 2017, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, begründet.

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Die Beklagte macht zur Begründung ihrer Berufung nach Maßgabe ihrer Berufungsbegründungsschrift und ihres Schriftsatzes vom 28. September 2017, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 833 d. A. ff. und Bl. 946 ff. d. A.), zweitinstanzlich unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen geltend,

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zu Recht habe das Arbeitsgericht bezüglich des Gesundheitszustandes der Klägerin angesichts ihrer Fehlzeiten in der Vergangenheit eine negative Zukunftsprognose bejaht und auch erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen unterstellt. Die von der Klägerin zuletzt im Berufungsverfahren vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 06. April 2017 zu einer angeblich positiven Prognose rechtfertige keine Rückschlüsse auf den Zustand bei Kündigungszugang. Dass die Klägerin in 2010 und 2013 nur an zwei bzw. 19 Tagen entgeltfortzahlungspflichtig erkrankt gewesen sei, habe alleine daran gelegen, dass sie langzeiterkrankt gewesen sei. Das Jahr 2014, in dem der Sechs-Wochen-Zeitraum nicht überschritten gewesen sei, sei ein Ausnahmefall gewesen. Das erstinstanzliche Gericht habe jedoch zu Unrecht angenommen, dass kein ordnungsgemäßes bEM durchgeführt worden sei. § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX fordere weder nach seinem Wortlaut, noch nach Sinn und Zweck dass die betroffene Person im Einzelnen darauf hingewiesen werde, welche Datenim Einzelnen erhoben würden. Zudem sei die Klägerin im Einladungsschreiben vom 18. April 2016 ausreichend informiert worden, dass es um die Besprechung von personenbezogenen Daten in Bezug auf das Wohlbefinden, der Gesundheit der Klägerin, eventuelle gesundheitliche Gefährdungen am Arbeitsplatz, die erfolgreiche Wiedereingliederung, die Ursachen ihrer Arbeitsunfähigkeit und individuell abgestimmte Maßnahmen, sowie um ärztliche Auskünfte gehe. Im Übrigen sei im Intranet der Beklagten ein Flyer über das bEM, dessen Ziele, sowie Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten zugänglich gewesen, der auch den Einladungsschreiben der Klägerin vom 18. April 2016 beigefügt gewesen sei (zum Inhalt: vgl. Bl. 1027 ff. d. A.). Die Beklagte habe auch das bEM nicht vorzeitig abgebrochen, im Gegenteil, die Klägerin habe kein bEM durchführen wollen. Möglicherweise habe die Mitarbeiterin D als Mitglied des damaligen Arbeitskreises bEM mit E-Mail vom 16. Juni 2016 Kontakt mit der Klägerin aufgenommen, dies sei jedoch zu keinem Zeitpunkt mit der Beklagten abgestimmt gewesen; erst nachträglich sei der bEM-Prozess umstrukturiert worden. Selbst wenn man von der Nichtdurchführung eines bEM ausgehen wolle, habe es keine angemessene mildere Maßnahme zur Vermeidung der Kündigung gegeben, da unstreitig sei, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin auf die von ihr so empfundenen Benachteiligungen durch die Beklagte, ihre Vorgesetzten, ihre Kollegen/ innen bzw. durch den Betriebsrat zurückgehen und nur die nicht verhandelbaren Forderungen der Klägerin, denen sie mit ihrer E-Mail vom 01. März 2016 an den Aufsichtsratsvorsitzenden Ausdruck verliehen habe eine Besserung versprechen könnten. Detaillierterer Vortrag, warum ein weiterer Einsatz der Klägerin auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz oder dessen leidensgerechte Anpassung oder eine geänderte Beschäftigung nicht möglich sei, sei ihr unmöglich, so lange die Klägerin keine Auskünfte zu ihren Erkrankungen mache. Die vom Betriebsrat genannten beiden Weiterbeschäftigungsstellen seien weder höher vergütet, noch entsprächen sie den Kenntnissen und Erfahrungen der Klägerin. Jedenfalls habe das Arbeitsgericht dem Auflösungsantrag bereits wegen der von der Klägerin geäußerten Formalinjurien stattgeben müssen. Zudem sei eine weitere Zusammenarbeit auch schon aufgrund des Verhaltens der Klägerin im laufenden Arbeitsverhältnis nicht mehr zu erwarten angesichts ihrer mannigfaltigen Beschwerden über Vorgesetzte, Arbeitskollegen und die Geschäftsführerin der Beklagten und Vorgesetzte der Klägerin T.. Die Klägerin habe dieser am 10. März 2016 unberechtigt und völlig unangemessen vorgeworfen, sie mobbe sie indirekt seit Jahren und habe sie aufgrund ihres ethnischen Hintergrundes aus dem Diversity und Inclusion Project ausgeschlossen. Einer Aufforderung zur Stellungnahme habe die Klägerin sich durch Terminsverlegungswunsch entzogen und sei nach Ausspruch einer Abmahnung arbeitsunfähig erkrankt.

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Die Beklagte beantragt,

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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - 8 Ca 1226/16 - vom 16. Dezember 2016 die Klage auch hinsichtlich des Klageantrags zu 1 abzuweisen und für den Fall der Zurückweisung insoweit dem im Kammertermin vom 16. Dezember 2016 gestellten Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses stattzugeben und das Arbeitsverhältnis unter Verurteilung zur Zahlung einer Abfindung gemäß § 10 Abs. 1 KSchG zum 30. September 2016 aufzulösen.

39

Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Klägerin verteidigt das von der Beklagten angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 09. Juni 2017 (Bl. 919 ff. d. A.) und ihres Schriftsatzes vom 03. und 09. Oktober 2017 (Bl. 962 ff. d. A.), auf die ergänzend Bezug genommen wird und trägt zweitinstanzlich unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen vor, die Kündigung sei bereits unwirksam, weil der Betriebsrat andere Stellen benannt habe, auf denen sie habe weiterbeschäftigt werden können. Die negative Prognose sei bei zutreffender Heranziehung allein der Jahre 2013 bis 2016, aber auch bei Betrachtung des Zeitraums von 2008 bis 2016 nicht ersichtlich. Der 6-Wochen-Zeitraum sei nur in den Jahren 2009, 2011, 2012 und 2015 überschritten gewesen. Ausweislich einer ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. F vom 06. April 2017 (Bl 1016 d. A.) seien alle gesundheitlichen Beschwerden ausgeheilt. Jedenfalls sei die Kündigung unverhältnismäßig, da die Beklagte die Mindestanforderungen des § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX nicht eingehalten habe, sie ein bEM-Gespräch jedenfalls nicht ausdrücklich abgelehnt habe. Ob der Flyer der Beklagten zum bEM mit dem in der Berufungsverhandlung von der Beklagten behaupteten Inhalt dem Einladungsschreiben vom 18. April 2016 beigefügt gewesen sei, müsse sie prüfen. Das Mitglied des bEM-Kreises D habe ihr noch am 17. Mai 2016 mitgeteilt, dass man auf sie zukommen werde wegen ihrer handschriftlichen Notiz auf dem Einladungsschreiben und dass man den Fall im bEM-Kreis im Juli nochmals aufgreifen werde. Auflösungsgründe lägen aus im Einzelnen genannten Gründen weder vor, noch seien solche substantiiert dargetan.

42

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A

43

Die zulässige Berufung der Beklagten ist in der Sache nicht erfolgreich.

44

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, wurde von der Beklagten nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 04. Januar 2017 mit am 01. Februar 2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 04. April 2017 mit am gleichen Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 04. April 2017 rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 ZPO).

45

II. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die ordentliche personenbedingte Kündigung der Beklagten vom 02. Juni 2016 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat und dem Auflösungsantrag der Beklagten der Erfolg versagt bleibt. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 06. Dezember 2016 (nicht wie versehentlich im Tenor aufgenommen: 2017) war zurückzuweisen.

46

1. Die von der Beklagten aus krankheitsbedingten Gründen ausgesprochene Kündigung vom 02. Juni 2016, die die Klägerin innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen hat und die daher auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen war, hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Sie ist - nachdem das Kündigungsschutzgesetz aufgrund Betriebsgröße und Beschäftigungsdauer der Klägerin nach §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG Anwendung findet - nicht gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.

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1.1. Auch wenn sich einzelne Krankheitsphasen der Klägerin über mehrere Monate erstreckten, liegt angesichts des häufigen Wechsels von Krankheits- und Arbeitsphasen und der Tatsache, dass die Klägerin zuletzt nicht längerfristig erkrankt war, nicht der Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung vor. Die Wirksamkeit der Kündigung bemisst sich - vom Arbeitsgericht zutreffend erkannt - nach den von der Rechtsprechung zur sozialen Rechtfertigung von Kündigungen wegen häufiger (Kurz-) Erkrankungen entwickelten Grundsätzen. Eine mit häufigen (Kurz-) Erkrankungen des Arbeitnehmers begründete Kündigung ist sozial nur gerechtfertigt, wenn im Kündigungszeitpunkt Tatsachen vorliegen, die die Prognose stützen, es werde auch künftig zu Erkrankungen im bisherigen - erheblichen - Umfang kommen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen - zweite Stufe. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber angesichts der Belange des Arbeitnehmers gleichwohl hingenommen werden müssen (vgl. BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 29, 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 16; jeweils zitiert nach juris).

48

1.2. Mit dem Arbeitsgericht nimmt die Berufungskammer an, dass die in der ersten Stufe zu prüfende negative Gesundheitsprognose der Beklagten, auch in Zukunft sei mit Erkrankungen der Klägerin in erheblichem Umfang zu rechnen, berechtigt ist.

49

a) Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt. Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (vgl. insgesamt BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 17, mwN, zitiert nach juris).

50

b) Nach diesen Grundsätzen ist hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Klägerin von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen. Selbst bei Zugrundelegung der von der Klägerin eingeräumten Fehlzeiten ist diese in den vergangenen Jahren mehrfach kurzfristig oder auch längerfristig erkrankt. Auch wenn im Jahr 2014 lediglich eine fünftägige Krankheitsperiode zu verzeichnen ist, ist es der Beklagten nicht verwehrt, sich auch auf die Fehlzeiten der Klägerin in den Jahren zuvor zu berufen. Bei der Ermittlung der Gesundheitsprognose ist nicht auf einen “starren” Zeitraum der letzten drei Jahre abzustellen; ausreichend für eine Indizwirkung sind hinreichende prognosefähige Fehlzeitenräume; dies können die letzten drei Jahre sein, müssen es aber nicht, ausreichend kann sowohl ein kürzerer Zeitraum als auch bei einzelnen Fehlzeiten erst ein längerer Zeitraum sein, um eine negative Prognose zu rechtfertigen (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24, zitiert nach juris). Die damit vorliegende Indizwirkung hat die Klägerin nicht ausreichend erschüttert. Die Berufungskammer macht sich die diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen unter A I 3 c (Bl. 794 f. d. A.) zur Vermeidung von Wiederholungen zu Eigen und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Soweit die Klägerin erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2016 (Bl. 394 d. A.) unter Bezugnahme auf eine Arztbescheinigung des Dr. R F vom 06. Oktober 2016 (Bl. 474 d. A.) behauptet hat, sämtliche vergangene Krankheiten der Vergangenheit seien ausgeheilt, genügte dieser pauschale Vortrag nicht. Der benannte Facharzt für Allgemeinmedizin hat dort lediglich bescheinigt, dass die Klägerin „jetzt“, dh. zum Ausstellungszeitpunkt der Bescheinigung, arbeitsfähig und leistungsbereit sei und es keine weiteren Hinweise auf Erkrankung gebe, ohne jedoch eine günstige Prognose im Hinblick auf die Ausheilung der zahlreichen Krankheiten in der Vergangenheit abzugeben. Auch die von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegte ärztliche Bescheinigung des genannten Arztes vom 06. April 2017 (Bl. 1016 d. A), in der dieser ausdrücklich eine positive Zukunftsprognose hinsichtlich der in der Vergangenheit aufgetretenen gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin abgibt, vermag eine andere Betrachtung nicht zu rechtfertigen. Maßgebend für die Prognose sind die Umstände bei Zugang der Kündigung (BAG 2. November 1989 - 2 AZR 23/89 - Rn. 51, zitiert nach juris). Dass der Gesundheitszustand der Klägerin bereits im Juni 2016 positiv beurteilt worden wäre, lässt sich auch dieser Bescheinigung nicht entnehmen. Dass die Klägerin ihre behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden hätte, war im Übrigen nicht ersichtlich.

51

1.3. Die Berufungskammer vermochte indes nicht anzunehmen, dass die prognostizierten Fehlzeiten der Klägerin zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten führen werden (2. Stufe).

52

a) Neben Betriebsablaufstörungen können auch wirtschaftliche Belastungen, etwa für Entgeltfortzahlungskosten für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr, zu einer derartigen Beeinträchtigung führen (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15, zitiert nach juris).

53

b) Es ist der Beklagten nicht gelungen darzulegen, dass sie zukünftig betriebliche Beeinträchtigungen im Sinne wirtschaftlicher Belastungen erleidet, weil sie erhebliche Entgeltfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen pro Jahr treffen werden. Unterstellt man den Vortrag der Beklagten als zutreffend, hat sie in der Vergangenheit für folgende Arbeitstage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall an die Klägerin leisten müssen: 2008 für 39 Arbeitstage, 2009 für 48 Arbeitstage, 2010 für 2 Arbeitstage, 2011 für 42 Arbeitstage, 2012 für 97 Arbeitstage, 2013 für 19 Arbeitstage, 2014 für 5 Arbeitstage, 2015 für 60 Arbeitstage und 2016 für 21 Arbeitstage. Selbst wenn man mit der Beklagten hinsichtlich der erforderlichen Prognose nicht lediglich auf die letzten drei Jahre vor Kündigungsausspruch abstellt, sondern sämtliche Jahre berücksichtigt, sind seit 2008 auch nach dem eigenen Vortrag der Beklagten wegen der zum Teil lang andauernden Erkrankungen der Klägerin ausgehend von 5 Arbeitstagen pro Woche lediglich in 5 Jahren Entgeltfortzahlungskosten von mehr als 6 Wochen angefallen, während in den übrigen Jahren die Entgeltfortzahlungskosten darunter lagen. Angesichts der Tatsache, dass - bis auf das Jahr 2015 - gerade in den letzten Jahren vor Kündigungsausspruch der Entgeltfortzahlungszeitraum von 6 Wochen nicht überschritten war, vermochte die Berufungskammer vorliegend nicht von ausreichenden Grundlagen auszugehen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Beklagte zukünftig erhebliche Entgeltfortzahlungskosten treffen werden. Dies gilt im Übrigen auch dann, wenn man berücksichtigt, dass die Entgeltfortzahlungskosten in 2016 aufgrund des Ausspruchs der Kündigung lediglich bis 10. Juni 2016 in Ansatz gebracht sind. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung (BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 558/99 - Rn. 20, zitiert nach juris). Dabei ist es nicht ausgeschlossen, auch die spätere Entwicklung mit zu bewerten, soweit sie die Prognose im Kündigungszeitpunkt bestätigt (BAG 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - Rn. 27, zitiert nach juris). Geht man davon aus, dass zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs die Prognose weiterer erheblicher Entgeltfortzahlungskosten nicht gerechtfertigt war, hat sich diese Prognose bestätigt, nachdem die Klägerin nach Kündigungsausspruch soweit ersichtlich unbeanstandet und ohne Anfall weiterer Entgeltfortzahlungskosten weiterbeschäftigt worden ist.

54

c) Auch erhebliche Betriebsablaufstörungen, die auf die Fehlzeiten der Klägerin zurückgehen, waren nicht ersichtlich. Soweit die Beklagte geltend gemacht hat, die betrieblichen Interessen seien auch durch das unzumutbare Verhalten der Klägerin gegenüber Kollegen, Vorgesetzten und Kunden - bis hin zur Verweigerung der Zusammenarbeit - erheblich beeinträchtigt, betrifft dieser Vorwurf, selbst bei unterstellter Richtigkeit, nicht betriebliche Belastungen, die durch krankheitsbedingte Ausfallzeiten der Klägerin entstanden sind, sondern ein Verhalten der Klägerin während der Zeiten, in denen sie nicht ärztlich attestiert arbeitsunfähig war, sondern im Betrieb beschäftigt worden ist. Dass die Verhaltensweisen der Klägerin auf krankheitsbedingte Ursachen zurückgehen, hat die Beklagte, die vorgetragen hat, sie stünden „mutmaßlich“ im Zusammenhang mit ihren Erkrankungen, nur vermuten können, ohne dass ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Behauptung bestanden hätten. Ob ein krankheitsbedingtes Verhalten der Klägerin zur Begründung betrieblicher Ablaufstörungen geeignet wäre, kann dahinstehen.

55

1.4. Darüber hinaus ist die Kündigung vom 02. Juni 2016 auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil ihr Ausspruch jedenfalls unverhältnismäßig war. Die Beklagte hat nicht ausreichend dargelegt, dass ihr mildere Mittel als der Kündigungsausspruch zur Vermeidung künftiger Fehlzeiten nicht zur Verfügung standen. Da die Beklagte ein betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat, trifft sie eine erhöhte Darlegungslast im Hinblick auf alternative, leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten für die Klägerin. Dieser ist die Beklagte nicht nachgekommen.

56

a) Eine Kündigung ist nach dem das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur gerechtfertigt, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung erforderlich ist. Zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen gehört deshalb das Fehlen angemessener milderer Mittel zur Vermeidung künftiger Fehlzeiten (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 24; vgl. auch BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24, jeweils zitiert nach juris). Mildere Mittel in diesem Sinne sind insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 24, aaO; vgl. auch BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN, zitiert nach juris).

57

b) Der Arbeitgeber trägt für die Umstände, die nach § 1 Abs. 2 KSchG die Kündigung bedingen, die Darlegungs- und Beweislast (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Das gilt auch für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 664/13 - Rn. 18; 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 25, aaO). Hat der Arbeitgeber entgegen den Vorgaben des § 84 Abs. 2 SGB IX ein bEM unterlassen, kann dies zu einer Erweiterung seiner Darlegungslast führen(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 664/13 - Rn. 20, zitiert nach juris).

58

aa) Die Verpflichtung zur Durchführung eines bEM stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Das bEM ist zwar selbst kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner Hilfe können aber solche milderen Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen - ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ - Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20, mwN, zitiert nach juris).

59

bb) Wurde entgegen § 84 Abs. 2 SGB IX ein bEM nicht durchgeführt oder hat der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 84 Abs. 2 SGB IX ein Verfahren durchgeführt, das nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen an ein bEM genügt, darf er sich nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die dieser trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Er hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer (außergerichtlich) bereits genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz ausscheiden. Erst nach einem solchen Vortrag ist es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst eine leidensgerechte Beschäftigung vorstellt (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 21 f., mwN, aaO).

60

cc) Hat der Arbeitgeber, der die Initiativlast für die Durchführung eines bEM trägt, ein bEM deshalb nicht durchgeführt, weil der Arbeitnehmer nicht eingewilligt hat, kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber den Betroffenen zuvor auf die Ziele des bEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen hat. Die Belehrung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX gehört zu einem regelkonformen Ersuchen des Arbeitgebers um Zustimmung des Arbeitnehmers zur Durchführung eines bEM. Sie soll dem Arbeitnehmer die Entscheidung ermöglichen, ob er ihm zustimmt oder nicht (vgl. insgesamt BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23, mwN, aaO). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht(BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 52, BVerwGE 137, 148). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 19, zitiert nach juris). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden(vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32, zitiert nach juris). Dies verhindert zum einen, dass der Arbeitnehmer aus bloßer Unkenntnis über die Ziele des bEM und den Schutz von persönlichen Daten, die seine Gesundheit betreffen, seine Zustimmung zu dem Prozess verweigert (BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 47/16 - Rn. 35, zitiert nach juris, Schmidt Gestaltung und Durchführung des BEM S. 21). Zum anderen verdeutlicht der Hinweis die Bedeutung eines wirksamen und sorgfältig gehandhabten, außerhalb von § 84 Abs. 2 SGB IX gewährleisteten Schutzes der Gesundheitsdaten des Arbeitnehmers für die Akzeptanz des bEM(BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 47/16 - Rn. 35, aaO).

61

dd) Nur wenn auch die Durchführung des bEM keine positiven Ergebnisse hätte zeitigen können, ist sein Fehlen unschädlich. Um darzutun, dass die Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügt und ihm keine milderen Mittel zur Überwindung der krankheitsbedingten Störung des Arbeitsverhältnisses als die Beendigungskündigung offenstanden, muss der Arbeitgeber die objektive Nutzlosigkeit des bEM darlegen. Hierzu hat er umfassend und detailliert vorzutragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wären und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können, warum also ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 39; 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34, aaO). Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau von Fehlzeiten bzw. zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt (vgl. BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 28; vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 664/13 - Rn. 22 mwN; 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 40, zitiert nach juris).

62

c) Hiervon ausgehend ist die Beklagte der ihr obliegenden Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf das Fehlen milderer Mittel zur Vermeidung des Kündigungsausspruchs nicht nachgekommen.

63

aa) Die Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Durchführung eines bEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX lagen im Kündigungszeitpunkt vor, da die Klägerin unstreitig innerhalb eines Jahres vor Kündigungsausspruch länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war. Vor Kündigungsausspruch ist ein bEM unstreitig nicht durchgeführt worden.

64

bb) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, ein bEM mangels Zustimmung der Klägerin nicht durchgeführt zu haben.

65

(1) Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung angenommen, dass die Beklagte ein nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX regelkonformes Ersuchen zur Durchführung eines bEM an die Klägerin nicht gerichtet hat, da der Klägerin nicht mitgeteilt worden ist, welche Krankheitsdaten im Rahmen des bEM erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden sollen. Der erforderliche Hinweis ergibt sich nicht aus dem an die Klägerin gerichteten Einladungsschreiben vom 18. April 2016 (Bl. 98 f. d. A.). Dort findet sich lediglich die Mitteilung, dass ohne ausdrückliche Zustimmung Daten an Dritte nicht weitergeleitet werden und die Klägerin nicht verpflichtet ist, Auskunft über die Ursache ihrer Arbeitsunfähigkeit oder diesbezügliche ärztliche Aussagen zu erteilen, nicht jedoch, welche Daten konkret erhoben werden sollen. Selbst wenn - wie von der Beklagten behauptet - dem Einladungsschreiben der Flyer zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement in der damals geltenden Fassung, wie ihn die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer vollständig zur Akte gereicht hat (Bl. 1027 ff. d. A) beigefügt gewesen sein sollte, ergibt sich hieraus nichts anderes. Zwar ist dort unter der Überschrift „Datenschutz beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement“ mitgeteilt, dass die Mitglieder des bEM-Teams ebenso wie der Werksarzt der Schweigepflicht unterliegen und die in den Teams erhobenen Daten ausschließlich dem Zweck dienen, die für die Eingliederung am besten geeignete Maßnahme zu finden. Welche Daten hierbei erhoben werden sollen, kann der Mitarbeiter jedoch auch diesem Hinweis nicht entnehmen.

66

(2) Selbst wenn man der Auffassung sein sollte, dass die Mitteilungen der Beklagten an die Klägerin den Anforderungen an ihre Hinweispflicht nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX noch genügen, durfte die Beklagte vorliegend angesichts der Ausgestaltung ihres Teilnahmeformulars nicht annehmen, dass die Klägerin ihre Zustimmung zur Durchführung eines bEM endgültig verweigert hat und daher die Durchführung eines bEM entbehrlich ist. Ein bEM kann gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nur mit Zustimmung des Betroffenen durchgeführt werden. Im der Klägerin unter dem 18. April 2016 überlassenen Teilnahmeformular (BEM) hatte diese die von ihr nicht genutzte Möglichkeit, Interesse an einem bEM und einem Erstgespräch zu bekunden. Auch die Alternative, die Durchführung eines bEM unter ausdrücklichem Hinweis auf den Verlust der Rechte aus § 84 Abs. 2 SGB IX im Kündigungsfalle abzulehnen, hat die Klägerin nicht gewählt. Sie hat sich für die Rubrik „Ich möchte/ kann gegenwärtig an keinem BEM teilnehmen“ entschieden und zugleich mitgeteilt, eine Begründung hierfür könne sie bei Bedarf nachreichen. Angesichts dieser von der Beklagten eröffneten Entscheidungsoptionen kann nach Auffassung der Berufungskammer jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ihre Zustimmung zur Durchführung eines bEM endgültig verweigert hätte. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte nicht in Abrede gestellt hat, dass das Mitglied des bEM-Arbeitskreises Dantrimont sich noch vor Ausspruch der Kündigung mit E-Mail vom 16. Juni 2016 (Bl. 489 d. A.) an die Klägerin gewandt und ihr mitgeteilt hat, dass ein Wiederaufgreifen des bEM für Juli geplant gewesen sei. Auch wenn diese Information mit der Personalabteilung der Beklagten nicht abgesprochen gewesen und die Strukturen des bEM im Betrieb der Beklagten - wie von ihr in der Berufungsverhandlung geltend gemacht - erst nachträglich zugunsten sog. (persönlicher) bEM-Paten geändert worden sein sollten, ändert dies nichts daran, dass die Zeugin D Mitglied des bEM-Teams war und die Klägerin auf deren Angaben vertrauen durfte. Nachdem die Beklagte der Klägerin im Teilnahmeformular nicht lediglich die Möglichkeiten der Ablehnung (mit Konsequenzen im Kündigungsschutzprozess) oder der Zustimmung zu einem bEM eingeräumt, sondern den Anschein erweckt hat, mit der Rubrik „gegenwärtig“ nicht teilnehmen zu wollen, das bEM zurückstellen lassen zu können, durfte sie jedenfalls nicht ohne weiteres davon ausgehen, die Klägerin verweigere ihre Zustimmung zum bEM vor einem eventuellen Kündigungsausspruch dauerhaft.

67

dd) Die Beklagte hat nicht ausreichend dargelegt, dass ein bEM objektiv nutzlos war. Die Beklagte kann sich insbesondere nicht darauf berufen, dies sei der Fall gewesen, weil die Klägerin in ihrem an den Aufsichtsratsvorsitzenden gerichteten E-Mail-Schreiben vom 01. März 2016 (Bl. 111 d. A.) nicht verhandelbare Forderungen gestellt habe und selbst davon ausgehe, dass nur diese geeignet seien, ihre behauptete Benachteiligung und die damit verbundenen Arbeitsunfähigkeitszeiten zu reduzieren. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern (BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 47/16 - Rn. 31, zitiert nach juris). Dem steht es entgegen, sich der Verpflichtung zur Durchführung eines bEM von vorneherein mit der Begründung entziehen zu wollen, aus der derzeitigen subjektiven Betrachtung des Betroffenen heraus scheide eine Weiterbeschäftigung unter geänderten Bedingungen aus. Ob dies möglich ist, ist gerade Aufgabe des unter Einschaltung der in § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Stellen durchzuführenden bEM-Verfahrens. Warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz der Klägerin, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wäre und deren Beschäftigung auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit möglich gewesen wäre, hat die Beklagte nicht dargetan. Da denkbar ist, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht und Maßnahmen zum Abbau von Fehlzeiten der Klägerin Erfolg gehabt hätten, erweist sich der Ausspruch der Kündigung als „vorschnell“ und damit unverhältnismäßig.

68

2. Das Arbeitsgericht hat den Auflösungsantrag der Beklagten zu Recht zurückgewiesen. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen eine andere Betrachtung nicht.

69

2.1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (BAG 19. November 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 60, mwN, zitiert nach juris). Durch eine bloße Bezugnahme auf nicht ausreichende Kündigungsgründe genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast nicht. Er muss vielmehr im Einzelnen vortragen, weshalb die nicht ausreichenden Kündigungsgründe einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen sollen (BAG 19. November 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 60, mwN, aaO). Soweit in einem laufenden Gerichtsverfahren - etwa im Kündigungsschutzprozess - Erklärungen abgegeben werden, ist zu berücksichtigen, dass das Verhalten einer Partei in einem Gerichtsverfahren durch berechtigte Interessen gedeckt sein kann. Die Verfahrensbeteiligten dürfen zur Rechtsverteidigung alles vortragen, was rechtserheblich sein kann und sich dabei auch starker, eindringlicher Ausdrücke und Schlagworte bedienen, selbst wenn eine vorsichtigere Formulierung möglich gewesen wäre (BAG 19. November 2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 68, aaO; 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22, zitiert nach juris). Dies gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Parteien dürfen nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne weiteres auf der Hand liegt (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - aaO mwN).

70

2.2. Gemessen hieran liegen keine Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen würden, eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien sei nicht zu erwarten. Soweit die Beklagte zur Begründung des Auflösungsantrags erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 25. November 2016 (dort S. 33 f. = Bl. 706 f. d. A.) im Einzelnen auf den „ausufernden“ Vortrag der Klägerin in ihrem 64-seitigen Schriftsatz vom 18. Oktober 2016 (Bl. 153 ff. d. A.) abgehoben hat, schließt sich die Berufungskammer zur Vermeidung von Wiederholungen den Wertungen des Arbeitsgerichts unter II c) der Entscheidungsgründe (Bl. 799 f. d. A.), dass dies die Auflösung nicht zu rechtfertigen vermag, an und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Auch wenn die Klägerin ohne jeglichen Zweifel vorsichtigere Formulierungen hätte wählen können (wenn nicht sollen), erschöpfen sich ihre Äußerungen in der Wiedergabe stark wahrgenommener, persönlicher Empfindungen, ohne dass sie erkennbar falsche Tatsachen oder ehrverletzende Äußerungen gegenüber einzelnen Personen getätigt hätte. Das von der Beklagten im Berufungsverfahren beispielhaft für mannigfaltige Beschwerden der Klägerin gegenüber Vorgesetzten und Kollegen angeführte Gespräch mit der Geschäftsführerin der Beklagten vom 10. März 2016 rechtfertigt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auch dann nicht, wenn die Klägerin dort - unter Bezugnahme auf ihren ethnischen Hintergrund - behauptet haben sollte, die Geschäftsführerin S „mobbe sie seit Jahren indirekt“. Die Klägerin, die sich aufgrund ihrer als solche empfundenen Belastung offenbar zu keiner anderen Wortwahl mehr in der Lage sah, hat mit diesem pauschalen Vorwurf zu erkennen gegeben, dass sie sich von der Vorgesetzten ungerecht behandelt fühlt. Die Einzelheiten der aus Sicht der Klägerin vorliegenden Gründe, deren Berechtigung dahingestellt bleiben kann, lassen sich auch deren umfangreicher Gesprächsnotiz zum Gespräch vom 10. März 2016 (Bl. 881 ff. d. A.) entnehmen. Vor diesem Hintergrund vermochte die Berufungskammer vom Vorliegen einer Schmähkritik nicht auszugehen, sondern hat angenommen, dass die Klägerin in rechtlich noch zulässigen Grenzen ihre Rechte im Rahmen des Arbeitsverhältnisses wahrnehmen wollte. Soweit die Beklagte der Klägerin vorgeworfen hat, sich am Tag eines Gesprächstermins über die Berechtigung einer Abmahnung Abmahnungsschreibens arbeitsunfähig gemeldet zu haben, vermochte aus den gleichen Gründen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zu tragen.

B

71

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

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Gründe die eine Zulassung der Revision iSd § 72 Abs. 2 ArbGG veranlasst hätten, bestehen nicht

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(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Zivilprozessordnung - ZPO | § 138 Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht


(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. (2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. (3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestrit

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 69 Urteil


(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Woch

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Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung er

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 9 Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil des Gerichts, Abfindung des Arbeitnehmers


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bei uns veröffentlicht am 24.03.2011

Tenor 1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. August 2009 - 16 Sa 1644/08 - aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das U

Bundesarbeitsgericht Urteil, 24. März 2011 - 2 AZR 170/10

bei uns veröffentlicht am 24.03.2011

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 2. Oktober 2009 - 20 Sa 19/09 - aufgehoben.

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 23. Juni 2010 - 6 P 8/09

bei uns veröffentlicht am 23.06.2010

Tatbestand 1 In der Zeit ab April 2006 schrieb der Beteiligte unter Bezugnahme auf § 84 Abs. 2 SGB IX Beschäftigte seiner Dienststelle an, die innerhalb des zurückliegen

Referenzen

(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

(2) Die Leistungen umfassen auch eine notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung.

(3) Soweit es im Einzelfall erforderlich ist, werden Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht.

(1) Als Abfindung ist ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen.

(2) Hat der Arbeitnehmer das fünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens fünfzehn Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu fünfzehn Monatsverdiensten, hat der Arbeitnehmer das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens zwanzig Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu achtzehn Monatsverdiensten festzusetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer in dem Zeitpunkt, den das Gericht nach § 9 Abs. 2 für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses festsetzt, das in der Vorschrift des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch über die Regelaltersrente bezeichnete Lebensalter erreicht hat.

(3) Als Monatsverdienst gilt, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet (§ 9 Abs. 2), an Geld und Sachbezügen zusteht.

(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

(2) Die Leistungen umfassen auch eine notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung.

(3) Soweit es im Einzelfall erforderlich ist, werden Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. Juni 2013 - 21 Sa 1456/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte entwickelt und vertreibt Hygieneartikel. Der 1964 geborene Kläger ist bei ihr seit Juni 1991 als Maschinenführer tätig. Zuletzt war er - als einer von etwa 220 Arbeitnehmern - im Betrieb E im Dreischichtmodell beschäftigt. Sein monatlicher Bruttoverdienst belief sich auf ca. 2.700,00 Euro.

3

Der Kläger war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig. Im Jahr 2006 war er ab dem 27. Juli an wenigstens 59 Tagen wegen einer Handverletzung nicht arbeitsfähig. Im Jahr 2007 fehlte er wegen einer anderen Handverletzung 105 und aufgrund einer Kontaktallergie weitere 30 Tage. Im Jahr 2008 war er an 69 Tagen, im Jahr 2009 an 74 Tagen, im Jahr 2010 an 62 Tagen und im Jahr 2011 an 125 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Zwei Fehltage im Jahr 2008 und 21 Fehltage im Jahr 2009 waren auf Arbeitsunfälle zurückzuführen. Von den Krankheitstagen im Jahr 2011 entfielen 117 Tage auf ein Hüftleiden. Wegen dieser Erkrankung unterzog sich der Kläger am 28. März 2011 einer Operation.

4

Die Fehlzeiten verteilten sich auf unterschiedlich lange Zeiträume, jeweils unterbrochen durch Tage der Arbeitsfähigkeit.

5

Im Jahr 2004 stellte sich der Kläger auf Ersuchen der Beklagten beim arbeitsmedizinischen Dienst vor. Es folgten weitere Begutachtungen Ende 2009/Anfang 2010 und im September 2011. In den betriebsärztlichen Stellungnahmen hieß es jeweils, gegen eine Beschäftigung des Klägers bestünden keine gesundheitlichen Bedenken. Im Schreiben vom 2. Februar 2010 wurde außerdem berichtet, es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen könnten. Im September 2010 teilte die Berufsgenossenschaft der Beklagten mit, sie habe dem Kläger einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt, bei deren Verwendung sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermeiden ließen.

6

Mit Schreiben vom 29. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2012.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die seit dem Jahr 2008 aufgetretenen Fehlzeiten seien - soweit nicht auf Arbeitsunfällen und den Hüftbeschwerden beruhend - im Wesentlichen auf eine Kontaktallergie, einen Fersensporn, Erkältungskrankheiten, in geringem Umfang auf eine Herz-/Kreislauferkrankung sowie zwei in der Freizeit erlittene Unfälle zurückzuführen. Die Fehlzeiten indizierten keine negative Zukunftsprognose. Mit dem Auftreten der Allergie sei nach den Maßnahmen der Berufsgenossenschaft und beim Tragen der empfohlenen Schutzhandschuhe nicht mehr zu rechnen. Sein Hüftleiden sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Der Fersensporn sei gleichfalls erfolgreich therapiert. Seine Erkältungskrankheiten seien durch Zugluft am Arbeitsplatz ausgelöst oder begünstigt worden. Jedenfalls sei die Kündigung unverhältnismäßig. Die Beklagte habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nicht durchgeführt. Sie könne sich deshalb nicht darauf berufen, alternative Möglichkeiten zur Vermeidung oder doch erheblichen Verringerung künftiger Fehlzeiten hätten nicht bestanden. Das sei auch objektiv falsch. Neben Veränderungen am Arbeitsplatz, dessen bisheriger Zuschnitt ein kontinuierliches Treppensteigen erfordere, habe ein geeignetes „Gesundheitsmanagement“ zur Stabilisierung seines Abwehr- und Immunsystems beitragen können. Dies belege eine zwischenzeitlich durchgeführte Reha-Maßnahme, in deren Folge sich sein Gesundheitszustand deutlich gebessert habe. Unabhängig davon sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Dieser sei bis einschließlich des 25. November 2011 an insgesamt 1061 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen. Davon habe sie für 803 Tage Entgeltfortzahlung geleistet. Die erheblichen Fehlzeiten sprächen für eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit des Klägers und begründeten eine negative Gesundheitsprognose. Dies wiederum beeinträchtige ihre betrieblichen Interessen erheblich. Sie habe damit rechnen müssen, an den Kläger weiterhin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für die Dauer von mehr als sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Ihre Verpflichtung zur Durchführung eines bEM habe sie mit den in Auftrag gegebenen arbeitsmedizinischen Untersuchungen erfüllt. Jedenfalls stehe aufgrund der betriebsärztlichen Stellungnahmen fest, dass die Krankheitsanfälligkeit des Klägers nicht durch organisatorische Änderungen habe überwunden werden können. Die Kündigung sei damit selbst dann verhältnismäßig, wenn es an einem regelkonformen bEM fehlen sollte. Auf die allgemeine Gesundheitsprävention im Rahmen außerbetrieblicher Maßnahmen sei der gesetzlich vorgegebene Klärungsprozess nicht angelegt.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage im noch rechtshängigen Umfang stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet.

12

A. Die Revision ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat sie im Tenor seines Urteils zugelassen. Daran ist der Senat gemäß § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden(vgl. BAG 16. April 1997 - 4 AZR 653/95 - zu I der Gründe). Eine Überprüfung der Zulassungsentscheidung - wie sie der Kläger offenbar anstrebt - findet nicht statt.

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B. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden (I.). Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (II.).

14

I. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sie ist nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Sie erweist sich - ungeachtet der erheblichen Fehlzeiten - als unverhältnismäßig.

15

1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die der Senat zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat (vgl. aus jüngerer Zeit BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335). Auch wenn sich einzelne Krankheitsphasen über mehrere Monate erstreckten, liegt angesichts der Vielzahl der in Rede stehenden Krankheitsbilder und des häufigen Wechsels von Krankheits- und Arbeitsphasen nicht der Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung vor.

16

2. Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (bspw. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - aaO; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335).

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3. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 17, BAGE 121, 335; 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 20). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24; 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 92, 96). Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO mwN).

18

4. Entgegen der Auffassung des Klägers erweist sich danach die Kündigung nicht bereits im ersten Prüfungsschritt als unwirksam. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die bisherigen Fehlzeiten hätten im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose indiziert und der Kläger habe diese Indizwirkung nicht entkräftet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

19

a) Die Beklagte hat die Krankheitszeiten des Klägers nach Zahl, Dauer und zeitlicher Folge im Einzelnen vorgetragen. Danach war der Kläger auch ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Ausfallzeiten seit Mitte des Jahres 2007 in erheblichem Umfang wegen Krankheit arbeitsunfähig. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stiegen seine Fehlzeiten kontinuierlich an (vgl. zu diesem Kriterium BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 32 mwN). Lediglich im Jahr 2010 gingen sie gegenüber dem Vorjahr leicht zurück, verblieben aber auf hohem Niveau. Unschädlich ist, dass das Landesarbeitsgericht nicht starr auf den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung abgestellt hat. Es konnte auch davor liegende Zeitspannen einbeziehen (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24).

20

b) Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten - den Angaben des Klägers zufolge - auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 26). Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zB eine Operation) ergriffen wurden (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO).

21

c) Danach hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, das künftige Auftreten von Krankheitszeiten im bisherigen Umfang sei aufgrund einer besonderen Krankheitsanfälligkeit indiziert. Zwar hat sich der Kläger bezüglich einzelner Erkrankungen darauf berufen, er habe besondere Therapiemaßnahmen durchgeführt. Seiner Schlussfolgerung, aufgrund dessen sei zumindest mit einer deutlichen Verringerung der Fehlzeiten zu rechnen gewesen, widerspricht aber der Umstand, dass er im Anschluss an die im März 2011 durchgeführte Operation noch bis Juli 2011 und erneut in der Zeit vom 8. bis 28. August 2011 wegen seines Hüftleidens krankgeschrieben war. Eine Rehabilitationsmaßnahme hat er erst nach Zugang der Kündigung begonnen und durchgeführt. Sie hat deshalb keinen Einfluss auf die Indizwirkung der vor dem Kündigungszeitpunkt aufgetretenen Fehlzeiten (vgl. BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 558/99 - Rn. 20 mwN). Gleiches gilt für mögliche - nach der Kündigung ergriffene - Maßnahmen zur Verbesserung der Immunabwehr. Damit verblieb es vor der Kündigung bei umfangreichen, eine negative Prognose stützenden Arbeitsunfähigkeitszeiten.

22

d) Der Kläger hat die Indizwirkung der Fehlzeiten nicht dadurch erschüttert, dass er sich auf das Zeugnis seiner ihn behandelnden Ärzte berufen und diese von der Schweigepflicht entbunden hat. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darin nicht die Behauptung erblickt, die Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung bezüglich sämtlicher prognosetragender Erkrankungen im Kündigungszeitpunkt positiv beurteilt (zu dieser Anforderung vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96; 6. September 1989 - 2 AZR 19/89 - zu B I 1 b der Gründe). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einen richterlichen Hinweis vermisst, ist seine Gegenrüge unzulässig, zumindest unbegründet.

23

5. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass sie - bei unveränderter Sachlage - damit zu rechnen hatte, an den Kläger auch zukünftig Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für mindestens sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Die Kündigung ist dennoch sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht „ultima ratio“ und deshalb unverhältnismäßig. Die Beklagte hat das gesetzlich vorgesehene bEM unterlassen, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.

24

a) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24). Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz sein (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN). Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 92, 96; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 286; vHHL/Krause KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 324; jeweils mwN).

25

b) Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich - besteht keine Verpflichtung zur Durchführung eines bEM - zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 14, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 16). Dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf seinerseits zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - aaO mwN). Entsprechend abgestuft ist die Darlegungslast des Arbeitgebers, wenn sich der Arbeitnehmer darauf beruft, die Kündigung sei deshalb unverhältnismäßig, weil eine dem Arbeitgeber bekannte, ihm gleichwohl nicht geboten erscheinende Therapiemöglichkeit bestanden habe.

26

c) Die Kündigung erweist sich nicht schon nach diesen allgemeinen Grundsätzen als unwirksam. Der Kläger hat geltend gemacht, sein bisheriger Arbeitsplatz erfordere regelmäßiges Treppensteigen und sei ferner deshalb nicht leidensgerecht, weil an ihm Zugluft herrsche. An Ausführungen dazu, welche organisatorischen Änderungen oder welcher andere Arbeitsbereich - aus seiner Sicht - eine Beschäftigung ohne gesundheitliche Probleme möglich gemacht hätten, fehlt es. Ebenso wenig ist seinem Vorbringen zu entnehmen, dass er sich bereits vor Zugang der Kündigung um eine Rehabilitationsmaßnahme und ein besseres Gesundheitsmanagement bemüht und die Beklagte Anhaltspunkte für die Annahme gehabt hätte, entsprechende Maßnahmen könnten erfolgversprechend sein.

27

d) Im Streitfall traf die Beklagte indes eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast. Sie hatte es versäumt, ein bEM durchzuführen. Ihrer Obliegenheit detailliert darzulegen, dass keine Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden, ist sie nicht nachgekommen.

28

aa) Die Beklagte war gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, ein bEM vorzunehmen. Der Kläger war in jedem der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung länger als sechs Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von sechs Wochen überschritten (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 19). Die Durchführung eines bEM setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer eine Behinderung vorliegt (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 27, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234).

29

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein regelkonformes bEM habe nicht stattgefunden, ist berechtigt.

30

(1) Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. § 84 Abs. 2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20). Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20).

31

(2) Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 9, BAGE 140, 350; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Bei der Durchführung muss er eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt, hinzuziehen (vgl. BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 55, BVerwGE 137, 148).

32

(3) Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat(BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht(BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 52, BVerwGE 137, 148). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 19, BAGE 140, 350; dass das Gesetz hier vom „Arbeitsplatz“ spricht, dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen, vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 28). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 62).

33

(4) Kommt es stattdessen darauf an, ob bestimmte vom Arbeitgeber tatsächlich ergriffene Maßnahmen den Anforderungen eines bEM genügen, ist zu prüfen, ob sie sich als der vom Gesetz vorgesehene umfassende, offene und an den Zielen des bEM ausgerichtete Suchprozess erweisen.

34

(5) Danach kann in den betriebsärztlichen Untersuchungen des Klägers und den mit ihnen verbundenen Begutachtungen kein bEM erblickt werden.

35

(a) Der Betriebsarzt wird in § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX als ein Akteur erwähnt, der „bei Bedarf“ zum bEM hinzugezogen wird. Dies entspricht der Aufgabe des Arztes, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung zu unterstützen und in Fragen des Gesundheitsschutzes zu beraten (§ 1 Satz 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 ASiG). Die Nutzung seines Sachverstands kann der Klärung dienen, ob vom Arbeitsplatz Gefahren für die Gesundheit des Arbeitnehmers ausgehen und künftig durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ASiG). Die Inanspruchnahme des betriebsärztlichen Sachverstands steht einem bEM als ganzem aber nicht gleich (vgl. Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24, 25).

36

(b) Es kann dahinstehen, ob der Arbeitgeber dem Betriebsarzt bei Bedarf die Durchführung und Leitung des bEM übertragen kann (befürwortend Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 152; zweifelnd Cramer/Ritz/Schian SGB IX 6. Aufl. § 84 Rn. 31). Die Behauptung der Beklagten, die betriebsärztlichen Untersuchungen seien „teilweise … unter dem Titel ‚betriebliches Eingliederungsmanagement‘ [gelaufen]“, macht nicht deutlich, dass sie dem arbeitsmedizinischen Dienst die regelgerechte Durchführung eines bEM überantwortet hätte. Jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass die Betriebsärzte ihre Beauftragung in einem solch weitreichenden Sinne verstanden und entsprechend agiert hätten. Ihre Stellungnahmen beschränken sich auf die Einschätzung der Einsatzfähigkeit des Klägers auf der Grundlage arbeitsmedizinischer Untersuchungen. Auch fehlt es an substantiierten Darlegungen zu einer den Anforderungen des § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX genügenden Unterrichtung und Belehrung des Klägers, aus der sich für diesen die Absicht, ein bEM durchzuführen, deutlich hätte erschließen können. Das Vorbringen der Beklagten, die Betriebsärztin habe aus Anlass der Ende 2009/Anfang 2010 vorgenommenen Untersuchung mit dem Kläger „die Fragestellung“ eines möglichen Zusammenhangs zwischen seiner Tätigkeit und den Erkrankungen „besprochen“ und ihn „über den Sinn und Zweck der Untersuchungen“ unterrichtet, reicht dafür nicht aus. Es kann deshalb offenbleiben, ob die fragliche Begutachtung, hätte es sich bei ihr um ein bEM gehandelt, dem Zweck des § 84 Abs. 2 SGB IX deshalb nicht genügen konnte, weil der Kläger innerhalb des der Kündigung vorausgegangenen Jahres erneut Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen aufwies(zur Problematik KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 16; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10).

37

cc) Das Unterlassen eines bEM führt hier dazu, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist.

38

(1) Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dennoch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20).

39

(2) Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will sich der Arbeitgeber hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 25).

40

(3) Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt.

41

(4) Diesen Vorgaben wird die Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis gerecht.

42

(a) Ein bEM ist nicht nur bei lang andauernden Krankheiten geboten. Es ist auch bei häufigen Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen oder von vorneherein überflüssig. Nach der gesetzlichen Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX kommt es allein auf den Umfang, nicht auf die Ursache der Erkrankungen an. Auch aus Krankheiten, die auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen, kann sich - zumal wenn sie auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hindeuten - eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ergeben, der das bEM entgegenwirken soll (KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 17; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10; Deinert NZA 2010, 969, 971; aA Balders/Lepping NZA 2005, 854, 855).

43

(b) Dem Vorbringen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass einem künftigen Auftreten erheblicher, über sechs Wochen hinausgehender Fehlzeiten des Klägers durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen nicht hätte entgegengewirkt werden können. Dass ihr entsprechende Maßnahmen nicht möglich oder zumutbar gewesen wären, hat sie nicht aufgezeigt.

44

(aa) In diesem Zusammenhang waren nähere Darlegungen der Beklagten nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger vorgerichtlich geäußert haben mag, seine Erkrankungen seien nicht „betriebsbedingt“. Unabhängig davon, was genau er damit hat ausdrücken wollen, ist es nicht treuwidrig, wenn er sich gegenüber der ausgesprochenen Kündigung auf das Unterbleiben erfolgversprechender innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen beruft. Das Landesarbeitsgericht musste seine Behauptung, solche Maßnahmen hätten dem Auftreten neuerlicher Fehlzeiten vorbeugen oder diese zumindest verringern können, nicht etwa als Schutzbehauptung werten. Die Beklagte hat die vom Kläger aufgezeigten, einer günstigen Veränderung jedenfalls dem ersten Anschein nach nicht unzugänglichen Arbeitsbedingungen nicht in Abrede gestellt. Der Umstand, dass der Kläger während einer Prozessbeschäftigung trotz des Einsatzes am bisherigen Arbeitsplatz keine relevanten krankheitsbedingten Ausfallzeiten mehr gezeigt hat, spricht nicht notwendig gegen einen möglichen Zusammenhang zwischen den äußeren Arbeitsumständen und seinen bisherigen Fehlzeiten. Die Entwicklung kann ebenso gut durch die zwischenzeitlich durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme oder dadurch begünstigt worden sein, dass der Kläger - wie er behauptet hat - nunmehr ein effektiveres „Gesundheitsmanagement“ betreibt.

45

(bb) Die Beklagte hat die objektive Nutzlosigkeit innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen nicht dadurch aufgezeigt, dass sie auf den Gegenstand der arbeitsmedizinischen Untersuchungen verwiesen und sich die Stellungnahmen der Betriebsärzte - konkludent - zu Eigen gemacht hat. Zwar verpflichtet § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. c) ASiG die Betriebsärzte, Ursachen von „arbeitsbedingten Erkrankungen“ zu untersuchen. Auch ist der Stellungnahme vom 2. Februar 2010 zu entnehmen, dass die Ärzte keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers und seinen Fehlzeiten erkannt haben. Das schließt aber die Gewinnung anderer Erkenntnisse im Rahmen eines in alle Richtungen offenen bEM nicht aus. Bei diesem geht das Gesetz davon aus, dass sich neben dem Arbeitnehmer auch die anderen beteiligten Stellen, insbesondere die Rehabilitationsträger, aktiv in die Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit einbringen. Es kommt hinzu, dass die Berufsgenossenschaft im Jahr 2010 einen Zusammenhang zumindest zwischen den Arbeitsbedingungen und der Kontaktallergie gesehen und ein Hilfsmittel empfohlen hat. Soweit die Beklagte anführt, die im Jahr 2011 erfolgte betriebsärztliche Untersuchung sei „unter Berücksichtigung der arbeitsplatztypischen Belastungsfaktoren Lärm, Hautkontakt mit Stoffen, Schichttätigkeit“ erfolgt und „negativ“ verlaufen, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden kann. Im Übrigen ergibt sich aus ihm nicht, dass der Arbeitsplatz des Klägers auf besondere Belastungen durch Zugluft und Treppensteigen, dh. auf Umstände und deren mögliche Änderung hin untersucht worden wäre, in denen der Kläger eine Ursache seiner Krankheitsanfälligkeit erblickt.

46

(cc) Soweit die Beklagte gemeint hat, die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zu der Möglichkeit, im Rahmen eines bEM zu einer von den arbeitsmedizinischen Gutachten abweichenden Beurteilung zu gelangen, bewegten sich im Bereich der Spekulation, liegt darin kein beachtliches Vorbringen. Es handelt sich weder um eine zulässige Verfahrens-, noch um eine begründete Sachrüge. Es hat nicht das Landesarbeitsgericht Spekulationen angestellt, sondern die Beklagte ist ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen, im Einzelnen darzulegen, weshalb eine abweichende Beurteilung objektiv ausgeschlossen sein soll.

47

(c) Die Kündigung wäre selbst dann unverhältnismäßig, wenn feststünde, dass die tatsächlichen betrieblichen Bedingungen, zu denen der Kläger arbeitete, nicht hätten geändert werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung eines bEM Rehabilitationsbedarfe in der Person des Klägers hätten erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können.

48

(aa) Nach der Konzeption des Gesetzes lässt das bEM den Beteiligten bei der Prüfung, mit welchen Maßnahmen, Leistungen oder Hilfen eine künftige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglichst vermieden werden und das Arbeitsverhältnis erhalten bleiben kann, jeden denkbaren Spielraum. Es soll erreicht werden, dass keine vernünftigerweise in Betracht kommende, zielführende Möglichkeit ausgeschlossen wird (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1783 S. 16) soll durch eine derartige Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft gesichert werden. Zugleich sollen auf diese Weise medizinzische Rehabilitationsbedarfe frühzeitig, ggf. präventiv erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, hat der Arbeitgeber deshalb gemäß § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auch bei nicht behinderten Arbeitnehmern die örtlichen gemeinsamen Servicestellen hinzuzuziehen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Hilfen und Leistungen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX erbracht werden. Als Hilfen zur Beseitigung und möglichst längerfristigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeit kommen dabei - neben Maßnahmen zur kurativen Behandlung - insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX in Betracht(vgl. Knittel SGB IX 7. Aufl. § 84 Rn. 207; KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 9; Nebe in MünchAnwHdb Sozialrecht 4. Aufl. § 21 Rn. 22; Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 190).

49

(bb) Denkbares Ergebnis eines bEM kann es damit sein, den Arbeitnehmer auf eine Maßnahme der Rehabilitation zu verweisen. Dem steht nicht entgegen, dass deren Durchführung von seiner Mitwirkung abhängt und nicht in der alleinigen Macht des Arbeitgebers steht. Ggf. muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist zur Inanspruchnahme der Leistung setzen. Eine Kündigung kann er dann wirksam erst erklären, wenn die Frist trotz Kündigungsandrohung ergebnislos verstrichen ist (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 29). Durch die Berücksichtigung entsprechender, aus dem bEM entwickelter Empfehlungen wird der „ultima-ratio-Grundsatz“ nicht, wie die Beklagte meint, über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt. Die aus ihm resultierende Verpflichtung des Arbeitgebers, ggf. mildere Mittel zu ergreifen, ist nicht auf arbeitsplatzbezogene Maßnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG beschränkt. Diese Vorschrift dient der Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lediglich mit Blick auf ihren eigenen Regelungsbereich. Sie schließt die Berücksichtigung sonstiger Umstände, die eine Kündigung entbehrlich machen könnten, nicht aus. Eine Kündigung muss, damit sie durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“ ist, unter allen Gesichtspunkten verhältnismäßig, dh. unvermeidbar sein. Daraus kann sich die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, auf bestehende Therapiemöglichkeiten Bedacht zu nehmen. Wenn er ein bEM unterlassen hat, kann er gegen eine solche Verpflichtung nicht einwenden, ihm seien im Kündigungszeitpunkt - etwa schon mangels Kenntnis der Krankheitsursachen - entsprechende Möglichkeiten weder bekannt gewesen, noch hätten sie ihm bekannt sein können.

50

(cc) Das bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber bei Unterlassen eines bEM, um die Verhältnismäßigkeit der Kündigung aufzuzeigen, für jede nur erdenkliche Maßnahme der Gesundheitsprävention - etwa bis zu möglichen Änderungen in der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers - von sich aus darzulegen hätte, dass und weshalb sie zur nachhaltigen Verminderung der Fehlzeiten nicht geeignet gewesen sei. Es reicht aus, wenn er dartut, dass jedenfalls durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten nicht in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt lediglich die Berücksichtigung solcher Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen, deren Beachtung dem Arbeitgeber zumutbar ist. Zumutbar wiederum ist nur eine Beachtung solcher Maßnahmen, deren Zweckmäßigkeit hinreichend gesichert ist. Auch muss deren tatsächliche Durchführung objektiv überprüft werden können. Beides trifft auf gesetzlich vorgesehene Leistungen und Hilfen, die der Prävention und/oder Rehabilitation dienen, typischerweise zu. Solche Maßnahmen muss der Arbeitgeber deshalb grundsätzlich in Erwägung ziehen. Hat er ein bEM unterlassen, muss er von sich aus ihre objektive Nutzlosigkeit aufzeigen und ggf. beweisen. Dabei kommt eine Abstufung seiner Darlegungslast in Betracht, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt sind. Für eine Maßnahme außerhalb des Leistungskatalogs der Rehabilitationsträger - und sei es ein fachkundig entwickeltes Konzept zur privaten Gesundheitsprävention - gilt dies dagegen in aller Regel nicht. Deren objektive Nutzlosigkeit braucht der Arbeitgeber nicht darzutun.

51

(dd) Danach durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung zwar nicht deshalb für unwirksam erachten, weil im Rahmen eines bEM die Möglichkeit bestanden hätte, ein - wie auch immer geartetes - Konzept für ein konsequentes Gesundheitsmanagement des Klägers zu entwickeln. Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat nicht dargetan, dass auch bei regelkonformer Durchführung eines bEM keine geeigneten Leistungen oder Hilfen für den Kläger hätten erkannt werden können, zu deren Erbringung die Rehabilitationsträger verpflichtet gewesen wären. Das gilt umso mehr, als sich der Kläger ausdrücklich auf eine nach Zugang der Kündigung erfolgreich durchgeführte Reha-Behandlung berufen hat. Die Beklagte hätte aufzeigen müssen, warum Maßnahmen zur kurativen Behandlung und/oder der medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX - zu denen im Übrigen nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift auch die „Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln“ zählt - nicht in Betracht gekommen wären oder doch zu einer erheblichen Verringerung der Fehlzeiten nicht hätten beitragen können. An solchen Darlegungen fehlt es.

52

II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses gerichtet. Dieser Rechtsstreit ist abgeschlossen.

53

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. Juni 2013 - 21 Sa 1456/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte entwickelt und vertreibt Hygieneartikel. Der 1964 geborene Kläger ist bei ihr seit Juni 1991 als Maschinenführer tätig. Zuletzt war er - als einer von etwa 220 Arbeitnehmern - im Betrieb E im Dreischichtmodell beschäftigt. Sein monatlicher Bruttoverdienst belief sich auf ca. 2.700,00 Euro.

3

Der Kläger war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig. Im Jahr 2006 war er ab dem 27. Juli an wenigstens 59 Tagen wegen einer Handverletzung nicht arbeitsfähig. Im Jahr 2007 fehlte er wegen einer anderen Handverletzung 105 und aufgrund einer Kontaktallergie weitere 30 Tage. Im Jahr 2008 war er an 69 Tagen, im Jahr 2009 an 74 Tagen, im Jahr 2010 an 62 Tagen und im Jahr 2011 an 125 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Zwei Fehltage im Jahr 2008 und 21 Fehltage im Jahr 2009 waren auf Arbeitsunfälle zurückzuführen. Von den Krankheitstagen im Jahr 2011 entfielen 117 Tage auf ein Hüftleiden. Wegen dieser Erkrankung unterzog sich der Kläger am 28. März 2011 einer Operation.

4

Die Fehlzeiten verteilten sich auf unterschiedlich lange Zeiträume, jeweils unterbrochen durch Tage der Arbeitsfähigkeit.

5

Im Jahr 2004 stellte sich der Kläger auf Ersuchen der Beklagten beim arbeitsmedizinischen Dienst vor. Es folgten weitere Begutachtungen Ende 2009/Anfang 2010 und im September 2011. In den betriebsärztlichen Stellungnahmen hieß es jeweils, gegen eine Beschäftigung des Klägers bestünden keine gesundheitlichen Bedenken. Im Schreiben vom 2. Februar 2010 wurde außerdem berichtet, es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen könnten. Im September 2010 teilte die Berufsgenossenschaft der Beklagten mit, sie habe dem Kläger einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt, bei deren Verwendung sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermeiden ließen.

6

Mit Schreiben vom 29. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2012.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die seit dem Jahr 2008 aufgetretenen Fehlzeiten seien - soweit nicht auf Arbeitsunfällen und den Hüftbeschwerden beruhend - im Wesentlichen auf eine Kontaktallergie, einen Fersensporn, Erkältungskrankheiten, in geringem Umfang auf eine Herz-/Kreislauferkrankung sowie zwei in der Freizeit erlittene Unfälle zurückzuführen. Die Fehlzeiten indizierten keine negative Zukunftsprognose. Mit dem Auftreten der Allergie sei nach den Maßnahmen der Berufsgenossenschaft und beim Tragen der empfohlenen Schutzhandschuhe nicht mehr zu rechnen. Sein Hüftleiden sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Der Fersensporn sei gleichfalls erfolgreich therapiert. Seine Erkältungskrankheiten seien durch Zugluft am Arbeitsplatz ausgelöst oder begünstigt worden. Jedenfalls sei die Kündigung unverhältnismäßig. Die Beklagte habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nicht durchgeführt. Sie könne sich deshalb nicht darauf berufen, alternative Möglichkeiten zur Vermeidung oder doch erheblichen Verringerung künftiger Fehlzeiten hätten nicht bestanden. Das sei auch objektiv falsch. Neben Veränderungen am Arbeitsplatz, dessen bisheriger Zuschnitt ein kontinuierliches Treppensteigen erfordere, habe ein geeignetes „Gesundheitsmanagement“ zur Stabilisierung seines Abwehr- und Immunsystems beitragen können. Dies belege eine zwischenzeitlich durchgeführte Reha-Maßnahme, in deren Folge sich sein Gesundheitszustand deutlich gebessert habe. Unabhängig davon sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Dieser sei bis einschließlich des 25. November 2011 an insgesamt 1061 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen. Davon habe sie für 803 Tage Entgeltfortzahlung geleistet. Die erheblichen Fehlzeiten sprächen für eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit des Klägers und begründeten eine negative Gesundheitsprognose. Dies wiederum beeinträchtige ihre betrieblichen Interessen erheblich. Sie habe damit rechnen müssen, an den Kläger weiterhin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für die Dauer von mehr als sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Ihre Verpflichtung zur Durchführung eines bEM habe sie mit den in Auftrag gegebenen arbeitsmedizinischen Untersuchungen erfüllt. Jedenfalls stehe aufgrund der betriebsärztlichen Stellungnahmen fest, dass die Krankheitsanfälligkeit des Klägers nicht durch organisatorische Änderungen habe überwunden werden können. Die Kündigung sei damit selbst dann verhältnismäßig, wenn es an einem regelkonformen bEM fehlen sollte. Auf die allgemeine Gesundheitsprävention im Rahmen außerbetrieblicher Maßnahmen sei der gesetzlich vorgegebene Klärungsprozess nicht angelegt.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage im noch rechtshängigen Umfang stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist unbegründet.

12

A. Die Revision ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat sie im Tenor seines Urteils zugelassen. Daran ist der Senat gemäß § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden(vgl. BAG 16. April 1997 - 4 AZR 653/95 - zu I der Gründe). Eine Überprüfung der Zulassungsentscheidung - wie sie der Kläger offenbar anstrebt - findet nicht statt.

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B. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden (I.). Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (II.).

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I. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sie ist nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Sie erweist sich - ungeachtet der erheblichen Fehlzeiten - als unverhältnismäßig.

15

1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die der Senat zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat (vgl. aus jüngerer Zeit BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335). Auch wenn sich einzelne Krankheitsphasen über mehrere Monate erstreckten, liegt angesichts der Vielzahl der in Rede stehenden Krankheitsbilder und des häufigen Wechsels von Krankheits- und Arbeitsphasen nicht der Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung vor.

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2. Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (bspw. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - aaO; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335).

17

3. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 17, BAGE 121, 335; 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 20). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24; 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 92, 96). Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO mwN).

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4. Entgegen der Auffassung des Klägers erweist sich danach die Kündigung nicht bereits im ersten Prüfungsschritt als unwirksam. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die bisherigen Fehlzeiten hätten im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose indiziert und der Kläger habe diese Indizwirkung nicht entkräftet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

19

a) Die Beklagte hat die Krankheitszeiten des Klägers nach Zahl, Dauer und zeitlicher Folge im Einzelnen vorgetragen. Danach war der Kläger auch ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Ausfallzeiten seit Mitte des Jahres 2007 in erheblichem Umfang wegen Krankheit arbeitsunfähig. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stiegen seine Fehlzeiten kontinuierlich an (vgl. zu diesem Kriterium BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 32 mwN). Lediglich im Jahr 2010 gingen sie gegenüber dem Vorjahr leicht zurück, verblieben aber auf hohem Niveau. Unschädlich ist, dass das Landesarbeitsgericht nicht starr auf den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung abgestellt hat. Es konnte auch davor liegende Zeitspannen einbeziehen (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24).

20

b) Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten - den Angaben des Klägers zufolge - auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 26). Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zB eine Operation) ergriffen wurden (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO).

21

c) Danach hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, das künftige Auftreten von Krankheitszeiten im bisherigen Umfang sei aufgrund einer besonderen Krankheitsanfälligkeit indiziert. Zwar hat sich der Kläger bezüglich einzelner Erkrankungen darauf berufen, er habe besondere Therapiemaßnahmen durchgeführt. Seiner Schlussfolgerung, aufgrund dessen sei zumindest mit einer deutlichen Verringerung der Fehlzeiten zu rechnen gewesen, widerspricht aber der Umstand, dass er im Anschluss an die im März 2011 durchgeführte Operation noch bis Juli 2011 und erneut in der Zeit vom 8. bis 28. August 2011 wegen seines Hüftleidens krankgeschrieben war. Eine Rehabilitationsmaßnahme hat er erst nach Zugang der Kündigung begonnen und durchgeführt. Sie hat deshalb keinen Einfluss auf die Indizwirkung der vor dem Kündigungszeitpunkt aufgetretenen Fehlzeiten (vgl. BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 558/99 - Rn. 20 mwN). Gleiches gilt für mögliche - nach der Kündigung ergriffene - Maßnahmen zur Verbesserung der Immunabwehr. Damit verblieb es vor der Kündigung bei umfangreichen, eine negative Prognose stützenden Arbeitsunfähigkeitszeiten.

22

d) Der Kläger hat die Indizwirkung der Fehlzeiten nicht dadurch erschüttert, dass er sich auf das Zeugnis seiner ihn behandelnden Ärzte berufen und diese von der Schweigepflicht entbunden hat. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darin nicht die Behauptung erblickt, die Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung bezüglich sämtlicher prognosetragender Erkrankungen im Kündigungszeitpunkt positiv beurteilt (zu dieser Anforderung vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96; 6. September 1989 - 2 AZR 19/89 - zu B I 1 b der Gründe). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einen richterlichen Hinweis vermisst, ist seine Gegenrüge unzulässig, zumindest unbegründet.

23

5. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass sie - bei unveränderter Sachlage - damit zu rechnen hatte, an den Kläger auch zukünftig Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für mindestens sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Die Kündigung ist dennoch sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht „ultima ratio“ und deshalb unverhältnismäßig. Die Beklagte hat das gesetzlich vorgesehene bEM unterlassen, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.

24

a) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24). Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz sein (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN). Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 92, 96; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 286; vHHL/Krause KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 324; jeweils mwN).

25

b) Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich - besteht keine Verpflichtung zur Durchführung eines bEM - zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 14, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 16). Dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf seinerseits zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - aaO mwN). Entsprechend abgestuft ist die Darlegungslast des Arbeitgebers, wenn sich der Arbeitnehmer darauf beruft, die Kündigung sei deshalb unverhältnismäßig, weil eine dem Arbeitgeber bekannte, ihm gleichwohl nicht geboten erscheinende Therapiemöglichkeit bestanden habe.

26

c) Die Kündigung erweist sich nicht schon nach diesen allgemeinen Grundsätzen als unwirksam. Der Kläger hat geltend gemacht, sein bisheriger Arbeitsplatz erfordere regelmäßiges Treppensteigen und sei ferner deshalb nicht leidensgerecht, weil an ihm Zugluft herrsche. An Ausführungen dazu, welche organisatorischen Änderungen oder welcher andere Arbeitsbereich - aus seiner Sicht - eine Beschäftigung ohne gesundheitliche Probleme möglich gemacht hätten, fehlt es. Ebenso wenig ist seinem Vorbringen zu entnehmen, dass er sich bereits vor Zugang der Kündigung um eine Rehabilitationsmaßnahme und ein besseres Gesundheitsmanagement bemüht und die Beklagte Anhaltspunkte für die Annahme gehabt hätte, entsprechende Maßnahmen könnten erfolgversprechend sein.

27

d) Im Streitfall traf die Beklagte indes eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast. Sie hatte es versäumt, ein bEM durchzuführen. Ihrer Obliegenheit detailliert darzulegen, dass keine Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden, ist sie nicht nachgekommen.

28

aa) Die Beklagte war gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, ein bEM vorzunehmen. Der Kläger war in jedem der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung länger als sechs Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von sechs Wochen überschritten (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 19). Die Durchführung eines bEM setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer eine Behinderung vorliegt (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 27, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234).

29

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein regelkonformes bEM habe nicht stattgefunden, ist berechtigt.

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(1) Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. § 84 Abs. 2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20). Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20).

31

(2) Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 9, BAGE 140, 350; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Bei der Durchführung muss er eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt, hinzuziehen (vgl. BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 55, BVerwGE 137, 148).

32

(3) Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat(BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht(BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 52, BVerwGE 137, 148). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 19, BAGE 140, 350; dass das Gesetz hier vom „Arbeitsplatz“ spricht, dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen, vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 28). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 62).

33

(4) Kommt es stattdessen darauf an, ob bestimmte vom Arbeitgeber tatsächlich ergriffene Maßnahmen den Anforderungen eines bEM genügen, ist zu prüfen, ob sie sich als der vom Gesetz vorgesehene umfassende, offene und an den Zielen des bEM ausgerichtete Suchprozess erweisen.

34

(5) Danach kann in den betriebsärztlichen Untersuchungen des Klägers und den mit ihnen verbundenen Begutachtungen kein bEM erblickt werden.

35

(a) Der Betriebsarzt wird in § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX als ein Akteur erwähnt, der „bei Bedarf“ zum bEM hinzugezogen wird. Dies entspricht der Aufgabe des Arztes, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung zu unterstützen und in Fragen des Gesundheitsschutzes zu beraten (§ 1 Satz 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 ASiG). Die Nutzung seines Sachverstands kann der Klärung dienen, ob vom Arbeitsplatz Gefahren für die Gesundheit des Arbeitnehmers ausgehen und künftig durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ASiG). Die Inanspruchnahme des betriebsärztlichen Sachverstands steht einem bEM als ganzem aber nicht gleich (vgl. Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24, 25).

36

(b) Es kann dahinstehen, ob der Arbeitgeber dem Betriebsarzt bei Bedarf die Durchführung und Leitung des bEM übertragen kann (befürwortend Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 152; zweifelnd Cramer/Ritz/Schian SGB IX 6. Aufl. § 84 Rn. 31). Die Behauptung der Beklagten, die betriebsärztlichen Untersuchungen seien „teilweise … unter dem Titel ‚betriebliches Eingliederungsmanagement‘ [gelaufen]“, macht nicht deutlich, dass sie dem arbeitsmedizinischen Dienst die regelgerechte Durchführung eines bEM überantwortet hätte. Jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass die Betriebsärzte ihre Beauftragung in einem solch weitreichenden Sinne verstanden und entsprechend agiert hätten. Ihre Stellungnahmen beschränken sich auf die Einschätzung der Einsatzfähigkeit des Klägers auf der Grundlage arbeitsmedizinischer Untersuchungen. Auch fehlt es an substantiierten Darlegungen zu einer den Anforderungen des § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX genügenden Unterrichtung und Belehrung des Klägers, aus der sich für diesen die Absicht, ein bEM durchzuführen, deutlich hätte erschließen können. Das Vorbringen der Beklagten, die Betriebsärztin habe aus Anlass der Ende 2009/Anfang 2010 vorgenommenen Untersuchung mit dem Kläger „die Fragestellung“ eines möglichen Zusammenhangs zwischen seiner Tätigkeit und den Erkrankungen „besprochen“ und ihn „über den Sinn und Zweck der Untersuchungen“ unterrichtet, reicht dafür nicht aus. Es kann deshalb offenbleiben, ob die fragliche Begutachtung, hätte es sich bei ihr um ein bEM gehandelt, dem Zweck des § 84 Abs. 2 SGB IX deshalb nicht genügen konnte, weil der Kläger innerhalb des der Kündigung vorausgegangenen Jahres erneut Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen aufwies(zur Problematik KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 16; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10).

37

cc) Das Unterlassen eines bEM führt hier dazu, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist.

38

(1) Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dennoch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20).

39

(2) Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will sich der Arbeitgeber hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 25).

40

(3) Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt.

41

(4) Diesen Vorgaben wird die Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis gerecht.

42

(a) Ein bEM ist nicht nur bei lang andauernden Krankheiten geboten. Es ist auch bei häufigen Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen oder von vorneherein überflüssig. Nach der gesetzlichen Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX kommt es allein auf den Umfang, nicht auf die Ursache der Erkrankungen an. Auch aus Krankheiten, die auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen, kann sich - zumal wenn sie auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hindeuten - eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ergeben, der das bEM entgegenwirken soll (KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 17; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10; Deinert NZA 2010, 969, 971; aA Balders/Lepping NZA 2005, 854, 855).

43

(b) Dem Vorbringen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass einem künftigen Auftreten erheblicher, über sechs Wochen hinausgehender Fehlzeiten des Klägers durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen nicht hätte entgegengewirkt werden können. Dass ihr entsprechende Maßnahmen nicht möglich oder zumutbar gewesen wären, hat sie nicht aufgezeigt.

44

(aa) In diesem Zusammenhang waren nähere Darlegungen der Beklagten nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger vorgerichtlich geäußert haben mag, seine Erkrankungen seien nicht „betriebsbedingt“. Unabhängig davon, was genau er damit hat ausdrücken wollen, ist es nicht treuwidrig, wenn er sich gegenüber der ausgesprochenen Kündigung auf das Unterbleiben erfolgversprechender innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen beruft. Das Landesarbeitsgericht musste seine Behauptung, solche Maßnahmen hätten dem Auftreten neuerlicher Fehlzeiten vorbeugen oder diese zumindest verringern können, nicht etwa als Schutzbehauptung werten. Die Beklagte hat die vom Kläger aufgezeigten, einer günstigen Veränderung jedenfalls dem ersten Anschein nach nicht unzugänglichen Arbeitsbedingungen nicht in Abrede gestellt. Der Umstand, dass der Kläger während einer Prozessbeschäftigung trotz des Einsatzes am bisherigen Arbeitsplatz keine relevanten krankheitsbedingten Ausfallzeiten mehr gezeigt hat, spricht nicht notwendig gegen einen möglichen Zusammenhang zwischen den äußeren Arbeitsumständen und seinen bisherigen Fehlzeiten. Die Entwicklung kann ebenso gut durch die zwischenzeitlich durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme oder dadurch begünstigt worden sein, dass der Kläger - wie er behauptet hat - nunmehr ein effektiveres „Gesundheitsmanagement“ betreibt.

45

(bb) Die Beklagte hat die objektive Nutzlosigkeit innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen nicht dadurch aufgezeigt, dass sie auf den Gegenstand der arbeitsmedizinischen Untersuchungen verwiesen und sich die Stellungnahmen der Betriebsärzte - konkludent - zu Eigen gemacht hat. Zwar verpflichtet § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. c) ASiG die Betriebsärzte, Ursachen von „arbeitsbedingten Erkrankungen“ zu untersuchen. Auch ist der Stellungnahme vom 2. Februar 2010 zu entnehmen, dass die Ärzte keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers und seinen Fehlzeiten erkannt haben. Das schließt aber die Gewinnung anderer Erkenntnisse im Rahmen eines in alle Richtungen offenen bEM nicht aus. Bei diesem geht das Gesetz davon aus, dass sich neben dem Arbeitnehmer auch die anderen beteiligten Stellen, insbesondere die Rehabilitationsträger, aktiv in die Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit einbringen. Es kommt hinzu, dass die Berufsgenossenschaft im Jahr 2010 einen Zusammenhang zumindest zwischen den Arbeitsbedingungen und der Kontaktallergie gesehen und ein Hilfsmittel empfohlen hat. Soweit die Beklagte anführt, die im Jahr 2011 erfolgte betriebsärztliche Untersuchung sei „unter Berücksichtigung der arbeitsplatztypischen Belastungsfaktoren Lärm, Hautkontakt mit Stoffen, Schichttätigkeit“ erfolgt und „negativ“ verlaufen, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden kann. Im Übrigen ergibt sich aus ihm nicht, dass der Arbeitsplatz des Klägers auf besondere Belastungen durch Zugluft und Treppensteigen, dh. auf Umstände und deren mögliche Änderung hin untersucht worden wäre, in denen der Kläger eine Ursache seiner Krankheitsanfälligkeit erblickt.

46

(cc) Soweit die Beklagte gemeint hat, die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zu der Möglichkeit, im Rahmen eines bEM zu einer von den arbeitsmedizinischen Gutachten abweichenden Beurteilung zu gelangen, bewegten sich im Bereich der Spekulation, liegt darin kein beachtliches Vorbringen. Es handelt sich weder um eine zulässige Verfahrens-, noch um eine begründete Sachrüge. Es hat nicht das Landesarbeitsgericht Spekulationen angestellt, sondern die Beklagte ist ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen, im Einzelnen darzulegen, weshalb eine abweichende Beurteilung objektiv ausgeschlossen sein soll.

47

(c) Die Kündigung wäre selbst dann unverhältnismäßig, wenn feststünde, dass die tatsächlichen betrieblichen Bedingungen, zu denen der Kläger arbeitete, nicht hätten geändert werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung eines bEM Rehabilitationsbedarfe in der Person des Klägers hätten erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können.

48

(aa) Nach der Konzeption des Gesetzes lässt das bEM den Beteiligten bei der Prüfung, mit welchen Maßnahmen, Leistungen oder Hilfen eine künftige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglichst vermieden werden und das Arbeitsverhältnis erhalten bleiben kann, jeden denkbaren Spielraum. Es soll erreicht werden, dass keine vernünftigerweise in Betracht kommende, zielführende Möglichkeit ausgeschlossen wird (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1783 S. 16) soll durch eine derartige Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft gesichert werden. Zugleich sollen auf diese Weise medizinzische Rehabilitationsbedarfe frühzeitig, ggf. präventiv erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, hat der Arbeitgeber deshalb gemäß § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auch bei nicht behinderten Arbeitnehmern die örtlichen gemeinsamen Servicestellen hinzuzuziehen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Hilfen und Leistungen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX erbracht werden. Als Hilfen zur Beseitigung und möglichst längerfristigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeit kommen dabei - neben Maßnahmen zur kurativen Behandlung - insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX in Betracht(vgl. Knittel SGB IX 7. Aufl. § 84 Rn. 207; KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 9; Nebe in MünchAnwHdb Sozialrecht 4. Aufl. § 21 Rn. 22; Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 190).

49

(bb) Denkbares Ergebnis eines bEM kann es damit sein, den Arbeitnehmer auf eine Maßnahme der Rehabilitation zu verweisen. Dem steht nicht entgegen, dass deren Durchführung von seiner Mitwirkung abhängt und nicht in der alleinigen Macht des Arbeitgebers steht. Ggf. muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist zur Inanspruchnahme der Leistung setzen. Eine Kündigung kann er dann wirksam erst erklären, wenn die Frist trotz Kündigungsandrohung ergebnislos verstrichen ist (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 29). Durch die Berücksichtigung entsprechender, aus dem bEM entwickelter Empfehlungen wird der „ultima-ratio-Grundsatz“ nicht, wie die Beklagte meint, über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt. Die aus ihm resultierende Verpflichtung des Arbeitgebers, ggf. mildere Mittel zu ergreifen, ist nicht auf arbeitsplatzbezogene Maßnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG beschränkt. Diese Vorschrift dient der Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lediglich mit Blick auf ihren eigenen Regelungsbereich. Sie schließt die Berücksichtigung sonstiger Umstände, die eine Kündigung entbehrlich machen könnten, nicht aus. Eine Kündigung muss, damit sie durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“ ist, unter allen Gesichtspunkten verhältnismäßig, dh. unvermeidbar sein. Daraus kann sich die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, auf bestehende Therapiemöglichkeiten Bedacht zu nehmen. Wenn er ein bEM unterlassen hat, kann er gegen eine solche Verpflichtung nicht einwenden, ihm seien im Kündigungszeitpunkt - etwa schon mangels Kenntnis der Krankheitsursachen - entsprechende Möglichkeiten weder bekannt gewesen, noch hätten sie ihm bekannt sein können.

50

(cc) Das bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber bei Unterlassen eines bEM, um die Verhältnismäßigkeit der Kündigung aufzuzeigen, für jede nur erdenkliche Maßnahme der Gesundheitsprävention - etwa bis zu möglichen Änderungen in der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers - von sich aus darzulegen hätte, dass und weshalb sie zur nachhaltigen Verminderung der Fehlzeiten nicht geeignet gewesen sei. Es reicht aus, wenn er dartut, dass jedenfalls durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten nicht in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt lediglich die Berücksichtigung solcher Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen, deren Beachtung dem Arbeitgeber zumutbar ist. Zumutbar wiederum ist nur eine Beachtung solcher Maßnahmen, deren Zweckmäßigkeit hinreichend gesichert ist. Auch muss deren tatsächliche Durchführung objektiv überprüft werden können. Beides trifft auf gesetzlich vorgesehene Leistungen und Hilfen, die der Prävention und/oder Rehabilitation dienen, typischerweise zu. Solche Maßnahmen muss der Arbeitgeber deshalb grundsätzlich in Erwägung ziehen. Hat er ein bEM unterlassen, muss er von sich aus ihre objektive Nutzlosigkeit aufzeigen und ggf. beweisen. Dabei kommt eine Abstufung seiner Darlegungslast in Betracht, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt sind. Für eine Maßnahme außerhalb des Leistungskatalogs der Rehabilitationsträger - und sei es ein fachkundig entwickeltes Konzept zur privaten Gesundheitsprävention - gilt dies dagegen in aller Regel nicht. Deren objektive Nutzlosigkeit braucht der Arbeitgeber nicht darzutun.

51

(dd) Danach durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung zwar nicht deshalb für unwirksam erachten, weil im Rahmen eines bEM die Möglichkeit bestanden hätte, ein - wie auch immer geartetes - Konzept für ein konsequentes Gesundheitsmanagement des Klägers zu entwickeln. Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat nicht dargetan, dass auch bei regelkonformer Durchführung eines bEM keine geeigneten Leistungen oder Hilfen für den Kläger hätten erkannt werden können, zu deren Erbringung die Rehabilitationsträger verpflichtet gewesen wären. Das gilt umso mehr, als sich der Kläger ausdrücklich auf eine nach Zugang der Kündigung erfolgreich durchgeführte Reha-Behandlung berufen hat. Die Beklagte hätte aufzeigen müssen, warum Maßnahmen zur kurativen Behandlung und/oder der medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX - zu denen im Übrigen nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift auch die „Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln“ zählt - nicht in Betracht gekommen wären oder doch zu einer erheblichen Verringerung der Fehlzeiten nicht hätten beitragen können. An solchen Darlegungen fehlt es.

52

II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses gerichtet. Dieser Rechtsstreit ist abgeschlossen.

53

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

(2) Die Leistungen umfassen auch eine notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung.

(3) Soweit es im Einzelfall erforderlich ist, werden Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. Juni 2013 - 21 Sa 1456/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte entwickelt und vertreibt Hygieneartikel. Der 1964 geborene Kläger ist bei ihr seit Juni 1991 als Maschinenführer tätig. Zuletzt war er - als einer von etwa 220 Arbeitnehmern - im Betrieb E im Dreischichtmodell beschäftigt. Sein monatlicher Bruttoverdienst belief sich auf ca. 2.700,00 Euro.

3

Der Kläger war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig. Im Jahr 2006 war er ab dem 27. Juli an wenigstens 59 Tagen wegen einer Handverletzung nicht arbeitsfähig. Im Jahr 2007 fehlte er wegen einer anderen Handverletzung 105 und aufgrund einer Kontaktallergie weitere 30 Tage. Im Jahr 2008 war er an 69 Tagen, im Jahr 2009 an 74 Tagen, im Jahr 2010 an 62 Tagen und im Jahr 2011 an 125 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Zwei Fehltage im Jahr 2008 und 21 Fehltage im Jahr 2009 waren auf Arbeitsunfälle zurückzuführen. Von den Krankheitstagen im Jahr 2011 entfielen 117 Tage auf ein Hüftleiden. Wegen dieser Erkrankung unterzog sich der Kläger am 28. März 2011 einer Operation.

4

Die Fehlzeiten verteilten sich auf unterschiedlich lange Zeiträume, jeweils unterbrochen durch Tage der Arbeitsfähigkeit.

5

Im Jahr 2004 stellte sich der Kläger auf Ersuchen der Beklagten beim arbeitsmedizinischen Dienst vor. Es folgten weitere Begutachtungen Ende 2009/Anfang 2010 und im September 2011. In den betriebsärztlichen Stellungnahmen hieß es jeweils, gegen eine Beschäftigung des Klägers bestünden keine gesundheitlichen Bedenken. Im Schreiben vom 2. Februar 2010 wurde außerdem berichtet, es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen könnten. Im September 2010 teilte die Berufsgenossenschaft der Beklagten mit, sie habe dem Kläger einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt, bei deren Verwendung sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermeiden ließen.

6

Mit Schreiben vom 29. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2012.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die seit dem Jahr 2008 aufgetretenen Fehlzeiten seien - soweit nicht auf Arbeitsunfällen und den Hüftbeschwerden beruhend - im Wesentlichen auf eine Kontaktallergie, einen Fersensporn, Erkältungskrankheiten, in geringem Umfang auf eine Herz-/Kreislauferkrankung sowie zwei in der Freizeit erlittene Unfälle zurückzuführen. Die Fehlzeiten indizierten keine negative Zukunftsprognose. Mit dem Auftreten der Allergie sei nach den Maßnahmen der Berufsgenossenschaft und beim Tragen der empfohlenen Schutzhandschuhe nicht mehr zu rechnen. Sein Hüftleiden sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Der Fersensporn sei gleichfalls erfolgreich therapiert. Seine Erkältungskrankheiten seien durch Zugluft am Arbeitsplatz ausgelöst oder begünstigt worden. Jedenfalls sei die Kündigung unverhältnismäßig. Die Beklagte habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nicht durchgeführt. Sie könne sich deshalb nicht darauf berufen, alternative Möglichkeiten zur Vermeidung oder doch erheblichen Verringerung künftiger Fehlzeiten hätten nicht bestanden. Das sei auch objektiv falsch. Neben Veränderungen am Arbeitsplatz, dessen bisheriger Zuschnitt ein kontinuierliches Treppensteigen erfordere, habe ein geeignetes „Gesundheitsmanagement“ zur Stabilisierung seines Abwehr- und Immunsystems beitragen können. Dies belege eine zwischenzeitlich durchgeführte Reha-Maßnahme, in deren Folge sich sein Gesundheitszustand deutlich gebessert habe. Unabhängig davon sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Dieser sei bis einschließlich des 25. November 2011 an insgesamt 1061 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen. Davon habe sie für 803 Tage Entgeltfortzahlung geleistet. Die erheblichen Fehlzeiten sprächen für eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit des Klägers und begründeten eine negative Gesundheitsprognose. Dies wiederum beeinträchtige ihre betrieblichen Interessen erheblich. Sie habe damit rechnen müssen, an den Kläger weiterhin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für die Dauer von mehr als sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Ihre Verpflichtung zur Durchführung eines bEM habe sie mit den in Auftrag gegebenen arbeitsmedizinischen Untersuchungen erfüllt. Jedenfalls stehe aufgrund der betriebsärztlichen Stellungnahmen fest, dass die Krankheitsanfälligkeit des Klägers nicht durch organisatorische Änderungen habe überwunden werden können. Die Kündigung sei damit selbst dann verhältnismäßig, wenn es an einem regelkonformen bEM fehlen sollte. Auf die allgemeine Gesundheitsprävention im Rahmen außerbetrieblicher Maßnahmen sei der gesetzlich vorgegebene Klärungsprozess nicht angelegt.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage im noch rechtshängigen Umfang stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet.

12

A. Die Revision ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat sie im Tenor seines Urteils zugelassen. Daran ist der Senat gemäß § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden(vgl. BAG 16. April 1997 - 4 AZR 653/95 - zu I der Gründe). Eine Überprüfung der Zulassungsentscheidung - wie sie der Kläger offenbar anstrebt - findet nicht statt.

13

B. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden (I.). Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (II.).

14

I. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sie ist nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Sie erweist sich - ungeachtet der erheblichen Fehlzeiten - als unverhältnismäßig.

15

1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die der Senat zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat (vgl. aus jüngerer Zeit BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335). Auch wenn sich einzelne Krankheitsphasen über mehrere Monate erstreckten, liegt angesichts der Vielzahl der in Rede stehenden Krankheitsbilder und des häufigen Wechsels von Krankheits- und Arbeitsphasen nicht der Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung vor.

16

2. Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (bspw. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - aaO; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335).

17

3. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 17, BAGE 121, 335; 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 20). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24; 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 92, 96). Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO mwN).

18

4. Entgegen der Auffassung des Klägers erweist sich danach die Kündigung nicht bereits im ersten Prüfungsschritt als unwirksam. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die bisherigen Fehlzeiten hätten im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose indiziert und der Kläger habe diese Indizwirkung nicht entkräftet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

19

a) Die Beklagte hat die Krankheitszeiten des Klägers nach Zahl, Dauer und zeitlicher Folge im Einzelnen vorgetragen. Danach war der Kläger auch ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Ausfallzeiten seit Mitte des Jahres 2007 in erheblichem Umfang wegen Krankheit arbeitsunfähig. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stiegen seine Fehlzeiten kontinuierlich an (vgl. zu diesem Kriterium BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 32 mwN). Lediglich im Jahr 2010 gingen sie gegenüber dem Vorjahr leicht zurück, verblieben aber auf hohem Niveau. Unschädlich ist, dass das Landesarbeitsgericht nicht starr auf den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung abgestellt hat. Es konnte auch davor liegende Zeitspannen einbeziehen (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24).

20

b) Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten - den Angaben des Klägers zufolge - auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 26). Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zB eine Operation) ergriffen wurden (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO).

21

c) Danach hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, das künftige Auftreten von Krankheitszeiten im bisherigen Umfang sei aufgrund einer besonderen Krankheitsanfälligkeit indiziert. Zwar hat sich der Kläger bezüglich einzelner Erkrankungen darauf berufen, er habe besondere Therapiemaßnahmen durchgeführt. Seiner Schlussfolgerung, aufgrund dessen sei zumindest mit einer deutlichen Verringerung der Fehlzeiten zu rechnen gewesen, widerspricht aber der Umstand, dass er im Anschluss an die im März 2011 durchgeführte Operation noch bis Juli 2011 und erneut in der Zeit vom 8. bis 28. August 2011 wegen seines Hüftleidens krankgeschrieben war. Eine Rehabilitationsmaßnahme hat er erst nach Zugang der Kündigung begonnen und durchgeführt. Sie hat deshalb keinen Einfluss auf die Indizwirkung der vor dem Kündigungszeitpunkt aufgetretenen Fehlzeiten (vgl. BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 558/99 - Rn. 20 mwN). Gleiches gilt für mögliche - nach der Kündigung ergriffene - Maßnahmen zur Verbesserung der Immunabwehr. Damit verblieb es vor der Kündigung bei umfangreichen, eine negative Prognose stützenden Arbeitsunfähigkeitszeiten.

22

d) Der Kläger hat die Indizwirkung der Fehlzeiten nicht dadurch erschüttert, dass er sich auf das Zeugnis seiner ihn behandelnden Ärzte berufen und diese von der Schweigepflicht entbunden hat. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darin nicht die Behauptung erblickt, die Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung bezüglich sämtlicher prognosetragender Erkrankungen im Kündigungszeitpunkt positiv beurteilt (zu dieser Anforderung vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96; 6. September 1989 - 2 AZR 19/89 - zu B I 1 b der Gründe). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einen richterlichen Hinweis vermisst, ist seine Gegenrüge unzulässig, zumindest unbegründet.

23

5. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass sie - bei unveränderter Sachlage - damit zu rechnen hatte, an den Kläger auch zukünftig Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für mindestens sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Die Kündigung ist dennoch sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht „ultima ratio“ und deshalb unverhältnismäßig. Die Beklagte hat das gesetzlich vorgesehene bEM unterlassen, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.

24

a) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24). Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz sein (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN). Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 92, 96; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 286; vHHL/Krause KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 324; jeweils mwN).

25

b) Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich - besteht keine Verpflichtung zur Durchführung eines bEM - zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 14, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 16). Dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf seinerseits zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - aaO mwN). Entsprechend abgestuft ist die Darlegungslast des Arbeitgebers, wenn sich der Arbeitnehmer darauf beruft, die Kündigung sei deshalb unverhältnismäßig, weil eine dem Arbeitgeber bekannte, ihm gleichwohl nicht geboten erscheinende Therapiemöglichkeit bestanden habe.

26

c) Die Kündigung erweist sich nicht schon nach diesen allgemeinen Grundsätzen als unwirksam. Der Kläger hat geltend gemacht, sein bisheriger Arbeitsplatz erfordere regelmäßiges Treppensteigen und sei ferner deshalb nicht leidensgerecht, weil an ihm Zugluft herrsche. An Ausführungen dazu, welche organisatorischen Änderungen oder welcher andere Arbeitsbereich - aus seiner Sicht - eine Beschäftigung ohne gesundheitliche Probleme möglich gemacht hätten, fehlt es. Ebenso wenig ist seinem Vorbringen zu entnehmen, dass er sich bereits vor Zugang der Kündigung um eine Rehabilitationsmaßnahme und ein besseres Gesundheitsmanagement bemüht und die Beklagte Anhaltspunkte für die Annahme gehabt hätte, entsprechende Maßnahmen könnten erfolgversprechend sein.

27

d) Im Streitfall traf die Beklagte indes eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast. Sie hatte es versäumt, ein bEM durchzuführen. Ihrer Obliegenheit detailliert darzulegen, dass keine Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden, ist sie nicht nachgekommen.

28

aa) Die Beklagte war gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, ein bEM vorzunehmen. Der Kläger war in jedem der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung länger als sechs Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von sechs Wochen überschritten (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 19). Die Durchführung eines bEM setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer eine Behinderung vorliegt (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 27, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234).

29

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein regelkonformes bEM habe nicht stattgefunden, ist berechtigt.

30

(1) Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. § 84 Abs. 2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20). Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20).

31

(2) Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 9, BAGE 140, 350; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Bei der Durchführung muss er eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt, hinzuziehen (vgl. BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 55, BVerwGE 137, 148).

32

(3) Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat(BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht(BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 52, BVerwGE 137, 148). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 19, BAGE 140, 350; dass das Gesetz hier vom „Arbeitsplatz“ spricht, dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen, vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 28). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 62).

33

(4) Kommt es stattdessen darauf an, ob bestimmte vom Arbeitgeber tatsächlich ergriffene Maßnahmen den Anforderungen eines bEM genügen, ist zu prüfen, ob sie sich als der vom Gesetz vorgesehene umfassende, offene und an den Zielen des bEM ausgerichtete Suchprozess erweisen.

34

(5) Danach kann in den betriebsärztlichen Untersuchungen des Klägers und den mit ihnen verbundenen Begutachtungen kein bEM erblickt werden.

35

(a) Der Betriebsarzt wird in § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX als ein Akteur erwähnt, der „bei Bedarf“ zum bEM hinzugezogen wird. Dies entspricht der Aufgabe des Arztes, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung zu unterstützen und in Fragen des Gesundheitsschutzes zu beraten (§ 1 Satz 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 ASiG). Die Nutzung seines Sachverstands kann der Klärung dienen, ob vom Arbeitsplatz Gefahren für die Gesundheit des Arbeitnehmers ausgehen und künftig durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ASiG). Die Inanspruchnahme des betriebsärztlichen Sachverstands steht einem bEM als ganzem aber nicht gleich (vgl. Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24, 25).

36

(b) Es kann dahinstehen, ob der Arbeitgeber dem Betriebsarzt bei Bedarf die Durchführung und Leitung des bEM übertragen kann (befürwortend Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 152; zweifelnd Cramer/Ritz/Schian SGB IX 6. Aufl. § 84 Rn. 31). Die Behauptung der Beklagten, die betriebsärztlichen Untersuchungen seien „teilweise … unter dem Titel ‚betriebliches Eingliederungsmanagement‘ [gelaufen]“, macht nicht deutlich, dass sie dem arbeitsmedizinischen Dienst die regelgerechte Durchführung eines bEM überantwortet hätte. Jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass die Betriebsärzte ihre Beauftragung in einem solch weitreichenden Sinne verstanden und entsprechend agiert hätten. Ihre Stellungnahmen beschränken sich auf die Einschätzung der Einsatzfähigkeit des Klägers auf der Grundlage arbeitsmedizinischer Untersuchungen. Auch fehlt es an substantiierten Darlegungen zu einer den Anforderungen des § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX genügenden Unterrichtung und Belehrung des Klägers, aus der sich für diesen die Absicht, ein bEM durchzuführen, deutlich hätte erschließen können. Das Vorbringen der Beklagten, die Betriebsärztin habe aus Anlass der Ende 2009/Anfang 2010 vorgenommenen Untersuchung mit dem Kläger „die Fragestellung“ eines möglichen Zusammenhangs zwischen seiner Tätigkeit und den Erkrankungen „besprochen“ und ihn „über den Sinn und Zweck der Untersuchungen“ unterrichtet, reicht dafür nicht aus. Es kann deshalb offenbleiben, ob die fragliche Begutachtung, hätte es sich bei ihr um ein bEM gehandelt, dem Zweck des § 84 Abs. 2 SGB IX deshalb nicht genügen konnte, weil der Kläger innerhalb des der Kündigung vorausgegangenen Jahres erneut Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen aufwies(zur Problematik KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 16; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10).

37

cc) Das Unterlassen eines bEM führt hier dazu, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist.

38

(1) Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dennoch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20).

39

(2) Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will sich der Arbeitgeber hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 25).

40

(3) Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt.

41

(4) Diesen Vorgaben wird die Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis gerecht.

42

(a) Ein bEM ist nicht nur bei lang andauernden Krankheiten geboten. Es ist auch bei häufigen Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen oder von vorneherein überflüssig. Nach der gesetzlichen Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX kommt es allein auf den Umfang, nicht auf die Ursache der Erkrankungen an. Auch aus Krankheiten, die auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen, kann sich - zumal wenn sie auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hindeuten - eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ergeben, der das bEM entgegenwirken soll (KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 17; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10; Deinert NZA 2010, 969, 971; aA Balders/Lepping NZA 2005, 854, 855).

43

(b) Dem Vorbringen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass einem künftigen Auftreten erheblicher, über sechs Wochen hinausgehender Fehlzeiten des Klägers durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen nicht hätte entgegengewirkt werden können. Dass ihr entsprechende Maßnahmen nicht möglich oder zumutbar gewesen wären, hat sie nicht aufgezeigt.

44

(aa) In diesem Zusammenhang waren nähere Darlegungen der Beklagten nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger vorgerichtlich geäußert haben mag, seine Erkrankungen seien nicht „betriebsbedingt“. Unabhängig davon, was genau er damit hat ausdrücken wollen, ist es nicht treuwidrig, wenn er sich gegenüber der ausgesprochenen Kündigung auf das Unterbleiben erfolgversprechender innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen beruft. Das Landesarbeitsgericht musste seine Behauptung, solche Maßnahmen hätten dem Auftreten neuerlicher Fehlzeiten vorbeugen oder diese zumindest verringern können, nicht etwa als Schutzbehauptung werten. Die Beklagte hat die vom Kläger aufgezeigten, einer günstigen Veränderung jedenfalls dem ersten Anschein nach nicht unzugänglichen Arbeitsbedingungen nicht in Abrede gestellt. Der Umstand, dass der Kläger während einer Prozessbeschäftigung trotz des Einsatzes am bisherigen Arbeitsplatz keine relevanten krankheitsbedingten Ausfallzeiten mehr gezeigt hat, spricht nicht notwendig gegen einen möglichen Zusammenhang zwischen den äußeren Arbeitsumständen und seinen bisherigen Fehlzeiten. Die Entwicklung kann ebenso gut durch die zwischenzeitlich durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme oder dadurch begünstigt worden sein, dass der Kläger - wie er behauptet hat - nunmehr ein effektiveres „Gesundheitsmanagement“ betreibt.

45

(bb) Die Beklagte hat die objektive Nutzlosigkeit innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen nicht dadurch aufgezeigt, dass sie auf den Gegenstand der arbeitsmedizinischen Untersuchungen verwiesen und sich die Stellungnahmen der Betriebsärzte - konkludent - zu Eigen gemacht hat. Zwar verpflichtet § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. c) ASiG die Betriebsärzte, Ursachen von „arbeitsbedingten Erkrankungen“ zu untersuchen. Auch ist der Stellungnahme vom 2. Februar 2010 zu entnehmen, dass die Ärzte keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers und seinen Fehlzeiten erkannt haben. Das schließt aber die Gewinnung anderer Erkenntnisse im Rahmen eines in alle Richtungen offenen bEM nicht aus. Bei diesem geht das Gesetz davon aus, dass sich neben dem Arbeitnehmer auch die anderen beteiligten Stellen, insbesondere die Rehabilitationsträger, aktiv in die Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit einbringen. Es kommt hinzu, dass die Berufsgenossenschaft im Jahr 2010 einen Zusammenhang zumindest zwischen den Arbeitsbedingungen und der Kontaktallergie gesehen und ein Hilfsmittel empfohlen hat. Soweit die Beklagte anführt, die im Jahr 2011 erfolgte betriebsärztliche Untersuchung sei „unter Berücksichtigung der arbeitsplatztypischen Belastungsfaktoren Lärm, Hautkontakt mit Stoffen, Schichttätigkeit“ erfolgt und „negativ“ verlaufen, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden kann. Im Übrigen ergibt sich aus ihm nicht, dass der Arbeitsplatz des Klägers auf besondere Belastungen durch Zugluft und Treppensteigen, dh. auf Umstände und deren mögliche Änderung hin untersucht worden wäre, in denen der Kläger eine Ursache seiner Krankheitsanfälligkeit erblickt.

46

(cc) Soweit die Beklagte gemeint hat, die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zu der Möglichkeit, im Rahmen eines bEM zu einer von den arbeitsmedizinischen Gutachten abweichenden Beurteilung zu gelangen, bewegten sich im Bereich der Spekulation, liegt darin kein beachtliches Vorbringen. Es handelt sich weder um eine zulässige Verfahrens-, noch um eine begründete Sachrüge. Es hat nicht das Landesarbeitsgericht Spekulationen angestellt, sondern die Beklagte ist ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen, im Einzelnen darzulegen, weshalb eine abweichende Beurteilung objektiv ausgeschlossen sein soll.

47

(c) Die Kündigung wäre selbst dann unverhältnismäßig, wenn feststünde, dass die tatsächlichen betrieblichen Bedingungen, zu denen der Kläger arbeitete, nicht hätten geändert werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung eines bEM Rehabilitationsbedarfe in der Person des Klägers hätten erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können.

48

(aa) Nach der Konzeption des Gesetzes lässt das bEM den Beteiligten bei der Prüfung, mit welchen Maßnahmen, Leistungen oder Hilfen eine künftige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglichst vermieden werden und das Arbeitsverhältnis erhalten bleiben kann, jeden denkbaren Spielraum. Es soll erreicht werden, dass keine vernünftigerweise in Betracht kommende, zielführende Möglichkeit ausgeschlossen wird (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1783 S. 16) soll durch eine derartige Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft gesichert werden. Zugleich sollen auf diese Weise medizinzische Rehabilitationsbedarfe frühzeitig, ggf. präventiv erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, hat der Arbeitgeber deshalb gemäß § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auch bei nicht behinderten Arbeitnehmern die örtlichen gemeinsamen Servicestellen hinzuzuziehen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Hilfen und Leistungen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX erbracht werden. Als Hilfen zur Beseitigung und möglichst längerfristigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeit kommen dabei - neben Maßnahmen zur kurativen Behandlung - insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX in Betracht(vgl. Knittel SGB IX 7. Aufl. § 84 Rn. 207; KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 9; Nebe in MünchAnwHdb Sozialrecht 4. Aufl. § 21 Rn. 22; Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 190).

49

(bb) Denkbares Ergebnis eines bEM kann es damit sein, den Arbeitnehmer auf eine Maßnahme der Rehabilitation zu verweisen. Dem steht nicht entgegen, dass deren Durchführung von seiner Mitwirkung abhängt und nicht in der alleinigen Macht des Arbeitgebers steht. Ggf. muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist zur Inanspruchnahme der Leistung setzen. Eine Kündigung kann er dann wirksam erst erklären, wenn die Frist trotz Kündigungsandrohung ergebnislos verstrichen ist (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 29). Durch die Berücksichtigung entsprechender, aus dem bEM entwickelter Empfehlungen wird der „ultima-ratio-Grundsatz“ nicht, wie die Beklagte meint, über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt. Die aus ihm resultierende Verpflichtung des Arbeitgebers, ggf. mildere Mittel zu ergreifen, ist nicht auf arbeitsplatzbezogene Maßnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG beschränkt. Diese Vorschrift dient der Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lediglich mit Blick auf ihren eigenen Regelungsbereich. Sie schließt die Berücksichtigung sonstiger Umstände, die eine Kündigung entbehrlich machen könnten, nicht aus. Eine Kündigung muss, damit sie durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“ ist, unter allen Gesichtspunkten verhältnismäßig, dh. unvermeidbar sein. Daraus kann sich die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, auf bestehende Therapiemöglichkeiten Bedacht zu nehmen. Wenn er ein bEM unterlassen hat, kann er gegen eine solche Verpflichtung nicht einwenden, ihm seien im Kündigungszeitpunkt - etwa schon mangels Kenntnis der Krankheitsursachen - entsprechende Möglichkeiten weder bekannt gewesen, noch hätten sie ihm bekannt sein können.

50

(cc) Das bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber bei Unterlassen eines bEM, um die Verhältnismäßigkeit der Kündigung aufzuzeigen, für jede nur erdenkliche Maßnahme der Gesundheitsprävention - etwa bis zu möglichen Änderungen in der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers - von sich aus darzulegen hätte, dass und weshalb sie zur nachhaltigen Verminderung der Fehlzeiten nicht geeignet gewesen sei. Es reicht aus, wenn er dartut, dass jedenfalls durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten nicht in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt lediglich die Berücksichtigung solcher Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen, deren Beachtung dem Arbeitgeber zumutbar ist. Zumutbar wiederum ist nur eine Beachtung solcher Maßnahmen, deren Zweckmäßigkeit hinreichend gesichert ist. Auch muss deren tatsächliche Durchführung objektiv überprüft werden können. Beides trifft auf gesetzlich vorgesehene Leistungen und Hilfen, die der Prävention und/oder Rehabilitation dienen, typischerweise zu. Solche Maßnahmen muss der Arbeitgeber deshalb grundsätzlich in Erwägung ziehen. Hat er ein bEM unterlassen, muss er von sich aus ihre objektive Nutzlosigkeit aufzeigen und ggf. beweisen. Dabei kommt eine Abstufung seiner Darlegungslast in Betracht, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt sind. Für eine Maßnahme außerhalb des Leistungskatalogs der Rehabilitationsträger - und sei es ein fachkundig entwickeltes Konzept zur privaten Gesundheitsprävention - gilt dies dagegen in aller Regel nicht. Deren objektive Nutzlosigkeit braucht der Arbeitgeber nicht darzutun.

51

(dd) Danach durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung zwar nicht deshalb für unwirksam erachten, weil im Rahmen eines bEM die Möglichkeit bestanden hätte, ein - wie auch immer geartetes - Konzept für ein konsequentes Gesundheitsmanagement des Klägers zu entwickeln. Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat nicht dargetan, dass auch bei regelkonformer Durchführung eines bEM keine geeigneten Leistungen oder Hilfen für den Kläger hätten erkannt werden können, zu deren Erbringung die Rehabilitationsträger verpflichtet gewesen wären. Das gilt umso mehr, als sich der Kläger ausdrücklich auf eine nach Zugang der Kündigung erfolgreich durchgeführte Reha-Behandlung berufen hat. Die Beklagte hätte aufzeigen müssen, warum Maßnahmen zur kurativen Behandlung und/oder der medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX - zu denen im Übrigen nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift auch die „Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln“ zählt - nicht in Betracht gekommen wären oder doch zu einer erheblichen Verringerung der Fehlzeiten nicht hätten beitragen können. An solchen Darlegungen fehlt es.

52

II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses gerichtet. Dieser Rechtsstreit ist abgeschlossen.

53

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 10. Mai 2012 - 3 Sa 1134/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte ist ein Entsorgungsunternehmen, das mit sog. Abbruchschrott aus Metall handelt. In ihrem Betrieb beschäftigt sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer, darunter sechs bis sieben Hofarbeiter und mehrere LKW-Fahrer sowie Verwaltungskräfte. Den Hofarbeitern obliegt es, angelieferten Schrott zu sortieren, zu reinigen und zu entsorgen. Dabei kommen verschiedene Fahrzeuge zum Einsatz wie Gabelstapler, Lader und Bagger mit einem Gewicht von bis zu 35 Tonnen und einer Ausgreifweite von bis zu 20 Metern.

3

Der 1956 geborene, verheiratete Kläger war seit März 1999 bei der Beklagten als Hofarbeiter tätig. Sein Bruttomonatsverdienst betrug zuletzt 2.666,00 Euro.

4

Im Jahr 2009 führte die Beklagte ein striktes Alkoholverbot ein, über das sie den Kläger - wie ihre anderen Mitarbeiter auch - schriftlich unterrichtete. Außerdem gab sie auf ihrem gesamten Firmengelände die Geltung der StVO vor. Von ihren Hofarbeitern verlangte sie fortan, im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis (ehemalige Führerscheinklasse „drei“) zu sein. Zugleich stellte sie ihre bis dahin geübte Praxis ein, Mitarbeitern in den Sozialräumen auch alkoholische Getränke zur Verfügung zu stellen. Im Herbst 2010 weitete sie ihr Betriebsgelände zu einem etwa 800 Meter vom Hauptgelände entfernten Containerplatz aus. Seither müssen Hofarbeiter bei der Verrichtung ihrer Tätigkeit zeitweise öffentlichen Straßenraum befahren.

5

Am 14. Januar 2010 wurde der Kläger stark alkoholisiert am Arbeitsplatz angetroffen und anschließend nach Hause geschickt. Wegen weiterer Vorkommnisse kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien im Januar und Februar 2010 jeweils aus Gründen im Verhalten des Klägers. Im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess machte dieser geltend, er sei alkoholkrank. Die Beklagte nahm die Kündigungen zurück. Zugleich mahnte sie den Kläger wegen Verstoßes gegen das betriebliche Alkoholverbot ab. Der Kläger nahm das Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses an. Im Mai 2010 begann er eine Entziehungskur, die er Anfang Juli 2010 abbrach.

6

In den Monaten Juli bis September 2010 führte die Beklagte beim Kläger mit dessen Einverständnis regelmäßig Tests auf Alkohol im Atem durch. Eine entsprechende Kontrolle vom 31. August 2010 ergab einen Wert von 1,81 Promille. Die Beklagte forderte den Kläger auf, das Betriebsgelände zu verlassen. Außerdem mahnte sie ihn wegen „alkoholisierten Erscheinens am Arbeitsplatz“ ab. Bei weiteren Tests vom 13., 15. und 20. September 2010 wurde beim Kläger eine Alkoholkonzentration von 0,6, 0,16 bzw. 0,52 Promille festgestellt. Am 7. Dezember 2010 verursachte er mit einem Firmenfahrzeug außerhalb des Betriebsgeländes einen Unfall. Es entstand Sachschaden. Am 12. Januar 2011 verweigerte er die Teilnahme an einem Alkoholtest. Die Umstände, die zu der Weigerung führten, sind zwischen den Parteien streitig.

7

Am 1. März 2011 kontrollierte die Beklagte ihre gewerblichen Arbeitnehmer auf den Besitz eines gültigen Führerscheins. Der Kläger legte eine in Tschechien ausgestellte Fahrerlaubnis vor. Mit Schreiben vom 7. März 2011 teilte sein behandelnder Arzt mit, nach Abbruch der stationären Therapie im Jahr 2010 seien beim Kläger keine weiteren Maßnahmen zur Alkoholentwöhnung durchgeführt worden. Mitte März 2011 forderte die Beklagte den Kläger auf, bis Ende des Monats verbindliche Unterlagen „bezüglich Art und Zeitraum einer Entziehungskur in nächster Zukunft“ sowie über die Gültigkeit seines „tschechischen Führerscheins“ vorzulegen. Der Kläger brachte keine Unterlagen über eine weitere Behandlung bei. Die zuständige Behörde teilte mit, dass die Fahrerlaubnis in Deutschland keine Gültigkeit habe.

8

Mit Schreiben vom 4. April 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 31. August 2011, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Vom 15. bis zum 26. April 2011 begab sich der Kläger für eine stationäre Behandlung ins Krankenhaus. Er wurde als „arbeitsfähig“ entlassen.

9

Gegen die Kündigung hat der Kläger fristgerecht die vorliegende Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. Er sei nicht alkoholabhängig. Erhebliche Betriebsablaufstörungen seien aufgrund seiner gelegentlichen Alkoholisierung nicht eingetreten. Die im Frühjahr 2010 begonnene Entziehungskur habe er abgebrochen, weil er mit dem bezogenen Krankengeld seinen Lebensunterhalt nicht habe bestreiten können. Der Verkehrsunfall vom Dezember 2010 sei auf einen Defekt an dem von ihm gesteuerten Ladefahrzeug zurückzuführen. Im Januar 2011 habe er einen Alkoholtest nicht endgültig verweigert; er habe lediglich darum gebeten, die Kontrolle in Abwesenheit der LKW-Fahrer durchzuführen, wozu die Beklagte nicht bereit gewesen sei. Jedenfalls sei es dieser zumutbar gewesen, ihn ausschließlich auf ihrem Betriebsgelände einzusetzen. Zur Erledigung der dort anfallenden Arbeiten sei eine Fahrerlaubnis nicht zwingend erforderlich. Außerdem habe die Möglichkeit bestanden, ihn als Platzwart oder Hofarbeiter auf dem neuen Containerplatz weiter zu beschäftigen.

10

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 4. April 2011 nicht aufgelöst worden ist.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei durch Gründe im Verhalten und in der Person des Klägers bedingt. Dieser habe mehrfach gegen das betriebliche Alkoholverbot verstoßen. Er sei im Kündigungszeitpunkt alkoholabhängig gewesen. Auch habe ihm der ernstliche Wille gefehlt, eine Therapie durchzuführen. Unter diesen Umständen sei ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers als Hofarbeiter aus Sicherheitsgründen nicht länger zuzumuten gewesen. Andere geeignete Arbeitsplätze hätten nicht zur Verfügung gestanden.

12

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Kündigung vom 4. April 2011 ist wirksam.

14

I. Die ordentliche Kündigung vom 4. April 2011 ist aufgrund der Alkoholerkrankung des Klägers durch Gründe in seiner Person bedingt und deshalb iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt.

15

1. Ist im Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt, der Arbeitnehmer biete aufgrund einer Alkoholsucht dauerhaft nicht die Gewähr, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen, kann eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein. Voraussetzung ist, dass daraus eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgt, diese durch mildere Mittel - etwa eine Versetzung - nicht abgewendet werden kann und sie auch bei einer Abwägung gegen die Interessen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss (BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 22; zu den Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 11, BAGE 135, 361). Für die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung einer Alkoholerkrankung kommt es entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung bereit ist, eine Entziehungskur bzw. Therapie durchzuführen. Lehnt er das ab, kann erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden, dass er von seiner Alkoholabhängigkeit in absehbarer Zeit nicht geheilt wird (BAG 9. April 1987 - 2 AZR 210/86 - zu B III 3 der Gründe). Ebenso kann eine negative Prognose dann berechtigt sein, wenn der Arbeitnehmer nach abgeschlossener Therapie rückfällig geworden ist (BAG 16. September 1999 - 2 AZR 123/99 - zu II 2 b bb der Gründe).

16

2. Im Streitfall war im Zeitpunkt der Kündigung die Annahme gerechtfertigt, der Kläger biete aufgrund von Alkoholsucht nicht mehr die Gewähr, seine Tätigkeit als Hofarbeiter dauerhaft ordnungsgemäß erbringen zu können.

17

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, der Kläger sei nach der Einnahme von Alkohol für die von ihm zu erbringende Tätigkeit als Hofarbeiter nicht einsetzbar. Er ist im Rahmen seiner Tätigkeit verantwortlich für das Führen verschiedener großer Fahrzeuge. Die mit dem Alkoholkonsum einhergehenden Minderungen der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit führen zu erheblichen Gefahren für Menschen und Material auf dem Hofgelände, denen die Beklagte als Betriebsinhaberin so weit wie möglich begegnen muss.

18

b) Die Beklagte musste aufgrund der Vorfälle in der Vergangenheit auch künftig mit Alkoholauffälligkeiten des Klägers während der Arbeitszeit rechnen.

19

aa) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lag beim Kläger im Kündigungszeitpunkt eine Alkoholerkrankung vor. Daran ist der Senat gebunden (§ 559 Abs. 2 ZPO). Der Kläger behauptet zwar weiterhin das Gegenteil. Das reicht als Revisionsangriff aber nicht aus (zu den Anforderungen an eine zulässige Verfahrensrüge vgl. BAG 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 109, 145).

20

bb) Der Kläger war seit Anfang des Jahres 2010 mehrfach alkoholisiert an seinem Arbeitsplatz angetroffen worden. Nach einer stationären Entwöhnungsbehandlung, die er aus wirtschaftlichen Erwägungen abbrach, wurde er wiederholt alkoholauffällig. Daraus durfte das Landesarbeitsgericht auf die Wiederholung entsprechender Ausfälle in der Zukunft schließen. Der Kläger hat im Rahmen der ihn nach § 138 Abs. 2 ZPO treffenden abgestuften Darlegungslast(vgl. dazu BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96) keine Umstände aufgezeigt, die geeignet gewesen wären, die Indizwirkung seiner alkoholbedingten Ausfälle zu entkräften.

21

(1) Der Kläger hat nicht behauptet, vor dem Ausspruch der Kündigung eine neuerliche Alkoholtherapie begonnen zu haben. Die Beklagte durfte den Umständen nach von einer Therapieunwilligkeit ausgehen. Sie hatte ihn mit Schreiben vom 16. März 2011 aufgefordert, einen Nachweis über eine Entziehungskur beizubringen. Dies konnte der Kläger angesichts der zuvor erteilten Auskunft seines behandelnden Arztes nur so verstehen, dass es ihr um die zukünftige Teilnahme an einer Kur und damit die Abklärung seiner ernsthaften Bereitschaft ging, eine Entwöhnungsbehandlung durchzuführen. Der Kläger hat das Schreiben im fraglichen Punkt unbeantwortet gelassen. Soweit er geltend gemacht hat, er habe sich noch im März 2011 um eine „weitere ärztliche Behandlung bemüht“, war seinem Vorbringen nicht zu entnehmen, dass er eine Alkoholtherapie anstrebte. Im ärztlichen Bericht vom 26. April 2011 heißt es zu einer nach Zugang der Kündigung erfolgten Krankenhausbehandlung nur, der Kläger sei „arbeitsfähig“ entlassen worden. Zur Art der Behandlung, insbesondere ob es sich dabei um - erfolgreiche - Maßnahmen zur Alkoholentwöhnung handelte, verhält sich der Bericht nicht. Darauf, ob eine vom Kläger erst nach Zugang der Kündigung begonnene Alkoholtherapie im Rahmen der anzustellenden Zukunftsprognose überhaupt hätte Berücksichtigung finden können (zur Problematik vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96), kommt es nicht an.

22

(2) Auch wenn eine Vielzahl beim Kläger durchgeführter Alkoholtests unauffällig gewesen sein mögen, führt dies nicht daran vorbei, dass in drei Fällen Werte von über 0,5 „Promille“ erreicht wurden, wobei mangels gegenteiliger Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zugunsten des Klägers davon auszugehen ist, dass der jeweilige Wert - aufgrund einer vom Messgerät intern durchgeführten Umrechnung - die Blutalkoholkonzentration widerspiegelt, die andernfalls noch höher ausfiele (zum Umrechnungsfaktor vgl. BGH 3. April 2001 - 4 StR 507/00 - zu IV b der Gründe, BGHSt 46, 358). Unter diesen Umständen war nicht davon auszugehen, der Kläger habe seine Alkoholerkrankung „im Griff“ gehabt und die Fähigkeit zur Abstinenz besessen. Mit seinem Einwand, es habe sich jeweils um „Restalkohol“ aufgrund des Genusses alkoholischer Getränke am Vorabend gehandelt, verkennt der Kläger, dass es für die Beeinträchtigung seiner Arbeitsfähigkeit unerheblich ist, wann er Alkohol zu sich genommen hat. Es spricht überdies nicht für, sondern gegen die Annahme, er könne seine Alkoholsucht „beherrschen“, wenn es sich etwa bei der am 20. September 2010 gegen 12:50 Uhr gemessenen Alkoholkonzentration von 0,52 Promille um „Restalkohol“ gehandelt haben sollte. Dies deutete - das Vorbringen als wahr unterstellt - auf eine sehr starke Alkoholisierung am Vortag hin.

23

3. Die Alkoholerkrankung und die damit verbundene mangelnde Einsatzfähigkeit des Klägers führten zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen.

24

a) Der Kläger erbringt seine Arbeitsleistungen in einem Umfeld, das von An- und Abtransporten sowie Umladungen von Metallabfällen mittels schwerer Gerätschaften wie Bagger, Gabelstapler, Lader, betriebseigener und betriebsfremder LKW geprägt ist. Seine vertraglich geschuldete Tätigkeit ist deshalb - unstreitig - sowohl mit einer nicht unerheblichen Gefahr für sich selbst als auch für Dritte verbunden.

25

b) Aufgrund dieser Gefahren war es der Beklagten nicht zuzumuten, den Kläger auf seinem bisherigen Arbeitsplatz einzusetzen. Nach § 7 Abs. 2 der Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (BGV A1 idF vom 1. Januar 2004) dürfen Unternehmer Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen. Gemäß § 15 Abs. 2 der Vorschrift dürfen Versicherte sich durch den Konsum von Alkohol, Drogen oder anderen berauschenden Mitteln nicht in einen Zustand versetzen, durch den sie sich selbst oder andere gefährden können. Eine solche Eigen- oder Fremdgefährdung ist nach der BG-Regel A1 zu § 15 Abs. 2(vom Oktober 2005 idF vom Januar 2009) insbesondere beim Führen von Fahrzeugen oder selbstfahrenden Arbeitsmaschinen sowie beim Arbeiten in deren unmittelbarer Nähe gegeben. Eine Missachtung dieser Vorgaben kann zum Verlust des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung führen. Für den Straßenverkehr sieht der Gesetzgeber ab einem Wert von 0,25 mg/l Alkohol in der Atemluft und 0,5 Promille Alkohol im Blut eine erhebliche Gefährdung für den Straßenverkehr (§ 24a StVG). Relative Fahruntüchtigkeit kann schon ab ca. 0,3 Promille Alkohol im Blut anzunehmen sein (grundlegend BGH 28. April 1961 - 4 StR 55/61 - zu I 2 der Gründe; zuletzt bspw. OLG Hamm 25. August 2010 - I-20 U 74/10, 20 U 7420 U 74/10 - Rn. 22). Das im Betrieb der Beklagten angeordnete absolute Alkoholverbot trägt diesen Gefahren Rechnung. Es dient - wie die Anordnung der Geltung der StVO auf dem Betriebsgelände - ersichtlich dazu, entsprechende Risiken vorbeugend auszuschließen und damit letztlich Schaden von der Beklagten selbst, ihren Mitarbeitern sowie betriebsfremden Personen und deren Eigentum abzuwenden. Angesichts der Alkoholerkrankung des Klägers und seiner nachweislich - auch krankheitsbedingt - mangelnden Fähigkeit, abstinent zu bleiben, konnte und durfte die Beklagte nicht darauf vertrauen, er werde seine Arbeit als Hofarbeiter nüchtern, zumindest aber in einem körperlichen Zustand verrichten, der den Präventionsvorgaben gerecht wird.

26

c) Bereits dies führt - vorbehaltlich einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit - zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG(vgl. BAG 13. Dezember 1990 - 2 AZR 336/90 - zu II 3 der Gründe), ohne dass es noch darauf ankäme, ob der Alkoholgenuss des Klägers zu Unfällen beigetragen hat, in die er während seiner Tätigkeit für die Beklagte verwickelt war. Ebenso wenig ist von Belang, ob und ggf. wie oft dieser in der Vergangenheit objektiv durch seine Alkoholisierung am Arbeitsplatz gesetzliche Vorgaben verletzt hat oder ggf. unerkannt arbeitsunfähig war. Entscheidend ist, dass die Beklagte aufgrund der im Kündigungszeitpunkt fortbestehenden Alkoholerkrankung jederzeit mit einer Beeinträchtigung der Fahr- und Arbeitssicherheit durch den Kläger rechnen musste. Sein weiterer Einsatz als Hofarbeiter war ihr damit nicht zumutbar.

27

d) Dass sie ihn nach Abbruch der Entziehungskur gleichwohl mit entsprechenden Aufgaben betraut hat, stellt diese Bewertung nicht in Frage. Dies geschah über längere Zeit hinweg unter der Prämisse einer Einwilligung in die Durchführung regelmäßiger Alkoholtests. Jedenfalls nachdem der Kläger ihre Anfrage vom März 2011 hinsichtlich einer weiteren Alkoholtherapie unbeantwortet gelassen hatte, konnte der Beklagten nicht mehr angesonnen werden, den Kläger weiterhin mit seinen bisherigen Aufgaben zu betrauen und ihn dabei täglich - ggf. sogar wiederholt - auf seine Alkoholabstinenz hin zu kontrollieren (vgl. BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 34). Zudem war der Kläger nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ab Ende 2010 nicht mehr bereit, an regelmäßigen Tests vorbehaltslos mitzuwirken. Auch daran ist der Senat mangels zulässigen Angriffs der Revision gebunden.

28

e) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, im Kündigungszeitpunkt habe keine zumutbare Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung des Klägers bestanden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

29

aa) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist entsprechend dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 1020/08 - Rn. 18; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 14; jeweils mwN). Die Möglichkeit der anderweitigen Beschäftigung ist ein milderes Mittel. Wenn eine Umsetzungsmöglichkeit besteht, hat eine Erkrankung des Arbeitnehmers keine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zur Folge (vgl. BAG 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - zu B IV 1 der Gründe).

30

bb) Der Kläger hat sich insoweit auf eine Beschäftigung als Hofarbeiter ohne Verpflichtung zum Führen eines Kraftfahrzeugs und als Platzwart berufen. Damit hat er keine geeignete alternative Beschäftigungsmöglichkeit aufgezeigt. Die Beklagte hält die von ihm bezeichneten „Arbeitsplätze“ nicht vor. Zudem ist weder dargetan noch objektiv erkennbar, dass die Ausübung der fraglichen Tätigkeiten vergleichbare Sicherheitsrisiken nicht auch mit sich brächte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger sei im Falle einer alkoholbedingten Einschränkung seiner Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit nicht in der Lage, auf Gefahrensituationen angemessen zu reagieren und/oder Dritte ggf. rechtzeitig zu warnen. Der Kläger stellt dies nicht in Abrede. Er meint lediglich, die im Berufungsurteil getroffene Wertung lasse außer Acht, dass solche Gefahren auch bei anderen chronischen Erkrankungen nicht hinreichend sicher auszuschließen seien. Dabei übersieht er zum einen, dass Suchterkrankten - im Gegensatz zu anderen chronisch kranken Menschen - typischerweise die Fähigkeit fehlt einzuschätzen, ob sie wegen des Konsums von Suchtmitteln in ihrer Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit eingeschränkt sind. Zum anderen ist es eine Frage des Einzelfalls, ob ein Arbeitnehmer wegen chronischer Erkrankung und damit verbundener Sicherheitsrisiken bestimmte Arbeiten nicht mehr erledigen kann. Ein solcher Befund kann sich nicht nur beim Alkoholismus ergeben.

31

cc) Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob die Beklagte vor der Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement iSv. § 84 Abs. 2 SGB IX(bEM) durchgeführt hat. Das Versäumnis ist nicht entscheidungserheblich.

32

(1) Zugunsten des Klägers kann davon ausgegangen werden, dass bei Alkoholismus ein bEM grundsätzlich in Betracht kommt und seine Durchführung sich nicht wegen des Krankheitsbildes generell als überflüssig darstellt (zur Problematik vgl. Brose DB 2013, 1727, 1728). Gleichwohl erscheint fraglich, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX im Streitfall vorliegen. Zwar war ein bEM nicht deshalb entbehrlich, weil bei der Beklagten keine betriebliche Interessenvertretung iSd. § 93 SGB IX bestand(vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 28, BAGE 135, 361). Es ist aber weder festgestellt noch vom Kläger behauptet, dass er vor der Kündigung innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt wegen seiner Alkoholerkrankung arbeitsunfähig war. Seine Beschäftigung mag der Beklagten unzumutbar gewesen sein. Dies steht einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aber nicht ohne Weiteres gleich (ähnlich BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 31). Soweit der Kläger im Frühjahr 2010 Krankengeld bezogen hat, bleibt unklar, für welche Dauer er die Sozialleistung erhielt.

33

(2) Abgesehen davon führte das Unterlassen eines bEM nicht zu der Annahme, die Kündigung sei unverhältnismäßig. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

34

(a) § 84 Abs. 2 SGB IX stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Das bEM ist zwar kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner Hilfe können aber solche milderen Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen, ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 18; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 41, BAGE 123, 234). Möglich ist, dass selbst ein bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen eines bEM kein Nachteil entstehen. Erscheint demgegenüber ein positives Ergebnis denkbar, darf er sich nicht auf den pauschalen Vortrag beschränken, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die der erkrankte Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Der Arbeitgeber hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer ggf. außergerichtlich genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz in Betracht kommen (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 35, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 19).

35

(b) Im Streitfall erscheint es als ausgeschlossen, dass ein bEM zu einem positiven Ergebnis hätte führen können. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts beschäftigte die Beklagte im Kündigungszeitpunkt außer Hofarbeitern nur LKW-Fahrer und Verwaltungskräfte. Als LKW-Fahrer konnte der Kläger wegen seiner Alkoholabhängigkeit und auch deshalb nicht eingesetzt werden, weil ihm die dafür notwendige Fahrerlaubnis fehlte. Auch ein Einsatz im Bürobereich war der Beklagten angesichts der Alkoholabhängigkeit nicht zumutbar. Unabhängig davon fehlte dem Kläger hierfür offensichtlich die Qualifikation. Soweit er bis zum Ablauf der Kündigungsfrist gelegentlich und unter Berücksichtigung seiner Einschränkungen mit einfachen Hilfsarbeiten beschäftigt worden war, kann daraus nicht auf eine alternative Einsatzmöglichkeit iSd. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG geschlossen werden. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass sie die fraglichen Tätigkeiten nach Ablauf der Kündigungsfrist - wie bereits zuvor - fremdvergeben habe. Allenfalls dann, wenn ihre Hofarbeiter nicht mit anderen Aufgaben ausgelastet gewesen seien, hätten diese - gelegentlich - die Arbeiten mit übernommen. Dieser Behauptung ist der Kläger nicht entgegengetreten. Im Übrigen stand der erfolgreichen Durchführung eines bEM die mangelnde Therapiewilligkeit des Klägers im Kündigungszeitpunkt entgegen.

36

4. Die Abwägung der Belange beider Parteien ergibt, dass das Beendigungsinteresse der Beklagten das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses überwiegt. Das Landesarbeitsgericht hat alle für und gegen dieses Ergebnis sprechenden Aspekte berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

37

a) Der Beklagten war es auf Dauer nicht mehr zumutbar, die mit einer möglichen Alkoholisierung des Klägers verbundenen Gefährdungen hinzunehmen. Geeignete Mittel, ihnen angemessen zu begegnen, standen nicht zur Verfügung. Unabhängig von der fehlenden Einwilligung des Klägers in regelmäßige Alkoholtests versprachen derartige Kontrollen nicht die erforderliche Sicherheit. Der Kläger war Alkoholiker. Es war davon auszugehen, dass er es darauf anlegen würde, Mittel und Wege zu finden, etwaige Kontrollen zu umgehen.

38

b) Diese Belange der Beklagten werden durch die zwölfjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers, sein Alter und die gegenüber seiner Ehefrau bestehende Unterhaltsverpflichtung nicht aufgewogen. Die Beklagte hat dem Kläger nach Alkoholauffälligkeiten die Chance einer Bewährung gegeben. Sie hat die stationäre Behandlung abgewartet. Deren Scheitern war ihr nicht anzulasten. Überdies hat sie dem Kläger nach einer erneuten Alkoholauffälligkeit im August 2010 durch eine Abmahnung deutlich vor Augen geführt, welche Bedeutung sie seiner Abstinenz zumisst, und ihm unmittelbar vor der Kündigung eine Frist gesetzt, um weitere - kurzfristig anzugehende - Behandlungsmaßnahmen nachzuweisen. Sie hatte damit alles ihr Zumutbare für den Erhalt des Arbeitsverhältnisses getan. Ihr Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses musste nicht deshalb zurücktreten, weil sie zu früheren Zeiten im Betrieb alkoholische Getränke bereitgestellt hatte. Der Kläger hat nicht etwa behauptet, die Beklagte habe ihn trotz Kenntnis von seiner Alkoholabhängigkeit zum Genuss alkoholischer Getränke verleitet.

39

c) Unschädlich ist, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis erst gekündigt hat, nachdem sich herausgestellt hatte, die dem Kläger erteilte „tschechische Fahrerlaubnis“ im Inland keine Gültigkeit besaß. Ihr war es trotz dieses Zuwartens nicht verwehrt, sich auf die Alkoholerkrankung des Klägers als eigenständigen Kündigungsgrund zu berufen. Überdies war dessen Verhalten im Zusammenhang mit dem Führerschein ein weiterer Beleg für das Fehlen seiner Bereitschaft, mit bestehenden Unzulänglichkeiten verantwortlich umzugehen. Ob umgekehrt die Kündigung allein wegen der Tatsache gerechtfertigt wäre, dass der Kläger nicht über eine für Deutschland gültige Fahrerlaubnis verfügte, bedarf keiner Entscheidung.

40

II. Das Landesarbeitsgericht hat - unausgesprochen - angenommen, die Kündigung sei nicht deshalb unwirksam, weil die maßgebende Kündigungsfrist nicht eingehalten worden sei. Dagegen wendet sich der Kläger nicht. Er geht - in Übereinstimmung mit der Beklagten - davon aus, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung vom 4. April 2011, sollte diese sich als sozial gerechtfertigt erweisen, mit Ablauf des 30. September 2011 aufgelöst worden und die Kündigungserklärung sei entsprechend auszulegen. Ein Rechtsfehler ist insoweit auch objektiv nicht zu erkennen.

41

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Wolf    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 15. November 2012 - 3 Sa 71/12 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, soweit dieses die Berufung des Klägers gegen die Abweisung seines Kündigungsschutzantrags zurückgewiesen hat.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung.

2

Die Beklagte bietet Dienst- und Vertriebsleistungen im Bereich der Informations- und Telekommunikationstechnik an. Für ihre Betriebsstätten in Essen und Erfurt ist ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt. Der im Dezember 1957 geborene Kläger war seit Juli 2001 als „Call-Center-Agent“ in der Betriebsstätte Erfurt beschäftigt. Außer ihm waren dort ein Niederlassungsleiter, eine Büroleiterin, sieben IT-Techniker und drei Außendienstmitarbeiter tätig.

3

Im Jahr 2004 war der Kläger an 54 Tagen, im Jahr 2005 an 29 Tagen arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 7. Juni 2006 fehlte er zunächst - im Umfang von insgesamt 21 Tagen - mehrfach kurzzeitig. Ab dem 27. November 2006 war er dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt. In der Folgezeit stellte die Beklagte zumindest zwei Teilzeitkräfte als „Call-Center-Agenten“ ein, die sie in Erfurt einsetzte und dem dortigen Niederlassungsleiter unterstellte.

4

Der Kläger leidet unter beidseitigem Tinnitus, dadurch bedingten Hörstörungen und an „psychovegetativen Erscheinungen“. Im Mai 2007 wurde er mit einem Grad der Behinderung von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Seit dem 1. Juni 2007 bezog er eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung. Zwischen den Parteien ist streitig, ob es sich insoweit um eine Rente wegen voller Erwerbsminderung oder - wie der Kläger behauptet hat - um eine sog. Arbeitsmarktrente handelt.

5

Im Mai 2010 beantragte die Beklagte die Zustimmung des Integrationsamts zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung, die durch Bescheid vom 9. November 2010 erteilt wurde. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 25. November 2010 ordentlich zum 28. Februar 2011.

6

Gegen den Bescheid des Integrationsamts erhob der Kläger Widerspruch, der zurückgewiesen wurde. In der Entscheidung des Widerspruchsausschusses heißt es, der Kläger sei nicht in der Lage, täglich länger als drei Stunden als „Call-Center-Agent“ zu arbeiten. Zwar habe es die Beklagte unterlassen, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchzuführen. Auch durch ein bEM habe die Kündigung aber nicht vermieden werden können.

7

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage fristgerecht gegen die Kündigung gewandt. Außerdem hat er seine Weiterbeschäftigung verlangt. Im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens hat er ein Attest seiner behandelnden Ärztin vom 24. Oktober 2011 vorgelegt. Darin heißt es, er sei „prinzipiell arbeitsfähig“, wenn keine besonderen Anforderungen an das Gehör gestellt würden, der Arbeitsschutz eingehalten werde, keine permanente höhergradige Lärmbelästigung vorliege und die Arbeit „nicht durch permanentes Telefonieren gekennzeichnet“ sei. Der Kläger hat geltend gemacht, er habe im Mai 2006 während eines Kundentelefonats infolge einer technischen Störung an einem Headset einen akustischen Schock erlitten. Dieser habe zu einem eingeschränkten Hörvermögen, beidseits starken Ohrgeräuschen, Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen und Übelkeit mit bis dato nachwirkenden Folgen geführt. Zwar habe er aufgrund der eingetretenen Lärmschwerhörigkeit seine bisherige Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ nicht mehr vollschichtig und zu unveränderten Bedingungen erbringen können. Er sei jedoch in der Lage gewesen, eine Tätigkeit als „Supervisor“ der Agenten oder Lagerarbeiten zu übernehmen. Darauf, ob entsprechende Arbeitsplätze im Kündigungszeitpunkt frei gewesen seien, komme es nicht an. Mit Blick auf ihre gesteigerte Fürsorgepflicht habe die Beklagte ggf. entsprechende Stellen schaffen müssen. Zumindest habe sie für ihn die Stelle eines Lagerarbeiters - und sei es durch Kündigung - „freimachen“ müssen. Die Kündigung sei auch deshalb unwirksam, weil sie wegen seiner Behinderung erfolgt sei. Zudem fehle es an einer ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 25. November 2010 nicht aufgelöst worden ist;

        

für den Fall des Obsiegens mit diesem Antrag,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihn in ihrer Niederlassung in Erfurt als Supervisor, hilfsweise als Lagerarbeiter zu beschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger sei dauerhaft nicht mehr in der Lage, die vertraglich geschuldete Tätigkeit zu erbringen. Daran treffe sie kein Verschulden. Sie habe alle einschlägigen Arbeitsschutzbestimmungen eingehalten. Eines bEM habe es den Umständen nach nicht bedurft. Jedenfalls sei die Kündigung - auch unter Berücksichtigung der Zustimmung des Integrationsamts - nicht unverhältnismäßig. Im Kündigungszeitpunkt seien keine Arbeitsplätze frei gewesen. Zusätzliche Stellen habe sie nicht schaffen müssen. An der Beschäftigung eines „Supervisors“ im Telefondienst bestehe seit jeher kein Bedarf. Der vom Kläger benannte Lagerarbeiter sei zum weit überwiegenden Teil seiner Arbeitszeit als IT-Techniker und insoweit mit Aufgaben beschäftigt gewesen, die der Kläger nicht habe verrichten können. Im Übrigen habe sie den fraglichen Arbeitsplatz nicht durch dessen Versetzung, sondern allenfalls durch Kündigung „freimachen“ können. Dazu sei sie nicht verpflichtet gewesen. Abgesehen davon bezweifele sie, dass der Kläger für eine Tätigkeit im Lager gesundheitlich ausreichend belastbar sei.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat „die Berufung des Klägers … zurückgewiesen und die weiteren gestellten Anträge abgewiesen“. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Kündigungsschutzantrag weiter. Die Hilfsanträge hat er mit Zustimmung der Beklagten im Revisionsverfahren zurückgenommen. Insoweit begehrt er die ersatzlose Aufhebung des zweitinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und hinsichtlich des Feststellungsbegehrens zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 25. November 2010 aufgelöst worden ist. Dazu fehlt es an erforderlichen Feststellungen.

12

I. Es steht nicht fest, ob die - mit Zustimmung des Integrationsamts erklärte - Kündigung iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Zwar konnte der Kläger dauerhaft seine vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr erbringen. Das Landesarbeitsgericht durfte auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen aber nicht annehmen, dass es keine milderen Mittel als die erklärte (Beendigungs-)Kündigung gab, um der bestehenden Vertragsstörung angemessen zu begegnen.

13

1. Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung, die auf eine lang anhaltende Erkrankung gestützt wird, ist in drei Stufen vorzunehmen. Zunächst - erste Stufe - ist eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustands des erkrankten Arbeitnehmers erforderlich. Bezogen auf den Kündigungszeitpunkt und die bisher ausgeübte Tätigkeit müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis einer weiteren, längeren Erkrankung rechtfertigen. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen ferner - zweite Stufe - zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Schließlich muss - dritte Stufe - eine vorzunehmende Interessenabwägung ergeben, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 11, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 27 ff. mwN, BAGE 123, 234).

14

2. Ist der Arbeitnehmer dauerhaft außer Stande, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist eine negative Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung des Gesundheitszustands indiziert. Der dauernden Leistungsunfähigkeit steht die völlige Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gleich. Eine solche Ungewissheit besteht, wenn in absehbarer Zeit nicht mit einer positiven Entwicklung gerechnet werden kann. Als absehbar ist in diesem Zusammenhang ein Zeitraum von bis zu 24 Monaten anzusehen (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 11, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 27, BAGE 123, 234). Die entsprechende Ungewissheit führt - ebenso wie eine feststehende Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen - zu einer grundsätzlich nicht näher darzulegenden erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen. Sie besteht darin, dass der Arbeitgeber auf unabsehbare Zeit gehindert ist, sein Direktionsrecht auszuüben und die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers abzurufen. In einem solchen Fall fehlt es in aller Regel an einem schutzwürdigen Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 28, aaO; 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 22).

15

3. Auch in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer auf Dauer wegen Krankheit die geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann, ist eine Kündigung nach dem das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur gerechtfertigt, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung erforderlich ist. Zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen gehört deshalb das Fehlen angemessener milderer Mittel zur Vermeidung künftiger Fehlzeiten (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 24; vgl. auch BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24). Mildere Mittel in diesem Sinne sind insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 24; vgl. auch BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN). Dies schließt in Krankheitsfällen die Verpflichtung des Arbeitgebers ein, einen leidensgerechten Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts „freizumachen“ und sich ggf. um die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zu bemühen (grundlegend BAG 29. Januar 1997 - 2 AZR 9/96 - zu II 1 d der Gründe, BAGE 85, 107). Scheidet eine Umsetzungsmöglichkeit aus, kann sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch eine Änderungskündigung - und sei es mit dem Ziel einer Weiterbeschäftigung zu schlechteren Arbeitsbedingungen - als vorrangig erweisen (vgl. BAG 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06 - Rn. 28; 21. April 2005 - 2 AZR 132/04 - zu B II der Gründe, BAGE 114, 243). Dabei ist ggf. die Pflicht des Arbeitgebers zu berücksichtigen, einem Schwerbehinderten gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX einen seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechenden Arbeitsplatz zuzuweisen(BAG 22. September 2005 - 2 AZR 519/04 - Rn. 31, BAGE 116, 7).

16

4. Danach ist das Landesarbeitsgericht mit Blick auf die bisherige Tätigkeit des Klägers zutreffend von einer negativen Gesundheitsprognose ausgegangen. Es hat daraus zu Recht auf eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten geschlossen. Es hat angenommen, eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers sei - bezogen auf die vertraglich geschuldete Tätigkeit und unter den bisherigen Arbeitsbedingungen - im Kündigungszeitpunkt gänzlich ungewiss gewesen. Dafür hat es zum einen auf die zurückliegende Dauer der Arbeitsunfähigkeit von rund vier Jahren verwiesen. Zum anderen hat es sich auf die eigene Einschätzung des Klägers gestützt, binnen der nächsten 24 Monate aller Voraussicht nach nicht vollschichtig als „Call-Center-Agent“ arbeiten zu können. Dies hält sich im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Verfahrensrügen haben die Parteien insoweit nicht erhoben.

17

5. Dagegen ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung erweise sich - auch angesichts der Unterlassung eines bEM - als verhältnismäßig, nicht frei von Rechtsfehlern.

18

a) Der Arbeitgeber trägt für die Umstände, die nach § 1 Abs. 2 KSchG die Kündigung bedingen, die Darlegungs- und Beweislast(§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Das gilt auch für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 25).

19

b) Ist der Arbeitgeber nicht zur Durchführung eines bEM verpflichtet, kann er sich zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf konkret erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne. Erst dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf zu erwidern und ggf. darzulegen, warum auch eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 25 mwN; 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 14 mwN, BAGE 135, 361).

20

c) Hat der Arbeitgeber entgegen den Vorgaben des § 84 Abs. 2 SGB IX ein bEM unterlassen, kann dies zu einer Erweiterung seiner Darlegungslast führen. Zwar ist die Durchführung des bEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung und für sich genommen auch kein milderes Mittel als diese. § 84 Abs. 2 SGB IX konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können mildere Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen, ggf. „freizumachenden“ Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 38; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20).

21

aa) Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will der Arbeitgeber sich hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten des Arbeitnehmers spürbar vorzubeugen und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 39; 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34).

22

bb) Ist es denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht hätte, darf sich der Arbeitgeber nicht auf den pauschalen Vortrag beschränken, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer. Er muss vielmehr von sich aus mögliche Alternativen würdigen und darlegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz in Betracht kamen (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 35, BAGE 135, 361).

23

d) Die angegriffene Kündigung ist nicht schon nach den dargestellten allgemeinen Grundsätzen zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast unverhältnismäßig. Der Kläger hat keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG, § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX aufgezeigt, soweit er geltend gemacht hat, die Beklagte habe ihn am Standort Erfurt als „Supervisor“ oder als Lagerarbeiter weiterbeschäftigen können.

24

aa) Eine Umgestaltung seines bisherigen Arbeitsplatzes, die es ihm ermöglicht hätte, einer Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ vollschichtig nachzugehen, hat der Kläger zuletzt selbst ausgeschlossen.

25

bb) Ebenso wenig war die Beklagte verpflichtet, ihn am Standort Erfurt als „Supervisor“ zu beschäftigen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war ein solcher Arbeitsplatz im Kündigungszeitpunkt nicht existent. Die Beklagte war kündigungsrechtlich nicht gehalten, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu schaffen (vgl. dazu BAG 19. Juni 2007 - 2 AZR 58/06 - Rn. 12, BAGE 123, 175; 29. März 1990 - 2 AZR 369/89 - zu B II 5 der Gründe, BAGE 65, 61). Aus § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX folgt nichts anderes. Nach dieser Vorschrift haben schwerbehinderte Arbeitnehmer und die ihnen Gleichgestellten gegenüber ihrem Arbeitgeber Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung, damit sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Daraus kann sich ein Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf anderweitige Beschäftigung ergeben, wenn er seine vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen seiner Behinderung nicht mehr ausüben kann (BAG 15. Oktober 2013 - 1 ABR 25/12 - Rn. 24). Der Anspruch besteht nicht, wenn eine anderweitige Beschäftigung zwar in Betracht kommt, sie dem Arbeitgeber aber unzumutbar oder für ihn mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist (§ 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX). Insbesondere muss der Arbeitgeber keinen zusätzlichen, bisher nicht vorhandenen und nicht benötigten Arbeitsplatz dauerhaft einrichten (vgl. BAG 27. Juli 2011 - 7 AZR 402/10 - Rn. 58; 4. Oktober 2005 - 9 AZR 632/04 - Rn. 23, BAGE 116, 121; Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 81 Rn. 182; zur Schaffung einer vorübergehenden sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeit vgl. Cramer/Ritz 6. Aufl. § 81 Rn. 21).

26

cc) Die Beklagte musste dem Kläger auch eine Weiterbeschäftigung als Lagerarbeiter nicht anbieten. Der insoweit einzig infrage kommende Arbeitsplatz war besetzt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe die Stelle weder durch Ausübung ihres Direktionsrechts „freimachen“ können, noch sei sie zu einer „Freikündigung“ verpflichtet gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

27

(1) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers unterstellt, dass in der Betriebsstätte Erfurt überhaupt ein Lagerarbeitsplatz vorhanden war. Seine Auffassung, die Beklagte habe diese Stelle nicht im Wege der Umsetzung mit dem Kläger besetzen können, hat es damit begründet, dass sie den dort tätigen Arbeitnehmer als „IT-Techniker“ angestellt habe und die für dessen Versetzung allein infrage kommenden Arbeitsplätze im Bereich Technik gleichfalls besetzt gewesen seien.

28

(a) Diese Würdigung ist, soweit sie auf tatsächlichem Gebiet liegt, revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (vgl. BAG 25. April 2013 - 8 AZR 287/08 - Rn. 43; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 29 mwN).

29

(b) Einen solchen Rechtsfehler zeigt der Kläger nicht auf. Er liegt auch nicht auf der Hand. Für die vom Kläger reklamierte Möglichkeit, den Arbeitsplatz „freizumachen“, kam es entscheidend darauf an, ob die Beklagte dem Stelleninhaber im Rahmen ihres Direktionsrechts eine andere Arbeitsaufgabe hätte zuweisen können. Dies hat das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner Feststellungen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint. Die Rüge des Klägers, es habe sein Vorbringen, der betreffende Mitarbeiter sei „im Materiallager … eingestellt“ gewesen, übergangen, ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet. Auch auf der Grundlage dieses Vortrags ist nicht erkennbar, dass die Beklagte die Stelle durch Versetzung hätte „freimachen“ können. Die vorsorglich erhobene Aufklärungsrüge (§ 139 ZPO)ist unzulässig. Der Kläger legt nicht dar, welchen ergänzenden, entscheidungserheblichen Vortrag er gehalten hätte, wenn er auf die Unschlüssigkeit seines Vorbringens hingewiesen worden wäre (zu dieser Voraussetzung vgl. BAG 16. Oktober 2013 - 10 AZR 9/13 - Rn. 46; 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 3 e aa der Gründe, BAGE 109, 145).

30

(2) Zu einer „Freikündigung“ des fraglichen Lagerarbeitsplatzes war die Beklagte nicht verpflichtet. Das gilt auch dann, wenn die Erkrankung des Klägers auf betriebliche Ursachen zurückzuführen ist.

31

(a) Das Bundesarbeitsgericht hat noch unter Geltung des Schwerbeschädigtengesetzes 1953 (SchwBeschG) die Auffassung vertreten, ein Arbeitgeber könne, um seiner gesetzlichen Förderungs- und Beschäftigungspflicht gegenüber einem Schwerbeschädigten (§ 12 Abs. 1 SchwBeschG) zu genügen, je nach den Umständen verpflichtet sein, für den geschützten Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsplatz durch Kündigung „freizumachen“ (BAG 4. Mai 1962 - 1 AZR 128/61 - zu II 2 der Gründe, BAGE 13, 109). Voraussetzung sei, dass die Kündigung für den betroffenen anderen Arbeitnehmer keine „soziale Härte“ darstelle (BAG 8. Februar 1966 - 1 AZR 365/65 - zu 4 der Gründe, BAGE 18, 124 [noch zu § 12 Abs. 1 SchwBeschG]; 13. Mai 1992 - 5 AZR 437/91 - zu II 2 c der Gründe [insoweit zu § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG]). In jüngerer Zeit hat das Bundesarbeitsgericht die Frage mehrfach dahinstehen lassen (BAG 28. April 1998 - 9 AZR 348/97 - zu III 3 der Gründe; 10. Juli 1991 - 5 AZR 383/90 - zu IV 3 der Gründe, BAGE 68, 141). Eine Pflicht zur „Freikündigung“ eines leidensgerechten Arbeitsplatzes allein auf der Grundlage des allgemeinen Kündigungsschutzes hat es allerdings abgelehnt (BAG 29. Januar 1997 - 2 AZR 9/96 - zu II 1 c der Gründe, BAGE 85, 107).

32

(b) Demgegenüber gehen das Bundesverwaltungsgericht und diverse Stimmen im Schrifttum davon aus, dass auch die Schwerbehinderung eine Pflicht zur „Freikündigung“ zugunsten des Betroffenen nicht begründe (BVerwG 28. Februar 1968 - V C 33.66 - BVerwGE 29, 140; nachfolgend 2. Juni 1999 - 5 B 130.99 -; Adlhoch in Ernst/Adlhoch/Seel SGB IX Stand Januar 2014 § 81 Rn. 19, 86; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 81 Rn. 25, einschränkend aber Rn. 28; Boecken RdA 2012, 210, 215; Kleinebrink NZA 2002, 716, 718; Mückl/Hiebert NZA 2010, 1259, 1263; Stück br 2007, 89, 94; Nehring Die krankheitsbedingte Kündigung im Lichte neuerer Gesetzgebung S. 185 f.; aA wohl Spiolek GK-SGB IX Stand Oktober 2014 § 81 Rn. 332).

33

(c) Die gegen eine solche Pflicht erhobenen Bedenken sind nicht ohne Gewicht. Die Verpflichtung zur Beschäftigungs- und Vertragstreue gegenüber (schwer-)behinderten Menschen findet ihre Grenze in den entgegenstehenden Rechten der von einer „Freikündigung“ betroffenen Stelleninhaber (vgl. Lepke Kündigung bei Krankheit 14. Aufl. Rn. 235; Nehring Die krankheitsbedingte Kündigung im Lichte neuerer Gesetzgebung S. 185 f.; Lingemann BB 1998, 1106, 1107). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Stelleninhaber Bestandsschutz nach dem KSchG genießt. Selbst wenn die Krankheit des (schwer-)behinderten Arbeitnehmers betrieblich verursacht ist und zu seiner Leistungsunfähigkeit oder doch der Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit geführt hat, besteht nicht etwa ein Überhang an Arbeitskräften, der den Arbeitgeber zu einer betriebsbedingten Kündigung des anderen Mitarbeiters berechtigen könnte (vgl. APS/Kiel 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 461; HaKo/Gallner 4. Aufl. § 1 Rn. 479; Boecken RdA 2012, 210, 215). Der Kündigungsgrund liegt vielmehr in der Person des auf seinem angestammten Arbeitsplatz nicht mehr arbeitsfähigen (schwer-)behinderten Arbeitnehmers. Sogar dann, wenn das KSchG auf das Arbeitsverhältnis des Stelleninhabers (noch) keine Anwendung findet, ist eine „Freikündigung“ wegen des mit ihr verbundenen Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit des betroffenen Beschäftigten aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen(vgl. Kleinebrink NZA 2002, 716, 718). In keiner seiner Bestimmungen sieht das SGB IX die Entlassung anderer Arbeitnehmer vor, um den Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen oder ihnen Gleichgestellter verwirklichen zu können. Vielmehr setzten die Prüfpflichten des Arbeitgebers nach § 81 Abs. 1 SGB IX, die im Rahmen von § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX mitzuberücksichtigen sind, das Vorhandensein freier Arbeitsplätze voraus(vgl. BVerwG 28. Februar 1968 - V C 33.66 - BVerwGE 29, 140; Boecken RdA 2012, 210, 215).

34

(d) Das Unionsrecht gebietet kein anderes Verständnis der in Rede stehenden nationalen Bestimmungen. Art. 5 Satz 2 RL 2000/78/EG sieht im Rahmen der Verhältnismäßigkeit die Pflicht des Arbeitgebers vor, Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung und die Ausübung ihres Berufs zu ermöglichen. In Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG sind mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nationale Bestimmungen erlaubt, die einer Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt dienen oder diese fördern. Daraus kann nicht gefolgert werden, die Richtlinie verlange zwecks Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderung ggf. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines nicht behinderten Menschen (vgl. Däubler/Bertzbach/Däubler 3. Aufl. § 7 Rn. 224).

35

(e) Danach scheidet eine Pflicht des Arbeitgebers zur „Freikündigung“ jedenfalls dann aus, wenn der Inhaber der infrage kommenden Stelle den allgemeinen Kündigungsschutz genießt. Ob ohne diesen Schutz anderes gilt, wenn der Stelleninhaber nicht seinerseits behindert ist und die Kündigung für ihn keine besondere Härte darstellt, kann hier offenbleiben. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt der Arbeitnehmer, der sich auf die Möglichkeit einer „Freikündigung“ beruft, die Darlegungs- und Beweislast (BAG 13. Mai 1992 - 5 AZR 437/91 - zu II 2 c der Gründe; 8. Februar 1966 - 1 AZR 365/65 - zu 4 der Gründe, BAGE 18, 124). Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Durchführung eines bEM unterlassen hat. Dieser Umstand führt zwar zu einer Verschärfung der ihn nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG treffenden Vortragslast, nicht aber zu einer Umkehr der Darlegungslast in solchen Fällen, in denen sie von vorneherein beim Arbeitnehmer liegt.

36

(f) Im Streitfall spricht vieles dafür, dass der im Lager tätige Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt Bestandsschutz nach dem KSchG genoss. Zumindest hat der Kläger weder behauptet noch gar schlüssig dargetan, dass die Kündigung für diesen keine besondere Härte bedeutet hätte.

37

dd) Eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf den von ihm konkret angeführten Arbeitsplätzen war aufgrund dessen ausgeschlossen. Dennoch steht damit nicht fest, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt war. Die Beklagte hat ein gebotenes bEM unterlassen. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, im Streitfall sei von dessen objektiver Nutzlosigkeit auszugehen, ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht berechtigt.

38

(1) Die Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Durchführung eines bEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX lagen im Kündigungszeitpunkt vor. Es war deshalb Sache der Beklagten, die entsprechende Initiative zu ergreifen (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 31; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Dem steht ihr Vorbringen, der Kläger sei für sie nicht erreichbar gewesen, nicht entgegen. Ihren Ausführungen ist nicht zu entnehmen, welche Anstrengungen sie unternommen haben will, um den Kläger zwecks Durchführung eines bEM zu kontaktieren (zum Erfordernis, den Betroffenen im Rahmen der Initiative auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der hierfür erhobenen Daten hinzuweisen vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23).

39

(2) Die Beklagte hat ein bEM nicht durchgeführt. Ihre damit einhergehende Verpflichtung, im Rahmen einer erweiterten Darlegungslast durch konkreten Sachvortrag aufzuzeigen, dass die Kündigung unvermeidlich war, entfiel nicht deshalb, weil das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt hatte.

40

(a) Mit Blick auf eine verhaltensbedingte Kündigung, die ohne die erforderliche Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX erklärt worden war, hat das Bundesarbeitsgericht dem Arbeitgeber eine Darlegungserleichterung zugebilligt, wenn das Integrationsamt gemäß § 85 SGB IX seine Zustimmung erteilt hat(vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 182/06 - Rn. 27, BAGE 120, 293). Da das Verwaltungsverfahren nach §§ 85 ff. SGB IX der Prüfung der Rechte des schwerbehinderten Arbeitnehmers diene und die Entscheidung des Integrationsamts durch mehrere Instanzen nachprüfbar sei, könne nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX die Kündigung hätte verhindern können(vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 182/06 - Rn. 28, aaO; BVerwG 19. August 2013 - 5 B 47.13 - Rn. 12).

41

(b) Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob an dieser Rechtsprechung ungeachtet der gegen sie geäußerten Einwände (Düwell BB 2011, 2485, 2487; Deinert NZA 2010, 969, 974; Lampe Der Kündigungsschutz behinderter Arbeitnehmer S. 164 f.) festzuhalten ist. Ebenso kann offenbleiben, ob sie auf den Fall der Unterlassung eines gebotenen bEM übertragen werden kann (befürwortend Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 24; Baumeister/Richter ZfA 2010, 3, 23; Beyer/Jansen br 2010, 117; Lepke Kündigung bei Krankheit 14. Aufl. Rn. 294; insbesondere mit Blick auf die unterschiedlichen Kreise der erfassten Arbeitnehmer ablehnend Brose RdA 2006, 149, 151 ff.). Der Zustimmungsbescheid entfaltet jedenfalls dann keine entsprechende Indizwirkung, wenn sich aus seiner Begründung oder der des Widerspruchsbescheids Anhaltspunkte dafür ergeben, dass mögliche, kündigungsrechtlich beachtliche Beschäftigungsalternativen im Verwaltungsverfahren nicht in den Blick genommen worden sind. So liegt es hier. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Zustimmungsbescheid mit der Begründung zurückgewiesen, dass er seine Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ nicht länger als drei Stunden arbeitstäglich ausüben könne und keine Stelle frei gewesen sei, die ihm eine anderweitige Beschäftigung ermöglicht habe. Die Ausführungen lassen nicht erkennen, dass auch die Möglichkeit einer Teilzeittätigkeit von täglich bis zu drei Stunden bedacht und ausgeschlossen worden wäre. Ebenso wenig ist ersichtlich, für welche betriebliche Einheit und welche konkreten Tätigkeiten das Integrationsamt das Vorhandensein freier Arbeitsplätze geprüft hat.

42

ee) Der von der Beklagten zu führende Nachweis, dass ein bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können, ist somit noch nicht erbracht. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann die Möglichkeit, den Kläger in Teilzeit als „Call-Center-Agent“ zu beschäftigen, nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. Ebenso wenig kann ausgeschlossen werden, dass in der Betriebsstätte Essen die Möglichkeit einer alternativen Beschäftigung bestand.

43

(1) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei gesundheitlich selbst zu einer Teilzeitarbeit als „Call-Center-Agent“ nicht in der Lage gewesen, beruht auf einer - vom Kläger zu Recht gerügten - Verletzung von § 286, § 139 ZPO.

44

(a) Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, eine Arbeitszeitreduzierung, die „weiterhin überwiegend Telefontätigkeiten beinhaltet hätte“, sei dem Kläger ausweislich „seines ärztlichen Gutachtens und seiner eigenen Einlassungen … nicht möglich“ gewesen. Diese Würdigung ist nicht nachvollziehbar. Es wird nicht deutlich, von welchen tatsächlichen Voraussetzungen das Landesarbeitsgericht - auch mit Blick auf den Umfang einer etwaigen Teilzeittätigkeit - ausgegangen ist. Einer entsprechenden Präzisierung hätte es schon deshalb bedurft, weil die Beklagte die Eignung des Klägers, eine Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ zumindest in geringfügigem Umfang zu verrichten, nicht explizit verneint hatte und sich das Gegenteil auch nicht aus den Entscheidungen des Integrationsamts im Zustimmungsverfahren ergibt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist außerdem unvollständig, weil sie sich mit den amtlichen Feststellungen im Widerspruchsverfahren nicht auseinandersetzt und damit nicht alle relevanten Aspekte einbezieht. Zwar mag sich der Kläger zuletzt dahingehend geäußert haben, eine Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ sei nicht „leidensgerecht“. Seine Erklärung bezog sich aber in erster Linie auf die vertraglich geschuldete Vollzeittätigkeit, die - anders als eine Beschäftigung in Teilzeit - Gegenstand der mündlichen Erörterungen in der Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht war. Die Frage, ob der Kläger mit verringerter Arbeitszeit als „Call-Center-Agent“ einsatzfähig gewesen wäre, spielte auch in den schriftsätzlichen Auseinandersetzungen der Parteien keine zentrale Rolle. Danach hätte das Landesarbeitsgericht dem Kläger nach einem entsprechenden Hinweis (§ 139 ZPO)Gelegenheit gegeben müssen, seine Leistungsfähigkeit mit Blick auf eine mögliche Arbeitszeitreduzierung zu verdeutlichen. Sollte es aus dem ärztlichen Attest vom 24. Oktober 2011 - das dem Kläger Arbeitsfähigkeit ua. unter der Voraussetzung bescheinigte, dass die Arbeit nicht durch „permanentes Telefonieren“ gekennzeichnet wäre - geschlossen haben, dessen Lärmschwerhörigkeit schließe jegliche Teilzeittätigkeit als „Call-Center-Agent“ aus, gilt das Gleiche. Auch davon durfte es den Umständen nach nicht ohne vorhergehenden Hinweis ausgehen.

45

(b) Die Verfahrensmängel sind entscheidungserheblich. Dafür reicht es aus, dass der Schluss gerechtfertigt ist, bei richtigem Verfahren hätte das Berufungsgericht möglicherweise anders entschieden (BAG 26. Juli 2007 - 8 AZR 770/06 - Rn. 34; 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 109, 145). Dies ist hier der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung tragend auf die Erwägung gestützt, dass der Kläger auch mit reduzierter Arbeitszeit nicht als „Call-Center-Agent“ habe beschäftigt werden können.

46

(c) Der Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts steht nicht entgegen, dass der Kläger in den Vorinstanzen nicht ausdrücklich die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung angeführt hatte. Die in § 84 Abs. 2 SGB IX vorgesehene Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden kann, erfordert bei schwerbehinderten Arbeitnehmern und ihnen gleichgestellten Beschäftigten die Prüfung, ob die Arbeitsunfähigkeit durch eine iSv. § 81 SGB IX leidensgerechte Beschäftigung überwunden werden kann(vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 45 f., 48). Hierunter fällt auch die - in § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX als Anspruch ausgestaltete - Möglichkeit einer Beschäftigung in zeitlich reduziertem Umfang(zur Arbeitszeitverkürzung als Vorkehrungsmaßnahme iSv. Art. 5 RL 2000/78/EG EuGH 11. April 2013 - C-335/11 und C-337/11 - [HK Danmark] Rn. 56 ff.). Die Verminderung der Arbeitszeit stellt eine mögliche Maßnahme zur Arbeitsplatzerhaltung dar, welche im Wege des bEM ermittelt werden kann. Zu ihr hätte die Beklagte Stellung beziehen müssen, um die objektive Nutzlosigkeit eines bEM darzutun. Da die Beklagte inzwischen „Call-Center-Agenten“ in Teilzeit beschäftigt, ist ihr eine solche Arbeitszeitverringerung offensichtlich nicht unzumutbar. Die Bewilligung der befristeten Erwerbsminderungsrente schließt es nicht aus, dass der Kläger einer Teilzeitbeschäftigung nachgeht, wenn auch nur im täglichen Umfang von einigen Stunden.

47

(2) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein bEM habe schlechterdings kein positives Ergebnis erbringen können, lässt überdies nicht erkennen, dass es dabei die Betriebsstätte Essen und dort vorhandene Arbeitsplätze mit in den Blick genommen hätte. Dass der Kläger mit einer örtlichen Versetzung nicht einverstanden gewesen wäre, ist weder festgestellt noch auf der Hand liegend.

48

II. Dies führt hinsichtlich des Feststellungsbegehrens zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

49

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu der Frage, ob ein bEM zu einem positiven Ergebnis hätte führen können, keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Dies wird es nachholen müssen. Dabei wird es zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte im Rahmen ihrer erhöhten Darlegungslast nicht nur für alle Betriebe ihres Unternehmens die Möglichkeit ausschließen muss, den Kläger auf einem freien Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen, sondern auch zu erläutern hat, warum der Kläger nicht im Rahmen einer schon besetzten, aber von ihm bislang nicht ausdrücklich bezeichneten Stelle hat weiterbeschäftigt werden können. Da nicht auszuschließen ist, dass die Beklagte den Umfang ihrer Darlegungslast verkannt hat, wird ihr Gelegenheit zu geben sein, ihr bisheriges Vorbringen zu ergänzen.

50

2. Der Rechtsstreit ist nicht aus anderen Gründen zur Endentscheidung reif.

51

a) Die Kündigung ist nicht unabhängig vom Bestehen einer Beschäftigungsalternative sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG.

52

aa) Gab es im Kündigungszeitpunkt keine Möglichkeit, den Kläger anderweitig einzusetzen, ist die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung rechtsfehlerfrei. Es hat zugunsten des Klägers die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein Alter und seine Behinderung berücksichtigt. Soweit dieser meint, das Gericht habe der von ihm behaupteten betrieblichen Ursache seiner dauerhaften Arbeitsunfähigkeit zu wenig Beachtung geschenkt, trifft dies nicht zu.

53

(1) Im Rahmen der Prüfung einer krankheitsbedingten Kündigung können bei der Interessenabwägung die Krankheitsursachen von Bedeutung sein. In aller Regel ist dem Arbeitgeber die Hinnahme einer Beeinträchtigung seiner betrieblichen Interessen eher zuzumuten, wenn die Gründe für die Arbeitsunfähigkeit im betrieblichen Bereich liegen (vgl. BAG 8. November 2007 - 2 AZR 292/06 - Rn. 16; 27. November 1991 - 2 AZR 309/91 - zu B V der Gründe; 21. Februar 1985 - 2 AZR 72/84 - zu B II 4 der Gründe). Das gilt umso mehr, wenn der Arbeitgeber die Umstände, die zu der Arbeitsunfähigkeit geführt haben, zu vertreten oder er ein Unfallrisiko gar billigend in Kauf genommen hat (vgl. BAG 8. Juni 1972 - 2 AZR 285/71 -; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 174; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 296; Lepke Kündigung bei Krankheit 14. Aufl. Rn. 212).

54

(2) Der Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es die möglichen Ursachen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers außer Acht gelassen hätte. Es hat vielmehr - unter B I 2.3 der Entscheidungsgründe - zugunsten des Klägers für die „weitere Prüfung“ unterstellt, dass er im Mai 2006 aufgrund einer Fehlfunktion des Headsets während der Arbeitszeit einen akustischen Schock erlitt und seine Arbeitsunfähigkeit darauf zurückzuführen ist. Soweit der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte den Arbeitsunfall und damit seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen verschuldet habe, ist nicht zu erkennen, welchen schlüssigen Sachvortrag er zu diesem Punkt geleistet haben will.

55

(3) Unter diesen Umständen ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses als überwiegend angesehen hat. Diese konnte auf unabsehbare Zeit nicht mehr mit dem Kläger planen. Im Kündigungszeitpunkt waren knapp vier Jahre ohne Arbeitsleistungen des Klägers vergangen. Damit hatte die Beklagte ein hohes Maß an Rücksichtnahme auf dessen Belange gezeigt. Selbst wenn die Erkrankung des Klägers auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sein sollte, war die Kündigung des mittlerweile sinnentleerten Arbeitsverhältnisses durch diese Gründe in seiner Person „bedingt“. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn die Beklagte von der behaupteten Funktionsstörung des Headsets gewusst oder wenn sie bewusst Arbeitsschutzvorschriften missachtet hätte, bedarf keiner Entscheidung. Für eine solche Sachlage fehlt es an Anhaltspunkten.

56

bb) Die Kündigung ist, falls es keine Beschäftigungsalternativen gab, nicht wegen einer Diskriminierung des Klägers aufgrund seiner Behinderung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG iVm. § 2 Abs. 1 Nr. 2, §§ 1, 7 AGG sozial ungerechtfertigt.

57

(1) Bei der Prüfung der Wirksamkeit von Kündigungen, die dem KSchG unterfallen, sind die Diskriminierungsverbote des AGG als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit iSv. § 1 KSchG zu beachten(vgl. BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 16 mwN, BAGE 147, 60; 20. Juni 2013 - 2 AZR 295/12 - Rn. 36, BAGE 145, 296). Beim Kläger liegt eine Behinderung iSv. § 1 AGG vor(zur Begrifflichkeit im Einzelnen BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 58, aaO).

58

(2) Durch die Kündigung wurde der Kläger weder unmittelbar noch mittelbar aufgrund seiner Behinderung iSv. § 7 Abs. 1 AGG benachteiligt.

59

(a) Die Kündigungserklärung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die ihr zugrunde liegenden Überlegungen, wie sie sich etwa aus der Kündigungsbegründung oder aus sonstigen Umständen ergeben, können Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Kündigung und einem Merkmal nach § 1 AGG liefern(BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 44 mwN, BAGE 147, 60).

60

(b) Eine auf dauerhafte krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit gestützte Kündigung verstößt nicht ohne Weiteres gegen das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung nach § 7 Abs. 1 AGG und Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der ihm zugrunde liegenden europäischen Richtlinie 2000/78/EG. Die Kündigung ist vielmehr - auch unionsrechtlich - wirksam, wenn der Arbeitgeber nicht imstande ist, die bestehende Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers durch angemessene Vorkehrungen, dh. durch effektive und praktikable, ihn - den Arbeitgeber - nicht unzumutbar belastende Maßnahmen zu beseitigen (vgl. BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 90, BAGE 147, 60; vgl. auch EuGH 11. April 2013 - C-335/11 und C-337/11 - [HK Danmark] Rn. 69 ff.; 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 52, 54, Slg. 2006, I-6467).

61

(c) Der vorliegende Fall ist nicht deshalb anders zu beurteilen, weil die Beklagte gekündigt hat, nachdem sie von der Behinderung des Klägers und dem Bezug der - befristeten - Erwerbsminderungsrente Kenntnis erlangt hatte. Sie hat nicht die Behinderung als solche oder den Rentenbezug des Klägers zum Anlass für die Kündigung genommen, sondern die durch dessen Arbeitsunfähigkeit bedingten Fehlzeiten. Die Bewilligung der Erwerbsminderungsrente diente ihr ersichtlich nur als Stütze für die Prognose, der Kläger werde auch künftig nicht in der Lage sein, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

62

(d) Der Verstoß der Beklagten gegen ihre Verpflichtung, ein ordnungsgemäßes bEM durchzuführen, und die mögliche Verletzung ihrer Pflicht, dem Kläger einen leidensgerechten Arbeitsplatz anzubieten, sind ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keine aussagekräftigen Indizien für eine unzulässige Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung (vgl. dazu BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 42). Das Landesarbeitsgericht hat seine Auffassung, die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 10. Juni 2011 seien hierfür ebenso unergiebig, in revisionsrechtlich nicht zu beanstandeter Weise damit begründet, das Vorbringen beschränke sich auf die Wiedergabe gesetzlicher Bestimmungen.

63

(e) Soweit der Kläger vorgebracht hat, in der Ausstattung seines Arbeitsplatzes mit einem - unterstellt - fehlerhaften oder ungeeigneten Headset liege ein Indiz für seine unmittelbare oder doch mittelbare Benachteiligung als behinderter Mensch, ist die sachliche Berechtigung dieser Auffassung nicht zu erkennen. Das Gleiche gilt, soweit der Kläger gemeint hat, die Diskriminierung liege schon in der Zuweisung des betreffenden Arbeitsplatzes, zumal er bei Übertragung der Tätigkeit noch nicht behindert war.

64

b) Die Kündigung ist nicht aus einem sonstigen Grund unwirksam.

65

aa) Ein Verstoß gegen § 102 BetrVG liegt nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe die Kündigung nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung erklärt. Dagegen erhebt der Kläger keine Verfahrensrügen. Ein materieller Rechtsfehler ist nicht erkennbar.

66

bb) Die Beklagte hat die Kündigung iSv. § 85 SGB IX mit Zustimmung des Integrationsamts erklärt. Der Widerspruch des Klägers gegen den Zustimmungsbescheid vom 9. November 2010 entfaltete keine aufschiebende Wirkung (vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 991/11 - Rn. 24 mwN, BAGE 145, 199).

67

cc) Der Einwand des Klägers, die Beklagte habe es versäumt, die Vertrauensperson der Schwerbehinderten von der beabsichtigten Kündigung zu unterrichten, bleibt ohne Erfolg. Es ist schon nicht dargetan, dass im Betrieb der Beklagten eine Vertretung iSv. 94 Abs. 1 SGB IX bestand. Im Übrigen führt eine Verletzung der sich aus § 95 Abs. 2 SGB IX ergebenden Beteiligungspflicht nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung(vgl. BAG 28. Juli 1983 - 2 AZR 122/82 - zu B der Gründe, BAGE 43, 210 [zu § 22 Abs. 2 SchwbG aF]).

68

III. Soweit das Landesarbeitsgericht die Anträge des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung abgewiesen hat, hat es gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen. In diesem Punkt war die angefochtene Entscheidung ersatzlos aufzuheben.

69

1. Der Kläger hatte die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung nur für den Fall des Obsiegens mit dem Hauptantrag gestellt. Diese innerprozessuale Bedingung war nicht eingetreten. Das Landesarbeitsgericht hat den Kündigungsschutzantrag abgewiesen. Soweit es - laut den Ausführungen unter B. der Entscheidungsgründe - die Klage auch hinsichtlich der Hilfsanträge abgewiesen hat, hat es über einen nicht gestellten Antrag entschieden. Damit hat es § 308 Abs. 1 ZPO verletzt. Die Vorschrift verbietet es, dem Kläger einen Anspruch abzuerkennen, den er nicht zur Entscheidung gestellt hat (BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 864/12 - Rn. 15; 7. November 1991 - 2 AZR 190/91 - zu B II 1 der Gründe; vgl. auch MüKoZPO/Musielak 4. Aufl. § 308 Rn. 17).

70

2. Die Beseitigung der daraus folgenden Beschwer konnte der Kläger trotz der wirksam erklärten Rücknahme der Hilfsanträge verlangen. Eines weiter gehenden Ausspruchs bedurfte es nicht. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist, soweit dieses das erstinstanzlich in Gestalt eines Feststellungsantrags angebrachte Beschäftigungsverlangen abgewiesen hat, schon aufgrund der in der Berufungsinstanz erfolgen Umstellung in unechte, auf Leistung gerichtete Hilfsanträge wirkungslos geworden.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. Juni 2013 - 21 Sa 1456/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte entwickelt und vertreibt Hygieneartikel. Der 1964 geborene Kläger ist bei ihr seit Juni 1991 als Maschinenführer tätig. Zuletzt war er - als einer von etwa 220 Arbeitnehmern - im Betrieb E im Dreischichtmodell beschäftigt. Sein monatlicher Bruttoverdienst belief sich auf ca. 2.700,00 Euro.

3

Der Kläger war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig. Im Jahr 2006 war er ab dem 27. Juli an wenigstens 59 Tagen wegen einer Handverletzung nicht arbeitsfähig. Im Jahr 2007 fehlte er wegen einer anderen Handverletzung 105 und aufgrund einer Kontaktallergie weitere 30 Tage. Im Jahr 2008 war er an 69 Tagen, im Jahr 2009 an 74 Tagen, im Jahr 2010 an 62 Tagen und im Jahr 2011 an 125 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Zwei Fehltage im Jahr 2008 und 21 Fehltage im Jahr 2009 waren auf Arbeitsunfälle zurückzuführen. Von den Krankheitstagen im Jahr 2011 entfielen 117 Tage auf ein Hüftleiden. Wegen dieser Erkrankung unterzog sich der Kläger am 28. März 2011 einer Operation.

4

Die Fehlzeiten verteilten sich auf unterschiedlich lange Zeiträume, jeweils unterbrochen durch Tage der Arbeitsfähigkeit.

5

Im Jahr 2004 stellte sich der Kläger auf Ersuchen der Beklagten beim arbeitsmedizinischen Dienst vor. Es folgten weitere Begutachtungen Ende 2009/Anfang 2010 und im September 2011. In den betriebsärztlichen Stellungnahmen hieß es jeweils, gegen eine Beschäftigung des Klägers bestünden keine gesundheitlichen Bedenken. Im Schreiben vom 2. Februar 2010 wurde außerdem berichtet, es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen könnten. Im September 2010 teilte die Berufsgenossenschaft der Beklagten mit, sie habe dem Kläger einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt, bei deren Verwendung sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermeiden ließen.

6

Mit Schreiben vom 29. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2012.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die seit dem Jahr 2008 aufgetretenen Fehlzeiten seien - soweit nicht auf Arbeitsunfällen und den Hüftbeschwerden beruhend - im Wesentlichen auf eine Kontaktallergie, einen Fersensporn, Erkältungskrankheiten, in geringem Umfang auf eine Herz-/Kreislauferkrankung sowie zwei in der Freizeit erlittene Unfälle zurückzuführen. Die Fehlzeiten indizierten keine negative Zukunftsprognose. Mit dem Auftreten der Allergie sei nach den Maßnahmen der Berufsgenossenschaft und beim Tragen der empfohlenen Schutzhandschuhe nicht mehr zu rechnen. Sein Hüftleiden sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Der Fersensporn sei gleichfalls erfolgreich therapiert. Seine Erkältungskrankheiten seien durch Zugluft am Arbeitsplatz ausgelöst oder begünstigt worden. Jedenfalls sei die Kündigung unverhältnismäßig. Die Beklagte habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nicht durchgeführt. Sie könne sich deshalb nicht darauf berufen, alternative Möglichkeiten zur Vermeidung oder doch erheblichen Verringerung künftiger Fehlzeiten hätten nicht bestanden. Das sei auch objektiv falsch. Neben Veränderungen am Arbeitsplatz, dessen bisheriger Zuschnitt ein kontinuierliches Treppensteigen erfordere, habe ein geeignetes „Gesundheitsmanagement“ zur Stabilisierung seines Abwehr- und Immunsystems beitragen können. Dies belege eine zwischenzeitlich durchgeführte Reha-Maßnahme, in deren Folge sich sein Gesundheitszustand deutlich gebessert habe. Unabhängig davon sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Dieser sei bis einschließlich des 25. November 2011 an insgesamt 1061 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen. Davon habe sie für 803 Tage Entgeltfortzahlung geleistet. Die erheblichen Fehlzeiten sprächen für eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit des Klägers und begründeten eine negative Gesundheitsprognose. Dies wiederum beeinträchtige ihre betrieblichen Interessen erheblich. Sie habe damit rechnen müssen, an den Kläger weiterhin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für die Dauer von mehr als sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Ihre Verpflichtung zur Durchführung eines bEM habe sie mit den in Auftrag gegebenen arbeitsmedizinischen Untersuchungen erfüllt. Jedenfalls stehe aufgrund der betriebsärztlichen Stellungnahmen fest, dass die Krankheitsanfälligkeit des Klägers nicht durch organisatorische Änderungen habe überwunden werden können. Die Kündigung sei damit selbst dann verhältnismäßig, wenn es an einem regelkonformen bEM fehlen sollte. Auf die allgemeine Gesundheitsprävention im Rahmen außerbetrieblicher Maßnahmen sei der gesetzlich vorgegebene Klärungsprozess nicht angelegt.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage im noch rechtshängigen Umfang stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet.

12

A. Die Revision ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat sie im Tenor seines Urteils zugelassen. Daran ist der Senat gemäß § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden(vgl. BAG 16. April 1997 - 4 AZR 653/95 - zu I der Gründe). Eine Überprüfung der Zulassungsentscheidung - wie sie der Kläger offenbar anstrebt - findet nicht statt.

13

B. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden (I.). Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (II.).

14

I. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sie ist nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Sie erweist sich - ungeachtet der erheblichen Fehlzeiten - als unverhältnismäßig.

15

1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die der Senat zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat (vgl. aus jüngerer Zeit BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335). Auch wenn sich einzelne Krankheitsphasen über mehrere Monate erstreckten, liegt angesichts der Vielzahl der in Rede stehenden Krankheitsbilder und des häufigen Wechsels von Krankheits- und Arbeitsphasen nicht der Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung vor.

16

2. Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (bspw. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - aaO; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335).

17

3. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 17, BAGE 121, 335; 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 20). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24; 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 92, 96). Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO mwN).

18

4. Entgegen der Auffassung des Klägers erweist sich danach die Kündigung nicht bereits im ersten Prüfungsschritt als unwirksam. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die bisherigen Fehlzeiten hätten im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose indiziert und der Kläger habe diese Indizwirkung nicht entkräftet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

19

a) Die Beklagte hat die Krankheitszeiten des Klägers nach Zahl, Dauer und zeitlicher Folge im Einzelnen vorgetragen. Danach war der Kläger auch ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Ausfallzeiten seit Mitte des Jahres 2007 in erheblichem Umfang wegen Krankheit arbeitsunfähig. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stiegen seine Fehlzeiten kontinuierlich an (vgl. zu diesem Kriterium BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 32 mwN). Lediglich im Jahr 2010 gingen sie gegenüber dem Vorjahr leicht zurück, verblieben aber auf hohem Niveau. Unschädlich ist, dass das Landesarbeitsgericht nicht starr auf den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung abgestellt hat. Es konnte auch davor liegende Zeitspannen einbeziehen (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24).

20

b) Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten - den Angaben des Klägers zufolge - auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 26). Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zB eine Operation) ergriffen wurden (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO).

21

c) Danach hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, das künftige Auftreten von Krankheitszeiten im bisherigen Umfang sei aufgrund einer besonderen Krankheitsanfälligkeit indiziert. Zwar hat sich der Kläger bezüglich einzelner Erkrankungen darauf berufen, er habe besondere Therapiemaßnahmen durchgeführt. Seiner Schlussfolgerung, aufgrund dessen sei zumindest mit einer deutlichen Verringerung der Fehlzeiten zu rechnen gewesen, widerspricht aber der Umstand, dass er im Anschluss an die im März 2011 durchgeführte Operation noch bis Juli 2011 und erneut in der Zeit vom 8. bis 28. August 2011 wegen seines Hüftleidens krankgeschrieben war. Eine Rehabilitationsmaßnahme hat er erst nach Zugang der Kündigung begonnen und durchgeführt. Sie hat deshalb keinen Einfluss auf die Indizwirkung der vor dem Kündigungszeitpunkt aufgetretenen Fehlzeiten (vgl. BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 558/99 - Rn. 20 mwN). Gleiches gilt für mögliche - nach der Kündigung ergriffene - Maßnahmen zur Verbesserung der Immunabwehr. Damit verblieb es vor der Kündigung bei umfangreichen, eine negative Prognose stützenden Arbeitsunfähigkeitszeiten.

22

d) Der Kläger hat die Indizwirkung der Fehlzeiten nicht dadurch erschüttert, dass er sich auf das Zeugnis seiner ihn behandelnden Ärzte berufen und diese von der Schweigepflicht entbunden hat. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darin nicht die Behauptung erblickt, die Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung bezüglich sämtlicher prognosetragender Erkrankungen im Kündigungszeitpunkt positiv beurteilt (zu dieser Anforderung vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96; 6. September 1989 - 2 AZR 19/89 - zu B I 1 b der Gründe). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einen richterlichen Hinweis vermisst, ist seine Gegenrüge unzulässig, zumindest unbegründet.

23

5. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass sie - bei unveränderter Sachlage - damit zu rechnen hatte, an den Kläger auch zukünftig Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für mindestens sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Die Kündigung ist dennoch sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht „ultima ratio“ und deshalb unverhältnismäßig. Die Beklagte hat das gesetzlich vorgesehene bEM unterlassen, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.

24

a) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24). Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz sein (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN). Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 92, 96; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 286; vHHL/Krause KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 324; jeweils mwN).

25

b) Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich - besteht keine Verpflichtung zur Durchführung eines bEM - zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 14, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 16). Dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf seinerseits zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - aaO mwN). Entsprechend abgestuft ist die Darlegungslast des Arbeitgebers, wenn sich der Arbeitnehmer darauf beruft, die Kündigung sei deshalb unverhältnismäßig, weil eine dem Arbeitgeber bekannte, ihm gleichwohl nicht geboten erscheinende Therapiemöglichkeit bestanden habe.

26

c) Die Kündigung erweist sich nicht schon nach diesen allgemeinen Grundsätzen als unwirksam. Der Kläger hat geltend gemacht, sein bisheriger Arbeitsplatz erfordere regelmäßiges Treppensteigen und sei ferner deshalb nicht leidensgerecht, weil an ihm Zugluft herrsche. An Ausführungen dazu, welche organisatorischen Änderungen oder welcher andere Arbeitsbereich - aus seiner Sicht - eine Beschäftigung ohne gesundheitliche Probleme möglich gemacht hätten, fehlt es. Ebenso wenig ist seinem Vorbringen zu entnehmen, dass er sich bereits vor Zugang der Kündigung um eine Rehabilitationsmaßnahme und ein besseres Gesundheitsmanagement bemüht und die Beklagte Anhaltspunkte für die Annahme gehabt hätte, entsprechende Maßnahmen könnten erfolgversprechend sein.

27

d) Im Streitfall traf die Beklagte indes eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast. Sie hatte es versäumt, ein bEM durchzuführen. Ihrer Obliegenheit detailliert darzulegen, dass keine Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden, ist sie nicht nachgekommen.

28

aa) Die Beklagte war gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, ein bEM vorzunehmen. Der Kläger war in jedem der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung länger als sechs Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von sechs Wochen überschritten (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 19). Die Durchführung eines bEM setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer eine Behinderung vorliegt (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 27, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234).

29

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein regelkonformes bEM habe nicht stattgefunden, ist berechtigt.

30

(1) Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. § 84 Abs. 2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20). Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20).

31

(2) Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 9, BAGE 140, 350; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Bei der Durchführung muss er eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt, hinzuziehen (vgl. BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 55, BVerwGE 137, 148).

32

(3) Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat(BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht(BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 52, BVerwGE 137, 148). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 19, BAGE 140, 350; dass das Gesetz hier vom „Arbeitsplatz“ spricht, dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen, vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 28). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 62).

33

(4) Kommt es stattdessen darauf an, ob bestimmte vom Arbeitgeber tatsächlich ergriffene Maßnahmen den Anforderungen eines bEM genügen, ist zu prüfen, ob sie sich als der vom Gesetz vorgesehene umfassende, offene und an den Zielen des bEM ausgerichtete Suchprozess erweisen.

34

(5) Danach kann in den betriebsärztlichen Untersuchungen des Klägers und den mit ihnen verbundenen Begutachtungen kein bEM erblickt werden.

35

(a) Der Betriebsarzt wird in § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX als ein Akteur erwähnt, der „bei Bedarf“ zum bEM hinzugezogen wird. Dies entspricht der Aufgabe des Arztes, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung zu unterstützen und in Fragen des Gesundheitsschutzes zu beraten (§ 1 Satz 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 ASiG). Die Nutzung seines Sachverstands kann der Klärung dienen, ob vom Arbeitsplatz Gefahren für die Gesundheit des Arbeitnehmers ausgehen und künftig durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ASiG). Die Inanspruchnahme des betriebsärztlichen Sachverstands steht einem bEM als ganzem aber nicht gleich (vgl. Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24, 25).

36

(b) Es kann dahinstehen, ob der Arbeitgeber dem Betriebsarzt bei Bedarf die Durchführung und Leitung des bEM übertragen kann (befürwortend Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 152; zweifelnd Cramer/Ritz/Schian SGB IX 6. Aufl. § 84 Rn. 31). Die Behauptung der Beklagten, die betriebsärztlichen Untersuchungen seien „teilweise … unter dem Titel ‚betriebliches Eingliederungsmanagement‘ [gelaufen]“, macht nicht deutlich, dass sie dem arbeitsmedizinischen Dienst die regelgerechte Durchführung eines bEM überantwortet hätte. Jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass die Betriebsärzte ihre Beauftragung in einem solch weitreichenden Sinne verstanden und entsprechend agiert hätten. Ihre Stellungnahmen beschränken sich auf die Einschätzung der Einsatzfähigkeit des Klägers auf der Grundlage arbeitsmedizinischer Untersuchungen. Auch fehlt es an substantiierten Darlegungen zu einer den Anforderungen des § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX genügenden Unterrichtung und Belehrung des Klägers, aus der sich für diesen die Absicht, ein bEM durchzuführen, deutlich hätte erschließen können. Das Vorbringen der Beklagten, die Betriebsärztin habe aus Anlass der Ende 2009/Anfang 2010 vorgenommenen Untersuchung mit dem Kläger „die Fragestellung“ eines möglichen Zusammenhangs zwischen seiner Tätigkeit und den Erkrankungen „besprochen“ und ihn „über den Sinn und Zweck der Untersuchungen“ unterrichtet, reicht dafür nicht aus. Es kann deshalb offenbleiben, ob die fragliche Begutachtung, hätte es sich bei ihr um ein bEM gehandelt, dem Zweck des § 84 Abs. 2 SGB IX deshalb nicht genügen konnte, weil der Kläger innerhalb des der Kündigung vorausgegangenen Jahres erneut Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen aufwies(zur Problematik KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 16; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10).

37

cc) Das Unterlassen eines bEM führt hier dazu, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist.

38

(1) Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dennoch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20).

39

(2) Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will sich der Arbeitgeber hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 25).

40

(3) Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt.

41

(4) Diesen Vorgaben wird die Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis gerecht.

42

(a) Ein bEM ist nicht nur bei lang andauernden Krankheiten geboten. Es ist auch bei häufigen Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen oder von vorneherein überflüssig. Nach der gesetzlichen Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX kommt es allein auf den Umfang, nicht auf die Ursache der Erkrankungen an. Auch aus Krankheiten, die auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen, kann sich - zumal wenn sie auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hindeuten - eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ergeben, der das bEM entgegenwirken soll (KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 17; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10; Deinert NZA 2010, 969, 971; aA Balders/Lepping NZA 2005, 854, 855).

43

(b) Dem Vorbringen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass einem künftigen Auftreten erheblicher, über sechs Wochen hinausgehender Fehlzeiten des Klägers durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen nicht hätte entgegengewirkt werden können. Dass ihr entsprechende Maßnahmen nicht möglich oder zumutbar gewesen wären, hat sie nicht aufgezeigt.

44

(aa) In diesem Zusammenhang waren nähere Darlegungen der Beklagten nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger vorgerichtlich geäußert haben mag, seine Erkrankungen seien nicht „betriebsbedingt“. Unabhängig davon, was genau er damit hat ausdrücken wollen, ist es nicht treuwidrig, wenn er sich gegenüber der ausgesprochenen Kündigung auf das Unterbleiben erfolgversprechender innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen beruft. Das Landesarbeitsgericht musste seine Behauptung, solche Maßnahmen hätten dem Auftreten neuerlicher Fehlzeiten vorbeugen oder diese zumindest verringern können, nicht etwa als Schutzbehauptung werten. Die Beklagte hat die vom Kläger aufgezeigten, einer günstigen Veränderung jedenfalls dem ersten Anschein nach nicht unzugänglichen Arbeitsbedingungen nicht in Abrede gestellt. Der Umstand, dass der Kläger während einer Prozessbeschäftigung trotz des Einsatzes am bisherigen Arbeitsplatz keine relevanten krankheitsbedingten Ausfallzeiten mehr gezeigt hat, spricht nicht notwendig gegen einen möglichen Zusammenhang zwischen den äußeren Arbeitsumständen und seinen bisherigen Fehlzeiten. Die Entwicklung kann ebenso gut durch die zwischenzeitlich durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme oder dadurch begünstigt worden sein, dass der Kläger - wie er behauptet hat - nunmehr ein effektiveres „Gesundheitsmanagement“ betreibt.

45

(bb) Die Beklagte hat die objektive Nutzlosigkeit innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen nicht dadurch aufgezeigt, dass sie auf den Gegenstand der arbeitsmedizinischen Untersuchungen verwiesen und sich die Stellungnahmen der Betriebsärzte - konkludent - zu Eigen gemacht hat. Zwar verpflichtet § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. c) ASiG die Betriebsärzte, Ursachen von „arbeitsbedingten Erkrankungen“ zu untersuchen. Auch ist der Stellungnahme vom 2. Februar 2010 zu entnehmen, dass die Ärzte keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers und seinen Fehlzeiten erkannt haben. Das schließt aber die Gewinnung anderer Erkenntnisse im Rahmen eines in alle Richtungen offenen bEM nicht aus. Bei diesem geht das Gesetz davon aus, dass sich neben dem Arbeitnehmer auch die anderen beteiligten Stellen, insbesondere die Rehabilitationsträger, aktiv in die Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit einbringen. Es kommt hinzu, dass die Berufsgenossenschaft im Jahr 2010 einen Zusammenhang zumindest zwischen den Arbeitsbedingungen und der Kontaktallergie gesehen und ein Hilfsmittel empfohlen hat. Soweit die Beklagte anführt, die im Jahr 2011 erfolgte betriebsärztliche Untersuchung sei „unter Berücksichtigung der arbeitsplatztypischen Belastungsfaktoren Lärm, Hautkontakt mit Stoffen, Schichttätigkeit“ erfolgt und „negativ“ verlaufen, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden kann. Im Übrigen ergibt sich aus ihm nicht, dass der Arbeitsplatz des Klägers auf besondere Belastungen durch Zugluft und Treppensteigen, dh. auf Umstände und deren mögliche Änderung hin untersucht worden wäre, in denen der Kläger eine Ursache seiner Krankheitsanfälligkeit erblickt.

46

(cc) Soweit die Beklagte gemeint hat, die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zu der Möglichkeit, im Rahmen eines bEM zu einer von den arbeitsmedizinischen Gutachten abweichenden Beurteilung zu gelangen, bewegten sich im Bereich der Spekulation, liegt darin kein beachtliches Vorbringen. Es handelt sich weder um eine zulässige Verfahrens-, noch um eine begründete Sachrüge. Es hat nicht das Landesarbeitsgericht Spekulationen angestellt, sondern die Beklagte ist ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen, im Einzelnen darzulegen, weshalb eine abweichende Beurteilung objektiv ausgeschlossen sein soll.

47

(c) Die Kündigung wäre selbst dann unverhältnismäßig, wenn feststünde, dass die tatsächlichen betrieblichen Bedingungen, zu denen der Kläger arbeitete, nicht hätten geändert werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung eines bEM Rehabilitationsbedarfe in der Person des Klägers hätten erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können.

48

(aa) Nach der Konzeption des Gesetzes lässt das bEM den Beteiligten bei der Prüfung, mit welchen Maßnahmen, Leistungen oder Hilfen eine künftige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglichst vermieden werden und das Arbeitsverhältnis erhalten bleiben kann, jeden denkbaren Spielraum. Es soll erreicht werden, dass keine vernünftigerweise in Betracht kommende, zielführende Möglichkeit ausgeschlossen wird (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1783 S. 16) soll durch eine derartige Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft gesichert werden. Zugleich sollen auf diese Weise medizinzische Rehabilitationsbedarfe frühzeitig, ggf. präventiv erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, hat der Arbeitgeber deshalb gemäß § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auch bei nicht behinderten Arbeitnehmern die örtlichen gemeinsamen Servicestellen hinzuzuziehen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Hilfen und Leistungen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX erbracht werden. Als Hilfen zur Beseitigung und möglichst längerfristigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeit kommen dabei - neben Maßnahmen zur kurativen Behandlung - insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX in Betracht(vgl. Knittel SGB IX 7. Aufl. § 84 Rn. 207; KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 9; Nebe in MünchAnwHdb Sozialrecht 4. Aufl. § 21 Rn. 22; Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 190).

49

(bb) Denkbares Ergebnis eines bEM kann es damit sein, den Arbeitnehmer auf eine Maßnahme der Rehabilitation zu verweisen. Dem steht nicht entgegen, dass deren Durchführung von seiner Mitwirkung abhängt und nicht in der alleinigen Macht des Arbeitgebers steht. Ggf. muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist zur Inanspruchnahme der Leistung setzen. Eine Kündigung kann er dann wirksam erst erklären, wenn die Frist trotz Kündigungsandrohung ergebnislos verstrichen ist (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 29). Durch die Berücksichtigung entsprechender, aus dem bEM entwickelter Empfehlungen wird der „ultima-ratio-Grundsatz“ nicht, wie die Beklagte meint, über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt. Die aus ihm resultierende Verpflichtung des Arbeitgebers, ggf. mildere Mittel zu ergreifen, ist nicht auf arbeitsplatzbezogene Maßnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG beschränkt. Diese Vorschrift dient der Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lediglich mit Blick auf ihren eigenen Regelungsbereich. Sie schließt die Berücksichtigung sonstiger Umstände, die eine Kündigung entbehrlich machen könnten, nicht aus. Eine Kündigung muss, damit sie durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“ ist, unter allen Gesichtspunkten verhältnismäßig, dh. unvermeidbar sein. Daraus kann sich die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, auf bestehende Therapiemöglichkeiten Bedacht zu nehmen. Wenn er ein bEM unterlassen hat, kann er gegen eine solche Verpflichtung nicht einwenden, ihm seien im Kündigungszeitpunkt - etwa schon mangels Kenntnis der Krankheitsursachen - entsprechende Möglichkeiten weder bekannt gewesen, noch hätten sie ihm bekannt sein können.

50

(cc) Das bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber bei Unterlassen eines bEM, um die Verhältnismäßigkeit der Kündigung aufzuzeigen, für jede nur erdenkliche Maßnahme der Gesundheitsprävention - etwa bis zu möglichen Änderungen in der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers - von sich aus darzulegen hätte, dass und weshalb sie zur nachhaltigen Verminderung der Fehlzeiten nicht geeignet gewesen sei. Es reicht aus, wenn er dartut, dass jedenfalls durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten nicht in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt lediglich die Berücksichtigung solcher Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen, deren Beachtung dem Arbeitgeber zumutbar ist. Zumutbar wiederum ist nur eine Beachtung solcher Maßnahmen, deren Zweckmäßigkeit hinreichend gesichert ist. Auch muss deren tatsächliche Durchführung objektiv überprüft werden können. Beides trifft auf gesetzlich vorgesehene Leistungen und Hilfen, die der Prävention und/oder Rehabilitation dienen, typischerweise zu. Solche Maßnahmen muss der Arbeitgeber deshalb grundsätzlich in Erwägung ziehen. Hat er ein bEM unterlassen, muss er von sich aus ihre objektive Nutzlosigkeit aufzeigen und ggf. beweisen. Dabei kommt eine Abstufung seiner Darlegungslast in Betracht, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt sind. Für eine Maßnahme außerhalb des Leistungskatalogs der Rehabilitationsträger - und sei es ein fachkundig entwickeltes Konzept zur privaten Gesundheitsprävention - gilt dies dagegen in aller Regel nicht. Deren objektive Nutzlosigkeit braucht der Arbeitgeber nicht darzutun.

51

(dd) Danach durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung zwar nicht deshalb für unwirksam erachten, weil im Rahmen eines bEM die Möglichkeit bestanden hätte, ein - wie auch immer geartetes - Konzept für ein konsequentes Gesundheitsmanagement des Klägers zu entwickeln. Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat nicht dargetan, dass auch bei regelkonformer Durchführung eines bEM keine geeigneten Leistungen oder Hilfen für den Kläger hätten erkannt werden können, zu deren Erbringung die Rehabilitationsträger verpflichtet gewesen wären. Das gilt umso mehr, als sich der Kläger ausdrücklich auf eine nach Zugang der Kündigung erfolgreich durchgeführte Reha-Behandlung berufen hat. Die Beklagte hätte aufzeigen müssen, warum Maßnahmen zur kurativen Behandlung und/oder der medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX - zu denen im Übrigen nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift auch die „Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln“ zählt - nicht in Betracht gekommen wären oder doch zu einer erheblichen Verringerung der Fehlzeiten nicht hätten beitragen können. An solchen Darlegungen fehlt es.

52

II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses gerichtet. Dieser Rechtsstreit ist abgeschlossen.

53

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

(2) Die Leistungen umfassen auch eine notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung.

(3) Soweit es im Einzelfall erforderlich ist, werden Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht.

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 15. November 2012 - 3 Sa 71/12 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, soweit dieses die Berufung des Klägers gegen die Abweisung seines Kündigungsschutzantrags zurückgewiesen hat.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung.

2

Die Beklagte bietet Dienst- und Vertriebsleistungen im Bereich der Informations- und Telekommunikationstechnik an. Für ihre Betriebsstätten in Essen und Erfurt ist ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt. Der im Dezember 1957 geborene Kläger war seit Juli 2001 als „Call-Center-Agent“ in der Betriebsstätte Erfurt beschäftigt. Außer ihm waren dort ein Niederlassungsleiter, eine Büroleiterin, sieben IT-Techniker und drei Außendienstmitarbeiter tätig.

3

Im Jahr 2004 war der Kläger an 54 Tagen, im Jahr 2005 an 29 Tagen arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 7. Juni 2006 fehlte er zunächst - im Umfang von insgesamt 21 Tagen - mehrfach kurzzeitig. Ab dem 27. November 2006 war er dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt. In der Folgezeit stellte die Beklagte zumindest zwei Teilzeitkräfte als „Call-Center-Agenten“ ein, die sie in Erfurt einsetzte und dem dortigen Niederlassungsleiter unterstellte.

4

Der Kläger leidet unter beidseitigem Tinnitus, dadurch bedingten Hörstörungen und an „psychovegetativen Erscheinungen“. Im Mai 2007 wurde er mit einem Grad der Behinderung von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Seit dem 1. Juni 2007 bezog er eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung. Zwischen den Parteien ist streitig, ob es sich insoweit um eine Rente wegen voller Erwerbsminderung oder - wie der Kläger behauptet hat - um eine sog. Arbeitsmarktrente handelt.

5

Im Mai 2010 beantragte die Beklagte die Zustimmung des Integrationsamts zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung, die durch Bescheid vom 9. November 2010 erteilt wurde. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 25. November 2010 ordentlich zum 28. Februar 2011.

6

Gegen den Bescheid des Integrationsamts erhob der Kläger Widerspruch, der zurückgewiesen wurde. In der Entscheidung des Widerspruchsausschusses heißt es, der Kläger sei nicht in der Lage, täglich länger als drei Stunden als „Call-Center-Agent“ zu arbeiten. Zwar habe es die Beklagte unterlassen, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchzuführen. Auch durch ein bEM habe die Kündigung aber nicht vermieden werden können.

7

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage fristgerecht gegen die Kündigung gewandt. Außerdem hat er seine Weiterbeschäftigung verlangt. Im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens hat er ein Attest seiner behandelnden Ärztin vom 24. Oktober 2011 vorgelegt. Darin heißt es, er sei „prinzipiell arbeitsfähig“, wenn keine besonderen Anforderungen an das Gehör gestellt würden, der Arbeitsschutz eingehalten werde, keine permanente höhergradige Lärmbelästigung vorliege und die Arbeit „nicht durch permanentes Telefonieren gekennzeichnet“ sei. Der Kläger hat geltend gemacht, er habe im Mai 2006 während eines Kundentelefonats infolge einer technischen Störung an einem Headset einen akustischen Schock erlitten. Dieser habe zu einem eingeschränkten Hörvermögen, beidseits starken Ohrgeräuschen, Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen und Übelkeit mit bis dato nachwirkenden Folgen geführt. Zwar habe er aufgrund der eingetretenen Lärmschwerhörigkeit seine bisherige Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ nicht mehr vollschichtig und zu unveränderten Bedingungen erbringen können. Er sei jedoch in der Lage gewesen, eine Tätigkeit als „Supervisor“ der Agenten oder Lagerarbeiten zu übernehmen. Darauf, ob entsprechende Arbeitsplätze im Kündigungszeitpunkt frei gewesen seien, komme es nicht an. Mit Blick auf ihre gesteigerte Fürsorgepflicht habe die Beklagte ggf. entsprechende Stellen schaffen müssen. Zumindest habe sie für ihn die Stelle eines Lagerarbeiters - und sei es durch Kündigung - „freimachen“ müssen. Die Kündigung sei auch deshalb unwirksam, weil sie wegen seiner Behinderung erfolgt sei. Zudem fehle es an einer ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 25. November 2010 nicht aufgelöst worden ist;

        

für den Fall des Obsiegens mit diesem Antrag,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihn in ihrer Niederlassung in Erfurt als Supervisor, hilfsweise als Lagerarbeiter zu beschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger sei dauerhaft nicht mehr in der Lage, die vertraglich geschuldete Tätigkeit zu erbringen. Daran treffe sie kein Verschulden. Sie habe alle einschlägigen Arbeitsschutzbestimmungen eingehalten. Eines bEM habe es den Umständen nach nicht bedurft. Jedenfalls sei die Kündigung - auch unter Berücksichtigung der Zustimmung des Integrationsamts - nicht unverhältnismäßig. Im Kündigungszeitpunkt seien keine Arbeitsplätze frei gewesen. Zusätzliche Stellen habe sie nicht schaffen müssen. An der Beschäftigung eines „Supervisors“ im Telefondienst bestehe seit jeher kein Bedarf. Der vom Kläger benannte Lagerarbeiter sei zum weit überwiegenden Teil seiner Arbeitszeit als IT-Techniker und insoweit mit Aufgaben beschäftigt gewesen, die der Kläger nicht habe verrichten können. Im Übrigen habe sie den fraglichen Arbeitsplatz nicht durch dessen Versetzung, sondern allenfalls durch Kündigung „freimachen“ können. Dazu sei sie nicht verpflichtet gewesen. Abgesehen davon bezweifele sie, dass der Kläger für eine Tätigkeit im Lager gesundheitlich ausreichend belastbar sei.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat „die Berufung des Klägers … zurückgewiesen und die weiteren gestellten Anträge abgewiesen“. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Kündigungsschutzantrag weiter. Die Hilfsanträge hat er mit Zustimmung der Beklagten im Revisionsverfahren zurückgenommen. Insoweit begehrt er die ersatzlose Aufhebung des zweitinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und hinsichtlich des Feststellungsbegehrens zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 25. November 2010 aufgelöst worden ist. Dazu fehlt es an erforderlichen Feststellungen.

12

I. Es steht nicht fest, ob die - mit Zustimmung des Integrationsamts erklärte - Kündigung iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Zwar konnte der Kläger dauerhaft seine vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr erbringen. Das Landesarbeitsgericht durfte auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen aber nicht annehmen, dass es keine milderen Mittel als die erklärte (Beendigungs-)Kündigung gab, um der bestehenden Vertragsstörung angemessen zu begegnen.

13

1. Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung, die auf eine lang anhaltende Erkrankung gestützt wird, ist in drei Stufen vorzunehmen. Zunächst - erste Stufe - ist eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustands des erkrankten Arbeitnehmers erforderlich. Bezogen auf den Kündigungszeitpunkt und die bisher ausgeübte Tätigkeit müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis einer weiteren, längeren Erkrankung rechtfertigen. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen ferner - zweite Stufe - zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Schließlich muss - dritte Stufe - eine vorzunehmende Interessenabwägung ergeben, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 11, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 27 ff. mwN, BAGE 123, 234).

14

2. Ist der Arbeitnehmer dauerhaft außer Stande, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist eine negative Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung des Gesundheitszustands indiziert. Der dauernden Leistungsunfähigkeit steht die völlige Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gleich. Eine solche Ungewissheit besteht, wenn in absehbarer Zeit nicht mit einer positiven Entwicklung gerechnet werden kann. Als absehbar ist in diesem Zusammenhang ein Zeitraum von bis zu 24 Monaten anzusehen (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 11, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 27, BAGE 123, 234). Die entsprechende Ungewissheit führt - ebenso wie eine feststehende Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen - zu einer grundsätzlich nicht näher darzulegenden erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen. Sie besteht darin, dass der Arbeitgeber auf unabsehbare Zeit gehindert ist, sein Direktionsrecht auszuüben und die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers abzurufen. In einem solchen Fall fehlt es in aller Regel an einem schutzwürdigen Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 28, aaO; 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 22).

15

3. Auch in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer auf Dauer wegen Krankheit die geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann, ist eine Kündigung nach dem das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur gerechtfertigt, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung erforderlich ist. Zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen gehört deshalb das Fehlen angemessener milderer Mittel zur Vermeidung künftiger Fehlzeiten (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 24; vgl. auch BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24). Mildere Mittel in diesem Sinne sind insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 24; vgl. auch BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN). Dies schließt in Krankheitsfällen die Verpflichtung des Arbeitgebers ein, einen leidensgerechten Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts „freizumachen“ und sich ggf. um die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zu bemühen (grundlegend BAG 29. Januar 1997 - 2 AZR 9/96 - zu II 1 d der Gründe, BAGE 85, 107). Scheidet eine Umsetzungsmöglichkeit aus, kann sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch eine Änderungskündigung - und sei es mit dem Ziel einer Weiterbeschäftigung zu schlechteren Arbeitsbedingungen - als vorrangig erweisen (vgl. BAG 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06 - Rn. 28; 21. April 2005 - 2 AZR 132/04 - zu B II der Gründe, BAGE 114, 243). Dabei ist ggf. die Pflicht des Arbeitgebers zu berücksichtigen, einem Schwerbehinderten gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX einen seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechenden Arbeitsplatz zuzuweisen(BAG 22. September 2005 - 2 AZR 519/04 - Rn. 31, BAGE 116, 7).

16

4. Danach ist das Landesarbeitsgericht mit Blick auf die bisherige Tätigkeit des Klägers zutreffend von einer negativen Gesundheitsprognose ausgegangen. Es hat daraus zu Recht auf eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten geschlossen. Es hat angenommen, eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers sei - bezogen auf die vertraglich geschuldete Tätigkeit und unter den bisherigen Arbeitsbedingungen - im Kündigungszeitpunkt gänzlich ungewiss gewesen. Dafür hat es zum einen auf die zurückliegende Dauer der Arbeitsunfähigkeit von rund vier Jahren verwiesen. Zum anderen hat es sich auf die eigene Einschätzung des Klägers gestützt, binnen der nächsten 24 Monate aller Voraussicht nach nicht vollschichtig als „Call-Center-Agent“ arbeiten zu können. Dies hält sich im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Verfahrensrügen haben die Parteien insoweit nicht erhoben.

17

5. Dagegen ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung erweise sich - auch angesichts der Unterlassung eines bEM - als verhältnismäßig, nicht frei von Rechtsfehlern.

18

a) Der Arbeitgeber trägt für die Umstände, die nach § 1 Abs. 2 KSchG die Kündigung bedingen, die Darlegungs- und Beweislast(§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Das gilt auch für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 25).

19

b) Ist der Arbeitgeber nicht zur Durchführung eines bEM verpflichtet, kann er sich zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf konkret erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne. Erst dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf zu erwidern und ggf. darzulegen, warum auch eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 25 mwN; 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 14 mwN, BAGE 135, 361).

20

c) Hat der Arbeitgeber entgegen den Vorgaben des § 84 Abs. 2 SGB IX ein bEM unterlassen, kann dies zu einer Erweiterung seiner Darlegungslast führen. Zwar ist die Durchführung des bEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung und für sich genommen auch kein milderes Mittel als diese. § 84 Abs. 2 SGB IX konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können mildere Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen, ggf. „freizumachenden“ Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 38; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20).

21

aa) Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will der Arbeitgeber sich hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten des Arbeitnehmers spürbar vorzubeugen und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 39; 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34).

22

bb) Ist es denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht hätte, darf sich der Arbeitgeber nicht auf den pauschalen Vortrag beschränken, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer. Er muss vielmehr von sich aus mögliche Alternativen würdigen und darlegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz in Betracht kamen (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 35, BAGE 135, 361).

23

d) Die angegriffene Kündigung ist nicht schon nach den dargestellten allgemeinen Grundsätzen zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast unverhältnismäßig. Der Kläger hat keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG, § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX aufgezeigt, soweit er geltend gemacht hat, die Beklagte habe ihn am Standort Erfurt als „Supervisor“ oder als Lagerarbeiter weiterbeschäftigen können.

24

aa) Eine Umgestaltung seines bisherigen Arbeitsplatzes, die es ihm ermöglicht hätte, einer Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ vollschichtig nachzugehen, hat der Kläger zuletzt selbst ausgeschlossen.

25

bb) Ebenso wenig war die Beklagte verpflichtet, ihn am Standort Erfurt als „Supervisor“ zu beschäftigen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war ein solcher Arbeitsplatz im Kündigungszeitpunkt nicht existent. Die Beklagte war kündigungsrechtlich nicht gehalten, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu schaffen (vgl. dazu BAG 19. Juni 2007 - 2 AZR 58/06 - Rn. 12, BAGE 123, 175; 29. März 1990 - 2 AZR 369/89 - zu B II 5 der Gründe, BAGE 65, 61). Aus § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX folgt nichts anderes. Nach dieser Vorschrift haben schwerbehinderte Arbeitnehmer und die ihnen Gleichgestellten gegenüber ihrem Arbeitgeber Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung, damit sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Daraus kann sich ein Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf anderweitige Beschäftigung ergeben, wenn er seine vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen seiner Behinderung nicht mehr ausüben kann (BAG 15. Oktober 2013 - 1 ABR 25/12 - Rn. 24). Der Anspruch besteht nicht, wenn eine anderweitige Beschäftigung zwar in Betracht kommt, sie dem Arbeitgeber aber unzumutbar oder für ihn mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist (§ 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX). Insbesondere muss der Arbeitgeber keinen zusätzlichen, bisher nicht vorhandenen und nicht benötigten Arbeitsplatz dauerhaft einrichten (vgl. BAG 27. Juli 2011 - 7 AZR 402/10 - Rn. 58; 4. Oktober 2005 - 9 AZR 632/04 - Rn. 23, BAGE 116, 121; Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 81 Rn. 182; zur Schaffung einer vorübergehenden sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeit vgl. Cramer/Ritz 6. Aufl. § 81 Rn. 21).

26

cc) Die Beklagte musste dem Kläger auch eine Weiterbeschäftigung als Lagerarbeiter nicht anbieten. Der insoweit einzig infrage kommende Arbeitsplatz war besetzt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe die Stelle weder durch Ausübung ihres Direktionsrechts „freimachen“ können, noch sei sie zu einer „Freikündigung“ verpflichtet gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

27

(1) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers unterstellt, dass in der Betriebsstätte Erfurt überhaupt ein Lagerarbeitsplatz vorhanden war. Seine Auffassung, die Beklagte habe diese Stelle nicht im Wege der Umsetzung mit dem Kläger besetzen können, hat es damit begründet, dass sie den dort tätigen Arbeitnehmer als „IT-Techniker“ angestellt habe und die für dessen Versetzung allein infrage kommenden Arbeitsplätze im Bereich Technik gleichfalls besetzt gewesen seien.

28

(a) Diese Würdigung ist, soweit sie auf tatsächlichem Gebiet liegt, revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (vgl. BAG 25. April 2013 - 8 AZR 287/08 - Rn. 43; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 29 mwN).

29

(b) Einen solchen Rechtsfehler zeigt der Kläger nicht auf. Er liegt auch nicht auf der Hand. Für die vom Kläger reklamierte Möglichkeit, den Arbeitsplatz „freizumachen“, kam es entscheidend darauf an, ob die Beklagte dem Stelleninhaber im Rahmen ihres Direktionsrechts eine andere Arbeitsaufgabe hätte zuweisen können. Dies hat das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner Feststellungen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint. Die Rüge des Klägers, es habe sein Vorbringen, der betreffende Mitarbeiter sei „im Materiallager … eingestellt“ gewesen, übergangen, ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet. Auch auf der Grundlage dieses Vortrags ist nicht erkennbar, dass die Beklagte die Stelle durch Versetzung hätte „freimachen“ können. Die vorsorglich erhobene Aufklärungsrüge (§ 139 ZPO)ist unzulässig. Der Kläger legt nicht dar, welchen ergänzenden, entscheidungserheblichen Vortrag er gehalten hätte, wenn er auf die Unschlüssigkeit seines Vorbringens hingewiesen worden wäre (zu dieser Voraussetzung vgl. BAG 16. Oktober 2013 - 10 AZR 9/13 - Rn. 46; 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 3 e aa der Gründe, BAGE 109, 145).

30

(2) Zu einer „Freikündigung“ des fraglichen Lagerarbeitsplatzes war die Beklagte nicht verpflichtet. Das gilt auch dann, wenn die Erkrankung des Klägers auf betriebliche Ursachen zurückzuführen ist.

31

(a) Das Bundesarbeitsgericht hat noch unter Geltung des Schwerbeschädigtengesetzes 1953 (SchwBeschG) die Auffassung vertreten, ein Arbeitgeber könne, um seiner gesetzlichen Förderungs- und Beschäftigungspflicht gegenüber einem Schwerbeschädigten (§ 12 Abs. 1 SchwBeschG) zu genügen, je nach den Umständen verpflichtet sein, für den geschützten Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsplatz durch Kündigung „freizumachen“ (BAG 4. Mai 1962 - 1 AZR 128/61 - zu II 2 der Gründe, BAGE 13, 109). Voraussetzung sei, dass die Kündigung für den betroffenen anderen Arbeitnehmer keine „soziale Härte“ darstelle (BAG 8. Februar 1966 - 1 AZR 365/65 - zu 4 der Gründe, BAGE 18, 124 [noch zu § 12 Abs. 1 SchwBeschG]; 13. Mai 1992 - 5 AZR 437/91 - zu II 2 c der Gründe [insoweit zu § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG]). In jüngerer Zeit hat das Bundesarbeitsgericht die Frage mehrfach dahinstehen lassen (BAG 28. April 1998 - 9 AZR 348/97 - zu III 3 der Gründe; 10. Juli 1991 - 5 AZR 383/90 - zu IV 3 der Gründe, BAGE 68, 141). Eine Pflicht zur „Freikündigung“ eines leidensgerechten Arbeitsplatzes allein auf der Grundlage des allgemeinen Kündigungsschutzes hat es allerdings abgelehnt (BAG 29. Januar 1997 - 2 AZR 9/96 - zu II 1 c der Gründe, BAGE 85, 107).

32

(b) Demgegenüber gehen das Bundesverwaltungsgericht und diverse Stimmen im Schrifttum davon aus, dass auch die Schwerbehinderung eine Pflicht zur „Freikündigung“ zugunsten des Betroffenen nicht begründe (BVerwG 28. Februar 1968 - V C 33.66 - BVerwGE 29, 140; nachfolgend 2. Juni 1999 - 5 B 130.99 -; Adlhoch in Ernst/Adlhoch/Seel SGB IX Stand Januar 2014 § 81 Rn. 19, 86; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 81 Rn. 25, einschränkend aber Rn. 28; Boecken RdA 2012, 210, 215; Kleinebrink NZA 2002, 716, 718; Mückl/Hiebert NZA 2010, 1259, 1263; Stück br 2007, 89, 94; Nehring Die krankheitsbedingte Kündigung im Lichte neuerer Gesetzgebung S. 185 f.; aA wohl Spiolek GK-SGB IX Stand Oktober 2014 § 81 Rn. 332).

33

(c) Die gegen eine solche Pflicht erhobenen Bedenken sind nicht ohne Gewicht. Die Verpflichtung zur Beschäftigungs- und Vertragstreue gegenüber (schwer-)behinderten Menschen findet ihre Grenze in den entgegenstehenden Rechten der von einer „Freikündigung“ betroffenen Stelleninhaber (vgl. Lepke Kündigung bei Krankheit 14. Aufl. Rn. 235; Nehring Die krankheitsbedingte Kündigung im Lichte neuerer Gesetzgebung S. 185 f.; Lingemann BB 1998, 1106, 1107). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Stelleninhaber Bestandsschutz nach dem KSchG genießt. Selbst wenn die Krankheit des (schwer-)behinderten Arbeitnehmers betrieblich verursacht ist und zu seiner Leistungsunfähigkeit oder doch der Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit geführt hat, besteht nicht etwa ein Überhang an Arbeitskräften, der den Arbeitgeber zu einer betriebsbedingten Kündigung des anderen Mitarbeiters berechtigen könnte (vgl. APS/Kiel 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 461; HaKo/Gallner 4. Aufl. § 1 Rn. 479; Boecken RdA 2012, 210, 215). Der Kündigungsgrund liegt vielmehr in der Person des auf seinem angestammten Arbeitsplatz nicht mehr arbeitsfähigen (schwer-)behinderten Arbeitnehmers. Sogar dann, wenn das KSchG auf das Arbeitsverhältnis des Stelleninhabers (noch) keine Anwendung findet, ist eine „Freikündigung“ wegen des mit ihr verbundenen Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit des betroffenen Beschäftigten aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen(vgl. Kleinebrink NZA 2002, 716, 718). In keiner seiner Bestimmungen sieht das SGB IX die Entlassung anderer Arbeitnehmer vor, um den Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen oder ihnen Gleichgestellter verwirklichen zu können. Vielmehr setzten die Prüfpflichten des Arbeitgebers nach § 81 Abs. 1 SGB IX, die im Rahmen von § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX mitzuberücksichtigen sind, das Vorhandensein freier Arbeitsplätze voraus(vgl. BVerwG 28. Februar 1968 - V C 33.66 - BVerwGE 29, 140; Boecken RdA 2012, 210, 215).

34

(d) Das Unionsrecht gebietet kein anderes Verständnis der in Rede stehenden nationalen Bestimmungen. Art. 5 Satz 2 RL 2000/78/EG sieht im Rahmen der Verhältnismäßigkeit die Pflicht des Arbeitgebers vor, Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung und die Ausübung ihres Berufs zu ermöglichen. In Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG sind mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nationale Bestimmungen erlaubt, die einer Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt dienen oder diese fördern. Daraus kann nicht gefolgert werden, die Richtlinie verlange zwecks Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderung ggf. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines nicht behinderten Menschen (vgl. Däubler/Bertzbach/Däubler 3. Aufl. § 7 Rn. 224).

35

(e) Danach scheidet eine Pflicht des Arbeitgebers zur „Freikündigung“ jedenfalls dann aus, wenn der Inhaber der infrage kommenden Stelle den allgemeinen Kündigungsschutz genießt. Ob ohne diesen Schutz anderes gilt, wenn der Stelleninhaber nicht seinerseits behindert ist und die Kündigung für ihn keine besondere Härte darstellt, kann hier offenbleiben. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt der Arbeitnehmer, der sich auf die Möglichkeit einer „Freikündigung“ beruft, die Darlegungs- und Beweislast (BAG 13. Mai 1992 - 5 AZR 437/91 - zu II 2 c der Gründe; 8. Februar 1966 - 1 AZR 365/65 - zu 4 der Gründe, BAGE 18, 124). Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Durchführung eines bEM unterlassen hat. Dieser Umstand führt zwar zu einer Verschärfung der ihn nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG treffenden Vortragslast, nicht aber zu einer Umkehr der Darlegungslast in solchen Fällen, in denen sie von vorneherein beim Arbeitnehmer liegt.

36

(f) Im Streitfall spricht vieles dafür, dass der im Lager tätige Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt Bestandsschutz nach dem KSchG genoss. Zumindest hat der Kläger weder behauptet noch gar schlüssig dargetan, dass die Kündigung für diesen keine besondere Härte bedeutet hätte.

37

dd) Eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf den von ihm konkret angeführten Arbeitsplätzen war aufgrund dessen ausgeschlossen. Dennoch steht damit nicht fest, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt war. Die Beklagte hat ein gebotenes bEM unterlassen. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, im Streitfall sei von dessen objektiver Nutzlosigkeit auszugehen, ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht berechtigt.

38

(1) Die Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Durchführung eines bEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX lagen im Kündigungszeitpunkt vor. Es war deshalb Sache der Beklagten, die entsprechende Initiative zu ergreifen (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 31; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Dem steht ihr Vorbringen, der Kläger sei für sie nicht erreichbar gewesen, nicht entgegen. Ihren Ausführungen ist nicht zu entnehmen, welche Anstrengungen sie unternommen haben will, um den Kläger zwecks Durchführung eines bEM zu kontaktieren (zum Erfordernis, den Betroffenen im Rahmen der Initiative auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der hierfür erhobenen Daten hinzuweisen vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23).

39

(2) Die Beklagte hat ein bEM nicht durchgeführt. Ihre damit einhergehende Verpflichtung, im Rahmen einer erweiterten Darlegungslast durch konkreten Sachvortrag aufzuzeigen, dass die Kündigung unvermeidlich war, entfiel nicht deshalb, weil das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt hatte.

40

(a) Mit Blick auf eine verhaltensbedingte Kündigung, die ohne die erforderliche Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX erklärt worden war, hat das Bundesarbeitsgericht dem Arbeitgeber eine Darlegungserleichterung zugebilligt, wenn das Integrationsamt gemäß § 85 SGB IX seine Zustimmung erteilt hat(vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 182/06 - Rn. 27, BAGE 120, 293). Da das Verwaltungsverfahren nach §§ 85 ff. SGB IX der Prüfung der Rechte des schwerbehinderten Arbeitnehmers diene und die Entscheidung des Integrationsamts durch mehrere Instanzen nachprüfbar sei, könne nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX die Kündigung hätte verhindern können(vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 182/06 - Rn. 28, aaO; BVerwG 19. August 2013 - 5 B 47.13 - Rn. 12).

41

(b) Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob an dieser Rechtsprechung ungeachtet der gegen sie geäußerten Einwände (Düwell BB 2011, 2485, 2487; Deinert NZA 2010, 969, 974; Lampe Der Kündigungsschutz behinderter Arbeitnehmer S. 164 f.) festzuhalten ist. Ebenso kann offenbleiben, ob sie auf den Fall der Unterlassung eines gebotenen bEM übertragen werden kann (befürwortend Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 24; Baumeister/Richter ZfA 2010, 3, 23; Beyer/Jansen br 2010, 117; Lepke Kündigung bei Krankheit 14. Aufl. Rn. 294; insbesondere mit Blick auf die unterschiedlichen Kreise der erfassten Arbeitnehmer ablehnend Brose RdA 2006, 149, 151 ff.). Der Zustimmungsbescheid entfaltet jedenfalls dann keine entsprechende Indizwirkung, wenn sich aus seiner Begründung oder der des Widerspruchsbescheids Anhaltspunkte dafür ergeben, dass mögliche, kündigungsrechtlich beachtliche Beschäftigungsalternativen im Verwaltungsverfahren nicht in den Blick genommen worden sind. So liegt es hier. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Zustimmungsbescheid mit der Begründung zurückgewiesen, dass er seine Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ nicht länger als drei Stunden arbeitstäglich ausüben könne und keine Stelle frei gewesen sei, die ihm eine anderweitige Beschäftigung ermöglicht habe. Die Ausführungen lassen nicht erkennen, dass auch die Möglichkeit einer Teilzeittätigkeit von täglich bis zu drei Stunden bedacht und ausgeschlossen worden wäre. Ebenso wenig ist ersichtlich, für welche betriebliche Einheit und welche konkreten Tätigkeiten das Integrationsamt das Vorhandensein freier Arbeitsplätze geprüft hat.

42

ee) Der von der Beklagten zu führende Nachweis, dass ein bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können, ist somit noch nicht erbracht. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann die Möglichkeit, den Kläger in Teilzeit als „Call-Center-Agent“ zu beschäftigen, nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. Ebenso wenig kann ausgeschlossen werden, dass in der Betriebsstätte Essen die Möglichkeit einer alternativen Beschäftigung bestand.

43

(1) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei gesundheitlich selbst zu einer Teilzeitarbeit als „Call-Center-Agent“ nicht in der Lage gewesen, beruht auf einer - vom Kläger zu Recht gerügten - Verletzung von § 286, § 139 ZPO.

44

(a) Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, eine Arbeitszeitreduzierung, die „weiterhin überwiegend Telefontätigkeiten beinhaltet hätte“, sei dem Kläger ausweislich „seines ärztlichen Gutachtens und seiner eigenen Einlassungen … nicht möglich“ gewesen. Diese Würdigung ist nicht nachvollziehbar. Es wird nicht deutlich, von welchen tatsächlichen Voraussetzungen das Landesarbeitsgericht - auch mit Blick auf den Umfang einer etwaigen Teilzeittätigkeit - ausgegangen ist. Einer entsprechenden Präzisierung hätte es schon deshalb bedurft, weil die Beklagte die Eignung des Klägers, eine Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ zumindest in geringfügigem Umfang zu verrichten, nicht explizit verneint hatte und sich das Gegenteil auch nicht aus den Entscheidungen des Integrationsamts im Zustimmungsverfahren ergibt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist außerdem unvollständig, weil sie sich mit den amtlichen Feststellungen im Widerspruchsverfahren nicht auseinandersetzt und damit nicht alle relevanten Aspekte einbezieht. Zwar mag sich der Kläger zuletzt dahingehend geäußert haben, eine Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ sei nicht „leidensgerecht“. Seine Erklärung bezog sich aber in erster Linie auf die vertraglich geschuldete Vollzeittätigkeit, die - anders als eine Beschäftigung in Teilzeit - Gegenstand der mündlichen Erörterungen in der Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht war. Die Frage, ob der Kläger mit verringerter Arbeitszeit als „Call-Center-Agent“ einsatzfähig gewesen wäre, spielte auch in den schriftsätzlichen Auseinandersetzungen der Parteien keine zentrale Rolle. Danach hätte das Landesarbeitsgericht dem Kläger nach einem entsprechenden Hinweis (§ 139 ZPO)Gelegenheit gegeben müssen, seine Leistungsfähigkeit mit Blick auf eine mögliche Arbeitszeitreduzierung zu verdeutlichen. Sollte es aus dem ärztlichen Attest vom 24. Oktober 2011 - das dem Kläger Arbeitsfähigkeit ua. unter der Voraussetzung bescheinigte, dass die Arbeit nicht durch „permanentes Telefonieren“ gekennzeichnet wäre - geschlossen haben, dessen Lärmschwerhörigkeit schließe jegliche Teilzeittätigkeit als „Call-Center-Agent“ aus, gilt das Gleiche. Auch davon durfte es den Umständen nach nicht ohne vorhergehenden Hinweis ausgehen.

45

(b) Die Verfahrensmängel sind entscheidungserheblich. Dafür reicht es aus, dass der Schluss gerechtfertigt ist, bei richtigem Verfahren hätte das Berufungsgericht möglicherweise anders entschieden (BAG 26. Juli 2007 - 8 AZR 770/06 - Rn. 34; 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 109, 145). Dies ist hier der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung tragend auf die Erwägung gestützt, dass der Kläger auch mit reduzierter Arbeitszeit nicht als „Call-Center-Agent“ habe beschäftigt werden können.

46

(c) Der Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts steht nicht entgegen, dass der Kläger in den Vorinstanzen nicht ausdrücklich die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung angeführt hatte. Die in § 84 Abs. 2 SGB IX vorgesehene Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden kann, erfordert bei schwerbehinderten Arbeitnehmern und ihnen gleichgestellten Beschäftigten die Prüfung, ob die Arbeitsunfähigkeit durch eine iSv. § 81 SGB IX leidensgerechte Beschäftigung überwunden werden kann(vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 45 f., 48). Hierunter fällt auch die - in § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX als Anspruch ausgestaltete - Möglichkeit einer Beschäftigung in zeitlich reduziertem Umfang(zur Arbeitszeitverkürzung als Vorkehrungsmaßnahme iSv. Art. 5 RL 2000/78/EG EuGH 11. April 2013 - C-335/11 und C-337/11 - [HK Danmark] Rn. 56 ff.). Die Verminderung der Arbeitszeit stellt eine mögliche Maßnahme zur Arbeitsplatzerhaltung dar, welche im Wege des bEM ermittelt werden kann. Zu ihr hätte die Beklagte Stellung beziehen müssen, um die objektive Nutzlosigkeit eines bEM darzutun. Da die Beklagte inzwischen „Call-Center-Agenten“ in Teilzeit beschäftigt, ist ihr eine solche Arbeitszeitverringerung offensichtlich nicht unzumutbar. Die Bewilligung der befristeten Erwerbsminderungsrente schließt es nicht aus, dass der Kläger einer Teilzeitbeschäftigung nachgeht, wenn auch nur im täglichen Umfang von einigen Stunden.

47

(2) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein bEM habe schlechterdings kein positives Ergebnis erbringen können, lässt überdies nicht erkennen, dass es dabei die Betriebsstätte Essen und dort vorhandene Arbeitsplätze mit in den Blick genommen hätte. Dass der Kläger mit einer örtlichen Versetzung nicht einverstanden gewesen wäre, ist weder festgestellt noch auf der Hand liegend.

48

II. Dies führt hinsichtlich des Feststellungsbegehrens zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

49

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu der Frage, ob ein bEM zu einem positiven Ergebnis hätte führen können, keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Dies wird es nachholen müssen. Dabei wird es zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte im Rahmen ihrer erhöhten Darlegungslast nicht nur für alle Betriebe ihres Unternehmens die Möglichkeit ausschließen muss, den Kläger auf einem freien Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen, sondern auch zu erläutern hat, warum der Kläger nicht im Rahmen einer schon besetzten, aber von ihm bislang nicht ausdrücklich bezeichneten Stelle hat weiterbeschäftigt werden können. Da nicht auszuschließen ist, dass die Beklagte den Umfang ihrer Darlegungslast verkannt hat, wird ihr Gelegenheit zu geben sein, ihr bisheriges Vorbringen zu ergänzen.

50

2. Der Rechtsstreit ist nicht aus anderen Gründen zur Endentscheidung reif.

51

a) Die Kündigung ist nicht unabhängig vom Bestehen einer Beschäftigungsalternative sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG.

52

aa) Gab es im Kündigungszeitpunkt keine Möglichkeit, den Kläger anderweitig einzusetzen, ist die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung rechtsfehlerfrei. Es hat zugunsten des Klägers die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein Alter und seine Behinderung berücksichtigt. Soweit dieser meint, das Gericht habe der von ihm behaupteten betrieblichen Ursache seiner dauerhaften Arbeitsunfähigkeit zu wenig Beachtung geschenkt, trifft dies nicht zu.

53

(1) Im Rahmen der Prüfung einer krankheitsbedingten Kündigung können bei der Interessenabwägung die Krankheitsursachen von Bedeutung sein. In aller Regel ist dem Arbeitgeber die Hinnahme einer Beeinträchtigung seiner betrieblichen Interessen eher zuzumuten, wenn die Gründe für die Arbeitsunfähigkeit im betrieblichen Bereich liegen (vgl. BAG 8. November 2007 - 2 AZR 292/06 - Rn. 16; 27. November 1991 - 2 AZR 309/91 - zu B V der Gründe; 21. Februar 1985 - 2 AZR 72/84 - zu B II 4 der Gründe). Das gilt umso mehr, wenn der Arbeitgeber die Umstände, die zu der Arbeitsunfähigkeit geführt haben, zu vertreten oder er ein Unfallrisiko gar billigend in Kauf genommen hat (vgl. BAG 8. Juni 1972 - 2 AZR 285/71 -; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 174; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 296; Lepke Kündigung bei Krankheit 14. Aufl. Rn. 212).

54

(2) Der Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es die möglichen Ursachen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers außer Acht gelassen hätte. Es hat vielmehr - unter B I 2.3 der Entscheidungsgründe - zugunsten des Klägers für die „weitere Prüfung“ unterstellt, dass er im Mai 2006 aufgrund einer Fehlfunktion des Headsets während der Arbeitszeit einen akustischen Schock erlitt und seine Arbeitsunfähigkeit darauf zurückzuführen ist. Soweit der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte den Arbeitsunfall und damit seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen verschuldet habe, ist nicht zu erkennen, welchen schlüssigen Sachvortrag er zu diesem Punkt geleistet haben will.

55

(3) Unter diesen Umständen ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses als überwiegend angesehen hat. Diese konnte auf unabsehbare Zeit nicht mehr mit dem Kläger planen. Im Kündigungszeitpunkt waren knapp vier Jahre ohne Arbeitsleistungen des Klägers vergangen. Damit hatte die Beklagte ein hohes Maß an Rücksichtnahme auf dessen Belange gezeigt. Selbst wenn die Erkrankung des Klägers auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sein sollte, war die Kündigung des mittlerweile sinnentleerten Arbeitsverhältnisses durch diese Gründe in seiner Person „bedingt“. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn die Beklagte von der behaupteten Funktionsstörung des Headsets gewusst oder wenn sie bewusst Arbeitsschutzvorschriften missachtet hätte, bedarf keiner Entscheidung. Für eine solche Sachlage fehlt es an Anhaltspunkten.

56

bb) Die Kündigung ist, falls es keine Beschäftigungsalternativen gab, nicht wegen einer Diskriminierung des Klägers aufgrund seiner Behinderung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG iVm. § 2 Abs. 1 Nr. 2, §§ 1, 7 AGG sozial ungerechtfertigt.

57

(1) Bei der Prüfung der Wirksamkeit von Kündigungen, die dem KSchG unterfallen, sind die Diskriminierungsverbote des AGG als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit iSv. § 1 KSchG zu beachten(vgl. BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 16 mwN, BAGE 147, 60; 20. Juni 2013 - 2 AZR 295/12 - Rn. 36, BAGE 145, 296). Beim Kläger liegt eine Behinderung iSv. § 1 AGG vor(zur Begrifflichkeit im Einzelnen BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 58, aaO).

58

(2) Durch die Kündigung wurde der Kläger weder unmittelbar noch mittelbar aufgrund seiner Behinderung iSv. § 7 Abs. 1 AGG benachteiligt.

59

(a) Die Kündigungserklärung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die ihr zugrunde liegenden Überlegungen, wie sie sich etwa aus der Kündigungsbegründung oder aus sonstigen Umständen ergeben, können Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Kündigung und einem Merkmal nach § 1 AGG liefern(BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 44 mwN, BAGE 147, 60).

60

(b) Eine auf dauerhafte krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit gestützte Kündigung verstößt nicht ohne Weiteres gegen das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung nach § 7 Abs. 1 AGG und Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der ihm zugrunde liegenden europäischen Richtlinie 2000/78/EG. Die Kündigung ist vielmehr - auch unionsrechtlich - wirksam, wenn der Arbeitgeber nicht imstande ist, die bestehende Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers durch angemessene Vorkehrungen, dh. durch effektive und praktikable, ihn - den Arbeitgeber - nicht unzumutbar belastende Maßnahmen zu beseitigen (vgl. BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 90, BAGE 147, 60; vgl. auch EuGH 11. April 2013 - C-335/11 und C-337/11 - [HK Danmark] Rn. 69 ff.; 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 52, 54, Slg. 2006, I-6467).

61

(c) Der vorliegende Fall ist nicht deshalb anders zu beurteilen, weil die Beklagte gekündigt hat, nachdem sie von der Behinderung des Klägers und dem Bezug der - befristeten - Erwerbsminderungsrente Kenntnis erlangt hatte. Sie hat nicht die Behinderung als solche oder den Rentenbezug des Klägers zum Anlass für die Kündigung genommen, sondern die durch dessen Arbeitsunfähigkeit bedingten Fehlzeiten. Die Bewilligung der Erwerbsminderungsrente diente ihr ersichtlich nur als Stütze für die Prognose, der Kläger werde auch künftig nicht in der Lage sein, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

62

(d) Der Verstoß der Beklagten gegen ihre Verpflichtung, ein ordnungsgemäßes bEM durchzuführen, und die mögliche Verletzung ihrer Pflicht, dem Kläger einen leidensgerechten Arbeitsplatz anzubieten, sind ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keine aussagekräftigen Indizien für eine unzulässige Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung (vgl. dazu BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 42). Das Landesarbeitsgericht hat seine Auffassung, die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 10. Juni 2011 seien hierfür ebenso unergiebig, in revisionsrechtlich nicht zu beanstandeter Weise damit begründet, das Vorbringen beschränke sich auf die Wiedergabe gesetzlicher Bestimmungen.

63

(e) Soweit der Kläger vorgebracht hat, in der Ausstattung seines Arbeitsplatzes mit einem - unterstellt - fehlerhaften oder ungeeigneten Headset liege ein Indiz für seine unmittelbare oder doch mittelbare Benachteiligung als behinderter Mensch, ist die sachliche Berechtigung dieser Auffassung nicht zu erkennen. Das Gleiche gilt, soweit der Kläger gemeint hat, die Diskriminierung liege schon in der Zuweisung des betreffenden Arbeitsplatzes, zumal er bei Übertragung der Tätigkeit noch nicht behindert war.

64

b) Die Kündigung ist nicht aus einem sonstigen Grund unwirksam.

65

aa) Ein Verstoß gegen § 102 BetrVG liegt nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe die Kündigung nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung erklärt. Dagegen erhebt der Kläger keine Verfahrensrügen. Ein materieller Rechtsfehler ist nicht erkennbar.

66

bb) Die Beklagte hat die Kündigung iSv. § 85 SGB IX mit Zustimmung des Integrationsamts erklärt. Der Widerspruch des Klägers gegen den Zustimmungsbescheid vom 9. November 2010 entfaltete keine aufschiebende Wirkung (vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 991/11 - Rn. 24 mwN, BAGE 145, 199).

67

cc) Der Einwand des Klägers, die Beklagte habe es versäumt, die Vertrauensperson der Schwerbehinderten von der beabsichtigten Kündigung zu unterrichten, bleibt ohne Erfolg. Es ist schon nicht dargetan, dass im Betrieb der Beklagten eine Vertretung iSv. 94 Abs. 1 SGB IX bestand. Im Übrigen führt eine Verletzung der sich aus § 95 Abs. 2 SGB IX ergebenden Beteiligungspflicht nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung(vgl. BAG 28. Juli 1983 - 2 AZR 122/82 - zu B der Gründe, BAGE 43, 210 [zu § 22 Abs. 2 SchwbG aF]).

68

III. Soweit das Landesarbeitsgericht die Anträge des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung abgewiesen hat, hat es gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen. In diesem Punkt war die angefochtene Entscheidung ersatzlos aufzuheben.

69

1. Der Kläger hatte die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung nur für den Fall des Obsiegens mit dem Hauptantrag gestellt. Diese innerprozessuale Bedingung war nicht eingetreten. Das Landesarbeitsgericht hat den Kündigungsschutzantrag abgewiesen. Soweit es - laut den Ausführungen unter B. der Entscheidungsgründe - die Klage auch hinsichtlich der Hilfsanträge abgewiesen hat, hat es über einen nicht gestellten Antrag entschieden. Damit hat es § 308 Abs. 1 ZPO verletzt. Die Vorschrift verbietet es, dem Kläger einen Anspruch abzuerkennen, den er nicht zur Entscheidung gestellt hat (BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 864/12 - Rn. 15; 7. November 1991 - 2 AZR 190/91 - zu B II 1 der Gründe; vgl. auch MüKoZPO/Musielak 4. Aufl. § 308 Rn. 17).

70

2. Die Beseitigung der daraus folgenden Beschwer konnte der Kläger trotz der wirksam erklärten Rücknahme der Hilfsanträge verlangen. Eines weiter gehenden Ausspruchs bedurfte es nicht. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist, soweit dieses das erstinstanzlich in Gestalt eines Feststellungsantrags angebrachte Beschäftigungsverlangen abgewiesen hat, schon aufgrund der in der Berufungsinstanz erfolgen Umstellung in unechte, auf Leistung gerichtete Hilfsanträge wirkungslos geworden.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 2. Oktober 2009 - 20 Sa 19/09 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Nach Maßgabe der erstinstanzlichen Entscheidung streiten die Parteien über eine auf Krankheitszeiten gestützte Kündigung. Das Landesarbeitsgericht hat von einer eigenen Darstellung des Tatbestandes abgesehen.

2

Der im Oktober 1974 geborene Kläger war seit dem 3. August 1998 als Lager- und Logistikarbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Sein durchschnittlicher Bruttomonatslohn betrug etwa 2.430,00 Euro.

3

Mit Schreiben vom 30. Mai 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. August 2008. Zur Begründung hat sie sich auf häufige Kurzerkrankungen des Klägers bezogen, die im Jahr 2005 insgesamt 46 Arbeitstage, im Jahr 2006 24 Arbeitstage, im Jahr 2007 70 Arbeitstage und im Jahr 2008 bis Ende Mai 47 Arbeitstage betragen hätten.

4

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Eine negative Gesundheitsprognose sei nicht berechtigt. Im Übrigen habe die Beklagte ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX nicht durchgeführt.

5

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das bestehende Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30. Mai 2008 nicht aufgelöst worden ist.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, der Kläger sei auch künftig nicht in der Lage, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung ohne erhebliche Ausfallzeiten zu erbringen. Diese Prognose werde durch das vom Kläger selbst vorgelegte ärztliche Attest vom 12. Juni 2008 belegt. Diesem zufolge dürfe der Kläger nur noch leichte körperliche Tätigkeiten ausführen. Auch ihr eigener Betriebsarzt halte eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf der bisherigen Arbeitsstelle für ausgeschlossen, nachdem er dieses Attest eingesehen habe. Sie habe in den Jahren 2005 bis 2008 insgesamt etwa 32.000,00 Euro an Lohnfortzahlungskosten aufwenden müssen. Sie habe häufiger versucht, ein betriebliches Eingliederungsmanagement mit dem Kläger durchzuführen. Anderweitige Einsatzmöglichkeiten habe dieser bisher nicht aufzeigen können.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist begründet.

9

I. Das Berufungsurteil ist schon deswegen aufzuheben, weil es entgegen § 69 Abs. 3 ArbGG keinen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Tatbestand enthält.

10

1. Ein Berufungsurteil muss einen den Anforderungen des § 69 Abs. 3 ArbGG genügenden Tatbestand enthalten.

11

a) Nach § 69 Abs. 2 ArbGG kann unter den dort genannten Voraussetzungen von der Darstellung des Tatbestandes nur dann abgesehen werden, wenn das Berufungsurteil unzweifelhaft nicht der Revision unterliegt( § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO ). § 69 Abs. 3 ArbGG verlangt für Urteile, gegen die die Revision statthaft ist, eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien. Das ist erforderlich, um die Nachprüfung des angefochtenen Urteils durch das Revisionsgericht zu ermöglichen. Dies gilt auch dann, wenn die Revision vom Landesarbeitsgericht nicht zugelassen worden ist. Darin liegt kein Fall des § 69 Abs. 2 ArbGG iVm. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO. Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72a ArbGG ist ein Rechtsmittel gegen das Berufungsurteil nicht „unzweifelhaft“ unzulässig(Senat 30. September 2010 - 2 AZR 160/09 - Rn. 11, NZA 2011, 349). Ein völliges Absehen von der Darstellung des Tatbestandes gem. § 69 Abs. 2 ArbGG, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO kommt bei Berufungsurteilen nur dann in Betracht, wenn ein Rechtsmittelverzicht erklärt worden ist(BAG 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 5). Zumindest eine verkürzte Darstellung des zweitinstanzlichen Vorbringens ist erforderlich ( BAG 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - Rn. 16, aaO; Senat 15. August 2002 - 2 AZR 386/01 - AP ZPO 1977 § 543 Nr. 12 = EzA ZPO § 543 Nr. 12; BGH 13. August 2003 - XII ZR 303/02 - BGHZ 156, 97 ; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 7. Aufl. § 69 Rn. 10, 11).

12

b) Einem Urteil ohne Tatbestand kann in der Regel nicht entnommen werden, welchen Streitstoff das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Damit ist dem Revisionsgericht eine abschließende Überprüfung verwehrt. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Zweck des Revisionsverfahrens, dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Berufungsurteils und seiner Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt zu ermöglichen, deshalb erreicht werden kann, weil der Sach- und Streitstand sich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils in einem für die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage ausreichenden Umfang ergibt ( Senat 30. September 2010 - 2 AZR 160/09 - Rn. 11, NZA 2011, 349; BAG 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 5; Senat 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - zu I 1 der Gründe, AP ZPO 1977 § 543 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 4).

13

2. Danach enthält das angefochtene Urteil keinen ausreichenden Tatbestand.

14

a) Das Landesarbeitsgericht hat wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Im Übrigen hat es „gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen“, weil sein Urteil nicht der Revision unterfalle. Hierbei hat es außer Acht gelassen, dass auf eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers die Revision zugelassen werden konnte. Die Parteien hatten keinen Rechtsmittelverzicht erklärt.

15

b) Die in den Entscheidungsgründen erwähnten Sachverhaltselemente stellen keine ausreichende tatsächliche Grundlage für eine abschließende Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfragen dar. Sie erlauben dem Senat keine Entscheidung darüber, ob die Kündigung deswegen unverhältnismäßig ist, weil die Beklagte mangels Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf andere Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger trifft.

16

II. Die Sache ist an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Für die neue Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits wird das Landesarbeitsgericht die folgenden Hinweise zu beachten haben.

17

1. Das Landesarbeitsgericht hat vor einer Prüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG Feststellungen zur Anzahl der im Betrieb der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer zu treffen.

18

2. Falls danach der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes im Streitfall Anwendung findet, wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die Beklagte gem. § 84 Abs. 2 SGB IX ein betriebliches Eingliederungsmanagement(BEM) durchzuführen hatte. Ist dies zu bejahen, trifft sie eine erweiterte Darlegungslast. Sie hätte dann von sich aus zum Fehlen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten vorzutragen.

19

a) Das Erfordernis eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX besteht für alle Arbeitnehmer, nicht nur für behinderte Menschen(Senat 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234). Nach den vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegten Krankheitszeiten des Klägers wäre die Beklagte grundsätzlich verpflichtet gewesen, ein BEM durchzuführen. Danach war der Kläger iSv. § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krank. Dafür genügt es, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten insgesamt, gegebenenfalls in mehreren Abschnitten, mehr als sechs Wochen betragen haben (Senat 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 34, aaO; Gagel/Schian br 2006, 46; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 11). Nicht erforderlich ist, dass es eine einzelne Krankheitsperiode von durchgängig mehr als sechs Wochen gab.

20

b) Die Verpflichtung zur Durchführung eines BEM stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Das BEM ist zwar selbst kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner Hilfe können aber solche milderen Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen - ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ - Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (vgl. Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 48 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 56; 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06 - Rn. 25, EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 55; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 41, BAGE 123, 234).

21

aa) Wurde entgegen § 84 Abs. 2 SGB IX ein BEM nicht durchgeführt, darf sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die dieser trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Er hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer (außergerichtlich) bereits genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz ausscheiden (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 19, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 48 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 56). Erst nach einem solchen Vortrag ist es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst eine leidensgerechte Beschäftigung vorstellt.

22

bb) Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 84 Abs. 2 SGB IX ein Verfahren durchgeführt hat, das nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen an ein BEM genügt(Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 48 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 56).

23

cc) Hat der Arbeitgeber ein BEM deshalb nicht durchgeführt, weil der Arbeitnehmer nicht eingewilligt hat, kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber den Betroffenen zuvor auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen hatte (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX; Düwell in Dau/Düwell/Joussen SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 56). Die Belehrung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX gehört zu einem regelkonformen Ersuchen des Arbeitgebers um Zustimmung des Arbeitnehmers zur Durchführung eines BEM(vgl. Fabricius in Schlegel/Voelzke SGB IX § 84 Rn. 22). Sie soll dem Arbeitnehmer die Entscheidung ermöglichen, ob er ihm zustimmt oder nicht (Trenk-Hinterberger in Lachwitz/Schellhorn/Welti HK-SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 54). Die Initiativlast für die Durchführung eines BEM trägt der Arbeitgeber (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18, AP SGB IX § 84 Nr. 3 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 57).

24

dd) Stimmt der Arbeitnehmer trotz ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zu, ist das Unterlassen eines BEM „kündigungsneutral“ (vgl. Düwell in Dau/Düwell/Joussen SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 56). Zwingende Voraussetzung für die Durchführung eines BEM ist das Einverständnis des Betroffenen (vgl. Senat 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 51, BAGE 123, 234; Fabricius in Schlegel/Voelzke SGB IX § 84 Rn. 22; Trenk-Hinterberger in Lachwitz/Schellhorn/Welti HK-SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 53). Ohne die ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen darf keine Stelle unterrichtet oder eingeschaltet werden (Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 9).

25

ee) Möglich ist, dass auch ein BEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. Sofern dies der Fall ist, kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen eines BEM kein Nachteil entstehen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein BEM deshalb entbehrlich war, weil es wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers unter keinen Umständen ein positives Ergebnis hätte bringen können, trägt der Arbeitgeber. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich war und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können, warum also ein BEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, erneuten Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vorzubeugen und ihm den Arbeitsplatz zu erhalten (Senat 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 36, NZA 2011, 39).

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

(2) Die Leistungen umfassen auch eine notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung.

(3) Soweit es im Einzelfall erforderlich ist, werden Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 2. Oktober 2009 - 20 Sa 19/09 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Nach Maßgabe der erstinstanzlichen Entscheidung streiten die Parteien über eine auf Krankheitszeiten gestützte Kündigung. Das Landesarbeitsgericht hat von einer eigenen Darstellung des Tatbestandes abgesehen.

2

Der im Oktober 1974 geborene Kläger war seit dem 3. August 1998 als Lager- und Logistikarbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Sein durchschnittlicher Bruttomonatslohn betrug etwa 2.430,00 Euro.

3

Mit Schreiben vom 30. Mai 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. August 2008. Zur Begründung hat sie sich auf häufige Kurzerkrankungen des Klägers bezogen, die im Jahr 2005 insgesamt 46 Arbeitstage, im Jahr 2006 24 Arbeitstage, im Jahr 2007 70 Arbeitstage und im Jahr 2008 bis Ende Mai 47 Arbeitstage betragen hätten.

4

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Eine negative Gesundheitsprognose sei nicht berechtigt. Im Übrigen habe die Beklagte ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX nicht durchgeführt.

5

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das bestehende Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30. Mai 2008 nicht aufgelöst worden ist.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, der Kläger sei auch künftig nicht in der Lage, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung ohne erhebliche Ausfallzeiten zu erbringen. Diese Prognose werde durch das vom Kläger selbst vorgelegte ärztliche Attest vom 12. Juni 2008 belegt. Diesem zufolge dürfe der Kläger nur noch leichte körperliche Tätigkeiten ausführen. Auch ihr eigener Betriebsarzt halte eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf der bisherigen Arbeitsstelle für ausgeschlossen, nachdem er dieses Attest eingesehen habe. Sie habe in den Jahren 2005 bis 2008 insgesamt etwa 32.000,00 Euro an Lohnfortzahlungskosten aufwenden müssen. Sie habe häufiger versucht, ein betriebliches Eingliederungsmanagement mit dem Kläger durchzuführen. Anderweitige Einsatzmöglichkeiten habe dieser bisher nicht aufzeigen können.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist begründet.

9

I. Das Berufungsurteil ist schon deswegen aufzuheben, weil es entgegen § 69 Abs. 3 ArbGG keinen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Tatbestand enthält.

10

1. Ein Berufungsurteil muss einen den Anforderungen des § 69 Abs. 3 ArbGG genügenden Tatbestand enthalten.

11

a) Nach § 69 Abs. 2 ArbGG kann unter den dort genannten Voraussetzungen von der Darstellung des Tatbestandes nur dann abgesehen werden, wenn das Berufungsurteil unzweifelhaft nicht der Revision unterliegt( § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO ). § 69 Abs. 3 ArbGG verlangt für Urteile, gegen die die Revision statthaft ist, eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien. Das ist erforderlich, um die Nachprüfung des angefochtenen Urteils durch das Revisionsgericht zu ermöglichen. Dies gilt auch dann, wenn die Revision vom Landesarbeitsgericht nicht zugelassen worden ist. Darin liegt kein Fall des § 69 Abs. 2 ArbGG iVm. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO. Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72a ArbGG ist ein Rechtsmittel gegen das Berufungsurteil nicht „unzweifelhaft“ unzulässig(Senat 30. September 2010 - 2 AZR 160/09 - Rn. 11, NZA 2011, 349). Ein völliges Absehen von der Darstellung des Tatbestandes gem. § 69 Abs. 2 ArbGG, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO kommt bei Berufungsurteilen nur dann in Betracht, wenn ein Rechtsmittelverzicht erklärt worden ist(BAG 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 5). Zumindest eine verkürzte Darstellung des zweitinstanzlichen Vorbringens ist erforderlich ( BAG 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - Rn. 16, aaO; Senat 15. August 2002 - 2 AZR 386/01 - AP ZPO 1977 § 543 Nr. 12 = EzA ZPO § 543 Nr. 12; BGH 13. August 2003 - XII ZR 303/02 - BGHZ 156, 97 ; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 7. Aufl. § 69 Rn. 10, 11).

12

b) Einem Urteil ohne Tatbestand kann in der Regel nicht entnommen werden, welchen Streitstoff das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Damit ist dem Revisionsgericht eine abschließende Überprüfung verwehrt. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Zweck des Revisionsverfahrens, dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Berufungsurteils und seiner Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt zu ermöglichen, deshalb erreicht werden kann, weil der Sach- und Streitstand sich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils in einem für die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage ausreichenden Umfang ergibt ( Senat 30. September 2010 - 2 AZR 160/09 - Rn. 11, NZA 2011, 349; BAG 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 2 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 5; Senat 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - zu I 1 der Gründe, AP ZPO 1977 § 543 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 4).

13

2. Danach enthält das angefochtene Urteil keinen ausreichenden Tatbestand.

14

a) Das Landesarbeitsgericht hat wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Im Übrigen hat es „gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen“, weil sein Urteil nicht der Revision unterfalle. Hierbei hat es außer Acht gelassen, dass auf eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers die Revision zugelassen werden konnte. Die Parteien hatten keinen Rechtsmittelverzicht erklärt.

15

b) Die in den Entscheidungsgründen erwähnten Sachverhaltselemente stellen keine ausreichende tatsächliche Grundlage für eine abschließende Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfragen dar. Sie erlauben dem Senat keine Entscheidung darüber, ob die Kündigung deswegen unverhältnismäßig ist, weil die Beklagte mangels Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf andere Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger trifft.

16

II. Die Sache ist an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Für die neue Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits wird das Landesarbeitsgericht die folgenden Hinweise zu beachten haben.

17

1. Das Landesarbeitsgericht hat vor einer Prüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG Feststellungen zur Anzahl der im Betrieb der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer zu treffen.

18

2. Falls danach der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes im Streitfall Anwendung findet, wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die Beklagte gem. § 84 Abs. 2 SGB IX ein betriebliches Eingliederungsmanagement(BEM) durchzuführen hatte. Ist dies zu bejahen, trifft sie eine erweiterte Darlegungslast. Sie hätte dann von sich aus zum Fehlen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten vorzutragen.

19

a) Das Erfordernis eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX besteht für alle Arbeitnehmer, nicht nur für behinderte Menschen(Senat 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234). Nach den vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegten Krankheitszeiten des Klägers wäre die Beklagte grundsätzlich verpflichtet gewesen, ein BEM durchzuführen. Danach war der Kläger iSv. § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krank. Dafür genügt es, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten insgesamt, gegebenenfalls in mehreren Abschnitten, mehr als sechs Wochen betragen haben (Senat 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 34, aaO; Gagel/Schian br 2006, 46; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 11). Nicht erforderlich ist, dass es eine einzelne Krankheitsperiode von durchgängig mehr als sechs Wochen gab.

20

b) Die Verpflichtung zur Durchführung eines BEM stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Das BEM ist zwar selbst kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner Hilfe können aber solche milderen Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen - ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ - Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (vgl. Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 48 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 56; 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06 - Rn. 25, EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 55; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 41, BAGE 123, 234).

21

aa) Wurde entgegen § 84 Abs. 2 SGB IX ein BEM nicht durchgeführt, darf sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die dieser trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Er hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer (außergerichtlich) bereits genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz ausscheiden (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 19, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 48 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 56). Erst nach einem solchen Vortrag ist es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst eine leidensgerechte Beschäftigung vorstellt.

22

bb) Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 84 Abs. 2 SGB IX ein Verfahren durchgeführt hat, das nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen an ein BEM genügt(Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 48 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 56).

23

cc) Hat der Arbeitgeber ein BEM deshalb nicht durchgeführt, weil der Arbeitnehmer nicht eingewilligt hat, kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber den Betroffenen zuvor auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen hatte (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX; Düwell in Dau/Düwell/Joussen SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 56). Die Belehrung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX gehört zu einem regelkonformen Ersuchen des Arbeitgebers um Zustimmung des Arbeitnehmers zur Durchführung eines BEM(vgl. Fabricius in Schlegel/Voelzke SGB IX § 84 Rn. 22). Sie soll dem Arbeitnehmer die Entscheidung ermöglichen, ob er ihm zustimmt oder nicht (Trenk-Hinterberger in Lachwitz/Schellhorn/Welti HK-SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 54). Die Initiativlast für die Durchführung eines BEM trägt der Arbeitgeber (Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18, AP SGB IX § 84 Nr. 3 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 57).

24

dd) Stimmt der Arbeitnehmer trotz ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zu, ist das Unterlassen eines BEM „kündigungsneutral“ (vgl. Düwell in Dau/Düwell/Joussen SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 56). Zwingende Voraussetzung für die Durchführung eines BEM ist das Einverständnis des Betroffenen (vgl. Senat 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 51, BAGE 123, 234; Fabricius in Schlegel/Voelzke SGB IX § 84 Rn. 22; Trenk-Hinterberger in Lachwitz/Schellhorn/Welti HK-SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 53). Ohne die ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen darf keine Stelle unterrichtet oder eingeschaltet werden (Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 9).

25

ee) Möglich ist, dass auch ein BEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. Sofern dies der Fall ist, kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen eines BEM kein Nachteil entstehen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein BEM deshalb entbehrlich war, weil es wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers unter keinen Umständen ein positives Ergebnis hätte bringen können, trägt der Arbeitgeber. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich war und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können, warum also ein BEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, erneuten Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vorzubeugen und ihm den Arbeitsplatz zu erhalten (Senat 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 36, NZA 2011, 39).

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

(2) Die Leistungen umfassen auch eine notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung.

(3) Soweit es im Einzelfall erforderlich ist, werden Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht.

Tatbestand

1

In der Zeit ab April 2006 schrieb der Beteiligte unter Bezugnahme auf § 84 Abs. 2 SGB IX Beschäftigte seiner Dienststelle an, die innerhalb des zurückliegenden Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig krank gewesen waren. Er unterrichtete sie über die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements und bat darum, auf der beiliegenden Kopie des Schreibens zu erklären, ob sie mit der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements einverstanden seien. Mit Schreiben vom 25. April 2006 rügte der Antragsteller seine unterbliebene Beteiligung und bat um Übergabe einer Liste aller angeschriebenen Beschäftigten. Dem trat der Beteiligte im Schreiben vom 8. Mai 2006 im Wesentlichen mit der Begründung entgegen, vor Zustimmung des betroffenen Beschäftigten sei für eine Einschaltung der Personalvertretung kein Raum. Mit Schreiben vom 17. Januar 2007 übersandte der Beteiligte dem Antragsteller eine Übersicht, welche die Namen der Beschäftigten mit krankheitsbedingten Fehlzeiten von über sechs Wochen sowie den Zeitraum der Erkrankung und die Anzahl der Krankheitstage enthielt. Mit Schreiben vom 16. März 2007 übersandte der Beteiligte dem Antragsteller eine Liste mit den Namen derjenigen Beschäftigten, welche der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements zugestimmt hatten.

2

Das vom Antragsteller angerufene Verwaltungsgericht hat festgestellt, 1. dass der Beteiligte dadurch das Beteiligungsrecht des Antragstellers gemäß § 84 Abs. 2, § 93 SGB IX verletzt hat, dass er Beschäftigte aufgefordert hat mitzuteilen, ob sie einem betrieblichen Eingliederungsmanagement zustimmen würden, ohne dass der Antragsteller vorher beteiligt worden ist, und 2. dass der Beteiligte verpflichtet ist, dem Antragsteller unverzüglich mitzuteilen, ohne vorherige Zustimmung des jeweils Betroffenen, welche Beschäftigten der Dienststelle innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren, und das Anschreiben an die Betroffenen und ggf. deren Antwort zur Kenntnis zu geben.

3

Der Beteiligte hat gegen die Feststellung zu 1 sowie gegen die Feststellung zu 2 hinsichtlich des Anschreibens an die Betroffenen und deren Antwort Beschwerde eingelegt. Das Oberverwaltungsgericht hat den erstinstanzlichen Beschluss geändert und den Feststellungsantrag zu 2 insoweit zurückgewiesen, als der Antragsteller die Feststellung der Verpflichtung des Beteiligten begehrt, dem Antragsteller ohne vorherige Zustimmung des Betroffenen eine Kopie des Anschreibens an die Betroffenen und ggf. deren Antwort zur Kenntnis zu geben. Im Übrigen hat es die Beschwerde des Beteiligten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Antragsteller könne nur beanspruchen, dass ihm der anonymisierte Mustertext des Schreibens an die Betroffenen zur Kenntnis gegeben werde. Nicht beanspruchen könne er dagegen, die jeweiligen individuellen Schreiben, aus denen Namen und Anschrift der Betroffenen hervorgingen, sowie die Antwortschreiben zur Kenntnis zu erhalten. Dem stehe das Geheimhaltungsinteresse der Beschäftigten entgegen, die sich zur Beteiligung der Personalvertretung am betrieblichen Eingliederungsmanagement noch nicht geäußert hätten. Nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit sei dem Beteiligten zuzutrauen, die Antwortschreiben zutreffend in "zugestimmt" und "nicht zugestimmt" unterscheiden zu können. Dem Betroffenen bleibe es unbenommen, ein etwaiges Missverständnis beim Beteiligten aufzuklären oder beim Antragsteller um Beteiligung in seinem Fall nachzusuchen, falls bei ihm entgegen seinem Wunsch kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt werde. Durch diese Einschränkung werde die Arbeit der Personalvertretung nicht unzumutbar erschwert. Es handele sich vielmehr um das Ergebnis der zu einem Ausgleich zu bringenden gegenläufigen Interessen der Beschäftigten, die einem betrieblichen Eingliederungsmanagement unter Beteiligung der Personalvertretung nicht zugestimmt hätten, einerseits und den Interessen der Personalvertretung an der Überwachung der Maßnahmen andererseits.

4

Soweit das Oberverwaltungsgericht den Feststellungsantrag zu 2 zurückgewiesen hat, hat der Senat die Rechtsbeschwerde des Antragstellers zugelassen. Dieser trägt vor: Gemäß § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX habe der Personalrat die Aufgabe, die Einhaltung der Verpflichtungen des Arbeitgebers zum betrieblichen Eingliederungsmanagement zu überwachen. Dazu gehöre die Verpflichtung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX, die Betroffenen auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Die Erfüllung dieser Verpflichtung könne der Personalrat nicht überwachen, wenn er die entsprechenden Schreiben der Dienststelle nicht in Kopie erhalte. Das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten werde mit Rücksicht auf die Beteiligungsrechte der Personalvertretung eingeschränkt. So erhalte der Personalrat z.B. in jedem Einstellungs-, Eingruppierungs- oder Kündigungsfall die erforderlichen Informationen ohne Einverständnis des Betroffenen. Auch im vorliegenden Fall sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Die begehrte Unterrichtung sei geeignet, erforderlich und angemessen, damit der Personalrat seiner Überwachungspflicht nachkommen könne.

5

Der Antragsteller beantragt,

den angefochtenen Beschluss abzuändern, soweit der Beschwerde des Beteiligten stattgegeben wurde, und auch diesen Teil der Beschwerde des Beteiligten zurückzuweisen.

6

Der Beteiligte beantragt, die Rechtsbeschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.

7

Er verteidigt ebenso wie der Vertreter des Bundesinteresses den angefochtenen Beschluss.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Rechtsbeschwerde des Antragstellers ist nur teilweise begründet. Soweit es um das Anschreiben des Beteiligten an die betroffenen Beschäftigten geht, beruht der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts auf der unrichtigen Anwendung von Rechtsnormen (§ 91 Abs. 2 BlnPersVG vom 14. Juli 1994, GVBl S. 337, zuletzt geändert durch Art. III des Gesetzes vom 25. Januar 2010, GVBl S. 22, i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). In diesem Umfang ist er daher zu ändern; da der Sachverhalt geklärt ist, entscheidet der Senat in der Sache selbst (§ 96 Abs. 1 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO). Danach ist die Beschwerde des Beteiligten gegen den erstinstanzlichen Beschluss hinsichtlich des Anschreibens zurückzuweisen. Im Übrigen ist der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts zu bestätigen. Ohne Zustimmung des jeweils Betroffenen ist dem Antragsteller zwar das Anschreiben des Beteiligten an den Betroffenen, nicht aber dessen Antwortschreiben zur Kenntnis zu geben.

9

1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein die Frage, ob der Antragsteller einen Anspruch darauf hat, dass ihm das Anschreiben an die Betroffenen und deren Antwort ohne deren vorherige Zustimmung zur Kenntnis gegeben werden. Insoweit hat das Oberverwaltungsgericht der Beschwerde des Beteiligten stattgegeben und das Feststellungsbegehren abgelehnt. Nur darauf erstreckt sich die vom Senat zugelassene Rechtsbeschwerde.

10

Soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, dass der Beteiligte mit der Einleitung des betrieblichen Eingliederungsmanagements das Beteiligungsrecht des Antragstellers verletzt hat und dass der Beteiligte verpflichtet ist, dem Antragsteller ohne vorherige Zustimmung des jeweils Betroffenen mitzuteilen, welche Beschäftigten innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren, sie diese Feststellungen rechtskräftig geworden und deshalb einer Überprüfung durch den Senat entzogen.

11

2. Rechtsgrundlage für das streitige Begehren ist § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BlnPersVG i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX.

12

a) Der Geltungsbereich des Berliner Personalvertretungsgesetzes ist eröffnet. Er erstreckt sich gemäß § 1 Abs. 1 BlnPersVG auf die landesunmittelbaren Anstalten des öffentlichen Rechts des Landes Berlin. Um eine derartige Anstalt handelt es sich bei den Berliner Bäder-Betrieben (§ 28 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a des Gesetzes über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung i.d.F. der Bekanntmachung vom 22. Juli 1996, GVBl S. 302, zuletzt geändert durch Art. II des Gesetzes vom 25. Januar 2010, GVBl S. 22, i.V.m. § 1 Abs. 1, § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Anstalt öffentlichen Rechts Berliner Bäder-Betriebe vom 25. September 1995, GVBl S. 617, zuletzt geändert durch Art. I des Gesetzes vom 10. Mai 2007, GVBl S. 195).

13

b) Gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BlnPersVG ist die Personalvertretung zur Durchführung ihrer Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten; ihr sind sämtliche zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Die Pflicht des Dienststellenleiters zur Vorlage von Unterlagen ist somit Bestandteil seiner Informationspflicht gegenüber der Personalvertretung. Sie besteht nur in dem Umfang, in welchem die Personalvertretung zur Durchführung ihrer Aufgaben die Kenntnis der Unterlagen benötigt (vgl. Beschlüsse vom 23. Januar 2002 - BVerwG 6 P 5.01 - Buchholz 250 § 68 BPersVG Nr. 17 S. 1 = PersR 2002, 201 und vom 16. Februar 2010 - BVerwG 6 P 5.09 - juris Rn. 9). Als Aufgabe, aus welchen der geltend gemachte Anspruch des Personalrats auf Vorlage der Schreiben herzuleiten ist, kommen hier dessen Befugnis aus § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX in Betracht.

14

Nach § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX wachen u.a. die zuständigen Interessenvertretungen im Sinne des § 93 SGB IX, also auch der Personalrat, darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach § 84 SGB IX obliegenden Verpflichtungen erfüllt. Diese Verpflichtungen bestehen für alle Arbeitnehmer, nicht etwa nur mit Blick auf behinderte Menschen (vgl. BAG, Urteil vom 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - BAGE 123, 234 Rn. 35). Dem Arbeitgeber obliegt nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX die Verpflichtung, den Beschäftigten, der innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war, oder dessen gesetzlichen Vertreter auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements im Sinne des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Stimmt der Betroffene oder sein gesetzlicher Vertreter der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements zu, ist der Arbeitgeber nach Maßgabe des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen und Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Soweit es für die Überwachung, ob der Arbeitgeber diese Verpflichtungen erfüllt, erforderlich ist, hat der Personalrat einen Informationsanspruch nach § 73 Abs. 1 BlnPersVG.

15

c) Rechtssystematische Bedenken, den Auskunftsanspruch des Personalrats nach § 73 Abs. 1 BlnPersVG auf die Aufgaben der Personalvertretung nach § 84 Abs. 2 SGB IX anzuwenden, bestehen nicht. Insbesondere kann § 84 Abs. 2 SBG IX nicht als Spezialregelung verstanden werden, die im Aufgabenbereich des betrieblichen Eingliederungsmanagements die Bestimmungen zum Auskunftsanspruch des Personalrats nach den einschlägigen Personalvertretungsgesetzen verdrängt (so aber VG Hamburg, Beschluss vom 10. November 2006 - 23 FB 17/06 - juris Rn. 19; Schulz, PersV 2008, 244 <247>; Koch, PersV 2008, 256 <257>).

16

§ 84 Abs. 2 Satz 1 und 6 SGB IX spricht die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 93 SGB IX an. § 93 SGB IX nennt an erster Stelle Betriebsrat und Personalrat. Diesen werden in § 84 Abs. 2 SGB IX spezielle Aufgaben zugewiesen. Sie nehmen am Klärungsprozess des Arbeitgebers teil, wie bei Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren, Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (§ 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Sie haben ein entsprechendes Initiativrecht, falls der Arbeitgeber untätig bleibt (§ 84 Abs. 2 Satz 6 SGB IX). Schließlich haben sie darüber zu wachen, dass der Arbeitgeber seine gesetzlichen Verpflichtungen im Bereich des betrieblichen Eingliederungsmanagements erfüllt (§ 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX). Regelungen zum Auskunftsanspruch der Interessenvertretungen hat der Gesetzgeber in § 84 Abs. 2 SGB IX nicht getroffen. Er brauchte dies auch nicht, weil er in dieser Hinsicht die Anwendung der speziellen Regelwerke zu den Interessenvertretungen vorausgesetzt hat.

17

§ 84 Abs. 2 SGB IX enthält - ebenso wie andere Vorschriften des SGB IX (vgl. z.B. § 93 SGB IX sowie die dort zitierten Bestimmungen) - punktuelle Regelungen zu Aufgaben der Interessenvertretungen. Soweit diese keine abschließende Aussage treffen, sind ergänzend die Regelwerke für die Interessenvertretungen heranzuziehen. Es sind dies das Betriebsverfassungsgesetz für die Betriebsräte in der Privatwirtschaft, das Bundespersonalvertretungsgesetz für die Personalräte in der Bundesverwaltung sowie die Länderpersonalvertretungsgesetze für die Personalräte in den Verwaltungen ihres Geltungsbereichs. Der aufgabenbezogene Auskunftsanspruch des Personalrats gehört zum Standardprogramm der Personalvertretungsgesetze in Bund und Ländern (vgl. § 68 Abs. 2 BPersVG). Er wird in § 84 Abs. 2 SGB IX als gegeben vorausgesetzt. Diese Aussage gilt unabhängig davon, ob die Rahmenvorschriften im zweiten Teil des Bundespersonalvertretungsgesetzes ihre Rechtswirksamkeit verloren haben oder demnächst verlieren werden (vgl. Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG).

18

d) § 73 Abs. 1 BlnPersVG i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX scheidet auch nicht deshalb als Rechtsgrundlage für das Begehren des Antragstellers aus, weil der Bundesgesetzgeber aus Gründen der verfassungsrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen gehindert gewesen wäre, den nach den Personalvertretungsgesetzen der Länder gebildeten Personalvertretungen Aufgaben zuzuweisen (a.A. VG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Oktober 2008 - 34 K 3001/08.PVL - juris Rn. 20).

19

aa) Diese Problematik entfällt freilich nicht bereits wegen § 96 BlnPersVG. Durch diese Vorschrift wird § 84 Abs. 2 SGB IX nicht in Berliner Landesrecht transformiert.

20

aaa) Nach § 96 BlnPersVG gelten, soweit in anderen Gesetzen für die in § 1 Abs. 1 BlnPersVG genannten Bereiche den Betriebsräten Aufgaben oder Befugnisse übertragen sind, diese als Aufgaben und Befugnisse der nach dem Berliner Personalvertretungsgesetz zu bildenden Personalvertretungen. Nach ihrem Wortlaut ist die Vorschrift hier nicht einschlägig. Durch § 84 Abs. 2, § 93 SGB IX werden den Betriebsräten keine Aufgaben und Befugnisse für die Verwaltungen des Landes Berlin und die anderen in § 1 Abs. 1 BlnPersVG genannten Bereiche übertragen, in denen Personalvertretungen gebildet werden. Soweit § 84 Abs. 2, § 93 SGB IX die Betriebsräte ansprechen, sind damit ausschließlich die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft nach dem Betriebsverfassungsgesetz gemeint.

21

bbb) Die Entstehungsgeschichte des § 96 BlnPersVG spricht für eine restriktive Auslegung.

22

Eine § 96 BlnPersVG vergleichbare Vorschrift war bereits § 80 BlnPersVG vom 21. März 1957, GVBl S. 296. Danach galten Vorschriften in anderen Gesetzen, die den Betriebsräten Befugnisse oder Pflichten übertrugen, entsprechend für die nach dem Berliner Personalvertretungsgesetz zu errichtenden Personalvertretungen; dies galt nicht für Vorschriften, welche die Betriebsverfassung oder die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten regelten. Die damaligen Gesetzesmaterialien enthalten zu dieser Vorschrift keine Begründung (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucks. 2/756 S. 14 f.).

23

An die Stelle dieser Vorschrift trat später § 81 BlnPersVG vom 22. Juli 1968, GVBl S. 1004, dessen Wortlaut mit demjenigen des heutigen § 96 BlnPersVG identisch war. In der Gesetzesbegründung hieß es: " § 81 entspricht dem § 80 PersVG, ist aber lediglich etwas klarer gefasst. Die vor dem Inkrafttreten des Personalvertretungsgesetzes bestehenden Gesetze stellen auf bestimmte Aufgaben und Funktionen der 'Betriebsräte' ab (vgl. z.B. § 2 des Kündigungsschutzgesetzes). Für die in § 1 Abs. 1 genannten Bereiche gelten diese nunmehr als Aufgaben und Befugnisse der Personalvertretungen" (Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucks. 5/388 S. 14).

24

Welche Bedeutung die in Rede stehende Übergangsvorschrift hat, lässt sich anhand des in den Gesetzesmaterialien zitierten Beispielfalles illustrieren. Bei Inkrafttreten des Berliner Personalvertretungsgesetzes vom 22. Juli 1968 galt das Kündigungsschutzgesetz vom 10. August 1951 (KSchG 1951), BGBl I S. 499, in der Fassung von Art. VIII des Änderungsgesetzes vom 7. Dezember 1959, BGBl I S. 705. § 2 KSchG 1951 regelte Aufgaben und Befugnisse des Betriebsrates im Falle der Kündigung eines Arbeitnehmers. Der Geltungsbereich dieser Vorschrift erstreckte sich auf "Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts" (§ 21 Abs. 1 Satz 1 KSchG 1951). Aus § 81 BlnPersVG 1968 ergab sich somit, dass die Aufgaben und Befugnisse nach § 2 KSchG 1951 im Bereich der Berliner Verwaltung von den Personalräten wahrzunehmen waren. Allgemein gesprochen sollen diese zuständig sein, soweit Gesetze, die vor Inkrafttreten der Personalvertretungsgesetze erlassen wurden und noch in der Terminologie des Betriebsrätegesetzes von 1920 und des Kontrollratsgesetzes Nr. 22 vom 10. April 1946 befangen waren (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucks. 2/756 S. 10), den Betriebsräten für den Bereich der Berliner Verwaltung Kompetenzen zuwiesen. Nur diese Bedeutung hat auch § 96 BlnPersVG.

25

ccc) Angesichts dessen verbietet es sich, den Anwendungsbereich von § 96 BlnPersVG im Wege teleologischer Extension oder der Analogie auf alle Bundesgesetze zu erstrecken, die Aufgaben für die Personalvertretungen nach den Personalvertretungsgesetzen der Länder begründen. Dies würde den Charakter der Vorschrift als Übergangsbestimmung sprengen.

26

bb) Der Bund hatte die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung in § 84 Abs. 2 SGB IX auch, soweit dort Aufgaben und Befugnisse für die Personalvertretungen im Bereich der Länder normiert werden.

27

aaa) § 84 Abs. 2 SGB IX hat seine hier anzuwendende Fassung durch Art. 1 des Gesetzes vom 23. April 2004, BGBl I S. 606, erhalten. In diesem Zeitpunkt galt das Grundgesetz in der Fassung, welches es im Zeitraum vom 1. August 2002 bis 31. August 2006 hatte (GG a.F.). Der Bund konnte sich, soweit er in § 84 Abs. 2 SGB IX dem Arbeitgeber materiellrechtliche Verpflichtungen zugunsten kranker bzw. erkrankter Arbeitnehmer auferlegt hat, auf den Kompetenztitel nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG a.F. stützen. Diese Bestimmung begründet eine umfassende Kompetenz für die Regelung der Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und erstreckt sich sowohl auf privatrechtliche als auch auf öffentlich-rechtliche Bestimmungen über abhängige Arbeitsverhältnisse (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Oktober 2002 - 2 BvF 1/01 - BVerfGE 106, 62 <132 f.>). Auf das Arbeitsverhältnis tatsächlich einzuwirken - nämlich im Sinne seiner Erhaltung - ist ausdrücklich erklärtes Ziel der Regelung in § 84 Abs. 2 SGB IX. Die Verpflichtung des Arbeitgebers zum betrieblichen Eingliederungsmanagement hat ferner rechtliche Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis. Kommt der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen aus § 84 Abs. 2 SGB IX nicht oder nicht ordnungsgemäß nach, so kann dies für ihn im Kündigungsschutzprozess zu Rechtsnachteilen führen (vgl. BAG, Urteile vom 12. Juli 2007 a.a.O. Rn. 44, vom 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06 - juris Rn. 26 und 29 sowie vom 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - juris Rn. 19 ff.).

28

bbb) Soweit der Bund in § 84 Abs. 2 SGB IX den Personalvertretungen im Bereich der Länder Aufgaben und Befugnisse zugewiesen hat, konnte er sich auf Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG a.F. stützen. Danach hatte der Bund das Recht, unter den Voraussetzungen des Art. 72 GG a.F. Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder zu erlassen über die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen. Die bundesrechtliche Regelung musste als Ganzes auf Ausfüllung durch die Landesgesetzgebung hin angelegt sein. Dem Landesgesetzgeber musste in der sachlichen Rechtsgestaltung Raum für eigene Willensentschließung von substantiellem Gehalt bleiben (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. März 1979 - 1 BvL 2/77 - BVerfGE 51, 43 <54> und vom 16. Oktober 1984 - 2 BvL 1/83 - BVerfGE 67, 382 <387>).

29

Der zweite Teil des Bundespersonalvertretungsgesetzes regelte in seinen in den Ländern unmittelbar geltenden §§ 107 bis 109 lediglich einige Einzelfragen. Auch die Rahmenvorschriften der §§ 94 bis 106 BPersVG enthielten - etwa in § 98 Abs. 2 und § 102 Abs. 2 BPersVG - einige punktuelle Vollregelungen mit unmittelbarer Wirkung. Insgesamt verblieben dem Landesgesetzgeber jedoch auf dem Gebiet des Personalvertretungsrechts Regelungen von substantiellem Gewicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. März 1979 - 2 BvL 2/77 - a.a.O. und - 2 BvR 1011/78 - BVerfGE 51, 77 <95> sowie vom 16. Oktober 1984 a.a.O. S. 388).

30

Auch in § 84 Abs. 2 SGB IX handelt es sich um eine punktuelle Vollregelung für einen speziellen Regelungsbereich, nämlich denjenigen des betrieblichen Eingliederungsmanagements zugunsten kranker bzw. erkrankter Beschäftigter. Durch die dort den Personalvertretungen im Bereich der Länder verbindlich übertragenen Aufgaben wurde der Gestaltungsspielraum der Länder nicht substantiell infrage gestellt. Der formale Aspekt, dass die Aufgabenübertragung hier in einem Spezialgesetz außerhalb des zweiten Teils des Bundespersonalvertretungsgesetzes über die Personalvertretungen in den Ländern vorgenommen worden ist, ist in dieser Hinsicht belanglos.

31

ccc) Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 GG a.F. lagen hier ebenfalls vor. Die Regelung in § 84 Abs. 2 SGB IX zur Beteiligung des Personalrats beim betrieblichen Eingliederungsmanagement war zur Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich. Die Wahrung der Wirtschaftseinheit liegt im gesamtstaatlichen Interesse, wenn es um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik durch bundeseinheitliche Rechtsetzung geht, wenn also Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten (vgl. BVerfG, Urteile vom 24. Oktober 2002 a.a.O. S. 146 f. und vom 26. Januar 2005 - 2 BvF 1/03 - BVerfGE 112, 226 <248 f.>).

32

Es würde zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn der Schutz kranker Beschäftigter vor drohender Arbeitslosigkeit zur Disposition der Bundesländer gestellt wäre (vgl. auch die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen, BTDrucks 15/1783 S. 11). Ein Minimum an Schutzniveau wäre mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden. Das im Sozialstaatsgedanken wurzelnde Konzept des betrieblichen Eingliederungsmanagements wäre zum Scheitern verurteilt. Diese Erwägung erstreckt sich auf die Beteiligung der zuständigen Interessenvertretung, die zur effektiven Durchsetzung des Instruments grundsätzlich unentbehrlich ist. Zur Gewährleistung eines einheitlichen Schutzniveaus ist daher das aktive Engagement der Personalräte im Bereich der Länder in gleicher Weise geboten wie dasjenige der Betriebsräte in den Unternehmen der Privatwirtschaft und der Personalräte im Bereich der Bundesverwaltung.

33

cc) Soweit § 84 Abs. 2 SGB IX die Beteiligung von Personalvertretungen im Bereich der Länder regelt, könnte er wegen Aufhebung des Art. 75 GG a.F. zum 1. September 2006 nicht mehr erlassen werden; er gilt jedoch einstweilen als Bundesrecht fort (Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG n.F.). Zwar kann die Bestimmung im beschriebenen Umfang durch Landesrecht ersetzt werden (Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG n.F.). In Berlin ist solches bisher jedoch nicht geschehen.

34

Zwar hat der Berliner Landesgesetzgeber sein Personalvertretungsgesetz durch das Siebente Änderungsgesetz vom 17. Juli 2008, GVBl S. 206, umfangreich reformiert; zwei Gesetzesänderungen geringeren Umfangs aus letzter Zeit kommen hinzu. Keine dieser Änderungen betrifft jedoch die Beteiligung der Personalräte am betrieblichen Eingliederungsmanagement oder enthält unmittelbare oder mittelbare Aussagen, die im Widerspruch zur Regelung in § 84 Abs. 2 SGB IX stehen.

35

Das Änderungsgesetz vom 17. Juli 2008 betraf in seinem Schwerpunkt die Anpassung des Berliner Personalvertretungsrechts an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum demokratischen Prinzip (vgl. Beschluss vom 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37), ferner die Beteiligung der Personalräte bei Beschäftigungen im Rahmen von "Ein-Euro-Jobs" sowie im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik und bei befristeten Einstellungen an Schulen; in weiteren Regelungen wurden geringfügige Änderungen und Aktualisierungen vorgenommen (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucks. 16/1108 S. 1 f., 14 ff.; Drucks. 16/1644). Art. XII Nr. 22 des Dienstrechtsänderungsgesetzes vom 19. März 2009, GVBl S. 70, 112, enthielt lediglich Folgeänderungen und die Berichtigung hinsichtlich einer Behördenbezeichnung (Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucks. 16/2049 S. 100 f., 159; Drucks. 16/2194). Art. III des Änderungsgesetzes vom 25. Januar 2010, GVBl S. 22, betraf lediglich die Anlage zum Berliner Personalvertretungsgesetz, in welcher die Dienststellen aufgezählt sind.

36

Die vorbezeichneten Gesetzesänderungen einschließlich der dazu zitierten Gesetzesmaterialien geben noch nicht einmal eine Absicht des Berliner Landesgesetzgebers zu erkennen, die Bestimmungen im zweiten Teil des Bundespersonalvertretungsgesetzes abzulösen. Selbst wenn dieses konkludent geschehen sein sollte, so wird die hier in Rede stehende Regelung in § 84 Abs. 2 SGB IX davon nicht erfasst. Der Landesgesetzgeber ist nach Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG n.F. befugt, die Ersetzung des Bundesrechts auf den abgrenzbaren Teilbereich einer Materie zu beschränken, soweit dabei eine unübersichtliche Gemengelage von Bundes- und Landesrecht vermieden wird (vgl. Stettner, in: Dreier, Grundgesetz, 2. Aufl. 2007, Art. 125a Rn. 9; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, 5. Aufl. 2009, Art. 125a Rn. 6; Seiler, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, 2009, Art. 125a Rn. 4; Maiwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Art. 125a Rn. 7; zu Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG a.F.: BVerfG, Urteil vom 9. Juni 2004 - 1 BvR 636/02 - BVerfGE 111, 10 <30>). Demnach darf der Berliner Landesgesetzgeber die Rahmenvorschriften des Bundespersonalvertretungsgesetzes ablösen und zugleich die Regelung in § 84 Abs. 2 SGB IX unberührt lassen. Die Beteiligung des Personalrats am betrieblichen Eingliederungsmanagement ist ein Sonderfall, der sich von den Beteiligungstatbeständen des Berliner Personalvertretungsgesetzes klar abgrenzen lässt.

37

3. Mit Blick auf die Umstände des vorliegenden Einzelfalles ist die Zuleitung aller Anschreiben des Beteiligten an die betroffenen Beschäftigten nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BlnPersVG erforderlich, um die Erfüllung der Aufgaben durch den Arbeitgeber im Sinne des § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX zu überwachen. Gegenstand der Überwachung ist die Bestimmung in § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX, wonach die betroffene Person zuvor - also vor Beginn des Klärungsprozesses nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX - auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen ist.

38

a) Dass das Unterrichtungsschreiben des Dienststellenleiters gemäß § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX nur mit Zustimmung der betroffenen Person dem Personalrat zur Kenntnis gebracht werden kann, ist von Gesetzes oder Verfassungs wegen nicht zwingend vorgegeben.

39

aa) Aus dem Wortlaut der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ergibt sich eine derartige Aussage nicht. Sie folgt auch nicht aus dem rechtssystematischen Zusammenhang mit § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, wonach der dort beschriebene Klärungsprozess "mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person" stattfindet. Das Hinweisschreiben nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ist dem Klärungsprozess nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zeitlich vorgelagert. Die Abhängigkeit des Klärungsprozesses selbst von der Zustimmung des Betroffenen besagt für sich gesehen noch nichts darüber, ob die dem Dienststellenleiter aufgegebene Belehrung über die Ziele und Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements dem Personalrat zugeleitet werden kann.

40

bb) Sinn und Zweck des Zustimmungserfordernisses nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schließt die Weiterleitung des Hinweisschreibens ohne Zustimmung des Betroffenen nicht von vornherein aus. Es liegt auf der Hand, dass die vom Gesetzgeber gewünschte Wiedereingliederung des Betroffenen in den Arbeitsprozess nur gelingen kann, wenn der Betroffene dies selbst will und sich aktiv in den Klärungsprozess einbringt. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement ohne oder gar gegen den Willen des Betroffenen ist daher von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dessen Erfolg ist aber nicht schon dann ausgeschlossen, wenn vor dessen Durchführung das in generalisierter Form abgefasste Hinweisschreiben nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ohne Zustimmung des Betroffenen dem Personalrat zu Kontrollzwecken zugeleitet wird.

41

cc) Letzteres verbietet sich nicht stets wegen des Grundrechts des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG). Das Persönlichkeitsrecht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu bestimmen, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Dieses Recht ist nicht schrankenlos gewährleistet, sondern muss sich Einschränkungen im überwiegenden Allgemeininteresse gefallen lassen. Diese Beschränkungen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Einzelnen erkennbar ergeben (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - BVerfGE 65, 1 <42, 44>).

42

Das Hinweisschreiben des Dienststellenleiters nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX enthält zwingend die Information, dass der angeschriebene Beschäftigte zum Kreis derjenigen zählt, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren (§ 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Die Weitergabe dieses Schreibens an den Personalrat stellt daher einen gewichtigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Doch ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass dieser Eingriff im zu entscheidenden Einzelfall durch überwiegende gegenläufige Interessen gerechtfertigt wird. Als solches kommt das Überwachungsrecht nach § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX in Betracht, das letztlich dazu dient, kranken Beschäftigten den Arbeitsplatz und damit die wirtschaftliche Existenz zu erhalten. Hinzu kommt, dass das Gewicht des Eingriffs aufgrund besonderer Umstände des zu beurteilenden Sachverhalts relativiert sein kann. Für diese Fälle enthält die Regelung zum Informationsrecht des Personalrats in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 BlnPersVG eine strikt aufgabengebundene, in ihrer Reichweite durch das Erforderlichkeitsprinzip begrenzte bereichsspezifische Rechtsgrundlage, die dem Gebot der Normenklarheit entspricht (vgl. Beschluss vom 23. Januar 2002 a.a.O. S. 5 bzw. S. 204 m.w.N.).

43

b) Der Antragsteller kann hier nur bei Kenntnis von jedem Anschreiben vollständig überprüfen, ob der jeweils betroffene Beschäftigte überhaupt und ob er nach Maßgabe von § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ordnungsgemäß unterrichtet wurde. Die Mitteilung eines anonymisierten Mustertextes reicht nicht aus. Aus ihm kann der Antragsteller zwar ersehen, ob die gesetzlichen Vorgaben beachtet und die betroffenen Beschäftigten in allgemein verständlicher Form angesprochen werden. Er erlangt jedoch auf diese Weise keine hinreichende Gewissheit darüber, dass alle betroffenen Beschäftigten über das gesetzliche Angebot des betrieblichen Eingliederungsmanagements tatsächlich informiert werden.

44

c) Die Vorlagepflicht des Beteiligten ist von der Darlegung eines besonderen Anlasses, namentlich einer zu besorgenden Rechtsverletzung unabhängig. Nur die Kenntnis von jedem Anschreiben versetzt den Antragsteller in die Lage, etwaigen Verstößen des Beteiligten gegen § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX bereits im Vorfeld effektiv entgegenwirken zu können (vgl. Beschlüsse vom 23. Januar 2002 - BVerwG 6 P 5.01 - PersR 2002, 201 <202>, insoweit bei Buchholz a.a.O. nicht abgedruckt, vom 24. Februar 2006 - BVerwG 6 P 4.05 - Buchholz 251.91 § 77 SächsPersVG Nr. 1 Rn. 17 und vom 16. Februar 2010 a.a.O. Rn. 23).

45

d) § 73 Abs. 1 Satz 3 BlnPersVG, wonach Personalakten nur mit Einwilligung des Betroffenen vorgelegt werden dürfen, ist hier weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden. Personalakten sind eine Sammlung von Schriftstücken, die in Bezug zur Person des Beschäftigten von dienstlichem Interesse sind. Sie sollen ein umfassendes, möglichst lückenloses Bild über Herkunft, Ausbildung, beruflichen Bildungsgang, sonstige dienstliche relevante Daten (z.B. über Befähigung und Leistungen) sowie über das dienstliche und ggf. außerdienstliche Verhalten des Beschäftigten geben. Das Unterrichtungsschreiben des Beteiligten an den jeweils betroffenen Beschäftigten gemäß § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ist weit davon entfernt, jenes vollständige Bild über die Persönlichkeit des Beschäftigten zu liefern, welches für Personalakten typisch ist (vgl. Beschlüsse vom 23. Januar 2002 - BVerwG 6 P 5.01 - Buchholz 250 § 68 BPersVG Nr. 17 S. 4 f. = PersR 2002, 201 <204> und vom 16. Februar 2010 a.a.O. Rn. 25).

46

Die entsprechende Anwendung von § 73 Abs. 1 Satz 3 BlnPersVG auf Schriftstücke, die personenbezogene Angaben über Beschäftigte enthalten, scheidet aus. Würde man in allen diesen Fällen den Informationsanspruch des Personalrats an die Zustimmung des betroffenen Beschäftigten knüpfen, so wäre die Mitbestimmung des Personalrats insbesondere in personellen Angelegenheiten weitgehend entwertet (vgl. Beschluss vom 23. Januar 2002 a.a.O. S. 5 bzw. S. 204 m.w.N.).

47

e) Das Persönlichkeitsrecht des betroffenen Beschäftigten, insbesondere sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches die Auslegung und Anwendung des Erforderlichkeitsmerkmals in § 73 Abs. 1 Satz 2 BlnPersVG im zu entscheidenden Einzelfall steuert, rechtfertigt hier keine abweichende Beurteilung.

48

aa) Soweit es um die Dauer der Arbeitsunfähigkeit geht, liegt nach den Umständen des vorliegenden Falls ein zusätzlicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat rechtskräftig festgestellt, dass der Beteiligte verpflichtet ist, dem Antragsteller ohne vorherige Zustimmung des jeweils Betroffenen mitzuteilen, welche Beschäftigten der Dienststelle innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren. Damit hat es diese in Rechtsprechung und Schrifttum umstrittene Frage im Sinne des Antragstellers beantwortet (vgl. zum Meinungsstand: VG Hamburg, Beschluss vom 10. November 2006 a.a.O.; Seel, in: Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, § 84 Rn. 83; Klaesberg, PersR 2008, 391 <394>; Schulz, a.a.O. S. 247; Richter/Gamisch, RiA 2009, 241 <245> einerseits; VGH München, Beschluss vom 30. April 2009 - 17 P 08.3389 - juris; VG Aachen, Beschluss vom 25. September 2008 - 16 K 836/08.PVL - juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Oktober 2008 a.a.O.; Neumann, in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Aufl. 2005, § 84 Rn. 9; Koch, PersV 2008, 256; Baßlsperger, PersV 2010, 129 <131> andererseits).

49

Der Senat ist an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht gebunden. Die Begründung, mit welcher das Verwaltungsgericht die Verpflichtung des Beteiligten zur Mitteilung des von § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX erfassten Personenkreises bejaht hat, entfaltet keine präjudizielle Wirkung für den Streitgegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens, in welchem es um die Weitergabe der Anschreiben an die Betroffenen und deren Antworten geht.

50

Doch kann der Senat die tatsächlichen Auswirkungen der rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Rahmen der Abwägung nach § 73 Abs. 1 Satz 2 BlnPersVG nicht unberücksichtigt lassen. Diese gehen dahin, dass der Beteiligte, der der rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Folge zu leisten hat, dem Antragsteller die Namen der im Sinne von § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX betroffenen Personen mitteilt. Aufgrund dieser Mitteilung ist der Antragsteller bereits davon unterrichtet, welcher Beschäftigte der Dienststelle innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich dieses Gesundheitsdatums erfährt der Antragsteller aus dem Hinweisschreiben des Beteiligten nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX nichts, was er nicht bereits aufgrund der Mitteilung über den betroffenen Personenkreis weiß.

51

bb) Freilich erfährt der Antragsteller durch die Anschreiben die Privatanschriften der betroffenen Beschäftigten. Ein ins Gewicht fallender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist damit aber nicht verbunden. Zum Einen werden die Adressen dem Antragsteller jedenfalls teilweise bereits aus anderen Zusammenhängen bekannt sein oder lassen sich in der Regel auch ohne Einschaltung des Beteiligten auf einfachem Wege ermitteln. Zum Anderen ist der mit der Wiedergabe der Anschriften verbundene moderate Eingriff in das Persönlichkeitsrecht gerechtfertigt. Insbesondere ist er verhältnismäßig. Wenn der Antragsteller darüber wacht, dass jeder betroffene Beschäftigte ordnungsgemäß über die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements unterrichtet wird, so dient dies dem Schutz des Betroffenen vor dem drohenden Verlust seines Arbeitsplatzes. Die korrekte Belehrung eines jeden Betroffenen ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass das Angebot des betrieblichen Eingliederungsmanagements vom Beschäftigten positiv aufgegriffen wird und die vom Gesetzgeber intendierte Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess gelingen kann.

52

cc) Der Beteiligte ist gehalten, den Inhalt seines Anschreibens auf diejenigen Gesichtspunkte zu begrenzen, die für eine ordnungsgemäße Belehrung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unumgänglich sind. In dieser Hinsicht genügt eine abstrakte Bezeichnung der Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements, wie sie in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX definiert sind. Die zu den Gerichtsakten gereichten Anschreiben des Beteiligten vom 20. April und 1. Juni 2006 tragen diesen Anforderungen Rechnung. Freilich ist die Information der Beschäftigten noch um die Angaben zur Datenerhebung und -verwendung zu ergänzen. Auch in dieser Hinsicht ist ein genereller Hinweis ausreichend. Die Verpflichtung des Beteiligten, den Inhalt des Anschreibens auf das unumgänglich Notwendige zu beschränken, besteht nicht nur gegenüber dem betroffenen Beschäftigten, sondern auch gegenüber dem Antragsteller. Nur auf diese Weise können der Schutz des Beschäftigten vor einer Weitergabe seiner Daten und die effektive Erfüllung der Personalratsaufgaben zu einem schonenden Ausgleich gebracht werden. Die Dienststelle ist nicht befugt, in das Anschreiben individuelle, auf die Art der Erkrankung hinweisende Angaben aufzunehmen und sodann unter Hinweis auf den Datenschutz das Kontrollrecht der Personalvertretung auszuschalten.

53

f) Der Beteiligte hat die Anschreiben dem Vorsitzenden des Antragstellers oder einem vom Antragsteller zu bestimmenden Personalratsmitglied zur Kenntnis zu geben. Die Beschränkung von Mitteilungen des Dienststellenleiters an den Personalrat auf einzelne Personalratsmitglieder ist ein in der Verwaltungsrechtsprechung anerkanntes Mittel, um dem Schutz besonders sensibler personenbezogener Daten der Beschäftigten Rechnung zu tragen (vgl. Beschlüsse vom 22. April 1998 - BVerwG 6 P 4.97 - Buchholz 251.91 § 73 SächsPersVG Nr. 1 S. 5, vom 23. Januar 2002 a.a.O. S. 6 bzw. S. 205 und vom 16. Februar 2010 a.a.O. Rn. 1). Es liegt nahe, darauf zurückzugreifen, wenn es wie im vorliegenden Fall um Gesundheitsdaten geht.

54

4. Dagegen kann der Antragsteller nicht verlangen, dass der Beteiligte ihm die Antwortschreiben der Beschäftigten ohne deren Zustimmung zur Kenntnis bringt. Er benötigt nicht die Kenntnis aller Antwortschreiben, um sein Überwachungsrecht nach § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX wahrnehmen zu können. Gegenstand der Überwachung ist hier die Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Danach klärt der Arbeitgeber bei Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, mit der zuständigen Interessenvertretung mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Die Kenntnis aller Antwortschreiben ist, wie sich aus der Abwägung der betroffenen Belange ergibt, zur Wahrung des Beteiligungsrechts der Personalvertretung aus § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht erforderlich im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 BlnPersVG. Auch ohne Kenntnis aller Antwortschreiben erlangt der Antragsteller hinreichende Gewissheit darüber, dass das betriebliche Eingliederungsmanagement unter seiner Beteiligung in allen Fällen stattfindet, in denen der betroffene Beschäftigte dazu seine Zustimmung erteilt hat.

55

a) Als Reaktion auf das Hinweisschreiben des Dienststellenleiters nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ergeben sich mit Blick auf die Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX im Ergebnis drei mögliche Antwortalternativen des Beschäftigten. Dieser kann erklären, dass er mit der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht einverstanden ist. Er kann erklären, dass er mit der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements unter Beteiligung der Personalvertretung einverstanden ist. Schließlich kann er erklären, dass er der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements durch die Dienststelle zustimmt, die Beteiligung des Personalrats daran aber ablehnt. Von einem derartigen modifizierten Zustimmungsrecht des betroffenen Beschäftigten ist das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht ausgegangen (ebenso VGH München a.a.O. Rn. 26).

56

aa) Der Wortlaut der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX geht allerdings eher in die entgegengesetzte Richtung. Er kann ohne Weiteres in der Weise gelesen werden, dass sich die "Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person" auf den Klärungsprozess bezieht, den "der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung" vornimmt. Bei diesem sprachlichen Verständnis kann der im Wege der Kooperation von Arbeitgeber und Interessenvertretung durchzuführende Klärungsprozess vom Beschäftigten nur als solcher angenommen oder abgelehnt werden. Freilich ist der Wortlaut der Vorschrift für ein abweichendes Verständnis offen, sofern die übrigen Auslegungsmethoden oder verfassungsrechtliche Erwägungen dies gebieten.

57

bb) Auch die Rechtssystematik spricht eher dafür, dass die Beteiligung der Personalvertretung am betrieblichen Eingliederungsmanagement unverzichtbar ist.

58

Wie bereits oben erörtert, sind die in § 84 Abs. 2 SGB IX angesprochenen Aufgaben der zuständigen Interessenvertretungen eingebettet in die speziellen Regelwerke für diese Interessenvertretungen. Es ist anzunehmen, dass der Bundesgesetzgeber bei der Verabschiedung der Regelung in § 84 Abs. 2 SGB IX vor allem die Bestimmungen im Bundespersonalvertretungsgesetz über die Personalvertretungen im Bundesdienst im Auge hatte. Aus ihnen ergibt sich, dass die Beteiligung des Personalrats grundsätzlich nicht von der Zustimmung des jeweils betroffenen Beschäftigten abhängig ist. Ausnahmen bestehen nur in einzelnen, ausdrücklich geregelten Angelegenheiten: Gewährung von Zuwendungen (§ 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BPersVG), Geltendmachung von Ersatzansprüchen (§ 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9, Satz 2 BPersVG), Personalangelegenheiten des Dienststellenleiters und vergleichbarer Personen, der Beamten auf Zeit sowie der Beschäftigten mit überwiegend wissenschaftlicher oder künstlerischer Tätigkeit (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BPersVG) sowie Erhebung der Disziplinarklage, Entlassung von Beamten auf Probe oder auf Widerruf und vorzeitige Versetzung in den Ruhestand (§ 78 Abs. 1 Nr. 3 bis 5, Abs. 2 Satz 2 BPersVG). Dagegen ist die Beteiligung des Personalrats selbst in solchen Angelegenheiten nicht zustimmungsbedürftig, in denen ausschließlich einzelne Beschäftigte betroffen sind, z.B. bei Übertragung einer niedriger zu bewertenden Tätigkeit und Rückgruppierung (§ 75 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG), bei Versagung oder Widerruf einer Nebentätigkeitsgenehmigung (§ 75 Abs. 1 Nr. 7 BPersVG) oder bei Kündigung (§ 79 BPersVG). Der Beschäftigte kann zwar den Auskunftsanspruch des Personalrats für Personalakten und dienstliche Beurteilungen begrenzen (§ 68 Abs. 2 Satz 3 und 4 BPersVG), nicht aber das Beteiligungsrecht selbst. Der Gesetzgeber will von vornherein ausschließen, dass der Beschäftigte unter Druck gesetzt wird, auf die Beteiligung der Personalvertretung zu verzichten. Diese ist zudem auch bei personellen Einzelmaßnahmen geeignet, auf eine gleichmäßige Behandlung der Beschäftigten hinzuwirken.

59

cc) Im Gegensatz dazu enthält die Entstehungsgeschichte der Regelung in § 84 Abs. 2 SGB IX Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber die Einschaltung der zuständigen Interessenvertretung beim betrieblichen Eingliederungsmanagement von der Zustimmung des betroffenen Beschäftigten abhängig machen wollte.

60

Die Begründung zum Gesetzentwurf der damaligen Koalitionsfraktionen äußert sich nicht zu der hier in Rede stehenden Frage (vgl. BTDrucks 15/1783 S. 16). Der Bundesrat hat indes in seiner Stellungnahme die Befürchtung geäußert, dass der Arbeitgeber die Interessenvertretung ohne Einverständnis des Betroffenen einschaltet (BTDrucks 15/2318 S. 16). In ihrer Gegenäußerung hat die Bundesregierung erwidert, der Arbeitgeber könne die Interessenvertretung nach dem ausdrücklichen Wortlaut der vorgesehenen Regelung nur mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person einschalten (BTDrucks 15/2318 S. 22 zu Nr. 15). Der Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung ist in seiner Beschlussempfehlung auf die Meinungsäußerung der Bundesregierung nicht zurückgekommen, hat ihr aber auch nicht widersprochen (BTDrucks 15/2357 S. 9 f. und S. 24 jeweils zu Nr. 20).

61

dd) Sinn und Zweck der Regelung in § 84 Abs. 2 SGB IX gebieten es, dass das betriebliche Eingliederungsmanagement ohne Beteiligung der Interessenvertretung möglich sein muss.

62

Durch die dem Arbeitgeber von § 84 Abs. 2 SGB IX auferlegten besonderen Verhaltenspflichten soll möglichst frühzeitig einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines kranken Menschen begegnet und die dauerhafte Fortsetzung der Beschäftigung erreicht werden. Ziel des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist die frühzeitige Klärung, ob und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern. Die in § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Maßnahmen dienen damit letztlich der Vermeidung der Kündigung und der Verhinderung von Arbeitslosigkeit erkrankter und kranker Menschen (vgl. BTDrucks 15/1783 S. 16; 15/2318 S. 22 zu Nr. 15; BAG, Urteil vom 12. Juli 2007 a.a.O. Rn. 40; Baßlsperger, a.a.O. S. 129; Seel, a.a.O. § 84 Rn. 61).

63

Die aktive Beteiligung der zuständigen Interessenvertretung ist ein nützliches Element des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Sie ist geeignet, das nötige Vertrauen beim Beschäftigten zu wecken, ohne dessen Eigeninitiative das Konzept zum Scheitern verurteilt ist. Sie kann wesentlich dazu beitragen, dass die Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers zur Erhaltung des Arbeitsplatzes und zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit genutzt werden (vgl. Richter/Gamisch, a.a.O. S. 244).

64

Es ist gleichwohl immer denkbar, dass einzelne Beschäftigte - aus welchen Gründen auch immer - kein Vertrauen zum Personalrat haben. Ist die Zustimmung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement stets mit der Beteiligung des Personalrats verbunden, so führt dies bei einem derartigen Beschäftigten zu folgender Entscheidungsalternative: Entweder lehnt er die Einschaltung des Personalrats ab; damit verliert er zugleich die Chance auf Wiedereingliederung, welche die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements verspricht. Oder er stimmt diesem Instrument zu; dann muss er die - mit der Unterrichtung über sensible Daten verbundene - Beteiligung des Personalrats hinnehmen, zu welchem er kein Vertrauen hat; das sind keine günstigen Voraussetzungen für den Erfolg des Klärungsprozesses, der ohne die aktive, motivierte Mitwirkung des Betroffenen selbst nicht gelingen kann. Den Beschäftigten einer derartigen Zwangslage auszusetzen, ist unverhältnismäßig und mit Blick auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements kontraproduktiv. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dem Beschäftigten auch ohne Beteiligung der Personalvertretung bei der Erhaltung seines Arbeitsplatzes im Sinne von § 84 Abs. 2 SGB IX effektiv geholfen wird. Diese Chance muss gewahrt bleiben. Die dahingehende Auslegung der Vorschrift respektiert das Selbstbestimmungsrecht des Beschäftigten und steht damit im Einklang mit Vorstellungen, welche dem Persönlichkeitsrecht der Verfassung nach Art. 2 Abs. 1 GG zugrunde liegen.

65

b) Die Mitteilung sämtlicher Antwortschreiben ist - wie sich aus einer Abwägung der widerstreitenden Belange ergibt - nicht erforderlich im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 BlnPersVG.

66

Der Antragsteller benötigt weder die Antworten derjenigen Beschäftigten, die das betriebliche Eingliederungsmanagement für sich überhaupt ablehnen, noch die Antworten derjenigen, die das betriebliche Eingliederungsmanagement ohne Beteiligung der Personalvertretung wünschen. Das Gewicht des Überwachungsrechts des Personalrats nach § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX ist insoweit äußert gering. In keiner dieser beiden Fallgruppen ist das Beteiligungsrecht des Personalrats nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gegeben, so dass es insoweit für den Regelfall an der Grundlage für das Überwachungsrecht und das darauf bezogene Informationsrecht nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BlnPersVG fehlt. Dem Überwachungsrecht kommt auch nicht deshalb eine ins Gewicht fallende Bedeutung zu, weil - wie der Antragsteller meint - es bei dem Beteiligten zu Fehlern bei der Zuordnung derjenigen Antworten kommen kann, welche die Zustimmung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement unter Beteiligung der Personalvertretung zum Ausdruck gebracht haben, und dieser durch Übersendung aller Antwortschreiben die Möglichkeit eröffnet wird, solche Mängel aufzudecken.

67

Die richtige Zuordnung der drei verschiedenen Antwortvarianten auf Seiten der Dienststelle ist eine einfach zu lösende Aufgabe. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Dienststellenleiter wie hier in den Anlassfällen mit seinem Anschreiben zugleich die Antwortvarianten nach der Ankreuzmethode formularmäßig vorgibt. Nicht völlig auszuschließende Fehler ("Ausreißer") bleiben typischerweise nicht unbemerkt. Beschäftigte, die dem betrieblichen Eingliederungsmanagement unter Beteiligung der Personalvertretung zugestimmt haben, werden sich beim Antragsteller oder beim Beteiligten oder bei beiden in Erinnerung bringen, wenn der Klärungsprozess im Widerspruch zu ihrem Antwortschreiben nicht oder nicht mit Beteiligung des Antragstellers stattfindet. Dieser Gesichtspunkt ist hier im Rahmen der Abwägung nach § 73 Abs. 1 Satz 2 BlnPersVG zu berücksichtigen, auch wenn das Informationsrecht des Antragstellers in seinem Bestand grundsätzlich nicht von Initiativen einzelner Beschäftigter abhängig gemacht werden kann.

68

Das verbleibende, nach alledem gering zu veranschlagende "Restrisiko" rechtfertigt es nicht, dem Antragsteller die Antwortschreiben all derjenigen zu überlassen, die dem betrieblichen Eingliederungsmanagement nicht oder nur ohne seine Beteiligung zugestimmt haben. Den Persönlichkeitsrechten kommt insoweit bedeutend größeres Gewicht zu.

69

Werden dem Antragsteller die Antwortschreiben derjenigen Beschäftigten zur Kenntnis gebracht, die der Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht zugestimmt haben, so erfährt er ohne Zustimmung der Betroffenen, welche Haltung diese zum gesetzlichen Angebot nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX haben. Es handelt sich um eine Äußerung, welche die Gesundheit der Beschäftigten mit Bezug zu ihrem Arbeitsplatz und zu ihrer beruflichen Existenz betrifft.

70

Werden dem Antragsteller die Antwortschreiben derjenigen zur Kenntnis gebracht, die dem betrieblichen Eingliederungsmanagement nur ohne Einschaltung der Personalvertretung zugestimmt haben, so erfährt er, welche Beschäftigten ihm kein hinreichendes Vertrauen entgegenbringen.

71

Die Mitteilung der Antwortschreiben in den beiden vorbezeichneten Fallgruppen bringt einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von erheblicher Intensität mit sich. So liegt es insbesondere bei den Beschäftigten, die die Beteiligung der Personalvertretung ablehnen. Im Fall der Mitteilung auch dieser Antwortschreiben an den Antragsteller würde dieser davon in Kenntnis gesetzt, dass der jeweilige Beschäftigte ihm (im Zusammenhang mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement) kein Vertrauen entgegenbringt. Die Persönlichkeitsrelevanz dieser Information ist hoch zu gewichten. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nicht verhältnismäßig, weil zu seiner Rechtfertigung nennenswerte Gefahren für gleich- oder höherrangige Rechtsgüter nicht in Rede stehen. Das Risiko, dass gerade die Nichtweiterleitung aller Antwortschreiben der Betroffenen an den Antragsteller zum Arbeitsplatzverlust bei einem einzelnen Beschäftigten führt, ist nach den beschriebenen typischen Geschehensabläufen rein theoretischer Natur. Hinzu kommt, dass in den Fällen der Ablehnung einer Personalratsbeteiligung nicht ausgeschlossen werden kann, dass einzelne Beschäftigte bei zu erwartender Weiterleitung ihrer Antwort an den Personalrat auf die Teilnahme am betrieblichen Eingliederungsmanagement verzichten und deswegen ihren Arbeitsplatz gefährden. Dies stünde im Widerspruch zu den Zielen, die der Gesetzgeber mit der Regelung in § 84 Abs. 2 SGB IX verfolgt.

Tenor

Die Sprungrechtsbeschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 16. Juni 2010 - 5 BV 20/10 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über Auskunftsansprüche.

2

Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbarten am 10. Januar 2008 eine „Betriebsvereinbarung über die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX“. Nach deren § 4 Abs. 1 erhält der Betriebsrat quartalsmäßig ein Verzeichnis der Mitarbeiter, die die Voraussetzungen für ein betriebliches Eingliederungsmanagement(bEM) erfüllen. In der Folgezeit verweigerte der Arbeitgeber die Erfüllung dieser Verpflichtung und berief sich zur Begründung auf datenschutzrechtliche Belange.

3

Der Betriebsrat hat beantragt,

        

den Arbeitgeber zu verpflichten, dem Betriebsrat quartalsmäßig ein Verzeichnis der Mitarbeiter, die die Voraussetzungen für ein betriebliches Eingliederungsmanagement erfüllen, zu übergeben.

4

Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Eine Pflicht zur Übergabe des Mitarbeiterverzeichnisses an den Betriebsrat bestehe nur bei einem zuvor erklärten Einverständnis der betroffenen Arbeitnehmer. Der Betriebsrat könne über die Erfüllung der Pflichten aus § 84 Abs. 2 SGB IX auch dann wachen, wenn der Arbeitgeber ihm zunächst nur anonymisiert die Anzahl der Mitarbeiter mitteile, deren Arbeitsunfähigkeitszeiten länger als sechs Wochen betragen haben.

5

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag entsprochen. Mit der zugelassenen Sprungrechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber seinen Abweisungsantrag weiter.

6

B. Die Sprungrechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag zu Recht entsprochen. Der Betriebsrat kann nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG iVm. § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX unabhängig von einer Zustimmung der Arbeitnehmer beanspruchen, dass ihm der Arbeitgeber quartalsweise ein Verzeichnis mit Namen der Arbeitnehmer aushändigt, die im zurückliegenden Jahreszeitraum länger als sechs Wochen arbeitsunfähig waren. Einem solchen Verlangen stehen datenschutzrechtliche Belange oder Persönlichkeitsrechte der betroffenen Arbeitnehmer nicht entgegen. Es kann daher dahinstehen, ob sich ein solcher Auskunftsanspruch auch aus der zwischen den Beteiligten abgeschlossenen Betriebsvereinbarung ergibt.

7

I. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und nach Satz 2 Halbs. 1 auf Verlangen die zur Durchführung der Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Mit dieser Verpflichtung geht ein entsprechender Anspruch des Betriebsrats einher, soweit die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist (BAG 15. März 2011 - 1 ABR 112/09 - Rn. 23, EzA BetrVG 2001 § 80 Nr. 13). Zu den Aufgaben des Betriebsrats iSv. § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gehört es auch, nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Diese Überwachungsaufgabe ist weder von einer zu besorgenden Rechtsverletzung des Arbeitgebers beim Normvollzug noch vom Vorliegen besonderer Mitwirkungs- oder Mitbestimmungsrechte abhängig (BAG 24. Januar 2006 - 1 ABR 60/04 - Rn. 23, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 65 = EzA BetrVG 2001 § 80 Nr. 5). Hieraus folgt eine zweistufige Prüfung darauf hin, ob überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats gegeben und ob im Einzelfall die begehrte Information zu ihrer Wahrnehmung erforderlich ist (BAG 30. September 2008 - 1 ABR 54/07 - Rn. 28, BAGE 128, 92).

8

II. Der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG erforderliche Aufgabenbezug liegt vor.

9

Nach § 84 Abs. 2 SGB IX hat der Arbeitgeber gegenüber Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkranken, ein bEM durchzuführen. In diesem sollen unter Beteiligung der zuständigen Arbeitnehmervertretungen sowie mit Zustimmung und Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers die Möglichkeiten geklärt werden, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (§ 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Die Pflicht zur Durchführung des bEM ist nicht auf Beschäftigte mit einer Behinderung beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle Arbeitnehmer mit einer krankheitsbedingten Fehlzeit von mehr als sechs Wochen innerhalb eines Jahreszeitraums (BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234). Sie besteht unabhängig von einem Antrag der betroffenen Arbeitnehmer oder einer der am Verfahren beteiligten Stellen. Vielmehr obliegt dem Arbeitgeber die Pflicht, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein bEM einzuleiten (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23, EzA SGB IX § 84 Nr. 8). Nach § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX hat ua. der Betriebsrat darüber zu wachen, dass der Arbeitgeber die ihm nach § 84 SGB IX obliegenden Verpflichtungen erfüllt. Die Vorschrift wiederholt für den Bereich der Privatwirtschaft die sich bereits aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ergebende Überwachungsaufgabe des Betriebsrats.

10

III. Die Übergabe des begehrten Verzeichnisses ist zur Durchführung der sich aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX ergebenden Überwachungsaufgabe erforderlich.

11

1. Der Anspruch auf Information und Überlassung der erforderlichen Unterlagen nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG richtet sich danach, in welchem Umfang der Betriebsrat bereits über Kenntnisse verfügt, deren er zur Erfüllung seiner Überwachungsaufgabe bedarf (BAG 19. Oktober 1999 - 1 ABR 75/98 - zu B I 2 b der Gründe, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 58 = EzA BetrVG 1972 § 80 Nr. 45).

12

2. Der Betriebsrat verfügt über keine anderweitigen Kenntnisse über den Kreis der Arbeitnehmer, denen der Arbeitgeber die Durchführung eines bEM anbieten muss. Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers reicht die anonymisierte Unterrichtung für die Überwachung seiner sich aus § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ergebenden Pflichten nicht aus. Ein anonymisiertes Mitarbeiterverzeichnis lässt nur die bloße Anzahl der Arbeitnehmer erkennen, welche die Voraussetzungen für ein bEM erfüllen. Für die Überwachung, ob der Arbeitgeber das Verfahren entsprechend seiner gesetzlichen Initiativlast auch einleitet, ist die bloße Kenntnis der Anzahl der für ein bEM in Frage kommenden Arbeitnehmer unzureichend (vgl. BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 43, BVerwGE 137, 148). Auch die Übergabe einer Mitarbeiterliste, in der nur diejenigen Mitarbeiter aufgeführt sind, welche nicht nur die Voraussetzungen für ein bEM erfüllen, sondern darüber hinaus der Weitergabe der Daten an den Betriebsrat zustimmen, wäre nicht in gleicher Weise geeignet, den Arbeitgeber bei der Einhaltung seiner Initiativlast zu überwachen. Mangels Kenntnis des konkreten Arbeitnehmers könnte der Betriebsrat nicht durch Nachfrage überprüfen, ob der Arbeitgeber überhaupt die Durchführung eines bEM angeboten und den Arbeitnehmer ordnungsgemäß belehrt hat.

13

3. Auch die quartalsweise Überlassung einer Aufstellung mit den Namen der betroffenen Arbeitnehmer ist erforderlich.

14

Zwar verhält sich § 80 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG nicht darüber, in welcher Form der Arbeitgeber die benötigte Auskunft zu erteilen hat. Darin ist der Arbeitgeber grundsätzlich frei. Jedoch ist er bei umfangreichen und komplexen Angaben allerdings nach § 2 Abs. 1 BetrVG regelmäßig gehalten, die Auskunft schriftlich zu erteilen(BAG 30. September 2008 - 1 ABR 54/07 - Rn. 29, BAGE 128, 92). Dass auch eine mündliche Information über den Kreis der betroffenen Arbeitnehmer ausreichend ist, wird von dem Arbeitgeber selbst nicht geltend gemacht. Die vom Betriebsrat geforderte quartalsweise Überlassung der Unterlagen hält sich daher im Rahmen des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG.

15

4. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind die für Bruttolohn- und Gehaltslisten geltenden Beschränkungen des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG nicht auf die Übermittlung von personenbezogenen Daten übertragbar. Nach der Senatsrechtsprechung unterscheiden sich der Auskunftsanspruch gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG und das Einblicksrecht nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG sowohl nach ihrem Inhalt als auch nach ihren Voraussetzungen und kommen nebeneinander in Betracht (30. September 2008 - 1 ABR 54/07 - Rn. 24, 30, BAGE 128, 92). Demzufolge gelten die einschränkenden Voraussetzungen, unter denen der Arbeitgeber einem vom Betriebsrat gebildeten Ausschuss Einblick in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter gewähren muss, für die Vorlage von Unterlagen nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG nicht.

16

IV. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Namen der Arbeitnehmer mit Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen im Jahreszeitraum auch dann mitteilen, wenn diese der Weitergabe nicht zugestimmt haben.

17

1. Die Überwachungsaufgabe des Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist nicht von einer vorherigen Einwilligung der von der Vorschrift begünstigten Arbeitnehmer abhängig. Der Gesetzeswortlaut enthält eine entsprechende Einschränkung nicht. Das Beteiligungsrecht aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG dient der Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Normvollzugs durch den Arbeitgeber. Seine Wahrnehmung steht nach der Konzeption des BetrVG nicht zur Disposition der Arbeitnehmer.

18

2. Eine solche Einschränkung der Überwachungsaufgabe folgt auch nicht aus § 84 Abs. 2 SGB IX.

19

a) Nach dieser Vorschrift muss der Arbeitgeber in einer ersten Phase allen Arbeitnehmern mit den erforderlichen Krankheitszeiten im Jahreszeitraum ein bEM anbieten. Vor dessen Durchführung ist er nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX gehalten, den Arbeitnehmer ordnungsgemäß auf die Ziele des bEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Erst danach ist in einer zweiten Phase zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Das Gesetz zwingt den betroffenen Arbeitnehmer nicht, ein bEM durchzuführen, sondern verpflichtet lediglich den Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer unter den gesetzlich normierten Voraussetzungen ein bEM anzubieten. Die nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX erforderliche Zustimmung der betroffenen Person bezieht sich nur auf den Klärungsprozess, nicht aber auf die vorhergehende Phase, die mit dem Zugang des Angebots über die Durchführung des bEM beim Arbeitnehmer endet(vgl. BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 38 f., BVerwGE 137, 148). Für diesen Teil des bEM hat der Gesetzgeber kein Zustimmungserfordernis normiert.

20

b) Weder Sinn und Zweck des bEM noch das Zustimmungserfordernis in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX stehen der Überlassung einer Aufstellung mit den Namen der für die Durchführung des bEM in Betracht kommenden Arbeitnehmer an den Betriebsrat entgegen.

21

aa) Mit der Durchführung eines bEM soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers zu einem möglichst frühen Zeitpunkt einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines kranken Menschen begegnet und die dauerhafte Fortsetzung der Beschäftigung erreicht werden. Ziel des bEM ist die Klärung, ob und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern. Die in § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Maßnahmen dienen damit letztlich der Vermeidung der Kündigung und der Verhinderung von Arbeitslosigkeit erkrankter Menschen(vgl. BT-Drucks. 15/1783 S. 16; BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 40, BAGE 123, 234; BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 62, BVerwGE 137, 148). Daneben kann die Klärung von möglichen Maßnahmen nicht nur zur Verringerung der Arbeitsunfähigkeitszeiten und den mit dem krankheitsbedingten Ausfall verbundenen betrieblichen und finanziellen Belastungen des Arbeitgebers führen, sondern auch die Mehrbelastungen reduzieren, die der Belegschaft durch die vorübergehende Abwesenheit des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers entstehen.

22

bb) Das in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bestimmte Zustimmungserfordernis der von der Durchführung eines bEM betroffenen Arbeitnehmer soll gewährleisten, dass die Klärung ihres Gesundheitszustands nur freiwillig erfolgt. Ein bEM kann ohne Einwilligung des betroffenen Beschäftigten schon deshalb nicht sinnvoll durchgeführt werden, weil der Arbeitnehmer regelmäßig nicht zur Mitteilung der Gründe für seine krankheitsbedingten Fehlzeiten verpflichtet ist und die vom Gesetzgeber angestrebte Klärung der möglichen Maßnahmen zu deren Reduzierung ohne die dafür erforderlichen Angaben des Arbeitnehmers nicht möglich ist. Daneben ist auch ein bEM, an dem der betroffene Arbeitnehmer nicht aktiv mitwirkt, wenig erfolgversprechend.

23

cc) Der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck des bEM wird durch die Mitteilung der Namen der für ein solches Verfahren in Betracht kommenden Arbeitnehmer an den Betriebsrat nicht in Frage gestellt. Diesem wird nur der Personenkreis benannt, der die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einleitung eines bEM erfüllt. Eine Information über die der Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegenden Krankheiten oder deren Ursachen ist damit nicht verbunden. Ebenso wird die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers über die Teilnahme an einem bEM nicht beeinträchtigt, da er sich über sein Einverständnis erst nach dem Angebot des Arbeitgebers und der damit verbundenen Belehrung über die Chancen und Risiken des bEM erklären muss.

24

V. Datenschutzrechtliche Gründe stehen der Übermittlung der Namen der Arbeitnehmer, denen der Arbeitgeber die Durchführung eines bEM anbieten muss, nicht entgegen. Das Erheben von Daten über die krankheitsbedingten Fehlzeiten durch den Arbeitgeber und ihre Übermittlung an den Betriebsrat ist auch bei fehlender Einwilligung der betroffenen Arbeitnehmer nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG zulässig.

25

1. Die vom Antrag erfasste Aufstellung über die Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen fällt in den Geltungsbereich des BDSG. Es handelt sich nicht um automatisierte Dateien iSd. § 1 Abs. 2 Nr. 3 iVm. § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG.

26

2. Bei den vom Antrag umfassten Angaben handelt es sich um besondere Arten personenbezogener Daten über die Gesundheit iSd. § 3 Abs. 9 BDSG(sensitive Daten). Aufgrund der Angaben ist ersichtlich, dass der benannte Arbeitnehmer aufgrund einer Krankheit innerhalb eines Jahreszeitraums mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig abwesend war.

27

3. Die Übermittlung der Namen der Arbeitnehmer an den Betriebsrat ist nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG auch dann zulässig, wenn diese der Weitergabe nicht zugestimmt haben.

28

a) Nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG ist das Erheben, Verarbeiten und Nutzen besonderer Arten personenbezogener Daten iSd. § 3 Abs. 9 BDSG für eigene Geschäftszwecke auch ohne Einwilligung des Betroffenen zulässig, wenn dies zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung überwiegt. Nicht einschlägig ist hingegen § 32 BDSG, auch wenn diese Vorschrift eine Regelung über den Datenschutz im Beschäftigungsverhältnis trifft. Ihr Regelungsgegenstand beschränkt sich auf personenbezogene Daten iSd. § 3 Abs. 1 BDSG und erfasst nicht die Verarbeitung sensitiver Daten iSd. § 3 Abs. 9 BDSG.

29

b) Die Ausübung rechtlicher Ansprüche iSv. § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG umfasst auch eine Nutzung sensitiver Daten durch den Arbeitgeber, die dieser zur Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten vornehmen muss. Ein solches Verständnis gibt das Unionsrecht vor.

30

aa) Die Erhebung und Nutzung sensitiver Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG fällt in den Anwendungsbereich des Unionsrechts. Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281 vom 23. November 1995 S. 31) gilt diese für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Als eine solche Datei mit personenbezogenen Daten gilt jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, gleichgültig ob diese Sammlung zentral, dezentralisiert oder nach funktionalen oder geographischen Gesichtspunkten aufgeteilt geführt wird (Art. 2 Buchst. c RL 95/46/EG). Nach Art. 8 Abs. 1 RL 95/46/EG untersagen die Mitgliedstaaten ua. die Verarbeitung personenbezogener Daten über die Gesundheit. Von diesem Verbot besteht nach Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG eine Ausnahme, wenn die Verarbeitung erforderlich ist, um den Rechten und Pflichten des für die Verarbeitung Verantwortlichen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts Rechnung zu tragen, sofern dies aufgrund von einzelstaatlichem Recht, das angemessene Garantien vorsieht, zulässig ist. Daher wird die Erhebung und Nutzung von Angaben über krankheitsbedingte Fehlzeiten innerhalb eines bestimmten Zeitraums vom Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46/EG erfasst.

31

bb) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Anwendung der Richtlinie 95/46/EG nicht davon abhängig, ob in dem zu entscheidenden Sachverhalt ein hinreichender Zusammenhang mit der Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten oder tatsächlich ein Zusammenhang mit dem freien Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten besteht. Zur Begründung hat der Gerichtshof auf den Wortlaut von Art. 3 RL 95/46/EG verwiesen, der mit Ausnahme des in Abs. 2 bestimmten Bereichs die Verarbeitung personenbezogener Daten dem Anwendungsbereich der Richtlinie unterwirft(EuGH 20. Mai 2003 - C-465/00 - [Österreichischer Rundfunk ua.] Rn. 39 ff., 44, Slg. 2003, I-4989). Von einem solchen Verständnis ist auch der deutsche Gesetzgeber ausgegangen, der mit den Regelungen in § 28 Abs. 6 bis Abs. 9 BDSG die Vorgaben aus Art. 8 RL 95/46/EG in nationales Recht umsetzen wollte (BT-Drucks. 14/4329 S. 43). Die Vorschrift ist danach unionsrechtskonform in einer Weise auszulegen, die den Vorgaben in Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 RL 95/46/EG Rechnung trägt.

32

cc) Bei einer solchen Auslegung ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu berücksichtigen, dass die Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in der Richtlinie 95/46/EG nicht auf eine Mindestharmonisierung beschränkt ist, sondern zu einer grundsätzlich umfassenden Harmonisierung führt. Nach dem Verständnis des Gerichtshofs stellen die in der Richtlinie enthaltenen Regelungen eine erschöpfende und abschließende Liste der Fälle dar, in denen eine Verarbeitung personenbezogener Daten als rechtmäßig angesehen werden kann. Nach dem Erwägungsgrund 22 zur RL 95/46/EG können die Mitgliedstaaten in ihren Rechtsvorschriften die allgemeinen Bedingungen präzisieren, unter denen die Verarbeitungen rechtmäßig sind. Sie dürfen aber weder neue Grundsätze in Bezug auf die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten einführen noch zusätzliche Bedingungen stellen, die die Tragweite der in der Richtlinie vorgesehenen Grundsätze verändern würden (vgl. zu Art. 7 RL 95/46/EG: EuGH 24. November 2011 - C-468/10 - [Asociación Nacional de Establecimientos Financieros de Crédito] Rn. 28 - 32, Eza EG-Vertrag 1999 Richtlinie 95/46 Nr. 1). Insoweit stellt die RL 95/46/EG zugleich eine Konkretisierung der in den Art. 7 und Art. 8 GRC verbürgten Rechte der von einer Datenverarbeitung betroffenen Person dar(EuGH 24. November 2011 - C-468/10 - [Asociación Nacional de Establecimientos Financieros de Crédito] Rn. 41 f., 44 f., aaO).

33

dd) Das Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung erfordert daher eine Auslegung von § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG, die dem Arbeitgeber unter den dort bestimmten Voraussetzungen die Erfüllung seiner ihm obliegenden gesetzlichen Pflichtenstellung ermöglicht.

34

(1) Eine Ausübung rechtlicher Ansprüche als Voraussetzung einer Datenerhebung und -nutzung nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG ist unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig, wenn die Datenverarbeitung durch den Arbeitgeber aufgrund einer gesetzlich vorgesehenen Pflicht im Bereich des Arbeitsrechts erfolgt. Ein Wille des Gesetzgebers, durch die Formulierung der Voraussetzungen in § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung sensitiver Daten durch den Arbeitgeber im Bereich des Arbeitsrechts engere Grenzen als durch Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG vorgesehen zu setzen, ist nicht ersichtlich (vgl. Gola RDV 2001, 125, 127).

35

(2) Der deutsche Gesetzgeber hat bei der Umsetzung von Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG die unionsrechtlichen Vorgaben beachtet. Diese erlauben die Verarbeitung von Daten über die Gesundheit iSv. Art. 8 Abs. 1 RL 95/46/EG, wenn dies nach nationalem Recht zulässig ist und dieses insoweit angemessene Garantien vorsieht. Solche Garantien, die den Betroffenen vor einer unangemessenen Beeinträchtigung der Grundfreiheiten und seiner Privatsphäre schützen, sieht das BDSG bei der Verarbeitung sensitiver Daten durch den Arbeitgeber vor.

36

Die Verarbeitung von sensitiven Daten iSd. § 3 Abs. 9 BDSG ist nur bei Bestehen einer besonderen Rechtsgrundlage zulässig. Diese unterliegt den Beschränkungen in § 4 Abs. 1 BDSG, wonach die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten ohne Einwilligung des Betroffenen nur zulässig ist, soweit das BDSG selbst oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt(Gola RDV 2001, 125, 126). Nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG darf grundsätzlich nur eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten erfolgen, wenn eine Einwilligung des betroffenen Arbeitnehmers vorliegt. Ohne dessen Einverständnis ist dem Arbeitgeber deren Verarbeitung nur gestattet, wenn nach einer am Zweck der RL 95/46/EG orientierten Interessenabwägung ein entgegenstehendes Interesse des betroffenen Arbeitnehmers nicht überwiegt. Überdies wird die Verarbeitung von sensitiven Daten durch den Arbeitgeber von einem betrieblichen Datenschutzbeauftragten kontrolliert, der auf die Einhaltung des BDSG hinwirkt und dabei dem Weisungsrecht des Arbeitgebers nicht unterliegt (§ 4f Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, § 4 g Abs. 1 Satz 1 BDSG).

37

c) Die Erhebung und Nutzung der Angaben über die krankheitsbedingten Fehlzeiten durch den Arbeitgeber ist auch bei fehlender Einwilligung der Arbeitnehmer nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG zulässig.

38

aa) Die Durchführung eines bEM gehört zu den gesetzlichen Pflichten des Arbeitgebers auf dem Gebiet des Arbeitsrechts.

39

bb) Die Erhebung dieser Daten ist erforderlich, damit der Arbeitgeber die ihm nach § 84 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 SGB IX obliegenden Pflichten erfüllen kann. Ein bEM kann nur eingeleitet werden, wenn feststeht, dass der Arbeitnehmer in dem maßgeblichen Bemessungszeitraum länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war.

40

cc) Ein Grund zu der Annahme, dass das schutzwürdige Interesse des jeweils betroffenen Arbeitnehmers das Interesse des Arbeitgebers an der Datenerhebung überwiegt, besteht nicht.

41

Die Erhebung der Arbeitsunfähigkeitszeiten im Jahreszeitraum ist Voraussetzung für die Entscheidung des Arbeitgebers, den betroffenen Beschäftigten die Durchführung eines bEM anzubieten. Dieses Verfahren dient der Erhaltung ihres Arbeitsplatzes und damit ihrer wirtschaftlichen Existenz (BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 42, BVerwGE 137, 148). Inhaltlich betrifft die Datenerhebung lediglich die Namen der Arbeitnehmer und die Feststellung, dass deren Fehlzeiten im maßgeblichen Jahreszeitraum sechs Wochen überschritten haben. Besondere Angaben über die Art und Dauer der Krankheit werden vom Arbeitgeber in der ersten Phase des bEM nicht erhoben. Überdies sind die Angaben über die Dauer der Arbeitsunfähigkeitszeiten ohnehin vorhanden, weil sie die Grundlage für die Berechnung der in diesem Zeitraum zu zahlenden Vergütung bilden (§ 3 EFZG). Ein Interesse der jeweils betroffenen Arbeitnehmer an dem Unterbleiben der Datenerhebung ist demgegenüber nicht ersichtlich. Auf das Recht des Arbeitnehmers, die Durchführung eines bEM abzulehnen, hat diese Datenerhebung keinen Einfluss.

42

d) Datenschutzrechtliche Gründe stehen der Übermittlung der vom Arbeitgeber erhobenen Daten über die Fehlzeiten der arbeitsunfähigen Arbeitnehmer an den Betriebsrat nicht entgegen.

43

aa) Die Zusammenstellung der die einzelnen Arbeitnehmer betreffenden Arbeitsunfähigkeitszeiten zu einer schriftlichen Aufstellung und deren Weitergabe an den Betriebsrat ist keine Datenübermittlung an einen Dritten, die von dem Erlaubnistatbestand in § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG nicht erfasst wird. Der Betriebsrat ist nicht als „Dritter“ iSd. § 3 Abs. 4 Nr. 3 BDSG anzusehen, der außerhalb der verantwortlichen Stelle iSd. § 3 Abs. 7 BDSG, also des Unternehmens steht. Vielmehr ist er selbst Teil dieser Stelle (zu § 3 BDSG aF: BAG 3. Juni 2003 - 1 ABR 19/02 - zu B II 2 a bb [3] [a] der Gründe, BAGE 106, 188) und hat die betrieblichen und gesetzlichen Datenschutzbestimmungen einzuhalten (vgl. BAG 12. August 2009 - 7 ABR 15/08 - Rn. 27, BAGE 131, 316), zu denen insbesondere die Wahrung des Datengeheimnisses (§ 5 Satz 1 BDSG) gehört.

44

bb) Überwiegende schutzwürdige Interessen iSd. § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG der betroffenen Arbeitnehmer stehen der Bekanntgabe ihrer Namen gegenüber dem Betriebsrat nicht entgegen.

45

(1) Zwar handelt es nicht um betriebsöffentliche Daten, die allen Arbeitnehmern und damit auch dem Betriebsrat bekannt sind. Dennoch ist der auf Krankheit beruhende Arbeitsausfall wegen der dadurch ausgelösten Notwendigkeit einer Vertretung regelmäßig im Betrieb bekannt.

46

(2) Weiterhin verstärkt die Überwachung der dem Arbeitgeber durch § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auferlegten Verpflichtung die mit der Einführung des bEM verbundene Erwartung des Gesetzgebers, den betroffenen Arbeitnehmern durch das Angebot eines besonderen Präventionsverfahrens möglichst ihren Arbeitsplatz zu erhalten. Der Gesetzgeber konnte auch davon ausgehen, dass der Betriebsrat als Vertreter der Belegschaft die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber in geeigneter Weise wahrnimmt. Das durch Art. 8 Abs. 1 GRC gewährleistete Recht auf Schutz der eine Person betreffenden personenbezogenen Daten wird ausreichend dadurch gewahrt, dass der Betriebsrat in Bezug auf Gesundheitsdaten der Arbeitnehmer nicht nur dem Datengeheimnis, sondern auch einer strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht unterliegt(§ 79 Abs. 1, § 120 Abs. 2 BetrVG) und die eigentliche Durchführung des bEM mit der damit verbundenen Erörterung der besonders sensiblen Krankheitsdaten von einer weiteren Belehrung des Arbeitgebers und der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer abhängig ist. Ebenso wie ein Arbeitnehmer aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht beanspruchen kann, dass bestimmte Mitarbeiter im Rahmen ihrer Arbeitsaufgabe mit der Verarbeitung seiner persönlichen Daten nicht befasst werden, kann er auch nicht verlangen, dass eine ebensolche Übermittlung an den Betriebsrat unterbleibt.

47

e) Eines Vorabentscheidungsersuchens zur Auslegung der RL 95/46/EG an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf es nicht (vgl. zur Vorlagepflicht der nationalen Gerichte BVerfG 2. Senat 2. Kammer 21. November 2011 - 2 BvR 516/09, 2 BvR 52 BvR 535/09 - Rn. 23 ff., NJW 2012, 598; 1. Senat 2. Kammer 24. Oktober 2011 - 1 BvR 1103/11 - Rn. 11 f., NZA 2012, 202). Die hier entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs hinreichend geklärt. Dies gilt für den Geltungsbereich der Richtlinie, ihren Normzweck und die für die nationalen Gerichte bei der einzelfallbezogenen Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände.

48

aa) Die RL 95/46/EG eröffnet dem nationalen Gesetzgeber durch Art. 5 Handlungsspielräume, aufgrund derer er die in Art. 6 bis Art. 8 RL 95/46/EG festgelegten Grundsätze näher bestimmen kann. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind die Mechanismen, die eine Abwägung der verschiedenen Rechte und Interessen ermöglichen, zum einen in der RL 95/46/EG selbst festgelegt, soweit diese Vorschriften enthält, die bestimmen, in welchen Situationen und in welchem Umfang die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig ist und welche Schutzvorkehrungen vorzusehen sind. Zum anderen eröffnen viele der in der RL 95/46/EG verhältnismäßig allgemein gehaltenen Bestimmungen den Mitgliedstaaten einen Handlungsspielraum bei der Umsetzung in nationales Recht oder eine Auswahl zwischen den in der Richtlinie festgelegten Optionen (EuGH 6. November 2003 - C-101/01 - [Lindqvist] Rn. 82 f., Slg. 2003, I-12971). Dieses Zusammenspiel zwischen den zwingenden Richtlinienvorgaben und dem nationalen Recht überlässt den nationalen Gerichten den erforderlichen Spielraum, um bei der hier in Rede stehenden einzelfallbezogenen Anwendung der die RL 95/46/EG umsetzenden nationalen Regelung einen angemessenen Ausgleich zwischen den mit der Richtlinie verfolgten Zwecken herzustellen (EuGH 6. November 2003 - C-101/01 - [Lindqvist] Rn. 85, aaO). Dem entsprechend hat der Senat bei der Interessenabwägung im Rahmen des § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG berücksichtigt, dass es nach den Erwägungsgründen Nr. 33, 34 der RL 95/46/EG deren Ziel ist, bei der Verarbeitung von besonders sensiblen Datenkategorien einen möglichst weitgehenden Schutz der Beeinträchtigung der Grundfreiheiten und der Privatsphäre zu gewährleisten, andererseits es aber auch dem Arbeitgeber zu ermöglichen, eine gesetzliche Pflichtenstellung zu erfüllen, die ihm im Wesentlichen zugunsten des betroffenen Beschäftigten auferlegt worden ist.

49

bb) Ob der Arbeitgeber nach Unionsrecht überhaupt berechtigt ist, sich unter Berufung auf die Grundrechtspositionen der betroffenen Arbeitnehmer einer Weitergabe der für die Überwachungsaufgabe erforderlichen Daten an den Betriebsrat zu entziehen, bedarf angesichts der fehlenden Entscheidungserheblichkeit dieser Frage keiner Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union.

50

VI. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Übermittlung der Namen von Arbeitnehmern mit krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen im vorangegangenen Jahreszeitraum an den Betriebsrat entgegensteht. Der Arbeitgeber ist nicht befugt, sich gegenüber dem Überwachungsrecht des Betriebsrats auf Grundrechte von Arbeitnehmern zu berufen (vgl. BAG 20. Dezember 1995 - 7 ABR 8/95 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 82, 36).

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    Koch    

        

        

        

    Hayen    

        

    Hann    

                 

Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine öffentliche Stelle ist zulässig, wenn sie zur Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgabe oder in Ausübung öffentlicher Gewalt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, erforderlich ist.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. Juni 2013 - 21 Sa 1456/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte entwickelt und vertreibt Hygieneartikel. Der 1964 geborene Kläger ist bei ihr seit Juni 1991 als Maschinenführer tätig. Zuletzt war er - als einer von etwa 220 Arbeitnehmern - im Betrieb E im Dreischichtmodell beschäftigt. Sein monatlicher Bruttoverdienst belief sich auf ca. 2.700,00 Euro.

3

Der Kläger war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig. Im Jahr 2006 war er ab dem 27. Juli an wenigstens 59 Tagen wegen einer Handverletzung nicht arbeitsfähig. Im Jahr 2007 fehlte er wegen einer anderen Handverletzung 105 und aufgrund einer Kontaktallergie weitere 30 Tage. Im Jahr 2008 war er an 69 Tagen, im Jahr 2009 an 74 Tagen, im Jahr 2010 an 62 Tagen und im Jahr 2011 an 125 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Zwei Fehltage im Jahr 2008 und 21 Fehltage im Jahr 2009 waren auf Arbeitsunfälle zurückzuführen. Von den Krankheitstagen im Jahr 2011 entfielen 117 Tage auf ein Hüftleiden. Wegen dieser Erkrankung unterzog sich der Kläger am 28. März 2011 einer Operation.

4

Die Fehlzeiten verteilten sich auf unterschiedlich lange Zeiträume, jeweils unterbrochen durch Tage der Arbeitsfähigkeit.

5

Im Jahr 2004 stellte sich der Kläger auf Ersuchen der Beklagten beim arbeitsmedizinischen Dienst vor. Es folgten weitere Begutachtungen Ende 2009/Anfang 2010 und im September 2011. In den betriebsärztlichen Stellungnahmen hieß es jeweils, gegen eine Beschäftigung des Klägers bestünden keine gesundheitlichen Bedenken. Im Schreiben vom 2. Februar 2010 wurde außerdem berichtet, es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen könnten. Im September 2010 teilte die Berufsgenossenschaft der Beklagten mit, sie habe dem Kläger einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt, bei deren Verwendung sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermeiden ließen.

6

Mit Schreiben vom 29. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2012.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die seit dem Jahr 2008 aufgetretenen Fehlzeiten seien - soweit nicht auf Arbeitsunfällen und den Hüftbeschwerden beruhend - im Wesentlichen auf eine Kontaktallergie, einen Fersensporn, Erkältungskrankheiten, in geringem Umfang auf eine Herz-/Kreislauferkrankung sowie zwei in der Freizeit erlittene Unfälle zurückzuführen. Die Fehlzeiten indizierten keine negative Zukunftsprognose. Mit dem Auftreten der Allergie sei nach den Maßnahmen der Berufsgenossenschaft und beim Tragen der empfohlenen Schutzhandschuhe nicht mehr zu rechnen. Sein Hüftleiden sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Der Fersensporn sei gleichfalls erfolgreich therapiert. Seine Erkältungskrankheiten seien durch Zugluft am Arbeitsplatz ausgelöst oder begünstigt worden. Jedenfalls sei die Kündigung unverhältnismäßig. Die Beklagte habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nicht durchgeführt. Sie könne sich deshalb nicht darauf berufen, alternative Möglichkeiten zur Vermeidung oder doch erheblichen Verringerung künftiger Fehlzeiten hätten nicht bestanden. Das sei auch objektiv falsch. Neben Veränderungen am Arbeitsplatz, dessen bisheriger Zuschnitt ein kontinuierliches Treppensteigen erfordere, habe ein geeignetes „Gesundheitsmanagement“ zur Stabilisierung seines Abwehr- und Immunsystems beitragen können. Dies belege eine zwischenzeitlich durchgeführte Reha-Maßnahme, in deren Folge sich sein Gesundheitszustand deutlich gebessert habe. Unabhängig davon sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Dieser sei bis einschließlich des 25. November 2011 an insgesamt 1061 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen. Davon habe sie für 803 Tage Entgeltfortzahlung geleistet. Die erheblichen Fehlzeiten sprächen für eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit des Klägers und begründeten eine negative Gesundheitsprognose. Dies wiederum beeinträchtige ihre betrieblichen Interessen erheblich. Sie habe damit rechnen müssen, an den Kläger weiterhin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für die Dauer von mehr als sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Ihre Verpflichtung zur Durchführung eines bEM habe sie mit den in Auftrag gegebenen arbeitsmedizinischen Untersuchungen erfüllt. Jedenfalls stehe aufgrund der betriebsärztlichen Stellungnahmen fest, dass die Krankheitsanfälligkeit des Klägers nicht durch organisatorische Änderungen habe überwunden werden können. Die Kündigung sei damit selbst dann verhältnismäßig, wenn es an einem regelkonformen bEM fehlen sollte. Auf die allgemeine Gesundheitsprävention im Rahmen außerbetrieblicher Maßnahmen sei der gesetzlich vorgegebene Klärungsprozess nicht angelegt.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage im noch rechtshängigen Umfang stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist unbegründet.

12

A. Die Revision ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat sie im Tenor seines Urteils zugelassen. Daran ist der Senat gemäß § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden(vgl. BAG 16. April 1997 - 4 AZR 653/95 - zu I der Gründe). Eine Überprüfung der Zulassungsentscheidung - wie sie der Kläger offenbar anstrebt - findet nicht statt.

13

B. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden (I.). Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (II.).

14

I. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sie ist nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Sie erweist sich - ungeachtet der erheblichen Fehlzeiten - als unverhältnismäßig.

15

1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die der Senat zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat (vgl. aus jüngerer Zeit BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335). Auch wenn sich einzelne Krankheitsphasen über mehrere Monate erstreckten, liegt angesichts der Vielzahl der in Rede stehenden Krankheitsbilder und des häufigen Wechsels von Krankheits- und Arbeitsphasen nicht der Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung vor.

16

2. Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (bspw. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - aaO; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335).

17

3. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 17, BAGE 121, 335; 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 20). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24; 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 92, 96). Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO mwN).

18

4. Entgegen der Auffassung des Klägers erweist sich danach die Kündigung nicht bereits im ersten Prüfungsschritt als unwirksam. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die bisherigen Fehlzeiten hätten im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose indiziert und der Kläger habe diese Indizwirkung nicht entkräftet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

19

a) Die Beklagte hat die Krankheitszeiten des Klägers nach Zahl, Dauer und zeitlicher Folge im Einzelnen vorgetragen. Danach war der Kläger auch ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Ausfallzeiten seit Mitte des Jahres 2007 in erheblichem Umfang wegen Krankheit arbeitsunfähig. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stiegen seine Fehlzeiten kontinuierlich an (vgl. zu diesem Kriterium BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 32 mwN). Lediglich im Jahr 2010 gingen sie gegenüber dem Vorjahr leicht zurück, verblieben aber auf hohem Niveau. Unschädlich ist, dass das Landesarbeitsgericht nicht starr auf den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung abgestellt hat. Es konnte auch davor liegende Zeitspannen einbeziehen (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24).

20

b) Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten - den Angaben des Klägers zufolge - auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 26). Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zB eine Operation) ergriffen wurden (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO).

21

c) Danach hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, das künftige Auftreten von Krankheitszeiten im bisherigen Umfang sei aufgrund einer besonderen Krankheitsanfälligkeit indiziert. Zwar hat sich der Kläger bezüglich einzelner Erkrankungen darauf berufen, er habe besondere Therapiemaßnahmen durchgeführt. Seiner Schlussfolgerung, aufgrund dessen sei zumindest mit einer deutlichen Verringerung der Fehlzeiten zu rechnen gewesen, widerspricht aber der Umstand, dass er im Anschluss an die im März 2011 durchgeführte Operation noch bis Juli 2011 und erneut in der Zeit vom 8. bis 28. August 2011 wegen seines Hüftleidens krankgeschrieben war. Eine Rehabilitationsmaßnahme hat er erst nach Zugang der Kündigung begonnen und durchgeführt. Sie hat deshalb keinen Einfluss auf die Indizwirkung der vor dem Kündigungszeitpunkt aufgetretenen Fehlzeiten (vgl. BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 558/99 - Rn. 20 mwN). Gleiches gilt für mögliche - nach der Kündigung ergriffene - Maßnahmen zur Verbesserung der Immunabwehr. Damit verblieb es vor der Kündigung bei umfangreichen, eine negative Prognose stützenden Arbeitsunfähigkeitszeiten.

22

d) Der Kläger hat die Indizwirkung der Fehlzeiten nicht dadurch erschüttert, dass er sich auf das Zeugnis seiner ihn behandelnden Ärzte berufen und diese von der Schweigepflicht entbunden hat. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darin nicht die Behauptung erblickt, die Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung bezüglich sämtlicher prognosetragender Erkrankungen im Kündigungszeitpunkt positiv beurteilt (zu dieser Anforderung vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96; 6. September 1989 - 2 AZR 19/89 - zu B I 1 b der Gründe). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einen richterlichen Hinweis vermisst, ist seine Gegenrüge unzulässig, zumindest unbegründet.

23

5. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass sie - bei unveränderter Sachlage - damit zu rechnen hatte, an den Kläger auch zukünftig Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für mindestens sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Die Kündigung ist dennoch sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht „ultima ratio“ und deshalb unverhältnismäßig. Die Beklagte hat das gesetzlich vorgesehene bEM unterlassen, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.

24

a) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24). Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz sein (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN). Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 92, 96; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 286; vHHL/Krause KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 324; jeweils mwN).

25

b) Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich - besteht keine Verpflichtung zur Durchführung eines bEM - zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 14, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 16). Dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf seinerseits zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - aaO mwN). Entsprechend abgestuft ist die Darlegungslast des Arbeitgebers, wenn sich der Arbeitnehmer darauf beruft, die Kündigung sei deshalb unverhältnismäßig, weil eine dem Arbeitgeber bekannte, ihm gleichwohl nicht geboten erscheinende Therapiemöglichkeit bestanden habe.

26

c) Die Kündigung erweist sich nicht schon nach diesen allgemeinen Grundsätzen als unwirksam. Der Kläger hat geltend gemacht, sein bisheriger Arbeitsplatz erfordere regelmäßiges Treppensteigen und sei ferner deshalb nicht leidensgerecht, weil an ihm Zugluft herrsche. An Ausführungen dazu, welche organisatorischen Änderungen oder welcher andere Arbeitsbereich - aus seiner Sicht - eine Beschäftigung ohne gesundheitliche Probleme möglich gemacht hätten, fehlt es. Ebenso wenig ist seinem Vorbringen zu entnehmen, dass er sich bereits vor Zugang der Kündigung um eine Rehabilitationsmaßnahme und ein besseres Gesundheitsmanagement bemüht und die Beklagte Anhaltspunkte für die Annahme gehabt hätte, entsprechende Maßnahmen könnten erfolgversprechend sein.

27

d) Im Streitfall traf die Beklagte indes eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast. Sie hatte es versäumt, ein bEM durchzuführen. Ihrer Obliegenheit detailliert darzulegen, dass keine Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden, ist sie nicht nachgekommen.

28

aa) Die Beklagte war gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, ein bEM vorzunehmen. Der Kläger war in jedem der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung länger als sechs Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von sechs Wochen überschritten (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 19). Die Durchführung eines bEM setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer eine Behinderung vorliegt (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 27, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234).

29

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein regelkonformes bEM habe nicht stattgefunden, ist berechtigt.

30

(1) Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. § 84 Abs. 2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20). Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20).

31

(2) Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 9, BAGE 140, 350; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Bei der Durchführung muss er eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt, hinzuziehen (vgl. BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 55, BVerwGE 137, 148).

32

(3) Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat(BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht(BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 52, BVerwGE 137, 148). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 19, BAGE 140, 350; dass das Gesetz hier vom „Arbeitsplatz“ spricht, dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen, vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 28). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 62).

33

(4) Kommt es stattdessen darauf an, ob bestimmte vom Arbeitgeber tatsächlich ergriffene Maßnahmen den Anforderungen eines bEM genügen, ist zu prüfen, ob sie sich als der vom Gesetz vorgesehene umfassende, offene und an den Zielen des bEM ausgerichtete Suchprozess erweisen.

34

(5) Danach kann in den betriebsärztlichen Untersuchungen des Klägers und den mit ihnen verbundenen Begutachtungen kein bEM erblickt werden.

35

(a) Der Betriebsarzt wird in § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX als ein Akteur erwähnt, der „bei Bedarf“ zum bEM hinzugezogen wird. Dies entspricht der Aufgabe des Arztes, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung zu unterstützen und in Fragen des Gesundheitsschutzes zu beraten (§ 1 Satz 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 ASiG). Die Nutzung seines Sachverstands kann der Klärung dienen, ob vom Arbeitsplatz Gefahren für die Gesundheit des Arbeitnehmers ausgehen und künftig durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ASiG). Die Inanspruchnahme des betriebsärztlichen Sachverstands steht einem bEM als ganzem aber nicht gleich (vgl. Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24, 25).

36

(b) Es kann dahinstehen, ob der Arbeitgeber dem Betriebsarzt bei Bedarf die Durchführung und Leitung des bEM übertragen kann (befürwortend Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 152; zweifelnd Cramer/Ritz/Schian SGB IX 6. Aufl. § 84 Rn. 31). Die Behauptung der Beklagten, die betriebsärztlichen Untersuchungen seien „teilweise … unter dem Titel ‚betriebliches Eingliederungsmanagement‘ [gelaufen]“, macht nicht deutlich, dass sie dem arbeitsmedizinischen Dienst die regelgerechte Durchführung eines bEM überantwortet hätte. Jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass die Betriebsärzte ihre Beauftragung in einem solch weitreichenden Sinne verstanden und entsprechend agiert hätten. Ihre Stellungnahmen beschränken sich auf die Einschätzung der Einsatzfähigkeit des Klägers auf der Grundlage arbeitsmedizinischer Untersuchungen. Auch fehlt es an substantiierten Darlegungen zu einer den Anforderungen des § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX genügenden Unterrichtung und Belehrung des Klägers, aus der sich für diesen die Absicht, ein bEM durchzuführen, deutlich hätte erschließen können. Das Vorbringen der Beklagten, die Betriebsärztin habe aus Anlass der Ende 2009/Anfang 2010 vorgenommenen Untersuchung mit dem Kläger „die Fragestellung“ eines möglichen Zusammenhangs zwischen seiner Tätigkeit und den Erkrankungen „besprochen“ und ihn „über den Sinn und Zweck der Untersuchungen“ unterrichtet, reicht dafür nicht aus. Es kann deshalb offenbleiben, ob die fragliche Begutachtung, hätte es sich bei ihr um ein bEM gehandelt, dem Zweck des § 84 Abs. 2 SGB IX deshalb nicht genügen konnte, weil der Kläger innerhalb des der Kündigung vorausgegangenen Jahres erneut Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen aufwies(zur Problematik KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 16; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10).

37

cc) Das Unterlassen eines bEM führt hier dazu, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist.

38

(1) Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dennoch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20).

39

(2) Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will sich der Arbeitgeber hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 25).

40

(3) Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt.

41

(4) Diesen Vorgaben wird die Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis gerecht.

42

(a) Ein bEM ist nicht nur bei lang andauernden Krankheiten geboten. Es ist auch bei häufigen Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen oder von vorneherein überflüssig. Nach der gesetzlichen Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX kommt es allein auf den Umfang, nicht auf die Ursache der Erkrankungen an. Auch aus Krankheiten, die auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen, kann sich - zumal wenn sie auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hindeuten - eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ergeben, der das bEM entgegenwirken soll (KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 17; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10; Deinert NZA 2010, 969, 971; aA Balders/Lepping NZA 2005, 854, 855).

43

(b) Dem Vorbringen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass einem künftigen Auftreten erheblicher, über sechs Wochen hinausgehender Fehlzeiten des Klägers durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen nicht hätte entgegengewirkt werden können. Dass ihr entsprechende Maßnahmen nicht möglich oder zumutbar gewesen wären, hat sie nicht aufgezeigt.

44

(aa) In diesem Zusammenhang waren nähere Darlegungen der Beklagten nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger vorgerichtlich geäußert haben mag, seine Erkrankungen seien nicht „betriebsbedingt“. Unabhängig davon, was genau er damit hat ausdrücken wollen, ist es nicht treuwidrig, wenn er sich gegenüber der ausgesprochenen Kündigung auf das Unterbleiben erfolgversprechender innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen beruft. Das Landesarbeitsgericht musste seine Behauptung, solche Maßnahmen hätten dem Auftreten neuerlicher Fehlzeiten vorbeugen oder diese zumindest verringern können, nicht etwa als Schutzbehauptung werten. Die Beklagte hat die vom Kläger aufgezeigten, einer günstigen Veränderung jedenfalls dem ersten Anschein nach nicht unzugänglichen Arbeitsbedingungen nicht in Abrede gestellt. Der Umstand, dass der Kläger während einer Prozessbeschäftigung trotz des Einsatzes am bisherigen Arbeitsplatz keine relevanten krankheitsbedingten Ausfallzeiten mehr gezeigt hat, spricht nicht notwendig gegen einen möglichen Zusammenhang zwischen den äußeren Arbeitsumständen und seinen bisherigen Fehlzeiten. Die Entwicklung kann ebenso gut durch die zwischenzeitlich durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme oder dadurch begünstigt worden sein, dass der Kläger - wie er behauptet hat - nunmehr ein effektiveres „Gesundheitsmanagement“ betreibt.

45

(bb) Die Beklagte hat die objektive Nutzlosigkeit innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen nicht dadurch aufgezeigt, dass sie auf den Gegenstand der arbeitsmedizinischen Untersuchungen verwiesen und sich die Stellungnahmen der Betriebsärzte - konkludent - zu Eigen gemacht hat. Zwar verpflichtet § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. c) ASiG die Betriebsärzte, Ursachen von „arbeitsbedingten Erkrankungen“ zu untersuchen. Auch ist der Stellungnahme vom 2. Februar 2010 zu entnehmen, dass die Ärzte keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers und seinen Fehlzeiten erkannt haben. Das schließt aber die Gewinnung anderer Erkenntnisse im Rahmen eines in alle Richtungen offenen bEM nicht aus. Bei diesem geht das Gesetz davon aus, dass sich neben dem Arbeitnehmer auch die anderen beteiligten Stellen, insbesondere die Rehabilitationsträger, aktiv in die Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit einbringen. Es kommt hinzu, dass die Berufsgenossenschaft im Jahr 2010 einen Zusammenhang zumindest zwischen den Arbeitsbedingungen und der Kontaktallergie gesehen und ein Hilfsmittel empfohlen hat. Soweit die Beklagte anführt, die im Jahr 2011 erfolgte betriebsärztliche Untersuchung sei „unter Berücksichtigung der arbeitsplatztypischen Belastungsfaktoren Lärm, Hautkontakt mit Stoffen, Schichttätigkeit“ erfolgt und „negativ“ verlaufen, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden kann. Im Übrigen ergibt sich aus ihm nicht, dass der Arbeitsplatz des Klägers auf besondere Belastungen durch Zugluft und Treppensteigen, dh. auf Umstände und deren mögliche Änderung hin untersucht worden wäre, in denen der Kläger eine Ursache seiner Krankheitsanfälligkeit erblickt.

46

(cc) Soweit die Beklagte gemeint hat, die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zu der Möglichkeit, im Rahmen eines bEM zu einer von den arbeitsmedizinischen Gutachten abweichenden Beurteilung zu gelangen, bewegten sich im Bereich der Spekulation, liegt darin kein beachtliches Vorbringen. Es handelt sich weder um eine zulässige Verfahrens-, noch um eine begründete Sachrüge. Es hat nicht das Landesarbeitsgericht Spekulationen angestellt, sondern die Beklagte ist ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen, im Einzelnen darzulegen, weshalb eine abweichende Beurteilung objektiv ausgeschlossen sein soll.

47

(c) Die Kündigung wäre selbst dann unverhältnismäßig, wenn feststünde, dass die tatsächlichen betrieblichen Bedingungen, zu denen der Kläger arbeitete, nicht hätten geändert werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung eines bEM Rehabilitationsbedarfe in der Person des Klägers hätten erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können.

48

(aa) Nach der Konzeption des Gesetzes lässt das bEM den Beteiligten bei der Prüfung, mit welchen Maßnahmen, Leistungen oder Hilfen eine künftige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglichst vermieden werden und das Arbeitsverhältnis erhalten bleiben kann, jeden denkbaren Spielraum. Es soll erreicht werden, dass keine vernünftigerweise in Betracht kommende, zielführende Möglichkeit ausgeschlossen wird (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1783 S. 16) soll durch eine derartige Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft gesichert werden. Zugleich sollen auf diese Weise medizinzische Rehabilitationsbedarfe frühzeitig, ggf. präventiv erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, hat der Arbeitgeber deshalb gemäß § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auch bei nicht behinderten Arbeitnehmern die örtlichen gemeinsamen Servicestellen hinzuzuziehen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Hilfen und Leistungen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX erbracht werden. Als Hilfen zur Beseitigung und möglichst längerfristigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeit kommen dabei - neben Maßnahmen zur kurativen Behandlung - insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX in Betracht(vgl. Knittel SGB IX 7. Aufl. § 84 Rn. 207; KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 9; Nebe in MünchAnwHdb Sozialrecht 4. Aufl. § 21 Rn. 22; Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 190).

49

(bb) Denkbares Ergebnis eines bEM kann es damit sein, den Arbeitnehmer auf eine Maßnahme der Rehabilitation zu verweisen. Dem steht nicht entgegen, dass deren Durchführung von seiner Mitwirkung abhängt und nicht in der alleinigen Macht des Arbeitgebers steht. Ggf. muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist zur Inanspruchnahme der Leistung setzen. Eine Kündigung kann er dann wirksam erst erklären, wenn die Frist trotz Kündigungsandrohung ergebnislos verstrichen ist (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 29). Durch die Berücksichtigung entsprechender, aus dem bEM entwickelter Empfehlungen wird der „ultima-ratio-Grundsatz“ nicht, wie die Beklagte meint, über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt. Die aus ihm resultierende Verpflichtung des Arbeitgebers, ggf. mildere Mittel zu ergreifen, ist nicht auf arbeitsplatzbezogene Maßnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG beschränkt. Diese Vorschrift dient der Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lediglich mit Blick auf ihren eigenen Regelungsbereich. Sie schließt die Berücksichtigung sonstiger Umstände, die eine Kündigung entbehrlich machen könnten, nicht aus. Eine Kündigung muss, damit sie durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“ ist, unter allen Gesichtspunkten verhältnismäßig, dh. unvermeidbar sein. Daraus kann sich die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, auf bestehende Therapiemöglichkeiten Bedacht zu nehmen. Wenn er ein bEM unterlassen hat, kann er gegen eine solche Verpflichtung nicht einwenden, ihm seien im Kündigungszeitpunkt - etwa schon mangels Kenntnis der Krankheitsursachen - entsprechende Möglichkeiten weder bekannt gewesen, noch hätten sie ihm bekannt sein können.

50

(cc) Das bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber bei Unterlassen eines bEM, um die Verhältnismäßigkeit der Kündigung aufzuzeigen, für jede nur erdenkliche Maßnahme der Gesundheitsprävention - etwa bis zu möglichen Änderungen in der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers - von sich aus darzulegen hätte, dass und weshalb sie zur nachhaltigen Verminderung der Fehlzeiten nicht geeignet gewesen sei. Es reicht aus, wenn er dartut, dass jedenfalls durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten nicht in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt lediglich die Berücksichtigung solcher Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen, deren Beachtung dem Arbeitgeber zumutbar ist. Zumutbar wiederum ist nur eine Beachtung solcher Maßnahmen, deren Zweckmäßigkeit hinreichend gesichert ist. Auch muss deren tatsächliche Durchführung objektiv überprüft werden können. Beides trifft auf gesetzlich vorgesehene Leistungen und Hilfen, die der Prävention und/oder Rehabilitation dienen, typischerweise zu. Solche Maßnahmen muss der Arbeitgeber deshalb grundsätzlich in Erwägung ziehen. Hat er ein bEM unterlassen, muss er von sich aus ihre objektive Nutzlosigkeit aufzeigen und ggf. beweisen. Dabei kommt eine Abstufung seiner Darlegungslast in Betracht, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt sind. Für eine Maßnahme außerhalb des Leistungskatalogs der Rehabilitationsträger - und sei es ein fachkundig entwickeltes Konzept zur privaten Gesundheitsprävention - gilt dies dagegen in aller Regel nicht. Deren objektive Nutzlosigkeit braucht der Arbeitgeber nicht darzutun.

51

(dd) Danach durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung zwar nicht deshalb für unwirksam erachten, weil im Rahmen eines bEM die Möglichkeit bestanden hätte, ein - wie auch immer geartetes - Konzept für ein konsequentes Gesundheitsmanagement des Klägers zu entwickeln. Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat nicht dargetan, dass auch bei regelkonformer Durchführung eines bEM keine geeigneten Leistungen oder Hilfen für den Kläger hätten erkannt werden können, zu deren Erbringung die Rehabilitationsträger verpflichtet gewesen wären. Das gilt umso mehr, als sich der Kläger ausdrücklich auf eine nach Zugang der Kündigung erfolgreich durchgeführte Reha-Behandlung berufen hat. Die Beklagte hätte aufzeigen müssen, warum Maßnahmen zur kurativen Behandlung und/oder der medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX - zu denen im Übrigen nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift auch die „Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln“ zählt - nicht in Betracht gekommen wären oder doch zu einer erheblichen Verringerung der Fehlzeiten nicht hätten beitragen können. An solchen Darlegungen fehlt es.

52

II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses gerichtet. Dieser Rechtsstreit ist abgeschlossen.

53

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 22. April 2015 - 2 Sa 1305/14 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1973 geborene Kläger war seit Juni 1992 bei dem beklagten Land beschäftigt. Er war als Straßenwärter in der Landesbaubehörde Hessen Mobil - Straßen- und Verkehrsmanagement (Hessen Mobil) tätig und dem Betriebsdezernat W zugeordnet. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung seit dem 1. Januar 2010 der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen (TV-H) Anwendung.

3

Der Kläger wurde ursprünglich in der Autobahnmeisterei R beschäftigt. Nach längeren krankheitsbedingten Fehlzeiten, die er ua. auf Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit seinem Vorgesetzten und Arbeitskollegen zurückführte, wurde ihm von Mai 2008 bis Ende Dezember 2011 - mehrfach befristet und zu Fortbildungszwecken - eine Tätigkeit als Bauaufseher im Innendienst mit Dienstort F übertragen. Zu Beginn des Jahres 2012 wurde er zur Autobahnmeisterei E „umgesetzt“. Dort arbeitete er zwei Tage als Straßenwärter, bevor er erneut arbeitsunfähig erkrankte. Im Anschluss an eine stationäre psychosomatische Behandlung im Frühjahr 2013 wurde er als arbeitsunfähig für die Tätigkeit als Straßenwärter entlassen. Nach einer Untersuchung im Mai 2013 wurde aus arbeitsmedizinischer Sicht empfohlen, ihn nicht mehr als Straßenwärter einzusetzen. Anschließend verwahrte sich der Kläger gegen eine Beschäftigung als Straßenwärter in der Kolonne. Er erklärte, dass er wegen psychischer Belastungen keine weitere Beschäftigung in der Meisterei E wünsche.

4

Mit Bescheid vom 28. Juni 2013 wurde beim Kläger ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt. Auf seinen Antrag vom 8. Juli 2013 und rückwirkend zu diesem Zeitpunkt wurde er durch Bescheid vom 30. April 2014 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

5

Am 24. Juli 2013 fand im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) mit dem Kläger ein Gespräch statt, an dem sechs weitere Personen teilnahmen. Dabei wurde für die Zeit vom 1. bis zum 23. August 2013 eine Wiedereingliederung mit drei bis vier Arbeitsstunden täglich vereinbart. Der Kläger sollte einfache Tätigkeiten in der Geschäftsstelle und im Bereich „Betrieb“ des Standorts D verrichten. Andere Einsatzmöglichkeiten sollten noch geprüft werden.

6

Am 20. August 2013 folgte ein weiteres „bEM-Gespräch“. Die Unterredung wurde im Anschluss an eine Äußerung des Klägers, die von anderen Teilnehmern als Drohung mit Selbstmord und „Amok“ verstanden wurde, unterbrochen. Die Leiterin des Gesprächs wandte sich an den sozialpsychiatrischen Dienst. Auf dessen Anraten rief sie Polizeibeamte herbei, die den Kläger mit seinem Einverständnis in die psychiatrische Ambulanz eines Klinikums brachten. In einer dort am 15. Oktober 2013 ausgestellten fachärztlichen Bescheinigung heißt es:

        

„Hiermit bescheinigen wir, dass Herr [Kläger] sich am 20.08.2013 in unserer psychiatrischen Institutsambulanz vorstellte. Wir diagnostizierten eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (…).

        

Psychisch war der Pat. wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert. Im Kontakt wirkte er zugewandt. Der Gedankengang war formal unauffällig, inhaltlich fokussiert auf die Konflikte am Arbeitsplatz. Die Stimmung war im depressiven Sinne gedrückt, der Antrieb agitiert-unruhig. Er erwähnte auch orthopädische Beschwerden und Schmerzen. Intelligenz und Mnestik waren im Normbereich. Der Pat. konnte sich glaubhaft von jeglichen selbst- oder fremdgefährdenden Tendenzen distanzieren. …“

7

Auf einen am 27. August 2013 eingegangenen Antrag des beklagten Landes teilte das Integrationsamt durch Bescheid vom 11. September 2013 mit, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers gelte als erteilt.

8

Mit Schreiben vom 11. September 2013 kündigte das beklagte Land - nach vorheriger Beteiligung des Personalrats und Unterrichtung der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen - das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund und mit sofortiger Wirkung.

9

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage fristgerecht gegen die Kündigung gewandt. Er hat vorgetragen, er habe in dem zweiten „bEM-Gespräch“ keine Drohung aussprechen wollen. Es sei ihm lediglich darum gegangen, in einem resignierten Zustand sein Befinden zu beschreiben. Unabhängig davon sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

10

Der Kläger hat beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2013 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. das beklagte Land zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen als vollbeschäftigten Angestellten in der Autobahnmeisterei E gemäß der Entgeltgruppe 5, Stufe 6 TV-H weiter zu beschäftigen.

11

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Dem Kläger sei am 20. August 2013 eröffnet worden, dass geeignete Stellen für eine Beschäftigung als Bauaufseher nicht zur Verfügung stünden, während nach dem Ergebnis der arbeitsmedizinischen Untersuchung zumindest ein eingeschränkter Einsatz auf einer Autobahnmeisterei für möglich erachtet werde. Auf die anschließende Erklärung des Klägers, eine Beschäftigung als Straßenwärter sei aufgrund seiner psychischen Verfassung „fast ausgeschlossen“, sei ihm vorgeschlagen worden, über eine berufliche Neuorientierung außerhalb von „Hessen mobil“ nachzudenken. Hierauf habe der Kläger sehr emotional reagiert und in äußerst bedrohlicher Weise sinngemäß geäußert, es bleibe ihm nichts anderes übrig als wieder in eine Meisterei zu gehen. Er könne aber nicht garantieren, dass er nicht wieder krank werde oder sich umbringe oder Amok laufen werde. In diesem Zusammenhang habe er auf seine Mitgliedschaft im Schützenverein und darauf verwiesen, dass er „zum Glück“ „noch nicht“ über einen Waffenschein verfüge. In diesen Äußerungen, von denen er sich auch im weiteren Verlauf des Gesprächs nicht distanziert habe, liege eine erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzung. Der Kläger habe Druck ausüben und erreichen wollen, künftig nicht mehr mit Aufgaben eines Straßenwärters betraut zu werden. Die fristlose Kündigung sei aber auch zum Schutz anderer Beschäftigter geboten gewesen. Vergleichbare Ausfälle des Klägers bei der nächsten gravierenden Unstimmigkeit mit Vorgesetzten seien ebenso wenig auszuschließen gewesen wie eine Verwirklichung der in Aussicht gestellten Gefahren. Dieses Risiko habe die fachärztliche Bescheinigung vom 15. Oktober 2013 nicht auszuschließen vermocht. Das gelte umso mehr, als der Kläger in der Vergangenheit durchaus Selbstgefährdungstendenzen gezeigt habe. Die Beteiligung des Personalrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Soweit der Kläger den Zugang des Anhörungsschreibens beim Personalrat mit Nichtwissen bestritten habe, sei dies unzulässig.

12

Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat ihr das Landesarbeitsgericht entsprochen. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision hat Erfolg. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 11. September 2013 aufgelöst worden ist, steht nicht fest. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

14

I. Das Landesarbeitsgericht durfte mit der von ihm gegebenen Begründung nicht annehmen, ein wichtiger Grund zur Kündigung iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H, § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor.

15

1. Der Kläger erfüllte im Zeitpunkt der Kündigung die Voraussetzungen für den tariflichen Sonderkündigungsschutz gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H. Nach dieser Bestimmung konnte das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund des Lebensalters des Klägers von über 40 Jahren und seiner 15 Jahre übersteigenden Beschäftigungszeit nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

16

2. Mit dem Begriff „wichtiger Grund“ knüpft die tarifvertragliche Bestimmung an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an. Deren Verständnis ist deshalb auch für die Auslegung der Tarifnorm maßgebend (vgl. BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 19).

17

3. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 20).

18

4. Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegt auch im Verhältnis zu einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ordentlich nicht gekündigt werden kann, dann vor, wenn es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach einem insoweit anzulegenden objektiven Maßstab nicht zuzumuten ist, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. In diesem Fall wäre eine außerordentliche Kündigung auch dann gerechtfertigt, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen wäre (BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 42).

19

5. Dem Berufungsgericht kommt bei der vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird nur darauf überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 18; zu den in die Interessenabwägung regelmäßig einzubeziehenden Gesichtspunkten BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46, BAGE 153, 111).

20

6. Dieser eingeschränkten Überprüfung halten die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

21

a) Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines wichtigen Grundes „an sich“ unterstellt und angenommen, dem beklagten Land sei es im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung jedenfalls zuzumuten gewesen, die (fiktive) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Die „Amokdrohung“ sei, soweit sie in der behaupteten Weise geäußert worden sein sollte, in der „geschützten“ Situation eines bEM erfolgt. In einem solchen Klärungsprozess solle sich der Arbeitnehmer öffnen und in die Suche nach Möglichkeiten zur Überwindung seiner Arbeitsunfähigkeit einbringen. Hingegen solle er aufgrund des Verlaufs des bEM nicht - zumindest nicht ohne Weiteres - um den Bestand seines Arbeitsverhältnisses fürchten müssen. Hier habe sich der Kläger in dem zweiten „bEM-Gespräch“ in einer emotional hoch belasteten Situation befunden. Ihm sei offenbart worden, dass Beschäftigungsmöglichkeiten in einem anderen Arbeitsbereich nicht bestünden, und dass er deshalb weiterhin als Straßenwärter in einer Straßenmeisterei eingesetzt werden solle, obwohl ärztliche Empfehlungen dies ausgeschlossen hätten. Unter diesen besonderen Umständen könne eine allenfalls im „Augenblicksversagen“ erfolgte Androhung eines Amoklaufs die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht begründen. Das gelte umso mehr angesichts der über zwanzigjährigen Beschäftigungsdauer des Klägers und seiner massiven gesundheitlichen Probleme. Auch habe sich die behauptete Drohung ausweislich der fachärztlichen Bescheinigung vom 15. Oktober 2013 „letztlich“ nicht als glaubhaft erwiesen.

22

b) Diese Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil sie nicht erkennen lässt, dass alle wesentlichen Aspekte des unterbreiteten Kündigungssachverhalts berücksichtigt wurden. Das Landesarbeitsgericht befasst sich ausschließlich mit der behaupteten Drohung mit „Amok“. Seinen Ausführungen ist nicht zu entnehmen, dass es auch die vermeintliche Drohung mit „Suizid“ und die Ankündigung einer erneuten Erkrankung berücksichtigt hat. Zudem ist nicht ersichtlich, ob und ggf. wie es die Behauptung des beklagten Landes gewürdigt hat, der Kläger habe mit seinen Äußerungen Druck aufbauen wollen, um die Zuweisung von Aufgaben aus dem Tätigkeitsspektrum eines Straßenwärters zu verhindern. Das verletzt § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H(iVm. § 626 Abs. 1 BGB).

23

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zwar im Ausgangspunkt, wie auch seine fallübergreifenden Ausführungen belegen, zutreffend davon aus, dass eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben des Arbeitgebers, von Vorgesetzen und/oder Arbeitskollegen, für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreift, „an sich“ als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht kommt(vgl. LAG Berlin 3. März 2006 - 13 Sa 1906/05 -; APS/Vossen 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 231 mwN). In einem solchen Verhalten liegt eine massive Störung oder jedenfalls konkrete Gefährdung des Betriebsfriedens. Es stellt, ohne dass es auf seine Strafbarkeit nach § 241 StGB ankäme, eine erhebliche Verletzung der sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebenden, den Arbeitnehmer auch während der Durchführung eines Wiedereingliederungsverhältnisses treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Das gilt unabhängig davon, ob das Verhalten des Arbeitnehmers auf die Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs zielt.

24

bb) Allerdings kann eine solche Intention das Gewicht der Bedrohung weiter verstärken. Auch muss der Arbeitgeber es nicht hinnehmen, dass der Arbeitnehmer darauf ausgeht, ihn mit der unverhohlenen Ankündigung eines Suizids zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu bestimmen. Schließlich kann in der Ankündigung einer zukünftigen Erkrankung ein Grund zur - ggf. fristlosen - Kündigung liegen, wenn die Äußerung die Bereitschaft des Arbeitnehmers zum Ausdruck bringt, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen (BAG 12. März 2009 - 2 AZR 251/07 - Rn. 22). Wie die Revision mit Recht rügt, durfte das Landesarbeitsgericht die fristlose Kündigung nicht für unwirksam erachten, ohne sich mit diesen nach dem Vorbringen des beklagten Landes in Betracht kommenden, teils erschwerenden, teils selbständig als Kündigungsgrund zu würdigenden Gesichtspunkten auseinanderzusetzen.

25

c) Aber auch soweit das Landesarbeitsgericht die „Amokdrohung“ als solche in den Blick genommen hat, ist seine Würdigung nicht rechtsfehlerfrei.

26

aa) Das betrifft zunächst die Annahme, die Drohung habe sich „letztlich“ als „nicht glaubhaft“ erwiesen. Damit hat das Landesarbeitsgericht keinen Sachverhalt festgestellt, der die Ernstlichkeit der Drohung ausschließt.

27

(1) Eine erhebliche Pflichtverletzung in Gestalt einer ernstlichen Drohung liegt vor, wenn die Äußerung nach ihrem sorgfältig zu ermittelnden Erklärungsgehalt objektiv geeignet ist, bei einem „normal“ empfindenden Menschen den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken, und der Wille des Drohenden darauf gerichtet ist, dass der Adressat die Drohung ernst nimmt. Nicht entscheidend ist, ob der Drohende seine Ankündigung verwirklichen kann oder will. Ebenso wenig kommt es grundsätzlich darauf an, ob der Adressat sie tatsächlich ernst nimmt, und ob eine Störung des Rechtsfriedens eintritt (zur strafrechtlichen Beurteilung vgl. BVerfG 19. Dezember 1994 - 2 BvR 1146/94 - zu III 3 der Gründe; Eser/Eisele in Schönke/Schröder StGB 29. Aufl. Vorbem. §§ 234 ff., Rn. 33).

28

(2) Die knappe Begründung des Landesarbeitsgerichts lässt nicht erkennen, dass seine Würdigung auf diesen Maßstäben aufbaut. Jedenfalls bezieht seine tatrichterliche Beurteilung nicht alle fallrelevanten Gesichtspunkte ein, was § 286 ZPO verletzt. Weder eine besondere emotionale Belastung des Klägers noch die ihm von ärztlicher Seite bescheinigte „glaubhafte“ Distanzierung von selbst- und fremdgefährdenden Tendenzen im Anschluss an das zweite „bEM-Gespräch“ schließen es aus, die behaupteten Äußerungen ihrem objektiven Erklärungsgehalt nach als geeignet anzusehen, den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken. Gemäß dem Vorbringen des beklagten Landes hat der Kläger die Drohung in klarer und bestimmter Weise vorgetragen, in ihrem Zusammenhang auf seine Mitgliedschaft in einem Schützenverein verwiesen, und sich auch nach einer Phase der Beruhigung nicht von seinen Äußerungen distanziert, sondern diese im Raum stehen lassen. Mit dem Indizwert dieser behaupteten Umstände, die sowohl die Ernstlichkeit der Drohung im dargestellten Sinne als auch die Steuerbarkeit des Verhaltens des Klägers nahe legen, hat sich das Landesarbeitsgericht nicht befasst.

29

bb) Die tatrichterliche Beurteilung, die „Amokdrohung“ beruhe auf einem Augenblicksversagen des Klägers, überzeugt ebenso wenig. Zwar hat das Berufungsgericht den aus dem Schadensrecht stammenden Ausdruck (zum dortigen Verständnis BGH 10. Mai 2011 - VI ZR 196/10 - Rn. 12) erkennbar in einem übertragenen Sinne gebraucht. Es hat aber nicht dargestellt, aus welchen konkreten Umständen es das „Augenblicksversagen“, von dem allenfalls bei einmaligen, dem Arbeitnehmer wesensfremden Pflichtverletzungen ausgegangen werden kann (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 27, BAGE 150, 109), ableiten will. Vor diesem Hintergrund ist nicht feststellbar, ob seiner Entscheidung ein zutreffendes Begriffsverständnis zugrunde liegt. Soweit es seine Beurteilung auf die festgestellte emotionale Belastung des Klägers gestützt haben sollte, griffe sie unter Berücksichtigung des Vorbringens des beklagten Landes zum Verhalten des Klägers während und nach den Äußerungen zu kurz. Zudem hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen über das „Wesen“ des Klägers getroffen.

30

cc) Darüber hinaus finden die Ausführungen zum „bEM“ als einer besonders „geschützten“ Situation im Gesetz keine Stütze. Die Teilnahme des Arbeitnehmers an einem bEM ist kein Gesichtspunkt, der sein Bestandsschutzinteresse generell steigert oder das Gewicht von Pflichtverletzungen der in Rede stehenden Art per se mindert. Darauf zielt die Würdigung des Landesarbeitsgerichts bei sachgerechtem Verständnis aber im Ergebnis ab.

31

(1) Das in § 84 Abs. 2 SGB IX nur rahmenmäßig geregelte bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 30, BAGE 150, 117). Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern (BAG 22. März 2016 - 1 ABR 14/14 - Rn. 10, BAGE 154, 329).

32

(2) Der Suchprozess ist, auch wenn er einem „üblichen“ Personalgespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht gleich steht, kein außerdienstlicher Vorgang. Es handelt sich um ein Instrument der betrieblichen Prävention (BGBl. I S. 1394; BT-Drs. 14/3372 S. 16). Seine Realisierung gehört zu den gesetzlichen Pflichten des Arbeitgebers auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, die das Arbeitsverhältnis gestalten (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 38, BAGE 140, 350).

33

(3) Für die Sichtweise des Landesarbeitsgerichts lässt sich aus den Zwecken des bEM nichts gewinnen.

34

(a) Zwar hängt der Erfolg des bEM in hohem Maße von der Bereitschaft des Betroffenen ab, sich für die Suche nach zielführenden Möglichkeiten zur Klärung seiner Arbeitsunfähigkeit zu öffnen und sich aktiv in den Klärungsprozess einzubringen. Da der Arbeitnehmer einerseits nicht verpflichtet ist, dem Arbeitgeber die Gründe für seine Fehlzeiten mitzuteilen, andererseits die Suche nach etwaigen Lösungsmöglichkeiten ohne die Kenntnis dieser Gründe regelmäßig nicht zielorientiert durchgeführt werden kann, kommt der Akzeptanz des bEM durch den Betroffenen eine besondere Bedeutung zu.

35

(b) Diesem Gesichtspunkt trägt aber maßgeblich das in § 84 Abs. 2 SGB IX bestimmte Zustimmungserfordernis Rechnung. Es gewährleistet, dass die Klärung des Gesundheitszustands aus Sicht des Betroffenen ausschließlich freiwillig erfolgt, und er sich dem Suchprozess ohne Angabe von Gründen zu jeder Zeit wieder entziehen kann (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 22, BAGE 140, 350). Zudem besteht nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer vorab auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Der Hinweis erfordert die Klarstellung, dass nur solche Daten erhoben und ggf. genutzt werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um einen zielführenden, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienenden Suchprozess durchführen zu können (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32, BAGE 150, 117; zur Hinweispflicht BVerwG 4. September 2012 - 6 P 5/11 - Rn. 36, BVerwGE 144, 156). Er verhindert zum einen, dass der Arbeitnehmer aus bloßer Unkenntnis über die Ziele des bEM und den Schutz von persönlichen Daten, die seine Gesundheit betreffen, seine Zustimmung zu dem Prozess verweigert (Schmidt Gestaltung und Durchführung des BEM S. 21). Zum anderen verdeutlicht der Hinweis die Bedeutung eines wirksamen und sorgfältig gehandhabten, außerhalb von § 84 Abs. 2 SGB IX gewährleisteten Schutzes der Gesundheitsdaten des Arbeitnehmers für die Akzeptanz des bEM(im Ergebnis ebenso Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 90; Schmidt Gestaltung und Durchführung des BEM S. 25 ff.).

36

(c) Die Zuerkennung eines generell gesteigerten kündigungsrechtlichen Bestandsschutzinteresses insbesondere hinsichtlich eines möglichen vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers ist zur Verwirklichung der Zwecke des bEM nicht geboten. Sie liefe ihnen vielmehr zuwider. Es liegt im Wesen des bEM, dass die Suche nach Möglichkeiten der Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeitszeiten im Rahmen eines fairen und sachorientierten Gesprächs erfolgt (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18). Der gesetzlich zur Durchführung des bEM verpflichtete Arbeitgeber darf berechtigterweise erwarten, dass auch der Arbeitnehmer sein Verhalten hieran ausrichtet und insbesondere nicht darauf ausgeht, mit widerrechtlichen Drohungen das Ergebnis des Suchprozesses für ihn positiv zu beeinflussen.

37

(4) Das schließt es zwar nicht aus, im Rahmen der Interessenabwägung den Verlauf des konkreten „bEM-Gesprächs“ in die Gewichtung der Pflichtverletzung einzubeziehen. Darauf hat sich das Landesarbeitsgericht aber nicht beschränkt.

38

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht iSd. § 561 ZPO aus anderen Gründen als richtig dar. Sie unterliegt daher der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen, ob die außerordentliche fristlose Kündigung wirksam ist. Die Sache ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

39

1. Es steht nicht fest, ob aufgrund des behaupteten Verhaltens des Klägers ein wichtiger Grund iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H, § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.

40

a) Die dem Kläger vorgeworfenen Drohungen sind „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen, sofern sie als ernstlich zu beurteilen sind. Ob diese letztgenannte Voraussetzung erfüllt ist, hängt von einer umfassenden Würdigung des Beweiswerts der insoweit vorgetragenen Indiztatsachen (klare und bestimmte Äußerung der Drohungen, unterbliebene Distanzierung oder Entschuldigung nach einer Phase der Beruhigung) ab, die dem Landesarbeitsgericht vorbehalten ist. Überdies ist der insoweit vorgetragene Sachverhalt in Teilen streitig und bedarf der Sachaufklärung. Eine Interessenabwägung zugunsten des Klägers oder des beklagten Landes scheidet aus, da der maßgebliche Kündigungssachverhalt nicht feststeht.

41

b) Das Landesarbeitsgericht ist nicht gehindert, seiner Entscheidung Feststellungen zum Inhalt der umstrittenen Äußerungen und des Verlaufs des „bEM-Gesprächs“ vom 20. August 2013, die das Arbeitsgericht aufgrund einer erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme getroffen hat, zugrunde zu legen oder - soweit unter den Voraussetzungen des § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO geboten - die umstrittenen Tatsachen zum Gegenstand einer eigenen Beweisaufnahme zu machen und deren Ergebnisse zu verwerten. Ein dahingehendes Verbot, das sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nur aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts - etwa von § 138 Abs. 3 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO oder von § 286, § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO - ergeben kann(zu den Einzelheiten vgl. BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 18, BAGE 157, 69), könnte im Streitfall allenfalls in Betracht kommen, wenn hinsichtlich der Erlangung von Informationen über das Verhalten des Klägers im Prozess des bEM oder deren Heranziehung als Kündigungsgrund eine Verletzung des Rechts des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung seines durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts(vgl. auch Art. 8 Abs. 1 EMRK) vorläge. Dies ist indes nicht der Fall.

42

aa) Das Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG garantiert dem Einzelnen die Befugnis, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu befinden(BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378; BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 26). Die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und der Datenschutzgesetze der Länder über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung - hier das Hessische Datenschutzgesetz (HDSG) - konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des jeweiligen Gesetzes Eingriffe durch öffentliche und nichtöffentliche Stellen iSd. § 1 Abs. 2 BDSG bzw. § 3 Abs. 1 HDSG zulässig sind. Dabei gibt es für die Verwendung von Gesundheitsdaten personenbezogener Art (sensitive Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG, § 7 Abs. 4 HDSG) spezielle Regelungen (§ 28 VI ff. BDSG bzw. § 7 Abs. 4 iVm. § 34 HDSG).

43

bb) Der vorliegende Sachverhalt ist an den Bestimmungen des HDSG zu messen. Das BDSG gilt nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BDSG für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen der Länder nur insoweit als der Datenschutz nicht durch Landesgesetz geregelt ist. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Der Datenschutz für öffentliche Stellen des Landes Hessen und betreffend Personen, die zu ihm in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist im HDSG geregelt.

44

cc) § 34 HDSG regelt bereichsspezifisch den Datenschutz bei Dienst- und Arbeitsverhältnissen. Nach Abs. 1 Satz 2 der Norm darf der Arbeitgeber Daten seiner Arbeitnehmer nur verarbeiten, wenn dies zur Eingehung, Durchführung, Beendigung oder Abwicklung eines Arbeitsverhältnisses erforderlich ist oder eine Rechtsvorschrift, ein Tarifvertrag oder eine Dienstvereinbarung es vorsieht. Personenbezogene Daten sind Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (§ 2 Abs. 1 HDSG). Datenverarbeitung im Sinne des Gesetzes ist jede Verwendung gespeicherter oder zur Speicherung vorgesehener personenbezogener Daten (§ 2 Abs. 2 HDSG)einschließlich ihrer Erhebung, wobei als Datenträger iSv. § 2 Abs. 2 Nr. 2 HDSG jedes Material - auch Papier - anzusehen ist(Nungesser HDSG 2. Aufl. § 2 Rn. 24, 45). Nach § 7 Abs. 4 HDSG ist - vorbehaltlich einer zweifelsfreien Einwilligung des Betroffenen(§ 7 Abs. 1 Nr. 3 HDSG) - die Verarbeitung personenbezogener Daten über die Gesundheit, soweit nicht eine Rechtsvorschrift deren Verarbeitung vorsieht oder zwingend voraussetzt, nur nach §§ 33 bis 35 und § 39 HDSG zulässig.

45

dd) Hiervon ausgehend ist ein unrechtmäßiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht zu erkennen.

46

(1) Zwar ist der Begriff der personenbezogenen Daten in § 2 Abs. 1 HDSG grundsätzlich weit zu verstehen. Er kann auch Angaben über konkrete mündliche oder schriftliche Aussagen eines Betroffenen oder Darstellungen seines privaten oder dienstlichen Verhaltens erfassen (vgl. BGH 23. Juni 2009 - VI ZR 196/08 - Rn. 17, BGHZ 181, 328).

47

(2) Das beklagte Land hat die fraglichen „Daten“ beim Kläger aber nicht iSv. § 2 Abs. 2 Nr. 1 BDSG erhoben. Dieser hat die vermeintlichen Drohungen von sich aus erklärt. Es gibt nach dem bisherigen Sach- und Streitstand keinen Anhaltspunkt dafür, dass es Ziel des bEM oder der Anwesenheit der weiteren Gesprächsteilnehmer gewesen wäre, die Möglichkeit der Wahrnehmung von Äußerungen des behaupteten Inhalts zu eröffnen. Ein als „Erheben“ bezeichnetes Beschaffen von Daten über den Kläger liegt damit nicht vor. Dieses setzt eine auf die Gewinnung von Daten über den Betroffenen abzielende Handlung voraus (zur inhaltsgleichen Regelung in § 3 Abs. 3 BDSG vgl. Dammann in Simitis BDSG 8. Aufl. § 3 Rn. 102 ff.).

48

(3) Es kann unterstellt werden, dass es sich bei der weiteren Verwendung der Äußerungen des Klägers um Datenverarbeitung iSv. § 2 Abs. 2 HDSG handelte. Diese war jedenfalls für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien erforderlich iSv. § 34 Abs. 1 Satz 1 HDSG.

49

(a) Erforderlichkeit iSd. § 34 Abs. 1 Satz 1 HDSG setzt ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Verwendung der Daten voraus, das aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis herrühren muss. Es muss ein Zusammenhang mit der Erfüllung der vom Arbeitnehmer geschuldeten vertraglichen Leistung, seiner sonstigen Pflichtenbindung oder mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers bestehen. Die Datenverwendung darf ferner keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen. Sie muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Greift eine Maßnahme in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ein, muss der Eingriff einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten. Dieser verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (zu § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG vgl. BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 30).

50

(b) Diese Voraussetzungen sind, unterstellt der Kläger hätte im Rahmen des bEM willentlich ernstliche Drohungen ausgesprochen, um das beklagte Land dazu zu bewegen, ihm keine Aufgaben aus dem Tätigkeitsbereich eines Straßenmeisters zuzuweisen, gegeben. In einem solchen Verhalten läge eine schwerwiegende Verletzung seiner vertraglichen Rücksichtnahmepflicht. Überwiegende schutzwürdige Belange des Klägers stünden der Berücksichtigung der in Rede stehenden Äußerungen zur Begründung einer auf sein Verhalten gestützten Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht entgegen. Insbesondere griff die Informationsgewinnung nicht in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ein. Die unterstellte weitere Datenverarbeitung genügt auch den Anforderungen, die sich aus den - in § 13 HDSG kodifizierten - Grundsätzen der Zweckbindung und Zweckänderung(dazu BVerfG 20. April 2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1 BvR 1140/09 - Rn. 276 ff., BVerfGE 141, 220) ergeben. Nichts anderes gilt für eine sich mittelbar aus § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ergebende Zweckbindung. Bei den fraglichen Äußerungen handelte es sich nicht um (Gesundheits-)Daten, die der Durchführung des bEM dienten. Ihre mögliche Speicherung wäre zumindest auch zur Weiterverwendung der Daten bei der Durchführung und/oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien erfolgt und hätte damit keinen anderen Zwecken gedient als die betreffende Datenverarbeitung selbst.

51

c) Soweit das beklagte Land die Kündigung (auch) darauf stützt, sie sei wegen der vom Kläger objektiv ausgehenden Gefahr für das Leben oder die Gesundheit seiner Repräsentanten und anderer Beschäftigter selbst dann berechtigt, wenn anzunehmen sein sollte, er habe im Rahmen des bEM keine Drohungen aussprechen, sondern seiner psychischen Verfassung Ausdruck verleihen wollen, vermag dies für sich genommen eine außerordentliche Kündigung iSd. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H(iVm. § 626 Abs. 1 BGB) nicht zu rechtfertigen.

52

aa) Das fragliche Vorbringen knüpft an die Möglichkeit einer Verwirklichung der vom Kläger ausgesprochenen „Amokdrohung“ an. Für deren Annahme reicht es, anders als das beklagte Land meint, nicht aus, auf das subjektive Empfinden der am „bEM-Gespräch“ beteiligten Personen und den - umstrittenen - Hinweis des Klägers auf seine Mitgliedschaft in einem Schützenverein sowie die daraus resultierende hypothetische Möglichkeit abzustellen, an Schusswaffen zu gelangen. Schon weil nicht jede Ankündigung eines Amoklaufs notwendig umgesetzt wird oder auch nur umgesetzt werden soll, bedarf es, um das Risiko ihrer Realisierung einzuschätzen, neben der Einbeziehung der konkreten Vorstellungen des Arbeitnehmers im Zeitpunkt der Äußerungen zumindest der Berücksichtigung greifbarer medizinischer Begutachtungen.

53

bb) Im Streitfall fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten, die zu einer im Kündigungszeitpunkt anzustellenden Prognose berechtigten, die Weiterbeschäftigung des Klägers berge objektiv ein entsprechendes Risikopotential. Im Gegenteil hatte - unstreitig - die bereits am Tag des zweiten „bEM-Gesprächs“ durchgeführte Untersuchung des Klägers in der psychiatrischen Ambulanz eines Klinikums zu dem Befund geführt, dass er sich von jeglichen selbst- und fremdgefährdenden Tendenzen glaubhaft hat distanzieren können. Das beklagte Land hat nicht behauptet, medizinische Voruntersuchungen des Klägers hätten zu einer abweichenden Einschätzung geführt. Soweit es auf einen vom Kläger - soweit ersichtlich unstreitig - in der Vergangenheit unternommen Selbstmordversuch verwiesen hat, hat es jedenfalls nicht geltend gemacht, nach medizinischen Erkenntnissen liege darin zugleich eine Erweiterung des Risikopotentials hinsichtlich möglicher Fremdgefährdungen.

54

2. Der Rechtsstreit ist nicht aus anderen Gründen entscheidungsreif. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, die außerordentliche fristlose Kündigung sei unabhängig vom Vorliegen eines wichtigen Grundes iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H iVm. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.

55

a) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers, der rückwirkend auf einen Zeitpunkt vor Zugang der Kündigung einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wurde, ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht nach § 91 Abs. 1 iVm. § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB nichtig. Das beklagte Land hat die Zustimmung des Integrationsamts bei diesem am 27. August 2013 eingehend und damit innerhalb der Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX beantragt. Da das Integrationsamt binnen der bestehenden zweiwöchigen Frist (§ 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX) eine Entscheidung nicht getroffen hatte, galt die Zustimmung mit Ablauf des 10. September 2013 als erteilt. Das beklagte Land hat die Kündigung mit Schreiben vom 11. September 2013 erklärt. Dies war - vorbehaltlich eines zeitnahen Zugangs - unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX. Auf dieser Grundlage ist zugleich die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.

56

b) Die außerordentliche fristlose Kündigung des beklagten Landes ist, ausgehend von dem insoweit schlüssigen Vorbringen des beklagten Landes, nicht nach § 78 Abs. 2 HPVG iVm. § 108 Abs. 2 BPersVG unwirksam. Dieses hat dargetan, es habe den Personalrat mit Schreiben vom 26. August 2013, das inhaltlich dem insoweit maßgeblichen Grundsatz der subjektiven Determinierung (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 63) genügt, zu einer entsprechenden Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien angehört, und der Personalrat habe Bedenken nicht erhoben. Unschädlich ist, dass die Beteiligung vor Einleitung bzw. Abschluss des Zustimmungsverfahrens beim Integrationsamt erfolgte (vgl. BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 21, BAGE 140, 47). Ob der Kläger - wie geschehen - den Zugang des Anhörungsschreibens beim Personalrat am 26. August 2013 ausreichend mit Nichtwissen bestritten hat, kann bezweifelt werden. Die abschließende Beurteilung ist dem Landesarbeitsgericht vorzubehalten, das ggf. den Umfang der erhobenen Rüge zu klären haben wird.

57

c) Auf eine Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen hat sich der Kläger - soweit ersichtlich - nicht berufen.

58

3. Im Rahmen der danach gebotenen Zurückverweisung, die auch den - nur für den Fall seines Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag zu bescheidenden - Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung erfasst, wird das Landesarbeitsgericht die erforderlichen Feststellungen nachzuholen und auf dieser Grundlage neu zu bewerten haben, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11. September 2013 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Für das weitere Verfahren weist der Senat lediglich auf Folgendes hin:

59

a) Seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht - vorbehaltlich neuen Sachvortrags der Parteien - die vom Arbeitsgericht nach Beweisaufnahme festgestellten Tatsachen und die darauf bezogene tatrichterliche Würdigung über den Ablauf des Gesprächs am 20. August 2013 zugrunde zu legen haben. Diese sind weder offensichtlich rechtsfehlerhaft noch hat der Kläger in der Berufungsbegründung dagegen durchgreifende Rügen (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO) erhoben.

60

aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ZPO muss das Berufungsgericht - vorbehaltlich der Berücksichtigung von zulässigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln(§ 67 ArbGG) - seiner Entscheidung grundsätzlich die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen zugrunde legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Soweit die Wiederholung einer erstinstanzlich bereits durchgeführten Beweisaufnahme im Ermessen des Berufungsgerichts steht, ist dieses im Rahmen der Fehlerbehebung in der Regel auf Null reduziert. Im Fall des Zeugenbeweises setzt eine neue Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht zumindest in aller Regel eine erneute Vernehmung voraus. Insbesondere muss es einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen, wenn es dessen Aussage „anders würdigen“ bzw. „anders verstehen oder werten“ will als die Vorinstanz (BVerfG 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14 - Rn. 55; 14. September 2010 - 2 BvR 2638/09 - Rn. 14 ).

61

bb) Eine erneute Vernehmung kann allenfalls dann unterbleiben, wenn das Berufungsgericht seine abweichende Würdigung auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen. Auch im Hinblick auf objektive Umstände, die bei der Beweiswürdigung eine Rolle spielen können und von der ersten Instanz nicht beachtet worden sind, darf das Berufungsgericht nicht ohne erneute Vernehmung des Zeugen und abweichend von der Vorinstanz zu dem Ergebnis gelangen, dass der Zeuge in einem prozessentscheidenden Punkt mangels Urteilsfähigkeit, Erinnerungsvermögens oder Wahrheitsliebe objektiv die Unwahrheit gesagt hat (BVerfG 14. September 2010 - 2 BvR 2638/09 - Rn. 14).

62

cc) Die konkreten Anhaltspunkte, die aus Sicht des Berufungsgerichts Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Tatsachenfeststellung gebieten, sind - sofern nicht offensichtlich - im Berufungsurteil anzugeben.

63

b) Soweit es für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung auf eine iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmende Interessenabwägung ankommt, wird das Landesarbeitsgericht weiterhin zugunsten des Klägers dessen lange Beschäftigungsdauer berücksichtigen können. Diesbezüglich hat das beklagte Land Rügen nicht erhoben. Es gibt auch objektiv keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beanstandungsfrei verlaufen wäre.

64

c) Auch wird das Landesarbeitsgericht bei unverändertem Sach- und Streitstand weiterhin davon ausgehen können, dass im Zeitpunkt des zweiten „bEM-Gesprächs“ von amtsärztlicher Seite Vorbehalte gegen einen Einsatz des Klägers als Straßenwärter in einer Straßenmeisterei bestanden. Ebenso wird es annehmen können, dass der Kläger sich angesichts eines ihm eröffneten Vorhabens, ihn - bei sachgerechtem Verständnis frühestens nach Durchführung des verabredeten Wiedereingliederungsverhältnisses - wieder mit Aufgaben eines Straßenmeisters zu betrauen, in einer „emotional hoch belasteten Situation“ befand. Die Rüge des beklagten Landes, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die arbeitsmedizinische Empfehlung vom 6. Mai 2013 eine leidensgerechte Beschäftigung des Klägers als Straßenwärter unter Beachtung gewisser Einschränkungen nicht ausschließe, kann nicht durchgreifen. Für seine Behauptung gibt das zur Gerichtsakte gereichte Attest nichts her. Allerdings wird bei neuerlicher Interessenabwägung sorgfältig zu prüfen sein, ob die emotionale Belastung des Klägers die Drohungen unter Berücksichtigung des noch festzustellenden Inhalts der Äußerungen und des Verlaufs des zweiten „bEM-Gesprächs“ tatsächlich in einem milderen Licht erscheinen lässt.

65

d) Sollte das Landesarbeitsgericht erneut zu dem Ergebnis gelangen, dem beklagten Land sei es jedenfalls zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der (fiktiven) Frist für eine ordentliche Kündigung fortzusetzen, wird es zu prüfen haben, ob eine Umdeutung in eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist in Betracht kommt, insbesondere ob die dafür erforderlichen personalvertretungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben sind (zum grundsätzlichen Erfordernis, die Beteiligung wie bei einer ordentlichen Kündigung durchzuführen BAG 18. Oktober 2000 - 2 AZR 627/99 - zu III der Gründe, BAGE 96, 65). Eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung kommt, wie das Landesarbeitsgericht im Berufungsurteil zutreffend ausgeführt hat, schon deshalb nicht in Betracht, da eine solche Kündigung nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H tarifvertraglich ausgeschlossen war.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Koltze    

        

    Gerschermann    

                 

(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

(2) Die Leistungen umfassen auch eine notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung.

(3) Soweit es im Einzelfall erforderlich ist, werden Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht.

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 22. April 2015 - 2 Sa 1305/14 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1973 geborene Kläger war seit Juni 1992 bei dem beklagten Land beschäftigt. Er war als Straßenwärter in der Landesbaubehörde Hessen Mobil - Straßen- und Verkehrsmanagement (Hessen Mobil) tätig und dem Betriebsdezernat W zugeordnet. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung seit dem 1. Januar 2010 der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen (TV-H) Anwendung.

3

Der Kläger wurde ursprünglich in der Autobahnmeisterei R beschäftigt. Nach längeren krankheitsbedingten Fehlzeiten, die er ua. auf Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit seinem Vorgesetzten und Arbeitskollegen zurückführte, wurde ihm von Mai 2008 bis Ende Dezember 2011 - mehrfach befristet und zu Fortbildungszwecken - eine Tätigkeit als Bauaufseher im Innendienst mit Dienstort F übertragen. Zu Beginn des Jahres 2012 wurde er zur Autobahnmeisterei E „umgesetzt“. Dort arbeitete er zwei Tage als Straßenwärter, bevor er erneut arbeitsunfähig erkrankte. Im Anschluss an eine stationäre psychosomatische Behandlung im Frühjahr 2013 wurde er als arbeitsunfähig für die Tätigkeit als Straßenwärter entlassen. Nach einer Untersuchung im Mai 2013 wurde aus arbeitsmedizinischer Sicht empfohlen, ihn nicht mehr als Straßenwärter einzusetzen. Anschließend verwahrte sich der Kläger gegen eine Beschäftigung als Straßenwärter in der Kolonne. Er erklärte, dass er wegen psychischer Belastungen keine weitere Beschäftigung in der Meisterei E wünsche.

4

Mit Bescheid vom 28. Juni 2013 wurde beim Kläger ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt. Auf seinen Antrag vom 8. Juli 2013 und rückwirkend zu diesem Zeitpunkt wurde er durch Bescheid vom 30. April 2014 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

5

Am 24. Juli 2013 fand im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) mit dem Kläger ein Gespräch statt, an dem sechs weitere Personen teilnahmen. Dabei wurde für die Zeit vom 1. bis zum 23. August 2013 eine Wiedereingliederung mit drei bis vier Arbeitsstunden täglich vereinbart. Der Kläger sollte einfache Tätigkeiten in der Geschäftsstelle und im Bereich „Betrieb“ des Standorts D verrichten. Andere Einsatzmöglichkeiten sollten noch geprüft werden.

6

Am 20. August 2013 folgte ein weiteres „bEM-Gespräch“. Die Unterredung wurde im Anschluss an eine Äußerung des Klägers, die von anderen Teilnehmern als Drohung mit Selbstmord und „Amok“ verstanden wurde, unterbrochen. Die Leiterin des Gesprächs wandte sich an den sozialpsychiatrischen Dienst. Auf dessen Anraten rief sie Polizeibeamte herbei, die den Kläger mit seinem Einverständnis in die psychiatrische Ambulanz eines Klinikums brachten. In einer dort am 15. Oktober 2013 ausgestellten fachärztlichen Bescheinigung heißt es:

        

„Hiermit bescheinigen wir, dass Herr [Kläger] sich am 20.08.2013 in unserer psychiatrischen Institutsambulanz vorstellte. Wir diagnostizierten eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (…).

        

Psychisch war der Pat. wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert. Im Kontakt wirkte er zugewandt. Der Gedankengang war formal unauffällig, inhaltlich fokussiert auf die Konflikte am Arbeitsplatz. Die Stimmung war im depressiven Sinne gedrückt, der Antrieb agitiert-unruhig. Er erwähnte auch orthopädische Beschwerden und Schmerzen. Intelligenz und Mnestik waren im Normbereich. Der Pat. konnte sich glaubhaft von jeglichen selbst- oder fremdgefährdenden Tendenzen distanzieren. …“

7

Auf einen am 27. August 2013 eingegangenen Antrag des beklagten Landes teilte das Integrationsamt durch Bescheid vom 11. September 2013 mit, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers gelte als erteilt.

8

Mit Schreiben vom 11. September 2013 kündigte das beklagte Land - nach vorheriger Beteiligung des Personalrats und Unterrichtung der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen - das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund und mit sofortiger Wirkung.

9

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage fristgerecht gegen die Kündigung gewandt. Er hat vorgetragen, er habe in dem zweiten „bEM-Gespräch“ keine Drohung aussprechen wollen. Es sei ihm lediglich darum gegangen, in einem resignierten Zustand sein Befinden zu beschreiben. Unabhängig davon sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

10

Der Kläger hat beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2013 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. das beklagte Land zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen als vollbeschäftigten Angestellten in der Autobahnmeisterei E gemäß der Entgeltgruppe 5, Stufe 6 TV-H weiter zu beschäftigen.

11

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Dem Kläger sei am 20. August 2013 eröffnet worden, dass geeignete Stellen für eine Beschäftigung als Bauaufseher nicht zur Verfügung stünden, während nach dem Ergebnis der arbeitsmedizinischen Untersuchung zumindest ein eingeschränkter Einsatz auf einer Autobahnmeisterei für möglich erachtet werde. Auf die anschließende Erklärung des Klägers, eine Beschäftigung als Straßenwärter sei aufgrund seiner psychischen Verfassung „fast ausgeschlossen“, sei ihm vorgeschlagen worden, über eine berufliche Neuorientierung außerhalb von „Hessen mobil“ nachzudenken. Hierauf habe der Kläger sehr emotional reagiert und in äußerst bedrohlicher Weise sinngemäß geäußert, es bleibe ihm nichts anderes übrig als wieder in eine Meisterei zu gehen. Er könne aber nicht garantieren, dass er nicht wieder krank werde oder sich umbringe oder Amok laufen werde. In diesem Zusammenhang habe er auf seine Mitgliedschaft im Schützenverein und darauf verwiesen, dass er „zum Glück“ „noch nicht“ über einen Waffenschein verfüge. In diesen Äußerungen, von denen er sich auch im weiteren Verlauf des Gesprächs nicht distanziert habe, liege eine erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzung. Der Kläger habe Druck ausüben und erreichen wollen, künftig nicht mehr mit Aufgaben eines Straßenwärters betraut zu werden. Die fristlose Kündigung sei aber auch zum Schutz anderer Beschäftigter geboten gewesen. Vergleichbare Ausfälle des Klägers bei der nächsten gravierenden Unstimmigkeit mit Vorgesetzten seien ebenso wenig auszuschließen gewesen wie eine Verwirklichung der in Aussicht gestellten Gefahren. Dieses Risiko habe die fachärztliche Bescheinigung vom 15. Oktober 2013 nicht auszuschließen vermocht. Das gelte umso mehr, als der Kläger in der Vergangenheit durchaus Selbstgefährdungstendenzen gezeigt habe. Die Beteiligung des Personalrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Soweit der Kläger den Zugang des Anhörungsschreibens beim Personalrat mit Nichtwissen bestritten habe, sei dies unzulässig.

12

Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat ihr das Landesarbeitsgericht entsprochen. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision hat Erfolg. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 11. September 2013 aufgelöst worden ist, steht nicht fest. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

14

I. Das Landesarbeitsgericht durfte mit der von ihm gegebenen Begründung nicht annehmen, ein wichtiger Grund zur Kündigung iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H, § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor.

15

1. Der Kläger erfüllte im Zeitpunkt der Kündigung die Voraussetzungen für den tariflichen Sonderkündigungsschutz gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H. Nach dieser Bestimmung konnte das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund des Lebensalters des Klägers von über 40 Jahren und seiner 15 Jahre übersteigenden Beschäftigungszeit nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

16

2. Mit dem Begriff „wichtiger Grund“ knüpft die tarifvertragliche Bestimmung an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an. Deren Verständnis ist deshalb auch für die Auslegung der Tarifnorm maßgebend (vgl. BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 19).

17

3. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 20).

18

4. Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegt auch im Verhältnis zu einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ordentlich nicht gekündigt werden kann, dann vor, wenn es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach einem insoweit anzulegenden objektiven Maßstab nicht zuzumuten ist, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. In diesem Fall wäre eine außerordentliche Kündigung auch dann gerechtfertigt, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen wäre (BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 42).

19

5. Dem Berufungsgericht kommt bei der vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird nur darauf überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 18; zu den in die Interessenabwägung regelmäßig einzubeziehenden Gesichtspunkten BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46, BAGE 153, 111).

20

6. Dieser eingeschränkten Überprüfung halten die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

21

a) Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines wichtigen Grundes „an sich“ unterstellt und angenommen, dem beklagten Land sei es im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung jedenfalls zuzumuten gewesen, die (fiktive) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Die „Amokdrohung“ sei, soweit sie in der behaupteten Weise geäußert worden sein sollte, in der „geschützten“ Situation eines bEM erfolgt. In einem solchen Klärungsprozess solle sich der Arbeitnehmer öffnen und in die Suche nach Möglichkeiten zur Überwindung seiner Arbeitsunfähigkeit einbringen. Hingegen solle er aufgrund des Verlaufs des bEM nicht - zumindest nicht ohne Weiteres - um den Bestand seines Arbeitsverhältnisses fürchten müssen. Hier habe sich der Kläger in dem zweiten „bEM-Gespräch“ in einer emotional hoch belasteten Situation befunden. Ihm sei offenbart worden, dass Beschäftigungsmöglichkeiten in einem anderen Arbeitsbereich nicht bestünden, und dass er deshalb weiterhin als Straßenwärter in einer Straßenmeisterei eingesetzt werden solle, obwohl ärztliche Empfehlungen dies ausgeschlossen hätten. Unter diesen besonderen Umständen könne eine allenfalls im „Augenblicksversagen“ erfolgte Androhung eines Amoklaufs die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht begründen. Das gelte umso mehr angesichts der über zwanzigjährigen Beschäftigungsdauer des Klägers und seiner massiven gesundheitlichen Probleme. Auch habe sich die behauptete Drohung ausweislich der fachärztlichen Bescheinigung vom 15. Oktober 2013 „letztlich“ nicht als glaubhaft erwiesen.

22

b) Diese Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil sie nicht erkennen lässt, dass alle wesentlichen Aspekte des unterbreiteten Kündigungssachverhalts berücksichtigt wurden. Das Landesarbeitsgericht befasst sich ausschließlich mit der behaupteten Drohung mit „Amok“. Seinen Ausführungen ist nicht zu entnehmen, dass es auch die vermeintliche Drohung mit „Suizid“ und die Ankündigung einer erneuten Erkrankung berücksichtigt hat. Zudem ist nicht ersichtlich, ob und ggf. wie es die Behauptung des beklagten Landes gewürdigt hat, der Kläger habe mit seinen Äußerungen Druck aufbauen wollen, um die Zuweisung von Aufgaben aus dem Tätigkeitsspektrum eines Straßenwärters zu verhindern. Das verletzt § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H(iVm. § 626 Abs. 1 BGB).

23

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zwar im Ausgangspunkt, wie auch seine fallübergreifenden Ausführungen belegen, zutreffend davon aus, dass eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben des Arbeitgebers, von Vorgesetzen und/oder Arbeitskollegen, für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreift, „an sich“ als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht kommt(vgl. LAG Berlin 3. März 2006 - 13 Sa 1906/05 -; APS/Vossen 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 231 mwN). In einem solchen Verhalten liegt eine massive Störung oder jedenfalls konkrete Gefährdung des Betriebsfriedens. Es stellt, ohne dass es auf seine Strafbarkeit nach § 241 StGB ankäme, eine erhebliche Verletzung der sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebenden, den Arbeitnehmer auch während der Durchführung eines Wiedereingliederungsverhältnisses treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Das gilt unabhängig davon, ob das Verhalten des Arbeitnehmers auf die Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs zielt.

24

bb) Allerdings kann eine solche Intention das Gewicht der Bedrohung weiter verstärken. Auch muss der Arbeitgeber es nicht hinnehmen, dass der Arbeitnehmer darauf ausgeht, ihn mit der unverhohlenen Ankündigung eines Suizids zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu bestimmen. Schließlich kann in der Ankündigung einer zukünftigen Erkrankung ein Grund zur - ggf. fristlosen - Kündigung liegen, wenn die Äußerung die Bereitschaft des Arbeitnehmers zum Ausdruck bringt, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen (BAG 12. März 2009 - 2 AZR 251/07 - Rn. 22). Wie die Revision mit Recht rügt, durfte das Landesarbeitsgericht die fristlose Kündigung nicht für unwirksam erachten, ohne sich mit diesen nach dem Vorbringen des beklagten Landes in Betracht kommenden, teils erschwerenden, teils selbständig als Kündigungsgrund zu würdigenden Gesichtspunkten auseinanderzusetzen.

25

c) Aber auch soweit das Landesarbeitsgericht die „Amokdrohung“ als solche in den Blick genommen hat, ist seine Würdigung nicht rechtsfehlerfrei.

26

aa) Das betrifft zunächst die Annahme, die Drohung habe sich „letztlich“ als „nicht glaubhaft“ erwiesen. Damit hat das Landesarbeitsgericht keinen Sachverhalt festgestellt, der die Ernstlichkeit der Drohung ausschließt.

27

(1) Eine erhebliche Pflichtverletzung in Gestalt einer ernstlichen Drohung liegt vor, wenn die Äußerung nach ihrem sorgfältig zu ermittelnden Erklärungsgehalt objektiv geeignet ist, bei einem „normal“ empfindenden Menschen den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken, und der Wille des Drohenden darauf gerichtet ist, dass der Adressat die Drohung ernst nimmt. Nicht entscheidend ist, ob der Drohende seine Ankündigung verwirklichen kann oder will. Ebenso wenig kommt es grundsätzlich darauf an, ob der Adressat sie tatsächlich ernst nimmt, und ob eine Störung des Rechtsfriedens eintritt (zur strafrechtlichen Beurteilung vgl. BVerfG 19. Dezember 1994 - 2 BvR 1146/94 - zu III 3 der Gründe; Eser/Eisele in Schönke/Schröder StGB 29. Aufl. Vorbem. §§ 234 ff., Rn. 33).

28

(2) Die knappe Begründung des Landesarbeitsgerichts lässt nicht erkennen, dass seine Würdigung auf diesen Maßstäben aufbaut. Jedenfalls bezieht seine tatrichterliche Beurteilung nicht alle fallrelevanten Gesichtspunkte ein, was § 286 ZPO verletzt. Weder eine besondere emotionale Belastung des Klägers noch die ihm von ärztlicher Seite bescheinigte „glaubhafte“ Distanzierung von selbst- und fremdgefährdenden Tendenzen im Anschluss an das zweite „bEM-Gespräch“ schließen es aus, die behaupteten Äußerungen ihrem objektiven Erklärungsgehalt nach als geeignet anzusehen, den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken. Gemäß dem Vorbringen des beklagten Landes hat der Kläger die Drohung in klarer und bestimmter Weise vorgetragen, in ihrem Zusammenhang auf seine Mitgliedschaft in einem Schützenverein verwiesen, und sich auch nach einer Phase der Beruhigung nicht von seinen Äußerungen distanziert, sondern diese im Raum stehen lassen. Mit dem Indizwert dieser behaupteten Umstände, die sowohl die Ernstlichkeit der Drohung im dargestellten Sinne als auch die Steuerbarkeit des Verhaltens des Klägers nahe legen, hat sich das Landesarbeitsgericht nicht befasst.

29

bb) Die tatrichterliche Beurteilung, die „Amokdrohung“ beruhe auf einem Augenblicksversagen des Klägers, überzeugt ebenso wenig. Zwar hat das Berufungsgericht den aus dem Schadensrecht stammenden Ausdruck (zum dortigen Verständnis BGH 10. Mai 2011 - VI ZR 196/10 - Rn. 12) erkennbar in einem übertragenen Sinne gebraucht. Es hat aber nicht dargestellt, aus welchen konkreten Umständen es das „Augenblicksversagen“, von dem allenfalls bei einmaligen, dem Arbeitnehmer wesensfremden Pflichtverletzungen ausgegangen werden kann (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 27, BAGE 150, 109), ableiten will. Vor diesem Hintergrund ist nicht feststellbar, ob seiner Entscheidung ein zutreffendes Begriffsverständnis zugrunde liegt. Soweit es seine Beurteilung auf die festgestellte emotionale Belastung des Klägers gestützt haben sollte, griffe sie unter Berücksichtigung des Vorbringens des beklagten Landes zum Verhalten des Klägers während und nach den Äußerungen zu kurz. Zudem hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen über das „Wesen“ des Klägers getroffen.

30

cc) Darüber hinaus finden die Ausführungen zum „bEM“ als einer besonders „geschützten“ Situation im Gesetz keine Stütze. Die Teilnahme des Arbeitnehmers an einem bEM ist kein Gesichtspunkt, der sein Bestandsschutzinteresse generell steigert oder das Gewicht von Pflichtverletzungen der in Rede stehenden Art per se mindert. Darauf zielt die Würdigung des Landesarbeitsgerichts bei sachgerechtem Verständnis aber im Ergebnis ab.

31

(1) Das in § 84 Abs. 2 SGB IX nur rahmenmäßig geregelte bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 30, BAGE 150, 117). Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern (BAG 22. März 2016 - 1 ABR 14/14 - Rn. 10, BAGE 154, 329).

32

(2) Der Suchprozess ist, auch wenn er einem „üblichen“ Personalgespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht gleich steht, kein außerdienstlicher Vorgang. Es handelt sich um ein Instrument der betrieblichen Prävention (BGBl. I S. 1394; BT-Drs. 14/3372 S. 16). Seine Realisierung gehört zu den gesetzlichen Pflichten des Arbeitgebers auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, die das Arbeitsverhältnis gestalten (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 38, BAGE 140, 350).

33

(3) Für die Sichtweise des Landesarbeitsgerichts lässt sich aus den Zwecken des bEM nichts gewinnen.

34

(a) Zwar hängt der Erfolg des bEM in hohem Maße von der Bereitschaft des Betroffenen ab, sich für die Suche nach zielführenden Möglichkeiten zur Klärung seiner Arbeitsunfähigkeit zu öffnen und sich aktiv in den Klärungsprozess einzubringen. Da der Arbeitnehmer einerseits nicht verpflichtet ist, dem Arbeitgeber die Gründe für seine Fehlzeiten mitzuteilen, andererseits die Suche nach etwaigen Lösungsmöglichkeiten ohne die Kenntnis dieser Gründe regelmäßig nicht zielorientiert durchgeführt werden kann, kommt der Akzeptanz des bEM durch den Betroffenen eine besondere Bedeutung zu.

35

(b) Diesem Gesichtspunkt trägt aber maßgeblich das in § 84 Abs. 2 SGB IX bestimmte Zustimmungserfordernis Rechnung. Es gewährleistet, dass die Klärung des Gesundheitszustands aus Sicht des Betroffenen ausschließlich freiwillig erfolgt, und er sich dem Suchprozess ohne Angabe von Gründen zu jeder Zeit wieder entziehen kann (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 22, BAGE 140, 350). Zudem besteht nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer vorab auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Der Hinweis erfordert die Klarstellung, dass nur solche Daten erhoben und ggf. genutzt werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um einen zielführenden, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienenden Suchprozess durchführen zu können (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32, BAGE 150, 117; zur Hinweispflicht BVerwG 4. September 2012 - 6 P 5/11 - Rn. 36, BVerwGE 144, 156). Er verhindert zum einen, dass der Arbeitnehmer aus bloßer Unkenntnis über die Ziele des bEM und den Schutz von persönlichen Daten, die seine Gesundheit betreffen, seine Zustimmung zu dem Prozess verweigert (Schmidt Gestaltung und Durchführung des BEM S. 21). Zum anderen verdeutlicht der Hinweis die Bedeutung eines wirksamen und sorgfältig gehandhabten, außerhalb von § 84 Abs. 2 SGB IX gewährleisteten Schutzes der Gesundheitsdaten des Arbeitnehmers für die Akzeptanz des bEM(im Ergebnis ebenso Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 90; Schmidt Gestaltung und Durchführung des BEM S. 25 ff.).

36

(c) Die Zuerkennung eines generell gesteigerten kündigungsrechtlichen Bestandsschutzinteresses insbesondere hinsichtlich eines möglichen vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers ist zur Verwirklichung der Zwecke des bEM nicht geboten. Sie liefe ihnen vielmehr zuwider. Es liegt im Wesen des bEM, dass die Suche nach Möglichkeiten der Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeitszeiten im Rahmen eines fairen und sachorientierten Gesprächs erfolgt (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18). Der gesetzlich zur Durchführung des bEM verpflichtete Arbeitgeber darf berechtigterweise erwarten, dass auch der Arbeitnehmer sein Verhalten hieran ausrichtet und insbesondere nicht darauf ausgeht, mit widerrechtlichen Drohungen das Ergebnis des Suchprozesses für ihn positiv zu beeinflussen.

37

(4) Das schließt es zwar nicht aus, im Rahmen der Interessenabwägung den Verlauf des konkreten „bEM-Gesprächs“ in die Gewichtung der Pflichtverletzung einzubeziehen. Darauf hat sich das Landesarbeitsgericht aber nicht beschränkt.

38

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht iSd. § 561 ZPO aus anderen Gründen als richtig dar. Sie unterliegt daher der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen, ob die außerordentliche fristlose Kündigung wirksam ist. Die Sache ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

39

1. Es steht nicht fest, ob aufgrund des behaupteten Verhaltens des Klägers ein wichtiger Grund iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H, § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.

40

a) Die dem Kläger vorgeworfenen Drohungen sind „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen, sofern sie als ernstlich zu beurteilen sind. Ob diese letztgenannte Voraussetzung erfüllt ist, hängt von einer umfassenden Würdigung des Beweiswerts der insoweit vorgetragenen Indiztatsachen (klare und bestimmte Äußerung der Drohungen, unterbliebene Distanzierung oder Entschuldigung nach einer Phase der Beruhigung) ab, die dem Landesarbeitsgericht vorbehalten ist. Überdies ist der insoweit vorgetragene Sachverhalt in Teilen streitig und bedarf der Sachaufklärung. Eine Interessenabwägung zugunsten des Klägers oder des beklagten Landes scheidet aus, da der maßgebliche Kündigungssachverhalt nicht feststeht.

41

b) Das Landesarbeitsgericht ist nicht gehindert, seiner Entscheidung Feststellungen zum Inhalt der umstrittenen Äußerungen und des Verlaufs des „bEM-Gesprächs“ vom 20. August 2013, die das Arbeitsgericht aufgrund einer erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme getroffen hat, zugrunde zu legen oder - soweit unter den Voraussetzungen des § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO geboten - die umstrittenen Tatsachen zum Gegenstand einer eigenen Beweisaufnahme zu machen und deren Ergebnisse zu verwerten. Ein dahingehendes Verbot, das sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nur aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts - etwa von § 138 Abs. 3 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO oder von § 286, § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO - ergeben kann(zu den Einzelheiten vgl. BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 18, BAGE 157, 69), könnte im Streitfall allenfalls in Betracht kommen, wenn hinsichtlich der Erlangung von Informationen über das Verhalten des Klägers im Prozess des bEM oder deren Heranziehung als Kündigungsgrund eine Verletzung des Rechts des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung seines durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts(vgl. auch Art. 8 Abs. 1 EMRK) vorläge. Dies ist indes nicht der Fall.

42

aa) Das Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG garantiert dem Einzelnen die Befugnis, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu befinden(BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378; BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 26). Die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und der Datenschutzgesetze der Länder über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung - hier das Hessische Datenschutzgesetz (HDSG) - konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des jeweiligen Gesetzes Eingriffe durch öffentliche und nichtöffentliche Stellen iSd. § 1 Abs. 2 BDSG bzw. § 3 Abs. 1 HDSG zulässig sind. Dabei gibt es für die Verwendung von Gesundheitsdaten personenbezogener Art (sensitive Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG, § 7 Abs. 4 HDSG) spezielle Regelungen (§ 28 VI ff. BDSG bzw. § 7 Abs. 4 iVm. § 34 HDSG).

43

bb) Der vorliegende Sachverhalt ist an den Bestimmungen des HDSG zu messen. Das BDSG gilt nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BDSG für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen der Länder nur insoweit als der Datenschutz nicht durch Landesgesetz geregelt ist. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Der Datenschutz für öffentliche Stellen des Landes Hessen und betreffend Personen, die zu ihm in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist im HDSG geregelt.

44

cc) § 34 HDSG regelt bereichsspezifisch den Datenschutz bei Dienst- und Arbeitsverhältnissen. Nach Abs. 1 Satz 2 der Norm darf der Arbeitgeber Daten seiner Arbeitnehmer nur verarbeiten, wenn dies zur Eingehung, Durchführung, Beendigung oder Abwicklung eines Arbeitsverhältnisses erforderlich ist oder eine Rechtsvorschrift, ein Tarifvertrag oder eine Dienstvereinbarung es vorsieht. Personenbezogene Daten sind Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (§ 2 Abs. 1 HDSG). Datenverarbeitung im Sinne des Gesetzes ist jede Verwendung gespeicherter oder zur Speicherung vorgesehener personenbezogener Daten (§ 2 Abs. 2 HDSG)einschließlich ihrer Erhebung, wobei als Datenträger iSv. § 2 Abs. 2 Nr. 2 HDSG jedes Material - auch Papier - anzusehen ist(Nungesser HDSG 2. Aufl. § 2 Rn. 24, 45). Nach § 7 Abs. 4 HDSG ist - vorbehaltlich einer zweifelsfreien Einwilligung des Betroffenen(§ 7 Abs. 1 Nr. 3 HDSG) - die Verarbeitung personenbezogener Daten über die Gesundheit, soweit nicht eine Rechtsvorschrift deren Verarbeitung vorsieht oder zwingend voraussetzt, nur nach §§ 33 bis 35 und § 39 HDSG zulässig.

45

dd) Hiervon ausgehend ist ein unrechtmäßiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht zu erkennen.

46

(1) Zwar ist der Begriff der personenbezogenen Daten in § 2 Abs. 1 HDSG grundsätzlich weit zu verstehen. Er kann auch Angaben über konkrete mündliche oder schriftliche Aussagen eines Betroffenen oder Darstellungen seines privaten oder dienstlichen Verhaltens erfassen (vgl. BGH 23. Juni 2009 - VI ZR 196/08 - Rn. 17, BGHZ 181, 328).

47

(2) Das beklagte Land hat die fraglichen „Daten“ beim Kläger aber nicht iSv. § 2 Abs. 2 Nr. 1 BDSG erhoben. Dieser hat die vermeintlichen Drohungen von sich aus erklärt. Es gibt nach dem bisherigen Sach- und Streitstand keinen Anhaltspunkt dafür, dass es Ziel des bEM oder der Anwesenheit der weiteren Gesprächsteilnehmer gewesen wäre, die Möglichkeit der Wahrnehmung von Äußerungen des behaupteten Inhalts zu eröffnen. Ein als „Erheben“ bezeichnetes Beschaffen von Daten über den Kläger liegt damit nicht vor. Dieses setzt eine auf die Gewinnung von Daten über den Betroffenen abzielende Handlung voraus (zur inhaltsgleichen Regelung in § 3 Abs. 3 BDSG vgl. Dammann in Simitis BDSG 8. Aufl. § 3 Rn. 102 ff.).

48

(3) Es kann unterstellt werden, dass es sich bei der weiteren Verwendung der Äußerungen des Klägers um Datenverarbeitung iSv. § 2 Abs. 2 HDSG handelte. Diese war jedenfalls für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien erforderlich iSv. § 34 Abs. 1 Satz 1 HDSG.

49

(a) Erforderlichkeit iSd. § 34 Abs. 1 Satz 1 HDSG setzt ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Verwendung der Daten voraus, das aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis herrühren muss. Es muss ein Zusammenhang mit der Erfüllung der vom Arbeitnehmer geschuldeten vertraglichen Leistung, seiner sonstigen Pflichtenbindung oder mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers bestehen. Die Datenverwendung darf ferner keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen. Sie muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Greift eine Maßnahme in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ein, muss der Eingriff einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten. Dieser verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (zu § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG vgl. BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 30).

50

(b) Diese Voraussetzungen sind, unterstellt der Kläger hätte im Rahmen des bEM willentlich ernstliche Drohungen ausgesprochen, um das beklagte Land dazu zu bewegen, ihm keine Aufgaben aus dem Tätigkeitsbereich eines Straßenmeisters zuzuweisen, gegeben. In einem solchen Verhalten läge eine schwerwiegende Verletzung seiner vertraglichen Rücksichtnahmepflicht. Überwiegende schutzwürdige Belange des Klägers stünden der Berücksichtigung der in Rede stehenden Äußerungen zur Begründung einer auf sein Verhalten gestützten Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht entgegen. Insbesondere griff die Informationsgewinnung nicht in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ein. Die unterstellte weitere Datenverarbeitung genügt auch den Anforderungen, die sich aus den - in § 13 HDSG kodifizierten - Grundsätzen der Zweckbindung und Zweckänderung(dazu BVerfG 20. April 2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1 BvR 1140/09 - Rn. 276 ff., BVerfGE 141, 220) ergeben. Nichts anderes gilt für eine sich mittelbar aus § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ergebende Zweckbindung. Bei den fraglichen Äußerungen handelte es sich nicht um (Gesundheits-)Daten, die der Durchführung des bEM dienten. Ihre mögliche Speicherung wäre zumindest auch zur Weiterverwendung der Daten bei der Durchführung und/oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien erfolgt und hätte damit keinen anderen Zwecken gedient als die betreffende Datenverarbeitung selbst.

51

c) Soweit das beklagte Land die Kündigung (auch) darauf stützt, sie sei wegen der vom Kläger objektiv ausgehenden Gefahr für das Leben oder die Gesundheit seiner Repräsentanten und anderer Beschäftigter selbst dann berechtigt, wenn anzunehmen sein sollte, er habe im Rahmen des bEM keine Drohungen aussprechen, sondern seiner psychischen Verfassung Ausdruck verleihen wollen, vermag dies für sich genommen eine außerordentliche Kündigung iSd. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H(iVm. § 626 Abs. 1 BGB) nicht zu rechtfertigen.

52

aa) Das fragliche Vorbringen knüpft an die Möglichkeit einer Verwirklichung der vom Kläger ausgesprochenen „Amokdrohung“ an. Für deren Annahme reicht es, anders als das beklagte Land meint, nicht aus, auf das subjektive Empfinden der am „bEM-Gespräch“ beteiligten Personen und den - umstrittenen - Hinweis des Klägers auf seine Mitgliedschaft in einem Schützenverein sowie die daraus resultierende hypothetische Möglichkeit abzustellen, an Schusswaffen zu gelangen. Schon weil nicht jede Ankündigung eines Amoklaufs notwendig umgesetzt wird oder auch nur umgesetzt werden soll, bedarf es, um das Risiko ihrer Realisierung einzuschätzen, neben der Einbeziehung der konkreten Vorstellungen des Arbeitnehmers im Zeitpunkt der Äußerungen zumindest der Berücksichtigung greifbarer medizinischer Begutachtungen.

53

bb) Im Streitfall fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten, die zu einer im Kündigungszeitpunkt anzustellenden Prognose berechtigten, die Weiterbeschäftigung des Klägers berge objektiv ein entsprechendes Risikopotential. Im Gegenteil hatte - unstreitig - die bereits am Tag des zweiten „bEM-Gesprächs“ durchgeführte Untersuchung des Klägers in der psychiatrischen Ambulanz eines Klinikums zu dem Befund geführt, dass er sich von jeglichen selbst- und fremdgefährdenden Tendenzen glaubhaft hat distanzieren können. Das beklagte Land hat nicht behauptet, medizinische Voruntersuchungen des Klägers hätten zu einer abweichenden Einschätzung geführt. Soweit es auf einen vom Kläger - soweit ersichtlich unstreitig - in der Vergangenheit unternommen Selbstmordversuch verwiesen hat, hat es jedenfalls nicht geltend gemacht, nach medizinischen Erkenntnissen liege darin zugleich eine Erweiterung des Risikopotentials hinsichtlich möglicher Fremdgefährdungen.

54

2. Der Rechtsstreit ist nicht aus anderen Gründen entscheidungsreif. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, die außerordentliche fristlose Kündigung sei unabhängig vom Vorliegen eines wichtigen Grundes iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H iVm. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.

55

a) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers, der rückwirkend auf einen Zeitpunkt vor Zugang der Kündigung einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wurde, ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht nach § 91 Abs. 1 iVm. § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB nichtig. Das beklagte Land hat die Zustimmung des Integrationsamts bei diesem am 27. August 2013 eingehend und damit innerhalb der Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX beantragt. Da das Integrationsamt binnen der bestehenden zweiwöchigen Frist (§ 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX) eine Entscheidung nicht getroffen hatte, galt die Zustimmung mit Ablauf des 10. September 2013 als erteilt. Das beklagte Land hat die Kündigung mit Schreiben vom 11. September 2013 erklärt. Dies war - vorbehaltlich eines zeitnahen Zugangs - unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX. Auf dieser Grundlage ist zugleich die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.

56

b) Die außerordentliche fristlose Kündigung des beklagten Landes ist, ausgehend von dem insoweit schlüssigen Vorbringen des beklagten Landes, nicht nach § 78 Abs. 2 HPVG iVm. § 108 Abs. 2 BPersVG unwirksam. Dieses hat dargetan, es habe den Personalrat mit Schreiben vom 26. August 2013, das inhaltlich dem insoweit maßgeblichen Grundsatz der subjektiven Determinierung (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 63) genügt, zu einer entsprechenden Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien angehört, und der Personalrat habe Bedenken nicht erhoben. Unschädlich ist, dass die Beteiligung vor Einleitung bzw. Abschluss des Zustimmungsverfahrens beim Integrationsamt erfolgte (vgl. BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 21, BAGE 140, 47). Ob der Kläger - wie geschehen - den Zugang des Anhörungsschreibens beim Personalrat am 26. August 2013 ausreichend mit Nichtwissen bestritten hat, kann bezweifelt werden. Die abschließende Beurteilung ist dem Landesarbeitsgericht vorzubehalten, das ggf. den Umfang der erhobenen Rüge zu klären haben wird.

57

c) Auf eine Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen hat sich der Kläger - soweit ersichtlich - nicht berufen.

58

3. Im Rahmen der danach gebotenen Zurückverweisung, die auch den - nur für den Fall seines Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag zu bescheidenden - Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung erfasst, wird das Landesarbeitsgericht die erforderlichen Feststellungen nachzuholen und auf dieser Grundlage neu zu bewerten haben, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11. September 2013 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Für das weitere Verfahren weist der Senat lediglich auf Folgendes hin:

59

a) Seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht - vorbehaltlich neuen Sachvortrags der Parteien - die vom Arbeitsgericht nach Beweisaufnahme festgestellten Tatsachen und die darauf bezogene tatrichterliche Würdigung über den Ablauf des Gesprächs am 20. August 2013 zugrunde zu legen haben. Diese sind weder offensichtlich rechtsfehlerhaft noch hat der Kläger in der Berufungsbegründung dagegen durchgreifende Rügen (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO) erhoben.

60

aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ZPO muss das Berufungsgericht - vorbehaltlich der Berücksichtigung von zulässigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln(§ 67 ArbGG) - seiner Entscheidung grundsätzlich die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen zugrunde legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Soweit die Wiederholung einer erstinstanzlich bereits durchgeführten Beweisaufnahme im Ermessen des Berufungsgerichts steht, ist dieses im Rahmen der Fehlerbehebung in der Regel auf Null reduziert. Im Fall des Zeugenbeweises setzt eine neue Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht zumindest in aller Regel eine erneute Vernehmung voraus. Insbesondere muss es einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen, wenn es dessen Aussage „anders würdigen“ bzw. „anders verstehen oder werten“ will als die Vorinstanz (BVerfG 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14 - Rn. 55; 14. September 2010 - 2 BvR 2638/09 - Rn. 14 ).

61

bb) Eine erneute Vernehmung kann allenfalls dann unterbleiben, wenn das Berufungsgericht seine abweichende Würdigung auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen. Auch im Hinblick auf objektive Umstände, die bei der Beweiswürdigung eine Rolle spielen können und von der ersten Instanz nicht beachtet worden sind, darf das Berufungsgericht nicht ohne erneute Vernehmung des Zeugen und abweichend von der Vorinstanz zu dem Ergebnis gelangen, dass der Zeuge in einem prozessentscheidenden Punkt mangels Urteilsfähigkeit, Erinnerungsvermögens oder Wahrheitsliebe objektiv die Unwahrheit gesagt hat (BVerfG 14. September 2010 - 2 BvR 2638/09 - Rn. 14).

62

cc) Die konkreten Anhaltspunkte, die aus Sicht des Berufungsgerichts Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Tatsachenfeststellung gebieten, sind - sofern nicht offensichtlich - im Berufungsurteil anzugeben.

63

b) Soweit es für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung auf eine iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmende Interessenabwägung ankommt, wird das Landesarbeitsgericht weiterhin zugunsten des Klägers dessen lange Beschäftigungsdauer berücksichtigen können. Diesbezüglich hat das beklagte Land Rügen nicht erhoben. Es gibt auch objektiv keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beanstandungsfrei verlaufen wäre.

64

c) Auch wird das Landesarbeitsgericht bei unverändertem Sach- und Streitstand weiterhin davon ausgehen können, dass im Zeitpunkt des zweiten „bEM-Gesprächs“ von amtsärztlicher Seite Vorbehalte gegen einen Einsatz des Klägers als Straßenwärter in einer Straßenmeisterei bestanden. Ebenso wird es annehmen können, dass der Kläger sich angesichts eines ihm eröffneten Vorhabens, ihn - bei sachgerechtem Verständnis frühestens nach Durchführung des verabredeten Wiedereingliederungsverhältnisses - wieder mit Aufgaben eines Straßenmeisters zu betrauen, in einer „emotional hoch belasteten Situation“ befand. Die Rüge des beklagten Landes, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die arbeitsmedizinische Empfehlung vom 6. Mai 2013 eine leidensgerechte Beschäftigung des Klägers als Straßenwärter unter Beachtung gewisser Einschränkungen nicht ausschließe, kann nicht durchgreifen. Für seine Behauptung gibt das zur Gerichtsakte gereichte Attest nichts her. Allerdings wird bei neuerlicher Interessenabwägung sorgfältig zu prüfen sein, ob die emotionale Belastung des Klägers die Drohungen unter Berücksichtigung des noch festzustellenden Inhalts der Äußerungen und des Verlaufs des zweiten „bEM-Gesprächs“ tatsächlich in einem milderen Licht erscheinen lässt.

65

d) Sollte das Landesarbeitsgericht erneut zu dem Ergebnis gelangen, dem beklagten Land sei es jedenfalls zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der (fiktiven) Frist für eine ordentliche Kündigung fortzusetzen, wird es zu prüfen haben, ob eine Umdeutung in eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist in Betracht kommt, insbesondere ob die dafür erforderlichen personalvertretungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben sind (zum grundsätzlichen Erfordernis, die Beteiligung wie bei einer ordentlichen Kündigung durchzuführen BAG 18. Oktober 2000 - 2 AZR 627/99 - zu III der Gründe, BAGE 96, 65). Eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung kommt, wie das Landesarbeitsgericht im Berufungsurteil zutreffend ausgeführt hat, schon deshalb nicht in Betracht, da eine solche Kündigung nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H tarifvertraglich ausgeschlossen war.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Koltze    

        

    Gerschermann    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. Juni 2013 - 21 Sa 1456/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte entwickelt und vertreibt Hygieneartikel. Der 1964 geborene Kläger ist bei ihr seit Juni 1991 als Maschinenführer tätig. Zuletzt war er - als einer von etwa 220 Arbeitnehmern - im Betrieb E im Dreischichtmodell beschäftigt. Sein monatlicher Bruttoverdienst belief sich auf ca. 2.700,00 Euro.

3

Der Kläger war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig. Im Jahr 2006 war er ab dem 27. Juli an wenigstens 59 Tagen wegen einer Handverletzung nicht arbeitsfähig. Im Jahr 2007 fehlte er wegen einer anderen Handverletzung 105 und aufgrund einer Kontaktallergie weitere 30 Tage. Im Jahr 2008 war er an 69 Tagen, im Jahr 2009 an 74 Tagen, im Jahr 2010 an 62 Tagen und im Jahr 2011 an 125 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Zwei Fehltage im Jahr 2008 und 21 Fehltage im Jahr 2009 waren auf Arbeitsunfälle zurückzuführen. Von den Krankheitstagen im Jahr 2011 entfielen 117 Tage auf ein Hüftleiden. Wegen dieser Erkrankung unterzog sich der Kläger am 28. März 2011 einer Operation.

4

Die Fehlzeiten verteilten sich auf unterschiedlich lange Zeiträume, jeweils unterbrochen durch Tage der Arbeitsfähigkeit.

5

Im Jahr 2004 stellte sich der Kläger auf Ersuchen der Beklagten beim arbeitsmedizinischen Dienst vor. Es folgten weitere Begutachtungen Ende 2009/Anfang 2010 und im September 2011. In den betriebsärztlichen Stellungnahmen hieß es jeweils, gegen eine Beschäftigung des Klägers bestünden keine gesundheitlichen Bedenken. Im Schreiben vom 2. Februar 2010 wurde außerdem berichtet, es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen könnten. Im September 2010 teilte die Berufsgenossenschaft der Beklagten mit, sie habe dem Kläger einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt, bei deren Verwendung sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermeiden ließen.

6

Mit Schreiben vom 29. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2012.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die seit dem Jahr 2008 aufgetretenen Fehlzeiten seien - soweit nicht auf Arbeitsunfällen und den Hüftbeschwerden beruhend - im Wesentlichen auf eine Kontaktallergie, einen Fersensporn, Erkältungskrankheiten, in geringem Umfang auf eine Herz-/Kreislauferkrankung sowie zwei in der Freizeit erlittene Unfälle zurückzuführen. Die Fehlzeiten indizierten keine negative Zukunftsprognose. Mit dem Auftreten der Allergie sei nach den Maßnahmen der Berufsgenossenschaft und beim Tragen der empfohlenen Schutzhandschuhe nicht mehr zu rechnen. Sein Hüftleiden sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Der Fersensporn sei gleichfalls erfolgreich therapiert. Seine Erkältungskrankheiten seien durch Zugluft am Arbeitsplatz ausgelöst oder begünstigt worden. Jedenfalls sei die Kündigung unverhältnismäßig. Die Beklagte habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nicht durchgeführt. Sie könne sich deshalb nicht darauf berufen, alternative Möglichkeiten zur Vermeidung oder doch erheblichen Verringerung künftiger Fehlzeiten hätten nicht bestanden. Das sei auch objektiv falsch. Neben Veränderungen am Arbeitsplatz, dessen bisheriger Zuschnitt ein kontinuierliches Treppensteigen erfordere, habe ein geeignetes „Gesundheitsmanagement“ zur Stabilisierung seines Abwehr- und Immunsystems beitragen können. Dies belege eine zwischenzeitlich durchgeführte Reha-Maßnahme, in deren Folge sich sein Gesundheitszustand deutlich gebessert habe. Unabhängig davon sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Dieser sei bis einschließlich des 25. November 2011 an insgesamt 1061 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen. Davon habe sie für 803 Tage Entgeltfortzahlung geleistet. Die erheblichen Fehlzeiten sprächen für eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit des Klägers und begründeten eine negative Gesundheitsprognose. Dies wiederum beeinträchtige ihre betrieblichen Interessen erheblich. Sie habe damit rechnen müssen, an den Kläger weiterhin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für die Dauer von mehr als sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Ihre Verpflichtung zur Durchführung eines bEM habe sie mit den in Auftrag gegebenen arbeitsmedizinischen Untersuchungen erfüllt. Jedenfalls stehe aufgrund der betriebsärztlichen Stellungnahmen fest, dass die Krankheitsanfälligkeit des Klägers nicht durch organisatorische Änderungen habe überwunden werden können. Die Kündigung sei damit selbst dann verhältnismäßig, wenn es an einem regelkonformen bEM fehlen sollte. Auf die allgemeine Gesundheitsprävention im Rahmen außerbetrieblicher Maßnahmen sei der gesetzlich vorgegebene Klärungsprozess nicht angelegt.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage im noch rechtshängigen Umfang stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet.

12

A. Die Revision ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat sie im Tenor seines Urteils zugelassen. Daran ist der Senat gemäß § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden(vgl. BAG 16. April 1997 - 4 AZR 653/95 - zu I der Gründe). Eine Überprüfung der Zulassungsentscheidung - wie sie der Kläger offenbar anstrebt - findet nicht statt.

13

B. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden (I.). Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (II.).

14

I. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sie ist nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Sie erweist sich - ungeachtet der erheblichen Fehlzeiten - als unverhältnismäßig.

15

1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die der Senat zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat (vgl. aus jüngerer Zeit BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335). Auch wenn sich einzelne Krankheitsphasen über mehrere Monate erstreckten, liegt angesichts der Vielzahl der in Rede stehenden Krankheitsbilder und des häufigen Wechsels von Krankheits- und Arbeitsphasen nicht der Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung vor.

16

2. Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (bspw. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - aaO; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335).

17

3. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 17, BAGE 121, 335; 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 20). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24; 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 92, 96). Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO mwN).

18

4. Entgegen der Auffassung des Klägers erweist sich danach die Kündigung nicht bereits im ersten Prüfungsschritt als unwirksam. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die bisherigen Fehlzeiten hätten im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose indiziert und der Kläger habe diese Indizwirkung nicht entkräftet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

19

a) Die Beklagte hat die Krankheitszeiten des Klägers nach Zahl, Dauer und zeitlicher Folge im Einzelnen vorgetragen. Danach war der Kläger auch ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Ausfallzeiten seit Mitte des Jahres 2007 in erheblichem Umfang wegen Krankheit arbeitsunfähig. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stiegen seine Fehlzeiten kontinuierlich an (vgl. zu diesem Kriterium BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 32 mwN). Lediglich im Jahr 2010 gingen sie gegenüber dem Vorjahr leicht zurück, verblieben aber auf hohem Niveau. Unschädlich ist, dass das Landesarbeitsgericht nicht starr auf den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung abgestellt hat. Es konnte auch davor liegende Zeitspannen einbeziehen (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24).

20

b) Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten - den Angaben des Klägers zufolge - auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 26). Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zB eine Operation) ergriffen wurden (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO).

21

c) Danach hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, das künftige Auftreten von Krankheitszeiten im bisherigen Umfang sei aufgrund einer besonderen Krankheitsanfälligkeit indiziert. Zwar hat sich der Kläger bezüglich einzelner Erkrankungen darauf berufen, er habe besondere Therapiemaßnahmen durchgeführt. Seiner Schlussfolgerung, aufgrund dessen sei zumindest mit einer deutlichen Verringerung der Fehlzeiten zu rechnen gewesen, widerspricht aber der Umstand, dass er im Anschluss an die im März 2011 durchgeführte Operation noch bis Juli 2011 und erneut in der Zeit vom 8. bis 28. August 2011 wegen seines Hüftleidens krankgeschrieben war. Eine Rehabilitationsmaßnahme hat er erst nach Zugang der Kündigung begonnen und durchgeführt. Sie hat deshalb keinen Einfluss auf die Indizwirkung der vor dem Kündigungszeitpunkt aufgetretenen Fehlzeiten (vgl. BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 558/99 - Rn. 20 mwN). Gleiches gilt für mögliche - nach der Kündigung ergriffene - Maßnahmen zur Verbesserung der Immunabwehr. Damit verblieb es vor der Kündigung bei umfangreichen, eine negative Prognose stützenden Arbeitsunfähigkeitszeiten.

22

d) Der Kläger hat die Indizwirkung der Fehlzeiten nicht dadurch erschüttert, dass er sich auf das Zeugnis seiner ihn behandelnden Ärzte berufen und diese von der Schweigepflicht entbunden hat. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darin nicht die Behauptung erblickt, die Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung bezüglich sämtlicher prognosetragender Erkrankungen im Kündigungszeitpunkt positiv beurteilt (zu dieser Anforderung vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96; 6. September 1989 - 2 AZR 19/89 - zu B I 1 b der Gründe). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einen richterlichen Hinweis vermisst, ist seine Gegenrüge unzulässig, zumindest unbegründet.

23

5. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass sie - bei unveränderter Sachlage - damit zu rechnen hatte, an den Kläger auch zukünftig Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für mindestens sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Die Kündigung ist dennoch sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht „ultima ratio“ und deshalb unverhältnismäßig. Die Beklagte hat das gesetzlich vorgesehene bEM unterlassen, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.

24

a) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24). Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz sein (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN). Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 92, 96; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 286; vHHL/Krause KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 324; jeweils mwN).

25

b) Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich - besteht keine Verpflichtung zur Durchführung eines bEM - zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 14, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 16). Dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf seinerseits zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - aaO mwN). Entsprechend abgestuft ist die Darlegungslast des Arbeitgebers, wenn sich der Arbeitnehmer darauf beruft, die Kündigung sei deshalb unverhältnismäßig, weil eine dem Arbeitgeber bekannte, ihm gleichwohl nicht geboten erscheinende Therapiemöglichkeit bestanden habe.

26

c) Die Kündigung erweist sich nicht schon nach diesen allgemeinen Grundsätzen als unwirksam. Der Kläger hat geltend gemacht, sein bisheriger Arbeitsplatz erfordere regelmäßiges Treppensteigen und sei ferner deshalb nicht leidensgerecht, weil an ihm Zugluft herrsche. An Ausführungen dazu, welche organisatorischen Änderungen oder welcher andere Arbeitsbereich - aus seiner Sicht - eine Beschäftigung ohne gesundheitliche Probleme möglich gemacht hätten, fehlt es. Ebenso wenig ist seinem Vorbringen zu entnehmen, dass er sich bereits vor Zugang der Kündigung um eine Rehabilitationsmaßnahme und ein besseres Gesundheitsmanagement bemüht und die Beklagte Anhaltspunkte für die Annahme gehabt hätte, entsprechende Maßnahmen könnten erfolgversprechend sein.

27

d) Im Streitfall traf die Beklagte indes eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast. Sie hatte es versäumt, ein bEM durchzuführen. Ihrer Obliegenheit detailliert darzulegen, dass keine Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden, ist sie nicht nachgekommen.

28

aa) Die Beklagte war gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, ein bEM vorzunehmen. Der Kläger war in jedem der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung länger als sechs Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von sechs Wochen überschritten (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 19). Die Durchführung eines bEM setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer eine Behinderung vorliegt (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 27, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234).

29

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein regelkonformes bEM habe nicht stattgefunden, ist berechtigt.

30

(1) Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. § 84 Abs. 2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20). Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20).

31

(2) Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 9, BAGE 140, 350; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Bei der Durchführung muss er eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt, hinzuziehen (vgl. BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 55, BVerwGE 137, 148).

32

(3) Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat(BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht(BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 52, BVerwGE 137, 148). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 19, BAGE 140, 350; dass das Gesetz hier vom „Arbeitsplatz“ spricht, dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen, vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 28). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 62).

33

(4) Kommt es stattdessen darauf an, ob bestimmte vom Arbeitgeber tatsächlich ergriffene Maßnahmen den Anforderungen eines bEM genügen, ist zu prüfen, ob sie sich als der vom Gesetz vorgesehene umfassende, offene und an den Zielen des bEM ausgerichtete Suchprozess erweisen.

34

(5) Danach kann in den betriebsärztlichen Untersuchungen des Klägers und den mit ihnen verbundenen Begutachtungen kein bEM erblickt werden.

35

(a) Der Betriebsarzt wird in § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX als ein Akteur erwähnt, der „bei Bedarf“ zum bEM hinzugezogen wird. Dies entspricht der Aufgabe des Arztes, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung zu unterstützen und in Fragen des Gesundheitsschutzes zu beraten (§ 1 Satz 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 ASiG). Die Nutzung seines Sachverstands kann der Klärung dienen, ob vom Arbeitsplatz Gefahren für die Gesundheit des Arbeitnehmers ausgehen und künftig durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ASiG). Die Inanspruchnahme des betriebsärztlichen Sachverstands steht einem bEM als ganzem aber nicht gleich (vgl. Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24, 25).

36

(b) Es kann dahinstehen, ob der Arbeitgeber dem Betriebsarzt bei Bedarf die Durchführung und Leitung des bEM übertragen kann (befürwortend Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 152; zweifelnd Cramer/Ritz/Schian SGB IX 6. Aufl. § 84 Rn. 31). Die Behauptung der Beklagten, die betriebsärztlichen Untersuchungen seien „teilweise … unter dem Titel ‚betriebliches Eingliederungsmanagement‘ [gelaufen]“, macht nicht deutlich, dass sie dem arbeitsmedizinischen Dienst die regelgerechte Durchführung eines bEM überantwortet hätte. Jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass die Betriebsärzte ihre Beauftragung in einem solch weitreichenden Sinne verstanden und entsprechend agiert hätten. Ihre Stellungnahmen beschränken sich auf die Einschätzung der Einsatzfähigkeit des Klägers auf der Grundlage arbeitsmedizinischer Untersuchungen. Auch fehlt es an substantiierten Darlegungen zu einer den Anforderungen des § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX genügenden Unterrichtung und Belehrung des Klägers, aus der sich für diesen die Absicht, ein bEM durchzuführen, deutlich hätte erschließen können. Das Vorbringen der Beklagten, die Betriebsärztin habe aus Anlass der Ende 2009/Anfang 2010 vorgenommenen Untersuchung mit dem Kläger „die Fragestellung“ eines möglichen Zusammenhangs zwischen seiner Tätigkeit und den Erkrankungen „besprochen“ und ihn „über den Sinn und Zweck der Untersuchungen“ unterrichtet, reicht dafür nicht aus. Es kann deshalb offenbleiben, ob die fragliche Begutachtung, hätte es sich bei ihr um ein bEM gehandelt, dem Zweck des § 84 Abs. 2 SGB IX deshalb nicht genügen konnte, weil der Kläger innerhalb des der Kündigung vorausgegangenen Jahres erneut Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen aufwies(zur Problematik KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 16; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10).

37

cc) Das Unterlassen eines bEM führt hier dazu, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist.

38

(1) Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dennoch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20).

39

(2) Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will sich der Arbeitgeber hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 25).

40

(3) Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt.

41

(4) Diesen Vorgaben wird die Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis gerecht.

42

(a) Ein bEM ist nicht nur bei lang andauernden Krankheiten geboten. Es ist auch bei häufigen Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen oder von vorneherein überflüssig. Nach der gesetzlichen Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX kommt es allein auf den Umfang, nicht auf die Ursache der Erkrankungen an. Auch aus Krankheiten, die auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen, kann sich - zumal wenn sie auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hindeuten - eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ergeben, der das bEM entgegenwirken soll (KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 17; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10; Deinert NZA 2010, 969, 971; aA Balders/Lepping NZA 2005, 854, 855).

43

(b) Dem Vorbringen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass einem künftigen Auftreten erheblicher, über sechs Wochen hinausgehender Fehlzeiten des Klägers durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen nicht hätte entgegengewirkt werden können. Dass ihr entsprechende Maßnahmen nicht möglich oder zumutbar gewesen wären, hat sie nicht aufgezeigt.

44

(aa) In diesem Zusammenhang waren nähere Darlegungen der Beklagten nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger vorgerichtlich geäußert haben mag, seine Erkrankungen seien nicht „betriebsbedingt“. Unabhängig davon, was genau er damit hat ausdrücken wollen, ist es nicht treuwidrig, wenn er sich gegenüber der ausgesprochenen Kündigung auf das Unterbleiben erfolgversprechender innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen beruft. Das Landesarbeitsgericht musste seine Behauptung, solche Maßnahmen hätten dem Auftreten neuerlicher Fehlzeiten vorbeugen oder diese zumindest verringern können, nicht etwa als Schutzbehauptung werten. Die Beklagte hat die vom Kläger aufgezeigten, einer günstigen Veränderung jedenfalls dem ersten Anschein nach nicht unzugänglichen Arbeitsbedingungen nicht in Abrede gestellt. Der Umstand, dass der Kläger während einer Prozessbeschäftigung trotz des Einsatzes am bisherigen Arbeitsplatz keine relevanten krankheitsbedingten Ausfallzeiten mehr gezeigt hat, spricht nicht notwendig gegen einen möglichen Zusammenhang zwischen den äußeren Arbeitsumständen und seinen bisherigen Fehlzeiten. Die Entwicklung kann ebenso gut durch die zwischenzeitlich durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme oder dadurch begünstigt worden sein, dass der Kläger - wie er behauptet hat - nunmehr ein effektiveres „Gesundheitsmanagement“ betreibt.

45

(bb) Die Beklagte hat die objektive Nutzlosigkeit innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen nicht dadurch aufgezeigt, dass sie auf den Gegenstand der arbeitsmedizinischen Untersuchungen verwiesen und sich die Stellungnahmen der Betriebsärzte - konkludent - zu Eigen gemacht hat. Zwar verpflichtet § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. c) ASiG die Betriebsärzte, Ursachen von „arbeitsbedingten Erkrankungen“ zu untersuchen. Auch ist der Stellungnahme vom 2. Februar 2010 zu entnehmen, dass die Ärzte keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers und seinen Fehlzeiten erkannt haben. Das schließt aber die Gewinnung anderer Erkenntnisse im Rahmen eines in alle Richtungen offenen bEM nicht aus. Bei diesem geht das Gesetz davon aus, dass sich neben dem Arbeitnehmer auch die anderen beteiligten Stellen, insbesondere die Rehabilitationsträger, aktiv in die Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit einbringen. Es kommt hinzu, dass die Berufsgenossenschaft im Jahr 2010 einen Zusammenhang zumindest zwischen den Arbeitsbedingungen und der Kontaktallergie gesehen und ein Hilfsmittel empfohlen hat. Soweit die Beklagte anführt, die im Jahr 2011 erfolgte betriebsärztliche Untersuchung sei „unter Berücksichtigung der arbeitsplatztypischen Belastungsfaktoren Lärm, Hautkontakt mit Stoffen, Schichttätigkeit“ erfolgt und „negativ“ verlaufen, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden kann. Im Übrigen ergibt sich aus ihm nicht, dass der Arbeitsplatz des Klägers auf besondere Belastungen durch Zugluft und Treppensteigen, dh. auf Umstände und deren mögliche Änderung hin untersucht worden wäre, in denen der Kläger eine Ursache seiner Krankheitsanfälligkeit erblickt.

46

(cc) Soweit die Beklagte gemeint hat, die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zu der Möglichkeit, im Rahmen eines bEM zu einer von den arbeitsmedizinischen Gutachten abweichenden Beurteilung zu gelangen, bewegten sich im Bereich der Spekulation, liegt darin kein beachtliches Vorbringen. Es handelt sich weder um eine zulässige Verfahrens-, noch um eine begründete Sachrüge. Es hat nicht das Landesarbeitsgericht Spekulationen angestellt, sondern die Beklagte ist ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen, im Einzelnen darzulegen, weshalb eine abweichende Beurteilung objektiv ausgeschlossen sein soll.

47

(c) Die Kündigung wäre selbst dann unverhältnismäßig, wenn feststünde, dass die tatsächlichen betrieblichen Bedingungen, zu denen der Kläger arbeitete, nicht hätten geändert werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung eines bEM Rehabilitationsbedarfe in der Person des Klägers hätten erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können.

48

(aa) Nach der Konzeption des Gesetzes lässt das bEM den Beteiligten bei der Prüfung, mit welchen Maßnahmen, Leistungen oder Hilfen eine künftige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglichst vermieden werden und das Arbeitsverhältnis erhalten bleiben kann, jeden denkbaren Spielraum. Es soll erreicht werden, dass keine vernünftigerweise in Betracht kommende, zielführende Möglichkeit ausgeschlossen wird (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1783 S. 16) soll durch eine derartige Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft gesichert werden. Zugleich sollen auf diese Weise medizinzische Rehabilitationsbedarfe frühzeitig, ggf. präventiv erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, hat der Arbeitgeber deshalb gemäß § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auch bei nicht behinderten Arbeitnehmern die örtlichen gemeinsamen Servicestellen hinzuzuziehen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Hilfen und Leistungen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX erbracht werden. Als Hilfen zur Beseitigung und möglichst längerfristigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeit kommen dabei - neben Maßnahmen zur kurativen Behandlung - insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX in Betracht(vgl. Knittel SGB IX 7. Aufl. § 84 Rn. 207; KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 9; Nebe in MünchAnwHdb Sozialrecht 4. Aufl. § 21 Rn. 22; Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 190).

49

(bb) Denkbares Ergebnis eines bEM kann es damit sein, den Arbeitnehmer auf eine Maßnahme der Rehabilitation zu verweisen. Dem steht nicht entgegen, dass deren Durchführung von seiner Mitwirkung abhängt und nicht in der alleinigen Macht des Arbeitgebers steht. Ggf. muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist zur Inanspruchnahme der Leistung setzen. Eine Kündigung kann er dann wirksam erst erklären, wenn die Frist trotz Kündigungsandrohung ergebnislos verstrichen ist (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 29). Durch die Berücksichtigung entsprechender, aus dem bEM entwickelter Empfehlungen wird der „ultima-ratio-Grundsatz“ nicht, wie die Beklagte meint, über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt. Die aus ihm resultierende Verpflichtung des Arbeitgebers, ggf. mildere Mittel zu ergreifen, ist nicht auf arbeitsplatzbezogene Maßnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG beschränkt. Diese Vorschrift dient der Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lediglich mit Blick auf ihren eigenen Regelungsbereich. Sie schließt die Berücksichtigung sonstiger Umstände, die eine Kündigung entbehrlich machen könnten, nicht aus. Eine Kündigung muss, damit sie durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“ ist, unter allen Gesichtspunkten verhältnismäßig, dh. unvermeidbar sein. Daraus kann sich die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, auf bestehende Therapiemöglichkeiten Bedacht zu nehmen. Wenn er ein bEM unterlassen hat, kann er gegen eine solche Verpflichtung nicht einwenden, ihm seien im Kündigungszeitpunkt - etwa schon mangels Kenntnis der Krankheitsursachen - entsprechende Möglichkeiten weder bekannt gewesen, noch hätten sie ihm bekannt sein können.

50

(cc) Das bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber bei Unterlassen eines bEM, um die Verhältnismäßigkeit der Kündigung aufzuzeigen, für jede nur erdenkliche Maßnahme der Gesundheitsprävention - etwa bis zu möglichen Änderungen in der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers - von sich aus darzulegen hätte, dass und weshalb sie zur nachhaltigen Verminderung der Fehlzeiten nicht geeignet gewesen sei. Es reicht aus, wenn er dartut, dass jedenfalls durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten nicht in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt lediglich die Berücksichtigung solcher Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen, deren Beachtung dem Arbeitgeber zumutbar ist. Zumutbar wiederum ist nur eine Beachtung solcher Maßnahmen, deren Zweckmäßigkeit hinreichend gesichert ist. Auch muss deren tatsächliche Durchführung objektiv überprüft werden können. Beides trifft auf gesetzlich vorgesehene Leistungen und Hilfen, die der Prävention und/oder Rehabilitation dienen, typischerweise zu. Solche Maßnahmen muss der Arbeitgeber deshalb grundsätzlich in Erwägung ziehen. Hat er ein bEM unterlassen, muss er von sich aus ihre objektive Nutzlosigkeit aufzeigen und ggf. beweisen. Dabei kommt eine Abstufung seiner Darlegungslast in Betracht, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt sind. Für eine Maßnahme außerhalb des Leistungskatalogs der Rehabilitationsträger - und sei es ein fachkundig entwickeltes Konzept zur privaten Gesundheitsprävention - gilt dies dagegen in aller Regel nicht. Deren objektive Nutzlosigkeit braucht der Arbeitgeber nicht darzutun.

51

(dd) Danach durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung zwar nicht deshalb für unwirksam erachten, weil im Rahmen eines bEM die Möglichkeit bestanden hätte, ein - wie auch immer geartetes - Konzept für ein konsequentes Gesundheitsmanagement des Klägers zu entwickeln. Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat nicht dargetan, dass auch bei regelkonformer Durchführung eines bEM keine geeigneten Leistungen oder Hilfen für den Kläger hätten erkannt werden können, zu deren Erbringung die Rehabilitationsträger verpflichtet gewesen wären. Das gilt umso mehr, als sich der Kläger ausdrücklich auf eine nach Zugang der Kündigung erfolgreich durchgeführte Reha-Behandlung berufen hat. Die Beklagte hätte aufzeigen müssen, warum Maßnahmen zur kurativen Behandlung und/oder der medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX - zu denen im Übrigen nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift auch die „Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln“ zählt - nicht in Betracht gekommen wären oder doch zu einer erheblichen Verringerung der Fehlzeiten nicht hätten beitragen können. An solchen Darlegungen fehlt es.

52

II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses gerichtet. Dieser Rechtsstreit ist abgeschlossen.

53

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 10. Mai 2012 - 3 Sa 1134/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte ist ein Entsorgungsunternehmen, das mit sog. Abbruchschrott aus Metall handelt. In ihrem Betrieb beschäftigt sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer, darunter sechs bis sieben Hofarbeiter und mehrere LKW-Fahrer sowie Verwaltungskräfte. Den Hofarbeitern obliegt es, angelieferten Schrott zu sortieren, zu reinigen und zu entsorgen. Dabei kommen verschiedene Fahrzeuge zum Einsatz wie Gabelstapler, Lader und Bagger mit einem Gewicht von bis zu 35 Tonnen und einer Ausgreifweite von bis zu 20 Metern.

3

Der 1956 geborene, verheiratete Kläger war seit März 1999 bei der Beklagten als Hofarbeiter tätig. Sein Bruttomonatsverdienst betrug zuletzt 2.666,00 Euro.

4

Im Jahr 2009 führte die Beklagte ein striktes Alkoholverbot ein, über das sie den Kläger - wie ihre anderen Mitarbeiter auch - schriftlich unterrichtete. Außerdem gab sie auf ihrem gesamten Firmengelände die Geltung der StVO vor. Von ihren Hofarbeitern verlangte sie fortan, im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis (ehemalige Führerscheinklasse „drei“) zu sein. Zugleich stellte sie ihre bis dahin geübte Praxis ein, Mitarbeitern in den Sozialräumen auch alkoholische Getränke zur Verfügung zu stellen. Im Herbst 2010 weitete sie ihr Betriebsgelände zu einem etwa 800 Meter vom Hauptgelände entfernten Containerplatz aus. Seither müssen Hofarbeiter bei der Verrichtung ihrer Tätigkeit zeitweise öffentlichen Straßenraum befahren.

5

Am 14. Januar 2010 wurde der Kläger stark alkoholisiert am Arbeitsplatz angetroffen und anschließend nach Hause geschickt. Wegen weiterer Vorkommnisse kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien im Januar und Februar 2010 jeweils aus Gründen im Verhalten des Klägers. Im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess machte dieser geltend, er sei alkoholkrank. Die Beklagte nahm die Kündigungen zurück. Zugleich mahnte sie den Kläger wegen Verstoßes gegen das betriebliche Alkoholverbot ab. Der Kläger nahm das Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses an. Im Mai 2010 begann er eine Entziehungskur, die er Anfang Juli 2010 abbrach.

6

In den Monaten Juli bis September 2010 führte die Beklagte beim Kläger mit dessen Einverständnis regelmäßig Tests auf Alkohol im Atem durch. Eine entsprechende Kontrolle vom 31. August 2010 ergab einen Wert von 1,81 Promille. Die Beklagte forderte den Kläger auf, das Betriebsgelände zu verlassen. Außerdem mahnte sie ihn wegen „alkoholisierten Erscheinens am Arbeitsplatz“ ab. Bei weiteren Tests vom 13., 15. und 20. September 2010 wurde beim Kläger eine Alkoholkonzentration von 0,6, 0,16 bzw. 0,52 Promille festgestellt. Am 7. Dezember 2010 verursachte er mit einem Firmenfahrzeug außerhalb des Betriebsgeländes einen Unfall. Es entstand Sachschaden. Am 12. Januar 2011 verweigerte er die Teilnahme an einem Alkoholtest. Die Umstände, die zu der Weigerung führten, sind zwischen den Parteien streitig.

7

Am 1. März 2011 kontrollierte die Beklagte ihre gewerblichen Arbeitnehmer auf den Besitz eines gültigen Führerscheins. Der Kläger legte eine in Tschechien ausgestellte Fahrerlaubnis vor. Mit Schreiben vom 7. März 2011 teilte sein behandelnder Arzt mit, nach Abbruch der stationären Therapie im Jahr 2010 seien beim Kläger keine weiteren Maßnahmen zur Alkoholentwöhnung durchgeführt worden. Mitte März 2011 forderte die Beklagte den Kläger auf, bis Ende des Monats verbindliche Unterlagen „bezüglich Art und Zeitraum einer Entziehungskur in nächster Zukunft“ sowie über die Gültigkeit seines „tschechischen Führerscheins“ vorzulegen. Der Kläger brachte keine Unterlagen über eine weitere Behandlung bei. Die zuständige Behörde teilte mit, dass die Fahrerlaubnis in Deutschland keine Gültigkeit habe.

8

Mit Schreiben vom 4. April 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 31. August 2011, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Vom 15. bis zum 26. April 2011 begab sich der Kläger für eine stationäre Behandlung ins Krankenhaus. Er wurde als „arbeitsfähig“ entlassen.

9

Gegen die Kündigung hat der Kläger fristgerecht die vorliegende Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. Er sei nicht alkoholabhängig. Erhebliche Betriebsablaufstörungen seien aufgrund seiner gelegentlichen Alkoholisierung nicht eingetreten. Die im Frühjahr 2010 begonnene Entziehungskur habe er abgebrochen, weil er mit dem bezogenen Krankengeld seinen Lebensunterhalt nicht habe bestreiten können. Der Verkehrsunfall vom Dezember 2010 sei auf einen Defekt an dem von ihm gesteuerten Ladefahrzeug zurückzuführen. Im Januar 2011 habe er einen Alkoholtest nicht endgültig verweigert; er habe lediglich darum gebeten, die Kontrolle in Abwesenheit der LKW-Fahrer durchzuführen, wozu die Beklagte nicht bereit gewesen sei. Jedenfalls sei es dieser zumutbar gewesen, ihn ausschließlich auf ihrem Betriebsgelände einzusetzen. Zur Erledigung der dort anfallenden Arbeiten sei eine Fahrerlaubnis nicht zwingend erforderlich. Außerdem habe die Möglichkeit bestanden, ihn als Platzwart oder Hofarbeiter auf dem neuen Containerplatz weiter zu beschäftigen.

10

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 4. April 2011 nicht aufgelöst worden ist.

11

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei durch Gründe im Verhalten und in der Person des Klägers bedingt. Dieser habe mehrfach gegen das betriebliche Alkoholverbot verstoßen. Er sei im Kündigungszeitpunkt alkoholabhängig gewesen. Auch habe ihm der ernstliche Wille gefehlt, eine Therapie durchzuführen. Unter diesen Umständen sei ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers als Hofarbeiter aus Sicherheitsgründen nicht länger zuzumuten gewesen. Andere geeignete Arbeitsplätze hätten nicht zur Verfügung gestanden.

12

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Kündigung vom 4. April 2011 ist wirksam.

14

I. Die ordentliche Kündigung vom 4. April 2011 ist aufgrund der Alkoholerkrankung des Klägers durch Gründe in seiner Person bedingt und deshalb iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt.

15

1. Ist im Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt, der Arbeitnehmer biete aufgrund einer Alkoholsucht dauerhaft nicht die Gewähr, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen, kann eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein. Voraussetzung ist, dass daraus eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgt, diese durch mildere Mittel - etwa eine Versetzung - nicht abgewendet werden kann und sie auch bei einer Abwägung gegen die Interessen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss (BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 22; zu den Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 11, BAGE 135, 361). Für die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung einer Alkoholerkrankung kommt es entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung bereit ist, eine Entziehungskur bzw. Therapie durchzuführen. Lehnt er das ab, kann erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden, dass er von seiner Alkoholabhängigkeit in absehbarer Zeit nicht geheilt wird (BAG 9. April 1987 - 2 AZR 210/86 - zu B III 3 der Gründe). Ebenso kann eine negative Prognose dann berechtigt sein, wenn der Arbeitnehmer nach abgeschlossener Therapie rückfällig geworden ist (BAG 16. September 1999 - 2 AZR 123/99 - zu II 2 b bb der Gründe).

16

2. Im Streitfall war im Zeitpunkt der Kündigung die Annahme gerechtfertigt, der Kläger biete aufgrund von Alkoholsucht nicht mehr die Gewähr, seine Tätigkeit als Hofarbeiter dauerhaft ordnungsgemäß erbringen zu können.

17

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, der Kläger sei nach der Einnahme von Alkohol für die von ihm zu erbringende Tätigkeit als Hofarbeiter nicht einsetzbar. Er ist im Rahmen seiner Tätigkeit verantwortlich für das Führen verschiedener großer Fahrzeuge. Die mit dem Alkoholkonsum einhergehenden Minderungen der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit führen zu erheblichen Gefahren für Menschen und Material auf dem Hofgelände, denen die Beklagte als Betriebsinhaberin so weit wie möglich begegnen muss.

18

b) Die Beklagte musste aufgrund der Vorfälle in der Vergangenheit auch künftig mit Alkoholauffälligkeiten des Klägers während der Arbeitszeit rechnen.

19

aa) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lag beim Kläger im Kündigungszeitpunkt eine Alkoholerkrankung vor. Daran ist der Senat gebunden (§ 559 Abs. 2 ZPO). Der Kläger behauptet zwar weiterhin das Gegenteil. Das reicht als Revisionsangriff aber nicht aus (zu den Anforderungen an eine zulässige Verfahrensrüge vgl. BAG 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 109, 145).

20

bb) Der Kläger war seit Anfang des Jahres 2010 mehrfach alkoholisiert an seinem Arbeitsplatz angetroffen worden. Nach einer stationären Entwöhnungsbehandlung, die er aus wirtschaftlichen Erwägungen abbrach, wurde er wiederholt alkoholauffällig. Daraus durfte das Landesarbeitsgericht auf die Wiederholung entsprechender Ausfälle in der Zukunft schließen. Der Kläger hat im Rahmen der ihn nach § 138 Abs. 2 ZPO treffenden abgestuften Darlegungslast(vgl. dazu BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96) keine Umstände aufgezeigt, die geeignet gewesen wären, die Indizwirkung seiner alkoholbedingten Ausfälle zu entkräften.

21

(1) Der Kläger hat nicht behauptet, vor dem Ausspruch der Kündigung eine neuerliche Alkoholtherapie begonnen zu haben. Die Beklagte durfte den Umständen nach von einer Therapieunwilligkeit ausgehen. Sie hatte ihn mit Schreiben vom 16. März 2011 aufgefordert, einen Nachweis über eine Entziehungskur beizubringen. Dies konnte der Kläger angesichts der zuvor erteilten Auskunft seines behandelnden Arztes nur so verstehen, dass es ihr um die zukünftige Teilnahme an einer Kur und damit die Abklärung seiner ernsthaften Bereitschaft ging, eine Entwöhnungsbehandlung durchzuführen. Der Kläger hat das Schreiben im fraglichen Punkt unbeantwortet gelassen. Soweit er geltend gemacht hat, er habe sich noch im März 2011 um eine „weitere ärztliche Behandlung bemüht“, war seinem Vorbringen nicht zu entnehmen, dass er eine Alkoholtherapie anstrebte. Im ärztlichen Bericht vom 26. April 2011 heißt es zu einer nach Zugang der Kündigung erfolgten Krankenhausbehandlung nur, der Kläger sei „arbeitsfähig“ entlassen worden. Zur Art der Behandlung, insbesondere ob es sich dabei um - erfolgreiche - Maßnahmen zur Alkoholentwöhnung handelte, verhält sich der Bericht nicht. Darauf, ob eine vom Kläger erst nach Zugang der Kündigung begonnene Alkoholtherapie im Rahmen der anzustellenden Zukunftsprognose überhaupt hätte Berücksichtigung finden können (zur Problematik vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96), kommt es nicht an.

22

(2) Auch wenn eine Vielzahl beim Kläger durchgeführter Alkoholtests unauffällig gewesen sein mögen, führt dies nicht daran vorbei, dass in drei Fällen Werte von über 0,5 „Promille“ erreicht wurden, wobei mangels gegenteiliger Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zugunsten des Klägers davon auszugehen ist, dass der jeweilige Wert - aufgrund einer vom Messgerät intern durchgeführten Umrechnung - die Blutalkoholkonzentration widerspiegelt, die andernfalls noch höher ausfiele (zum Umrechnungsfaktor vgl. BGH 3. April 2001 - 4 StR 507/00 - zu IV b der Gründe, BGHSt 46, 358). Unter diesen Umständen war nicht davon auszugehen, der Kläger habe seine Alkoholerkrankung „im Griff“ gehabt und die Fähigkeit zur Abstinenz besessen. Mit seinem Einwand, es habe sich jeweils um „Restalkohol“ aufgrund des Genusses alkoholischer Getränke am Vorabend gehandelt, verkennt der Kläger, dass es für die Beeinträchtigung seiner Arbeitsfähigkeit unerheblich ist, wann er Alkohol zu sich genommen hat. Es spricht überdies nicht für, sondern gegen die Annahme, er könne seine Alkoholsucht „beherrschen“, wenn es sich etwa bei der am 20. September 2010 gegen 12:50 Uhr gemessenen Alkoholkonzentration von 0,52 Promille um „Restalkohol“ gehandelt haben sollte. Dies deutete - das Vorbringen als wahr unterstellt - auf eine sehr starke Alkoholisierung am Vortag hin.

23

3. Die Alkoholerkrankung und die damit verbundene mangelnde Einsatzfähigkeit des Klägers führten zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen.

24

a) Der Kläger erbringt seine Arbeitsleistungen in einem Umfeld, das von An- und Abtransporten sowie Umladungen von Metallabfällen mittels schwerer Gerätschaften wie Bagger, Gabelstapler, Lader, betriebseigener und betriebsfremder LKW geprägt ist. Seine vertraglich geschuldete Tätigkeit ist deshalb - unstreitig - sowohl mit einer nicht unerheblichen Gefahr für sich selbst als auch für Dritte verbunden.

25

b) Aufgrund dieser Gefahren war es der Beklagten nicht zuzumuten, den Kläger auf seinem bisherigen Arbeitsplatz einzusetzen. Nach § 7 Abs. 2 der Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“ (BGV A1 idF vom 1. Januar 2004) dürfen Unternehmer Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen. Gemäß § 15 Abs. 2 der Vorschrift dürfen Versicherte sich durch den Konsum von Alkohol, Drogen oder anderen berauschenden Mitteln nicht in einen Zustand versetzen, durch den sie sich selbst oder andere gefährden können. Eine solche Eigen- oder Fremdgefährdung ist nach der BG-Regel A1 zu § 15 Abs. 2(vom Oktober 2005 idF vom Januar 2009) insbesondere beim Führen von Fahrzeugen oder selbstfahrenden Arbeitsmaschinen sowie beim Arbeiten in deren unmittelbarer Nähe gegeben. Eine Missachtung dieser Vorgaben kann zum Verlust des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung führen. Für den Straßenverkehr sieht der Gesetzgeber ab einem Wert von 0,25 mg/l Alkohol in der Atemluft und 0,5 Promille Alkohol im Blut eine erhebliche Gefährdung für den Straßenverkehr (§ 24a StVG). Relative Fahruntüchtigkeit kann schon ab ca. 0,3 Promille Alkohol im Blut anzunehmen sein (grundlegend BGH 28. April 1961 - 4 StR 55/61 - zu I 2 der Gründe; zuletzt bspw. OLG Hamm 25. August 2010 - I-20 U 74/10, 20 U 7420 U 74/10 - Rn. 22). Das im Betrieb der Beklagten angeordnete absolute Alkoholverbot trägt diesen Gefahren Rechnung. Es dient - wie die Anordnung der Geltung der StVO auf dem Betriebsgelände - ersichtlich dazu, entsprechende Risiken vorbeugend auszuschließen und damit letztlich Schaden von der Beklagten selbst, ihren Mitarbeitern sowie betriebsfremden Personen und deren Eigentum abzuwenden. Angesichts der Alkoholerkrankung des Klägers und seiner nachweislich - auch krankheitsbedingt - mangelnden Fähigkeit, abstinent zu bleiben, konnte und durfte die Beklagte nicht darauf vertrauen, er werde seine Arbeit als Hofarbeiter nüchtern, zumindest aber in einem körperlichen Zustand verrichten, der den Präventionsvorgaben gerecht wird.

26

c) Bereits dies führt - vorbehaltlich einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit - zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG(vgl. BAG 13. Dezember 1990 - 2 AZR 336/90 - zu II 3 der Gründe), ohne dass es noch darauf ankäme, ob der Alkoholgenuss des Klägers zu Unfällen beigetragen hat, in die er während seiner Tätigkeit für die Beklagte verwickelt war. Ebenso wenig ist von Belang, ob und ggf. wie oft dieser in der Vergangenheit objektiv durch seine Alkoholisierung am Arbeitsplatz gesetzliche Vorgaben verletzt hat oder ggf. unerkannt arbeitsunfähig war. Entscheidend ist, dass die Beklagte aufgrund der im Kündigungszeitpunkt fortbestehenden Alkoholerkrankung jederzeit mit einer Beeinträchtigung der Fahr- und Arbeitssicherheit durch den Kläger rechnen musste. Sein weiterer Einsatz als Hofarbeiter war ihr damit nicht zumutbar.

27

d) Dass sie ihn nach Abbruch der Entziehungskur gleichwohl mit entsprechenden Aufgaben betraut hat, stellt diese Bewertung nicht in Frage. Dies geschah über längere Zeit hinweg unter der Prämisse einer Einwilligung in die Durchführung regelmäßiger Alkoholtests. Jedenfalls nachdem der Kläger ihre Anfrage vom März 2011 hinsichtlich einer weiteren Alkoholtherapie unbeantwortet gelassen hatte, konnte der Beklagten nicht mehr angesonnen werden, den Kläger weiterhin mit seinen bisherigen Aufgaben zu betrauen und ihn dabei täglich - ggf. sogar wiederholt - auf seine Alkoholabstinenz hin zu kontrollieren (vgl. BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 34). Zudem war der Kläger nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ab Ende 2010 nicht mehr bereit, an regelmäßigen Tests vorbehaltslos mitzuwirken. Auch daran ist der Senat mangels zulässigen Angriffs der Revision gebunden.

28

e) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, im Kündigungszeitpunkt habe keine zumutbare Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung des Klägers bestanden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

29

aa) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist entsprechend dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 1020/08 - Rn. 18; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 14; jeweils mwN). Die Möglichkeit der anderweitigen Beschäftigung ist ein milderes Mittel. Wenn eine Umsetzungsmöglichkeit besteht, hat eine Erkrankung des Arbeitnehmers keine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zur Folge (vgl. BAG 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - zu B IV 1 der Gründe).

30

bb) Der Kläger hat sich insoweit auf eine Beschäftigung als Hofarbeiter ohne Verpflichtung zum Führen eines Kraftfahrzeugs und als Platzwart berufen. Damit hat er keine geeignete alternative Beschäftigungsmöglichkeit aufgezeigt. Die Beklagte hält die von ihm bezeichneten „Arbeitsplätze“ nicht vor. Zudem ist weder dargetan noch objektiv erkennbar, dass die Ausübung der fraglichen Tätigkeiten vergleichbare Sicherheitsrisiken nicht auch mit sich brächte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger sei im Falle einer alkoholbedingten Einschränkung seiner Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit nicht in der Lage, auf Gefahrensituationen angemessen zu reagieren und/oder Dritte ggf. rechtzeitig zu warnen. Der Kläger stellt dies nicht in Abrede. Er meint lediglich, die im Berufungsurteil getroffene Wertung lasse außer Acht, dass solche Gefahren auch bei anderen chronischen Erkrankungen nicht hinreichend sicher auszuschließen seien. Dabei übersieht er zum einen, dass Suchterkrankten - im Gegensatz zu anderen chronisch kranken Menschen - typischerweise die Fähigkeit fehlt einzuschätzen, ob sie wegen des Konsums von Suchtmitteln in ihrer Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit eingeschränkt sind. Zum anderen ist es eine Frage des Einzelfalls, ob ein Arbeitnehmer wegen chronischer Erkrankung und damit verbundener Sicherheitsrisiken bestimmte Arbeiten nicht mehr erledigen kann. Ein solcher Befund kann sich nicht nur beim Alkoholismus ergeben.

31

cc) Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob die Beklagte vor der Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement iSv. § 84 Abs. 2 SGB IX(bEM) durchgeführt hat. Das Versäumnis ist nicht entscheidungserheblich.

32

(1) Zugunsten des Klägers kann davon ausgegangen werden, dass bei Alkoholismus ein bEM grundsätzlich in Betracht kommt und seine Durchführung sich nicht wegen des Krankheitsbildes generell als überflüssig darstellt (zur Problematik vgl. Brose DB 2013, 1727, 1728). Gleichwohl erscheint fraglich, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX im Streitfall vorliegen. Zwar war ein bEM nicht deshalb entbehrlich, weil bei der Beklagten keine betriebliche Interessenvertretung iSd. § 93 SGB IX bestand(vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 28, BAGE 135, 361). Es ist aber weder festgestellt noch vom Kläger behauptet, dass er vor der Kündigung innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt wegen seiner Alkoholerkrankung arbeitsunfähig war. Seine Beschäftigung mag der Beklagten unzumutbar gewesen sein. Dies steht einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aber nicht ohne Weiteres gleich (ähnlich BAG 20. Dezember 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 31). Soweit der Kläger im Frühjahr 2010 Krankengeld bezogen hat, bleibt unklar, für welche Dauer er die Sozialleistung erhielt.

33

(2) Abgesehen davon führte das Unterlassen eines bEM nicht zu der Annahme, die Kündigung sei unverhältnismäßig. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

34

(a) § 84 Abs. 2 SGB IX stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Das bEM ist zwar kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner Hilfe können aber solche milderen Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen, ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 18; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 41, BAGE 123, 234). Möglich ist, dass selbst ein bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen eines bEM kein Nachteil entstehen. Erscheint demgegenüber ein positives Ergebnis denkbar, darf er sich nicht auf den pauschalen Vortrag beschränken, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die der erkrankte Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Der Arbeitgeber hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer ggf. außergerichtlich genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz in Betracht kommen (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 35, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 19).

35

(b) Im Streitfall erscheint es als ausgeschlossen, dass ein bEM zu einem positiven Ergebnis hätte führen können. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts beschäftigte die Beklagte im Kündigungszeitpunkt außer Hofarbeitern nur LKW-Fahrer und Verwaltungskräfte. Als LKW-Fahrer konnte der Kläger wegen seiner Alkoholabhängigkeit und auch deshalb nicht eingesetzt werden, weil ihm die dafür notwendige Fahrerlaubnis fehlte. Auch ein Einsatz im Bürobereich war der Beklagten angesichts der Alkoholabhängigkeit nicht zumutbar. Unabhängig davon fehlte dem Kläger hierfür offensichtlich die Qualifikation. Soweit er bis zum Ablauf der Kündigungsfrist gelegentlich und unter Berücksichtigung seiner Einschränkungen mit einfachen Hilfsarbeiten beschäftigt worden war, kann daraus nicht auf eine alternative Einsatzmöglichkeit iSd. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG geschlossen werden. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass sie die fraglichen Tätigkeiten nach Ablauf der Kündigungsfrist - wie bereits zuvor - fremdvergeben habe. Allenfalls dann, wenn ihre Hofarbeiter nicht mit anderen Aufgaben ausgelastet gewesen seien, hätten diese - gelegentlich - die Arbeiten mit übernommen. Dieser Behauptung ist der Kläger nicht entgegengetreten. Im Übrigen stand der erfolgreichen Durchführung eines bEM die mangelnde Therapiewilligkeit des Klägers im Kündigungszeitpunkt entgegen.

36

4. Die Abwägung der Belange beider Parteien ergibt, dass das Beendigungsinteresse der Beklagten das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses überwiegt. Das Landesarbeitsgericht hat alle für und gegen dieses Ergebnis sprechenden Aspekte berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen.

37

a) Der Beklagten war es auf Dauer nicht mehr zumutbar, die mit einer möglichen Alkoholisierung des Klägers verbundenen Gefährdungen hinzunehmen. Geeignete Mittel, ihnen angemessen zu begegnen, standen nicht zur Verfügung. Unabhängig von der fehlenden Einwilligung des Klägers in regelmäßige Alkoholtests versprachen derartige Kontrollen nicht die erforderliche Sicherheit. Der Kläger war Alkoholiker. Es war davon auszugehen, dass er es darauf anlegen würde, Mittel und Wege zu finden, etwaige Kontrollen zu umgehen.

38

b) Diese Belange der Beklagten werden durch die zwölfjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers, sein Alter und die gegenüber seiner Ehefrau bestehende Unterhaltsverpflichtung nicht aufgewogen. Die Beklagte hat dem Kläger nach Alkoholauffälligkeiten die Chance einer Bewährung gegeben. Sie hat die stationäre Behandlung abgewartet. Deren Scheitern war ihr nicht anzulasten. Überdies hat sie dem Kläger nach einer erneuten Alkoholauffälligkeit im August 2010 durch eine Abmahnung deutlich vor Augen geführt, welche Bedeutung sie seiner Abstinenz zumisst, und ihm unmittelbar vor der Kündigung eine Frist gesetzt, um weitere - kurzfristig anzugehende - Behandlungsmaßnahmen nachzuweisen. Sie hatte damit alles ihr Zumutbare für den Erhalt des Arbeitsverhältnisses getan. Ihr Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses musste nicht deshalb zurücktreten, weil sie zu früheren Zeiten im Betrieb alkoholische Getränke bereitgestellt hatte. Der Kläger hat nicht etwa behauptet, die Beklagte habe ihn trotz Kenntnis von seiner Alkoholabhängigkeit zum Genuss alkoholischer Getränke verleitet.

39

c) Unschädlich ist, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis erst gekündigt hat, nachdem sich herausgestellt hatte, die dem Kläger erteilte „tschechische Fahrerlaubnis“ im Inland keine Gültigkeit besaß. Ihr war es trotz dieses Zuwartens nicht verwehrt, sich auf die Alkoholerkrankung des Klägers als eigenständigen Kündigungsgrund zu berufen. Überdies war dessen Verhalten im Zusammenhang mit dem Führerschein ein weiterer Beleg für das Fehlen seiner Bereitschaft, mit bestehenden Unzulänglichkeiten verantwortlich umzugehen. Ob umgekehrt die Kündigung allein wegen der Tatsache gerechtfertigt wäre, dass der Kläger nicht über eine für Deutschland gültige Fahrerlaubnis verfügte, bedarf keiner Entscheidung.

40

II. Das Landesarbeitsgericht hat - unausgesprochen - angenommen, die Kündigung sei nicht deshalb unwirksam, weil die maßgebende Kündigungsfrist nicht eingehalten worden sei. Dagegen wendet sich der Kläger nicht. Er geht - in Übereinstimmung mit der Beklagten - davon aus, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung vom 4. April 2011, sollte diese sich als sozial gerechtfertigt erweisen, mit Ablauf des 30. September 2011 aufgelöst worden und die Kündigungserklärung sei entsprechend auszulegen. Ein Rechtsfehler ist insoweit auch objektiv nicht zu erkennen.

41

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Wolf    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 7. Februar 2014 - 10 Sa 576/13 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt ein Omnibusunternehmen. In ihrem Betrieb waren regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. Der Kläger war bei ihr seit Februar 2007 als Busfahrer tätig.

3

Seit dem 28. November 2010 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 26. Juni 2012 wurde ihm rückwirkend ab dem 1. Juni 2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. In dem Bescheid heißt es auszugsweise:

        

„Sie haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit. Der Rentenanspruch ist zeitlich begrenzt, weil es nach den medizinischen Untersuchungsbefunden nicht unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann.“

und

        

„Die Rente endet mit dem 30.06.2014, ohne dass wir einen weiteren Bescheid erteilen.

        

Die Rente kann auf Antrag weitergezahlt werden, wenn eine Minderung der Erwerbsfähigkeit weiterhin vorliegt. …“

4

Mit Schreiben vom 19. Juli 2012 wurde dem Kläger mitgeteilt, er werde die ersten Rentenzahlungen im August 2012 erhalten. Der Kläger informierte daraufhin den Geschäftsführer der Beklagten über die Rentenbewilligung. Er lehnte es ab, dessen Frage nach der Art seiner Erkrankung zu beantworten.

5

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 27. Juli 2012 zum 30. September 2012.

6

Gegen die Kündigung hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat die Ansicht vertreten, für eine krankheitsbedingte Kündigung fehle es an einer negativen Gesundheitsprognose. Durch den Rentenbescheid werde nicht dokumentiert, dass er als Omnibusfahrer dauerhaft arbeitsunfähig sei. Es sei vielmehr nicht ausgeschlossen, dass er ab Juli 2014 seine geschuldete Tätigkeit wieder aufnehmen könne. Auch ausweislich von drei im Rentenverfahren eingeholten Gutachten sei es medizinisch nicht unwahrscheinlich, dass seine volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Zudem sei keine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen gegeben. Seine Krankheit führe nicht zu Betriebsablaufstörungen oder beachtlichen wirtschaftlichen Belastungen. Die Beklagte stelle schon seit Jahren Arbeitnehmer nur noch befristet ein. Es sei nicht erkennbar, weshalb es ihr nicht zumutbar sein solle, ihm einen Arbeitsplatz zumindest bis zum Auslaufen der Rentenbewilligung am 30. Juni 2014 freizuhalten. Im Übrigen habe die Beklagte entgegen den gesetzlichen Verpflichtungen kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt.

7

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27. Juli 2012 nicht beendet worden ist.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei aus Gründen in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt. Aus dem Bezug der Rente wegen Erwerbsminderung habe sich eine negative Gesundheitsprognose für die auf die Kündigung folgenden 23 Monate ergeben. Es habe festgestanden, dass der Kläger zumindest für weitere fast zwei Jahre überhaupt keiner Erwerbstätigkeit werde nachgehen können, und es sei ungewiss gewesen, ob er danach jemals wieder arbeitsfähig werde. Zudem entstünden weiterhin Urlaubsansprüche des Klägers. Aus der Befristung der Rentenbewilligung könne nicht geschlossen werden, der Kläger werde nach ihrem Ablauf seine Fähigkeit zur vollschichtigen Tätigkeit als Busfahrer wieder erlangen. Renten wegen Erwerbsminderung seien von Gesetzes wegen grundsätzlich auf Zeit zu gewähren. Eine unbefristete Rente werde erst bewilligt, wenn unwahrscheinlich sei, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne. Hiervon sei erst nach einer Gesamtdauer der befristeten Gewährung von neun Jahren auszugehen. Ein für den Kläger leidensgerechter Arbeitsplatz habe ebenso wenig zur Verfügung gestanden wie überhaupt ein freier Arbeitsplatz. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement sei entbehrlich gewesen. Angesichts der feststehenden Tatsache, dass der Kläger mindestens weitere 23 Monate vollständig erwerbsunfähig wäre, seien Maßnahmen, die auf den Erhalt des Arbeitsplatzes, die Vermeidung weiterer Arbeitsunfähigkeitszeiten oder eine innerbetriebliche Umsetzung abzielten, von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen.

9

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Klage nicht abweisen (I.). Ob die Kündigung der Beklagten vom 27. Juli 2012 wirksam ist, steht noch nicht fest (II.).

11

I. Das Landesarbeitsgericht hat auf der Basis der bisherigen Feststellungen zu Unrecht angenommen, die Kündigung sei aus Gründen in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

12

1. Die soziale Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist in drei Stufen zu prüfen. Eine Kündigung ist im Falle einer lang anhaltenden Krankheit sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt - erste Stufe -, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist - zweite Stufe - und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen - dritte Stufe -(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 664/13 - Rn. 13; 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 11 mwN, BAGE 135, 361).

13

2. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, im Zeitpunkt der Kündigung habe eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers vorgelegen.

14

a) Der Kläger war im Kündigungszeitpunkt seit dem 23. November 2010 und damit seit über 20 Monaten durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit stellt ein gewisses Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 27, BAGE 123, 234; 12. April 2002 - 2 AZR 148/01 - zu II 5 d aa der Gründe, BAGE 101, 39). Der Arbeitgeber genügt deshalb seiner Darlegungslast für eine negative Prognose zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung und die ihm bekannten Krankheitsursachen vorträgt (BAG 12. April 2002 - 2 AZR 148/01 - aaO; für den Fall häufiger [Kurz-]Erkrankungen BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 17). Dies hat die Beklagte bezüglich der Dauer der Erkrankung des Klägers in der Vergangenheit getan. Diese ist überdies unstreitig. Krankheitsursachen waren der Beklagten nach ihrem Vorbringen nicht bekannt.

15

b) Der durch die lange Arbeitsunfähigkeit in der Vergangenheit begründeten Indizwirkung ist der Kläger nicht in erheblicher Weise entgegengetreten. Er hat zwar von der Beklagten gefordert abzuwarten, ob nach Auslaufen der befristeten Rentenbewilligung eine Änderung eintreten werde. Zudem hat er auf die Möglichkeit einer Genesung binnen der auf die Kündigung folgenden 24 Monate verwiesen. Der Kläger hat aber nicht vorgetragen, dass und unter welchen Bedingungen innerhalb dieses Zeitraums eine Besserung wahrscheinlich gewesen sei. Er hat weder konkrete Erkenntnisse aus den Gutachten mitgeteilt, die im Rahmen des Verfahrens zur Rentenbewilligung eingeholt wurden, noch hat er - etwa indem er sich auf entsprechende Aussagen seiner behandelnden Ärzte berufen hätte - behauptet, es sei in absehbarer Zeit die Wiedererlangung seiner Arbeitsfähigkeit zu erwarten gewesen (vgl. dazu BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 22; 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96).

16

c) Darauf, ob die Rentenbewilligung etwas über die voraussichtliche Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers aussagt, kommt es für die negative Gesundheitsprognose nicht an.

17

3. Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen nicht seine Annahme, die im Kündigungszeitpunkt zu erwartende weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers habe zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten geführt.

18

a) Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne Weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 11, BAGE 135, 361; 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 18). Die Beklagte hat allerdings nicht behauptet, im Kündigungszeitpunkt habe eine krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit des Klägers festgestanden. Hiervon ist auch das Landesarbeitsgericht nicht ausgegangen. Die Beklagte hat sich darauf berufen, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers sei im Kündigungszeitpunkt völlig ungewiss gewesen. Eine solche Ungewissheit steht - so sie tatsächlich vorliegt - einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn jedenfalls in den nächsten 24 Monaten mit einer Genesung nicht gerechnet werden kann (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 664/13 - Rn. 14; 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - aaO). Einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten kann der Arbeitgeber dagegen typischerweise ohne Schwierigkeiten durch Einstellung einer Ersatzkraft mit einem zeitbefristeten Arbeitsverhältnis nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG überbrücken(noch zu § 1 Abs. 1 BeschFG vgl. BAG 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 91, 271).

19

b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, allein aufgrund der lang anhaltenden Erkrankung des Klägers in der Vergangenheit und der Ungewissheit seiner Genesung in der Zukunft seien die betrieblichen Interessen der Beklagten erheblich beeinträchtigt gewesen. Dies wird den an die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung auf der zweiten Prüfungsstufe zu stellenden Anforderungen nicht gerecht.

20

aa) Die bisherigen Feststellungen tragen nicht die Annahme, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers sei im Kündigungszeitpunkt völlig ungewiss - also für mindestens weitere 24 Monate nicht zu erwarten - gewesen. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung lediglich darauf gestützt, unter Berücksichtigung des Rentenbescheids sei eine positive Entwicklung für mehr als 23 Monate auszuschließen und darüber hinaus ungewiss gewesen. Dies steht einem Sachverhalt, bei dem eine Gesundung des Arbeitnehmers für die nächsten 24 Monate nicht erwartet werden kann, nicht gleich. Die bloße Ungewissheit der Wiedergenesung, von der das Landesarbeitsgericht für die Zeit nach Ablauf der Rentenbewilligung ausgegangen ist, bedeutet nicht zugleich, dass mit einer Gesundung nach medizinischen Erkenntnissen nicht gerechnet werden kann. Dies gilt auch schon für den 24. Monat nach Kündigungszugang. Der Umstand, dass der Kläger bereits im Kündigungszeitpunkt seit mehr als 20 Monaten arbeitsunfähig war, spricht lediglich dafür, dass mit einem Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit auch in der Zukunft zu rechnen war. Er lässt für sich genommen nicht den Schluss auf eine bestimmte (Mindest-)Dauer der zu erwartenden Arbeitsunfähigkeit zu.

21

bb) Im Übrigen ergibt sich aus einer Rentenbewilligung wegen Erwerbsminderung nicht ohne Weiteres, dass der Leistungsempfänger arbeitsunfähig ist. Insbesondere begründet der Rentenbezug keine - widerlegbare - Vermutung oder Indizwirkung für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit während der Dauer der Bewilligung (vgl. P. Feichtinger in Feichtinger/Malkmus Entgeltfortzahlungsrecht 2. Aufl. § 3 EFZG Rn. 42; Schmitt EFZG 7. Aufl. § 3 Rn. 74; HWK/Schliemann 6. Aufl. § 3 EFZG Rn. 44; Treber EFZG 2. Aufl. § 3 Rn. 23). Die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und die sozialrechtlichen Voraussetzungen einer Erwerbsminderung sind nicht die gleichen (vgl. BAG 29. September 2004 - 5 AZR 558/03 - zu I 1 der Gründe; vgl. P. Feichtinger aaO; Schmitt aaO; ErfK/Reinhard 15. Aufl. § 3 EFZG Rn. 9; Vossen Entgeltfortzahlung bei Krankheit und an Feiertagen Rn. 93). Der Erwerbsgeminderte kann durchaus arbeitsfähig sein (Kreikebohm/v. Koch SGB VI 4. Aufl. § 43 Rn. 5; ErfK/Reinhard aaO). Auch eine Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI nicht zwingend voraus, dass der Arbeitnehmer seine bisher vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann(vgl. auch LAG Hamm 9. Juli 2003 - 18 Sa 215/03 - zu A I 1 der Gründe, Vorinstanz zu BAG 29. September 2004 - 5 AZR 558/03 - aaO; aA ErfK/Reinhard aaO unter Hinweis auf MüKoBGB/Müller-Glöge 6. Aufl. § 3 EFZG Rn. 7). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die Bedingungen am bisherigen Arbeitsplatz können jedoch von denen des allgemeinen Arbeitsmarkts abweichen. So steht einer Erwerbsminderung eine vom Regelfall abweichendegünstige Arbeitsgelegenheit nicht entgegen ( KassKomm/Gürtner Stand April 2015 § 43 SGB VI Rn. 29 ). Dies mag bei der bisherigen Tätigkeit des Klägers als Busfahrer für die Beklagte nicht der Fall gewesen sein. Feststellungen dazu hat das Landesarbeitsgericht jedoch nicht getroffen.

22

cc) Sonstige Umstände, die eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten begründen könnten, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Allein die weiterhin entstehenden Urlaubsansprüche des Klägers vermögen - soweit ersichtlich - nicht zu einer nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten zu führen. Gesetzliche und regelmäßig auch tarifvertragliche Urlaubsansprüche erlöschen bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit jeweils 15 Monate nach Ablauf des betreffenden Urlaubsjahres und wachsen daher nach Ablauf von zwei Jahren und drei Monaten typischerweise nicht weiter an (vgl. BAG 15. Oktober 2013 - 9 AZR 302/12 - Rn. 11; 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 32 ff., BAGE 142, 371).

23

4. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht überdies zu Unrecht angenommen, ein milderes Mittel als eine Beendigungskündigung habe der Beklagten nicht zur Verfügung gestanden, um den betrieblichen Beeinträchtigungen zu begegnen. Ihrer mangels Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX erhöhten Darlegungslast im Hinblick auf alternative, leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten ist die Beklagte entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bislang nicht nachgekommen.

24

a) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, ist der Arbeitgeber nach § 84 Abs. 2 SGB IX gehalten, ein bEM durchzuführen. Er hat dazu nach Zustimmung und unter Beteiligung der betroffenen Person mit der zuständigen Interessenvertretung iSd. § 93 SGB IX, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des bEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen.

25

b) Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, ist die Beklagte ihrer Pflicht zur Durchführung eines bEM im Falle des Klägers nicht nachgekommen. Hierzu war sie vor Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet. Die Durchführung des bEM soll einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen gerade begegnen (BT-Drs. 14/5074 S. 113; ErfK/Rolfs 15. Aufl. § 84 SGB IX Rn. 4) und „den Arbeitsplatz“ - dh. das Arbeitsverhältnis (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32 mwN) - erhalten. Im Kündigungszeitpunkt lag eine mehr als sechswöchige Arbeitsunfähigkeit des Klägers vor. Die Verpflichtung zur Durchführung eines bEM trifft den Arbeitgeber nicht nur bei Erkrankungen behinderter Arbeitnehmer, sondern bei allen Arbeitnehmern (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 19; 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 27, BAGE 135, 361) und unabhängig davon, ob im Beschäftigungsbetrieb ein Betriebsrat gewählt ist oder nicht (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 32; 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 28 ff., aaO). Zu einem regelkonformen Ersuchen des Arbeitgebers um Zustimmung des Arbeitnehmers zur Durchführung eines bEM gehört die Belehrung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX über die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23).

26

c) Entgegen der Auffassung der Beklagten war ein bEM nicht deshalb entbehrlich, weil die Durchführung angesichts der Weigerung des Klägers, Angaben zu seinem Krankheitsbild zu machen, ohne Aussicht auf Erfolg gewesen wäre. Erst wenn dem Arbeitnehmer ein bEM ordnungsgemäß nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX angeboten worden ist und er daraufhin seine Teilnahme bzw. Auskünfte zur Art der bestehenden Beeinträchtigungen verweigert, kann von der Aussichtslosigkeit des bEM ausgegangen und von seiner Durchführung abgesehen werden. Das Unterlassen des bEM ist dann „kündigungsneutral“ (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 24).

27

d) Da sie ein bEM pflichtwidrig unterlassen hat, trifft die Beklagte eine erhöhte Darlegungslast im Hinblick auf denkbare, gegenüber dem Ausspruch einer Beendigungskündigung mildere Mittel. Dieser ist sie bislang nicht nachgekommen.

28

aa) Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Das bEM ist auch nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist aber kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert vielmehr den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines bEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wie zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen, ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 38; 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34). Nur wenn auch die Durchführung des bEM keine positiven Ergebnisse hätte zeitigen können, ist sein Fehlen unschädlich. Um darzutun, dass die Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügt und ihm keine milderen Mittel zur Überwindung der krankheitsbedingten Störung des Arbeitsverhältnisses als die Beendigungskündigung offenstanden, muss der Arbeitgeber die objektive Nutzlosigkeit des bEM darlegen. Hierzu hat er umfassend und detailliert vorzutragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wären und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können, warum also ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 39; 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34). Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau von Fehlzeiten bzw. zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt (zum Ganzen BAG 20. November 2014 - 2 AZR 664/13 - Rn. 22 mwN; 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 40).

29

bb) Danach durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, die Beklagte habe allein durch den Hinweis darauf, dem Kläger sei eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt worden, ihrer Darlegungslast im Hinblick auf das Fehlen jeglicher leidensgerechter Beschäftigungsalternativen und damit auf die objektive Nutzlosigkeit eines bEM genügt.

30

(1) Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung angeführt, die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung setze voraus, dass der Versicherte unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht einmal für drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Eine Beschäftigung des Klägers sei damit nicht nur in seiner früheren Tätigkeit als Busfahrer, sondern auch auf anderen Arbeitsplätzen ausgeschlossen gewesen. Die Durchführung eines bEM habe in dieser Situation kein positives Ergebnis bringen können.

31

(2) Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

32

(a) Aus dem bisherigen Vorbringen der Beklagten in den Tatsacheninstanzen ergibt sich zum einen nicht, ob ihr nicht auch eine Beschäftigung des Klägers von bis zu drei Arbeitsstunden täglich, entweder als Busfahrer oder auch mit veränderten Arbeitsaufgaben zumutbar gewesen wäre. Eine entsprechende Änderungskündigung wäre als milderes Mittel vorrangig gewesen. Zwar hat sich der Kläger in den Tatsacheninstanzen nicht konkret auf eine solche Beschäftigungsalternative berufen. Infolge des Unterlassens eines bEM hätte die Beklagte aber zum Fehlen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten von sich aus vortragen müssen. Ist ein eigentlich erforderliches bEM unterblieben, trägt der Arbeitgeber die primäre Darlegungslast für dessen Nutzlosigkeit. Er hat von sich aus alle denkbaren oder vom Arbeitnehmer ggf. außergerichtlich genannten Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz in Betracht kommt (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 35, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 19). Die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung besagt nur etwas über den zeitlichen Umfang der verbliebenen Leistungsfähigkeit des Versicherten unter den üblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Sie schließt weder eine bis zu dreistündige tägliche Tätigkeit noch eine längere tägliche Beschäftigung zu vom Regelfall abweichenden, günstigeren Arbeitsbedingungen aus. Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung kann überdies auch dann bewilligt werden, wenn dem Versicherten eine Teilzeitarbeit von bis zu sechs Stunden täglich möglich, der übliche Arbeitsmarkt für eine solche aber verschlossen ist (sog. „Arbeitsmarktrente“ - vgl. nur Kreikebohm/v. Koch SGB VI 4. Aufl. § 43 Rn. 27; BeckOK SozR/Kreikebohm/Jassat SGB VI Stand 1. März 2015 § 43 Rn. 38; KassKomm/Gürtner Stand April 2015 § 43 SGB VI Rn. 31). Unter Berücksichtigung der nach § 96a SGB VI - auch bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung - in bestimmten Grenzen bestehenden Möglichkeit eines Hinzuverdienstes hat der Arbeitgeber selbst dann, wenn er dem Arbeitnehmer nur noch eine Tätigkeit in zeitlich geringem Umfang anbieten kann, keine Veranlassung anzunehmen, dem Arbeitnehmer sei eine solche Weiterbeschäftigung von vornherein unzumutbar. Im Übrigen muss es dem Arbeitnehmer überlassen bleiben zu entscheiden, ob er nicht auch dann die Chance auf eine leidensgerechte Weiterbeschäftigung ergreifen will, wenn ein Hinzuverdienst den Rentenanspruch zu Fall brächte.

33

(b) Der Einwand der Beklagten, die geforderte Darlegung sei ihr unmöglich, solange der Kläger nicht näher zu den Krankheitsursachen vortrage, berücksichtigt nicht, dass sie sich darauf beschränkt hat, auf die dem Kläger bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung zu verweisen. Der Rentenbezug schließt - wie gezeigt - eine Arbeitstätigkeit des Klägers nicht unter allen Umständen aus. Es hätte ihr deshalb oblegen vorzutragen, dass ihr eine anderweitige - leidensgerechte - Beschäftigung des Klägers, ggf. auch in Teilzeit oder auch nur im Umfang von bis zu drei Stunden täglich aus betrieblichen Gründen nicht möglich oder zumutbar gewesen sei. Erst daraufhin wäre es Sache des Klägers gewesen, unter Offenlegung der Art seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen näher darzulegen, weshalb dies unzutreffend und der Beklagten seine leidensgerechte Beschäftigung sehr wohl möglich und zumutbar gewesen sei.

34

(c) Die Beklagte hat zudem nur behauptet, es hätten keine anderen freien leidensgerechten Arbeitsplätze zur Verfügung gestanden. Dies genügt nicht, um darzulegen, dass ein bEM keine leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeit hätte aufzeigen können. Der Arbeitgeber ist gegenüber einem von einer krankheitsbedingten Kündigung bedrohten Arbeitnehmer verpflichtet, als mildere Maßnahme den Personaleinsatz umzuorganisieren, wenn er durch Ausübung seines Direktionsrechts einen leidensgerechten Arbeitsplatz freimachen kann (BAG 29. Januar 1997 - 2 AZR 9/96 - zu II 1 d der Gründe, BAGE 85, 107). Mit Hilfe eines bEM sollen mögliche mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerade erkannt und entwickelt werden (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 38; 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34). Die Verpflichtung zur Umsetzung oder Versetzung anderer Arbeitnehmer ist jedenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn dies für den Arbeitgeber und die Betroffenen im Einzelfall nicht von vornherein unzumutbar ist. Aus dem Sachvortrag der Beklagten geht bislang nicht hervor, welche - auch mit anderen Arbeitnehmern besetzten - Arbeitsplätze im Betrieb tatsächlich vorhanden waren und weshalb diese - auch nach ggf. zumutbaren Umorganisationsmaßnahmen - dem Kläger nicht zumindest in Teilzeit oder jedenfalls mit einer Arbeitszeit von bis zu drei Stunden täglich hätten angeboten werden können. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es vom Direktionsrecht der Beklagten gedeckt gewesen wäre, dem Kläger eine solche Tätigkeit auf einem leidensgerechten anderen Arbeitsplatz zuzuweisen. Die Beklagte hätte dem Kläger zur Vermeidung einer Beendigungskündigung eine nach zumutbarer Umorganisation bestehende Beschäftigungsmöglichkeit zu geänderten Arbeitsbedingungen notfalls im Wege der Änderungskündigung anbieten müssen (vgl. BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 1001/12 - Rn. 12; 9. September 2010 - 2 AZR 937/08 - Rn. 39; 5. Juni 2008 - 2 AZR 107/07 - Rn. 15).

35

II. Der Senat kann nicht selbst abschließend beurteilen, ob die Kündigung vom 27. Juli 2012 wirksam ist. Dazu bedarf es weiterer Feststellungen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache war an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Der Beklagten wird Gelegenheit zu geben sein, ihr Vorbringen zur Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen und zur objektiven Nutzlosigkeit eines bEM zu ergänzen. Hierauf hat der Kläger im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast ggf. zu erwidern. Die Beweislast für die die Kündigung bedingenden Tatsachen trägt nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Beklagte. Sollte sie sich zum Beweis entscheidungserheblicher Behauptungen auf ein medizinisches Sachverständigengutachten berufen, wird der Kläger ggf. mitzuwirken und den Gutachter und ggf. seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden haben.

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Brossardt    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 15. November 2012 - 3 Sa 71/12 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, soweit dieses die Berufung des Klägers gegen die Abweisung seines Kündigungsschutzantrags zurückgewiesen hat.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung.

2

Die Beklagte bietet Dienst- und Vertriebsleistungen im Bereich der Informations- und Telekommunikationstechnik an. Für ihre Betriebsstätten in Essen und Erfurt ist ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt. Der im Dezember 1957 geborene Kläger war seit Juli 2001 als „Call-Center-Agent“ in der Betriebsstätte Erfurt beschäftigt. Außer ihm waren dort ein Niederlassungsleiter, eine Büroleiterin, sieben IT-Techniker und drei Außendienstmitarbeiter tätig.

3

Im Jahr 2004 war der Kläger an 54 Tagen, im Jahr 2005 an 29 Tagen arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 7. Juni 2006 fehlte er zunächst - im Umfang von insgesamt 21 Tagen - mehrfach kurzzeitig. Ab dem 27. November 2006 war er dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt. In der Folgezeit stellte die Beklagte zumindest zwei Teilzeitkräfte als „Call-Center-Agenten“ ein, die sie in Erfurt einsetzte und dem dortigen Niederlassungsleiter unterstellte.

4

Der Kläger leidet unter beidseitigem Tinnitus, dadurch bedingten Hörstörungen und an „psychovegetativen Erscheinungen“. Im Mai 2007 wurde er mit einem Grad der Behinderung von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Seit dem 1. Juni 2007 bezog er eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung. Zwischen den Parteien ist streitig, ob es sich insoweit um eine Rente wegen voller Erwerbsminderung oder - wie der Kläger behauptet hat - um eine sog. Arbeitsmarktrente handelt.

5

Im Mai 2010 beantragte die Beklagte die Zustimmung des Integrationsamts zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung, die durch Bescheid vom 9. November 2010 erteilt wurde. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 25. November 2010 ordentlich zum 28. Februar 2011.

6

Gegen den Bescheid des Integrationsamts erhob der Kläger Widerspruch, der zurückgewiesen wurde. In der Entscheidung des Widerspruchsausschusses heißt es, der Kläger sei nicht in der Lage, täglich länger als drei Stunden als „Call-Center-Agent“ zu arbeiten. Zwar habe es die Beklagte unterlassen, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchzuführen. Auch durch ein bEM habe die Kündigung aber nicht vermieden werden können.

7

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage fristgerecht gegen die Kündigung gewandt. Außerdem hat er seine Weiterbeschäftigung verlangt. Im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens hat er ein Attest seiner behandelnden Ärztin vom 24. Oktober 2011 vorgelegt. Darin heißt es, er sei „prinzipiell arbeitsfähig“, wenn keine besonderen Anforderungen an das Gehör gestellt würden, der Arbeitsschutz eingehalten werde, keine permanente höhergradige Lärmbelästigung vorliege und die Arbeit „nicht durch permanentes Telefonieren gekennzeichnet“ sei. Der Kläger hat geltend gemacht, er habe im Mai 2006 während eines Kundentelefonats infolge einer technischen Störung an einem Headset einen akustischen Schock erlitten. Dieser habe zu einem eingeschränkten Hörvermögen, beidseits starken Ohrgeräuschen, Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen und Übelkeit mit bis dato nachwirkenden Folgen geführt. Zwar habe er aufgrund der eingetretenen Lärmschwerhörigkeit seine bisherige Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ nicht mehr vollschichtig und zu unveränderten Bedingungen erbringen können. Er sei jedoch in der Lage gewesen, eine Tätigkeit als „Supervisor“ der Agenten oder Lagerarbeiten zu übernehmen. Darauf, ob entsprechende Arbeitsplätze im Kündigungszeitpunkt frei gewesen seien, komme es nicht an. Mit Blick auf ihre gesteigerte Fürsorgepflicht habe die Beklagte ggf. entsprechende Stellen schaffen müssen. Zumindest habe sie für ihn die Stelle eines Lagerarbeiters - und sei es durch Kündigung - „freimachen“ müssen. Die Kündigung sei auch deshalb unwirksam, weil sie wegen seiner Behinderung erfolgt sei. Zudem fehle es an einer ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 25. November 2010 nicht aufgelöst worden ist;

        

für den Fall des Obsiegens mit diesem Antrag,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihn in ihrer Niederlassung in Erfurt als Supervisor, hilfsweise als Lagerarbeiter zu beschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger sei dauerhaft nicht mehr in der Lage, die vertraglich geschuldete Tätigkeit zu erbringen. Daran treffe sie kein Verschulden. Sie habe alle einschlägigen Arbeitsschutzbestimmungen eingehalten. Eines bEM habe es den Umständen nach nicht bedurft. Jedenfalls sei die Kündigung - auch unter Berücksichtigung der Zustimmung des Integrationsamts - nicht unverhältnismäßig. Im Kündigungszeitpunkt seien keine Arbeitsplätze frei gewesen. Zusätzliche Stellen habe sie nicht schaffen müssen. An der Beschäftigung eines „Supervisors“ im Telefondienst bestehe seit jeher kein Bedarf. Der vom Kläger benannte Lagerarbeiter sei zum weit überwiegenden Teil seiner Arbeitszeit als IT-Techniker und insoweit mit Aufgaben beschäftigt gewesen, die der Kläger nicht habe verrichten können. Im Übrigen habe sie den fraglichen Arbeitsplatz nicht durch dessen Versetzung, sondern allenfalls durch Kündigung „freimachen“ können. Dazu sei sie nicht verpflichtet gewesen. Abgesehen davon bezweifele sie, dass der Kläger für eine Tätigkeit im Lager gesundheitlich ausreichend belastbar sei.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat „die Berufung des Klägers … zurückgewiesen und die weiteren gestellten Anträge abgewiesen“. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Kündigungsschutzantrag weiter. Die Hilfsanträge hat er mit Zustimmung der Beklagten im Revisionsverfahren zurückgenommen. Insoweit begehrt er die ersatzlose Aufhebung des zweitinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und hinsichtlich des Feststellungsbegehrens zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 25. November 2010 aufgelöst worden ist. Dazu fehlt es an erforderlichen Feststellungen.

12

I. Es steht nicht fest, ob die - mit Zustimmung des Integrationsamts erklärte - Kündigung iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Zwar konnte der Kläger dauerhaft seine vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr erbringen. Das Landesarbeitsgericht durfte auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen aber nicht annehmen, dass es keine milderen Mittel als die erklärte (Beendigungs-)Kündigung gab, um der bestehenden Vertragsstörung angemessen zu begegnen.

13

1. Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung, die auf eine lang anhaltende Erkrankung gestützt wird, ist in drei Stufen vorzunehmen. Zunächst - erste Stufe - ist eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustands des erkrankten Arbeitnehmers erforderlich. Bezogen auf den Kündigungszeitpunkt und die bisher ausgeübte Tätigkeit müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis einer weiteren, längeren Erkrankung rechtfertigen. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen ferner - zweite Stufe - zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Schließlich muss - dritte Stufe - eine vorzunehmende Interessenabwägung ergeben, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 11, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 27 ff. mwN, BAGE 123, 234).

14

2. Ist der Arbeitnehmer dauerhaft außer Stande, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist eine negative Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung des Gesundheitszustands indiziert. Der dauernden Leistungsunfähigkeit steht die völlige Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gleich. Eine solche Ungewissheit besteht, wenn in absehbarer Zeit nicht mit einer positiven Entwicklung gerechnet werden kann. Als absehbar ist in diesem Zusammenhang ein Zeitraum von bis zu 24 Monaten anzusehen (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 11, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 27, BAGE 123, 234). Die entsprechende Ungewissheit führt - ebenso wie eine feststehende Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen - zu einer grundsätzlich nicht näher darzulegenden erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen. Sie besteht darin, dass der Arbeitgeber auf unabsehbare Zeit gehindert ist, sein Direktionsrecht auszuüben und die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers abzurufen. In einem solchen Fall fehlt es in aller Regel an einem schutzwürdigen Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 28, aaO; 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 22).

15

3. Auch in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer auf Dauer wegen Krankheit die geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann, ist eine Kündigung nach dem das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur gerechtfertigt, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung erforderlich ist. Zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen gehört deshalb das Fehlen angemessener milderer Mittel zur Vermeidung künftiger Fehlzeiten (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 24; vgl. auch BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24). Mildere Mittel in diesem Sinne sind insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 24; vgl. auch BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN). Dies schließt in Krankheitsfällen die Verpflichtung des Arbeitgebers ein, einen leidensgerechten Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts „freizumachen“ und sich ggf. um die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zu bemühen (grundlegend BAG 29. Januar 1997 - 2 AZR 9/96 - zu II 1 d der Gründe, BAGE 85, 107). Scheidet eine Umsetzungsmöglichkeit aus, kann sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch eine Änderungskündigung - und sei es mit dem Ziel einer Weiterbeschäftigung zu schlechteren Arbeitsbedingungen - als vorrangig erweisen (vgl. BAG 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06 - Rn. 28; 21. April 2005 - 2 AZR 132/04 - zu B II der Gründe, BAGE 114, 243). Dabei ist ggf. die Pflicht des Arbeitgebers zu berücksichtigen, einem Schwerbehinderten gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX einen seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechenden Arbeitsplatz zuzuweisen(BAG 22. September 2005 - 2 AZR 519/04 - Rn. 31, BAGE 116, 7).

16

4. Danach ist das Landesarbeitsgericht mit Blick auf die bisherige Tätigkeit des Klägers zutreffend von einer negativen Gesundheitsprognose ausgegangen. Es hat daraus zu Recht auf eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten geschlossen. Es hat angenommen, eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers sei - bezogen auf die vertraglich geschuldete Tätigkeit und unter den bisherigen Arbeitsbedingungen - im Kündigungszeitpunkt gänzlich ungewiss gewesen. Dafür hat es zum einen auf die zurückliegende Dauer der Arbeitsunfähigkeit von rund vier Jahren verwiesen. Zum anderen hat es sich auf die eigene Einschätzung des Klägers gestützt, binnen der nächsten 24 Monate aller Voraussicht nach nicht vollschichtig als „Call-Center-Agent“ arbeiten zu können. Dies hält sich im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Verfahrensrügen haben die Parteien insoweit nicht erhoben.

17

5. Dagegen ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung erweise sich - auch angesichts der Unterlassung eines bEM - als verhältnismäßig, nicht frei von Rechtsfehlern.

18

a) Der Arbeitgeber trägt für die Umstände, die nach § 1 Abs. 2 KSchG die Kündigung bedingen, die Darlegungs- und Beweislast(§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Das gilt auch für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 25).

19

b) Ist der Arbeitgeber nicht zur Durchführung eines bEM verpflichtet, kann er sich zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf konkret erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne. Erst dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf zu erwidern und ggf. darzulegen, warum auch eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 25 mwN; 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 14 mwN, BAGE 135, 361).

20

c) Hat der Arbeitgeber entgegen den Vorgaben des § 84 Abs. 2 SGB IX ein bEM unterlassen, kann dies zu einer Erweiterung seiner Darlegungslast führen. Zwar ist die Durchführung des bEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung und für sich genommen auch kein milderes Mittel als diese. § 84 Abs. 2 SGB IX konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können mildere Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen, ggf. „freizumachenden“ Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 38; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20).

21

aa) Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will der Arbeitgeber sich hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten des Arbeitnehmers spürbar vorzubeugen und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 39; 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34).

22

bb) Ist es denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht hätte, darf sich der Arbeitgeber nicht auf den pauschalen Vortrag beschränken, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer. Er muss vielmehr von sich aus mögliche Alternativen würdigen und darlegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz in Betracht kamen (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 35, BAGE 135, 361).

23

d) Die angegriffene Kündigung ist nicht schon nach den dargestellten allgemeinen Grundsätzen zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast unverhältnismäßig. Der Kläger hat keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG, § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX aufgezeigt, soweit er geltend gemacht hat, die Beklagte habe ihn am Standort Erfurt als „Supervisor“ oder als Lagerarbeiter weiterbeschäftigen können.

24

aa) Eine Umgestaltung seines bisherigen Arbeitsplatzes, die es ihm ermöglicht hätte, einer Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ vollschichtig nachzugehen, hat der Kläger zuletzt selbst ausgeschlossen.

25

bb) Ebenso wenig war die Beklagte verpflichtet, ihn am Standort Erfurt als „Supervisor“ zu beschäftigen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war ein solcher Arbeitsplatz im Kündigungszeitpunkt nicht existent. Die Beklagte war kündigungsrechtlich nicht gehalten, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu schaffen (vgl. dazu BAG 19. Juni 2007 - 2 AZR 58/06 - Rn. 12, BAGE 123, 175; 29. März 1990 - 2 AZR 369/89 - zu B II 5 der Gründe, BAGE 65, 61). Aus § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX folgt nichts anderes. Nach dieser Vorschrift haben schwerbehinderte Arbeitnehmer und die ihnen Gleichgestellten gegenüber ihrem Arbeitgeber Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung, damit sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Daraus kann sich ein Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf anderweitige Beschäftigung ergeben, wenn er seine vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen seiner Behinderung nicht mehr ausüben kann (BAG 15. Oktober 2013 - 1 ABR 25/12 - Rn. 24). Der Anspruch besteht nicht, wenn eine anderweitige Beschäftigung zwar in Betracht kommt, sie dem Arbeitgeber aber unzumutbar oder für ihn mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist (§ 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX). Insbesondere muss der Arbeitgeber keinen zusätzlichen, bisher nicht vorhandenen und nicht benötigten Arbeitsplatz dauerhaft einrichten (vgl. BAG 27. Juli 2011 - 7 AZR 402/10 - Rn. 58; 4. Oktober 2005 - 9 AZR 632/04 - Rn. 23, BAGE 116, 121; Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 81 Rn. 182; zur Schaffung einer vorübergehenden sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeit vgl. Cramer/Ritz 6. Aufl. § 81 Rn. 21).

26

cc) Die Beklagte musste dem Kläger auch eine Weiterbeschäftigung als Lagerarbeiter nicht anbieten. Der insoweit einzig infrage kommende Arbeitsplatz war besetzt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe die Stelle weder durch Ausübung ihres Direktionsrechts „freimachen“ können, noch sei sie zu einer „Freikündigung“ verpflichtet gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

27

(1) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers unterstellt, dass in der Betriebsstätte Erfurt überhaupt ein Lagerarbeitsplatz vorhanden war. Seine Auffassung, die Beklagte habe diese Stelle nicht im Wege der Umsetzung mit dem Kläger besetzen können, hat es damit begründet, dass sie den dort tätigen Arbeitnehmer als „IT-Techniker“ angestellt habe und die für dessen Versetzung allein infrage kommenden Arbeitsplätze im Bereich Technik gleichfalls besetzt gewesen seien.

28

(a) Diese Würdigung ist, soweit sie auf tatsächlichem Gebiet liegt, revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (vgl. BAG 25. April 2013 - 8 AZR 287/08 - Rn. 43; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 29 mwN).

29

(b) Einen solchen Rechtsfehler zeigt der Kläger nicht auf. Er liegt auch nicht auf der Hand. Für die vom Kläger reklamierte Möglichkeit, den Arbeitsplatz „freizumachen“, kam es entscheidend darauf an, ob die Beklagte dem Stelleninhaber im Rahmen ihres Direktionsrechts eine andere Arbeitsaufgabe hätte zuweisen können. Dies hat das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner Feststellungen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint. Die Rüge des Klägers, es habe sein Vorbringen, der betreffende Mitarbeiter sei „im Materiallager … eingestellt“ gewesen, übergangen, ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet. Auch auf der Grundlage dieses Vortrags ist nicht erkennbar, dass die Beklagte die Stelle durch Versetzung hätte „freimachen“ können. Die vorsorglich erhobene Aufklärungsrüge (§ 139 ZPO)ist unzulässig. Der Kläger legt nicht dar, welchen ergänzenden, entscheidungserheblichen Vortrag er gehalten hätte, wenn er auf die Unschlüssigkeit seines Vorbringens hingewiesen worden wäre (zu dieser Voraussetzung vgl. BAG 16. Oktober 2013 - 10 AZR 9/13 - Rn. 46; 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 3 e aa der Gründe, BAGE 109, 145).

30

(2) Zu einer „Freikündigung“ des fraglichen Lagerarbeitsplatzes war die Beklagte nicht verpflichtet. Das gilt auch dann, wenn die Erkrankung des Klägers auf betriebliche Ursachen zurückzuführen ist.

31

(a) Das Bundesarbeitsgericht hat noch unter Geltung des Schwerbeschädigtengesetzes 1953 (SchwBeschG) die Auffassung vertreten, ein Arbeitgeber könne, um seiner gesetzlichen Förderungs- und Beschäftigungspflicht gegenüber einem Schwerbeschädigten (§ 12 Abs. 1 SchwBeschG) zu genügen, je nach den Umständen verpflichtet sein, für den geschützten Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsplatz durch Kündigung „freizumachen“ (BAG 4. Mai 1962 - 1 AZR 128/61 - zu II 2 der Gründe, BAGE 13, 109). Voraussetzung sei, dass die Kündigung für den betroffenen anderen Arbeitnehmer keine „soziale Härte“ darstelle (BAG 8. Februar 1966 - 1 AZR 365/65 - zu 4 der Gründe, BAGE 18, 124 [noch zu § 12 Abs. 1 SchwBeschG]; 13. Mai 1992 - 5 AZR 437/91 - zu II 2 c der Gründe [insoweit zu § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG]). In jüngerer Zeit hat das Bundesarbeitsgericht die Frage mehrfach dahinstehen lassen (BAG 28. April 1998 - 9 AZR 348/97 - zu III 3 der Gründe; 10. Juli 1991 - 5 AZR 383/90 - zu IV 3 der Gründe, BAGE 68, 141). Eine Pflicht zur „Freikündigung“ eines leidensgerechten Arbeitsplatzes allein auf der Grundlage des allgemeinen Kündigungsschutzes hat es allerdings abgelehnt (BAG 29. Januar 1997 - 2 AZR 9/96 - zu II 1 c der Gründe, BAGE 85, 107).

32

(b) Demgegenüber gehen das Bundesverwaltungsgericht und diverse Stimmen im Schrifttum davon aus, dass auch die Schwerbehinderung eine Pflicht zur „Freikündigung“ zugunsten des Betroffenen nicht begründe (BVerwG 28. Februar 1968 - V C 33.66 - BVerwGE 29, 140; nachfolgend 2. Juni 1999 - 5 B 130.99 -; Adlhoch in Ernst/Adlhoch/Seel SGB IX Stand Januar 2014 § 81 Rn. 19, 86; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 81 Rn. 25, einschränkend aber Rn. 28; Boecken RdA 2012, 210, 215; Kleinebrink NZA 2002, 716, 718; Mückl/Hiebert NZA 2010, 1259, 1263; Stück br 2007, 89, 94; Nehring Die krankheitsbedingte Kündigung im Lichte neuerer Gesetzgebung S. 185 f.; aA wohl Spiolek GK-SGB IX Stand Oktober 2014 § 81 Rn. 332).

33

(c) Die gegen eine solche Pflicht erhobenen Bedenken sind nicht ohne Gewicht. Die Verpflichtung zur Beschäftigungs- und Vertragstreue gegenüber (schwer-)behinderten Menschen findet ihre Grenze in den entgegenstehenden Rechten der von einer „Freikündigung“ betroffenen Stelleninhaber (vgl. Lepke Kündigung bei Krankheit 14. Aufl. Rn. 235; Nehring Die krankheitsbedingte Kündigung im Lichte neuerer Gesetzgebung S. 185 f.; Lingemann BB 1998, 1106, 1107). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Stelleninhaber Bestandsschutz nach dem KSchG genießt. Selbst wenn die Krankheit des (schwer-)behinderten Arbeitnehmers betrieblich verursacht ist und zu seiner Leistungsunfähigkeit oder doch der Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit geführt hat, besteht nicht etwa ein Überhang an Arbeitskräften, der den Arbeitgeber zu einer betriebsbedingten Kündigung des anderen Mitarbeiters berechtigen könnte (vgl. APS/Kiel 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 461; HaKo/Gallner 4. Aufl. § 1 Rn. 479; Boecken RdA 2012, 210, 215). Der Kündigungsgrund liegt vielmehr in der Person des auf seinem angestammten Arbeitsplatz nicht mehr arbeitsfähigen (schwer-)behinderten Arbeitnehmers. Sogar dann, wenn das KSchG auf das Arbeitsverhältnis des Stelleninhabers (noch) keine Anwendung findet, ist eine „Freikündigung“ wegen des mit ihr verbundenen Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit des betroffenen Beschäftigten aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen(vgl. Kleinebrink NZA 2002, 716, 718). In keiner seiner Bestimmungen sieht das SGB IX die Entlassung anderer Arbeitnehmer vor, um den Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen oder ihnen Gleichgestellter verwirklichen zu können. Vielmehr setzten die Prüfpflichten des Arbeitgebers nach § 81 Abs. 1 SGB IX, die im Rahmen von § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX mitzuberücksichtigen sind, das Vorhandensein freier Arbeitsplätze voraus(vgl. BVerwG 28. Februar 1968 - V C 33.66 - BVerwGE 29, 140; Boecken RdA 2012, 210, 215).

34

(d) Das Unionsrecht gebietet kein anderes Verständnis der in Rede stehenden nationalen Bestimmungen. Art. 5 Satz 2 RL 2000/78/EG sieht im Rahmen der Verhältnismäßigkeit die Pflicht des Arbeitgebers vor, Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung und die Ausübung ihres Berufs zu ermöglichen. In Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG sind mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nationale Bestimmungen erlaubt, die einer Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt dienen oder diese fördern. Daraus kann nicht gefolgert werden, die Richtlinie verlange zwecks Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderung ggf. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines nicht behinderten Menschen (vgl. Däubler/Bertzbach/Däubler 3. Aufl. § 7 Rn. 224).

35

(e) Danach scheidet eine Pflicht des Arbeitgebers zur „Freikündigung“ jedenfalls dann aus, wenn der Inhaber der infrage kommenden Stelle den allgemeinen Kündigungsschutz genießt. Ob ohne diesen Schutz anderes gilt, wenn der Stelleninhaber nicht seinerseits behindert ist und die Kündigung für ihn keine besondere Härte darstellt, kann hier offenbleiben. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt der Arbeitnehmer, der sich auf die Möglichkeit einer „Freikündigung“ beruft, die Darlegungs- und Beweislast (BAG 13. Mai 1992 - 5 AZR 437/91 - zu II 2 c der Gründe; 8. Februar 1966 - 1 AZR 365/65 - zu 4 der Gründe, BAGE 18, 124). Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Durchführung eines bEM unterlassen hat. Dieser Umstand führt zwar zu einer Verschärfung der ihn nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG treffenden Vortragslast, nicht aber zu einer Umkehr der Darlegungslast in solchen Fällen, in denen sie von vorneherein beim Arbeitnehmer liegt.

36

(f) Im Streitfall spricht vieles dafür, dass der im Lager tätige Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt Bestandsschutz nach dem KSchG genoss. Zumindest hat der Kläger weder behauptet noch gar schlüssig dargetan, dass die Kündigung für diesen keine besondere Härte bedeutet hätte.

37

dd) Eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf den von ihm konkret angeführten Arbeitsplätzen war aufgrund dessen ausgeschlossen. Dennoch steht damit nicht fest, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt war. Die Beklagte hat ein gebotenes bEM unterlassen. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, im Streitfall sei von dessen objektiver Nutzlosigkeit auszugehen, ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht berechtigt.

38

(1) Die Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Durchführung eines bEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX lagen im Kündigungszeitpunkt vor. Es war deshalb Sache der Beklagten, die entsprechende Initiative zu ergreifen (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 31; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Dem steht ihr Vorbringen, der Kläger sei für sie nicht erreichbar gewesen, nicht entgegen. Ihren Ausführungen ist nicht zu entnehmen, welche Anstrengungen sie unternommen haben will, um den Kläger zwecks Durchführung eines bEM zu kontaktieren (zum Erfordernis, den Betroffenen im Rahmen der Initiative auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der hierfür erhobenen Daten hinzuweisen vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23).

39

(2) Die Beklagte hat ein bEM nicht durchgeführt. Ihre damit einhergehende Verpflichtung, im Rahmen einer erweiterten Darlegungslast durch konkreten Sachvortrag aufzuzeigen, dass die Kündigung unvermeidlich war, entfiel nicht deshalb, weil das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt hatte.

40

(a) Mit Blick auf eine verhaltensbedingte Kündigung, die ohne die erforderliche Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX erklärt worden war, hat das Bundesarbeitsgericht dem Arbeitgeber eine Darlegungserleichterung zugebilligt, wenn das Integrationsamt gemäß § 85 SGB IX seine Zustimmung erteilt hat(vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 182/06 - Rn. 27, BAGE 120, 293). Da das Verwaltungsverfahren nach §§ 85 ff. SGB IX der Prüfung der Rechte des schwerbehinderten Arbeitnehmers diene und die Entscheidung des Integrationsamts durch mehrere Instanzen nachprüfbar sei, könne nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX die Kündigung hätte verhindern können(vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 182/06 - Rn. 28, aaO; BVerwG 19. August 2013 - 5 B 47.13 - Rn. 12).

41

(b) Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob an dieser Rechtsprechung ungeachtet der gegen sie geäußerten Einwände (Düwell BB 2011, 2485, 2487; Deinert NZA 2010, 969, 974; Lampe Der Kündigungsschutz behinderter Arbeitnehmer S. 164 f.) festzuhalten ist. Ebenso kann offenbleiben, ob sie auf den Fall der Unterlassung eines gebotenen bEM übertragen werden kann (befürwortend Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 24; Baumeister/Richter ZfA 2010, 3, 23; Beyer/Jansen br 2010, 117; Lepke Kündigung bei Krankheit 14. Aufl. Rn. 294; insbesondere mit Blick auf die unterschiedlichen Kreise der erfassten Arbeitnehmer ablehnend Brose RdA 2006, 149, 151 ff.). Der Zustimmungsbescheid entfaltet jedenfalls dann keine entsprechende Indizwirkung, wenn sich aus seiner Begründung oder der des Widerspruchsbescheids Anhaltspunkte dafür ergeben, dass mögliche, kündigungsrechtlich beachtliche Beschäftigungsalternativen im Verwaltungsverfahren nicht in den Blick genommen worden sind. So liegt es hier. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Zustimmungsbescheid mit der Begründung zurückgewiesen, dass er seine Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ nicht länger als drei Stunden arbeitstäglich ausüben könne und keine Stelle frei gewesen sei, die ihm eine anderweitige Beschäftigung ermöglicht habe. Die Ausführungen lassen nicht erkennen, dass auch die Möglichkeit einer Teilzeittätigkeit von täglich bis zu drei Stunden bedacht und ausgeschlossen worden wäre. Ebenso wenig ist ersichtlich, für welche betriebliche Einheit und welche konkreten Tätigkeiten das Integrationsamt das Vorhandensein freier Arbeitsplätze geprüft hat.

42

ee) Der von der Beklagten zu führende Nachweis, dass ein bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können, ist somit noch nicht erbracht. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann die Möglichkeit, den Kläger in Teilzeit als „Call-Center-Agent“ zu beschäftigen, nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. Ebenso wenig kann ausgeschlossen werden, dass in der Betriebsstätte Essen die Möglichkeit einer alternativen Beschäftigung bestand.

43

(1) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei gesundheitlich selbst zu einer Teilzeitarbeit als „Call-Center-Agent“ nicht in der Lage gewesen, beruht auf einer - vom Kläger zu Recht gerügten - Verletzung von § 286, § 139 ZPO.

44

(a) Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, eine Arbeitszeitreduzierung, die „weiterhin überwiegend Telefontätigkeiten beinhaltet hätte“, sei dem Kläger ausweislich „seines ärztlichen Gutachtens und seiner eigenen Einlassungen … nicht möglich“ gewesen. Diese Würdigung ist nicht nachvollziehbar. Es wird nicht deutlich, von welchen tatsächlichen Voraussetzungen das Landesarbeitsgericht - auch mit Blick auf den Umfang einer etwaigen Teilzeittätigkeit - ausgegangen ist. Einer entsprechenden Präzisierung hätte es schon deshalb bedurft, weil die Beklagte die Eignung des Klägers, eine Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ zumindest in geringfügigem Umfang zu verrichten, nicht explizit verneint hatte und sich das Gegenteil auch nicht aus den Entscheidungen des Integrationsamts im Zustimmungsverfahren ergibt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist außerdem unvollständig, weil sie sich mit den amtlichen Feststellungen im Widerspruchsverfahren nicht auseinandersetzt und damit nicht alle relevanten Aspekte einbezieht. Zwar mag sich der Kläger zuletzt dahingehend geäußert haben, eine Tätigkeit als „Call-Center-Agent“ sei nicht „leidensgerecht“. Seine Erklärung bezog sich aber in erster Linie auf die vertraglich geschuldete Vollzeittätigkeit, die - anders als eine Beschäftigung in Teilzeit - Gegenstand der mündlichen Erörterungen in der Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht war. Die Frage, ob der Kläger mit verringerter Arbeitszeit als „Call-Center-Agent“ einsatzfähig gewesen wäre, spielte auch in den schriftsätzlichen Auseinandersetzungen der Parteien keine zentrale Rolle. Danach hätte das Landesarbeitsgericht dem Kläger nach einem entsprechenden Hinweis (§ 139 ZPO)Gelegenheit gegeben müssen, seine Leistungsfähigkeit mit Blick auf eine mögliche Arbeitszeitreduzierung zu verdeutlichen. Sollte es aus dem ärztlichen Attest vom 24. Oktober 2011 - das dem Kläger Arbeitsfähigkeit ua. unter der Voraussetzung bescheinigte, dass die Arbeit nicht durch „permanentes Telefonieren“ gekennzeichnet wäre - geschlossen haben, dessen Lärmschwerhörigkeit schließe jegliche Teilzeittätigkeit als „Call-Center-Agent“ aus, gilt das Gleiche. Auch davon durfte es den Umständen nach nicht ohne vorhergehenden Hinweis ausgehen.

45

(b) Die Verfahrensmängel sind entscheidungserheblich. Dafür reicht es aus, dass der Schluss gerechtfertigt ist, bei richtigem Verfahren hätte das Berufungsgericht möglicherweise anders entschieden (BAG 26. Juli 2007 - 8 AZR 770/06 - Rn. 34; 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 109, 145). Dies ist hier der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung tragend auf die Erwägung gestützt, dass der Kläger auch mit reduzierter Arbeitszeit nicht als „Call-Center-Agent“ habe beschäftigt werden können.

46

(c) Der Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts steht nicht entgegen, dass der Kläger in den Vorinstanzen nicht ausdrücklich die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung angeführt hatte. Die in § 84 Abs. 2 SGB IX vorgesehene Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden kann, erfordert bei schwerbehinderten Arbeitnehmern und ihnen gleichgestellten Beschäftigten die Prüfung, ob die Arbeitsunfähigkeit durch eine iSv. § 81 SGB IX leidensgerechte Beschäftigung überwunden werden kann(vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 45 f., 48). Hierunter fällt auch die - in § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX als Anspruch ausgestaltete - Möglichkeit einer Beschäftigung in zeitlich reduziertem Umfang(zur Arbeitszeitverkürzung als Vorkehrungsmaßnahme iSv. Art. 5 RL 2000/78/EG EuGH 11. April 2013 - C-335/11 und C-337/11 - [HK Danmark] Rn. 56 ff.). Die Verminderung der Arbeitszeit stellt eine mögliche Maßnahme zur Arbeitsplatzerhaltung dar, welche im Wege des bEM ermittelt werden kann. Zu ihr hätte die Beklagte Stellung beziehen müssen, um die objektive Nutzlosigkeit eines bEM darzutun. Da die Beklagte inzwischen „Call-Center-Agenten“ in Teilzeit beschäftigt, ist ihr eine solche Arbeitszeitverringerung offensichtlich nicht unzumutbar. Die Bewilligung der befristeten Erwerbsminderungsrente schließt es nicht aus, dass der Kläger einer Teilzeitbeschäftigung nachgeht, wenn auch nur im täglichen Umfang von einigen Stunden.

47

(2) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein bEM habe schlechterdings kein positives Ergebnis erbringen können, lässt überdies nicht erkennen, dass es dabei die Betriebsstätte Essen und dort vorhandene Arbeitsplätze mit in den Blick genommen hätte. Dass der Kläger mit einer örtlichen Versetzung nicht einverstanden gewesen wäre, ist weder festgestellt noch auf der Hand liegend.

48

II. Dies führt hinsichtlich des Feststellungsbegehrens zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

49

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu der Frage, ob ein bEM zu einem positiven Ergebnis hätte führen können, keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Dies wird es nachholen müssen. Dabei wird es zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte im Rahmen ihrer erhöhten Darlegungslast nicht nur für alle Betriebe ihres Unternehmens die Möglichkeit ausschließen muss, den Kläger auf einem freien Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen, sondern auch zu erläutern hat, warum der Kläger nicht im Rahmen einer schon besetzten, aber von ihm bislang nicht ausdrücklich bezeichneten Stelle hat weiterbeschäftigt werden können. Da nicht auszuschließen ist, dass die Beklagte den Umfang ihrer Darlegungslast verkannt hat, wird ihr Gelegenheit zu geben sein, ihr bisheriges Vorbringen zu ergänzen.

50

2. Der Rechtsstreit ist nicht aus anderen Gründen zur Endentscheidung reif.

51

a) Die Kündigung ist nicht unabhängig vom Bestehen einer Beschäftigungsalternative sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG.

52

aa) Gab es im Kündigungszeitpunkt keine Möglichkeit, den Kläger anderweitig einzusetzen, ist die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung rechtsfehlerfrei. Es hat zugunsten des Klägers die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein Alter und seine Behinderung berücksichtigt. Soweit dieser meint, das Gericht habe der von ihm behaupteten betrieblichen Ursache seiner dauerhaften Arbeitsunfähigkeit zu wenig Beachtung geschenkt, trifft dies nicht zu.

53

(1) Im Rahmen der Prüfung einer krankheitsbedingten Kündigung können bei der Interessenabwägung die Krankheitsursachen von Bedeutung sein. In aller Regel ist dem Arbeitgeber die Hinnahme einer Beeinträchtigung seiner betrieblichen Interessen eher zuzumuten, wenn die Gründe für die Arbeitsunfähigkeit im betrieblichen Bereich liegen (vgl. BAG 8. November 2007 - 2 AZR 292/06 - Rn. 16; 27. November 1991 - 2 AZR 309/91 - zu B V der Gründe; 21. Februar 1985 - 2 AZR 72/84 - zu B II 4 der Gründe). Das gilt umso mehr, wenn der Arbeitgeber die Umstände, die zu der Arbeitsunfähigkeit geführt haben, zu vertreten oder er ein Unfallrisiko gar billigend in Kauf genommen hat (vgl. BAG 8. Juni 1972 - 2 AZR 285/71 -; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 174; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 296; Lepke Kündigung bei Krankheit 14. Aufl. Rn. 212).

54

(2) Der Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es die möglichen Ursachen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers außer Acht gelassen hätte. Es hat vielmehr - unter B I 2.3 der Entscheidungsgründe - zugunsten des Klägers für die „weitere Prüfung“ unterstellt, dass er im Mai 2006 aufgrund einer Fehlfunktion des Headsets während der Arbeitszeit einen akustischen Schock erlitt und seine Arbeitsunfähigkeit darauf zurückzuführen ist. Soweit der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte den Arbeitsunfall und damit seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen verschuldet habe, ist nicht zu erkennen, welchen schlüssigen Sachvortrag er zu diesem Punkt geleistet haben will.

55

(3) Unter diesen Umständen ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses als überwiegend angesehen hat. Diese konnte auf unabsehbare Zeit nicht mehr mit dem Kläger planen. Im Kündigungszeitpunkt waren knapp vier Jahre ohne Arbeitsleistungen des Klägers vergangen. Damit hatte die Beklagte ein hohes Maß an Rücksichtnahme auf dessen Belange gezeigt. Selbst wenn die Erkrankung des Klägers auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sein sollte, war die Kündigung des mittlerweile sinnentleerten Arbeitsverhältnisses durch diese Gründe in seiner Person „bedingt“. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn die Beklagte von der behaupteten Funktionsstörung des Headsets gewusst oder wenn sie bewusst Arbeitsschutzvorschriften missachtet hätte, bedarf keiner Entscheidung. Für eine solche Sachlage fehlt es an Anhaltspunkten.

56

bb) Die Kündigung ist, falls es keine Beschäftigungsalternativen gab, nicht wegen einer Diskriminierung des Klägers aufgrund seiner Behinderung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG iVm. § 2 Abs. 1 Nr. 2, §§ 1, 7 AGG sozial ungerechtfertigt.

57

(1) Bei der Prüfung der Wirksamkeit von Kündigungen, die dem KSchG unterfallen, sind die Diskriminierungsverbote des AGG als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit iSv. § 1 KSchG zu beachten(vgl. BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 16 mwN, BAGE 147, 60; 20. Juni 2013 - 2 AZR 295/12 - Rn. 36, BAGE 145, 296). Beim Kläger liegt eine Behinderung iSv. § 1 AGG vor(zur Begrifflichkeit im Einzelnen BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 58, aaO).

58

(2) Durch die Kündigung wurde der Kläger weder unmittelbar noch mittelbar aufgrund seiner Behinderung iSv. § 7 Abs. 1 AGG benachteiligt.

59

(a) Die Kündigungserklärung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die ihr zugrunde liegenden Überlegungen, wie sie sich etwa aus der Kündigungsbegründung oder aus sonstigen Umständen ergeben, können Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Kündigung und einem Merkmal nach § 1 AGG liefern(BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 44 mwN, BAGE 147, 60).

60

(b) Eine auf dauerhafte krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit gestützte Kündigung verstößt nicht ohne Weiteres gegen das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung nach § 7 Abs. 1 AGG und Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der ihm zugrunde liegenden europäischen Richtlinie 2000/78/EG. Die Kündigung ist vielmehr - auch unionsrechtlich - wirksam, wenn der Arbeitgeber nicht imstande ist, die bestehende Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers durch angemessene Vorkehrungen, dh. durch effektive und praktikable, ihn - den Arbeitgeber - nicht unzumutbar belastende Maßnahmen zu beseitigen (vgl. BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 90, BAGE 147, 60; vgl. auch EuGH 11. April 2013 - C-335/11 und C-337/11 - [HK Danmark] Rn. 69 ff.; 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 52, 54, Slg. 2006, I-6467).

61

(c) Der vorliegende Fall ist nicht deshalb anders zu beurteilen, weil die Beklagte gekündigt hat, nachdem sie von der Behinderung des Klägers und dem Bezug der - befristeten - Erwerbsminderungsrente Kenntnis erlangt hatte. Sie hat nicht die Behinderung als solche oder den Rentenbezug des Klägers zum Anlass für die Kündigung genommen, sondern die durch dessen Arbeitsunfähigkeit bedingten Fehlzeiten. Die Bewilligung der Erwerbsminderungsrente diente ihr ersichtlich nur als Stütze für die Prognose, der Kläger werde auch künftig nicht in der Lage sein, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

62

(d) Der Verstoß der Beklagten gegen ihre Verpflichtung, ein ordnungsgemäßes bEM durchzuführen, und die mögliche Verletzung ihrer Pflicht, dem Kläger einen leidensgerechten Arbeitsplatz anzubieten, sind ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keine aussagekräftigen Indizien für eine unzulässige Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung (vgl. dazu BAG 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 42). Das Landesarbeitsgericht hat seine Auffassung, die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 10. Juni 2011 seien hierfür ebenso unergiebig, in revisionsrechtlich nicht zu beanstandeter Weise damit begründet, das Vorbringen beschränke sich auf die Wiedergabe gesetzlicher Bestimmungen.

63

(e) Soweit der Kläger vorgebracht hat, in der Ausstattung seines Arbeitsplatzes mit einem - unterstellt - fehlerhaften oder ungeeigneten Headset liege ein Indiz für seine unmittelbare oder doch mittelbare Benachteiligung als behinderter Mensch, ist die sachliche Berechtigung dieser Auffassung nicht zu erkennen. Das Gleiche gilt, soweit der Kläger gemeint hat, die Diskriminierung liege schon in der Zuweisung des betreffenden Arbeitsplatzes, zumal er bei Übertragung der Tätigkeit noch nicht behindert war.

64

b) Die Kündigung ist nicht aus einem sonstigen Grund unwirksam.

65

aa) Ein Verstoß gegen § 102 BetrVG liegt nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe die Kündigung nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung erklärt. Dagegen erhebt der Kläger keine Verfahrensrügen. Ein materieller Rechtsfehler ist nicht erkennbar.

66

bb) Die Beklagte hat die Kündigung iSv. § 85 SGB IX mit Zustimmung des Integrationsamts erklärt. Der Widerspruch des Klägers gegen den Zustimmungsbescheid vom 9. November 2010 entfaltete keine aufschiebende Wirkung (vgl. BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 991/11 - Rn. 24 mwN, BAGE 145, 199).

67

cc) Der Einwand des Klägers, die Beklagte habe es versäumt, die Vertrauensperson der Schwerbehinderten von der beabsichtigten Kündigung zu unterrichten, bleibt ohne Erfolg. Es ist schon nicht dargetan, dass im Betrieb der Beklagten eine Vertretung iSv. 94 Abs. 1 SGB IX bestand. Im Übrigen führt eine Verletzung der sich aus § 95 Abs. 2 SGB IX ergebenden Beteiligungspflicht nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung(vgl. BAG 28. Juli 1983 - 2 AZR 122/82 - zu B der Gründe, BAGE 43, 210 [zu § 22 Abs. 2 SchwbG aF]).

68

III. Soweit das Landesarbeitsgericht die Anträge des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung abgewiesen hat, hat es gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen. In diesem Punkt war die angefochtene Entscheidung ersatzlos aufzuheben.

69

1. Der Kläger hatte die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung nur für den Fall des Obsiegens mit dem Hauptantrag gestellt. Diese innerprozessuale Bedingung war nicht eingetreten. Das Landesarbeitsgericht hat den Kündigungsschutzantrag abgewiesen. Soweit es - laut den Ausführungen unter B. der Entscheidungsgründe - die Klage auch hinsichtlich der Hilfsanträge abgewiesen hat, hat es über einen nicht gestellten Antrag entschieden. Damit hat es § 308 Abs. 1 ZPO verletzt. Die Vorschrift verbietet es, dem Kläger einen Anspruch abzuerkennen, den er nicht zur Entscheidung gestellt hat (BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 864/12 - Rn. 15; 7. November 1991 - 2 AZR 190/91 - zu B II 1 der Gründe; vgl. auch MüKoZPO/Musielak 4. Aufl. § 308 Rn. 17).

70

2. Die Beseitigung der daraus folgenden Beschwer konnte der Kläger trotz der wirksam erklärten Rücknahme der Hilfsanträge verlangen. Eines weiter gehenden Ausspruchs bedurfte es nicht. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist, soweit dieses das erstinstanzlich in Gestalt eines Feststellungsantrags angebrachte Beschäftigungsverlangen abgewiesen hat, schon aufgrund der in der Berufungsinstanz erfolgen Umstellung in unechte, auf Leistung gerichtete Hilfsanträge wirkungslos geworden.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. Juni 2013 - 21 Sa 1456/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte entwickelt und vertreibt Hygieneartikel. Der 1964 geborene Kläger ist bei ihr seit Juni 1991 als Maschinenführer tätig. Zuletzt war er - als einer von etwa 220 Arbeitnehmern - im Betrieb E im Dreischichtmodell beschäftigt. Sein monatlicher Bruttoverdienst belief sich auf ca. 2.700,00 Euro.

3

Der Kläger war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig. Im Jahr 2006 war er ab dem 27. Juli an wenigstens 59 Tagen wegen einer Handverletzung nicht arbeitsfähig. Im Jahr 2007 fehlte er wegen einer anderen Handverletzung 105 und aufgrund einer Kontaktallergie weitere 30 Tage. Im Jahr 2008 war er an 69 Tagen, im Jahr 2009 an 74 Tagen, im Jahr 2010 an 62 Tagen und im Jahr 2011 an 125 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Zwei Fehltage im Jahr 2008 und 21 Fehltage im Jahr 2009 waren auf Arbeitsunfälle zurückzuführen. Von den Krankheitstagen im Jahr 2011 entfielen 117 Tage auf ein Hüftleiden. Wegen dieser Erkrankung unterzog sich der Kläger am 28. März 2011 einer Operation.

4

Die Fehlzeiten verteilten sich auf unterschiedlich lange Zeiträume, jeweils unterbrochen durch Tage der Arbeitsfähigkeit.

5

Im Jahr 2004 stellte sich der Kläger auf Ersuchen der Beklagten beim arbeitsmedizinischen Dienst vor. Es folgten weitere Begutachtungen Ende 2009/Anfang 2010 und im September 2011. In den betriebsärztlichen Stellungnahmen hieß es jeweils, gegen eine Beschäftigung des Klägers bestünden keine gesundheitlichen Bedenken. Im Schreiben vom 2. Februar 2010 wurde außerdem berichtet, es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen könnten. Im September 2010 teilte die Berufsgenossenschaft der Beklagten mit, sie habe dem Kläger einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt, bei deren Verwendung sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermeiden ließen.

6

Mit Schreiben vom 29. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2012.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die seit dem Jahr 2008 aufgetretenen Fehlzeiten seien - soweit nicht auf Arbeitsunfällen und den Hüftbeschwerden beruhend - im Wesentlichen auf eine Kontaktallergie, einen Fersensporn, Erkältungskrankheiten, in geringem Umfang auf eine Herz-/Kreislauferkrankung sowie zwei in der Freizeit erlittene Unfälle zurückzuführen. Die Fehlzeiten indizierten keine negative Zukunftsprognose. Mit dem Auftreten der Allergie sei nach den Maßnahmen der Berufsgenossenschaft und beim Tragen der empfohlenen Schutzhandschuhe nicht mehr zu rechnen. Sein Hüftleiden sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Der Fersensporn sei gleichfalls erfolgreich therapiert. Seine Erkältungskrankheiten seien durch Zugluft am Arbeitsplatz ausgelöst oder begünstigt worden. Jedenfalls sei die Kündigung unverhältnismäßig. Die Beklagte habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nicht durchgeführt. Sie könne sich deshalb nicht darauf berufen, alternative Möglichkeiten zur Vermeidung oder doch erheblichen Verringerung künftiger Fehlzeiten hätten nicht bestanden. Das sei auch objektiv falsch. Neben Veränderungen am Arbeitsplatz, dessen bisheriger Zuschnitt ein kontinuierliches Treppensteigen erfordere, habe ein geeignetes „Gesundheitsmanagement“ zur Stabilisierung seines Abwehr- und Immunsystems beitragen können. Dies belege eine zwischenzeitlich durchgeführte Reha-Maßnahme, in deren Folge sich sein Gesundheitszustand deutlich gebessert habe. Unabhängig davon sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Dieser sei bis einschließlich des 25. November 2011 an insgesamt 1061 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen. Davon habe sie für 803 Tage Entgeltfortzahlung geleistet. Die erheblichen Fehlzeiten sprächen für eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit des Klägers und begründeten eine negative Gesundheitsprognose. Dies wiederum beeinträchtige ihre betrieblichen Interessen erheblich. Sie habe damit rechnen müssen, an den Kläger weiterhin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für die Dauer von mehr als sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Ihre Verpflichtung zur Durchführung eines bEM habe sie mit den in Auftrag gegebenen arbeitsmedizinischen Untersuchungen erfüllt. Jedenfalls stehe aufgrund der betriebsärztlichen Stellungnahmen fest, dass die Krankheitsanfälligkeit des Klägers nicht durch organisatorische Änderungen habe überwunden werden können. Die Kündigung sei damit selbst dann verhältnismäßig, wenn es an einem regelkonformen bEM fehlen sollte. Auf die allgemeine Gesundheitsprävention im Rahmen außerbetrieblicher Maßnahmen sei der gesetzlich vorgegebene Klärungsprozess nicht angelegt.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage im noch rechtshängigen Umfang stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist unbegründet.

12

A. Die Revision ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat sie im Tenor seines Urteils zugelassen. Daran ist der Senat gemäß § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden(vgl. BAG 16. April 1997 - 4 AZR 653/95 - zu I der Gründe). Eine Überprüfung der Zulassungsentscheidung - wie sie der Kläger offenbar anstrebt - findet nicht statt.

13

B. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden (I.). Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (II.).

14

I. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sie ist nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Sie erweist sich - ungeachtet der erheblichen Fehlzeiten - als unverhältnismäßig.

15

1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die der Senat zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat (vgl. aus jüngerer Zeit BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335). Auch wenn sich einzelne Krankheitsphasen über mehrere Monate erstreckten, liegt angesichts der Vielzahl der in Rede stehenden Krankheitsbilder und des häufigen Wechsels von Krankheits- und Arbeitsphasen nicht der Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung vor.

16

2. Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (bspw. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - aaO; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335).

17

3. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 17, BAGE 121, 335; 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 20). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24; 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 92, 96). Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO mwN).

18

4. Entgegen der Auffassung des Klägers erweist sich danach die Kündigung nicht bereits im ersten Prüfungsschritt als unwirksam. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die bisherigen Fehlzeiten hätten im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose indiziert und der Kläger habe diese Indizwirkung nicht entkräftet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

19

a) Die Beklagte hat die Krankheitszeiten des Klägers nach Zahl, Dauer und zeitlicher Folge im Einzelnen vorgetragen. Danach war der Kläger auch ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Ausfallzeiten seit Mitte des Jahres 2007 in erheblichem Umfang wegen Krankheit arbeitsunfähig. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stiegen seine Fehlzeiten kontinuierlich an (vgl. zu diesem Kriterium BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 32 mwN). Lediglich im Jahr 2010 gingen sie gegenüber dem Vorjahr leicht zurück, verblieben aber auf hohem Niveau. Unschädlich ist, dass das Landesarbeitsgericht nicht starr auf den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung abgestellt hat. Es konnte auch davor liegende Zeitspannen einbeziehen (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24).

20

b) Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten - den Angaben des Klägers zufolge - auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 26). Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zB eine Operation) ergriffen wurden (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO).

21

c) Danach hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, das künftige Auftreten von Krankheitszeiten im bisherigen Umfang sei aufgrund einer besonderen Krankheitsanfälligkeit indiziert. Zwar hat sich der Kläger bezüglich einzelner Erkrankungen darauf berufen, er habe besondere Therapiemaßnahmen durchgeführt. Seiner Schlussfolgerung, aufgrund dessen sei zumindest mit einer deutlichen Verringerung der Fehlzeiten zu rechnen gewesen, widerspricht aber der Umstand, dass er im Anschluss an die im März 2011 durchgeführte Operation noch bis Juli 2011 und erneut in der Zeit vom 8. bis 28. August 2011 wegen seines Hüftleidens krankgeschrieben war. Eine Rehabilitationsmaßnahme hat er erst nach Zugang der Kündigung begonnen und durchgeführt. Sie hat deshalb keinen Einfluss auf die Indizwirkung der vor dem Kündigungszeitpunkt aufgetretenen Fehlzeiten (vgl. BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 558/99 - Rn. 20 mwN). Gleiches gilt für mögliche - nach der Kündigung ergriffene - Maßnahmen zur Verbesserung der Immunabwehr. Damit verblieb es vor der Kündigung bei umfangreichen, eine negative Prognose stützenden Arbeitsunfähigkeitszeiten.

22

d) Der Kläger hat die Indizwirkung der Fehlzeiten nicht dadurch erschüttert, dass er sich auf das Zeugnis seiner ihn behandelnden Ärzte berufen und diese von der Schweigepflicht entbunden hat. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darin nicht die Behauptung erblickt, die Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung bezüglich sämtlicher prognosetragender Erkrankungen im Kündigungszeitpunkt positiv beurteilt (zu dieser Anforderung vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96; 6. September 1989 - 2 AZR 19/89 - zu B I 1 b der Gründe). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einen richterlichen Hinweis vermisst, ist seine Gegenrüge unzulässig, zumindest unbegründet.

23

5. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass sie - bei unveränderter Sachlage - damit zu rechnen hatte, an den Kläger auch zukünftig Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für mindestens sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Die Kündigung ist dennoch sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht „ultima ratio“ und deshalb unverhältnismäßig. Die Beklagte hat das gesetzlich vorgesehene bEM unterlassen, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.

24

a) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24). Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz sein (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN). Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 92, 96; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 286; vHHL/Krause KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 324; jeweils mwN).

25

b) Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich - besteht keine Verpflichtung zur Durchführung eines bEM - zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 14, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 16). Dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf seinerseits zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - aaO mwN). Entsprechend abgestuft ist die Darlegungslast des Arbeitgebers, wenn sich der Arbeitnehmer darauf beruft, die Kündigung sei deshalb unverhältnismäßig, weil eine dem Arbeitgeber bekannte, ihm gleichwohl nicht geboten erscheinende Therapiemöglichkeit bestanden habe.

26

c) Die Kündigung erweist sich nicht schon nach diesen allgemeinen Grundsätzen als unwirksam. Der Kläger hat geltend gemacht, sein bisheriger Arbeitsplatz erfordere regelmäßiges Treppensteigen und sei ferner deshalb nicht leidensgerecht, weil an ihm Zugluft herrsche. An Ausführungen dazu, welche organisatorischen Änderungen oder welcher andere Arbeitsbereich - aus seiner Sicht - eine Beschäftigung ohne gesundheitliche Probleme möglich gemacht hätten, fehlt es. Ebenso wenig ist seinem Vorbringen zu entnehmen, dass er sich bereits vor Zugang der Kündigung um eine Rehabilitationsmaßnahme und ein besseres Gesundheitsmanagement bemüht und die Beklagte Anhaltspunkte für die Annahme gehabt hätte, entsprechende Maßnahmen könnten erfolgversprechend sein.

27

d) Im Streitfall traf die Beklagte indes eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast. Sie hatte es versäumt, ein bEM durchzuführen. Ihrer Obliegenheit detailliert darzulegen, dass keine Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden, ist sie nicht nachgekommen.

28

aa) Die Beklagte war gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, ein bEM vorzunehmen. Der Kläger war in jedem der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung länger als sechs Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von sechs Wochen überschritten (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 19). Die Durchführung eines bEM setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer eine Behinderung vorliegt (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 27, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234).

29

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein regelkonformes bEM habe nicht stattgefunden, ist berechtigt.

30

(1) Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. § 84 Abs. 2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20). Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20).

31

(2) Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 9, BAGE 140, 350; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Bei der Durchführung muss er eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt, hinzuziehen (vgl. BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 55, BVerwGE 137, 148).

32

(3) Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat(BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht(BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 52, BVerwGE 137, 148). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 19, BAGE 140, 350; dass das Gesetz hier vom „Arbeitsplatz“ spricht, dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen, vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 28). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 62).

33

(4) Kommt es stattdessen darauf an, ob bestimmte vom Arbeitgeber tatsächlich ergriffene Maßnahmen den Anforderungen eines bEM genügen, ist zu prüfen, ob sie sich als der vom Gesetz vorgesehene umfassende, offene und an den Zielen des bEM ausgerichtete Suchprozess erweisen.

34

(5) Danach kann in den betriebsärztlichen Untersuchungen des Klägers und den mit ihnen verbundenen Begutachtungen kein bEM erblickt werden.

35

(a) Der Betriebsarzt wird in § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX als ein Akteur erwähnt, der „bei Bedarf“ zum bEM hinzugezogen wird. Dies entspricht der Aufgabe des Arztes, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung zu unterstützen und in Fragen des Gesundheitsschutzes zu beraten (§ 1 Satz 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 ASiG). Die Nutzung seines Sachverstands kann der Klärung dienen, ob vom Arbeitsplatz Gefahren für die Gesundheit des Arbeitnehmers ausgehen und künftig durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ASiG). Die Inanspruchnahme des betriebsärztlichen Sachverstands steht einem bEM als ganzem aber nicht gleich (vgl. Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24, 25).

36

(b) Es kann dahinstehen, ob der Arbeitgeber dem Betriebsarzt bei Bedarf die Durchführung und Leitung des bEM übertragen kann (befürwortend Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 152; zweifelnd Cramer/Ritz/Schian SGB IX 6. Aufl. § 84 Rn. 31). Die Behauptung der Beklagten, die betriebsärztlichen Untersuchungen seien „teilweise … unter dem Titel ‚betriebliches Eingliederungsmanagement‘ [gelaufen]“, macht nicht deutlich, dass sie dem arbeitsmedizinischen Dienst die regelgerechte Durchführung eines bEM überantwortet hätte. Jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass die Betriebsärzte ihre Beauftragung in einem solch weitreichenden Sinne verstanden und entsprechend agiert hätten. Ihre Stellungnahmen beschränken sich auf die Einschätzung der Einsatzfähigkeit des Klägers auf der Grundlage arbeitsmedizinischer Untersuchungen. Auch fehlt es an substantiierten Darlegungen zu einer den Anforderungen des § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX genügenden Unterrichtung und Belehrung des Klägers, aus der sich für diesen die Absicht, ein bEM durchzuführen, deutlich hätte erschließen können. Das Vorbringen der Beklagten, die Betriebsärztin habe aus Anlass der Ende 2009/Anfang 2010 vorgenommenen Untersuchung mit dem Kläger „die Fragestellung“ eines möglichen Zusammenhangs zwischen seiner Tätigkeit und den Erkrankungen „besprochen“ und ihn „über den Sinn und Zweck der Untersuchungen“ unterrichtet, reicht dafür nicht aus. Es kann deshalb offenbleiben, ob die fragliche Begutachtung, hätte es sich bei ihr um ein bEM gehandelt, dem Zweck des § 84 Abs. 2 SGB IX deshalb nicht genügen konnte, weil der Kläger innerhalb des der Kündigung vorausgegangenen Jahres erneut Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen aufwies(zur Problematik KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 16; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10).

37

cc) Das Unterlassen eines bEM führt hier dazu, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist.

38

(1) Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dennoch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20).

39

(2) Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will sich der Arbeitgeber hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 25).

40

(3) Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt.

41

(4) Diesen Vorgaben wird die Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis gerecht.

42

(a) Ein bEM ist nicht nur bei lang andauernden Krankheiten geboten. Es ist auch bei häufigen Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen oder von vorneherein überflüssig. Nach der gesetzlichen Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX kommt es allein auf den Umfang, nicht auf die Ursache der Erkrankungen an. Auch aus Krankheiten, die auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen, kann sich - zumal wenn sie auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hindeuten - eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ergeben, der das bEM entgegenwirken soll (KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 17; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10; Deinert NZA 2010, 969, 971; aA Balders/Lepping NZA 2005, 854, 855).

43

(b) Dem Vorbringen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass einem künftigen Auftreten erheblicher, über sechs Wochen hinausgehender Fehlzeiten des Klägers durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen nicht hätte entgegengewirkt werden können. Dass ihr entsprechende Maßnahmen nicht möglich oder zumutbar gewesen wären, hat sie nicht aufgezeigt.

44

(aa) In diesem Zusammenhang waren nähere Darlegungen der Beklagten nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger vorgerichtlich geäußert haben mag, seine Erkrankungen seien nicht „betriebsbedingt“. Unabhängig davon, was genau er damit hat ausdrücken wollen, ist es nicht treuwidrig, wenn er sich gegenüber der ausgesprochenen Kündigung auf das Unterbleiben erfolgversprechender innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen beruft. Das Landesarbeitsgericht musste seine Behauptung, solche Maßnahmen hätten dem Auftreten neuerlicher Fehlzeiten vorbeugen oder diese zumindest verringern können, nicht etwa als Schutzbehauptung werten. Die Beklagte hat die vom Kläger aufgezeigten, einer günstigen Veränderung jedenfalls dem ersten Anschein nach nicht unzugänglichen Arbeitsbedingungen nicht in Abrede gestellt. Der Umstand, dass der Kläger während einer Prozessbeschäftigung trotz des Einsatzes am bisherigen Arbeitsplatz keine relevanten krankheitsbedingten Ausfallzeiten mehr gezeigt hat, spricht nicht notwendig gegen einen möglichen Zusammenhang zwischen den äußeren Arbeitsumständen und seinen bisherigen Fehlzeiten. Die Entwicklung kann ebenso gut durch die zwischenzeitlich durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme oder dadurch begünstigt worden sein, dass der Kläger - wie er behauptet hat - nunmehr ein effektiveres „Gesundheitsmanagement“ betreibt.

45

(bb) Die Beklagte hat die objektive Nutzlosigkeit innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen nicht dadurch aufgezeigt, dass sie auf den Gegenstand der arbeitsmedizinischen Untersuchungen verwiesen und sich die Stellungnahmen der Betriebsärzte - konkludent - zu Eigen gemacht hat. Zwar verpflichtet § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. c) ASiG die Betriebsärzte, Ursachen von „arbeitsbedingten Erkrankungen“ zu untersuchen. Auch ist der Stellungnahme vom 2. Februar 2010 zu entnehmen, dass die Ärzte keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers und seinen Fehlzeiten erkannt haben. Das schließt aber die Gewinnung anderer Erkenntnisse im Rahmen eines in alle Richtungen offenen bEM nicht aus. Bei diesem geht das Gesetz davon aus, dass sich neben dem Arbeitnehmer auch die anderen beteiligten Stellen, insbesondere die Rehabilitationsträger, aktiv in die Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit einbringen. Es kommt hinzu, dass die Berufsgenossenschaft im Jahr 2010 einen Zusammenhang zumindest zwischen den Arbeitsbedingungen und der Kontaktallergie gesehen und ein Hilfsmittel empfohlen hat. Soweit die Beklagte anführt, die im Jahr 2011 erfolgte betriebsärztliche Untersuchung sei „unter Berücksichtigung der arbeitsplatztypischen Belastungsfaktoren Lärm, Hautkontakt mit Stoffen, Schichttätigkeit“ erfolgt und „negativ“ verlaufen, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden kann. Im Übrigen ergibt sich aus ihm nicht, dass der Arbeitsplatz des Klägers auf besondere Belastungen durch Zugluft und Treppensteigen, dh. auf Umstände und deren mögliche Änderung hin untersucht worden wäre, in denen der Kläger eine Ursache seiner Krankheitsanfälligkeit erblickt.

46

(cc) Soweit die Beklagte gemeint hat, die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zu der Möglichkeit, im Rahmen eines bEM zu einer von den arbeitsmedizinischen Gutachten abweichenden Beurteilung zu gelangen, bewegten sich im Bereich der Spekulation, liegt darin kein beachtliches Vorbringen. Es handelt sich weder um eine zulässige Verfahrens-, noch um eine begründete Sachrüge. Es hat nicht das Landesarbeitsgericht Spekulationen angestellt, sondern die Beklagte ist ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen, im Einzelnen darzulegen, weshalb eine abweichende Beurteilung objektiv ausgeschlossen sein soll.

47

(c) Die Kündigung wäre selbst dann unverhältnismäßig, wenn feststünde, dass die tatsächlichen betrieblichen Bedingungen, zu denen der Kläger arbeitete, nicht hätten geändert werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung eines bEM Rehabilitationsbedarfe in der Person des Klägers hätten erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können.

48

(aa) Nach der Konzeption des Gesetzes lässt das bEM den Beteiligten bei der Prüfung, mit welchen Maßnahmen, Leistungen oder Hilfen eine künftige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglichst vermieden werden und das Arbeitsverhältnis erhalten bleiben kann, jeden denkbaren Spielraum. Es soll erreicht werden, dass keine vernünftigerweise in Betracht kommende, zielführende Möglichkeit ausgeschlossen wird (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1783 S. 16) soll durch eine derartige Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft gesichert werden. Zugleich sollen auf diese Weise medizinzische Rehabilitationsbedarfe frühzeitig, ggf. präventiv erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, hat der Arbeitgeber deshalb gemäß § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auch bei nicht behinderten Arbeitnehmern die örtlichen gemeinsamen Servicestellen hinzuzuziehen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Hilfen und Leistungen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX erbracht werden. Als Hilfen zur Beseitigung und möglichst längerfristigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeit kommen dabei - neben Maßnahmen zur kurativen Behandlung - insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX in Betracht(vgl. Knittel SGB IX 7. Aufl. § 84 Rn. 207; KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 9; Nebe in MünchAnwHdb Sozialrecht 4. Aufl. § 21 Rn. 22; Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 190).

49

(bb) Denkbares Ergebnis eines bEM kann es damit sein, den Arbeitnehmer auf eine Maßnahme der Rehabilitation zu verweisen. Dem steht nicht entgegen, dass deren Durchführung von seiner Mitwirkung abhängt und nicht in der alleinigen Macht des Arbeitgebers steht. Ggf. muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist zur Inanspruchnahme der Leistung setzen. Eine Kündigung kann er dann wirksam erst erklären, wenn die Frist trotz Kündigungsandrohung ergebnislos verstrichen ist (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 29). Durch die Berücksichtigung entsprechender, aus dem bEM entwickelter Empfehlungen wird der „ultima-ratio-Grundsatz“ nicht, wie die Beklagte meint, über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt. Die aus ihm resultierende Verpflichtung des Arbeitgebers, ggf. mildere Mittel zu ergreifen, ist nicht auf arbeitsplatzbezogene Maßnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG beschränkt. Diese Vorschrift dient der Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lediglich mit Blick auf ihren eigenen Regelungsbereich. Sie schließt die Berücksichtigung sonstiger Umstände, die eine Kündigung entbehrlich machen könnten, nicht aus. Eine Kündigung muss, damit sie durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“ ist, unter allen Gesichtspunkten verhältnismäßig, dh. unvermeidbar sein. Daraus kann sich die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, auf bestehende Therapiemöglichkeiten Bedacht zu nehmen. Wenn er ein bEM unterlassen hat, kann er gegen eine solche Verpflichtung nicht einwenden, ihm seien im Kündigungszeitpunkt - etwa schon mangels Kenntnis der Krankheitsursachen - entsprechende Möglichkeiten weder bekannt gewesen, noch hätten sie ihm bekannt sein können.

50

(cc) Das bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber bei Unterlassen eines bEM, um die Verhältnismäßigkeit der Kündigung aufzuzeigen, für jede nur erdenkliche Maßnahme der Gesundheitsprävention - etwa bis zu möglichen Änderungen in der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers - von sich aus darzulegen hätte, dass und weshalb sie zur nachhaltigen Verminderung der Fehlzeiten nicht geeignet gewesen sei. Es reicht aus, wenn er dartut, dass jedenfalls durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten nicht in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt lediglich die Berücksichtigung solcher Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen, deren Beachtung dem Arbeitgeber zumutbar ist. Zumutbar wiederum ist nur eine Beachtung solcher Maßnahmen, deren Zweckmäßigkeit hinreichend gesichert ist. Auch muss deren tatsächliche Durchführung objektiv überprüft werden können. Beides trifft auf gesetzlich vorgesehene Leistungen und Hilfen, die der Prävention und/oder Rehabilitation dienen, typischerweise zu. Solche Maßnahmen muss der Arbeitgeber deshalb grundsätzlich in Erwägung ziehen. Hat er ein bEM unterlassen, muss er von sich aus ihre objektive Nutzlosigkeit aufzeigen und ggf. beweisen. Dabei kommt eine Abstufung seiner Darlegungslast in Betracht, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt sind. Für eine Maßnahme außerhalb des Leistungskatalogs der Rehabilitationsträger - und sei es ein fachkundig entwickeltes Konzept zur privaten Gesundheitsprävention - gilt dies dagegen in aller Regel nicht. Deren objektive Nutzlosigkeit braucht der Arbeitgeber nicht darzutun.

51

(dd) Danach durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung zwar nicht deshalb für unwirksam erachten, weil im Rahmen eines bEM die Möglichkeit bestanden hätte, ein - wie auch immer geartetes - Konzept für ein konsequentes Gesundheitsmanagement des Klägers zu entwickeln. Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat nicht dargetan, dass auch bei regelkonformer Durchführung eines bEM keine geeigneten Leistungen oder Hilfen für den Kläger hätten erkannt werden können, zu deren Erbringung die Rehabilitationsträger verpflichtet gewesen wären. Das gilt umso mehr, als sich der Kläger ausdrücklich auf eine nach Zugang der Kündigung erfolgreich durchgeführte Reha-Behandlung berufen hat. Die Beklagte hätte aufzeigen müssen, warum Maßnahmen zur kurativen Behandlung und/oder der medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX - zu denen im Übrigen nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift auch die „Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln“ zählt - nicht in Betracht gekommen wären oder doch zu einer erheblichen Verringerung der Fehlzeiten nicht hätten beitragen können. An solchen Darlegungen fehlt es.

52

II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses gerichtet. Dieser Rechtsstreit ist abgeschlossen.

53

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

(2) Die Leistungen umfassen auch eine notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung.

(3) Soweit es im Einzelfall erforderlich ist, werden Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht.

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 22. April 2015 - 2 Sa 1305/14 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1973 geborene Kläger war seit Juni 1992 bei dem beklagten Land beschäftigt. Er war als Straßenwärter in der Landesbaubehörde Hessen Mobil - Straßen- und Verkehrsmanagement (Hessen Mobil) tätig und dem Betriebsdezernat W zugeordnet. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung seit dem 1. Januar 2010 der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen (TV-H) Anwendung.

3

Der Kläger wurde ursprünglich in der Autobahnmeisterei R beschäftigt. Nach längeren krankheitsbedingten Fehlzeiten, die er ua. auf Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit seinem Vorgesetzten und Arbeitskollegen zurückführte, wurde ihm von Mai 2008 bis Ende Dezember 2011 - mehrfach befristet und zu Fortbildungszwecken - eine Tätigkeit als Bauaufseher im Innendienst mit Dienstort F übertragen. Zu Beginn des Jahres 2012 wurde er zur Autobahnmeisterei E „umgesetzt“. Dort arbeitete er zwei Tage als Straßenwärter, bevor er erneut arbeitsunfähig erkrankte. Im Anschluss an eine stationäre psychosomatische Behandlung im Frühjahr 2013 wurde er als arbeitsunfähig für die Tätigkeit als Straßenwärter entlassen. Nach einer Untersuchung im Mai 2013 wurde aus arbeitsmedizinischer Sicht empfohlen, ihn nicht mehr als Straßenwärter einzusetzen. Anschließend verwahrte sich der Kläger gegen eine Beschäftigung als Straßenwärter in der Kolonne. Er erklärte, dass er wegen psychischer Belastungen keine weitere Beschäftigung in der Meisterei E wünsche.

4

Mit Bescheid vom 28. Juni 2013 wurde beim Kläger ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt. Auf seinen Antrag vom 8. Juli 2013 und rückwirkend zu diesem Zeitpunkt wurde er durch Bescheid vom 30. April 2014 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

5

Am 24. Juli 2013 fand im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) mit dem Kläger ein Gespräch statt, an dem sechs weitere Personen teilnahmen. Dabei wurde für die Zeit vom 1. bis zum 23. August 2013 eine Wiedereingliederung mit drei bis vier Arbeitsstunden täglich vereinbart. Der Kläger sollte einfache Tätigkeiten in der Geschäftsstelle und im Bereich „Betrieb“ des Standorts D verrichten. Andere Einsatzmöglichkeiten sollten noch geprüft werden.

6

Am 20. August 2013 folgte ein weiteres „bEM-Gespräch“. Die Unterredung wurde im Anschluss an eine Äußerung des Klägers, die von anderen Teilnehmern als Drohung mit Selbstmord und „Amok“ verstanden wurde, unterbrochen. Die Leiterin des Gesprächs wandte sich an den sozialpsychiatrischen Dienst. Auf dessen Anraten rief sie Polizeibeamte herbei, die den Kläger mit seinem Einverständnis in die psychiatrische Ambulanz eines Klinikums brachten. In einer dort am 15. Oktober 2013 ausgestellten fachärztlichen Bescheinigung heißt es:

        

„Hiermit bescheinigen wir, dass Herr [Kläger] sich am 20.08.2013 in unserer psychiatrischen Institutsambulanz vorstellte. Wir diagnostizierten eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (…).

        

Psychisch war der Pat. wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert. Im Kontakt wirkte er zugewandt. Der Gedankengang war formal unauffällig, inhaltlich fokussiert auf die Konflikte am Arbeitsplatz. Die Stimmung war im depressiven Sinne gedrückt, der Antrieb agitiert-unruhig. Er erwähnte auch orthopädische Beschwerden und Schmerzen. Intelligenz und Mnestik waren im Normbereich. Der Pat. konnte sich glaubhaft von jeglichen selbst- oder fremdgefährdenden Tendenzen distanzieren. …“

7

Auf einen am 27. August 2013 eingegangenen Antrag des beklagten Landes teilte das Integrationsamt durch Bescheid vom 11. September 2013 mit, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers gelte als erteilt.

8

Mit Schreiben vom 11. September 2013 kündigte das beklagte Land - nach vorheriger Beteiligung des Personalrats und Unterrichtung der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen - das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund und mit sofortiger Wirkung.

9

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage fristgerecht gegen die Kündigung gewandt. Er hat vorgetragen, er habe in dem zweiten „bEM-Gespräch“ keine Drohung aussprechen wollen. Es sei ihm lediglich darum gegangen, in einem resignierten Zustand sein Befinden zu beschreiben. Unabhängig davon sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

10

Der Kläger hat beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 11. September 2013 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. das beklagte Land zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen als vollbeschäftigten Angestellten in der Autobahnmeisterei E gemäß der Entgeltgruppe 5, Stufe 6 TV-H weiter zu beschäftigen.

11

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Dem Kläger sei am 20. August 2013 eröffnet worden, dass geeignete Stellen für eine Beschäftigung als Bauaufseher nicht zur Verfügung stünden, während nach dem Ergebnis der arbeitsmedizinischen Untersuchung zumindest ein eingeschränkter Einsatz auf einer Autobahnmeisterei für möglich erachtet werde. Auf die anschließende Erklärung des Klägers, eine Beschäftigung als Straßenwärter sei aufgrund seiner psychischen Verfassung „fast ausgeschlossen“, sei ihm vorgeschlagen worden, über eine berufliche Neuorientierung außerhalb von „Hessen mobil“ nachzudenken. Hierauf habe der Kläger sehr emotional reagiert und in äußerst bedrohlicher Weise sinngemäß geäußert, es bleibe ihm nichts anderes übrig als wieder in eine Meisterei zu gehen. Er könne aber nicht garantieren, dass er nicht wieder krank werde oder sich umbringe oder Amok laufen werde. In diesem Zusammenhang habe er auf seine Mitgliedschaft im Schützenverein und darauf verwiesen, dass er „zum Glück“ „noch nicht“ über einen Waffenschein verfüge. In diesen Äußerungen, von denen er sich auch im weiteren Verlauf des Gesprächs nicht distanziert habe, liege eine erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzung. Der Kläger habe Druck ausüben und erreichen wollen, künftig nicht mehr mit Aufgaben eines Straßenwärters betraut zu werden. Die fristlose Kündigung sei aber auch zum Schutz anderer Beschäftigter geboten gewesen. Vergleichbare Ausfälle des Klägers bei der nächsten gravierenden Unstimmigkeit mit Vorgesetzten seien ebenso wenig auszuschließen gewesen wie eine Verwirklichung der in Aussicht gestellten Gefahren. Dieses Risiko habe die fachärztliche Bescheinigung vom 15. Oktober 2013 nicht auszuschließen vermocht. Das gelte umso mehr, als der Kläger in der Vergangenheit durchaus Selbstgefährdungstendenzen gezeigt habe. Die Beteiligung des Personalrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Soweit der Kläger den Zugang des Anhörungsschreibens beim Personalrat mit Nichtwissen bestritten habe, sei dies unzulässig.

12

Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat ihr das Landesarbeitsgericht entsprochen. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision hat Erfolg. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 11. September 2013 aufgelöst worden ist, steht nicht fest. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

14

I. Das Landesarbeitsgericht durfte mit der von ihm gegebenen Begründung nicht annehmen, ein wichtiger Grund zur Kündigung iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H, § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor.

15

1. Der Kläger erfüllte im Zeitpunkt der Kündigung die Voraussetzungen für den tariflichen Sonderkündigungsschutz gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H. Nach dieser Bestimmung konnte das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund des Lebensalters des Klägers von über 40 Jahren und seiner 15 Jahre übersteigenden Beschäftigungszeit nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

16

2. Mit dem Begriff „wichtiger Grund“ knüpft die tarifvertragliche Bestimmung an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an. Deren Verständnis ist deshalb auch für die Auslegung der Tarifnorm maßgebend (vgl. BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 19).

17

3. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 20).

18

4. Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegt auch im Verhältnis zu einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ordentlich nicht gekündigt werden kann, dann vor, wenn es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach einem insoweit anzulegenden objektiven Maßstab nicht zuzumuten ist, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. In diesem Fall wäre eine außerordentliche Kündigung auch dann gerechtfertigt, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen wäre (BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 42).

19

5. Dem Berufungsgericht kommt bei der vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird nur darauf überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 17. März 2016 - 2 AZR 110/15 - Rn. 18; zu den in die Interessenabwägung regelmäßig einzubeziehenden Gesichtspunkten BAG 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 46, BAGE 153, 111).

20

6. Dieser eingeschränkten Überprüfung halten die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

21

a) Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines wichtigen Grundes „an sich“ unterstellt und angenommen, dem beklagten Land sei es im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung jedenfalls zuzumuten gewesen, die (fiktive) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Die „Amokdrohung“ sei, soweit sie in der behaupteten Weise geäußert worden sein sollte, in der „geschützten“ Situation eines bEM erfolgt. In einem solchen Klärungsprozess solle sich der Arbeitnehmer öffnen und in die Suche nach Möglichkeiten zur Überwindung seiner Arbeitsunfähigkeit einbringen. Hingegen solle er aufgrund des Verlaufs des bEM nicht - zumindest nicht ohne Weiteres - um den Bestand seines Arbeitsverhältnisses fürchten müssen. Hier habe sich der Kläger in dem zweiten „bEM-Gespräch“ in einer emotional hoch belasteten Situation befunden. Ihm sei offenbart worden, dass Beschäftigungsmöglichkeiten in einem anderen Arbeitsbereich nicht bestünden, und dass er deshalb weiterhin als Straßenwärter in einer Straßenmeisterei eingesetzt werden solle, obwohl ärztliche Empfehlungen dies ausgeschlossen hätten. Unter diesen besonderen Umständen könne eine allenfalls im „Augenblicksversagen“ erfolgte Androhung eines Amoklaufs die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht begründen. Das gelte umso mehr angesichts der über zwanzigjährigen Beschäftigungsdauer des Klägers und seiner massiven gesundheitlichen Probleme. Auch habe sich die behauptete Drohung ausweislich der fachärztlichen Bescheinigung vom 15. Oktober 2013 „letztlich“ nicht als glaubhaft erwiesen.

22

b) Diese Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil sie nicht erkennen lässt, dass alle wesentlichen Aspekte des unterbreiteten Kündigungssachverhalts berücksichtigt wurden. Das Landesarbeitsgericht befasst sich ausschließlich mit der behaupteten Drohung mit „Amok“. Seinen Ausführungen ist nicht zu entnehmen, dass es auch die vermeintliche Drohung mit „Suizid“ und die Ankündigung einer erneuten Erkrankung berücksichtigt hat. Zudem ist nicht ersichtlich, ob und ggf. wie es die Behauptung des beklagten Landes gewürdigt hat, der Kläger habe mit seinen Äußerungen Druck aufbauen wollen, um die Zuweisung von Aufgaben aus dem Tätigkeitsspektrum eines Straßenwärters zu verhindern. Das verletzt § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H(iVm. § 626 Abs. 1 BGB).

23

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zwar im Ausgangspunkt, wie auch seine fallübergreifenden Ausführungen belegen, zutreffend davon aus, dass eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben des Arbeitgebers, von Vorgesetzen und/oder Arbeitskollegen, für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreift, „an sich“ als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht kommt(vgl. LAG Berlin 3. März 2006 - 13 Sa 1906/05 -; APS/Vossen 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 231 mwN). In einem solchen Verhalten liegt eine massive Störung oder jedenfalls konkrete Gefährdung des Betriebsfriedens. Es stellt, ohne dass es auf seine Strafbarkeit nach § 241 StGB ankäme, eine erhebliche Verletzung der sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebenden, den Arbeitnehmer auch während der Durchführung eines Wiedereingliederungsverhältnisses treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Das gilt unabhängig davon, ob das Verhalten des Arbeitnehmers auf die Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs zielt.

24

bb) Allerdings kann eine solche Intention das Gewicht der Bedrohung weiter verstärken. Auch muss der Arbeitgeber es nicht hinnehmen, dass der Arbeitnehmer darauf ausgeht, ihn mit der unverhohlenen Ankündigung eines Suizids zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu bestimmen. Schließlich kann in der Ankündigung einer zukünftigen Erkrankung ein Grund zur - ggf. fristlosen - Kündigung liegen, wenn die Äußerung die Bereitschaft des Arbeitnehmers zum Ausdruck bringt, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen (BAG 12. März 2009 - 2 AZR 251/07 - Rn. 22). Wie die Revision mit Recht rügt, durfte das Landesarbeitsgericht die fristlose Kündigung nicht für unwirksam erachten, ohne sich mit diesen nach dem Vorbringen des beklagten Landes in Betracht kommenden, teils erschwerenden, teils selbständig als Kündigungsgrund zu würdigenden Gesichtspunkten auseinanderzusetzen.

25

c) Aber auch soweit das Landesarbeitsgericht die „Amokdrohung“ als solche in den Blick genommen hat, ist seine Würdigung nicht rechtsfehlerfrei.

26

aa) Das betrifft zunächst die Annahme, die Drohung habe sich „letztlich“ als „nicht glaubhaft“ erwiesen. Damit hat das Landesarbeitsgericht keinen Sachverhalt festgestellt, der die Ernstlichkeit der Drohung ausschließt.

27

(1) Eine erhebliche Pflichtverletzung in Gestalt einer ernstlichen Drohung liegt vor, wenn die Äußerung nach ihrem sorgfältig zu ermittelnden Erklärungsgehalt objektiv geeignet ist, bei einem „normal“ empfindenden Menschen den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken, und der Wille des Drohenden darauf gerichtet ist, dass der Adressat die Drohung ernst nimmt. Nicht entscheidend ist, ob der Drohende seine Ankündigung verwirklichen kann oder will. Ebenso wenig kommt es grundsätzlich darauf an, ob der Adressat sie tatsächlich ernst nimmt, und ob eine Störung des Rechtsfriedens eintritt (zur strafrechtlichen Beurteilung vgl. BVerfG 19. Dezember 1994 - 2 BvR 1146/94 - zu III 3 der Gründe; Eser/Eisele in Schönke/Schröder StGB 29. Aufl. Vorbem. §§ 234 ff., Rn. 33).

28

(2) Die knappe Begründung des Landesarbeitsgerichts lässt nicht erkennen, dass seine Würdigung auf diesen Maßstäben aufbaut. Jedenfalls bezieht seine tatrichterliche Beurteilung nicht alle fallrelevanten Gesichtspunkte ein, was § 286 ZPO verletzt. Weder eine besondere emotionale Belastung des Klägers noch die ihm von ärztlicher Seite bescheinigte „glaubhafte“ Distanzierung von selbst- und fremdgefährdenden Tendenzen im Anschluss an das zweite „bEM-Gespräch“ schließen es aus, die behaupteten Äußerungen ihrem objektiven Erklärungsgehalt nach als geeignet anzusehen, den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken. Gemäß dem Vorbringen des beklagten Landes hat der Kläger die Drohung in klarer und bestimmter Weise vorgetragen, in ihrem Zusammenhang auf seine Mitgliedschaft in einem Schützenverein verwiesen, und sich auch nach einer Phase der Beruhigung nicht von seinen Äußerungen distanziert, sondern diese im Raum stehen lassen. Mit dem Indizwert dieser behaupteten Umstände, die sowohl die Ernstlichkeit der Drohung im dargestellten Sinne als auch die Steuerbarkeit des Verhaltens des Klägers nahe legen, hat sich das Landesarbeitsgericht nicht befasst.

29

bb) Die tatrichterliche Beurteilung, die „Amokdrohung“ beruhe auf einem Augenblicksversagen des Klägers, überzeugt ebenso wenig. Zwar hat das Berufungsgericht den aus dem Schadensrecht stammenden Ausdruck (zum dortigen Verständnis BGH 10. Mai 2011 - VI ZR 196/10 - Rn. 12) erkennbar in einem übertragenen Sinne gebraucht. Es hat aber nicht dargestellt, aus welchen konkreten Umständen es das „Augenblicksversagen“, von dem allenfalls bei einmaligen, dem Arbeitnehmer wesensfremden Pflichtverletzungen ausgegangen werden kann (vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 27, BAGE 150, 109), ableiten will. Vor diesem Hintergrund ist nicht feststellbar, ob seiner Entscheidung ein zutreffendes Begriffsverständnis zugrunde liegt. Soweit es seine Beurteilung auf die festgestellte emotionale Belastung des Klägers gestützt haben sollte, griffe sie unter Berücksichtigung des Vorbringens des beklagten Landes zum Verhalten des Klägers während und nach den Äußerungen zu kurz. Zudem hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen über das „Wesen“ des Klägers getroffen.

30

cc) Darüber hinaus finden die Ausführungen zum „bEM“ als einer besonders „geschützten“ Situation im Gesetz keine Stütze. Die Teilnahme des Arbeitnehmers an einem bEM ist kein Gesichtspunkt, der sein Bestandsschutzinteresse generell steigert oder das Gewicht von Pflichtverletzungen der in Rede stehenden Art per se mindert. Darauf zielt die Würdigung des Landesarbeitsgerichts bei sachgerechtem Verständnis aber im Ergebnis ab.

31

(1) Das in § 84 Abs. 2 SGB IX nur rahmenmäßig geregelte bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 30, BAGE 150, 117). Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern (BAG 22. März 2016 - 1 ABR 14/14 - Rn. 10, BAGE 154, 329).

32

(2) Der Suchprozess ist, auch wenn er einem „üblichen“ Personalgespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht gleich steht, kein außerdienstlicher Vorgang. Es handelt sich um ein Instrument der betrieblichen Prävention (BGBl. I S. 1394; BT-Drs. 14/3372 S. 16). Seine Realisierung gehört zu den gesetzlichen Pflichten des Arbeitgebers auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, die das Arbeitsverhältnis gestalten (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 38, BAGE 140, 350).

33

(3) Für die Sichtweise des Landesarbeitsgerichts lässt sich aus den Zwecken des bEM nichts gewinnen.

34

(a) Zwar hängt der Erfolg des bEM in hohem Maße von der Bereitschaft des Betroffenen ab, sich für die Suche nach zielführenden Möglichkeiten zur Klärung seiner Arbeitsunfähigkeit zu öffnen und sich aktiv in den Klärungsprozess einzubringen. Da der Arbeitnehmer einerseits nicht verpflichtet ist, dem Arbeitgeber die Gründe für seine Fehlzeiten mitzuteilen, andererseits die Suche nach etwaigen Lösungsmöglichkeiten ohne die Kenntnis dieser Gründe regelmäßig nicht zielorientiert durchgeführt werden kann, kommt der Akzeptanz des bEM durch den Betroffenen eine besondere Bedeutung zu.

35

(b) Diesem Gesichtspunkt trägt aber maßgeblich das in § 84 Abs. 2 SGB IX bestimmte Zustimmungserfordernis Rechnung. Es gewährleistet, dass die Klärung des Gesundheitszustands aus Sicht des Betroffenen ausschließlich freiwillig erfolgt, und er sich dem Suchprozess ohne Angabe von Gründen zu jeder Zeit wieder entziehen kann (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 22, BAGE 140, 350). Zudem besteht nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer vorab auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Der Hinweis erfordert die Klarstellung, dass nur solche Daten erhoben und ggf. genutzt werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um einen zielführenden, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienenden Suchprozess durchführen zu können (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32, BAGE 150, 117; zur Hinweispflicht BVerwG 4. September 2012 - 6 P 5/11 - Rn. 36, BVerwGE 144, 156). Er verhindert zum einen, dass der Arbeitnehmer aus bloßer Unkenntnis über die Ziele des bEM und den Schutz von persönlichen Daten, die seine Gesundheit betreffen, seine Zustimmung zu dem Prozess verweigert (Schmidt Gestaltung und Durchführung des BEM S. 21). Zum anderen verdeutlicht der Hinweis die Bedeutung eines wirksamen und sorgfältig gehandhabten, außerhalb von § 84 Abs. 2 SGB IX gewährleisteten Schutzes der Gesundheitsdaten des Arbeitnehmers für die Akzeptanz des bEM(im Ergebnis ebenso Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 90; Schmidt Gestaltung und Durchführung des BEM S. 25 ff.).

36

(c) Die Zuerkennung eines generell gesteigerten kündigungsrechtlichen Bestandsschutzinteresses insbesondere hinsichtlich eines möglichen vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers ist zur Verwirklichung der Zwecke des bEM nicht geboten. Sie liefe ihnen vielmehr zuwider. Es liegt im Wesen des bEM, dass die Suche nach Möglichkeiten der Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeitszeiten im Rahmen eines fairen und sachorientierten Gesprächs erfolgt (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18). Der gesetzlich zur Durchführung des bEM verpflichtete Arbeitgeber darf berechtigterweise erwarten, dass auch der Arbeitnehmer sein Verhalten hieran ausrichtet und insbesondere nicht darauf ausgeht, mit widerrechtlichen Drohungen das Ergebnis des Suchprozesses für ihn positiv zu beeinflussen.

37

(4) Das schließt es zwar nicht aus, im Rahmen der Interessenabwägung den Verlauf des konkreten „bEM-Gesprächs“ in die Gewichtung der Pflichtverletzung einzubeziehen. Darauf hat sich das Landesarbeitsgericht aber nicht beschränkt.

38

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht iSd. § 561 ZPO aus anderen Gründen als richtig dar. Sie unterliegt daher der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen, ob die außerordentliche fristlose Kündigung wirksam ist. Die Sache ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

39

1. Es steht nicht fest, ob aufgrund des behaupteten Verhaltens des Klägers ein wichtiger Grund iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H, § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.

40

a) Die dem Kläger vorgeworfenen Drohungen sind „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen, sofern sie als ernstlich zu beurteilen sind. Ob diese letztgenannte Voraussetzung erfüllt ist, hängt von einer umfassenden Würdigung des Beweiswerts der insoweit vorgetragenen Indiztatsachen (klare und bestimmte Äußerung der Drohungen, unterbliebene Distanzierung oder Entschuldigung nach einer Phase der Beruhigung) ab, die dem Landesarbeitsgericht vorbehalten ist. Überdies ist der insoweit vorgetragene Sachverhalt in Teilen streitig und bedarf der Sachaufklärung. Eine Interessenabwägung zugunsten des Klägers oder des beklagten Landes scheidet aus, da der maßgebliche Kündigungssachverhalt nicht feststeht.

41

b) Das Landesarbeitsgericht ist nicht gehindert, seiner Entscheidung Feststellungen zum Inhalt der umstrittenen Äußerungen und des Verlaufs des „bEM-Gesprächs“ vom 20. August 2013, die das Arbeitsgericht aufgrund einer erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme getroffen hat, zugrunde zu legen oder - soweit unter den Voraussetzungen des § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO geboten - die umstrittenen Tatsachen zum Gegenstand einer eigenen Beweisaufnahme zu machen und deren Ergebnisse zu verwerten. Ein dahingehendes Verbot, das sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nur aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts - etwa von § 138 Abs. 3 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO oder von § 286, § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO - ergeben kann(zu den Einzelheiten vgl. BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 18, BAGE 157, 69), könnte im Streitfall allenfalls in Betracht kommen, wenn hinsichtlich der Erlangung von Informationen über das Verhalten des Klägers im Prozess des bEM oder deren Heranziehung als Kündigungsgrund eine Verletzung des Rechts des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung seines durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts(vgl. auch Art. 8 Abs. 1 EMRK) vorläge. Dies ist indes nicht der Fall.

42

aa) Das Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG garantiert dem Einzelnen die Befugnis, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu befinden(BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378; BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 26). Die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und der Datenschutzgesetze der Länder über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung - hier das Hessische Datenschutzgesetz (HDSG) - konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des jeweiligen Gesetzes Eingriffe durch öffentliche und nichtöffentliche Stellen iSd. § 1 Abs. 2 BDSG bzw. § 3 Abs. 1 HDSG zulässig sind. Dabei gibt es für die Verwendung von Gesundheitsdaten personenbezogener Art (sensitive Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG, § 7 Abs. 4 HDSG) spezielle Regelungen (§ 28 VI ff. BDSG bzw. § 7 Abs. 4 iVm. § 34 HDSG).

43

bb) Der vorliegende Sachverhalt ist an den Bestimmungen des HDSG zu messen. Das BDSG gilt nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BDSG für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen der Länder nur insoweit als der Datenschutz nicht durch Landesgesetz geregelt ist. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Der Datenschutz für öffentliche Stellen des Landes Hessen und betreffend Personen, die zu ihm in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist im HDSG geregelt.

44

cc) § 34 HDSG regelt bereichsspezifisch den Datenschutz bei Dienst- und Arbeitsverhältnissen. Nach Abs. 1 Satz 2 der Norm darf der Arbeitgeber Daten seiner Arbeitnehmer nur verarbeiten, wenn dies zur Eingehung, Durchführung, Beendigung oder Abwicklung eines Arbeitsverhältnisses erforderlich ist oder eine Rechtsvorschrift, ein Tarifvertrag oder eine Dienstvereinbarung es vorsieht. Personenbezogene Daten sind Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (§ 2 Abs. 1 HDSG). Datenverarbeitung im Sinne des Gesetzes ist jede Verwendung gespeicherter oder zur Speicherung vorgesehener personenbezogener Daten (§ 2 Abs. 2 HDSG)einschließlich ihrer Erhebung, wobei als Datenträger iSv. § 2 Abs. 2 Nr. 2 HDSG jedes Material - auch Papier - anzusehen ist(Nungesser HDSG 2. Aufl. § 2 Rn. 24, 45). Nach § 7 Abs. 4 HDSG ist - vorbehaltlich einer zweifelsfreien Einwilligung des Betroffenen(§ 7 Abs. 1 Nr. 3 HDSG) - die Verarbeitung personenbezogener Daten über die Gesundheit, soweit nicht eine Rechtsvorschrift deren Verarbeitung vorsieht oder zwingend voraussetzt, nur nach §§ 33 bis 35 und § 39 HDSG zulässig.

45

dd) Hiervon ausgehend ist ein unrechtmäßiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht zu erkennen.

46

(1) Zwar ist der Begriff der personenbezogenen Daten in § 2 Abs. 1 HDSG grundsätzlich weit zu verstehen. Er kann auch Angaben über konkrete mündliche oder schriftliche Aussagen eines Betroffenen oder Darstellungen seines privaten oder dienstlichen Verhaltens erfassen (vgl. BGH 23. Juni 2009 - VI ZR 196/08 - Rn. 17, BGHZ 181, 328).

47

(2) Das beklagte Land hat die fraglichen „Daten“ beim Kläger aber nicht iSv. § 2 Abs. 2 Nr. 1 BDSG erhoben. Dieser hat die vermeintlichen Drohungen von sich aus erklärt. Es gibt nach dem bisherigen Sach- und Streitstand keinen Anhaltspunkt dafür, dass es Ziel des bEM oder der Anwesenheit der weiteren Gesprächsteilnehmer gewesen wäre, die Möglichkeit der Wahrnehmung von Äußerungen des behaupteten Inhalts zu eröffnen. Ein als „Erheben“ bezeichnetes Beschaffen von Daten über den Kläger liegt damit nicht vor. Dieses setzt eine auf die Gewinnung von Daten über den Betroffenen abzielende Handlung voraus (zur inhaltsgleichen Regelung in § 3 Abs. 3 BDSG vgl. Dammann in Simitis BDSG 8. Aufl. § 3 Rn. 102 ff.).

48

(3) Es kann unterstellt werden, dass es sich bei der weiteren Verwendung der Äußerungen des Klägers um Datenverarbeitung iSv. § 2 Abs. 2 HDSG handelte. Diese war jedenfalls für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien erforderlich iSv. § 34 Abs. 1 Satz 1 HDSG.

49

(a) Erforderlichkeit iSd. § 34 Abs. 1 Satz 1 HDSG setzt ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Verwendung der Daten voraus, das aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis herrühren muss. Es muss ein Zusammenhang mit der Erfüllung der vom Arbeitnehmer geschuldeten vertraglichen Leistung, seiner sonstigen Pflichtenbindung oder mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers bestehen. Die Datenverwendung darf ferner keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen. Sie muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Greift eine Maßnahme in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ein, muss der Eingriff einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten. Dieser verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (zu § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG vgl. BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 30).

50

(b) Diese Voraussetzungen sind, unterstellt der Kläger hätte im Rahmen des bEM willentlich ernstliche Drohungen ausgesprochen, um das beklagte Land dazu zu bewegen, ihm keine Aufgaben aus dem Tätigkeitsbereich eines Straßenmeisters zuzuweisen, gegeben. In einem solchen Verhalten läge eine schwerwiegende Verletzung seiner vertraglichen Rücksichtnahmepflicht. Überwiegende schutzwürdige Belange des Klägers stünden der Berücksichtigung der in Rede stehenden Äußerungen zur Begründung einer auf sein Verhalten gestützten Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht entgegen. Insbesondere griff die Informationsgewinnung nicht in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ein. Die unterstellte weitere Datenverarbeitung genügt auch den Anforderungen, die sich aus den - in § 13 HDSG kodifizierten - Grundsätzen der Zweckbindung und Zweckänderung(dazu BVerfG 20. April 2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1 BvR 1140/09 - Rn. 276 ff., BVerfGE 141, 220) ergeben. Nichts anderes gilt für eine sich mittelbar aus § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ergebende Zweckbindung. Bei den fraglichen Äußerungen handelte es sich nicht um (Gesundheits-)Daten, die der Durchführung des bEM dienten. Ihre mögliche Speicherung wäre zumindest auch zur Weiterverwendung der Daten bei der Durchführung und/oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien erfolgt und hätte damit keinen anderen Zwecken gedient als die betreffende Datenverarbeitung selbst.

51

c) Soweit das beklagte Land die Kündigung (auch) darauf stützt, sie sei wegen der vom Kläger objektiv ausgehenden Gefahr für das Leben oder die Gesundheit seiner Repräsentanten und anderer Beschäftigter selbst dann berechtigt, wenn anzunehmen sein sollte, er habe im Rahmen des bEM keine Drohungen aussprechen, sondern seiner psychischen Verfassung Ausdruck verleihen wollen, vermag dies für sich genommen eine außerordentliche Kündigung iSd. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H(iVm. § 626 Abs. 1 BGB) nicht zu rechtfertigen.

52

aa) Das fragliche Vorbringen knüpft an die Möglichkeit einer Verwirklichung der vom Kläger ausgesprochenen „Amokdrohung“ an. Für deren Annahme reicht es, anders als das beklagte Land meint, nicht aus, auf das subjektive Empfinden der am „bEM-Gespräch“ beteiligten Personen und den - umstrittenen - Hinweis des Klägers auf seine Mitgliedschaft in einem Schützenverein sowie die daraus resultierende hypothetische Möglichkeit abzustellen, an Schusswaffen zu gelangen. Schon weil nicht jede Ankündigung eines Amoklaufs notwendig umgesetzt wird oder auch nur umgesetzt werden soll, bedarf es, um das Risiko ihrer Realisierung einzuschätzen, neben der Einbeziehung der konkreten Vorstellungen des Arbeitnehmers im Zeitpunkt der Äußerungen zumindest der Berücksichtigung greifbarer medizinischer Begutachtungen.

53

bb) Im Streitfall fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten, die zu einer im Kündigungszeitpunkt anzustellenden Prognose berechtigten, die Weiterbeschäftigung des Klägers berge objektiv ein entsprechendes Risikopotential. Im Gegenteil hatte - unstreitig - die bereits am Tag des zweiten „bEM-Gesprächs“ durchgeführte Untersuchung des Klägers in der psychiatrischen Ambulanz eines Klinikums zu dem Befund geführt, dass er sich von jeglichen selbst- und fremdgefährdenden Tendenzen glaubhaft hat distanzieren können. Das beklagte Land hat nicht behauptet, medizinische Voruntersuchungen des Klägers hätten zu einer abweichenden Einschätzung geführt. Soweit es auf einen vom Kläger - soweit ersichtlich unstreitig - in der Vergangenheit unternommen Selbstmordversuch verwiesen hat, hat es jedenfalls nicht geltend gemacht, nach medizinischen Erkenntnissen liege darin zugleich eine Erweiterung des Risikopotentials hinsichtlich möglicher Fremdgefährdungen.

54

2. Der Rechtsstreit ist nicht aus anderen Gründen entscheidungsreif. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, die außerordentliche fristlose Kündigung sei unabhängig vom Vorliegen eines wichtigen Grundes iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H iVm. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.

55

a) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers, der rückwirkend auf einen Zeitpunkt vor Zugang der Kündigung einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wurde, ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht nach § 91 Abs. 1 iVm. § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB nichtig. Das beklagte Land hat die Zustimmung des Integrationsamts bei diesem am 27. August 2013 eingehend und damit innerhalb der Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX beantragt. Da das Integrationsamt binnen der bestehenden zweiwöchigen Frist (§ 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX) eine Entscheidung nicht getroffen hatte, galt die Zustimmung mit Ablauf des 10. September 2013 als erteilt. Das beklagte Land hat die Kündigung mit Schreiben vom 11. September 2013 erklärt. Dies war - vorbehaltlich eines zeitnahen Zugangs - unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX. Auf dieser Grundlage ist zugleich die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.

56

b) Die außerordentliche fristlose Kündigung des beklagten Landes ist, ausgehend von dem insoweit schlüssigen Vorbringen des beklagten Landes, nicht nach § 78 Abs. 2 HPVG iVm. § 108 Abs. 2 BPersVG unwirksam. Dieses hat dargetan, es habe den Personalrat mit Schreiben vom 26. August 2013, das inhaltlich dem insoweit maßgeblichen Grundsatz der subjektiven Determinierung (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 63) genügt, zu einer entsprechenden Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien angehört, und der Personalrat habe Bedenken nicht erhoben. Unschädlich ist, dass die Beteiligung vor Einleitung bzw. Abschluss des Zustimmungsverfahrens beim Integrationsamt erfolgte (vgl. BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 21, BAGE 140, 47). Ob der Kläger - wie geschehen - den Zugang des Anhörungsschreibens beim Personalrat am 26. August 2013 ausreichend mit Nichtwissen bestritten hat, kann bezweifelt werden. Die abschließende Beurteilung ist dem Landesarbeitsgericht vorzubehalten, das ggf. den Umfang der erhobenen Rüge zu klären haben wird.

57

c) Auf eine Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen hat sich der Kläger - soweit ersichtlich - nicht berufen.

58

3. Im Rahmen der danach gebotenen Zurückverweisung, die auch den - nur für den Fall seines Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag zu bescheidenden - Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung erfasst, wird das Landesarbeitsgericht die erforderlichen Feststellungen nachzuholen und auf dieser Grundlage neu zu bewerten haben, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11. September 2013 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Für das weitere Verfahren weist der Senat lediglich auf Folgendes hin:

59

a) Seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht - vorbehaltlich neuen Sachvortrags der Parteien - die vom Arbeitsgericht nach Beweisaufnahme festgestellten Tatsachen und die darauf bezogene tatrichterliche Würdigung über den Ablauf des Gesprächs am 20. August 2013 zugrunde zu legen haben. Diese sind weder offensichtlich rechtsfehlerhaft noch hat der Kläger in der Berufungsbegründung dagegen durchgreifende Rügen (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO) erhoben.

60

aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ZPO muss das Berufungsgericht - vorbehaltlich der Berücksichtigung von zulässigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln(§ 67 ArbGG) - seiner Entscheidung grundsätzlich die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen zugrunde legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Soweit die Wiederholung einer erstinstanzlich bereits durchgeführten Beweisaufnahme im Ermessen des Berufungsgerichts steht, ist dieses im Rahmen der Fehlerbehebung in der Regel auf Null reduziert. Im Fall des Zeugenbeweises setzt eine neue Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht zumindest in aller Regel eine erneute Vernehmung voraus. Insbesondere muss es einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen, wenn es dessen Aussage „anders würdigen“ bzw. „anders verstehen oder werten“ will als die Vorinstanz (BVerfG 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14 - Rn. 55; 14. September 2010 - 2 BvR 2638/09 - Rn. 14 ).

61

bb) Eine erneute Vernehmung kann allenfalls dann unterbleiben, wenn das Berufungsgericht seine abweichende Würdigung auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen. Auch im Hinblick auf objektive Umstände, die bei der Beweiswürdigung eine Rolle spielen können und von der ersten Instanz nicht beachtet worden sind, darf das Berufungsgericht nicht ohne erneute Vernehmung des Zeugen und abweichend von der Vorinstanz zu dem Ergebnis gelangen, dass der Zeuge in einem prozessentscheidenden Punkt mangels Urteilsfähigkeit, Erinnerungsvermögens oder Wahrheitsliebe objektiv die Unwahrheit gesagt hat (BVerfG 14. September 2010 - 2 BvR 2638/09 - Rn. 14).

62

cc) Die konkreten Anhaltspunkte, die aus Sicht des Berufungsgerichts Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Tatsachenfeststellung gebieten, sind - sofern nicht offensichtlich - im Berufungsurteil anzugeben.

63

b) Soweit es für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung auf eine iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmende Interessenabwägung ankommt, wird das Landesarbeitsgericht weiterhin zugunsten des Klägers dessen lange Beschäftigungsdauer berücksichtigen können. Diesbezüglich hat das beklagte Land Rügen nicht erhoben. Es gibt auch objektiv keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beanstandungsfrei verlaufen wäre.

64

c) Auch wird das Landesarbeitsgericht bei unverändertem Sach- und Streitstand weiterhin davon ausgehen können, dass im Zeitpunkt des zweiten „bEM-Gesprächs“ von amtsärztlicher Seite Vorbehalte gegen einen Einsatz des Klägers als Straßenwärter in einer Straßenmeisterei bestanden. Ebenso wird es annehmen können, dass der Kläger sich angesichts eines ihm eröffneten Vorhabens, ihn - bei sachgerechtem Verständnis frühestens nach Durchführung des verabredeten Wiedereingliederungsverhältnisses - wieder mit Aufgaben eines Straßenmeisters zu betrauen, in einer „emotional hoch belasteten Situation“ befand. Die Rüge des beklagten Landes, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die arbeitsmedizinische Empfehlung vom 6. Mai 2013 eine leidensgerechte Beschäftigung des Klägers als Straßenwärter unter Beachtung gewisser Einschränkungen nicht ausschließe, kann nicht durchgreifen. Für seine Behauptung gibt das zur Gerichtsakte gereichte Attest nichts her. Allerdings wird bei neuerlicher Interessenabwägung sorgfältig zu prüfen sein, ob die emotionale Belastung des Klägers die Drohungen unter Berücksichtigung des noch festzustellenden Inhalts der Äußerungen und des Verlaufs des zweiten „bEM-Gesprächs“ tatsächlich in einem milderen Licht erscheinen lässt.

65

d) Sollte das Landesarbeitsgericht erneut zu dem Ergebnis gelangen, dem beklagten Land sei es jedenfalls zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der (fiktiven) Frist für eine ordentliche Kündigung fortzusetzen, wird es zu prüfen haben, ob eine Umdeutung in eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist in Betracht kommt, insbesondere ob die dafür erforderlichen personalvertretungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben sind (zum grundsätzlichen Erfordernis, die Beteiligung wie bei einer ordentlichen Kündigung durchzuführen BAG 18. Oktober 2000 - 2 AZR 627/99 - zu III der Gründe, BAGE 96, 65). Eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung kommt, wie das Landesarbeitsgericht im Berufungsurteil zutreffend ausgeführt hat, schon deshalb nicht in Betracht, da eine solche Kündigung nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-H tarifvertraglich ausgeschlossen war.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Koltze    

        

    Gerschermann    

                 

(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

(2) Die Leistungen umfassen auch eine notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung.

(3) Soweit es im Einzelfall erforderlich ist, werden Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht.

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 13. November 2014 - 4 Sa 574/13 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, einen Auflösungsantrag der Beklagten, die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin und die Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

2

Die Klägerin war bei der Beklagten seit September 2001 als kaufmännische Angestellte im Einkauf beschäftigt. Im Verlauf des Arbeitsverhältnisses sah sie sich durch ihre Vorgesetzten wegen ihres Geschlechts und ihrer afghanischen Herkunft diskriminiert.

3

In einer E-Mail vom 21. September 2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten führte die Klägerin aus, seit einigen Jahren würden „Guerilla-Aktionen“ gegen sie geführt, sie habe eine „himmelschreiende Ausländer- und Frauenfeindlichkeit“ vorgefunden. Sie würde es als unfair erachten, wenn der Vorstandsvorsitzende davon aus der amerikanischen Presse oder der „Oprah-Winfrey-Show“ erführe. Bei ihrem „Chef“ handele es sich um einen „unterbelichteten Frauen- und Ausländerhasser“. Die Klägerin wies in der E-Mail darauf hin, dass sie drei unterhaltspflichtige Kinder habe.

4

Mit ebenfalls an den damaligen Vorstandsvorsitzenden gerichteter E-Mail vom 5. Februar 2009 teilte die Klägerin erneut mit, dass sie unter Männerherrschaft, Männerwirtschaft und Männersolidarität zu leiden habe. Sie verlangte, nicht mehr mit ihrem bisherigen Vorgesetzten zusammenarbeiten zu müssen. In der E-Mail hieß es auszugsweise:

        

„Bei dieser Gelegenheit muss ich leider feststellen, dass Sie als CEO von S noch einsamer sind als ich es bin. Ich darf Ihnen hiermit schriftlich bestätigen, dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste, wie ich; und das ist mein Erleben und Empfinden, und kein Gesetz der Welt kann mir verbieten, darüber zu berichten. In keinem Land der Welt, in keinem Unternehmen der Welt habe ich so viele Intrigen erlebt, sei es mit Personal, sei es mit Lieferanten. Das Ganze hält die Erinnerung wach an meinen Lieblingsfilm: Der Pate. Alles in Allem: Was mir bis heute geboten wird - das kann ich doch nicht annehmen: Es beleidigt meine Intelligenz.“

5

Mit E-Mail vom 30. März 2009 wandte sich die Klägerin unter dem Betreff „Lebenswerk der unfähigen Führungskräfte“ an ihren unmittelbaren Vorgesetzten. Sie hielt ihm Mobbing, Bossing, unberechtigte Kritik sowie unsachliche und leere Bemerkungen vor, ferner, dass er seine Position nur innehabe, um einer intellektuellen Frau das Leben zur Hölle zu machen. Seine Fähigkeiten reichten offensichtlich nicht dazu, als Führungskraft zu fungieren. Er verstehe nicht einmal „den Unterschied zwischen Kosten und Preis“. Die Klägerin versandte die E-Mail an weitere zwölf Mitarbeiter der Beklagten.

6

Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 3. April 2009 darauf hin, dass ihre Äußerungen durch ihr Beschwerderecht und das Recht zur freien Meinungsäußerung nicht mehr gedeckt seien. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die in der E-Mail vom 5. Februar 2009 enthaltenen Anspielungen auf die Zeit des Nationalsozialismus. Das Schreiben lautete auszugsweise:

        

„Sie haben mit diesen Vergleichen und Behauptungen arbeitsrechtliche Kündigungsgründe geliefert. Wir fordern Sie daher auf, alle von Ihnen gemachten Vergleiche und aufgestellten Behauptungen gegenüber den von Ihnen informierten Personen und der S AG schriftlich bis zum 17. April 2009 zurückzunehmen. Des Weiteren fordern wir Sie auf, sich bei den betroffenen Personen schriftlich unter qualifizierter Zurücknahme der Behauptungen ebenfalls bis zum 17. April 2009 zu entschuldigen. Wir erwarten, dass Sie derartige Äußerungen künftig unterlassen.

        

Sollten derartige oder sinngemäß gleiche Äußerungen wiederholt werden oder sollte keine Rücknahme erfolgen, werden wir arbeitsrechtliche Maßnahmen einleiten, die bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehen können.

        

Bis zur endgültigen Klärung des Vorganges stellen wir Sie widerruflich unter Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit frei.“

7

Die Klägerin nahm zu dem Schreiben mit E-Mail vom 16. April 2009 Stellung. Die Bezeichnung ihres Vorgesetzten als „unterbelichtete(n) Frauen- und Ausländerhasser“ sei „auch für (ihren) Geschmack … ein wenig zu scharf geraten“, dessen frauenfeindliches Verhalten habe aber zur Verschärfung des Konflikts beigetragen. Sie habe den Ausdruck nicht zum Zwecke der Beleidigung oder Rufschädigung verwandt. Gegen den Vorwurf, den Abteilungsleiter als „Rassisten“ bezeichnet zu haben, verwahre sie sich.

8

Mit Schreiben vom 21. April 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der Absicht an, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 30. Juni 2009 zu kündigen. Dem Anhörungsschreiben - bestehend aus Deckblatt und Anhang - waren weitere Anlagen beigefügt. Ob auch die Anlagen „2a“ bis „2c“ dazu gehörten, ist zwischen den Parteien streitig gewesen. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten Kündigung unter dem 24. April 2009 zu.

9

Mit Schreiben ebenfalls vom 24. April 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. Juni 2009.

10

Hiergegen hat sich die Klägerin rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat außerdem die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses und ihre vorläufige Weiterbeschäftigung verlangt. Die Klägerin ist der Ansicht gewesen, die von ihr getätigten Äußerungen seien nicht geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Die Beklagte habe mit ihrem Schreiben vom 3. April 2009 selbst zum Ausdruck gebracht, dass keine negative Zukunftsprognose bestehe, wenn sie, die Klägerin, bestimmte Verhaltensweisen richtigstelle. Eine Abmahnung sei daher nicht entbehrlich gewesen. Im Übrigen lasse die Beklagte die jahrelangen Mobbingvorgänge außer Acht, die erst zur Störung des Betriebsfriedens geführt hätten. Überdies sei der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Auf dem Anhörungsbogen sei ihm mitgeteilt worden, dass sie eine Unterhaltsverpflichtung nur gegenüber einem Kind habe, obwohl die Beklagte positive Kenntnis davon gehabt habe, dass sie drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet sei. Das Zitat zum „Judenvergleich“ sei nicht vollständig und damit entstellt wiedergegeben worden. Die Anlagen „2a“ bis „2c“ seien dem Betriebsrat nicht zugeleitet worden. Der hierzu als Zeuge vernommene Betriebsratsvorsitzende habe sich widersprüchlich geäußert.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. April 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihr ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag die Beklagte zu verurteilen, sie zu den im Arbeitsvertrag vom 14. September 2001 geregelten Bedingungen in der derzeit geltenden Fassung als Stratege im Global Procurement in N bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiterzubeschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise

        

das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen.

13

Die Beklagte hat die Kündigung als wirksam verteidigt. Sie hat gemeint, die Klägerin habe ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme schwerwiegend verletzt. Sie habe ihre Führungskräfte beleidigt, in ehrverletzender Weise die Fähigkeiten ihres Vorgesetzten in Frage gestellt und die Umstände im Unternehmen mit dem Leid der Juden während der NS-Zeit verglichen. Einer Abmahnung habe es nach dem Schreiben vom 3. April 2009 nicht mehr bedurft. Mit ihrer Stellungnahme vom 16. April 2009 habe die Klägerin ihre Pflichtverletzungen noch manifestiert und verstärkt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Beklagte hat behauptet, diesem sei die Anzahl der unterhaltsberechtigten Kinder der Klägerin zum einen aus deren E-Mail vom 21. September 2008 bekannt gewesen, die dem Anhörungsschreiben als Anlage „2c“ beigefügt gewesen sei, zum anderen habe er von den persönlichen Verhältnissen der Klägerin ohnehin Kenntnis gehabt. Aus der Anlage „2c“ sei ihm auch der vollständige Inhalt des von der Klägerin angestellten „Judenvergleichs“ bekannt gewesen.

14

Zur Begründung des Auflösungsantrags hat die Beklagte vorgetragen, die Klägerin habe sie in zahlreichen Äußerungen gegenüber der Presse als ein diskriminierendes, frauen- und ausländerfeindliches Unternehmen dargestellt, in dem systematisch Mobbing betrieben und keine Rücksicht auf die Gesundheit der Mitarbeiter genommen werde. Von ihrem „Judenvergleich“ habe sie sich in der Öffentlichkeit nicht distanziert, sondern sie, die Beklagte, bezichtigt, ihr zu Unrecht eine strafbare Verharmlosung des Holocaust vorgeworfen zu haben. Am 24. Februar 2010 habe die Klägerin eine Strafanzeige gegen sie gestellt. Zusätzlich habe sie Strafanzeigen wegen angeblichen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz gegen zwei ihrer Mitarbeiter erstattet. Die Klägerin habe die Namen der Mitarbeiter auch öffentlich erwähnt sowie der Presse mitgeteilt und dadurch deren Ansehen in der Öffentlichkeit beeinträchtigt. Sie habe zudem in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin, den sie auf ihrer Homepage veröffentlich habe, das Ansehen der Firma beschädigt. Dem Betriebsrat habe sie vorgeworfen, seit Jahren Machtmissbrauch begünstigt und offensichtliche Gesetzesverstöße ignoriert und damit gebilligt zu haben.

15

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, bei einem erst in der Berufungsinstanz gestellten Auflösungsantrag könnten nur Sachverhalte berücksichtigt werden, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden seien. Gründe für eine Auflösung seien im Übrigen nicht gegeben. Einem Arbeitgeber, der auf die Beschwerde eines diskriminierten Mitarbeiters nicht reagiere, sei es schon aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben verwehrt, von der Möglichkeit einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses Gebrauch zu machen.

16

Die Vorinstanzen haben dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben. Auf den Hilfsantrag der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung von 37.600,00 Euro brutto zum 30. Juni 2009 aufgelöst. Dem Antrag der Klägerin auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses hat das Arbeitsgericht stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat ihn abgewiesen. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung blieb in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage. Die Klägerin verfolgt für den Fall, dass die Revision der Beklagten zurückgewiesen wird, mit ihrer Revision ihr Klagebegehren - soweit dieses erfolglos geblieben ist - weiter und begehrt die Abweisung des Auflösungsantrags.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Kündigungsschutzklage nicht stattgeben. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Über die Revision der Klägerin war nicht zu entscheiden.

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I. Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung der Beklagten vom 24. April 2009 nicht als sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ansehen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 561 ZPO).

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1. Die Revision der Beklagten ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht schon deshalb unbegründet, weil ihre Berufung unzulässig gewesen wäre.

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a) Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung und deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, hat das Revisionsgericht eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben und die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass sie verworfen wird(BAG 26. März 2013 - 3 AZR 101/11 - Rn. 12). Dass das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat, ist ohne Bedeutung (BAG 19. Februar 2013 - 9 AZR 543/11 - Rn. 11; 15. März 2011 - 9 AZR 813/09 - Rn. 9 mwN).

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b) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben(BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 18; 19. Februar 2013 - 9 AZR 543/11 - Rn. 13). Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen ( BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - aaO; 11. November 2014 - 3 AZR 404/13  - Rn. 18 ).

22

c) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der Beklagten. Sie stellt die Bewertung des Arbeitsgerichts in Frage, die Kündigung sei mangels vorheriger Abmahnung sozial ungerechtfertigt. Eine Abmahnung sei vielmehr entbehrlich gewesen, weil die erheblichen Pflichtverletzungen der Klägerin einen irreparablen Vertrauensverlust begründet hätten und damit bereits eine negative Prognose vorgelegen habe. Damit hat die Beklagte Umstände bezeichnet, aus denen sich iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO eine Rechtsverletzung durch die Entscheidung des Arbeitsgerichts ergeben konnte. Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe sich nicht hinreichend mit dem Prognoseprinzip auseinandergesetzt, auf welches das erstinstanzliche Urteil unter anderem gestützt sei, verkennt, dass die Beklagte sich hiermit durchaus befasst, eine negative Prognose aber anders als das Arbeitsgericht aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung auch ohne vorherige Abmahnung als gegeben erachtet hat.

23

2. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, die Kündigung der Beklagten vom 24. April 2009 sei sozial ungerechtfertigt.

24

a) Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann eine Kündigung rechtfertigen(BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20; zu § 626 Abs. 1 BGB vgl.: BAG 24. März 2011 - 2 AZR 282/10 - Rn. 12; 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 20). Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers - wie etwa eine Abmahnung - geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken ( BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 434/13 - Rn. 19; 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - aaO mwN). Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist(BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22; 31. Juli 2014 - 2 AZR 434/13 - Rn. 39).

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b) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin geprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 24; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42).

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c) Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.

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aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die Beklagte habe mit dem Schreiben vom 3. April 2009 auf ein etwaiges Recht zur Kündigung wegen der beanstandeten Äußerungen der Klägerin nicht verzichtet. Aus dem Schreiben werde vielmehr erkennbar, dass sie eine kündigungsrechtliche Bewertung der Vorgänge bis zum Eingang einer Stellungnahme der Klägerin lediglich zurückgestellt habe. Die Beklagte habe zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Basis für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erst wieder sehe, wenn sich die Klägerin innerhalb einer Frist bis zum 17. April 2009 von ihren Äußerungen distanziere und sich bei den betroffenen Mitarbeitern entschuldige. Ein Rechtsfehler ist diesbezüglich weder aufgezeigt noch objektiv ersichtlich.

28

(1) Der Arbeitgeber kann auf das Recht zum Ausspruch einer - außerordentlichen oder ordentlichen - Kündigung jedenfalls nach dessen Entstehen durch eine entsprechende Willenserklärung einseitig verzichten. Ein solcher Verzicht ist ausdrücklich oder konkludent möglich. So liegt im Ausspruch einer Abmahnung regelmäßig der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, dass er das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört ansieht, als dass er es nicht mehr fortsetzen könnte (BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 33; 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 11 f.). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn gem. §§ 133, 157 BGB der Abmahnung selbst oder den Umständen zu entnehmen ist, dass der Arbeitgeber die Angelegenheit mit der Abmahnung nicht als „erledigt“ ansieht(BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - aaO; 13. Dezember 2007 - 6 AZR 145/07 - Rn. 24, BAGE 125, 208).

29

(2) Beim Schreiben der Beklagten vom 3. April 2009 handelt es sich um eine atypische Willenserklärung. Deren Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB ist vom Revisionsgericht nur auf Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze zu prüfen.

30

(3) Unter Berücksichtigung des Wortlauts der Erklärung geht das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei davon aus, sie lasse den Willen der Beklagten erkennen, sich eine endgültige rechtliche Bewertung des Sachverhalts bis zum Eingang der Stellungnahme der Klägerin vorzubehalten. Das Schreiben ist weder als Abmahnung bezeichnet noch als solche formuliert. Die Aufforderung zur Stellungnahme dient erkennbar dazu, der Klägerin vor einer abschließenden Bewertung Gelegenheit zu einer Entschuldigung und damit zur Abmilderung der Vorwürfe zu geben. Auch die widerrufliche Freistellung erfolgte lediglich „bis zur endgültigen Klärung des Vorganges“ und ließ sich damit nicht als abschließende Reaktion auf das beanstandete Verhalten verstehen.

31

bb) Hatte die Beklagte demnach nicht auf ein etwaiges Kündigungsrecht verzichtet, bleibt nach der Würdigung des Landesarbeitsgerichts unklar, inwiefern dem Umstand, dass sie ihre Erwartungen an die Klägerin nicht klar genug formuliert habe, für die soziale Rechtfertigung der Kündigung „entscheidende Bedeutung“ zukomme.

32

(1) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Beklagte habe durch eine unklare Formulierung dazu beigetragen, dass die Klägerin nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist die erwarteten Erklärungen abgegeben habe. Dies sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und der Interessenabwägung zu würdigen.

33

(2) Wie es diese Würdigung vorgenommen, insbesondere welche weiteren Umstände es in seine Erwägungen einbezogen hat, lässt sich dem Berufungsurteil jedoch nicht entnehmen. Es bleibt sowohl offen, welche Äußerungen der Klägerin das Landesarbeitsgericht überhaupt als Pflichtverletzungen gewertet noch welche Schwere es ihnen ggf. beigemessen hat.

34

cc) Sollte der Würdigung des Landesarbeitsgerichts die Vorstellung zugrunde gelegen haben, es sei ausreichend, dass die Beklagte eine Wiederherstellung der Vertrauensgrundlage zunächst selbst für möglich gehalten habe, läge darin eine Verkennung der Anforderungen an die soziale Rechtfertigung einer Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers. Für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG eine Kündigung „bedingt“, gilt ein objektiver Maßstab(für den wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vgl.: BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 29; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 109; HK-ArbR/Griebeling 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 58; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 22). Maßgeblich ist nicht, ob ein bestimmter Arbeitgeber meint, ihm sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, und ob er weiterhin hinreichendes Vertrauen in einen Arbeitnehmer hat. Es kommt vielmehr darauf an, ob dem Kündigenden die Weiterbeschäftigung - bei der ordentlichen Kündigung auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus - aus der Sicht eines objektiven und verständigen Betrachters unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbar ist oder nicht (für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bei einer außerordentlichen Kündigung vgl.: BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, BAGE 134, 349 ). An der danach erforderlichen Prüfung, ob im Zeitpunkt der Kündigung nach den objektiv gegebenen Umständen die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - auch ohne eine vorherige Abmahnung - gerechtfertigt war, fehlt es bislang.

35

3. Der Senat kann die Würdigung, ob die Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt ist, nicht selbst vornehmen. Hierfür bedarf es weiterer Feststellungen.

36

a) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, ggf. sogar die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen ( BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 43; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19 f .; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 231 f.). Mit den E-Mails vom 21. September 2008 und 5. Februar 2009 kann eine solche an die Beklagte gerichtete Drohung verbunden gewesen sein, die Klägerin werde sich an die - amerikanischen - Medien wenden, falls die Beklagte ihre vermeintlichen Ansprüche - wie etwa den, nicht mehr mit dem bisherigen Vorgesetzten zusammenarbeiten zu müssen - nicht erfülle. Für die Ermittlung ihres Erklärungsinhalts bedarf es der Auslegung der E-Mails gem. §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung der Begleitumstände. Daran fehlt es bisher. Dafür, dass die Einschaltung der fraglichen Medien im berechtigten Interesse der Klägerin gelegen haben könnte, ist bislang nichts ersichtlich. Den Parteien wird insofern Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben sein.

37

b) In der Bezeichnung ihres „Chefs“ als „unterbelichtete(n) Frauen- und Ausländerhasser“ in der E-Mail der Klägerin vom 21. September 2008 kann eine nicht mehr von der Freiheit der Meinungsäußerung gedeckte Beleidigung liegen. Dies gilt ebenso für die Charakterisierung und Herabwürdigung ihres unmittelbaren Vorgesetzten in der E-Mail vom 30. März 2009. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (zum wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vgl.: BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 22; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 3 a der Gründe; zur ordentlichen Kündigung BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - Rn. 45).

38

c) Beim Vergleich ihrer seelischen Verfassung mit dem Leid der Juden in der NS-Zeit sowie beim Hinweis auf den Mafia-Film „Der Pate“ in der E-Mail der Klägerin vom 5. Februar 2009 wird durch Auslegung zu bestimmen sein, welcher Aussagegehalt den Äußerungen überhaupt beizumessen ist. Dass die Klägerin die betrieblichen Vorgänge bei der Beklagten mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem gleichgesetzt hätte (vgl. dazu BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 19), wie die Beklagte gemeint hat, liegt jedenfalls nicht auf der Hand. Die Klägerin hat ihre „seelischen Qualen“ mit denen der Juden verglichen und dabei darauf hingewiesen, es handele sich um ihr „Erleben und Empfinden“.

39

d) Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, die Klägerin habe ihre Pflicht zur Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB durch eine oder mehrere ihrer Äußerungen verletzt, wird es unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Streitfalls zu prüfen haben, ob es der Beklagten dennoch objektiv zumutbar war, das Arbeitsverhältnis - ggf. nach Abmahnung - auf Dauer fortzusetzen.

40

aa) Hierbei kann zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen sein, wenn es für die von ihr erhobenen Vorwürfe gegenüber ihrem „Chef“ oder dem direkten Vorgesetzten eine Tatsachengrundlage gab, wie sie behauptet hat. Das wird das Landesarbeitsgericht ggf. näher aufzuklären haben. Die Äußerungen könnten auch dann weniger schwer wiegen, wenn sich die Klägerin - wie sie geltend gemacht hat - in einer Ausnahmesituation befunden hätte, weil sie den Eindruck hatte, ihre Beschwerden würden bei der Beklagten nicht in der gebotenen Weise bearbeitet.

41

bb) Bei der Würdigung, ob der Beklagten eine dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch ohne Abmahnung - objektiv - unzumutbar war, kann außerdem der Stellungnahme der Klägerin auf das Schreiben der Beklagten vom 3. April 2009 Bedeutung zukommen. Soweit die Klägerin darin ihr Bedauern bezüglich einzelner Äußerungen zum Ausdruck gebracht und mit Blick auf andere versucht haben sollte, Klarstellungen vorzunehmen, mag dies zu ihren Gunsten zu berücksichtigen sein. Andererseits hat sie die Erklärungen nicht von sich aus, sondern erst auf die Aufforderung der Beklagten hin abgegeben. Überdies hat sie sich von den beanstandeten Äußerungen nicht uneingeschränkt distanziert, sondern sie zum Teil sogar bekräftigt.

42

4. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf der Basis der bisherigen Feststellungen angenommen, die Kündigung sei nicht wegen einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats unwirksam.

43

a) Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gem. Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Nach Satz 3 ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam.

44

aa) Der Inhalt der Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert(BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 15; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14). Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 14; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15). Der Arbeitgeber muss daher dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 15; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14). Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt schildert, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 16; 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 46).

45

bb) Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 19; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15). In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung - ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers - auch objektiv, dh. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - aaO; Raab GK-BetrVG 10. Aufl. § 102 Rn. 68 und 94). Bei der verhaltensbedingten Kündigung kann deshalb auf die Mitteilung der „Sozialdaten“ des Arbeitnehmers nicht deshalb verzichtet werden, weil sie für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers ohne Bedeutung waren (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - aaO; 6. Oktober 2005 - 2 AZR 280/04 - zu B II 2 a der Gründe). Der Wirksamkeit einer auf Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers gestützten Kündigung steht das Unterlassen der Angabe von dessen genauen „Sozialdaten“ bei der Betriebsratsanhörung deshalb nur dann nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber auf diese ersichtlich nicht ankommt und der Betriebsrat jedenfalls die ungefähren Daten ohnehin kennt; er kann dann die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers auch so ausreichend beurteilen (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - aaO; 6. Oktober 2005 - 2 AZR 280/04 - aaO).

46

b) Danach hat die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 21. April 2009 ordnungsgemäß über die Gründe für die beabsichtigte Kündigung unterrichtet.

47

aa) Es fehlt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht an einer ausreichenden Darstellung des Kündigungssachverhalts. In der dem Anhörungsschreiben unstreitig beigefügten Anlage mit Ausführungen zur Begründung der beabsichtigten Kündigung hatte die Beklagte den bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses erläutert und auf die unter Beteiligung des Betriebsrats geführten Gespräche mit der Klägerin verwiesen. Die E-Mails der Klägerin wurden ebenso in Bezug genommen wie das Schreiben der Beklagten vom 3. April 2009. Die Beklagte teilte ihre Einschätzung mit, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht mehr zu erwarten sei, nachdem diese ihre Äußerungen weder zurückgenommen noch sich für sie entschuldigt habe. Wegen des Inhalts der in Bezug genommenen E-Mails verwies die Beklagte auf die nummerierten weiteren Anlagen.

48

bb) Nach dem vom Landesarbeitsgericht gewürdigten Ergebnis der Beweisaufnahme waren diese Anlagen - einschließlich der Anlage „2c“ - dem Anhörungsschreiben bei der Übergabe an den Betriebsrat beigefügt.

49

(1) Eine vom Berufungsgericht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommene Beweiswürdigung unterliegt nur einer eingeschränkten Kontrolle. Es ist zu prüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und Grenzen des § 286 ZPO beachtet hat. Seine Würdigung muss in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und rechtlich möglich sein (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 37, BAGE 149, 355; 8. Mai 2014 - 2 AZR 1005/12 - Rn. 21).

50

(2) Das Landesarbeitsgericht hat in sich schlüssig und widerspruchsfrei begründet, weshalb es für erwiesen hielt, dass dem Anhörungsschreiben sämtliche Anlagen beigefügt waren. Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen Denkgesetze liegt nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat berücksichtigt, dass sich die Aussagen des Zeugen E zum Teil widersprachen. Es hat dies nachvollziehbar auf eine Verunsicherung durch die dem Zeugen gestellten Zwischenfragen zurückgeführt. Maßgeblich war für das Landesarbeitsgericht, dass der Zeuge mit Verweis auf die auf den Unterlagen durchgängig aufgebrachten Eingangsvermerke vom 21. April 2009 sicher habe ausschließen können, dass dem Betriebsrat noch nachträglich Unterlagen zugeleitet worden seien. Es hat daraus widerspruchsfrei den Schluss gezogen, die Unterlagen seien dem Betriebsrat vollständig bereits mit dem Anhörungsschreiben zugegangen.

51

cc) Die Rüge der Klägerin, das Landesarbeitsgericht habe einen von ihr angebotenen Sachverständigenbeweis über die Dauer der Verlesung von 29 Textseiten übergangen, ist unzulässig. Die Klägerin hat die erforderliche Kausalität zwischen dem vermeintlichen Verfahrensmangel und dem Ergebnis des Berufungsurteils nicht aufgezeigt (zu diesem Erfordernis vgl.: BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 16; 13. November 2013 - 10 AZR 639/13 - Rn. 12).

52

(1) Die Klägerin macht geltend, das Sachverständigengutachten hätte die Aussage des Betriebsratsvorsitzenden erschüttert, so dass das Landesarbeitsgericht ihre Glaubhaftigkeit deutlich zurückhaltender beurteilt hätte. Weder innerhalb der nur eine Stunde dauernden (ersten) Betriebsratssitzung noch unter Berücksichtigung einer Befassung in einer weiteren Sitzung hätten die gesamten Unterlagen verlesen werden können.

53

(2) Die Klägerin verkennt, dass für das Landesarbeitsgericht die zu veranschlagende Dauer für eine Verlesung der Anlagen nicht entscheidungserheblich war. Dieses hat lediglich angenommen, der Betriebsrat habe sich mit der Anhörung zu der beabsichtigten Kündigung in zwei Sitzungen befasst. Es ist nicht davon ausgegangen, dass dabei die Anlagen verlesen worden seien. Auch der Zeuge E hat lediglich bekundet, nach seiner Erinnerung habe er alle Unterlagen vorgelesen.

54

dd) Die Anhörung des Betriebsrats war nicht wegen einer fehlerhaften Mitteilung der bestehenden Unterhaltspflichten der Klägerin unzureichend. Allerdings ist die Angabe in dem Anhörungsschreiben falsch gewesen. Die Klägerin war nicht einem, sondern drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Für das Landesarbeitsgericht stand aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Betriebsrat schon aufgrund der mehrfachen Vorbefassung mit der Klägerin über deren Unterhaltspflichten informiert war. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte den Betriebsrat bewusst unrichtig oder irreführend unterrichtet hätte. Insofern bedarf keiner näheren Prüfung, ob der Beklagten Kenntnis von der zutreffenden Anzahl der Unterhaltspflichten der Klägerin jedenfalls aufgrund der Angabe in ihrer E-Mail vom 21. September 2008 an den damaligen Vorstandsvorsitzenden zuzurechnen war. Die Klägerin hat selbst darauf hingewiesen, dass sich aus ihrer Lohnsteuerkarte nur ein zu berücksichtigendes Kind ergeben habe. Für den Betriebsrat, der die zutreffende Zahl der unterhaltsberechtigten Kinder der Klägerin kannte, war ebenfalls erkennbar, dass es sich bei der Angabe in dem Anhörungsbogen nur um einen Irrtum bzw. um die aus der Lohnsteuerkarte ersichtliche Zahl unterhaltspflichtiger Kinder der Klägerin handeln konnte.

55

ee) Einer näheren Darlegung im Rahmen der Anhörung, wie die Beklagte die beiderseitigen Interessen gegeneinander abgewogen hatte, bedurfte es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, implizierte eine Abwägung zulasten der Klägerin (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 27, BAGE 146, 303).

56

c) Die Beklagte hat die Kündigung nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht aus ihrem Machtbereich herausgegeben, bevor ihr die Zustimmung und damit eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vorlag.

57

II. Der Senat kann über die soziale Rechtfertigung der Kündigung iSd. § 1 Abs. 2 KSchG mangels ausreichender Feststellungen nicht selbst abschließend entscheiden. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegen auch die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts über den Auflösungsantrag der Beklagten sowie über die Anträge der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Den Auflösungsantrag hat die Beklagte nur hilfsweise für den Fall gestellt, dass der Kündigungsschutzantrag der Klägerin Erfolg hat. Der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung ist ausdrücklich nur für den Fall ihres Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellt. Da er nur dann Erfolg haben kann, wenn außerdem der Auflösungsantrag abgewiesen wird, steht er konkludent auch unter dieser weiteren - innerprozessualen - Bedingung. Ebenso ist der auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses gerichtete Antrag zu verstehen, da die Klägerin mit ihm nach dem vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegten und von ihr nicht beanstandeten Verständnis ein Zwischenzeugnis nur für den Fall des Fortbestehens ihres Arbeitsverhältnisses begehrt.

58

III. Über die Revision der Klägerin war nicht mehr zu entscheiden. Mit ihr verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren, soweit dieses erfolglos geblieben ist, entsprechend der materiell- und prozessrechtlichen Lage nur für den Fall weiter und begehrt die Abweisung des Auflösungsantrags, dass sie mit ihrem Antrag, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, Erfolg hat. Diese - innerprozessuale - Bedingung ist nicht eingetreten. Von der Aufhebung und Zurückverweisung aufgrund der erfolgreichen Revision der Beklagten gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Kündigungsschutzantrag sind im Übrigen die Entscheidungen über den Auflösungsantrag der Beklagten sowie die Anträge der Klägerin auf Weiterbeschäftigung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses bereits erfasst.

59

IV. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat - sollte das Landesarbeitsgericht wiederum über den Auflösungsantrag zu entscheiden haben - darauf hin, dass es diesem mit der bisherigen Begründung nicht stattgeben durfte.

60

1. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 19; 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 56; 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47). Durch eine bloße Bezugnahme auf nicht ausreichende Kündigungsgründe genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast nicht. Er muss vielmehr im Einzelnen vortragen, weshalb die nicht ausreichenden Kündigungsgründe einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen sollen (BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - zu II 3 b aa der Gründe; BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 256/04 - zu II 2 d cc der Gründe; 24. Mai 2005 - 8 AZR 246/04 - zu II 4 b der Gründe, BAGE 114, 362).

61

2. Das Landesarbeitsgericht hat - entgegen der Auffassung der Klägerin - zu Recht angenommen, die Beklagte sei mit Gründen, die bereits zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht vorlagen, nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erst in der Berufungsinstanz beantragt hat. Im Gesetzeswortlaut ist eine solche Beschränkung der für die Zukunftsprognose zu berücksichtigenden Gründe nicht angelegt. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Regelungszweck der Norm. Nur aus einer umfassenden Gesamtschau der zum Zeitpunkt der Auflösungsentscheidung maßgeblichen Umstände kann eine gesicherte Prognose darüber getroffen werden, ob für die Zukunft noch eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu erwarten ist. Dem berechtigten Interesse des Arbeitnehmers, nicht weit zurückliegende Vorfälle ohne Aussagekraft für die zukünftig zu erwartende Zusammenarbeit als Auflösungsgründe heranzuziehen, ist dadurch Rechnung getragen, dass es auf die Beurteilung der objektiven Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung ankommt. Zu diesem Zeitpunkt können aufgrund der zeitlichen Entwicklung und damit verbundener veränderter tatsächlicher oder rechtlicher Umstände länger zurückliegende Umstände ihre Bedeutung für die erforderliche Zukunftsprognose verloren haben (BAG 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe).

62

3. Die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorgesehene Möglichkeit der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - verfassungskonform(BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - zu II 2 der Gründe).

63

a) Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist trotz sozial ungerechtfertigter Kündigung nur dann gerechtfertigt, wenn eine weitere den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien nicht zu erwarten ist. Die Bestimmung dient damit ebenso wie die übrigen Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes dem Ausgleich der wechselseitigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer an einer Fortsetzung bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ein über die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes hinausgehender Bestandsschutz ist durch Art. 12 Abs. 1 GG nicht gefordert(BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - zu II 2 der Gründe). Bei der Entscheidung darüber, ob im Einzelfall ein Sachverhalt vorliegt, der die Auflösung rechtfertigen kann, haben die Arbeitsgerichte die wechselseitigen Grundrechtspositionen des betroffenen Arbeitgebers und Arbeitnehmers zu berücksichtigen und abzuwägen (BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - aaO).

64

b) Die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG beschränkt nicht in grundrechtswidriger Art und Weise die Eigentumsrechte des Arbeitnehmers. Es handelt sich vielmehr - auch unter Berücksichtigung von § 10 KSchG - um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums iSv. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG(BVerfG 29. Januar 1990 - 1 BvR 42/82 -). Ansprüche des Arbeitnehmers auf Verzugslohn werden bei Erklärung einer sozial ungerechtfertigten Kündigung erst dann zu grundrechtlich geschützten Vermögenspositionen, wenn ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers durch das Gericht zurückgewiesen wird (BVerfG 29. Januar 1990 - 1 BvR 42/82 -; BAG 16. Mai 1984 - 7 AZR 280/82 - zu II 3 der Gründe, BAGE 46, 42).

65

c) Auch ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip liegt nicht vor (BVerfG 13. August 1991 - 1 BvR 128/87 - zu II der Gründe; 29. Januar 1990 - 1 BvR 42/82 -; BAG 16. Mai 1984 - 7 AZR 280/82 - zu II 4 der Gründe, BAGE 46, 42). Dem Gesetzgeber obliegt es, bei der Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts Grundrechtsprinzipien angemessen zu berücksichtigen. Hierzu zählen auch die in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Durch die §§ 9, 10 KSchG wird keiner dieser Grundsätze verletzt. Für den Arbeitnehmer ist im Kündigungsschutzprozess von Anfang an erkennbar, dass ein Verzugslohnanspruch von der Möglichkeit eines Auflösungsantrags beschränkt ist und dass dieses Gestaltungsinstrument bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufung gegeben ist (BVerfG 29. Januar 1990 - 1 BvR 42/82 -). Die gesetzliche Vorgabe, den Auflösungszeitpunkt auf das Ende des Arbeitsverhältnisses bei unterstellter Wirksamkeit der Kündigung zu bestimmen, liegt ebenfalls innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers (BAG 16. Mai 1984 - 7 AZR 280/82 - zu II 2 der Gründe, aaO). Der Einwand der Klägerin, damit habe es allein der Arbeitgeber in der Hand, die Auflösung herbeizuführen, trifft nicht zu. Voraussetzung für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist neben einem Antrag des Arbeitgebers, dass die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz nach Abwägung der wechselseitigen Grundrechtspositionen die Besorgnis rechtfertigt, eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei nicht zu erwarten(BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 19; 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 56; 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47; BVerfG 22. Oktober 2004 - 1 BvR 1944/01 - zu II 2 der Gründe).

66

4. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien sei für die Zukunft nicht zu erwarten, wird jedoch von seinen bisherigen Feststellungen nicht getragen.

67

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das von der Klägerin nach Ausspruch der Kündigung gezeigte Verhalten lasse nicht erwarten, dass künftige Meinungsverschiedenheiten, wie sie in Betrieben immer wieder aufträten, in der gebotenen Sachlichkeit ausgetragen würden. Es hat die Voraussetzungen für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag der Beklagten aufgrund der unter II 2 c cb der Entscheidungsgründe aufgeführten Umstände als gegeben erachtet. Dieses Ergebnis hat es - soweit ersichtlich - aufgrund einer Gesamtschau dieser Umstände gewonnen und nicht angenommen, jeder dieser Faktoren rechtfertige bereits für sich genommen die Auflösung.

68

b) Zumindest der Gesichtspunkt, der Klägerin sei es auch im Berufungsverfahren „nicht gelungen, von ihrem ‚Angriffsmodus’ abzukehren“, lässt nicht erkennen, welche Tatsachen das Landesarbeitsgericht insoweit zugrunde gelegt hat. Zudem wird aus dem Berufungsurteil nicht ersichtlich, ob und ggf. inwiefern das Landesarbeitsgericht bei seiner Würdigung darauf Bedacht genommen hat, dass das Verhalten einer Partei in einem Gerichtsverfahren durch berechtigte Interessen gedeckt sein kann. Die Verfahrensbeteiligten dürfen zur Rechtsverteidigung alles vortragen, was rechtserheblich sein kann und sich dabei auch starker, eindringlicher Ausdrücke und Schlagworte bedienen, selbst wenn eine vorsichtigere Formulierung möglich gewesen wäre (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22).

69

c) Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Klägerin habe sich auch nach der Kündigung nicht in ausreichendem Maße mit dem Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 3. April 2009 auseinandergesetzt, bleibt unklar, weshalb es für sie noch nach Ausspruch der Kündigung Veranlassung gegeben habe, sich um eine „Wiederherstellung des Vertrauens in ihre Person“ zu bemühen, bzw. weshalb dies „nahegelegen“ habe. Das Landesarbeitsgericht hat auf die „Bildung“ der Klägerin und ihr „selbst in Anspruch genommene(s) internationale(s) Format(…)“ verwiesen. Es hat aber nicht gewürdigt, dass die Beklagte selbst durch die Erklärung der Kündigung zu verstehen gegeben hatte, dass sie für eine künftige Zusammenarbeit mit der Klägerin keine Grundlage mehr sah.

70

d) Mit Blick auf die vom Landesarbeitsgericht herangezogene Strafanzeige, die die Klägerin gegen Mitarbeiter der Beklagten erstattet habe, fehlt es an Feststellungen sowohl zu ihrem näheren Inhalt als auch zu den Umständen ihrer Erstattung.

71

e) Für die Beurteilung, ob der offene Brief an die Bundeskanzlerin einer zukünftigen gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien entgegensteht, ist nicht unerheblich, welchen Kreisen von Lesern er zugänglich war und wie lange die Veröffentlichung zurückliegt. Dazu sind bislang keine Feststellungen getroffen. Bei der Würdigung der in dem Brief enthaltenen Aussagen ist überdies angemessen auf die Meinungsfreiheit der Klägerin Bedacht zu nehmen (vgl. BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35).

72

f) Entsprechendes gilt für die Kritik der Klägerin am Betriebsrat.

73

aa) In der E-Mail vom 23. April 2009 hat die Klägerin es als bedauerlich bezeichnet, dass sich „die Arbeitnehmervertretung (…) derart dämlich verhält“. Insofern bedarf der Auslegung, ob dies für die Mitglieder des Betriebsrats als gegen sie - alle - persönlich gerichtete Kritik zu verstehen war. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Erklärung aber noch nicht zur Schmähung. Hinzukommen muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in der Person herabsetzen soll (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312).

74

bb) Die E-Mail vom 31. August 2009 schließt „mit dem Anlass entsprechenden Grüßen diesmal von Goethe mit einem Götz-Zitat“. Die Klägerin hat darin aber auch die im Zusammenhang mit der Kündigung stehenden Ereignisse und die - vermeintliche - Rolle des Betriebsrats dabei aus ihrer Sicht dargestellt. Sie hat dem Betriebsrat in der Sache vorgeworfen, sowohl den ihrer Meinung nach unrechtmäßigen Zugriff auf ihr E-Mail-Konto gebilligt zu haben als auch eine gesetzeswidrige Öffnung der Büroschränke.

75

g) Hinsichtlich aller geltend gemachter Auflösungsgründe bedarf im Übrigen der Prüfung, ob und inwiefern ihnen, selbst wenn sie Jahre zurückliegen, weiterhin Bedeutung für eine zukünftige Zusammenarbeit der Parteien zukommt.

76

h) Ein Teil des Vorbringens der Beklagten zur Begründung des Auflösungsantrags ist bislang unberücksichtigt geblieben. Die Beklagte hat sich auf „zahlreiche Äußerungen (der Klägerin) gegenüber der Presse“ berufen, was auch die Namen der Mitarbeiter, gegen die sie Strafanzeige gestellt habe, umfasse.

77

V. Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung gem. Art. 267 AEUV bedurfte es nicht. Für den Senat stellen sich keine für seine Entscheidung erheblichen Fragen der Auslegung oder Gültigkeit von Unionsrecht. Es bedarf auch keiner näheren Untersuchung, ob die von der Klägerin aufgeworfenen Fragestellungen nicht nur die Anwendung, sondern die Auslegung von Unionsrecht betreffen. Bislang ist nicht festgestellt, dass die Beklagte auf Beschwerden der Klägerin, sie werde diskriminiert, nicht reagiert hätte.

        

    Der Vorsitzende Richter am Bundesarbeitsgericht Kreft
ist infolge seiner Versetzung in den Ruhestand
mit Ablauf des 31. Januar 2016 an der
Unterschriftsleistung verhindert.
Berger    

        

    Berger    

        

    Rachor     

        

        

        

    K. Schierle    

        

    Niebler    

                 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. Juli 2011 - 9 Sa 1174/10 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts München vom 13. Juli 2010 - 14 Ca 17608/09 - als unbegründet zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Auflösungsantrag der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen im Bereich IT-Beratung und Systemintegration. Der Kläger ist bei ihr seit 2006 als Diplominformatiker/Softwareentwickler tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. In ihrem Betrieb besteht ein Betriebsrat.

3

Am 13. Mai 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, nachdem dieser die Teilnahme an einer Veranstaltung, die der Überprüfung seines Kenntnisstands in der Programmiersprache Java dienen sollte, verweigert hatte. Dagegen hat sich der Kläger - erfolglos - mit einer in einem Vorprozess erhobenen Klage gewandt.

4

Am 2. November 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers wegen Arbeitsverweigerung und Schlechterfüllung seiner Arbeitspflicht an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung. Mit Schreiben vom 12. November 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich verhaltensbedingt zum 31. Dezember 2009.

5

Am 2. Dezember 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, weil ein am 20. November 2009 übergebenes Programmierergebnis trotz Nachbearbeitung zahlreiche Fehler aufgewiesen habe. Am 11. Dezember 2009 erteilte sie ihm eine weitere Abmahnung wegen Nichtbefolgung von Arbeitsanweisungen.

6

Am 7. Dezember 2009 hörte sie den Kläger zum dringenden Verdacht des Arbeitszeitbetrugs an, nachdem dieser für den 4. Dezember 2009 unterschiedliche Angaben zu seinen Arbeitszeiten gemacht hatte.

7

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats wegen Schlechtleistung außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010. Gleichzeitig stellte sie den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Mit zwei Schreiben vom 28. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - ebenfalls nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats - wegen Schlechtleistung und Arbeitszeitbetrugs außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010.

8

Am 1. Februar 2010 reichte der Kläger beim Arbeitsgericht München einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte ein. Dem Gesuch, mit dem er die vorläufige Zahlung von Arbeitsentgelt begehrte, fügte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung bei. Dort heißt es:

        

„Seit 12.11.2009 werde ich mit insgesamt 7 (!) Arbeitgeberkündigungen bombardiert, denen der Betriebsrat jeweils widersprochen hat, soweit er angehört wurde.“

9

Im Termin übergab der Kläger eine weitere eidesstattliche Versicherung. Darin berichtigte er seine früheren Angaben dahingehend, dass der Betriebsrat den Kündigungen vom 28. Dezember 2009 nicht widersprochen habe.

10

Mit Schreiben vom 15. Februar 2010 und vom 26. Februar 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos, hilfsweise ordentlich. Unter dem 22. März 2010 kündigte sie ein weiteres Mal fristlos.

11

Der Kläger bewarb sich als Kandidat für die Betriebsratswahl am 23. April 2010. Zusammen mit den übrigen Bewerbern seiner Liste verfasste und veröffentlichte er einen Wahlaufruf folgenden Inhalts:

        

„Wir danken

        

zunächst allen, die es uns mit ihrer Unterschrift möglich gemacht haben, zu dieser Wahl anzutreten. Lange war nicht klar, ob wir die nötige Zahl an Stützunterschriften zusammenbekommen würden, weil die Geschäftsführung versucht hat, uns mit Hausverboten am Sammeln der Unterschriften zu hindern und viele angesprochene Kolleginnen und Kollegen aus Angst vor persönlichen Nachteilen nicht unterschreiben wollten.

        

…       

        

Wir fordern,

        

dass die Einschüchterungen unverzüglich aufhören.

        

…       

        

Die Mobbing-Praxis, mit Hilfe von erfundenen Sachverhalten, willkürlichen Abmahnungen, und mit deren Hilfe ebensolche Kündigungen vorzubereiten und auszusprechen, muss endlich ein Ende finden! Bei der Neuorganisation des Bereichs T wurde mehrfach so vorgegangen, das ist völlig inakzeptabel! Wer sich weigert, einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben, wird nach dem Prinzip ‚Wer nicht hört, muss fühlen‘ bestraft.

        

…       

        

Wir fordern deshalb,

        

…       

        

Schluss mit der Demütigung von Mitarbeiter/innen durch vertragsfremde Beschäftigung und untergeordnete Hilfstätigkeiten!“

12

Das Ergebnis der Betriebsratswahl wurde am 29. April 2010 bekannt gegeben. Der Kläger wurde nicht in den Betriebsrat gewählt.

13

Gegen die im Jahr 2009 erklärten Kündigungen hat sich der Kläger mit seiner vorliegenden Klage gewandt. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise

das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, jedoch 7.667,00 Euro brutto nicht übersteigen sollte, zum 31. Dezember 2009 aufzulösen.

14

Die Beklagte hat zur Begründung ihres - sich auf die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009 beziehenden - Auflösungsantrags vorgebracht, aufgrund zahlreicher Pflichtverletzungen des Klägers sei eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien in Zukunft nicht mehr zu erwarten. Dessen falscher Vortrag im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und die unzutreffende eidesstattliche Versicherung stellten einen Versuch des Prozessbetrugs dar. Der Kläger habe die Unrichtigkeit seiner Angaben zumindest billigend in Kauf genommen und dadurch das in seine Integrität gesetzte Vertrauen erheblich erschüttert. Ein weiterer Auflösungsgrund liege in den betriebsöffentlichen Beleidigungen und unwahren Tatsachenbehauptungen, die in dem Aufruf zur Betriebsratswahl 2010 enthalten seien. Der Kläger habe sich von den Aussagen trotz entsprechender Aufforderung nicht distanziert. Er verfüge auch nicht über die für eine gedeihliche Zusammenarbeit notwendige kritische Rollendistanz. Er werfe ihr grundlos „Mobbing“ vor, sehe selbst in einem von ihr in zweiter Instanz - erfolgreich - angebrachten Antrag auf Fristverlängerung und Verlegung eines Kammertermins einen Angriff auf seine wirtschaftliche Existenz und akzeptiere nicht einmal Weisungen, deren Berechtigung - wie im Fall der Weisung, die der Abmahnung vom 13. Mai 2009 zugrunde gelegen habe - rechtskräftig festgestellt sei.

15

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen. Der Auflösung des Arbeitsverhältnisses stehe bereits sein Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber entgegen. Auch seien keine Auflösungsgründe gegeben. Er sei weiterhin bereit, sich voll und ganz für das Unternehmen und die Belegschaft einzusetzen. Dies komme insbesondere durch seine Kandidatur bei der Betriebsratswahl 2010 zum Ausdruck. Der in diesem Zusammenhang verfasste Wahlaufruf stelle die Personalpolitik der Beklagten lediglich pointiert und wahrheitsgetreu dar. Im einstweiligen Verfügungsverfahren habe er alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Unrichtigkeiten in seiner ursprünglichen eidesstattlichen Erklärung seien auf Missverständnisse zurückzuführen, die mit Sprachschwierigkeiten zusammenhingen.

16

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009, noch durch die fristlosen Kündigungen vom 18. und 28. Dezember 2009 aufgelöst worden ist. Zugleich hat es das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Dezember 2009 aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 20.051,46 Euro brutto verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, den Auflösungsantrag abzuweisen. Im Übrigen ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts rechtskräftig.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision des Klägers ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag der Beklagten nicht stattgeben. Das angefochtene Urteil war in diesem Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

18

I. Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). An die Auflösungsgründe sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen.

19

1. Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 21, jeweils mwN).

20

2. Die Begründetheit eines Auflösungsantrags ist grundsätzlich nach den Umständen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorlagen. Auf deren Grundlage ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem gemäß § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Zeitpunkt, jedoch vor Erlass des (Berufungs-)Urteils bereits geendet hat. In einem solchen Fall ist das Gericht zwar nicht an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gehindert. Für die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG anzustellende Zukunftsprognose ist aber nur der Zeitraum bis zum Eintritt der anderweitigen Beendigung zu berücksichtigen(BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22 ff.).

21

3. Die Würdigung, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt ist, obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht. Das Revisionsgericht kann aber nachprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Auflösungsantrag zutreffend erkannt und bei Prüfung der vorgetragenen Auflösungsgründe alle wesentlichen Umstände vollständig und widerspruchsfrei berücksichtigt und gewürdigt hat (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 43, BAGE 140, 47; 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 33).

22

II. Einer solchen Prüfung hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

23

1. Das Landesarbeitsgericht nimmt mit Recht an, die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger zwischenzeitlich besonderen Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG erlangt habe. Der Sonderkündigungsschutz führt, anders als die Revision meint, auch nicht dazu, dass Auflösungsgründe, die im geschützten Zeitraum entstanden sind, das Gewicht eines Kündigungsgrundes iSv. § 626 BGB erreichen müssten.

24

a) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG kann das Arbeitsverhältnis eines Wahlbewerbers in der Zeit von der Aufstellung des Wahlvorschlags bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses nur aus wichtigem Grund und zudem nur unter Einhaltung des besonderen Verfahrens nach § 103 BetrVG gekündigt werden. Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann das Arbeitsverhältnis des nicht gewählten Bewerbers bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses weiterhin nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

25

b) Die Regelungen schließen zugleich eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers im Zusammenhang mit einer Kündigung aus, die in dem geschützten Zeitraum erklärt wird. Stellt das Gericht fest, dass eine in diesem Zeitraum erklärte außerordentliche Kündigung unwirksam ist, steht die Möglichkeit, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beantragen, nach § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG ohnehin ausschließlich dem Arbeitnehmer zu. Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses lediglich im Zusammenhang mit einer unwirksamen ordentlichen Kündigung und auch insoweit nur beantragen, wenn die Kündigung nicht aus anderen Gründen als der Sozialwidrigkeit unwirksam ist (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 160/09 - Rn. 13; 28. August 2008 - 2 AZR 63/07 - Rn. 27, BAGE 127, 329). Das wiederum ist während des Bestehens des Sonderkündigungsschutzes wegen § 15 Abs. 1, Abs. 3 KSchG stets der Fall.

26

c) Hat der Arbeitgeber vor Eintritt des Sonderkündigungsschutzes eine - sozial nicht gerechtfertigte - ordentliche Kündigung erklärt und hierauf bezogen einen Auflösungsantrag gestellt und hat der Sonderkündigungsschutz im Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet, kommt eine - entsprechende - Anwendung von § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG, § 103 BetrVG nicht in Betracht. Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn der Sonderkündigungsschutz zu dem nach § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Auflösungszeitpunkt, also bei Ablauf der Kündigungsfrist - hier dem 31. Dezember 2009 -, schon bestand, bedarf keiner Entscheidung. Dafür gibt es im Streitfall keinen Anhaltspunkt. Zwar ist der genaue Zeitpunkt, zu dem der Wahlvorschlag für den Kläger aufgestellt war (zu den Voraussetzungen: vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 12 mwN), nicht festgestellt. Das Landesarbeitsgericht ist aber erkennbar davon ausgegangen, dass der Kläger erst im Jahre 2010 Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber erlangt hat. Etwas anderes hat auch keine der Parteien geltend gemacht.

27

aa) Soweit der Senat für einen Arbeitnehmer, der in den Personalrat gewählt worden war, entschieden hat, einem Auflösungsantrag, der auf einen nach der Wahl entstandenen Sachverhalt gestützt werde, könne nur stattgegeben werden, wenn dieser Sachverhalt geeignet sei, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben (BAG 7. Dezember 1972 - 2 AZR 235/72 - zu IX der Gründe, BAGE 24, 468; ebenso APS/Biebl 4. Aufl. § 9 KSchG Rn. 58; vHH/L/Linck 15. Aufl. § 9 Rn. 61; aA HaKo-KSchG/Fiebig 4. Aufl. § 9 Rn. 85; Hertzfeld NZA-RR 2012, 1), betraf dies - anders als hier - den Fall, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Auflösungsantrag noch Mandatsträger war. Auf eine solche Konstellation bezieht sich auch die im Schrifttum für den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes vertretene Auffassung, dass außerdem der Betriebsrat der Auflösung zugestimmt haben müsse, da andernfalls § 103 BetrVG umgangen werde(ErfK/Kiel 13. Aufl. § 9 KSchG Rn. 18; KR/Spilger 10. Aufl. § 9 KSchG Rn. 62; SES/Schwarze KSchG § 9 Rn. 64).

28

bb) Im Streitfall konnte eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Umgehung von § 15 Abs. 3 KSchG und § 103 BetrVG führen. Es bedurfte daher weder eines Sachverhalts, der zugleich geeignet gewesen wäre, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben, noch einer Zustimmung des Betriebsrats. Dies gilt auch, soweit der Auflösungsantrag auf während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte gestützt wird.

29

(1) Der besondere Kündigungsschutz des § 15 KSchG soll die Unabhängigkeit von Funktionsträgern gewährleisten. Er soll sicherstellen, dass sie ihre betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben ohne Furcht vor Repressalien seitens des Arbeitgebers ausführen können. Darüber hinaus dient er der Kontinuität der Arbeit der jeweiligen Arbeitnehmervertretung (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 13; KR/Etzel 10. Aufl. § 15 KSchG Rn. 9, 10; vHH/L/v. Hoyningen-Huene 15. Aufl. § 15 Rn. 1). In diesem Zusammenhang soll § 15 Abs. 3 KSchG die Durchführung der Wahl erleichtern. Insbesondere sollen Arbeitgeber daran gehindert werden, nicht genehme Arbeitnehmer von der Wahl auszuschließen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 13; 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 22). Die - zeitlich befristete - Ausdehnung des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG über den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergebnisses hinaus soll die „Abkühlung“ eventuell während der Wahl aufgetretener Kontroversen ermöglichen(BT-Drucks. VI/1786 S. 60).

30

(2) Hier hatte der Sonderkündigungsschutz des Klägers bei Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet. Er hatte zudem zum Zeitpunkt des möglichen Auflösungstermins noch nicht bestanden. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses konnte daher weder die Tätigkeit des Klägers als Wahlbewerber noch die Kontinuität des betriebsverfassungsrechtlichen Organs beeinträchtigen.

31

(3) Der von § 15 Abs. 3 KSchG bezweckte Schutz der Unabhängigkeit des Wahlbewerbers verlangt in Fällen wie dem vorliegenden auch nicht danach, während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte entweder gar nicht oder nur dann als Auflösungsgrund zu berücksichtigen, wenn sie geeignet wären, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB abzugeben.

32

(a) Der Amts- bzw. Funktionsträger iSd. § 15 KSchG ist außerhalb des Schutzzeitraums in kündigungsschutzrechtlicher Hinsicht jedem anderen Arbeitnehmer ohne betriebsverfassungsrechtliches Mandat gleichgestellt. Nach Ablauf des Nachwirkungszeitraums kann eine ordentliche Kündigung deshalb auch auf solche Pflichtverletzungen gestützt werden, die der Arbeitnehmer während der Schutzfrist begangen hat. Das gilt uneingeschränkt jedenfalls für Handlungen, die in keinem Zusammenhang zur Wahlbewerbung stehen (vgl. BAG 13. Juni 1996 - 2 AZR 431/95 - zu II 1 e der Gründe). Für die Heranziehung entsprechender Sachverhalte als Auflösungsgrund kann nichts anderes gelten.

33

(b) Stehen die behaupteten Tatsachen, die die Auflösung begründen sollen, mit der Kandidatur in Verbindung, ist der Arbeitnehmer hinreichend geschützt, wenn dieser Aspekt bei der materiellen Bewertung des geltend gemachten Auflösungsgrundes angemessen Berücksichtigung findet. Wirkt sich der fragliche Umstand etwa - wie bei der Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten des Wahlbewerbers - ausschließlich im kollektiven Bereich aus, liegt von vornherein kein tragfähiger Auflösungsgrund iSd. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Im anderen Fall muss berücksichtigt werden, dass Arbeitnehmer durch die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Funktionen leichter mit ihren arbeitsvertraglichen Pflichten in Konflikt geraten können. Es bedarf deshalb im Rahmen von § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG einer genauen Prüfung, welche Bedeutung das im geschützten Zeitraum eingetretene Ereignis nach dem Auslaufen des Sonderkündigungsschutzes für die zukünftige gedeihliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien tatsächlich hat.

34

2. Auch ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen durfte das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen nicht annehmen, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei nicht mehr zu erwarten. Das gilt unabhängig von der Frage, ob das Gericht in Anbetracht der zum 31. März 2010 erklärten ordentlichen Kündigungen vom 28. Dezember 2009 und weiterer, dem Kläger nach dem in Rede stehenden Auflösungstermin zugegangener Kündigungen vom richtigen Prognosezeitraum ausgegangen ist.

35

a) Als Auflösungsgrund grundsätzlich geeignet sind Beleidigungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen. Auch bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen können - etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen - die Rechte eines Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen und eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit in Frage stellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Der Arbeitnehmer kann sich dafür nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Falsche Tatsachenbehauptungen sind nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst(BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Äußerungen, die ein Werturteil enthalten, fallen hingegen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). In diesem Fall ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegen die betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers abzuwägen und mit diesen in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen. Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Meinungsäußerungen, die auf einer gesicherten Tatsachenbasis beruhen, hat der Arbeitgeber eher hinzunehmen, als solche, bei denen sich der Arbeitnehmer auf unzutreffende Tatsachen stützt.

36

b) Arbeitnehmer dürfen unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich ggf. auch überspitzt oder polemisch äußern (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Die Meinungsfreiheit muss jedoch regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Das gilt auch bei der Teilnahme an einer Betriebsratswahl. Der Arbeitgeber muss nicht deshalb Beleidigungen oder Schmähungen hinnehmen, weil ein Arbeitnehmer damit Stimmen für seine Kandidatur gewinnen will (ähnlich BAG 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98 - zu II 3 b der Gründe). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, aaO; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

37

c) Soweit in einem laufenden Gerichtsverfahren - etwa im Kündigungsschutzprozess - Erklärungen abgegeben werden, ist zu berücksichtigen, dass diese durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12). Parteien dürfen zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Dies gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Parteien dürfen nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - aaO mwN).

38

d) Gemessen daran trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit dem Wahlaufruf unzutreffende Behauptungen im Betrieb verbreitet, welche das „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ der Beklagten verletzten. Er habe damit seine gegenüber der Beklagten bestehenden Pflichten zur Rücksichtnahme in einem Umfang verletzt, der eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwarten lasse. Bei dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt.

40

(1) Für die Frage, ob und in welcher Weise in Fällen wie diesem die betroffenen Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind, ist maßgebend, ob die fragliche Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist. Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert. Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich entscheidend nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (zum Ganzen: BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18).

41

(2) Danach handelt es sich bei der im Wahlaufruf - sinngemäß - enthaltenen Aussage, die Beklagte betreibe „Mobbing“, indem sie auf der Grundlage erfundener Sachverhalte willkürliche Abmahnungen und Kündigungen ausspreche, nicht um eine unwahre Tatsachenbehauptung. Die Vorwürfe des „Mobbings“ und der „Willkür“ als solche sind erkennbar das Ergebnis einer wertenden Betrachtung. Der Hinweis, die Beklagte spreche Abmahnungen und Kündigungen „auf der Basis erfundener Sachverhalte“ aus, stellt keine - isolierte - Tatsachenbehauptung dar. Die Äußerung bildet lediglich die tatsächliche Grundlage für das Werturteil und ist daher mit der Meinungsäußerung untrennbar verbunden. Die im Wahlaufruf enthaltenen Äußerungen fallen damit sämtlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG und hätten mit den ggf. betroffenen Grundrechten der Beklagten - insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG(vgl. BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25 mwN) - in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden müssen. Dies hat das Landesarbeitsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - unterlassen.

42

(3) Die Meinungsfreiheit des Klägers muss nicht deshalb zurücktreten, weil die Inhalte des Wahlaufrufs als bloße Diffamierung anzusehen wären. Bei den Äußerungen stand nicht eine Schmähung oder Beleidigung der Beklagten oder ihrer Repräsentanten, sondern die - wenngleich überspitzte und polemische - Darstellung der betrieblichen Verhältnisse zum Zwecke des laufenden Betriebsratswahlkampfs im Vordergrund. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil der Kläger nach dem Ende des Wahlkampfs an seinen Äußerungen festgehalten hat. Damit hat er - anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht seine Meinungsäußerung in der Betriebsöffentlichkeit aufrechterhalten, sondern im Rahmen des Rechtsstreits seinen Standpunkt - bezogen auf ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten - verteidigt und damit berechtigte eigene Interessen wahrgenommen.

43

bb) Auch die Berücksichtigung der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als Auflösungsgrund ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat den vorgetragenen Sachverhalt nicht vollständig gewürdigt. Es hat die - unstreitige - Tatsache, dass der Kläger seine Versicherung bereits wenige Tage später korrigierte, nicht in seine Erwägungen einbezogen. Hätte es diesen Umstand berücksichtigt, hätte es nicht ohne Weiteres annehmen können, der Kläger werde es auch in Zukunft „mit der Wahrheit nicht so genau nehmen“.

44

cc) Soweit das Landesarbeitsgericht einen Auflösungsgrund in der mangelnden Bereitschaft des Klägers erblickt hat zu akzeptieren, dass die Beklagte ihm am 13. Mai 2009 eine - wie durch rechtskräftiges Urteil bestätigt - rechtmäßige Weisung erteilt habe, ist nicht erkennbar, von welchen Tatsachen es dabei ausgegangen ist. Dass der Kläger die entsprechende Weisung auch nach Abschluss des wegen der Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte geführten Rechtsstreits nicht befolgt hätte, hat es nicht festgestellt. Aus einem möglichen Fehlen der inneren Akzeptanz auf Seiten des Klägers ergeben sich - soweit ersichtlich - keine negativen Auswirkungen für die weitere Zusammenarbeit.

45

dd) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei deshalb nicht zu erwarten, weil sich der Kläger selbst durch Terminverlegungsanträge des Prozessbevollmächtigten der Beklagten angegriffen fühle und dieser unterstelle, sie dienten nur dazu, ihn auf unzulässige Weise unter Druck zu setzen und ihn existenziell zu ruinieren, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das gilt gleichermaßen für die Annahme, der Kläger sei, wie der wiederholte Vorwurf des „Mobbings“ zeige, nicht in der Lage, „das Handeln des Arbeitgebers in einem auch nur halbwegs objektiven Licht zu sehen“. Das Landesarbeitsgericht hat außer Acht gelassen, dass die Äußerungen im Rahmen eines kontrovers geführten Rechtsstreits gefallen sind. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war dem Kläger auch die Behauptung möglicherweise ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht darauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 29). Das war hier der Fall. Der Kläger wollte auf diese Weise ersichtlich nur seine subjektive Wahrnehmung schildern, um seiner Rechtsauffassung besonderen Nachdruck zu verleihen.

46

III. Ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest. Es fehlt an den erforderlichen Feststellungen. Die Sache war deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

47

1. Das Landesarbeitsgericht hat hinsichtlich der Äußerungen im Wahlaufruf keine Abwägung zwischen dem Grundrecht des Klägers auf freie Meinungsäußerung und betroffenen Grundrechten der Beklagten oder ihrer Repräsentanten vorgenommen. Dies hat es nachzuholen. Dabei wird es genau prüfen müssen, in welchen eigenen Rechtspositionen sich die Beklagte als verletzt sieht und ob diese grundrechtlichen Schutz genießen (vgl. dazu BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25). Bei dieser Abwägung wird auch der Wahrheitsgehalt der Tatsachen zu ermitteln sein, die der Meinungsäußerung nach dem Vorbringen des Klägers zugrunde liegen. Dabei sind - anders als das Landesarbeitsgericht bislang angenommen hat - nicht nur ganze „Sachverhaltskomplexe“ zu berücksichtigen. Auch wenn sich - ggf. nach einer Beweisaufnahme - nur einzelne Tatsachen als unzutreffend herausstellen sollten, auf die die Beklagte Abmahnungen und/oder Kündigungen gestützt hat, wäre dies im Rahmen der Gesamtabwägung zugunsten des Klägers zu gewichten.

48

2. Für die Würdigung, ob die Äußerungen im Wahlaufruf geeignet sind, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen, wird das Landesarbeitsgericht zudem zu prüfen haben, ob die Gefahr einer Wiederholung besteht. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist eine solche nicht erkennbar. Die Betriebsratswahl ist abgeschlossen, der Kläger hat die Funktion des Wahlbewerbers nicht mehr inne. Dass künftig dennoch mit gleichen oder ähnlichen Meinungsäußerungen zu rechnen ist, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

49

3. Sollte das Landesarbeitsgericht in der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung auch unter Berücksichtigung ihrer nachträglichen Korrektur weiterhin einen möglichen Auflösungsgrund sehen, wird es noch festzustellen haben, ob dem Kläger insoweit Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist. Diese Unterscheidung ist entscheidungserheblich. Fahrlässigkeit wird die Beklagte in diesem Zusammenhang eher hinzunehmen haben als Vorsatz.

50

4. Gelangt das Landesarbeitsgericht - ggf. unter Einbeziehung weiteren Sachvortrags der Beklagten - erneut zu dem Ergebnis, es lägen „an sich“ geeignete Auflösungsgründe vor, wird es zu prüfen haben, von welchem Prognosezeitraum auszugehen ist. Zwar steht - soweit ersichtlich - nicht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund einer der weiteren Kündigungen der Beklagten nach dem 31. Dezember 2009 geendet hat. Darauf kommt es aber nicht an. Ist der Eintritt einer anderweitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwar möglich, steht er aber nicht mit Gewissheit fest, muss das zur Entscheidung über den Auflösungsantrag berufene Gericht ggf. eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Eintritts treffen und daran die Prüfung nach § 9 KSchG ausrichten(vgl. BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 241/12 - Rn. 18; 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 29, BAGE 118, 95). Stellt sich heraus, dass das Arbeitsverhältnis aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Termin der mündlichen Verhandlung geendet hätte, sind bei der nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorzunehmenden Gesamtabwägung auch nur die Auflösungstatsachen zu berücksichtigen, die im maßgebenden Beurteilungszeitraum eingetreten sind.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Wolf    

        

    Torsten Falke    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. August 2009 - 16 Sa 1644/08 - aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 3. September 2008 - 1 Ca 1700/07 - zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revision noch über einen Auflösungsantrag der beklagten Arbeitgeberin.

2

Der 1949 geborene, verheiratete Kläger ist seit 1971 bei der Beklagten, zuletzt als kaufmännischer Leiter, gegen ein monatliches Bruttogehalt von 6.410,37 Euro beschäftigt. Als Minderheitsgesellschafter hält er 24 vH der Geschäftsanteile der Beklagten.

3

Die Beklagte befasst sich vornehmlich mit der Planung und Herstellung verkehrstechnischer Anlagen. An ihrem Sitz in D beschäftigt sie regelmäßig etwa 120 Arbeitnehmer. Mehrheitsgesellschafter mit 76 vH der Geschäftsanteile und zugleich alleiniger Geschäftsführer der Beklagten war ursprünglich der ältere Bruder des Klägers R. Im November 2005 wurde der jüngere Bruder K zum weiteren Geschäftsführer bestellt. Der Kläger, dem gleichfalls die Bestellung zum - dritten - Geschäftsführer angetragen worden war, hatte eine gemeinsame Geschäftsführung mit seinem Bruder K ausdrücklich abgelehnt. Nach dem Tod von R im Oktober 2006 rückte dessen Witwe als Erbin in die Stellung der Mehrheitsgesellschafterin ein. Die Geschäfte der Beklagten führte fortan der jüngere Bruder des Klägers alleine.

4

Bereits im Oktober 1990 hatten der Kläger und sein Bruder R eine weitere GmbH mit Sitz in G gegründet, deren Geschäftsgegenstand mit dem der Beklagten identisch ist. Im November 2002 trat R seine Geschäftsanteile an den Kläger ab. Der Sitz dieser Gesellschaft wurde anschließend - bei gleichzeitiger Umfirmierung - nach D verlegt.

5

Beginnend ab Oktober 2005 rügte die Beklagte eine Reihe von Pflichtverletzungen des Klägers. Unter anderem warf sie ihm vor, er betreibe mit dem anderen Unternehmen Konkurrenztätigkeit und nutze einen Teil seiner regulären Arbeitszeit sowie ihre Betriebsmittel für jenes Unternehmen. Darüber hinaus hielt sie ihm vor, den Vertrag über die Stromversorgung für eine Kirmesveranstaltung - den „W“ - eigenmächtig gekündigt zu haben. Eine ordnungsgemäße Abrechnung des Projekts sei nicht erfolgt. Der Kläger bestritt dies.

6

Im Juni 2007 machte der Kläger in seiner Eigenschaft als Gesellschafter der Beklagten Auskunfts- und Einsichtsrechte nach § 51a GmbHG geltend. Im August 2007 stellte ihn die Beklagte von der Erbringung seiner Arbeitsleistung frei. Im September 2007 beantragte er, eine Gesellschafterversammlung zu den Tagesordnungspunkten „Abberufung des Geschäftsführers“ der Beklagten und Kündigung von dessen Anstellungsvertrag einzuberufen. Zur Begründung führte er an, der Geschäftsführer - K - habe kurz nach dem Tod von R zulasten der Beklagten die Zahlung eines Betrags von 53.000,00 Euro als Tantieme an sich selbst veranlasst. Ein Rechtsgrund hierfür habe nicht bestanden.

7

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2008. Dagegen erhob der Kläger - fristgerecht - Kündigungsschutzklage.

8

Ende Oktober 2007 lehnte die Gesellschafterversammlung die Anträge des Klägers auf Abberufung des Geschäftsführers und Kündigung des Anstellungsvertrags ab. Die hiergegen erhobene Nichtigkeitsklage wies das Landgericht D mit Urteil vom 10. April 2008 ab. Eine Entscheidung über eine dagegen gerichtete Berufung des Klägers lag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht vor.

9

Mit seiner Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte hat beantragt, die Kündigungsschutzklage abzuweisen, hilfsweise

        

das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

10

Sie hat die Auffassung vertreten, dem Auflösungsantrag sei ohne Weiteres stattzugeben, da der Kläger leitender Angestellter sei. Er habe selbständig Arbeitnehmer eingestellt und entlassen. Unabhängig davon lägen Gründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Ihr Geschäftsführer K und der Kläger kommunizierten schon seit längerer Zeit nur noch schriftlich miteinander. Im Kündigungsrechtsstreit habe der Kläger dem Geschäftsführer ohne jegliche Substanz „Mobbing-Attacken“ gegenüber ehemaligen Mitarbeitern und gegenüber seiner - des Klägers - kurzzeitig im Betrieb mitarbeitenden Tochter vorgeworfen. Außerdem habe er sich hartnäckig geweigert, Unstimmigkeiten bei der Abrechnung des Projekts „W“ aufzuklären. In einem weiteren Rechtsstreit, mit dem er Zahlungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend mache, habe er sie - die Beklagte - zu Unrecht der Verleumdung bezichtigt. Außerdem sei durch das Vorgehen des Klägers im parallel geführten Zivilprozess um die Abberufung ihres Geschäftsführers das Vertrauensverhältnis restlos zerstört. Der Kläger habe seinen Antrag auf den vollkommen haltlosen Vorwurf gestützt, K habe mit der Tantiemezahlung im Jahr 2006 eine - strafbare - Untreuehandlung zu ihrem Nachteil begangen.

11

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen. Es fehle an einer hinreichenden Begründung des Antrags, die auch nicht entbehrlich sei. Für die Spannungen zwischen ihm und seinem Bruder K sei er nicht verantwortlich. Schon vor längerer Zeit habe sein Bruder veranlasst, eine Verbindungstür zwischen ihren beiden Büros zu verschließen und sei dazu übergegangen, ihm Anweisungen nur noch schriftlich zu erteilen. Im Jahr 2007 habe er ihm grundlos Einsicht in betriebswirtschaftliche Auswertungen verweigert. Mit seinem Vorgehen im Zivilprozess habe er lediglich ihm zustehende Rechte als Gesellschafter wahrgenommen.

12

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und auf den Antrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von 115.380,00 Euro zum 30. Juni 2008 aufgelöst. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht nur für den Kläger zugelassenen Revision begehrt dieser weiterhin, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist begründet. Mit der bisherigen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag nicht stattgeben. Dies führt, da der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend beurteilen kann, ob Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorliegen, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht(§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

I. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass der Kläger trotz seiner Stellung als Gesellschafter der Beklagten Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes ist. Dafür spricht im Übrigen, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als kaufmännischer Leiter dem Weisungsrecht des Geschäftsführers der Beklagten aus § 106 Satz 1 GewO unterstand(vgl. BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/97 - zu I 2 a der Gründe, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 95 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 68). Er verfügte mit einem Geschäfts- und dementsprechenden Stimmrechtsanteil von 24 vH auch nicht über eine sog. Sperrminorität, aufgrund derer er als Kapitaleigner auf die Geschäftsführung hätte bestimmenden Einfluss nehmen können (vgl. BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/07 - aaO).

15

II. Der Auflösungsantrag der Beklagten bedurfte nach § 9 KSchG der Begründung. Der Kläger ist kein leitender Angestellter iSv. § 14 Abs. 2 KSchG.

16

1. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG ist § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Angestellte, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Auflösungsantrag des Arbeitgebers keiner Begründung bedarf. Dabei muss die Befugnis zur eigenverantwortlichen Einstellung oder Entlassung ebenso wie bei den leitenden Angestellten iSv. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG eine bedeutende Anzahl von Arbeitnehmern erfassen. Ein nur eng umgrenzter Personenkreis genügt nicht (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu D II 1 der Gründe mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 123 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122). Die Personalkompetenz muss einen wesentlichen Teil der Tätigkeit des Angestellten ausmachen (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - aaO, mwN).

17

2. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar hat der Kläger, jedenfalls bis zum Tod von R, in Einzelfällen Personalgespräche geführt, schriftliche Arbeitsverträge unterzeichnet und Arbeitnehmer der Beklagten entlassen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lag allerdings das Letztentscheidungsrecht über die Durchführung dieser Maßnahmen bei dem früheren Geschäftsführer der Beklagten. Eine iSv. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG hinreichende Personalkompetenz ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger - wie von der Beklagten geltend gemacht - seine eigenen Kinder ohne Absprache mit der Geschäftsführung eingestellt haben mag.

18

III. Ob für die Beklagte Auflösungsgründe iSv. § 9 KSchG vorliegen, steht noch nicht fest.

19

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach - wie im Streitfall - erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

20

a) Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Deshalb sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 58; 23. Juni 2005 - 2 AZR 256/04 - zu II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 52). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (BAG 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 14 mwN, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57). Von diesem Standpunkt aus ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 43, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163).

21

b) Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 15, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57; 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45). In diesem Sinne als Auflösungsgrund geeignet sind etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn.11 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60).

22

c) Zu berücksichtigen ist aber auch, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren - etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst - durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60). Darüber hinaus ist mit Blick auf eine prozessuale Auseinandersetzung zu berücksichtigen, dass Parteien zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe, NJW 1991, 2074). Anerkannt ist, dass ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Auch dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - aaO; BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 58).

23

2. Daran gemessen trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.

24

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe die Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit der Parteien durch sein Vorgehen in dem parallel geführten Zivilprozess zerstört. Zur Begründung seines Abberufungsantrags habe er dem Geschäftsführer der Beklagten eine „strafbare Untreuehandlung“ zu deren Nachteil vorgeworfen. Damit habe er „über das Ziel hinausgeschossen“. Die Äußerung sei ehrverletzend. Der Kläger hätte bei der Verfolgung seiner Rechte als Gesellschafter Rücksicht auf das ebenfalls bestehende Arbeitverhältnis nehmen und das nötige Augenmaß aufbringen müssen. Stattdessen habe er trotz der wohlbegründeten, seine Klage abweisenden Entscheidung seinen Antrag weiter verfolgt, was geeignet gewesen sei, die Spannungen zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Beklagten weiter zu verschärfen.

25

b) Diese Würdigung hält einer Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil es an tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts fehlt, die den Schluss zuließen, der Vorwurf einer „strafbaren Untreuehandlung“ sei ehrverletzend.

26

Der in Rede stehende Vorwurf, dessen Schwerpunkt ersichtlich auf einer Tatsachenbehauptung liegt, kann zwar grundsätzlich bei Nichterweislichkeit seiner Wahrheit als ehrverletzend angesehen werden. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht die Behauptung nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Es hat sich nicht mit den Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Zivilprozess befasst, hierzu auch gar keine Feststellungen getroffen. Es hat sich vielmehr mit dem Hinweis begnügt, das Vorgehen des Geschäftsführers - nämlich die Auszahlung der Tantieme ohne zugrundeliegenden Gesellschafterbeschluss - bedeute „nicht gleich“, dass er eine Straftat begangen habe und auch nicht, dass er für die Beklagte untragbar geworden sei. Diese Ausführungen haben im Hinblick auf die Berechtigung der Behauptungen des Klägers keinen Aussagewert. Darüber hinaus bleibt auch die Stoßrichtung des „Vorwurfs einer strafbaren Untreuehandlung“ unklar. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe damit den Geschäftsführer der Beklagten einer Straftat bezichtigt. Denkbar erscheint aber auch, dass der Kläger lediglich darauf abheben wollte, das Verhalten erfülle objektiv die Voraussetzungen des Untreuetatbestands (§ 266 Abs. 1 StGB). Das stünde jedenfalls im Einklang mit der Darstellung des (streitigen) Klägervortrags im Tatbestand des zwischenzeitlich im Zivilprozess ergangenen und von der Beklagten in das Revisionsverfahren eingeführten Berufungsurteils. Danach hat der Kläger bezogen auf die Tantiemezahlung vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe seine Pflichten als Geschäftsführer objektiv grob verletzt und den objektiven Tatbestand einer Untreue verwirklicht.

27

Sollte die Anschuldigung des Klägers zutreffen, brauchte er sich nicht damit zu begnügen, das Verhalten des Geschäftsführers allgemein als „erhebliche Pflichtverletzung“ darzustellen. Er durfte seine Auffassung zu deren Qualität auch dadurch zum Ausdruck bringen, dass er die Tantiemezahlung - zumal innerprozessual im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung - unter strafrechtlichen Aspekten würdigte.

28

c) Selbst unterstellt, der Kläger hätte den Geschäftsführer objektiv wahrheitswidrig bezichtigt, sich einer Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB)zum Nachteil der Beklagten schuldig gemacht zu haben, läge darin kein Auflösungsgrund. Die gegenteilige Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt nicht ausreichend, dass das Vorgehen des Klägers im Zivilprozess durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB gedeckt war. Jedenfalls hat die für das Vorliegen von Auflösungsgründen darlegungs- und beweispflichtige Beklagte keine Umstände dargetan, die den vom Kläger ausdrücklich geltend gemachten Rechtfertigungsgrund ausschlössen.

29

aa) Der Kläger hat in dem parallel geführten Zivilverfahren vorrangig eigene Rechte als Mitgesellschafter der Beklagten wahrgenommen. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war ihm grundsätzlich auch die Behauptung ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht hierauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe, NJW 1991, 2074). Letzteres war hier der Fall. Der Kläger wollte mit dem „Vorwurf einer strafbaren Untreuehandlung“ ersichtlich die Schwere der angeführten Pflichtverletzung des Geschäftsführers verdeutlichen.

30

bb) Allerdings könnte sich der Kläger dann nicht auf eine Rechtfertigung seines Vorgehens unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen, wenn die Unhaltbarkeit des Vorwurfs auf der Hand gelegen hätte oder er selbst nicht von der Richtigkeit seiner Behauptungen überzeugt gewesen wäre (Fischer StGB 58. Aufl. § 193 Rn. 19, 28 mwN). Dafür bietet indes das Vorbringen der Beklagten - auch unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts D vom 10. April 2008, auf das sich die Beklagte zur Darlegung eines überzogenen Vorgehens des Klägers gegen ihren Geschäftsführer maßgeblich stützt - keinen genügenden Anknüpfungspunkt.

31

(1) Das Landgericht hat in seinem Urteil ausdrücklich dahinstehen lassen, ob die umstrittene Tantiemezahlung - insbesondere im strafrechtlichen Sinne - als Untreuehandlung zu qualifizieren ist. Es ist davon ausgegangen, auch unabhängig von einer etwaigen Strafbarkeit habe der Geschäftsführer seine ihm gegenüber der Beklagten obliegenden Pflichten erheblich verletzt, indem er es versäumt habe, eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung über die Tantiemezahlung herbeizuführen. Seine Auffassung, trotz der Schwere der Pflichtverletzung seien die beantragte Abberufung des Geschäftsführers und die Kündigung des Anstellungsvertrags nicht gerechtfertigt, hat es im Wesentlichen auf die - aus seiner Sicht nicht substantiiert bestrittene - Behauptung der Beklagten gestützt, der frühere Mehrheitsgesellschafter R habe dem jetzigen Geschäftsführer noch zu Lebzeiten die Tantieme zugesagt. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um ein reines Familienunternehmen handele und weitere Umstände, die eine Untragbarkeit oder Ungeeignetheit des Geschäftsführers begründen könnten, nicht ersichtlich seien.

32

(2) Lag aber nach gesellschaftsrechtlichen Maßstäben eine erhebliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers mit finanziell nachteiligen Wirkungen für die Beklagte vor, kann nicht davon die Rede sein, der Kläger habe den Vorwurf einer strafrechtlich relevanten Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht seines Bruders quasi „aus der Luft gegriffen“ und ohne jeden berechtigten Anlass erhoben. Ein anders Bild ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht aus dem im Zivilprozess zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts H vom 7. Juli 2009, mit dem dieses die Berufung des Klägers gegen das landgerichtliche Urteil zurückgewiesen hat. Auch das Oberlandesgericht hat ausweislich der Gründe seiner Entscheidung angenommen, der Geschäftsführer der Beklagten habe - jedenfalls was eine Tantiemezahlung in Höhe von 50.000,00 Euro anbelange - gegen seine Geschäftsführerpflichten verstoßen. Soweit es gleichwohl davon ausgegangen ist, die Pflichtverletzung erreiche nicht das für eine Abberufung und Kündigung des Anstellungsvertrags erforderliche Gewicht, hat es dies - nach Beweisaufnahme - ua. damit begründet, dass dem Geschäftsführer die Tantieme durch den früheren Mehrheitsgesellschafter R noch zu dessen Lebzeiten zugesagt worden sei. Die Durchführung einer Beweisaufnahme im Berufungsverfahren spricht aber deutlich dafür, dass der Vortrag des Klägers zum Gewicht der festgestellten Pflichtverletzung schlüssig war, mag auch aus Sicht der Zivilgerichte die strafrechtliche Würdigung des Geschehens für die gesellschaftsrechtliche Bewertung der Pflichtverletzung nicht entscheidend gewesen sein. Die Beklagte hat im Hinblick auf ihren Auflösungsantrag auch nicht etwa behauptet, der Kläger habe die Vereinbarungen zwischen seinen Brüdern positiv gekannt und dahingehenden Vortrag im Zivilrechtsstreit wider besseres Wissen bestritten.

33

cc) Der Kläger musste sich - anders als das Landesarbeitsgericht offenbar meint - auch nicht deshalb einer strafrechtlichen Bewertung des Geschehens um die Tantiemezahlung enthalten oder aber von der Durchführung des Berufungsverfahrens im Zivilprozess absehen, weil er zugleich Arbeitnehmer der Beklagten war. Es stand ihm frei, im Rahmen einer zulässigen Interessenwahrnehmung den Rechtsweg auszuschöpfen. Wollte man dies anders sehen, müsste der Arbeitnehmer von der Erhebung aus seiner Sicht berechtigter gesellschaftsrechtlicher Forderungen absehen, nur um keinen Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu setzen. Ein solcher Rechtsverzicht kann ihm schon nach dem Rechtsgedanken des Maßregelungsverbots (§ 612a BGB) nicht abverlangt werden (ähnlich BAG 9. Februar 1995 - 2 AZR 389/94 - zu II 6 der Gründe, EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 12). Der Schutz, den die gesetzlichen Kündigungsvorschriften - auch über § 9 KSchG - gewähren, ist auch nicht deshalb ein geringerer, weil der Arbeitnehmer zugleich Gesellschafter des Unternehmens ist.

34

dd) Die Beklagte hat auch keine konkreten Anhaltspunkte benannt, die den Schluss zuließen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung zusätzlich nachteilig belastet worden. Der Kläger hat seinen „Vorwurf einer strafbaren Untreuehandlung“ - soweit ersichtlich -, ausschließlich innerhalb der zuständigen Gremien und im anschließenden zivilgerichtlichen Verfahren angebracht und damit in der Tendenz gezeigt, dass er zwischen seiner Stellung als Arbeitnehmer der Beklagten und der eines Gesellschafters der Beklagten zu trennen weiß. Zudem kommunizierten er und der Geschäftsführer - unstreitig - bereits vor Einleitung des Kündigungsschutzprozesses nur noch schriftlich miteinander. Das mag, auch unter Berücksichtigung der herausgehobenen Stellung des Klägers als kaufmännischer Leiter, einer sachgerechten Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Geschäftsführer nicht zuträglich gewesen sein. Doch muss berücksichtigt werden, dass sich die Parteien grundsätzlich auf diese Situation eingestellt hatten. So hat der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger - unstreitig - mit Notiz vom 16. November 2006 mitgeteilt, er „akzeptiere dies“, womit er auf die aus seiner Sicht fehlende Bereitschaft seines Bruders abhob, in geschäftlichen Angelegenheiten ein persönliches Gespräch zu führen. Dass die Kommunikation der Parteien auf dieser „Kompromissebene“ durch das gesellschaftsrechtliche Vorgehen des Klägers zusätzlich erschwert wurde, kann nicht ohne Weiteres angenommen werden. Dagegen spricht auch die finanzielle Beteiligung des Klägers am Unternehmen der Beklagten und das ihm insoweit zu unterstellende Interesse an deren wirtschaftlichem Erfolg.

35

3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat sich auf weitere Umstände berufen, die aus ihrer Sicht einer den Betriebszwecken dienlichen Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. Ob diese ihr - entweder einzeln, oder aber in ihrer Gesamtschau - einen Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gaben, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, weil es an Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu dem jeweils zugrunde liegenden Sachverhalt fehlt. Dies bedingt die Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Th. Gans    

        

    Pitsch    

                 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. Juli 2011 - 9 Sa 1174/10 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts München vom 13. Juli 2010 - 14 Ca 17608/09 - als unbegründet zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Auflösungsantrag der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen im Bereich IT-Beratung und Systemintegration. Der Kläger ist bei ihr seit 2006 als Diplominformatiker/Softwareentwickler tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. In ihrem Betrieb besteht ein Betriebsrat.

3

Am 13. Mai 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, nachdem dieser die Teilnahme an einer Veranstaltung, die der Überprüfung seines Kenntnisstands in der Programmiersprache Java dienen sollte, verweigert hatte. Dagegen hat sich der Kläger - erfolglos - mit einer in einem Vorprozess erhobenen Klage gewandt.

4

Am 2. November 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers wegen Arbeitsverweigerung und Schlechterfüllung seiner Arbeitspflicht an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung. Mit Schreiben vom 12. November 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich verhaltensbedingt zum 31. Dezember 2009.

5

Am 2. Dezember 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, weil ein am 20. November 2009 übergebenes Programmierergebnis trotz Nachbearbeitung zahlreiche Fehler aufgewiesen habe. Am 11. Dezember 2009 erteilte sie ihm eine weitere Abmahnung wegen Nichtbefolgung von Arbeitsanweisungen.

6

Am 7. Dezember 2009 hörte sie den Kläger zum dringenden Verdacht des Arbeitszeitbetrugs an, nachdem dieser für den 4. Dezember 2009 unterschiedliche Angaben zu seinen Arbeitszeiten gemacht hatte.

7

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats wegen Schlechtleistung außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010. Gleichzeitig stellte sie den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Mit zwei Schreiben vom 28. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - ebenfalls nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats - wegen Schlechtleistung und Arbeitszeitbetrugs außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010.

8

Am 1. Februar 2010 reichte der Kläger beim Arbeitsgericht München einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte ein. Dem Gesuch, mit dem er die vorläufige Zahlung von Arbeitsentgelt begehrte, fügte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung bei. Dort heißt es:

        

„Seit 12.11.2009 werde ich mit insgesamt 7 (!) Arbeitgeberkündigungen bombardiert, denen der Betriebsrat jeweils widersprochen hat, soweit er angehört wurde.“

9

Im Termin übergab der Kläger eine weitere eidesstattliche Versicherung. Darin berichtigte er seine früheren Angaben dahingehend, dass der Betriebsrat den Kündigungen vom 28. Dezember 2009 nicht widersprochen habe.

10

Mit Schreiben vom 15. Februar 2010 und vom 26. Februar 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos, hilfsweise ordentlich. Unter dem 22. März 2010 kündigte sie ein weiteres Mal fristlos.

11

Der Kläger bewarb sich als Kandidat für die Betriebsratswahl am 23. April 2010. Zusammen mit den übrigen Bewerbern seiner Liste verfasste und veröffentlichte er einen Wahlaufruf folgenden Inhalts:

        

„Wir danken

        

zunächst allen, die es uns mit ihrer Unterschrift möglich gemacht haben, zu dieser Wahl anzutreten. Lange war nicht klar, ob wir die nötige Zahl an Stützunterschriften zusammenbekommen würden, weil die Geschäftsführung versucht hat, uns mit Hausverboten am Sammeln der Unterschriften zu hindern und viele angesprochene Kolleginnen und Kollegen aus Angst vor persönlichen Nachteilen nicht unterschreiben wollten.

        

…       

        

Wir fordern,

        

dass die Einschüchterungen unverzüglich aufhören.

        

…       

        

Die Mobbing-Praxis, mit Hilfe von erfundenen Sachverhalten, willkürlichen Abmahnungen, und mit deren Hilfe ebensolche Kündigungen vorzubereiten und auszusprechen, muss endlich ein Ende finden! Bei der Neuorganisation des Bereichs T wurde mehrfach so vorgegangen, das ist völlig inakzeptabel! Wer sich weigert, einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben, wird nach dem Prinzip ‚Wer nicht hört, muss fühlen‘ bestraft.

        

…       

        

Wir fordern deshalb,

        

…       

        

Schluss mit der Demütigung von Mitarbeiter/innen durch vertragsfremde Beschäftigung und untergeordnete Hilfstätigkeiten!“

12

Das Ergebnis der Betriebsratswahl wurde am 29. April 2010 bekannt gegeben. Der Kläger wurde nicht in den Betriebsrat gewählt.

13

Gegen die im Jahr 2009 erklärten Kündigungen hat sich der Kläger mit seiner vorliegenden Klage gewandt. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise

das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, jedoch 7.667,00 Euro brutto nicht übersteigen sollte, zum 31. Dezember 2009 aufzulösen.

14

Die Beklagte hat zur Begründung ihres - sich auf die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009 beziehenden - Auflösungsantrags vorgebracht, aufgrund zahlreicher Pflichtverletzungen des Klägers sei eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien in Zukunft nicht mehr zu erwarten. Dessen falscher Vortrag im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und die unzutreffende eidesstattliche Versicherung stellten einen Versuch des Prozessbetrugs dar. Der Kläger habe die Unrichtigkeit seiner Angaben zumindest billigend in Kauf genommen und dadurch das in seine Integrität gesetzte Vertrauen erheblich erschüttert. Ein weiterer Auflösungsgrund liege in den betriebsöffentlichen Beleidigungen und unwahren Tatsachenbehauptungen, die in dem Aufruf zur Betriebsratswahl 2010 enthalten seien. Der Kläger habe sich von den Aussagen trotz entsprechender Aufforderung nicht distanziert. Er verfüge auch nicht über die für eine gedeihliche Zusammenarbeit notwendige kritische Rollendistanz. Er werfe ihr grundlos „Mobbing“ vor, sehe selbst in einem von ihr in zweiter Instanz - erfolgreich - angebrachten Antrag auf Fristverlängerung und Verlegung eines Kammertermins einen Angriff auf seine wirtschaftliche Existenz und akzeptiere nicht einmal Weisungen, deren Berechtigung - wie im Fall der Weisung, die der Abmahnung vom 13. Mai 2009 zugrunde gelegen habe - rechtskräftig festgestellt sei.

15

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen. Der Auflösung des Arbeitsverhältnisses stehe bereits sein Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber entgegen. Auch seien keine Auflösungsgründe gegeben. Er sei weiterhin bereit, sich voll und ganz für das Unternehmen und die Belegschaft einzusetzen. Dies komme insbesondere durch seine Kandidatur bei der Betriebsratswahl 2010 zum Ausdruck. Der in diesem Zusammenhang verfasste Wahlaufruf stelle die Personalpolitik der Beklagten lediglich pointiert und wahrheitsgetreu dar. Im einstweiligen Verfügungsverfahren habe er alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Unrichtigkeiten in seiner ursprünglichen eidesstattlichen Erklärung seien auf Missverständnisse zurückzuführen, die mit Sprachschwierigkeiten zusammenhingen.

16

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009, noch durch die fristlosen Kündigungen vom 18. und 28. Dezember 2009 aufgelöst worden ist. Zugleich hat es das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Dezember 2009 aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 20.051,46 Euro brutto verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, den Auflösungsantrag abzuweisen. Im Übrigen ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts rechtskräftig.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision des Klägers ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag der Beklagten nicht stattgeben. Das angefochtene Urteil war in diesem Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

18

I. Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). An die Auflösungsgründe sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen.

19

1. Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 21, jeweils mwN).

20

2. Die Begründetheit eines Auflösungsantrags ist grundsätzlich nach den Umständen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorlagen. Auf deren Grundlage ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem gemäß § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Zeitpunkt, jedoch vor Erlass des (Berufungs-)Urteils bereits geendet hat. In einem solchen Fall ist das Gericht zwar nicht an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gehindert. Für die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG anzustellende Zukunftsprognose ist aber nur der Zeitraum bis zum Eintritt der anderweitigen Beendigung zu berücksichtigen(BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22 ff.).

21

3. Die Würdigung, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt ist, obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht. Das Revisionsgericht kann aber nachprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Auflösungsantrag zutreffend erkannt und bei Prüfung der vorgetragenen Auflösungsgründe alle wesentlichen Umstände vollständig und widerspruchsfrei berücksichtigt und gewürdigt hat (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 43, BAGE 140, 47; 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 33).

22

II. Einer solchen Prüfung hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

23

1. Das Landesarbeitsgericht nimmt mit Recht an, die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger zwischenzeitlich besonderen Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG erlangt habe. Der Sonderkündigungsschutz führt, anders als die Revision meint, auch nicht dazu, dass Auflösungsgründe, die im geschützten Zeitraum entstanden sind, das Gewicht eines Kündigungsgrundes iSv. § 626 BGB erreichen müssten.

24

a) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG kann das Arbeitsverhältnis eines Wahlbewerbers in der Zeit von der Aufstellung des Wahlvorschlags bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses nur aus wichtigem Grund und zudem nur unter Einhaltung des besonderen Verfahrens nach § 103 BetrVG gekündigt werden. Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann das Arbeitsverhältnis des nicht gewählten Bewerbers bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses weiterhin nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

25

b) Die Regelungen schließen zugleich eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers im Zusammenhang mit einer Kündigung aus, die in dem geschützten Zeitraum erklärt wird. Stellt das Gericht fest, dass eine in diesem Zeitraum erklärte außerordentliche Kündigung unwirksam ist, steht die Möglichkeit, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beantragen, nach § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG ohnehin ausschließlich dem Arbeitnehmer zu. Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses lediglich im Zusammenhang mit einer unwirksamen ordentlichen Kündigung und auch insoweit nur beantragen, wenn die Kündigung nicht aus anderen Gründen als der Sozialwidrigkeit unwirksam ist (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 160/09 - Rn. 13; 28. August 2008 - 2 AZR 63/07 - Rn. 27, BAGE 127, 329). Das wiederum ist während des Bestehens des Sonderkündigungsschutzes wegen § 15 Abs. 1, Abs. 3 KSchG stets der Fall.

26

c) Hat der Arbeitgeber vor Eintritt des Sonderkündigungsschutzes eine - sozial nicht gerechtfertigte - ordentliche Kündigung erklärt und hierauf bezogen einen Auflösungsantrag gestellt und hat der Sonderkündigungsschutz im Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet, kommt eine - entsprechende - Anwendung von § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG, § 103 BetrVG nicht in Betracht. Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn der Sonderkündigungsschutz zu dem nach § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Auflösungszeitpunkt, also bei Ablauf der Kündigungsfrist - hier dem 31. Dezember 2009 -, schon bestand, bedarf keiner Entscheidung. Dafür gibt es im Streitfall keinen Anhaltspunkt. Zwar ist der genaue Zeitpunkt, zu dem der Wahlvorschlag für den Kläger aufgestellt war (zu den Voraussetzungen: vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 12 mwN), nicht festgestellt. Das Landesarbeitsgericht ist aber erkennbar davon ausgegangen, dass der Kläger erst im Jahre 2010 Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber erlangt hat. Etwas anderes hat auch keine der Parteien geltend gemacht.

27

aa) Soweit der Senat für einen Arbeitnehmer, der in den Personalrat gewählt worden war, entschieden hat, einem Auflösungsantrag, der auf einen nach der Wahl entstandenen Sachverhalt gestützt werde, könne nur stattgegeben werden, wenn dieser Sachverhalt geeignet sei, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben (BAG 7. Dezember 1972 - 2 AZR 235/72 - zu IX der Gründe, BAGE 24, 468; ebenso APS/Biebl 4. Aufl. § 9 KSchG Rn. 58; vHH/L/Linck 15. Aufl. § 9 Rn. 61; aA HaKo-KSchG/Fiebig 4. Aufl. § 9 Rn. 85; Hertzfeld NZA-RR 2012, 1), betraf dies - anders als hier - den Fall, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Auflösungsantrag noch Mandatsträger war. Auf eine solche Konstellation bezieht sich auch die im Schrifttum für den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes vertretene Auffassung, dass außerdem der Betriebsrat der Auflösung zugestimmt haben müsse, da andernfalls § 103 BetrVG umgangen werde(ErfK/Kiel 13. Aufl. § 9 KSchG Rn. 18; KR/Spilger 10. Aufl. § 9 KSchG Rn. 62; SES/Schwarze KSchG § 9 Rn. 64).

28

bb) Im Streitfall konnte eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Umgehung von § 15 Abs. 3 KSchG und § 103 BetrVG führen. Es bedurfte daher weder eines Sachverhalts, der zugleich geeignet gewesen wäre, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben, noch einer Zustimmung des Betriebsrats. Dies gilt auch, soweit der Auflösungsantrag auf während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte gestützt wird.

29

(1) Der besondere Kündigungsschutz des § 15 KSchG soll die Unabhängigkeit von Funktionsträgern gewährleisten. Er soll sicherstellen, dass sie ihre betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben ohne Furcht vor Repressalien seitens des Arbeitgebers ausführen können. Darüber hinaus dient er der Kontinuität der Arbeit der jeweiligen Arbeitnehmervertretung (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 13; KR/Etzel 10. Aufl. § 15 KSchG Rn. 9, 10; vHH/L/v. Hoyningen-Huene 15. Aufl. § 15 Rn. 1). In diesem Zusammenhang soll § 15 Abs. 3 KSchG die Durchführung der Wahl erleichtern. Insbesondere sollen Arbeitgeber daran gehindert werden, nicht genehme Arbeitnehmer von der Wahl auszuschließen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 13; 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 22). Die - zeitlich befristete - Ausdehnung des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG über den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergebnisses hinaus soll die „Abkühlung“ eventuell während der Wahl aufgetretener Kontroversen ermöglichen(BT-Drucks. VI/1786 S. 60).

30

(2) Hier hatte der Sonderkündigungsschutz des Klägers bei Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet. Er hatte zudem zum Zeitpunkt des möglichen Auflösungstermins noch nicht bestanden. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses konnte daher weder die Tätigkeit des Klägers als Wahlbewerber noch die Kontinuität des betriebsverfassungsrechtlichen Organs beeinträchtigen.

31

(3) Der von § 15 Abs. 3 KSchG bezweckte Schutz der Unabhängigkeit des Wahlbewerbers verlangt in Fällen wie dem vorliegenden auch nicht danach, während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte entweder gar nicht oder nur dann als Auflösungsgrund zu berücksichtigen, wenn sie geeignet wären, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB abzugeben.

32

(a) Der Amts- bzw. Funktionsträger iSd. § 15 KSchG ist außerhalb des Schutzzeitraums in kündigungsschutzrechtlicher Hinsicht jedem anderen Arbeitnehmer ohne betriebsverfassungsrechtliches Mandat gleichgestellt. Nach Ablauf des Nachwirkungszeitraums kann eine ordentliche Kündigung deshalb auch auf solche Pflichtverletzungen gestützt werden, die der Arbeitnehmer während der Schutzfrist begangen hat. Das gilt uneingeschränkt jedenfalls für Handlungen, die in keinem Zusammenhang zur Wahlbewerbung stehen (vgl. BAG 13. Juni 1996 - 2 AZR 431/95 - zu II 1 e der Gründe). Für die Heranziehung entsprechender Sachverhalte als Auflösungsgrund kann nichts anderes gelten.

33

(b) Stehen die behaupteten Tatsachen, die die Auflösung begründen sollen, mit der Kandidatur in Verbindung, ist der Arbeitnehmer hinreichend geschützt, wenn dieser Aspekt bei der materiellen Bewertung des geltend gemachten Auflösungsgrundes angemessen Berücksichtigung findet. Wirkt sich der fragliche Umstand etwa - wie bei der Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten des Wahlbewerbers - ausschließlich im kollektiven Bereich aus, liegt von vornherein kein tragfähiger Auflösungsgrund iSd. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Im anderen Fall muss berücksichtigt werden, dass Arbeitnehmer durch die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Funktionen leichter mit ihren arbeitsvertraglichen Pflichten in Konflikt geraten können. Es bedarf deshalb im Rahmen von § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG einer genauen Prüfung, welche Bedeutung das im geschützten Zeitraum eingetretene Ereignis nach dem Auslaufen des Sonderkündigungsschutzes für die zukünftige gedeihliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien tatsächlich hat.

34

2. Auch ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen durfte das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen nicht annehmen, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei nicht mehr zu erwarten. Das gilt unabhängig von der Frage, ob das Gericht in Anbetracht der zum 31. März 2010 erklärten ordentlichen Kündigungen vom 28. Dezember 2009 und weiterer, dem Kläger nach dem in Rede stehenden Auflösungstermin zugegangener Kündigungen vom richtigen Prognosezeitraum ausgegangen ist.

35

a) Als Auflösungsgrund grundsätzlich geeignet sind Beleidigungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen. Auch bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen können - etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen - die Rechte eines Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen und eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit in Frage stellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Der Arbeitnehmer kann sich dafür nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Falsche Tatsachenbehauptungen sind nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst(BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Äußerungen, die ein Werturteil enthalten, fallen hingegen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). In diesem Fall ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegen die betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers abzuwägen und mit diesen in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen. Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Meinungsäußerungen, die auf einer gesicherten Tatsachenbasis beruhen, hat der Arbeitgeber eher hinzunehmen, als solche, bei denen sich der Arbeitnehmer auf unzutreffende Tatsachen stützt.

36

b) Arbeitnehmer dürfen unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich ggf. auch überspitzt oder polemisch äußern (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Die Meinungsfreiheit muss jedoch regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Das gilt auch bei der Teilnahme an einer Betriebsratswahl. Der Arbeitgeber muss nicht deshalb Beleidigungen oder Schmähungen hinnehmen, weil ein Arbeitnehmer damit Stimmen für seine Kandidatur gewinnen will (ähnlich BAG 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98 - zu II 3 b der Gründe). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, aaO; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

37

c) Soweit in einem laufenden Gerichtsverfahren - etwa im Kündigungsschutzprozess - Erklärungen abgegeben werden, ist zu berücksichtigen, dass diese durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12). Parteien dürfen zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Dies gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Parteien dürfen nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - aaO mwN).

38

d) Gemessen daran trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit dem Wahlaufruf unzutreffende Behauptungen im Betrieb verbreitet, welche das „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ der Beklagten verletzten. Er habe damit seine gegenüber der Beklagten bestehenden Pflichten zur Rücksichtnahme in einem Umfang verletzt, der eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwarten lasse. Bei dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt.

40

(1) Für die Frage, ob und in welcher Weise in Fällen wie diesem die betroffenen Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind, ist maßgebend, ob die fragliche Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist. Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert. Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich entscheidend nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (zum Ganzen: BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18).

41

(2) Danach handelt es sich bei der im Wahlaufruf - sinngemäß - enthaltenen Aussage, die Beklagte betreibe „Mobbing“, indem sie auf der Grundlage erfundener Sachverhalte willkürliche Abmahnungen und Kündigungen ausspreche, nicht um eine unwahre Tatsachenbehauptung. Die Vorwürfe des „Mobbings“ und der „Willkür“ als solche sind erkennbar das Ergebnis einer wertenden Betrachtung. Der Hinweis, die Beklagte spreche Abmahnungen und Kündigungen „auf der Basis erfundener Sachverhalte“ aus, stellt keine - isolierte - Tatsachenbehauptung dar. Die Äußerung bildet lediglich die tatsächliche Grundlage für das Werturteil und ist daher mit der Meinungsäußerung untrennbar verbunden. Die im Wahlaufruf enthaltenen Äußerungen fallen damit sämtlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG und hätten mit den ggf. betroffenen Grundrechten der Beklagten - insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG(vgl. BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25 mwN) - in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden müssen. Dies hat das Landesarbeitsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - unterlassen.

42

(3) Die Meinungsfreiheit des Klägers muss nicht deshalb zurücktreten, weil die Inhalte des Wahlaufrufs als bloße Diffamierung anzusehen wären. Bei den Äußerungen stand nicht eine Schmähung oder Beleidigung der Beklagten oder ihrer Repräsentanten, sondern die - wenngleich überspitzte und polemische - Darstellung der betrieblichen Verhältnisse zum Zwecke des laufenden Betriebsratswahlkampfs im Vordergrund. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil der Kläger nach dem Ende des Wahlkampfs an seinen Äußerungen festgehalten hat. Damit hat er - anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht seine Meinungsäußerung in der Betriebsöffentlichkeit aufrechterhalten, sondern im Rahmen des Rechtsstreits seinen Standpunkt - bezogen auf ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten - verteidigt und damit berechtigte eigene Interessen wahrgenommen.

43

bb) Auch die Berücksichtigung der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als Auflösungsgrund ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat den vorgetragenen Sachverhalt nicht vollständig gewürdigt. Es hat die - unstreitige - Tatsache, dass der Kläger seine Versicherung bereits wenige Tage später korrigierte, nicht in seine Erwägungen einbezogen. Hätte es diesen Umstand berücksichtigt, hätte es nicht ohne Weiteres annehmen können, der Kläger werde es auch in Zukunft „mit der Wahrheit nicht so genau nehmen“.

44

cc) Soweit das Landesarbeitsgericht einen Auflösungsgrund in der mangelnden Bereitschaft des Klägers erblickt hat zu akzeptieren, dass die Beklagte ihm am 13. Mai 2009 eine - wie durch rechtskräftiges Urteil bestätigt - rechtmäßige Weisung erteilt habe, ist nicht erkennbar, von welchen Tatsachen es dabei ausgegangen ist. Dass der Kläger die entsprechende Weisung auch nach Abschluss des wegen der Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte geführten Rechtsstreits nicht befolgt hätte, hat es nicht festgestellt. Aus einem möglichen Fehlen der inneren Akzeptanz auf Seiten des Klägers ergeben sich - soweit ersichtlich - keine negativen Auswirkungen für die weitere Zusammenarbeit.

45

dd) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei deshalb nicht zu erwarten, weil sich der Kläger selbst durch Terminverlegungsanträge des Prozessbevollmächtigten der Beklagten angegriffen fühle und dieser unterstelle, sie dienten nur dazu, ihn auf unzulässige Weise unter Druck zu setzen und ihn existenziell zu ruinieren, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das gilt gleichermaßen für die Annahme, der Kläger sei, wie der wiederholte Vorwurf des „Mobbings“ zeige, nicht in der Lage, „das Handeln des Arbeitgebers in einem auch nur halbwegs objektiven Licht zu sehen“. Das Landesarbeitsgericht hat außer Acht gelassen, dass die Äußerungen im Rahmen eines kontrovers geführten Rechtsstreits gefallen sind. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war dem Kläger auch die Behauptung möglicherweise ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht darauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 29). Das war hier der Fall. Der Kläger wollte auf diese Weise ersichtlich nur seine subjektive Wahrnehmung schildern, um seiner Rechtsauffassung besonderen Nachdruck zu verleihen.

46

III. Ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest. Es fehlt an den erforderlichen Feststellungen. Die Sache war deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

47

1. Das Landesarbeitsgericht hat hinsichtlich der Äußerungen im Wahlaufruf keine Abwägung zwischen dem Grundrecht des Klägers auf freie Meinungsäußerung und betroffenen Grundrechten der Beklagten oder ihrer Repräsentanten vorgenommen. Dies hat es nachzuholen. Dabei wird es genau prüfen müssen, in welchen eigenen Rechtspositionen sich die Beklagte als verletzt sieht und ob diese grundrechtlichen Schutz genießen (vgl. dazu BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25). Bei dieser Abwägung wird auch der Wahrheitsgehalt der Tatsachen zu ermitteln sein, die der Meinungsäußerung nach dem Vorbringen des Klägers zugrunde liegen. Dabei sind - anders als das Landesarbeitsgericht bislang angenommen hat - nicht nur ganze „Sachverhaltskomplexe“ zu berücksichtigen. Auch wenn sich - ggf. nach einer Beweisaufnahme - nur einzelne Tatsachen als unzutreffend herausstellen sollten, auf die die Beklagte Abmahnungen und/oder Kündigungen gestützt hat, wäre dies im Rahmen der Gesamtabwägung zugunsten des Klägers zu gewichten.

48

2. Für die Würdigung, ob die Äußerungen im Wahlaufruf geeignet sind, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen, wird das Landesarbeitsgericht zudem zu prüfen haben, ob die Gefahr einer Wiederholung besteht. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist eine solche nicht erkennbar. Die Betriebsratswahl ist abgeschlossen, der Kläger hat die Funktion des Wahlbewerbers nicht mehr inne. Dass künftig dennoch mit gleichen oder ähnlichen Meinungsäußerungen zu rechnen ist, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

49

3. Sollte das Landesarbeitsgericht in der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung auch unter Berücksichtigung ihrer nachträglichen Korrektur weiterhin einen möglichen Auflösungsgrund sehen, wird es noch festzustellen haben, ob dem Kläger insoweit Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist. Diese Unterscheidung ist entscheidungserheblich. Fahrlässigkeit wird die Beklagte in diesem Zusammenhang eher hinzunehmen haben als Vorsatz.

50

4. Gelangt das Landesarbeitsgericht - ggf. unter Einbeziehung weiteren Sachvortrags der Beklagten - erneut zu dem Ergebnis, es lägen „an sich“ geeignete Auflösungsgründe vor, wird es zu prüfen haben, von welchem Prognosezeitraum auszugehen ist. Zwar steht - soweit ersichtlich - nicht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund einer der weiteren Kündigungen der Beklagten nach dem 31. Dezember 2009 geendet hat. Darauf kommt es aber nicht an. Ist der Eintritt einer anderweitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwar möglich, steht er aber nicht mit Gewissheit fest, muss das zur Entscheidung über den Auflösungsantrag berufene Gericht ggf. eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Eintritts treffen und daran die Prüfung nach § 9 KSchG ausrichten(vgl. BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 241/12 - Rn. 18; 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 29, BAGE 118, 95). Stellt sich heraus, dass das Arbeitsverhältnis aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Termin der mündlichen Verhandlung geendet hätte, sind bei der nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorzunehmenden Gesamtabwägung auch nur die Auflösungstatsachen zu berücksichtigen, die im maßgebenden Beurteilungszeitraum eingetreten sind.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Wolf    

        

    Torsten Falke    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. August 2009 - 16 Sa 1644/08 - aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 3. September 2008 - 1 Ca 1700/07 - zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revision noch über einen Auflösungsantrag der beklagten Arbeitgeberin.

2

Der 1949 geborene, verheiratete Kläger ist seit 1971 bei der Beklagten, zuletzt als kaufmännischer Leiter, gegen ein monatliches Bruttogehalt von 6.410,37 Euro beschäftigt. Als Minderheitsgesellschafter hält er 24 vH der Geschäftsanteile der Beklagten.

3

Die Beklagte befasst sich vornehmlich mit der Planung und Herstellung verkehrstechnischer Anlagen. An ihrem Sitz in D beschäftigt sie regelmäßig etwa 120 Arbeitnehmer. Mehrheitsgesellschafter mit 76 vH der Geschäftsanteile und zugleich alleiniger Geschäftsführer der Beklagten war ursprünglich der ältere Bruder des Klägers R. Im November 2005 wurde der jüngere Bruder K zum weiteren Geschäftsführer bestellt. Der Kläger, dem gleichfalls die Bestellung zum - dritten - Geschäftsführer angetragen worden war, hatte eine gemeinsame Geschäftsführung mit seinem Bruder K ausdrücklich abgelehnt. Nach dem Tod von R im Oktober 2006 rückte dessen Witwe als Erbin in die Stellung der Mehrheitsgesellschafterin ein. Die Geschäfte der Beklagten führte fortan der jüngere Bruder des Klägers alleine.

4

Bereits im Oktober 1990 hatten der Kläger und sein Bruder R eine weitere GmbH mit Sitz in G gegründet, deren Geschäftsgegenstand mit dem der Beklagten identisch ist. Im November 2002 trat R seine Geschäftsanteile an den Kläger ab. Der Sitz dieser Gesellschaft wurde anschließend - bei gleichzeitiger Umfirmierung - nach D verlegt.

5

Beginnend ab Oktober 2005 rügte die Beklagte eine Reihe von Pflichtverletzungen des Klägers. Unter anderem warf sie ihm vor, er betreibe mit dem anderen Unternehmen Konkurrenztätigkeit und nutze einen Teil seiner regulären Arbeitszeit sowie ihre Betriebsmittel für jenes Unternehmen. Darüber hinaus hielt sie ihm vor, den Vertrag über die Stromversorgung für eine Kirmesveranstaltung - den „W“ - eigenmächtig gekündigt zu haben. Eine ordnungsgemäße Abrechnung des Projekts sei nicht erfolgt. Der Kläger bestritt dies.

6

Im Juni 2007 machte der Kläger in seiner Eigenschaft als Gesellschafter der Beklagten Auskunfts- und Einsichtsrechte nach § 51a GmbHG geltend. Im August 2007 stellte ihn die Beklagte von der Erbringung seiner Arbeitsleistung frei. Im September 2007 beantragte er, eine Gesellschafterversammlung zu den Tagesordnungspunkten „Abberufung des Geschäftsführers“ der Beklagten und Kündigung von dessen Anstellungsvertrag einzuberufen. Zur Begründung führte er an, der Geschäftsführer - K - habe kurz nach dem Tod von R zulasten der Beklagten die Zahlung eines Betrags von 53.000,00 Euro als Tantieme an sich selbst veranlasst. Ein Rechtsgrund hierfür habe nicht bestanden.

7

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2008. Dagegen erhob der Kläger - fristgerecht - Kündigungsschutzklage.

8

Ende Oktober 2007 lehnte die Gesellschafterversammlung die Anträge des Klägers auf Abberufung des Geschäftsführers und Kündigung des Anstellungsvertrags ab. Die hiergegen erhobene Nichtigkeitsklage wies das Landgericht D mit Urteil vom 10. April 2008 ab. Eine Entscheidung über eine dagegen gerichtete Berufung des Klägers lag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht vor.

9

Mit seiner Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte hat beantragt, die Kündigungsschutzklage abzuweisen, hilfsweise

        

das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

10

Sie hat die Auffassung vertreten, dem Auflösungsantrag sei ohne Weiteres stattzugeben, da der Kläger leitender Angestellter sei. Er habe selbständig Arbeitnehmer eingestellt und entlassen. Unabhängig davon lägen Gründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Ihr Geschäftsführer K und der Kläger kommunizierten schon seit längerer Zeit nur noch schriftlich miteinander. Im Kündigungsrechtsstreit habe der Kläger dem Geschäftsführer ohne jegliche Substanz „Mobbing-Attacken“ gegenüber ehemaligen Mitarbeitern und gegenüber seiner - des Klägers - kurzzeitig im Betrieb mitarbeitenden Tochter vorgeworfen. Außerdem habe er sich hartnäckig geweigert, Unstimmigkeiten bei der Abrechnung des Projekts „W“ aufzuklären. In einem weiteren Rechtsstreit, mit dem er Zahlungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend mache, habe er sie - die Beklagte - zu Unrecht der Verleumdung bezichtigt. Außerdem sei durch das Vorgehen des Klägers im parallel geführten Zivilprozess um die Abberufung ihres Geschäftsführers das Vertrauensverhältnis restlos zerstört. Der Kläger habe seinen Antrag auf den vollkommen haltlosen Vorwurf gestützt, K habe mit der Tantiemezahlung im Jahr 2006 eine - strafbare - Untreuehandlung zu ihrem Nachteil begangen.

11

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen. Es fehle an einer hinreichenden Begründung des Antrags, die auch nicht entbehrlich sei. Für die Spannungen zwischen ihm und seinem Bruder K sei er nicht verantwortlich. Schon vor längerer Zeit habe sein Bruder veranlasst, eine Verbindungstür zwischen ihren beiden Büros zu verschließen und sei dazu übergegangen, ihm Anweisungen nur noch schriftlich zu erteilen. Im Jahr 2007 habe er ihm grundlos Einsicht in betriebswirtschaftliche Auswertungen verweigert. Mit seinem Vorgehen im Zivilprozess habe er lediglich ihm zustehende Rechte als Gesellschafter wahrgenommen.

12

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und auf den Antrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von 115.380,00 Euro zum 30. Juni 2008 aufgelöst. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht nur für den Kläger zugelassenen Revision begehrt dieser weiterhin, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist begründet. Mit der bisherigen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag nicht stattgeben. Dies führt, da der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend beurteilen kann, ob Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorliegen, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht(§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

I. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass der Kläger trotz seiner Stellung als Gesellschafter der Beklagten Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes ist. Dafür spricht im Übrigen, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als kaufmännischer Leiter dem Weisungsrecht des Geschäftsführers der Beklagten aus § 106 Satz 1 GewO unterstand(vgl. BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/97 - zu I 2 a der Gründe, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 95 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 68). Er verfügte mit einem Geschäfts- und dementsprechenden Stimmrechtsanteil von 24 vH auch nicht über eine sog. Sperrminorität, aufgrund derer er als Kapitaleigner auf die Geschäftsführung hätte bestimmenden Einfluss nehmen können (vgl. BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/07 - aaO).

15

II. Der Auflösungsantrag der Beklagten bedurfte nach § 9 KSchG der Begründung. Der Kläger ist kein leitender Angestellter iSv. § 14 Abs. 2 KSchG.

16

1. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG ist § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Angestellte, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Auflösungsantrag des Arbeitgebers keiner Begründung bedarf. Dabei muss die Befugnis zur eigenverantwortlichen Einstellung oder Entlassung ebenso wie bei den leitenden Angestellten iSv. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG eine bedeutende Anzahl von Arbeitnehmern erfassen. Ein nur eng umgrenzter Personenkreis genügt nicht (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu D II 1 der Gründe mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 123 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122). Die Personalkompetenz muss einen wesentlichen Teil der Tätigkeit des Angestellten ausmachen (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - aaO, mwN).

17

2. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar hat der Kläger, jedenfalls bis zum Tod von R, in Einzelfällen Personalgespräche geführt, schriftliche Arbeitsverträge unterzeichnet und Arbeitnehmer der Beklagten entlassen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lag allerdings das Letztentscheidungsrecht über die Durchführung dieser Maßnahmen bei dem früheren Geschäftsführer der Beklagten. Eine iSv. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG hinreichende Personalkompetenz ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger - wie von der Beklagten geltend gemacht - seine eigenen Kinder ohne Absprache mit der Geschäftsführung eingestellt haben mag.

18

III. Ob für die Beklagte Auflösungsgründe iSv. § 9 KSchG vorliegen, steht noch nicht fest.

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1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach - wie im Streitfall - erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

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a) Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Deshalb sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 58; 23. Juni 2005 - 2 AZR 256/04 - zu II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 52). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (BAG 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 14 mwN, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57). Von diesem Standpunkt aus ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 43, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163).

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b) Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 15, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57; 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45). In diesem Sinne als Auflösungsgrund geeignet sind etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn.11 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60).

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c) Zu berücksichtigen ist aber auch, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren - etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst - durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60). Darüber hinaus ist mit Blick auf eine prozessuale Auseinandersetzung zu berücksichtigen, dass Parteien zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe, NJW 1991, 2074). Anerkannt ist, dass ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Auch dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - aaO; BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 58).

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2. Daran gemessen trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.

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a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe die Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit der Parteien durch sein Vorgehen in dem parallel geführten Zivilprozess zerstört. Zur Begründung seines Abberufungsantrags habe er dem Geschäftsführer der Beklagten eine „strafbare Untreuehandlung“ zu deren Nachteil vorgeworfen. Damit habe er „über das Ziel hinausgeschossen“. Die Äußerung sei ehrverletzend. Der Kläger hätte bei der Verfolgung seiner Rechte als Gesellschafter Rücksicht auf das ebenfalls bestehende Arbeitverhältnis nehmen und das nötige Augenmaß aufbringen müssen. Stattdessen habe er trotz der wohlbegründeten, seine Klage abweisenden Entscheidung seinen Antrag weiter verfolgt, was geeignet gewesen sei, die Spannungen zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Beklagten weiter zu verschärfen.

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b) Diese Würdigung hält einer Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil es an tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts fehlt, die den Schluss zuließen, der Vorwurf einer „strafbaren Untreuehandlung“ sei ehrverletzend.

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Der in Rede stehende Vorwurf, dessen Schwerpunkt ersichtlich auf einer Tatsachenbehauptung liegt, kann zwar grundsätzlich bei Nichterweislichkeit seiner Wahrheit als ehrverletzend angesehen werden. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht die Behauptung nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Es hat sich nicht mit den Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Zivilprozess befasst, hierzu auch gar keine Feststellungen getroffen. Es hat sich vielmehr mit dem Hinweis begnügt, das Vorgehen des Geschäftsführers - nämlich die Auszahlung der Tantieme ohne zugrundeliegenden Gesellschafterbeschluss - bedeute „nicht gleich“, dass er eine Straftat begangen habe und auch nicht, dass er für die Beklagte untragbar geworden sei. Diese Ausführungen haben im Hinblick auf die Berechtigung der Behauptungen des Klägers keinen Aussagewert. Darüber hinaus bleibt auch die Stoßrichtung des „Vorwurfs einer strafbaren Untreuehandlung“ unklar. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe damit den Geschäftsführer der Beklagten einer Straftat bezichtigt. Denkbar erscheint aber auch, dass der Kläger lediglich darauf abheben wollte, das Verhalten erfülle objektiv die Voraussetzungen des Untreuetatbestands (§ 266 Abs. 1 StGB). Das stünde jedenfalls im Einklang mit der Darstellung des (streitigen) Klägervortrags im Tatbestand des zwischenzeitlich im Zivilprozess ergangenen und von der Beklagten in das Revisionsverfahren eingeführten Berufungsurteils. Danach hat der Kläger bezogen auf die Tantiemezahlung vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe seine Pflichten als Geschäftsführer objektiv grob verletzt und den objektiven Tatbestand einer Untreue verwirklicht.

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Sollte die Anschuldigung des Klägers zutreffen, brauchte er sich nicht damit zu begnügen, das Verhalten des Geschäftsführers allgemein als „erhebliche Pflichtverletzung“ darzustellen. Er durfte seine Auffassung zu deren Qualität auch dadurch zum Ausdruck bringen, dass er die Tantiemezahlung - zumal innerprozessual im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung - unter strafrechtlichen Aspekten würdigte.

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c) Selbst unterstellt, der Kläger hätte den Geschäftsführer objektiv wahrheitswidrig bezichtigt, sich einer Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB)zum Nachteil der Beklagten schuldig gemacht zu haben, läge darin kein Auflösungsgrund. Die gegenteilige Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt nicht ausreichend, dass das Vorgehen des Klägers im Zivilprozess durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB gedeckt war. Jedenfalls hat die für das Vorliegen von Auflösungsgründen darlegungs- und beweispflichtige Beklagte keine Umstände dargetan, die den vom Kläger ausdrücklich geltend gemachten Rechtfertigungsgrund ausschlössen.

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aa) Der Kläger hat in dem parallel geführten Zivilverfahren vorrangig eigene Rechte als Mitgesellschafter der Beklagten wahrgenommen. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war ihm grundsätzlich auch die Behauptung ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht hierauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe, NJW 1991, 2074). Letzteres war hier der Fall. Der Kläger wollte mit dem „Vorwurf einer strafbaren Untreuehandlung“ ersichtlich die Schwere der angeführten Pflichtverletzung des Geschäftsführers verdeutlichen.

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bb) Allerdings könnte sich der Kläger dann nicht auf eine Rechtfertigung seines Vorgehens unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen, wenn die Unhaltbarkeit des Vorwurfs auf der Hand gelegen hätte oder er selbst nicht von der Richtigkeit seiner Behauptungen überzeugt gewesen wäre (Fischer StGB 58. Aufl. § 193 Rn. 19, 28 mwN). Dafür bietet indes das Vorbringen der Beklagten - auch unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts D vom 10. April 2008, auf das sich die Beklagte zur Darlegung eines überzogenen Vorgehens des Klägers gegen ihren Geschäftsführer maßgeblich stützt - keinen genügenden Anknüpfungspunkt.

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(1) Das Landgericht hat in seinem Urteil ausdrücklich dahinstehen lassen, ob die umstrittene Tantiemezahlung - insbesondere im strafrechtlichen Sinne - als Untreuehandlung zu qualifizieren ist. Es ist davon ausgegangen, auch unabhängig von einer etwaigen Strafbarkeit habe der Geschäftsführer seine ihm gegenüber der Beklagten obliegenden Pflichten erheblich verletzt, indem er es versäumt habe, eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung über die Tantiemezahlung herbeizuführen. Seine Auffassung, trotz der Schwere der Pflichtverletzung seien die beantragte Abberufung des Geschäftsführers und die Kündigung des Anstellungsvertrags nicht gerechtfertigt, hat es im Wesentlichen auf die - aus seiner Sicht nicht substantiiert bestrittene - Behauptung der Beklagten gestützt, der frühere Mehrheitsgesellschafter R habe dem jetzigen Geschäftsführer noch zu Lebzeiten die Tantieme zugesagt. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um ein reines Familienunternehmen handele und weitere Umstände, die eine Untragbarkeit oder Ungeeignetheit des Geschäftsführers begründen könnten, nicht ersichtlich seien.

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(2) Lag aber nach gesellschaftsrechtlichen Maßstäben eine erhebliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers mit finanziell nachteiligen Wirkungen für die Beklagte vor, kann nicht davon die Rede sein, der Kläger habe den Vorwurf einer strafrechtlich relevanten Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht seines Bruders quasi „aus der Luft gegriffen“ und ohne jeden berechtigten Anlass erhoben. Ein anders Bild ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht aus dem im Zivilprozess zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts H vom 7. Juli 2009, mit dem dieses die Berufung des Klägers gegen das landgerichtliche Urteil zurückgewiesen hat. Auch das Oberlandesgericht hat ausweislich der Gründe seiner Entscheidung angenommen, der Geschäftsführer der Beklagten habe - jedenfalls was eine Tantiemezahlung in Höhe von 50.000,00 Euro anbelange - gegen seine Geschäftsführerpflichten verstoßen. Soweit es gleichwohl davon ausgegangen ist, die Pflichtverletzung erreiche nicht das für eine Abberufung und Kündigung des Anstellungsvertrags erforderliche Gewicht, hat es dies - nach Beweisaufnahme - ua. damit begründet, dass dem Geschäftsführer die Tantieme durch den früheren Mehrheitsgesellschafter R noch zu dessen Lebzeiten zugesagt worden sei. Die Durchführung einer Beweisaufnahme im Berufungsverfahren spricht aber deutlich dafür, dass der Vortrag des Klägers zum Gewicht der festgestellten Pflichtverletzung schlüssig war, mag auch aus Sicht der Zivilgerichte die strafrechtliche Würdigung des Geschehens für die gesellschaftsrechtliche Bewertung der Pflichtverletzung nicht entscheidend gewesen sein. Die Beklagte hat im Hinblick auf ihren Auflösungsantrag auch nicht etwa behauptet, der Kläger habe die Vereinbarungen zwischen seinen Brüdern positiv gekannt und dahingehenden Vortrag im Zivilrechtsstreit wider besseres Wissen bestritten.

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cc) Der Kläger musste sich - anders als das Landesarbeitsgericht offenbar meint - auch nicht deshalb einer strafrechtlichen Bewertung des Geschehens um die Tantiemezahlung enthalten oder aber von der Durchführung des Berufungsverfahrens im Zivilprozess absehen, weil er zugleich Arbeitnehmer der Beklagten war. Es stand ihm frei, im Rahmen einer zulässigen Interessenwahrnehmung den Rechtsweg auszuschöpfen. Wollte man dies anders sehen, müsste der Arbeitnehmer von der Erhebung aus seiner Sicht berechtigter gesellschaftsrechtlicher Forderungen absehen, nur um keinen Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu setzen. Ein solcher Rechtsverzicht kann ihm schon nach dem Rechtsgedanken des Maßregelungsverbots (§ 612a BGB) nicht abverlangt werden (ähnlich BAG 9. Februar 1995 - 2 AZR 389/94 - zu II 6 der Gründe, EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 12). Der Schutz, den die gesetzlichen Kündigungsvorschriften - auch über § 9 KSchG - gewähren, ist auch nicht deshalb ein geringerer, weil der Arbeitnehmer zugleich Gesellschafter des Unternehmens ist.

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dd) Die Beklagte hat auch keine konkreten Anhaltspunkte benannt, die den Schluss zuließen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung zusätzlich nachteilig belastet worden. Der Kläger hat seinen „Vorwurf einer strafbaren Untreuehandlung“ - soweit ersichtlich -, ausschließlich innerhalb der zuständigen Gremien und im anschließenden zivilgerichtlichen Verfahren angebracht und damit in der Tendenz gezeigt, dass er zwischen seiner Stellung als Arbeitnehmer der Beklagten und der eines Gesellschafters der Beklagten zu trennen weiß. Zudem kommunizierten er und der Geschäftsführer - unstreitig - bereits vor Einleitung des Kündigungsschutzprozesses nur noch schriftlich miteinander. Das mag, auch unter Berücksichtigung der herausgehobenen Stellung des Klägers als kaufmännischer Leiter, einer sachgerechten Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Geschäftsführer nicht zuträglich gewesen sein. Doch muss berücksichtigt werden, dass sich die Parteien grundsätzlich auf diese Situation eingestellt hatten. So hat der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger - unstreitig - mit Notiz vom 16. November 2006 mitgeteilt, er „akzeptiere dies“, womit er auf die aus seiner Sicht fehlende Bereitschaft seines Bruders abhob, in geschäftlichen Angelegenheiten ein persönliches Gespräch zu führen. Dass die Kommunikation der Parteien auf dieser „Kompromissebene“ durch das gesellschaftsrechtliche Vorgehen des Klägers zusätzlich erschwert wurde, kann nicht ohne Weiteres angenommen werden. Dagegen spricht auch die finanzielle Beteiligung des Klägers am Unternehmen der Beklagten und das ihm insoweit zu unterstellende Interesse an deren wirtschaftlichem Erfolg.

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3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat sich auf weitere Umstände berufen, die aus ihrer Sicht einer den Betriebszwecken dienlichen Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. Ob diese ihr - entweder einzeln, oder aber in ihrer Gesamtschau - einen Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gaben, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, weil es an Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu dem jeweils zugrunde liegenden Sachverhalt fehlt. Dies bedingt die Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Th. Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.