Bundessozialgericht Beschluss, 23. Jan. 2013 - B 9 SB 90/12 B

bei uns veröffentlicht am23.01.2013

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. September 2012 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Urteil vom 25.9.2012 hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) einen Anspruch des Klägers auf Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG). Keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden.

3

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG - wie sie der Kläger geltend macht - hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

4

Der Kläger misst folgenden Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung bei:

        

1. Ergibt sich aus Art. 9 Abs 1, Art 20 Buchst a), Art 30 Abs 1 Buchst c) Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) ein Anspruch auf das Merkzeichen aG auch außerhalb der Normierungen des § 3 Abs 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) i.V.m. § 6 Abs 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 46 Straßenverkehrsordnung (StVO), § 46 Verwaltungsvorschriften zur StVO (VwV-StVO), soweit und solange es sich bei diesem Merkzeichen um die einzige Möglichkeit handelt, im gesamten Bundesgebiet Parkerleichterungen zu erhalten?
2. Ergibt sich aus der UN-BRK als im Zusammenhang mit der vom Bundesverfassungsgericht anzuwendenden Auslegungshilfe des Grundgesetzes ein Anspruch auf Parkerleichterungen i.S. einer Reduktion der derzeit strengen Maßstäbe für die Feststellung des Merkzeichens aG, solange allein das Merkzeichen aG Parkerleichterungen für das gesamte Bundesgebiet einschließt?

5

In Bezug auf diese Fragen fehlt es an hinreichenden Ausführungen des Klägers zum höchstrichterlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der rechtlichen Grundsätze, nach denen das Merkzeichen "aG" festzustellen ist (vgl dazu § 69 Abs 4 SGB IX, § 3 Abs 1 Nr 1 SchwbAwV, § 6 Abs 1 Nr 14 StVG, § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO). Eine Klärungsbedürftigkeit ist unter anderem dann nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65) oder wenn sich für die Antwort in höchstrichterlichen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte finden lassen (vgl BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Der Kläger hätte daher die rechtliche Klärungsbedürftigkeit der von ihm angesprochenen Fragestellungen unter Einbeziehung der vorhandenen Rechtsprechung des BSG, wie vom LSG bereits benannt, näher begründen müssen. Hierzu wäre es zunächst erforderlich gewesen, sich mit den vom Senat festgelegten Grundsätzen zur Feststellung des Merkzeichens "aG" auseinanderzusetzen (zB Senatsurteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 5/06 R; Senatsurteil vom 29.3.2007 - B 9a SB 5/05 R; Senatsurteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R, BSGE 90, 180 = SozR 3-3250 § 69 Nr 1; Senatsurteil vom 11.3.1998 - B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37 = SozR 3-3870 § 4 Nr 23). Dies hat der Kläger versäumt.

6

Gleiches gilt, soweit der Kläger die rechtliche Bedeutung der UN-BRK für die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" geklärt wissen will. Allein die Bezugnahme auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom "22.3.2012 - 2 BvR 889/09, Rnr 52" (möglicherweise tatsächlich gemeint: Beschluss vom 23.3.2011 - 2 BvR 882/09) verbunden mit der Behauptung, dass es zu den gestellten Rechtsfragen bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung gebe, genügt den Darlegungserfordernissen nicht. Auch insoweit hätte es einer Auseinandersetzung mit der zum Teil bereits vom LSG benannten Rechtsprechung des BSG zur Anwendung der UN-BRK bedurft (vgl zB BSG Beschluss vom 10.5.2012 - B 1 KR 78/11 B - RdNr 6 ff, SozR 4-2500 § 140f Nr 1; BSG Urteil vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R - RdNr 19 f, SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; Senatsurteil vom 24.5.2012 - B 9 V 2/11 R - RdNr 36, SozR 4-3520 § 7 Nr 1, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; Senatsurteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 2/09 R - RdNr 43, BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 2 Nr 2). Mit dieser Rechtsprechung hätte sich der Kläger inhaltlich befassen und aufzeigen müssen, in welchem Rahmen eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich ist (vgl hierzu allgemein Becker, die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG [Teil I], SGb 2007, 261, 266 zu Fußnote 58). Dabei wäre zB darauf einzugehen gewesen, ob die UN-BRK an der Rechtslage für das Merkzeichen "aG" etwas Grundlegendes geändert hat (vgl dazu Wendtland, Finale Betrachtungsweise bei Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG", in Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht, Forum C, Diskussionsbeitrag Nr 9/2011, vom 29.11.2011).

7

Soweit der Kläger im Übrigen die Beweiswürdigung des LSG (vgl hierzu § 128 Abs 1 S 1 SGG) kritisiert, kann er damit gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzutreffende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

8

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

9

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendungen des § 193 SGG.

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Tatbestand 1 Streitig ist die Aufhebung eines Feststellungsbescheides nach dem Schwerbehindertenrecht bei einem Ausländer, dessen Aufenthalt in Deutschland zunächst gest

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(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Im Ausweis sind auf der Rückseite folgende Merkzeichen einzutragen:

1.aGwenn der schwerbehinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 229 Absatz 3 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ist,

2.Hwenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b des Einkommensteuergesetzes oder entsprechender Vorschriften ist,

3.BIwenn der schwerbehinderte Mensch blind im Sinne des § 72 Abs. 5 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch oder entsprechender Vorschriften ist,

4.GIwenn der schwerbehinderte Mensch gehörlos im Sinne des § 228 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ist,

5.RFwenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt,

6.1. Kl.wenn der schwerbehinderte Mensch die im Verkehr mit Eisenbahnen tariflich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Benutzung der 1. Wagenklasse mit Fahrausweis der 2. Wagenklasse erfüllt,
7.Gwenn der schwerbehinderte Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt im Sinne des § 229 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder entsprechender Vorschriften ist,
8.TBIwenn der schwerbehinderte Mensch wegen einer Störung der Hörfunktion mindestens einen Grad der Behinderung von 70 und wegen einer Störung des Sehvermögens einen Grad der Behinderung von 100 hat.

(2) Ist der schwerbehinderte Mensch zur Mitnahme einer Begleitperson im Sinne des § 229 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch berechtigt, sind auf der Vorderseite des Ausweises das Merkzeichen „B“ und der Satz „Die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson ist nachgewiesen“ einzutragen.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Im Ausweis sind auf der Rückseite folgende Merkzeichen einzutragen:

1.aGwenn der schwerbehinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 229 Absatz 3 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ist,

2.Hwenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b des Einkommensteuergesetzes oder entsprechender Vorschriften ist,

3.BIwenn der schwerbehinderte Mensch blind im Sinne des § 72 Abs. 5 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch oder entsprechender Vorschriften ist,

4.GIwenn der schwerbehinderte Mensch gehörlos im Sinne des § 228 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ist,

5.RFwenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt,

6.1. Kl.wenn der schwerbehinderte Mensch die im Verkehr mit Eisenbahnen tariflich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Benutzung der 1. Wagenklasse mit Fahrausweis der 2. Wagenklasse erfüllt,
7.Gwenn der schwerbehinderte Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt im Sinne des § 229 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder entsprechender Vorschriften ist,
8.TBIwenn der schwerbehinderte Mensch wegen einer Störung der Hörfunktion mindestens einen Grad der Behinderung von 70 und wegen einer Störung des Sehvermögens einen Grad der Behinderung von 100 hat.

(2) Ist der schwerbehinderte Mensch zur Mitnahme einer Begleitperson im Sinne des § 229 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch berechtigt, sind auf der Vorderseite des Ausweises das Merkzeichen „B“ und der Satz „Die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson ist nachgewiesen“ einzutragen.

(1) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, soweit es zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen erforderlich ist, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates über Folgendes zu erlassen:

1.
die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr, insbesondere über
a)
den Inhalt und die Gültigkeitsdauer von Fahrerlaubnissen, insbesondere unterschieden nach Fahrerlaubnisklassen, über die Probezeit sowie über Auflagen und Beschränkungen zu Fahrerlaubnissen,
b)
die erforderliche Befähigung und Eignung von Personen für ihre Teilnahme am Straßenverkehr, das Mindestalter und die sonstigen Anforderungen und Voraussetzungen zur Teilnahme am Straßenverkehr,
c)
die Ausbildung und die Fortbildung von Personen zur Herstellung und zum Erhalt der Voraussetzungen nach Buchstabe b und die sonstigen Maßnahmen, um die sichere Teilnahme von Personen am Straßenverkehr zu gewährleisten, insbesondere hinsichtlich Personen, die nur bedingt geeignet oder ungeeignet oder nicht befähigt zur Teilnahme am Straßenverkehr sind,
d)
die Prüfung und Beurteilung des Erfüllens der Voraussetzungen nach den Buchstaben b und c,
e)
Ausnahmen von einzelnen Anforderungen und Inhalten der Zulassung von Personen, insbesondere von der Fahrerlaubnispflicht und von einzelnen Erteilungsvoraussetzungen,
2.
das Verhalten im Verkehr, auch im ruhenden Verkehr,
3.
das Verhalten der Beteiligten nach einem Verkehrsunfall, das geboten ist, um
a)
den Verkehr zu sichern und Verletzten zu helfen,
b)
Feststellungen zu ermöglichen, die zur Geltendmachung oder Abwehr von zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen erforderlich sind, insbesondere Feststellungen zur Person der Beteiligten, zur Art ihrer Beteiligung, zum Unfallhergang und zum Versicherer der unfallbeteiligten Fahrzeuge,
4.
die Bezeichnung von im Fahreignungsregister zu speichernden Straftaten und Ordnungswidrigkeiten
a)
für die Maßnahmen nach den Regelungen der Fahrerlaubnis auf Probe nebst der Bewertung dieser Straftaten und Ordnungswidrigkeiten als schwerwiegend oder weniger schwerwiegend,
b)
für die Maßnahmen des Fahreignungsbewertungssystems, wobei
aa)
bei der Bezeichnung von Straftaten deren Bedeutung für die Sicherheit im Straßenverkehr zugrunde zu legen ist,
bb)
Ordnungswidrigkeiten mit Punkten bewertet werden und bei der Bezeichnung und Bewertung von Ordnungswidrigkeiten deren jeweilige Bedeutung für die Sicherheit des Straßenverkehrs und die Höhe des angedrohten Regelsatzes der Geldbuße oder eines Regelfahrverbotes zugrunde zu legen sind,
5.
die Anforderungen an
a)
Bau, Einrichtung, Ausrüstung, Beschaffenheit, Prüfung und Betrieb von Fahrzeugen,
b)
die in oder auf Fahrzeugen einzubauenden oder zu verwendenden Fahrzeugteile, insbesondere Anlagen, Bauteile, Instrumente, Geräte und sonstige Ausrüstungsgegenstände, einschließlich deren Prüfung,
6.
die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr, insbesondere über
a)
die Voraussetzungen für die Zulassung, die Vorgaben für das Inbetriebsetzen zulassungspflichtiger und zulassungsfreier Fahrzeuge, die regelmäßige Untersuchung der Fahrzeuge sowie über die Verantwortung, die Pflichten und die Rechte der Halter,
b)
Ausnahmen von der Pflicht zur Zulassung sowie Ausnahmen von einzelnen Anforderungen nach Buchstabe a,
7.
die Einrichtung einer zentralen Stelle zur Erarbeitung und Evaluierung von verbindlichen Prüfvorgaben bei regelmäßigen Fahrzeuguntersuchungen,
8.
die zur Verhütung von Belästigungen anderer, zur Verhütung von schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung erforderlichen Maßnahmen,
9.
die Maßnahmen
a)
über den Straßenverkehr, die zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit oder zu Verteidigungszwecken erforderlich sind,
b)
zur Durchführung von Großraum- und Schwertransporten,
c)
im Übrigen, die zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf öffentlichen Straßen oder zur Verhütung einer über das verkehrsübliche Maß hinausgehenden Abnutzung der Straßen erforderlich sind, insbesondere bei Großveranstaltungen,
10.
das Anbieten zum Verkauf, das Veräußern, das Verwenden, das Erwerben oder das sonstige Inverkehrbringen von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen,
11.
die Kennzeichnung und die Anforderungen an die Kennzeichnung von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen,
12.
den Nachweis über die Entsorgung oder den sonstigen Verbleib von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen, auch nach ihrer Außerbetriebsetzung,
13.
die Ermittlung, das Auffinden und die Sicherstellung von gestohlenen, verlorengegangenen oder sonst abhanden gekommenen Fahrzeugen, Fahrzeugkennzeichen sowie Führerscheinen und Fahrzeugpapieren einschließlich ihrer Vordrucke, soweit nicht die Strafverfolgungsbehörden hierfür zuständig sind,
14.
die Überwachung der gewerbsmäßigen Vermietung von Kraftfahrzeugen und Anhängern an Selbstfahrer,
15.
die Beschränkung des Straßenverkehrs einschließlich des ruhenden Verkehrs
a)
zugunsten schwerbehinderter Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, mit beidseitiger Amelie oder Phokomelie oder vergleichbaren Funktionseinschränkungen sowie zugunsten blinder Menschen,
b)
zugunsten der Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel,
c)
zur Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe oder zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen,
16.
die Einrichtung von Sonderfahrspuren für Linienomnibusse und Taxen,
17.
die Einrichtung und Nutzung von fahrzeugführerlosen Parksystemen im niedrigen Geschwindigkeitsbereich auf Parkflächen,
18.
allgemeine Ausnahmen von den Verkehrsvorschriften nach Abschnitt I oder von auf Grund dieser Verkehrsvorschriften erlassener Rechtsverordnungen zur Durchführung von Versuchen, die eine Weiterentwicklung dieser Rechtsnormen zum Gegenstand haben.
Rechtsverordnungen nach Satz 1 Nummer 18 über allgemeine Ausnahmen von Verkehrsvorschriften nach diesem Gesetz sind für die Dauer von längstens fünf Jahren zu befristen; eine einmalige Verlängerung der Geltungsdauer um längstens fünf Jahre ist zulässig. Rechtsverordnungen können nicht nach Satz 1 erlassen werden über solche Regelungsgegenstände, über die Rechtsverordnungen nach Absatz 2 erlassen werden dürfen. Die Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen nach Satz 1 umfasst auch den straßenverkehrsrechtlichen Schutz von Maßnahmen zur Rettung aus Gefahren für Leib und Leben von Menschen oder den Schutz zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche Unfallbeteiligter.

(2) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, soweit es zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen erforderlich ist, Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrates über Folgendes zu erlassen:

1.
die Typgenehmigung von Fahrzeugen, Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, sofern sie unionsrechtlichen Vorgaben unterliegt, über die Fahrzeugeinzelgenehmigung, sofern ihr nach Unionrecht eine Geltung in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zukommt, sowie über das Anbieten zum Verkauf, das Inverkehrbringen, die Inbetriebnahme, das Veräußern oder die Einfuhr von derart genehmigten oder genehmigungspflichtigen Fahrzeugen, Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, insbesondere über
a)
die Systematisierung von Fahrzeugen,
b)
die technischen und baulichen Anforderungen an Fahrzeuge, Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten, einschließlich der durchzuführenden Prüfverfahren zur Feststellung der Konformität,
c)
die Sicherstellung der Übereinstimmung von Fahrzeugen, Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge mit einem genehmigten Typ bei ihrer Herstellung,
d)
den Zugang zu technischen Informationen sowie zu Reparatur- und Wartungsinformationen,
e)
die Bewertung, Benennung und Überwachung von technischen Diensten,
f)
die Kennzeichnung und Verpackung von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für Fahrzeuge oder
g)
die Zulassung von Teilen und Ausrüstungen, von denen eine ernste Gefahr für das einwandfreie Funktionieren wesentlicher Systeme von Fahrzeugen ausgehen kann,
2.
die Marktüberwachung von Fahrzeugen, Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge,
3.
die Pflichten der Hersteller und ihrer Bevollmächtigten, der Einführer sowie der Händler im Rahmen
a)
des Typgenehmigungsverfahrens im Sinne der Nummer 1,
b)
des Fahrzeugeinzelgenehmigungsverfahrens im Sinne der Nummer 1 oder
c)
des Anbietens zum Verkauf, des Inverkehrbringens, der Inbetriebnahme, des Veräußerns, der Einfuhr sowie der Marktüberwachung von Fahrzeugen, Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge oder
4.
die Technologien, Strategien und andere Mittel, für die festgestellt ist, dass
a)
sie die Leistungen der Fahrzeuge, Systeme, Bauteile oder selbstständigen technischen Einheiten für Fahrzeuge bei Prüfverfahren unter ordnungsgemäßen Betriebsbedingungen verfälschen oder
b)
ihre Verwendung im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens oder des Fahrzeugeinzelgenehmigungsverfahrens im Sinne der Nummer 1 aus anderen Gründen nicht zulässig ist.

(3) In Rechtsverordnungen nach Absatz 1 oder Absatz 2 können hinsichtlich der dort genannten Gegenstände jeweils auch geregelt werden:

1.
die Erteilung, Beschränkung oder Entziehung von Rechten, die sonstigen Maßnahmen zur Anordnung oder Umsetzung, die Anerkennung ausländischer Berechtigungen oder Maßnahmen, die Verwaltungsverfahren einschließlich der erforderlichen Nachweise sowie die Zuständigkeiten und die Ausnahmebefugnisse der vollziehenden Behörden im Einzelfall,
2.
Art, Inhalt, Herstellung, Gestaltung, Lieferung, Ausfertigung, Beschaffenheit und Gültigkeit von Kennzeichen, Plaketten, Urkunden, insbesondere von Führerscheinen, und sonstigen Bescheinigungen,
3.
die Anerkennung, Zulassung, Registrierung, Akkreditierung, Begutachtung, Beaufsichtigung oder Überwachung von natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts oder von sonstigen Einrichtungen im Hinblick auf ihre Tätigkeiten
a)
der Prüfung, Untersuchung, Beurteilung und Begutachtung von Personen, Fahrzeugen oder Fahrzeugteilen sowie der Herstellung und Lieferung nach Nummer 2,
b)
des Anbietens von Maßnahmen zur Herstellung oder zum Erhalt der Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b oder
c)
der Prüfung und Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen,
einschließlich der jeweiligen Voraussetzungen, insbesondere der Anforderungen an die natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts oder an die Einrichtungen, an ihre Träger und an ihre verantwortlichen oder ausführenden Personen, einschließlich der Vorgabe eines Erfahrungsaustausches sowie einschließlich der Verarbeitung von personenbezogenen Daten über die die Tätigkeiten ausführenden oder hieran teilnehmenden Personen durch die zuständigen Behörden, durch die natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts oder durch die Einrichtungen in dem Umfang, der für ihre jeweilige Tätigkeit und deren Qualitätssicherung erforderlich ist,
4.
Emissionsgrenzwerte unter Berücksichtigung der technischen Entwicklung zum Zeitpunkt des Erlasses der jeweiligen Rechtsverordnung,
5.
die Mitwirkung natürlicher oder juristischer Personen des Privatrechts bei der Aufgabenwahrnehmung in Form ihrer Beauftragung, bei der Durchführung von bestimmten Aufgaben zu helfen (Verwaltungshilfe), oder in Form der Übertragung bestimmter Aufgaben nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 5, 6, 7 oder 9 Buchstabe b oder Absatz 2 auf diese Personen (Beleihung), insbesondere
a)
die Bestimmung der Aufgaben und die Art und Weise der Aufgabenerledigung,
b)
die Anforderungen an diese Personen und ihre Überwachung einschließlich des Verfahrens und des Zusammenwirkens der zuständigen Behörden bei der Überwachung oder
c)
die Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch diese Personen, insbesondere die Übermittlung solcher Daten an die zuständige Behörde,
6.
die Übertragung der Wahrnehmung von einzelnen Aufgaben auf die Bundesanstalt für Straßenwesen oder das Kraftfahrt-Bundesamt oder
7.
die notwendige Versicherung der natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts oder der sonstigen Einrichtungen in den Fällen der Nummer 3 oder Nummer 5 zur Deckung aller im Zusammenhang mit den dort genannten Tätigkeiten entstehenden Ansprüche sowie die Freistellung der für die Anerkennung, Zulassung, Registrierung, Akkreditierung, Begutachtung, Beaufsichtigung, Überwachung, Beauftragung oder Aufgabenübertragung zuständigen Bundes- oder Landesbehörde von Ansprüchen Dritter wegen Schäden, die diese Personen oder Einrichtungen verursachen.

(4) Rechtsverordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5 und 8 oder Absatz 2, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 3, können auch erlassen werden

1.
zur Abwehr von Gefahren, die vom Verkehr auf öffentlichen Straßen ausgehen,
2.
zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen, die von Fahrzeugen ausgehen, oder
3.
zum Schutz der Verbraucher.
Rechtsverordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5 und 8, auch in Verbindung mit Absatz 3, können auch erlassen werden
1.
zum Schutz der Bevölkerung in Fußgängerbereichen oder verkehrsberuhigten Bereichen, der Wohnbevölkerung oder der Erholungssuchenden vor Emissionen, die vom Verkehr auf öffentlichen Straßen ausgehen, insbesondere zum Schutz vor Lärm oder vor Abgasen,
2.
für Sonderregelungen an Sonn- und Feiertagen oder
3.
für Sonderregelungen über das Parken in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr.

(5) Rechtsverordnungen nach Absatz 1 oder 2 können auch zur Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union und zur Durchführung von zwischenstaatlichen Vereinbarungen im Anwendungsbereich dieses Gesetzes erlassen werden.

(6) Rechtsverordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 5 oder 8 oder nach Absatz 2, sofern sie jeweils in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 oder Satz 2 Nummer 1 erlassen werden, oder Rechtsverordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 12 werden vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit gemeinsam erlassen. Rechtsverordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 11, 13 oder 14 oder nach Absatz 3 Nummer 2 in Verbindung mit Absatz 1 Nummer 1 oder 6 können auch zum Zweck der Bekämpfung von Straftaten erlassen werden. Im Fall des Satzes 2 werden diese Rechtsverordnungen vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gemeinsam erlassen. Rechtsverordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5 oder 8 oder nach Absatz 2, sofern sie jeweils in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 erlassen werden, werden vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gemeinsam erlassen.

(7) Keiner Zustimmung des Bundesrates bedürfen Rechtsverordnungen

1.
zur Durchführung der Vorschriften nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 in Verbindung mit Absatz 3 oder
2.
über allgemeine Ausnahmen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 18, auch in Verbindung mit den Absätzen 3 bis 6.
Vor ihrem Erlass sind die zuständigen obersten Landesbehörden zu hören.

(8) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates, jedoch unbeschadet des Absatzes 6,

1.
sofern Verordnungen nach diesem Gesetz geändert oder abgelöst werden, Verweisungen in Gesetzen und Rechtsverordnungen auf diese geänderten oder abgelösten Vorschriften durch Verweisungen auf die jeweils inhaltsgleichen neuen Vorschriften zu ersetzen,
2.
in den auf Grund des Absatzes 1 oder 2, jeweils auch in Verbindung mit den Absätzen 3 bis 7 erlassenen Rechtsverordnungen enthaltene Verweisungen auf Vorschriften in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union zu ändern, soweit es zur Anpassung an Änderungen jener Vorschriften erforderlich ist, oder
3.
Vorschriften der auf Grund des Absatzes 1 oder 2, jeweils auch in Verbindung mit den Absätzen 3 bis 7 erlassenen Rechtsverordnungen zu streichen oder in ihrem Wortlaut einem verbleibenden Anwendungsbereich anzupassen, sofern diese Vorschriften durch den Erlass entsprechender Vorschriften in unmittelbar im Anwendungsbereich dieses Gesetzes geltenden Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union unanwendbar geworden oder in ihrem Anwendungsbereich beschränkt worden sind.

(9) In den Rechtsverordnungen nach Absatz 1, jeweils auch in Verbindung mit den Absätzen 3 bis 6, kann mit Zustimmung des Bundesrates die jeweilige Ermächtigung ganz oder teilweise auf die Landesregierungen übertragen werden, um besonderen regionalen Bedürfnissen angemessen Rechnung zu tragen. Soweit eine nach Satz 1 erlassene Rechtsverordnung die Landesregierungen zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt, sind diese befugt, die Ermächtigung durch Rechtsverordnung ganz oder teilweise auf andere Landesbehörden zu übertragen.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. August 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren, wegen eines Lipödem-Syndroms der Beine im Wege der Kostenerstattung von den Kosten einer ambulanten Liposuktion mit vier Behandlungseinheiten freigestellt zu werden, in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat ua ausgeführt, die ambulante Liposuktion sei nicht Gegenstand einer Sachleistung, weil eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) fehle. Anhaltspunkte für eine grundrechtsorientierte Auslegung, einen Seltenheitsfall oder ein Systemversagen bestünden nicht (Urteil vom 25.8.2011).

2

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

3

II. Die Beschwerde ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet. Die Beschwerde ist dementsprechend insgesamt unter Hinzuzuziehung der ehrenamtlichen Richter zurückzuweisen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B). Die Bezeichnung eines Verfahrensfehlers entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen(dazu 1.). Der zulässig geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung liegt nicht vor (dazu 2.).

4

1. Die Klägerin bezeichnet einen Verfahrensmangel nicht ausreichend. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Gemäß § 160a Abs 2 S 3 SGG muss der Verfahrensfehler bezeichnet werden. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin rügt zwar die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG), legt aber die erforderlichen Umstände einer Pflichtverletzung nicht dar. Auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht kann die Zulassungsbeschwerde nämlich nur gestützt werden, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG; BSG Beschluss vom 30.7.2009 - B 1 KR 22/09 B - RdNr 5). Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keinen Vortrag.

5

2. Die Revision ist nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Klägerin legt dies ausreichend dar (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG). Hierzu wirft die Klägerin sinngemäß die entscheidungserhebliche, allgemein bedeutsame sowie ursprünglich klärungsbedürftig gewesene Rechtsfrage auf, ob eine KK aufgrund der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), insbesondere des Art 6 Abs 1 UN-BRK, eine Fürsorgepflicht hat, für einen Antrag (eines hierzu Berechtigten) auf Einleitung eines Verfahrens zur Bewertung der Liposuktion durch den GBA Sorge zu tragen. Um dem Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zu entsprechen, muss die aufgeworfene Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren indes nicht nur entscheidungserheblich sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung, sondern auch klärungsbedürftig sein (vgl zB SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN; BSG Beschluss vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - Juris RdNr 4 ). Der Rechtssache kommt gemessen an diesen Kriterien keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu. Die von der Klägerin sinngemäß aufgeworfene Rechtsfrage, ob eine KK eine Fürsorgepflicht hat, für einen Antrag (durch einen Berechtigten) auf Einleitung eines Verfahrens zur Bewertung der Liposuktion durch den GBA Sorge zu tragen (vgl § 135 Abs 1 S 1 SGB V iVm 2. Kap, 2. Abschn, § 4 Verfahrensordnung des GBA vom 18.12.2008, BAnz Nr 84a vom 10.6.2009), wirft keinen Klärungsbedarf (mehr) auf.

6

Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt nämlich, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt ist" (BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38; BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 7). Der erkennende Senat hat - wie vom LSG ausgeführt - bereits entschieden, dass ein Anspruch auf die neue Behandlungsmethode der ambulanten ärztlichen Liposuktion zu Lasten der GKV nicht in Betracht kommt, solange der GBA die neue Methode der Fettabsaugung nicht positiv empfohlen hat (§ 135 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V)oder ein Ausnahmefall vorliegt, in welchem die positive Empfehlung entbehrlich ist (BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 19 RdNr 13 ff ). Der hier allein in Betracht kommende Ausnahmefall des Systemversagens setzt nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats voraus, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (vgl dazu BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 17 f mwN - LITT). Abgesehen davon, dass schon in tatsächlicher Sicht nicht ersichtlich ist, aufgrund welcher neueren oder schon vorhandenen, aber bislang nicht berücksichtigten medizinischen Erkenntnisse die antragsberechtigten Stellen es versäumt hätten, einen Antrag zu stellen, bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass eine solche Fürsorgepflicht nicht besteht. Ein Klärungsbedarf ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht (mehr) unter Berücksichtigung des Art 25 (dazu a) oder des Art 6 (dazu b) der UN-BRK, der seit dem 26.3.2009 völkerrechtliche Verbindlichkeit für Deutschland gemäß Art 45 Abs 2 UN-BRK und innerstaatlich der Rang eines Bundesgesetzes zukommt (näher dazu BSG Urteil vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R - SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 RdNr 19 f, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen).

7

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist aus Art 25 UN-BRK keine eigenständige, über die Rechtsprechung des BSG zum Systemversagen hinausgehende Pflicht der KK abzuleiten, für die Einleitung eines Bewertungsverfahrens Sorge zu tragen. Ein über das gesetzlich Geregelte hinausgehender Anspruch auf die formelle Einleitung eines ergebnisoffenen GBA-Prüfungsverfahrens ergibt sich weder aus Art 25 S 1 und 2 UN-BRK noch aus Art 25 S 3 Buchst f UN-BRK.

8

Art 25 S 1 und 2 UN-BRK sind nicht unmittelbar anwendbar, sondern bedürfen der Umsetzung durch den Gesetzgeber. Nach Art 25 S 1 UN-BRK erkennen die Vertragsstaaten - wie in der Beschwerdebegründung zitiert - an, dass Menschen mit Behinderungen das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund der Behinderung haben. Zudem haben die Vertragsstaaten alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu geschlechtsspezifischen Gesundheitsdiensten haben. Hiermit können nach dem für das Übereinkommen verbindlichen englischen und französischen Wortlaut - Art 50 UN-BRK - auch Gesundheitsleistungen gemeint sein ("access … to health services that are gender-sensitive"; "l'accès à des services de santé qui prennent en compte les sexospécificités"), einschließlich gesundheitlicher Rehabilitation (Art 25 S 2 UN-BRK). Auf Letzteres nimmt die Klägerin inhaltlich insoweit Bezug als sie sinngemäß meint, die von ihr begehrte Liposuktion sei wegen der psychosozialen Auswirkungen des Lipödems bei Frauen eine geschlechtsspezifische Gesundheitsleistung. Der erkennende Senat hat indes zu Art 25 S 3 Buchst b iVm S 1 und 2UN-BRK zwischenzeitlich - nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist - entschieden, dass diese Normen non-self-executing sind. Nichts anderes gilt für die isolierte Betrachtung des Art 25 S 1 und 2 UN-BRK.

9

Art 25 S 3 Buchst f UN-BRK ist demgegenüber zwar self-executing, wird aber durch die gesetzliche Regelung des Antragsverfahrens für Entscheidungen nach § 135 Abs 1 SGB V nicht verletzt. Durch die Rechtsprechung des erkennenden Senats ist geklärt, dass das Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK unmittelbar anwendbares Recht ist (BSG Urteil vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R - SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 RdNr 29, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen). Das trifft auch auf Art 25 S 3 Buchst f UN-BRK zu. Danach verhindern die Vertragsstaaten die diskriminierende Vorenthaltung von Gesundheitsversorgung oder -leistungen oder von Nahrungsmitteln und Flüssigkeiten aufgrund von Behinderung. Die rechtliche Reichweite dieses speziellen, auf die Gesundheit bezogenen Diskriminierungsverbots ist ebenfalls - mittelbar durch die Rechtsprechung zum allgemeinen Diskriminierungsverbot - geklärt. Es ergänzt das allgemeine Verbot der Diskriminierung aufgrund von Behinderung des Art 5 Abs 2 UN-BRK und wiederholt es bereichsspezifisch. Das unmittelbar anwendbare allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK entspricht für die Leistungsbestimmungen der GKV im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des Art 3 Abs 3 S 2 GG (BSG Urteil vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R - SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 RdNr 30 f, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen). Dies ist auf Art 25 S 3 Buchst f UN-BRK übertragbar.

10

Sowohl die Regelung des Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt für die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden für die vertragsärztliche Versorgung als auch die normative Ausgestaltung seines Verfahrens, insbesondere auch seine Einleitung (vgl § 92 Abs 1 S 2 Nr 1; § 135 Abs 1 S 1 Nr 1; § 140f Abs 2 S 5 SGB V; 2. Kap, 2. Abschn § 4 VerfO), verstoßen nicht gegen das aufgezeigte Diskriminierungsverbot. Die Regelungen knüpfen nicht an eine Behinderung im konventionsrechtlichen Sinne an, sondern an Krankheiten als solche, die weder zu Behinderungen führen müssen noch bereits eingetretene Behinderungen voraussetzen. Allerdings sind noch nicht oder nicht ausreichend diagnostizier- oder therapierbare schwere Erkrankungen faktisch regelmäßig mit daraus resultierenden Behinderungen der Erkrankten assoziiert.

11

Soweit die angegriffene Regelung indes zugleich behinderte Menschen iS des Art 3 Abs 3 S 2 GG oder des Art 1 Abs 2 UN-BRK trifft, ist sie wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des GKV-Leistungskatalogs gerechtfertigt. Es ist nicht zu beanstanden, dass die GKV den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§ 11 SGB V)unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V),und hierbei grundsätzlich Qualität und Wirksamkeit der Leistungen einem Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V)unterwirft, das er durch die Regelungen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden absichert. Auch die Regelungen über die betroffenen Verfahrensvorschriften müssen sich an den unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der UN-BRK messen lassen, weil sie die Möglichkeiten eines geregelten Erkenntnisprozesses mit verbindlichen Folgen für die Gesundheitsversorgung und -leistungen behinderter Menschen beschränken. Hierbei ist die Regelung des Art 2 UN-BRK zu berücksichtigen. Danach erfasst der konventionsrechtliche Begriff der "Diskriminierung aufgrund von Behinderung" auch die Versagung "angemessener Vorkehrungen". Auch dies hat die Rechtsprechung des erkennenden Senats geklärt (vgl BSG Urteil vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R - SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 RdNr 32 ff, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen).

12

Die beteiligten Normgeber haben indessen dem Ziel, Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu vermeiden, bei der Ausgestaltung des Verfahrens Rechnung getragen. Sie haben nämlich neben allen anderen Antragsberechtigten auch dem Deutschen Behindertenrat in Bezug auf Verfahren zur Bewertung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ein Antragsrecht zugebilligt (§ 140f Abs 2 S 5 SGB V). Als maßgebliche Organisation für die Wahrnehmung der Interessen behinderter Menschen ist der Deutsche Behindertenrat berechtigt, das Verfahren der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden einzuleiten (2. Kap, 2. Abschn § 4 Abs 2 Buchst d Spiegelstrich 2 VerfO iVm § 2 Abs 1 Nr 1 Patientenbeteiligungsverordnung). Eine allgemeine Fürsorgepflicht der KK, auf einen Antrag eines Berechtigten hinzuwirken, ist neben dem speziell auf die Belange behinderter Menschen zugeschnittenen Antragsrecht der genannten Patientenorganisation nicht erforderlich.

13

b) Die Rechtsfrage, ob eine KK eine Fürsorgepflicht hat, für einen Antrag (durch einen Berechtigten) auf Einleitung eines Verfahrens zur Bewertung der Liposuktion durch den GBA Sorge zu tragen, wirft nach diesen Grundsätzen auch im Hinblick auf die Regelung des geltend gemachten Art 6 UN-BRK keinen Klärungsbedarf (mehr) auf. Nach Art 6 Abs 1 UN-BRK erkennen die Vertragsparteien an, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt sind, und in dieser Hinsicht Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass sie alle Menschenrechte und Grundfreiheiten voll und gleichberechtigt genießen können. Die Regelung ist im Zusammenhang mit Art 6 Abs 2 UN-BRK zu sehen, wonach die Vertragsstaaten alle geeigneten Maßnahmen zur Sicherung der vollen Entfaltung, der Förderung und der Stärkung der Autonomie der Frauen treffen, um zu garantieren, dass sie die in diesem Übereinkommen genannten Menschenrechte und Grundfreiheiten ausüben und genießen können. Selbst wenn hiernach dem Konventionstext ein auf Frauen und Mädchen mit Behinderung bezogenes unmittelbar anwendbares bereichsspezifisches Diskriminierungsverbot zu entnehmen sein sollte, hätte der nationale Normgeber für das Verfahren zur Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden durch das Antragsrecht des Deutschen Behindertenrats eine angemessene Vorkehrung im Sinne von Art 2 UN-BRK getroffen.

14

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit dem Arzneimittel Cialis.

2

Der 1961 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger leidet ua an einer erektilen Dysfunktion als Folge einer chronisch progredienten Multiplen Sklerose. Er erwarb auf eigene Kosten das Arzneimittel Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil zur Behandlung der Dysfunktion und beantragte Kostenübernahme, wobei er für 2005 und 2006 einen Betrag von 1495,65 Euro errechnete (28.1.2007). Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: "Beklagte") lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 13.2.2007; Widerspruchsbescheid vom 3.4.2008). Das SG hat die auf Erstattung der seit 13.2.2007 aufgewendeten Kosten sowie zukünftige Versorgung mit Cialis gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 4.5.2010). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V iVm Anlage II zur Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) schließe verfassungskonform Cialis als Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus, ohne gegen Art 25 S 3 Buchst a UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu verstoßen(Beschluss vom 11.11.2010).

3

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2a SGB V, des Art 3 Abs 3 S 2 GG und Art 3 Abs 1 GG sowie des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK. Die Versorgung mit Cialis sei eine speziell aufgrund seiner Behinderung erforderliche Gesundheitsleistung. In solchen Fällen sei der Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 7 und 8 SGB V unanwendbar. Er diskriminiere unzulässig mittelbar Menschen, die durch eine erektile Dysfunktion behindert seien.

4

Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2010, das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. Mai 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger seit Zugang des Bescheides vom 13. Februar 2007 für das Arzneimittel Cialis entstandenen Kosten zu erstatten sowie ihm künftig Cialis als Naturalleistung zu gewähren.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass der Kläger von der beklagten Ersatzkasse weder Erstattung seiner seit Zugang des Bescheides vom 13.2.2007 für das Arzneimittel Cialis aufgewendeten Kosten noch künftige Versorgung hiermit als Naturalleistung beanspruchen kann. Die Voraussetzungen der Ansprüche sind nicht erfüllt. Denn die Behandlung der erektilen Dysfunktion mit Cialis unterfällt nicht dem Leistungskatalog der GKV, sondern ist hiervon ausgeschlossen (dazu 2.). Der Ausschluss kollidiert weder mit Art 25 UN-BRK (Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Gesetz vom 21.12.2008, BGBl II 1419, für Deutschland in Kraft seit 26.3.2009, BGBl II 2009, 812; dazu 3.) noch verstößt er gegen das Diskriminierungsverbot (Art 5 Abs 2 UN-BRK) oder Verfassungsrecht (dazu 4.).

8

1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs 4 SGG). Der Senat sieht davon ab, das Verfahren an das LSG zurückzuverweisen, obwohl der für die Vergangenheit geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch unbeziffert ist und die Tatsacheninstanzen nicht auf die insoweit erforderliche Konkretisierung des Antrags und die Ergänzung des Tatsachenvortrags hingewirkt haben (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2, § 153 Abs 1 SGG; vgl zB BSGE 83, 254, 263 f = SozR 3-2500 § 37 Nr 1 S 10 f; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 14). Der Anspruch auf Kostenerstattung scheitert bereits aus anderen Gründen.

9

2. Die Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt, weil das Gesetz die geltend gemachten Ansprüche auf Versorgung mit Cialis und Kostenerstattung ausschließt. Als Rechtsgrundlage der Kostenerstattung kommt allein § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB V in Betracht(anzuwenden idF des Art 5 Nr 7 Buchst b SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGBl I 1046). Die Rechtsnorm bestimmt: Hat die KK eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht demnach nur, wenn zwischen dem die Haftung der KK begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 15 mwN).

10

Daran fehlt es vorliegend entgegen der Rechtsauffassung des SG nicht. Zwar liegt der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung der KK und der Kostenbelastung des Versicherten nicht vor, wenn die KK vor Inanspruchnahme einer vom Versicherten selbst beschafften Leistung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr, zB BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 13 mwN). Das gilt auch über den Zeitraum nach Erlass einer die Kostenübernahme ablehnenden Entscheidung hinaus, wenn es sich um eine aus medizinischen Gründen untrennbare, einheitliche Behandlung handelt (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 17 mwN). Dafür besteht aber beim Einsatz von Cialis zur Behandlung der erektilen Dysfunktion kein Anhaltspunkt.

11

Der Kläger hat indes keinen Anspruch auf Versorgung mit Cialis als Naturalleistung, wie ihn nicht nur sein Begehren auf künftige Versorgung, sondern auch auf Erstattung voraussetzt. Denn der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KK allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN - LITT; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 11). § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V(idF durch Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190, in Kraft seit 1.1.2004) schließt einen Anspruch auf Versorgung mit Cialis zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus.

12

Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind(§ 31 Abs 1 S 1 SGB V). § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V bestimmt: "Von der Versorgung sind außerdem Arzneimittel ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen. Das Nähere regeln die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6."

13

Die Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung wiederholt in ihrem II. Teil unter Buchst F in § 14 Abs 1 S 1 und Abs 2 weitgehend den Text des § 34 Abs 1 S 7 und 8 SGB V(AM-RL idF vom 18.12.2008/22.1.2009, BAnz Nr 49a vom 31.3.2009, zuletzt geändert am 15.12.2011 mWv 20.1.2012, BAnz Nr 11 vom 19.1.2012, S 254). Nach § 14 Abs 3 AM-RL sind die nach Abs 2 ausgeschlossenen Fertigarzneimittel in einer Übersicht als Anlage II der AM-RL zusammengestellt. In dieser Übersicht ist das Fertigarzneimittel Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil aufgeführt. Dies entspricht auch der - soweit hier von Interesse - zuvor geltenden Anlage 8 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AMRL idF vom 31.8.1993, BAnz Nr 246 vom 31.12.1993, S 11155, zuletzt geändert am 10.4.2008, BAnz Nr 101 vom 9.7.2008, S 2491; Anlage 8 abgedruckt in DÄ 2004, A 963, 965).

14

Entgegen der Ansicht des Klägers ist es im Rahmen des § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V nicht möglich, nach der Ursache der Erkrankung mit der Folge zu differenzieren, dass der Leistungsausschluss bei einer behinderungsbedingten erektilen Dysfunktion nicht greift. Der Anwendungsbereich dieses Leistungsausschlusses kann nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und -zweck nicht auf Fälle teleologisch reduziert werden, in denen Arzneimittel - etwa bei entsprechender Anspannung aller Willenskräfte - nicht erforderlich sind (BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139 = juris RdNr 11 f - Caverject). Die gesetzliche Regelung will vielmehr den Ausschluss der aufgeführten Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV umfassend sicherstellen (BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139 = juris RdNr 12). Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc GMG zielt mit der Einfügung von S 7 bis 9 in § 34 Abs 1 SGB V darauf ab, sämtliche Arzneimittel, die ua überwiegend der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, von der Verordnung zu Lasten der GKV auszuschließen(vgl BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2, RdNr 24 - Viagra).

15

Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus § 2a SGB V. Nach dieser durch Art 1 Nr 1 GMG eingefügten Vorschrift ist den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen. Die Regelung dient als Auslegungshilfe, um das Benachteiligungsverbot aus Art 3 Abs 3 S 2 GG umzusetzen (vgl funktional ähnlich BSG Urteil vom 25.5.2011 - B 12 KR 8/09 R - RdNr 26 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). § 2a SGB V vermag aber nicht, einen gesetzlichen Leistungsausschluss zu überwinden(vgl etwa BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22).

16

3. Entgegen der Ansicht des Klägers führt Art 25 UN-BRK zu keinem Anspruch auf Versorgung mit Cialis zu Lasten der GKV. Hierbei ist lediglich Art 25 S 3 Buchst b iVm S 1 und 2 UN-BRK näher in den Blick zu nehmen. Der in § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V umfassend geregelte Leistungsausschluss widerspricht dagegen schon im Ansatz nicht dem in Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK enthaltenen speziellen Diskriminierungsverbot.

17

Nach Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK stellen die Vertragsparteien Menschen mit Behinderungen eine unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen, einschließlich sexual- und fortpflanzungsmedizinischer Gesundheitsleistungen und der Gesamtbevölkerung zur Verfügung stehender Programme des öffentlichen Gesundheitswesens. Das SGB V stellt dem Kläger in diesem Sinne eine Gesundheitsversorgung genau in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen. Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK enthält dagegen nach Wortlaut, Regelungssystem und Zweck keinen Anspruch auf eine Behandlung aller "wesentlichen Erkrankungen" zu Lasten der GKV.

18

Im Ergebnis begründet auch Art 25 S 3 Buchst b iVm S 1 und 2 UN-BRK keine eigenständige Rechtsgrundlage, die den in § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V geregelten Leistungsausschluss für behinderte Menschen aufhebt. Art 25 S 1, 2 und 3 Buchst b UN-BRK hat in der - gemäß Art 50 UN-BRK nicht verbindlichen - deutschen Fassung folgenden Wortlaut:

"Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu geschlechtsspezifischen Gesundheitsdiensten, einschließlich gesundheitlicher Rehabilitation, haben. Insbesondere…
b) bieten die Vertragsstaaten die Gesundheitsleistungen an, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderungen benötigt werden, soweit angebracht, einschließlich Früherkennung und Frühintervention, sowie Leistungen, durch die, auch bei Kindern und älteren Menschen, weitere Behinderungen möglichst gering gehalten oder vermieden werden sollen;
[...]"

19

Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK verdrängt nicht als ranggleiches späteres Bundesrecht den 2004 in das SGB V eingefügten Leistungsausschluss des § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V nach den Grundsätzen der allgemeinen intertemporalen Kollisionsregeln(vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 4 RdNr 13 f; lex posterior derogat legi priori). Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK gilt in Deutschland im Rang einfachen Bundesrechts. Das Vertragsgesetz zur UN-BRK ist gemäß dessen Art 2 Abs 1 am 1.1.2009 in Kraft getreten. Es erteilt innerstaatlich den Befehl zur Anwendung der UN-BRK und setzt diese in nationales Recht um (vgl allgemein BVerfG NJW 2007, 499, 501; BVerfGE 104, 151, 209; 90, 286, 364; 77, 170, 210). Völkerrechtliche Verbindlichkeit kommt der UN-BRK für Deutschland gemäß Art 45 Abs 2 UN-BRK ab 26.3.2009 zu (vgl auch Art 2 Abs 2 Vertragsgesetz zur UN-BRK iVm der Bekanntmachung über das Inkrafttreten der UN-BRK vom 5.6.2009, BGBl II 812). Ab diesem Zeitpunkt könnte Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK entgegenstehendes älteres Bundesrecht obsolet werden lassen (vgl auch BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 25 RdNr 28; zur Abhängigkeit des Geltungsbeginns von der völkerrechtlichen Wirksamkeit des Vertrages BVerfGE 63, 343, 354; 1, 396, 411 f; RG JW 1932, 582; Kunig in Graf Vitzthum, Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 120 RdNr 112; aA Burghart DÖV 1993, 1038).

20

Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen völkerrechtliche Verträge wie die UN-BRK, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, im Range eines Bundesgesetzes (vgl BVerfGE 111, 307, 317; 82, 106, 114; 74, 358, 370). Diese Rangzuweisung führt in Verbindung mit Art 20 Abs 3 GG dazu, dass deutsche Gerichte das anwendbare Völkervertragsrecht wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben, hier also ggf unter Beachtung des intertemporalen Rechts (vgl BVerfGE 111, 307, 317; einem theoretisch denkbaren Vorrang von Völkervertragsrecht nach § 30 Abs 2 SGB I steht der Anwendungsvorrang des SGB V entgegen, vgl § 37 S 1 und 2 SGB I). Ein - weitergehender - Anwendungsvorrang besteht dagegen für eine völkerrechtliche Norm, wenn sie in den Rang des Gewohnheitsrechts erwachsen ist. In diesem Falle sind die Behörden und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art 25 GG grundsätzlich daran gehindert, innerstaatliches Recht in einer die Norm verletzenden Weise auszulegen und anzuwenden (vgl BVerfGE 112, 1, 27; Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 260).

21

Die Regelung des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK beinhaltet indes keine allgemeine Regel des Völkerrechts mit dem genannten Geltungsvorrang. Bei den allgemeinen Regeln des Völkerrechts handelt es sich um Regeln des universell geltenden Völkergewohnheitsrechts, ergänzt durch aus den nationalen Rechtsordnungen tradierte allgemeine Rechtsgrundsätze (BVerfGE 117, 141, 149; 109, 13, 27; 16, 27, 33; 15, 25, 32 ff). Das Bestehen von Völkergewohnheitsrecht setzt eine gefestigte Praxis zahlreicher Staaten voraus, die in der Überzeugung geübt wird, hierzu aus Gründen des Völkerrechts verpflichtet zu sein (BVerfGE 46, 342, 367 mwN). Daran fehlt es hier. Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK gibt nämlich nicht eine gefestigte Praxis zahlreicher Staaten wieder, Menschen mit Behinderungen ein der Regelung vergleichbares Recht auf Gesundheit zu gewähren. Dies verdeutlicht bereits eine Betrachtung des europäischen Rechtsrahmens. Ein entsprechendes Recht ist etwa weder in der Europäischen Menschenrechtskonvention noch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthalten (vgl hierzu Rothfritz, Die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, 2010, S 333).

22

Kein Anwendungsvorrang des Art 25 UN-BRK folgt aus dem Umstand, dass die Europäische Gemeinschaft (EG; Rechtsnachfolgerin: Europäische Union , vgl Art 1 Abs 3 S 3 Vertrag über die Europäische Union und Schreiben an den UN-Generalsekretär, BGBl II 2010, 250) dem Übereinkommen gemäß Art 44 UN-BRK iVm Art 310 des Vertrags zur Gründung der EG ( idF des Vertrages von Nizza, BGBl II 2001, 1666; vgl jetzt Art 217 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ) beigetreten ist. Dieser Beitritt wirkt nur im Umfang der Zuständigkeiten der EG. Die EG vermochte sich völkerrechtlich nur im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu binden (vgl auch die Erklärung der EG zur UN-BRK, abrufbar unter http://treaties.un.org). Nur in diesem Rahmen kann eine Bindung der Mitgliedstaaten nach Art 300 Abs 7 EGV bzw nunmehr nach Art 216 Abs 2 AEUV eintreten, die den Bestimmungen der UN-BRK zu einer Stellung über dem Bundesrecht verhilft. Die Festlegung der Leistungskataloge der nationalen Krankenversicherungssysteme liegt indes außerhalb der Kompetenz der EU (Art 168 Abs 7 AEUV, zuvor Art 152 Abs 5 EGV; EuGHE I 2001, 5473 RdNr 87 - Smits und Peerbooms; EuGHE I 2003, 4509 RdNr 98 - Müller-Fauré und van Riet; vgl insgesamt auch Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 46).

23

Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK, der in der deutschen Rechtsordnung wie dargelegt im Range eines einfachen Bundesgesetzes gilt, enthält - soweit hier von Interesse - keine Vorgaben, die unmittelbar für Ansprüche GKV-Versicherter auf Arzneimittel bei erektiler Dysfunktion relevant sind. Die Norm ist - jedenfalls in ihrem hier bedeutsamen Teil - nicht hinreichend bestimmt, um von den KKn unmittelbar angewendet zu werden; sie bedarf einer Ausführungsgesetzgebung und ist non-self-executing (vgl dazu Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43, 2005, 312, 318).

24

Die unmittelbare Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Bestimmungen (zum Unterschied zur Geltung vgl etwa BVerfG NJW 2011, 2113 RdNr 53 f; BVerfGK 9, 174 = NJW 2007, 499, RdNr 52 f; speziell zur UN-BRK Aichele AnwBl 2011, 727, 730) setzt voraus, dass die Bestimmung alle Eigenschaften besitzt, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muss, um Einzelne berechtigen oder verpflichten zu können (vgl BVerfGE 29, 348, 360). Dafür muss ihre Auslegung ergeben, dass sie geeignet und hinreichend bestimmt ist, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten, ohne dass es einer weiteren normativen Ausfüllung bedarf (BVerfG NJW 2007, 499, 501; BVerfGE 29, 348, 360; vgl auch BVerwG Beschluss vom 18.1.2010 - 6 B 52/09 - juris RdNr 4; BVerwGE 134, 1 RdNr 46; BVerwGE 125, 1 RdNr 12; BVerwGE 120, 206, 208 f; BVerwGE 92, 116, 118; BVerwGE 87, 11, 13). Ist eine Regelung - objektiv-rechtlich - unmittelbar anwendbar, muss sie zusätzlich auch ein subjektives Recht des Einzelnen vermitteln (Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 141, 159; Grzeszick, AVR 43, 2005, 312, 318). Gemäß Art 31 Abs 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.5.1969 (BGBl II 1985, 926 und BGBl II 1987, 757) erfolgt die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks (vgl auch Graf Vitzthum in ders, Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 56 RdNr 123 mwN). Wortlaut, Regelungszusammenhang sowie Ziel und Zweck der Regelung des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK sprechen gegen seine unmittelbare Anwendbarkeit für Leistungsrechte GKV-Versicherter im dargelegten Sinne.

25

Nach seinem Wortlaut verpflichtet Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK die Vertragsstaaten zu weiteren Maßnahmen, nämlich dazu, die genau benannten Gesundheitsleistungen "anzubieten". Die Terminologie der Verpflichtung von Vertragsstaaten, Leistungen "anzubieten" ("to provide"), indiziert keine unmittelbare Anwendbarkeit (vgl auch Ziff 33 des "General Comment No 14" vom 11.8.2000 zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966, BGBl II 1973, 1569; im Folgenden: WiSoKuPakt; zur Bedeutung der "General Comments" im Völkerrecht vgl zB BVerwGE 134, 1 RdNr 48 mwN; englische Fassungen der General Comments im Internet abrufbar unter http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/, deutsche Übersetzung veröffentlicht in Deutsches Institut für Menschenrechte, Die "General Comments" zu den VN-Menschenrechtsverträgen. Deutsche Übersetzung und Kurzeinführungen, 2005; zur Typologie "to respect", "to protect" and "to fulfil" im Zusammenhang mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten vgl Koch in Human Rights Law Review 5, 2005, 81). Die Formulierung unterscheidet sich zugleich wesentlich von anderen Vertragsbestimmungen, die bereits nach ihrem Wortlaut einen unmittelbaren Anspruch begründen, ohne dass es weiterer Umsetzungsakte bedarf (so zB Art 30 Abs 4 UN-BRK: "Menschen mit Behinderungen haben gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf …").

26

Auch der Regelungszusammenhang mit Art 25 S 1 und 2 UN-BRK spricht gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit von S 3 Buchst b der genannten Regelung. Weil die Vertragsstaaten das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung anerkennen, treffen sie die in S 2 genannten geeigneten Maßnahmen, um dieses Recht zu gewährleisten. Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK knüpft hieran an und spezifiziert beispielhaft ("Insbesondere") die in Art 25 S 1 und 2 UN-BRK ausdrücklich als Staatenverpflichtung konzipierte allgemeine Regelung.

27

Das Ineinandergreifen der Bestimmungen des Art 25 S 1, 2 und 3 Buchst b UN-BRK verdeutlicht zugleich die Zielsetzung und den Regelungszweck, das in Art 25 UN-BRK geschützte Menschenrecht im "erreichbaren Höchstmaß" zu verwirklichen. Die darin liegende Beschränkung spiegelt die Grenzen aufgrund der eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme wider: Nach Art 4 Abs 2 UN-BRK ist jeder Vertragsstaat hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verpflichtet, unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen (sog Progressionsvorbehalt).

28

Die Regelung des Art 4 Abs 2 UN-BRK gilt zwar unbeschadet derjenigen Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen, die nach dem Völkerrecht sofort anwendbar sind. Dazu gehört Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK wegen seines Umsetzungsbedarfs in nationales Recht aber nicht. Diese Rechtsnorm ist vielmehr mit Art 12 Abs 2 WiSoKuPakt vergleichbar. Er benennt beispielhaft Schritte, die die Vertragsstaaten zur vollen Verwirklichung des "erreichbaren Höchstmaßes" ("highest attainable standard") an Gesundheit einzuleiten haben (vgl zur Entwicklung der UN-BRK im völkerrechtlichen Kontext auch Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 246; Aichele, APuZ 2010, 13, 15; siehe auch "General Comment 3" Ziff 5 vom 14.12.1990 - keine Erwähnung von Art 12 WiSoKuPakt; "General Comment No 14" vom 11.8.2000 Ziff 1 zum Diskriminierungsverbot und Ziff 43 - Kernbereich medizinischer Grundversorgung auf Minimalniveau <"minimum essential levels[…] including essential primary health care"> - hier nicht betroffen; vgl schließlich Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 58 f).

29

4. Letztlich verhelfen auch weder das Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK noch Verfassungsrecht dem Kläger zum Erfolg. Art 5 Abs 2 UN-BRK ist allerdings nach den aufgeführten Kriterien unmittelbar anwendbar, in diesem Sinne also self-executing (vgl BVerfG SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 54; Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 48; Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 246, 250). Nach dieser Regelung verbieten die Vertragsstaaten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung und garantieren Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen.

30

Zu den Menschen mit Behinderungen zählen nach Art 1 Abs 2 UN-BRK Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Nach Art 2 UN-BRK bedeutet "Diskriminierung aufgrund von Behinderung" jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Sie umfasst alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen. Im Sinne des Übereinkommens bedeutet gemäß Art 2 UN-BRK "angemessene Vorkehrungen" notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Nach Art 4 Abs 1 S 1 UN-BRK verpflichten sich die Vertragsstaaten, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten zu den im Einzelnen in Art 4 Abs 1 S 2 UN-BRK genannten Maßnahmen.

31

Ausgehend von diesen Grundsätzen entspricht das unmittelbar anwendbare Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK für die Leistungsbestimmungen der GKV im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des Art 3 Abs 3 S 2 GG. Danach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Das Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 S 2 GG erschöpft sich nicht in der Anordnung, behinderte und nichtbehinderte Menschen rechtlich gleich zu behandeln. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme kompensiert wird (vgl BVerfGE 99, 341, 357; 96, 288, 303; BVerfGK 7, 269, 273). Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass die UN-BRK generell als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte herangezogen werden kann (vgl BVerfG NJW 2011, 2113, RdNr 52; BVerfGE 111, 307, 317) und dies auch speziell für das Verständnis des Art 3 Abs 3 S 2 GG gilt (so im Ergebnis BVerfG SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 54).

32

Der gesetzliche Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V verstößt indes weder gegen das verfassungsrechtliche Benachteiligungs- noch gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot. Der gesetzliche Leistungsausschluss knüpft nicht an eine Behinderung im verfassungsrechtlichen (vgl die allgemein auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben abstellende Regelung des § 2 Abs 1 S 1 SGB IX, an dessen Vorgängernorm - § 3 Abs 1 Schwerbehindertengesetz - sich der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Schaffung des Art 3 Abs 3 S 2 GG orientiert hat, s BVerfGE 96, 288, 301)und konventionsrechtlichen Sinne an, sondern erfasst weitergehend alle Fälle der Erkrankung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V) oder - hier nicht betroffen - der Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde (§ 23 Abs 1 Nr 1, Abs 3 SGB V). Die Ausschlussregelung setzt nicht den Eintritt einer Behinderung voraus, sondern lässt auch eine vorübergehende Krankheit oder Erscheinungsformen in deren Vorfeld ausreichen.

33

Auch soweit die Vorschrift zugleich behinderte Menschen iS des Art 3 Abs 3 S 2 GG oder des Art 1 Abs 2 UN-BRK trifft, ist sie wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des GKV-Leistungskatalogs noch gerechtfertigt. Wie das GG fordert auch die UN-BRK zur Achtung des Diskriminierungsverbots keine unverhältnismäßigen oder unbilligen Belastungen. Die sich daraus ergebenden Rechtfertigungsanforderungen sind nicht höher als die nach dem GG.

34

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die GKV den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§ 11 SGB V) unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V). Es steht mit dem GG in Einklang, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass die Leistungen der GKV ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein haben und nicht das Maß des Notwendigen überschreiten dürfen (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V). Der GKV-Leistungskatalog darf auch von finanzwirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein. Gerade im Gesundheitswesen hat der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht (vgl BVerfGE 103, 172, 184). Die gesetzlichen KKn sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl BVerfGE 115, 25, 45 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).

35

Auch aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl BVerfGE 89, 120, 130) folgt jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine KK auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen (stRspr, vgl BVerfG NJW 1998, 1775; NJW 1997, 3085). Der Gesetzgeber verletzt seinen Gestaltungsspielraum weder im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot noch auf das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der GKV Leistungen aus dem Leistungskatalog ausschließt, die - wie hier - in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen. Dies gilt erst recht, wenn es sich um Bereiche handelt, bei denen die Übergänge zwischen krankhaften und nicht krankhaften Zuständen auch maßgeblich vom subjektiven Empfinden des einzelnen Versicherten abhängen können (vgl auch BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2, RdNr 25 - Viagra). Schließlich darf der Gesetzgeber auch aus Gründen der Rechtssicherheit klare Grenzlinien ziehen (vgl hierzu Begründung des Entwurfs der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 86 zu Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc).

36

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Beigeladenen wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. April 2011 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 30. September 2009 zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 966 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Der klagende Landkreis begehrt von dem beklagten Freistaat die Erstattung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Höhe der Grundrente, die der Beklagte der Beigeladenen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) gewährt hat.

2

Die Beigeladene bezog vom Kläger Leistungen nach § 3 AsylbLG. Im Dezember 2001 wurde sie Opfer mehrerer Gewalttaten. Daraufhin meldete der Kläger beim Beklagten vorsorglich einen Erstattungsanspruch wegen möglicher Ansprüche der Beigeladenen auf Leistungen nach dem OEG an. Nachdem der Versorgungsantrag der Beigeladenen vom Beklagten zunächst abgelehnt (Bescheid vom 5.8.2003) und ihr auf Widerspruch Beschädigten-Grundrente nach dem OEG unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH bis zum 30.11.2003 gewährt worden war (Abhilfebescheid vom 15.4.2004), sprach ihr das Sozialgericht (SG) Würzburg durch Urteil vom 2.5.2006 - S 1 VG 3/04 - ab 1.12.2003 Grundrente nach einer MdE um 40 vH zu. Der Beklagte gewährte der Beigeladenen daraufhin ab dem 1.12.2003 Grundrente in Höhe von 161 Euro monatlich (Ausführungsbescheid vom 21.2.2007). Den Nachzahlungsbetrag für den Zeitraum Dezember 2003 bis Mai 2004 (966 Euro) behielt der Beklagte bis zur Klärung des vorliegenden Erstattungsanspruchs ein.

3

Mit Schreiben vom 24.6.2008 bezifferte der Kläger gegenüber dem Beklagten seinen Erstattungsanspruch für die Zeit vom 1.12.2003 bis 31.5.2004 mit 966 Euro. Für diesen Zeitraum betrugen seine Leistungen nach § 3 AsylbLG an die Beigeladene monatlich 292,97 Euro(Bescheid vom 18.5.2004). Nachdem der Beklagte eine Erstattung endgültig abgelehnt hatte, erhob der Kläger am 2.6.2009 beim SG Würzburg Klage, die mit Gerichtsbescheid vom 30.9.2009 abgewiesen wurde.

4

Auf die Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger 966 Euro zu zahlen (Urteil vom 19.4.2011). Diese Entscheidung ist auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Der Anspruch des Klägers ergebe sich aus § 104 SGB X. Der Kläger sei in Bezug auf die geltend gemachte Erstattungssumme gegenüber der Beigeladenen nachrangig verpflichtet gewesen. Die Grundrente nach dem OEG ginge den Leistungen nach dem AsylbLG vor, da sie anrechenbares Einkommen iS des § 7 Abs 1 AsylbLG darstelle. Der Kläger hätte bei rechtzeitiger Leistung des Beklagten um den Grundrentenbetrag verminderte Leistungen an die Beigeladene zu erbringen gehabt. Die Regelungen des Bundesozialhilfegesetzes (BSHG) zur Einkommensanrechnung seien auf das Asylbewerberleistungsrecht nicht übertragbar, da der Gesetzgeber ein eigenständiges Regelungswerk geschaffen habe.

6

Eine analoge Anwendung des § 7 Abs 5 AsylbLG komme nicht in Betracht. Vielmehr ergebe sich aus der vom SG zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (< BVerfG > Beschluss vom 11.7.2006 - 1 BvR 293/05 - BVerfGE 116, 229), dass das BVerfG unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf menschenwürdige Existenz keine Bedenken gegen die Leistungsgewährung nach dem AsylbLG gehabt habe. Im Asylbewerberleistungsrecht sei es zulässig, alle Zuflüsse ggf auch zweckfremd zur Sicherung des Lebensunterhaltes einzusetzen. Eine Sonderstellung vergleichbar der von Schmerzensgeldzahlungen sei für die Grundrente nach dem OEG nicht anzunehmen, denn diese diene auch der Abdeckung eines materiellen Bedarfs, den das AsylbLG im Auge habe. Der Schmerzensgeldanspruch enthalte hingegen keinerlei materielle Komponente.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Beigeladene geltend: Bestehe ein Erstattungsanspruch des Klägers, verliere sie gemäß § 107 SGB X ihren Anspruch gegen den Beklagten auf Auszahlung der Grundrente für die Zeit von Dezember 2003 bis Mai 2004. Durch die angefochtene Entscheidung würden § 7 AsylbLG sowie § 1 OEG iVm § 31 BVG und Art 3 Grundgesetz (GG) verletzt. Die Grundrente stelle kein Einkommen iS des § 7 Abs 1 AsylbLG dar und müsse in entsprechender Anwendung von § 7 Abs 5 AsylbLG unberücksichtigt bleiben, denn sie werde pauschaliert geleistet und setze weder einen materiellen Schaden noch eine materielle Bedürftigkeit voraus. Damit sei die Entscheidung des BVerfG (1 BvR 293/05) zum Schmerzensgeld auch auf die Grundrente nach dem OEG übertragbar. Andernfalls würden Asylbewerber unter Verstoß gegen Art 3 GG anders behandelt als Leistungsempfänger nach dem BSHG. Das LSG verkenne, dass die Grundrente nach dem OEG faktisch lediglich einen immateriellen Schaden abdecke, da im OEG iVm dem BVG eigene Vorschriften zum Ausgleich materieller Schäden vorgesehen seien.

8

Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. April 2011 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 30. September 2009 zurückzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Das Verfassungsrecht gebiete es nicht, die Grundrente nach dem OEG von der Einkommensanrechnung nach § 7 Abs 1 AsylbLG auszunehmen. Es liege keine Vergleichbarkeit dieser Leistung mit Schmerzensgeldzahlungen vor. Der maßgebliche Unterschied bestehe darin, dass dem Schmerzensgeld jegliche materielle Komponente fehle, während die Grundrente nach dem OEG zumindest auch typisierend und pauschalierend dem Ausgleich von durch die Schädigung entstandenen materiellen Mehraufwendungen diene.

11

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beigeladenen ist zulässig und begründet.

13

Die Beigeladene hat die Revision zulässigerweise eingelegt. Die Hauptbeteiligten eines Rechtsstreits können grundsätzlich ohne Weiteres Rechtsmittel gegen Urteile einlegen, eine zum Verfahren beigeladene Person (vgl § 69 Nr 3, § 75 SGG) muss hingegen geltend machen können, dass sie durch die angefochtene Entscheidung materiell beschwert wird (vgl Bundessozialgericht Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a V 7/06 B - SozR 4-2600 § 118 Nr 3 RdNr 9; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 19, Vor § 143 RdNr 4a mwN). Das Vorliegen einer materiellen Beschwer erfordert, dass die angefochtene Entscheidung geeignet ist, beim Rechtsmittelführenden eine Rechtsverletzung iS des § 54 Abs 1 S 2 SGG zu bewirken (vgl BSG Urteil vom 12.5.2011 - B 11 AL 24/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 11), wobei es auf zuvor gestellte Anträge nicht ankommt (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 19, Vor § 143 RdNr 8). Dies setzt voraus, dass die Beigeladene aufgrund der Bindungswirkung des angefochtenen Urteils unmittelbar in ihren subjektiven Rechten beeinträchtigt werden kann, mithin muss sich die mögliche Belastung aus der Rechtskraftwirkung des § 141 Abs 1 Nr 1 SGG ergeben. Das ist hier der Fall.

14

Durch die angefochtene Entscheidung des LSG ist das Bestehen eines Erstattungsanspruchs des Klägers gegen den Beklagten gemäß § 104 Abs 1 SGB X in Höhe von 966 Euro festgestellt worden. Erwächst dieses Urteil in Rechtskraft, tritt in Höhe des festgestellten Erstattungsanspruchs die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X zum Nachteil der Beigeladenen ein. Nach dieser Vorschrift gilt ein Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch (zwischen zwei Leistungsträgern für diese Leistung) besteht. Die Beigeladene hätte demnach keinen Anspruch mehr gegen den Beklagten auf Auszahlung der ihr aufgrund des Urteils des SG vom 2.5.2006 (S 1 VG 3/04) bewilligten Grundrente nach § 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 31 BVG(vgl Ausführungsbescheid der Beklagten vom 21.2.2007) für den hier betroffenen Zeitraum. Aus der Erfüllungswirkung ergeben sich demnach sowohl die materielle Beschwer der Beigeladenen als auch die Erforderlichkeit der erfolgten notwendigen Beiladung (vgl BSG Urteil vom 12.6.1986 - 8 RK 61/84 - SozR 1500 § 75 Nr 60 S 65 f; Urteil vom 15.11.1989 - 5 RJ 41/89 - SozR 1500 § 75 Nr 80 S 99 f; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 10a).

15

Entgegen der Rechtsauffassung des LSG steht dem Kläger der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht zu. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

16

Als Anspruchsgrundlage für die geforderte Erstattung kommt allein § 104 Abs 1 SGB X(idF des 4. Euro-Einführungsgesetzes vom 21.12.2000, BGBl I 1983, mit Wirkung ab 1.1.2001) in Betracht, der den Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers gegen den vorrangig verpflichteten Leistungsträger regelt. Diese Vorschrift lautet:

(1) Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. Satz 1 gilt entsprechend, wenn von den Trägern der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe Aufwendungsersatz geltend gemacht oder ein Kostenbeitrag erhoben werden kann; Satz 3 gilt in diesen Fällen nicht.

17

Danach ist § 104 SGB X von § 103 SGB X abzugrenzen. In § 103 SGB X wird der Erstattungsanspruch eines Leistungsträgers normiert, dessen originäre Leistungsverpflichtung nachträglich (teilweise) entfallen ist. Dabei dürfen die Sozialleistungen - anders als in § 104 Abs 1 SGB X - nicht in einem bloßen Vorrang- bzw Nachrangverhältnis zueinander stehen; vielmehr müssen sich beide Ansprüche grundsätzlich derart ausschließen, dass der Rechtsgrund für die eine Leistung durch das Hinzutreten der anderen Leistung entfällt (vgl Böttiger in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 103 RdNr 12 und § 104 RdNr 13). § 104 SGB X regelt hingegen die Erstattungsverpflichtung bei Leistungen unterschiedlicher Gründe(vgl Kater in KasselerKomm, Stand Dezember 2011, § 104 SGB X RdNr 21 mwN). Der nachrangig Verpflichtete bleibt trotz Leistung des vorrangig Verpflichteten weiterhin originär zuständig, lediglich die (Höhe der) Leistungsverpflichtung wird durch die Erbringung der vorrangigen Leistung beeinflusst. Die Fallkonstellation der aufgrund rückwirkender Gewährung einer als Einkommen anzurechnenden Leistung verminderten Leistungsverpflichtung stellt demnach den Grundgedanken des Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB X dar(vgl BSG Urteil vom 22.5.1985 - 1 RA 33/84 - BSGE 58, 119, 123 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 21 f).

18

Gemessen an diesen Kriterien liegt hier ein Anwendungsfall des § 104 und nicht des § 103 SGB X vor. Die Anspruchsberechtigung der Beigeladenen betreffend Leistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit von Dezember 2003 bis Mai 2004 ist durch die für diesen Zeitraum nach § 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 31 Abs 1 S 1 BVG rückwirkend bewilligte Grundrente nicht nachträglich entfallen, sondern besteht dem Grunde nach fort. Maßgebend ist insoweit § 7 Abs 1 AsylbLG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 25.8.1998 (BGBl I 2505):

Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden kann, sind von dem Leistungsberechtigten und seinen Familienangehörigen, die im selben Haushalt leben, vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen. § 122 des Bundessozialhilfegesetzes findet entsprechende Anwendung. Bei der Unterbringung in einer Einrichtung, in der Sachleistungen gewährt werden, haben Leistungsberechtigte, soweit Einkommen und Vermögen im Sinne des Satzes 1 vorhanden sind, für erhaltene Leistungen dem Kostenträger für sich und ihre Familienangehörigen die Kosten in entsprechender Höhe der in § 3 Abs. 2 Satz 2 genannten Leistungen sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung zu erstatten; für die Kosten der Unterkunft und Heizung können die Länder Pauschalbeträge festsetzen oder die zuständige Behörde dazu ermächtigen.

19

Danach ist allein darüber zu entscheiden, ob die Grundrente bei unterstellter rechtzeitiger Leistung vorrangig aufzubrauchendes Einkommen dargestellt, sich mithin auf die Höhe des Anspruchs der Beigeladenen nach § 3 AsylbLG vermindernd ausgewirkt hätte.

20

Die Voraussetzungen des § 104 SGB X sind nicht erfüllt. Der Kläger ist in Bezug auf einen Betrag in Höhe der Grundrente der Beigeladenen für die Zeit von Dezember 2003 bis Mai 2004 nicht iS von § 104 Abs 1 S 2 SGB X als nachrangig zur Leistung verpflichtet anzusehen. Er wäre auch bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung des Beklagten zur Leistungserbringung nach § 3 AsylbLG an die Beigeladene verpflichtet gewesen, ohne deren Beschädigten-Grundrente als Einkommen berücksichtigen zu dürfen.

21

Nach Auffassung des erkennenden Senats gehört die Beschädigten-Grundrente nach dem OEG iVm dem BVG nicht zum Einkommen iS des § 7 Abs 1 S 1 AsylbLG. Sie ist demnach nicht vor dem Eintritt von Leistungen nach dem AsylbLG vorrangig aufzubrauchen. Dafür sind folgende Erwägungen maßgebend:

22

Das AsylbLG selbst enthält keine Definition des Einkommensbegriffs, sondern setzt diesen Begriff voraus. Da das Asylbewerberleistungsrecht zum 1.11.1993 zwar als besonderes System außerhalb des seinerzeit geltenden BSHG, jedoch unter Wahrung fürsorgerischer Gesichtspunkte eingeführt worden ist (vgl dazu die Begründung des Gesetzentwurfs zum AsylbLG, BT-Drucks 12/4451, S 5), geht der Senat in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und Literatur (vgl Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 18.2.1999 - 5 C 35.97 - BVerwGE 108, 296, 298 f; Beschluss vom 2.12.2004 - 5 B 108/04 - NVwZ 2005, 463 ff; Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl 2010, § 7 AsylbLG RdNr 5; Hohm, GK-AsylbLG, Stand März 2012, § 7 RdNr 15 f; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand April 2012, § 7 RdNr 11; Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Stand Januar 2011, § 7 AsylbLG RdNr 4; Schmidt in jurisPK-SGB XII, Stand Dezember 2011, § 7 AsylbLG RdNr 11)davon aus, dass insoweit für das AsylbLG ein sozialhilferechtlicher Einkommensbegriff heranzuziehen ist. Die damit in Betracht kommende Begriffsbestimmung in § 76 Abs 1 BSHG(idF des Gesetzes zur Verlängerung von Übergangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz vom 27.4.2002, BGBl I 1462, gültig bis zum 31.12.2004) lautet:

(1) Zum Einkommen im Sinne dieses Gesetzes gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Gesetz, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit gewährt werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.

23

Unter Einkommen in diesem Sinne ist danach zunächst grundsätzlich alles zu verstehen, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhält, unerheblich vom Grund der Zahlung und deren Zweckbestimmung (vgl Decker in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand April 2011, § 7 AsylbLG RdNr 11; Fichtner/Wenzel, SGB XII/Sozialhilfe/AsylbLG, 4. Aufl 2009, § 7 AsylbLG RdNr 3). Im vorliegenden Zusammenhang kann offenbleiben, ob und inwieweit die Vorschriften des BSHG zur Absetzbarkeit bestimmter Beträge (vgl § 76 Abs 2 und 2a BSHG) und zur Nichtberücksichtigung einzelner Einkommensarten (vgl § 77 BSHG) in das AsylbLG zu übernehmen sind, jedenfalls ist die in § 76 Abs 1 BSHG vorgesehene Ausnahme für die Grundrente nach dem BVG Bestandteil des Einkommensbegriffs, der im AsylbLG gilt. Wie der Senat bereits entschieden hat, bezieht sich diese Ausnahme auch auf Beschädigten-Grundrenten nach dem OEG iVm dem BVG (vgl BSG Urteil vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/98 R - SozR 3-5910 § 76 Nr 3 S 5 f).

24

Die Frage, ob die in § 76 Abs 1 BSHG enthaltene, auf die Grundrente bezogene Ausnahme mit zu dem für das AsylbLG maßgebenden Einkommensbegriff gehört, wird in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich behandelt. Teilweise wird dazu nicht ausdrücklich Stellung genommen (vgl Adolph in Linhart/Adolph aaO; Decker in Oestreicher aaO RdNr 11 f). Fichtner/Wenzel lehnen zwar eine analoge Anwendung der das Einkommen betreffenden, seit 1.1.2005 das BSHG ersetzenden Vorschriften des SGB XII ab (aaO RdNr 2), vertreten jedoch die Ansicht, dass Sozialleistungen, auf die auch für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG ein Anspruch besteht, insoweit nicht als Einkommen anzurechnen seien, als sie anderen Zwecken dienten als der Sicherung des Lebensunterhalts (aaO RdNr 3). Schmidt (aaO) nimmt an, dass, soweit § 7 AsylbLG auf den Begriff des Einkommens Bezug nimmt, ein identischer Begriffsinhalt zu § 82 Abs 1 S 1 SGB XII bzw § 11 Abs 1 S 1 SGB II vorausgesetzt wird. Diese Aussage könnte zwar eine Übernahme der auch in der Begriffsbestimmung des § 82 Abs 1 S 1 SGB XII enthaltenen Ausnahmeregelung zur Grundrente in das Asylbewerberleistungsrecht stützen, dem würde jedoch die Bezugnahme Schmidts auf § 11 Abs 1 S 1 SGB II widersprechen, der eine solche Ausnahme nicht enthält(vgl dazu § 11a Abs 1 Nr 2 SGB II). Das BVerwG geht wiederum davon aus, dass § 7 Abs 1 AsylbLG einen Einkommensbegriff voraussetzt, wie er "in § 76 Abs 1 BSHG ausgeformt wird"(vgl BVerwG Beschluss vom 2.12.2004 - 5 B 108/04 - NVwZ 2005, 463, 464, nachgehend BVerfG Beschluss vom 11.7.2006 - 1 BvR 293/05 - BVerfGE 116, 229). Danach wäre die Grundrente nicht als Einkommen anzusehen. Soweit in der Literatur die gegenteilige Ansicht vertreten wird (Birk in LPK-SGB XII, 9. Aufl 2012, § 7 AsylbLG RdNr 3 unter Hinweis auf das hier angefochtene Berufungsurteil; Grube/Wahrendorf aaO RdNr 8; vgl Hohm in GK-AsylbLG aaO RdNr 21), teilt sie der erkennende Senat nicht.

25

Da das AsylbLG keine dem § 76 Abs 1 BSHG entsprechende Begriffsbestimmung enthält, können aus dem dortigen Fehlen einer die Grundrente betreffenden Ausnahmeregelung keine inhaltlichen Schlüsse gezogen werden. Vielmehr obliegt es dem Rechtsanwender, den asylbewerberleistungsrechtlichen Begriff des Einkommens im Wege der Auslegung zu bestimmen. Dabei spricht die Entstehungsgeschichte des AsylbLG nicht gegen einen - dem § 76 Abs 1 BSHG entnommenen - Ausschluss der Grundrente aus dem darin geltenden Einkommensbegriff. Angesichts der erheblich gestiegenen Anzahl von Asylsuchenden und solchen Ausländern, denen vor allem aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen ein gewisses Bleiberecht in Deutschland zu gewähren war, sollten die diesen zustehenden Leistungen für den Lebensunterhalt gegenüber der Sozialhilfe, die vom Individualisierungsgrundsatz ausgeht und ein existenziell gesichertes und sozial integriertes Leben "auf eigenen Füßen" gewährleisten soll, vereinfacht und den Bedürfnissen eines hier in aller Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthalts angepasst werden (vgl Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks 12/4451 S 5). Der vorgesehene Umfang der Leistungen soll danach ein Leben ermöglichen, das durch die Sicherung eines Mindestunterhalts dem Grundsatz der Menschenwürde gerecht wird (vgl Begründung des Gesetzentwurfs aaO S 6). Auch in den parlamentarischen Beratungen wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Leistungen nach dem AsylbLG nicht bezwecken, eine Teilnahme am soziokulturellen Leben zu gewährleisten (Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, 160. Sitzung, S 13594 - B - [Abgeordneter Werner], S 13596 - B - [Abgeordneter Eimer]). Diesem gesetzgeberischen Anliegen steht es nicht entgegen, den Einkommensbegriff des § 76 Abs 1 BSHG einschließlich seiner Ausnahmeregelung in das AsylbLG zu übernehmen.

26

Nachdem zuvor bereits das BVerwG entschieden hatte, dass die Grundrente bei der Ermittlung des Einkommens für die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG außer Ansatz zu lassen sei (vgl BVerwG Urteil vom 26.8.1964 - V C 99.63 - BVerwGE 19, 198, 202), ist durch Art 1 Nr 29 Zweites Gesetz zur Änderung des BSHG vom 14.8.1969 (BGBl I 1153) § 76 Abs 1 BSHG dahingehend neu gefasst worden, dass zum Einkommen iS dieses Gesetzes alle Einkünfte in Geld oder Geldwert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Gesetz und der Grundrente nach dem BVG gehören. In dem schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Sozialpolitik wird dazu ausgeführt, dass diese vom Ausschuss vorgeschlagene Regelung einem berechtigten Anliegen der Sozialhilfeempfänger entspreche. Sie sei auch bereits Gegenstand der Regelungen in anderen Sozialleistungsgesetzen (BT-Drucks V/4429 S 4). Diese Erwägungen lassen sich auch auf das Asylbewerberleistungsrecht übertragen. Zwar sollen Asylbewerberleistungen, anders als Sozialhilfe, nicht das soziokulturelle, sondern nur das "absolute" Existenzminimum sichern (vgl dazu BVerwG Urteil vom 3.6.2003 - 5 C 32.02 - Buchholz 436.02 § 2 AsylbLG Nr 1 S 6 f). Dieser Unterschied ist hier jedoch nicht erheblich, weil die Beschädigten-Grundrente nach dem OEG iVm mit dem BVG nicht der soziokulturellen Teilhabe, sondern der Rehabilitation dient.

27

§ 1 OEG idF vom 19.6.2006 (BGBl I 1305, gültig gewesen vom 15.12.2000 bis 31.12.2004) bestimmt in Abs 1 S 1:

Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. …

28

Nach § 31 Abs 1 S 1 BVG idF vom 24.6.2003 (BGBl I 984) erhalten Beschädigte bei einer MdE um mindestens 30 vH eine monatliche Grundrente, deren Höhe nach dem Ausmaß der MdE gesetzlich festgesetzt ist. Die MdE ist nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen; dabei sind seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen. Für die Beurteilung ist maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folge einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt sind. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs 1 S 1 bis 4 BVG idF vom 11.4.2002, BGBl I 1302).

29

Entsprechend der (pauschalen) Art und Weise ihrer Berechnung ist die Grundrente nicht dazu bestimmt, den allgemeinen Lebensunterhalt des Beschädigten sicherzustellen, sondern bezweckt einerseits eine Entschädigung für den Verlust der körperlichen Integrität und andererseits einen Ausgleich für die durch die Beeinträchtigung bedingten Mehraufwendungen und Ausgaben, die ein gesunder Mensch nicht hat. Sie hat insoweit sowohl eine immaterielle als auch materielle Funktion, wobei beide Komponenten nicht voneinander zu trennen sind (vgl dazu BVerfG Urteil vom 14.3.2000 - 1 BvR 284/96, 1 BvR 1659/96 - BVerfGE 102, 41, 61 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 23; BVerfG [3. Kammer] Beschluss vom 16.3.2011 - 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 - SGb 2011 702, 707; BSG Urteil vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/98 R - SozR 3-5910 § 76 Nr 3 S 6 f; BSG Urteil vom 21.10.1980 - 3 RK 53/79 - BSGE 50, 243, 245 f = SozR 2200 § 180 Nr 5 S 14; BSG Urteil vom 22.6.1979 - 3 RK 84/77 - BSGE 48, 217, 218 = SozR 1200 § 54 Nr 3 S 3; BGH Urteil vom 10.11.1964 - VI ZR 186/63 - NJW 1965, 102, 103; BGH Urteil vom 4.6.1985 - VI ZR 17/84 - VersR 1985, 990, 991; BVerwG Urteil vom 26.8.1964 - V C 99.63 - BVerwGE 19, 198, 203; Dau in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl 2012, § 31 BVG RdNr 1 mwN; Kieswald in Entwicklung des Sozialrechts, Aufgabe der Rechtsprechung, Festgabe zum Anlass des 100jährigen Bestehens der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, 1984, S 469, 470). Dabei kann die Grundrentenleistung als integrierender Bestandteil der Rehabilitation des Beschädigten bezeichnet werden (vgl dazu BVerfG Urteil vom 14.3.2000 - 1 BvR 284/96, 1 BvR 1659/96 - BVerfGE 102, 41, 59 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 21 mwN; Heinz, br 2009, 13, 15).

30

Rechtssystematische Gesichtspunkte sprechen ebenfalls nicht gegen die vom Senat vertretene Auslegung des Begriffes des Einkommens iS von § 7 Abs 1 S 1 AsylbLG. Die Regelung des § 7 Abs 2 AsylbLG betrifft nicht den Einkommensbegriff, sondern sieht beim Einkommen bestimmte Freibeträge vor. Der Umstand, dass sich der Gesetzgeber bei der Anfügung des § 7 Abs 5 AsylbLG durch Art 6 Abs 2 Nr 3 Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I 1970) auf die Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 11.7.2006 (BVerfGE 116, 229) beschränkt hat, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls unerheblich. § 7 Abs 5 AsylbLG sieht vor, dass eine Entschädigung, die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs 2 BGB geleistet wird, nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist. Damit wurde eine Vorschrift, die der Regelung des § 77 Abs 2 BSHG bzw - seit dem 1.1.2005 - des § 83 Abs 2 SGB XII entspricht, in das AsylbLG übernommen. Diese gesetzgeberische Maßnahme berührt demnach gerade nicht den Einkommensbegriff iS des § 76 Abs 1 BSHG.

31

Die Hinübernahme der vollständigen Begriffsbestimmung des § 76 Abs 1 BSHG in das AsylbLG trägt auch dem Umstand Rechnung, dass der Grundrente eine Sonderstellung zukommt. Diese spiegelt sich in einer Reihe von Bestimmungen wieder, die im Ergebnis dazu führen, dass die dem Beschädigten zustehende Leistung einer Anrechnung auf andere Sozialleistungen bzw dem Zugriff durch Dritte weitestgehend entzogen ist (vgl BVerfG Urteil vom 14.3.2000 - 1 BvR 284/96, 1 BvR 1659/96 - BVerfGE 102, 41, 60 f = SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 22 f; BVerfG [3. Kammer] Beschluss vom 16.3.2011 - 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 - SGb 2011, 702, 707). Eine derartige "Unantastbarkeit" ist nicht auf die Bereiche der einkommensabhängigen Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Sozialhilfe beschränkt (vgl insoweit § 11 Abs 1 Nr 2 SGB II, § 82 Abs 1 S 1 SGB XII bzw § 76 Abs 1 S 1 BSHG). Bereits nach § 138 Abs 3 Nr 5 Arbeitsförderungsgesetz(gültig bis 31.12.1997) bzw § 194 Abs 3 Nr 6 SGB III(gültig bis 31.12.2004) galt Entsprechendes für die Arbeitslosenhilfe. Ähnliche Regelungen finden sich zB in § 267 Abs 2 Nr 2 Buchst a Lastenausgleichsgesetz und § 21 Abs 4 Nr 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz. Daneben werden Geldleistungen, die dafür bestimmt sind, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen (also auch die Grundrente), von der Pfändbarkeit ausdrücklich ausgenommen (vgl § 54 Abs 3 Nr 3 SGB I), woraus sich auch ein Aufrechnungsverbot gegen diese Leistungen ergibt (vgl § 51 Abs 1 iVm § 54 Abs 3 Nr 3 SGB I; vgl dazu BSG Urteil vom 22.6.1979 - 3 RK 84/77 - BSGE 48, 217, 218 = SozR 1200 § 54 Nr 3 S 3 f). Ferner wird im bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsrecht vermutet, dass die Kosten der Aufwendungen infolge von Körper- oder Gesundheitsschäden jedenfalls in derjenigen Höhe bestehen, in der wegen dieser Schäden Grundrente geleistet wird (vgl dazu § 1610a BGB).

32

Auch im BVG selbst wird der Ausnahmecharakter der Grundrente als unantastbare, nicht zum Bestreiten des allgemeinen Lebensunterhalts gedachte Leistung deutlich. So bestimmt der heutige § 35 Abs 6 S 2 BVG(idF durch Art 1 Nr 38 Buchst e Doppelbuchst aa des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007, BGBl I 2904), dass dem Beschädigten bei der Anrechnung der mit einer Heimunterbringung verbundenen Kosten auf die Versorgungsbezüge die Grundrente zum Bestreiten seiner sonstigen Bedürfnisse zu belassen ist (vgl so bereits zu § 35 Abs 2 S 2 BVG in der vom 1.1.1982 bis zum 31.3.1990 geltenden Fassung: Kieswald in Entwicklung des Sozialrechts, Aufgabe der Rechtsprechung, Festgabe aus Anlass des 100jährigen Bestehens der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, 1984, S 469, 470).

33

Der Senat hält eine Heranziehung des § 76 Abs 1 BSHG im Rahmen des § 7 Abs 1 S 1 AsylbLG auch deshalb für geboten, weil für den streitigen Zeitraum eine Schlechterstellung der Beigeladenen gegenüber solchen Berechtigten, die gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG(idF des Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 26.5.1997, BGBl I 1130) - nach einem 36monatigen Grundleistungsbezug (§ 3 AsylbLG) - Leistungen in entsprechender Anwendung des BSHG erhielten (zu diesem Personenkreis gehörte die Beigeladene selbst ab 1.6.2004), sachlich nicht gerechtfertigt erscheint.

34

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in § 1 Abs 4 bis 7 OEG eigenständige Voraussetzungen für die Leistungsberechtigung von Ausländern vorgesehen hat. Für Ausländer, die nicht zu dem privilegierten Personenkreis des Abs 4 gehören, gilt § 1 Abs 5 OEG(hier wiedergegeben in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung des Gesetzes vom 21.7.1993, BGBl I 1262):

        

Sonstige Ausländer, die sich rechtmäßig nicht nur für einen vorübergehenden Aufenthalt von längstens sechs Monaten im Bundesgebiet aufhalten, erhalten Versorgung nach folgenden Maßgaben:

        

1.    

Leistungen wie Deutsche erhalten Ausländer, die sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalten;

        

2.    

ausschließlich einkommensunabhängige Leistungen erhalten Ausländer, die sich ununterbrochen rechtmäßig noch nicht drei Jahre im Bundesgebiet aufhalten.

        

Rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne dieses Gesetzes ist auch ein aus humanitären Gründen oder aus erheblichem öffentlichen Interesse geduldeter Aufenthalt. …

35

Diese differenzierte Regelung macht deutlich, dass Ausländer nach einer Aufenthaltsdauer von drei Jahren (ähnlich wie nach § 2 Abs 1 AsylbLG)als so integriert angesehen werden, dass ihnen Leistungen wie Deutschen zu gewähren sind. Für die Zeit davor stehen ihnen (bei einem voraussichtlichen Aufenthalt von mehr als sechs Monaten) jedenfalls einkommensunabhängige Leistungen (also auch Beschädigten-Grundrente) zu. Diesem Konzept würde es widersprechen, wenn diesem Personenkreis die Grundrente im Rahmen des § 7 Abs 1 S 1 AsylbLG durch Berücksichtigung als Einkommen praktisch so lange vorenthalten würde, bis sie in den Kreis der Analogleistungsberechtigten iS des § 2 Abs 1 AsylbLG aufrücken. Dies gilt umso mehr, als die Grundrente nicht den soziokulturellen Bereich, sondern die Rehabilitation betrifft.

36

Zwar ist das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-Behindertenrechtskonvention ) in Deutschland erst am 26.3.2009 als Bundesrecht in Kraft getreten (vgl Gesetz vom 21.12.2008, BGBl II 1419; Bekanntmachung vom 5.6.2009, BGBl II 812), es kann jedoch auch im vorliegenden Fall zur Bestimmung des Einkommensbegriffs des § 7 Abs 1 S 1 AsylbLG als Auslegungshilfe orientierend herangezogen werden(vgl dazu allgemein BVerfG Beschluss vom 23.3.2011 - 2 BvR 882/09 - BVerfGE 128, 282, 306). Insofern ist zu berücksichtigen, dass Art 16 Abs 4 UN-BRK vorsieht, dass die Vertragsstaaten alle geeigneten Maßnahmen treffen, um die körperliche, kognitive und psychische Genesung, die Rehabilitation und die soziale Wiedereingliederung von Menschen mit Behinderung zu fördern, die Opfer irgendeiner Form von Gewalt werden. Da die Gewährung von Leistungen nach dem OEG als Erfüllung einer solchen Verpflichtung anzusehen ist (vgl dazu Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Erster Staatenbericht, S 37; Denkschrift zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808 S 53), liegt es nahe, Gewaltopfern, die (noch) Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten, die Beschädigtengrundrente uneingeschränkt zu belassen(vgl dazu allgemein auch BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 2/09 R - BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 2 Nr 2, RdNr 43).

37

Ähnlich wie beim Schmerzensgeld liegt es schließlich auf der Hand, dass ein Verzicht auf die Berücksichtigung von Beschädigten-Grundrente nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG bei der Gewährung und Bemessung von Leistungen nach AsylbLG nicht das Ziel des Gesetzgebers in Frage stellt, den Anreiz zur Einreise von Ausländern aus wirtschaftlichen Gründen zu verringern. Weder kann mit dem Bezug einer solchen Leistung vor dem Eintritt einer Gewalttat gerechnet werden noch wird sie im Hinblick auf diese Voraussetzung vernünftigerweise angestrebt (vgl dazu BVerfG Beschluss vom 11.7.2006 - 1 BvR 293/05 - BVerfGE 116, 229, 241).

38

Da der Senat das klageabweisende Urteil des SG bestätigt hat, ist der Kläger auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren kostenpflichtig. Dabei ist allerdings zwischen dem Berufungs- und dem Revisionsverfahren zu differenzieren; denn die Frage, ob § 183 SGG(Gerichtskostenfreiheit mit Anwendung der §§ 184 bis 195 SGG) oder § 197a SGG(Gerichtskostenpflicht mit Anwendung des Gerichtskostengesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung ) eingreift, ist für jeden Rechtszug gesondert zu beantworten (vgl BSG Beschluss vom 13.4.2006 - B 12 KR 21/05 B - SozR 4-1500 § 193 Nr 2 RdNr 9; BSG Beschluss vom 29.5.2006 - B 2 U 391/05 B - SozR 4-1500 § 193 Nr 3 RdNr 15).

39

Im zweitinstanzlichen Verfahren ist nur über die Berufung des nichtkostenprivilegierten Klägers (vgl § 183 SGG) zu entscheiden gewesen. Der Beklagte wird ebenfalls nicht von § 183 S 1 SGG erfasst. Die Beigeladene, deren Rechte als Leistungsempfängerin nach dem AsylbLG betroffen sind, hat sich vor dem LSG lediglich schriftsätzlich dahin geäußert, dass das Urteil des SG zutreffend sei. Dementsprechend richtet sich die Kostenentscheidung für den zweiten Rechtszug nach § 197a SGG iVm § 154 Abs 1, § 162 Abs 3 VwGO.

40

Anders verhält es sich mit dem Verfahren vor dem BSG. Denn hier hat die Beigeladene gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt. Sie hat mithin in ihrer Eigenschaft als Leistungsberechtigte die Stellung einer Rechtsmittelführerin eingenommen. Damit gehört sie zu dem in § 183 SGG aufgeführten Personenkreis(vgl dazu BSG aaO) mit der Folge, dass für die Kostenentscheidung insoweit auch § 193 SGG maßgebend ist.

41

Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 47 Abs 1, § 52 Abs 1 und Abs 3 GKG.

Tatbestand

1

Streitig ist die Aufhebung eines Feststellungsbescheides nach dem Schwerbehindertenrecht bei einem Ausländer, dessen Aufenthalt in Deutschland zunächst gestattet war und seit Juni 2007 nur geduldet ist.

2

Der 1957 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er hält sich seit März 2003 in Deutschland auf. Sein Aufenthalt wurde während des letztlich erfolglosen Asylverfahrens gestattet. Unter dem 15.6.2007 wurde dem Kläger eine bis zum 17.9.2007 befristete aufenthaltsrechtliche Duldung erteilt, die in der Folgezeit verlängert wurde.

3

Auf den Antrag des Klägers vom 6.5.2004 stellte das beklagte Land durch Bescheid vom 16.8.2004 wegen verschiedener Gesundheitsstörungen einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie die Schwerbehinderteneigenschaft fest. Einen Antrag auf Änderung/Erhöhung des GdB lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29.12.2005 ab.

4

Nach Bekanntwerden der aufenthaltsrechtlichen Duldung hörte der Beklagte den Kläger durch Schreiben vom 5.7.2007 an und hob mit Bescheid vom 25.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2007 gemäß § 48 SGB X den Bescheid vom 16.8.2004 auf, weil die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 SGB IX nicht mehr erfüllt seien. Die Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne dieser Vorschrift liege nicht mehr vor, weil der Kläger sich lediglich im Rahmen einer Duldung nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Deutschland aufhalte und damit nicht mehr von einem rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen sei. Solche Personen hätten keinen Anspruch auf Feststellungen nach dem SGB IX.

5

Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Stuttgart (SG) abgewiesen (Urteil vom 20.5.2009). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen gemäß § 2 Abs 2 SGB IX iVm § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I seien nicht erfüllt, weil der Kläger im Rahmen der Duldung seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX habe. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 1.9.1999 - B 9 SB 1/99 R - auch bei einem nur geduldeten Ausländer wegen der besonderen Ziele des Schwerbehindertenrechts dessen nicht nur vorübergehendes Verweilen in Deutschland bejaht, wenn sich aus anderen Umständen ergebe, dass der Ausländer sich auf unbestimmte Zeit in Deutschland aufhalten werde. Wegen der seitdem stattgefundenen Veränderungen im Schwerbehindertenrecht und insbesondere auch im Ausländerrecht ließen sich die vom BSG getroffenen Wertungen heute nicht mehr für Sachverhalte wie den vorliegenden heranziehen.

6

Zwar heiße es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu § 2 SGB IX(BT-Drucks 14/5074, S 99), auf den der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 12.3.2001 (BT-Drucks 14/5531, S 5) verweise, es bleibe auch bei der Klarstellung der Rechtsprechung, dass gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Absatzes 2 auch bei Asylbewerbern und geduldeten Ausländern vorliege, wenn besondere Umstände ergäben, dass sie sich auf unbestimmte Zeit in Deutschland aufhalten würden. Angesichts der weiteren gesetzgeberischen Aktivitäten ließen sich diese besonderen Umstände jedoch nur für geduldete Personen mit einem Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX begründen(§ 2 Abs 2 SGB IX). Eine weitere Ausdehnung auf den Kreis der geduldeten Personen ohne Arbeitsplatz sei nicht mehr möglich.

7

Mit der gesetzlichen Neuregelung der Duldung im Rahmen der Reform des Zuwanderungsrechts zum 1.1.2005 und den darin zum Ausdruck gekommenen Intentionen des Gesetzgebers lasse sich für den Fall einer bloßen Duldung weder mit Blick auf den Begriff der Rechtmäßigkeit noch auf denjenigen des gewöhnlichen Aufenthalts allgemein eine Anspruchsberechtigung nach dem SGB IX herleiten. Die Rechtsfigur der Duldung gemäß § 60a AufenthG lasse sich trotz gleicher Begrifflichkeit letztlich nicht mehr mit derjenigen in der Entscheidung des BSG von 1999 gleichsetzen. Soweit das BSG von "Vergünstigungen des Schwerbehindertengesetzes" spreche, entspreche dieser Begriff nicht mehr dem der Nachteilsausgleiche nach dem SGB IX. Die konzeptionellen Vergünstigungen, die das Schwerbehindertenrecht für andere Rechtsbereiche, etwa das Steuerrecht oder das Arbeitsrecht, mit sich bringe, spielten für lediglich geduldete Ausländer regelmäßig keine Rolle.

8

Die Rechtsmittelbelehrung - nach der das Urteil mit der Berufung oder mit der Revision angefochten werden kann - folge aus §§ 143, 144, 161 Abs 1 SGG. In der mündlichen Verhandlung habe der Kläger einen entsprechenden Antrag stellen lassen, dem der Beklagte zugestimmt habe. Nach Ansicht der 13. Kammer habe die vorliegende Rechtssache aufgrund der zu klärenden Fragestellung grundsätzliche Bedeutung. Zudem weiche das Gericht mit der Entscheidung von dem Urteil des BSG aus dem Jahre 1999 ab.

9

Der Kläger hat unter Vorlage einer Zustimmungserklärung des Beklagten beim BSG "Sprungrevision" eingelegt. Er macht die Verletzung materiellen Rechts geltend. Der Auffassung des angefochtenen Urteils, er - der Kläger - befinde sich als Inhaber einer Duldung rechtswidrig im Bundesgebiet, könne nicht gefolgt werden. Vielmehr sei festzustellen, dass er sich zwar ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhalte, dass sein Aufenthalt aber von der Ausländerbehörde wissentlich hingenommen werde und es sich nicht um einen strafbaren Aufenthalt handele. Vor allem spreche sein Krankheitsbild (behandlungsbedürftige Epilepsie nach der Operation eines Hirntumors und chronifizierte depressive Störung bei Verdacht auf organische Persönlichkeitsveränderung und auf posttraumatische Belastungsstörung) dafür, dass er sich den Rest seines Lebens im Bundesgebiet aufhalten werde. Klarer könne ein gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet nicht begründet werden. Das SG verkenne, dass die Duldung kein neues Rechtsinstrument sei, sondern entgegen dem ursprünglichen Gesetzentwurf ins AufenthG wieder aufgenommen worden sei. Das Fortbestehen des Rechtsinstituts der Duldung spreche gegen einen Bedeutungswandel. Schon aus diesem Grund würden die vom BSG in seinem Urteil vom 1.9.1999 angestellten Erwägungen fortgelten.

10

Wie die Praxis zeige, sei die Duldung unverändert mit der Möglichkeit eines im Extremfall sogar lebenslänglichen Inlandsaufenthalts ohne Aufenthaltstitel verbunden. Die Versuche des Gesetzgebers, zB in §§ 104a, 104b AufenthG einem großen Teil der Betroffenen zu einem besseren Status zu helfen, seien von der Praxis der Exekutive nicht gestützt worden. Schon das zeige, dass es sachwidrig sei, auf unabsehbare Dauer in Deutschland lebende Behinderte von den Vergünstigungen des Schwerbehindertenrechts auszuschließen. Es könne auch keine Rede davon sein, dass die Vergünstigungen für geduldete Ausländer bedeutungslos wären. So könnten Eingliederungshilfen gewährt werden. Der Schwerbehindertenausweis erleichtere und beschleunige das gesamte Verwaltungsverfahren für die Eingliederung seelisch wesentlich behinderter Menschen.

11

Soweit das SG einwende, es könne nicht Aufgabe der Versorgungsämter sein, eine Vielzahl von ausländerrechtlichen Erwägungen bei der Erteilung eines Bescheids nach SGB IX zu berücksichtigen, sei zwar einzuräumen, dass sich ein gewisser zusätzlicher Arbeitsaufwand für die Versorgungsverwaltung ergäbe. Insoweit verhalte es sich jedoch ebenso wie mit ärztlichen Befunden, die der Verwaltung auch nicht automatisch vorlägen, sondern beigezogen und eventuell sogar eigenständig erhoben werden müssten.

12

Soweit das SG schließlich bei unveränderter Rechtslage eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit der Behauptung verlange, diese Rechtsprechung missachte die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, übersehe das Gericht die vom europäischen Gesetzgeber selbst geschaffene Verpflichtung, Behinderte nicht zu diskriminieren.

13

Der Kläger beantragt,

 das Urteil des SG Stuttgart vom 20.5.2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 25.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2007 aufzuheben.

14

Der Beklagte beantragt,

 die Revision zurückzuweisen.

15

Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an.

16

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision des Klägers ist zulässig.

18

Obwohl das SG die Zulassung der Revision nicht im Tenor des Urteils ausgesprochen hat, ergibt sie sich mit noch hinreichender Deutlichkeit aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils. § 161 Abs 1 Satz 1 SGG, wonach den Beteiligten gegen das Urteil eines SG die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zusteht, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem SG im Urteil oder auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird, verlangt für den Fall der Zulassung im Urteil nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht, dass die Zulassung im Tenor des sozialgerichtlichen Urteils zu erfolgen hat. Die Zulassung im Rahmen der Entscheidungsgründe reicht aus, wenn sie eindeutig durch das Gericht und nicht nur durch dessen Vorsitzenden allein ausgesprochen wird (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 161 RdNr 6 und § 144 RdNr 39 mit zahlreichen Nachweisen).

19

Ein eindeutiger Ausspruch in diesem Sinne liegt vor, wenn etwa die Aussage "das Gericht lässt die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu" in die Entscheidungsgründe aufgenommen wird. Demgegenüber stellt es keinen eindeutigen Ausspruch der Zulassung der Revision dar, wenn das SG allein auf eine entsprechende Rechtsmittelbelehrung, dass die Revision zulässig sei, verweist (BSG SozR 1500 § 161 Nr 16). Im vorliegenden Fall hat das SG zwar nicht ausdrücklich die Formulierung von der Zulassung der Revision verwendet. Durch den erfolgten gesonderten Hinweis auf die Rechtsmittelbelehrung, in der auf die Möglichkeit der Anfechtung des Urteils durch Berufung oder Revision hingewiesen wird, die Nennung des § 161 Abs 1 SGG sowie die Beschreibung, dass der Kläger "einen entsprechenden Antrag" - iS des § 161 Abs 1 Satz 1 SGG - habe stellen lassen, dem der Beklagte zugestimmt habe, wird indes noch hinreichend deutlich, dass das SG die sogenannte Sprungrevision zugelassen hat. Zudem ist das SG in seiner Begründung ausdrücklich auf das Vorliegen der Zulassungsgründe einer grundsätzlichen Bedeutung und Abweichung eingegangen und hat erklärt, dass die Revision zum BSG daher mögliches Rechtsmittel sei. Dies reicht insgesamt zur Dokumentation der Revisionszulassung durch die erkennende Kammer des SG aus. Im Übrigen bleibt es - wie der vorliegende Fall zeigt - zur Vermeidung von Unklarheiten und entsprechenden Prozessrisiken für den Revisionskläger nach wie vor tunlich, die Zulassung der Revision im Tenor des Urteils auszusprechen.

20

Der Kläger hat die Revision form- und fristgerecht unter Vorlage der schriftlichen Zustimmungserklärung des Beklagten eingelegt und innerhalb der gesetzlichen Frist eine ausreichende Begründung vorgelegt (§ 164 SGG).

21

Die Revision des Klägers ist auch begründet.

22

Der Gegenstand des Revisionsverfahrens deckt sich, da das Urteil des SG in vollem Umfang angegriffen ist, mit dem des Klageverfahrens. Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 25.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2007, mit dem der Bescheid vom 16.8.2004 über die Feststellung eines GdB von 50 sowie der Schwerbehinderteneigenschaft aufgehoben worden ist. Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG). Diese ist zulässig und begründet. Das die Klage abweisende Urteil des SG und der angefochtene Verwaltungsakt des Beklagten sind aufzuheben, denn beide vom Beklagten getroffenen Entscheidungen sind rechtswidrig.

23

Der Bescheid vom 25.7.2007 ist nicht durch die allein in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X gedeckt. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine Änderung ist wesentlich, wenn der Verwaltungsakt so, wie er ursprünglich nach der damaligen Sach- und Rechtslage zu Recht erlassen wurde, nach der neuen Sach- oder Rechtslage nicht mehr ergehen dürfte. Maßgebend ist das jeweilige materielle Recht (stRspr; BSGE 59, 111, 112 = SozR 1300 § 48 Nr 19; zuletzt BSGE 95, 57 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6; Steinwedel in: Kasseler Komm, Stand Januar 2009, § 48 SGB X, RdNr 13; Schütze in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl 2008, § 48 RdNr 5, 6).

24

Der Bescheid vom 25.7.2007 ist allerdings nicht schon deshalb rechtswidrig, weil er der Regelung des Bescheides vom 29.12.2005 über die Ablehnung der Feststellung eines höheren GdB als 50 widerspräche. Es kann dahinstehen, ob der Bescheid vom 29.12.2005 unausgesprochen auch die Aussage enthält, dass bis dahin keinerlei wesentliche Änderungen in den für den Bescheid vom 16.8.2004 maßgeblichen Verhältnissen eingetreten seien. Dann würde der Bescheid vom 29.12.2005 allerdings einem nach § 48 Abs 1 SGB X ergangenen Aufhebungsbescheid entgegenstehen, der sich auf Änderungen der Sach- oder Rechtslage bis zum 29.12.2005 bezöge. Indes hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 25.7.2007 allein auf eine Änderung der Rechtslage im Jahre 2007 gestützt, so dass es einer etwaigen vorherigen Zurücknahme des Bescheides vom 29.12.2005 nach § 45 Abs 1 SGB X jedenfalls nicht bedurfte.

25

Der durch den angefochtenen Verwaltungsakt aufgehobene Bescheid vom 16.8.2004 enthält zwei Verfügungssätze, nämlich einerseits die Feststellung des GdB mit 50 und andererseits die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers. § 2 SGB IX unterscheidet in den in seinen Absätzen 1 und 2 enthaltenen Definitionen die Begriffe Behinderung und Schwerbehinderung. Während nach § 2 Abs 1 SGB IX Menschen behindert sind, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, bestimmt § 2 Abs 2 SGB IX Menschen als schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs haben.

26

Die verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen in § 69 SGB IX übernehmen diese rechtsbegriffliche Trennung zwischen Behinderung und Schwerbehinderung. Während nach § 69 Abs 1 SGB IX die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB von wenigstens 20(s § 69 Abs 1 Satz 5 SGB IX) feststellen, bestimmt § 69 Abs 5 Satz 1 SGB IX, dass die zuständigen Behörden auf entsprechenden Antrag des behinderten Menschen "aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie im Falle des Absatzes 4 über weitere gesundheitliche Merkmale" ausstellen.

27

Dadurch dass der Beklagte den Bescheid vom 16.8.2004 vollständig aufgehoben hat, hat er beide darin enthaltene Verfügungssätze (Regelungen iS des § 31 SGB X), nämlich sowohl den über die Feststellung des GdB mit 50 als auch den über die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft beseitigt. Dazu war er nicht befugt. Denn entgegen der Auffassung des Beklagten und des SG ist in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Feststellungsbescheides vom 16.8.2004 vorgelegen haben, hinsichtlich beider Verfügungssätze keine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten.

28

Die Aufhebung der Feststellung des GdB mit 50 lässt sich von vornherein nicht mit einem Wegfall des rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers begründen. Denn dieses Merkmal ist nicht konstitutiv für die Feststellung eines GdB. Der Anspruch eines behinderten Menschen auf Feststellung des GdB richtet sich nach § 2 Abs 1, § 69 SGB IX. Zwar regelt § 30 Abs 1 SGB I, dass die Vorschriften dieses Gesetzbuchs, also aller Bücher des SGB einschließlich der nach § 68 SGB I einbezogenen besonderen Gesetze, für alle Personen gelten, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben (Territorialitätsprinzip). § 37 Abs 1 SGB I schränkt dieses Prinzip jedoch dadurch ein, dass er die Geltung des Ersten und Zehnten Buchs für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuchs nur insoweit anordnet, als sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt. Letzteres ist für das Schwerbehindertenrecht hinsichtlich der für Dritte verbindlichen Statusfeststellung nach § 69 SGB IX wegen deren dienender Funktion der Fall(BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 5 RdNr 27; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, jeweils RdNr 21).

29

Nach der Rechtsprechung des BSG reicht es aus, dass dem behinderten Menschen aus der Feststellung des GdB in Deutschland konkrete Vorteile erwachsen können (BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 5 RdNr 27 f; BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 6 RdNr 22 f). Demgegenüber ist § 2 Abs 2 SGB IX - entgegen der Ansicht des SG - hier nicht einschlägig, weil er sich nur auf die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bezieht(vgl dazu auch § 69 Abs 5 SGB IX). Für den Anspruch auf Feststellung eines GdB genügt danach ein sog Inlandsbezug in dem Sinne, dass der behinderte Mensch wegen seines GdB Nachteilsausgleiche im Inland in Anspruch nehmen kann. Dazu bedarf es hier keiner besonderen Tatsachenfeststellungen. Ein ausreichender Inlandsbezug ist für den Kläger allein wegen seines tatsächlichen langjährigen Aufenthalts in Deutschland ohne Weiteres anzunehmen. Eine Feststellung dazu, welche konkreten Nachteilsausgleiche, Vergünstigungen oder sonstigen Vorteile für den Kläger dabei in Betracht kommen, ist nicht erforderlich (s dazu BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 8).

30

Sonstige Änderungen, die eine Aufhebung der Feststellung des GdB mit 50 rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere in Bezug auf den Gesundheitszustand des Klägers und die bei ihm festgestellten Funktionsstörungen. Entsprechende Tatsachen sind vom Beklagten zur Begründung des angefochtenen Bescheides nicht angeführt worden und werden von ihm bis heute nicht geltend gemacht. Auch wenn tatsächliche Feststellungen des SG zur Höhe des GdB des Klägers vollständig fehlen, erübrigt sich daher eine Zurückverweisung der Sache zur ergänzenden Aufklärung des Sachverhalts.

31

Hinsichtlich der mit Bescheid vom 16.8.2004 erfolgten Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers fehlt es - bezogen auf den insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr 3 mwN) - ebenfalls an einer wesentlichen Änderung. Insbesondere ist durch die im Jahre 2007 nach Abschluss des Asylverfahrens erfolgte Änderung des aufenthaltsrechtlichen Status des Klägers, der seitdem nur noch im Besitz einer aufenthaltsrechtlichen Duldung ist, dessen Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch iS des § 2 Abs 2 SGB IX nicht entfallen. Nach dieser Vorschrift sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz iS des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben. Damit umschreibt § 2 Abs 2 SGB IX den begünstigten Personenkreis in einer Weise, die von dem in § 30 Abs 1 SGB I verankerten Territorialitätsprinzip abweicht(vgl § 37 Abs 1 SGB I). Dies zeigt sich schon daran, dass er neben Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt auch einen Arbeitsplatz im Inland ausreichen lässt, wobei das Merkmal "rechtmäßig" eine zusätzliche Besonderheit darstellt. Insgesamt wird diese Bestimmung vom Sinn und Zweck des Schwerbehindertenrechts geprägt. Der allgemeinen Aufgabenstellung der §§ 10 und 29 SGB I folgend hat sich der Staat nach § 1 SGB IX die Pflicht auferlegt, alle Menschen mit Behinderungen - grundsätzlich unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status - durch einen möglichst weitgehenden Ausgleich ihrer Behinderung in die Gesellschaft zu integrieren.

32

Nach der allgemeinen Regelung des § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Dabei ist entscheidend, ob ein an den objektiven Verhältnissen zu messender realisierbarer Wille vorhanden ist, an einem bestimmten Ort zu wohnen (vgl hierzu Irmen in Hambüchen, Kindergeld/Erziehungsgeld/Elternzeit, Stand April 2007, § 1 BErzGG, RdNr 29). Den gewöhnlichen Aufenthalt hat demgegenüber jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs 3 Satz 2 SGB I). Die Rechtsprechung des BSG beantwortet die Frage, wann diese Voraussetzungen vorliegen, allein nach den tatsächlichen Umständen, ohne, wie etwa die §§ 7 bis 11 BGB, die Geschäftsfähigkeit der betroffenen Person zu berücksichtigen. Zudem bezieht die Rechtsprechung des BSG auch ein prognostisches Element ein. Die Bejahung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland nach § 30 Abs 3 SGB I hängt danach von einer Prognose über die Dauer des Aufenthalts einer Person in Deutschland ab(vgl hierzu Schlegel in juris PK-SGB I, 1. Aufl 2005, § 30 RdNr 55; Mrozynski, SGB I, 3. Aufl 2003, § 30 RdNr 14 ff, jeweils mwN). Bestimmte Zeiträume, die die Annahme des Beibehaltens und Benutzens der Wohnung bzw des nicht nur vorübergehenden Verweilens an einem Ort begründen oder stützen, sind nicht normiert und auch von der Rechtsprechung nicht hergeleitet worden. Der gewöhnliche Aufenthalt kann danach schon am Tag des Zuzugs begründet werden (s Mrozynski, aaO, § 30 RdNr 19 mwN).

33

Regelmäßig wird bei nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern, deren Aufenthalt in Deutschland von einer staatlichen Entscheidung über die Art und die Dauer ihres Verbleibens abhängt, der aufenthaltsrechtliche Status auch Einfluss auf die tatsächliche Prognose im Rahmen des § 30 Abs 3 SGB I haben. Insbesondere die aufenthaltsrechtliche Duldung nach § 60a Abs 1 AufenthG, der eine Aussetzung der Abschiebung des nicht aufenthaltsberechtigten Ausländers grundsätzlich für längstens sechs Monate vorsieht, kann der Annahme eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I entgegenstehen. Diese Verbindung zwischen tatsächlicher Aufenthaltsprognose und aufenthaltsrechtlichem Status eines Ausländers, wie sie zu § 30 Abs 3 SGB I entwickelt worden ist, löst § 2 Abs 2 SGB IX, indem er besonders und eigenständig verlangt, dass der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt "rechtmäßig" sein muss, wobei diese Begriffe durch den Sinn und Zweck des SGB IX geprägt werden.

34

Eine Abweichung von den allgemeinen Begriffen des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts in Bezug auf den aufenthaltsrechtlichen Status eines Ausländers hat das BSG nach Maßgabe des § 37 Satz 1 SGB I zB hinsichtlich des Anspruchs auf Bundeserziehungsgeld nach § 1 Abs 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) angenommen, weil § 1 Abs 6 BErzGG für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer besondere Bestimmungen über den notwendigen aufenthaltsrechtlichen Status der anspruchsberechtigten Person enthält(s BSG, Urteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 6/08 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Der nach wie vor in § 1 Abs 1 BErzGG verwendete Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist deswegen nur noch danach zu beurteilen, ob der Ausländer in Bezug auf seinen Lebensmittelpunkt ein reales Verhalten im Sinne eines erkennbaren Willens, sich an einem bestimmten Ort in Deutschland aufhalten zu wollen, gezeigt hat(BSG, aaO). Entsprechende Modifizierungen der Begriffe des "rechtmäßigen" Wohnsitzes und des "rechtmäßigen" gewöhnlichen Aufenthalts sind wegen der Besonderheiten des Schwerbehindertenrechts auch im Rahmen des § 2 Abs 2 SGB IX geboten.

35

Zunächst ist die Rechtmäßigkeit des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts iS des § 2 Abs 2 SGB IX nicht anhand des Aufenthaltsrechts zu beurteilen. Vielmehr bezeichnet sie entsprechend der Zielsetzung des SGB IX die Befugnis des ausländischen behinderten Menschen, am Leben in der deutschen (inländischen) Gesellschaft teilzunehmen. In diesem Sinne ist auch der Aufenthalt von geduldeten Ausländern als rechtmäßig anzusehen. Denn sie sind zwar ausreisepflichtig, aber rechtlich nicht gehindert, sich weiterhin in Deutschland aufzuhalten, solange ihre Abschiebung ausgesetzt ist (vgl § 60a AufenthG). Anders ist es selbstverständlich mit Ausländern, die sich illegal in Deutschland aufhalten. Die bei der Prüfung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts anzustellende Prognose hat sich dementsprechend an den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalles zu orientieren.

36

Das BSG hat schon zum Rechtszustand nach § 1 Schwerbehindertengesetz (SchwbG), der für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ebenfalls einen rechtmäßigen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet verlangte, entschieden, dass das SchwbG behinderte Ausländer auch dann schützt, wenn sie sich nur geduldet seit Jahren in Deutschland aufhalten, ein Ende dieses Aufenthalts unabsehbar ist und die Ausländerbehörde gleichwohl keine Aufenthaltsbefugnis erteilt(BSG, Urteil vom 1.9.1999 - B 9 SB 1/99 R - BSGE 84, 253 = SozR 3-3870 § 1 Nr 1). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts kann danach nur unter Berücksichtigung des Zwecks des jeweiligen Gesetzes hinreichend bestimmt werden, in welchem der Begriff gebraucht ist. Angesichts der Ziele des Schwerbehindertenrechts, nämlich der durch unverzügliche, umfassende und dauernde Maßnahmen zu bewältigenden gesellschaftlichen Integration von behinderten Menschen, liegt, wie das BSG in seiner Entscheidung vom 1.9.1999 zum Ausdruck gebracht hat, auch bei nur geduldeten Ausländern ein nicht nur vorübergehendes Verweilen - und damit ein gewöhnlicher Aufenthalt - vor, wenn andere Umstände ergeben, dass sie sich gleichwohl auf unbestimmte Zeit in Deutschland aufhalten werden. Auch ein nur geduldeter und damit ausländerrechtlich nicht rechtmäßiger Aufenthalt ist danach rechtmäßig im Sinne des SchwbG. Dies ergibt sich im Übrigen aus der aus dem Sozialstaatsprinzip folgenden Verpflichtung der staatlichen Gemeinschaft, körperlich oder geistig behinderte Menschen soweit wie möglich in die Gesellschaft einzugliedern (BSGE 84, 253, 254 ff = SozR 3-3870 § 1 Nr 1 S 2 ff).

37

An dieser Rechtsprechung ist auch für den Rechtszustand nach dem SGB IX im Grundsatz festzuhalten. Sie hat instanzgerichtlich auch in jüngerer Zeit Zustimmung gefunden (SG Bremen, Gerichtsbescheid vom 2.5.2006 - S 3 SB 138/04 -; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.9.2006 - L 10 B 10/06 SB -; SG Lüneburg, Urteil vom 28.3.2007 - S 15 SB 54/05 -; SG Duisburg, Urteil vom 15.6.2007 - S 30 SB 140/04 -; SG Münster, Urteil vom 20.10.2008 - S 2 SB 244/07 -; SG Bremen, Gerichtsbescheid vom 13.8.2009 - S 19 SB 3/09 -; Hessisches LSG, Urteil vom 23.9.2009 - L 4 SB 57/08 -; LSG Nordrhein-Westfalen, angefochtenes Urteil vom 28.10.2009 - L 10 SB 45/08 -; SG Köln, Urteil vom 3.12.2009 - S 31 SB 163/08 -). Entgegen der Auffassung des SG haben die seit 1999 ergangenen gesetzlichen Änderungen im Schwerbehindertenrecht und im Ausländerrecht die rechtlichen Grundlagen des Anspruchs nur geduldet in Deutschland lebender behinderter Ausländer auf Feststellung ihrer Schwerbehinderung nicht verändert.

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Durch die Eingliederung des Schwerbehindertenrechts in das SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - durch das Gesetz vom 19.6.2001 (BGBl I 1046) zum 1.7.2001 hat sich in Bezug auf die Schwerbehinderteneigenschaft materiell-rechtlich nichts geändert. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum SGB IX (BT-Drucks 14/5531) betont in seiner Anlage 1, dass der Text des Gesetzentwurfs und der Begründung gleichlautend mit dem Text auf den Seiten 3 bis 136 der BT-Drucks 14/5074 sei. Die genannte Drucksache 14/5074 betrifft den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 16.1.2001. Darin wird zu § 2 des Gesetzentwurfs (Behinderung) angemerkt, dass die Abs 2 und 3 inhaltsgleich die bisherigen Regelungen der §§ 1 und 2 Abs 1 SchwbG übertrügen. Infolgedessen blieben die Feststellungsbescheide der für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden unbeschadet terminologischer Änderungen weiterhin wirksam. Ferner ist ausgeführt, dass es auch bei der Klarstellung der Rechtsprechung bleibe, dass gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Abs 2 auch bei Asylbewerbern und geduldeten Ausländern vorliege, wenn besondere Umstände ergäben, dass sie sich auf unbestimmte Zeit in Deutschland aufhalten würden (s BT-Drucks 14/5074, S 99). Abgesehen von dem wortlautgleichen Inhalt der alten und neuen Vorschriften belegt diese klarstellende Begründung des Gesetzentwurfs, dass es insbesondere bei Asylbewerbern und geduldeten Ausländern bei der bisherigen durch die Rechtsprechung entwickelten Rechtslage verbleiben soll. Gemeint ist damit zweifellos das Urteil des BSG vom 1.9.1999 (B 9 SB 1/99 R - BSGE 84, 253 = SozR 3-3870 § 1 Nr 1).

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Da § 2 Abs 2 SGB IX nicht an das Ausländer- bzw Aufenthaltsrecht anknüpft, sondern einen eigenständigen Begriff des rechtmäßigen Wohnsitzes oder Aufenthalts geprägt hat, wirken sich Änderungen des Ausländerrechts von vornherein nicht unmittelbar auf die Auslegung des § 2 Abs 2 SGB IX aus. Dies gilt insbesondere für die Reform des Ausländerrechts durch das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) vom 30.7.2004 (BGBl I 1950). Gerade die Neuregelung der sog Duldung (§ 60a AufenthG) beinhaltet nach wie vor die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung eines Ausländers. Die Duldung wurde abweichend vom ursprünglichen Gesetzentwurf nicht abgeschafft, ihre Anwendung wurde jedoch zugunsten der humanitären Aufenthaltserlaubnis (§ 25 AufenthG) eingeschränkt. Duldungsgründe im Sinne der früheren Vorschrift des § 55 Ausländergesetz sollten leichter und eher zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führen(HK-AuslR/Fränkel, § 25 RdNr 3). Aufenthaltsrechtlich befindet sich der geduldete Ausländer aber nach wie vor in einer Situation, in welcher er nach Ablauf der Duldung jederzeit mit einer Abschiebung rechnen muss. An dieser Beurteilung ändert sich auch dann nichts, wenn über mehrere Jahre hinweg die Duldung immer wieder verlängert worden ist (sog Kettenduldungen), sich der Ausländer also mittlerweile faktisch seit langem in Deutschland aufhält. Nach wie vor ist sein Aufenthalt aufgrund der gemäß § 60a Abs 3 AufenthG fortbestehenden Ausreisepflicht aufenthaltsrechtlich rechtswidrig, wenn auch nicht strafbar. Letztlich ist die ausländer- bzw aufenthaltsrechtliche Duldung grundsätzlich unverändert geblieben. Auswirkungen auf das Schwerbehindertenrecht sind daher nicht ohne Weiteres und unabhängig von den Umständen des Einzelfalles herleitbar.

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Die bisherige Rechtsprechung des BSG (BSGE 84, 253 = SozR 3-3870 § 1 Nr 1) hat allerdings zur Beurteilung der Frage, ob der geduldete Ausländer nicht nur vorübergehend rechtmäßig in Deutschland verweilt, auf bestimmte Anknüpfungstatsachen abgestellt, die die Annahme stützen, dass er sich auch in Anbetracht einer bloßen Duldung gleichwohl auf unbestimmte Zeit in Deutschland aufhalten werde. Genannt wurden das Bestehen von Abschiebungshindernissen sowie die bisherige jahrelange Duldung des Ausländers. Eine Eingrenzung des Begriffs "jahrelang" wurde nicht vorgenommen, indes für einen mehr als dreieinhalbjährigen geduldeten Aufenthalt bejaht (BSGE 84, 253, 257 f = SozR 3-3870 § 1 Nr 1 S 6).

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Diese Rechtsprechung des BSG aus dem Jahr 1999 hat der Gesetzgeber des SGB IX zwar nicht zum Anlass genommen, den Begriff des rechtmäßigen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen des § 2 Abs 2 SGB IX selbst näher zu konkretisieren. Andererseits hat er es aber - im Sinne einer Einengung der vom BSG entwickelten allgemeinen Kriterien - unterlassen, die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch - ähnlich der Regelung des § 1 Abs 6 BErzGG - nur denjenigen zuzuerkennen, die im Besitz bestimmter Aufenthaltstitel sind, und so die geduldeten Ausländer ausdrücklich auszunehmen. Bei dieser Gesetzeslage ist aus den dem SGB IX immanenten Grundsätzen herzuleiten, dass ein aufenthaltsrechtlich nur geduldeter Ausländer, dessen GdB mindestens 50 beträgt, Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderung hat, wenn sein Aufenthalt in Deutschland voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird. Diese Beurteilung kann als Prognose schon vor Ablauf einer sechsmonatigen Aufenthaltszeit in Deutschland getroffen werden.

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Die Orientierung an einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten ist der Definition der Behinderung in § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX zu entnehmen. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die … zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Das Zusammenspiel dieser Vorschriften lässt erkennen, dass das Gesetz typisierend davon ausgeht, dass Funktionsbeeinträchtigungen oder Störungen, die länger als sechs Monate andauern, als die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigend anzusehen sind. Sie lösen Ansprüche auf die in § 1 SGB IX allgemein beschriebenen Leistungen, insbesondere auf Ausgleich und Eingliederung aus. Entsprechendes muss für die Teilhabe von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern am Leben in der Gesellschaft gelten. Auch sie haben daher Anspruch auf Feststellung ihrer Schwerbehinderung, sobald erkennbar ist, dass bei ihnen die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX erfüllt sind und die Prognose eines über sechsmonatigen Aufenthalts in Deutschland gestellt werden kann(vgl Welti in Lachwitz/Schellhorn/Welti, HK-SGB IX,3. Aufl 2010, § 2 RdNr 48).

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Die Annahme einer Anspruchsberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern auf Feststellung ihrer Schwerbehinderteneigenschaft, sobald anzunehmen ist, dass sie sich aufenthaltsrechtlich geduldet mehr als sechs Monate in Deutschland aufhalten werden, wird durch das am 1.1.2009 in Kraft getretene Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem fakultativen Protokoll vom 13.12.2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21.12.2008 (BGBl II 1419) untermauert. Damit hat dieses Übereinkommen in Deutschland Gesetzeskraft erlangt (zur Rechtsnatur von durch den Deutschen Bundestag ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen s Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl 2009, Art 59 RdNr 17 und 19, jeweils mwN). Nach Art 1 des Übereinkommens ist es sein Zweck, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. Diese Generalklausel wird durch zahlreiche folgende Artikel konkretisiert, und zwar hinsichtlich der Rechte und Grundfreiheiten der Menschen mit Behinderungen und der daraus erwachsenden Verpflichtungen der Vertragsstaaten. Bereits aus Art 1 Abs 1 des Übereinkommens wird deutlich, dass die Vertragsstaaten die Menschenrechte und Grundfreiheiten allen Menschen mit Behinderungen garantieren ("fördern, schützen und gewährleisten"), ohne dass nach deren Staatsangehörigkeit und/oder Aufenthaltsrecht in dem jeweiligen Vertragsstaat differenziert wird.

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Nach alledem ist auch bei einem aufenthaltsrechtlich nur geduldeten Ausländer, der sich voraussichtlich länger als sechs Monate in Deutschland aufhalten wird, anzunehmen, dass er iS des § 2 Abs 2 SGB IX seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt rechtmäßig im Geltungsbereich des Gesetzes hat. Das trifft für geduldete Ausländer nicht zu, bei denen aufgrund besonderer Umstände ersichtlich ist, dass die Abschiebung gerade erfolgt oder unmittelbar bevorsteht. Für sie kann eine positive Bleibeprognose nicht gestellt werden. Für die Annahme dieser speziellen Situation einer unmittelbar bevorstehenden Abschiebung bedarf es indes der Feststellung konkreter Umstände. Außerdem scheiden danach auch diejenigen Ausländer aus, die sich im Rahmen eines Visums für Touristen, Geschäftsreisende oder für andere kurzfristige Aufenthalte in Deutschland aufhalten (s § 6 Abs 1 bis 3 AufenthG).

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Gemessen an diesen Kriterien hat der Kläger zur Zeit des angefochtenen Verwaltungsakts trotz der aufenthaltsrechtlichen Duldung seinen rechtmäßigen Wohnsitz iS des § 2 Abs 2 SGB X weiter in Deutschland gehabt, denn er hat erkennbar seinen Willen gezeigt, auch in Zukunft diese Wohnung im Inland beibehalten und benutzen zu wollen. Dies hat er dadurch hinreichend dokumentiert, dass er entgegen seiner aufenthaltsrechtlichen Verpflichtung zur Ausreise weiterhin in Deutschland verweilt. Nach den Gesamtumständen eines schon im Juli 2007 weit mehr als vier Jahre andauernden Aufenthalts in Deutschland und der Abwesenheit von Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Abschiebung war im Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides vom 25.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2007 weiterhin eine positive Aufenthaltsprognose für mehr als sechs Monate zu stellen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Das Bundessozialgericht hat zu prüfen, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision als unzulässig zu verwerfen. Die Verwerfung ohne mündliche Verhandlung erfolgt durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.