Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 26. Sept. 2013 - 6 K 1458/09

ECLI:ECLI:DE:FGST:2013:0926.6K1458.09.0A
26.09.2013

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die an den Kläger ergangene Zahlungsaufforderung rechtmäßig ist.

2

Mit Schreiben vom 08. Mai 2003 regte die Vollstreckungsstelle des Beklagten im Hause eine Haftungsprüfung wegen Steuerschulden der Gesellschaft bürgerlichen Rechts Einkaufscenter ... (im Folgenden: GbR) an. Sie führte aus, dass mit einer Zahlung durch die Steuerpflichtige - die GbR - in nächster Zeit nicht zu rechnen sei und die Vollstreckung in deren bewegliches Vermögen wegen der Betriebsaufgabe zum 01. Januar 1999 aussichtslos wäre.

3

Der Beklagte nahm den Kläger – nach Haftungsandrohung - im Wege der Haftung mit Bescheid vom 05. September 2003 wegen Abgabenrückständen i.H. von 2.045.861,57 € der GbR als Gesamtschuldner neben den Herren Dr. Z, S. und G. in Anspruch. Mit Bescheid vom 05. September 2003 erließ der Beklagte des Weiteren folgende Zahlungsaufforderung: „Ich nehme Sie hiermit gemäß § 219 AO für die genannten Haftungsbeträge in Anspruch und bitte Sie, den Betrag von 2.045.861,57 € bis zum 08.10.2003 auf eines der Konten der Finanzkasse des Finanzamtes zu entrichten…“. Wegen des genauen Inhalts des Bescheids vom 05. September 2003 wird auf Bl. 11 ff. der Finanzgerichtsakte verwiesen.

4

Der Kläger legte am 01. Oktober 2003 gegen den Haftungsbescheid sowie gegen die Zahlungsaufforderung, jeweils vom 05. September 2003, Einspruch ein.

5

Am 01. Dezember 2003 erließ der Beklagte einen „Änderungsbescheid“. Er nahm den Kläger wiederum für 2.045.861,57 € als Gesamtschuldner neben den Herren Dr. Z., S. und G. im Wege der Haftung in Anspruch. Der Bescheid vom 01. Dezember 2003 enthielt ebenfalls einen mit „Zahlungsaufforderung“ überschriebenen Passus, der den gleichen Wortlaut wie die Zahlungsaufforderung im Bescheid vom 05. September 2003 hat. Unter Punkt „C. Begründung“ zum Änderungsbescheid machte der Beklagte ergänzende Ausführungen darüber, dass die Haftung innerhalb der nach § 5 AO zu beachtenden Ermessensgrenzen erfolgt sei. Der Beklagte führte aus, dass er die GbR erfolglos zur Zahlung der rückständigen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis aufgefordert habe. Insbesondere auf Grund der Betriebsaufgabe der GbR hätten gegenüber dieser keine wirksamen Vollstreckungsmaßnahmen mehr ergriffen werden können. Ebenfalls würden von den Beteiligten unterschiedliche Ausführungen darüber gemacht, ob die GbR noch existiere. Weitere Vollstreckungsmaßnahmen erschienen insbesondere deswegen erfolglos. Der Beklagte führte wie auch im Bescheid vom 05. September 2003 aus, dass aus diesem Grund auch die Voraussetzungen des § 219 AO für den Erlass einer Zahlungsaufforderung erfüllt seien. Des Weiteren ergänzte der Beklagte seine Begründung hinsichtlich des Auswahlermessens. Im Anschluss teilte der Beklagte mit, dass die Haftung weiterhin in Höhe von 2.045.861,57 € bestehen bleibe. Des Weiteren hob er die am 29. Oktober 2003 angeordnete Aussetzung der Vollziehung auf und führte aus: „Die Haftungssumme in Höhe von 2.045.861,57 € ist zum 05.01.04 fällig.“.

6

Im Klageverfahren gegen den Haftungsbescheid (Aktenzeichen 3 K 1528/05) hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2007 den angefochtenen Haftungsbescheid teilweise zurückgenommen. Eine weitere teilweise Rücknahme hat er angekündigt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (Bl. 58/59 der Finanzgerichtsakte 3 K 1528/05) verwiesen. Der Beklagte setzte den Bescheid vom 01. Dezember 2003 über die Haftung von Abgabenrückständen der GbR, geändert durch die Erklärungen in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2007 in Höhe von 314.179,- € mit Bescheid vom 23. August 2007 (Bl. 16 f. der Finanzgerichtsakte 5 V 1234/10) außer Vollzug und teilte mit:

7

„Die nicht ausgesetzten Beträge sind wie folgt zu entrichten:

8

Lfd. Nr.

Steuerart

Zeitabschnitt

Betrag €

Zu zahlen am

1       

Haftung für die Abgabenrückstände der GbR Einkaufscenter ...

1.12.2003

1.492.390,53

05.01.2004

9

„.

10

Am 28. August 2007 hat der Beklagte unter Bezugnahme auf die vorgenannte mündliche Verhandlung einen „Rücknahmebescheid“ erlassen (Bl. 22 f. der Finanzgerichtsakte). In diesem führt der Beklagte aus:

11

„2. Damit bleibt die Haftung in dem folgenden Umfang auch weiterhin bestehen:

12

Abgabeart

Zeitraum

Betrag in Euro, Ct.

USt     

1995   

1.394.646,53

Zinsen zur USt

1995   

97.744,00

gesamt:

        

1.492.390,53

13

Die Fälligkeit der verbleibenden Haftungssumme von 1.492.390,53 € ändert sich nicht.“

14

Am 18. April 2008 erließ der Beklagte einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO in welchem er vom Kläger noch zu entrichtende Beträge von insgesamt 1.481.861,70 € auswies. Den Abrechnungsbescheid nahm der Beklagte mit Bescheid vom 22. Januar 2009 zurück. Wegen des genauen Inhalts der Bescheide wird auf Bl. 23 bis 25 der Finanzgerichtsakte 5 V 1234/10 verwiesen.

15

Mit Schreiben vom 12. Juni 2008 wies der Kläger darauf hin, dass sein Einspruch gegen das Leistungsgebot vom 05. September 2003 noch nicht entschieden worden sei. Er machte geltend, dass nach § 219 Satz 1 AO ein Leistungsgebot gegen ihn erst ergehen könne, nachdem die Vollstreckung in das Vermögen der GbR wegen Umsatzsteuer 1995 erfolglos geblieben sei. Der Nachweis der Aussichtslosigkeit setze voraus, dass die Aussichtslosigkeit aktenkundig sei und nicht nur auf Annahmen beruhe. Auch das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt habe in seinem Urteil vom 21. Juni 2007 (Aktenzeichen 3 K 1528/05) festgestellt, dass er – der Kläger – im Erhebungsverfahren, somit im Verfahren wegen des Leistungsgebots, über § 219 Satz 1 AO zu schützen sei. Da im Steuerrecht der Haftungsschuldner allenfalls subsidiär nach dem Steuerrecht hafte, sei zwingende Voraussetzung für das Leistungsgebot der fehl geschlagene Vollstreckungsversuch in das Vermögen des Steuerschuldners. Ein Vollstreckungsversuch in das Vermögen der Steuerschuldnerin, der GbR, sei nicht unternommen worden. Dies sei erstaunlich, da der Vorsteuererstattungsanspruch aus dem Jahre 1994 auf ein Konto des Geschäftsführers der GbR überwiesen worden sei, dort treuhänderisch bis zur Klärung der Umsatzsteuerfrage verwaltet worden sei und sich offenbar über viele Jahre hinweg auf dem Konto befunden habe. Es habe sich aufgedrängt, das vorgenannte Konto zu pfänden, und dadurch die Steuern in vollem Umfang beizutreiben. Wegen der Zahlungsverjährung der Steuerschuld könne nunmehr ein solcher Vollstreckungsversuch nicht mehr unternommen werden. Damit könnten auch die Voraussetzungen für ein rechtlich wirksames Leistungsgebot nicht mehr geschaffen werden.

16

Mit Bescheid vom 12. Oktober 2009 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers gegen den Bescheid „05.09.2009 über die Zahlungsaufforderung zum Haftungsbescheid vom 05.09.2003 für die Steuerschulden der GbR Einkaufcenter ... in der Fassung der geänderten Bescheide vom 01.12.2003 und vom 28.08.2007“ zurück. Der Beklagte führte im Tatbestand aus, die Vollstreckungsstelle habe dem für die GbR zuständigen Veranlagungsbereich am 08. Mai 2005 mitgeteilt, dass die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen aussichtslos sei, weil die GbR ihren Betrieb zum 01. Januar 1999 aufgegeben habe. Des Weiteren führte der Beklagte in seiner Begründung des Einspruchsbescheids aus, dass er die GbR insbesondere in Bezug auf die mit dem Umsatzsteuerbescheid 1995 vom 06. März 2002 festgesetzten Abgaben erfolglos zur Zahlung der rückständigen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis aufgefordert habe. Gegen die GbR hätten keine erfolgversprechenden Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden können. Zunächst habe sich der Umsatzsteuerbescheid 1995 in Streit befunden. Alleine hierzu habe die GbR vier gerichtliche Aussetzungsanträge gestellt, in deren Folge er – der Beklagte – auf der Grundlage richterlicher Verfügungen jeweils von Vollziehungsmaßnahmen bis zu einer Entscheidung des Finanzgerichts über den Aussetzungsantrag habe absehen sollen. Vom Erlass des Umsatzsteuerbescheids 1995 bis zum Beschluss des Finanzgerichts vom 09. November 2004 über den zuletzt gestellten gerichtlichen Aussetzungsantrag hätten damit Vollziehungsmaßnahmen ggü. der GbR als Steuerschuldnerin für einen Großteil des Zeitraumes die ausstehenden Entscheidungen über die gestellten Aussetzungsanträge entgegen gestanden. Unabhängig davon sei es nahezu sicher gewesen, dass Zahlungen von der GbR nicht hätten erlangt werden können. Außer dem gescheiterten Erwerb des Einkaufcenters seien keine anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten der GbR erkennbar gewesen. Vermögen der GbR hätte nicht ermittelt werden können. Weitere Vollstreckungsmaßnahmen erschienen daher im Zeitpunkt des Erlasses der Zahlungsaufforderung erfolglos. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass ihm, dem Beklagten, bekannt gewesen sei, dass der Vorsteuererstattungsanspruch für das Jahr 1994 auf ein Konto des Geschäftsführers der GbR, des Klägers, überwiesen worden sei. Zwar habe der Kläger im Namen der GbR verfügt, dass dieser Erstattungsanspruch auf ein auf seinen Namen lautendes Konto zu überweisen sei. Ein Versuch der Pfändung dieses Kontos wäre schon deshalb gescheitert, weil es nicht dem Vermögen der GbR zuzurechnen sei. Damit könne dahingestellt bleiben, bis zu welchem Zeitpunkt sich der Betrag der Vorsteuererstattung noch auf diesem Konto befunden habe, bevor es scheinbar einem Konto der Ehefrau des Klägers gutgeschrieben worden sei. Schlechte Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Haftungsschuldner seien - auch wenn mehrere Haftende als Gesamtschuldner in Betracht kämen – in der Regel kein Grund, vom Erlass eines Haftungsbescheids mit Zahlungsaufforderung abzusehen. Ausnahmsweise könnten sie bei der Zahlungsaufforderung berücksichtigt werden, grundsätzlich aber erst im weiteren Erhebungsverfahren durch Billigkeitsmaßnahmen wie beispielsweise Stundung und Erlass. Das gelte auch für sonstige persönliche Verhältnisse des Haftungsschuldners wie Alter und Krankheit. Solche besonderen Billigkeitsgründe, die eine Aufhebung der angefochtenen Zahlungsaufforderung im Einspruchsverfahren rechtfertigen könnten, seien vom Kläger insbesondere im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen die Zahlungsaufforderung nicht vorgetragen worden. Sodann führt der Beklagte aus, es wäre ermessensgereicht, dass die Zahlungsaufforderung für die gesamte Haftungsschuld erfolgt sei. Insbesondere unter Berücksichtigung der Höhe der Haftungsschuld sei es ermessensgerecht jeden der Haftungsschuldner zur Zahlung der gesamten Schuld aufzufordern. Dadurch entstehe den einzelnen Haftungsschuldner kein Nachteil, denn durch die gesamtschuldnerische Haftungsinanspruchnahme bewirke die Zahlung eines Haftungsschuldners die entsprechende Befreiung der übrigen Haftungsschuldner von der Gesamtschuld. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Einspruchsbescheid vom 12. Oktober 2009 verwiesen.

17

Der Kläger hat am 02. November 2009 Klage wegen des Leistungsgebotes zum Haftungsbescheid „vom 05.09.2003, geändert am 01.12.2003 und nach Angabe des Beklagten nochmals geändert am 28.08.2007“ und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 2007 erhoben.

18

Im Klageverfahren trägt der Kläger vor, die Herren Dr. Z., S., G. und M. hätten sich im Jahre 1994 zu der Gesellschaft bürgerlichen Rechts Einkaufscenter ... zusammen geschlossen. Der alleinige Zweck der Gesellschaft habe in dem Erwerb und der Vermietung des Einkaufscenter ... bestanden. Für das Jahr 1994 sei durch die GbR Einkaufscenter ... aus der Grundstückslieferung ein Vorsteuerabzug in Höhe von 2.731.050,- DM beansprucht und auch gewährt worden. Mit geändertem Umsatzsteuerbescheid 1995 vom 06. März 2002 habe der Beklagte die Vorsteuer aus dem Kauf des Einkaufcenters nebst Zinsen zurückgefordert. Anstatt die GbR Einkaufcenter ... zur Zahlung der Umsatzsteuer 1995 aufzufordern oder entsprechende Beitreibungsmaßnahmen zu unternehmen, beispielsweise durch Pfändung des entsprechenden Kontos, auf das der im Jahr 1994 ausgezahlte Vorsteuerbetrag eingegangen sei, habe der Beklagte den Kläger als ehemaligen Gesellschafter der GbR Einkaufscenter ... für deren Umsatzsteuerrückstände in Höhe von 2.045.861,57 € mit Haftungsbescheid vom 05. September 2003, geändert durch Bescheid vom 01. Dezember 2003, in Anspruch genommen. Die Klage gegen den Haftungsbescheid habe zur einer Herabsetzung der Haftungssumme von 2.045.861,57 € auf 1.492.390,53 € geführt, sei aber im Übrigen ohne Erfolg gewesen. Zum Entschließungsermessen führt der Kläger aus, dass zunächst der Steuerschuldner in Anspruch zu nehmen sei, der Haftungsschuldner dagegen nur subsidiär aus besonderem Grunde. In der Literatur werde als Maßstab hierfür ausdrücklich auf § 219 Satz 1 AO Bezug genommen, der den Grundsatz bestätige, dass ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden könne, falls die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Der Nachweis der Aussichtslosigkeit setze wiederum voraus, dass die Aussichtslosigkeit aktenkundig sei und nicht nur auf Annahmen beruhe. Dafür, dass Vollstreckungsversuche ganz oder teilweise ergebnislos geblieben seien, wäre das Finanzamt beweispflichtig. Ergehe wie im vorliegenden Fall das Leistungsgebot nach § 254 AO zusammen mit dem Haftungsbescheid, so sei die Einschränkung des § 219 Satz 1 AO spätestens bei Erlass des Leistungsgebotes zu beachten. Im Streitfall gehe das angefochtene Leistungsgebot und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung von anderen Rechtsgrundsätzen aus. Der Erlass eines Haftungsbescheides samt Leistungsgebotes solle bereits zulässig sein, wenn keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der Annahme bestünden, dass die Vollstreckungsmaßnahmen gegen die GbR keinen Erfolg versprächen, während die Rechtsprechung einen besonderen Grund für die unmittelbare – und im Regelfall nur subsidiäre – Inanspruchnahme des Haftungsschuldners verlange. Vor dem Hintergrund der oben genannten Rechtslage spiele es auch keine Rolle, dass nach Auffassung des Beklagten die GbR keinen Anspruch auf Rückgewähr der unberechtigten Entnahmen hätte, die durch die Auszahlung der in Frage stehenden Vorsteuerbeträge auf das Konto eines Gesellschafters entstanden seien, da diese Entnahmen nicht durch die Teilnahme der Gesellschaft am Rechtsverkehr begründet worden seien und deshalb wohl davon auszugehen sei, dass die GbR kein Vermögen mehr besessen hätte. Die Feststellung stehe im Widerspruch zu dem nicht hinreichend aufgeklärten Sachverhalt, nach dem der Geschäftsführer der GbR das Geld als Treuhänder – im eigenen Namen, aber auf Rechnung der GbR – hätte verwalten sollen, bis die Frage der Rückzahlungsverpflichtung geklärt sei. Zum Auswahlermessen führt der Kläger aus, dass sich der Beklagte nicht mit den unterschiedlichen Gesichtspunkten (z.B. unterschiedliche Schwere des Verschuldens der Verantwortlichen, der internen Aufgabenverteilung in der Gesellschaft; etc.) auseinandergesetzt habe. Folglich sei eine gerichtliche Überprüfung, ob ein Ermessensfehler vorliege, nicht möglich. Die fehlende Begründung der Ermessensentscheidung führe dazu, dass das Leistungsgebot vom 01. Dezember 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 2009 ohne weitere Prüfung aufzuheben sei. Zur Zahlungsverjährung der Haftungsschuld führt der Kläger aus, nach § 228 AO betrage die Zahlungsverjährung 5 Jahre. Sie beginne nach § 229 AO mit Ablauf des Kalenderjahres in dem das Leistungsgebot vom 01. Dezember 2003 erstmalig ausgebracht worden sei, mithin am 01. Januar 2004 und ende am 31. Dezember 2008. Der Kläger habe ganz ausdrücklich nicht Vollziehungsaussetzung der angefochtenen Zahlungsaufforderung beantragt. Auch im Übrigen habe es der Beklagte unterlassen, durch rechtzeitige Maßnahmen den Eintritt der Verjährung zu verhindern und für eine Ablaufhemmung Sorge zu tragen. Insbesondere sei er, der Kläger, kein weiteres Mal zur Zahlung aufgefordert worden.

19

Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 05. September 2003 über das Leistungsgebot zu dem Haftungsbescheid vom 05. September 2003 wegen der Inanspruchnahme des Klägers für die Umsatzsteuerrückstände der GbR Einkaufscenter ... in Gestalt der Bescheide vom 01. Dezember 2003 und 28. August 2007 und des hierzu ergangenen Einspruchsentscheids vom 12. Oktober 2009 sowie in Gestalt des Bescheids vom 18. September 2013 aufzuheben.

20

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

21

Der Beklagte vertritt die Ansicht, dass hinsichtlich des Entschließungsermessens die Besonderheiten des vorliegenden Falles zu berücksichtigen seien. Wie im angefochtenen Einspruchsbescheid bereits ausgeführt, habe die wirtschaftliche Tätigkeit der GbR alleine in dem gescheiterten Versuch, ein Einkaufscenter zu erwerben, bestanden. Der hierzu von ihm, dem Finanzamt, erstattete Vorsteuerabzug sei mit befreiender Wirkung auf ein Konto des Klägers überwiesen worden (Urteil des Finanzgerichts Sachsen-Anhalt vom 07. Juli 2005, 3 K 379/02). Da das Konto nicht auf den Namen der Steuerschuldnerin gelautet habe, hätte im Streitfall angenommen werden dürfen, dass eine Vollstreckung in deren bewegliches Vermögen aussichtslos sein würde. Denn außer diesem Bankguthaben seien keinerlei Vermögensgegenstände der GbR erkennbar gewesen, in die überhaupt eine Vollstreckung denkbar gewesen wäre. § 219 Satz 1 AO sehe nur eine Rangordnung der Inanspruchnahme auf Zahlung zwischen Steuerschuldner und Haftungsschuldner vor. Die auf Grund ggfs. verschiedener Haftungstatbestände Haftenden stünden dagegen nach § 44 AO als Gesamtschuldner gleichrangig nebeneinander. Im Streitfall stehe der angefochtenen Entscheidung zum Leistungsgebot auch nicht der Eintritt der Zahlungsverjährung entgegen. Im Streitfall habe er, der Beklagte, auf Antrag des Klägers im Rahmen seines Einspruchs vom 05. September 2003 mit Bescheid vom 29. Oktober 2003 vollumfänglich die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids gewährt. Da mit dem geänderten Haftungsbescheid die Aussetzung der Vollziehung zum 05. Januar 2004 beendet worden sei, habe mit Ablauf des Jahres 2004 eine neue Zahlungsverjährungsfrist begonnen, die – ohne weitere Unterbrechungshandlungen entsprechend § 228 Satz 2 AO zum 31. Dezember 2009 abgelaufen wäre. Darüber hinaus habe er, der Beklagte, im Verlauf des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens (Aktenzeichen 3 V 486/06) den Aussetzungsbescheid vom 23. August 2007 erlassen. Zwar sei mit diesem Bescheid nur insoweit die Aussetzung der Vollziehung verfügt worden, als das Finanzamt die Herabsetzung der Haftungssumme in Aussicht gestellt habe. Mit diesem Aussetzungsbescheid habe er, der Beklagte, dem Kläger aber auch mitgeteilt, dass der nicht ausgesetzte Teil der Haftungssumme an ihn zu entrichten sei. Damit sei der Kläger hinsichtlich des nicht ausgesetzten Teils der Haftungssumme zur Zahlung aufgefordert worden. Diese schriftliche Geltendmachung habe die Zahlungsverjährung im Jahr 2007 unterbrochen, so dass – ohne weitere Unterbrechungshandlung - die Zahlungsverjährung erst zum 31. Dezember 20012 eingetreten sei.

22

Der Kläger erwiderte sodann mit Schreiben vom 30. März 2013, der Beklagte habe sich schon vor vielen Jahren auf die einvernehmliche Erledigung der Sache verständigt und ganz erhebliche Zahlungen auf die Haftung der früheren Gesellschafter der GbR zu Grunde liegenden Umsatzsteuerschuld erhalten. Auf Grund der geleisteten Zahlungen sei das Leistungsgebot dem Kläger zumindest in der vorliegenden Form rechtswidrig geworden. Im Übrigen befinde er, der Kläger, sich im 83. Lebensjahr und sei gesundheitlich schwer angeschlagen. Bereits mit Beschluss des Amtsgerichts ... – Insolvenzgericht – vom 2. Juni 2003 sei der Antrag des Finanzamts ... auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse zurückgewiesen worden. Er sei zahlungsunfähig und vermögenslos.

23

Im Weiteren Verfahren wies der Kläger auf das Urteil des BFH vom 15. Januar 2013, VIII R 22/10, hin. Der BFH habe erneut ausdrücklich festgestellt, dass ein Haftungsbescheid und damit auch das dazu ergangene Leistungsgebot nur dann und nur so lange rechtmäßig sei, so lange der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis noch existiere (Akzessorietät der Haftung). Der Bundesfinanzhof habe mit Beschluss vom 14. März 2007, V B 150/05 die Beschwerde der GbR wegen der Nichtzulassung der Revision zum Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 07. Juli 2005, Aktenzeichen 3 K 312/04, wegen Umsatzsteuer 1995 als unbegründet zurück gewiesen. Damit sei der gegenüber der GbR ergangene Umsatzsteuerbescheid 1995 vom 06. März 2002 bestandskräftig geworden. Die Zahlungsverjährungsfrist habe spätestens am 15. März 2007 begonnen und am 15. März 2012 geendet. Damit sei der Anspruch des Beklagten aus dem früheren Steuerschuldverhältnis zur GbR wegen Umsatzsteuer 1995 erloschen. Alle Ansprüche seien verwirklicht oder verjährt. Da der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nicht mehr existiere, könne der Kläger mit dem streitgegenständlichen Haftungsbescheid und dem dazu ergangenen Leistungsgebot wegen der Akzessorietät der Haftung nicht länger in Anspruch genommen werden. Für seine Auffassung führt der Kläger nunmehr auch die Kommentierung von Stadie, Rau/Dürrwächter, UStG, Lief. 139 – Stand Juli 2009, § 18 Rdn. 578 an. Danach dürfe ein nicht vollzogener Haftungsbescheid nicht mehr vollzogen werden, soweit die Haftungsschuld erloschen sei.

24

Der Beklagte weist mit Schriftsatz vom 06. Mai 2013 darauf hin, dass der Kläger erstmals seit der Androhung seiner Haftungsinanspruchnahme mit Schreiben vom 13. Mai 2003 auf die Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse hingewiesen habe. Mithin habe er, der Beklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt (Erlass des Einspruchsbescheids) keine Kenntnis von dem abgelehnten Insolvenzverfahren gehabt. Die von dem Kläger angegebene Verständigung mit einem anderen Haftungsschuldner über die Höhe der Zahlung habe erst im Jahr 2011 statt gefunden.

25

Auf Nachfrage des Gerichts teilte der Beklagte mit, dass bis zum Erlass des Einspruchsbescheids am 12. Oktober 2009 durch Aufrechnung die Haftungsschuld in Höhe von insgesamt 29.334,74 € getilgt worden sei. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben des Beklagten vom 05. September 2013 verwiesen. Mit Bescheid vom 18. September 2013 hat der Beklagte die angefochtene Zahlungsaufforderung in vorgenannter Höhe zurückgenommen (Finanzgerichtsakte Bl. 103 f.).

26

Darauf hin weist der Kläger mit Schreiben vom 19. September 2013 darauf hin, dass ein weiterer vermeintlicher Haftungsschuldner, Dr. Z., in den letzten Jahren ganz erhebliche Zahlungen auf die Primärschuld geleistet hätte.

27

Mit Schriftsatz vom 24. September 2013, eingegangen bei Gericht am 25. September 2013, vertritt der Kläger die Auffassung, dass der Rücknahmebescheid vom 18. September 2013 nach § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden sei. Des Weiteren wiederholt er seine Auffassung, dass der Grundsatz der Akzessorietät der Haftungsschuld zu der Primärschuld in jedem Zeitpunkt des Verfahrens, mithin insbesondere auch bei der Vollstreckung und bei der vorliegend zu treffenden Entscheidung über das Leistungsgebot zu berücksichtigen sei. Der Beklagte erwecke mit dem Rücknahmebescheid vom 18. September 2013 den Eindruck, dass er die Ermessenserwägungen zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung, also zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung am 12. Oktober 2009, berichtigen oder ergänzen wolle. Einer solchen Absicht würde jedoch eine unzutreffende Rechtsauffassung zu Grunde liegen. Der Rücknahmebescheid nehme in vollem Umfang das bisher streitgegenständliche Leistungsgebot zum Haftungsbescheid vom 01. Dezember 2003 auf. Der bisherige Verwaltungsakt existiere daher nicht mehr. Gegenstand des hier streitigen Verfahrens sei damit allein noch der Rücknahmebescheid vom 18. September 2013. Die Ermessenserwägungen im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheids vom 01. Dezember 2003 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 2009 wären nicht mehr entscheidungsrelevant. Falls die Primärschuld nicht verjährt wäre, müsste das Gericht deshalb den Rücknahmebescheid auf unzureichende Ermessenserwägungen prüfen.

28

In der mündlichen Verhandlung führte der Prozessbevollmächtigte nochmals aus, dass der Bescheid vom 18. September 2013 über § 68 FGO Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden sei. In diesem Bescheid müsse der Beklagte daher sämtliche Ermessenserwägungen erneut anstellen und des Weiteren zum Ausdruck bringen, für welche Schuld der Kläger in Anspruch genommen werde. Im Hinblick die Zahlungen von etwa 480.000,- € auf die Primärschuld – ersichtlich aus dem vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung übergegebenen Kontoauszug – wäre die diese Zahlungen nicht berücksichtigende Zahlungsaufforderung rechtswidrig.

29

Wegen der weiteren Ausführungen des Prozessbevollmächtigten und dessen in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrages wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 verwiesen.

Entscheidungsgründe

30

Die zulässige Klage ist unbegründet.

31

Die angefochtene Zahlungsaufforderung steht in Einklang mit § 219 Satz 1 AO und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

32

Der Senat entscheidet über die Rechtmäßigkeit der Zahlungsaufforderung vom 05. September 2003 in Gestalt des Teilrücknahmebescheids vom 28. August 2007, des Einspruchsbescheids vom 12. Oktober 2009 sowie in Gestalt des Teilrücknahmebescheids vom 18. September 2013.

33

Dies ergibt sich aus Folgendem: Bei dem Bescheid vom 01. Dezember 2003 handelt es sich nicht um einen wirksamen Verwaltungsakt, so dass dieser für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zahlungsaufforderung unbeachtet bleibt.

34

Der Senat kann mangels Entscheidungsrelevanz dahinstehen lassen,                                - ob hinsichtlich der Zahlungsaufforderung im Bescheid vom 01. Dezember 2003 lediglich eine wiederhole Verfügung vorliegt, die mangels Regelung keinen Verwaltungsakt darstellt oder

35

- ob unter dem Aspekt, dass am 01. Dezember 2003 keine rückwirkende Zahlung bis zum 08. Oktober 2003 bewirkt werden kann, ein nach § 125 Abs. 2 Nr. 2 AO nichtiger Verwaltungsakt vorliegt.

36

Denn zum Einen werden auch wiederholende Verfügungen und Bescheide, die nur den Rechtsschein einer Korrektur auslösen, Gegenstand des Einspruchsverfahrens (s. von Groll in Gräber, FGO, 7. Aufl., Rdn. 66 zu der Parallelvorschrift des § 68 FGO für das gerichtliche Verfahren). Dies wurde ausweislich des Rubrums im Einspruchsbescheid im Streitfall beachtet. Zum Anderen hat in beiden Konstellationen die Zahlungsaufforderung vom 05. September 2003 weiter Bestand, da – wie bereits ausgeführt – der Bescheid vom 01. Dezember 2003 keinen wirksamen Verwaltungsakt darstellt.

37

Die Zahlungsaufforderung vom 05. September 2013 wird durch die teilweise Rücknahme des Haftungsbescheids mit Bescheid vom 28. August 2007 konkludent in entsprechendem Umfang zurückgenommen (s. zur konkludenten Rücknahme beispielsweise BFH-Beschlüsse vom 08. Februar 2008 VII B 156/07, BFH/NV 2008, 967 und vom 16. März 1993 VII S 39/92, BFH/NV 1995, 950).

38

Der Bescheid vom 18. September 2013 stellt, auch wenn er als „Rücknahmebescheid“ bezeichnet worden ist, ebenfalls eine nur teilweise Rücknahme des Bescheids vom 05. September 2003 dar. Dies ergibt sich bereits aus dem Ausspruch, nach dem die Zahlungsaufforderung in Höhe von (nur) 29.334,74 € zurückgenommen wird. Darüber hinaus wird in der Begründung und der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids vom 19. September 2013 der Begriff „Teilrücknahme“ verwandt. Infolge der (weiteren) nur teilweisen Rücknahme durch den Bescheid vom 18. September 2013 ist der Regelungsgehalt des ursprünglichen Bescheids über die Zahlungsaufforderung vom 05. September 2003 nach Maßgabe der inhaltlichen Beschränkung durch die beiden Teilrücknahmen weiterhin wirksam. Dementsprechend stellen die Teilrücknahmebescheide vom 28. August 2007 und 13. September 2013 keine ändernden oder ersetzenden Bescheide im Sinne des § 68 FGO dar (s. BFH vom 16. Juli 1992 VII R 60/91, BFH/NV 1993, 153 wegen der fehlenden Anwendbarkeit des § 68 FGO bei Teilrücknahmebescheiden). Mithin hat der Senat über die Rechtmäßigkeit der Zahlungsaufforderung vom 05. September 2003 in Gestalt des Teilrücknahmebescheids vom 28. August 2007, des Einspruchsbescheids vom 12. Oktober 2009 und des Teilrücknahmebescheids vom 13. September 2013 zu entscheiden.

39

Die Zahlungsaufforderung vom 05. September 2003 in Gestalt des Teilrücknahmebescheids vom 28. August 2007 und des Einspruchsbescheids vom 12. Oktober 2009 sowie in Gestalt des Teilrücknahmebescheids vom 18. September 2013 stehen in Einklang mit § 219 Satz 1 AO und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

40

Nach § 219 Satz 1 AO darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde.

41

Die Zahlungsaufforderung vom 05. September 2003 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 12. Oktober 2009 und in Gestalt der rückwirkenden Teilrücknahmen vom 28. August 2007 und 18. September 2013 fordert den Kläger in zutreffender Höhe (1.463.055,79 €) zur Zahlung auf. Der Beklagte hat die bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 2009 geleisteten Zahlungen und Aufrechnungen nach Erlass der rückwirkenden Teilrücknahmebescheide zutreffend berücksichtigt. Insbesondere ist dem in der mündlichen Verhandlung übergebenen Kontoauszug wegen Umsatzsteuerschulden der GbR für das Jahr 1995 nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Denn nach dem 12. Oktober 2009 geleistete Zahlungen können, da die Rechtmäßigkeit der Zahlungsaufforderung im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung zu beurteilen ist, keinerlei Berücksichtigung in dem hier zu entscheidenden Klageverfahren finden (s. hierzu Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl., § 219 Rdn. 12 m.w.N. mit Hinweis auf einen Antrag nach § 218 Abs. 2 AO wegen Zahlungen des Schuldners nach Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung).

42

Die in Rede stehende Zahlungsaufforderung ist auch nicht wegen Erlöschens der Erstschuld – im Streitfall der Umsatzsteuer 1995 – durch Zahlungsverjährung rechtswidrig. Die GbR als Steuerschuldnerin und der Kläger als Haftungsschuldner sind Gesamtschuldner im Sinne des § 44 AO. Die Zahlungsverjährung der Primärschuld, welche die GbR als Steuerschuldnerin schuldete, hat auf den Bestand der Haftungsschuld keine Auswirkung. Denn nach § 44 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 AO wirken nur die Erfüllung der Schuld, die Aufrechnung und eine geleistete Sicherheit durch einen Gesamtschuldner auch für die übrigen Gesamtschuldner; die Erfüllung des Anspruchs durch einen Gesamtschuldner ist als solche des Steuerschuldners und des Haftungsschuldners anzusehen. Andere Tatsachen als die Erfüllung des Anspruchs wirken hingegen nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten (§ 44 Abs. 2 Satz 3 AO). Zu diesen Tatsachen zählt auch die Verjährung mit der Konsequenz, dass der Eintritt der Zahlungsverjährung für die Steuerschuld dem Haftungsschuldner nicht zugute kommt; dieser kann daher aus einem vor Eintritt der Verjährung gegen ihn erlassenen Haftungsbescheid weiterhin als Haftender in Anspruch genommen werden. Das Erlöschen der Steuerschuld hat trotz der grundsätzlich bestehenden Akzessorietät der Haftungsschuld nicht das Erlöschen aller eine bestimmte Steuer betreffenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zur Folge. Vielmehr ist nach Ergehen des Haftungsbescheides ein weiterer Anspruch, nämlich der geltend gemachte Haftungsanspruch, selbständig neben den Steueranspruch getreten (vgl. § 37 Abs. 1 AO), dessen weiteres Schicksal grundsätzlich unabhängig von dem ihm zu Grunde liegenden Steueranspruch zu beurteilen ist. Denn der Haftungsanspruch begründet einen selbständigen Anspruch des Steuergläubigers auf Zahlung einer Steuerschuld aus dem Vermögen eines Dritten. Daraus folgt, dass die Abhängigkeit des Haftungsanspruchs vom Bestehen des Steueranspruchs - soweit diese nicht schon durch die Regelungen des § 191 Abs. 5 Nrn. 1 und 2 AO durchbrochen ist - nach Ergehen des Haftungsbescheides grundsätzlich nur noch dann Auswirkungen zeigt, wenn es das Gesetz, wie in der Vorschrift des § 44 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 AO, ausdrücklich bestimmt. Für den Eintritt der Verjährung gilt daher, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist und die Verjährung der Zahlungsansprüche hinsichtlich der Primärschuld (also gegenüber dem Steuerschuldner) und der Haftungsschuld (somit gegenüber dem Haftungsschuldner) getrennt verlaufen. Für den durch Haftungsbescheid in Anspruch genommenen Haftungsschuldner bedeutet dies, dass der Haftungsbescheid gegen ihn ungeachtet des Eintritts der Zahlungsverjährung der Steuerschuld vollzogen werden kann (BFH-Urteil vom 11. Juli 2001 VII R 28/99, BStBl. II 2002, 267). Die von dem Kläger vertretene Ansicht, dass auch nach Erlass des Haftungsbescheids die Verjährung der Primärschuld dem Erlass eines Haftungsbescheids und einer Zahlungsaufforderung entgegensteht, kann der Senat auch nicht dem angeführten BFH-Urteil vom 15. Januar 2013 VIII R 22/10, BStBl. II 2013, 526 entnehmen. Ausgehend von den Ausführungen zu § 44 AO kann der Senat für die Frage der Rechtmäßigkeit der Zahlungsaufforderung ungeprüft lassen, zu welchem Zeitpunkt die Primärschuld (Umsatzsteuer 1995) wegen Zahlungsverjährung erloschen ist. Dementsprechend erhebt der Senat – mangels Entscheidungsrelevanz – wegen des Zeitpunktes des Eintritts der Verjährung der Primärschuld keinen Beweis.

43

Der Auffassung, dass die Zahlungsverjährung der Primärschuld für den Streitfall ohne Relevanz ist, steht auch nicht die von Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Stand Juli 2009, § 18 Rdn 578 vertretene Ansicht entgegen, auf die sich der Kläger ebenfalls beruft. Im Streitfall liegt weder die dort angesprochene Problematik vor, dass die dem Haftungsbescheid zu Grunde liegende Steuerschuld gemindert worden ist noch liegt ein Fall des ebenfalls angesprochenen Erlöschens der Haftungsschuld vor. Insbesondere ist im Streitfall – entgegen der Ansicht des Klägers - die Haftungsschuld nicht durch bereits zum 12. Oktober 2009 (Erlass des Einspruchsbescheids) eingetretene Zahlungsverjährung erloschen.

44

Die Verjährungsfrist für den Zahlungsanspruch aus dem Haftungsbescheid beträgt nach § 228 AO 5 Jahre. Die Verjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist, § 229 Abs. 1 Satz AO. Die Verjährung wird unterbrochen u.a. durch die schriftliche Geltendmachung des Anspruchs, durch Stundung und durch Aussetzung der Vollziehung, § 231 Abs. 1 AO. Mit Ablauf des Kalenderjahrs in dem die Unterbrechung geendet hat, beginnt eine neue Verjährungsfrist, § 231 Abs. 3 AO.

45

Mithin beginnt die Zahlungsverjährung für den in Rede stehenden Anspruch aus dem Haftungsbescheid mit Ablauf des 31. Dezember 2003. Sie ist jedoch durch die im „Änderungsbescheid“ vom 01. Dezember 2003 geregelte „Fälligstellung“ der Haftungssumme zum 05. Januar 2004 unterbrochen. Denn das Hinausschieben der Fälligkeit auf den 05. Januar 2004 ist – auch wenn der Beklagte es nicht ausdrücklich so bezeichnet hat – eine Stundung im Sinne des § 222 AO, die die mit Ablauf des 31. Dezember 2003 beginnende Zahlungsverjährung unterbricht. Auf Grund der am 05. Januar 2004 endenden Stundung beginnt mit Ablauf des 31. Dezember 2004 eine neue fünfjährige Zahlungsverjährungsfrist. Schon diese „erste“ Unterbrechung hat zur Konsequenz, dass Zahlungsverjährung nicht vor Ablauf des 31. Dezember 2009 eintritt. Daher lag auch zum Zeitpunkt des Erlasses des die Zahlungsaufforderung betreffenden Einspruchsbescheids am 12. Oktober 2009 noch keine Zahlungsverjährung vor. Darüber hinaus hat der Beklagte noch weitere die Zahlungsverjährung unterbrechende Maßnahmen unternommen. Dem Aussetzungsbescheid vom 23. August 2007 war eine schriftliche Geltendmachung des nicht ausgesetzten Betrages von 1.492.390,53 € beigefügt. Vor dem Hintergrund der mündlichen Verhandlung betreffend das Verfahren wegen Haftung der GbR (Aktenzeichen 3 K 1528/05) und der in dieser Verhandlung abgegebenen Erklärungen des Beklagten, ist nachvollziehbar wie sich der nicht von der Vollziehung ausgesetzte, weiterhin zu entrichtende Betrag von 1.492.390,53 € zusammensetzt. Der Passus im Aussetzungsbescheid vom 23. August 2007, dass die nicht ausgesetzten Beträge von 1.492.390,53, zu zahlen am 05. Januar 2004, zu entrichten seien, kann sinnvollerweise – und für den Kläger auch eindeutig erkennbar – nur dahingehend verstanden werden, dass das Finanzamt die Zahlung des reduzierten Haftungsbetrages (weiterhin) fordert. Dies stellt eine Zahlungsverjährung unterbrechende schriftliche Geltendmachung des Zahlungsanspruchs gegen den Kläger dar. Eine weitere schriftliche Geltendmachung des Haftungsanspruchs ist dem Teilrücknahmebescheid vom 28. August 2007 beigefügt. Auch hier kann der Passus, dass die Haftung in Höhe von 1.492.390,53 € mit unveränderter Fälligkeit bestehen bleibt, nur dahingehend verstanden werden, dass der Beklagte weiterhin die Zahlung dieses (ermäßigten) Betrages verlangt. Dieses Verlangen stellt eine neuerliche, die Zahlungsverjährung unterbrechende Geltendmachung des Zahlungsanspruchs gegenüber dem Kläger dar. Der Senat lässt mangels Entscheidungsrelevanz dahinstehen, ob der Beklagte weitere verjährungsunterbrechende Handlungen vorgenommen hat. Insbesondere lässt der Senat dahinstehen, ob der Abrechnungsbescheid trotz seiner Rücknahme mit Bescheid vom 22. Januar 2009 eine verjährungsunterbrechende Wirkung erzeugt.

46

Die der Zahlungsaufforderung zu Grunde gelegten (reduzierten) zu entrichtenden Schulden von nunmehr 1.463.055,79 € sind nicht zu beanstanden.

47

Die angefochtene Zahlungsaufforderung verstößt auch nicht gegen die in § 219 Satz 1 AO normierte Subsidiarität der Haftung. Nach dem Wortlaut des § 219 Satz 1 AO ist es für die subsidiäre Inanspruchnahme des Haftungsschuldners ausreichend, dass die Finanzbehörde zu der Annahme gelangt eine Vollstreckung werde ohne Erfolg sein. Eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Erfolglosigkeit von Vollstreckungsversuchen braucht nicht vorzuliegen. Ebenso wenig bedarf es des Nachweises der Aussichtslosigkeit der Vollstreckung, evtl. durch erfolglose Vollstreckungsversuche (BFH-Beschluss vom 24. April 2008, VII B 262/07, BFH/NV 2008, 1448).

48

Die von dem Kläger vertretene Auffassung, dass der Beklagte vor Erlass der Zahlungsaufforderung Beitreibungsmaßnahmen bei der GbR hätte durchführen müssen, steht im offenkundigen Widerspruch zu dem klaren Gesetzeswortlaut der vorgenannten Regelung sowie zu der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die alternative Voraussetzung der Aussichtslosigkeit der Vollstreckung in das Vermögen der GbR hat der Beklagte zutreffend bejaht. Insbesondere hat er im Einspruchsbescheid vom 12. Oktober 2009 zutreffend ausgeführt, dass das Konto, auf welches der Vorsteuererstattungsanspruch 1994 überwiesen worden ist, kein Konto der GbR war. In etwaige Ansprüche der GbR, die sie selbst nicht geltend gemacht hat, muss der Beklagte keine Vollstreckungsversuche unternehmen. Die Vollstreckung von Ansprüchen, deren Inhaberschaft sich der Steuer- bzw. Haftungsschuldner nicht einmal selbst berühmt, ist nach Auffassung des Senats als aussichtslos zu beurteilen. Ob zivilrechtlich ein Ausgleichsanspruch der Gesellschaft oder lediglich Ausgleichsansprüche der Gesellschafter untereinander bestanden haben, die per se kein Vermögen der GbR darstellen, lässt der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen.

49

An die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzung schließt sich die Überprüfung der Ermessensausübung an.

50

Die Inanspruchnahme auf Zahlung nach § 219 Satz 1 AO bedarf einer eigenständigen Ermessensentscheidung der Finanzbehörde. Dies ergibt sich aus der Formulierung „darf in Anspruch genommen werden“. Die Finanzbehörde hat bei der Aufforderung zur Zahlung das Entschließungsermessen (ob sie den Haftungsschuldner zur Zahlung auffordert) und ein Auswahlermessen (welchen von ggf. mehreren gleichrangigen Haftungsschuldnern sie zur Zahlung auffordert) auszuüben (Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 219 AO 214. Lfg. Rdn. 61).

51

Auch die Ermessensausübung des Beklagten ist nicht zu beanstanden.

52

Eine Ermessensentscheidung einer Behörde darf das Gericht gemäß § 102 Satz 1 FGO (nur) daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

53

Für die gerichtliche Nachprüfung von Ermessensentscheidungen sind die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich. Denn aus dem Wesen einer Ermessensvorschrift, einen Spielraum dafür zu geben, unter einer Mehrzahl rechtlich zulässiger Verhaltensweisen wählen zu lassen, folgt, dass die durch § 102 FGO dem Umfang nach umschriebene gerichtliche Rechtskontrolle der Ermessensentscheidung nur auf den Zeitpunkt der Wahl durch die Verwaltungsbehörde selbst bezogen sein kann (statt vieler: BFH-Urteil vom 26. März 1991 VII R 66/90, BStBl. II 1991, 545).

54

Wie bereits ausgeführt durfte der Beklagte ausgehend von der Aktenlage und dem Vortrag des Klägers in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung davon ausgehen, dass eine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen der GbR aussichtslos sein würde. Unbewegliches Vermögen in das eine Vollstreckung hätte vorgenommen werden können, war für den Beklagten ebenfalls nicht zu ermitteln. Schon diese von dem Beklagten im Einspruchsbescheid vom 12. Oktober 2009 gemachten Ausführungen stellen eine rechtmäßige, ausreichend begründete Ausübung des Entschließungsermessens dar. Der Senat teilt die Auffassung des Beklagten, dass eine rechtsfehlerfreie Ausübung des Entschließungsermessens nicht tatsächlich erfolglose Vollstreckungsversuche erfordert.

55

Schlechte Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Haftungsschuldners sind – auch wenn mehrere Haftende als Gesamtschuldner in Betracht kommen - regelmäßig kein Grund vom Erlass eines Haftungsbescheids mit Zahlungsaufforderung abzusehen (Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 219 AO 214. Lfg. Rdn. 64). Ob der Umstand, dass das Amtsgericht ... einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers durch Beschluss des Amtsgerichts ... bereits mit Beschluss vom 02. Juni 2003 mangels einer die Kosten des Verfahrens deckende Masse abgelehnt hat, eine besondere Darlegung des Entschließungsermessens unter Berücksichtigung dieses Aspekts gefordert hätte, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn der Kläger hat diese dem Beklagten nicht bekannte Tatsache erstmals mit Schriftsatz vom 30. März 2013, mithin erst nach Erlass des Einspruchsbescheids vom 12. Oktober 2009 vorgetragen. In der Folge kann schon aus diesem zeitlichen Aspekt nicht zu beanstanden sein, dass die finanziellen Verhältnisse des Klägers sowohl im Bescheid über die Zahlungsaufforderung vom 05. September 2003 als auch im Einspruchsbescheid vom 12. Oktober 2009 ohne Erwähnung geblieben sind.

56

Dass der Beklagte sein Entschließungsermessen dahingehend ausgeübt hat, den Kläger trotz Vorhandenseins weiterer Haftungsschuldner zur Zahlung der insgesamt festgesetzten Haftungsschuld aufzufordern, stellt eine ebenfalls rechtsfehlerfreie Ermessensbetätigung dar. Diese hat der Beklagte mit Einspruchsbescheid vom 12. Oktober 2009 hinreichend mit der Höhe der Haftungsschuld begründet. Ob diesbezüglich überhaupt eine Begründung der Ermessensausübung erforderlich oder wegen vorgeprägten Ermessens obsolet gewesen wäre, lässt der Senat mangels Entscheidungsrelevanz dahinstehen. Dass der Beklagte sämtliche Gesellschafter der GbR, die mit Haftungsbescheid in Anspruch genommen worden sind, und damit auch den Kläger, zur Zahlung aufgefordert hat, stellt im Hinblick auf die Höhe der Haftungsschuld auch eine rechtmäßige Ausübung des Auswahlermessens dar. Insbesondere erfordert eine rechtsfehlerfreie Ausübung des Auswahlermessens entgegen der Ansicht des Klägers keinen weiteren über die Voraussetzungen des § 219 Satz 1 AO gehenden besonderen Grund für die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner und für den Erlass einer Zahlungsaufforderung an diesen. Gegenteiliges ist auch nicht aus dem vom Kläger angeführten BFH-Urteil vom 28. Februar 1973 II R 57/71 (BStBl II 1973, 573) zu folgern. Denn das Urteil bezieht sich auf eine Haftung nach § 10 Abs. 2 des Kapitalverkehrsteuergesetzes und auf die Regelung der Gesamtschuldnerschaft in § 7 Abs. 3 des Steueranpassungsgesetzes, mithin auf eine Rechtslage vor Inkrafttreten der AO (und vor Inkrafttreten der Regelung in § 219 Satz 1 AO, die keine Entsprechung in der Reichsabgabenordnung - RAO - hatte). Den von der Rechtsprechung unter Geltung der §§ 118 und 120 RAO geforderten besonderen Grund für die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners hat der Gesetzgeber im Zuge der AO-Reform gerade in § 219 Satz 1 AO ausdrücklich normiert (BFH-Beschluss VII B 262/07, BFH/NV 2008, 1448 m.w.N. zu der Frage der Haftungsinanspruchnahme).

57

Mithin ist die angefochtene Zahlungsaufforderung rechtmäßig.

58

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 135 Abs. 1, 136 Abs. 1 Satz 2 FGO.


ra.de-Urteilsbesprechung zu Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 26. Sept. 2013 - 6 K 1458/09

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(1) Die Verjährung eines Anspruchs wird unterbrochen durch1.Zahlungsaufschub, Stundung, Aussetzung der Vollziehung, Aussetzung der Verpflichtung des Zollschuldners zur Abgabenentrichtung oder Vollstreckungsaufschub,2.Sicherheitsleistung,3.eine Vollst

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Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis unterliegen einer besonderen Zahlungsverjährung. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, in Fällen der §§ 370, 373 oder 374 zehn Jahre.

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Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. D

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(1) Die Verjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Sie beginnt jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Festsetzung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, ihre Aufhebung, Ä

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(1) Soweit nichts anderes bestimmt ist, darf die Vollstreckung erst beginnen, wenn die Leistung fällig ist und der Vollstreckungsschuldner zur Leistung oder Duldung oder Unterlassung aufgefordert worden ist (Leistungsgebot) und seit der Aufforderung

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Bundesfinanzhof Urteil, 15. Jan. 2013 - VIII R 22/10

bei uns veröffentlicht am 15.01.2013

Tatbestand 1 I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehungen durch anonym gebliebene Bankkunden haftet.

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Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten.

Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten.

(1) Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) sind die Steuerbescheide, die Steuervergütungsbescheide, die Haftungsbescheide und die Verwaltungsakte, durch die steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden; bei den Säumniszuschlägen genügt die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands (§ 240). Die Steueranmeldungen (§ 168) stehen den Steuerbescheiden gleich.

(2) Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche im Sinne des Absatzes 1 betreffen, entscheidet die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid. Dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2) betrifft.

(3) Wird eine Anrechnungsverfügung oder ein Abrechnungsbescheid auf Grund eines Rechtsbehelfs oder auf Antrag des Steuerpflichtigen oder eines Dritten zurückgenommen und in dessen Folge ein für ihn günstigerer Verwaltungsakt erlassen, können nachträglich gegenüber dem Steuerpflichtigen oder einer anderen Person die entsprechenden steuerlichen Folgerungen gezogen werden. § 174 Absatz 4 und 5 gilt entsprechend.

Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten.

(1) Soweit nichts anderes bestimmt ist, darf die Vollstreckung erst beginnen, wenn die Leistung fällig ist und der Vollstreckungsschuldner zur Leistung oder Duldung oder Unterlassung aufgefordert worden ist (Leistungsgebot) und seit der Aufforderung mindestens eine Woche verstrichen ist. Das Leistungsgebot kann mit dem zu vollstreckenden Verwaltungsakt verbunden werden. Ein Leistungsgebot ist auch dann erforderlich, wenn der Verwaltungsakt gegen den Vollstreckungsschuldner wirkt, ohne ihm bekannt gegeben zu sein. Soweit der Vollstreckungsschuldner eine von ihm auf Grund einer Steueranmeldung geschuldete Leistung nicht erbracht hat, bedarf es eines Leistungsgebots nicht.

(2) Eines Leistungsgebots wegen der Säumniszuschläge und Zinsen bedarf es nicht, wenn sie zusammen mit der Steuer beigetrieben werden. Dies gilt sinngemäß für die Vollstreckungskosten, wenn sie zusammen mit dem Hauptanspruch beigetrieben werden. Die gesonderte Anforderung von Säumniszuschlägen kann ausschließlich automationsgestützt erfolgen.

Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten.

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis unterliegen einer besonderen Zahlungsverjährung. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, in Fällen der §§ 370, 373 oder 374 zehn Jahre.

(1) Die Verjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Sie beginnt jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Festsetzung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, ihre Aufhebung, Änderung oder Berichtigung nach § 129 wirksam geworden ist, aus der sich der Anspruch ergibt; eine Steueranmeldung steht einer Steuerfestsetzung gleich. Wird die Festsetzung oder Anmeldung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so beginnt die Verjährung des gesamten Anspruchs erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung wirksam geworden ist.

(2) Ist ein Haftungsbescheid ohne Zahlungsaufforderung ergangen, so beginnt die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Zahlungsaufforderung nachgeholt worden ist, spätestens aber fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Haftungsbescheid wirksam geworden ist.

Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten.

(1) Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften oder die zusammen zu einer Steuer zu veranlagen sind, sind Gesamtschuldner. Soweit nichts anderes bestimmt ist, schuldet jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung.

(2) Die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner wirkt auch für die übrigen Schuldner. Das Gleiche gilt für die Aufrechnung und für eine geleistete Sicherheit. Andere Tatsachen wirken nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten. Die Vorschriften der §§ 268 bis 280 über die Beschränkung der Vollstreckung in den Fällen der Zusammenveranlagung bleiben unberührt.

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis unterliegen einer besonderen Zahlungsverjährung. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, in Fällen der §§ 370, 373 oder 374 zehn Jahre.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehungen durch anonym gebliebene Bankkunden haftet.

2

Der Kläger war Leiter der Wertpapieradministration bei einem großen deutschen Kreditinstitut X und als solcher unmittelbar dem Vorstand unterstellt. X war an zwei gleichnamigen Auslandsgesellschaften in Luxemburg und der Schweiz beteiligt. Der Kläger veranlasste und genehmigte 1992 --nach Abstimmung mit der Revision sowie der Rechtsabteilung des Kreditinstituts-- zwei Anweisungen, die darauf gerichtet waren, den anonymen Transfer von Wertpapieren zu den Auslandstöchtern der X zu ermöglichen. Ergänzt wurde diese Regelung im Oktober 1992 für sog. auslandsverwahrte Werte in der Weise, dass effektiv eingelieferte Werte "auch ohne Legitimationsprüfung entsprechend der Kundenangabe (z.B. Kennwort oder Kundennummer)" angenommen werden konnten. Auf die bis dahin einzuholende Aneignungsermächtigung gemäß § 13 des Depotgesetzes sollte verzichtet werden können.

3

Im Jahr 1996 begann die Finanzverwaltung bei der X mit Ermittlungen wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch deren Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder zugunsten von Kunden der X und ihrer beiden Auslandstöchter in Luxemburg und der Schweiz. Das zuständige Finanzamt stellte fest, dass eine Vielzahl von Kunden der X und der beiden Tochtergesellschaften die Möglichkeit genutzt hatten, Kapital und Wertpapiere anonym über die Grenze zu den Tochtergesellschaften zu transferieren. Anstelle der personenbezogenen Kundendaten waren lediglich Referenznummern, Kundennummern, Depot-Kontennummern oder mit der Auslandsbank vereinbarte Kennworte auf den Transferbelegen vermerkt worden.

4

Trotz der Anonymisierung gelang es der Finanzverwaltung unter Mithilfe der X, etwa 75 % der Vorgänge einzelnen Kunden zuzuordnen. Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass nahezu kein nachträglich enttarnter Kunde die Erträge aus den ins Ausland transferierten Wertpapieren in seiner Einkommensteuererklärung angegeben hatte. In etwa 6 % der Fälle hatte dies allerdings keine steuerverkürzende Wirkung. Die Identität der übrigen Kunden, die Bargeld und Wertpapiere anonym transferiert hatten, konnte nicht ermittelt werden. Insgesamt handelte es sich dabei um 1 149 Kunden, von denen 638 Kunden Wertpapiere transferiert hatten. Die ermittelte Nominalwertsumme der von diesen 638 Kunden transferierten Wertpapiere belief sich auf 304.732.400 DM.

5

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) nahm den Kläger wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 638 Fällen für hinterzogene Einkommensteuer in Höhe von 2.250.824,46 € und Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer in Höhe von weiteren 1.204.178 € gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO) in Haftung. Er und seine Mitarbeiter hätten ein System entwickelt und praktiziert, das es den Kunden der X erlaubt habe, Kapital anonym ins Ausland zu transferieren und so der Zinsabschlagsteuer zu entgehen. Der Kläger habe dieses Verfahren angeordnet. Ihm sei auch bekannt gewesen, dass die Kunden den anonymen Transfer dazu nutzen wollten, um die Steuern auf die im Ausland erzielten Kapitalerträge zu hinterziehen.

6

Die Haftungssumme errechnete das FA auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse in der Vergleichsgruppe der enttarnten Kunden. Die identifizierten Kunden hätten im Durchschnitt Kapitalerträge von 8 % p.a. erzielt. Der durchschnittliche Einkommensteuersatz dieser Kunden habe bei 35 % gelegen. Unter Berücksichtigung eines Sicherheitsabschlags von 25 % ergebe sich daraus in der Gruppe der nicht identifizierten Kunden eine Summe an hinterzogener Einkommensteuer von nicht unter 2.250.824,46 €. Die Hinterziehungszinsen seien auf 1.204.178 € festzusetzen. Neben dem Kläger seien auch die X, sechs damalige Vorstandsmitglieder sowie vier weitere leitende Angestellte in Haftung genommen worden.

7

Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein, den das FA zurückwies. Auf Antrag des Klägers hat der Senat im Streitfall die Vollziehung des Haftungsbescheids für die Dauer des Klageverfahrens ausgesetzt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Juli 2009 VIII B 64/09, BFHE 226, 30, BStBl II 2010, 8). Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den Haftungsbescheid aufgehoben.

8

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht (§ 71 AO, § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

9

Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

10

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Ohne Rechtsfehler hat das FG erkannt, dass der Kläger für die mögliche und auch wahrscheinliche, aber nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbare Steuerhinterziehung durch anonym gebliebene Bankkunden nicht gemäß § 71 AO haftet. An die tatsächliche (negative) Feststellung des FG, wonach es von der Steuerhinterziehung jedes einzelnen anonym gebliebenen Kunden in keinem einzigen Fall überzeugt sei, ist der BFH gebunden.

12

1. Gemäß § 71 AO haftet, wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt. Wer Teilnehmer einer Straftat ist, ergibt sich mangels eigener Begriffsbestimmungen für das Steuerrecht aus den §§ 25 bis 31 des Strafgesetzbuchs --StGB-- (Täterschaft und Teilnahme). Teilnehmer sind der Anstifter (§ 26 StGB) oder der Gehilfe (§ 27 StGB). Gehilfe ist, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

13

a) Unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Anforderungen setzt die Haftung als Gehilfe einer Steuerhinterziehung voraus, dass der Steuerschuldner die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) verwirklicht hat. Der Steuerschuldner muss eine der in § 370 Abs. 1 AO beschriebenen Tathandlungen mit Vorsatz begangen und dadurch Steuern verkürzt haben. Der Gehilfe muss dazu vorsätzlich Hilfe geleistet haben. Das setzt eine von Vorsatz getragene Beihilfehandlung voraus. Der Vorsatz des Gehilfen muss sich darüber hinaus auch auf die Haupttat, also die Steuerhinterziehung durch den Steuerschuldner erstrecken (sog. doppelter Gehilfenvorsatz). Steuerrechtlich setzt die Haftung weiter voraus, dass der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis noch existiert (Akzessorietät der Haftung).

14

b) Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts --hier des § 370 AO-- bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften wie § 169 Abs. 2 Satz 2 AO oder § 71 AO von den Finanzbehörden und den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit festzustellen, sind verfahrensrechtlich die Vorschriften der AO und der FGO maßgebend und nicht die Strafprozessordnung (vgl. nur Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, 145, BStBl II 1979, 570, 573). Danach hat das FG gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, ob für den Erlass eines Haftungsbescheids nach § 71 AO diejenigen Tatsachen vorliegen, die den Tatbestand des Strafgesetzes ausfüllen. Allerdings darf es sich für die Feststellung einer Steuerhinterziehung nicht auf die Anwendung eines reduzierten Beweismaßes oder eine Schätzung beschränken; verbleibende Zweifel gehen nach den Regeln der Feststellungslast zu Lasten des Finanzamts (vgl. BFH-Urteil vom 14. August 1991 X R 86/88, BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128; Boeker in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 71 AO Rz 19).

15

c) Welche Anforderungen gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO im Einzelfall an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt werden müssen, entzieht sich weitgehend abstrakter Festlegung. Grundsätzlich muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen bilden. Das bedeutet, dass der Tatrichter ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangt, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann, wobei der Richter nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben darf, sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen muss (vgl. BFH-Urteile vom 24. März 1987 VII R 155/85, BFH/NV 1987, 560; vom 7. November 2006 VIII R 81/04, BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364; BFH-Beschluss vom 9. März 2011 X B 153/10, BFH/NV 2011, 965).

16

d) Nach § 118 Abs. 2 FGO ist der BFH an die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Die Feststellung oder Nichtfeststellung von Tatsachen durch das FG ist danach der revisionsrechtlichen Nachprüfung weitgehend entzogen. Sie ist grundsätzlich nur insoweit revisibel, als Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorgekommen sind. Im Übrigen binden die tatsächlichen Feststellungen das Revisionsgericht schon dann, wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich sind (vgl. nur Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 30, m.w.N.). Ein revisionsrechtlich beachtlicher Verstoß gegen die rechtlichen Anforderungen an die Überzeugungsbildung oder das erforderliche Maß von Überzeugung kann deshalb nur angenommen werden, wenn das FG die in § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO angeordneten gesetzlichen Maßstäbe für die Überzeugungsbildung in grundlegender Weise verkannt hat.

17

2. Nach diesen Maßstäben begegnet das angefochtene Urteil keinen rechtlichen Bedenken.

18

a) Das FG hat im Wesentlichen ausgeführt, die Tatsache des anonymen Kapitaltransfers in einer bestimmten Anzahl von Fällen und in einer bestimmten Höhe lasse keinen sicheren Schluss darauf zu, dass die 638 nicht enttarnten Wertpapierkunden Steuern hinterzogen haben. Die fehlende Überzeugung des Gerichts gehe zu Lasten des FA. Das Gericht dürfe die fehlende Überzeugung nicht durch Wahrscheinlichkeitsurteile ersetzen. Dies würde zu einer weitreichenden Feststellungserleichterung zugunsten der Finanzverwaltung führen, was nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zulässig sei.

19

b) Diese Ausführungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

20

aa) Sie beruhen im rechtlichen Ausgangspunkt auf der ständigen Rechtsprechung, dass die Haftung nach § 71 AO die Verwirklichung des Tatbestands einer Steuerhinterziehung i.S. des § 370 Abs. 1 AO voraussetzt und die entsprechenden Tatsachen durch das FG hinsichtlich einer sicher bestimmbaren Zahl von Fällen festzustellen sind. Das setzt tatsächliche Feststellungen dazu voraus, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Erträge erzielt hat, die der Besteuerung im Inland unterlagen, dass er z.B. unrichtige Angaben in seiner Steuererklärung gemacht, dadurch Steuern hinterzogen und dabei vorsätzlich gehandelt hat. Außerdem musste das FG feststellen, dass der jeweilige Steueranspruch noch existierte und nicht z.B. durch Zahlung oder Verjährung erloschen war.

21

Kann das FG verbleibende tatsächliche Zweifel, ob und in welchem Umfang Steuerhinterziehungen begangen wurden, nicht ausräumen, muss es wegen der insoweit bestehenden Feststellungslast des FA zu dessen Lasten den Haftungstatbestand i.S. des § 71 AO verneinen (s. dazu oben unter II.1.b).

22

bb) Die Auffassung des FA, zur Begründung der Haftung gemäß § 71 AO reiche auch ohne entsprechende einzelfallbezogene tatsächliche Feststellungen schon eine hinreichend sichere Annahme einer Steuerhinterziehung i.S. einer gruppenbezogenen Betrachtung aus (hier der nicht enttarnten Kunden), findet im Gesetz keine Stütze.

23

(1) Schon die strafrechtlichen Begriffe (Steuerhinterziehung, Teilnahme) gebieten für die Anwendung des § 71 AO eine grundsätzlich auf den Einzelfall abstellende Betrachtung. Der BFH ist stets davon ausgegangen, dass die im Steuerrecht vorkommenden Begriffe des Strafrechts auch materiell-rechtlich wie im Strafrecht zu beurteilen sind (vgl. nur Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570). Auch die steuerrechtliche Akzessorietät der Haftung kann nur bezogen auf das einzelne Steuerrechtsverhältnis geprüft werden.

24

(2) Die gegenteilige Auffassung des FA ist mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) abgeleiteten Anforderungen an die Bestimmtheit von Eingriffsrecht und die grundsätzliche Bindung des Richters an das Gesetz unvereinbar. Sie liefe auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene Gefährdungshaftung hinaus.

25

Auch der Umstand, dass der Kläger gerade durch das ihm zur Last gelegte Verhalten die Enttarnung der Bankkunden aktiv erschwert und zum Teil vereitelt hat, vermag keine Ausweitung der Haftung über den gesetzlichen Tatbestand hinaus zu rechtfertigen.

26

(3) Das FG hat seine Überzeugung gemäß § 96 FGO zu Recht nach demselben Beweismaß wie bei anderen steuer- oder haftungsbegründenden Tatsachen gebildet, nicht aber nach einem reduzierten Beweismaß anhand eines bestimmten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs, wie ihn das FA mit einem Sicherheitsabschlag von 25 % zugrunde legen will. Durch einen solchen Sicherheitsabschlag erhöht sich nämlich nur die Wahrscheinlichkeit, dass die geschätzte Haftungssumme den tatsächlichen Steuerschaden nicht übersteigt, nicht jedoch die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Tatsachen, aus denen sich in der Vielzahl der Einzelfälle die Steuerhinterziehung dem Grunde nach ergibt.

27

cc) Die auf der Grundlage der dargestellten Grundsätze vorgenommene Würdigung der entscheidungserheblichen Tatsachen durch das FG ist jedenfalls möglich; an die (negative) tatsächliche Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestands durch das Gericht ist der BFH deshalb gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).

28

(1) Zum einen gibt es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass, wer Kapital anonym ins Ausland verbringt, auch in der Steuererklärung unrichtige Angaben hinsichtlich der daraus erzielten Erträge macht (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juni 2007 II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057).

29

(2) Zum anderen hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Häufigkeit der Steuerhinterziehung in der Gruppe der enttarnten Kunden bei der Prüfung einer möglichen Steuerhinterziehung durch nicht enttarnte Kunden der Bank mangels Möglichkeit weiterer entsprechender tatsächlicher Feststellungen unberücksichtigt gelassen. Andernfalls hätte die Überzeugungsbildung auf einer reinen Wahrscheinlichkeitsbetrachtung beruht, die mit dem unter II.1.b dargestellten Gebot der richterlichen Überzeugungsbildung für Sachverhalte, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt, unvereinbar gewesen wäre.

30

(3) Die Prüfung der Haftungsvoraussetzungen nach § 71 AO verlangt --wie dargelegt-- tatsächliche Feststellungen, aus denen sich das Vorliegen einer Steuerhinterziehung dem Grunde nach ergibt. Dies erfordert im Regelfall Feststellungen zur Zurechenbarkeit anonymisierter Kapitaltransfers ins Ausland zu bestimmbaren Steuerpflichtigen und Feststellungen, die die Überzeugung begründen, dass diese Steuerpflichtigen in ihren Steuererklärungen dazu keine oder unrichtige Angaben gemacht haben.

31

Solche tatsächlichen Feststellungen waren indessen --auch nach Ansicht des FA-- im Streitfall nicht möglich, so dass dahinstehen kann, ob das Merkmal der "Steuerhinterziehung" in § 71 AO auch ohne (namentliche) Kenntnis des Täters in Betracht kommt. Die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen waren jedenfalls deshalb nicht durch Erkenntnisse aus der Gruppe der enttarnten Kunden zu ersetzen, weil selbst nach den Angaben des FA in der Gruppe der enttarnten Kunden nicht sämtliche Kunden in ihren Einkommensteuererklärungen unrichtige Angaben gemacht haben. Vielmehr habe "nahezu kein" enttarnter Kunde die im Ausland erzielten Erträge deklariert, was jedoch Ausnahmen einschließt. Hinzu kommt, dass nach den Angaben des FA in etwa 6 % der Fälle aus anderen Gründen eine Steuerverkürzung nicht eingetreten ist.

32

(4) Der Streitfall gibt schließlich keine Veranlassung, abschließend dazu Stellung zu nehmen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Wahrscheinlichkeitsaussagen überhaupt zur richterlichen Überzeugungsbildung herangezogen werden dürfen, weil das FG seine Entscheidungsbildung auf solche Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht gestützt hat.

Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Ein Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt ist insoweit ausgeschlossen. Die Finanzbehörde hat dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts zu übermitteln. Satz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
ein Verwaltungsakt nach § 129 der Abgabenordnung berichtigt wird oder
2.
ein Verwaltungsakt an die Stelle eines angefochtenen unwirksamen Verwaltungsakts tritt.

Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Finanzbehörde aber nicht erkennen lässt,
2.
den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann,
3.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
4.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 und Satz 2 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsakts vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Ein Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt ist insoweit ausgeschlossen. Die Finanzbehörde hat dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts zu übermitteln. Satz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
ein Verwaltungsakt nach § 129 der Abgabenordnung berichtigt wird oder
2.
ein Verwaltungsakt an die Stelle eines angefochtenen unwirksamen Verwaltungsakts tritt.

Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten.

(1) Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) sind die Steuerbescheide, die Steuervergütungsbescheide, die Haftungsbescheide und die Verwaltungsakte, durch die steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden; bei den Säumniszuschlägen genügt die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands (§ 240). Die Steueranmeldungen (§ 168) stehen den Steuerbescheiden gleich.

(2) Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche im Sinne des Absatzes 1 betreffen, entscheidet die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid. Dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2) betrifft.

(3) Wird eine Anrechnungsverfügung oder ein Abrechnungsbescheid auf Grund eines Rechtsbehelfs oder auf Antrag des Steuerpflichtigen oder eines Dritten zurückgenommen und in dessen Folge ein für ihn günstigerer Verwaltungsakt erlassen, können nachträglich gegenüber dem Steuerpflichtigen oder einer anderen Person die entsprechenden steuerlichen Folgerungen gezogen werden. § 174 Absatz 4 und 5 gilt entsprechend.

(1) Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften oder die zusammen zu einer Steuer zu veranlagen sind, sind Gesamtschuldner. Soweit nichts anderes bestimmt ist, schuldet jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung.

(2) Die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner wirkt auch für die übrigen Schuldner. Das Gleiche gilt für die Aufrechnung und für eine geleistete Sicherheit. Andere Tatsachen wirken nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten. Die Vorschriften der §§ 268 bis 280 über die Beschränkung der Vollstreckung in den Fällen der Zusammenveranlagung bleiben unberührt.

(1) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach Absatz 2 sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche.

(2) Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. Dies gilt auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt. Im Fall der Abtretung, Verpfändung oder Pfändung richtet sich der Anspruch auch gegen den Abtretenden, Verpfänder oder Pfändungsschuldner.

(1) Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften oder die zusammen zu einer Steuer zu veranlagen sind, sind Gesamtschuldner. Soweit nichts anderes bestimmt ist, schuldet jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung.

(2) Die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner wirkt auch für die übrigen Schuldner. Das Gleiche gilt für die Aufrechnung und für eine geleistete Sicherheit. Andere Tatsachen wirken nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten. Die Vorschriften der §§ 268 bis 280 über die Beschränkung der Vollstreckung in den Fällen der Zusammenveranlagung bleiben unberührt.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehungen durch anonym gebliebene Bankkunden haftet.

2

Der Kläger war Leiter der Wertpapieradministration bei einem großen deutschen Kreditinstitut X und als solcher unmittelbar dem Vorstand unterstellt. X war an zwei gleichnamigen Auslandsgesellschaften in Luxemburg und der Schweiz beteiligt. Der Kläger veranlasste und genehmigte 1992 --nach Abstimmung mit der Revision sowie der Rechtsabteilung des Kreditinstituts-- zwei Anweisungen, die darauf gerichtet waren, den anonymen Transfer von Wertpapieren zu den Auslandstöchtern der X zu ermöglichen. Ergänzt wurde diese Regelung im Oktober 1992 für sog. auslandsverwahrte Werte in der Weise, dass effektiv eingelieferte Werte "auch ohne Legitimationsprüfung entsprechend der Kundenangabe (z.B. Kennwort oder Kundennummer)" angenommen werden konnten. Auf die bis dahin einzuholende Aneignungsermächtigung gemäß § 13 des Depotgesetzes sollte verzichtet werden können.

3

Im Jahr 1996 begann die Finanzverwaltung bei der X mit Ermittlungen wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch deren Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder zugunsten von Kunden der X und ihrer beiden Auslandstöchter in Luxemburg und der Schweiz. Das zuständige Finanzamt stellte fest, dass eine Vielzahl von Kunden der X und der beiden Tochtergesellschaften die Möglichkeit genutzt hatten, Kapital und Wertpapiere anonym über die Grenze zu den Tochtergesellschaften zu transferieren. Anstelle der personenbezogenen Kundendaten waren lediglich Referenznummern, Kundennummern, Depot-Kontennummern oder mit der Auslandsbank vereinbarte Kennworte auf den Transferbelegen vermerkt worden.

4

Trotz der Anonymisierung gelang es der Finanzverwaltung unter Mithilfe der X, etwa 75 % der Vorgänge einzelnen Kunden zuzuordnen. Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass nahezu kein nachträglich enttarnter Kunde die Erträge aus den ins Ausland transferierten Wertpapieren in seiner Einkommensteuererklärung angegeben hatte. In etwa 6 % der Fälle hatte dies allerdings keine steuerverkürzende Wirkung. Die Identität der übrigen Kunden, die Bargeld und Wertpapiere anonym transferiert hatten, konnte nicht ermittelt werden. Insgesamt handelte es sich dabei um 1 149 Kunden, von denen 638 Kunden Wertpapiere transferiert hatten. Die ermittelte Nominalwertsumme der von diesen 638 Kunden transferierten Wertpapiere belief sich auf 304.732.400 DM.

5

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) nahm den Kläger wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 638 Fällen für hinterzogene Einkommensteuer in Höhe von 2.250.824,46 € und Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer in Höhe von weiteren 1.204.178 € gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO) in Haftung. Er und seine Mitarbeiter hätten ein System entwickelt und praktiziert, das es den Kunden der X erlaubt habe, Kapital anonym ins Ausland zu transferieren und so der Zinsabschlagsteuer zu entgehen. Der Kläger habe dieses Verfahren angeordnet. Ihm sei auch bekannt gewesen, dass die Kunden den anonymen Transfer dazu nutzen wollten, um die Steuern auf die im Ausland erzielten Kapitalerträge zu hinterziehen.

6

Die Haftungssumme errechnete das FA auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse in der Vergleichsgruppe der enttarnten Kunden. Die identifizierten Kunden hätten im Durchschnitt Kapitalerträge von 8 % p.a. erzielt. Der durchschnittliche Einkommensteuersatz dieser Kunden habe bei 35 % gelegen. Unter Berücksichtigung eines Sicherheitsabschlags von 25 % ergebe sich daraus in der Gruppe der nicht identifizierten Kunden eine Summe an hinterzogener Einkommensteuer von nicht unter 2.250.824,46 €. Die Hinterziehungszinsen seien auf 1.204.178 € festzusetzen. Neben dem Kläger seien auch die X, sechs damalige Vorstandsmitglieder sowie vier weitere leitende Angestellte in Haftung genommen worden.

7

Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein, den das FA zurückwies. Auf Antrag des Klägers hat der Senat im Streitfall die Vollziehung des Haftungsbescheids für die Dauer des Klageverfahrens ausgesetzt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Juli 2009 VIII B 64/09, BFHE 226, 30, BStBl II 2010, 8). Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den Haftungsbescheid aufgehoben.

8

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht (§ 71 AO, § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

9

Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

10

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Ohne Rechtsfehler hat das FG erkannt, dass der Kläger für die mögliche und auch wahrscheinliche, aber nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbare Steuerhinterziehung durch anonym gebliebene Bankkunden nicht gemäß § 71 AO haftet. An die tatsächliche (negative) Feststellung des FG, wonach es von der Steuerhinterziehung jedes einzelnen anonym gebliebenen Kunden in keinem einzigen Fall überzeugt sei, ist der BFH gebunden.

12

1. Gemäß § 71 AO haftet, wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt. Wer Teilnehmer einer Straftat ist, ergibt sich mangels eigener Begriffsbestimmungen für das Steuerrecht aus den §§ 25 bis 31 des Strafgesetzbuchs --StGB-- (Täterschaft und Teilnahme). Teilnehmer sind der Anstifter (§ 26 StGB) oder der Gehilfe (§ 27 StGB). Gehilfe ist, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

13

a) Unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Anforderungen setzt die Haftung als Gehilfe einer Steuerhinterziehung voraus, dass der Steuerschuldner die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) verwirklicht hat. Der Steuerschuldner muss eine der in § 370 Abs. 1 AO beschriebenen Tathandlungen mit Vorsatz begangen und dadurch Steuern verkürzt haben. Der Gehilfe muss dazu vorsätzlich Hilfe geleistet haben. Das setzt eine von Vorsatz getragene Beihilfehandlung voraus. Der Vorsatz des Gehilfen muss sich darüber hinaus auch auf die Haupttat, also die Steuerhinterziehung durch den Steuerschuldner erstrecken (sog. doppelter Gehilfenvorsatz). Steuerrechtlich setzt die Haftung weiter voraus, dass der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis noch existiert (Akzessorietät der Haftung).

14

b) Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts --hier des § 370 AO-- bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften wie § 169 Abs. 2 Satz 2 AO oder § 71 AO von den Finanzbehörden und den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit festzustellen, sind verfahrensrechtlich die Vorschriften der AO und der FGO maßgebend und nicht die Strafprozessordnung (vgl. nur Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, 145, BStBl II 1979, 570, 573). Danach hat das FG gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, ob für den Erlass eines Haftungsbescheids nach § 71 AO diejenigen Tatsachen vorliegen, die den Tatbestand des Strafgesetzes ausfüllen. Allerdings darf es sich für die Feststellung einer Steuerhinterziehung nicht auf die Anwendung eines reduzierten Beweismaßes oder eine Schätzung beschränken; verbleibende Zweifel gehen nach den Regeln der Feststellungslast zu Lasten des Finanzamts (vgl. BFH-Urteil vom 14. August 1991 X R 86/88, BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128; Boeker in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 71 AO Rz 19).

15

c) Welche Anforderungen gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO im Einzelfall an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt werden müssen, entzieht sich weitgehend abstrakter Festlegung. Grundsätzlich muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen bilden. Das bedeutet, dass der Tatrichter ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangt, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann, wobei der Richter nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben darf, sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen muss (vgl. BFH-Urteile vom 24. März 1987 VII R 155/85, BFH/NV 1987, 560; vom 7. November 2006 VIII R 81/04, BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364; BFH-Beschluss vom 9. März 2011 X B 153/10, BFH/NV 2011, 965).

16

d) Nach § 118 Abs. 2 FGO ist der BFH an die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Die Feststellung oder Nichtfeststellung von Tatsachen durch das FG ist danach der revisionsrechtlichen Nachprüfung weitgehend entzogen. Sie ist grundsätzlich nur insoweit revisibel, als Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorgekommen sind. Im Übrigen binden die tatsächlichen Feststellungen das Revisionsgericht schon dann, wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich sind (vgl. nur Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 30, m.w.N.). Ein revisionsrechtlich beachtlicher Verstoß gegen die rechtlichen Anforderungen an die Überzeugungsbildung oder das erforderliche Maß von Überzeugung kann deshalb nur angenommen werden, wenn das FG die in § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO angeordneten gesetzlichen Maßstäbe für die Überzeugungsbildung in grundlegender Weise verkannt hat.

17

2. Nach diesen Maßstäben begegnet das angefochtene Urteil keinen rechtlichen Bedenken.

18

a) Das FG hat im Wesentlichen ausgeführt, die Tatsache des anonymen Kapitaltransfers in einer bestimmten Anzahl von Fällen und in einer bestimmten Höhe lasse keinen sicheren Schluss darauf zu, dass die 638 nicht enttarnten Wertpapierkunden Steuern hinterzogen haben. Die fehlende Überzeugung des Gerichts gehe zu Lasten des FA. Das Gericht dürfe die fehlende Überzeugung nicht durch Wahrscheinlichkeitsurteile ersetzen. Dies würde zu einer weitreichenden Feststellungserleichterung zugunsten der Finanzverwaltung führen, was nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zulässig sei.

19

b) Diese Ausführungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

20

aa) Sie beruhen im rechtlichen Ausgangspunkt auf der ständigen Rechtsprechung, dass die Haftung nach § 71 AO die Verwirklichung des Tatbestands einer Steuerhinterziehung i.S. des § 370 Abs. 1 AO voraussetzt und die entsprechenden Tatsachen durch das FG hinsichtlich einer sicher bestimmbaren Zahl von Fällen festzustellen sind. Das setzt tatsächliche Feststellungen dazu voraus, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Erträge erzielt hat, die der Besteuerung im Inland unterlagen, dass er z.B. unrichtige Angaben in seiner Steuererklärung gemacht, dadurch Steuern hinterzogen und dabei vorsätzlich gehandelt hat. Außerdem musste das FG feststellen, dass der jeweilige Steueranspruch noch existierte und nicht z.B. durch Zahlung oder Verjährung erloschen war.

21

Kann das FG verbleibende tatsächliche Zweifel, ob und in welchem Umfang Steuerhinterziehungen begangen wurden, nicht ausräumen, muss es wegen der insoweit bestehenden Feststellungslast des FA zu dessen Lasten den Haftungstatbestand i.S. des § 71 AO verneinen (s. dazu oben unter II.1.b).

22

bb) Die Auffassung des FA, zur Begründung der Haftung gemäß § 71 AO reiche auch ohne entsprechende einzelfallbezogene tatsächliche Feststellungen schon eine hinreichend sichere Annahme einer Steuerhinterziehung i.S. einer gruppenbezogenen Betrachtung aus (hier der nicht enttarnten Kunden), findet im Gesetz keine Stütze.

23

(1) Schon die strafrechtlichen Begriffe (Steuerhinterziehung, Teilnahme) gebieten für die Anwendung des § 71 AO eine grundsätzlich auf den Einzelfall abstellende Betrachtung. Der BFH ist stets davon ausgegangen, dass die im Steuerrecht vorkommenden Begriffe des Strafrechts auch materiell-rechtlich wie im Strafrecht zu beurteilen sind (vgl. nur Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570). Auch die steuerrechtliche Akzessorietät der Haftung kann nur bezogen auf das einzelne Steuerrechtsverhältnis geprüft werden.

24

(2) Die gegenteilige Auffassung des FA ist mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) abgeleiteten Anforderungen an die Bestimmtheit von Eingriffsrecht und die grundsätzliche Bindung des Richters an das Gesetz unvereinbar. Sie liefe auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene Gefährdungshaftung hinaus.

25

Auch der Umstand, dass der Kläger gerade durch das ihm zur Last gelegte Verhalten die Enttarnung der Bankkunden aktiv erschwert und zum Teil vereitelt hat, vermag keine Ausweitung der Haftung über den gesetzlichen Tatbestand hinaus zu rechtfertigen.

26

(3) Das FG hat seine Überzeugung gemäß § 96 FGO zu Recht nach demselben Beweismaß wie bei anderen steuer- oder haftungsbegründenden Tatsachen gebildet, nicht aber nach einem reduzierten Beweismaß anhand eines bestimmten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs, wie ihn das FA mit einem Sicherheitsabschlag von 25 % zugrunde legen will. Durch einen solchen Sicherheitsabschlag erhöht sich nämlich nur die Wahrscheinlichkeit, dass die geschätzte Haftungssumme den tatsächlichen Steuerschaden nicht übersteigt, nicht jedoch die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Tatsachen, aus denen sich in der Vielzahl der Einzelfälle die Steuerhinterziehung dem Grunde nach ergibt.

27

cc) Die auf der Grundlage der dargestellten Grundsätze vorgenommene Würdigung der entscheidungserheblichen Tatsachen durch das FG ist jedenfalls möglich; an die (negative) tatsächliche Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestands durch das Gericht ist der BFH deshalb gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).

28

(1) Zum einen gibt es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass, wer Kapital anonym ins Ausland verbringt, auch in der Steuererklärung unrichtige Angaben hinsichtlich der daraus erzielten Erträge macht (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juni 2007 II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057).

29

(2) Zum anderen hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Häufigkeit der Steuerhinterziehung in der Gruppe der enttarnten Kunden bei der Prüfung einer möglichen Steuerhinterziehung durch nicht enttarnte Kunden der Bank mangels Möglichkeit weiterer entsprechender tatsächlicher Feststellungen unberücksichtigt gelassen. Andernfalls hätte die Überzeugungsbildung auf einer reinen Wahrscheinlichkeitsbetrachtung beruht, die mit dem unter II.1.b dargestellten Gebot der richterlichen Überzeugungsbildung für Sachverhalte, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt, unvereinbar gewesen wäre.

30

(3) Die Prüfung der Haftungsvoraussetzungen nach § 71 AO verlangt --wie dargelegt-- tatsächliche Feststellungen, aus denen sich das Vorliegen einer Steuerhinterziehung dem Grunde nach ergibt. Dies erfordert im Regelfall Feststellungen zur Zurechenbarkeit anonymisierter Kapitaltransfers ins Ausland zu bestimmbaren Steuerpflichtigen und Feststellungen, die die Überzeugung begründen, dass diese Steuerpflichtigen in ihren Steuererklärungen dazu keine oder unrichtige Angaben gemacht haben.

31

Solche tatsächlichen Feststellungen waren indessen --auch nach Ansicht des FA-- im Streitfall nicht möglich, so dass dahinstehen kann, ob das Merkmal der "Steuerhinterziehung" in § 71 AO auch ohne (namentliche) Kenntnis des Täters in Betracht kommt. Die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen waren jedenfalls deshalb nicht durch Erkenntnisse aus der Gruppe der enttarnten Kunden zu ersetzen, weil selbst nach den Angaben des FA in der Gruppe der enttarnten Kunden nicht sämtliche Kunden in ihren Einkommensteuererklärungen unrichtige Angaben gemacht haben. Vielmehr habe "nahezu kein" enttarnter Kunde die im Ausland erzielten Erträge deklariert, was jedoch Ausnahmen einschließt. Hinzu kommt, dass nach den Angaben des FA in etwa 6 % der Fälle aus anderen Gründen eine Steuerverkürzung nicht eingetreten ist.

32

(4) Der Streitfall gibt schließlich keine Veranlassung, abschließend dazu Stellung zu nehmen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Wahrscheinlichkeitsaussagen überhaupt zur richterlichen Überzeugungsbildung herangezogen werden dürfen, weil das FG seine Entscheidungsbildung auf solche Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht gestützt hat.

(1) Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften oder die zusammen zu einer Steuer zu veranlagen sind, sind Gesamtschuldner. Soweit nichts anderes bestimmt ist, schuldet jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung.

(2) Die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner wirkt auch für die übrigen Schuldner. Das Gleiche gilt für die Aufrechnung und für eine geleistete Sicherheit. Andere Tatsachen wirken nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten. Die Vorschriften der §§ 268 bis 280 über die Beschränkung der Vollstreckung in den Fällen der Zusammenveranlagung bleiben unberührt.

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis unterliegen einer besonderen Zahlungsverjährung. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, in Fällen der §§ 370, 373 oder 374 zehn Jahre.

(1) Die Verjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Sie beginnt jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Festsetzung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, ihre Aufhebung, Änderung oder Berichtigung nach § 129 wirksam geworden ist, aus der sich der Anspruch ergibt; eine Steueranmeldung steht einer Steuerfestsetzung gleich. Wird die Festsetzung oder Anmeldung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so beginnt die Verjährung des gesamten Anspruchs erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung wirksam geworden ist.

(2) Ist ein Haftungsbescheid ohne Zahlungsaufforderung ergangen, so beginnt die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Zahlungsaufforderung nachgeholt worden ist, spätestens aber fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Haftungsbescheid wirksam geworden ist.

(1) Die Verjährung eines Anspruchs wird unterbrochen durch

1.
Zahlungsaufschub, Stundung, Aussetzung der Vollziehung, Aussetzung der Verpflichtung des Zollschuldners zur Abgabenentrichtung oder Vollstreckungsaufschub,
2.
Sicherheitsleistung,
3.
eine Vollstreckungsmaßnahme,
4.
Anmeldung im Insolvenzverfahren,
5.
Eintritt des Vollstreckungsverbots nach § 210 oder § 294 Absatz 1 der Insolvenzordnung,
6.
Aufnahme in einen Insolvenzplan oder einen gerichtlichen Schuldenbereinigungsplan,
7.
Ermittlungen der Finanzbehörde nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen und
8.
schriftliche Geltendmachung des Anspruchs.
§ 169 Abs. 1 Satz 3 gilt sinngemäß.

(2) Die Unterbrechung der Verjährung dauert fort

1.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 bis zum Ablauf der Maßnahme,
2.
im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 bis zum Erlöschen der Sicherheit,
3.
im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 bis zum Erlöschen des Pfändungspfandrechts, der Zwangshypothek oder des sonstigen Vorzugsrechts auf Befriedigung,
4.
im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 4 bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens,
5.
im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 5 bis zum Wegfall des Vollstreckungsverbots nach § 210 oder § 294 Absatz 1 der Insolvenzordnung,
6.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6, bis der Insolvenzplan oder der gerichtliche Schuldenbereinigungsplan erfüllt oder hinfällig wird.
Wird gegen die Finanzbehörde ein Anspruch geltend gemacht, so endet die hierdurch eingetretene Unterbrechung der Verjährung nicht, bevor über den Anspruch rechtskräftig entschieden worden ist.

(3) Mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Unterbrechung geendet hat, beginnt eine neue Verjährungsfrist.

(4) Die Verjährung wird nur in Höhe des Betrags unterbrochen, auf den sich die Unterbrechungshandlung bezieht.

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. Die Stundung soll in der Regel nur auf Antrag und gegen Sicherheitsleistung gewährt werden. Steueransprüche gegen den Steuerschuldner können nicht gestundet werden, soweit ein Dritter (Entrichtungspflichtiger) die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten, insbesondere einzubehalten und abzuführen hat. Die Stundung des Haftungsanspruchs gegen den Entrichtungspflichtigen ist ausgeschlossen, soweit er Steuerabzugsbeträge einbehalten oder Beträge, die eine Steuer enthalten, eingenommen hat.

Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten.

Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Finanzbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen.

Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.