Bundesverwaltungsgericht Urteil, 27. Sept. 2018 - 5 C 7/17

ECLI:ECLI:DE:BVerwG:2018:270918U5C7.17.0
bei uns veröffentlicht am27.09.2018

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger als schwerbehindertem Menschen gegenüber der Beklagten ein Anspruch zusteht, von dieser auf der Fährverbindung zwischen Em. und B. unentgeltlich befördert zu werden.

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Der Kläger ist als Schwerbehinderter anerkannt und verfügt über einen Schwerbehindertenausweis, der das Merkzeichen "G" aufweist. Die Beklagte betreibt die Fährverbindung zwischen Em. und B.. Ihre Fähren verkehren dort mehrmals täglich in beide Richtungen und benötigen für die einfache Strecke eine Fahrzeit von 2 1/4 Stunden.

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Die vom Kläger erhobene Feststellungsklage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Eine nach den Regelungen des Schwerbehindertenrechts als unentgeltlich zu gewährende Beförderung im Nahverkehr liege nicht vor. Nahverkehr mit Wasserfahrzeugen sei nur dann gegeben, wenn es um die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen gehe, wie dies zum Beispiel der Fall sei für Fahrten zum Einkauf, zu Behörden, zur Arbeitsstätte, zu Verwaltungseinrichtungen sowie zu Gemeinschafts-, Kultur- oder Freizeitveranstaltungen. Dazu zähle die über zweistündige Fahrt mit der Fähre von Em. nach B. nicht, weil unter anderem schon aufgrund der Reisedauer eine Nutzung dieser Verbindung etwa zur täglichen Fahrt zur Arbeitsstätte oder zur Schule ausscheide.

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Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und der Klage stattgegeben. Der Fährverkehr von Em. nach B. sei Nahverkehr im Sinne des Gesetzes, weil er der Personenbeförderung in dem gesetzlich definierten Nachbarschaftsbereich diene. Es handle sich um einen stetigen, mehrmals täglich durchgeführten Verkehr, durch den die benachbarten Gemeinden wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden seien. Für eine wirtschaftliche Verbindung zwischen Gemeinden genüge es, dass die Fähren sowohl von den Inselbewohnern als auch von Touristen, die die Insel B. kurzzeitig besuchen oder dort ihren Urlaub verbringen, genutzt werden und dass über diese Fährverbindung zur Versorgung der Insel erforderliche Waren und Güter transportiert werden. Die einschränkenden Voraussetzungen, die das Verwaltungsgericht mit dem Erfordernis des Alltagsverkehrs aufgestellt habe, seien dem Gesetz nicht zu entnehmen.

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Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der im Streit stehenden schwerbehindertenrechtlichen Regelung zum Begriff des Nahverkehrs (§ 147 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX a.F.; nunmehr § 230 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX). Das vom Oberverwaltungsgericht zugrunde gelegte Verständnis dieser Bestimmung werde weder ihrem Wortlaut, ihrer Systematik noch ihrem Sinn und Zweck gerecht. Mit der gesetzlichen Formulierung des Nachbarschaftsbereichs werde darauf abgestellt, dass zwischen den Gemeinden Verkehre bestehen müssten, die in ihrer Ausgestaltung und Qualität sowie in ihrem Anlass den Verkehren in einem Ortsbereich vergleichbar seien. Eine wirtschaftliche und verkehrsmäßige Verbundenheit zwischen Gemeinden sei nur anzunehmen, wenn es sich dabei um einen Verkehr handle, der der Beförderung von Personen diene, um die im Alltag anfallenden Verkehre zu bewältigen. Denn solche "Bedarfsverkehre" entstünden typischerweise im Orts- und Nahverkehr. Eine solche Verbindung bestehe zwischen B. und Em. nicht. Unter anderem gebe es auf dieser Fährstrecke weder Berufspendler noch fänden tägliche Schülerbeförderungen statt. Die Orte seien auch nicht durch eine gemeinsame Raum- oder Fachplanung verbunden.

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Der Kläger und der Vertreter des Bundesinteresses verteidigen den angegriffenen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) in Einklang. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger als schwerbehinderter Mensch gegen das Vorzeigen des mit dem Merkzeichen "G" gekennzeichneten Schwerbehindertenausweises mit gültiger Wertmarke von der Beklagten auf der Fährverbindung zwischen B. und Em. unentgeltlich zu befördern ist. Denn bei dieser Fährverbindung handelt es sich entgegen der Ansicht der Beklagten um Nahverkehr im Sinne des § 228 Abs. 1 i.V.m. § 230 Abs. 1 Nr. 7 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - (SGB IX) in der Fassung, die dieses Gesetz durch das am 1. Januar 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234) erhalten hat.

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1. Zwar hatte das Oberverwaltungsgericht noch die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung und bis zum 31. Dezember 2017 geltende Bestimmung des § 145 Abs. 1 i.V.m. § 147 Abs. 1 Nr. 7 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch i.d.F. vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046, 1047), zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 3057, bereinigt durch BGBl. 2012 I S. 670) - SGB IX a.F. - heranzuziehen. Der Senat hat jedoch für die Revisionsentscheidung die - wenn auch im Wesentlichen inhaltsgleichen - Bestimmungen der seit 1. Januar 2018 geltenden Gesetzesfassung zugrunde zu legen. Denn das Revisionsgericht hat Rechtsänderungen, die während des Revisionsverfahrens eintreten, im gleichen Umfang zu beachten, wie sie die Vorinstanz berücksichtigen müsste, wenn sie jetzt anstelle des Revisionsgerichts zu entscheiden hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 1993 - 1 C 45.90 - BVerwGE 92, 116 <128>, vom 12. März 2002 - 5 C 45.01 - BVerwGE 116, 119 <120> und vom 23. Januar 2018 - 5 C 9.16 - NVwZ-RR 2018, 621 Rn. 6 m.w.N.). Dies gilt auch für die Entscheidung über Feststellungsbegehren (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 2003 - 9 C 6.02 - BVerwGE 119, 245 <248>). Da der Feststellungsantrag des Klägers zukunftsgerichtet ist, hätte das Oberverwaltungsgericht, wenn es aktuell zur Entscheidung berufen wäre, die nunmehr geltende Fassung des Gesetzes anzuwenden.

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2. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die begehrte Feststellung aus § 228 Abs. 1 i.V.m. § 230 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX zu.

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Nach § 228 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 152 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 230 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert, soweit der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, zurückzulegen vermag (§ 229 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).

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a) Die Beteiligten gehen mit den Vorinstanzen zu Recht davon aus, dass der Kläger die zuvor genannten persönlichen Voraussetzungen des § 228 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB IX erfüllt. Denn er ist nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) zum Zeitpunkt der letzten Entscheidung in der Tatsacheninstanz als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 80 v.H. anerkannt gewesen und hat über den nach § 152 Abs. 5 SGB IX erforderlichen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "G" verfügt, so dass ihm bei Vorlage seines Schwerbehindertenausweises, sofern dieser mit einer gültigen Wertmarke versehen ist, ein Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr zusteht.

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b) Die sachliche Anspruchsvoraussetzung des § 228 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 230 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX ist ebenfalls erfüllt. Denn die Fährverbindung zwischen Em. und B. ist als Nahverkehr im Sinne dieser Bestimmungen zu qualifizieren. Nahverkehr ist der öffentliche Personenverkehr mit Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen (§ 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 1 SGB IX).

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Dabei steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit, dass es sich bei der genannten Verbindung um öffentlichen Personenverkehr mit Wasserfahrzeugen im Fährverkehr handelt, dessen Ausgangs- und Endpunkt in Em. bzw. B. liegt.

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Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht auch zutreffend angenommen, dass die von ihr betriebene Fährverbindung der Beförderung von Personen im Nachbarschaftsbereich dient. Nach der gesetzlichen Definition des § 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SGB IX ist Nachbarschaftsbereich der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinandergrenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

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aa) Zu Recht unstreitig ist dabei, dass der Fährverkehr zwischen B. und Em. einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr im Sinne des § 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SGB IX darstellt. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass die Fähren zwischen den in Rede stehenden Orten mehrmals täglich in beide Richtungen verkehren.

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Soweit die Beklagte im Revisionsverfahren erstmals vorgebracht hat, der Nachbarschaftsbereich erfasse nach dem Gesetzeswortlaut nur den Verkehr im Raum zwischen benachbarten Gemeinden, so dass dies auf eine Fährverbindung nicht zutreffe, die - wie hier - ihren Ausgangs- und Endpunkt in der jeweiligen Gemeinde habe, greift dieses Argument ersichtlich nicht durch. Das Wort "zwischen" ist nicht isoliert zu betrachten, sondern steht im Sinnzusammenhang damit, dass benachbarte Gemeinden durch den im Raum zwischen ihnen stattfindenden (Fähr-)Verkehr verbunden sein können und müssen. Dieser Zwecksetzung könnte eine Verbindung von vornherein nicht gerecht werden, wenn sie nicht in den jeweiligen Ortsbereich hineinreichen dürfte, sondern an der Gemeindegrenze enden müsste.

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bb) Die benachbarten Gemeinden Em. und B. sind durch den Fährverkehr der Beklagten auch wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden im Sinne des § 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SGB IX.

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Dabei ist die Anforderung der verkehrsmäßigen Verbindung zwischen Gemeinden bereits dann erfüllt, wenn zuvor - wie auch hier - festgestellt worden ist, dass zwischen den Gemeinden eine stetige und mehr als einmal am Tag durchgeführte Fährverbindung besteht. Bei der verkehrsmäßigen Verbindung handelt es sich entsprechend dem klaren Wortsinn dieser Bestimmung um eine weitere Beschreibung des Gesetzgebers für den zuvor genannten Umstand. Aus dem Bestehen einer stetigen und mehrmals täglich durchgeführten Fährverbindung zwischen Gemeinden folgt notwendig, dass diese damit verkehrsmäßig verbunden sind.

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Es kann dahinstehen, ob aus dem Bestehen einer solchen stetigen Fährverbindung zwischen Gemeinden ebenfalls bereits folgt, dass zwischen diesen Gemeinden - zumindest in aller Regel - auch eine wirtschaftliche Verbindung im Sinne von § 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SGB IX besteht. Denn durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Fährverkehr sind benachbarte Gemeinden jedenfalls dann im Sinne dieser Vorschrift wirtschaftlich verbunden, wenn - wie hier - die Fährverbindung in einem wirtschaftlich nicht unbedeutenden Umfang von Gemeindeangehörigen und sonstigen Personen genutzt wird und zur Versorgung einer Gemeinde mit Wirtschaftsgütern beiträgt. Dies erschließt sich im Wege der Auslegung des § 230 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX. Demgegenüber lässt sich aus dem Schwerbehindertenrecht nicht die von der Beklagten vertretene Anforderung ableiten, dass öffentlicher Personenverkehr mit Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr nur dann als Nahverkehr im Sinne von § 230 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX zu qualifizieren ist, wenn dabei (typischerweise) Verkehre entstehen, die der Beförderung von Personen dienen, um die im Alltag anfallenden Entfernungen zu bewältigen.

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(1) Der Wortlaut des § 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SGB IX bietet für die zuletzt genannte Eingrenzung keine Anhaltspunkte. Er deutet vielmehr in gewichtiger Weise darauf hin, dass der Gesetzgeber eine Begrenzung auf den Alltagsverkehr nicht vorgenommen hat. Die Vorschrift setzt ihrem allgemeinen Wortsinn nach weder eine enge noch eine wirtschaftlich besonders bedeutsame Verbindung - etwa im Sinne einer gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit - zwischen den benachbarten Gemeinden voraus, sondern lässt es genügen, wenn die Gemeinden durch den Personenverkehr - hier mit Fähren - wirtschaftlich verbunden sind. Es bedarf deshalb auch nicht einer bereits unabhängig von dem Fährverkehr bestehenden (engen) wirtschaftlichen oder etwa einer - wie die Beklagte meint - (raum-)planerischen Verbindung der benachbarten Gemeinden oder eines täglichen Pendlerverkehrs von Gemeindeangehörigen zu Arbeitsstätten oder Schulen. Ihrem Wortsinn nach besteht eine durch einen Fährverkehr bedingte wirtschaftliche, d.h. nach allgemeinem Sprachgebrauch die Produktion oder den Konsum von Wirtschaftsgütern betreffende (vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 8. Aufl. 2015, S. 2032) Verbindung zwischen benachbarten Gemeinden schon dann, wenn der Fährverkehr für diese von nicht ganz untergeordneter ökonomischer Bedeutung ist, weil dadurch in nicht völlig unbedeutendem Maße Personen und Wirtschaftsgüter befördert werden.

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Etwas anderes lässt sich auch aus einem etwaigen gesetzesübergreifenden Fachsprachgebrauch nicht entnehmen. Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob es - wovon die Beklagte ausgeht - einen den Alltagsverkehr als Merkmal aufweisenden allgemeinen Begriff des Personennahverkehrs, der anderen Gesetzen zugrunde liegen soll, überhaupt gibt. Denn jedenfalls hat sich der Gesetzgeber mit der schwerbehindertenrechtlichen Regelung des § 230 Abs. 1 SGB IX nicht dafür entschieden, den Nahverkehrsbegriff anderer Gesetze vollständig zu übernehmen oder darauf zu verweisen. Vielmehr hat er in dieser Regelung ausdrücklich den Nahverkehr "im Sinne dieses Gesetzes" eigens definiert und in den verschiedenen Ziffern der Vorschrift eigenständig konkretisiert. Dabei hat er für den hier betroffenen Fährverkehr mit Wasserfahrzeugen allein die spezielle Regelung des § 230 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX vorgesehen und den hier im Streit stehenden Begriff des Nachbarschaftsbereichs im zweiten Halbsatz legal definiert.

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Der Beklagten ist auch nicht zu folgen, soweit sie aus dem Wortlaut des § 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 1 SGB IX, wonach der Verkehr mit Wasserfahrzeugen der Beförderung von Personen im "Orts- und Nachbarschaftsbereich" dienen muss, die Schlussfolgerung ziehen möchte, der Nachbarschaftsbereich sei nur einschlägig, wenn der dortige Verkehr demjenigen im Ortsbereich entspreche und sich typischerweise als Alltagsverkehr darstelle. Aus dem Umstand, dass § 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SGB IX den Begriff des Nachbarschaftsbereichs legal definiert, ist vielmehr zu folgern, dass sich dieser Verkehr von demjenigen im Ortsbereich unterscheidet und als gesondertes Merkmal neben diesem selbständig zum Tragen kommen soll.

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(2) Aus der Gesetzessystematik lassen sich keine Schlüsse ziehen, die dem im Wege der grammatischen Auslegung ermittelten Auslegungsergebnis entgegenstehen. Vielmehr sprechen insbesondere binnensystematische Erwägungen dagegen, eine durch einen Fährverkehr erzeugte wirtschaftliche Verbindung zwischen benachbarten Gemeinden im Sinne von § 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SGB IX nur dann anzunehmen, wenn dieser Verkehr der Bewältigung der im Alltag erforderlichen Verkehre der Gemeindeangehörigen dient. Denn keinem der sonstigen in § 230 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 SGB IX legal definierten Tatbestände des Nahverkehrs lässt sich entnehmen, dass die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen auf diejenigen Verkehrsverbindungen beschränkt worden ist, die der Bewältigung von Alltagsentfernungen dienen.

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So sehen etwa die Bestimmungen über die schienen- bzw. oberleitungsgebundenen Verkehrsmittel der Nahverkehrsformen des § 230 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB IX - Straßenbahnen, Obusse und S-Bahnen - keine Beschränkungen hinsichtlich der Beförderungsdauer, der Beförderungsstrecke oder des Beförderungszwecks vor. § 230 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX eröffnet allgemein eine Freifahrtberechtigung auf Eisenbahnstrecken im Nahverkehrsbund. Diese erstreckt sich unabhängig vom Wohnort des einzelnen Schwerbehinderten auf das gesamte Verbundstreckennetz und räumt den von der Anspruchsnorm des § 228 Abs. 1 SGB IX erfassten schwerbehinderten Menschen unabhängig von der Länge der Beförderungsstrecke ein Recht auf unentgeltliche Beförderung ein (vgl. etwa Masuch, in: Hauck/Noftz, SGB IX, § 230 Rn. 13, Stand August 2017; Vogl, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 230 Rn. 30). Insoweit wird diesen schwerbehinderten Menschen im Verbundverkehr ein Anspruch auf unentgeltliche Beförderung über erhebliche Distanzen gewährt, der nicht daran gebunden ist, dass damit die Besorgung alltäglicher Angelegenheiten bewältigt wird. Vielmehr kann der Verbundverkehr auch zu anderen (weitergehenden) Zwecken von ihnen genutzt werden. Selbst wenn - wie die Beklagte ohne hinreichende Substantiierung vorbringt - der Gesetzgeber den Verbundverkehr und den S-Bahn-Verkehr für die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen gerade in der Vorstellung eröffnet hätte, dass hiermit die Bewältigung von im Alltag anfallenden Entfernungen erleichtert werden sollte, folgte aus diesem Motiv noch keine tatbestandliche Begrenzung, welche die Freifahrtberechtigung allein auf den Bereich des Alltagsverkehrs erstreckt. Denn eine solche Einschränkung hätte jedenfalls keinen Eingang in die Nahverkehrsdefinitionen des § 230 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB IX gefunden.

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Gleiches gilt für die Begriffsbestimmungen des § 230 Abs. 1 Nr. 2 und 6 SGB IX. Die dort dem Nahverkehrsbegriff des Neunten Buches Sozialgesetzbuch unterworfenen Verkehrsformen des Linienverkehrs mit Kraftfahrzeugen und des sonstigen insbesondere privaten Eisenbahnverkehrs unterliegen zwar nur dann der Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung, wenn die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt bzw. überschreitet. Dieser längenmäßigen Beschränkung der Beförderungsstrecke lässt sich jedoch gleichwohl nicht entnehmen, dass damit die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen auf diejenigen Verkehrsverbindungen beschränkt werden sollte, die der Bewältigung von Alltagsentfernungen dienen. Denn zum einen hat der Gesetzgeber die Freifahrtberechtigung nicht auf den unmittelbaren Umkreis um den Lebensmittelpunkt der Berechtigten begrenzt, sondern darüber hinaus weite Teile des Verkehrs im näheren und mittleren Nahbereich der Pflicht der Beförderungsunternehmen zur unentgeltlichen Beförderung unterworfen. Schwerbehinderte Menschen, welche die persönlichen Voraussetzungen des § 228 Abs. 1 i.V.m. § 229 SGB IX erfüllen, können die Nahverkehrssysteme nicht nur im Umfeld ihres Wohnsitzes, sondern im gesamten Anwendungsbereich des Gesetzes unentgeltlich nutzen. Zum anderen finden auch innerhalb einer Strecke von 50 Kilometern Nutzungen statt, die über den Zweck der Bewältigung von Alltagsentfernungen hinausgehen können und dürfen.

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Dies gilt auch, soweit der Begriff des Nahverkehrs in anderen Gesetzen definiert worden ist und dort Beschränkungen der Streckenlänge aufgenommen worden sind. Aussagekräftige systematische Hinweise darauf, dass § 230 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX eine Zweckbegrenzung auf einen Alltagsverkehr beinhaltet, lassen sich entgegen der Rechtsansicht der Beklagten weder dem Nahverkehrsbegriff des § 2 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz - RegG) vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378), zuletzt geändert durch Art. 19 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234), noch dem des § 8 Abs. 1 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 8. August 1990 (BGBl. I S. 1690), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2808), entnehmen. Nach diesen Vorschriften ist öffentlicher Personennahverkehr im Sinne des jeweiligen Gesetzes die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr (§ 2 Satz 1 RegG) bzw. mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr (§ 8 Abs. 1 Satz 1 PBefG), die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen, was wiederum im Zweifel der Fall ist, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt.

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Zum einen ist es bereits zweifelhaft, ob diesen Nahverkehrsbegriffen die von der Beklagten angenommene Zweckbegrenzung überhaupt zu entnehmen ist. Dagegen spricht, dass die vom Begriff des Regionalverkehrs erfassten Verkehre deutlich über die Bewältigung von Alltagsentfernungen hinausgehen. Auch die zuletzt genannte Zweifelsregelung über die Reiseweite und Reisezeit gibt keine starre Grenze vor und kann insbesondere als Hilfsmittel für die Abgrenzung von Regionen von nur begrenztem Nutzen sein (vgl. dazu Oebbecke, NVwZ 2017, 1084 <1087 f.>). Zum anderen könnten selbst dann, wenn der jeweilige Gesetzgeber bei der Schaffung der vorgenannten Regelungen von dem Verständnis ausgegangen sein sollte, dass sich der dort jeweils definierte Nahverkehr als ein Verkehr darstellt, der sich (zumindest typischerweise) in der Zwecksetzung der Bewältigung von Alltagsentfernungen erschöpft, aus diesem Umstand nicht ohne Weiteres Folgerungen für den gesetzlichen Begriff des Nahverkehrs im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch gezogen werden. Denn sie dienen anderen Zwecken als das Schwerbehindertenrecht und der Gesetzgeber hat nicht nur die Freiheit, sondern auch davon Gebrauch gemacht, in § 230 Abs. 1 SGB IX einen - wie oben bereits dargelegt - eigenständigen Nahverkehrsbegriff ("im Sinne dieses Gesetzes") zu definieren.

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(3) Auch aus der Gesetzgebungsgeschichte und den Gesetzesmaterialien lassen sich keine aussagekräftigen Hinweise dafür entnehmen, dass der Begriff des Nahverkehrs im Sinne von § 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 1 SGB IX und insbesondere die hier im Streit stehende Voraussetzung einer durch einen stetigen Fährverkehr zwischen benachbarten Gemeinden bewirkten wirtschaftlichen Verbindung im Sinne des § 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SGB IX nur erfüllt ist, wenn dieser Verkehr der Bewältigung von im Alltag anfallenden Verkehren dient.

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Historische Vorgänger der §§ 228 ff. SGB IX, die erstmals eine Freifahrtberechtigung schwerbehinderter Menschen im Nahverkehr vorsahen, fanden sich ursprünglich in der Verordnung über Vergünstigungen für Kriegsbeschädigte im öffentlichen Personenverkehr vom 23. Dezember 1943 (RGBl. 1944 I S. 5). In dem Gesetz über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr vom 27. August 1965 (BGBl. I S. 978) - UnBefG 1965 - ist erstmals das Recht auf eine unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr mit Wasserfahrzeugen aufgenommen worden. Im Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG) i.d.F. vom 29. April 1974 (BGBl. I S. 1006) waren die Bestimmungen über die unentgeltliche Beförderung zunächst noch nicht enthalten. Sie wurden jedoch durch das Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 9. Juli 1979 (BGBl. I S. 989) - UnBefG 1979 - in die Neufassung des Schwerbehindertengesetzes (BGBl. 1979 I S. 1650) integriert. Das Schwerbehindertengesetz ist später durch Gesetz vom 19. Juni 2001 als das Neunte Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) (BGBl. I S. 1046, 1047) in das Sozialgesetzbuch übernommen worden.

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Im Hinblick auf die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen im Orts- und Nachbarortslinienverkehr mit Obussen und Kraftfahrzeugen definierte § 1 Abs. 3 Satz 1 UnBefG 1965 zwar den Nachbarortslinienverkehr als den "zugelassene[n] Linienverkehr zwischen benachbarten Gemeinden, die zwar nicht unmittelbar aneinandergrenzen müssen, aber wirtschaftlich und verkehrsmäßig eng miteinander verbunden sind, wenn der Verkehr entsprechend dem öffentlichen Verkehrsbedürfnis nach Häufigkeit und Tarifgestaltung einem Ortslinienverkehr vergleichbar ist und Ausgangs- und Endpunkt des Linienverkehrs in den benachbarten Gemeinden liegen." Hieraus lassen sich jedoch nicht die von der Beklagten angenommenen Folgerungen für den geltenden Begriff des Nahverkehrs mit Wasserfahrzeugen und insbesondere die Definition des Nachbarschaftsbereichs (im Sinne von § 230 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX) ziehen.

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Zwar hat der historische Gesetzgeber bei der vorgenannten Bestimmung des Nachbarortslinienverkehrs die Vergleichbarkeit mit innerörtlichen Verkehrsgegebenheiten als Begriffsmerkmal aufgenommen. Er hat hierbei jedoch lediglich auf das öffentliche Verkehrsbedürfnis nach Häufigkeit des Verkehrs und Tarifgestaltung abgestellt, nicht aber auf eine bestimmte Funktion des Ortsverkehrs (im Sinne eines Alltagsverkehrs). Zudem ist selbst das Merkmal der Vergleichbarkeit mit dem Ortsverkehr schon vom historischen Gesetzgeber nicht als Begriffsmerkmal für den unentgeltlichen Nahverkehr mit Wasserfahrzeugen vorgesehen worden. Vielmehr lautete die entsprechende Definition des § 1 Abs. 2 Nr. 4 UnBefG 1965, dass Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes auch "der Linien- und Übersetzverkehr mit Verkehrsmitteln der Küsten- und Binnenschiffahrt [ist], wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt des Linien- und Übersetzverkehrs innerhalb des Nachbarschaftsbereichs liegen." Eine Legaldefinition des Nachbarschaftsbereichs war zu jenem Zeitpunkt im Gesetz noch nicht enthalten.

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Die Begriffsbestimmung des Nachbarschaftsbereichs hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem Nahverkehr mit Wasserfahrzeugen erstmals mit der Vorschrift des § 59 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SchwbG in das Regelungssystem des Schwerbehindertengesetzes integriert und in den Folgeregelungen bis heute inhaltlich unverändert gelassen. Dabei hat er gerade nicht das eingrenzende Merkmal des Vergleichs mit dem Ortsverkehr (im Sinne des Nachbarortslinienverkehrs nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 UnBefG 1965) in die Definition aufgenommen. Selbst wenn man daher mit der Beklagten davon ausginge, dass mit der Definition des Nachbarortslinienverkehrs im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 UnBefG 1965 ursprünglich die Vorstellung des Gesetzgebers verbunden gewesen wäre, dass es sich bei diesem Nahverkehr um einen auf den Ortsbereich beschränkten oder diesem vergleichbaren Verkehr handelt, welcher typischerweise der Bewältigung von Alltagsverkehren dient, könnte daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass diese Vorstellung auch der Regelung des Nahverkehrs mit Wasserfahrzeugen mit der Definition des Nachbarschaftsbereichs in § 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SGB IX zugrunde liegt. Vielmehr spricht die historische Entwicklung dafür, dass eine solche Begrenzung gerade keinen Eingang in dieses Gesetz und dessen Vorläufer gefunden hat.

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Dafür lässt sich auch ein weiterer Gesichtspunkt heranziehen. Dem Umstand, dass es in Anbetracht der verschiedenen Erscheinungsformen des örtlichen Schifffahrtsverkehrs einer Eingrenzung der Freifahrtberechtigung bedurfte, wollte der Gesetzgeber insbesondere durch die Aufnahme des Erfordernisses Rechnung tragen, dass Ausgangs- und Endpunkt dieses Verkehrs innerhalb des Nachbarschaftsbereichs liegen müssen. Damit sollen der Gelegenheits- und Ausflugsverkehr auf Schiffen von der unentgeltlichen Beförderung im Nahverkehr ausgenommen werden (vgl. BT-Drs. 4/2433 S. 5 f. zu § 1 UnBefG 1965; Masuch, in: Hauck/Noftz, SGB IX, § 230 Rn. 19, Stand August 2017). Für die Annahme, dass zugleich auch der Nahverkehrs- bzw. Nachbarschaftsbereich seinerseits mittels einer Beschränkung der Verkehrsfunktionen der jeweiligen Strecken auf die Bewältigung von Alltagsentfernungen eingegrenzt werden sollte, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien kein Anhaltspunkt.

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(4) Auch mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Bestimmungen über die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Personenverkehr lässt sich eine Begrenzung des Nahverkehrsbegriffs des § 230 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX auf die Bewältigung von im Alltag anfallenden Entfernungen nicht begründen.

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Zwar bezwecken die Bestimmungen über die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr, schwerbehinderten Menschen auch deshalb einen gewissen Ausgleich für die Beeinträchtigung ihrer Orientierungs- und Bewegungsfähigkeit und dadurch bedingter Mehrkosten zu gewähren, weil die begünstigten Personen die allgemeinen öffentlichen Nahverkehrsmittel oftmals auch auf solchen Strecken benutzen müssen, die ein Nichtbehinderter üblicherweise zu Fuß zurücklegt oder zurücklegen kann (vgl. BT-Drs. 8/2453 S. 11 zum UnBefG 1979; BVerwG, Urteil vom 27. November 1981 - 7 C 71.79 - Buchholz 442.010 UnBefG Nr. 16; BSG, Urteile vom 18. Mai 2011 - B 3 KR 7/10 R - BSGE 108, 206 Rn. 40 und vom 11. August 2015 - B 9 SB 1/14 R - SGb 2016, 653 Rn. 17 ff.). Soweit diese Zwecksetzung den Regelungen der §§ 228 ff. SGB IX zugrunde liegt, bezieht sie sich allerdings auf die Auswahl des von der unentgeltlichen Beförderung begünstigten Personenkreises, d.h. auf die Bestimmung der persönlichen Voraussetzungen (§ 228 Abs. 1 i.V.m. § 229 SGB IX), die erfüllt sein müssen, um schwerbehinderten Menschen eine Freifahrtberechtigung im Nahverkehr zuzuerkennen. Dementsprechend hat dies in den in § 229 SGB IX genannten Voraussetzungen seinen Ausdruck im Gesetzestext gefunden.

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Diese Zwecksetzung ist jedoch nicht zugleich maßgeblich für die Bestimmung, wie weit der Begriff des Nahverkehrs und damit der für den behinderten Menschen, der die persönlichen Voraussetzungen erfüllt, unentgeltlich nutzbare Beförderungsbereich reicht. Diese sachlich-räumliche Reichweite hat der Gesetzgeber in den besonderen Begriffsbestimmungen des Nahverkehrs festgelegt (§ 230 Abs. 1 SGB IX) und mit der hier in Rede stehenden Nahverkehrsdefinition des § 230 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX abgegrenzt, so dass für die Frage ihrer teleologischen Erweiterung vorrangig auf deren Zielsetzung abgestellt werden kann. Ausweislich der Gesetzesmaterialien will der Gesetzgeber hinsichtlich dieser Rechtsfolgen der Vergünstigung allgemein dazu beitragen, die Belastungen von schwerbehinderten Menschen, die durch die erhebliche Beeinträchtigung in der Beweglichkeit im Straßenverkehr entstehen und die Lebensführung wesentlich erschweren, zum Teil auszugleichen und damit die Lebensverhältnisse zu erleichtern (vgl. BT-Drs. 8/2453 S. 10). Dementsprechend sieht auch die Nahverkehrsdefinition des § 230 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX eine Prüfung, ob bestimmte Strecken (nur) zur Bewältigung von Alltagserfordernissen zurückgelegt werden, nicht vor. Ihre Zwecksetzung reicht weiter.

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Die sachlich-räumliche Reichweite des Anspruchs auf unentgeltliche Beförderung beschränkt sich nicht nur auf den Ausgleich von Mobilitätsdefiziten im Nahbereich der Wohnung des Berechtigten, sondern erfasst innerhalb der definierten Bereiche des Nahverkehrs etwa auch Freizeitwege jeglicher Art. Mit den erweiterten Nahverkehrsdefinitionen will der Gesetzgeber daher nicht nur die Nachteile in Bezug auf die Grundbedürfnisse des behinderten Menschen im Vergleich zu Nichtbehinderten kompensieren, sondern die "nahezu unbegrenzten Möglichkeiten", über die ein Nichtbehinderter im Mobilitätsbereich verfügt, behinderten Menschen zumindest ansatzweise mittels Erleichterungen finanzieller Art zukommen lassen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2011 - B 3 KR 7/10 R - BSGE 108, 206 Rn. 40; Masuch, in: Hauck/Noftz, SGB IX, § 228 Rn. 1, Stand August 2017). Dementsprechend hat der Gesetzgeber die sachliche Reichweite des von ihm beabsichtigten Nachteilsausgleichs allein über die Nahverkehrsdefinitionen des § 230 Abs. 1 SGB IX gesteuert, die wiederum die Freifahrtberechtigung ausschließlich an bestimmte Verkehrsverbindungen koppeln und dem individuell verfolgten Mobilitätszweck keine maßgebliche Bedeutung beimessen (vgl. Dau, jurisPR-SozR 26/2016 Anm. 5). Ziel der Vergünstigung ist es, allgemein die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am öffentlichen Personenverkehr durch erleichterten Zugang zu öffentlichen Transportmitteln zu fördern, da Mobilität als Grundbedürfnis der modernen Gesellschaft anerkannt wird (vgl. BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012 - B 9 SB 1/12 R - Behindertenrecht 2013, 122 <124>). Dieser Zweck der erleichterten Teilnahme am öffentlichen Leben rechtfertigt es, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, indessen nicht, die Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich auf die Fälle zu begrenzen, in denen es um die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen geht.

38

(5) Die Auslegung des Begriffs des Nahverkehrs im Sinne von § 230 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX und insbesondere der dortigen Definition des Nachbarschaftsbereichs (§ 230 Abs. 1 Nr. 7 Halbs. 2 SGB IX) ergibt nach alledem, dass es für eine durch den Fährverkehr bedingte wirtschaftliche Verbindung zwischen benachbarten Gemeinden ausreicht, wenn die Fährverbindung in einem wirtschaftlich nicht unbedeutenden Umfang von Gemeindeangehörigen und sonstigen Personen genutzt wird und zur Versorgung einer Gemeinde mit Wirtschaftsgütern beiträgt.

39

Diese Voraussetzungen sind für die von der Beklagten betriebene Fährverbindung zwischen den Gemeinden Em. und B. erfüllt. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts werden die Fähren sowohl von den Inselbewohnern genutzt, die auf das Festland und zurück fahren, als auch von Touristen, welche die Insel B. kurzzeitig besuchen oder dort ihren Urlaub verbringen. Ferner werden über diese Fährverbindung zur Versorgung der Insel erforderliche Waren und Güter transportiert. Diese tatsächlichen Feststellungen sind von der Revision der Beklagten nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden und deshalb für das Revisionsgericht bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO). Soweit die Beklagte dem im Revisionsverfahren abweichende Sachverhaltsschilderungen (etwa im Hinblick auf die Versorgung der Insel B. mit Waren über die Verbindung nach Ee. in N.) entgegenhält, sind diese, sofern sie nicht ohnehin - wie zum Beispiel das Vorbringen zu einer fehlenden planungsrechtlichen Verbindung zwischen B. und Em. - für die Entscheidung unerheblich sind, jedenfalls wegen der dem entgegenstehenden bindenden Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts revisionsrechtlich nicht beachtlich.

40

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.

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Öffentlicher Personennahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu

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Bundesverwaltungsgericht Urteil, 27. Sept. 2018 - 5 C 7/17 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

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(2) Auskunftspflichtig sind die Träger der Eingliederungshilfe.

(1) Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Straßenbahnen und Obussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt, es sei denn, dass bei den Verkehrsformen nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beförderungsentgelte gemäß § 45 Absatz 3 des Personenbeförderungsgesetzes ganz oder teilweise verzichtet hat,
3.
S-Bahnen in der 2. Wagenklasse,
4.
Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind,
5.
Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs),
6.
sonstigen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der 2. Wagenklasse auf Strecken, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht überschreitet,
7.
Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinander grenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.

(2) Fernverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach § 42a Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Eisenbahnen, ausgenommen der Sonderzugverkehr,
3.
Wasserfahrzeugen im Fähr- und Übersetzverkehr, sofern keine Häfen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Buches angelaufen werden, soweit der Verkehr nicht Nahverkehr im Sinne des Absatzes 1 ist.

(3) Die Unternehmer, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, weisen im öffentlichen Personenverkehr nach Absatz 1 Nummer 2, 5, 6 und 7 im Fahrplan besonders darauf hin, inwieweit eine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 228 Absatz 1 nicht besteht.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

(1) Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Straßenbahnen und Obussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt, es sei denn, dass bei den Verkehrsformen nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beförderungsentgelte gemäß § 45 Absatz 3 des Personenbeförderungsgesetzes ganz oder teilweise verzichtet hat,
3.
S-Bahnen in der 2. Wagenklasse,
4.
Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind,
5.
Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs),
6.
sonstigen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der 2. Wagenklasse auf Strecken, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht überschreitet,
7.
Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinander grenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.

(2) Fernverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach § 42a Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Eisenbahnen, ausgenommen der Sonderzugverkehr,
3.
Wasserfahrzeugen im Fähr- und Übersetzverkehr, sofern keine Häfen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Buches angelaufen werden, soweit der Verkehr nicht Nahverkehr im Sinne des Absatzes 1 ist.

(3) Die Unternehmer, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, weisen im öffentlichen Personenverkehr nach Absatz 1 Nummer 2, 5, 6 und 7 im Fahrplan besonders darauf hin, inwieweit eine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 228 Absatz 1 nicht besteht.

(1) Für die Erhebungen besteht Auskunftspflicht. Die Angaben nach § 145 Absatz 1 Nummer 2 und die Angaben zum Gemeindeteil nach § 144 Absatz 1 Nummer 1 sind freiwillig.

(2) Auskunftspflichtig sind die Träger der Eingliederungshilfe.

(1) Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Straßenbahnen und Obussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt, es sei denn, dass bei den Verkehrsformen nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beförderungsentgelte gemäß § 45 Absatz 3 des Personenbeförderungsgesetzes ganz oder teilweise verzichtet hat,
3.
S-Bahnen in der 2. Wagenklasse,
4.
Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind,
5.
Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs),
6.
sonstigen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der 2. Wagenklasse auf Strecken, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht überschreitet,
7.
Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinander grenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.

(2) Fernverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach § 42a Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Eisenbahnen, ausgenommen der Sonderzugverkehr,
3.
Wasserfahrzeugen im Fähr- und Übersetzverkehr, sofern keine Häfen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Buches angelaufen werden, soweit der Verkehr nicht Nahverkehr im Sinne des Absatzes 1 ist.

(3) Die Unternehmer, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, weisen im öffentlichen Personenverkehr nach Absatz 1 Nummer 2, 5, 6 und 7 im Fahrplan besonders darauf hin, inwieweit eine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 228 Absatz 1 nicht besteht.

(1) Schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, werden von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 152 Absatz 5 im Nahverkehr im Sinne des § 230 Absatz 1 unentgeltlich befördert; die unentgeltliche Beförderung verpflichtet zur Zahlung eines tarifmäßigen Zuschlages bei der Benutzung zuschlagpflichtiger Züge des Nahverkehrs. Voraussetzung ist, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist.

(2) Die Wertmarke wird gegen Entrichtung eines Betrages von 80 Euro für ein Jahr oder 40 Euro für ein halbes Jahr ausgegeben. Der Betrag erhöht sich in entsprechender Anwendung des § 160 Absatz 3 jeweils zu dem Zeitpunkt, zu dem die nächste Neubestimmung der Beträge der Ausgleichsabgabe erfolgt. Liegt dieser Zeitpunkt innerhalb der Gültigkeitsdauer einer bereits ausgegebenen Wertmarke, ist der höhere Betrag erst im Zusammenhang mit der Ausgabe der darauffolgenden Wertmarke zu entrichten. Abweichend von § 160 Absatz 3 Satz 4 sind die sich ergebenden Beträge auf den nächsten vollen Eurobetrag aufzurunden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt den Erhöhungsbetrag und die sich nach entsprechender Anwendung des § 160 Absatz 3 Satz 3 ergebenden Beträge im Bundesanzeiger bekannt.

(3) Wird die für ein Jahr ausgegebene Wertmarke vor Ablauf eines halben Jahres ihrer Gültigkeitsdauer zurückgegeben, wird auf Antrag die Hälfte der Gebühr erstattet. Entsprechendes gilt für den Fall, dass der schwerbehinderte Mensch vor Ablauf eines halben Jahres der Gültigkeitsdauer der für ein Jahr ausgegebenen Wertmarke verstirbt.

(4) Auf Antrag wird eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Betrag nach Absatz 2 in seiner jeweiligen Höhe zu entrichten ist, an schwerbehinderte Menschen ausgegeben,

1.
die blind im Sinne des § 72 Absatz 5 des Zwölften Buches oder entsprechender Vorschriften oder hilflos im Sinne des § 33b des Einkommensteuergesetzes oder entsprechender Vorschriften sind oder
2.
die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch oder für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches, dem Achten Buch oder den §§ 27a und 27d des Bundesversorgungsgesetzes erhalten oder
3.
die am 1. Oktober 1979 die Voraussetzungen nach § 2 Absatz 1 Nummer 1 bis 4 und Absatz 3 des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr vom 27. August 1965 (BGBl. I S. 978), das zuletzt durch Artikel 41 des Zuständigkeitsanpassungs-Gesetzes vom 18. März 1975 (BGBl. I S. 705) geändert worden ist, erfüllten, solange ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 70 festgestellt ist oder von mindestens 50 festgestellt ist und sie infolge der Schädigung erheblich gehbehindert sind; das Gleiche gilt für schwerbehinderte Menschen, die diese Voraussetzungen am 1. Oktober 1979 nur deshalb nicht erfüllt haben, weil sie ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu diesem Zeitpunkt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten.

(5) Die Wertmarke wird nicht ausgegeben, solange eine Kraftfahrzeugsteuerermäßigung nach § 3a Absatz 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes in Anspruch genommen wird. Die Ausgabe der Wertmarken erfolgt auf Antrag durch die nach § 152 Absatz 5 zuständigen Behörden. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann die Aufgaben nach den Absätzen 2 bis 4 ganz oder teilweise auf andere Behörden übertragen. Für Streitigkeiten in Zusammenhang mit der Ausgabe der Wertmarke gilt § 51 Absatz 1 Nummer 7 des Sozialgerichtsgesetzes entsprechend.

(6) Absatz 1 gilt im Nah- und Fernverkehr im Sinne des § 230, ohne dass die Voraussetzung des Absatzes 1 Satz 2 erfüllt sein muss, für die Beförderung

1.
einer Begleitperson eines schwerbehinderten Menschen im Sinne des Absatzes 1, wenn die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nachgewiesen und dies im Ausweis des schwerbehinderten Menschen eingetragen ist, und
2.
des Handgepäcks, eines mitgeführten Krankenfahrstuhles, soweit die Beschaffenheit des Verkehrsmittels dies zulässt, sonstiger orthopädischer Hilfsmittel und eines Führhundes; das Gleiche gilt für einen Hund, den ein schwerbehinderter Mensch mitführt, in dessen Ausweis die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nachgewiesen ist, sowie für einen nach § 12e Absatz 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes gekennzeichneten Assistenzhund.

(7) Die durch die unentgeltliche Beförderung nach den Absätzen 1 bis 6 entstehenden Fahrgeldausfälle werden nach Maßgabe der §§ 231 bis 233 erstattet. Die Erstattungen sind aus dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. L 315 vom 3.12.2007, S. 1) ausgenommen.

(1) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein Grad der Behinderung oder gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird. Beantragt eine erwerbstätige Person die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (§ 2 Absatz 2), gelten die in § 14 Absatz 2 Satz 2 und 3 sowie § 17 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 genannten Fristen sowie § 60 Absatz 1 des Ersten Buches entsprechend. Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das Zehnte Buch Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt. Durch Landesrecht kann die Zuständigkeit abweichend von Satz 1 geregelt werden.

(2) Feststellungen nach Absatz 1 sind nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine Feststellung nach Satz 1 gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung.

(3) Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Für diese Entscheidung gilt Absatz 1, es sei denn, dass in einer Entscheidung nach Absatz 2 eine Gesamtbeurteilung bereits getroffen worden ist.

(4) Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1.

(5) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale aus. Der Ausweis dient dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen nach diesem Teil oder nach anderen Vorschriften zustehen. Die Gültigkeitsdauer des Ausweises soll befristet werden. Er wird eingezogen, sobald der gesetzliche Schutz schwerbehinderter Menschen erloschen ist. Der Ausweis wird berichtigt, sobald eine Neufeststellung unanfechtbar geworden ist.

(1) Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Straßenbahnen und Obussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt, es sei denn, dass bei den Verkehrsformen nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beförderungsentgelte gemäß § 45 Absatz 3 des Personenbeförderungsgesetzes ganz oder teilweise verzichtet hat,
3.
S-Bahnen in der 2. Wagenklasse,
4.
Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind,
5.
Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs),
6.
sonstigen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der 2. Wagenklasse auf Strecken, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht überschreitet,
7.
Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinander grenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.

(2) Fernverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach § 42a Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Eisenbahnen, ausgenommen der Sonderzugverkehr,
3.
Wasserfahrzeugen im Fähr- und Übersetzverkehr, sofern keine Häfen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Buches angelaufen werden, soweit der Verkehr nicht Nahverkehr im Sinne des Absatzes 1 ist.

(3) Die Unternehmer, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, weisen im öffentlichen Personenverkehr nach Absatz 1 Nummer 2, 5, 6 und 7 im Fahrplan besonders darauf hin, inwieweit eine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 228 Absatz 1 nicht besteht.

(1) In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Der Nachweis der erheblichen Beeinträchtigung in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr kann bei schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 80 nur mit einem Ausweis mit halbseitigem orangefarbenem Flächenaufdruck und eingetragenem Merkzeichen „G“ geführt werden, dessen Gültigkeit frühestens mit dem 1. April 1984 beginnt, oder auf dem ein entsprechender Änderungsvermerk eingetragen ist.

(2) Zur Mitnahme einer Begleitperson sind schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Die Feststellung bedeutet nicht, dass die schwerbehinderte Person, wenn sie nicht in Begleitung ist, eine Gefahr für sich oder für andere darstellt.

(3) Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

(1) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein Grad der Behinderung oder gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird. Beantragt eine erwerbstätige Person die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (§ 2 Absatz 2), gelten die in § 14 Absatz 2 Satz 2 und 3 sowie § 17 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 genannten Fristen sowie § 60 Absatz 1 des Ersten Buches entsprechend. Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das Zehnte Buch Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt. Durch Landesrecht kann die Zuständigkeit abweichend von Satz 1 geregelt werden.

(2) Feststellungen nach Absatz 1 sind nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine Feststellung nach Satz 1 gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung.

(3) Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Für diese Entscheidung gilt Absatz 1, es sei denn, dass in einer Entscheidung nach Absatz 2 eine Gesamtbeurteilung bereits getroffen worden ist.

(4) Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1.

(5) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale aus. Der Ausweis dient dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen nach diesem Teil oder nach anderen Vorschriften zustehen. Die Gültigkeitsdauer des Ausweises soll befristet werden. Er wird eingezogen, sobald der gesetzliche Schutz schwerbehinderter Menschen erloschen ist. Der Ausweis wird berichtigt, sobald eine Neufeststellung unanfechtbar geworden ist.

(1) Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Straßenbahnen und Obussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt, es sei denn, dass bei den Verkehrsformen nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beförderungsentgelte gemäß § 45 Absatz 3 des Personenbeförderungsgesetzes ganz oder teilweise verzichtet hat,
3.
S-Bahnen in der 2. Wagenklasse,
4.
Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind,
5.
Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs),
6.
sonstigen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der 2. Wagenklasse auf Strecken, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht überschreitet,
7.
Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinander grenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.

(2) Fernverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach § 42a Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Eisenbahnen, ausgenommen der Sonderzugverkehr,
3.
Wasserfahrzeugen im Fähr- und Übersetzverkehr, sofern keine Häfen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Buches angelaufen werden, soweit der Verkehr nicht Nahverkehr im Sinne des Absatzes 1 ist.

(3) Die Unternehmer, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, weisen im öffentlichen Personenverkehr nach Absatz 1 Nummer 2, 5, 6 und 7 im Fahrplan besonders darauf hin, inwieweit eine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 228 Absatz 1 nicht besteht.

(1) Schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, werden von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 152 Absatz 5 im Nahverkehr im Sinne des § 230 Absatz 1 unentgeltlich befördert; die unentgeltliche Beförderung verpflichtet zur Zahlung eines tarifmäßigen Zuschlages bei der Benutzung zuschlagpflichtiger Züge des Nahverkehrs. Voraussetzung ist, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist.

(2) Die Wertmarke wird gegen Entrichtung eines Betrages von 80 Euro für ein Jahr oder 40 Euro für ein halbes Jahr ausgegeben. Der Betrag erhöht sich in entsprechender Anwendung des § 160 Absatz 3 jeweils zu dem Zeitpunkt, zu dem die nächste Neubestimmung der Beträge der Ausgleichsabgabe erfolgt. Liegt dieser Zeitpunkt innerhalb der Gültigkeitsdauer einer bereits ausgegebenen Wertmarke, ist der höhere Betrag erst im Zusammenhang mit der Ausgabe der darauffolgenden Wertmarke zu entrichten. Abweichend von § 160 Absatz 3 Satz 4 sind die sich ergebenden Beträge auf den nächsten vollen Eurobetrag aufzurunden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt den Erhöhungsbetrag und die sich nach entsprechender Anwendung des § 160 Absatz 3 Satz 3 ergebenden Beträge im Bundesanzeiger bekannt.

(3) Wird die für ein Jahr ausgegebene Wertmarke vor Ablauf eines halben Jahres ihrer Gültigkeitsdauer zurückgegeben, wird auf Antrag die Hälfte der Gebühr erstattet. Entsprechendes gilt für den Fall, dass der schwerbehinderte Mensch vor Ablauf eines halben Jahres der Gültigkeitsdauer der für ein Jahr ausgegebenen Wertmarke verstirbt.

(4) Auf Antrag wird eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Betrag nach Absatz 2 in seiner jeweiligen Höhe zu entrichten ist, an schwerbehinderte Menschen ausgegeben,

1.
die blind im Sinne des § 72 Absatz 5 des Zwölften Buches oder entsprechender Vorschriften oder hilflos im Sinne des § 33b des Einkommensteuergesetzes oder entsprechender Vorschriften sind oder
2.
die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch oder für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches, dem Achten Buch oder den §§ 27a und 27d des Bundesversorgungsgesetzes erhalten oder
3.
die am 1. Oktober 1979 die Voraussetzungen nach § 2 Absatz 1 Nummer 1 bis 4 und Absatz 3 des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr vom 27. August 1965 (BGBl. I S. 978), das zuletzt durch Artikel 41 des Zuständigkeitsanpassungs-Gesetzes vom 18. März 1975 (BGBl. I S. 705) geändert worden ist, erfüllten, solange ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 70 festgestellt ist oder von mindestens 50 festgestellt ist und sie infolge der Schädigung erheblich gehbehindert sind; das Gleiche gilt für schwerbehinderte Menschen, die diese Voraussetzungen am 1. Oktober 1979 nur deshalb nicht erfüllt haben, weil sie ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu diesem Zeitpunkt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten.

(5) Die Wertmarke wird nicht ausgegeben, solange eine Kraftfahrzeugsteuerermäßigung nach § 3a Absatz 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes in Anspruch genommen wird. Die Ausgabe der Wertmarken erfolgt auf Antrag durch die nach § 152 Absatz 5 zuständigen Behörden. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann die Aufgaben nach den Absätzen 2 bis 4 ganz oder teilweise auf andere Behörden übertragen. Für Streitigkeiten in Zusammenhang mit der Ausgabe der Wertmarke gilt § 51 Absatz 1 Nummer 7 des Sozialgerichtsgesetzes entsprechend.

(6) Absatz 1 gilt im Nah- und Fernverkehr im Sinne des § 230, ohne dass die Voraussetzung des Absatzes 1 Satz 2 erfüllt sein muss, für die Beförderung

1.
einer Begleitperson eines schwerbehinderten Menschen im Sinne des Absatzes 1, wenn die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nachgewiesen und dies im Ausweis des schwerbehinderten Menschen eingetragen ist, und
2.
des Handgepäcks, eines mitgeführten Krankenfahrstuhles, soweit die Beschaffenheit des Verkehrsmittels dies zulässt, sonstiger orthopädischer Hilfsmittel und eines Führhundes; das Gleiche gilt für einen Hund, den ein schwerbehinderter Mensch mitführt, in dessen Ausweis die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nachgewiesen ist, sowie für einen nach § 12e Absatz 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes gekennzeichneten Assistenzhund.

(7) Die durch die unentgeltliche Beförderung nach den Absätzen 1 bis 6 entstehenden Fahrgeldausfälle werden nach Maßgabe der §§ 231 bis 233 erstattet. Die Erstattungen sind aus dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. L 315 vom 3.12.2007, S. 1) ausgenommen.

(1) Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Straßenbahnen und Obussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt, es sei denn, dass bei den Verkehrsformen nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beförderungsentgelte gemäß § 45 Absatz 3 des Personenbeförderungsgesetzes ganz oder teilweise verzichtet hat,
3.
S-Bahnen in der 2. Wagenklasse,
4.
Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind,
5.
Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs),
6.
sonstigen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der 2. Wagenklasse auf Strecken, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht überschreitet,
7.
Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinander grenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.

(2) Fernverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach § 42a Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Eisenbahnen, ausgenommen der Sonderzugverkehr,
3.
Wasserfahrzeugen im Fähr- und Übersetzverkehr, sofern keine Häfen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Buches angelaufen werden, soweit der Verkehr nicht Nahverkehr im Sinne des Absatzes 1 ist.

(3) Die Unternehmer, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, weisen im öffentlichen Personenverkehr nach Absatz 1 Nummer 2, 5, 6 und 7 im Fahrplan besonders darauf hin, inwieweit eine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 228 Absatz 1 nicht besteht.

(1) In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Der Nachweis der erheblichen Beeinträchtigung in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr kann bei schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 80 nur mit einem Ausweis mit halbseitigem orangefarbenem Flächenaufdruck und eingetragenem Merkzeichen „G“ geführt werden, dessen Gültigkeit frühestens mit dem 1. April 1984 beginnt, oder auf dem ein entsprechender Änderungsvermerk eingetragen ist.

(2) Zur Mitnahme einer Begleitperson sind schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Die Feststellung bedeutet nicht, dass die schwerbehinderte Person, wenn sie nicht in Begleitung ist, eine Gefahr für sich oder für andere darstellt.

(3) Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt.

(1) Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Straßenbahnen und Obussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt, es sei denn, dass bei den Verkehrsformen nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beförderungsentgelte gemäß § 45 Absatz 3 des Personenbeförderungsgesetzes ganz oder teilweise verzichtet hat,
3.
S-Bahnen in der 2. Wagenklasse,
4.
Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind,
5.
Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs),
6.
sonstigen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der 2. Wagenklasse auf Strecken, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht überschreitet,
7.
Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinander grenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.

(2) Fernverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach § 42a Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Eisenbahnen, ausgenommen der Sonderzugverkehr,
3.
Wasserfahrzeugen im Fähr- und Übersetzverkehr, sofern keine Häfen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Buches angelaufen werden, soweit der Verkehr nicht Nahverkehr im Sinne des Absatzes 1 ist.

(3) Die Unternehmer, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, weisen im öffentlichen Personenverkehr nach Absatz 1 Nummer 2, 5, 6 und 7 im Fahrplan besonders darauf hin, inwieweit eine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 228 Absatz 1 nicht besteht.

Öffentlicher Personennahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen. Das ist im Zweifel der Fall, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt. Der Verkehr mit Taxen ist öffentlicher Personennahverkehr im Sinne dieses Gesetzes, wenn er die in Satz 1 genannte Verkehrsnachfrage zur Beseitigung einer räumlichen oder zeitlichen Unterversorgung befriedigt.

(1) Öffentlicher Personennahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen. Das ist im Zweifel der Fall, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt.

(2) Öffentlicher Personennahverkehr ist auch der Verkehr mit Taxen oder Mietwagen, der eine der in Absatz 1 genannten Verkehrsarten ersetzt, ergänzt oder verdichtet.

(3) Für die Sicherstellung einer ausreichenden den Grundsätzen des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit entsprechenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr sind die von den Ländern benannten Behörden (Aufgabenträger) zuständig. Der Aufgabenträger definiert dazu die Anforderungen an Umfang und Qualität des Verkehrsangebotes, dessen Umweltqualität sowie die Vorgaben für die verkehrsmittelübergreifende Integration der Verkehrsleistungen in der Regel in einem Nahverkehrsplan. Der Nahverkehrsplan hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Die in Satz 3 genannte Frist gilt nicht, sofern in dem Nahverkehrsplan Ausnahmen konkret benannt und begründet werden. Im Nahverkehrsplan werden Aussagen über zeitliche Vorgaben und erforderliche Maßnahmen getroffen. Bei der Aufstellung des Nahverkehrsplans sind die vorhandenen Unternehmer frühzeitig zu beteiligen; soweit vorhanden sind Behindertenbeauftragte oder Behindertenbeiräte, Verbände der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Fahrgäste und Fahrgastverbände anzuhören. Ihre Interessen sind angemessen und diskriminierungsfrei zu berücksichtigen. Der Nahverkehrsplan bildet den Rahmen für die Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs. Die Länder können weitere Einzelheiten über die Aufstellung und den Inhalt der Nahverkehrspläne regeln.

(3a) Die Genehmigungsbehörde wirkt im Rahmen ihrer Befugnisse nach diesem Gesetz und unter Beachtung des Interesses an einer wirtschaftlichen, den Klimaschutz und die Nachhaltigkeit sowie die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse berücksichtigenden Verkehrsgestaltung an der Erfüllung der dem Aufgabenträger nach Absatz 3 Satz 1 obliegenden Aufgabe mit. Sie hat hierbei einen Nahverkehrsplan zu berücksichtigen, der unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 Satz 6 zustande gekommen ist und vorhandene Verkehrsstrukturen beachtet.

(3b) Für Vereinbarungen von Verkehrsunternehmen und für Beschlüsse und Empfehlungen von Vereinigungen dieser Unternehmen gilt § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht, soweit sie dem Ziel dienen, für eine Integration der Nahverkehrsbedienung, insbesondere für Verkehrskooperationen, für die Abstimmung oder den Verbund der Beförderungsentgelte und für die Abstimmung der Fahrpläne, zu sorgen. Sie bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Anmeldung bei der Genehmigungsbehörde. Für Vereinigungen von Unternehmen, die Vereinbarungen, Beschlüsse und Empfehlungen im Sinne von Satz 1 treffen, gilt § 19 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen entsprechend. Verfügungen der Kartellbehörde, die solche Vereinbarungen, Beschlüsse oder Empfehlungen betreffen, ergehen im Benehmen mit der zuständigen Genehmigungsbehörde.

(4) Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr sind eigenwirtschaftlich zu erbringen. Eigenwirtschaftlich sind Verkehrsleistungen, deren Aufwand gedeckt wird durch Beförderungserlöse, Ausgleichsleistungen auf der Grundlage von allgemeinen Vorschriften nach Artikel 3 Absatz 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. L 315 vom 3.12.2007, S. 1) und sonstige Unternehmenserträge im handelsrechtlichen Sinne, soweit diese keine Ausgleichsleistungen für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 darstellen und keine ausschließlichen Rechte gewährt werden. Ausgleichszahlungen für die Beförderung von Personen mit Zeitfahrausweisen des Ausbildungsverkehrs nach § 45a sind aus dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 ausgenommen.

Öffentlicher Personennahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen. Das ist im Zweifel der Fall, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt. Der Verkehr mit Taxen ist öffentlicher Personennahverkehr im Sinne dieses Gesetzes, wenn er die in Satz 1 genannte Verkehrsnachfrage zur Beseitigung einer räumlichen oder zeitlichen Unterversorgung befriedigt.

(1) Öffentlicher Personennahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen. Das ist im Zweifel der Fall, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt.

(2) Öffentlicher Personennahverkehr ist auch der Verkehr mit Taxen oder Mietwagen, der eine der in Absatz 1 genannten Verkehrsarten ersetzt, ergänzt oder verdichtet.

(3) Für die Sicherstellung einer ausreichenden den Grundsätzen des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit entsprechenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr sind die von den Ländern benannten Behörden (Aufgabenträger) zuständig. Der Aufgabenträger definiert dazu die Anforderungen an Umfang und Qualität des Verkehrsangebotes, dessen Umweltqualität sowie die Vorgaben für die verkehrsmittelübergreifende Integration der Verkehrsleistungen in der Regel in einem Nahverkehrsplan. Der Nahverkehrsplan hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Die in Satz 3 genannte Frist gilt nicht, sofern in dem Nahverkehrsplan Ausnahmen konkret benannt und begründet werden. Im Nahverkehrsplan werden Aussagen über zeitliche Vorgaben und erforderliche Maßnahmen getroffen. Bei der Aufstellung des Nahverkehrsplans sind die vorhandenen Unternehmer frühzeitig zu beteiligen; soweit vorhanden sind Behindertenbeauftragte oder Behindertenbeiräte, Verbände der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Fahrgäste und Fahrgastverbände anzuhören. Ihre Interessen sind angemessen und diskriminierungsfrei zu berücksichtigen. Der Nahverkehrsplan bildet den Rahmen für die Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs. Die Länder können weitere Einzelheiten über die Aufstellung und den Inhalt der Nahverkehrspläne regeln.

(3a) Die Genehmigungsbehörde wirkt im Rahmen ihrer Befugnisse nach diesem Gesetz und unter Beachtung des Interesses an einer wirtschaftlichen, den Klimaschutz und die Nachhaltigkeit sowie die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse berücksichtigenden Verkehrsgestaltung an der Erfüllung der dem Aufgabenträger nach Absatz 3 Satz 1 obliegenden Aufgabe mit. Sie hat hierbei einen Nahverkehrsplan zu berücksichtigen, der unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 Satz 6 zustande gekommen ist und vorhandene Verkehrsstrukturen beachtet.

(3b) Für Vereinbarungen von Verkehrsunternehmen und für Beschlüsse und Empfehlungen von Vereinigungen dieser Unternehmen gilt § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht, soweit sie dem Ziel dienen, für eine Integration der Nahverkehrsbedienung, insbesondere für Verkehrskooperationen, für die Abstimmung oder den Verbund der Beförderungsentgelte und für die Abstimmung der Fahrpläne, zu sorgen. Sie bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Anmeldung bei der Genehmigungsbehörde. Für Vereinigungen von Unternehmen, die Vereinbarungen, Beschlüsse und Empfehlungen im Sinne von Satz 1 treffen, gilt § 19 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen entsprechend. Verfügungen der Kartellbehörde, die solche Vereinbarungen, Beschlüsse oder Empfehlungen betreffen, ergehen im Benehmen mit der zuständigen Genehmigungsbehörde.

(4) Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr sind eigenwirtschaftlich zu erbringen. Eigenwirtschaftlich sind Verkehrsleistungen, deren Aufwand gedeckt wird durch Beförderungserlöse, Ausgleichsleistungen auf der Grundlage von allgemeinen Vorschriften nach Artikel 3 Absatz 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. L 315 vom 3.12.2007, S. 1) und sonstige Unternehmenserträge im handelsrechtlichen Sinne, soweit diese keine Ausgleichsleistungen für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 darstellen und keine ausschließlichen Rechte gewährt werden. Ausgleichszahlungen für die Beförderung von Personen mit Zeitfahrausweisen des Ausbildungsverkehrs nach § 45a sind aus dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 ausgenommen.

(1) Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Straßenbahnen und Obussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt, es sei denn, dass bei den Verkehrsformen nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beförderungsentgelte gemäß § 45 Absatz 3 des Personenbeförderungsgesetzes ganz oder teilweise verzichtet hat,
3.
S-Bahnen in der 2. Wagenklasse,
4.
Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind,
5.
Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs),
6.
sonstigen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der 2. Wagenklasse auf Strecken, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht überschreitet,
7.
Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinander grenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.

(2) Fernverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach § 42a Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Eisenbahnen, ausgenommen der Sonderzugverkehr,
3.
Wasserfahrzeugen im Fähr- und Übersetzverkehr, sofern keine Häfen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Buches angelaufen werden, soweit der Verkehr nicht Nahverkehr im Sinne des Absatzes 1 ist.

(3) Die Unternehmer, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, weisen im öffentlichen Personenverkehr nach Absatz 1 Nummer 2, 5, 6 und 7 im Fahrplan besonders darauf hin, inwieweit eine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 228 Absatz 1 nicht besteht.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 2010 geändert und festgestellt, dass der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 1. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2006 rechtswidrig gewesen ist.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike.

2

Die 1987 geborene Klägerin leidet an einer angeborenen Spaltbildung der Wirbelsäule (spina bifida) mit Paraparese der Beine. Sie ist mit einem manuell zu bewegenden Rollstuhl (Aktivrollstuhl) versorgt. Im Januar 2006 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines vom Sanitätshaus D. erstellten Angebots und einer das Begehren befürwortenden ärztlichen Bescheinigung die Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike zum Preis von 3323,83 Euro. Die Beklagte lehnte den Leistungsantrag mit der Begründung ab, das begehrte Hilfsmittel sei zum Ausgleich einer Behinderung nicht erforderlich (Bescheid vom 1.2.2006; Widerspruchsbescheid vom 11.7.2006).

3

Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin mit einem Hand-Bike gemäß dem Kostenvoranschlag des Sanitätshauses D. vom 31.1.2006 iVm der ärztlichen Verordnung der Dres. B. vom 20.1.2006 zu versorgen (Urteil vom 10.9.2008). Diese Versorgung sei nach dem eingeholten Sachverständigengutachten erforderlich, um einer weiteren Überlastung des Schulter-Ellenbogenbereichs durch die Verwendung des Aktivrollstuhls vorzubeugen. Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.6.2010): Das Rollstuhl-Bike sei zur Gewährleistung des allgemeinen Grundbedürfnisses auf Mobilität und auf Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums iS des in die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) fallenden Basisausgleichs (Nahbereich der Wohnung) nicht erforderlich. Der Nahbereich der Wohnung beschreibe den Radius, den sich ein behinderter Versicherter mittels eines Aktivrollstuhls erschließen können müsse. Dieser Radius könne unter Rückgriff auf den für die rentenversicherungsrechtliche Wegefähigkeit geltenden Grenzwert von 500 m konkretisiert werden. Die Klägerin sei nach den gutachterlichen Feststellungen in der Lage, eine über 500 m liegende Wegstrecke in einem zeitlichen Rahmen von 20 Minuten mit dem Aktivrollstuhl zu bewältigen. Dies sei zur Verwirklichung des Grundbedürfnisses auf Mobilität ausreichend.

4

Die Klägerin hat ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten zum 30.6.2010 gekündigt und ist seit dem 1.7.2010 Mitglied der Techniker-Krankenkasse (TKK).

5

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Das Rollstuhl-Bike sei im vorliegenden Einzelfall sowohl zur Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (§ 33 Abs 1 Satz 1 Variante 1 SGB V)als auch zum Ausgleich einer Behinderung (§ 33 Abs 1 Satz 1 Variante 3 SGB V)erforderlich, weil durch die Nutzung des Rollstuhl-Bikes zum einen das Fortschreiten der degenerativen Veränderungen im Bereich der oberen Extremitäten verhindert und zum anderen die Erschließung des Nahbereichs und somit die Verwirklichung eines allgemeinen Grundbedürfnisses sichergestellt werde. Der Nahbereich könne mit dem vorhandenen Aktivrollstuhl nur unter Schmerzen und übermäßigen Anstrengungen erschlossen werden. Die abweichende Beurteilung des Anspruchs durch das LSG beruhe auf einer unzulässigen Übertragung des für die rentenversicherungsrechtliche Wegefähigkeit geltenden Maßstabes. Die Leistungspflicht der Beklagten werde auch nicht durch den nach Abschluss der letzten Tatsacheninstanz vorgenommenen Krankenkassenwechsel (KK-Wechsel) berührt, weil sie das ihr in Bezug auf die Hilfsmittelversorgung zustehende Wahlrecht bereits konkretisiert habe.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 2010 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 10. September 2008 zurückzuweisen;
hilfsweise,
die Techniker-Krankenkasse gemäß § 75 Abs 2, 2. Alt iVm § 168 Satz 1, 2. Alt SGG beizuladen, die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 2010 und des Sozialgerichts Köln vom 10. September 2008 zu ändern und die Beigeladene zu verurteilen, die Klägerin mit einem Rollstuhl-Bike zu versorgen;
weiter hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 2010 zu ändern und festzustellen, dass der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 1. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2006 rechtwidrig gewesen ist.

7

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Berufungsurteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist nach Maßgabe des zweiten Hilfsantrages begründet (dazu unter C.). Hinsichtlich der mit dem Hauptantrag begehrten Verurteilung der Beklagten zur Gewährung eines Rollstuhl-Bikes als Sachleistung ist die Revision hingegen unbegründet, weil die Beklagte aufgrund des KK-Wechsels ab dem 1.7.2010 nicht mehr zur Leistung verpflichtet ist (dazu unter A.). Bezüglich des ersten Hilfsantrages ist die Revision ebenfalls unbegründet, da die ab dem 1.7.2010 für die Klägerin zuständige TKK nicht zum Verfahren beizuladen war (dazu unter B.).

9

A. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht einen gegen die Beklagte gerichteten Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike abgelehnt. Ausschlaggebend für den fehlenden Leistungsanspruch ist jedoch nicht - wie vom LSG angenommen - das Fehlen der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V, sondern der Umstand, dass die Leistungspflicht der Beklagten nach Verkündung des LSG-Urteils aufgrund der Kündigung des klägerischen Mitgliedschaftsverhältnisses am 30.6.2010 erloschen ist.

10

Diese Bindung der Leistungspflicht an die Mitgliedschaft ergibt sich aus § 19 Abs 1 Halbs 1 SGB V, wonach der Anspruch auf Leistungen mit dem Ende der Mitgliedschaft erlischt. Die Vorschrift erfasst nicht nur das Ausscheiden aus der GKV schlechthin, sondern auch die Fälle des KK-Wechsels (BSGE 99, 102 = SozR 4-2500 § 19 Nr 4 RdNr 12 mwN). § 19 Abs 1 SGB V gilt auch für einmalige Leistungen(BSGE 90, 220, 229 = SozR 4-2500 § 33 Nr 1 S 11 mwN). Maßgebend für die Leistungspflicht ist in diesen Fällen die im Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungserbringung, dh der Abgabe des Hilfsmittels, bestehende Mitgliedschaft (BSGE 90, 220, 229 f = SozR 4-2500 § 33 Nr 1 S 11), so dass die Beklagte vorliegend ab dem 1.7.2010 nicht mehr zur Gewährung des Rollstuhl-Bikes verurteilt werden kann.

11

Für einen Leistungsanspruch nach beendeter Mitgliedschaft (sog nachgehender Leistungsanspruch) bestehen keine gesetzlichen Anknüpfungspunkte. Nachgehende Leistungsansprüche sind als Ausnahme von der das Versicherungsprinzip zum Ausdruck bringenden Regel des § 19 Abs 1 Halbs 1 SGB V grundsätzlich nur zulässig, wenn sie im SGB V bestimmt sind(§ 19 Abs 1 Halbs 2 SGB V). Entsprechende Bestimmungen finden sich ua in § 19 Abs 2 und 3 SGB V, deren Voraussetzungen hier aber nicht vorliegen. Darüber hinaus sind Abweichungen nur gestattet, wenn ein nachgehender Leistungsanspruch zum Schutz des Versicherten erforderlich ist. Eine solche besondere Schutzbedürftigkeit ist allerdings nicht schon dann anzunehmen, wenn der Versicherte sein Wahlrecht auf ein bestimmtes Hilfsmittel konkretisiert und die frühere Krankenkasse (KK) den geltend gemachten Versorgungsanspruch zu Unrecht abgelehnt hat, sich mit der Leistungserbringung also im Verzug befindet. Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 23.1.2003 (B 3 KR 7/02 R - BSGE 90, 220, 229 f = SozR 4-2500 § 33 Nr 1 S 10 f) in einer entsprechenden Fallkonstellation einen nachgehenden Leistungsanspruch bejaht hat, wird diese Rechtsprechung im Hinblick auf die Zweckbestimmung des § 19 SGB V nicht fortgeführt.

12

Mit der Einführung des § 19 SGB V durch das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20.12.1988 (BGBl I 2477) wollte der Gesetzgeber die bis zu diesem Zeitpunkt nach den Vorschriften der RVO und deren Auslegung durch die Rechtsprechung bestehende Vielzahl nachgehender Leistungsansprüche (dazu Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, § 19 RdNr 36 f mwN) auf ein "vertretbares Maß" zurückführen (BT-Drucks 11/2237 S 166). Zu diesem Zweck hat er das bis zum 31.12.1988 zugunsten nachgehender Leistungsansprüche bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt, so dass nunmehr das Versicherungsprinzip gilt (§ 19 Abs 1 Halbs 1 SGB V), von dem nur in eng begrenzten und gesetzlich geregelten Ausnahmefällen (§ 19 Abs 1 Halbs 2 iVm Abs 2 und 3 SGB V) abgewichen werden darf. Von dieser Zielsetzung ausgehend können zusätzlich zu den gesetzlich geregelten, aber vorliegend nicht einschlägigen nachgehenden Leistungsansprüchen nur weitere Ausnahmen vom Versicherungsprinzip anerkannt werden, wenn eine den gesetzlich normierten Ausnahmetatbeständen (§ 19 Abs 2 und 3 SGB V) vergleichbare Interessenlage besteht. Diese ist durch eine Versicherungsnähe in zeitlicher Hinsicht, eine besondere Schutzbedürftigkeit des Versicherten und die Beendigung der Mitgliedschaft durch plötzliche, unvorhersehbare und unvermeidbare Umstände (Noftz aaO RdNr 24 f) gekennzeichnet, wobei die für einen nachgehenden Leistungsanspruch notwendige besondere Schutzbedürftigkeit des Versicherten nur vorliegt, wenn ein solcher Anspruch erforderlich ist, um Lücken im Versicherungsschutz zu vermeiden (BT-Drucks 11/2237 S 166). Bei einem KK-Wechsel besteht - zumindest in den ersten Monaten nach dem Ende der Mitgliedschaft bei der alten KK - noch eine gewisse Nähe zu dem alten Versicherungsverhältnis. Allerdings bedarf der Versicherte in diesen Fällen - anders als in den Fällen der beendeten Mitgliedschaft - nicht des Schutzes durch einen nachgehenden Leistungsanspruch, soweit er die Möglichkeit hat, den primären Anspruch gegenüber der neuen KK geltend zu machen; die Gefahr einer Versicherungslücke besteht dann nicht. Dies gilt auch, wenn das gegen die alte KK gerichtete Leistungsbegehren bereits Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens ist, weil die vom Versicherten erworbenen "Prozessfrüchte" mit einer gegen die alte KK gerichteten Fortsetzungsfeststellungsklage gesichert werden können. Zudem wird die Mitgliedschaft bei einem KK-Wechsel nicht - wie in den Fallkonstellationen des § 19 Abs 2 und 3 SGB V - durch ein unvorhersehbares und unvermeidbares Ereignis beendet, sondern ist in der Regel auf eine bewusste und geplante Entscheidung des Versicherten zurückzuführen.

13

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die der Entscheidung des 3. Senats vom 23.1.2003 (BSGE 90, 220, 229 f = SozR 4-2500 § 33 Nr 1 S 10 f) zugrunde liegende Fallkonstellation vom Gesetzgeber übersehen wurde und somit eine planwidrige Regelungslücke besteht, die im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung geschlossen werden könnte. Die in § 19 Abs 2 und 3 SGB V geregelten Ausnahmetatbestände lassen vielmehr erkennen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer fortwirkenden Leistungspflicht in Erwägung gezogen, sie aber nur in sachlich und zeitlich eng begrenzten Fällen für zulässig erachtet hat.

14

B. Die Klägerin kann im vorliegenden Verfahren auch keinen Anspruch auf die Gewährung eines Rollstuhl-Bikes durch die ab dem 1.7.2010 zuständige TKK geltend machen, weil diese weder am Rechtsstreit beteiligt ist noch - im Wege der notwendigen Beiladung - hätte beteiligt werden müssen.

15

1. Die ab dem 1.7.2010 für die Klägerin zuständige TKK ist nicht im Wege eines gesetzlichen Beteiligtenwechsels an die Stelle der bis zum 30.6.2010 für den klägerischen Anspruch zuständigen Beklagten getreten. Ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel auf Seiten einer juristischen Person oder Behörde (sog Funktionsnachfolge) liegt nur vor, wenn aufgrund eines nach Klageerhebung erfolgten gesetzlichen oder behördlichen Organisationsaktes eine andere als die zunächst beklagte juristische Person bzw Behörde zuständig wird (vgl zur Funktionsnachfolge: BSGE 99, 15 = SozR 4-3300 § 55 Nr 1 RdNr 12; BSGE 62, 269, 270 ff = SozR 1200 § 48 Nr 14 S 71 ff; BVerwGE 44, 148, 150 f; BFHE 200, 521, 523 f). Ein der Funktionsnachfolge vergleichbarer Übergang von Verwaltungsaufgaben liegt dagegen nicht vor, wenn lediglich die Zuständigkeit aufgrund der Ausübung eines dem Versicherten gesetzlich zustehenden Wahlrechts im Einzelfall wechselt.

16

2. Die TKK war auch nicht zum vorliegenden Rechtsstreit notwendig beizuladen. Zwar kommt deren Leistungspflicht für das bei der Beklagten beantragte, aber von dieser tatsächlich nicht gewährte und nach § 19 Abs 1 Halbs 1 SGB V rechtlich auch nicht mehr zu gewährende Rollstuhl-Bike aufgrund des zum 1.7.2010 vorgenommenen KK-Wechsels ernsthaft in Betracht, so dass die Voraussetzungen für eine notwendige unechte Beiladung nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG grundsätzlich erfüllt sind. Gleichwohl bestand für den Senat keine Veranlassung, die ab dem 1.7.2010 zuständige TKK - mit deren Zustimmung (§ 168 Satz 2 Alt 2 SGG) - im Revisionsverfahren beizuladen. § 168 Abs 2 Alt 2 SGG berechtigt unter Berücksichtigung des Normzwecks nur zur Nachholung einer in der Vorinstanz versäumten notwendigen Beiladung (sog vergessene Beiladung), wohingegen es dem Revisionsgericht verwehrt ist, insoweit Tatsachen zu berücksichtigen, die erst nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz entstanden sind und bei fortgesetztem Berufungsverfahren eine notwendige Beiladung bedingt hätten. Denn durch die mit dem Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 (BGBl I 50) eingefügte Möglichkeit einer revisionsgerichtlichen Beiladung soll im Interesse der Verfahrenskonzentration die Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz allein wegen einer unterbliebenen Beiladung vermieden werden (BT-Drucks 12/1217 S 54).

17

Vor diesem Hintergrund darf das Revisionsgericht eine Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG mit Zustimmung des Beizuladenden nur vornehmen, wenn die Beiladung in der Vorinstanz verfahrensfehlerhaft unterblieben ist, denn nur dann wäre eine mögliche Zurückverweisung gerechtfertigt. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Aufgrund des erst nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG erfolgten KK-Wechsels konnte das LSG die Beiladung weder während des Berufungsverfahrens vornehmen noch durfte es diese nach dem Erlass seines Urteils nachholen. Zwar ist eine Beiladung grundsätzlich in jeder Lage des Verfahrens und somit auch in der Zeit nach der Verkündung des Urteils bis zu seiner Zustellung (BSG SozR 3-5420 § 3 Nr 2 S 7; BSG SozR 1500 § 62 Nr 6 S 5) oder dem Eintritt der Rechtskraft bzw der Einlegung eines Rechtsmittels möglich (BFH Urteil vom 9.7.1992 - IV R 55/90 - BFH/NV 1993, 81 mwN; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl, § 75 RdNr 5b). Ob diese Rechtsauffassung wegen der erforderlichen Gewährung rechtlichen Gehörs in der Tat zutreffend ist, mag bezweifelt werden können; dies braucht aber vorliegend nicht entschieden zu werden. Denn eine Beiladung nach Erlass des Urteils ist bislang höchstrichterlich nur für zulässig erachtet worden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung bereits vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung vorgelegen hatten, die rechtzeitige Beiladung mithin pflichtwidrig unterlassen und somit nachgeholt wurde (vgl BSG aaO und BFH aaO). Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht der Fall.

18

Eine Beiladung im hiesigen Verfahren würde zudem gegen § 163 SGG verstoßen und somit in einem nicht zulässigen Wertungswiderspruch zu den Grundsätzen des Revisionsverfahrens stehen(vgl dazu BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2, RdNr 11). Die Notwendigkeit der Beiladung ergibt sich vorliegend erst aus dem zum 1.7.2010 vorgenommenen KK-Wechsel und somit aus einer Tatsache, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz eingetreten und daher vom Revisionsgericht nicht zu berücksichtigen ist. Soweit das LSG den KK-Wechsel in seinem Urteil als Tatsache genannt hat, handelt es sich um eine Feststellung, die es außerhalb des ihm zustehenden Bewertungsrahmens getroffen hat und die das Revisionsgericht nicht bindet, denn das LSG darf bei einer aufgrund mündlicher Verhandlung unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter getroffenen Entscheidung nur den Tatsachenstoff berücksichtigen, der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist (Grundsatz der Unmittelbarkeit, vgl §§ 124 Abs 1 und 129 SGG).

19

Der KK-Wechsel ist letztlich auch keine Tatsache, die der Senat von Amts wegen zu berücksichtigen hat. Von Amts wegen und somit ohne Verstoß gegen § 163 SGG zu berücksichtigen sind generelle und solche Tatsachen, die für die Zulässigkeit der Revision von Bedeutung sind, sowie solche, deren Nichtbeachtung zu einem fortwirkenden Verstoß gegen einen im öffentlichen Interesse liegenden verfahrensrechtlichen Grundsatz führt(Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO § 163 RdNr 5b und 7 mwN). Zu letzteren zählen ua die Prozessvoraussetzungen betreffende Tatsachen. Daher hat der Senat den KK-Wechsel insoweit zu berücksichtigen, als dieser für die Zulässigkeit der gegen die Beklagte gerichteten Klage (dazu unter C.) und somit für das streitgegenständliche Rechtsverhältnis von Bedeutung ist, nicht hingegen in Bezug auf ein neues und bisher nicht streitgegenständliches Rechtsverhältnis.

20

C. Das mit dem zweiten Hilfsantrag verfolgte Klagebegehren ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (dazu unter 1. und 2.) und begründet (dazu unter 3.).

21

1. Mit dem KK-Wechsel haben sich die angefochtenen Bescheide der Beklagten auf andere Weise erledigt (§ 131 Abs 1 Satz 3 SGG iVm § 39 Abs 2 SGB X), weil die Beklagte aufgrund der Regelung des § 19 Abs 1 SGB V ab dem 1.7.2010 rechtlich nicht mehr zur Erbringung der von der Klägerin begehrten Leistung verpflichtet ist (vgl unter A.). Daher ist mit dem KK-Wechsel das für die Fortführung der ursprünglich zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage notwendige Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Dem hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat durch eine Umstellung der Klageanträge Rechnung getragen. Die Umstellung einer Anfechtungs- und Leistungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist keine Klageänderung und daher auch im Revisionsverfahren statthaft - § 99 Abs 3 Nr 3 iVm § 168 Satz 1 Alt 1 SGG (vgl dazu BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 14 mwN). § 131 Abs 1 Satz 3 SGG gilt entsprechend für die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (BSGE 78, 243, 249 = SozR 3-2500 § 109 Nr 2 S 18).

22

2. Das für die Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche besondere Interesse der Klägerin an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 1.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.7.2006 besteht unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität und der Wiederholungsgefahr. Auf diese Aspekte kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse gestützt werden, wenn die begehrte Feststellung unmittelbar bindend für ein anderes gerichtliches oder behördliches Verfahren ist (rechtliche Präjudizialität - vgl dazu Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl 2009 § 113 RdNr 140) bzw ihr eine natürliche Autorität für ein anderes Rechtsverhältnis zukommt (tatsächliche Präjudizialität - Kopp/Schenke aaO; vgl auch BFHE 108, 92, 95) oder wenn die hinreichend bestimmte Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 4 RdNr 7 mwN). Auf diese Weise sollen erreichte Verfahrenergebnisse gesichert und Folgeprozesse vermieden werden (Kopp/Schenke aaO RdNr 96). Vorliegend kann durch die begehrte Feststellung mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Folgeprozess über den Versorgungsanspruch vermieden werden, denn die im hiesigen Verfahren streitige materiell-rechtliche Frage ist auch für das gegenüber der neuen KK bestehende Mitgliedschaftsverhältnis von Bedeutung. Unerheblich ist dabei, dass infolge des erledigenden Ereignisses nunmehr eine andere Behörde für die Entscheidung über einen künftigen Antrag zuständig ist (so auch BVerwG Urteil vom 27.9.1993 - 1 B 73/93 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr 261; BVerwG Urteil vom 31.3.1987 - 1 C 32/84 - NJW 1987, 2179). Vielmehr ist angesichts der Bedeutung höchstrichterlicher Entscheidungen für die Rechtsfortbildung davon auszugehen, dass sich die neue KK als an Recht und Gesetz gebundene Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 4 Abs 1 SGB V iVm Art 20 Abs 3 GG) den Gründen eines obsiegenden Feststellungsurteils nicht verschließen wird. Darüber hinaus haben die Vorinstanzen in Bezug auf den klägerischen Anspruch Tatsachen ermittelt, die als "erworbene Prozessfrüchte" nicht verloren gehen, sondern die Grundlage für eine mit entsprechender "natürlicher Autorität" ausgestatteten Entscheidung bilden sollen.

23

3. Das zulässige Fortsetzungsfeststellungsbegehren ist auch begründet. Die Klägerin hatte unter Zugrundelegung der vom LSG festgestellten Tatsachen bis zum 30.6.2010 einen gegen die Beklagte gerichteten Anspruch auf Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike als Hilfsmittel der GKV. Der diesen Anspruch ablehnende Bescheid der Beklagten vom 1.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.7.2006 war daher rechtswidrig.

24

a) Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 33 Abs 1 SGB V in der zum Zeitpunkt der Erledigung(zur maßgebenden Sach- und Rechtslage bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO § 131 RdNr 10i; Kopp/Schenke aaO § 113 RdNr 124, 147) geltenden Fassung des Art 1 Nr 17a Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I 378). Danach haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung im Hinblick auf die "Erforderlichkeit im Einzelfall" nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die KK gemäß § 12 Abs 1 SGB V nicht bewilligen.

25

Ein gegen die Beklagte gerichteter Anspruch auf Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike als Hilfsmittel der GKV (dazu unter b) bestand bis zum 30.6.2010 unter dem Gesichtspunkt des Behinderungsausgleichs (dazu unter d), so dass über die Frage der Erforderlichkeit des Hilfsmittels zur Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung nicht abschließend entschieden werden muss (dazu unter c).

26

b) Dem Rollstuhl-Bike kann in Bezug auf erwachsene Versicherte nicht bereits - wie vom LSG angedeutet, aber mangels Entscheidungsrelevanz offen gelassen - die Eigenschaft als Hilfsmittel abgesprochen werden. Hilfsmittel iS von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V sind alle sächlichen Mittel, die den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern, einer drohenden Behinderung vorbeugen oder eine bestehende Behinderung ausgleichen, selbst dann, wenn ihre Anwendung durch den Versicherten selbst sicherzustellen ist(BSGE 88, 204 = SozR 3-2500 § 33 Nr 41; BSGE 87, 105, 108 f = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 5; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 39 S 220). Diese Voraussetzungen erfüllt das Rollstuhl-Bike, denn die Hilfsmitteleigenschaft wird allein nach objektiven Kriterien bestimmt. Personenbezogene Merkmale - wie zB das Alter des Versicherten - sind hierfür nicht maßgeblich. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Senatsentscheidung vom 16.9.1999 (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31), wonach "ein Rollstuhl-Bike für Personen im Erwachsenenalter kein Hilfsmittel der gesetzlichen KV" ist. Mit dieser Aussage wollte der Senat nicht die Hilfsmitteleigenschaft des Rollstuhl-Bikes für erwachsene Versicherte in Frage stellen, sondern dessen Eignung und Erforderlichkeit zur Erreichung der Versorgungsziele des § 33 SGB V im Einzelfall beurteilen.

27

c) Ob das Rollstuhl-Bike als Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (§ 33 Abs 1 Satz 1 Variante 1 SGB V) erforderlich war, kann anhand der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden.

28

Der Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung dient ein sächliches Mittel, soweit es spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Dabei kommt nur solchen Maßnahmen zur körperlichen Mobilisation ein Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung iS von § 27 SGB V zu, die in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche oder ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und für die gezielte Versorgung iS der Behandlungsziele des § 27 SGB V als erforderlich anzusehen sind(BSG vom 7.10.2010 - B 3 KR 5/10 R - Therapiedreirad - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 21). Diese Voraussetzungen liegen bei einer Hilfe zur körperlichen Betätigung vor, wenn der Versicherte aufgrund der Schwere der Erkrankung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der physikalischen Therapie hat und die durch das beanspruchte Hilfsmittel unterstützte eigene körperliche Betätigung diese Therapie entweder wesentlich fördert oder die Behandlungsfrequenz infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann (BSG aaO). Bei der Klägerin bestehen neben der Gehbehinderung degenerativ bedingte Beschwerden und Funktionsstörungen im Bereich der oberen Extremitäten, die krankengymnastisch behandelt werden. Die Frage, ob diese Krankengymnastik durch die Verwendung eines Rollstuhl-Bikes wesentlich gefördert oder die Behandlungsfrequenz reduzieren wird, kann anhand der getroffenen Feststellungen nicht abschließend beantwortet werden. Zwar hat das LSG festgestellt, dass die verordnete Krankengymnastik im Vergleich zu den mit der Nutzung des Rollstuhl-Bikes verbundenen gesundheitlichen Vorteilen ausreichend und sogar besser geeignet ist, um Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung eines behinderten Menschen zu erreichen. Allerdings bleibt offen, auf welche medizinische Tatsachen das LSG diese Feststellung stützt, zumal sie im Widerspruch zu den gutachterlichen Feststellungen steht. Nach Auffassung des Sachverständigen ersetzt ein Rollstuhl-Bike zwar nicht die aufgrund der degenerativen Erkrankung der oberen Extremitäten erforderliche Krankengymnastik, ermöglicht aber wegen der Verringerung der Schmerzsituation im Bereich des Schultergürtels dessen intensivere krankengymnastische Beübung und kann ein Fortschreiten der Veränderungen erheblich verringern. Soweit das LSG diesen medizinischen Tatsachen offensichtlich nicht folgt, wären weitere Ermittlungen erforderlich gewesen.

29

d) Diese unzureichenden Ermittlungen führen gleichwohl nicht zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, weil der von der Klägerin geltend gemachte Versorgungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Behinderungsausgleichs (§ 33 Abs 1 Satz 1 Variante 3 SGB V) begründet ist. Zwar ist ein Rollstuhl-Bike grundsätzlich nicht zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich, weil es dem Versicherten eine Mobilität ermöglicht, die über den durch Leistungen der GKV zu gewährleistenden Bereich der medizinischen Rehabilitation hinausgeht. Allerdings bestand gleichwohl ein entsprechender Versorgungsanspruch, weil die Behinderung im vorliegenden Einzelfall nicht auf andere Weise zumutbar ausgeglichen werden kann.

30

aa) Der Behinderungsausgleich nach § 33 Abs 1 Satz 1 Variante 3 SGB V umfasst zwei Zielrichtungen:

31

Im Vordergrund steht der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem sog unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts (stRspr, BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 18 mwN - Badeprothese). Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (BSG aaO; vgl auch BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, RdNr 4 mwN - C-leg-Prothese). Die Prüfung, ob mit der vorgesehenen Verwendung ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt in den Fällen der Erst- und Ersatzausstattung, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 18 - Badeprothese).

32

Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen. Im Rahmen dieses sog mittelbaren Behinderungsausgleichs geht es nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl § 1 SGB V, § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (zum mittelbaren Behinderungsausgleich zuletzt: BSG Urteil vom 7.10.2010 - B 3 KR 13/09 R - Scalamobil, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 18 mwN). Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist daher von der GKV nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (stRspr, zuletzt BSG Urteil vom 10.3.2011 - B 3 KR 9/10 R - Barcodelesegerät, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 13 ff mwN). Nach stRspr gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (vgl zuletzt BSG Urteil vom 10.3.2011 aaO und Urteil vom 7.10.2010 - B 3 KR 13/09 R aaO, jeweils mwN).

33

Nach Maßgabe dieser Grundsätze handelt es sich im vorliegenden Fall um den mittelbaren Behinderungsausgleich, weil durch das begehrte Hilfsmittel nicht das Gehen selbst ermöglicht wird, sondern lediglich die Folgen einer Funktionsbeeinträchtigung der Beine - hier in Form des eingeschränkten Geh- und Stehvermögens - ausgeglichen werden sollen.

34

bb) Das hier betroffene Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums umfasst die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und im umliegenden Nahbereich (BSG Urteil vom 7.10.2010 - B 3 KR 13/09 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 20 ff mwN - Scalamobil). Anknüpfungspunkt für die Reichweite des Nahbereichs ist der Bewegungsradius, den ein Nichtbehinderter üblicherweise zu Fuß zurücklegt (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 27 RdNr 15 - Elektrorollstuhl). Dies entspricht dem Umkreis, der mit einem vom behinderten Menschen selbst betriebenen Aktivrollstuhl erreicht werden kann (vgl zu diesem Maßstab BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 28 S 163 - Therapie-Tandem II; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 25 S 141 - Therapie-Tandem I; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 7 S 26 - Rollstuhl-Boy). Die in früheren Entscheidungen angedeutete Möglichkeit, dass "zwischen dem durch einen Selbstfahrrollstuhl regelmäßig eröffneten Freiraum und den Entfernungen, die ein Gesunder auch bei eingeschränktem Gesundheitszustand vor allem im ländlichen Bereich zu Fuß zurücklegt, eine Lücke besteht, die ebenfalls noch den Grundbedürfnissen zuzurechnen ist" (so noch BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 7 S 27 - Rollstuhl-Boy), hat der Senat nicht weiter verfolgt (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 187 - Rollstuhl-Bike II).

35

cc) Für die Bestimmung des Nahbereichs gilt ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger Maßstab (BSGE 102, 90 = SozR 4-2500 § 33 Nr 21, RdNr 14 - Kraftknoten; BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15, RdNr 17 - behinderungsgerechter Pkw). Dem steht weder entgegen, dass nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V Hilfsmittel zu gewähren sind, wenn sie "im Einzelfall erforderlich sind", noch dass nach § 33 SGB I bei der Ausgestaltung von Rechten nach dem SGB "die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten" berücksichtigt werden müssen. Die Frage, ob ein Hilfsmittel der Sicherung menschlicher Grundbedürfnisse dient, betrifft dessen Eignung und Erforderlichkeit zur Erreichung der in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Versorgungsziele. Diese Eignung und Erforderlichkeit zählt ebenso wie die Hilfsmitteleigenschaft und das Nichtvorliegen der in § 33 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB V formulierten Ausschlusstatbestände zu den objektiven, dh unabhängig vom konkreten Einzelfall zu beurteilenden Anspruchsvoraussetzungen. Hierfür ist allein die Zielsetzung des § 33 SGB V und somit die Abgrenzung der Leistungspflicht der GKV von der anderer Träger nach einem abstrakt-aufgabenbezogenen Maßstab ausschlaggebend. Die Erforderlichkeit der Hilfsmittelversorgung "im Einzelfall" ist dagegen - ebenso wie deren Wirtschaftlichkeit - eine subjektbezogene Anspruchsvoraussetzung, die nach einem konkret-individuellen Maßstab beurteilt wird. Der in § 33 SGB I normierte Individualisierungsgrundsatz ist für den die Anspruchsvoraussetzungen des § 33 SGB V betreffenden Nahbereich bereits deshalb ohne Bedeutung, weil er ausschließlich für die Ausgestaltung sozialer Rechte gilt, seine Anwendung mithin auf die Rechtsfolgenseite einer im SGB geregelten Anspruchsgrundlage beschränkt ist(BSG SozR 4-7610 § 362 Nr 1 RdNr 11 f).

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dd) Der Nahbereich wurde in der bisherigen Senatsrechtsprechung nicht im Sinne einer Mindestwegstrecke bzw einer Entfernungsobergrenze festgelegt, sondern lediglich beispielhaft im Sinne der Fähigkeit konkretisiert, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (stRspr, erstmals BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 187 - Rollstuhl-Bike II; zuletzt BSG Urteil vom 10.3.2011 - B 3 KR 9/10 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 15 - Barcodelesegerät), wobei allerdings die Fähigkeit, eine Wegstrecke von 100 m (BSG Urteil vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 R, RdNr 16 - Therapie-Tandem IV) bzw 200 m (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 12 RdNr 15 f - Liegedreirad) zurückzulegen, nicht als ausreichend zur Erschließung des Nahbereichs angesehen worden ist. Dagegen umfasst der von der GKV zu gewährleistende Basisausgleich nicht die Fähigkeit, weitere Wegstrecken, vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer, zu bewältigen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 186 - Rollstuhl-Bike II). An diesen Grundsätzen hält der Senat weiterhin fest. Eine weitere Konkretisierung des Nahbereichs im Sinne einer Mindestwegstrecke ist vor dem Hintergrund des sich wandelnden Mobilitätsverhaltens (vgl Kurzfassung des Ergebnisberichts "Mobilität in Deutschland 2008", abrufbar unter www.mobilitaet-in-deutschland.de - recherchiert am 16.5.2011) weder tatsächlich möglich noch zur sachgerechten Anwendung des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V notwendig.

37

ee) Für die Bestimmung des durch Hilfsmittel der GKV zu erschließenden Nahbereichs ist allein der Zweck des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V maßgebend. Dieser liegt in der Sicherstellung der in Satz 1 formulierten Versorgungsziele. Dabei soll mit dem Versorgungsziel des Behinderungsausgleichs (§ 33 Abs 1 Satz 1 Variante 3 SGB V) grundsätzlich eine Gleichstellung des behinderten Menschen mit Nichtbehinderten erreicht werden, wobei allerdings im Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs kein Gleichziehen mit den nahezu unbegrenzten Möglichkeiten zu gewährleisten ist, sondern lediglich ein Aufschließen zu den Grundbedürfnissen eines nicht behinderten Menschen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 185 - Rollstuhl-Bike II), um die Zuständigkeit der GKV von der anderer Träger abzugrenzen. Von dieser Zielsetzung ausgehend sind dem der Zuständigkeitsabgrenzung der GKV von anderen Rehabilitationsträgern dienenden Nahbereich beim mittelbaren Behinderungsausgleich solche Wege zuzuordnen, die räumlich einen Bezug zur Wohnung und sachlich einen Bezug zu den Grundbedürfnissen der physischen und psychischen Gesundheit bzw der selbständigen Lebensführung aufweisen. In räumlicher Hinsicht ist der Nahbereich auf den unmittelbaren Umkreis der Wohnung des Versicherten beschränkt (vgl zum Zusammenhang zwischen dem Grundbedürfnis auf Mobilität und dem Grundbedürfnis des selbständigen Wohnens: BSG Urteil vom 10.3.2011 - B 3 KR 9/10 R - Barcodelesegerät - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 15). Diese ist Ausgangs- und Endpunkt der zum Nahbereich zählenden Wege, so dass die Mobilität für den Hin- und Rückweg durch Leistungen der GKV sicherzustellen ist. Hierfür sind allerdings nicht die konkreten Wohnverhältnisse des behinderten Menschen maßgebend, weil der Nahbereich ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens konkretisiert und somit die Eignung und Erforderlichkeit des Hilfsmittels als objektive Anspruchsvoraussetzung betrifft. Sachlich umfasst der Nahbereich gesundheitserhaltende Wege, Versorgungswege sowie elementare Freizeitwege. Zu den gesundheitserhaltenden Wegen zählen Entfernungen, die zur Aufrechterhaltung der physischen und psychischen Existenz zurückgelegt werden (zB Besuch von Ärzten und Therapeuten, Aufsuchen der Apotheke). Der Versorgungsweg umschreibt dagegen die Fähigkeit, die Wohnung zu verlassen, um die für die Grundbedürfnisse der selbständigen Existenz und des selbständigen Wohnens notwendigen Verrichtungen und Geschäfte (Einkauf, Post, Bank) wahrnehmen zu können. Die Mobilität für Freizeitwege ist in Abgrenzung zu der durch andere Leistungsträger sicherzustellenden Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft jedoch nur durch Leistungen der GKV abzudecken, wenn (und soweit) diese Wege von besonderer Bedeutung für die physische und psychische Gesundheit sind. In diesem Sinne zählen zu den Freizeitwegen Entfernungen, die bewältigt werden, um die körperlichen Vitalfunktionen aufrechtzuerhalten (kurzer Spaziergang an der frischen Luft) und um sich einen für die seelische Gesundheit elementaren geistigen Freiraum zu erschließen (zB Gang zum Nachbarn zur Gewährleistung der Kommunikation, Gang zum Zeitungskiosk zur Wahrnehmung des Informationsbedürfnisses).

38

ff) Dagegen sind die zur rentenversicherungsrechtlichen Wegefähigkeit und zum Nachteilsausgleich "G" entwickelten Maßstäbe aufgrund ihrer abweichenden Zweckbestimmung nicht geeignet, den für das Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums relevanten Nahbereich näher bzw in anderer Weise zu bestimmen.

39

Die Wegefähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung, dh das gesundheitliche Vermögen, viermal am Tag eine Wegstrecke von 500 m in einem Zeitraum von 20 Minuten zurückzulegen (vgl BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 8 RdNr 15; BSG Urteil vom 28.8.2002 - B 5 RJ 12/02 R - RdNr 13 und 15), ist ein wesentliches Kriterium für die Erwerbsfähigkeit. Sie betrifft Voraussetzungen für die Gewährung der Versicherungsleistung Rente. Bereits aus diesem Grund ist der für die rentenversicherungsrechtliche Wegefähigkeit geltende Maßstab nicht zur Bestimmung der Leistungspflicht im Bereich der GKV-Rehabilitationsleistungen geeignet. Soweit entsprechend dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" (§ 9 Abs 1 Satz 2 SGB VI) zum Ausgleich einer eingeschränkten Wegefähigkeit Leistungen des Rentenversicherungsträgers zur (beruflichen) Rehabilitation erbracht werden, dienen diese Leistungen dem Zweck, die Erwerbsfähigkeit zu erhalten bzw gesundheitlich bedingte Erwerbshindernisse zu beseitigen, und verfolgen daher einen erwerbsbezogenen Rehabilitationsansatz (§ 9 Abs 1 SGB VI; § 6 Abs 1 Nr 4 iVm § 5 Nr 1, 2 SGB IX). Dagegen liegt den von der GKV zu erbringenden Leistungen der medizinischen Rehabilitation ein gesundheitsbezogener Rehabilitationsansatz zugrunde. Mit diesen Leistungen soll eine durch Krankheit bedingte Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abgewendet, beseitigt, gemildert, ausgeglichen, ihre Verschlimmerung verhütet oder ihre Folgen gemildert werden (§ 11 Abs 2 Satz 1 SGB V; § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 SGB IX). In diesem Sinne erschließen die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation dem Versicherten die Möglichkeiten - im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs allerdings nur in Bezug auf seine Grundbedürfnisse - eines nicht behinderten Menschen. Maßstab ist daher weder der erwerbsfähige noch der aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen ggf an der Grenze zur aufgehobenen Erwerbsfähigkeit stehende Versicherte, sondern der nichtbehinderte Mensch, so dass die Bestimmung des Nahbereichs anhand der zur rentenversicherungsrechtlichen Wegefähigkeit entwickelten Kriterien den Leistungsumfang des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V in einer mit der Zweckrichtung der Norm nicht zu vereinbarenden Weise verkürzen würde.

40

Der für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs mit dem Merkzeichen "G" geltende (Mobilitäts-)Maßstab kann aufgrund seiner abweichenden Zweckbestimmung ebenfalls nicht zur Konkretisierung des Nahbereichs herangezogen werden. Das Merkzeichen "G" wird zuerkannt, wenn infolge einer Einschränkung des Gehvermögens Wegstrecken im Ortsverkehr, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren bewältigt werden können (§ 146 Abs 1 Satz 1 SGB IX), wobei die "Wegstrecken im Ortsverkehr" von der Rechtsprechung im Sinne einer Länge von bis zu 2 km bei einer Gehdauer von 30 Minuten konkretisiert worden sind (so schon BSGE 62, 273, 274 ff = SozR 3870 § 60 Nr 2 S 3 ff). Mit dem Merkzeichen "G" sollen Mehraufwendungen ausgeglichen werden, die einem gehbehinderten Menschen dadurch entstehen, dass er öfter als ein nicht behinderter Mensch - nämlich auch für kürzere und üblicherweise zu Fuß zu bewältigende Wegstrecken - auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen ist (BT-Drucks 8/2453, S 11 zu § 59 SchwbG; BSGE 62, 273, 276 f = SozR 3870 § 60 Nr 2 S 4; Dreher, ZfS 1986, 65, 67). Maßstab für die Gewährung des Nachteilsausgleichs ist damit zwar - ebenso wie bei den von der GKV zu erbringenden Leistungen - der nichtbehinderte Mensch. Allerdings gehen die mit der Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" verbundenen Vergünstigungen (unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr - § 145 iVm § 147 Abs 1 SGB IX) über den engeren Umkreis der Wohnung des behinderten Menschen hinaus, weil zum einen die den Ausgleich begründenden Wegstrecken nicht zwingend von der eigenen Wohnung ausgehen bzw zu ihr hinführen (Dreher, ZfS 1986, 65, 67) und zum anderen mit dem Merkzeichen "G" nicht nur Mobilitätsdefizite im Nahbereich der Wohnung, sondern darüber hinaus auch solche in Bezug auf Arbeitswege und Freizeitwege jeglicher Art ausgeglichen werden. Mit dem Merkzeichen "G" werden Nachteile des behinderten Menschen im Hinblick auf die "nahezu unbegrenzten Möglichkeiten" und nicht nur die Grundbedürfnisse eines nicht behinderten Menschen ausgeglichen. Für die Zuerkennung dieses Merkzeichens ist ein über den gesundheitsbezogenen Ansatz des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V hinausgehender teilhabebezogener Rehabilitationsansatz maßgebend. Infolge dessen ist im Rahmen des Nachteilsausgleichs "G" die Wegstrecke und somit die Entfernung im Sinne einer Mindestwegstrecke für die Leistungspflicht ausschlaggebend (Dreher, ZfS 1986, 65, 68 f), während im Anwendungsbereich des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V die Wegeart, dh der mit der Zurücklegung des Weges verbundene Zweck im Sinne des Mobilitätsziels, leistungsrechtlich von Bedeutung ist.

41

gg) Hiervon ausgehend eröffnet das Rollstuhl-Bike dem behinderten Menschen grundsätzlich eine dem Radfahren vergleichbare und somit über den nach den dargelegten Grundsätzen (vgl unter ee) bestimmten Nahbereich hinausgehende Mobilität. Denn mit dem Rollstuhl-Bike können nicht nur die im Nahbereich der Wohnung liegenden Ziele erreicht, sondern darüber hinaus auch Arbeits- und Freizeitwege jeglicher Art bewältigt werden. Allerdings sind Hilfsmittel, die dem Versicherten eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität ermöglichen, im Einzelfall gleichwohl von der KK zu gewähren, wenn besondere qualitative Momente dieses "Mehr" an Mobilität erfordern. Solche besonderen qualitativen Momente liegen zB vor, wenn der Nahbereich ohne das begehrte Hilfsmittel nicht in zumutbarer Weise erschlossen werden kann oder wenn eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität zur Wahrnehmung eines anderen Grundbedürfnisses notwendig ist. So ist etwa die Erschließung des Nahbereichs ohne das begehrte Hilfsmittel unzumutbar, wenn Wegstrecken im Nahbereich nur unter Schmerzen oder nur unter Inanspruchnahme fremder Hilfe bewältigt werden können (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 27 RdNr 24 - Elektrorollstuhl)oder wenn die hierfür benötigte Zeitspanne erheblich über derjenigen liegt, die ein nicht behinderter Mensch für die Bewältigung entsprechender Strecken zu Fuß benötigt. Andere Grundbedürfnisse, die eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität erfordern, sind vom Senat in der Integration von Kindern und Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 10 RdNr 16 - Reha-Kinderwagen; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 46 S 258 f - Therapiedreirad; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 27 S 158 f - Rollstuhl-Bike I) sowie in der Erreichbarkeit von Ärzten und Therapeuten bei Bestehen einer besonderen gesundheitlichen Situation (BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, RdNr 13 ff - schwenkbarer Autositz II)gesehen worden. Zur Beantwortung der Frage, ob besondere qualitative Umstände ausnahmsweise die Gewährung eines Rollstuhl-Bikes erfordern, sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgebend.

42

hh) Im vorliegenden Fall kann offen gelassen werden, ob das vom LSG festgestellte gesundheitliche Vermögen der Klägerin, sich mit dem vorhandenen Aktivrollstuhl etwa zehn Minuten in langsamen Fußgängertempo fortzubewegen und diese Fortbewegung nach einer zwei- bis dreiminütigen Pause in entsprechender Weise fortzuführen, ausreicht, um den Nahbereich der Wohnung zu erschließen, weil jedenfalls die Bedingungen, unter denen dies möglich ist, nicht zumutbar sind und somit besondere qualitative Momente bestehen, die das mit der Gewährung eines Rollstuhl-Bikes verbundene "Mehr an Mobilität" in den Hintergrund treten lassen.

43

Ausgehend von den Feststellungen des LSG haben sich bei der Klägerin die degenerativen Veränderungen und die hierdurch bedingten Funktionsstörungen und Beschwerden im Bereich der oberen Extremitäten in der Zeit zwischen der erst- und zweitinstanzlichen Begutachtung verschlechtert. Nunmehr treten bereits nach einer zehnminütigen Fortbewegung mit dem Aktivrollstuhl Schmerzen auf, die zur Einlegung einer Pause zwingen. Diese degenerativen Veränderungen werden nach den gutachterlichen Feststellungen bei der weiteren Verwendung des Aktivrollstuhls fortschreiten und die dadurch bedingten Beschwerden zunehmen, wohingegen die Progredienz der degenerativen Veränderungen durch die Verwendung des Rollstuhl-Bikes erheblich vermindert werden kann. Die Wahrnehmung eines Grundbedürfnisses unter Inkaufnahme gesundheitlicher Einschränkungen und verbunden mit der Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist nicht zumutbar. Aus diesem Grund erfordert die besondere gesundheitliche Situation der Klägerin die Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike.

44

ii) Das Rollstuhl-Bike ist auch nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens (§ 33 Abs 1 Satz 1, letzter Halbs SGB V) von der Sachleistungspflicht der GKV ausgenommen. Es handelt sich um eine speziell für die Bedürfnisse behinderter Menschen entwickelte Zusatzausrüstung für einen Aktivrollstuhl, die von gesunden Menschen nicht genutzt werden kann.

45

jj) Gegen die Versorgung der Klägerin mit einem Rollstuhl-Bike sprechen auch keine Kostengesichtspunkte. Es handelt sich um eine wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung (§ 12 Abs 1 SGB V). Insbesondere kann die Klägerin nicht alternativ auf einen restkraftunterstützenden Greifreifenantrieb verwiesen werden. Zwar bietet dieser möglicherweise dem Rollstuhl-Bike vergleichbare Erleichterungen, weil der behinderte Mensch in die Lage versetzt wird, beim Auftreten von Schmerz- oder Erschöpfungszuständen individuell über eine Fernbedienung den zusätzlichen Antrieb zuzuschalten. Aufgrund der bei voller Aufladung des Antriebs ermöglichten Reichweite von 25 km ist die Erschließung des Nahbereichs in jedem Fall sichergestellt. Allerdings belaufen sich die Kosten für den Zusatzantrieb auf 3500 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer - bezogen auf einen Gewährleistungszeitraum von 60 Monaten - und liegen damit über den für ein Rollstuhl-Bike aufzuwendenden Kosten. Zudem würde die Vergütungspauschale nach dem Ablauf des Gewährleistungszeitraums erneut anfallen.

46

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten noch um die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

2

Bei der 1969 geborenen Klägerin war zunächst ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt (Bescheid vom 29.8.2008). Auf erneuten Antrag stellte der beklagte Landkreis einen GdB von 50 fest, lehnte aber die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs G ab (Bescheid vom 6.7.2009; Erschöpfungssyndrom, Somatisierungsstörung, Schmerzverarbeitungsstörung, rezidivierende depressive Störung, ; Wirbelsäulensyndrom, Bandscheibenschaden mit Nervenwurzelreizungen, Tendomyopathie, ; Hautleiden mit Gelenkerkrankung, ; allergische Bronchitis, allergische Diathese, allergische Hauterkrankung, ). Den Widerspruch wies die Bezirksregierung Münster zurück (Widerspruchsbescheid vom 17.8.2009).

3

Das SG hat die Klage, mit der die Klägerin ursprünglich einen höheren GdB als 50 neben dem Merkzeichen G begehrte, nach Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens abgewiesen. Bei der Klägerin liege eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine rezidivierende depressive Störung (mittelgradige Episode) und eine abhängige Persönlichkeitsstörung vor. Die Beeinträchtigungen im Bereich der Psyche seien mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten, der Gesamt-GdB betrage 50. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr liege nicht vor. Soweit die Klägerin subjektiv das Gefühl habe, dass sie nur 400 Meter gehen könne, ordne sich dies unter dem Gefühl der Verschlimmerung einer allgemeinen Schmerzsymptomatik ein und entspreche nicht einer eigentlichen Gehstörung (Urteil vom 5.3.2012).

4

Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG ein fachärztlich sozialmedizinisches Gutachten eingeholt, das den Gesamt-GdB mit 50 für angemessen hielt und bezüglich des geltend gemachten Nachteilsausgleichs G ausführte, keiner der gesetzlich geregelten Regelfälle liege vor. Jedoch bestehe bei der Klägerin eine Schmerzproblematik durch das vorhandene Fibromyalgie-Syndrom, auch als somatoforme Störung, zT mit hypochondrischen Symptomen bei depressiven Episoden. Die Klägerin sei überzeugt von ihren Einschränkungen und auf die körperlichen Einschränkungen fixiert, wobei die Schmerzwahrnehmung durch psychogene Prozesse deutlich verstärkt werde. Die Dauerleistungsfähigkeit mit der Vorgabe von zwei Kilometern in 30 Minuten sei zu keiner Zeit ohne erhebliche, nicht zumutbare Schmerzen zu bewältigen. Gestützt auf das sozialmedizinische Gutachten hat das LSG den Beklagten zur Feststellung des allein noch begehrten Nachteilsausgleichs G verurteilt. Das im SG-Verfahren eingeholte Gutachten sei demgegenüber nicht überzeugend, da es allein auf ein organisch bedingtes Gehvermögen abstelle, wenn es ein subjektives Gefühl nicht als eigentliche Gehstörung bezeichne (Urteil vom 16.10.2013).

5

Mit seiner Revision rügt der beklagte Landkreis die Verletzung materiellen Rechts (§ 146 Abs 1 S 1 SGB IX). Die Klägerin erfülle nicht die Beispielsfälle der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-VO (AnlVersMedV). Das bei ihr vorhandene Schmerzsyndrom sei diesen auch nicht vergleichbar.

6

Der beklagte Kreis beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 5. März 2012 zurückzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des beklagten Landkreises ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Recht hat das LSG der Klage stattgegeben. Die Klage ist zulässig (dazu 1.) und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G (dazu 2.).

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung des Berufungsurteils, mit dem das LSG den Bescheid des Beklagten vom 6.7.2009 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 17.8.2009 sowie das nachfolgende Urteil des SG abgeändert und den Beklagten verurteilt hat, bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G festzustellen.

11

a) Dieses prozessuale Ziel verfolgt die Klägerin zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG - siehe zur statthaften Klageart etwa BSG Urteil vom 27.2.2002 - B 9 SB 6/01 R - Juris RdNr 40).

12

b) Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche ist in Nordrhein-Westfalen (NRW) mit Wirkung vom 1.1.2008 durch das Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes NRW (GVBl NRW S 482) in Einklang mit höherrangigem Recht den Landkreisen übertragen worden. Dies hat der erkennende Senat wiederholt entschieden(vgl BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1; BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9 V 3/07 R - Juris; BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 13 ff mwN, 21; zum erneuten Übergang der Zuständigkeiten durch das hier nicht einschlägige Städteregion Aachen Gesetz vgl BSGE 109, 154 = SozR 4-3250 § 145 Nr 2). Hieran hält der Senat fest.

13

2. Die Klägerin hat wegen ihrer psychogenen Gangstörung Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs G.

14

a) Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G sind §§ 145 Abs 1 S 1, 146 Abs 1 S 1 iVm § 69 Abs 1 und 4 SGB IX. Gemäß § 145 Abs 1 S 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs 5 SGB IX Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr iS des § 147 Abs 1 SGB IX. Über das Vorliegen der damit angesprochenen gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs 1 und 4 SGB IX).

15

Nach § 146 Abs 1 S 1 SGB IX in der fortgeltenden Ursprungsfassung des Gesetzes vom 19.6.2001 (BGBl I 1046) ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.Das Gesetz fordert in § 145 Abs 1 S 1, § 146 Abs 1 S 1 SGB IX eine doppelte Kausalität: Ursache der beeinträchtigten Bewegungsfähigkeit muss eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sein und diese Behinderung muss sein Gehvermögen einschränken(BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 7/06 R - SozR 4-3250 § 146 Nr 1 RdNr 12).

16

Die nähere Präzisierung des Personenkreises schwerbehinderter Menschen mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ergibt sich aus dem in § 69 Abs 1 S 5 SGB IX aF Bezug genommenen versorgungsrechtlichen Bewertungssystem, dessen Kern ursprünglich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) waren. Diese sind seit 1.1.2009 abgelöst durch die auf der Grundlage des § 30 Abs 17(bzw Abs 16) BVG erlassenen Versorgungsmedizin-VO vom 10.12.2008 (VersMedV, BGBl I 2412). Zwischenzeitlichen Bedenken an dieser Ermächtigung des Verordnungsgebers insbesondere zum Erlass von Vorgaben für die Beurteilung von Nachteilsausgleichen (vgl Dau jurisPR-SozR 24/2009 Anm 4) hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz vom 7.1.2015 (BGBl II 15) Rechnung getragen durch Schaffung einer nunmehr eigenständig in § 70 Abs 2 SGB IX angesiedelten Ermächtigungsgrundlage. Durch diese wird das BMAS seit 15.1.2015 ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Für eine Übergangszeit bis zum Erlass einer neuen Rechtsverordnung verbleibt es bei der bisherigen Rechtslage (vgl § 159 Abs 7 SGB IX; hierzu BT-Drucks 18/2953 und 18/3190 S 5).

17

Gemäß den Grundsätzen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche (Teil D Nr 1 Buchst b S 1 der Anlage zu § 2 VersMedV) ist ein schwerbehinderter Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, der infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (zur Anwendbarkeit der Grundsätze und zu normähnlichen Wirkungen wie untergesetzliche Normen vgl zuletzt BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R RdNr 10 mwN; Loytved jurisPR-SozR 12/2015 Anm 3). Für die Bewegungseinschränkung ist nicht die Dauerhaftigkeit entscheidend (Loytved jurisPR-SozR 12/2015 Anm 3 mwN; anders bei Nachteilsausgleich aG, s Urteil des erkennenden Senats vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/14 R RdNr 16 f). Bei der Prüfung der Frage, ob die weiteren Voraussetzungen vorliegen, kommt es zudem nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - dh altersunabhängig von nicht behinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden (Teil D Nr 1 Buchst b S 2 AnlVersMedV). Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (Teil D Nr 1 Buchst b S 3, 4 AnlVersMedV). Nähere Umschreibungen für einzelne Krankheitsbilder und Behinderungen enthalten darüber hinaus Teil D Nr 1 Buchst d, e und f AnlVersMedV. Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind danach ua als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen (Teil D Nr 1 Buchst d S 1). Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen (Teil D Nr 1 Buchst d S 3), die ebenfalls mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten sind. Besonderheiten gelten für hirnorganische Anfälle (Teil D Nr 1 Buchst e) und Orientierungsstörungen infolge von Sehstörungen, Hörstörungen oder geistiger Behinderung (Teil D Nr 1 Buchst f), die grundsätzlich nur ab einem Behinderungsgrad von wenigsten 70 Merkzeichenrelevanz entfalten. Weder das eine noch das andere in Teil D Nr 1 AnlVersMedV konkret gelistete Krankheitsbild liegt - wovon das LSG zutreffend ausgegangen ist - bei der Klägerin vor.

18

b) Psychische Störungen, die sich spezifisch auf das Gehvermögen auswirken, können zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen, auch wenn sie Anfallsleiden oder Orientierungsstörungen nicht gleichzusetzen sind. Dies ergibt sich aus Folgendem:

19

Anspruch auf den Nachteilsausgleich G hat über die genannten Regelbeispiele hinausgehend auch der schwerbehinderte Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falles aufgrund anderer Erkrankungen mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke (vgl zur "Generalklausel" Löbner Sozialrecht aktuell 2015, 5, 8) dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis gleichzustellen ist. Teil D Nr 1 AnlVersMedV enthält keine abschließende Listung in Betracht kommender Behinderungen aus dem Formenkreis einzelner medizinischer Fachrichtungen, sondern erfasst etwa auch psychische Behinderungen. Dies legt schon der - noch der gesetzlichen Altregelung in § 60 Abs 1 S 1 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) aF entsprechende - Wortlaut(Teil D Nr 1 Buchst b S 1 AnlVersMedV: "Einschränkung des Gehvermögens, auch durch…") nahe, der mit der Regelung in § 146 Abs 1 S 1 SGB IX trotz der zum 1.7.2001 eingefügten Klammer übereinstimmt ("Einschränkung des Gehvermögens (auch durch…)"; vgl BT-Drucks 14/5074 S 115). Zwar hat der erkennende Senat die inhaltgleiche Umschreibung der in Betracht kommenden Behinderungen in § 60 Abs 1 S 1 SchwbG aF in seiner Entscheidung vom 10.5.1994 als abschließend betrachtet und psychisch erkrankte Personen, deren Leiden nicht mit "Anfällen" gleichzusetzen ist und nicht zu Störungen der Orientierungsfähigkeit führt, sondern nur zB mit Verstimmungen, Antriebsminderung und Angstzuständen ohne Betroffenheit des Gehvermögens einhergeht, nicht in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr als erheblich beeinträchtigt angesehen (BSG Beschluss vom 10.5.1994 - 9 BVs 45/93). Zugrunde lag der Entscheidung die besondere Fallgestaltung einer starken Antriebsminderung, deretwegen es bei Spaziergängen in Begleitung des Ehemannes gelegentlich zu - überwindbaren - Bewegungsstopps kam.

20

Der Senat hat andererseits schon damals hervorgehoben, dass mit dem Kriterium des "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigten Personenkreises" in §§ 59, 60 SchwbG aG der Kreis der Begünstigten gegenüber den "erheblich gehbehinderten Körperbehinderten, Beschädigten und Verfolgten" iS des früheren § 2 Abs 1 Nr 2, 4 und 6, Abs 2 Gesetz über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie anderen Behinderten vom 27.8.1965 (BGBl I 978; zur Verfassungsmäßigkeit BVerfGE 39, 148) gerade erweitert werden und auf alle Schwerbehinderten ohne Rücksicht auf die Ursache ihrer Behinderung erstreckt werden sollte (BT-Drucks 8/2453 S 9, 10). Hiervon ausgehend hat er in seiner späteren Entscheidung vom 13.8.1997 die in Ziff 30 Abs 3 bis 5 der AHP 1983 (ebenso AHP 1996 oder auch zuletzt 2008) beschriebenen und Teil D Nr 1 Buchst d bis f AnlVersMedV entsprechenden Behinderungen und Krankheitsbilder in Parallele zur Vorgehensweise bei der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs aG (hierzu jetzt Teil D Nr 3 AnlVersMedV; Votum zu B 9 SB 2/14 R) als Regelfälle typisiert und diese Typisierung später bestätigt (BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 7/06 R - SozR 4-3250 § 146 Nr 1 RdNr 12). Bei diesen Regelfällen sind nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das Merkzeichen G als erfüllt anzusehen. Dort nicht erwähnte Behinderungen sind aber keineswegs ausgeschlossen.

21

Der umfassende Behindertenbegriff iS des § 2 Abs 1 S 1 SGB IX gebietet im Lichte des verfassungsrechtlichen als auch des unmittelbar anwendbaren UN-konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots(Art 3 Abs 3 S 2 GG; Art 5 Abs 2 UN-BRK, hierzu BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 RdNr 31) die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen. Den nicht erwähnten Behinderungen sind die Regelbeispiele als Vergleichsmaßstab zur Seite zu stellen. Anspruch auf Nachteilsausgleich G hat deshalb auch ein schwerbehinderter Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falles aufgrund anderer Erkrankungen als den in Teil D Nr 1 Buchst d bis f AnlVersMedV genannten Regelfällen dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion gleichzustellen ist (vgl BSG Urteil vom 13.8.1997 - 9 RVs 1/96 - SozR 3-3870 § 60 Nr 2). Dies gilt auch für psychosomatische oder psychische Behinderungen und Krankheitsbilder, wie das der Entscheidung vom 13.8.1997 ua zugrunde liegende Schmerzsyndrom oder das hier im Falle der Klägerin bestehende Fibromyalgie-Syndrom und die damit einhergehende Schmerzproblematik.

22

Schwerbehinderte Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen hat der Senat schon in der Vergangenheit von der Vergünstigung des Nachteilsausgleichs G nicht generell ausgeschlossen, sondern lediglich psychische Beeinträchtigungen, durch welche die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sein kann, ohne dass das Gehvermögen betroffen ist, auf eine Vergleichbarkeit mit den Regelfällen bei Anfällen und Störungen der Orientierungsfähigkeit beschränkt (BSG Beschluss vom 10.5.1994 - 9 BVs 45/93 - Juris; zu Schmerzattacken etwa Hessisches LSG Urteil vom 17.2.1998 - L 4 SB 1351/95 - Juris). Für psychische Beeinträchtigungen, die sich spezifisch auf das Gehvermögen auswirken, gilt diese Beschränkung indessen nicht. In solchen Fällen sind auch andere Regelbeispiele als Vergleichsmaßstab in Betracht zu ziehen (vgl auch LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.1.2014 - L 13 SB 51/12 - Juris RdNr 19; Vogl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. Aufl 2015, SGB IX § 146 RdNr 16; Masuch in Hauck/Noftz, Stand 4/15, SGB IX, § 146 RdNr 50).

23

Der Verordnungsgeber ist allerdings für künftige Fälle nicht daran gehindert, die Voraussetzungen des Merkzeichens G dadurch einzuschränken, dass er für Fälle psychischer Gehbehinderungen einen Einzel-GdB von zB 70 verlangt.

24

c) Durch die psychische Erkrankung liegen bei der Klägerin gleich schwere Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke vor wie bei dem in Teil D Nr 1 Buchst d AnlVersMedV beispielhaft aufgeführten Personenkreis.

25

Entsprechend der vom Gesetz geforderten doppelten Kausalität (s oben II.2.) ist Ursache der beeinträchtigten Bewegungsfähigkeit eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen und diese Behinderung schränkt sein Gehvermögen ein (vgl BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 7/06 R - SozR 4-3250 § 146 Nr 1 RdNr 12). Nach den Feststellungen des LSG steht fest, dass die Klägerin wegen ihrer psychischen Behinderung durch das Fibromyalgie-Syndrom, die somatoforme Störung und Schmerzproblematik schwerbehindert ist, die psychische Behinderung sich unmittelbar auf das Gehvermögen auswirkt, und die Klägerin deswegen eine im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückzulegende Wegstrecke von etwa zwei Kilometern in 30 Minuten nicht zurücklegen kann. Der Beklagte hat gegen die bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG)keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben.

26

Soweit der Beklagte meint, die Einschränkung der Gehstrecke beruhe bei der Klägerin allein auf einer subjektiven Prognose, ist eine Überschreitung der Grenzen der Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl dazu BSGE 94, 133, 137 RdNr 18 mwN; BSG Urteil vom 14.12.2011 - B 5 R 2/11 R - Juris RdNr 20) auch nicht sinngemäß dargetan. Weder zeigt der Beklagte auf noch ist sonst ersichtlich, dass ein (medizinischer) Erfahrungssatz zu psychischen Gangstörungen oder in Bezug auf die Messung der relevanten Wegstrecke (hierzu die Äußerung des Sachverständigenbeirats, zitiert nach Schillings/Wendler Versorgungsmedizinische Grundsätze, 6. Aufl S 346) existiert, mit dem die Beweiswürdigung des LSG nicht in Einklang steht. Im Übrigen hat sich das LSG mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen der eingeholten Sachverständigengutachten auseinandergesetzt und sich frei von Denkfehlern überzeugt, dass das vom Sachverständigen Dr. Brodersen herausgefilterte subjektive Gefühl der Klägerin, nicht mehr als 400 m laufen zu können, Ausdruck ihrer unstreitig schweren psychischen Beeinträchtigung ist und deshalb in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. Schwinning nicht vor dem Hintergrund einer organisch bedingten Gehstörung betrachtet werden könne.

27

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Der Nachweis der erheblichen Beeinträchtigung in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr kann bei schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 80 nur mit einem Ausweis mit halbseitigem orangefarbenem Flächenaufdruck und eingetragenem Merkzeichen „G“ geführt werden, dessen Gültigkeit frühestens mit dem 1. April 1984 beginnt, oder auf dem ein entsprechender Änderungsvermerk eingetragen ist.

(2) Zur Mitnahme einer Begleitperson sind schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Die Feststellung bedeutet nicht, dass die schwerbehinderte Person, wenn sie nicht in Begleitung ist, eine Gefahr für sich oder für andere darstellt.

(3) Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt.

(1) Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Straßenbahnen und Obussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt, es sei denn, dass bei den Verkehrsformen nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beförderungsentgelte gemäß § 45 Absatz 3 des Personenbeförderungsgesetzes ganz oder teilweise verzichtet hat,
3.
S-Bahnen in der 2. Wagenklasse,
4.
Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind,
5.
Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs),
6.
sonstigen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der 2. Wagenklasse auf Strecken, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht überschreitet,
7.
Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinander grenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.

(2) Fernverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach § 42a Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Eisenbahnen, ausgenommen der Sonderzugverkehr,
3.
Wasserfahrzeugen im Fähr- und Übersetzverkehr, sofern keine Häfen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Buches angelaufen werden, soweit der Verkehr nicht Nahverkehr im Sinne des Absatzes 1 ist.

(3) Die Unternehmer, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, weisen im öffentlichen Personenverkehr nach Absatz 1 Nummer 2, 5, 6 und 7 im Fahrplan besonders darauf hin, inwieweit eine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 228 Absatz 1 nicht besteht.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 2010 geändert und festgestellt, dass der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 1. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2006 rechtswidrig gewesen ist.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike.

2

Die 1987 geborene Klägerin leidet an einer angeborenen Spaltbildung der Wirbelsäule (spina bifida) mit Paraparese der Beine. Sie ist mit einem manuell zu bewegenden Rollstuhl (Aktivrollstuhl) versorgt. Im Januar 2006 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines vom Sanitätshaus D. erstellten Angebots und einer das Begehren befürwortenden ärztlichen Bescheinigung die Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike zum Preis von 3323,83 Euro. Die Beklagte lehnte den Leistungsantrag mit der Begründung ab, das begehrte Hilfsmittel sei zum Ausgleich einer Behinderung nicht erforderlich (Bescheid vom 1.2.2006; Widerspruchsbescheid vom 11.7.2006).

3

Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin mit einem Hand-Bike gemäß dem Kostenvoranschlag des Sanitätshauses D. vom 31.1.2006 iVm der ärztlichen Verordnung der Dres. B. vom 20.1.2006 zu versorgen (Urteil vom 10.9.2008). Diese Versorgung sei nach dem eingeholten Sachverständigengutachten erforderlich, um einer weiteren Überlastung des Schulter-Ellenbogenbereichs durch die Verwendung des Aktivrollstuhls vorzubeugen. Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.6.2010): Das Rollstuhl-Bike sei zur Gewährleistung des allgemeinen Grundbedürfnisses auf Mobilität und auf Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums iS des in die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) fallenden Basisausgleichs (Nahbereich der Wohnung) nicht erforderlich. Der Nahbereich der Wohnung beschreibe den Radius, den sich ein behinderter Versicherter mittels eines Aktivrollstuhls erschließen können müsse. Dieser Radius könne unter Rückgriff auf den für die rentenversicherungsrechtliche Wegefähigkeit geltenden Grenzwert von 500 m konkretisiert werden. Die Klägerin sei nach den gutachterlichen Feststellungen in der Lage, eine über 500 m liegende Wegstrecke in einem zeitlichen Rahmen von 20 Minuten mit dem Aktivrollstuhl zu bewältigen. Dies sei zur Verwirklichung des Grundbedürfnisses auf Mobilität ausreichend.

4

Die Klägerin hat ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten zum 30.6.2010 gekündigt und ist seit dem 1.7.2010 Mitglied der Techniker-Krankenkasse (TKK).

5

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Das Rollstuhl-Bike sei im vorliegenden Einzelfall sowohl zur Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (§ 33 Abs 1 Satz 1 Variante 1 SGB V)als auch zum Ausgleich einer Behinderung (§ 33 Abs 1 Satz 1 Variante 3 SGB V)erforderlich, weil durch die Nutzung des Rollstuhl-Bikes zum einen das Fortschreiten der degenerativen Veränderungen im Bereich der oberen Extremitäten verhindert und zum anderen die Erschließung des Nahbereichs und somit die Verwirklichung eines allgemeinen Grundbedürfnisses sichergestellt werde. Der Nahbereich könne mit dem vorhandenen Aktivrollstuhl nur unter Schmerzen und übermäßigen Anstrengungen erschlossen werden. Die abweichende Beurteilung des Anspruchs durch das LSG beruhe auf einer unzulässigen Übertragung des für die rentenversicherungsrechtliche Wegefähigkeit geltenden Maßstabes. Die Leistungspflicht der Beklagten werde auch nicht durch den nach Abschluss der letzten Tatsacheninstanz vorgenommenen Krankenkassenwechsel (KK-Wechsel) berührt, weil sie das ihr in Bezug auf die Hilfsmittelversorgung zustehende Wahlrecht bereits konkretisiert habe.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 2010 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 10. September 2008 zurückzuweisen;
hilfsweise,
die Techniker-Krankenkasse gemäß § 75 Abs 2, 2. Alt iVm § 168 Satz 1, 2. Alt SGG beizuladen, die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 2010 und des Sozialgerichts Köln vom 10. September 2008 zu ändern und die Beigeladene zu verurteilen, die Klägerin mit einem Rollstuhl-Bike zu versorgen;
weiter hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 2010 zu ändern und festzustellen, dass der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 1. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2006 rechtwidrig gewesen ist.

7

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Berufungsurteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist nach Maßgabe des zweiten Hilfsantrages begründet (dazu unter C.). Hinsichtlich der mit dem Hauptantrag begehrten Verurteilung der Beklagten zur Gewährung eines Rollstuhl-Bikes als Sachleistung ist die Revision hingegen unbegründet, weil die Beklagte aufgrund des KK-Wechsels ab dem 1.7.2010 nicht mehr zur Leistung verpflichtet ist (dazu unter A.). Bezüglich des ersten Hilfsantrages ist die Revision ebenfalls unbegründet, da die ab dem 1.7.2010 für die Klägerin zuständige TKK nicht zum Verfahren beizuladen war (dazu unter B.).

9

A. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht einen gegen die Beklagte gerichteten Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike abgelehnt. Ausschlaggebend für den fehlenden Leistungsanspruch ist jedoch nicht - wie vom LSG angenommen - das Fehlen der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V, sondern der Umstand, dass die Leistungspflicht der Beklagten nach Verkündung des LSG-Urteils aufgrund der Kündigung des klägerischen Mitgliedschaftsverhältnisses am 30.6.2010 erloschen ist.

10

Diese Bindung der Leistungspflicht an die Mitgliedschaft ergibt sich aus § 19 Abs 1 Halbs 1 SGB V, wonach der Anspruch auf Leistungen mit dem Ende der Mitgliedschaft erlischt. Die Vorschrift erfasst nicht nur das Ausscheiden aus der GKV schlechthin, sondern auch die Fälle des KK-Wechsels (BSGE 99, 102 = SozR 4-2500 § 19 Nr 4 RdNr 12 mwN). § 19 Abs 1 SGB V gilt auch für einmalige Leistungen(BSGE 90, 220, 229 = SozR 4-2500 § 33 Nr 1 S 11 mwN). Maßgebend für die Leistungspflicht ist in diesen Fällen die im Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungserbringung, dh der Abgabe des Hilfsmittels, bestehende Mitgliedschaft (BSGE 90, 220, 229 f = SozR 4-2500 § 33 Nr 1 S 11), so dass die Beklagte vorliegend ab dem 1.7.2010 nicht mehr zur Gewährung des Rollstuhl-Bikes verurteilt werden kann.

11

Für einen Leistungsanspruch nach beendeter Mitgliedschaft (sog nachgehender Leistungsanspruch) bestehen keine gesetzlichen Anknüpfungspunkte. Nachgehende Leistungsansprüche sind als Ausnahme von der das Versicherungsprinzip zum Ausdruck bringenden Regel des § 19 Abs 1 Halbs 1 SGB V grundsätzlich nur zulässig, wenn sie im SGB V bestimmt sind(§ 19 Abs 1 Halbs 2 SGB V). Entsprechende Bestimmungen finden sich ua in § 19 Abs 2 und 3 SGB V, deren Voraussetzungen hier aber nicht vorliegen. Darüber hinaus sind Abweichungen nur gestattet, wenn ein nachgehender Leistungsanspruch zum Schutz des Versicherten erforderlich ist. Eine solche besondere Schutzbedürftigkeit ist allerdings nicht schon dann anzunehmen, wenn der Versicherte sein Wahlrecht auf ein bestimmtes Hilfsmittel konkretisiert und die frühere Krankenkasse (KK) den geltend gemachten Versorgungsanspruch zu Unrecht abgelehnt hat, sich mit der Leistungserbringung also im Verzug befindet. Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 23.1.2003 (B 3 KR 7/02 R - BSGE 90, 220, 229 f = SozR 4-2500 § 33 Nr 1 S 10 f) in einer entsprechenden Fallkonstellation einen nachgehenden Leistungsanspruch bejaht hat, wird diese Rechtsprechung im Hinblick auf die Zweckbestimmung des § 19 SGB V nicht fortgeführt.

12

Mit der Einführung des § 19 SGB V durch das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20.12.1988 (BGBl I 2477) wollte der Gesetzgeber die bis zu diesem Zeitpunkt nach den Vorschriften der RVO und deren Auslegung durch die Rechtsprechung bestehende Vielzahl nachgehender Leistungsansprüche (dazu Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, § 19 RdNr 36 f mwN) auf ein "vertretbares Maß" zurückführen (BT-Drucks 11/2237 S 166). Zu diesem Zweck hat er das bis zum 31.12.1988 zugunsten nachgehender Leistungsansprüche bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt, so dass nunmehr das Versicherungsprinzip gilt (§ 19 Abs 1 Halbs 1 SGB V), von dem nur in eng begrenzten und gesetzlich geregelten Ausnahmefällen (§ 19 Abs 1 Halbs 2 iVm Abs 2 und 3 SGB V) abgewichen werden darf. Von dieser Zielsetzung ausgehend können zusätzlich zu den gesetzlich geregelten, aber vorliegend nicht einschlägigen nachgehenden Leistungsansprüchen nur weitere Ausnahmen vom Versicherungsprinzip anerkannt werden, wenn eine den gesetzlich normierten Ausnahmetatbeständen (§ 19 Abs 2 und 3 SGB V) vergleichbare Interessenlage besteht. Diese ist durch eine Versicherungsnähe in zeitlicher Hinsicht, eine besondere Schutzbedürftigkeit des Versicherten und die Beendigung der Mitgliedschaft durch plötzliche, unvorhersehbare und unvermeidbare Umstände (Noftz aaO RdNr 24 f) gekennzeichnet, wobei die für einen nachgehenden Leistungsanspruch notwendige besondere Schutzbedürftigkeit des Versicherten nur vorliegt, wenn ein solcher Anspruch erforderlich ist, um Lücken im Versicherungsschutz zu vermeiden (BT-Drucks 11/2237 S 166). Bei einem KK-Wechsel besteht - zumindest in den ersten Monaten nach dem Ende der Mitgliedschaft bei der alten KK - noch eine gewisse Nähe zu dem alten Versicherungsverhältnis. Allerdings bedarf der Versicherte in diesen Fällen - anders als in den Fällen der beendeten Mitgliedschaft - nicht des Schutzes durch einen nachgehenden Leistungsanspruch, soweit er die Möglichkeit hat, den primären Anspruch gegenüber der neuen KK geltend zu machen; die Gefahr einer Versicherungslücke besteht dann nicht. Dies gilt auch, wenn das gegen die alte KK gerichtete Leistungsbegehren bereits Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens ist, weil die vom Versicherten erworbenen "Prozessfrüchte" mit einer gegen die alte KK gerichteten Fortsetzungsfeststellungsklage gesichert werden können. Zudem wird die Mitgliedschaft bei einem KK-Wechsel nicht - wie in den Fallkonstellationen des § 19 Abs 2 und 3 SGB V - durch ein unvorhersehbares und unvermeidbares Ereignis beendet, sondern ist in der Regel auf eine bewusste und geplante Entscheidung des Versicherten zurückzuführen.

13

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die der Entscheidung des 3. Senats vom 23.1.2003 (BSGE 90, 220, 229 f = SozR 4-2500 § 33 Nr 1 S 10 f) zugrunde liegende Fallkonstellation vom Gesetzgeber übersehen wurde und somit eine planwidrige Regelungslücke besteht, die im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung geschlossen werden könnte. Die in § 19 Abs 2 und 3 SGB V geregelten Ausnahmetatbestände lassen vielmehr erkennen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer fortwirkenden Leistungspflicht in Erwägung gezogen, sie aber nur in sachlich und zeitlich eng begrenzten Fällen für zulässig erachtet hat.

14

B. Die Klägerin kann im vorliegenden Verfahren auch keinen Anspruch auf die Gewährung eines Rollstuhl-Bikes durch die ab dem 1.7.2010 zuständige TKK geltend machen, weil diese weder am Rechtsstreit beteiligt ist noch - im Wege der notwendigen Beiladung - hätte beteiligt werden müssen.

15

1. Die ab dem 1.7.2010 für die Klägerin zuständige TKK ist nicht im Wege eines gesetzlichen Beteiligtenwechsels an die Stelle der bis zum 30.6.2010 für den klägerischen Anspruch zuständigen Beklagten getreten. Ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel auf Seiten einer juristischen Person oder Behörde (sog Funktionsnachfolge) liegt nur vor, wenn aufgrund eines nach Klageerhebung erfolgten gesetzlichen oder behördlichen Organisationsaktes eine andere als die zunächst beklagte juristische Person bzw Behörde zuständig wird (vgl zur Funktionsnachfolge: BSGE 99, 15 = SozR 4-3300 § 55 Nr 1 RdNr 12; BSGE 62, 269, 270 ff = SozR 1200 § 48 Nr 14 S 71 ff; BVerwGE 44, 148, 150 f; BFHE 200, 521, 523 f). Ein der Funktionsnachfolge vergleichbarer Übergang von Verwaltungsaufgaben liegt dagegen nicht vor, wenn lediglich die Zuständigkeit aufgrund der Ausübung eines dem Versicherten gesetzlich zustehenden Wahlrechts im Einzelfall wechselt.

16

2. Die TKK war auch nicht zum vorliegenden Rechtsstreit notwendig beizuladen. Zwar kommt deren Leistungspflicht für das bei der Beklagten beantragte, aber von dieser tatsächlich nicht gewährte und nach § 19 Abs 1 Halbs 1 SGB V rechtlich auch nicht mehr zu gewährende Rollstuhl-Bike aufgrund des zum 1.7.2010 vorgenommenen KK-Wechsels ernsthaft in Betracht, so dass die Voraussetzungen für eine notwendige unechte Beiladung nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG grundsätzlich erfüllt sind. Gleichwohl bestand für den Senat keine Veranlassung, die ab dem 1.7.2010 zuständige TKK - mit deren Zustimmung (§ 168 Satz 2 Alt 2 SGG) - im Revisionsverfahren beizuladen. § 168 Abs 2 Alt 2 SGG berechtigt unter Berücksichtigung des Normzwecks nur zur Nachholung einer in der Vorinstanz versäumten notwendigen Beiladung (sog vergessene Beiladung), wohingegen es dem Revisionsgericht verwehrt ist, insoweit Tatsachen zu berücksichtigen, die erst nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz entstanden sind und bei fortgesetztem Berufungsverfahren eine notwendige Beiladung bedingt hätten. Denn durch die mit dem Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 (BGBl I 50) eingefügte Möglichkeit einer revisionsgerichtlichen Beiladung soll im Interesse der Verfahrenskonzentration die Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz allein wegen einer unterbliebenen Beiladung vermieden werden (BT-Drucks 12/1217 S 54).

17

Vor diesem Hintergrund darf das Revisionsgericht eine Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG mit Zustimmung des Beizuladenden nur vornehmen, wenn die Beiladung in der Vorinstanz verfahrensfehlerhaft unterblieben ist, denn nur dann wäre eine mögliche Zurückverweisung gerechtfertigt. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Aufgrund des erst nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG erfolgten KK-Wechsels konnte das LSG die Beiladung weder während des Berufungsverfahrens vornehmen noch durfte es diese nach dem Erlass seines Urteils nachholen. Zwar ist eine Beiladung grundsätzlich in jeder Lage des Verfahrens und somit auch in der Zeit nach der Verkündung des Urteils bis zu seiner Zustellung (BSG SozR 3-5420 § 3 Nr 2 S 7; BSG SozR 1500 § 62 Nr 6 S 5) oder dem Eintritt der Rechtskraft bzw der Einlegung eines Rechtsmittels möglich (BFH Urteil vom 9.7.1992 - IV R 55/90 - BFH/NV 1993, 81 mwN; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl, § 75 RdNr 5b). Ob diese Rechtsauffassung wegen der erforderlichen Gewährung rechtlichen Gehörs in der Tat zutreffend ist, mag bezweifelt werden können; dies braucht aber vorliegend nicht entschieden zu werden. Denn eine Beiladung nach Erlass des Urteils ist bislang höchstrichterlich nur für zulässig erachtet worden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung bereits vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung vorgelegen hatten, die rechtzeitige Beiladung mithin pflichtwidrig unterlassen und somit nachgeholt wurde (vgl BSG aaO und BFH aaO). Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht der Fall.

18

Eine Beiladung im hiesigen Verfahren würde zudem gegen § 163 SGG verstoßen und somit in einem nicht zulässigen Wertungswiderspruch zu den Grundsätzen des Revisionsverfahrens stehen(vgl dazu BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2, RdNr 11). Die Notwendigkeit der Beiladung ergibt sich vorliegend erst aus dem zum 1.7.2010 vorgenommenen KK-Wechsel und somit aus einer Tatsache, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz eingetreten und daher vom Revisionsgericht nicht zu berücksichtigen ist. Soweit das LSG den KK-Wechsel in seinem Urteil als Tatsache genannt hat, handelt es sich um eine Feststellung, die es außerhalb des ihm zustehenden Bewertungsrahmens getroffen hat und die das Revisionsgericht nicht bindet, denn das LSG darf bei einer aufgrund mündlicher Verhandlung unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter getroffenen Entscheidung nur den Tatsachenstoff berücksichtigen, der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist (Grundsatz der Unmittelbarkeit, vgl §§ 124 Abs 1 und 129 SGG).

19

Der KK-Wechsel ist letztlich auch keine Tatsache, die der Senat von Amts wegen zu berücksichtigen hat. Von Amts wegen und somit ohne Verstoß gegen § 163 SGG zu berücksichtigen sind generelle und solche Tatsachen, die für die Zulässigkeit der Revision von Bedeutung sind, sowie solche, deren Nichtbeachtung zu einem fortwirkenden Verstoß gegen einen im öffentlichen Interesse liegenden verfahrensrechtlichen Grundsatz führt(Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO § 163 RdNr 5b und 7 mwN). Zu letzteren zählen ua die Prozessvoraussetzungen betreffende Tatsachen. Daher hat der Senat den KK-Wechsel insoweit zu berücksichtigen, als dieser für die Zulässigkeit der gegen die Beklagte gerichteten Klage (dazu unter C.) und somit für das streitgegenständliche Rechtsverhältnis von Bedeutung ist, nicht hingegen in Bezug auf ein neues und bisher nicht streitgegenständliches Rechtsverhältnis.

20

C. Das mit dem zweiten Hilfsantrag verfolgte Klagebegehren ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (dazu unter 1. und 2.) und begründet (dazu unter 3.).

21

1. Mit dem KK-Wechsel haben sich die angefochtenen Bescheide der Beklagten auf andere Weise erledigt (§ 131 Abs 1 Satz 3 SGG iVm § 39 Abs 2 SGB X), weil die Beklagte aufgrund der Regelung des § 19 Abs 1 SGB V ab dem 1.7.2010 rechtlich nicht mehr zur Erbringung der von der Klägerin begehrten Leistung verpflichtet ist (vgl unter A.). Daher ist mit dem KK-Wechsel das für die Fortführung der ursprünglich zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage notwendige Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Dem hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat durch eine Umstellung der Klageanträge Rechnung getragen. Die Umstellung einer Anfechtungs- und Leistungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist keine Klageänderung und daher auch im Revisionsverfahren statthaft - § 99 Abs 3 Nr 3 iVm § 168 Satz 1 Alt 1 SGG (vgl dazu BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 14 mwN). § 131 Abs 1 Satz 3 SGG gilt entsprechend für die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (BSGE 78, 243, 249 = SozR 3-2500 § 109 Nr 2 S 18).

22

2. Das für die Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche besondere Interesse der Klägerin an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 1.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.7.2006 besteht unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität und der Wiederholungsgefahr. Auf diese Aspekte kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse gestützt werden, wenn die begehrte Feststellung unmittelbar bindend für ein anderes gerichtliches oder behördliches Verfahren ist (rechtliche Präjudizialität - vgl dazu Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl 2009 § 113 RdNr 140) bzw ihr eine natürliche Autorität für ein anderes Rechtsverhältnis zukommt (tatsächliche Präjudizialität - Kopp/Schenke aaO; vgl auch BFHE 108, 92, 95) oder wenn die hinreichend bestimmte Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 4 RdNr 7 mwN). Auf diese Weise sollen erreichte Verfahrenergebnisse gesichert und Folgeprozesse vermieden werden (Kopp/Schenke aaO RdNr 96). Vorliegend kann durch die begehrte Feststellung mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Folgeprozess über den Versorgungsanspruch vermieden werden, denn die im hiesigen Verfahren streitige materiell-rechtliche Frage ist auch für das gegenüber der neuen KK bestehende Mitgliedschaftsverhältnis von Bedeutung. Unerheblich ist dabei, dass infolge des erledigenden Ereignisses nunmehr eine andere Behörde für die Entscheidung über einen künftigen Antrag zuständig ist (so auch BVerwG Urteil vom 27.9.1993 - 1 B 73/93 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr 261; BVerwG Urteil vom 31.3.1987 - 1 C 32/84 - NJW 1987, 2179). Vielmehr ist angesichts der Bedeutung höchstrichterlicher Entscheidungen für die Rechtsfortbildung davon auszugehen, dass sich die neue KK als an Recht und Gesetz gebundene Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 4 Abs 1 SGB V iVm Art 20 Abs 3 GG) den Gründen eines obsiegenden Feststellungsurteils nicht verschließen wird. Darüber hinaus haben die Vorinstanzen in Bezug auf den klägerischen Anspruch Tatsachen ermittelt, die als "erworbene Prozessfrüchte" nicht verloren gehen, sondern die Grundlage für eine mit entsprechender "natürlicher Autorität" ausgestatteten Entscheidung bilden sollen.

23

3. Das zulässige Fortsetzungsfeststellungsbegehren ist auch begründet. Die Klägerin hatte unter Zugrundelegung der vom LSG festgestellten Tatsachen bis zum 30.6.2010 einen gegen die Beklagte gerichteten Anspruch auf Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike als Hilfsmittel der GKV. Der diesen Anspruch ablehnende Bescheid der Beklagten vom 1.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.7.2006 war daher rechtswidrig.

24

a) Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 33 Abs 1 SGB V in der zum Zeitpunkt der Erledigung(zur maßgebenden Sach- und Rechtslage bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO § 131 RdNr 10i; Kopp/Schenke aaO § 113 RdNr 124, 147) geltenden Fassung des Art 1 Nr 17a Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I 378). Danach haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung im Hinblick auf die "Erforderlichkeit im Einzelfall" nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die KK gemäß § 12 Abs 1 SGB V nicht bewilligen.

25

Ein gegen die Beklagte gerichteter Anspruch auf Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike als Hilfsmittel der GKV (dazu unter b) bestand bis zum 30.6.2010 unter dem Gesichtspunkt des Behinderungsausgleichs (dazu unter d), so dass über die Frage der Erforderlichkeit des Hilfsmittels zur Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung nicht abschließend entschieden werden muss (dazu unter c).

26

b) Dem Rollstuhl-Bike kann in Bezug auf erwachsene Versicherte nicht bereits - wie vom LSG angedeutet, aber mangels Entscheidungsrelevanz offen gelassen - die Eigenschaft als Hilfsmittel abgesprochen werden. Hilfsmittel iS von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V sind alle sächlichen Mittel, die den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern, einer drohenden Behinderung vorbeugen oder eine bestehende Behinderung ausgleichen, selbst dann, wenn ihre Anwendung durch den Versicherten selbst sicherzustellen ist(BSGE 88, 204 = SozR 3-2500 § 33 Nr 41; BSGE 87, 105, 108 f = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 5; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 39 S 220). Diese Voraussetzungen erfüllt das Rollstuhl-Bike, denn die Hilfsmitteleigenschaft wird allein nach objektiven Kriterien bestimmt. Personenbezogene Merkmale - wie zB das Alter des Versicherten - sind hierfür nicht maßgeblich. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Senatsentscheidung vom 16.9.1999 (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31), wonach "ein Rollstuhl-Bike für Personen im Erwachsenenalter kein Hilfsmittel der gesetzlichen KV" ist. Mit dieser Aussage wollte der Senat nicht die Hilfsmitteleigenschaft des Rollstuhl-Bikes für erwachsene Versicherte in Frage stellen, sondern dessen Eignung und Erforderlichkeit zur Erreichung der Versorgungsziele des § 33 SGB V im Einzelfall beurteilen.

27

c) Ob das Rollstuhl-Bike als Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (§ 33 Abs 1 Satz 1 Variante 1 SGB V) erforderlich war, kann anhand der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden.

28

Der Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung dient ein sächliches Mittel, soweit es spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Dabei kommt nur solchen Maßnahmen zur körperlichen Mobilisation ein Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung iS von § 27 SGB V zu, die in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche oder ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und für die gezielte Versorgung iS der Behandlungsziele des § 27 SGB V als erforderlich anzusehen sind(BSG vom 7.10.2010 - B 3 KR 5/10 R - Therapiedreirad - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 21). Diese Voraussetzungen liegen bei einer Hilfe zur körperlichen Betätigung vor, wenn der Versicherte aufgrund der Schwere der Erkrankung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der physikalischen Therapie hat und die durch das beanspruchte Hilfsmittel unterstützte eigene körperliche Betätigung diese Therapie entweder wesentlich fördert oder die Behandlungsfrequenz infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann (BSG aaO). Bei der Klägerin bestehen neben der Gehbehinderung degenerativ bedingte Beschwerden und Funktionsstörungen im Bereich der oberen Extremitäten, die krankengymnastisch behandelt werden. Die Frage, ob diese Krankengymnastik durch die Verwendung eines Rollstuhl-Bikes wesentlich gefördert oder die Behandlungsfrequenz reduzieren wird, kann anhand der getroffenen Feststellungen nicht abschließend beantwortet werden. Zwar hat das LSG festgestellt, dass die verordnete Krankengymnastik im Vergleich zu den mit der Nutzung des Rollstuhl-Bikes verbundenen gesundheitlichen Vorteilen ausreichend und sogar besser geeignet ist, um Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung eines behinderten Menschen zu erreichen. Allerdings bleibt offen, auf welche medizinische Tatsachen das LSG diese Feststellung stützt, zumal sie im Widerspruch zu den gutachterlichen Feststellungen steht. Nach Auffassung des Sachverständigen ersetzt ein Rollstuhl-Bike zwar nicht die aufgrund der degenerativen Erkrankung der oberen Extremitäten erforderliche Krankengymnastik, ermöglicht aber wegen der Verringerung der Schmerzsituation im Bereich des Schultergürtels dessen intensivere krankengymnastische Beübung und kann ein Fortschreiten der Veränderungen erheblich verringern. Soweit das LSG diesen medizinischen Tatsachen offensichtlich nicht folgt, wären weitere Ermittlungen erforderlich gewesen.

29

d) Diese unzureichenden Ermittlungen führen gleichwohl nicht zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, weil der von der Klägerin geltend gemachte Versorgungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Behinderungsausgleichs (§ 33 Abs 1 Satz 1 Variante 3 SGB V) begründet ist. Zwar ist ein Rollstuhl-Bike grundsätzlich nicht zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich, weil es dem Versicherten eine Mobilität ermöglicht, die über den durch Leistungen der GKV zu gewährleistenden Bereich der medizinischen Rehabilitation hinausgeht. Allerdings bestand gleichwohl ein entsprechender Versorgungsanspruch, weil die Behinderung im vorliegenden Einzelfall nicht auf andere Weise zumutbar ausgeglichen werden kann.

30

aa) Der Behinderungsausgleich nach § 33 Abs 1 Satz 1 Variante 3 SGB V umfasst zwei Zielrichtungen:

31

Im Vordergrund steht der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem sog unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts (stRspr, BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 18 mwN - Badeprothese). Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (BSG aaO; vgl auch BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, RdNr 4 mwN - C-leg-Prothese). Die Prüfung, ob mit der vorgesehenen Verwendung ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt in den Fällen der Erst- und Ersatzausstattung, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 18 - Badeprothese).

32

Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen. Im Rahmen dieses sog mittelbaren Behinderungsausgleichs geht es nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl § 1 SGB V, § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (zum mittelbaren Behinderungsausgleich zuletzt: BSG Urteil vom 7.10.2010 - B 3 KR 13/09 R - Scalamobil, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 18 mwN). Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist daher von der GKV nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (stRspr, zuletzt BSG Urteil vom 10.3.2011 - B 3 KR 9/10 R - Barcodelesegerät, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 13 ff mwN). Nach stRspr gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (vgl zuletzt BSG Urteil vom 10.3.2011 aaO und Urteil vom 7.10.2010 - B 3 KR 13/09 R aaO, jeweils mwN).

33

Nach Maßgabe dieser Grundsätze handelt es sich im vorliegenden Fall um den mittelbaren Behinderungsausgleich, weil durch das begehrte Hilfsmittel nicht das Gehen selbst ermöglicht wird, sondern lediglich die Folgen einer Funktionsbeeinträchtigung der Beine - hier in Form des eingeschränkten Geh- und Stehvermögens - ausgeglichen werden sollen.

34

bb) Das hier betroffene Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums umfasst die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und im umliegenden Nahbereich (BSG Urteil vom 7.10.2010 - B 3 KR 13/09 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 20 ff mwN - Scalamobil). Anknüpfungspunkt für die Reichweite des Nahbereichs ist der Bewegungsradius, den ein Nichtbehinderter üblicherweise zu Fuß zurücklegt (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 27 RdNr 15 - Elektrorollstuhl). Dies entspricht dem Umkreis, der mit einem vom behinderten Menschen selbst betriebenen Aktivrollstuhl erreicht werden kann (vgl zu diesem Maßstab BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 28 S 163 - Therapie-Tandem II; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 25 S 141 - Therapie-Tandem I; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 7 S 26 - Rollstuhl-Boy). Die in früheren Entscheidungen angedeutete Möglichkeit, dass "zwischen dem durch einen Selbstfahrrollstuhl regelmäßig eröffneten Freiraum und den Entfernungen, die ein Gesunder auch bei eingeschränktem Gesundheitszustand vor allem im ländlichen Bereich zu Fuß zurücklegt, eine Lücke besteht, die ebenfalls noch den Grundbedürfnissen zuzurechnen ist" (so noch BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 7 S 27 - Rollstuhl-Boy), hat der Senat nicht weiter verfolgt (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 187 - Rollstuhl-Bike II).

35

cc) Für die Bestimmung des Nahbereichs gilt ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger Maßstab (BSGE 102, 90 = SozR 4-2500 § 33 Nr 21, RdNr 14 - Kraftknoten; BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15, RdNr 17 - behinderungsgerechter Pkw). Dem steht weder entgegen, dass nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V Hilfsmittel zu gewähren sind, wenn sie "im Einzelfall erforderlich sind", noch dass nach § 33 SGB I bei der Ausgestaltung von Rechten nach dem SGB "die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten" berücksichtigt werden müssen. Die Frage, ob ein Hilfsmittel der Sicherung menschlicher Grundbedürfnisse dient, betrifft dessen Eignung und Erforderlichkeit zur Erreichung der in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Versorgungsziele. Diese Eignung und Erforderlichkeit zählt ebenso wie die Hilfsmitteleigenschaft und das Nichtvorliegen der in § 33 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB V formulierten Ausschlusstatbestände zu den objektiven, dh unabhängig vom konkreten Einzelfall zu beurteilenden Anspruchsvoraussetzungen. Hierfür ist allein die Zielsetzung des § 33 SGB V und somit die Abgrenzung der Leistungspflicht der GKV von der anderer Träger nach einem abstrakt-aufgabenbezogenen Maßstab ausschlaggebend. Die Erforderlichkeit der Hilfsmittelversorgung "im Einzelfall" ist dagegen - ebenso wie deren Wirtschaftlichkeit - eine subjektbezogene Anspruchsvoraussetzung, die nach einem konkret-individuellen Maßstab beurteilt wird. Der in § 33 SGB I normierte Individualisierungsgrundsatz ist für den die Anspruchsvoraussetzungen des § 33 SGB V betreffenden Nahbereich bereits deshalb ohne Bedeutung, weil er ausschließlich für die Ausgestaltung sozialer Rechte gilt, seine Anwendung mithin auf die Rechtsfolgenseite einer im SGB geregelten Anspruchsgrundlage beschränkt ist(BSG SozR 4-7610 § 362 Nr 1 RdNr 11 f).

36

dd) Der Nahbereich wurde in der bisherigen Senatsrechtsprechung nicht im Sinne einer Mindestwegstrecke bzw einer Entfernungsobergrenze festgelegt, sondern lediglich beispielhaft im Sinne der Fähigkeit konkretisiert, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (stRspr, erstmals BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 187 - Rollstuhl-Bike II; zuletzt BSG Urteil vom 10.3.2011 - B 3 KR 9/10 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 15 - Barcodelesegerät), wobei allerdings die Fähigkeit, eine Wegstrecke von 100 m (BSG Urteil vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 R, RdNr 16 - Therapie-Tandem IV) bzw 200 m (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 12 RdNr 15 f - Liegedreirad) zurückzulegen, nicht als ausreichend zur Erschließung des Nahbereichs angesehen worden ist. Dagegen umfasst der von der GKV zu gewährleistende Basisausgleich nicht die Fähigkeit, weitere Wegstrecken, vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer, zu bewältigen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 186 - Rollstuhl-Bike II). An diesen Grundsätzen hält der Senat weiterhin fest. Eine weitere Konkretisierung des Nahbereichs im Sinne einer Mindestwegstrecke ist vor dem Hintergrund des sich wandelnden Mobilitätsverhaltens (vgl Kurzfassung des Ergebnisberichts "Mobilität in Deutschland 2008", abrufbar unter www.mobilitaet-in-deutschland.de - recherchiert am 16.5.2011) weder tatsächlich möglich noch zur sachgerechten Anwendung des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V notwendig.

37

ee) Für die Bestimmung des durch Hilfsmittel der GKV zu erschließenden Nahbereichs ist allein der Zweck des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V maßgebend. Dieser liegt in der Sicherstellung der in Satz 1 formulierten Versorgungsziele. Dabei soll mit dem Versorgungsziel des Behinderungsausgleichs (§ 33 Abs 1 Satz 1 Variante 3 SGB V) grundsätzlich eine Gleichstellung des behinderten Menschen mit Nichtbehinderten erreicht werden, wobei allerdings im Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs kein Gleichziehen mit den nahezu unbegrenzten Möglichkeiten zu gewährleisten ist, sondern lediglich ein Aufschließen zu den Grundbedürfnissen eines nicht behinderten Menschen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 185 - Rollstuhl-Bike II), um die Zuständigkeit der GKV von der anderer Träger abzugrenzen. Von dieser Zielsetzung ausgehend sind dem der Zuständigkeitsabgrenzung der GKV von anderen Rehabilitationsträgern dienenden Nahbereich beim mittelbaren Behinderungsausgleich solche Wege zuzuordnen, die räumlich einen Bezug zur Wohnung und sachlich einen Bezug zu den Grundbedürfnissen der physischen und psychischen Gesundheit bzw der selbständigen Lebensführung aufweisen. In räumlicher Hinsicht ist der Nahbereich auf den unmittelbaren Umkreis der Wohnung des Versicherten beschränkt (vgl zum Zusammenhang zwischen dem Grundbedürfnis auf Mobilität und dem Grundbedürfnis des selbständigen Wohnens: BSG Urteil vom 10.3.2011 - B 3 KR 9/10 R - Barcodelesegerät - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 15). Diese ist Ausgangs- und Endpunkt der zum Nahbereich zählenden Wege, so dass die Mobilität für den Hin- und Rückweg durch Leistungen der GKV sicherzustellen ist. Hierfür sind allerdings nicht die konkreten Wohnverhältnisse des behinderten Menschen maßgebend, weil der Nahbereich ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens konkretisiert und somit die Eignung und Erforderlichkeit des Hilfsmittels als objektive Anspruchsvoraussetzung betrifft. Sachlich umfasst der Nahbereich gesundheitserhaltende Wege, Versorgungswege sowie elementare Freizeitwege. Zu den gesundheitserhaltenden Wegen zählen Entfernungen, die zur Aufrechterhaltung der physischen und psychischen Existenz zurückgelegt werden (zB Besuch von Ärzten und Therapeuten, Aufsuchen der Apotheke). Der Versorgungsweg umschreibt dagegen die Fähigkeit, die Wohnung zu verlassen, um die für die Grundbedürfnisse der selbständigen Existenz und des selbständigen Wohnens notwendigen Verrichtungen und Geschäfte (Einkauf, Post, Bank) wahrnehmen zu können. Die Mobilität für Freizeitwege ist in Abgrenzung zu der durch andere Leistungsträger sicherzustellenden Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft jedoch nur durch Leistungen der GKV abzudecken, wenn (und soweit) diese Wege von besonderer Bedeutung für die physische und psychische Gesundheit sind. In diesem Sinne zählen zu den Freizeitwegen Entfernungen, die bewältigt werden, um die körperlichen Vitalfunktionen aufrechtzuerhalten (kurzer Spaziergang an der frischen Luft) und um sich einen für die seelische Gesundheit elementaren geistigen Freiraum zu erschließen (zB Gang zum Nachbarn zur Gewährleistung der Kommunikation, Gang zum Zeitungskiosk zur Wahrnehmung des Informationsbedürfnisses).

38

ff) Dagegen sind die zur rentenversicherungsrechtlichen Wegefähigkeit und zum Nachteilsausgleich "G" entwickelten Maßstäbe aufgrund ihrer abweichenden Zweckbestimmung nicht geeignet, den für das Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums relevanten Nahbereich näher bzw in anderer Weise zu bestimmen.

39

Die Wegefähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung, dh das gesundheitliche Vermögen, viermal am Tag eine Wegstrecke von 500 m in einem Zeitraum von 20 Minuten zurückzulegen (vgl BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 8 RdNr 15; BSG Urteil vom 28.8.2002 - B 5 RJ 12/02 R - RdNr 13 und 15), ist ein wesentliches Kriterium für die Erwerbsfähigkeit. Sie betrifft Voraussetzungen für die Gewährung der Versicherungsleistung Rente. Bereits aus diesem Grund ist der für die rentenversicherungsrechtliche Wegefähigkeit geltende Maßstab nicht zur Bestimmung der Leistungspflicht im Bereich der GKV-Rehabilitationsleistungen geeignet. Soweit entsprechend dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" (§ 9 Abs 1 Satz 2 SGB VI) zum Ausgleich einer eingeschränkten Wegefähigkeit Leistungen des Rentenversicherungsträgers zur (beruflichen) Rehabilitation erbracht werden, dienen diese Leistungen dem Zweck, die Erwerbsfähigkeit zu erhalten bzw gesundheitlich bedingte Erwerbshindernisse zu beseitigen, und verfolgen daher einen erwerbsbezogenen Rehabilitationsansatz (§ 9 Abs 1 SGB VI; § 6 Abs 1 Nr 4 iVm § 5 Nr 1, 2 SGB IX). Dagegen liegt den von der GKV zu erbringenden Leistungen der medizinischen Rehabilitation ein gesundheitsbezogener Rehabilitationsansatz zugrunde. Mit diesen Leistungen soll eine durch Krankheit bedingte Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abgewendet, beseitigt, gemildert, ausgeglichen, ihre Verschlimmerung verhütet oder ihre Folgen gemildert werden (§ 11 Abs 2 Satz 1 SGB V; § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nr 1 SGB IX). In diesem Sinne erschließen die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation dem Versicherten die Möglichkeiten - im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs allerdings nur in Bezug auf seine Grundbedürfnisse - eines nicht behinderten Menschen. Maßstab ist daher weder der erwerbsfähige noch der aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen ggf an der Grenze zur aufgehobenen Erwerbsfähigkeit stehende Versicherte, sondern der nichtbehinderte Mensch, so dass die Bestimmung des Nahbereichs anhand der zur rentenversicherungsrechtlichen Wegefähigkeit entwickelten Kriterien den Leistungsumfang des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V in einer mit der Zweckrichtung der Norm nicht zu vereinbarenden Weise verkürzen würde.

40

Der für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs mit dem Merkzeichen "G" geltende (Mobilitäts-)Maßstab kann aufgrund seiner abweichenden Zweckbestimmung ebenfalls nicht zur Konkretisierung des Nahbereichs herangezogen werden. Das Merkzeichen "G" wird zuerkannt, wenn infolge einer Einschränkung des Gehvermögens Wegstrecken im Ortsverkehr, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren bewältigt werden können (§ 146 Abs 1 Satz 1 SGB IX), wobei die "Wegstrecken im Ortsverkehr" von der Rechtsprechung im Sinne einer Länge von bis zu 2 km bei einer Gehdauer von 30 Minuten konkretisiert worden sind (so schon BSGE 62, 273, 274 ff = SozR 3870 § 60 Nr 2 S 3 ff). Mit dem Merkzeichen "G" sollen Mehraufwendungen ausgeglichen werden, die einem gehbehinderten Menschen dadurch entstehen, dass er öfter als ein nicht behinderter Mensch - nämlich auch für kürzere und üblicherweise zu Fuß zu bewältigende Wegstrecken - auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen ist (BT-Drucks 8/2453, S 11 zu § 59 SchwbG; BSGE 62, 273, 276 f = SozR 3870 § 60 Nr 2 S 4; Dreher, ZfS 1986, 65, 67). Maßstab für die Gewährung des Nachteilsausgleichs ist damit zwar - ebenso wie bei den von der GKV zu erbringenden Leistungen - der nichtbehinderte Mensch. Allerdings gehen die mit der Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" verbundenen Vergünstigungen (unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr - § 145 iVm § 147 Abs 1 SGB IX) über den engeren Umkreis der Wohnung des behinderten Menschen hinaus, weil zum einen die den Ausgleich begründenden Wegstrecken nicht zwingend von der eigenen Wohnung ausgehen bzw zu ihr hinführen (Dreher, ZfS 1986, 65, 67) und zum anderen mit dem Merkzeichen "G" nicht nur Mobilitätsdefizite im Nahbereich der Wohnung, sondern darüber hinaus auch solche in Bezug auf Arbeitswege und Freizeitwege jeglicher Art ausgeglichen werden. Mit dem Merkzeichen "G" werden Nachteile des behinderten Menschen im Hinblick auf die "nahezu unbegrenzten Möglichkeiten" und nicht nur die Grundbedürfnisse eines nicht behinderten Menschen ausgeglichen. Für die Zuerkennung dieses Merkzeichens ist ein über den gesundheitsbezogenen Ansatz des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V hinausgehender teilhabebezogener Rehabilitationsansatz maßgebend. Infolge dessen ist im Rahmen des Nachteilsausgleichs "G" die Wegstrecke und somit die Entfernung im Sinne einer Mindestwegstrecke für die Leistungspflicht ausschlaggebend (Dreher, ZfS 1986, 65, 68 f), während im Anwendungsbereich des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V die Wegeart, dh der mit der Zurücklegung des Weges verbundene Zweck im Sinne des Mobilitätsziels, leistungsrechtlich von Bedeutung ist.

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gg) Hiervon ausgehend eröffnet das Rollstuhl-Bike dem behinderten Menschen grundsätzlich eine dem Radfahren vergleichbare und somit über den nach den dargelegten Grundsätzen (vgl unter ee) bestimmten Nahbereich hinausgehende Mobilität. Denn mit dem Rollstuhl-Bike können nicht nur die im Nahbereich der Wohnung liegenden Ziele erreicht, sondern darüber hinaus auch Arbeits- und Freizeitwege jeglicher Art bewältigt werden. Allerdings sind Hilfsmittel, die dem Versicherten eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität ermöglichen, im Einzelfall gleichwohl von der KK zu gewähren, wenn besondere qualitative Momente dieses "Mehr" an Mobilität erfordern. Solche besonderen qualitativen Momente liegen zB vor, wenn der Nahbereich ohne das begehrte Hilfsmittel nicht in zumutbarer Weise erschlossen werden kann oder wenn eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität zur Wahrnehmung eines anderen Grundbedürfnisses notwendig ist. So ist etwa die Erschließung des Nahbereichs ohne das begehrte Hilfsmittel unzumutbar, wenn Wegstrecken im Nahbereich nur unter Schmerzen oder nur unter Inanspruchnahme fremder Hilfe bewältigt werden können (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 27 RdNr 24 - Elektrorollstuhl)oder wenn die hierfür benötigte Zeitspanne erheblich über derjenigen liegt, die ein nicht behinderter Mensch für die Bewältigung entsprechender Strecken zu Fuß benötigt. Andere Grundbedürfnisse, die eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität erfordern, sind vom Senat in der Integration von Kindern und Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 10 RdNr 16 - Reha-Kinderwagen; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 46 S 258 f - Therapiedreirad; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 27 S 158 f - Rollstuhl-Bike I) sowie in der Erreichbarkeit von Ärzten und Therapeuten bei Bestehen einer besonderen gesundheitlichen Situation (BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, RdNr 13 ff - schwenkbarer Autositz II)gesehen worden. Zur Beantwortung der Frage, ob besondere qualitative Umstände ausnahmsweise die Gewährung eines Rollstuhl-Bikes erfordern, sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgebend.

42

hh) Im vorliegenden Fall kann offen gelassen werden, ob das vom LSG festgestellte gesundheitliche Vermögen der Klägerin, sich mit dem vorhandenen Aktivrollstuhl etwa zehn Minuten in langsamen Fußgängertempo fortzubewegen und diese Fortbewegung nach einer zwei- bis dreiminütigen Pause in entsprechender Weise fortzuführen, ausreicht, um den Nahbereich der Wohnung zu erschließen, weil jedenfalls die Bedingungen, unter denen dies möglich ist, nicht zumutbar sind und somit besondere qualitative Momente bestehen, die das mit der Gewährung eines Rollstuhl-Bikes verbundene "Mehr an Mobilität" in den Hintergrund treten lassen.

43

Ausgehend von den Feststellungen des LSG haben sich bei der Klägerin die degenerativen Veränderungen und die hierdurch bedingten Funktionsstörungen und Beschwerden im Bereich der oberen Extremitäten in der Zeit zwischen der erst- und zweitinstanzlichen Begutachtung verschlechtert. Nunmehr treten bereits nach einer zehnminütigen Fortbewegung mit dem Aktivrollstuhl Schmerzen auf, die zur Einlegung einer Pause zwingen. Diese degenerativen Veränderungen werden nach den gutachterlichen Feststellungen bei der weiteren Verwendung des Aktivrollstuhls fortschreiten und die dadurch bedingten Beschwerden zunehmen, wohingegen die Progredienz der degenerativen Veränderungen durch die Verwendung des Rollstuhl-Bikes erheblich vermindert werden kann. Die Wahrnehmung eines Grundbedürfnisses unter Inkaufnahme gesundheitlicher Einschränkungen und verbunden mit der Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist nicht zumutbar. Aus diesem Grund erfordert die besondere gesundheitliche Situation der Klägerin die Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike.

44

ii) Das Rollstuhl-Bike ist auch nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens (§ 33 Abs 1 Satz 1, letzter Halbs SGB V) von der Sachleistungspflicht der GKV ausgenommen. Es handelt sich um eine speziell für die Bedürfnisse behinderter Menschen entwickelte Zusatzausrüstung für einen Aktivrollstuhl, die von gesunden Menschen nicht genutzt werden kann.

45

jj) Gegen die Versorgung der Klägerin mit einem Rollstuhl-Bike sprechen auch keine Kostengesichtspunkte. Es handelt sich um eine wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung (§ 12 Abs 1 SGB V). Insbesondere kann die Klägerin nicht alternativ auf einen restkraftunterstützenden Greifreifenantrieb verwiesen werden. Zwar bietet dieser möglicherweise dem Rollstuhl-Bike vergleichbare Erleichterungen, weil der behinderte Mensch in die Lage versetzt wird, beim Auftreten von Schmerz- oder Erschöpfungszuständen individuell über eine Fernbedienung den zusätzlichen Antrieb zuzuschalten. Aufgrund der bei voller Aufladung des Antriebs ermöglichten Reichweite von 25 km ist die Erschließung des Nahbereichs in jedem Fall sichergestellt. Allerdings belaufen sich die Kosten für den Zusatzantrieb auf 3500 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer - bezogen auf einen Gewährleistungszeitraum von 60 Monaten - und liegen damit über den für ein Rollstuhl-Bike aufzuwendenden Kosten. Zudem würde die Vergütungspauschale nach dem Ablauf des Gewährleistungszeitraums erneut anfallen.

46

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Straßenbahnen und Obussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt, es sei denn, dass bei den Verkehrsformen nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beförderungsentgelte gemäß § 45 Absatz 3 des Personenbeförderungsgesetzes ganz oder teilweise verzichtet hat,
3.
S-Bahnen in der 2. Wagenklasse,
4.
Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind,
5.
Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs),
6.
sonstigen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der 2. Wagenklasse auf Strecken, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht überschreitet,
7.
Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinander grenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.

(2) Fernverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach § 42a Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Eisenbahnen, ausgenommen der Sonderzugverkehr,
3.
Wasserfahrzeugen im Fähr- und Übersetzverkehr, sofern keine Häfen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Buches angelaufen werden, soweit der Verkehr nicht Nahverkehr im Sinne des Absatzes 1 ist.

(3) Die Unternehmer, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, weisen im öffentlichen Personenverkehr nach Absatz 1 Nummer 2, 5, 6 und 7 im Fahrplan besonders darauf hin, inwieweit eine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 228 Absatz 1 nicht besteht.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 28. September 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Ausgabe einer Wertmarke für die Beförderung im öffentlichen Personenverkehr ohne Entrichtung eines Betrages in Höhe von 60 Euro hatte.

2

Bei dem 1945 geborenen Kläger sind ein Grad der Behinderung von 90 sowie die Voraussetzungen der Merkzeichen G und B festgestellt (Bescheid des beklagten Landes vom 6.7.2005). Er bezieht seit dem 1.2.2005 eine Beschädigtenrente nach dem Soldatenversorgungsgesetz iVm Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 70 vH (seit dem 21.12.2007: Grad der Schädigungsfolgen von 70) und (vom Landeswohlfahrtsverband Hessen) eine fortlaufend gewährte Kraftfahrzeughilfe nach § 27d Abs 1 Nr 3 BVG iVm § 28 Abs 1 Nr 2 Verordnung zur Kriegsopferfürsorge (KFürsV). Diese bestand für die Zeit vom 1.2.2010 bis 31.1.2011 aus einem pauschalen Betrag von 50 Euro und einem Zuschuss von 19,01 Euro für die Beiträge zur Kraftfahrzeugversicherung (Bescheid vom 19.1.2010). Vom 1.2.2011 bis 31.1.2012 betrugen die Pauschale 50 Euro und der Beitragszuschuss 24,45 Euro (Bescheid vom 3.11.2010).

3

Am 22.2.2010 beantragte der Kläger auf einem ihm vom beklagten Land übersandten Formular unter Hinweis auf seinen Leistungsbezug nach § 27d BVG die Ausgabe einer unentgeltlichen Wertmarke für die Beförderung im öffentlichen Personenverkehr gemäß § 145 Abs 1 S 5 SGB IX. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24.2.2010 ab. Er wies darauf hin, dass Anspruch auf eine unentgeltliche Wertmarke nur Personen hätten, die laufende Leistungen für den Lebensunterhalt erhielten. Die dem Kläger gewährte Kraftfahrzeughilfe zähle zu den Hilfen in besonderen Lebenslagen und nicht zu den laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt im Sinne sozialhilferechtlicher Vorschriften. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.4.2010 als unbegründet zurück.

4

Mit seiner beim Sozialgericht Marburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger die Ausstellung einer unentgeltlichen Wertmarke begehrt. Nachdem ihm gegen Zahlung von 60 Euro eine für den Zeitraum vom 1.5.2011 bis 30.4.2012 gültige Wertmarke ausgegeben worden war, hat er seinen Antrag auf die Erstattung des für die Wertmarke für diesen Zeitraum aufgewandten Betrages umgestellt. Durch Urteil vom 8.6.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Die vom SG zugelassene Berufung ist vom Hessischen Landessozialgericht (LSG) nach Anhörung des Klägers mit Beschluss vom 28.9.2011 mit folgender Begründung zurückgewiesen worden:

5

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erstattung des Betrages, den er für die vom 1.5.2011 bis 30.4.2012 gültige Wertmarke entrichtet habe. Er gehöre nicht zu den Personen, die eine Ausgabe der Wertmarke ohne Eigenbeteiligung beanspruchen könnten. Zwar sei ihm iS von § 145 Abs 1 S 1 SGB IX das Merkzeichen G zuerkannt worden. Jedoch erfülle er die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nach § 145 Abs 1 S 5 SGB IX nicht. Insbesondere stelle die vom Kläger bezogene Kraftfahrzeughilfe keine laufende Leistung für den Lebensunterhalt iS von § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX dar, sondern diene allein zur Eingliederung behinderter Menschen in die Gesellschaft. Entsprechendes gelte für den Betrag zur Kraftfahrzeugversicherung, auch wenn dieser von einer vorhergehenden Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse abhängig sei.

6

Entgegen der klägerischen Auffassung verweise § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX nicht ohne Einschränkungen auf die in §§ 27a und 27d BVG aufgeführten Leistungen. Vielmehr müsse es sich nach dem Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung bei den Leistungen außerhalb des SGB II um "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen" handeln. § 145 SGB IX diene der Förderung der Mobilität schwerbehinderter Menschen durch Teilnahme am öffentlichen Personenverkehr. Dieses Ziel werde bereits durch die Unentgeltlichkeit der Beförderung erreicht. Die Kostenbeteiligung vermindere lediglich die aufgrund der Zahlungsausfälle eintretenden finanziellen Belastungen der öffentlichen Hand. Nur ein begrenzter Personenkreis solle seit der Einführung der Kostenbeteiligung das Privileg der unentgeltlichen Beförderung ohne Eigenbeteiligung erhalten. Der Kläger unterscheide sich jedoch von diesem privilegierten Personenkreis dadurch, dass er seinen Lebensunterhalt aufgrund eigenen Einkommens in Form der Beschädigtenrente nach dem BVG decken könne.

7

Hiergegen hat der Kläger die vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassene Revision eingelegt. Nachdem der Beklagte mitgeteilt hatte (Schreiben vom 2.10.2012), bei für den Kläger günstigem Ausgang des Verfahrens würden die Kosten der Wertmarken mit Gültigkeitsdauer von Mai 2010 bis April 2011 und von Mai 2011 bis April 2012 erstattet, hat der Kläger erklärt, ein Erstattungsanspruch werde in diesem Verfahren nicht mehr geltend gemacht. Zur Begründung der Revision nimmt der Kläger auf seine Nichtzulassungsbeschwerde Bezug. Mit dieser hatte er ua vorgetragen:

8

Er könne eine Befreiung von der Eigenbeteiligung bei der Ausgabe der Wertmarke gemäß § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX verlangen. Soweit diese Vorschrift auf laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 27d BVG abstelle, handele es sich um ein Redaktionsversehen. Denn § 27d BVG regele lediglich Hilfen in besonderen Lebenslagen, aber keine laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt. Bereits das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) habe zwischen diesen Leistungsarten unterschieden. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dienten der Sicherung des Existenzminimums, Leistungen in besonderen Lebenslagen hingegen der Deckung einer spezifischen Bedarfssituation. Aufgrund der Ähnlichkeit von § 27d BVG und § 27 BSHG sei auf diese Begriffsunterscheidung zurückzugreifen. Alle Hilfen, die nach § 27d BVG zur Verfügung gestellt würden, unterfielen demnach § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX, jedenfalls solange sie nicht einmalig gewährt würden. Dies entspreche auch der gesetzgeberischen Intention, Kriegs- bzw Wehrdienstbeschädigte besserzustellen, als "normale" Sozialhilfeempfänger.

9

Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Hessen vom 28. September 2011 und das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 8. Juni 2011 aufzuheben und festzustellen, dass der erledigte Bescheid des Beklagten vom 24. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2010 rechtswidrig war.

10

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11

Er nimmt auf das angefochtene Urteil Bezug und trägt vor: Vom Befreiungstatbestand des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX würden nur lebensunterhaltssichernde Leistungen erfasst. Der Kläger verfüge über Einkommen, mit dem er seinen individuellen sozialhilferechtlichen Bedarf decke; er habe keinen Anspruch auf lebensunterhaltssichernde Leistungen. Bei der bezogenen Kraftfahrzeughilfe und den Beiträgen zur Kraftfahrzeugversicherung handele es sich nicht um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, sodass der Kläger die Ausgabe einer unentgeltlichen Wertmarke nicht beanspruchen könne.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist zulässig; insbesondere ist sie in hinreichender Form begründet worden.

13

Gemäß § 164 Abs 2 S 3 SGG muss die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist ausnahmsweise die Bezugnahme auf die Ausführungen im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde unbedenklich, wenn der Revisionsführende sich bereits dort mit den Fragen des materiellen Rechts auseinandergesetzt hat, die sich auch im Revisionsverfahren stellen. In diesem Fall würde eine erneute eigenständige Begründung auf eine bloße Wiederholung des bereits Vorgetragenen hinauslaufen (vgl BSG Urteil vom 9.8.1995 - 9 RVs 3/95 - Juris OS 1, RdNr 7 mwN; so auch BSG Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 200/10 R - Juris RdNr 9; Leitherer in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 9g mwN).

14

Da der Kläger sich bereits zur Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde materiell-rechtlich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt und eine Verletzung in seinen Rechten dargelegt hat, konnte er sich im Revisionsverfahren ausnahmsweise mit der Bezugnahme auf diese Ausführungen begnügen, zumal er lediglich eine Verletzung materiellen Bundesrechts geltend macht.

15

Die Revision ist nicht begründet.

16

Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt hat, seinen Erstattungsanspruch in diesem Verfahren nicht mehr geltend zu machen, ist Gegenstand des Verfahrens nur noch die Fortsetzungsfeststellungsklage, in die der Kläger seine ursprüngliche Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl dazu BSG Urteil vom 6.10.2011 - B 9 SB 7/10 R - BSGE 109, 154 = SozR 4-3250 § 145 Nr 2, RdNr 19 ff) umgestellt hat. Ein derartiger Wechsel ist auch im Revisionsverfahren zulässig (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 168 RdNr 2b mwN).

17

Die Voraussetzungen für eine Fortsetzungsfeststellungsklage liegen hier vor.

18

Nach § 131 Abs 1 S 3 SGG spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn sich der Verwaltungsakt nach Klageerhebung vor der gerichtlichen Entscheidung durch Zurücknahme oder anders erledigt, sofern der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Diese Regelung des SGG gilt zwar ausdrücklich nur für Anfechtungsklagen, ist aber entsprechend auf kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen anzuwenden (BSG Urteil vom 8.11.2011 - B 1 KR 19/10 R - BSGE 109, 212 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 8 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 131 RdNr 7c mwN).

19

Der Kläger hat mit seiner Klage ursprünglich die Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke für die Zeit vom 1.5.2010 bis 30.4.2011 begehrt. Auf diesen Zeitraum bezieht sich nach den Umständen des vorliegenden Falles der streitgegenständliche Bescheid vom 24.2.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.4.2010.Die Entscheidung über den Anspruch auf Ausgabe einer Wertmarke zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr sowie darüber, ob die Voraussetzungen einer unentgeltlichen Abgabe einer solchen Wertmarke im Einzelfall vorliegen, erfolgt bezogen auf einen bestimmten Gültigkeitszeitraum von einem halben bzw einem ganzen Jahr (vgl § 145 Abs 1 S 3 bis 5 SGB IX). Dem entspricht auch der vom Kläger verwandte Formularantrag vom 22.2.2010. In diesem ist zwar kein Zeitraum aufgeführt, jedoch ergibt sich aus dem Zusammenhang, dass dieser Antrag auf die Ausgabe einer Wertmarke gerichtet ist, deren Gültigkeitsdauer sich an den Zeitraum anschließt, für den die zuletzt erteilte Wertmarke gilt. Dies legt bereits der vom Beklagten formulierte Text nahe. Darin heißt es:

        

"Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr, die Gültigkeitsdauer Ihrer Wertmarke läuft in Kürze ab. Sofern Sie auch künftig die Freifahrt in Anspruch nehmen wollen (…)."

20

Zwar hat das LSG den Inhalt dieses Antrags vom 22.2.2010 nicht vollständig wiedergegeben, vielmehr im Urteil insoweit allein die Antragstellung und Begründung als solche geschildert sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten verwiesen. Diese Nennung und der Verweis sind jedoch ausreichend dafür, dass der Senat den vollen Inhalt des Antragsformulars als festgestellt iS von § 163 SGG ansehen kann(vgl BSG Urteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 3/09 R - BSGE 105, 84 = SozR 4-7837 § 2 Nr 4, RdNr 43; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 163 RdNr 4).

21

Die vom LSG festgestellte Ausgabe einer (entgeltlichen) Wertmarke für die Zeit vom 1.5.2011 bis 30.4.2012 zeigt, dass die Gültigkeitsdauer der dem Kläger erteilten Wertmarken jeweils von Mai eines Jahres bis April des Folgejahres reicht. Im Hinblick auf diesen Zeitbezug des angefochtenen Verwaltungsaktes hat sich letzterer auf andere Weise - nämlich durch Zeitablauf - erledigt (§ 131 Abs 1 S 3 SGG iVm § 39 Abs 2 SGB X). Da die Ausgabe der Wertmarke für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum dem Kläger keine günstige Rechtsposition mehr verschaffen kann, ist mit Ablauf des begehrten Gültigkeitszeitraums das für die Fortführung der ursprünglich zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage notwendige Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Der Kläger hat diesem Umstand durch eine entsprechende Umstellung des Klageantrags Rechnung getragen.

22

Das erforderliche Interesse des Klägers an der Feststellung, dass der zwischenzeitlich erledigte Verwaltungsakt rechtswidrig war, liegt ebenfalls vor. Denn der Kläger kann mit Erfolg eine bestehende Wiederholungsgefahr geltend machen. Eine solche ist gegeben, wenn die nicht entfernt liegende Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Rechtsfrage zwischen den Beteiligten besteht, etwa, wenn sich konkret abzeichnet, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen oder rechtlichen Umständen ein gleichartiges Leistungsbegehren wieder auftreten kann (vgl BSG Urteil vom 8.11.2011 - B 1 KR 19/10 R - BSGE 109, 212 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 9 mwN; BSG Urteil vom 18.5.2011 - B 3 KR 7/10 R - BSGE 108, 206 = SozR 4-2500 § 33 Nr 34, RdNr 22 mwN). Da der Antrag auf Ausgabe einer unentgeltlichen Wertmarke gemäß § 145 SGB IX wegen des gesetzlich vorgesehenen Gültigkeitszeitraums spätestens jährlich erneut zu stellen ist, liegt es nahe, dass ein gleichartiges Leistungsbegehren und damit die zwischen den Beteiligten streitige Rechtsfrage mit Beginn des jeweils folgenden Gültigkeitszeitraums erneut entstehen wird.

23

In der Sache ist die Revision nicht erfolgreich. Es kann nicht festgestellt werden, dass durch den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 24.2.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.4.2010 materielles Bundesrecht verletzt worden ist. Die Vorinstanzen haben die Klage insoweit zu Recht abgewiesen. Denn der Kläger hatte für den Gültigkeitszeitraum 1.5.2010 bis 30.4.2011 keinen Anspruch auf Ausgabe einer Wertmarke zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr ohne Entrichtung des gesetzlich vorgesehenen Eigenanteils.

24

Rechtsgrundlage ist insoweit § 145 Abs 1 SGB IX in der ab 5.8.2009 - und damit für den streitigen Zeitraum - geltenden Fassung des Art 2 Nr 3 Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009 (BGB l 2495). Diese Vorschrift lautet:

        

"(1) Schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, werden von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 unentgeltlich befördert; die unentgeltliche Beförderung verpflichtet zur Zahlung eines tarifmäßigen Zuschlages bei der Benutzung zuschlagpflichtiger Züge des Nahverkehrs. Voraussetzung ist, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist. Sie wird gegen Entrichtung eines Betrages von 60 Euro für ein Jahr oder 30 Euro für ein halbes Jahr ausgegeben. Wird sie vor Ablauf der Gültigkeitsdauer zurückgegeben, wird auf Antrag für jeden vollen Kalendermonat ihrer Gültigkeit nach Rückgabe ein Betrag von 5 Euro erstattet, sofern der zu erstattende Betrag 15 Euro nicht unterschreitet; Entsprechendes gilt für jeden vollen Kalendermonat nach dem Tod des schwerbehinderten Menschen. Auf Antrag wird eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Betrag nach Satz 3 zu entrichten ist, an schwerbehinderte Menschen ausgegeben,

        

1.    

die blind im Sinne des § 72 Abs. 5 des Zwölften Buches oder entsprechender Vorschriften oder hilflos im Sinne des § 33b des Einkommensteuergesetzes oder entsprechender Vorschriften sind oder

        

2.    

die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch oder für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches, dem Achten Buch oder den §§ 27a und 27d des Bundesversorgungsgesetzes erhalten oder

        

3.    

die am 1. Oktober 1979 die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 und Abs. 3 des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr vom 27. August 1965 (BGBl. I S. 978), das zuletzt durch Artikel 41 des Zuständigkeitsanpassungs-Gesetzes vom 18. März 1975 (BGBl. I S. 705) geändert worden ist, erfüllten, solange ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 70 festgestellt ist oder von mindestens 50 festgestellt ist und sie infolge der Schädigung erheblich gehbehindert sind; das Gleiche gilt für schwerbehinderte Menschen, die diese Voraussetzungen am 1. Oktober 1979 nur deshalb nicht erfüllt haben, weil sie ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu diesem Zeitpunkt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten."

25

Der Kläger gehörte in der Zeit vom 1.5.2010 bis 30.4.2011 zwar nach § 145 Abs 1 S 1 SGB IX zum Kreis der Personen, die eine unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr in Anspruch nehmen können, da ihm das Merkzeichen "G" zuerkannt worden war. Jedoch erfüllte er nicht die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Entrichtung eines Betrages von 60 Euro bzw 30 Euro für die Ausgabe der insoweit erforderlichen Wertmarke. Auf die vorliegend einzig in Betracht kommende Ausnahmeregelung des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX kann sich der Kläger auch im Hinblick darauf nicht berufen, dass ihm vom Landeswohlfahrtsverband Hessen Kraftfahrzeughilfe nach § 27d Abs 1 Nr 3 BVG iVm § 28 Abs 1 Nr 2 KFürsV gewährt wurde. Zwar wird diese laufend gezahlt, es handelt sich dabei jedoch nicht um eine Leistung für den Lebensunterhalt iS des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

26

Zunächst bezieht sich die Formulierung "für den Lebensunterhalt" in § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX nicht nur auf die dort aufgeführten Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII sowie nach dem SGB VIII, sondern auch auf Leistungen nach den §§ 27a und 27d BVG. Anders lässt sich der Wortlaut der Norm grammatikalisch nicht deuten. Es muss sich demnach auch bei den Leistungen nach §§ 27a und 27d BVG um solche zum Lebensunterhalt handeln(vgl Masuch in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand März 2012, K § 145 RdNr 26; Winkler in Müller-Wenner/Winkler, SGB IX Teil 2, 2. Aufl 2011, § 145 RdNr 14).

27

An sich könnte der Begriff "Lebensunterhalt" so weit verstanden werden, dass er auch die Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs umfasst (vgl BSG Urteil vom 11.3.1976 - 7 RAr 45/75 - SozSich 1976, 186, 187); im vorliegenden Zusammenhang verbietet sich jedoch nach Auffassung des Senats eine solche Auslegung.

28

Für ein enges Verständnis des Begriffes "Lebensunterhalt" spricht bereits die Gesetzesentwicklung.

29

§ 145 SGB IX wurde durch Art 1 des SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - vom 19.6.2001 (BGBl I 1046) mit Wirkung ab 1.7.2001 eingeführt. Nach der Begründung zum Entwurf des SGB IX handelt es sich um eine inhaltsgleiche Übernahme des bis dahin gültigen Rechts (vgl BT-Drucks 14/5074, S 115). Die zuvor maßgebliche Regelung befand sich zunächst in § 57 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) idF durch das Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 9.7.1979 (BGBl I 989) und nach der Bekanntmachung der Neufassung des SchwbG vom 26.8.1986 (BGBl I 1421) ab 1.8.1986 in § 59 SchwbG.

30

Ziel der Vergünstigung war und ist es, die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am öffentlichen Personenverkehr durch erleichterten Zugang zu öffentlichen Transportmitteln zu fördern, da Mobilität als Grundbedürfnis der modernen Gesellschaft anerkannt wird (Oppermann in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl 2012, § 145 RdNr 1). Diese Kompensationsfunktion wird bereits an den Anspruchsvoraussetzungen deutlich, wonach eine behinderungsbedingte erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vorliegen muss.

31

Im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22.12.1983 (BGBl I 1532) wurde aus Einsparungsgründen (BR-Drucks 302/83, S 63) erstmals eine Eigenbeteiligung in Höhe von 120 DM jährlich für die Ausgabe der zur Beförderung berechtigenden Wertmarke eingeführt. Die gleichzeitige Regelung von Ausnahmen für Berechtigte, die die Wertmarke nach wie vor ohne Leistung dieser Eigenbeteiligung erhalten sollten, diente dem Zweck, "die Belange typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtberechtigter" zu berücksichtigen, "ohne daß die Versorgungsämter die Höhe des Einkommens im Einzelnen prüfen müssen" (BR-Drucks 302/83, S 89; vgl dazu bereits auch die Senatsurteile vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34 und vom 6.10.2011 - B 9 SB 6/10 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 3 RdNr 35).

32

Bald danach erkannte der Gesetzgeber, dass durch diese Regelungen des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 Härten aufgetreten waren (BT-Drucks 10/3218, S 1; BT-Drucks 10/3495, S 1), die durch das Gesetz zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 18.7.1985 (BGBl I 1516) beseitigt werden sollten. Es wurde der damalige § 57 Abs 1 S 4 Nr 2 SchwbG, der Vorgängervorschrift zur Ausnahmeregelung des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX, neu gefasst und dabei auch Behinderte mit aufgenommen, die "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach (…) den §§ 27a und 27d des Bundesversorgungsgesetzes erhalten"(vgl BT-Drucks 10/3495, S 5; BR-Drucks 291/85, S 1).

33

Damit ergibt sich bereits aus der Gesetzeshistorie, dass die Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke eine Ausnahme von der Regel einer Freifahrtberechtigung unter Zahlung einer Eigenbeteiligung darstellt (vgl dazu Senatsurteile vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 29 sowie vom 6.10.2011 - B 9 SB 6/10 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 3 RdNr 18). Nur einem begrenzten Personenkreis sollte nach der Einführung der Eigenbeteiligung das Privileg unentgeltlicher Beförderung ohne Eigenbeteiligung zugutekommen. Alle übrigen Freifahrtberechtigten sollten sich an den Kosten der Vergünstigung beteiligen (vgl bereits zu § 57 Abs 1 S 4 SchwbG idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532: BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1 und zur Rechtslage nach Einführung von § 145 SGB IX: Senatsurteile vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 29 sowie vom 6.10.2011 - B 9 SB 6/10 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 3 RdNr 18, jeweils mwN). Insoweit ist die Befreiungsvorschrift grundsätzlich eng auszulegen (vgl Vogl in jurisPK SGB IX, Online-Ausgabe, § 145 RdNr 47, Stand Februar 2010).

34

Ferner lässt sich aus der durch den Wortlaut geprägten inneren Systematik des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX schließen, dass der Begriff "Lebensunterhalt" einheitlich zu verstehen ist, unabhängig davon, ob Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII, des SGB VIII oder den §§ 27a, 27d BVG angesprochen werden. Entsprechendes gilt für die an erster Stelle aufgeführten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Wenn sich die den Lebensunterhalt betreffenden Leistungen nach dem SGB II, SGB VIII und SGB XII grundsätzlich an dem menschenwürdigen Existenzminimum orientieren (vgl dazu § 1 Abs 1, § 20 SGB II, § 39 SGB VIII, § 1, §§ 27 ff SGB XII), hat dies auch für diejenigen Leistungen nach §§ 27a und 27d BVG zu gelten, die gemäß § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX zu einer Befreiung von der Entrichtung des Eigenanteils führen. Einem so verstandenen notwendigen Lebensunterhalt dienen Leistungen zur Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich nicht (vgl dazu BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12).

35

Entgegen der Ansicht des Klägers läuft die Bezugnahme auf § 27d BVG in § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX bei einem solchen Verständnis des Begriffs "Lebensunterhalt" nicht leer.

36

Während § 27a BVG selbst ergänzende Hilfen zum Lebensunterhalt regelt und damit die Befreiung von der Leistung eines Eigenanteils bereits dann eintreten lässt, wenn die entsprechende Hilfeleistung für den Lebensunterhalt laufend gewährt wird, stellt ein laufender Leistungsbezug nach § 27d BVG nicht automatisch eine "Hilfe für den Lebensunterhalt" in diesem Sinne dar. Vielmehr betrifft § 27d BVG ausdrücklich "Hilfen in besonderen Lebenslagen", die darüber hinaus auch teilweise einkommens- und vermögensunabhängig geleistet werden. Je nach konkreter Hilfe in besonderen Lebenslagen ist zu unterscheiden, ob diese Leistungen gerade (auch) die Sicherung des Lebensunterhalts bezwecken oder der Abdeckung einer sich vom allgemeinen Lebensunterhalt abzugrenzenden speziellen Bedarfslage dienen.

37

§ 27d BVG in der vorliegend maßgeblichen, vom 21.12.2007 bis 30.6.2011 geltenden Fassung des Art 1 Nr 16 Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007 (BGBl I 2904) lautet:

        

"(1)   

Als Hilfen in besonderen Lebenslagen erhalten Beschädigte und Hinterbliebene

        

 1.     

Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage,

        

 2.     

Hilfen zur Gesundheit,

        

 3.     

Eingliederungshilfe für behinderte Menschen,

        

 4.     

Blindenhilfe,

        

 5.     

Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten.

        

 (2)   

Leistungen können auch in anderen besonderen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel unter Berücksichtigung des Zweckes der Kriegsopferfürsorge rechtfertigen.

        

 (3)   

Für die Hilfen in besonderen Lebenslagen gelten das Fünfte, Sechste und Achte Kapitel sowie §§ 72, 74, 88 Abs. 2 und § 92 Abs. 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch unter Berücksichtigung der besondern Lage der Beschädigten oder Hinterbliebenen entsprechend. Die §§ 10 bis 24a bleiben unberührt. Blindenhilfe kommt nur in Betracht, soweit nicht eine Pflegezulage nach § 35 wegen schädigungsbedingter Blindheit erbracht wird. Erhalten blinde Menschen eine Pflegezulage nach § 35 aus anderen Gründen, wird sie bis zu den in § 72 Abs. 1 Satz 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch genannten Beträgen auf die Blindenhilfe angerechnet. Leistungen nach § 43a des Elften Buches Sozialgesetzbuch sowie gleichartige Leistungen nach anderen Vorschriften gehen den Leistungen der Kriegsopferfürsorge vor.

                 

(4) - (7) … "

38

Schon gemäß § 27d Abs 1 Nr 1 BVG iVm § 28a KFürsV (§ 28a mit Wirkung vom 1.1.2005 eingeführt durch Art 18 Nr 24 Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007, BGBl I 2904) können Hilfen zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage erbracht werden, wenn den Leistungsberechtigten sonst voraussichtlich ergänzende Hilfen zum Lebensunterhalt erbracht werden müssten. Diese Leistung soll gerade nicht nur in einer bestehenden Notlage Abhilfe schaffen, sondern dazu beitragen, nach Möglichkeit bereits vorbeugend, das Entstehen einer (Lebensunterhalts-)Notlage zu verhindern (vgl Empfehlungen zur Kriegsopferfürsorge, hrsg von Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen, Stand Januar 2012, 27d.2 S 7). Diese konkrete Hilfe in besonderen Lebenslagen knüpft folglich unmittelbar an das Fehlen einer ausreichenden wirtschaftlichen Lebensgrundlage des Betroffenen an und bezweckt, dem Berechtigten den Aufbau oder die Sicherung einer Lebensgrundlage durch eigene Tätigkeit zu erhalten (vgl § 28a Abs 1 KFürsV), um einen ergänzenden Bezug von Hilfen zum Lebensunterhalt zu vermeiden. Denn gemäß § 28a Abs 2 KFürsV sollen diese Leistungen in der Regel nur erbracht werden, wenn die Leistungsberechtigten sonst ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten müssten.

39

Auch im Rahmen der nach § 27d Abs 1 Nr 3 BVG zu erbringenden Eingliederungsleistungen gibt es solche, in denen Hilfen für den Lebensunterhalt enthalten sind. Dies kann insbesondere bei stationären Eingliederungshilfen, wie zB bei Leistungen in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe, der Fall sein, die neben dem Bedarf für die Wohnform behinderter Menschen auch den Bedarf für die Unterbringung berücksichtigen; dazu gehört auch eine Grundpauschale für Unterkunft und Verpflegung (vgl Empfehlungen zur Kriegsopferfürsorge, aaO, 27d.3 S 20/3, 35f).

40

Zum Sinn und Zweck der Vorgängerregelung des § 59 Abs 1 S 5 Nr 2 SchwbG hat das BSG bereits ausgeführt, dass die Privilegierung der Bezieher von Leistungen für den Lebensunterhalt ihre Begründung darin findet, dass bei diesen Personen bereits festgestellt wurde, dass der notwendige Lebensunterhalt ohne fremde Hilfe nicht gedeckt werden kann und eine Selbstbeteiligung dieser Personen an den Kosten für die Wertmarke im Ergebnis die sozialen Ausgleichssysteme belasten würde(vgl BSG Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 7/93 - Juris RdNr 10).

41

Entsprechend dieser Zielsetzung hat der Senat § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX innerhalb der Wortlautgrenze dahin ausgelegt, dass der Begriff "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" nicht nur Leistungen umfasst, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben, sondern auch Leistungen, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII an Personen erbracht werden, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen(vgl dazu Senatsurteil vom 6.10.2011 - B 9 SB 6/10 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 3 RdNr 19). Denn aus den Gesetzesmaterialien zu den jeweiligen Änderungen der Befreiungstatbestände für einkommensschwache schwerbehinderte Menschen bei der unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber sein ursprüngliches Anliegen, "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40), aufgegeben haben könnte (Senatsurteil, aaO, RdNr 28).

42

Etwas anderes gilt auch nicht für Leistungen nach §§ 27a und 27d BVG. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber, wie der Kläger meint, die Empfänger von Leistungen der Kriegsopferfürsorge unabhängig von dem Bezug laufender Leistungen zum Lebensunterhalt begünstigen und damit besserstellen wollte als Bezieher lebensunterhaltssichernder Leistungen nach dem SGB II, SGB VIII oder SGB XII.

43

Der Kläger erhält die von ihm bezogene Kraftfahrzeughilfe nach § 27d Abs 1 Nr 3 BVG iVm § 28 Abs 1 Nr 2 KFürsV nicht für seinen so verstandenen Lebensunterhalt. § 28 KFürsV sieht vor:

        

"(1)   

Beschädigte erhalten als Hilfen in besonderen Lebenslagen nach § 27d Abs. 1 Nr. 3 des Bundesversorgungsgesetzes auch

        

 1.     

Hilfen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, insbesondere am öffentlichen und kulturellen Geschehen, sofern ihnen ohne diese Hilfen eine Teilhabe infolge der Schädigung nicht möglich oder nicht zumutbar ist,

        

 2.     

Hilfen zur Beschaffung, zum Betrieb, zur Unterhaltung, zum Unterstellen und zum Abstellen eines Kraftfahrzeugs sowie zur Erlangung der Fahrerlaubnis, sofern sie infolge der Schädigung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, insbesondere am öffentlichen und kulturellen Geschehen, auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen sind.

        

 (2)   

Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Leistungen nach Absatz 1 Nr. 2 gelten bei Beschädigten als erfüllt, die zum Personenkreis des § 23 Abs. 1 der Orthopädieverordnung in der jeweils geltenden Fassung gehören. Im Übrigen sind sie durch ärztliches Zeugnis nachzuweisen."

44

Da durch die Kraftfahrzeughilfe eine spezielle schädigungsbedingte Bedarfssituation abgedeckt und dem Betroffenen insoweit eine Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht werden soll (vgl BVerwG Urteil vom 23.11.1995 - 5 C 7/94 - Juris RdNr 15), ist diese konkrete Form der Eingliederungshilfe keine laufende Leistung für den Lebensunterhalt iS des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX. Dies wird auch dadurch deutlich, dass sie grundsätzlich unabhängig von den individuellen Einkommens- und Vermögensverhältnissen geleistet wird, sofern die gesundheitlichen Voraussetzungen zum Leistungsbezug erfüllt sind (vgl § 25c Abs 3 S 2 iVm § 25f Abs 1 S 6 BVG sowie Ernst, Die Entwicklung der Kriegsopferfürsorge, SuP 2000, 343, 352).

45

Dass der Kläger danach für den Zeitraum vom 1.5.2010 bis 30.4.2011 nach § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX keinen Anspruch auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr ohne Verpflichtung zur Entrichtung des Eigenanteils hatte, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere wird Art 3 Abs 1 GG nicht verletzt.

46

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln; dies gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen. Der allgemeine Gleichheitssatz untersagt dem Gesetzgeber jedoch nicht jede Differenzierung. Vielmehr bedürften Differenzierungen stets einer Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind.

47

Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Dem Gesetzgeber werden dabei umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheiten auswirkt und je weniger der Einzelne nachteilige Folgen durch eigenes Verhalten vermeiden kann (zB BVerfG Beschluss vom 21.7.2010 - 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07 - BVerfGE 126, 400, 418 mwN). Die aus Art 3 Abs 1 GG folgenden Grenzen sind insbesondere dann überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (zB BVerfG Beschluss vom 21.7.2010 - 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07 - BVerfGE 126, 400, 416).

48

Demnach ergibt sich aus Art 3 Abs 1 GG auch ein Verbot gleichheitswidriger Begünstigungsausschlüsse, bei denen also eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt und einem anderen ohne hinreichenden Grund vorenthalten wird. Werden bei der Gewährung bedürftigkeitsabhängiger Sozialleistungen die Empfänger anderer Sozial- oder Entschädigungsleistungen in unterschiedlicher Weise der Einkommensanrechnung unterworfen, muss also die Berechtigung zur unterschiedlichen Behandlung genau geprüft werden (BVerfG Beschluss vom 16.3.2011 - 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 - SGb 2011, 702, 705 mwN).

49

Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist Maßstab für die Rechtfertigung der Auswahl der von der sozialen Vergünstigung iS des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX betroffenen Personenkreise das Willkürverbot(vgl BSG Urteil vom 6.10.2011 - B 9 SB 6/10 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 3 RdNr 46; vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 30 ff, 36). Dieses wird hier nicht verletzt.

50

Soweit die Befreiung von der Verpflichtung, für die Ausgabe der Wertmarke nach § 145 SGB IX einen Eigenanteil in Höhe von 60 Euro für ein Jahr bzw 30 Euro für ein halbes Jahr leisten zu müssen, gemäß § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX für Bezieher von Leistungen nach § 27d BVG davon abhängig ist, dass diese laufende Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten, ist dieses Differenzierungsmerkmal jedenfalls nicht willkürlich. Personen, deren nach § 27d BVG bezogene Leistungen nicht dem Lebensunterhalt dienen, werden dadurch nicht sachwidrig benachteiligt.

51

Der Gesetzgeber wollte im Jahre 1983 die Kosten eindämmen, die vor dem Inkrafttreten der Änderungen durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 mit der Freifahrtberechtigung einhergingen. Zu diesem Zweck hat er den Grundsatz eingeführt, dass alle Schwerbehinderten, die Anspruch auf Ausgabe einer Wertmarke zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr haben, einen Eigenanteil in Höhe von monatlich umgerechnet 5 Euro zu leisten haben. Damit wird der gesetzliche Zweck der Mobilitätsförderung durch unentgeltliche Beförderung nur moderat relativiert, wobei gleichzeitig die durch Erstattung der Fahrgeldausfälle entstehenden finanziellen Belastungen der öffentlichen Hand eingedämmt werden (vgl BSG vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 28).

52

Lediglich für besonders schutzbedürftige Personengruppen hat der Gesetzgeber eine Ausnahme von dieser Regel vorgesehen und ihnen die Wertmarke nach wie vor ohne Eigenanteilsleistung zugänglich gemacht. Insoweit hat das BSG bereits zur Vorgängerregelung in § 57 Abs 1 S 5 Ziff 1 bis 3 SchwbG entschieden, dass die Begünstigung der dort genannten Personenkreise gegenüber anderen Schwerbehinderten nicht willkürlich erfolgt ist(BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1 S 4). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Eigenbeteiligung im Vergleich zum Nutzen der Wertmarke nur eine geringe finanzielle monatliche Belastung darstellt. Insoweit erscheint es gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber eine Befreiungsmöglichkeit nur in engen Grenzen zugelassen hat. Diese werden - soweit es § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX betrifft - durch das Erfordernis eines Bezuges laufender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sachgerecht bestimmt, da die begünstigten Personen wirtschaftlich vom Existenzminimum leben. Dadurch wird den Belangen "typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtberechtigter" (vgl BT-Drucks 10/335 S 89) angemessen Rechnung getragen. Im Gesamtzusammenhang der Vergünstigung ist zudem bedeutsam, dass sich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, die Vergünstigung, die mit der Ausgabe einer Wertmarke zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr einhergeht, allen nach § 145 Abs 1 S 1 SGB IX Berechtigten zukommen zu lassen, ohne dass es auf die Ursache ihrer Behinderung oder auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ankäme(vgl BT-Drucks 8/2453, S 8f).

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Nahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Straßenbahnen und Obussen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes auf Linien, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht übersteigt, es sei denn, dass bei den Verkehrsformen nach § 43 des Personenbeförderungsgesetzes die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beförderungsentgelte gemäß § 45 Absatz 3 des Personenbeförderungsgesetzes ganz oder teilweise verzichtet hat,
3.
S-Bahnen in der 2. Wagenklasse,
4.
Eisenbahnen in der 2. Wagenklasse in Zügen und auf Strecken und Streckenabschnitten, die in ein von mehreren Unternehmern gebildetes, mit den unter Nummer 1, 2 oder 7 genannten Verkehrsmitteln zusammenhängendes Liniennetz mit einheitlichen oder verbundenen Beförderungsentgelten einbezogen sind,
5.
Eisenbahnen des Bundes in der 2. Wagenklasse in Zügen, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Nahverkehr zu befriedigen (Züge des Nahverkehrs),
6.
sonstigen Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes in der 2. Wagenklasse auf Strecken, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 Kilometern nicht überschreitet,
7.
Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen; Nachbarschaftsbereich ist der Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinander grenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind.

(2) Fernverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist der öffentliche Personenverkehr mit

1.
Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach § 42a Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes,
2.
Eisenbahnen, ausgenommen der Sonderzugverkehr,
3.
Wasserfahrzeugen im Fähr- und Übersetzverkehr, sofern keine Häfen außerhalb des Geltungsbereiches dieses Buches angelaufen werden, soweit der Verkehr nicht Nahverkehr im Sinne des Absatzes 1 ist.

(3) Die Unternehmer, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, weisen im öffentlichen Personenverkehr nach Absatz 1 Nummer 2, 5, 6 und 7 im Fahrplan besonders darauf hin, inwieweit eine Pflicht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 228 Absatz 1 nicht besteht.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.