Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 14. Dez. 2011 - 2 BvR 68/11

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2011:rk20111214.2bvr006811
bei uns veröffentlicht am14.12.2011

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Aufhebung einer Aussetzung der Unterbringung im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 463 Abs. 1 in Verbindung mit § 454a Abs. 2 Satz 1 StPO.

2

1. Der Beschwerdeführer wurde wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Aufgrund einer weiteren Tatserie wurde er wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten sowie zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt. Mit Beschluss vom 28. Januar 2010 setzte das Landgericht Regensburg die Vollstreckung der Reststrafe sowie die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ab dem 15. September 2010 unter anderem unter der Voraussetzung aus, dass der Beschwerdeführer in ein näher bezeichnetes Männerwohnheim einziehe.

3

a) Mit Beschluss vom 3. September 2010 hat das Landgericht Traunstein diesen Beschluss nach § 463 Abs. 1 in Verbindung mit § 454a Abs. 2 Satz 1 StPO aufgehoben, weil die Aufnahme des Beschwerdeführers von dem in Aussicht genommenen Männerwohnheim mit der Begründung verweigert worden war, dass der Beschwerdeführer die Tat nicht eingestehe, er sich nicht schuldbewusst zeige und die für eine Aufnahme unverzichtbare Voraussetzung einer abgeschlossenen Therapie nicht vorliege. Damit fehle es an einem geeigneten sozialen Empfangsraum als Voraussetzung dafür, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde.

4

b) In seiner sofortigen Beschwerde hat der Beschwerdeführer die fehlende Verhältnismäßigkeit der fortgesetzten Unterbringung gerügt und sich insbesondere gegen die Weisung im Bewährungsbeschluss gewandt, wonach er in das die Aufnahme verweigernde Männerwohnheim einzuziehen habe. Die Erfüllung der Weisung hänge in unzulässiger Weise allein vom "guten Willen Dritter" ab.

5

c) Mit Beschluss vom 9. Dezember 2010 hat das Oberlandesgericht München die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen. Die Ausführungen des Landgerichts hielten den gesetzlichen Anforderungen vollumfänglich stand. Es sei absehbar, dass bei einem von Anfang an fehlenden sozialen Empfangsraum in einem aufnahmebereiten Männerwohnheim bereits die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nicht erfolgt wäre.

6

2. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen diese Entscheidungen und rügt insbesondere den Beschluss des Oberlandesgerichts München als willkürlich. Das Oberlandesgericht München habe sich mit verschiedenen Aspekten des Maßregelvollzugs in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nicht auseinandergesetzt und überdies verkannt, dass die bedingte Aussetzung des Maßregelvollzugs zur Bewährung gerade keinen vollumfänglichen Erfolg des bisherigen Vollzugs verlange.

7

3. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Sie ist unzulässig, weil der Rechtsweg nicht erschöpft ist (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

8

a) Vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde muss im Regelfall der Rechtsweg erschöpft werden (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Dazu gehört, soweit sie statthaft ist, auch die Anhörungsrüge (vgl. BVerfGE 122, 190 <198>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2407/10 -, juris, Rn. 2).

9

b) Für die Erhebung der Anhörungsrüge ist es unerheblich, ob der Beschwerdeführer die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör ausdrücklich und unter Anführung von Art. 103 Abs. 1 GG rügt. Denn die Obliegenheit, vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde den Rechtsweg zu erschöpfen, erfasst auch die Erhebung einer statthaften und nicht von vornherein völlig aussichtslosen Anhörungsrüge, unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer einen Gehörsverstoß geltend machen will. Entscheidend ist allein, ob bei objektiver Betrachtung eine Korrektur der von ihm gerügten sonstigen Grundrechtsverstöße durch die Erhebung einer Anhörungsrüge möglich gewesen wäre (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 2011 - 1 BvR 1468/11 -, juris, Rn. 6; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2407/10 -, juris, Rn. 3).

10

c) Zwar verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG die Gerichte nicht, sich mit jeglichem tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten auseinanderzusetzen (vgl. BVerfGE 5, 22 <24>; 96, 205 <216 f.>; stRspr). Gleichwohl können besondere Umstände darauf hindeuten, dass ein Gehörsverstoß durch eine nicht hinreichende Erwägung entscheidungserheblichen Vorbringens eingetreten ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 2011 - 2 BvR 2374/10 -, juris, Rn. 4; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juli 2008 - 2 BvR 610/08 -, juris, Rn. 6; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2407/10 -, juris, Rn. 5).

11

d) Vorliegend wäre eine Anhörungsrüge (§ 33a StPO) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München statthaft und nicht von vornherein aussichtslos. In der Begründung seiner sofortigen Beschwerde hat der Beschwerdeführer unter anderem angeführt, dass die Aussetzung einer Unterbringung im Maßregelvollzug zur Bewährung nicht mit einer Auflage oder Weisung versehen werden darf, deren Einhaltung ausschließlich vom Verhalten Dritter abhängig ist. Das Oberlandesgericht hat sich weder mit diesem Einwand im Hinblick auf bestehende Alternativen zur Schaffung eines geordneten und strukturierten sozialen Empfangsraums auseinandergesetzt noch die Zulässigkeit einer solchen Bestimmung im Bewährungsbeschluss geprüft.

12

e) Tatsächlich begegnet eine ausschließlich vom Verhalten Dritter abhängige Voraussetzung für eine Begünstigung, die einem der hoheitlichen Freiheitsentziehung unterliegenden Betroffenen gewährt werden kann beziehungsweise soll, verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfGK 13, 137 <140 ff.>). Da der grundrechtlich verbürgte Freiheitsanspruch aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG nur durch die Gerichte eingeschränkt werden kann, kommt eine Delegation der Entscheidung, insbesondere an nicht der staatlichen Aufsicht unterworfene Dritte, nicht in Betracht. Den Gerichten ist es zwar nicht verwehrt, sich bei der Ausführung und Kontrolle einer das Freiheitsgrundrecht beschränkenden Entscheidung der Mithilfe privater Dritter, etwa der Einholung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage der eigenen Entscheidung (vgl. BVerfGE 70, 297 <309 f.>; 109, 133 <162 f.>; 117, 71 <107>), zu bedienen. Sie dürfen derartige Entscheidungen jedoch nicht von ihnen nicht steuer- oder kontrollierbaren Dritten überantworten oder allein von deren Urteil abhängig machen (vgl. BVerfGE 70, 297 <310>; 109, 133 <164>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Mai 2011 - 2 BvR 942/11 - juris, Rn. 25; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juni 2011 - 2 BvR 2135/10 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 1998 - 2 BvR 77/97 -, NJW 1998, S. 2202 <2203>).

13

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Bedeutung und Tragweite des in den Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 GG verbürgten Freiheitsgrundrechts im vorliegenden Fall verkannt worden sind, weil die angegriffenen Entscheidungen maßgeblich auf die Weigerung des Männerwohnheims abgestellt haben, den Beschwerdeführer aufzunehmen, und auf das hieraus folgende Fehlen eines sozialen Empfangsraums. Alternativen erwogen haben sie nicht.

14

f) Da das Oberlandesgericht München keine Ausführungen zu dieser Fragestellung gemacht hat, obwohl der Beschwerdeführer dazu Anstoß gegeben hatte, liegt die Annahme nahe, dass es das diesbezügliche Beschwerdevorbringen entweder übergangen oder zumindest nicht hinreichend gewürdigt hat.

15

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

16

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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(1) Beschließt das Gericht die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe mindestens drei Monate vor dem Zeitpunkt der Entlassung, so verlängert sich die Bewährungszeit um die Zeit von der Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung bis zur Entlassung.

(2) Das Gericht kann die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe bis zur Entlassung des Verurteilten wieder aufheben, wenn die Aussetzung aufgrund neu eingetretener oder bekanntgewordener Tatsachen unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht mehr verantwortet werden kann; § 454 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 3 Satz 1 gilt entsprechend. § 57 Abs. 5 des Strafgesetzbuches bleibt unberührt.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung.

(2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,

a)
soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt,
b)
wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde, die die Überlassung von Kopien aus der Krankenakte des strafgefangenen Beschwerdeführers betrifft, wird gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Sie ist unzulässig, weil der Rechtsweg nicht erschöpft ist (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

2

1. Vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde, mit der eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt wird, muss im Regelfall der Rechtsweg erschöpft werden (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Zum Rechtsweg gehört, soweit statthaft, auch die Anhörungsrüge (vgl. BVerfGE 122, 190 <198>).

3

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde einen Gehörsverstoß durch das Oberlandesgericht nicht ausdrücklich rügt, ist insofern unerheblich, denn für die Obliegenheit, vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde den Rechtsweg - einschließlich einer statthaften Anhörungsrüge - zu erschöpfen (§ 90 Abs. 2 BVerfGG), kommt es nicht darauf an, ob der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde einen Gehörsverstoß rügen will. Eine Anhörungsrüge muss daher auch dann erhoben werden, wenn der Beschwerdeführer zwar mit der Verfassungsbeschwerde keinen Gehörsverstoß rügt, die Erhebung einer Anhörungsrüge aber bei objektiver Betrachtung zur Korrektur der von ihm gerügten sonstigen Grundrechtsverstößeführen könnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 2011 - 1 BvR 1468/11 -, juris, Rn. 6).

4

Im vorliegenden Fall war eine Anhörungsrüge (§ 33a StPO in Verbindung mit § 120 Abs. 1 StVollzG) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts nicht aussichtslos.

5

a) Allerdings verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG die Gerichte nicht, auf jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich einzugehen (vgl. BVerfGE 5, 22 <24>; 96, 205 <216 f.>; stRspr). Erst recht kann in Fällen, in denen ein Gericht von der Pflicht, seine Entscheidung zu begründen, ohne Verfassungsverstoß durch Gesetz - hier: § 119 Abs. 3 StVollzG - ausdrücklich entbunden ist, nicht schon aus dem Fehlen von Ausführungen zu einem bestimmten Vorbringen des Rechtsschutzsuchenden geschlossen werden, dass das Gericht dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Umgekehrt schließt aber nicht schon der Umstand, dass eine Entscheidung von Gesetzes wegen keiner Begründung bedurfte, das Vorliegen eines Gehörsverstoßes aus. Eine Anhörungsrüge ist in einem solchen Fall vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde erforderlich, wenn besondere Umstände darauf hindeuten, dass entscheidungserhebliches Vorbringen des Beschwerdeführers nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen oder erwogen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 2011 - 2 BvR 2374/10 -, juris, Rn. 4, BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juli 2008 - 2 BvR 610/08 -, juris, Rn. 6, m.w.N.). Ein solch besonderer Umstand kann auch darin liegen, dass das Fachgericht bei der Verwerfung eines Rechtsbehelfs von einer Begründung abgesehen hat, obwohl der Rechtschutzsuchende die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs substantiiert dargelegt hat (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juli 2008 - 2 BvR 610/08 -, juris, Rn. 6, m.w.N.).

6

b) Danach liegen hier besondere Umstände vor, die eine Anhörungsrüge vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde erforderlich machten.

7

Die Rechtsbeschwerde stützte sich unter anderem ausdrücklich darauf, dass das Landgericht bei seiner Entscheidung die dem Beschwerdeführer von Seiten der Justizvollzugsanstalt gemachten schriftlichen Zusagen unberücksichtigt gelassen habe. Angesichts des umfangreichen und detaillierten schriftsätzlichen Vorbringens des Beschwerdeführers zu diesen Zusagen einerseits und des völligen Schweigens der landgerichtlichen Beschlussgründe hierzu andererseits lag der damit gerügte Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch das Landgericht nahe. Denn auch wenn die Gerichte - wie dargelegt - nicht verpflichtet sind, jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden, so haben sie jedenfalls die wesentlichen der Rechtsverfolgung und Verteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen zu verarbeiten (vgl. BVerfGE 47, 182 <189>; 58, 353 <357>). Unter den gegebenen Umständen lag auch ohne weiteres nahe, dass die Entscheidung des Landgerichts auf der Nichtberücksichtigung dieses Vorbringens beruhte. Denn im Falle einer bindenden schriftlichen Zusage der Justizvollzugsanstalt hätte der Beschwerdeführer unabhängig von der einfachrechtlichen Rechtslage einen das Antragsbegehren stützenden Anspruch auf die Aushändigung der begehrten Kopien gehabt (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 38 Rn. 1 ff.).

8

Wenn das Oberlandesgericht unter diesen Umständen annahm, dass es auf die Rechtsbeschwerde hin nicht geboten sei, die Nachprüfung der Entscheidung des Landgerichts zu ermöglichen, obwohl § 116 Abs. 1 StVollzG allgemein dahin ausgelegt wird, dass mit der Rechtsbeschwerde die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juli 2008 - 2 BvR 610/08 -, juris, Rn. 5, m.w.N.), liegt die Annahme nahe, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers, soweit es die Nichtberücksichtigung seines Vorbringens zu den Zusagen betraf, nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und berücksichtigt wurde.

9

2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

10

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Hat das Gericht in einem Beschluss den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt und steht ihm gegen den Beschluss keine Beschwerde und kein anderer Rechtsbehelf zu, versetzt es, sofern der Beteiligte dadurch noch beschwert ist, von Amts wegen oder auf Antrag insoweit das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. § 47 gilt entsprechend.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 7. Mai 1990 wegen eines im Lebensalter von 40 Jahren begangenen Mordes unter Einbeziehung eines Urteils, in welchem der Beschwerdeführer zuvor wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Diebstahl in zwei Fällen und unerlaubten Führens einer halbautomatischen Selbstladewaffe zu Einzelfreiheitsstrafen von neun Monaten, zwei und drei Jahren sowie einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden war, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Eine besondere Schwere der Schuld wurde nicht festgestellt.

2

Im Zuge der Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe entwich der Beschwerdeführer am 28. Juni 1992 aus der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel und beging anschließend vier Fälle des Diebstahls sowie einen Verstoß gegen das Waffengesetz durch den unerlaubten Besitz einer funktionsfähigen abgesägten Pump Action-Flinte. Dafür wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 11. März 1997 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

3

Mit Beschluss vom 1. März 2000 bestimmte das Oberlandesgericht Karlsruhe die Vollstreckungsdauer für die Verurteilung des Landgerichts Nürnberg-Fürth aufgrund festgestellter besonderer Schwere der Schuld im Sinne der §§ 57, 57a StGB auf 18 Jahre. Bis zum Ablauf des 17. Oktober 2004 verbüßte der Beschwerdeführer diese Mindestzeit. Es schloss sich die Verbüßung der zweijährigen Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten an. Seit dem 17. Oktober 2006 verbüßt der Beschwerdeführer wieder die lebenslange Freiheitsstrafe.

4

Durch Beschluss vom 3. Juli 2006 lehnte das Landgericht Berlin eine Strafaussetzung zur Bewährung ab, weil ein im April 2006 eingeholtes Gutachten dem Beschwerdeführer eine weitgehend unbehandelte dissoziale Persönlichkeitsstörung bescheinigt hatte und eine bedingte Entlassung auch unter Berücksichtigung einer vom Beschwerdeführer durchgeführten externen Psychotherapie nicht vertretbar erschien.

5

Im Anschluss traf der Beschwerdeführer, wie bereits auch zuvor im Oktober 1994, Vorbereitungen zu Fluchtunternehmungen. So wurde er am 7. November 2006 im Besitz zweier Nachschlüssel sowie zweier selbstgebauter Feilen und einer Taschenlampe und am 10. Juli 2007 im Besitz eines abgebrochenen Löffels sowie zweier Stücke Schleifpapier angetroffen. Aufgrund dessen lehnte das Landgericht zuletzt am 4. Oktober 2007 eine bedingte Entlassung aus der Strafvollstreckung ab.

6

Nach dem erfolgreichen Abschluss einer seit Dezember 2009 durchgeführten Psychotherapie wurde dem Beschwerdeführer von dem ihm behandelnden Therapeuten die grundsätzliche Erlernung der für eine straffreie Lebensführung erforderlichen Verhaltensmechanismen bescheinigt. Aufgrund einer fortgeschrittenen Krebserkrankung, für welche das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf in einem Entlassungsbericht vom 6. Dezember 2010 angesichts des guten Allgemeinzustands des Beschwerdeführers eine statistische Lebenserwartung von durchschnittlich bis zu 33 Monaten prognostiziert hatte, beantragte der Beschwerdeführer erneut die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug.

7

Mit Beschluss vom 1. März 2011 hat das Landgericht Hamburg den Antrag auf Aussetzung der weiteren Strafvollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt. Das Gericht hat in seiner Entscheidung die vorgenannte Entwicklung des Beschwerdeführers, insbesondere auch das Gutachten des Universitätsklinikums, zu Gunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt. Ebenso hat es zum Nachteil des Beschwerdeführers dessen kriminelle Vergangenheit, den negativen Verlauf der durch wiederholte Fluchtversuche geprägten Strafhaft, ein erneut eingeholtes Sachverständigengutachten vom 29. Oktober 2010 sowie die hierzu erfolgte mündliche Anhörung am 18. Februar 2011 berücksichtigt. Danach ist bei dem Beschwerdeführer unverändert eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festzustellen, weshalb im Falle seiner Entlassung mit einer mäßig bis hohen Gefahr für die Begehung neuer Gewaltdelikte zu rechnen ist. Das Gericht hat sich zudem ausführlich mit dem einbezogenen Gutachten auseinandergesetzt. Die Möglichkeit einer Beeinflussung der Abwägung durch die Krebserkrankung hat das Gericht in Betracht gezogen, jedoch im Hinblick auf die vom Sachverständigen nicht feststellbare Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit als nicht ausschlaggebend bewertet. In einer Gesamtwürdigung hat es seinen ablehnenden Beschluss auf die Annahme einer mäßigen bis hohen Rückfallgefahr und die hieraus folgende Gefährdung der Allgemeinheit gestützt, die das Freiheitsbedürfnis auch mit Blick auf den weiteren Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe überwiege. Aufgrund der beträchtlichen kriminellen Neigungen und der Schwere der drohenden Rückfalltaten hat es unter ausdrücklicher Beschränkung auf den im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorgefundenen körperlichen Zustand des Beschwerdeführers dem Schutz der Allgemeinheit Vorrang eingeräumt.

8

Hiergegen hat der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde mit der Begründung erhoben, dass sowohl die Gefahrenprognose des Sachverständigen als auch der mittlerweile anzutreffende Gesundheitszustand des Beschwerdeführers eine sofortige bedingte Strafentlassung rechtfertigen würden. Noch in seinem schriftlichen Gutachten habe der Sachverständige eine akute Rückfallgefahr ausgeschlossen, wenngleich dies unter dem Vorbehalt einer nicht erfolgten persönlichen Befragung des Beschwerdeführers gestanden habe. Erst in der mündlichen Anhörung habe er auf diesbezügliche Fragen des Gerichts die Rückfallgefahr bejaht. Im Zuge der Verhältnismäßigkeitsprüfung habe das Landgericht zudem nur den ehemals guten, mittlerweile aber deutlich verschlechterten, Gesundheitszustand und die vom Dezember 2010 prognostizierte durchschnittliche Lebenserwartung von bis zu 33 Monaten zugrunde gelegt, ohne jedoch zu berücksichtigen, dass seit der Entlassung aus dem Krankenhaus bereits weitere drei Monate vergangen waren.

9

Mit Beschluss vom 18. April 2011 hat das Hanseatische Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Die Einwendungen gegen die Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens hat das Gericht als unerheblich zurückgewiesen. Neben der vom Landgericht zutreffend angenommenen mäßigen bis hohen Rückfallgefahr seien auch die zu keinem Zeitpunkt in Zweifel gezogene Schwere der erwartbaren Rückfalltaten, die den Anlasstaten entsprächen, zu berücksichtigen. Soweit bei der bedingten Strafentlassung ein unvermeidbares Risiko in der Regel hinzunehmen sei, könne dies, wie das Landgericht mit Blick auf den ungünstigen Verlauf der Strafhaft zutreffend angenommen habe, hier selbst unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich noch nachgereichten ärztlichen Atteste über die Entdeckung von Metastasen und die damit verbundenen körperlichen Einschränkungen des Beschwerdeführers nicht hingenommen werden. Es sei insbesondere nicht erkennbar, dass er körperlich nicht mehr zur Ergreifung und Benutzung einer Waffe in der Lage sei. Allein die im ärztlichen Attest selbst festgestellte noch nicht verwirklichte Knochenbruchgefahr könne eine bedingte Strafentlassung aufgrund nunmehr weggefallener Gefährlichkeit nicht begründen. In seiner eigenen Gesamtwürdigung hat das Oberlandesgericht auch den bestehenden sozialen Empfangsraum als einen die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers zumindest teilweise dämpfenden Umstand berücksichtigt. Mit der Beschränkung seiner Entscheidung auf die derzeitige gesundheitliche Verfassung des Beschwerdeführers hat es jedoch die bedingte Haftentlassung abgelehnt. Die Entscheidung schließt zudem mit folgendem ausdrücklichen Hinweis:

10

"Es wird angesichts des Krankheitsbildes erforderlich, aber auch möglich sein, auf Verschlechterungen des gesundheitlichen Zustandes kurzfristig zu reagieren. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass dem Verurteilten jedwede Aussicht auf Wiedererlangung der Freiheit und Begleitung durch seine Ehefrau und weitere Familienangehörige in der finalen Phase seiner Erkrankung verschlossen wäre."

11

Gegen den vorgenannten Beschluss des Oberlandesgerichts hat der Beschwerdeführer zeitgleich mit der Erhebung seiner Verfassungsbeschwerde Gegenvorstellung und Anhörungsrüge erhoben, zu deren Begründung er auf die in Abschrift beigelegte Verfassungsbeschwerde Bezug genommen hat. Ergänzend hat er ein ärztliches Attest des Anstaltsarztes der Justizvollzugsanstalt F. vom 20. April 2011 vorlegt, wonach die jetzt rasch fortschreitende Erkrankung mit einer deutlich begrenzten Lebenserwartung des Beschwerdeführers einhergehe. Ihm verbleibe nur noch eine Lebenszeit von einigen Monaten, weshalb aus ärztlicher Sicht um die sofortige Entlassung aus der Haft gebeten worden ist.

12

Mit Beschluss vom 29. April 2011 hat das Hanseatische Oberlandesgericht die Gegenvorstellung als unzulässig und die Anhörungsrüge als unbegründet zurückgewiesen. Die vom Beschwerdeführer mittelbar mit der beigefügten Begründung der Verfassungsbeschwerde gerügten Umstände, insbesondere das erst auf den 20. April 2011, somit zwei Tage nach der angegriffenen Entscheidung des Oberlandesgerichts, datierende ärztliche Attest über den aktuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers könnten keine anderslautende Entscheidung nach Maßgabe des bis zum 18. April 2011 vorliegenden Akteninhalts rechtfertigen.

II.

13

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG sowie aus Art. 103 Abs. 1 GG.

14

Eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG sieht er darin, dass gerichtlicherseits die vom Sachverständigen festgestellte Rückfallgefahr überbewertet worden sei und das Oberlandesgericht trotz ausdrücklicher Anregung der ergänzenden Einholung von Stellungnahmen des Sachverständigen hiervon abgesehen habe. Die Verletzung seiner Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG sieht der Beschwerdeführer darin, dass ihm jede Möglichkeit, seine letzten Monate in Freiheit zu verbringen, aufgrund der fehlerhaften Beschlussfassung der Gerichte genommen sei. Schließlich sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass die von den Gerichten berücksichtigten Gutachten anfänglich eine Lebenserwartung von durchschnittlich bis zu 33 Monaten, ausgehend vom Juni 2010, prognostiziert hätten, ohne dass die zwischenzeitlich bis zu den jeweiligen Beschlussfassungen nachgereichten gesundheitlichen Befunde insoweit Berücksichtigung gefunden hätten.

15

Seinen Antrag auf einstweilige Anordnung begründet der Beschwerdeführer damit, dass im Zuge der zu treffenden Folgenabwägung mittlerweile die von den Gerichten angenommene Rückfallgefahr praktisch ausgeschlossen sei und somit spätestens jetzt sein Freiheitsanspruch deutlich über die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit hinausgehe, wobei die Eilbedürftigkeit auf seiner geringen weiteren Lebenserwartung beruhe.

III.

16

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, da sie unbegründet ist.

17

Die form- und fristgerechte Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

18

1. Die angegriffenen Entscheidungen lassen eine Verkennung der Bedeutung und Tragweite der gerügten Grundrechte auf der Grundlage der den Gerichten im Zeitpunkt ihrer jeweiligen Entscheidung vorliegenden Kenntnisse, insbesondere auch über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, nicht erkennen.

19

a) Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und die Gleichbehandlung aller in Strafverfahren rechtskräftig Verurteilten gebieten grundsätzlich die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs (vgl. BVerfGE 51, 324 <343 f.>). Das bedeutet auch, dass rechtskräftig erkannte Freiheitsstrafen zu vollstrecken sind.

20

b) Das Gebot, den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen, findet seine Grenzen im Grundrecht des Verurteilten auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Bei Gesundheitsgefährdungen eines Strafgefangenen entsteht zwischen der Pflicht des Staates zur Durchsetzung des Strafanspruchs und dem Interesse des Verurteilten an der Wahrung seiner verfassungsmäßig verbürgten Rechte ein Spannungsverhältnis. Keiner dieser Belange genießt schlechthin den Vorrang. Ein Konflikt ist nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips, das bei der Beurteilung von Eingriffen in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Beachtung erfordert, durch Abwägung der widerstreitenden Interessen zu lösen. Führt diese Abwägung zu dem Ergebnis, dass die dem Eingriff entgegenstehenden Interessen des Verurteilten ersichtlich wesentlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die Strafvollstreckung dienen soll, so verletzt der gleichwohl erfolgte Eingriff das Verhältnismäßigkeitsprinzip und damit das Grundrecht des Verurteilten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 51, 324 <343 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juni 2003 - 2 BvR 1007/03 -, NStZ-RR 2003, S. 345). Die Grenze ist jedenfalls erreicht, wenn angesichts des Gesundheitszustands des Verurteilten ernsthaft zu befürchten ist, dass er bei der weiteren Durchführung der Strafvollstreckung sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen wird (vgl. BVerfGE 51, 324 <345 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juni 2003, a.a.O.).

21

c) Darüber hinaus verpflichtet Art. 1 Abs. 1 GG die Staatsgewalt dazu, in allen ihren Erscheinungsformen die Würde des Menschen zu achten und zu schützen (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>). Der Strafvollzug steht unter dem Gebot, schädlichen Auswirkungen für die körperliche und geistige Verfassung des Gefangenen im Rahmen des Möglichen entgegenzuwirken (vgl. BVerfGE 45, 187 <238>; 64, 261 <277>; 109, 133 <150 f.>; 117, 71 <91>) und die Gefangenen lebenstüchtig zu halten (vgl. BVerfGE 45, 187 <238>; 117, 71 <91>). Mit der Würde des Menschen wäre es unvereinbar, die vom Bundesverfassungsgericht geforderte konkrete und grundsätzlich auch realisierbare Chance, der Freiheit wieder teilhaftig zu werden (vgl. BVerfGE 45, 187 <245>; 72, 105 <113>; 117, 71 <95>), auf einen von Siechtum und Todesnähe gekennzeichneten Lebensrest zu reduzieren (vgl. BVerfGE 72, 105 <116 f.>). Je nach den Umständen des Einzelfalls kann dem Interesse des Gefangenen an der Erhaltung seiner Lebenstüchtigkeit ein Gewicht zukommen, welches das der Gründe für einen weiteren, ununterbrochenen Vollzug zu übertreffen vermag (vgl. BVerfGE 64, 261 <277>).

22

d) Von einer verfassungswidrigen Verkennung dieser Grundsätze durch die angegriffenen Entscheidungen kann nicht ausgegangen werden. Beide Gerichte haben hinsichtlich des derzeit 65-jährigen Beschwerdeführers zunächst die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass infolge seiner nur begrenzten Lebenserwartung eine bedingte Entlassung aus der weiteren Strafvollstreckung angezeigt erscheinen könnte. Das Oberlandesgericht hat zudem ausdrücklich auf die Möglichkeit einer gebotenen Neubewertung im Falle einer offenbar mittlerweile auch eingetretenen Gesundheitsverschlechterung hingewiesen.

23

Nicht zu beanstanden ist dagegen, dass das Oberlandesgericht das erst zwei Tage nach Erlass der verfahrensabschließenden Entscheidung festgestellte Ausmaß der Gesundheitsverschlechterung nicht berücksichtigt hat. Insoweit kann auch keine durchgreifende Verletzung des Gebots effektiver Sachverhaltsaufklärung festgestellt werden, da seitens des Beschwerdeführers keine nachhaltigen Anhaltspunkte für eine notwendige weitere Aufklärung naheliegender und zwingend einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legender Umstände vorgebracht worden sind. Dies hat das Oberlandesgericht in seiner die Anhörungsrüge zurückweisenden Entscheidung zutreffend dargelegt.

24

2. Soweit der Beschwerdeführer zur Begründung der behaupteten Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör ausführt, dass insbesondere das Oberlandesgericht trotz seines diesbezüglichen Vorbringens in der Beschwerdeschrift ohne Würdigung von einer seines Erachtens nach unzutreffend langen Lebenserwartung ausgegangen sei, trifft dies ausweislich der Begründung der Entscheidung über die sofortige Beschwerde, die insbesondere auch den Nachtrag zur Gesundheitsverfassung repliziert, ersichtlich nicht zu. Dass das Oberlandesgericht in der Entscheidung vom 18. April 2011 die erst mit Attest vom 20. April 2011 belegte Notwendigkeit von Schmerzmitteln nicht berücksichtigt hat, begründet entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ebenso wenig eine Gehörsverletzung wie im Falle der Entscheidung über Gegenvorstellung und Anhörungsrüge. Sinn und Zweck der Gehörsrüge nach § 33a StPO, mit deren Einführung das vorherige Bedürfnis für eine Gegenvorstellung als Möglichkeit der Selbstkorrektur der Gerichte beseitigt worden ist, ist gerade nicht das Nachschieben von erst nach Eintritt formeller Rechtskraft bekannt werdender Umstände. Vielmehr zielt die Gehörsrüge (nur) auf die Geltendmachung von bereits bei vorangegangener Entscheidungsfindung dem Gericht bekannten, gleichwohl aber übergangenen, Tatsachen und deren rechtsfehlerhafte Nichtberücksichtigung.

25

a) Eine Verletzung des Gebots effektiver Sachaufklärung kann auch nicht darin ersehen werden, dass aufgrund einer mit der sofortigen Beschwerde vorgelegten, nicht jedoch zur hiesigen Akte gelangten ärztlichen Stellungnahme über die aktuelle gesundheitliche Verfassung eine weitere Untersuchung oder Anhörung des Sachverständigen geboten gewesen wäre, die vom Oberlandesgericht dann fehlerhaft unterlassen worden wäre. Die Stellungnahme hat, soweit dies mittelbar aus dem Vortrag des Beschwerdeführers und den gerichtlichen Entscheidungen ersichtlich wird, aus medizinischer Sicht zwar die sofortige Entlassung befürwortet. Dies kann jedoch weder für sich genommen noch in einer Gesamtwürdigung aller übrigen Umstände für die Fachgerichte eine bindende Entscheidung über die Fortdauer der Strafvollstreckung begründen. Auch im vorliegenden Fall oblag es allein den Vollstreckungsgerichten, unbeschadet aller sachkundigen Ausführungen zur Gesundheit und Gefährlichkeit des Beschwerdeführers, eine eigene Prognose zu treffen, die auch die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit zu berücksichtigen hatte.

26

b) Wenn eine fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten positiv festgestellt werden kann, ist der weitere Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe erforderlich, um die Allgemeinheit zu schützen. Die besonders hohe Wertschätzung des Lebens rechtfertigt darüber hinaus aber auch dann die weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe, wenn nach Erfüllung des verfassungsrechtlichen Gebots einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung keine günstige Gefährlichkeitsprognose gestellt werden kann. Es ist verfassungsrechtlich auch im Hinblick auf den Umstand, dass die verhängte lebenslange Freiheitsstrafe als die schuldangemessene Strafe ausgesprochen worden ist, nicht zu beanstanden, wenn die in diesen Fällen verbleibenden Zweifel an einer hinreichend günstigen Prognose zu Lasten des Verurteilten gehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 1998 - 2 BvR 77/97 -, NJW 1998, S. 2202; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. September 1991 - 2 BvR 1327/89 -, NJW 1992, S. 2344).

27

c) Die formelle Bestandskraft der Entscheidungen von Landgericht und Oberlandesgericht stellt, wie von beiden Gerichten ausdrücklich angeführt, im Übrigen keine endgültige und irreversible Entscheidung über die Möglichkeit einer künftigen Strafaussetzung aufgrund veränderter, namentlich verschlechterter, gesundheitlicher Umstände dar. Selbst wenn eines der beiden Gerichte von der Möglichkeit der Festsetzung einer Sperrfrist gemäß § 57a Abs. 4 StGB, innerhalb derer weitere Anträge auf Strafaussetzung zur Bewährung unzulässig sind, Gebrauch gemacht hätte, wäre der Beschwerdeführer unter Berufung auf seinen aktuellen Gesundheitszustand aufgrund der deutlich geänderten Sachlage in jedem Fall antragsberechtigt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 20. August 2003 - 2 Ws 258/03 -, NStZ-RR 2003, S. 381; OLG Hamm, Beschluss vom 27. April 1999 - 2 Ws 118/99 -, NStZ-RR 1999, S. 285). Aus den am 9. Mai 2011 nachgereichten Unterlagen ist überdies ersichtlich, dass das zwischenzeitlich erneut angerufene Landgericht Hamburg aufgrund der ihm vorgelegten Atteste vom 24. März 2011 und vom 20. April 2011 zur nochmaligen Prüfung der Möglichkeit einer bedingten Strafaussetzung eine sachverständige Stellungnahme zur Gefährlichkeit und Haftfähigkeit des Beschwerdeführers eingeholt hat. Eine Berücksichtigung dieser erst nach Abschluss des hier angegriffenen fachgerichtlichen Verfahrens gewonnenen Tatsachen kann jedoch weder im Rahmen der Hauptsache noch im Rahmen der einstweiligen Anordnung Berücksichtigung finden.

28

3. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

29

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

30

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.