Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 12. Aug. 2008 - 5 Sa 10/08

bei uns veröffentlicht am12.08.2008

Tenor

1. Auf die klägerische Berufung wird der noch nicht rechtskräftige Teil des arbeitsgerichtlichen Urteils abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 22.08.2005 beendet wurde.

2. Das beklagte Land wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung und um Weiterbeschäftigung. Dem Kläger wird vorgeworfen, er habe ihm als Sportlehrer anvertraute Schülerinnen beleidigt, sie sexuell belästigt oder sei ihnen mit sexuellen Zielen zu nahe gekommen. Der Kläger bestreitet die Tatvorwürfe.

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Der Kläger ist Diplomlehrer für Sport und Geografie. Er ist 1955 geboren und ist sei 1982 als Lehrer an staatlichen Schulen tätig. Von September 1989 bis Ende August 1991 war er wegen einer planmäßigen Aspirantur, um die er sich selbst beworben hatte, nicht im Schuldienst tätig. Seit September 1991 ist er im Schuldienst des beklagten Landes tätig.

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Der in zweiter Ehe verheiratete Kläger war lange Jahre an Schulen in Rostock eingesetzt und ist dann im August 2003 an die Regionale Schule .. in ... versetzt worden. Der Kläger erteilt hier Sport- und Geografieunterricht. Er bezieht Vergütung nach der Vergütungsgruppe III zum BAT-O.

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Die dem Kläger im Kern zur Last gelegten Vorfälle sollen sich alle im Sportunterricht der Klasse 9b im Schuljahr 2004/2005 im zweiten Schulhalbjahr ereignet haben. Außerdem spielen weitere Vorwürfe aus dem vorangegangenen Schuljahr sowie im Zusammenhang mit der Parallelklasse Klasse 9c eine Rolle.

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Der Kläger war im Schuljahr 2004/2005 Vertretungslehrer für die weiblichen Schülerinnen der Klasse 9b im Sportunterricht. Im Schuljahr davor war er deren regulärer Sportlehrer. Im Jahre 2005 hat der Kläger die Schülerinnen der Klasse 9b zunächst nur gelegentlich als Vertretungslehrer unterrichtet und sodann ab Anfang Mai 2005 wegen des längerfristigen Ausfalls des regulären Sportlehrers ständig.

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Die Vorfälle sollen sich alle während der Unterrichtsstunden ereignet haben. Diese haben alle in der Sporthalle stattgefunden, die zu der Schule gehört. Der Sportunterricht wird im Regelfall getrennt für die weiblichen und männlichen Schüler der Klasse durchgeführt. Wenn kein Lehrerausfall vorliegt, werden die männlichen Schüler von einem anderen Lehrer betreut.

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Anlass der Kündigung waren die - insgesamt streitigen - Ereignisse in der Sportstunde vom 24. Mai 2005. Entweder noch an diesem Tag oder am nächsten Tag beschwerten sich mehrere Schülerinnen der Klasse 9b und 9c bei der Schulleiterin über den Kläger und schilderten verschiedene Vorkommnisse, die entweder sexuelle Belästigungen darstellen oder die zumindest starke sexuelle Bezüge haben. Nach Abstimmung mit dem Schulamt wurden die Schülerinnen am 26.05.2005 aufgefordert, ihre Wahrnehmungen zu Papier zu bringen (Blatt 384 ff, es wird Bezug genommen). Noch am 26.05.2005 wurde der Kläger zu den Vorfällen angehört. Er verteidigte sich mit dem Argument, sein englischer Humor sei wohl missverstanden worden. Er wurde vom Dienst suspendiert (vgl. Blatt 29) und um schriftliche Stellungnahme gebeten, die er unter dem 31. Mai 2005 abgegeben hat (Blatt 31 ff, es wird Bezug genommen).

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Nachdem die für den Bereich des Lehrerhauptpersonalrates gebildete Einigungsstelle des Bildungsministeriums die vom Bezirkspersonalrat der Lehrer des Schulamtes Rostock und vom Lehrerhauptpersonalrat im Stufenverfahren verweigerte Zustimmung zu der beabsichtigten außerordentlichen und ordentlichen Kündigung ersetzt hatte, hat das beklagte Land unter dem 22.08.2005 das Arbeitsverhältnis zum Kläger sowohl außerordentlich als auch parallel dazu ordentlich zum 31. März 2005 gekündigt; der Fristablauf der ordentlichen Kündigung ist mit Schriftsatz vom 23.08.2005 auf den 31.03.2006 korrigiert worden (Blatt 12).

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Mit der am 6. September 2005 beim Arbeitsgericht eingegangen Klage hat sich der Kläger gegen beide Kündigungen zur Wehr gesetzt und die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung verlangt.

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Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,

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1. festzustellen, dass die außerordentliche Kündigung vom 22.08.2005 und die ordentliche Kündigung vom 22.08.2005 in der Fassung vom 23.08.2005 unwirksam sind;

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2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

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Das beklagte Land hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Das beklagte Land hält es für unzumutbar, den Kläger weiterzubeschäftigen.

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Das beklagte Land behauptet, der Kläger hätte die Schülerin H. am 24. Mai 2005 als "kleine blonde Schlampi" bezeichnet. Diese Beleidigung habe sich zugetragen, als die Schülerin auf der Bank Platz genommen hatte, da sie - unstreitig zum wiederholten Male - ihre Sportsachen beim Sportunterricht nicht dabei hatte. Die Beleidigung sei so laut ausgesprochen worden, dass sie von den umstehenden Schülerinnen G. und P. gehört worden sei.

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Das beklagte Land behauptet, am 24. Mai 2005 oder einige Wochen zuvor sei es zu einem Vorfall die Schülerin F. betreffend gekommen. Die Schülerin habe bei einer Gruppe von sitzenden Mädchen neben dem Kläger gestanden als dieser sie am Hinterteil angefasst habe und dabei die Bemerkung habe fallen lassen "geiler Handballerarsch". Dies sei in einer Lautstärke erfolgt, dass andere Mitschülerinnen das ebenfalls gehört hätten (P., H., M.).

18

Außerdem behauptet das beklagte Land, zu einem nicht mehr rekonstruierbaren Zeitpunkt im 2. Halbjahr des Schuljahres 2004/2005 sei es zu einem Vorfall die irakische Schülerin R. betreffend gekommen. Die Schülerin trägt - das ist unstreitig - das Kopftuch und sie ist gläubig. Der Kläger hat - auch das ist unstreitig - immer wieder den Dialog mit dieser Schülerin über ihren Glauben und über das Kopftuch geführt, wobei der Kläger werbend für die offene westliche Lebensart eingetreten ist. Während einer Sportstunde - so die Behauptung des beklagten Landes - waren dann der Kläger und Frau R. etwas abseits der übrigen Schülerinnen, weil Frau R. den Kläger gebeten hatte, den Ballschrank mit seinem Schlüssel zu öffnen. Auf dem gemeinsamen Weg zum Ballschrank oder aber am Ballschrank angekommen, habe der Kläger die Schülerin wiederholt aufgefordert, das Kopftuch abzunehmen, damit er ihre schönen schwarzen Haare sehen könnte. Die Schülerin habe sich standhaft geweigert. Der Kläger habe dann versucht, selber das Kopftuch zu lösen und habe dazu mit der Hand nach dem Knoten unter dem Kinn gegriffen. Als die Hand des Klägers nur noch etwa 30 cm vom Kinn der Schülerin entfernt gewesen sei, sei die Schülerin geflüchtet.

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Schließlich werden weitere Vorwürfe erhoben. Der Kläger habe zu Jaqueline B. (9c) gesagt, sie habe "schöne Brüste". Tina F. hätte er mitgeteilt, dass er von ihr geträumt habe und er habe sie gefragt, ob sie einen Freund habe, weil sie nicht mehr mit ihm spreche; als Frau F. keine Auskunft geben wollte, habe er ihre Freundinnen dazu befragt. Auch soll er vor ihr nieder gekniet haben, und sie gefragt haben, ob sie mit ihm gehen wolle.

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Der Schülerin M. habe er angeboten, sie könne ihn auch zu Hause besuchen. Als M. einmal ihre Sportsachen vergessen hatte, soll der Kläger angewiesen oder zumindest angeregt haben, die Schülerin solle dann in Unterwäsche am Sportunterricht teilnehmen. Als sie sich geweigert habe, habe er angefügt, dann solle sie eben nackt am Unterricht teilnehmen.

21

Vor den Schülerinnen der Klasse habe er - was vom Kläger eingeräumt wird - auch über die Wäsche gesprochen, die junge Mädchen heutzutage tragen.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Vernehmung der Zeuginnen H., G., P., F., M., B., S., R., B2 und P2 mit Urteil vom 2. Februar 2006 insgesamt abgewiesen. Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

23

Das Urteil ist dem Kläger am 16.02.2006 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung vom 8. März 2006 ist hier noch am selben Tag per Fax eingegangen. Auf einen Antrag, der hier am 10.04.2006 eingegangen war, ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 24.04.2006 verlängert worden. Die Berufung ist sodann mit Schriftsatz vom 23. April 2006, Gerichtseingang am 26. April 2006, begründet worden.

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Das Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 13.03.2007 (damaliges Aktenzeichen 5 Sa 79/06, Blatt 484 ff) der Berufung stattgegeben, soweit sich der Kläger gegen die Klageabweisung wegen der außerordentlichen Kündigung gewandt hatte. Für diese Entscheidung hat sich das Landesarbeitsgericht auf § 626 Absatz 2 BGB gestützt bzw. auf die analoge Anwendung von § 91 Absatz 5 SGB IX. Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht die Berufung - nach nochmaliger Vernehmung der Zeuginnen F., H. und R. - ohne Revisionszulassung zurückgewiesen. Hinsichtlich des Streitgegenstandes "außerordentliche Kündigung" ist das Urteil in Rechtskraft erwachsen. Im Übrigen ist das Urteil durch das Bundesarbeitsgericht auf die Beschwerde des Klägers hin durch Beschluss vom 28. November 2007 (6 AZN 454/07) wegen Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 72a Absatz 3 Satz 2 Nr. 3 ArbGG) aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen worden (Blatt 510 ff).

25

Während des Beschwerdeverfahrens beim BAG hat der Kläger gegen die vom Landesarbeitsgericht und vom Arbeitsgericht vernommenen Zeuginnen F., H., M., P., B. und G. Strafanzeige wegen falscher uneidlicher Aussage und wegen Verleumdung erhoben. Der sachliche Kern der Anzeige sind die Einlassungen von ehemaligen Mitschülern (F. R., S. K. und S. R.), die gegenüber dem Kläger bereits im März 2007 wenige Tage nach dem landesarbeitsgerichtlichen Urteil schriftlich bekundet haben, sie hätten nach der Suspendierung des Klägers noch im Mai 2005 auf dem Schulhof ein Gespräch der Mädchen belauscht; dabei sollen diese sinngemäß gesagt haben, sie hätten dem Klägers nur eins auswischen wollen, weil er schlechte Noten angedroht habe.

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Aufgrund dieser Anzeige sind dann die Zeuginnen F., G., H. und P. von der Polizei am 11.09.2007 als Beschuldigte vernommen worden. Kopien der Vernehmungsprotokolle hat der Kläger mit Schriftsatz vom 03.04.2008 zur Akte gereicht (Blatt 660 ff). Die Ermittlungen sind inzwischen ohne Ergebnis eingestellt worden.

27

Der Kläger verfolgt auch im Rahmen der Fortsetzung des Rechtsstreits sein ursprüngliches Klageziel im vollen Umfang weiter. Der Kläger bestreitet die ihm zur Last gelegten Vorfälle und lässt sich zu ihnen wie folgt ein.

28

Die Schülerin H. habe er nie als "kleine blonde Schlampi" bezeichnet. Er gehe vielmehr davon aus, dass Frau H. diese Geschichte erfunden habe, um sich an ihm zu rächen, da er das bloße Absitzen der Sportstunde auf der Bank nicht geduldet habe und angedroht habe, es werde schlechte Noten geben, wenn das mit dem sogenannten "vergessen" der Sportsachen nicht aufhöre.

29

Das Vorkommnis mit F. bezüglich seiner angeblichen körperlichen Berührung der Schülerin sei ebenfalls aus der Luft gegriffen. Auch insoweit müsse er davon ausgehen, dass man sich an ihm durch solche falsche Anschuldigungen nur habe rächen wollen. Dazu behauptet der Kläger, er habe Zeugen dafür, die bezeugen könnten, dass F. schon wenige Tage nach seiner Suspendierung Mitschülerinnen gegenüber eingeräumt hätte, dass sich die Vorfälle nicht wie behauptet zugetragen hätten (F. R., S. K., S. R.).

30

Einen Vorfall, wie von Frau R. geschildert, habe es nicht gegeben. Er wolle zwar Frau R. nicht der Lüge bezichtigen, es habe aber tatsächlich nichts gegeben, was sich mit dem behaupteten Vorfall in Übereinstimmung bringen lasse. Außerdem sei es nicht möglich durch einen Griff unter das Kinn das Kopftuch zu lösen, da es im Nacken gebunden werde.

31

Im Übrigen behauptet der Kläger, die Mädchen hätten sich abgesprochen, um sich an ihm zu rächen, weil er schlechte Zensuren angekündigt habe, falls man sich nicht aktiv am Sportunterricht beteilige. Auch die Schulleiterin Frau H2 habe schon von Anfang an versucht, ihn wieder los zu werden. Sie habe daher dafür gesorgt, dass die Schülerinnen gegen ihn aussagen würden. Noch auf dem Flur am Tag der arbeitsgerichtlichen Beweisaufnahme habe Frau H2 die Zeuginnen auf die "richtige" Aussage eingeschworen. Auch im Schulamt und im Bildungsministerium habe man schon lange auf die Gelegenheit zur Kündigung gewartet, da er als kritischer Lehrer es sich nicht habe nehmen lassen, sich öffentlich kritisch zur Bildungspolitik der Landesregierung zu äußern.

32

Der Kläger beantragt unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils,

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1. festzustellen, dass auch die ordentliche Kündigung vom 22. August 2005 in der Fassung vom 23. August 2005 unwirksam ist;

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2. das beklagte Land zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

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Das beklagte Land beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

37

Das Gericht hat die vom beklagten Land benannten Zeuginnen F. und H. abermals vernommen sowie im Weiteren erstmals im Berufungsrechtszug die Zeuginnen G., P. und M..

38

Außerdem sind die vom Kläger gegenbeweislich aufgebotenen Zeuginnen und Zeugen F. D., S. F., K. E., F. S., P. P., L1 B., L2 B. und D. N. vernommen worden. Schließlich sind weitere vom Kläger benannte Zeugen vernommen worden, nämlich F. R. und S. R.. Bezüglich der Einzelheiten der Aussagen wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 4. März 2008 (Blatt 586 ff), vom 3. April 2008 (642 ff) und vom 21. Mai 2008 (Blatt 738 ff) Bezug genommen.

39

Im Übrigen wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die dem Streitgegenstand nach ohne Weiteres statthafte Berufung, die auch im Übrigen keinen Zulässigkeitsbedenken unterliegt, hat in der Sache Erfolg. Der Kläger obsiegt mit seiner Kündigungsschutzklage, da die dem Kläger zur Last gelegten Vorfälle nicht als erwiesen angesehen werden können.

41

Das Landesarbeitsgericht bleibt bei seinem im aufgehobenen Urteil vom 13.03.2007 eingenommenen Rechtsstandpunkt, dass die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt wäre, wenn die dem Kläger zur Last gelegten hauptsächlichen Vorwürfe ("Geiler Handballerarsch" gegenüber Frau F., "Kleine blonde Schlampi" gegenüber Frau H. und der Versuch bei Frau R. das Kopftuch gegen deren Willen abzunehmen) festgestellt werden könnten. Insoweit wird auf die Ausführungen im Urteil vom 13.03.2007 Bezug genommen.

42

1. Nach abermaliger Durchführung der Beweisaufnahme sieht sich das Gericht allerdings nicht in der Lage, die für die Kündigung notwendigen tatsächlichen Feststellungen abermals zu treffen. Bereits die Vernehmung der vom beklagten Land benannten Zeuginnen hat dazu geführt, dass das Gericht nicht ausräumbare Zweifel hinsichtlich der im Raum stehenden Vorwürfe hat. Die zahlreichen vom Kläger aufgebotenen und gegenbeweislich vernommenen Zeugen haben daher bei der Entscheidungsfindung allenfalls am Rande eine Rolle gespielt.

43

a) Die Beweisaufnahme musste nochmals durchgeführt werden, da die bisherigen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils durch das BAG nicht mehr gültig sind. Eine Verwertung der bisherigen Beweisaufnahme im Wege der Verlesung der Protokolle oder durch eine andere indirekte Rezeption scheidet aus, da es bei der Streitigkeit des Sachverhalts insbesondere auf die Glaubhaftigkeit der Aussagen und die Glaubwürdigkeit der Zeugen ankommt. Beides kann nur dann beurteilt werden, wenn alle beteiligten Richter insbesondere auch die ehrenamtlichen Richter, die an der Beweisaufnahme, die zu dem Urteil vom 13.03.2007 geführt hatte, nicht teilgenommen haben, einen unmittelbaren Eindruck von den Zeuginnen und Zeugen gewinnen können. Eine bloße Bezugnahme auf die Beweiserhebung des Arbeitsgerichts kommt ebenfalls nicht in Betracht, da die Beweiswürdigung durch das Arbeitsgericht lückenhaft und damit formal angreifbar ist.

44

b) Die Zeugin F. hat zwar auch bei ihrer erneuten Vernehmung bestätigt, dass der Kläger sie am Hinterteil berührt habe und dazu gesagt habe, "geiler Handballerarsch". Sie konnte auch berichten, wie es zu dem Ereignis kam und wie sie selbst darauf reagiert hat, was dafür spricht, dass sie eigens Erleben bekundet. Die Bekundungen der Zeugin werden auch bestätigt durch die Aussage der Zeugin M. und der Zeugin H..

45

Als Gericht muss man sich jedoch auch der Erkenntnis stellen, dass es nicht ausreicht, einem oder mehreren Zeuginnen glauben zu wollen. Eine gerichtliche Feststellung setzt vielmehr zusätzlich voraus, dass den glaubhaften Einlassungen auch keine weiteren objektiven Umstände entgegenstehen, die andeuten, dass sich die Dinge auch anders zugetragen haben könnten. Verbleiben am Ende Zweifel, kann die gerichtliche Feststellung nicht getroffen werden. Das hat der BGH als "Nullhypothese" bezeichnet; eine Aussage gelte so lange als unwahr, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist (BGH 30.07.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746). Die auf das Strafrecht bezogene Aussage gilt auch für die Bewertung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage im Zivilprozess (Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Auflage München 2007 RNr. 309). Da hier Zweifel verbleiben, kann die gewünschte Feststellung nicht getroffen werden.

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Zum einen hat die Zeugin F. bei ihrer erneuten Vernehmung einen deutlich verstockten Eindruck gemacht. Sie wollte sich nicht mehr mit dem Thema befassen und reagierte auf Fragen des Gerichts gelegentlich abweisend. Dies passt zu dem Umstand, dass die Zeugin dieses Mal zur Vernehmung in Begleitung ihrer Mutter erschienen war. Das Gericht interpretiert dieses Verhalten dahin, dass die Zeugin sich geweigert hat, sich ihrer Erinnerung nochmals zu stellen und daher nur das wiederholt hat, was bereits schriftlich in diversen Protokollen festgehalten ist. Das Gericht geht im Weiteren davon aus, dass diese Einstellung zu einem guten Teil auf die Strafanzeige des Klägers und auf der polizeilichen Vernehmung der Zeugin als Beschuldigte im September 2007 zurückzuführen ist. Allerdings lassen sich aus dieser Erkenntnis keine Rückschlüsse auf die streitigen tatsächlichen Vorkommnisse ziehen. Die tatsächlichen Vorgänge bleiben aufgrund der Weigerung der Zeugin, sich tatsächlich ihren Erinnerungen an die seinerzeitigen Vorgänge nochmals zu stellen und diese dem Gericht zu schildern, vielmehr unklar.

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Ergänzend hat das Gericht berücksichtigt, dass die Zeugin F. nicht erklären konnte, wie die Unterschiede zwischen ihrer Einlassung bei Gericht und gegenüber der Polizei zu erklären sind.

48

Schließlich hat das Gericht berücksichtigt, dass auch die in der Akte befindlichen bisherigen Einlassungen der Zeugin was die Einordnung des Geschehenen in einen historischen Kontext anlangt, sehr zurückhaltend geblieben sind. Das betrifft sowohl die Frage des Datums des Vorfalls bzw. des Zeitraums des Vorfalls (vor oder nach der Projektwoche? Vor oder nach der ersten Beschwerde bei Frau K3?) als auch das Geschehen unmittelbar vor dem Vorfall und die Reaktion auf den Vorfall. In der handschriftlichen Einlassung der Zeugin nach Aufforderung durch die Schulleitung (Blatt 387) wird überhaupt keine zeitliche Einordnung des Ereignisses vorgenommen und der Vorfall selbst wird nur stichwortartig umschrieben ohne jedes weitere Detail. Ähnlich offen bleibt die zeitliche Einordnung und das Geschehen vor und nach dem Vorfall bei der Vernehmung am 02.02.2006 durch das Arbeitsgericht (Blatt 105 ff). Die Aussage Blatt 106 oben deutet zunächst darauf hin, dass der Vorfall sich längere Zeit vor dem 24. Mai 2005 zugetragen haben müsste, dann stellt die Zeugin jedoch die zeitliche Verbindung zum Vorfall H. her, der unzweifelhaft am 24. Mai 2005 gewesen sein soll. In der Mitte auf diesem Blatt gibt die Zeugin sodann an, sie könne über das weitere Geschehen nach dem behaupteten Vorfall keine Aussage machen. Auch die abermalige Vernehmung der Zeugin durch das Landesarbeitsgericht am 1. Februar 2007 (Blatt 463 ff) hat insoweit keine neuen Erkenntnisse hervorgebracht. Die zeitliche Einordnung des Ereignisses hat die Zeugin ausdrücklich als nicht möglich bezeichnet und das Geschehen kurz vor und nach dem Vorfall blieb weiter sehr blaß.

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Diese Umstände dürfen bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit der Einlassung der Zeugin nicht außer Acht gelassen werden. Denn die Erzähldichte einer Zeugenaussage ist anerkanntermaßen eines der zentralen Kriterien zur Bewertung der Glaubhaftigkeit einer Aussage (Bender/Nack/Treuer a.a.O. RNr. 310 ff).

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Auch die Vernehmung der weiteren Zeuginnen zu diesem Vorfall war wenig hilfreich. Die Zeugin M. hat sich zu Beginn ihrer Vernehmung sogar ausdrücklich geweigert, sich ihrer eigenen Erinnerung durch eine Befragung erneut zu stellen und hat ausdrücklich nur auf ihre bisherige Einlassung verwiesen. Auch auf die weitere Befragung des Gerichts hat die Zeugin lediglich bekunden können, dass sie außerhalb des eigentlichen Vorfalls keine weiteren Erinnerungen mehr an die seinerzeitige Situation habe. Das ist für die Beurteilung der Wahrhaftigkeit des behaupteten Vorfalls nicht gerade viel. Die Zeugin G. hat vor dem Landesarbeitsgericht bekundet, zu dem Vorfall zu F. keine eigene Wahrnehmung gehabt zu haben; sollte sich aus der polizeilichen Vernehmung etwas anders ergeben, sei das eben falsch aufgenommen worden (Blatt 644). Die weitere Zeugin P. ist in ihrer Aussage sehr oberflächlich geblieben. Sie spricht nur davon, dass man im Kreis gestanden und sich unterhalten habe; zu dem streitigen Ereignis selbst hat sie nichts bekundet. Auch H. hat sich dazu nur sehr oberflächlich eingelassen in dem Sinne, dass sie den Vorfall wirklich gesehen habe. Auch diese Bekundungen muss das Gericht anhand der üblichen Kriterien der Aussagenanalyse bewerten. Die Bewertung muss wegen der auffälligen Detailarmut hier zu Lasten des behaupteten Vorfalls gehen.

51

Schließlich müssen die von den Zeuginnen geschilderten Umstände berücksichtigt werden. Denn der Vorfall soll sich ereignet haben, als die Zeugin F. neben dem Kläger stand und ihnen gegenüber in einem geringen Abstand mehrere Schülerinnen auf der Bank gesessen haben. Der Kläger und Frau F. standen sozusagen im Fokus der Schülerinnen auf der Bank. Wenn es in dieser Situation tatsächlich zu dem Übergriff gekommen sein sollte, hätte er eigentlich nicht nur von den Zeuginnen M., H. und P. gesehen werden müssen, sondern auch von den anderen Schülerinnen; weitere Zeuginnen, die den Vorfall direkt beobachtet haben, sind aber nicht aufgeboten worden. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass der behauptete Vorfall so viele Klischees bedient, dass er sich eigentlich wie ein Lauffeuer sofort in der ganzen Schule hätte verbreiten müssen.

52

Weitere Zeugen oder sonstige Beweismittel hat das beklagte Land nicht angeboten.

53

Ausgehend von der Nullhypothese des BGH kann angesichts der beschriebenen Auffälligkeiten die behauptete Tatsache nicht als erwiesen angesehen werden. Die Überzeugungskraft, die Frau F. als Zeugin bei ihrer Vernehmung am 1. Februar 2007 noch ausgestrahlt hatte, war bei ihrer letzten Vernehmung nicht mehr vorhanden und sie konnte daher die Kammer in Angesicht der geschilderten Gegenumstände nicht mehr von der Wahrhaftigkeit des Geschehenen überzeugen.

54

c) Auch der Vorwurf, der Kläger habe die Zeugin H. beleidigt, in dem er sie als "kleine blonde Schlampi" bezeichnet habe, kann so vom Gericht nicht nochmals festgestellt werden. Denn auch die Zeugin H. war nicht in der Lage, mehr zu schildern als nur den Vorfall selbst. Es fiel ihr bereits schwer, den Vorgang in ein weiteres Geschehen einzubinden. Daher gilt bezüglich dieser Zeugin das Gleiche, wie bei der Zeugin F.. Das Gericht ist nach wie vor bereit, der Zeugin zu glauben, muss aber einräumen, dass es objektive Anzeichen dafür gibt, die gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage sprechen. Bei dieser Bewertung hat für das Gericht auch das Verhalten der Zeugin gegenüber dem Kläger bei der Zeugenvernehmung eine Rolle gespielt. Die Zeugin war während der Vernehmung nicht in der Lage, den Kläger anzusehen, und ihre Körpersprache drückte sehr deutlich ein Unbehagen gegenüber ihrer Rolle als Zeugin gegen den Kläger aus. Daraus folgert das Gericht, dass die Zeugin ein schlechtes Gewissen hat, was jedenfalls nicht für die Glaubhaftigkeit der Aussage spricht.

55

Die weiteren für das streitige Ereignis aufgebotenen und vernommenen Zeuginnen reichen zur Überzeugungsbildung des Gerichts ebenfalls nicht aus. Frau G. hat zwar auch das Ereignis selbst bekundet, konnte aber keine weiteren Details zu den Vorgängen vor und nach dem streitigen Ereignis beitragen, was wie bereits dargelegt als Indiz gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage anzusehen ist. Die Zeugin P. hat sich eingangs ihrer Aussage sogar ausdrücklich geweigert, sich der Erinnerung zu stellen und hat dann nur auf ihre bisherigen Aussagen verwiesen (Blatt 646). Daraus ergeben sich durchgreifende Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage, da es dem Gericht gar nicht möglich war, die Glaubhaftigkeit der Einlassungen der Zeugin durch unmittelbare Eindrücke zu ermessen.

56

Hilfsweise geht das Gericht davon aus, dass man der Zeugin H. tatsächlich glauben könne, denn sie hat immerhin auf die Frage, in welchem Ton der Kläger seine Worte geäußert habe, auf ihre Art sehr präzise und lebendig geantwortet ("... war wohl so schlacksig gesagt ..."). Diese Frage hatte bisher noch in keiner Vernehmung eine Rolle gespielt und dennoch konnte die Zeugin spontan darauf antworten. Das spricht dafür, dass sie tatsächlich persönlich Erlebtes geschildert hat. Diese von der betroffenen Zeugin selbst gegebene Einschätzung korrespondiert im Übrigen mit der Einlassung der Zeugin G., die auf gerichtliche Nachfrage sagte, sie selbst habe die Worte des Klägers "so zwischen bös und scherzhaft eingeschätzt" (Blatt 644). Selbst wenn man sich aber hierauf stützen würde, würde sich der Vorwurf des beklagten Landes dennoch nicht bestätigen lassen, denn beide Zeuginnen haben eingeräumt, dass in dem Tonfall des Klägers auch etwas Scherzhaftes mitgeklungen habe. Damit ist es jedenfalls nicht möglich, den für die Beleidigung erforderlichen Vorsatz des Klägers festzustellen. Denn wenn die Zeuginnen tatsächlich auch eine scherzhafte Ebene in der Aussage wahrgenommen haben, dann wird man die Einlassung des Klägers, da müsse man seinen "englischen Humor" wohl missverstanden haben, nicht widerlegen können.

57

Damit hätte sich der Kläger zwar immer noch gemessen am Leitbild eines guten Lehrers bis auf die Knochen blamiert, da aber ein strafrechtlich relevanter Vorwurf damit nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, könnte dieses Verhalten des Klägers nur nach einer entsprechenden Abmahnung kündigungsrelevant werden.

58

2. Die abermalige Vernehmung der weiteren Zeugin R. zu dem dritten Vorwurf (Versuch, das Kopftuch abzunehmen) ist auf Basis der Bewertung der beiden anderen Vorwürfe durch das Gericht nicht mehr erforderlich. Denn selbst wenn man die Behauptungen des beklagten Landes zu dem Verhalten des Klägers auf Frau R. bezogen als wahr unterstellt, reicht das zur sozialen Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigung nicht aus. Dies gilt selbst dann, wenn man die weiteren Vorwürfe gegenüber dem Kläger, die das Gericht weder 2007 noch heute einer näheren Aufklärung unterzogen hat, in die Bewertung mit einfließen lässt.

59

a) Das Gericht hat in dem aufgehobenen Urteil vom 13.03.2007 festgestellt, dass der Kläger versucht hat, der Schülerin R. das Kopftuch abzunehmen, um ihre schwarzen Haare sehen zu können. In der Bewertung hat das Gericht ausgeführt, der Kläger habe die Würde der gläubigen Schülerin R. dadurch nachhaltig verletzt. Erschwerend hat das Gericht berücksichtigt, dass die Empörung der Zeugin über dieses Verhalten bei ihrer Vernehmung vor dem Landesarbeitsgericht fast zwei Jahre nach dem Vorfall noch deutlich zu spüren gewesen war. An dieser Bewertung hält das Gericht uneingeschränkt fest.

60

Dieser Vorfall ist allein aber nicht ausreichend, um die streitgegenständliche Kündigung sozial zu rechtfertigen, denn es fehlt an der vorausgegangenen Abmahnung dieses Verhaltens. Eine Kündigung ist nicht eine Art Strafe oder Sanktion für in der Vergangenheit begangenes Unrecht, sondern sie ist dann sozial gerechtfertigt und damit möglich, wenn sich aus der Analyse des Fehlverhaltens ergibt, dass zukünftig mit weiterem Fehlverhalten zu rechnen ist; es ist also eine negative Prognose für das Verhalten erforderlich. "Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde zukünftig den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Die Abmahnung ist insoweit notwendiger Bestandteil bei der Anwendung des Prognoseprinzips" (BAG 31.05.2007 - 2 AZR 200/06 - Privatnutzung des Internets - NZA 2007, 922 = NJW 2007, 2653 = AP Nr. 57 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung sowie im gleichen Sinne Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern 25.04.2007 - 3 Sa 294/06 - sowie ebenfalls vom 25.04.2007 - 3 Sa 295/06 -).

61

Wegen der fehlenden Abmahnung kann vorliegend nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass sich der Kläger zukünftig ähnlich schwerer Vertragsverletzungen schuldig gemacht hätte. Das Gericht hatte die negative Prognose ohne Abmahnung im aufgehobenen Urteil vom 13.03.2007 auf die Häufung der Vorfälle in einem relativ engen Zeitrahmen gestützt. Wenn jetzt davon ausgegangen werden muss, dass die beiden anderen Hauptvorwürfe nicht als erwiesen angesehen werden können, ist diese Möglichkeit ausnahmsweise ohne Abmahnung zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung zu kommen, verbaut.

62

Angesichts der offensichtlich fehlenden Führung und Kontrolle des Klägers durch seine vorgesetzte Behörde sieht sich das Gericht auch außer Stande, allein aus der Schwere der Vertragsverletzung im Falle R. auf eine negative Zukunftsprognose zu schließen. Die im hiesigen Prozess zur Sprache gekommenen Vorwürfe sieht das Gericht nur als die Spitze des Eisbergs an; sie sind der derzeit aktuelle Endpunkt einer Fehlentwicklung des klägerischen Verständnisses seines Berufes, deren Beginn schon Jahre zurückliegen muss. Durch seine Sucht nach Anerkennung und Bewunderung durch die Schüler hat er schon vor Jahren den Pfad der Tugend verlassen und hat gemeint, er sei ein besserer Lehrer, wenn er die gegebenen Unterschiede zwischen Schülern und Lehrern durch ein kumpelhaftes, lockeres oder cooles Auftreten verwische. Dieser Prozess ist offensichtlich schon so weit vorangeschritten, dass dem Kläger selbst manchmal die vorhandenen Grenzen, auch die Grenzen des Anstandes und des guten Geschmacks, nicht mehr deutlich vor Augen stehen. In dieser Situation wäre es eine überzogene Reaktion, wenn man anlässlich des ersten sichtbaren Skandals aus dieser Fehlentwicklung sofort und ohne Anwendung der üblichen Künste der Personalführung zum Mittel der Kündigung greifen würde.

63

b) An dieser Bewertung ändert sich auch unter Hinzuziehung aller weiteren Vorwürfe, die gegen den Kläger erhoben wurden, nichts. Auch diese können daher hier als wahr unterstellt werden.

64

aa) Einige der Vorwürfe brauchen keiner näheren Betrachtung unterzogen werden, da sie dem Personalrat nicht als Teil des Kündigungsgrundes mitgeteilt worden sind. Insoweit wird Bezug genommen auf die beiden Anschreiben zur Beteiligung des Bezirkspersonalrats der Lehrer im Schulamt Rostock an den Kündigungen vom 03.06.2005 (Blatt 41 ff und Blatt 44 ff). Außerdem wird festgehalten, dass auch im Stufenverfahren und vor der Einigungsstelle vom beklagten Land keine weiteren Umstände in das Beteiligungsverfahren eingeführt wurden.

65

Das betrifft zum einen den Vorwurf, der Kläger habe der Schülerin M. angeboten, sie könne ihn auch zu Hause besuchen. Auch der Vorwurf, der Kläger habe angeregt oder angewiesen, Frau M. solle - wenn sie keine Sportsachen dabei habe - in Unterwäsche am Sportunterricht teilnehmen, hat im Rahmen der Personalratsbeteiligung keine Rolle gespielt. Dies gilt auch für den weiteren ebenfalls streitigen Fortgang dieses Dialogs, wo der Kläger dann gesagt haben soll, notfalls könne sie ja auch nackt am Unterricht teilnehmen (vgl. Klageerwiderung vom 17.11.2005, hier Blatt 23).

66

Zum anderen betrifft das den Vorwurf, der Kläger habe vor den Schülerinnen im Rahmen der allgemeinen Ansprache im Sportunterricht auch über die Art der Wäsche geredet, die heutzutage von jungen Mädchen getragen werde (vgl. Klageerwiderung vom 17.11.2005, hier Blatt 24). Auch davon ist der Personalrat nicht unterrichtet worden.

67

bb) Der Vorwurf, der Kläger habe der Schülerin B. aus der Parallelklasse (9c) gesagt, sie habe schöne Brüste, wäre zwar wieder ein Beweis dafür, dass der Kläger die Orientierung an den Grenzen des Anstands und des guten Geschmacks wohl komplett verloren hat. Diese Aussage hätte jedoch, wenn sie tatsächlich gefallen sein sollte, nur einen geringen Unrechtsgehalt, denn die Äußerung ist nicht herabwürdigend oder anstößig. Sie wäre "nur" für einen Lehrer völlig deplatziert und könnte daher eine Kündigung nur rechtfertigen, wenn es sich um einen Wiederholungsfall nach vorangegangener Abmahnung handeln würde.

68

cc) Dasselbe gilt für die Vorwürfe hinsichtlich weiterer Auffälligkeiten des Klägers im Umgang mit der Schülerin F.. Wenn er ihr tatsächlich offenbart haben sollte, dass er von ihr geträumt hat, und wenn es stimmen sollte, dass er sich bei ihr selbst und in ihrem Umfeld erkundigt haben sollte, ob sie einen Freund hat, deutet auch das wieder darauf hin, dass der Kläger offensichtlich vergessen hat, was seine Rolle als Lehrer auszeichnet. Das Fehlverhalten hat jedoch ebenfalls keinen herabwürdigenden oder anstößigen Zug und kann daher nicht als schwer bewertet werden. Der in diesem Zusammenhang zusätzlich geäußerte Vorwurf, der Kläger hätte sich während des Unterrichts (!) vor F. hingekniet und habe um ihre Hand angehalten, braucht nicht näher bewertet zu werden, da er ebenfalls dem Personalrat nicht mitgeteilt worden war. Das Niederknien vor F. wird im Personalratsanschreiben nur in dem Zusammenhang mit der Frage nach dem Freund gestellt.

69

3. Das Gericht möchte nicht verhehlen, dass im Laufe des Rechtsstreits viele Gesichtspunkte gewahr geworden sind, die ernsthafte Zweifel an der persönlichen Eignung des Klägers zur Ausübung des Berufs des Lehrers aufkommen lassen. Das betrifft zum einen das bereits mehrfach angesprochene Selbstverständnis des Klägers in seiner Rolle als Lehrer. Zum anderen betrifft das aber beispielsweise auch die Art und Weise in der er versucht hat, auf die Aussagen der Zeuginnen P2 und B2 Einfluss zu nehmen. Sein gezeigtes Verhalten legt den Verdacht nahe, dass er seine Autorität als Lehrer missbraucht hat, um die beiden Schülerinnen in dem zu beeinflussen, was sie vor Gericht aussagen. Auch dies sieht das Gericht als einen Hinweis, dass dem Kläger gar nicht klar ist, in welcher kritischen Verantwortungsstellung er als Lehrer gerade bei den heranwachsenden Schülerinnen steht. Auch dass es der Kläger auf Basis dürftigster Beweise für nötig gehalten hat, Strafanzeige gegen seine ehemaligen Schülerinnen zu stellen, ist hier negativ aufgefallen. Nimmt man hinzu, wie sich der Kläger gewunden hat, auf einfache Frage zu seinem persönlichen Erleben einfach zu antworten, und wie er die Aufklärung des Sachverhalts durch Eröffnung unnötiger Themenfelder und allgemeiner Spekulationen über den Charakter der heutigen Jugend aktiv behindert hat, ergeben sich zusätzlich Zweifel an der persönlichen Eignung des Klägers überhaupt Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes sein zu können. Dass sich aus der Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst besondere Loyalitäts- und gar Offenbarungspflichten ergeben können, hat der Kläger offensichtlich bisher nicht begriffen.

70

Da all diese Verhaltensweisen nach Ausspruch der Kündigung erfolgt sind und das beklagte Land auch keinen Antrag nach §§ 9, 10 KSchG gestellt hat, müssen die Einzelheiten dieser Verdachtsmomente gegen die persönliche Eignung des Klägers hier dahinstehen. Der Kläger wäre aber gut beraten, wenn er das Obsiegen im vorliegenden Rechtsstreit nicht zum Anlass nehmen würde, die im Laufe des Rechtsstreits erkennbar gewordenen Versuche, seine bisherige Rolle als Lehrer kritisch zu überprüfen, einzustellen.

71

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land, da es den Rechtsstreit insgesamt verloren hat (§ 91 ZPO).

72

Zur Zulassung der Revision besteht nach wie vor kein Anlass.

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Tenor 1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichtes in Punkt 1 teilweise abgeändert. 2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 22.08.2005 aufgelöst wurde.

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Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichtes in Punkt 1 teilweise abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 22.08.2005 aufgelöst wurde.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen beide Seiten zu je 1/2.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung. Dem Kläger wird vorgeworfen, er habe Schülerinnen beleidigt, sie sexuell belästigt oder sei ihnen mit sexuellen Zielen zu nahe gekommen. Der Kläger bestreitet die Tatvorwürfe.

2

Der Kläger ist die Diplomlehrer für Sport und Geografie. ... Seit September 1991 ist er im Schuldienst des beklagten Landes tätig.

3

Der Kläger ist ... verheiratet und hat für drei Kinder und ... zu sorgen.

4

Der Kläger war lange Jahre in R. als Lehrer tätig und ist dann im August 2003 an die Regionalschule ... versetzt worden. Der Kläger erteilt hier Sport- und Geografieunterricht. Er bezieht Vergütung nach der Vergütungsgruppe III zum BAT-O.

5

Die dem Kläger zur Last gelegten Vorfälle sollen sich - soweit das Landesarbeitsgericht sich mit dem Sachverhalt befasst hat - alle im Sportunterricht der Klasse 9b im Schuljahr 2004/2005 im zweiten Schulhalbjahr ereignet haben.

6

Der Kläger war in diesem Schuljahr Vertretungslehrer für die weiblichen Schülerinnen der Klasse 9b im Sportunterricht. Im Schuljahr davor war er deren regulärer Sportlehrer. Im Jahre 2005 hat der Kläger die Schülerinnen der Klasse 9b zunächst nur gelegentlich als Vertretungslehrer unterrichtet und sodann ab Mai 2005 wegen des längerfristigen Ausfalls des vorgesehenen Sportlehrers ständig.

7

Die fraglichen Sportstunden haben alle in der Sporthalle, die zu der Schule gehört, stattgefunden. Der Sportunterricht wird im Regelfall getrennt für die weiblichen und männlichen Schüler der Klasse durchgeführt. Wenn kein Lehrerausfall vorliegt, werden die männlichen Schüler von einem anderen Lehrer betreut.

8

Das Fass zum Überlaufen brachten die - insgesamt streitigen - Ereignisse in der Sportstunde vom 24.05.2005. Entweder noch an diesem Tag oder am nächsten Tag beschwerten sich mehrere Schülerinnen der Klassen 9b und 9c bei der Schulleiterin über den Kläger und schilderten verschiedene sexuelle Übergriffe bzw. sonstige Handlungen, denen man sexuelle Bezüge zuordnen kann. Nach Abstimmung mit dem Schulamt wurden die Schülerinnen am 26.05.2005 aufgefordert, ihre Wahrnehmungen zu Papier zu bringen; diese Einlassungen sind zuletzt auch in lesbarer Form zur Akte gereicht worden (Blatt 384 ff d. A.). Noch am 26.05.2005 wurde der Kläger zu den Vorfällen angehört; er verteidigte sich mit dem Argument, sein englischer Humor sei wohl missverstanden worden. Er wurde vom Dienst suspendiert und um schriftliche Stellungnahme gebeten; auf die Stellungnahme vom 31.05.2005 wird Bezug genommen.

9

Unter dem 03.06.2005 hat der Schulrat ... den bei ihm gebildeten Bezirkspersonalrat der Lehrer um Zustimmung zu einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung gebeten. Da der Bezirkspersonalrat die Zustimmung nicht erteilt hatte und auch das Stufenverfahren nicht zur Einigung führte, hat das beklagte Land die Einigungsstelle angerufen. Diese hat mit Beschluss vom 10.08.2005 die von den Personalvertretungen verweigerte Zustimmung ersetzt. Der Vorsitzende der Einigungsstelle hat das Bildungsministerium mit Fax vom 17.08.2005 offiziell über die getroffene Entscheidung unterrichtet. Die Einigungsstelle ist von dem vom Ministerium vorgegebenen Sachverhalt ausgegangen und hat dazu angemerkt, der Kläger habe durch sein Verhalten gegenüber den Schülerinnen "die Grenzen dessen, was ein Lehrer sich auch bei lockerstem Umgang mit den Schülern leisten darf, bei weitem überschritten."

10

Die streitgegenständliche Kündigung ist sodann unter dem 22.08.2005 ausgesprochen worden; sie ist dem Kläger am 23.08.2005 zugegangen. Mit Schreiben vom 23.08.2005 hat das beklagte Land den Fristablauf für die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung auf den 31.03.2006 korrigiert.

11

Die gegen die Kündigungen gerichtete Kündigungsschutzklage, die der Kläger mit einem Weiterbeschäftigungsantrag verbunden hat, ist beim Arbeitsgericht am 06.09.2005 eingegangen.

12

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,

13

1. festzustellen, dass die außerordentliche Kündigung vom 22.08.2005 und die ordentliche Kündigung vom 22.08.2005 in der Fassung vom 23.08.2005 unwirksam sind;

14

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

15

Das beklagte Land hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Das beklagte Land hält es für unzumutbar, den Kläger weiterzubeschäftigen. Das beklagte Land legt dem Kläger, soweit dies für die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes von Bedeutung war, drei Vorkommnisse zur Last und stellt dazu folgende Behauptungen auf.

18

Das beklagte Land behauptet, der Kläger hätte die Schülerin A am 24.05.2005 als "kleine blonde Schlampi" bezeichnet. Diese Beleidigung habe sich zugetragen, als die Schülerin auf der Bank Platz genommen hatte, da sie - unstreitig zum wiederholten Male - ihre Sportsachen beim Sportunterricht nicht dabei hatte. Die Beleidigung sei so laut ausgesprochen worden, dass sie von den umstehenden Schülerinnen D und E gehört worden sei.

19

Das beklagte Land behauptet, am 24.05.2005 sei es zu einem Vorfall die Schülerin B betreffend gekommen. Die Schülerin habe bei einer Gruppe von Mädchen gestanden und sich unterhalten, als der Kläger sich ihr von hinten genähert habe, sie am Hinterteil angefasst habe, und dabei die Bemerkung habe fallen lassen "geiler Handballerarsch". Dies sei in einer Lautstärke erfolgt, dass andere Mitschülerinnen das ebenfalls gehört hätten (E, A, F).

20

Zu einem nicht mehr rekonstruierbaren Zeitpunkt im zweiten Halbjahr des Schuljahres 2004/2005 soll es - so das beklagte Land - auch zu einem Vorfall die irakische Schülerin C betreffend gekommen sein. Die Schülerin trägt - das ist unstreitig - das Kopftuch und sie ist gläubig. Der Kläger hat - auch das ist unstreitig - immer wieder den Dialog mit dieser Schülerin über ihren Glauben und über das Kopftuch geführt, wobei der Kläger werbend für die offene westliche Lebensart eingetreten ist. Während einer Sportstunde waren dann der Kläger und C etwas abseits der übrigen Schülerinnen, weil C den Kläger gebeten hatte, den Ballschrank mit seinem Schlüssel zu öffnen. Auf dem gemeinsamen Weg zum Ballschrank oder aber am Ballschrank angekommen habe der Kläger die Schülerin wiederholt aufgefordert, das Kopftuch abzunehmen, damit er ihre schönen schwarzen Haare sehen könnte. Die Schülerin habe sich standhaft geweigert. Der Kläger habe dann versucht selber das Kopftuch zu lösen und habe dazu mit der Hand nach dem Knoten unter dem Kinn gegriffen. Als die Hand des Klägers nur noch etwa 30 cm vom Kinn der Schülerin entfernt gewesen sei, sei die Schülerin geflüchtet.

21

Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der betroffenen Schülerinnen als Zeuginnen und nach Vernehmung weiterer Mitschülerinnen die Klage mit Urteil vom 02.02.2006, dem Kläger zugestellt am 16.02.2006, insgesamt abgewiesen.

22

Die hiergegen gerichtete Berufung vom 08.03.2006 ist hier noch am selben Tag per Fax eingegangen. Auf einen Antrag, der hier am 10.04.2006 eingegangen war, ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 26.04.2006 verlängert worden. Die Berufung ist sodann mit Schriftsatz vom 23.04.2006, Gerichtseingang am 26.04.2006, begründet worden.

23

Der Kläger verfolgt sein ursprüngliches Klageziel in vollem Umfang weiter.

24

Er bestreitet die ihm zur Last gelegten Vorkommnisse und lässt sich zu ihnen wie folgt ein.

25

Die Schülerin A habe er nie als "kleine blonde Schlampi" bezeichnet. Er gehe vielmehr davon aus, dass A diese Geschichte erfunden habe, um sich an ihm zu rächen, da er das bloße Absitzen der Sportstunde auf der Bank nicht geduldet habe und angedroht habe, es werde schlechte Noten geben, wenn das mit dem sogenannten "Vergessen" der Sportsachen nicht aufhöre.

26

Das Vorkommnis mit B und seiner angeblichen körperlichen Berührung der Schülerin sei ebenfalls aus der Luft gegriffen. Auch insoweit müsse er davon ausgehen, dass man sich an ihm durch solche falschen Anschuldigungen nur habe rächen wollen. Dazu behauptet der Kläger, er habe Zeugen dafür (Mitschüler), die bezeugen könnten, dass B Monate später eingeräumt hätte, dass sich die Vorfälle nicht wie behauptet zugetragen hätten.

27

Einen Vorfall, wie von C geschildert, habe es nicht gegeben. Er wolle zwar C keiner Lüge bezichtigen; es habe da aber tatsächlich nichts gegeben, was sich mit dem behaupteten Vorfall in Übereinstimmung bringen lasse. Außerdem sei es nicht möglich durch einen Griff unter das Kinn das Kopftuch zu lösen, da es im Nacken gebunden werde.

28

Im Übrigen behauptet der Kläger, die Schulleiterin ... habe schon von Anfang an versucht ihn wieder loszuwerden. Sie habe daher dafür gesorgt, dass die Schülerinnen gegen ihn aussagen würden. Noch auf dem Flur am Tag der arbeitsgerichtlichen Beweisaufnahme habe [sie] die Zeuginnen auf die "richtige" Aussage eingeschworen. Auch im Schulamt und im Bildungsministerium habe man schon lange auf die Gelegenheit zur Kündigung gewartet, da er als kritischer Lehrer es sich nicht habe nehmen lassen, sich öffentlich kritisch zur Bildungspolitik der Landesregierung zu äußern.

29

Der Kläger beantragt,

30

1. unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils festzustellen, dass die außerordentliche Kündigung vom 22.08.2005 und die ordentliche Kündigung vom 22.08.2005 in der Fassung vom 23.08.2005 unwirksam sind;

31

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

32

Das beklagte Land beantragt,

33

die Berufung zurückzuweisen.

34

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

35

Die dem Streitgegenstand nach statthafte Berufung, die auch im Übrigen keinen Zulässigkeitsbedenken unterliegt, hat nur zum Teil Erfolg.

36

Denn es kann lediglich festgestellt werden, dass die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Die entsprechende Feststellung zur ordentlichen Kündigung ist nicht möglich.

I.

37

Die außerordentliche Kündigung vom 22.08.2005 ist unwirksam, da sie nicht innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen wurde. Die Frist beginnt im Regelfall mit dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem der zur Kündigung Berechtigte Kenntnis von den zur Last gelegten Vorfällen erlangt und er die sich daran anschließenden Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Sicherung der Beweismittel abgeschlossen hat.

38

Danach hat die Frist des § 626 Abs. 2 BGB hier am 1. Juni 2005 zu laufen begonnen. Denn an diesem Tage ist im Schulamt die schriftliche Stellungnahme des Klägers zu den ihm zur Last gelegten Vorfällen eingegangen und der Schulrat hat daraufhin die Aufklärung des Sachverhaltes für beendet erklärt.

39

Stellt man nur auf diese Frist ab, ist die erst im August 2005 ausgesprochene Kündigung deutlich außerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen worden.

40

Allerdings hatte der zur Entscheidung befugte Schulrat praktisch keine Möglichkeit, innerhalb dieser Frist die Kündigung auszusprechen, da der bei ihm gebildete und beteiligte Bezirkspersonalrat der Lehrer der Kündigung die nach §§ 62 Abs. 1, 68 Abs. 1 Nr. 2 LPersVG MV erforderliche Zustimmung zu dieser Maßnahme nicht erteilt hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist daher in den Fällen, in denen die Möglichkeit zur Kündigung von der vorherigen Zustimmung des Personalrats abhängig ist, § 91 SGB IX analog anzuwenden. (BAG 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - AP Nr. 204 zu § 626 BGB = NZA-RR 2006, 440). Nach dem bisherigen Stand der Rechtsprechung des BAG muss der Arbeitgeber dafür in Anlehnung an § 91 Abs. 2 SGB IX innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB nach verweigerter Zustimmung durch den Personalrat das Stufenverfahren eingeleitet haben (BAG 8. Juni 2000 - 2 AZR 375/99 - BAGE 95, 98). Zusätzlich muss er in Anlehnung an § 95 Abs. 5 SGB IX "unverzüglich" nach Erhalt der Zustimmung zur Kündigung oder deren Ersetzung durch die Einigungsstelle die Kündigung aussprechen (BAG 2. Februar 2006 aaO).

41

Gemessen hieran hat das beklagte Land die Kündigung aber ebenfalls nicht rechtzeitig ausgesprochen. Der Schulrat hat zwar durch das Anschreiben an das Ministerium vom 13.06.2005 (Kopie Bl. 50 d.A.) noch innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB das Stufenverfahren eingeleitet. Die Kündigung ist jedoch nicht unverzüglich im Sinne von § 91 Abs. 5 SGB IX nach Eröffnung der Kündigungsmöglichkeit durch die Entscheidung der Einigungsstelle ausgesprochen worden.

42

Entsprechend der Definition in § 121 Abs. 1 BGB bedeutet "unverzüglich" "ohne schuldhaftes Zögern". Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalles nicht geboten ist. "Unverzüglich" bedeutet damit weder "sofort" noch ist damit eine starre Zeitvorgabe verbunden. Es kommt vielmehr auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an (BAG 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 4 = EzA SGB IX § 91 Nr. 1). Dabei ist nicht allein die objektive Lage maßgebend. Solange derjenige, dem unverzügliches Handeln abverlangt wird, nicht weiß, dass er die betreffende Rechtshandlung vornehmen muss, oder mit vertretbaren Gründen annehmen kann, dass er sie noch nicht vornehmen muss, liegt kein "schuldhaftes" Zögern vor (BAG 2. Februar 2006 aaO). Liegt allerdings die zuverlässige Kenntnis der Eröffnung der Kündigungsmöglichkeit vor, muss die Kündigung auch "innerhalb einer sehr kurzen Zeit" (BAG aaO) ausgesprochen werden.

43

Diese Zeitspanne hat das beklagte Land hier verstreichen lassen. Denn selbst dann, wenn man für die Kenntnisnahme auf die offizielle Unterrichtung des Ministeriums durch den Vorsitzenden der Einigungsstelle am 17. August 2005 (Mittwoch - FAX-Übermittlung der Entscheidung nebst Begründung) abstellt, ist der Ausspruch der Kündigung vom 22. August 2005, die am 23. August 2005 (Dienstag) zugegangen ist, nicht mehr "innerhalb einer sehr kurzen Zeit" erfolgt. Es ist auch kein Umstand ersichtlich, der die Verzögerung erklären oder gar entschuldigen könnte.

44

Daher kann hier offen bleiben, ob die Frist zum Ausspruch der Kündigung erst mit der offiziellen Unterrichtung des Ministeriums durch den Vorsitzenden der Einigungsstelle begonnen hatte, oder ob sie nicht bereits mit der Entscheidung der Einigungsstelle selbst zu laufen begann. Für diesen früheren Beginn des Fristlaufs spricht immerhin das personalvertretungsrechtliche Verständnis der Einigungsstelle, denn diese ist gerade keine außenstehende Stelle sondern eine Schlichtungsstelle innerhalb der Dienststelle, was schon dadurch deutlich wird, das die Hälfte der Beisitzer von der Dienststelle benannt wird. Die Dienststelle hatte daher eigentlich schon mit der Abstimmung in der Einigungsstelle Kenntnis der Eröffnung der Kündigungsmöglichkeit oder jedenfalls Tags darauf, als die von der Dienststelle entsandten Mitglieder der Einigungsstelle wieder ihren Dienst angetreten haben.

II.

45

Die ordentliche Kündigung vom 22.08.2005 ist wirksam. Sie hat das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der korrigierten Kündigungsfrist zum 31.03.2006 beendet. Diese Kündigung ist als verhaltsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG.

46

1. Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung unter anderem dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt ist. Als Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers, die geeignet sind eine Kündigung zu bedingen, kommen insbesondere schwere Verletzungen vertraglicher oder gesetzlicher Pflichten des Arbeitnehmers in Betracht. Die einem Arbeitnehmer zur Last gelegten Vorkommnisse müssen insgesamt geeignet sein, den Schluss zu rechtfertigen, dass das Arbeitsverhältnis auch zukünftig nicht störungsfrei verlaufen wird (Prognoseprinzip). Zur Herstellung der Prognosesicherheit ist im Regelfall der Ausspruch einer Abmahnung und ein darauf folgender nochmaliger Verstoß gegen dieselbe Pflicht erforderlich. Da es sich um eine wertoffene gesetzliche Formulierung handelt, erfordert das Urteil der sozialen Rechtfertigung der Kündigung bei der verhaltensbedingten Kündigung letztlich noch eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen.

47

Gemessen hieran ist die streitige Kündigung sozial gerechtfertigt. Dies steht für das Gericht mit ausreichender Sicherheit trotz der fehlenden Abmahnung fest.

48

2. Auf Grund der vom Landesarbeitsgericht teilweise wiederholten Beweisaufnahme und auf Grund der umfassenden Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlung (§ 286 ZPO) stützt das Gericht seine Entscheidung auf folgende Feststellungen.

49

a) Der Kläger hat versucht, der Schülerin C das Kopftuch abzunehmen, um ihre schwarzen Haare sehen zu können.

50

aa) Der Kläger hat zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im ersten Halbjahr 2005 versucht, der Schülerin C das Kopftuch abzunehmen, indem er mit seiner Hand in Richtung des Knotens des Kopftuches unter dem Kinn der Schülerin griff und der Schülerin damit bis auf etwa 30 cm Entfernung nahe kam.

51

Das Gericht stützt sich bei dieser Feststellung auf die glaubhafte Aussage der glaubwürdigen Zeugin C.

52

Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Zeugin bei ihrer Schilderung vor Gericht ihre eigene Erinnerung an die Ereignisse wiedergegeben hat. Sie hat nicht nur - zum wiederholten Male - das ihr Widerfahrene so wie hier festgestellt geschildert, sondern sie konnte auch auf Detailfragen des Gerichtes, wie z. B. die nach der konkreten Örtlichkeit innerhalb der Turnhalle ohne Nachdenken Antwort geben. Dass die Zeugin selbst Erlebtes geschildert hat, schließt das Gericht auch aus dem Umstand, dass sie ohne weiteres in der Lage war nicht nur das Ereignis selbst, sondern auch dessen Kontext zu schildern.

53

Die Zeugin hat dabei auch beiläufig - ohne das ihr die Bedeutung dieser Aussage für die Entscheidung des Gerichtes deutlich gewesen sein konnte - geschildert, dass das Kopftuch auf unterschiedliche Weise gebunden werden kann und sie im Sport das Tuch so trägt, dass es vorne unter dem Kinn gebunden wird.

54

Dass die Zeugin das Ereignis zeitlich nicht mehr genau einordnen konnte und sie ihre diesbezügliche Aussage auf Vorhalt sogar abgeändert hat, spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage. Denn zum einen ist die menschliche Erinnerungskraft hinsichtlich der zeitlichen Reihenfolge mehrerer erinnerter Ereignisse generell als nicht sehr zuverlässig einzuschätzen. Zum anderen muss hier beachtet werden, dass das fragliche Ereignis durch die Ermittlungen der Schulleiterin und die Beweisaufnahme vor dem Arbeitsgericht ohnehin bereits mehrfach von der Zeugin erinnert werden musste, wodurch die korrekte zeitliche Verortung in die übrige Erinnerungswelt der Zeugin zusätzlich erschwert wird. Letztlich hat das Gericht zu Gunsten der Glaubhaftigkeit der Aussage berücksichtigt, dass die Zeugin bereits in ihrer schriftlichen Stellungnahme aus Ende Mai 2005 gegenüber der Schulleiterin sich zur zeitlichen Lage dieses Ereignisses etwas ungenau ausgedrückt hatte.

55

Die Zeugin ist für das Gericht auch glaubwürdig. Das Gericht hält die bei der abermaligen Vernehmung bereits volljährige Zeugin für eine integere Person, die bereits auf Grund ihres festen Glaubens sich zur wahren Aussage verpflichtet fühlt. Selbst der Kläger hat vom Gericht im ersten Teil der mündlichen Verhandlung ausdrücklich befragt gemeint, C könne und wolle er keine Lüge unterstellen und er hat nach der Vernehmung der Zeugin vor dem Landesarbeitsgericht zu den sich aus der Aussage ergebenden Belastungsmomenten trotz ausdrücklicher Gewährung rechtlichen Gehörs durch das Gericht geschwiegen.

56

Das Entlastungsvorbringen des Klägers hat das Gericht nicht überzeugt. Nachdem inzwischen durch die Einlassungen der Zeugin der genaue Ort des Ereignisses und die Entstehung der Situation (gemeinsamer Gang zum Ballschrank in der Ecke der Turnhalle) bekannt geworden ist, ist das bloße Ableugnen des gesamten Ereignisablaufes durch den Kläger nicht nachvollziehbar und damit auch nicht glaubhaft.

57

bb) Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass der Kläger fest entschlossen war, der Zeugin das Kopftuch zu öffnen und an diesem bereits begonnenen Vorhaben nur durch die Flucht der Zeugin gehindert wurde. Auch dies wurde aus der glaubhaften Aussage der Zeugin deutlich.

58

Sehr anschaulich hat die Zeugin geschildert, dass es für sie um sie herum eine unsichtbare Respektzone gebe, in die niemand ohne ihre Zustimmung eindringen dürfe und dass die Hand des Klägers, als sie auf sie zukam, diese Respektzone eindeutig überschritten habe. Auch schildert sie glaubhaft, dass sie daraufhin fast wie im Reflex wegen dieser Verletzung der Respektzone die Flucht ergriffen habe.

59

cc) Das Gericht ist schließlich davon überzeugt, dass der Kläger das Kopftuch lösen wollte, um die schönen Haare der Zeugin sehen zu können. Das schließt das Gericht aus dem Umstand, dass der Kläger diesen Zusammenhang selbst durch seine Worte hergestellt hat ("ich will deine schwarzen Haare sehen").

60

Auch bei dieser streitigen Behauptung des beklagten Landes folgt das Gericht der Aussage der Zeugin. Die Glaubhaftigkeit ergibt sich für das Gericht aus der Nachvollziehbarkeit ihrer Schilderungen. Denn die Zeugin hat geschildert - was sich im Übrigen mit der Darstellung des Klägers deckt -, der Kläger habe immer wieder den Dialog mit ihr über ihre Religion, ihre Wertvorstellungen und über das Kopftuch gesucht. Da der Kläger als männlicher erwachsener Lehrer für sie eine Respektperson gewesen sei, habe sie sich diesen Diskussionen, obwohl sie durch die ständige Wiederholung des Themas bereits reichlich genervt gewesen sei, immer wieder wie es die Höflichkeit geziemt gestellt. Wenn die Zeugin bei diesem Thema immer höflich mitdiskutiert hat, in der Sporthalle jedoch plötzlich die Flucht antritt, muss es ein neues Element in dem Verhalten des Klägers gegeben haben, das die Flucht erzwungen hat. Dieses neue Element war das plötzlich geäußerte persönliche Anliegen des Klägers, die schwarzen Haare der Zeugin sehen zu wollen. Damit war der Lehrer in den Augen der Schülerin keine Respektperson mehr und sie konnte bzw. musste sogar die Flucht ergreifen.

61

b) Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt im ersten Halbjahr 2005 während des Sportunterrichtes sich der Schülerin B näherte, sie mit der Hand am Hinterteil anfasste und dabei hörbar die Bemerkung fallen ließ "geiler Handballerarsch".

62

Das Gericht stützt sich für diese Feststellung auf die insoweit glaubhafte Aussage der Zeugin B.

63

Die Zeugin hat diesen Vorfall so bei ihrer erneuten Vernehmung vor dem Landesarbeitsgericht bekundet. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Zeugin insoweit eigenes Erleben wiedergegeben hat. Das schließt das Gericht daraus, dass die Zeugin nicht nur eine bereits mehrmals wiedergegebene "Geschichte" wiederholt hat. Vielmehr war es möglich, mit ihr über das Ereignis zu reden; sie ist auf die Fragen dazu eingegangen und hat ohne Nachdenken zu müssen darauf antworten können. Das betrifft z. B. die Frage nach der zeitlichen Lage des Ereignisses innerhalb der Sportstunde, die Frage nach der inneren Reaktion der Zeugin nach dem Ereignis und die Frage, ob sie davon ihren Eltern berichtet habe.

64

Dass sich in der Akte verschiedenfarbige Schilderungen der streitigen Körperberührung finden, ist zwar richtig, spricht aber nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Zeugin, denn sie hat stets von einem "Anfassen" gesprochen. Auf die angeblichen Beobachtungen dieses Ereignisses durch weitere Schülerinnen stützt das Gericht seine Entscheidungsfindung ausdrücklich gerade nicht.

65

Die ungenaue Erinnerung der Zeugin an das Datum der Schulstunde, in der der Vorfall passiert ist, lässt das Gericht als Einwand gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage nicht gelten. Zu den bereits oben bei der Würdigung der Aussage der Zeugin C angesprochenen allgemeinen Problemen des richtigen Erinnerns der Abfolge verschieden wichtiger oder unwichtiger Ereignisse muss hier noch besonders beachtet werden, dass die Zeugin sozusagen die Sprecherin der Protestgruppe gegen den Kläger war und sie daher im besonderen Maße dem Versuch der Schulleiterin ausgesetzt war, aus dem endlosen Mosaik der verschiedenen mitgeteilten Ereignisse durch romanhafte Verdichtung eine stimmige Geschichte zu machen.

66

Die vom Kläger gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin vorgebrachten Argumente teilt das Gericht nicht.

67

Der Kläger leugnet den Vorfall gänzlich und behauptet, die Zeugin hätte das Ereignis frei erfunden, um ihm zu schaden. Es ist bereits nicht nachvollziehbar, welches Motiv die Zeugin gehabt haben sollte. Sie war eine sportliche Schülerin, die sich freiwillig am Unterricht beteiligt hat, sie hatte - möglicherweise im Gegensatz zu anderen Schülerinnen - in Richtung schlechte Noten durch den Kläger nichts zu befürchten. Auch das vom Kläger allgemein - ohne konkreten Bezug auf diese Zeugin - in den Raum gestellte Motiv, die Schülerinnen hätten aus verletzter Eitelkeit oder wegen fehlender Zuwendung durch den Kläger gehandelt, trifft jedenfalls auf B nicht zu. Im Gegenteil war es ja wohl so, dass die Zeugin die ihr vom Kläger zu Teil gewordene Zuwendung und Aufmerksamkeit zuletzt - jedenfalls subjektiv - als aufdringlich und unangenehm empfunden hatte.

68

Bei allem Respekt für die Zeugin und ihre noch im Reifeprozess befindliche Persönlichkeit traut das Gericht der Zeugin den Aufbau und das Durchhalten eines so echt scheinenden Lügengebäudes auch im Hinblick auf die dafür erforderliche "kriminelle Intelligenz" nicht zu. Das Gericht hat die Zeugin als eine gradlinige Person erlebt, die zwar durchaus weiß, was sie will und auch trotz der noch fehlenden Volljährigkeit bereits alle die (weiblichen) Mittel kennt, um ihren Willen durchzusetzen, die aber insgesamt eher bodenständig ist. Sie ist nicht in der Lage, über Monate auf Basis eines Lügengebäudes einen Kampf gegen den Kläger zu führen. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass der Kläger insoweit die Bedeutung seiner Person im Leben der Zeugin erheblich überschätzt hat.

69

Das Gericht war nicht verpflichtet, die Beweisaufnahme auf diejenigen männlichen Schüler, die vom Kläger benannt worden sind, zu erstrecken, die angeblich bekunden können, dass B Monate später erklärt haben solle, die Ereignisse seien seinerzeit aufgebauscht worden. Soweit das auf Grund der oberflächlichen Schilderungen des Klägers möglich war, hat das Gericht die Zeugin zu dem behaupteten Ereignis befragt und diese hat diesbezügliche Einlassungen verneint. Da der Kläger die angeblichen Ereignisse nicht näher konkretisiert in den Prozess eingeführt hat, kommt eine Beweisaufnahme darüber nicht in Betracht.

70

c) Das Gericht ist schließlich auch davon überzeugt, dass der Kläger die Zeugin A am 24.05.2005 mit der beleidigenden Bewertung "kleine blonde Schlampi" so laut angesprochen hat, dass dies nicht nur die Zeugin selbst, sondern auch umstehende Schülerinnen gehört haben.

71

Diese Feststellung stützt das Gericht auf die Einlassung der Zeugin A sowie auf weitere Umstände.

72

Die Zeugin hat das streitige Ereignis im Sinne der Behauptungen des beklagten Landes bestätigt. Das Gericht ist nach Abwägung aller erkennbar bedeutsamen Umstände zu der Überzeugung gelangt, dass man der Zeugin - allerdings nur in diesem einen Punkt - Glauben schenken kann und muss. Diese Überzeugung schöpft das Gericht aus dem Umstand, dass die Zeugin in der Lage war, das ihr Widerverfahrene zusammenhängend und flüssig wiederzugeben. Ihre Bekundungen vor dem Landesarbeitsgericht zu diesem Punkt stimmen überein mit ihren bisherigen Einlassungen gegenüber der Schulleiterin und vor dem Arbeitsgericht. Dass die Zeugin insoweit tatsächlich Erlebtes wiedergegeben hat, schließt das Gericht weiter aus dem Umstand, dass die Zeugin auf ergänzende Fragen des Gerichtes zu dem Ereignis selbst ohne langes Zögern detailreich zu antworten vermochte. Das betrifft insbesondere die Frage nach ihrer inneren Reaktion auf dieses Ereignis. Diese Frage hatte bisher niemand gestellt und sie hat auch in den Schriftsätzen der Parteien bisher keine Rolle gespielt. Da die Zeuginnen vor dem Landesarbeitsgericht einzeln und mit großen zeitlichem Abstand vorgeladen wurden, kann auch ausgeschlossen werden, dass die Zeugin durch Gespräche mit den zuvor vernommenen Zeuginnen ... auf diese Frage bereits vor ihrer Vernehmung vorbereitet war. Es kann also davon ausgegangen werden, dass diese Frage für die Zeugin überraschend war; und dennoch konnte sie dazu ohne zu überlegen eine Antwort geben, die sich zumindest plausibel in das äußere Geschehen einpasst. Das spricht dafür, dass die Zeugin an diesem Punkt eigenes Erlebtes wiedergegeben hat.

73

Gegen die Glaubhaftigkeit dieses Teils ihrer Aussage kann nicht ins Feld geführt werden, dass die Zeugin im Übrigen Aussagen getätigt hat, denen man offensichtlich nicht folgen kann.

74

Das Gericht hat die Zeugin als eine Person erlebt, die auf dem Weg zu einem erwachsenen Menschen noch ein langes Stück zu gehen haben wird. Die Zeugin hat sich auf die weiteren Fragen des Gerichtes, insbesondere bei der Frage, ob und wann sie ihre eigene schriftliche Aussage bei der Schulleiterin nochmals gelesen habe, zu Bekundungen hinreißen lassen, die nach Überzeugung des Gerichtes sich bei weiterer Aufklärung des Sachverhalts schnell als Lüge entpuppt hätten. Das Gericht sieht die Zeugin in ihrer Entwicklungsstufe derzeit als eine noch jugendliche Mitläuferin, die auch bereit ist, nicht erlebte Ereignisse als eigenes Erleben auszugeben, vielleicht weil sie meint, damit einem guten Zweck zu dienen oder sich so die Anerkennung der übrigen Mitschüler erwerben zu können.

75

All dies spricht aber nicht dagegen, der Zeugin in dem Teil der Aussage, der unzweifelhaft ihr persönlich Erlebtes betrifft, Glauben zu schenken. Denn insoweit sind auch deutliche Unterschiede in ihrem Aussageverhalten zu erkennen. Während sie Zusatzfragen zu dem persönlich Erlebten ohne weiteres beantworten konnte, hat sie sich bei Zusatzfragen zu den anderen Ereignissen stets auf fehlende Erinnerung bezogen oder Dinge bekundet, die man geneigt ist, nicht zu glauben.

76

Ergänzend stützt das Gericht seine Überzeugung auch auf den Umstand, dass auch das Arbeitsgericht dieser Zeugin insoweit Glauben geschenkt hat und darauf, dass weitere vom Arbeitsgericht vernommene Zeuginnen die Aussage der hier vernommenen Zeugin A in der Sache bestätigt haben (D, E).

77

Die Befürchtung des Klägers, die Zeugin hätte den Vorfall frei erfunden, um sich auf diese Weise den vom Kläger vertretenden schulischen Anforderungen zu entziehen, ist zwar im Ansatz wegen der Neigung der Zeugin, am Sportunterricht nicht teilzunehmen, durchaus nachvollziehbar. Allerdings kann das Spinnen eines Lügengebäudes getrost bei der Zeugin als völlig ausgeschlossen behandelt werden. Die Zeugin hat durch ihre weiteren Aussagen zu den anderen Fragen des Gerichtes eindrucksvoll bewiesen, dass sie gar nicht in der Lage wäre, glaubhaft zu lügen.

78

3. Die festgestellten drei Vorkommnisse rechtfertigen die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung des Klägers.

79

a) Alle drei Ereignisse stellen sich als schwerwiegende Verletzungen der klägerischen Pflichten als Lehrer dar.

80

Das deutsche Schulsystem ist auf den Lehrer im Mittelpunkt ausgerichtet. Der Lehrer hat durch seine pädagogische Ausbildung, durch seinen fachlichen Kenntnisvorsprung und durch seine disziplinarischen Befugnisse gegenüber den Schülern eine ganz besondere Machtstellung, die man früher vielleicht ungenau aber bildhaft passend auch als "besonderes Gewaltverhältnis" bezeichnet hat. Dieses Machtverhältnis zwingt den Lehrer dazu, eine wohldefinierte Rolle einzuhalten, die den Mißbrauch der Macht bestmöglichst ausschließt und die Machtstellung zum Nutzen des Lern- und Entwicklungserfolges der Kinder und Jugendlichen kanalisiert.

81

Eines der Kernelemente dieser wohldefinierten Rolle als Lehrer ist die Pflicht, die Unantastbarkeit der Würde der ihm anvertrauten jungen Menschen zu achten. Dieses sich aus Artikel 1 Grundgesetz ergebende Gebot für die Ausübung jeglicher staatlicher Gewalt gilt selbstverständlich im besonderen Maße auch für den Lehrer als die Person, die das in der Schule herrschende "besondere Gewaltverhältnis" gegenüber den Schülern verkörpert.

82

In der Missachtung der Unantastbarkeit der Würde der betroffenen Schülerinnen sieht das Gericht den gemeinsamen Nenner aller drei Verfehlungen des Klägers.

83

aa) Der Kläger hat durch die gegenüber der Betroffenen und Dritten geäußerte Bemerkung "kleine blonde Schlampi" gegenüber der Schülerin A den objektiven Tatbestand der Beleidigung im Sinne von § 185 StGB verwirklicht. Die Beleidigung im strafrechtlichen Sinne ist der Angriff auf die Ehre einer anderen Person durch Kundgabe ihrer Missachtung. Eine solche Beleidigung liegt hier vor, denn durch seine herabwürdigende Äußerung hat sich der Kläger über den Achtungsanspruch der Schülerin hinweggesetzt.

84

Es mag sein, dass man eine solche Äußerung unter Privatpersonen wegen der notorischen Nichtteilnahme der Schülerin am Sportunterricht noch gegebenenfalls in einem milderen Licht sehen könnte. Darauf kann und darf sich der Kläger als Lehrer allerdings nicht zurückziehen. Er ist rechtlich verpflichtet, sich in seiner Wortwahl zu mäßigen und er darf bei allem Verständnis für die Situation auf keinen Fall den Boden der sachlichen Äußerung verlassen.

85

Da dem Kläger als Lehrer auch viele andere motivierende oder erzwingende Maßnahmen zum Umgang mit einem solchen Schülerverhalten zur Verfügung stehen, drängt sich sogar der Verdacht auf, der Kläger hätte sich so beleidigend geäußert, weil er sich in dieser Rolle gefällt.

86

bb) Der Kläger hat die Schülerin B dadurch entwürdigt, dass er sie in eindeutig sexuell bezogener Manier körperlich berührt und dabei sein Ansinnen zusätzlich noch wortstark zum Ausdruck gebracht hat. Der Bewertung der Einigungsstelle, dass der Kläger damit die Grenzen dessen, "was ein Lehrer sich auch bei lockerstem Umgang mit den Schülern leisten darf, bei weitem überschritten" habe, kann nichts mehr hinzugefügt werden.

87

cc) Der Kläger hat schließlich die Würde der gläubigen Schülerin C dadurch nachhaltig verletzt, dass er danach getrachtet hat, ihr das Kopftuch abzuziehen, um ihre schönen schwarzen Haare ansehen zu können.

88

Der Kläger wusste auf Grund seiner Auseinandersetzung mit dem muslimischen Glauben sehr wohl, welchen hohen Stellenwert das Kopftuch für die Zeugin hat und gleichwohl konnte er es offensichtlich nicht akzeptieren, dass die Schülerin auf sein Werben für einen freieren Lebensstil nicht ansprach.

89

Dass die Verletzung der Würde in diesem Fall nicht nur eine abstrakte juristische Floskel ist, sondern ihr eine persönlich erlebte Scham des Opfers entspricht, davon konnte sich jeder der im Saal Anwesenden bei der Aussage der Zeugin C vor dem Landesarbeitsgericht eindrucksvoll überzeugen. Trotz der langen Zeit, die seit dem Vorfall verstrichen war, war der Zeugin ihre innere Empörung und ihre Verletztheit wegen des Ereignisses deutlich anzumerken, auch wenn sie das nicht wörtlich zum Ausdruck gebracht hatte.

90

b) Die Pflichtverletzungen des Klägers wiegen schwer. Die Würde des Menschen ist nach unserem Menschenbild der zentrale Wert schlechthin, auf dem die Entwicklung des Menschen zu einer der Persönlichkeit und zu einem mündigen Bürger in einer demokratischen Gesellschaft beruht. Es ist eine der vornehmsten Aufgaben der Schule, den heranwachsenden Schülern ein Bewusstsein für ihre eigene Würde und deren überragende Bedeutung zu verschaffen. Diesen Zusammenhang hat der Landesgesetzgeber nochmals in § 2 des Schulgesetzes vom 13. Februar 2006 in § 2 Abs. 1 (Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule) insoweit wortgleich mit früheren Fassungen des Gesetzes zum Ausdruck gebracht. Es heißt dort, der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen wird bestimmt durch die Wertentscheidungen, die im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und in der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern niedergelegt sind. Ziel der schulischen Bildung und Erziehung ist die Entwicklung zur mündigen, vielseitig entwickelten Persönlichkeit, die im Geiste der Geschlechtergerechtigkeit und Toleranz bereit ist, Verantwortung für die Gemeinschaft mit anderen Menschen und Völkern sowie gegenüber zukünftigen Generationen zu tragen.

91

Bei der Bewertung der Schwere der Vergehen muss auch beachtet werden, dass in allen drei Fällen die Missachtung der Würde der Betroffenen sich auf den unstreitigen Kernbereich der menschlichen Würde bezieht, nämlich zum einen auf die Ehre, die durch die Beleidigung verletzt worden ist, zum anderen auf die sexuelle Selbstbestimmung und zum dritten auf einen im religiösen Glauben ruhenden besonderen Lebensstil.

92

c) Auf Grund der Häufung der Vorfälle innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes von höchstens fünf Monaten muss das Gericht auch davon ausgehen, dass sich der Missbrauch der Machtstellung als Lehrer beim Kläger fast schon zu einem Charakterzug verdichtet hat. Diese Häufung der Ereignisse innerhalb eines relativ begrenzten Zeitraumes trägt daher die für die Kündigung erforderliche Prognose, dass auch zukünftig das Arbeitsverhältnis in dieser Beziehung nicht störungsfrei verlaufen würde, wenn man es fortsetzen würde.

93

d) Die streitige Kündigung ist auch wirksam, obwohl das beklagte Land das klägerische Verhalten nicht zuvor durch eine Abmahnung als nicht vertragsgerechte Leistung beanstandet hat.

94

In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist es anerkannt, dass es ausnahmsweise dann keiner Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung bedarf, wenn dem Arbeitnehmer auf Grund der Schwere der Pflichtverletzung klar sein musste, dass der Arbeitgeber bei Kenntnis der Verfehlung diese unter keinen Umständen dulden würde (vgl. BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 verhaltensbedingte Kündigung = NZA 2006, 980).

95

Die Voraussetzungen dieser Ausnahme liegen hier vor. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es im Arbeitsverhältnis der Parteien offensichtlich an Kontrolle und Führung gemangelt hat, konnte der Kläger dennoch unter keinem denkbaren Gesichtspunkt davon ausgehen, der Dienstherr werde Beleidigungen bzw. offene oder subtile sexuelle Belästigungen der ihm zur Obhut anvertrauten Schülerinnen hinnehmen.

96

e) Die Kündigung erweist sich auch unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen der Parteien noch als sozial gerechtfertigt.

97

Die Kündigung und der damit einhergehende Einkommensverlust trifft den Kläger und vor allem seine Familie hart. Angesichts der Quasi-Monopol-Stellung des beklagten Landes als Arbeitgeber für Lehrer hier im Lande wird der Kläger eine neue gleichwertige Stelle wohl nur erlangen können, wenn er und seine Familie den derzeitigen Wohnsitz aufgeben. Hinzukommt, dass der Kläger auf Grund der langen Dauer der Zusammenarbeit mit dem beklagten Land Anspruch darauf hat, dass seine sozialen Belange angemessen in die Interessenabwägung einfließen.

98

Dem stehen jedoch die mehrfachen und durch nichts zu entschuldigenden Entgleisungen des Klägers entgegen. Wegen der Verantwortung des beklagten Landes für das Wohl der ihm anvertrauten Schüler und Schülerinnen ist es daher rechtlich nicht zu beanstanden, dass sich das beklagte Land im vorliegenden Fall zur Kündigung durchgerungen hat.

99

Dabei muss ergänzend berücksichtigt werden, dass hier nur noch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung im Raum steht und die im öffentlichen Dienst großzügig bemessenen Kündigungsfristen auch dazu da sind, dem Arbeitnehmer eine berufliche Neuorientierung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu ermöglichen; insoweit gleicht die ordentliche Kündigung und die dabei zu beachtende Kündigungsfrist bereits einen Teil der Nachteile, die mit dem Arbeitsplatzverlust verbunden sind, aus.

III.

100

Da das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet ist, kann auch der klägerische Weiterbeschäftigungsantrag keinen Erfolg haben.

IV.

101

Die Kosten des Rechtsstreits tragen nach § 92 ZPO beide Parteien je zur Hälfte entsprechend ihrem Anteil am Obsiegen und Unterliegen.

102

Zur Zulassung der Revision besteht im vorliegenden Einzelfall kein Anlass.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.

(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist bei dem Bundesarbeitsgericht innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils schriftlich einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils beigefügt werden, gegen das die Revision eingelegt werden soll.

(3) Die Beschwerde ist innerhalb einer Notfrist von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils zu begründen. Die Begründung muss enthalten:

1.
die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage und deren Entscheidungserheblichkeit,
2.
die Bezeichnung der Entscheidung, von der das Urteil des Landesarbeitsgerichts abweicht, oder
3.
die Darlegung eines absoluten Revisionsgrundes nach § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Entscheidungserheblichkeit der Verletzung.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hat aufschiebende Wirkung. Die Vorschriften des § 719 Abs. 2 und 3 der Zivilprozeßordnung sind entsprechend anzuwenden.

(5) Das Landesarbeitsgericht ist zu einer Änderung seiner Entscheidung nicht befugt. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluß, der ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. Die ehrenamtlichen Richter wirken nicht mit, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen wird, weil sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Dem Beschluss soll eine kurze Begründung beigefügt werden. Von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesarbeitsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Wird der Beschwerde stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(7) Hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Bundesarbeitsgericht abweichend von Absatz 6 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverweisen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg vom 14.09.2007 - Aktenzeichen 4 Ca 578/06 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 19.04.2006.

2

Die am 13.04.1972 geborene und verheiratete Klägerin ist gegenüber zwei Kindern unterhaltsverpflichtet. Sie war seit dem 01.03.1992 bei der Beklagten zu einem Bruttomonatsgehalt von € 1.676,00 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt. Zuletzt war sie mit ihrer Zustimmung seit dem 01.01.2005 der ARGE Mecklenburg-Strelitz in der Funktion einer Bürosachbearbeiterin zugewiesen.

3

Mit Schreiben vom 19.04.2006 kündigte die nach wie vor für die personellen Angelegenheiten verantwortliche Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos.

4

Am 05.01.2005 unterzeichnete die Klägerin die Erklärung Nr. 4.6 OHB-L-AA- mit folgendem Inhalt:

5

"Über das Verbot der Mitwirkung bei Entscheidungen über Leistungen für mich und meine Angehörigen wurde ich belehrt."

6

Der Auszug aus dem Organisationshandbuch der Leistungsabteilung (OHB-L-AA-Nr. 4.6) ist mir bekannt:

7

"Ein Amtsangehöriger darf bei der Entscheidung über Leistungen für seine Angehörigen nicht mitwirken. Er soll von der Mitwirkung an Entscheidungen befreit werden, wenn sonstige Gründe bekannt werden, die Zweifel an seiner Unparteilichkeit rechtfertigen können."

8

In diesen Fällen übt der Leiter der Leistungsabteilung/Kundenbereichsleiter - bei Angehörigen des Leiters der Leistungsabteilung/Kundenbereichsleiters das vorsitzende Mitglied der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit - die Entscheidungs- und Anordnungsbefugnis aus, er bestimmt erforderlichenfalls, wer den Antrag oder den sonstigen Bearbeitungsvorgang zu bearbeiten hat.

9

Angehörige im Sinne dieser Vorschrift sind:

10

a) der/die Verlobte des/der Bediensteten;

11

b) der Ehegatte/die Ehegattin des/der Bediensteten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;

12

c) wer mit dem/der Bediensteten in gerader Linie verwandt oder verschwägert ist, in der Seitenlinie bis zum 3. Grad verwandt oder bis zum 2. Grad verschwägert ist oder war sowie die Pflegeeltern und Pflegekinder.

13

Die Befreiung von der Mitwirkung an Entscheidungen bei zweifelhafter Unparteilichkeit kann sowohl auf Anregung des Amtsangehörigen selbst als auch auf Verlangen eines Vorgesetzten erfolgen. Sie könnte u.a. angebracht sein, wenn es sich um den Antrag eines Angehörigen, eines anderen Beschäftigten oder um Anträge aus dem näheren Bekanntenkreis eines Mitarbeiters handelt.

14

Gleichwohl bearbeitete die Klägerin wiederholt im Jahre 2005 den Vorgang ihres Ehemannes A. B. zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II und mithin den Vorgang der eigenen Bedarfsgemeinschaft. Zudem nahm die Klägerin im Jahre 2005 mehrfach sachbearbeitende Tätigkeiten hinsichtlich des Leistungsantrages ihres Bruders vor.

15

Mit der Verdienstbescheinigung für den Monat November 2005 vom 23.11.2005 nahm die Beklagte zugleich auf Grund vorhergehender Überzahlungen der Klägerin für die Monate Mai bis Oktober 2005 eine Korrektur der Gehälter für den benannten Zeitraum mit dem Inhalt einer teilweisen Gehaltsreduzierung vor. Diesbezüglich reichte die Bedarfsgemeinschaft B. lediglich die Gehaltsabrechnungen mit reduzierten Bezügen der Klägerin für die Monate Juni, August und September 2005 zum Antrag des Ehemannes auf Bewilligung von Arbeitslosengeld II zur Akte ab. Die Abrechnungen mit den erhöhten Gehältern für die Monate Juli 2005 (inklusive Urlaubsgeld, Höhergruppierung, Stundenzahlerhöhung) und November 2005 (inklusive Weihnachtsgeld) wurden nicht zum ALG II-Antrag des Ehemannes der Klägerin abgereicht.

16

Die Klägerin nahm sodann am 30.11.2005 eine Korrekturabrechnung des Antrages des Ehemannes auf der Grundlage ihrer reduzierten Gehälter für die Monate Juni, August und September 2005 vor, ließ dabei ihre erhöhten Gehälter für die Monate Juli und November 2005 unberücksichtigt und gelangte so im Ergebnis zu einem erhöhten Leistungsanspruch für die Bedarfsgemeinschaft B. für den Zeitraum vom 01.06.2005 bis zum 30.11.2005 mit folgendem Inhalt im Einzelnen:

17
Zeitraum

Bescheid
vom 20.10.2005

Bescheid
vom 30.11.2005

01.06.2005 - 31.07.2005

624,18

634,40

01.08.2005 - 31.08.2005

384,36

408,80

01.09.2005 - 31.10.2005

404,08

434,79

01.11.2005 - 30.11.2005

362,44

393,64

18

Die vorstehenden Umstände wurden dem Bürgermeister der Beklagten durch die ARGE Mecklenburg-Strelitz sukzessive beginnend mit dem 06.04.2006 mitgeteilt. Mit Schreiben vom 11.04.2006 teilte der Bürgermeister der Beklagten dem dort bestehenden Personalrat die Absicht zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit (Bl. 125 Band I d. A.).

19

Vor der Personalratssitzung am 12.04.2006 übergab der Verwaltungsdezernent der Beklagten in Ergänzung der schriftlichen Anhörung vom 11.04.2006 fünf Vermerke vom 06.04.2006, das Schreiben vom 11.04.2006 sowie den Vermerk vom 12.04.2006 (Bl. 315 - 321 Band II d. A.).

20

In der anschließenden Sitzung vom 12.04.2006 stimmte der Personalrat der beabsichtigten fristlosen Kündigung zu.

21

Die Klägerin hat beantragt,

22

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 19.04.2006 nicht beendet worden ist und zu unveränderten Bedingungen über den 19.04.2006 hinaus fortbesteht,

23

2. die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

24

Die Beklagte hat beantragt,

25

die Klage abzuweisen.

26

Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat der Klage im Wesentlichen mit Urteil vom 14.09.2006 stattgegeben und diesbezüglich argumentiert, die im Streit befindliche Kündigung scheitere bereits an einer ordnungsgemäßen Personalratsanhörung. Die Beklagte sei ihren Unterrichtsverpflichtungen nicht vollumfänglich nachgekommen. Die erweiterte Unterrichtung durch den Verwaltungsdezernenten am 12.04.2006 sei nicht ausreichend, da der Leiter der Dienststelle gemäß § 62 Abs. 2 LPersVG M-V den Personalrat zu unterrichten habe.

27

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrages wird auf die ausführlichen tatbestandlichen Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

28

Das Urteil des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg vom 14.09.2006 ist der Beklagten am 18.09.2006 zugestellt worden. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist am 25.09.2006 bei dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern eingegangen und nach entsprechender Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 18.12.2006 - Gerichtseingang am gleichen Tage - begründet worden.

29

Die Beklagte hält an ihrer Rechtsauffassung fest, wonach die im Streit befindliche außerordentliche Kündigung vom 19.04.2006 rechtswirksam sei.

30

Die Personalratsanhörung sei unter Berücksichtigung des Grundsatzes der sogenannten "subjektiven Determination" nicht zu beanstanden, da die Beklagte dem Personalrat die Umstände mitgeteilt habe, die sie der Kündigung zu Grunde gelegt habe. Die Mitteilungen des Verwaltungsdezernenten an den Personalrat am 12.04.2006 seien zu berücksichtigen, da der Personalrat die mangelnde Unterrichtung durch den Bürgermeister nicht gerügt habe.

31

Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin habe vorgelegen.

32

Zum einen habe die Klägerin sowohl hinsichtlich der Bearbeitung des Leistungsantrages des Bruders als auch des Ehemannes jeweils gegen das dienstliche Mitwirkungsverbot verstoßen. Zum anderen habe sie bei der Bearbeitung des Antrages des Ehemannes ihr jeweils höheres Einkommen für die Monate Juli 2005 und November 2005 vorsätzlich nicht berücksichtigt, um der Bedarfsgemeinschaft B. so einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.

33

Deshalb falle auch die notwendigerweise vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten der Beklagten aus. Sowohl der Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot als auch das Bestreben zur Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils zu Gunsten der eigenen Bedarfsgemeinschaft betreffe jeweils für sich genommen insbesondere auch die Außenwirkung/Außendarstellung der ARGE Mecklenburg-Strelitz. Das Vertrauen der Bürger in die Unparteilichkeit der Verwaltung sei mithin betroffen, was zukünftig die Glaubwürdigkeit der durch die ARGE Mecklenburg-Strelitz getroffenen Entscheidungen erheblich belaste.

34

Die Beklagte beantragt,

35

das Urteil des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg vom 14.09.2006 - 4 Ca 578/06 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

36

Die Klägerin beantragt,

37

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

38

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und geht weiterhin von einer unzureichenden Personalratsanhörung aus.

39

Im Übrigen sei nach dem Vortrag der Beklagten eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten nicht feststellbar. Die von ihr unterzeichnete Erklärung vom 05.01.2005 sei ihr nicht mehr erinnerlich gewesen. Den Antrag ihres Ehemannes habe sie sowohl am 30.11.2005 als auch am 08.12.2005 ordnungsgemäß bearbeitet. Hinsichtlich des von ihr am 30.11.2005 berechneten erhöhten Leistungsanspruches habe sie - wie bei jedem anderen Vorgang auch - lediglich die tatsächlich abgereichten Unterlagen berücksichtigen müssen. Sie sei arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, solche Umstände zu Grund zu legen, die der Antragsteller selbst nicht abgereicht habe. Derartige Umstände seien allenfalls hinsichtlich des privaten Bereiches als Angehörige der Bedarfsgemeinschaft unter sozialrechtlichen Gesichtspunkten von Belang, jedoch nicht Inhalt ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen.

40

Jedenfalls sei aber ein Vorgehen der Klägerin in betrügerischer Absicht nicht feststellbar, sodass im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung allenfalls der Ausspruch einer Abmahnung gerechtfertigt gewesen wäre.

41

Zudem dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Beklagte vergleichsweise Verhaltensweisen anderer Arbeitnehmer toleriert habe. Dies stelle eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. Schließlich habe die Beklagte die Frist des § 626 Absatz 2 BGB nicht eingehalten. Denn die Geschäftsleitung der ARGE habe von den Vorwürfen gegenüber der Klägerin bereits Ende März 2005 Kenntnis erlangt, sodass der - insoweit unstreitige - Zugang der Kündigung am 19.04.2006 zur Einhaltung der Frist des § 626 Absatz 2 BGB nicht ausreiche.

42

Wegen der weiteren Einzelheiten im Berufungsrechtszug wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

43

Die zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - Berufung der Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg kann vorliegend von einer rechtsfehlerhaften Personalratsanhörung nicht ausgegangen werden. Darüber hinaus ist das erkennende Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die im Streit befindliche Kündigung der Beklagten vom 19.04.2006 rechtlich nicht zu beanstanden ist.

I.

44

Die streitbefangene fristlose Kündigung vom 19.04.2006 ist entgegen der Auffassung der Klägerin vorliegend nicht auf Grund einer rechtsfehlerhaften Personalratsanhörung rechtsunwirksam.

45

Gemäß § 68 Absatz 7 LPersVG MV in Verbindung mit § 108 Absatz 2 BPersVG ist eine Kündigung rechtsunwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Die benannte Rechtsfolge ergibt sich auch dann, wenn der Arbeitgeber den bei ihm bestehenden Personalrat nicht ordnungsgemäß, das heißt unvollständig über die beabsichtigte Kündigung unterrichtet hat (BAG vom 21.07.2005 - 6 AZR 498/04). Diesbezüglich sind von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung Grundsätze erarbeitet worden, wann von einer ausreichenden, das heißt ordnungsgemäßen Beteiligung einer bestehenden Arbeitnehmervertretung auszugehen ist. Dies ist u.a. nur dann der Fall, wenn der Arbeitgeber den ihm obliegenden Mitteilungspflichten nachgekommen ist, nämlich über die Person des Arbeitnehmers (inklusive der Sozialdaten Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltsverpflichtungen), über die Art der Kündigung, über den Zeitpunkt, zu dem gekündigt werden soll und die Kündigungsgründe unterrichtet hat, wobei die Kündigungsgründe selbst dezidiert und nicht lediglich schlagwortartig mitzuteilen sind (BAG vom 06.10.2005, NZA 2006, Seite 431, 434; BAG vom 21.07.2005 a.a.O.), um die bestehende Arbeitnehmervertretung so in die Lage zu versetzen, ohne weitere eigene Nachforschungen die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nachvollziehen zu können. In diesem Zusammenhang ist anerkannt, dass die Reichweite der Mitteilungspflichten dahingehend begrenzt ist, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmervertretung über solche Gründe zu informieren hat, auf die er selbst die Kündigung stützen will. Das heißt, der Arbeitgeber hat der Arbeitnehmervertretung die Kündigungsgründe mitzuteilen, die er selbst der Kündigung zu Grunde gelegt hat. Stellt sich beispielsweise im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses im Nachhinein heraus, dass der Arbeitgeber im Anhörungszeitpunkt unbewusst von einer unrichtigen Tatsachenfeststellung ausgegangen ist, so ergibt sich allein aus diesem Umstand nicht eine rechtsfehlerhafte Anhörung der Arbeitnehmervertretung. Lediglich die bewusste und gewollte unrichtige Mitteilung der für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers maßgebenden Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber und damit eine Irreführung der Arbeitnehmervertretung führt zu einem fehlerhaften und damit unwirksamen Anhörungsverfahren (BAG vom 11.07.1991, EzA § 102 Betriebsverfassungsgesetz 1972 Nr. 81).

46

Die Einleitung des personalvertretungsrechtlichen Anhörungsverfahrens hat diesbezüglich gemäß § 62 Absatz 2 Satz 1 LPersVG MV der Leiter der Dienststelle vorzunehmen. Gleichwohl führt die Einleitung des Anhörungsverfahrens durch andere Mitarbeiter auf Seiten des Arbeitgebers lediglich dann zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung, wenn der Personalrat diesen Umstand ausdrücklich rügt (BAG vom 10.10.2002 - 2 AZR 418/01).

47

Gemessen an den vorgenannten Voraussetzungen vermag das erkennende Gericht - entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg in der angefochtenen Entscheidung - eine rechtsfehlerhafte Personalratsanhörung vorliegend nicht zu erkennen.

48

Vorab ist festzuhalten, dass mit der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes davon auszugehen ist, dass die durch den Verwaltungsdezernenten am 12.04.2006 vor der Personalratssitzung übergebenen Unterlagen im Rahmen der Beurteilung der ordnungsgemäßen Personalratsanhörung zu berücksichtigen sind. Dieser Umstand ergibt sich bereits daraus, dass der bei der Beklagten bestehende Personalrat die Unterrichtung durch den Verwaltungsdezernenten unstreitig nicht gerügt hat.

49

Unter Berücksichtigung eben dieser Unterlagen ist von einer ordnungsgemäßen Personalratsanhörung auszugehen. Denn in dem Anhörungsschreiben vom 11.04.2006 ist die Person der Klägerin mit Geburtsdatum, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltsverpflichtungen benannt. Die Kündigungsart selbst wird mitgeteilt. Die insoweit in der erstinstanzlichen Entscheidung beschriebenen Zweifel sind für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar. Denn es heißt in dem Anhörungsschreiben diesbezüglich unmissverständlich:

50

"Die Kündigung erfolgt fristlos, aus im Verhalten der Beschäftigten liegenden Gründen."

51

Auch hat die Beklagte in ausreichendem Umfang dem Personalrat die Gründe mitgeteilt, die sie der Kündigung zu Grunde gelegt hat. In dem Anhörungsschreiben vom 11.04.2006 wird ausgeführt, dass die Klägerin vertragswidrig den Leistungsantrag der eigenen Bedarfsgemeinschaft bearbeitet hat und u.a. unvollständige Angaben zum Einkommen der Klägerin selbst zu unberechtigten Leistungen zum Vorteil der eigenen Bedarfsgemeinschaft geführt hätten. Diese Angaben sind dann noch einmal im Rahmen der Übergabe der beiden Vermerke vom 06.04.2006 (Anlagen B 26, 27, Bl. 318, 319 Band II d. A.) sowie des Schreibens vom 11.04.2006 (Anlage B 28, Bl. 320 Band II d. A.) durch den Verwaltungsdezernenten der Beklagten an den Personalrat am 12.04.2006 spezifiziert worden. Im Rahmen dieser Übergabe ist dem Personalrat durch den Verwaltungsdezernenten der Beklagten ebenfalls der Vermerk vom 12.04.2006 (Anlage B 29, Bl. 321 Band II d.A.) zugänglich gemacht worden, wonach die Klägerin ebenfalls den Leistungsantrag ihres Bruders bearbeitet hat. Mithin hat die Beklagte dem Personalrat in hinreichendem Umfang die Gründe mitgeteilt, die sie der Kündigung zu Grunde gelegt hat.

52

Soweit das Arbeitsgericht Neubrandenburg offensichtlich deshalb von einer fehlerhaften Personalratsanhörung ausgeht, weil die Beklagte unrichtigerweise dem Personalrat im Sinne eines erschwerenden Vorwurfes gegenüber der Klägerin in dem Anhörungsschreiben vom 11.04.2006 mitgeteilt habe, die Klägerin habe den Antrag ihres Ehemannes eigenverantwortlich herangezogen, so vermag das erkennende Gericht dem nicht zu folgen. Denn die Beklagte führt insoweit durch die Klägerin unbestritten aus, sie sei jedenfalls im Anhörungszeitpunkt und auch im Kündigungszeitpunkt eben gerade von diesem Umstand ausgegangen. Mithin hat die Beklagte dem Personalrat diesbezüglich die Umstände mitgeteilt, die sie selbst der Kündigung zu Grunde gelegt hat. Jedenfalls trägt auch die Klägerin nicht vor, die Beklagte habe dem Personalrat bewusst und in Kenntnis der Umstände unrichtige Tatsachen mitgeteilt.

53

Nach alledem ist vorliegend von einer ordnungsgemäßen Personalratsanhörung auszugehen.

54

2. Die streitbefangene fristlose Kündigung vom 19.04.2006 ist rechtlich nicht zu beanstanden.

55

Gemäß § 626 Absatz 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

56

Gemäß § 626 Absatz 2 BGB kann die Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen, wobei die Frist mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

57

Die genannten Voraussetzungen sind vorliegend nach Auffassung des erkennenden Gerichtes im Hinblick auf die im Streit befindliche außerordentliche Kündigung vom 19.04.2006 erfüllt.

58

a) Die Einhaltung der Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB ist vorliegend - entgegen der Ansicht der Klägerin - zu bejahen. Soweit die Klägerin meint, die benannte Frist sei deshalb nicht eingehalten, weil die Geschäftsleitung der ARGE Mecklenburg-Strelitz bereits Ende März Kenntnis von den Kündigungsumständen erhalten habe, so vermag das erkennende Gericht dem nicht zu folgen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Bürgermeister der Beklagten und damit der Kündigungsberechtigte im Sinne des § 626 Abs. 2 BGB, am 06.04.2006 über die der Kündigung zugrunde liegenden Umstände informiert wurde, so dass im Hinblick auf den unstreitigen Zugang der Kündigung am 19.04.2006 von der Einhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB auszugehen ist.

59

b) Die fristlose Kündigung vom 19.04.2006 im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist rechtlich nicht zu beanstanden.

60

Im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung ist im Grundsatz die Notwendigkeit anerkannt (Ascheid u. a. GK-Kündigungsrecht, 2. Aufl./Dörner Rn. 59 zu § 626 BGB) den der außerordentlichen Kündigung zugrunde liegenden Lebenssachverhalt nach dem sachlichen Inhalt zu systematisieren, um dann zunächst zu überprüfen, ob der vorgefundene sachliche Inhalt dem Grunde nach - ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles (BAG, Urteil vom 12.08.1999, DB 2000, Seite 48) - an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Sodann ist zu überprüfen, ob der Arbeitnehmer im konkreten Einzelfall arbeitsvertragliche Pflichten verletzt hat, so dass dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen der Arbeitsvertragsparteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist (BAG, Urteil vom 12.08.1999, a. a. O.).

61

aa) In diesem Zusammenhang kann es im Hinblick auf die streitbefangene Kündigung zunächst dahinstehen, ob bei der vorzunehmenden Systematisierung von einer Dreiteilung im Sinne des § 1 KSchG nach verhaltensbedingten, betriebsbedingten und personenbedingten Kündigungsgründen auszugehen ist oder ob darüber hinaus noch weitere Untergliederungen vorzunehmen sind (vgl. insgesamt Ascheid a. a. O. Rn. 61 ff. m. w. N.).

62

Denn hier kommt nach Auffassung des erkennenden Gerichts nach dem gegebenen Sach- und Streitstand ausschließlich ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund in Betracht. Denn insoweit ist die Kammer zu dem Ergebnis gelangt, dass die der Klägerin im Rahmen der fristlosen Kündigung vorgeworfenen Umstände dem steuerbaren Verhalten der Klägerin zuzuordnen sind und demnach ausschließlich eine verhaltensbedingte Kündigung in Frage kommt.

63

bb) Zudem ist die Kammer - entgegen der Ansicht der Klägerin - der Auffassung, dass die der Klägerin vorgeworfenen Verhaltensweise - ohne Berücksichtigung des konkreten Einzelfalles - jeweils grundsätzlich für sich genommen geeignet sind, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen zu können.

64

Die diesbezüglichen Einwendungen der Klägerin in der Berufungsinstanz sind für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar. Denn die der Klägerin vorgeworfenen Verhaltensweisen stellen bei der zugrunde zu legenden objektiven Betrachtungsweise - ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles - nicht lediglich untergeordnete Vertragsverletzungen dar. Vielmehr handelt es sich bei den durch die Beklagte gegenüber der Klägerin gemachten Vorhaltungen um erhebliche Vertragsverletzungen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der vertragswidrigen Bearbeitung der Leistungsanträge sowohl des Bruders als auch des Ehemannes der Klägerin. Ebenso verhält es sich mit dem Vorwurf der Beklagten gegenüber der Klägerin, sie habe vorsätzlich und arbeitsvertragswidrig anlässlich der Bearbeitung des Leistungsantrages des Ehemannes am 30.11.2005 das ihr bekannte höhere Einkommen für die Monate Juli 2005 und November 2005 nicht berücksichtigt, um zu einem erhöhten Leistungsanspruch zu Gunsten der eigenen Bedarfsgemeinschaft zu gelangen.

65

cc) Auch ergibt sich nach Ansicht der Kammer unter Berücksichtigung des insoweit unstreitigen Sach- und Streitstandes unter Verwertung des weiteren Vortrages der Parteien aufgrund der danach gegebenen Verhaltensweisen der Klägerin grundsätzlich ein kündigungsrechtlich relevanter Tatbestand im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB.

66

Denn der Klägerin sind im vorliegenden Fall erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen vorzuwerfen, indem sie jedenfalls vertragswidrig sowohl die Leistungsanträge ihres Bruders als auch den ihres Ehemannes wiederholt bearbeitete, ob schon sie am 05.01.2005 die Erklärung Nr. 4.6. 0HB-L-AA - Verbot der Mitwirkung bei Entscheidungen über Leistungen für die eigene Person und deren Angehörige - unterzeichnet hatte. Die diesbezüglichen Einlassungen der Klägerin, ihr sei die benannte Belehrung nicht mehr innerlich gewesen, vermögen das erkennende Gericht nicht zu überzeugen.

67

Insoweit schließt sich die Kammer den Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung an, als dort ausgeführt wird:

68

"Die Kammer bewertet die Arbeit der Klägerin an der Akte ihres Mannes und ihres Bruders als schuldhafte Arbeitspflichtverletzung. Sie ist viele Jahre bei der Beklagten beschäftigt und musste daher schon wissen und ein Empfinden entwickelt haben, dass sie von der Bearbeitung von Vorgängen, die Verwandte betreffen, ausgeschlossen ist. Im Übrigen wurde sie ausdrücklich belehrt. Beides zusammen kann auch bei höchstem Arbeitsdruck nicht verlorengehen oder gegenteiliges Verhalten begründen."

69

Dem ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts nichts hinzuzufügen.

70

Zudem muss sich die Klägerin vorhalten lassen, bei der Bearbeitung des Antrages ihres Ehemannes am 30.11.2005 lediglich die für die Bedarfsgemeinschaft B günstigen Abrechnungen für die Monate, Juni, August und September 2005 mit jeweils korrekturreduzierten Gehältern zugrunde gelegt zu haben, während die für den Leistungsantrag der benannten Bedarfsgemeinschaft ungünstigen Abrechnungen mit erhöhten Gehältern der Klägerin für die Monate Juli 2005 und November 2005 unberücksichtigt blieben, obgleich die benannten Unterlagen der Klägerin persönlich vor dem 30.11.2005 zur Verfügung standen.

71

Die Klägerin ist in diesem Zusammenhang der Auffassung, sie sei arbeitsvertraglich lediglich verpflichtet gewesen, die tatsächlich abgereichten Unterlagen einzuarbeiten. Es müsse bezüglich ihrer Person nach der Funktion als Arbeitnehmerin einerseits und ihrer privaten Rolle als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft B andererseits unterschieden werden. Sie sei arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, die privaten Kenntnisse über die eigene Person in ihre Arbeit einfließen zu lassen, weil damit eine unzulässige Verquickung ihrer Stellung als Arbeitnehmerin einerseits und ihrer sozialrechtlichen Stellung als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft B andererseits verbunden sei.

72

Diese Auffassung der Klägerin ist nach Ansicht der Kammer - vorsichtig formuliert - rechtsirrig. Dass die Klägerin offensichtlich selbst an der Richtigkeit der eigenen Argumentation zweifelt, wird bereits an den eigenen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2007 deutlich, als die Klägerin dort auf gerichtliche Nachfrage hin selbst ausgeführt hat, ihre Vorgehensweise sei so nicht richtig gewesen und sie hätte der zuständigen Kollegin mitteilen müssen, dass die Unterlagen nicht vollständig gewesen seien.

73

Zudem ist nicht ersichtlich, weshalb die Bejahung einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung zur Berücksichtigung der Abrechnungen für die Monate Juli und November 2005 überhaupt zu einer Beeinträchtigung der sozialrechtlichen Stellung der Klägerin hätte führen sollen. Denn auch unter sozialrechtlichen Gesichtspunkten ist es keinesfalls rechtlich zulässig, den Versuch einer erhöhten Leistungsbewilligung zu unternehmen, indem die Mitteilung berücksichtigungsnotwendiger Vermögenswerte rechtswidrig unterlassen wird.

74

Selbstverständlich wäre die Klägerin mithin arbeitsvertraglich verpflichtet gewesen - wenn sie denn nun schon vertragswidrig den Antrag der eigenen Bedarfsgemeinschaft bearbeitet -, der Bearbeitung die ihr bekannten und tatsächlichen Umstände vollständig zugrunde zu legen.

75

Die zuletzt beschriebene Pflichtverletzung der Klägerin anlässlich der Bearbeitung des Leistungsantrages ihres Ehemannes am 30.11.2005 stellt darüber hinaus nicht lediglich eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar, sondern beinhaltet aus Sicht eines objektiven und verständigen Arbeitgebers in der Laiensphäre zumindest den strafrechtlich relevanten Versuch, durch ein manipulatives Verhalten der eigenen Bedarfsgemeinschaft einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.

76

Ob die Bedarfsgemeinschaft B diesbezüglich im Ergebnis tatsächlich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil erlangte, ist dabei ohne Belang und bleibt gegebenenfalls einem sozialgericht-lichen Verfahren vorbehalten. Ebenso ist ohne Bedeutung, ob unter strafrechtlichen Gesichtspunk-ten zweifelsfrei jedenfalls der Tatbestand des versuchten Betruges zu bejahen ist. Denn maßgeblich ist nicht die eigentliche strafrechtliche Bewertung, sondern vielmehr der Umstand, ob auf Grund einer strafrechtlich relevanten Verhaltensweise eines Arbeitnehmers aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers das für das Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört ist (BAG vom 12.08.1999, AP BGB § 123 Nr. 51).

77

Aus den oben bereits genannten Gründen sind diese Voraussetzungen hier zu bejahen.

78

Soweit die Klägerin meint, es sei eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gegeben, da auch durch andere Mitarbeiter der ARGE Mecklenburg-Strelitz Leistungsanträge von Angehörigen bearbeitet worden seien, was die Beklagte jedoch jeweils nicht mit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung geahndet habe, so vermag das erkennende Gericht dem nicht zu folgen.

79

Zum einen stellt sich die Frage, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz in einem Kündigungsrechtsstreit überhaupt Platz greifen kann (zweifelnd BAG vom 28.04.1982, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 3). Ungeachtet dieser Problematik käme ein rechtsrelevanter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nur bei vergleichbaren Sachverhalten in Betracht. Das heißt, es müssten gleichartige Verstöße mehrerer Arbeitnehmer vorliegen. Dieser Umstand ist selbst nach dem Vortrag der Klägerin nicht gegeben. Denn die Klägerin selbst behauptet nicht, auch andere Mitarbeiter der ARGE Mecklenburg-Strelitz hätten bei der Bearbeitung von Leistungsanträgen ihrer Angehörigen beurteilungsrelevante Vermögenswerte bewusst unberücksichtigt gelassen, um damit gegebenenfalls eine erhöhte Leistungsfestsetzung rechtswidrig zu erreichen.

80

dd) Zudem ist hier nach Auffassung der Kammer in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

81

von der Entbehrlichkeit einer vorhergehenden Abmahnung auszugehen.

82

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (vom 10.02.1999, EzA Nr. 47 zu § 15 KSchG), welcher sich die Kammer anschließt, setzt die Rechtswirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung - sei es im sogenannten Leistungsbereich oder im sogenannten Vertrauensbereich - grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber das entsprechende Verhalten durch eine vorausgegangene einschlägige Abmahnung formgerecht gerügt hat. Dieser Grundsatz manifestiert sich nunmehr auch in der gesetzlichen Vorgabe des § 314 Absatz 2 BGB. Ein Abmahnungserfordernis besteht ausnahmsweise jedoch dann nicht, wenn die Abmahnung von vornherein nicht erfolgversprechend ist (BAG vom 18.05.1994, RzK I 5 i Nr. 93) oder wenn es um schwere Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei denen eine Akzeptanz des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG vom 10.02.1999, a.a.O.).

83

Die zuletzt genannten Ausnahmevoraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

84

Hinsichtlich der insoweit anzustellenden Zukunftsprognose im Sinne einer Negativprognose im Hinblick auf das zu erwartende künftige Verhalten der Klägerin im Rahmen der Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten ergibt sich nach Auffassung des erkennenden Gerichts vorliegend die Entbehrlichkeit des Ausspruches einer vorhergehenden Abmahnung. Denn das Verhalten der Klägerin insbesondere bezüglich der Art und Weise der inhaltlichen Bearbeitung des Leistungsantrages des Ehemannes am 30.11.2005 ist - wie bereits erörtert - als sehr schwerwiegende Pflichtverletzung vor allem auch vor dem Hintergrund des beschriebenen strafrechtlich relevanten Sachverhaltes zu qualifizieren. Darüber hinaus wäre auf Grund der festgestellten Intensität der Vorgehensweise der Klägerin auch aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers mit dem Ausspruch einer Abmahnung im Rahmen einer Prognoseentscheidung nicht mit der notwendigen Sicherheit ein zukünftig vertragsgetreues Verhalten der Klägerin zu gewährleisten gewesen. Dies gilt umso mehr, als auch aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers bereits die vertragswidrige Bearbeitung des Leistungsantrages sowohl des Ehemannes als auch des Bruders der Klägerin eine beträchtliche Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses darstellt. Die darüber hinausgehende Nichtberücksichtigung des eigenen erhöhten Einkommens für die Monate Juli sowie November 2005 verbunden mit der einhergehenden möglichen strafrechtlichen Relevanz dieses Verhaltens führt auch bei objektiver Sichtweise zur Bejahung einer irreparablen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen der Beklagten und der Klägerin. Das heißt, auch ein verständiger Arbeitgeber musste und durfte auf Grund der Intensität und der willentlichen Vorgehensweise der Klägerin in dem geschilderten Zusammenhang davon ausgehen, dass der Ausspruch einer Abmahnung nicht mit der notwendigen Sicherheit zu einer vertragsgetreuen Arbeitsweise in der Zukunft durch die Klägerin geführt hätte.

85

Aber auch die Klägerin durfte angesichts der von ihr an den Tag gelegten Vorgehensweise - auch unter Berücksichtigung der Sichtweise eines verständigen Arbeitgebers - nicht darauf vertrauen, die Beklagte werde diesbezüglich mit einer Konsequenz unterhalb der Schwelle des Ausspruches einer fristlosen Kündigung reagieren. Die Klägerin musste sich darüber im Klaren sein, dass auch bei objektiver Betrachtungsweise bei einem derartigen Verhalten insbesondere im Hinblick auf die Art und Weise der inhaltlichen Bearbeitung des Antrages ihres Ehemannes am 30.11.2005 ohne jede sachlich begründete Veranlassung für den Arbeitgeber das notwendige Vertrauensverhältnis für die Zukunft jedenfalls irreparabel zerstört ist, wenn - wie hier - nicht lediglich das Innenverhältnis, sondern vielmehr das Außenverhältnis in Gestalt der Außenwirkung durch die Bearbeitung von Leistungsanträgen durch die ARGE Mecklenburg-Strelitz betroffen ist.

86

ee) Auch die notwendigerweise durchzuführende Interessenabwägung führt vorliegend aus Sicht der Kammer zu keinem anderen Ergebnis. Zwar ist hier zu Gunsten der Klägerin zum einen ihre Betriebszugehörigkeit seit dem 01.03.1992 ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass auf Grund der Arbeitsmarktsituation in Vorpommern von einer schwierigen Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt auszugehen ist. Zudem darf auf Seiten der verheirateten Klägerin nicht unerwähnt bleiben, dass sie im Übrigen gegenüber zwei Kindern unterhaltsverpflichtet ist.

87

Jedoch ist zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass die Klägerin selbst ohne jedwede sachliche Veranlassung und insbesondere auch ohne Zutun der Beklagten die schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen, die zu dem - wie bereits dargelegt - teilweise strafrechtliche Relevanz besitzen, herbeigeführt hat. Wie ebenfalls bereits ausgeführt, hat dieser Umstand zu einer irreparablen Beeinträchtigung des notwendigen Vertrauensverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten geführt, welches sich auch nach der entsprechenden Prognoseentscheidung für die Zukunft nicht mit der notwendigen Sicherheit hätte wieder herstellen lassen.

88

Insgesamt sind mithin die Interessen der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses letztendlich höher zu bewerten, als die Interessen der Klägerin an dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.

II.

89

Da das Arbeitsverhältnis damit auf Grund der fristlosen Kündigung vom 19.04.2006 rechtswirksam beendet worden ist, ist der zudem gestellte Weiterbeschäftigungsantrag unbegründet.

III.

90

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass dieser Entscheidung kein neuer und entscheidungserheblicher Tatsachenvortrag aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 18.04.2007 zu Grunde liegt, so dass die Frage nach einer Zurückweisung des dortigen Vortrages als verspätet ebenso unentschieden bleiben kann, wie die Gewährung eines etwaigen Schriftsatzfristnachlasses zu Gunsten der Klägerin.

IV.

91

Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 ZPO).

92

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg vom 14.09.2006 - Aktenzeichen 4 Ca 582/06 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 19.04.2006.

2

Die am 03.01.1958 geborene und verheiratete Klägerin ist seit dem 01.11.1981 bei der Beklagten zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt € 2.493,00 beschäftigt. Zuletzt war sie mit ihrer Zustimmung seit dem 01.01.2005 der ARGE Mecklenburg-Strelitz in der Funktion einer Bürosachbearbeiterin zugewiesen. In der Zeit vom 01.02.2005 bis zum 31.12.2005 fungierte die Klägerin als Vorgesetzte der Bürosachbearbeiterinnen. In diesem Zusammenhang hatte sie auch die Tätigkeiten der Bürosachbearbeiterin Frau Ramona B. zu überprüfen. Frau B. ist die Nichte der Klägerin.

3

Mit Schreiben vom 19.04.2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos.

4

Am 06.04.2006 wurde der Bürgermeister der Beklagten durch die ARGE Mecklenburg-Strelitz darüber informiert, dass die Bürosachbearbeiterin Frau Ramona B. an dem Vorgang des Ehemannes André B. zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II und mithin hinsichtlich der eigenen Bedarfsgemeinschaft gearbeitet hatte. Diesbezüglich stellte Frau B. für den Zeitraum bis zum 30.11.2005 ein vermindertes Einkommen der Bedarfsgemeinschaft B. mit der Folge einer erhöhten Leistungsberechtigung fest. Diesen Vorgang legte sie der Klägerin als der zuständigen Sachbearbeiterin nach dem Geschäftsverteilungsplan vor. Durch die Klägerin wurde noch am 30.11.2005 der erhöhte Leistungsanspruch der Bedarfsgemeinschaft B. zur Zahlung angewiesen, obgleich die Klägerin bereits im Dezember 2004 anlässlich der bevorstehenden Arbeitsaufnahme bei der ARGE Mecklenburg-Strelitz eine Erklärung unterzeichnet hatte, in welcher sie über das Verbot der Mitwirkung bei Entscheidungen über Leistungen für sich selbst und ihre Angehörigen belehrt worden war.

5

Mit Schreiben vom 11.04.2006 informierte der Bürgermeister der Beklagten den Personalrat über die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin (Bl. 82, 83 Band I d. A.). In seiner Sitzung vom 12.04.2006 stimmte der Personalrat der beabsichtigten fristlosen sowie hilfsweise fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zu (Bl. 84, 85 Band I d. A.).

6

Mit ihrer Klage vom 27.04.2006 begehrt die Klägerin die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung sowie die Verurteilung der Beklagten zur vertragsgemäßen Weiterbeschäftigung.

7

Die Klägerin hat beantragt,

8

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 19.04.2006 nicht beendet worden ist und zu unveränderten Bedingungen über den 19.04.2006 hinaus fortbesteht;

9

2. die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

10

Die Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat der Klage im Wesentlichen mit Urteil vom 14.09.2006 stattgegeben und diesbezüglich argumentiert, die im Streit befindliche Kündigung scheitere bereits an einer ordnungsgemäßen Personalratsanhörung. Die Beklagte sei ihrer Unterrichtsverpflichtung nicht in vollem Umfang nachgekommen. Die erweitere Unterrichtung durch den Verwaltungsdezernenten am 12.04.2006 sei nicht ausreichend, da der Leiter der Dienststelle gemäß § 62 Absatz 2 LPersVG MV den Personalrat zu unterrichten habe.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrages wird auf die ausführlichen tatbestandlichen Feststellungen der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen.

14

Das Urteil des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg vom 14.09.2006 ist der Beklagten am 18.09.2006 zugestellt worden. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist am 25.09.2006 bei dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern eingegangen und nach entsprechender Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 18.12.2006 - Gerichtseingang am gleichen Tage - begründet worden.

15

Die Beklagte hält an ihrer Rechtsauffassung fest, wonach die im Streit befindliche außerordentliche Kündigung vom 19.04.2006 rechtswirksam sei.

16

Die Personalratsanhörung sei unter Berücksichtigung des Grundsatzes der sogenannten "subjektiven Determination" nicht zu beanstanden, da die Beklagte dem Personalrat die Umstände mitgeteilt habe, die sie der Kündigung zu Grunde gelegt habe. Die Mitteilungen des Verwaltungsdezernenten an den Personalrat am 12.04.2006 seien zu berücksichtigen, da der Personalrat die mangelnde Unterrichtung durch den Bürgermeister nicht gerügt habe.

17

Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin habe vorgelegen. Die Nichtberücksichtigung des höheren Einkommens für die Monate Juli und November 2005 durch die Sachbearbeiterin Ramona B. bei der Bearbeitung des Antrages der eigenen Bedarfsgemeinschaft hätte der Klägerin im Rahmen der vorzunehmenden Prüfung der Bearbeitung durch ihre Nichte auffallen müssen, da ihr die Sonderzahlungen in den genannten Monaten als langjährig tätige Mitarbeiterin bekannt gewesen seien. Statt einer intensiven Überprüfung der Bearbeitung durch ihre Nichte habe sie innerhalb kürzester Zeit eine Leistungsanordnung am gleichen Tag vorgenommen. Dies deute eher auf ein Zusammenwirken der Klägerin gemeinsam mit ihrer Nichte hin. Die gleichen Erwägungen seien auch hinsichtlich der Kontrolle der Bearbeitung des Antrages des Ehemannes ihrer Nichte am 09.12.2005 festzustellen. Im Ergebnis habe die Klägerin an der Erfüllung des Betrugstatbestandes durch die Mitarbeiterin Ramona B. mitgewirkt.

18

Im Übrigen habe die Klägerin darüber hinaus gegen das Mitwirkungsverbot nach § 16 SGB X gegen Ziffer 4.1.4. der Allgemeinen Dienst- und Geschäftsanweisung der Beklagten verstoßen. Als Tante der Frau Ramona B. hätte sie den Vorgang nicht bearbeiten dürfen.

19

Auch die notwendigerweise vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Gunsten der Beklagten aus. Der Verstoß der Klägerin gegen das Mitwirkungsverbot betreffe insbesondere die Außenwirkung/Außendarstellung der ARGE Mecklenburg-Strelitz. Das Vertrauen der Bürger in die Unparteilichkeit der Verwaltung sei betroffen, was zukünftig die Glaubwürdigkeit der durch die ARGE Mecklenburg-Strelitz getroffenen Entscheidungen belaste.

20

Die Beklagte beantragt,

21

das Urteil des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg vom 14.09.2006 - 4 Ca 582/06 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

22

Die Klägerin beantragt,

23

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

24

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und geht weiterhin von einer mangelhaften Personalratsanhörung aus. Im Übrigen sei nach dem Vortrag der Beklagten eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten nicht festzustellen. Jedenfalls sei aber ein Vorgehen der Klägerin in betrügerischer Absicht im Zusammenwirken mit der Mitarbeiterin Ramona B. nicht feststellbar, sodass im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung allenfalls der Ausspruch einer Abmahnung gerechtfertigt gewesen wäre.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten im Berufungsrechtszug wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

26

Die zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat den vorliegenden Rechtsstreit im Ergebnis zutreffend entschieden. Ob - wie das Arbeitsgericht Neubrandenburg meint - die Kündigung bereits an einer fehlerhaften Personalratsanhörung scheitert, kann vorliegend dahinstehen. Denn die im Streit befindliche fristlose Kündigung vom 19.04.2006 ist gemessen an den Vorgaben des § 626 BGB rechtsunwirksam (1.). Auch eine etwaige Umdeutung gemäß § 140 BGB in eine fristgemäße Kündigung führt auf Grund der Sozialwidrigkeit gemäß § 1 Absatz 2 KSchG nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2006 (2.).

27

1. Die streitbefangene fristlose Kündigung vom 19.04.2006 ist gemäß § 626 Absatz 1 BGB rechtsunwirksam.

28

Gemäß § 626 Absatz 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

29

Die genannten Voraussetzungen sind vorliegend nach Auffassung des erkennenden Gerichtes nicht erfüllt.

30

Im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung ist im Grundsatz die Notwendigkeit anerkannt, den der außerordentlichen Kündigung zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt nach dem sachlichen Inhalt zu systematisieren, um dann zunächst zu überprüfen, ob der vorgefundene sachliche Inhalt dem Grunde nach - ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles (BAG, Urteil vom 12.08.1999 - 2 AZR 923/98, DB 2000, Seite 48) - an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB darzustellen. Sodann ist zu überprüfen, ob der Arbeitnehmer im konkreten Einzelfall arbeitsvertragliche Pflichten verletzt hat, sodass dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen der Arbeitsvertragsparteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist (BAG, Urteil vom 27.04.2006 - 2 AZR 415/05).

31

Gemessen an den genannten Vorgaben erweist sich die fristlose Kündigung vom 19.04.2006 als rechtsunwirksam.

32

a) In diesem Zusammenhang kann es im Hinblick auf die streitbefangene Kündigung zunächst dahinstehen, ob bei der vorzunehmenden Systematisierung von einer Dreiteilung im Sinne des § 1 KSchG nach verhaltensbedingten, betriebsbedingten und personenbedingten Kündigungsgründen auszugehen ist oder ob darüber hinaus noch weitere Untergliederungen vorzunehmen sind (vergl. insgesamt Ascheid u.a. GK/Kündigungsrecht, 2. Auflage/Dörner Rn. 61 ff., m.w.N.).

33

Denn hier kommen nach Auffassung der Kammer nach dem gegebenen Sach- und Streitstand ausschließlich verhaltensbedingte Kündigungsgründe in Betracht. Insoweit ist das erkennende Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die der Klägerin im Rahmen der fristlosen Kündigung vorgeworfenen Umstände dem steuerbaren Verhalten der Klägerin zuzuordnen sind und demnach ausschließlich verhaltensbedingte Kündigungsgründe in Frage kommen.

34

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Kammer zudem zu dem Ergebnis gelangt, dass die der Klägerin vorgeworfenen Verhaltensweisen - ohne Berücksichtigung des konkreten Einzelfalles - jedenfalls grundsätzlich für sich genommen geeignet sind, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen zu können.

35

Die diesbezüglichen Einwendungen der Klägerin in der Berufungsinstanz sind für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar. Denn die der Klägerin vorgeworfenen Verhaltensweisen stellen bei der zu Grunde zu legenden objektiven Betrachtungsweise - ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles - nicht lediglich untergeordnete Vertragsverletzungen dar. Vielmehr handelt es sich bei den durch die Beklagte gegenüber der Klägerin gemachten Vorhaltungen um erhebliche Vertragsverletzungen. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Vorwurfes der Duldung der Bearbeitung der Bedarfsgemeinschaft B. durch ihre Nichte als auch bezüglich der weiteren Bearbeitung des Antrages der Bedarfsgemeinschaft B. durch die Klägerin selbst.

36

c) Auch ergibt sich nach Ansicht der Kammer unter Berücksichtigung des insoweit unstreitigen Sach- und Streitstandes unter Verwertung des weiteren Vortrages der Parteien auf Grund der danach gegebenen Verhaltensweisen der Klägerin grundsätzlich ein kündigungsrechtlich relevanter Tatbestand im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB.

37

Denn der Klägerin sind im vorliegenden Fall erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen vorzuwerfen, indem sie den Leistungsbescheid zu Gunsten der Bedarfsgemeinschaft B. erteilte, obschon sie hätte erkennen können und müssen, dass ihre Nichte, Frau B., den Leistungsantrag ihres Ehemannes gesetzes- und vertragswidrig bearbeitet hatte. Es kann ebenfalls zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin auf Grund der vorgenannten Umstände die bearbeitete Vorlage durch ihre Nichte nicht hätte akzeptieren dürfen, zumindest aber einer genauen Überprüfung hätte unterziehen müssen. Schließlich ist der Beklagten darin beizupflichten, dass der Klägerin insoweit eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung zuzurechnen ist, als sie es als Vorgesetzte unterließ, die Frau B. auf ihr pflichtwidriges Fehlverhalten hinzuweisen und/oder ihrerseits den vorgesetzten Mitarbeiter über die vorstehenden Umstände zu informieren. All diese Gesichtspunkte stellen aus Sicht des erkennenden Gerichtes - insoweit der Argumentation der Beklagten folgend - eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch die Klägerin dar.

38

Andererseits lässt sich nach dem Vortrag der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten nach Ansicht der Kammer nicht die Schlussfolgerung rechtfertigen, die Klägerin habe im kollusiven Zusammenwirken mit ihrer Nichte versucht, durch ein manipulatives Verhalten die Auszahlung unberechtigter Zahlungen an die Bedarfsgemeinschaft B. zu bewirken, sodass der Beklagten der Nachweis strafrechtlich relevanter Vermögensdelikte durch die Klägerin im Zusammenwirken mit der Frau B. zum Nachteil der ARGE nicht gelungen ist.

39

Zwar behauptet die Beklagte wiederholt, dass die Annahme einer derartigen Verhaltensweise der Klägerin zu vermuten sei. Jedoch fehlt es an einem hinreichend konkreten Vortrag der darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten, der diese spekulativen Behauptungen im Sinne einer verwertbaren und beweisfähigen Sachverhaltsdarstellung für das erkennende Gericht zugänglich machen würde. Mithin ist unter Berücksichtigung des gegebenen Sach- und Streitstandes zwar von einer gewichtigen Verletzung arbeitsvertraglicher Verpflichtungen durch die Klägerin auszugehen, wobei jedoch ein manipulatives Verhalten bis hin zu einer strafrechtlich relevanten Vorgehensweise der Klägerin hier nicht bejaht werden kann.

40

Die vorgenannten Umstände führen im Ergebnis der gebotenen Interessenabwägung zur Verneinung der Rechtswirksamkeit der streitbefangenen außerordentlichen Kündigung vom 19.04.2006.

41

Denn nach Auffassung des erkennenden Gerichtes wiegen die arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen insbesondere auch in Ansehung des bereits seit 1981 bestehenden Arbeitsverhältnisses und des Lebensalters der Klägerin nicht so schwer, als dass vorliegend von der Entbehrlichkeit des Ausspruches einer vorhergehenden Abmahnung hätte ausgegangen werden können.

42

Nach ständiger und zutreffender Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (Urteil vom 27.04.2006 - 2 AZR 415/05, m.w.N.), welcher sich die Kammer anschließt, setzt die Rechtswirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung - sei es im sogenannten Leistungsbereich oder im sogenannten Vertrauensbereich - grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber das entsprechende Verhalten durch eine vorausgegangene einschlägige Abmahnung formgerecht gerügt hat. Dieser Grundsatz manifestiert sich nunmehr auch in der gesetzlichen Vorgabe des § 314 Absatz 2 BGB. Das heißt, der Ausspruch einer vorherigen Abmahnung ist dann erforderlich, wenn es - wie hier - um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann. Bei der Prüfung der Frage einer möglichen Wiederherstellung des Vertrauens ist dabei zum einen im Wege der Prognoseentscheidung darauf abzustellen, ob eine Abmahnung geeignet ist, eine Änderung des Verhaltens in der Weise eines künftigen vertragsgetreuen Verhaltens des Arbeitnehmers herbeizuführen (BAG, Urteil vom 04.06.1997 - 2 AZR 526/96 = NZA 1997, Seite 1281) und andererseits, ob dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Schwere des Vertragsverstoßes der Ausspruch einer Abmahnung überhaupt noch zugemutet werden kann (BAG, Urteil vom 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 = DB 2000, Seite 48). Lediglich bei besonders schwerwiegenden Verstößen, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei denen es offensichtlich ausgeschlossen ist, dass sie der Arbeitgeber hinnimmt, ist eine Abmahnung entbehrlich (BAG, Beschluss vom 10. Februar 1999 - 2 ABR 31/98, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG 1969).

43

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze ist das erkennende Gericht zu dem Ergebnis der Erforderlichkeit des Ausspruches einer vorherigen Abmahnung gelangt.

44

aa) Nach Auffassung der Kammer wäre eine Abmahnung vorliegend geeignet gewesen, um für die Zukunft ein vertragsgetreues Verhalten der Klägerin im Rahmen ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen mit der Beklagten sicherzustellen und damit die gegebene Vertrauensbeeinträchtigung zu beseitigen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass der Klägerin zwar gewichtige Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten jedoch keinesfalls ein manipulatives Verhalten bis hin zu einer strafrechtlich relevanten Vorgehensweise zuzurechnen sind. Zum anderen ist nach dem Vortrag der Parteien davon auszugehen, dass die Klägerin in der Vergangenheit ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ohne jegliche Beanstandungen ausgeführt hat. Mithin wäre ein Aufzeigen des "richtigen Weges" hinsichtlich der ordnungsgemäßen Erledigung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungen durch die Klägerin im Rahmen einer Abmahnung erforderlich aber auch ausreichend gewesen, um bei der Klägerin künftig ein vertragsgetreues Verhalten zu erreichen.

45

bb) Zudem geht das erkennende Gericht im Ergebnis von einer Zumutbarkeit des Ausspruches einer Abmahnung für die Beklagte trotz der nicht unerheblichen Beeinträchtigung des Vertrauensverhält-nisses durch die Fehlverhalten der Klägerin aus.

46

Dabei ist das erkennende Gericht - wie bereits dargelegt - davon ausgegangen, dass es sich bei den Fehlverhalten der Klägerin zwar um arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen handelt, jedoch eine strafrechtliche Relevanz ihrer Verhaltensweisen bereits nach dem Vortrag der Beklagten nicht gegeben ist.

47

Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass der Arbeitsplatz der Klägerin einem sensiblen Arbeitsbereich auf Grund der erheblichen Außenwirkungen hinsichtlich der anfallenden Bearbeitungen von Anträgen auf Arbeitslosengeld II zuzuordnen ist. Insoweit stellt der Anschein von "Vetternwirtschaft" und Selbstbegünstigung für die ARGE und damit auch für die Beklagte zweifelsohne in der Außenwirkung eine erhebliche Beeinträchtigung dar. Andererseits darf zu Gunsten der Klägerin nicht unberücksichtigt bleiben, dass unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes eine strafrechtlich relevante Verhaltensweise durch die Klägerin nicht festzustellen ist. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass es bis dahin offensichtlich im Rahmen des ca. seit 25 Jahren bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht zu entsprechenden arbeitsvertraglichen Fehlverhalten der Klägerin gekommen ist. Schließlich ist zu Gunsten der Klägerin das fortgeschrittene Lebensalter (geb. am 03.01.1958) zu bedenken.

48

Insgesamt ist die Kammer mithin in Abwägung der beiderseitigen Interessen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beklagten vorliegend der Ausspruch einer vorhergehenden Abmahnung zumutbar gewesen wäre.

49

2. Ob vorliegend die Umdeutung der fristlosen Kündigung vom 19.04.2006 gemäß § 140 BGB in eine fristgemäße Kündigung zum 31.12.2006 vorgenommen werden kann, bleibt unentschieden. Denn eine entsprechende fristgemäße und verhaltensbedingte Kündigung zum 31.12.2006 wäre gemäß § 1 Absatz 1 KSchG in Verbindung mit § 1 Absatz 2 KSchG sozialwidrig und damit rechtsunwirksam.

50

a) Auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis findet das Kündigungsschutzgesetz unstreitig Anwendung, da die Klägerin länger als 6 Monate ohne Unterbrechung bei der Beklagten beschäftigt ist und die Beklagte regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Absatz 1 KSchG beschäftigt.

51

b) Die in Betracht zu ziehende ordentliche Kündigung zum 31.12.2006 wäre nicht durch verhaltensbedingte Gründe im Sinne des § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG gerechtfertigt.

52

Zwar geht die Kammer auch diesbezüglich von nicht unerheblichen Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten durch die Klägerin aus (vergl. unter 1. c) der Gründe).

53

Jedoch ist das erkennende Gericht auch hier letztendlich zu der Auffassung gelangt, dass die Beklagte vor Ausspruch einer verhaltensbedingten, ordentlichen Kündigung als milderes Mittel auf den Ausspruch einer Abmahnung hätte zurückgreifen müssen. In diesem Zusammenhang kann im Weiteren auf die Ausführungen unter 1. c), aa) sowie bb) verwiesen werden.

54

Zwar geht es bei der Vornahme einer Interessenabwägung im Rahmen einer fristgemäßen Kündigung im Gegensatz zur Problematik einer außerordentlichen Kündigung nach § 626 Absatz 1 BGB um die Frage, ob das Arbeitsverhältnis über die Kündigungsfrist hinaus fortbesteht. Jedoch führt diese von den Erwägungen zu 1. der Gründe abweichende Konstellationen im Rahmen der hier ebenfalls durchzuführenden Interessenabwägung nicht zu einem anderen Ergebnis. Dies ergibt sich insbesondere daraus - wie bereits unter 1. c) aa) und bb) ausführlich erläutert - dass der mögliche Ausspruch einer Abmahnung hier eine damit verbundene positive Prognose im Hinblick auf das zukünftige Verhalten der Klägerin als Arbeitnehmerin der Beklagten zulässt. Denn danach ist davon auszugehen, dass die Klägerin eine auf ihr Verhalten gestützte Abmahnung dazu genutzt hätte, sich zukünftig vertragsgetreu zu verhalten. Die damit verbundene positive Prognose wirkt sich mithin nicht nur im Rahmen des § 626 Absatz 1 BGB bezogen auf den Ablauf der Kündigungsfrist, sondern nach Auffassung des erkennenden Gerichtes auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung im Hinblick auf die in Betracht zu ziehende ordentliche Kündigung nach § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG aus.

55

Aus den Erwägungen zu 1. c) bb) der Gründe ergibt sich schließlich, dass auch bezüglich des Überprüfungsmaßstabes nach § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG die Bejahung einer Unzumutbarkeit des Ausspruches einer Abmahnung für die Beklagte nicht in Betracht kommt.

56

3. Die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels hat gemäß § 97 ZPO die Beklagte zu tragen.

57

Revisionszulassungsgründe sind nicht ersichtlich.

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

(1) Als Abfindung ist ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen.

(2) Hat der Arbeitnehmer das fünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens fünfzehn Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu fünfzehn Monatsverdiensten, hat der Arbeitnehmer das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens zwanzig Jahre bestanden, so ist ein Betrag bis zu achtzehn Monatsverdiensten festzusetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer in dem Zeitpunkt, den das Gericht nach § 9 Abs. 2 für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses festsetzt, das in der Vorschrift des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch über die Regelaltersrente bezeichnete Lebensalter erreicht hat.

(3) Als Monatsverdienst gilt, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet (§ 9 Abs. 2), an Geld und Sachbezügen zusteht.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.