Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 19. Dez. 2012 - 10 B 28/12

bei uns veröffentlicht am19.12.2012

Gründe

1

Die auf den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) hat Erfolg. Aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Berufungsentscheidung durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).

2

Der geltend gemachte Gehörsverstoß liegt vor. Der Kläger rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe seinen Schriftsatz vom 25. April 2012 bei Fassung seines Beschlusses vom 3. Mai 2012 nicht zur Kenntnis genommen. Dieser Schriftsatz ist nicht zu den Gerichtsakten gelangt und war ausweislich des Nichtabhilfebeschlusses vom 3. Juli 2012 dem zuständigen Senat des Berufungsgerichts nicht bekannt. Der beschließende Senat hat sich jedoch im Wege des Freibeweises die Überzeugungsgewissheit davon verschafft, dass der Schriftsatz den Verwaltungsgerichtshof als Telefax erreicht hat. Diese Überzeugung beruht auf dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers, den von ihm vorgelegten Sendeberichten und dem Sendejournal seines Faxgeräts vom 25. April 2012 sowie auf der Kopie des Fax-Empfangsjournals des Verwaltungsgerichtshofs vom gleichen Tag. Dem schlüssigen Vorbringen des Prozessbevollmächtigten ist zu entnehmen, dass er am 25. April 2012 vier Faxschreiben an den Verwaltungsgerichtshof übersandt hat, darunter auch den strittigen Schriftsatz in dem hier vorliegenden Verfahren. Nach dem Telefax-Empfangsjournal des Verwaltungsgerichtshofs sind dort am 25. April 2012 zwischen 15:57 Uhr und 16:06 Uhr vier Telefaxe des Klägervertreters mit der entsprechenden Anzahl an Seiten eingegangen. Vor diesem Hintergrund hat der Senat keinen Zweifel daran, dass auch der auf das vorliegende Verfahren bezogene Schriftsatz das Berufungsgericht erreicht hat (vgl. zum Beweiswert korrespondierender Sende- und Empfangsberichte: BAG, Urteil vom 18. Januar 2012 - 7 AZR 211/09 - NZA 2012, 691 Rn. 19). Steht aber fest, dass der Schriftsatz den Organisationsbereich des Verwaltungsgerichtshofs auf einem zugelassenen Weg erreicht hat, ist es für die Wahrung des rechtlichen Gehörs ohne Bedeutung, ob er als Teil der Gerichtsakten nicht berücksichtigt worden ist oder - wie hier - dem zur Entscheidung berufenen Senat - ob verschuldet oder nicht - überhaupt nicht vorlag.

3

Auf diesem Gehörsverstoß beruht die angefochtene Entscheidung. Nach § 138 Nr. 3 VwGO gilt die Versagung des rechtlichen Gehörs stets als ursächlich für die angefochtene Entscheidung. Das ist nur ausnahmsweise dann nicht der Fall, wenn der Verfahrensverstoß unter keinem denkbaren Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein konnte, insbesondere eine unberücksichtigt gebliebene Äußerung "neben der Sache" liegt (Beschluss vom 15. Juli 2008 - BVerwG 8 B 24.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 77 Rn. 6). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

4

a) Zwar hätte das vom Kläger als Beweisantrag bezeichnete Vorbringen das Berufungsgericht weder zu einer Beweiserhebung noch zu einer erneuten Anhörung nach § 130a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO verpflichtet. Denn der "Beweisantrag",

"zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger bei einer Rückkehr, der im Alter von 14 Jahren Afghanistan verlassen hat, der keine ausreichende Schulbildung oder Ausbildung hätte, völlig ungelernt, ohne jegliche Existenzgrundlage nach Afghanistan zurückkehren müsste, auch in Kabul kein Unterkommen hätte, sondern in jenen Flüchtlingslagern, in denen absolut menschenverachtende Zustände herrschen, dahinvegetieren müsste, wobei die Zustände in diesen Flüchtlingslagern jeder Beschreibung spotten, so schlimm sind, dass jemand dorthin zu schicken, eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellt, sodass damit eine akute Gefahr für Leib und Leben verbunden ist, alles Andere wäre v e r f a s s u n g s w i d r i g , weil gegen die Menschenwürde verstoßend,... den sachverständigen Zeugen R. ... als sachverständigen Zeugen zu vernehmen bzw. von ihm ein Sachverständigengutachten einzuholen."

ist unzulässig. Der Antrag, der die gesamte Fallfrage des Bestehens eines Abschiebungsverbots gemäß Art. 3 EMRK zum Gegenstand einer Beweiserhebung machen will, lässt kein hinreichend klares Beweisthema erkennen. Für einen Beweisantrag, der auf die Vernehmung eines sachverständigen Zeugen zielt (§ 98 VwGO i.V.m. § 414 ZPO), muss neben der Behauptung von dessen besonderer Sachkunde im Einzelnen (substantiiert) dargelegt werden, welche kraft seiner besonderen Sachkunde wahrgenommenen Tatsachen er bekunden soll (Beschluss vom 27. März 2000 - BVerwG 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60 = InfAuslR 2000, 412). Daran fehlt es, denn der Kläger hat keine Hilfstatsachen benannt, aus denen sich die Schlussfolgerung ergeben soll, dass in den Flüchtlingslagern menschenverachtende Zuständen herrschen. Ein Antrag auf Sachverständigenbeweis setzt - anders als der Zeugenbeweis - zwar nicht voraus, dass einzelne konkrete Tatsachen in das Wissen der auskunftgebenden Stellen gestellt werden, da der Sachverständige sein Gutachten über das Beweisthema gegebenenfalls aufgrund eigener Tatsachenermittlungen zu erstatten hat. Zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags kann es daher genügen, wenn das Beweisthema im Beweisantrag hinreichend konkret umschrieben ist (Beschluss vom 27. März 2000 a.a.O.). Diesen Anforderungen genügt der "Beweisantrag" indes nicht.

5

b) Jedoch liegt die Behauptung des Klägers, er könne nur in Flüchtlingslagern unterkommen, "in denen absolut menschenverachtende Zustände herrschen", nicht "neben der Sache". Dieser Vortrag wäre vor dem Hintergrund, dass das Berufungsgericht die Informationen über die Situation in Kabul als "durchaus ambivalent" bewertet hat, in der Berufungsentscheidung tatrichterlich zu würdigen gewesen. Das hätte sich aufgedrängt, weil sich das Berufungsgericht u.a. die tatsächlichen Feststellungen und die Würdigung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 3. Februar 2011 - 13a B 10.30394 - juris) zu eigen gemacht hat. Danach ergebe sich aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, dass Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhielten. Dies aber zeige, dass eine Mindestversorgung damit gegeben sei (BA S. 10 f.). Schon angesichts dieser tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts lässt sich nicht feststellen, der Vortrag des Klägers liege "neben der Sache" und hätte unter keinen Umständen Einfluss auf das Verfahren und das Ergebnis nehmen können.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 133


(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden. (2) Die Beschwerde ist bei dem Gericht, gegen dessen Urteil Revision eingelegt werden soll, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 138


Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn1.das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,2.bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes aus

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 125


(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung. (2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 98


Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 130a


Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entspre

Zivilprozessordnung - ZPO | § 414 Sachverständige Zeugen


Insoweit zum Beweis vergangener Tatsachen oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, sachkundige Personen zu vernehmen sind, kommen die Vorschriften über den Zeugenbeweis zur Anwendung.

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Bundesarbeitsgericht Urteil, 18. Jan. 2012 - 7 AZR 211/09

bei uns veröffentlicht am 18.01.2012

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 18. Februar 2009 - 11 Sa 650/08 - aufgehoben.

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(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist bei dem Gericht, gegen dessen Urteil Revision eingelegt werden soll, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen. Die Beschwerde muß das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Gericht, gegen dessen Urteil Revision eingelegt werden soll, einzureichen. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Wird der Beschwerde nicht abgeholfen, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß. Der Beschluß soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Liegen die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundesverwaltungsgericht in dem Beschluß das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 18. Februar 2009 - 11 Sa 650/08 - aufgehoben.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 3. Juni 2008 - 9 Ca 15892/07 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der Befristung in § 19 Abs. 1 des Manteltarifvertrags Nr. 1 für das Cockpitpersonal der Condor und Condor Berlin vom 1. Januar 2005 mit dem 31. Oktober 2007 endete.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer tariflichen Altersgrenze mit dem Ende des Monats endete, in dem der Kläger das 60. Lebensjahr vollendete.

2

Der am 11. Oktober 1947 geborene Kläger stand seit 1. Januar 1990 in einem Arbeitsverhältnis als Flugkapitän mit der S GmbH, das später auf die Beklagte überging. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft arbeitsvertraglicher Verweisung der Manteltarifvertrag Nr. 1 für das Cockpitpersonal der Condor und Condor Berlin vom 1. Januar 2005 (MTV Nr. 1) anzuwenden. § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 lautet:

        

„Das Arbeitsverhältnis endet - ohne dass es einer Kündigung bedarf - mit Ablauf des Monats, in dem der Mitarbeiter das 60. Lebensjahr vollendet.“

3

Die fachlichen Voraussetzungen und Prüfungen für den Erwerb von Lizenzen richten sich nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 der Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung(LuftVZO) idF der Verordnung zur Änderung luftrechtlicher Vorschriften über Anforderungen an Flugbesatzungen vom 10. Februar 2003 (BGBl. I S. 182). Der Umfang der Lizenzen bestimmt sich nach der Verordnung über Luftfahrtpersonal. Für Privatflugzeugführer, Berufsflugzeugführer und Verkehrsflugzeugführer galt zu dem Zeitpunkt, in dem der Kläger die tarifliche Altersgrenze am 31. Oktober 2007 erreichte, die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Bundesanzeiger bekannt gemachte Fassung der Bestimmungen über die Lizenzierung von Piloten von Flugzeugen (JAR-FCL 1 deutsch) vom 15. April 2003 (Bundesanzeiger Nr. 80a vom 29. April 2003; jetzt: JAR-FCL 1 deutsch idF vom 17. November 2008, Bundesanzeiger Nr. 13a vom 27. Januar 2009). Bei den Bestimmungen der JAR-FCL handelt es sich um ein unter deutscher Beteiligung erarbeitetes Regelwerk einer internationalen Institution, der Joint-Aviation-Authorities (JAA). JAR-FCL 1.060 idF vom 15. April 2003 lautet (in Buchst. a wortgleich mit der Fassung vom 17. November 2008):

        

„Beschränkungen für Lizenzinhaber nach Vollendung des 60. Lebensjahres

        

(a)     

60 - 64 Jahre:

        

Der Inhaber einer Lizenz darf nach Vollendung des 60. Lebensjahres nicht mehr als Pilot von Flugzeugen bei der gewerbsmäßigen Beförderung eingesetzt werden, es sei denn:

        

(1)     

er ist Mitglied einer Flugbesatzung, die aus mehreren Piloten besteht, und

        

(2)     

die anderen Piloten haben das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet.

        

(b)     

65 Jahre

        

Der Inhaber einer Lizenz darf nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr als Pilot von Flugzeugen bei der gewerbsmäßigen Beförderung eingesetzt werden.“

4

§ 4 der Ersten Durchführungsverordnung zur Verordnung über Luftfahrtpersonal(1. DV LuftPersV) vom 15. April 2003 (Bundesanzeiger Nr. 82b vom 3. Mai 2003) bestimmt:

        

„Der Inhaber einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Berufs- oder Verkehrspilotenlizenz oder der Inhaber einer Lizenz gemäß § 46 Abs. 5 LuftPersV darf nach Vollendung des 60. Lebensjahres bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres die Rechte seiner Lizenz auch in Luftfahrzeugen mit einer Mindestbesatzung von einem Piloten bei der gewerbsmäßigen Beförderung von Fluggästen, Post und/oder Fracht, beschränkt auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, ausüben.

        

Der Inhaber einer Pilotenlizenz darf nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr als Flugzeugführer bei der gewerbsmäßigen Beförderung von Fluggästen, Post und/oder Fracht eingesetzt werden.“

5

Der Kläger hat sich gegen die Befristung des Arbeitsverhältnisses durch die tarifliche Altersgrenze gewandt und die Auffassung vertreten, die Altersgrenze diskriminiere ihn wegen seines Alters. Sie verstoße gegen das AGG, die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16, Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie) und das dem primären Unionsrecht angehörende allgemeine Verbot der Altersdiskriminierung.

6

Der Kläger hat beantragt

         

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten nicht zum 31. Oktober 2007 beendet ist, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;

        

2.    

die Beklagte im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Flugkapitän am Stützpunkt M weiterzubeschäftigen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die tarifliche Altersgrenze für wirksam gehalten.

8

Die Klage vom 21. November 2007 ist urschriftlich am 26. November 2007 beim Arbeitsgericht eingegangen. Sie besteht aus insgesamt 39 Seiten, von denen zwölf Seiten auf die eigentliche Klageschrift und der übrige Text auf Anlagen entfallen. Auf der Klageschrift ist „vorab per Telefax“ vermerkt. Der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers hat auf Hinweis des Arbeitsgerichts vom 7. Mai 2008 mit Schriftsatz vom 14. Mai 2008 und ergänzend in der Kammerverhandlung vom 20. Mai 2008 vorgebracht, er habe die Klage selbst mit der Anlage K 6 - der Beendigungsmitteilung der Beklagten vom 25. April 2007 - vorab per Telefax am 21. November 2007 an das Arbeitsgericht versandt. Die Beklagte ist diesem Vortrag des Klägers nicht entgegengetreten. Der vom ehemaligen Klägervertreter vorgelegte Sendebericht weist für den 21. November 2007 in der Zeit von 10:24 Uhr bis 10:28 Uhr eine Telefaxsendung von 13 Seiten an das Arbeitsgericht mit dem Vermerk „OK“ aus. Der Sendebericht lässt das Wort „Klage“ und den Namen des Klägers erkennen. Das dreizehnseitige Telefax befindet sich nicht bei den Gerichtsakten. Am 21. November 2007, 10:32 Uhr, ist nach dem Empfangsbericht des Arbeitsgerichts jedoch ein Telefax der Kanzlei des früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers, das 13 Seiten umfasst, beim Arbeitsgericht eingegangen.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers ist begründet. Der Befristungskontrollantrag hat entgegen der Auffassung der Vorinstanzen in der Sache Erfolg. Über den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung hat der Senat nicht zu entscheiden.

11

A. Der als reines Befristungskontrollbegehren auszulegende Feststellungsantrag ist begründet. Die Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG ist gewahrt. Das Arbeitsverhältnis endete nicht aufgrund seiner Befristung am 31. Oktober 2007.

12

I. Der Feststellungsantrag ist ausschließlich als Befristungskontrollbegehren iSv. § 17 Satz 1 TzBfG zu verstehen, nicht auch als allgemeiner Feststellungsantrag iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. Der Kläger macht lediglich geltend, die in der Altersgrenzenregelung des § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 liegende Befristung sei unwirksam. Der letzte Halbsatz des Antrags „sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht“ ist keine allgemeine Feststellungsklage iSv. § 256 Abs. 1 ZPO, die unzulässig wäre, weil ihr das besondere Feststellungsinteresse fehlte. Es handelt sich um einen Zusatz ohne eigenständige prozessuale Bedeutung, mit dem der Kläger die regelmäßige Folge einer erfolgreichen Befristungskontrollklage - den unbefristeten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses - umschreibt.

13

II. Die Befristung des Arbeitsvertrags aufgrund der tariflichen Altersgrenze gilt nicht bereits nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als wirksam.

14

1. Der Kläger hat die prozessuale Klageerhebungsfrist des § 17 Satz 1 TzBfG gewahrt, obwohl sich das Telefax vom 21. November 2007 nicht bei den Gerichtsakten befindet und das Landesarbeitsgericht die Frage der rechtzeitigen Klageerhebung offengelassen hat.

15

a) Die Dreiwochenfrist des § 17 Satz 1 TzBfG ist eine prozessuale Klageerhebungsfrist. Wird die Klage nicht innerhalb von drei Wochen erhoben, ist die Klage zwar wegen § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als unbegründet abzuweisen. Das bedeutet aber nicht, dass das durch § 17 Satz 1 TzBfG begründete Erfordernis einer fristgebundenen Klage dem materiellen Recht zuzuordnen ist. Dem Arbeitnehmer wird nach § 17 Satz 1 TzBfG nur befristet ermöglicht, Rechtsschutz wegen der offenen materiellen Rechtslage zu erlangen. Die Versäumung der Frist führt unmittelbar zum Verlust des Klagerechts. Sie ist deshalb eine prozessuale Frist (vgl. zu der parallelen Problematik des § 4 Satz 1 KSchG im Zusammenhang mit der rügelosen Einlassung nach § 295 Abs. 1 Alt. 2 ZPO auf einen Unterschriftsmangel der Klage grundlegend BAG 26. Juni 1986 - 2 AZR 358/85 - zu B II 3 b der Gründe, BAGE 52, 263; bestätigt zB von 6. August 1987 - 2 AZR 553/86 - zu II 2 c der Gründe; 11. Dezember 2008 - 2 AZR 472/08 - Rn. 26, BAGE 129, 32).

16

b) Die rechtzeitige Vornahme einer Prozesshandlung - hier die rechtzeitige Klageerhebung - wird im Regelfall durch den Eingangsstempel des angerufenen Gerichts auf dem entsprechenden Schriftsatz nachgewiesen (§ 418 Abs. 1 ZPO). Der Gegenbeweis ist jedoch zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Gleiches gilt, wenn eine öffentliche Urkunde für die zu beweisende Tatsache fehlt. Der im Weg des Freibeweises zu führende (Gegen-)Beweis erfordert mehr als bloße Glaubhaftmachung iSv. § 294 Abs. 1 ZPO. Notwendig ist die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang. Dabei dürfen die Anforderungen wegen der Beweisnot des Klägers hinsichtlich gerichtsinterner Vorgänge nicht überspannt werden (vgl. für die st. Rspr. etwa BGH 15. September 2005 - III ZB 81/04 - zu II der Gründe, BB 2005, 2325 im Zusammenhang mit der Berufungsbegründungsschrift; bestätigt zB von 11. November 2009 - XII ZB 174/08 - Rn. 8, NJW-RR 2010, 217; siehe auch 10. Januar 2006 - VI ZB 61/05 - Rn. 6, VersR 2006, 568; 16. Januar 2007 - VIII ZB 75/06 - Rn. 10, NJW 2007, 1457). Da die Vers

äumung der prozessualen Klageerhebungsfrist den Verlust des Klagerechts zur Folge hat, gelten die Regeln des Freibeweises (vgl. für den Betriebsratsbeschluss zur Einleitung eines Beschlussverfahrens BAG 30. September 2008 - 1 ABR 54/07 - Rn. 11, BAGE 128, 92). Auch seit Inkrafttreten des § 284 Satz 2 ZPO am 1. September 2004 ist für die Frage der Wahrung von Prozess- und Prozessfortsetzungsvoraussetzungen kein Einverständnis der Parteien mit dem Freibeweis erforderlich (vgl. die ohne Einverständnis der Parteien, wenn auch ohne Problematisierung vorgenommene Prüfung in BGH 11. November 2009 - XII ZB 174/08 - aaO; 16. Januar 2007 - VIII ZB 75/06 - aaO; 10. Januar 2006 - VI ZB 61/05 - aaO; aA zB Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 284 ZPO Rn. 1). Auch die aufgrund Freibeweises getroffenen Entscheidungen unterliegen dem Gebot bestmöglicher Sachaufklärung (vgl. BVerfG 28. September 2010 - 2 BvR 1081/10 - Rn. 19; siehe auch 22. November 2011 - 2 BvR 1334/10 - Rn. 14, NJW 2012, 516). Die Beweislast dafür, dass die Klagefrist gewahrt ist, trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger (vgl. BGH 9. Februar 2009 - IV ZB 25/08 - Rn. 14 zu der Beweislast für die Einhaltung der Berufungsfrist).

17

c) Ob die Klagefrist gewahrt ist, kann das Revisionsgericht selbst im Weg des Freibeweises klären. Es muss das angefochtene Urteil nicht aufheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverweisen (vgl. für die vom Revisionssenat durchgeführte eigene Prüfung des vollständigen Eingangs der Berufungsbegründungsschrift BGH 5. November 2009 - IX ZR 131/07 - Rn. 8). Das Revisionsgericht darf selbst Ermittlungen zu der Frage der eingehaltenen Klagefrist anstellen, wenn der Rechtsfehler - wie hier - zunächst lediglich darin besteht, dass das Tatsachengericht die gebotene Aufklärung unterlassen hat. Eine Zurückverweisung allein zu dem Zweck, Verfahrenstatsachen zu klären, wäre ein überflüssiger, vom Zweck des Revisionsverfahrens nicht geforderter Umweg (vgl. zu der Frage des richtigen Sachvortrags zur Begründung eines Verfahrensverstoßes im Strafprozess BGH 3. Mai 2011 - 3 StR 277/10 - Rn. 19, StV 2012, 3; vgl. zum letztinstanzlichen Beschwerdeverfahren auch BVerwG 10. Mai 2010 - 4 B 18.10 - Rn. 5).

18

2. Nach diesen Grundsätzen ist der Freibeweis des per Telefax erfolgten vollständigen Eingangs der zwölfseitigen Klageschrift vom 21. November 2007 mit der Anlage K 6 noch am selben Tag erbracht. Der Senat ist davon überzeugt (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO), dass der Kläger die Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG gewahrt hat. Der rechtzeitige Eingang der Klage ist lediglich nicht verkörpert, weil sich das Telefax des damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht bei den Gerichtsakten befindet.

19

a) Nach dem widerspruchsfreien Vorbringen des Klägers, dem die Beklagte nicht entgegengetreten ist, und den in der Akte befindlichen, vom Landesarbeitsgericht festgestellten Telefaxberichten steht fest, dass die Klage vorab per Telefax am 21. November 2007 und damit fristgerecht beim Arbeitsgericht eingegangen ist. Dafür sprechen neben dem Vermerk „vorab per Telefax“ auf der Urschrift der Klage vor allem die Sende- und Empfangsberichte der Kanzlei des früheren Klägervertreters und des Arbeitsgerichts vom 21. November 2007. Sie weisen in großer zeitlicher Nähe von 10:24 Uhr bis 10:28 Uhr die Sendung und um 10:32 Uhr den Empfang eines Telefaxes dieser Kanzlei von 13 Seiten aus. Aus dem Sendebericht ergibt sich zudem, dass es sich um eine Klage unter dem Namen des Klägers handelte. Der Umstand, dass die Urschrift der Klage mit Anlagen 39 Seiten und nicht 13 Seiten umfasst, steht einem rechtzeitigen Eingang der Klage per Telefax nicht entgegen. Es ist plausibel, dass der frühere Klägervertreter vorab per Telefax nur den zwölfseitigen Text der Klageschrift und die eine Seite umfassende Beendigungsmitteilung der Beklagten vom 25. April 2007 übersandt hat.

20

b) Da der rechtzeitige Eingang der Klage per Telefax feststeht, kann auf sich beruhen, ob sich die Beklagte nach dem Hinweis des Arbeitsgerichts vom 7. Mai 2008 rügelos iSv. § 295 Abs. 1 Alt. 2 ZPO auf den Mangel der innerhalb der Klagefrist nicht verkörperten Klageschrift einlassen konnte (vgl. zu einer rügelosen Einlassung bei einer nicht unterschriebenen Klage BAG 26. Juni 1986 - 2 AZR 358/85 - zu B II 3 c der Gründe, BAGE 52, 263; bestätigt von 6. August 1987 - 2 AZR 553/86 - zu II 2 d und e der Gründe).

21

III. Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete nicht aufgrund seiner Befristung mit dem Ende des Monats der Vollendung des 60. Lebensjahres am 31. Oktober 2007. Die auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende tarifliche Altersgrenze in § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 verstößt gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters in § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Sie ist nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam(vgl. zu der abweichenden früheren Rspr., die Altersgrenzen von 60 Jahren für Piloten vor Inkrafttreten des AGG für sachlich gerechtfertigt iSv. § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG hielt, zuletzt BAG 21. Juli 2004 - 7 AZR 589/03 - zu II der Gründe mwN, EzA BGB 2002 § 620 Altersgrenze Nr. 5; verfassungsrechtlich gebilligt von BVerfG 25. November 2004 -  1 BvR 2459/04 - zu B II 3 c aa der Gründe, BVerfGK 4, 219).

22

1. Die Vorschriften des AGG sind auf den Streitfall anzuwenden.

23

a) Dem steht nicht entgegen, dass die tarifliche Altersgrenze in § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 von den Tarifvertragsparteien am 1. Januar 2005 und damit vor Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 vereinbart wurde. Die Regelungen des AGG sind auch auf Altersgrenzen anzuwenden, die vor Inkrafttreten des AGG einzelvertraglich oder tarifvertraglich vereinbart wurden, wenn die Altersgrenze im Einzelfall erst mit oder nach Inkrafttreten des AGG erreicht wird. Nur wenn die Altersgrenze bereits vor dem 18. August 2006 erreicht wurde, gilt nach § 33 Abs. 1 AGG altes Recht(vgl. ausführlich BAG 17. Juni 2009 - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 36 ff. mwN, BAGE 131, 113).

24

b) Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger vollendete sein 60. Lebensjahr am 11. Oktober 2007 und erreichte die tarifliche Altersgrenze am 31. Oktober 2007.

25

2. Die tarifliche Altersgrenze in § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 verstößt gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Mit der Altersgrenze ist eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters verbunden. Die Altersgrenze des § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 ist nicht nach Art. 2 Abs. 5 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie von deren Geltungsbereich ausgenommen. Die Benachteiligung ist weder durch § 8 Abs. 1 AGG noch durch § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG gerechtfertigt. Da das AGG ua. der Umsetzung der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie dient, ist es grundsätzlich unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit der Richtlinie auszulegen (vgl. BAG 17. Juni 2009 - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 43, BAGE 131, 113; 14. Januar 2009 - 3 AZR 20/07  - Rn. 17, BAGE 129, 105). Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verlangt, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der danach anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der betreffenden Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt (vgl. für die st. Rspr. EuGH 10. März 2011 - C-109/09 - [Deutsche Lufthansa] Rn. 55 mwN, EzA TzBfG § 14 Nr. 69).

26

a) Die tarifliche Altersgrenzenregelung des § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 enthält eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, gegenüber jüngeren Arbeitnehmern.

27

aa) Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Vereinbarungen, die gegen dieses Benachteiligungsverbot verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Der Begriff der Benachteiligung bestimmt sich nach § 3 AGG. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

28

bb) Wird eine tarifliche Altersgrenze wie die des § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 erreicht, wird der Arbeitsvertrag automatisch beendet. Arbeitnehmer, die dieses Alter erreicht haben, erfahren eine weniger günstige Behandlung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG als vergleichbare jüngere Arbeitnehmer.

29

(1) Eine solche Regelung führt unmittelbar zu einer auf dem Alter beruhenden Ungleichbehandlung bei den Entlassungsbedingungen (vgl. BAG 21. September 2011 - 7 AZR 134/10 - Rn. 27; 8. Dezember 2010 - 7 AZR 438/09 - Rn. 39 mwN, AP TzBfG § 14 Nr. 77 = EzA BGB 2002 § 620 Altersgrenze Nr. 10; 17. Juni 2009 - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 44 f., BAGE 131, 113 ). Wie der Gerichtshof in der Vorabentscheidung Prigge ausdrücklich erkannt hat, erfährt ein Pilot, dessen Arbeitsverhältnis aufgrund einer tariflichen Altersgrenze automatisch mit dem Monat endet, in dem er das 60. Lebensjahr vollendet, eine weniger günstige Behandlung als ein Pilot, der jünger ist und für dieselbe Luftfahrtgesellschaft die gleiche Tätigkeit ausübt und/oder demselben Tarifvertrag unterliegt. Die Altersgrenze begründet eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung iSv. Art. 1 iVm. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG (vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 42 ff., EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22 mit erläuternder Anm. Thüsing/Pötters ZIP 2011, 1886; siehe auch 21. Juli 2011 - C-159/10 und C-160/10  - [Fuchs] Rn. 33, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 20; 18. November 2010 - C-250/09 - [Georgiev] Rn. 32, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 18; 12. Oktober 2010 - C-45/09 - [Rosenbladt] Rn. 37, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 620 Altersgrenze Nr. 9; 12. Januar 2010 - C-229/08 - [Wolf] Rn. 28, Slg. 2010, I-1; 12. Januar 2010 - C-341/08 - [Petersen] Rn. 34, Slg. 2010, I-47; 18. Juni 2009 - C-88/08 - [Hütter] Rn. 37, Slg. 2009, I-5325; 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 33, Slg. 2009, I-1569; 16. Oktober 2007 - C-411/05 - [Palacios de la Villa] Rn. 51, Slg. 2007, I-8531; zu der Altersgrenzenrechtsprechung des Gerichtshofs Preis NZA 2010, 1323).

30

(2) Eine nationale Regelung - hier § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG - kann es aus einem sachlichen Grund zulassen, dass ein Tarifvertrag Arbeitsverträge automatisch enden lässt, wenn ein bestimmtes Alter erreicht wird. Das ändert nichts daran, dass dieser Tarifvertrag dem Unionsrecht und insbesondere der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG zu entsprechen hat (vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 46, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22; 12. Oktober 2010 - C-45/09 - [Rosenbladt] Rn. 53, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 620 Altersgrenze Nr. 9 ). Das in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union proklamierte Recht auf Kollektivverhandlungen muss im Geltungsbereich des Unionsrechts im Einklang mit ihm ausgeübt werden(vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 47, aaO; 18. Dezember 2007 - C-341/05 - [Laval un Partneri] Rn. 91, Slg. 2007, I-11767; 11. Dezember 2007 - C-438/05 - [Viking Line] Rn. 44, Slg. 2007, I-10779). Wenn die Sozialpartner Maßnahmen treffen, die in den Geltungsbereich der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie fallen, die für Beschäftigung und Beruf das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters konkretisiert, müssen sie daher unter Beachtung dieser Richtlinie vorgehen (vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 48, aaO).

31

b) Die Altersgrenze des § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 ist nicht nach Art. 2 Abs. 5 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie von deren Geltungsbereich ausgenommen.

32

aa) Nach ihrem Art. 2 Abs. 5 berührt die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

33

bb) Die Sozialpartner sind keine öffentlich-rechtlich verfassten Einrichtungen. Das hindert die Mitgliedstaaten aber nicht, es den Sozialpartnern zu gestatten, Maßnahmen iSv. Art. 2 Abs. 5 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie auf den in dieser Bestimmung genannten Gebieten, die in den Anwendungsbereich von Tarifverträgen fallen, zu treffen. Diese Ermächtigungsvorschriften müssen hinreichend genau sein, damit gewährleistet wird, dass die genannten Maßnahmen die in Art. 2 Abs. 5 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie genannten Anforderungen beachten(vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 60 f., EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22).

34

cc) Die Tarifvertragsparteien sind mit Blick auf § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 der Ansicht, dass für die Ausübung der Tätigkeit der Piloten wegen der Sicherheit der Passagiere und der Bewohner der überflogenen Gebiete, aber auch aus Gründen, die die Gesundheit und die Sicherheit der Piloten selbst betreffen, eine Altersgrenze von 60 Jahren festzulegen ist. Diese Maßnahme verfolgt Ziele, die mit der öffentlichen Sicherheit und dem Schutz der Gesundheit in Zusammenhang stehen. Sie fällt in den Anwendungsbereich von Tarifverträgen. Es ist nach der nationalen und der internationalen Lizenzregelung jedoch nicht erforderlich, den Piloten die Ausübung ihrer Tätigkeit nach Vollendung des 60. Lebensjahres zu untersagen. Es genügt nach JAR-FCL 1.060 Buchst. a, diese Ausübung dahin zu beschränken, dass ein weiterer Pilot, der das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Mitglied der Flugbesatzung ist. Das in der tariflichen Altersgrenze enthaltene Verbot, mit dem Ende des Monats, in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird, ein Flugzeug zu führen, ist nicht notwendig iSv. Art. 2 Abs. 5 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie, um das verfolgte Ziel zu erreichen(vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 62 bis 64, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22; zu der vom Gerichtshof vorgenommenen strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Altersgrenzen unterhalb der gesetzlichen Regelaltersgrenze für bestimmte Beschäftigtengruppen Preis NZA 2010, 1323, 1327; Thüsing/Pötters ZIP 2011, 1886, 1888).

35

c) Die unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters durch die Altersgrenze in § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 ist nicht nach § 8 Abs. 1 AGG oder § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG gerechtfertigt.

36

aa) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines der in § 1 genannten Merkmale ist nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig, wenn dieses Merkmal wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Eine besondere Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wegen des Alters enthält § 10 AGG. Nach § 10 Satz 1 AGG ist - ungeachtet des § 8 AGG - eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein( vgl. BAG 17. Juni 2009 - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 42, BAGE 131, 113 ).

37

bb) Mit § 8 Abs. 1 sowie § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG hat der Gesetzgeber die Regelungen in Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie in nationales Recht umgesetzt (vgl. zu § 8 Abs. 1 AGG den besonderen Teil der Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 16/1780 S. 35 f.; zum Umsetzungswillen für die gesamte Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie auch den allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 16/1780 S. 1 bis 3 und S. 20 bis 27). Dabei hat er den Text der Richtlinie nahezu wörtlich in das nationale Recht übernommen (BAG 17. Juni 2009 - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 43, BAGE 131, 113 ). Dessen Regelungen sind unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit der Richtlinie auszulegen (vgl. BAG 17. Juni 2009 - 7 AZR 112/08 (A) - aaO; 14. Januar 2009 - 3 AZR 20/07  - Rn. 17, BAGE 129, 105).

38

cc) Die unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters durch die Altersgrenze in § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 ist nicht durch § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt.

39

(1) Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines der in § 1 genannten Merkmale zulässig, wenn dieses Merkmal wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Das entspricht weitgehend dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie. Danach können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das in Zusammenhang mit einem der in Art. 1 dieser Richtlinie genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.

40

(2) Für Verkehrspiloten ist es wesentlich, dass sie über besondere körperliche Fähigkeiten verfügen, weil körperliche Schwächen in diesem Beruf erhebliche Konsequenzen haben können. Die körperlichen Fähigkeiten nehmen aus Sicht des Gerichtshofs ab einem bestimmten Lebensalter ab (vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 67, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22 mit Bezug auf 12. Januar 2010 - C-229/08 - [Wolf] Rn. 41, Slg. 2010, I-1; vgl. auch BVerfG 25. November 2004 - 1 BvR 2459/04 - zu B II 3 c aa der Gründe mwN, BVerfGK 4, 219). Für die Ausübung des Berufs eines Verkehrspiloten kann das Vorhandensein besonderer körperlicher - altersabhängiger - Fähigkeiten deswegen als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung iSv. Art. 4 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie angesehen werden(vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] aaO).

41

(3) Rechtmäßiger Zweck der tariflichen Altersgrenze ist es, die Sicherheit des Flugverkehrs zu gewährleisten (vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 68 f., EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22).

42

(4) Die Tarifvertragsparteien haben den Verkehrspiloten, die unter § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 fallen, aber eine unverhältnismäßige Anforderung iSv. Art. 4 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie auferlegt, indem sie die Altersgrenze, von der an die Piloten als körperlich nicht mehr fähig zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gelten, auf das Ende des Monats der Vollendung des 60. Lebensjahres festgelegt haben. Die nationalen und die internationalen Lizenzregelungen lassen die Ausübung dieser Tätigkeit im doppelt besetzten (Co-)Pilotencockpit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zu, wenn der Besatzung ein (Co-)Pilot angehört, der das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 73, 75, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22). Es gibt keine hinreichend belastbaren Erkenntnisse dafür, dass die derzeit geltenden öffentlich-rechtlichen Beschränkungen für die Sicherheit des Luftverkehrs nicht ausreichend und deshalb weiter gehende tarifliche Beschränkungen erforderlich sind (vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 74, aaO).

43

(5) Für den mit Art. 4 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie fast textgleichen § 8 Abs. 1 AGG gilt nach richtlinienkonformer Auslegung nichts anderes. Die tarifliche Altersgrenze in § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 begründet eine unangemessene Anforderung iSv. § 8 Abs. 1 AGG.

44

dd) Die unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters durch die Altersgrenze in § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1 ist nicht durch § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG gerechtfertigt.

45

(1) Nach § 10 Satz 1 AGG ist - ungeachtet des § 8 AGG - eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. Diese Vorschriften setzen Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie um. Dort ist bestimmt, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

46

(2) Das Ziel der Flugsicherheit unterfällt nicht dem Begriff des Ziels iSv. § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG. Diese Vorschriften sind richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Flugsicherheit kein legitimes Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG ist. Ziele, die als „legitim“ iSv. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie und damit als geeignet angesehen werden können, eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters zu rechtfertigen, sind sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung (vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 81, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22; 18. Juni 2009 - C-88/08 - [Hütter] Rn. 41, Slg. 2009, I-5325; 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 46, Slg. 2009, I-1569 ). Ein Ziel wie das der Flugsicherheit gehört nicht zu den in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie genannten Zielen (vgl. EuGH 13. September 2011 - C-447/09 - [Prigge] Rn. 82, aaO).

47

d) Die tarifliche Altersgrenze in § 19 Abs. 1 MTV Nr. 1, die schon eintritt, bevor das gesetzliche Rentenalter erreicht ist, verstößt damit gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters in § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Sie ist nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Die Unwirksamkeitsfolge gilt auch für tarifliche Regelungen (vgl. zB BAG 15. Februar 2011 - 9 AZR 584/09 - Rn. 54, AP TVG § 1 Vorruhestand Nr. 34; 8. Dezember 2010 - 7 ABR 98/09 - Rn. 63, EzA TVG § 1 Betriebsnorm Nr. 5). Die Altersgrenze entfällt, ohne dass die Lücke gefüllt werden könnte (vgl. ErfK/Schlachter 12. Aufl. § 7 AGG Rn. 6).

48

B. Der auf vorläufige Weiterbeschäftigung gerichtete Antrag des Klägers fällt nicht zur Entscheidung des Senats an. Mit diesem Antrag macht der Kläger den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts entwickelten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch für die Dauer des Rechtsstreits geltend (vgl. BAG 27. Februar 1985 - GS 1/84 - zu C der Gründe, BAGE 48, 122). Der Rechtsstreit ist mit Verkündung der Entscheidung des Senats über den Befristungskontrollantrag rechtskräftig abgeschlossen (vgl. für die st. Rspr. BAG 23. Juni 2010 - 7 AZR 1021/08 - Rn. 25, AP TzBfG § 14 Nr. 76 = EzA BGB 2002 § 620 Altersgrenze Nr. 8).

49

C. Die Beklagte hat nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

        

    Linsenmaier    

        

    Kiel    

        

    Gallner    

        

        

        

    R. Gmoser    

        

    Gerschermann    

                 

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung.

(2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.

Insoweit zum Beweis vergangener Tatsachen oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, sachkundige Personen zu vernehmen sind, kommen die Vorschriften über den Zeugenbeweis zur Anwendung.

Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.