Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 14. Dez. 2011 - 2 BvR 68/11
Gericht
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Aufhebung einer Aussetzung der Unterbringung im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 463 Abs. 1 in Verbindung mit § 454a Abs. 2 Satz 1 StPO.
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1. Der Beschwerdeführer wurde wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Aufgrund einer weiteren Tatserie wurde er wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten sowie zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt. Mit Beschluss vom 28. Januar 2010 setzte das Landgericht Regensburg die Vollstreckung der Reststrafe sowie die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ab dem 15. September 2010 unter anderem unter der Voraussetzung aus, dass der Beschwerdeführer in ein näher bezeichnetes Männerwohnheim einziehe.
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a) Mit Beschluss vom 3. September 2010 hat das Landgericht Traunstein diesen Beschluss nach § 463 Abs. 1 in Verbindung mit § 454a Abs. 2 Satz 1 StPO aufgehoben, weil die Aufnahme des Beschwerdeführers von dem in Aussicht genommenen Männerwohnheim mit der Begründung verweigert worden war, dass der Beschwerdeführer die Tat nicht eingestehe, er sich nicht schuldbewusst zeige und die für eine Aufnahme unverzichtbare Voraussetzung einer abgeschlossenen Therapie nicht vorliege. Damit fehle es an einem geeigneten sozialen Empfangsraum als Voraussetzung dafür, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde.
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b) In seiner sofortigen Beschwerde hat der Beschwerdeführer die fehlende Verhältnismäßigkeit der fortgesetzten Unterbringung gerügt und sich insbesondere gegen die Weisung im Bewährungsbeschluss gewandt, wonach er in das die Aufnahme verweigernde Männerwohnheim einzuziehen habe. Die Erfüllung der Weisung hänge in unzulässiger Weise allein vom "guten Willen Dritter" ab.
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c) Mit Beschluss vom 9. Dezember 2010 hat das Oberlandesgericht München die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen. Die Ausführungen des Landgerichts hielten den gesetzlichen Anforderungen vollumfänglich stand. Es sei absehbar, dass bei einem von Anfang an fehlenden sozialen Empfangsraum in einem aufnahmebereiten Männerwohnheim bereits die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nicht erfolgt wäre.
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2. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen diese Entscheidungen und rügt insbesondere den Beschluss des Oberlandesgerichts München als willkürlich. Das Oberlandesgericht München habe sich mit verschiedenen Aspekten des Maßregelvollzugs in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nicht auseinandergesetzt und überdies verkannt, dass die bedingte Aussetzung des Maßregelvollzugs zur Bewährung gerade keinen vollumfänglichen Erfolg des bisherigen Vollzugs verlange.
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3. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Sie ist unzulässig, weil der Rechtsweg nicht erschöpft ist (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
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a) Vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde muss im Regelfall der Rechtsweg erschöpft werden (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Dazu gehört, soweit sie statthaft ist, auch die Anhörungsrüge (vgl. BVerfGE 122, 190 <198>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2407/10 -, juris, Rn. 2).
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b) Für die Erhebung der Anhörungsrüge ist es unerheblich, ob der Beschwerdeführer die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör ausdrücklich und unter Anführung von Art. 103 Abs. 1 GG rügt. Denn die Obliegenheit, vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde den Rechtsweg zu erschöpfen, erfasst auch die Erhebung einer statthaften und nicht von vornherein völlig aussichtslosen Anhörungsrüge, unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer einen Gehörsverstoß geltend machen will. Entscheidend ist allein, ob bei objektiver Betrachtung eine Korrektur der von ihm gerügten sonstigen Grundrechtsverstöße durch die Erhebung einer Anhörungsrüge möglich gewesen wäre (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 2011 - 1 BvR 1468/11 -, juris, Rn. 6; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2407/10 -, juris, Rn. 3).
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c) Zwar verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG die Gerichte nicht, sich mit jeglichem tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten auseinanderzusetzen (vgl. BVerfGE 5, 22 <24>; 96, 205 <216 f.>; stRspr). Gleichwohl können besondere Umstände darauf hindeuten, dass ein Gehörsverstoß durch eine nicht hinreichende Erwägung entscheidungserheblichen Vorbringens eingetreten ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 2011 - 2 BvR 2374/10 -, juris, Rn. 4; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juli 2008 - 2 BvR 610/08 -, juris, Rn. 6; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2407/10 -, juris, Rn. 5).
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d) Vorliegend wäre eine Anhörungsrüge (§ 33a StPO) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München statthaft und nicht von vornherein aussichtslos. In der Begründung seiner sofortigen Beschwerde hat der Beschwerdeführer unter anderem angeführt, dass die Aussetzung einer Unterbringung im Maßregelvollzug zur Bewährung nicht mit einer Auflage oder Weisung versehen werden darf, deren Einhaltung ausschließlich vom Verhalten Dritter abhängig ist. Das Oberlandesgericht hat sich weder mit diesem Einwand im Hinblick auf bestehende Alternativen zur Schaffung eines geordneten und strukturierten sozialen Empfangsraums auseinandergesetzt noch die Zulässigkeit einer solchen Bestimmung im Bewährungsbeschluss geprüft.
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e) Tatsächlich begegnet eine ausschließlich vom Verhalten Dritter abhängige Voraussetzung für eine Begünstigung, die einem der hoheitlichen Freiheitsentziehung unterliegenden Betroffenen gewährt werden kann beziehungsweise soll, verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfGK 13, 137 <140 ff.>). Da der grundrechtlich verbürgte Freiheitsanspruch aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG nur durch die Gerichte eingeschränkt werden kann, kommt eine Delegation der Entscheidung, insbesondere an nicht der staatlichen Aufsicht unterworfene Dritte, nicht in Betracht. Den Gerichten ist es zwar nicht verwehrt, sich bei der Ausführung und Kontrolle einer das Freiheitsgrundrecht beschränkenden Entscheidung der Mithilfe privater Dritter, etwa der Einholung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage der eigenen Entscheidung (vgl. BVerfGE 70, 297 <309 f.>; 109, 133 <162 f.>; 117, 71 <107>), zu bedienen. Sie dürfen derartige Entscheidungen jedoch nicht von ihnen nicht steuer- oder kontrollierbaren Dritten überantworten oder allein von deren Urteil abhängig machen (vgl. BVerfGE 70, 297 <310>; 109, 133 <164>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Mai 2011 - 2 BvR 942/11 - juris, Rn. 25; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juni 2011 - 2 BvR 2135/10 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 1998 - 2 BvR 77/97 -, NJW 1998, S. 2202 <2203>).
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Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Bedeutung und Tragweite des in den Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 GG verbürgten Freiheitsgrundrechts im vorliegenden Fall verkannt worden sind, weil die angegriffenen Entscheidungen maßgeblich auf die Weigerung des Männerwohnheims abgestellt haben, den Beschwerdeführer aufzunehmen, und auf das hieraus folgende Fehlen eines sozialen Empfangsraums. Alternativen erwogen haben sie nicht.
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f) Da das Oberlandesgericht München keine Ausführungen zu dieser Fragestellung gemacht hat, obwohl der Beschwerdeführer dazu Anstoß gegeben hatte, liegt die Annahme nahe, dass es das diesbezügliche Beschwerdevorbringen entweder übergangen oder zumindest nicht hinreichend gewürdigt hat.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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(1) Beschließt das Gericht die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe mindestens drei Monate vor dem Zeitpunkt der Entlassung, so verlängert sich die Bewährungszeit um die Zeit von der Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung bis zur Entlassung.
(2) Das Gericht kann die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe bis zur Entlassung des Verurteilten wieder aufheben, wenn die Aussetzung aufgrund neu eingetretener oder bekanntgewordener Tatsachen unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht mehr verantwortet werden kann; § 454 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 3 Satz 1 gilt entsprechend. § 57 Abs. 5 des Strafgesetzbuches bleibt unberührt.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung.
(2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,
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soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, - b)
wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht.
(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.
(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.
(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.
Hat das Gericht in einem Beschluss den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt und steht ihm gegen den Beschluss keine Beschwerde und kein anderer Rechtsbehelf zu, versetzt es, sofern der Beteiligte dadurch noch beschwert ist, von Amts wegen oder auf Antrag insoweit das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. § 47 gilt entsprechend.
(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.
(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.
(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.
(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.
(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.
(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.