Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 19. Dez. 2012 - 10 B 28/12

published on 19/12/2012 00:00
Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 19. Dez. 2012 - 10 B 28/12
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Gericht

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Gründe

1

Die auf den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) hat Erfolg. Aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Berufungsentscheidung durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).

2

Der geltend gemachte Gehörsverstoß liegt vor. Der Kläger rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe seinen Schriftsatz vom 25. April 2012 bei Fassung seines Beschlusses vom 3. Mai 2012 nicht zur Kenntnis genommen. Dieser Schriftsatz ist nicht zu den Gerichtsakten gelangt und war ausweislich des Nichtabhilfebeschlusses vom 3. Juli 2012 dem zuständigen Senat des Berufungsgerichts nicht bekannt. Der beschließende Senat hat sich jedoch im Wege des Freibeweises die Überzeugungsgewissheit davon verschafft, dass der Schriftsatz den Verwaltungsgerichtshof als Telefax erreicht hat. Diese Überzeugung beruht auf dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers, den von ihm vorgelegten Sendeberichten und dem Sendejournal seines Faxgeräts vom 25. April 2012 sowie auf der Kopie des Fax-Empfangsjournals des Verwaltungsgerichtshofs vom gleichen Tag. Dem schlüssigen Vorbringen des Prozessbevollmächtigten ist zu entnehmen, dass er am 25. April 2012 vier Faxschreiben an den Verwaltungsgerichtshof übersandt hat, darunter auch den strittigen Schriftsatz in dem hier vorliegenden Verfahren. Nach dem Telefax-Empfangsjournal des Verwaltungsgerichtshofs sind dort am 25. April 2012 zwischen 15:57 Uhr und 16:06 Uhr vier Telefaxe des Klägervertreters mit der entsprechenden Anzahl an Seiten eingegangen. Vor diesem Hintergrund hat der Senat keinen Zweifel daran, dass auch der auf das vorliegende Verfahren bezogene Schriftsatz das Berufungsgericht erreicht hat (vgl. zum Beweiswert korrespondierender Sende- und Empfangsberichte: BAG, Urteil vom 18. Januar 2012 - 7 AZR 211/09 - NZA 2012, 691 Rn. 19). Steht aber fest, dass der Schriftsatz den Organisationsbereich des Verwaltungsgerichtshofs auf einem zugelassenen Weg erreicht hat, ist es für die Wahrung des rechtlichen Gehörs ohne Bedeutung, ob er als Teil der Gerichtsakten nicht berücksichtigt worden ist oder - wie hier - dem zur Entscheidung berufenen Senat - ob verschuldet oder nicht - überhaupt nicht vorlag.

3

Auf diesem Gehörsverstoß beruht die angefochtene Entscheidung. Nach § 138 Nr. 3 VwGO gilt die Versagung des rechtlichen Gehörs stets als ursächlich für die angefochtene Entscheidung. Das ist nur ausnahmsweise dann nicht der Fall, wenn der Verfahrensverstoß unter keinem denkbaren Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein konnte, insbesondere eine unberücksichtigt gebliebene Äußerung "neben der Sache" liegt (Beschluss vom 15. Juli 2008 - BVerwG 8 B 24.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 77 Rn. 6). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

4

a) Zwar hätte das vom Kläger als Beweisantrag bezeichnete Vorbringen das Berufungsgericht weder zu einer Beweiserhebung noch zu einer erneuten Anhörung nach § 130a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO verpflichtet. Denn der "Beweisantrag",

"zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger bei einer Rückkehr, der im Alter von 14 Jahren Afghanistan verlassen hat, der keine ausreichende Schulbildung oder Ausbildung hätte, völlig ungelernt, ohne jegliche Existenzgrundlage nach Afghanistan zurückkehren müsste, auch in Kabul kein Unterkommen hätte, sondern in jenen Flüchtlingslagern, in denen absolut menschenverachtende Zustände herrschen, dahinvegetieren müsste, wobei die Zustände in diesen Flüchtlingslagern jeder Beschreibung spotten, so schlimm sind, dass jemand dorthin zu schicken, eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellt, sodass damit eine akute Gefahr für Leib und Leben verbunden ist, alles Andere wäre v e r f a s s u n g s w i d r i g , weil gegen die Menschenwürde verstoßend,... den sachverständigen Zeugen R. ... als sachverständigen Zeugen zu vernehmen bzw. von ihm ein Sachverständigengutachten einzuholen."

ist unzulässig. Der Antrag, der die gesamte Fallfrage des Bestehens eines Abschiebungsverbots gemäß Art. 3 EMRK zum Gegenstand einer Beweiserhebung machen will, lässt kein hinreichend klares Beweisthema erkennen. Für einen Beweisantrag, der auf die Vernehmung eines sachverständigen Zeugen zielt (§ 98 VwGO i.V.m. § 414 ZPO), muss neben der Behauptung von dessen besonderer Sachkunde im Einzelnen (substantiiert) dargelegt werden, welche kraft seiner besonderen Sachkunde wahrgenommenen Tatsachen er bekunden soll (Beschluss vom 27. März 2000 - BVerwG 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60 = InfAuslR 2000, 412). Daran fehlt es, denn der Kläger hat keine Hilfstatsachen benannt, aus denen sich die Schlussfolgerung ergeben soll, dass in den Flüchtlingslagern menschenverachtende Zuständen herrschen. Ein Antrag auf Sachverständigenbeweis setzt - anders als der Zeugenbeweis - zwar nicht voraus, dass einzelne konkrete Tatsachen in das Wissen der auskunftgebenden Stellen gestellt werden, da der Sachverständige sein Gutachten über das Beweisthema gegebenenfalls aufgrund eigener Tatsachenermittlungen zu erstatten hat. Zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags kann es daher genügen, wenn das Beweisthema im Beweisantrag hinreichend konkret umschrieben ist (Beschluss vom 27. März 2000 a.a.O.). Diesen Anforderungen genügt der "Beweisantrag" indes nicht.

5

b) Jedoch liegt die Behauptung des Klägers, er könne nur in Flüchtlingslagern unterkommen, "in denen absolut menschenverachtende Zustände herrschen", nicht "neben der Sache". Dieser Vortrag wäre vor dem Hintergrund, dass das Berufungsgericht die Informationen über die Situation in Kabul als "durchaus ambivalent" bewertet hat, in der Berufungsentscheidung tatrichterlich zu würdigen gewesen. Das hätte sich aufgedrängt, weil sich das Berufungsgericht u.a. die tatsächlichen Feststellungen und die Würdigung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 3. Februar 2011 - 13a B 10.30394 - juris) zu eigen gemacht hat. Danach ergebe sich aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, dass Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhielten. Dies aber zeige, dass eine Mindestversorgung damit gegeben sei (BA S. 10 f.). Schon angesichts dieser tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts lässt sich nicht feststellen, der Vortrag des Klägers liege "neben der Sache" und hätte unter keinen Umständen Einfluss auf das Verfahren und das Ergebnis nehmen können.

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(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache
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published on 18/01/2012 00:00

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 18. Februar 2009 - 11 Sa 650/08 - aufgehoben.
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(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist bei dem Gericht, gegen dessen Urteil Revision eingelegt werden soll, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen. Die Beschwerde muß das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Gericht, gegen dessen Urteil Revision eingelegt werden soll, einzureichen. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Wird der Beschwerde nicht abgeholfen, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß. Der Beschluß soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Liegen die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundesverwaltungsgericht in dem Beschluß das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung.

(2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.

Insoweit zum Beweis vergangener Tatsachen oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, sachkundige Personen zu vernehmen sind, kommen die Vorschriften über den Zeugenbeweis zur Anwendung.

Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.