Bundessozialgericht Beschluss, 12. Mai 2014 - B 9 SB 81/13 B

bei uns veröffentlicht am12.05.2014

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 2013 Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihr Rechtsanwältin S. aus K. beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 2013 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt die Erstattung des bereits entrichteten Eigenanteils von 60 Euro für die Ausgabe der Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Personenverkehr für die Zeit von November 2011 bis Oktober 2012.

2

Die Klägerin ist angolanische Staatsangehörige. Sie ist 2004 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in das Bundesgebiet eingereist und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet. Sie bezog zunächst ua Jugendhilfeleistungen. Seit Mai 2011 bezieht sie Leistungen nach §§ 3 ff Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 vH festgestellt sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B (Bescheid vom 7.9.2009). Die Klägerin beantragte die Ausstellung eines kostenfreien Beiblatts zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr. Als die Beklagte dies ablehnte (Bescheid vom 13.10.2011), zahlte die Klägerin 60 Euro zur Erlangung der 1-Jahres-Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr ab November 2011, erhob Widerspruch gegen die Entscheidung der Beklagten und begehrte die Erstattung der gezahlten 60 Euro. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 30.11.2011). Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 15.1.2013). Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, ein Erstattungsanspruch bestehe nicht. Die unentgeltliche Ausgabe einer Wertmarke iS des § 145 SGB IX sei nicht in Betracht gekommen, da die der Klägerin gewährten Leistungen nicht den hierfür vorausgesetzten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder für den Lebensunterhalt laufenden Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII nach Maßgabe des (damals) einschlägigen § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX entsprächen. Auch eine entsprechende Anwendung sei anders als in den Fällen der Analogleistungen nach § 2 AsylbLG nicht geboten. Das BSG (Urteile vom 6.10.2011 - B 9 SB 6/10 R und B 9 SB 7/10 R) habe zwar im Rahmen der Ausnahmebestimmung des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX (aF) auch die Bezieher von Analogleistungen den Empfängern von Sozialhilfeleistungen gleichgestellt, hierfür jedoch ausdrücklich darauf abgestellt, dass dieser Personenkreis anders als die Bezieher von Leistungen nach § 3 AsylbLG wesentlich dem Sicherungssystem der Sozialhilfe zugeordnet sei. Auf die wirtschaftliche Lage oder Zweckidentität der Leistungen kommen es hingegen nicht an. Dies gelte umso mehr als das BVerfG in seinem Urteil vom 18.7.2012 (1 BvL 10/10 ua) zur Verfassungswidrigkeit der Höhe der Asylbewerberleistungen das AsylbLG im Übrigen als eigenes Sicherungssystem nicht in Frage gestellt habe. Ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums lasse sich nach der Rechtsprechung des BSG mit Blick auf die nur moderate Relativierung der Mobilitätsförderung durch den aufzubringenden Eigenanteil nicht feststellen. Ebenso wenig bestünden angesichts der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Sicherungssystemen sachliche Gründe, die einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz oder das Diskriminierungsverbot der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ausschlössen. Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Abgrenzungskriterien nach § 2 und §§ 3 ff AsylbLG seien gegenüber den entsprechenden Leistungsbescheiden geltend zu machen(Urteil vom 16.10.2013).

3

Mit ihrer Beschwerde, für die sie zugleich Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt, wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

4

II. 1. Der Antrag der Klägerin, ihr PKH unter Beiordnung von Rechtsanwältin S. für die von ihr eingelegte und begründete Beschwerde zu gewähren, ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig (dazu 2.).

5

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG.

6

a) Die Klägerin legt die für eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar seien sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).

7

Die Klägerin führt zwar als Rechtssatz des LSG an, dass nur Personen, die Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII unmittelbar oder entsprechend erhalten, dem System des Sozialhilferechts zuzuordnen seien. Sie legt aber die bewusste Abweichung von einem Rechtssatz des BSG nicht dar, sondern führt hierzu im Gegenteil an, das LSG gehe davon aus, mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des BSG abgewichen zu sein. Im Übrigen setzt sie ihre eigene Interpretation der Rechtsprechung des BSG an deren Stelle, wenn sie meint, nach der Rechtsprechung des BSG seien auch Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG Leistungen "nach den gleichen Voraussetzungen" wie Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII, weil sie nach der Rechtsprechung des BVerfG übergangsweise nach den Regelsätzen des SGB XII zu berechnen seien und deshalb ein Unterschied von Leistungen nach § 2 und §§ 3 ff AsylbLG nicht mehr bestehe. Soweit sie in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass LSG habe die Tragweite der Rechtsprechung des BSG verkannt, wendet sie sich gegen die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung. Diese ist indessen nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

8

b) Die Klägerin legt auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG)beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; siehe auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).

9

Die Klägerin wirft sinngemäß zusammenfassend die Fragen auf,

        

ob bei der Einbeziehung von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG in den Kreis der von den Kosten der Wertmarke befreiten Personen nach § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX (aF) zwischen Leistungsberechtigten nach § 2 AsylbLG und den Leistungsberechtigten nach § 3 AsylbLG unterschieden werden darf, oder die Einbeziehung des zuletzt genannten Personenkreises nach der Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2012 (1 BvL 10/10 ua) aus verfassungsrechtlichen Gründen oder wegen des Diskriminierungsverbots der UN-BRK geboten ist oder dies jedenfalls für den Personenkreis anzunehmen ist, der sich offensichtlich nicht mehr nur kurz und vorübergehend im Bundesgebiet aufhält und damit offensichtlich nicht zum Kreis der leistungsberechtigten Personen nach § 1 AsylbLG gehört.

10

Der Senat lässt dahingestellt, ob die Klägerin mit der Vielzahl ihrer aufgeworfenen Fragen insgesamt hinreichend konkrete Rechtsfragen bezeichnet. Jedenfalls zeigt sie weder die Klärungsfähigkeit noch den Klärungsbedarf auf.

11

Hinsichtlich des zuletzt beschriebenen Personenkreises setzt sich die Klägerin mit der Klärungsfähigkeit schon deshalb nicht auseinander, weil sie nicht darlegt, ob und inwieweit die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet als Anknüpfungstatsache für Asylbewerberleistungen grundsätzlich im Verfahren nach dem AsylbLG geltend zu machen wäre, der bestandskräftige Bezug bestimmter Asylbewerberleistungen mithin im Verfahren der Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke vorausgesetzt wird (vgl nur BSG Urteil vom 6.10.2011 - B 9 SB 7/10 R - BSGE 109, 154 = SozR 4-3250 § 145 Nr 2 RdNr 54 ) und von den Versorgungsämtern (§ 69 Abs 5 SGB IX) deshalb grundsätzlich nicht nachträglich korrigiert werden kann.

12

Die Klägerin legt auch den Klärungsbedarf nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist nicht nur dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich entschieden ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage vielmehr auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichend Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). So verhält es sich hier angesichts der vom erkennenden Senat aufgezeigten Grundunterscheidung der Leistungen nach § 2 und §§ 3 ff AsylbLG(vgl BSG Urteil vom 6.10.2011 - B 9 SB 7/10 R - BSGE 109, 154 = SozR 4-3250 § 145 Nr 2 RdNr 56, 57, 60, 73, 77).

13

Soweit die Klägerin demgegenüber auf die identische Zweckausrichtung der Leistungen nach dem AsylbLG verweist, hat der erkennende Senat bereits verdeutlicht, dass dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG am ehesten eine Auslegung des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX (aF) gerecht wird, die Personen erfasst, welche dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe zuzuordnende Leistungen erhalten und hierzu die Leistungen nach § 2 AsylbLG zählen, weil nach § 2 Abs 1 AsylbLG "abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG" das SGB XII auf einen bestimmten Kreis der Leistungsberechtigen nach dem AsylbLG entsprechend anzuwenden ist(BSG Urteil vom 6.10.2011 - B 9 SB 7/10 R - BSGE 109, 154 = SozR 4-3250 § 145 Nr 2 RdNr 56, 57, 60, 73, 77).

14

Soweit die Beschwerdebegründung ferner die zeitlich spätere Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2012 für den von ihr behaupteten Klärungsbedarf anführt, fehlt nicht nur eine Beschäftigung damit, dass das BVerfG zwar die Leistungshöhe der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG als mit dem Verfassungsrecht unvereinbar angesehen, die Zuordnung dieser Grundleistungen zu einem eigenen Sicherungssystem indessen unberührt gelassen hat( 1 BvL 10/10, 1 Bv1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, RdNr 97 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 123 ff; hieran anschließend BSG SozR 4-3520 § 7 Nr 2 RdNr 29, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen ). Die Klägerin legt für den von ihr eingenommenen Standpunkt der Gleichstellung von Asylbewerberleistungen nach § 2 und §§ 3 ff AsylbLG auch die Entscheidungserheblichkeit nicht dar, nämlich ob und inwieweit die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Höhe der Leistungen nach § 3 AsylbLG angesichts der dort getroffenen Übergangsregelungen zur Höhenberechnung überhaupt Rückwirkungen auf ihren am 29.8.2011 gestellten und hier allein streitgegenständlichen Antrag auf Erteilung einer kostenfreien Wertmarke für die Zeit ab November 2011 bis Oktober 2012 bzw Erstattung des diesbezüglich aufgewendeten Eigenanteils von 60 Euro zu entfalten vermag. Insoweit hätte sich die Klägerin damit auseinandersetzen müssen, ob und inwieweit der Bezug nachträglich unter Rückgriff auf §§ 5 bis 8 Regelbedarfs- und Ermittlungsgesetz erhöhter Leistungen nach § 3 AsylbLG( BVerfGE 132, 134 RdNr 102 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 128 ff) bereits bei Antragstellung iS des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX(jetzt § 145 Abs 1 S 10 Nr 2 SGB IX) nachgewiesen war (zum Nachweis vgl Oppermann in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 145 SGB IX, RdNr 15).

15

Nicht zuletzt fehlt eine Auseinandersetzung mit der vorhandenen Rechtsprechung des BSG zur unmittelbaren Anwendbarkeit der UN-BRK und insbesondere zur (beschränkten) Reichweite des geltend gemachten Diskriminierungsverbots aus Art 5 UN-BRK (vgl hierzu BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, RdNr 29). Die von der Klägerin aufgegriffene Anspruchsberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer auf Feststellung ihrer Schwerbehinderteneigenschaft und ihre Untermauerung durch die UN-BRK (vgl BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 2 Nr 2, RdNr 43) ist nicht Gegenstand des Verfahrens.

16

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

17

4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

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(1) Hilfsmerkmale sind

1.
Name und Anschrift des Auskunftspflichtigen,
2.
Name, Telefonnummer und E-Mail-Adresse der für eventuelle Rückfragen zur Verfügung stehenden Person,
3.
für die Erhebung nach § 143 Nummer 1 die Kennnummer des Leistungsberechtigten.

(2) Die Kennnummern nach Absatz 1 Nummer 3 dienen der Prüfung der Richtigkeit der Statistik und der Fortschreibung der jeweils letzten Bestandserhebung. Sie enthalten keine Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Leistungsberechtigten und sind zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens nach Abschluss der wiederkehrenden Bestandserhebung, zu löschen.

(1) Abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 sind das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch und Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Sonderregelungen für Auszubildende nach § 22 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch finden dabei jedoch keine Anwendung auf

1.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 3 und 4 in einer nach den §§ 51, 57 und 58 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung sowie
2.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 3 und 4 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung, deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten.
Bei Leistungsberechtigten nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung gilt anstelle des § 22 Absatz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, dass die zuständige Behörde Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch als Beihilfe oder als Darlehen gewährt. § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a, 40 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch findet auf Leistungsberechtigte nach Satz 1 mit den Maßgaben entsprechende Anwendung, dass
1.
bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird;
2.
für jede erwachsene Person, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unverheiratet ist und mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung im Sinne von § 8 Absatz 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes zusammenlebt, ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 anerkannt wird.

(2) Bei der Unterbringung von Leistungsberechtigten nach Absatz 1 in einer Gemeinschaftsunterkunft bestimmt die zuständige Behörde die Form der Leistung auf Grund der örtlichen Umstände.

(3) Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, erhalten Leistungen nach Absatz 1 auch dann, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Absatz 1 erhält.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. April 2010 und des Sozialgerichts Hannover vom 29. Januar 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für den gesamten Rechtsstreit keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob das beklagte Land an den Kläger eine kostenlose Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personenverkehr auszugeben hat.

2

Bei dem 1966 geborenen Kläger sind aufgrund körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" festgestellt. Seinen laufenden Lebensunterhalt bestritt er bis 2006 mit Leistungen der Sozialhilfe bzw Grundsicherungsleistungen.

3

Seit April 2006 ist der Kläger aufgrund eines Strafurteils des Landgerichts (LG) Hannover vom 9.1.2006 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Er erhält gemäß § 11 Niedersächsisches Maßregelvollzugsgesetz (Nds MVollzG) ein monatliches Taschengeld, das nach den Grundsätzen und Maßstäben bemessen ist, die für den Barbetrag nach § 35 Abs 2 SGB XII in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung (aF) des Gesetzes vom 27.12.2003 (BGBl I 3022), geändert durch Gesetz vom 2.12.2006 (BGBl I 2670; siehe jetzt § 27b Abs 2 SGB XII idF des Gesetzes vom 24.3.2011, BGBl I 453) gelten.

4

Nachdem ihm Besuchsausgang bewilligt worden war, beantragte der Kläger im Dezember 2007 bei dem Beklagten die Ausstellung eines Beiblatts mit kostenloser Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personenverkehr. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger zu keiner der in § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX aufgezählten Personengruppen gehöre; denn er beziehe keine der dort aufgeführten Sozialleistungen (Bescheid vom 13.3.2008; Widerspruchsbescheid vom 6.5.2008).

5

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Hannover den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung verurteilt, dem Kläger eine unentgeltliche Wertmarke für ein Jahr auszugeben (Urteil vom 29.1.2009).

6

Die vom SG zugelassene Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen durch Urteil vom 22.4.2010 zurückgewiesen und seine Entscheidung maßgeblich auf eine analoge Anwendung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX gestützt. Zwar handele es sich ua aus fiskalischen Gründen um eine abschließende Regelung, in der die begünstigten Personenkreise eindeutig benannt seien. Eine analoge Anwendung der Norm sei aber nach Sinn und Zweck der Regelung über die Berechtigung Schwerbehinderter zur Freifahrt im öffentlichen Personenverkehr im Allgemeinen und der Kostenbefreiung einkommensschwacher Behinderter im Besonderen sowie aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 3 Abs 1 GG) geboten. Denn es bestehe bei denjenigen Schwerbehinderten, die gemäß § 11 Nds MVollzG ein Taschengeld nach den Grundsätzen und Maßstäben erhalten, die für den Barbetrag nach § 35 Abs 2 SGB XII aF gelten, eine Regelungslücke in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX. Die Interessenlage eines schwerbehinderten Empfängers von Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII und eines schwerbehinderten Empfängers von Taschengeld gemäß § 11 Nds MVollzG sei im Wesentlichen die gleiche, soweit letzterer - wie der Kläger - ausgangsberechtigt sei. Insbesondere seien beide Personengruppen in gleicher Weise auf die finanzielle Hilfe der öffentlichen Hand angewiesen, da § 11 Nds MVollzG nach den Gesetzesmaterialien des Landesgesetzgebers einen Rechtsgrundverweis enthalte und sich damit die Bedürftigkeitsprüfung nach den Vorschriften des SGB XII richte. Soweit bedürftig befänden sich in einer Einrichtung iS des § 35 SGB XII lebende und im Maßregelvollzug untergebrachte Schwerbehinderte in exakt der gleichen wirtschaftlichen Lage. Beide Personengruppen hätten auch das gleiche Interesse an der Sicherstellung ihrer Mobilität und Integration in die Gesellschaft. Insoweit sei eine Ungleichbehandlung dieser Personen sachlich nicht gerechtfertigt und aufgrund der Überschreitung der Grenze der Willkür nicht mit der Verfassung (Art 3 Abs 1 GG) zu vereinbaren.

7

Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.

8

Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend, das LSG habe § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX zu Unrecht analog auf den ein Taschengeld gemäß § 11 Nds MVollzG beziehenden Kläger angewandt. Weder entspreche eine solche Gesetzesanwendung dem Sinn der Vorschrift noch bestehe eine Regelungslücke, die im Wege der Analogie geschlossen werden dürfe. Die Vorschrift sei abschließend und ihrem Wortlaut nach eindeutig. § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX privilegiere eine ganz konkrete Gruppe von Menschen, die bestimmte und abschließend genannte unterhaltssichernde Leistungen beziehen. Dies ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien und aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Zu diesem Personenkreis gehöre der Kläger gerade nicht. Die damit einhergehende Ungleichbehandlung sei nicht willkürlich und verstoße nicht gegen die Verfassung (Art 3 Abs 1 GG), weil sie wegen erheblicher Unterschiede zwischen bedürftigen Menschen mit Behinderung und Schwerbehinderten, die im Anschluss an Straftaten im Maßregelvollzug untergebracht seien, sachlich gerechtfertigt sei. Die durch eine Behinderung begründeten Teilhaberechte am Leben in der Gesellschaft und am Arbeitsleben seien nicht vergleichbar mit dem Resozialisierungsanspruch von Strafgefangenen oder dem Integrationsanspruch von Menschen im Maßregelvollzug.

9

Der Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 22.4.2010 und des SG Hannover vom 29.1.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

12

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet.

14

1. Die Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 22.4.2010 und des SG Hannover vom 29.1.2009 sind aufzuheben. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Klage ist abzuweisen. Der Kläger hat gegen den Beklagten gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX keinen Anspruch auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr für ein Jahr.

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2. Rechtsgrundlage für die unentgeltliche Ausgabe der Wertmarke ist hier § 145 Abs 1 Satz 1 bis 3 und 5 Nr 2 SGB IX idF vom 22.12.2008 (BGBl I 2959; die Änderung des § 145 SGB IX durch Gesetz vom 30.7.2009, BGBl I 2495, betrifft Abs 2 der Norm und ist hier unbeachtlich). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der auf die Zukunft gerichteten Leistungsklage ist insoweit der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (allgM, vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr 34 mwN). Nach den genannten Regelungen werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs 5 SGB IX im Nahverkehr unentgeltlich befördert. Voraussetzung ist, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist. Sie wird gegen Entrichtung eines Betrages von 60 Euro für ein Jahr oder 30 Euro für ein halbes Jahr ausgegeben. Auf Antrag wird eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Betrag nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX zu entrichten ist, ua an schwerbehinderte Menschen ausgegeben, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII, dem SGB VIII oder den §§ 27a und 27d Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhalten.

16

Nach diesen gesetzlichen Vorgaben besteht kein Anspruch des Klägers auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke. Er gehört zwar zum Kreis der berechtigten Personen iS des § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX, denn der Beklagte hatte ihm das Merkzeichen "G" erteilt. Der Kläger wird jedoch nicht von der Vergünstigung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX erfasst. Die dem Kläger gewährten Leistungen nach § 11 Nds MVollzG fallen insbesondere nicht unter den Begriff "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX. Dafür sind folgende Erwägungen maßgebend:

17

a) Um die Bedeutung einer Gesetzesvorschrift zu ermitteln, kommen zunächst die herkömmlichen Auslegungsmethoden zur Anwendung. Danach ist auf den Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), ihren Zusammenhang (systematische Auslegung), ihren Zweck (teleologische Auslegung) sowie die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) abzustellen (vgl aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts : BVerfGE 11, 126, 130; 82, 6, 11; 93, 37, 81; 105, 135, 157; dazu auch Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 141 ff; 163 ff). Dabei sind die konkret einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Ist von mehreren möglichen Auslegungen nur eine mit dem GG vereinbar, muss diese gewählt werden (verfassungskonforme Auslegung; vgl etwa BVerfGE 88, 145, 166 f; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 159 ff). Die Grenzen jeder Auslegung ergeben sich daraus, dass einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht durch Auslegung eine entgegengesetzte Bedeutung verliehen werden darf (vgl BVerfGE 54, 277, 299 f; 59, 330, 334; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 143).

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b) Das BSG hat bereits zu den Vorgängervorschriften des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX entschieden, dass der Gesetzgeber nur einem bestimmten Personenkreis, der nach der damaligen Rechtslage eindeutig benannt war, den kostenlosen Erwerb der zur Freifahrt berechtigenden Wertmarke zubilligen wollte(vgl BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1; BSG Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 7/93 - RdLH 1996 Nr 1, 35 ), und an dieser Rechtsprechung auch seit Inkrafttreten des SGB IX festgehalten (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1§ 145 abs 1 satz 5 nr 2 sgb ix idf vom 21.3.2005, bgbl i 818, und idf vom 2.12.2006, bgbl i 2742>). Danach besteht keine Veranlassung für eine den Wortlaut des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX erweiternde Auslegung, die zu einer Erstreckung auf Personen führt, die nicht Bezieher laufender Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII sind. Denn die Mobilitätsförderung von schwerbehinderten Menschen nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX wird durch den zu leistenden Eigenanteil nur moderat relativiert. Die kostenlose Ausgabe der Wertmarke stellt systematisch eine Ausnahme von der Pflicht zur Entrichtung des Eigenanteils dar. Die Regelung ist abschließend (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 27-29; vgl auch Vogl in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 145 RdNr 47).

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c) Hieran anknüpfend hält der Senat - innerhalb der Wortlautgrenze - eine weite Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX für richtig. Von diesem Begriff sind nicht nur Leistungen umfasst, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben, sondern auch für den Lebensunterhalt laufende Leistungen, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII an Personen erbracht werden, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen.

20

Einem weiten Verständnis des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX steht nicht entgegen, dass es sich bei dieser Norm gegenüber dem Regelfall der Freifahrtberechtigung unter Zahlung einer Eigenbeteiligung nach § 145 Abs 1 Satz 1 bis 3 SGB IX um eine Ausnahmevorschrift handelt(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 29). Die Regel, dass Ausnahmevorschriften grundsätzlich eng auszulegen sind, gilt nicht allgemein. Entscheidend ist vielmehr der Grund, warum der Gesetzgeber eine bestimmte Gruppe von Fällen aus dem Anwendungsbereich der Regelvorschrift herausgenommen hat (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 337, 339 f).

21

aa) Zwar lässt der Wortlaut der Norm sowohl eine enge als auch eine weite Auslegung des Begriffs der für den Lebensunterhalt laufenden Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII zu, im sprachlichen Zusammenhang betrachtet legt § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX jedoch bereits ein weites Begriffsverständnis nahe.

22

Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen richtet sich die Wortlautinterpretation zunächst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eines Ausdrucks bzw einer Wortverbindung. Haben Ausdrücke in der Rechtssprache eine spezifische Bedeutung erhalten, geht der besondere Sprachgebrauch des Gesetzes vor (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 305 ff). Nach diesen Grundsätzen kann der Befreiungstatbestand für Personen, die "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" beziehen, im Rahmen des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX so verstanden werden, dass von diesem Begriff auch nach den gleichen Voraussetzungen zu gewährende Leistungen umfasst sind. Das Wort "nach" kann im allgemeinen Sprachgebrauch unterschiedliche Bedeutungen einnehmen, etwa "gemäß", "entsprechend" oder "im Sinne von". Es ist auch nach dem juristischen Sprachgebrauch keineswegs zwingend, dass mit der Wortverbindung "nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" nur Leistungen gemeint sind, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben bzw im engeren Rechtssinne Leistungen der Sozialhilfe darstellen. Vielmehr können auch Leistungen umfasst sein, die in entsprechender Anwendung der Regelungen des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden.

23

Ein solches Verständnis wird auch bei den ebenfalls von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Var 4 SGB IX erfassten Beziehern von Leistungen "nach" den §§ 27a und 27d BVG vertreten(Heinz in Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, Stand April 2010, § 145 RdNr 33; Winkler in Müller-Wenner/Winkler, SGB IX, 2. Aufl 2011, § 145 RdNr 14). Danach sollen nicht nur Empfänger von Leistungen der Kriegsopferfürsorge (in unmittelbarer Anwendung des BVG), sondern auch Berechtigte nach den sog "Nebengesetzen" zum BVG von der Zuzahlungspflicht befreit sein, auch wenn das BVG nach diesen Gesetzen nur entsprechend anzuwenden ist (vgl etwa § 80 Abs 1 Satz 1 Soldatenversorgungsgesetz; § 47 Abs 1 Satz 1 Zivildienstgesetz; § 60 Abs 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz; § 1 Abs 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz).

24

Schließlich spricht auch der Aufbau der Wortverbindung dafür, dass von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX auch Leistungen umfasst sind, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden. Der Gesetzgeber hat die Leistungen zunächst näher umschrieben als "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen"; die nachfolgende Nennung der materiell-rechtlichen Bezugsnorm ("nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches") kann dann allein dazu dienen, die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise - ungeachtet des genaueren Rechtsgrunds der erhaltenen Leistungen - "nach dem System des Sozialhilferechts" vorzunehmen, welches für sich bereits zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen (11. Kap SGB XII) sowie relevante Sonderbedarfe regelt (vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34).

25

bb) Ein weites Verständnis des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX steht mit der Entstehungsgeschichte der Norm im Einklang.

26

Die Vorschrift über die Freifahrtsberechtigung schwerbehinderter Menschen geht auf § 57 Abs 1 SchwbG idF des Art 20 des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1984 vom 22.12.1983 (BGBl I 1532) zurück, durch den der Kreis der berechtigten Personen eingeschränkt und grundsätzlich eine Kostenbeteiligung in Höhe von damals 120 DM jährlich bzw 60 DM halbjährlich eingeführt wurde. Nach der ersten Fassung des § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SchwbG erhielten ua "Bezieher von laufenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG" eine kostenlose Wertmarke. Diesen Wortlaut änderte der Gesetzgeber bereits mit der ersten Korrektur des HBegleitG 1984 durch das Gesetz zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 18.7.1985 (BGBl I 1516), um auch bedürftige Heimbewohner eindeutig von der Eigenbeteiligung zu befreien. Denn einige Länder hatten bei der Durchführung des Gesetzes nach der damaligen Systematik des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ein enges Verständnis der Norm zu Grunde gelegt und unter "Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt" nicht Hilfen in besonderen Lebenslagen für bedürftige Heimbewohner verstanden, obwohl bei der Gewährung dieser Leistungen in einer Einrichtung gemäß § 27 Abs 3 BSHG idF vom 24.5.1983 (BGBl I 613) auch Leistungen zum Lebensunterhalt umfasst waren (vgl hierzu Cramer, VersorgB 1985, 87, 89 mwN). Dieser engen Auslegung trat der Gesetzgeber entgegen. Mit der Gesetzesänderung führte er den Begriff "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen" ein und bekundete das Anliegen, durch diesen Befreiungstatbestand "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40). Ähnlich der heutigen Fassung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX waren nach der damals geltenden Fassung des § 57 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SchwbG Berechtigte, die "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem BSHG erhalten", von der Entrichtung des Eigenanteils befreit.

27

Dieser Befreiungstatbestand ist inhaltlich sowohl mit Einführung des SGB IX durch Gesetz vom 19.6.2001 (BGBl I 1046) als auch mit Einführung des SGB XII durch Gesetz vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) im Wesentlichen unverändert geblieben. Er hat gleichwohl seine letzte Fassung erst durch die Änderungsgesetze vom 13.12.2007 (BGBl I 2904) und 22.12.2008 (BGBl I 2959) erhalten, die nach den Gesetzesmaterialien vornehmlich redaktionelle Änderungen betrafen (vgl BT-Drucks 16/6985 S 5; BT-Drucks 16/10487 S 11). Die Aufnahme des Tatbestandsmerkmals der für den Lebensunterhalt laufenden Leistungen nach dem "Dritten und Vierten Kapitel" des SGB XII ist wiederum auf die Eingliederung des Gesetzes über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 26.6.2001 (BGBl I 1310) in das SGB XII (Viertes Kapitel) und die systematische Trennung der Hilfe zum Lebensunterhalt (Drittes Kapitel) und der Hilfen in besonderen Lebenslagen (nun Fünftes bis Neuntes Kapitel) zurückzuführen (vgl zur neueren Gesetzhistorie auch Spiolek in GK-SGB IX, Stand Februar 2011, § 145 RdNr 25).

28

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich aus den Gesetzmaterialien zu den jeweiligen Änderungen der Befreiungstatbestände für einkommensschwache schwerbehinderte Menschen bei der unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass der Gesetzgeber sein ursprüngliches Anliegen, "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40), aufgegeben haben könnte.

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cc) Für die vom Senat vertretene Auslegung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX sprechen auch systematische Erwägungen, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis dieser sozialen Vergünstigung zu den existenzsichernden Systemen des Fürsorgerechts (SGB II/SGB XII).

30

Die Privilegierung einkommensschwacher schwerbehinderter Menschen stellt eine von den Systemen des Fürsorgerechts abgegrenzte soziale Vergünstigung des Schwerbehindertenrechts dar. Der Gesetzgeber hat diese Vergünstigung nicht allen einkommensschwachen Personen, die das Merkzeichen "G" besitzen, zukommen lassen wollen, sondern dabei eine systembezogene Zuordnung vorgenommen. Der Senat hat bereits entschieden, dass selbst dann kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG (vgl hierzu BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) vorliegt, wenn dem Berechtigten, der die Eigenbeteiligung aufzubringen hat, das vom Gesetzgeber in Höhe des Regelbedarfs normativ bestimmte (vgl § 27 Abs 1 SGB XII) soziokulturelle Existenzminimum zur Verfügung steht (Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 36). Konsequenterweise ist eine entsprechende soziale Vergünstigung (kostenfreie Wertmarke) bzw die Deckung eines entsprechenden Bedarfs bei Schwer- oder Gehbehinderung grundsätzlich kein Regelungsgegenstand der existenzsichernden Systeme nach dem SGB II und SGB XII (vgl zum SGB II etwa BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 29/09 R - BSGE 105, 279 = SozR 4-1100 Art 1 Nr 7, RdNr 39; BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 24). Der Gesetzgeber hat vielmehr im Rahmen der Nr 2 nur bestimmte Gruppen von Leistungsbeziehern nach dem SGB XII, SGB II, SGB VIII und BVG in den Befreiungstatbestand des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX aufgenommen. Dementsprechend ist insoweit die Zuordnung von Freifahrtberechtigten nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX zu diesen Systemen der öffentlichen Fürsorge von entscheidender Bedeutung.

31

Dem System des SGB XII sind dabei nicht nur Personen zuzurechnen, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen in unmittelbarer Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII beziehen, sondern auch Personen, die diese Leistungen (nur) in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften erhalten, aber materiell-rechtlich weitgehend Sozialhilfeempfängern gleichgestellt sind. Anders verhält es sich dagegen mit Personen, deren laufender Lebensunterhalt durch eigene Mittel oder ein anderes Sicherungssystem gewährleistet wird. Bei diesen sieht der Gesetzgeber ersichtlich keine Veranlassung für eine Befreiung vom Eigenanteil nach § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX. Im Fall der Zuordnung zu einem anderen Sicherungssystem geht er nachvollziehbar davon aus, dass ein etwa erforderlicher Ausgleich - zB durch Erstattung des Eigenanteils - ggf im Rahmen dieses Systems erfolgen kann.

32

Auf die "Zweckidentität" einer Leistung hinsichtlich der Gewährleistung des Existenzminimums kommt es mithin bei der Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" nicht entscheidend an, vielmehr auf die Zuordnung des Personenkreises zum "System des Sozialhilferechts". Folglich hält es der Senat aus systematischen Gründen für notwendig, dass es sich dabei nicht nur um Leistungen handelt, die zumindest in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden, sondern auch um Leistungsbezieher, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen, also nicht unbedingt formal, aber materiell-rechtlich dem "System des Sozialhilferechts" zugewiesen sind.

33

Der Senat verkennt nicht, dass bei einer solchen Auslegung der ausdrücklichen Nennung der Bezieher von ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt iS des § 27a BVG in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Var 4 SGB IX kaum eigenständige Bedeutung zukommt, da nach § 27a Satz 2 BVG bereits eine entsprechende Anwendung der Regelungen des Dritten Kapitels des SGB XII unter Berücksichtigung der besonderen Lage der Beschädigten und Hinterbliebenen vorgesehen ist. Gerade im Zusammenhang mit der Begünstigung der Leistungsbezieher nach § 27d BVG kann die Nennung des § 27a BVG immerhin eine sinnvolle Klarstellung bedeuten, zumal eine Gleichstellung des von § 27a BVG erfassten Personenkreises - auch im Hinblick auf die angeordnete Berücksichtigung der besonderen Lage der Betroffenen - zweifelhaft sein könnte.

34

dd) Ein weites Begriffsverständnis entspricht auch am ehesten dem Sinn und Zweck des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX.

35

Durch die jetzt in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX vorgesehene soziale Vergünstigung sollen - wie schon seit Einführung des Eigenanteils bei der ermäßigten Beförderung eines Kreises schwerbehinderter Menschen im Jahre 1984(vgl § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SchwbG idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) - die "Belange typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtsberechtigter" berücksichtigt werden (BT-Drucks 10/335 S 89; vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34). Dabei ist es ein Anliegen des Gesetzgebers, "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40). Durch die Anknüpfung ua an den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII macht der Gesetzgeber die Befreiung vom Unterschreiten einer Einkommensgrenze abhängig, die sich aus dem System des Sozialhilferechts (11. Kap SGB XII) ergibt (vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34). Bei dieser Zweckrichtung macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob die für den Lebensunterhalt laufenden Leistungen in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden.

36

Hierbei ist aber auch das weitere Ziel des Gesetzgebers zu berücksichtigen, die verwaltungspraktische Arbeit der zuständigen Behörden dadurch zu erleichtern, dass die Hilfebedürftigkeit des Berechtigten durch andere Träger - mittels Verwaltungsakt - festgestellt worden ist (vgl BT-Drucks 10/335 S 89; vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 35). Dieser hatte insoweit offensichtlich das sozialhilferechtliche Verwaltungsverfahren vor Augen. Nicht nur aus systematischen Gründen, sondern auch im Hinblick auf diese Zweckrichtung liegt es nahe, ein weites Verständnis des Befreiungstatbestands auf Leistungsbezieher zu beschränken, die - auch verfahrensmäßig - Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen.

37

ee) Auch mit Rücksicht auf höherrangiges Rechts ist das vom Senat für zutreffend gehaltene Verständnis des Befreiungstatbestands nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX angebracht.

38

Das BSG hat bereits entschieden, dass die Umwandlung von einer unentgeltlichen Freifahrt in eine "Freifahrt" mit Kostenbeteiligung den Gesetzgeber nicht berechtigt, in unbeschränktem Ermessen Personenkreise von der Kostenbeteiligung auszunehmen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet es vielmehr, den begünstigten Personenkreis nach sachgemäßen Erwägungen zu bestimmen (BVerfGE 39, 148, 153). Allgemein ist Art 3 Abs 1 GG verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl BVerfG Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86, 50/87 und 1 BvR 873/90, 761/91 - BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7; BVerfG Beschluss vom 8.4.1998 - 1 BvL 16/90 - BVerfGE 98, 1, 12 = SozR 3-5755 Art 2 § 27 Nr 1 S 5). Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der sozialen Vergünstigung iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX gilt als Maßstab das Willkürverbot(vgl BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 30 ff, 36; BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1).

39

Diesen Vorgaben wird eine Auslegung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX am ehesten gerecht, die auch Personen erfasst, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII erhalten, und Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen. Maßstab für die sachliche Rechtfertigung einer Gleich- oder Ungleichbehandlung ist es danach, ob die betreffende Person dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe zuzuordnen ist.

40

d) Nach diesen Maßgaben erhält der Kläger nicht "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX. Zunächst liegt der Rechtsgrund der Gewährung des Taschengeldes nach § 11 Nds MVollzG nicht im SGB XII, es ist also keine Leistung nach dem SGB XII im engeren Sinne. Zudem ist es nach dem vom Senat vertretenen Verständnis des Befreiungstatbestands auch keine für den Lebensunterhalt laufende Leistung nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII. Denn es wird weder in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften gewährt, noch erhalten es Berechtigte, die im Wesentlichen Sozialhilfeempfängern gleichstehen.

41

aa) § 11 Nds MVollzG stellt irrevisibeles Landesrecht iS des § 162 SGG dar, so dass das BSG die in der Entscheidung des Berufungsgerichts enthaltene Aussage über das Bestehen und den Inhalt der Rechtsnorm gemäß § 202 SGG iVm § 560 ZPO seiner Entscheidung zu Grunde zu legen hat(vgl BSG etwa Urteil vom 30.10.1990 - 4 RK 1/89 - juris RdNr 12 f; BSG Urteil vom 18.10.1995 - 6 RKa 52/94 - SozR 3-2500 § 95 Nr 7 S 30 f; May, Die Revision, 1995, S 322 RdNr 59). Insoweit hat das LSG ausgeführt, dass in Niedersachsen im Maßregelvollzug Untergebrachte gemäß § 11 Nds MVollzG ein Taschengeld nach den Grundsätzen und Maßstäben erhalten, die für den Barbetrag nach § 35 Abs 2 SGB XII aF gelten. Zum einen richte sich damit die Höhe dieser Leistung nach den Grundsätzen des § 35 Abs 2 SGB XII aF. Zum anderen enthalte § 11 Nds MVollzG einen Rechtsgrundverweis auf § 35 Abs 2 SGB XII aF, so dass das Taschengeld bedürftigkeitsabhängig nach den maßgeblichen Regelungen des SGB XII gewährt werde.

42

Bei dem Barbetrag nach § 35 Abs 2 SGB XII aF handelt es sich zwar um eine Leistung nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Auch dürfte das Taschengeld nach § 11 Nds MVollzG regelmäßig die gleiche Leistungshöhe wie der Barbetrag nach § 35 Abs 2 SGB XII aF aufweisen. § 11 Nds MVollzG ordnet aber - auch nach der vom LSG vertretenen Auslegung - keine entsprechende Anwendung des § 35 Abs 2 SGB XII aF an, sondern - ggf weitergehend - die Gewährung eines Taschengeldes nach den Grundsätzen und Maßstäben, die für den Barbetrag nach § 35 Abs 2 SGB XII aF gelten.

43

bb) Im Maßregelvollzug Untergebrachte stehen Sozialhilfeempfängern nicht im Wesentlichen gleich. Die Unterbringung im Maßregelvollzug - hier in einem psychiatrischen Krankenhaus - ist eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung iS des § 61 Strafgesetzbuch (StGB). Sie beruht auf einer richterlichen Anordnung nach §§ 63 ff StGB aus Anlass und als Rechtsfolge einer rechtswidrigen Tat(zum zweispurigen Sanktionensystem des StGB vgl jüngst BVerfG Urteil vom 4.5.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 12 BvR 1152/10 - NJW 2011, 1931, RdNr 100 ff ; Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug, 6. Aufl 2003, S 1 f). Der Maßregelvollzug richtet sich nach uneinheitlichem Landesrecht (vgl hierzu BVerfG Beschluss vom 24.7.2008 - 2 BvR 840/06 - juris 21). Anders als die auf die Rehabilitation des Behinderten gerichtete Sozialhilfe zielt er auf die Resozialisierung des Betroffenen ab. Dieser Dualismus der Aufgabenstellung schließt ein nebeneinander von Sozialhilfe und Versorgung im Rahmen des Maßregelvollzugs nach bisheriger Rechtsprechung nicht aus (vgl zum BSHG bereits BVerwG Urteil vom 13.1.1971 - V C 70.70 - BVerwGE 37, 87; zum SGB XII jüngst BVerfG Beschluss vom 24.7.2008 - 2 BvR 840/06 - juris RdNr 25 ff mwN; Luthe in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand Juni 2011, K § 2 RdNr 56). Die Versorgung der im Maßregelvollzug Untergebrachten wird insoweit zum ganz überwiegenden Teil von den Vollzugseinrichtungen gewährleistet, so dass der Sozialhilfeträger allenfalls für bestimmte "Restbedarfe" aufzukommen hat (vgl Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand Juni 2011, K § 98 RdNr 91). Wenngleich sich die Leistungen für den Lebensunterhalt im Maßregelvollzug - insbesondere die Taschengeldgewährung - mitunter nicht wesentlich von den entsprechenden Sozialhilfeleistungen unterscheiden, sind die Berechtigten materiell dem Maßregelvollzugsrecht und damit einem eigenständigen und von dem Grundsicherungsrecht (SGB II/SGB XII) auch inhaltlich abgegrenzten Sicherungssystem zugewiesen. Die Sicherung ihres Lebensunterhalts richtet sich grundsätzlich nicht nach dem "System des Sozialhilferechts".

44

e) Eine Erstreckung des Inhalts des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX auf den Fall des Klägers lässt sich auch nicht durch richterliche Rechtsfortbildung, insbesondere mittels eines Analogieschlusses erreichen. Es fehlt an einer erkennbaren Unvollständigkeit des Gesetzes. § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX ist - auch im Hinblick auf zur Freifahrt Berechtigte, die im Maßregelvollzug untergebracht sind und ein Taschengeld nach den Vollzugsgesetzen erhalten - abschließend(so allg schon BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1 S 2 f; BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 29). Weder die Entstehungsgeschichte der Norm noch die systematischen Zusammenhänge sprechen für eine Ausweitung der sozialen Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX auf im Maßregelvollzug Untergebrachte, die nach dem einschlägigen Vollzugsrecht ein Taschengeld erhalten. Der Gesetzgeber hat neben den existenzsichernden Fürsorgesystemen (SGB II/SGB XII) auch andere Leistungssysteme (SGB VIII/BVG) ausdrücklich in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX aufgenommen. Angesichts der häufigen Änderungen des Befreiungstatbestands seit Einführung der Kostenbeteiligung Berechtigter an der unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr im Jahr 1984 ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bedürftigkeitsabhängige Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem Maßregelvollzugsrecht nur versehentlich nicht berücksichtigt hat. Vielmehr dient § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX erkennbar dazu, den begünstigten Personenkreis nach dem "System des Sozialhilferechts" zu bestimmen, nicht hingegen nach anderen Sicherungssystemen, wie zB dem Maßregelvollzug.

45

3. Dass der Kläger nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX keinen Anspruch auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr hat, verstößt nicht gegen die Verfassung, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

46

Nach den bereits dargelegten verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art 3 Abs 1 GG ist Maßstab für die Rechtfertigung der Auswahl der von der sozialen Vergünstigung iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX betroffenen Personenkreise das Willkürverbot(vgl BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 30 ff, 36; BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1). Danach ist Art 3 Abs 1 GG nicht verletzt.

47

Soweit das LSG in diesem Zusammenhang diejenigen zur unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr Berechtigten (§ 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX), die ihren laufenden Lebensunterhalt einerseits durch das Taschengeld nach § 11 Nds MVollzG und andererseits durch den Barbetrag iS des § 35 Abs 2 SGB XII aF bestreiten, heranzieht, bestehen für die Ungleichbehandlung hinreichend sachliche Gründe. Die Personengruppen sind nämlich unterschiedlichen Sicherungssystemen zugewiesen. Insoweit kommt es entgegen der Auffassung des LSG bei § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX gerade nicht auf die gleiche wirtschaftliche Lage an bzw auf die "Zweckidentität" der Leistungen, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten. Der Gesetzgeber des SGB IX konnte vielmehr davon ausgehen, dass den Bedürfnissen der Personen, die sich im Maßregelvollzug befinden, im Rahmen dieses Systems hinreichend Rechnung getragen werden kann. Im Übrigen wäre eine bundeseinheitliche Regelung, die allen landesrechtlichen Maßregelvollzugsgesetzen Rechnung trägt, unter Beibehaltung der Struktur der Befreiungstatbestände nur unter besonderen Schwierigkeiten möglich: Entweder durch komplexe Bezugnahmen auf die einzelnen Landesvorschriften oder durch eine eigenständige Bedürftigkeitsprüfung der Leistungsträger nach dem SGB IX oder aber - einfacher - durch eine Härtefallklausel (vgl etwa zur Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für Personen im Maßregelvollzug nach § 6 Abs 3 Rundfunkgebührenstaatsvertrag Oberverwaltungsgericht Lüneburg Beschluss vom 26.5.2011 - 4 LC 59/10 - juris RdNr 33 ff; Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug, 6. Aufl 2003, S 105 f). Dies alles ist aber aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Denn die Mobilitätsförderung von schwerbehinderten Menschen nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX wird durch den zu leistenden Eigenanteil nur moderat relativiert(vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 28).

48

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch für das Revisionsverfahren die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung des Betrages, den der Kläger für eine an ihn ausgegebene Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Personenverkehr entrichtet hat.

2

Der 1970 geborene Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger; er hält sich nach eigenen Angaben seit 2003 in Deutschland auf und durchlief erfolglos das Asylverfahren. Er leidet seit 2006 an einer koronaren Herzerkrankung und ist aus diesem Grunde reiseunfähig. Im Februar 2009 erhielt der Kläger eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), deren Gültigkeit in der Folgezeit verlängert wurde.

3

Seit Juni 2009 ist der Kläger als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Es sind bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er zumindest seit dem 1.7.2009 durch Leistungen nach § 2 Abs 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) iVm den Vorschriften des SGB XII.

4

Am 2.7.2009 beantragte der Kläger beim Kreis A. die Ausstellung eines Beiblatts mit unentgeltlicher Wertmarke zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger zu keiner der in § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX aufgezählten Personengruppen gehöre; insbesondere beziehe er keine der dort aufgeführten Leistungen (Bescheid vom 20.7.2009). Den Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Münster zurück (Widerspruchsbescheid vom 25.8.2009).

5

Auf die hiergegen am 19.9.2009 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Aachen die ab dem 20.10.2009 an die Stelle des Kreises Aachen getretene Städteregion Aachen (Beklagte) unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung verurteilt, dem Kläger ein Beiblatt mit kostenloser Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr auszustellen (Urteil vom 11.1.2010), weil Leistungsbezieher gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG nach einer am Sinn und Zweck des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX orientierten Auslegung - auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Norm - zu dem wegen Bedürftigkeit von der Entrichtung des Eigenanteils befreiten Personenkreis gehörten.

6

Die Beklagte hat hiergegen beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger seinen Klageantrag im Einvernehmen mit der Beklagten dahingehend geändert, dass er von ihr die Kostenerstattung von 60 Euro begehre, da er sich die ursprünglich beantragte Wertmarke mittlerweile gegen Entrichtung des Eigenanteils selbst beschafft hatte.

7

Das LSG hat die Berufung durch Urteil vom 3.9.2010 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.8.2009 verurteilt wird, dem Kläger 60 Euro zu erstatten. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

8

Dem Kläger stehe ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, da die Beklagte von ihm für die Wertmarke zu Unrecht den Eigenanteil in Höhe von 60 Euro entgegengenommen habe. Der Kläger sei in analoger Anwendung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX von vornherein nicht verpflichtet gewesen, einen Eigenanteil zu leisten. Die Vorschrift sei zwar nach ihrem Wortlaut nicht unmittelbar anzuwenden, auch wenn die dem Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG gewährten Leistungen der Höhe nach ausschließlich nach den Vorschriften des SGB XII bemessen seien. Denn nach § 9 Abs 1 AsylbLG erhielten Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG gerade keine Leistungen nach dem SGB XII, sondern Leistungen nach dem AsylbLG. Mit Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte zur Beteiligung von Schwerbehinderten an den Kosten für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr gemäß § 57 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) aF liege aber eine Regelungslücke vor. Ursprünglich seien einkommensschwache Ausländer nämlich von der Kostenpflicht befreit gewesen, da sie vor Einführung des AsylbLG im Jahre 1993 bei Bedürftigkeit einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gehabt hätten. Auch wenn der Gesetzgeber mit dem AsylbLG eigenständige Regelungen des Unterhalts von Asylbewerbern und gegenüber den Leistungen nach dem BSHG eine deutlich abgesenkte Versorgung während des Asylverfahrens eingeführt habe, lasse sich eine bewusste Beseitigung der Kostenfreiheit gegenüber dem vorher bestehenden Rechtszustand jedenfalls für die Bezieher von sog Analog-Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG aus den Gesetzesmaterialien nicht eindeutig ableiten. Auch könne nicht angenommen werden, der moderne, oft unter Zeitdruck arbeitende Gesetzgeber wolle dieser Personengruppe einen regelungsbedürftigen Anspruch bewusst nicht gewähren, wenn er dazu schweige ("beredtes Schweigen").

9

Für die analoge Anwendung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX spreche zum einen der Normzweck, einkommensschwache Personen von der Kostenbeteiligung zu befreien, weil sie mangels finanzieller Mittel ohnehin auf die finanzielle Hilfe der öffentlichen Hand angewiesen seien. Dies treffe auf schwerbehinderte Bezieher von sog Analog-Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG in genau derselben Weise zu wie auf schwerbehinderte Sozialhilfeempfänger. Zum anderen entspreche diese Rechtsanwendung dem hier aus Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) abzuleitenden Gebot verfassungskonformer Auslegung, da die Umwandlung einer unentgeltlichen Freifahrt in eine Freifahrt mit Kostenbeteiligung den Gesetzgeber nicht berechtige, in unbeschränktem Ermessen Personenkreise von der Kostenbeteiligung auszunehmen. Eine Ungleichbehandlung von mittellosen schwerbehinderten Beziehern von Analog-Leistungen nach dem AsylbLG gegenüber mittellosen schwerbehinderten Beziehern von Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII sei sachlich nicht gerechtfertigt, insbesondere nicht wegen eines nur vorläufigen Aufenthalts der Bezieher von Analog-Leistungen in Deutschland. Einerseits setze der Bezug dieser Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG einen Voraufenthalt von 48 Monaten voraus, andererseits gelte die Wertmarke jeweils nur für ein Jahr. Im Fall des Klägers könne wegen der schweren Herzerkrankung ohnehin nicht von einem nur vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland ausgegangen werden.

10

Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend: Das LSG habe § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX zu Unrecht analog auf den Leistungen nach § 2 AsylbLG beziehenden Kläger angewandt. Die Vorschrift sei abschließend und ihrem Wortlaut nach eindeutig. Bei dem Erwerb der Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr seien insbesondere Bezieher von laufenden Leistungen nach dem SGB XII von dem Eigenanteil in Höhe von 60 Euro befreit (§ 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX), nicht aber Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG. Diese Regelung verstoße auch nicht gegen die Verfassung. Dem Gesetzgeber stehe es hier bis zur Grenze der Willkür frei, nach sachgemäßen Erwägungen bestimmte Personenkreise gegenüber anderen zu begünstigen. Insoweit belege die Gesetzesentwicklung seit Jahrzehnten das Bemühen des Gesetzgebers, die ständig steigende Belastung der öffentlichen Haushalte durch Anspruchsberechtigte - ob Schwerbehinderte, Asylbewerber oder Sozialhilfebezieher - abzumildern. Insbesondere habe der Gesetzgeber mit Neufassung des AsylbLG im Jahr 1993 eine eigenständige gesetzliche Regelung des Mindestunterhalts von Asylbewerbern geschaffen, mit der eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen einhergegangen sei. Die Entkoppelung dieses Leistungssystems vom regulären Sozialhilferecht sei ein bewusster Schritt der Schlechterstellung gegenüber den Personen gewesen, die direkt anspruchsberechtigt nach dem BSHG bzw SGB XII seien.

11

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3.9.2010 und des SG Aachen vom 11.1.2010 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid des Kreises Aachen vom 20.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Münster vom 25.8.2009 abzuweisen.

12

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2010 zurückzuweisen.

13

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend und macht ergänzend geltend, ein Ausschluss aus dem Kreis der Begünstigten iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX verstoße in seinem Fall mangels sachlicher Rechtfertigung nicht nur gegen die Verfassung(Art 3 Abs 1 GG), sondern sei auch mit völkerrechtlichen Diskriminierungsverboten nicht zu vereinbaren.

14

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

15

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

16

1. Die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung des erkennenden Senats liegen vor.

17

a) Im Laufe des Gerichtsverfahrens ist auf der Beklagtenseite ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes erfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/07 R - BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, RdNr 13 f, BSG Beschluss vom 8.5.2007 - B 12 SF 3/07 S - SozR 4-1500 § 57 Nr 2 RdNr 4; BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1). Der seit dem 1.1.2008 für die Aufgaben nach §§ 69, 145 SGB IX zuständige Kreis Aachen(vgl § 2 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482; vgl zur Übertragung der Aufgaben des Schwerbehindertenrechts auf die Kreise und kreisfreien Städte: BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - SozialVerw 2009, 59) ist nach Klageerhebung am 19.9.2009 mit Ablauf des 20.10.2009 durch § 1 Abs 1 Städteregion Aachen Gesetz vom 26.2.2008 (GVBl NRW 162) aufgelöst worden. Rechtsnachfolgerin ist gemäß § 2 Abs 1 Städteregion Aachen Gesetz die Städteregion Aachen(vgl hierzu bereits BSG Teilurteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 9/09 R - BSGE 107, 1 = SozR 4-7837 § 1 Nr 2, RdNr 16 und Urteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 19/09 R - BSGE 107, 18 = SozR 4-7837 § 2 Nr 6, RdNr 13).

18

Die Klage richtet sich jetzt zutreffend gegen die Städteregion Aachen, zumal mit Wirkung vom 1.1.2011 die Beteiligtenfähigkeit einer Behörde nach § 70 Nr 3 SGG iVm § 3 Gesetz zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes im Lande Nordrhein-Westfalen (AG-SGG NRW) vom 3.9.1953 (GVBl NRW 412) idF des Gesetzes vom 17.12.1974 (GVBl NRW 1588) weggefallen ist. Durch Art 2 Nr 29 iVm Art 4 Satz 1 Gesetz zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein-Westfalen vom 26.1.2010 (GVBl NRW 30) sind mit Wirkung vom 1.1.2011 die vorgenannten landesrechtlichen Bestimmungen ersatzlos aufgehoben worden (vgl hierzu bereits BSG Urteile vom 17.2.2011 - B 10 EG 1/10 R und B 10B 10 EG 2/10 R - juris RdNr 11). Der Senat hat sich deshalb nicht mehr mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Auffassung des 8. Senats des BSG (s Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R - SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 14) zutrifft, dass eine Klage bei Bestehen eines landesrechtlich vorgesehenen Behördenprinzips zwingend gegen die Behörde zu richten ist (zur Gegenansicht BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - juris RdNr 21; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 70 RdNr 4).

19

b) Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und 4 SGG) zulässig.

20

aa) Der Kläger begehrt die Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsaktes und - nach Umstellung seines Klageantrags im Berufungsverfahren - die Erstattung des Eigenanteils für die Ausgabe der Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr. Insoweit betrifft der Rechtsstreit die Fragen, ob der seinerzeit zuständige Kreis die Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr für die Zeit von September 2009 bis August 2010 kostenlos an den Kläger abzugeben hatte und die Beklagte zur Erstattung des vom Kläger dafür geleisteten Eigenanteils von 60 Euro verpflichtet ist. Der Kläger hat zunächst die Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke begehrt und sich nach erfolglosem Verwaltungsverfahren die Wertmarke gegen Entrichtung des Eigenanteils iHv 60 Euro selbst beschafft. Das LSG hat zwar in seiner Entscheidung die Gültigkeitsdauer der dem Kläger ausgegebenen Wertmarke nicht festgestellt (§ 163 SGG). Diese ergibt sich aber aus der Sitzungsniederschrift vom 3.9.2010, nach der sich die Beteiligten nach Vorlage des Schwerbehindertenausweises des Klägers darüber einig geworden sind, dass Gegenstand des Verfahrens allein die für den Zeitraum September 2009 bis August 2010 beschaffte Wertmarke ist. Diesen Sachverhalt legt der Senat seiner Entscheidung zu Grunde. Denn über Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung hinaus kann das BSG den erforderlichen Tatsachenstoff auch der vorinstanzlichen Sitzungsniederschrift entnehmen (§ 202 SGG iVm § 559 Abs 1 Satz 1 ZPO; vgl auch Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 23.9.1969 - II C 25.66 - Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 34; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 163 RdNr 4; Lüdtke in Hk-SGG, 3. Aufl 2009, § 163 RdNr 2). Insoweit ist hier die Frage der Kostenpflicht oder Kostenfreiheit nach § 145 Abs 1 SGB IX für diesen Zeitraum weiterhin streitig(vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 13).

21

bb) Der Senat kann offen lassen, ob in der Umstellung des Klageantrags im Berufungsverfahren eine stets zulässige Umwandlung des Klagebegehrens wegen einer später eingetretenen Veränderung iS des § 99 Abs 3 Nr 3 SGG oder eine Klageänderung iS des § 99 Abs 1 SGG zu sehen ist. Das LSG hat sich mit dieser prozessualen Frage nicht befasst. Nach seinen Feststellungen, an die das BSG gebunden ist (§ 163 SGG), kann bereits nicht beurteilt werden, ob der Kläger die kostenpflichtige Wertmarke (§ 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX) vor oder nach Klageerhebung beim SG Aachen erworben hat, also eine später eingetretene Veränderung iS des § 99 Abs 3 Nr 3 SGG vorliegt. Auch erscheint fraglich, ob die Rechtsprechung zur Ersatzbeschaffung im Krankenversicherungsrecht, nach der ohne Änderung des Klagegrundes (§ 99 Abs 3 Nr 3 SGG) an die Stelle eines Sachleistungsanspruchs nach Maßgabe des § 13 SGB V ein Kostenerstattungsanspruch treten kann(vgl etwa BSG Urteil vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261, 262 = SozR 3-2500 § 33 Nr 21 S 113 mwN), auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar ist. Denn der Kläger hat die Sachleistung (Wertmarke) - wie begehrt - von der zuständigen Behörde erhalten, jedoch nur gegen Entrichtung des Eigenanteils iS des § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX. Der Erwerb der Wertmarke mit Eigenbeteiligung ist insoweit keine Ersatzbeschaffung, sondern gleicht der Beteiligung an den Kosten einer kranken- oder rentenversicherungsrechtlichen Sozialleistung (so bereits BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 7).

22

Selbst wenn man den Übergang auf ein anderes Klagebegehren - hier auf einen Kostenerstattungsanspruch - als eine Klageänderung ansieht, wäre diese nach den Maßgaben des § 99 Abs 1 SGG zulässig gewesen(vgl dazu BSG Urteil vom 17.5.1988 - 10 RKg 3/87 - BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85 S 86). Die Beklagte hat sich nämlich in der mündlichen Verhandlung des LSG vom 3.9.2010 mit der Umstellung des Klagebegehrens ausdrücklich einverstanden erklärt.

23

cc) Auch die Sachurteilsvoraussetzungen für die Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage liegen vor.

24

Im Hinblick auf die Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 20.7.2009 ist das Vorverfahren vor Erhebung der Anfechtungsklage durchgeführt worden (zur Durchführung eines Vorverfahrens als Sachurteilsvoraussetzung etwa BSG SozR 3-1500 § 78 Nr 3 S 5). Ob die Entscheidung über eine unentgeltliche Wertmarkenausgabe überhaupt durch Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X zu erfolgen hat(vgl zur Problematik LSG Baden Württemberg Urteil vom 29.8.2005 - L 6 SB 5511/04 - juris RdNr 26 ff), kann (weiterhin) offen bleiben, weil der Beklagte hier die Form des Verwaltungsaktes gewählt hat (vgl bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 14).

25

Ebenfalls kann offen bleiben, ob die Bezirksregierung Münster nach der zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 25.8.2009 maßgeblichen Rechtslage gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 SGG befugt war, über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.7.2009 zu entscheiden (vgl zur Frage der Zuständigkeit in Verfahren nach §§ 69, 145 SGB IX gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 1 oder 4 SGG in NRW: LSG Nordrhein Westfalen Urteil vom 16.12.2009 - L 10 SB 39/09 - SozialVerw 2010, 8 ff, Revision anhängig unter B 9 SB 2/10 R; LSG Nordrhein Westfalen Urteil vom 5.3.2008 - L 10 SB 40/06 - Juris RdNr 39 ff). Denn sie ist jedenfalls seit Inkrafttreten des § 4a AG SGG NRW rückwirkend ab 1.1.2008 durch Art 3, 4 Satz 2 des Gesetzes zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein Westfalen vom 26.1.2010 (GVBl NRW 30) als Widerspruchsbehörde in Angelegenheiten nach den §§ 69, 145 SGB IX festgelegt worden(vgl zu § 4a AG SGG NRW bereits BSG Teilurteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 9/09 R - BSGE 107, 1 = SozR 4-7837 § 1 Nr 2, RdNr 19). Diese landesrechtliche Zuständigkeitsregelung verstößt nicht gegen Bundesrecht. Sowohl nach §§ 219, 85 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGG als auch gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGG iVm § 2 Abs 2 Satz 2 EingliederungsG sind insoweit abweichende Zuständigkeitsregelungen erlaubt.

26

Soweit es den erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Anspruch des Klägers auf Erstattung des von ihm geleisteten Eigenanteils von 60 Euro betrifft, ist hier unschädlich, dass die Beklagte zu dem neuen Streitgegenstand kein eigenständiges Verwaltungsverfahren durchgeführt und dieses nicht mit einem Bescheid abgeschlossen hat (vgl § 8 SGB X). Erst recht schadet es nicht, dass kein Widerspruchsverfahren als Klagevoraussetzung durchgeführt worden ist (§ 78 Abs 3 iVm Abs 1 SGG). Zwar müssen auch im Falle einer zulässigen Klageänderung für die geänderte Klage im Regelfall die Sachurteilsvoraussetzungen in gleicher Weise vorliegen, wie es bei einer sofortigen Klageerhebung mit einem entsprechenden Begehren nötig gewesen wäre (vgl hierzu etwa BSG Urteil vom 15.8.1996 - 9 RVs 10/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr 13 S 54). Es ist aber anerkannt, dass in bestimmten Fällen nicht nur die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens entbehrlich sein kann (vgl im Einzelnen Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 78 RdNr 8, 8a mwN), sondern auch die Durchführung eines selbstständigen Verwaltungsverfahrens während eines anhängigen Rechtsstreits. Dies ist der Fall, wenn von einer eigenständigen Verwaltungsentscheidung nichts anderes zu erwarten ist als eine Bestätigung des prozessualen Vorbringens und die Verwaltung durch rügelose Einlassung oder gar durch ausdrückliches Einverständnis auf ihren Vorrang bei der Gesetzesausführung verzichtet hat (BSG Urteil vom 15.8.1996 - 9 RVs 10/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr 13 S 54; BSG Urteil vom 27.8.1998 - B 9 SB 13/97 R - juris RdNr 12). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Der Kläger hat sich die Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr nur deswegen gegen Entrichtung des Eigenanteils iS des § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX beschafft, weil die Beklagte die Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke mit der angegriffenen Entscheidung abgelehnt hat und hieran - wie der vorliegende Prozess zeigt - weiterhin festhält.

27

2. In der Sache hat die Revision der Beklagten keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das zusprechende Urteil des SG mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.8.2009 verurteilt wird, dem Kläger 60 Euro zu erstatten.

28

a) Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung des Eigenanteils in Höhe von 60 Euro ist - wie das LSG zutreffend erkannt hat - der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (vgl zu diesem allgemein anerkannten Rechtsinstitut BSG Urteil vom 11.10.1994 - 1 RK 34/93 - BSGE 75, 167 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 2 mwN; Ossenbühl, NVwZ 1991, 513 ff). Eine spezialgesetzliche Regelung über die Rückerstattung ohne Rechtsgrund geleisteter Beträge nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX ist nicht ersichtlich.

29

aa) Als vorrangige Erstattungsregelung kommt insbesondere § 145 Abs 1 Satz 4 SGB IX nicht in Betracht. Danach gilt für die gemäß § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX grundsätzlich gegen einen Betrag von 60 Euro für ein Jahr oder 30 Euro für ein halbes Jahr erhältliche Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im Personennahverkehr(§ 145 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX), dass im Falle der Rückgabe der Wertmarke vor Ablauf ihrer Gültigkeitsdauer auf Antrag ein Betrag von 5 Euro für jeden vollen Kalendermonat ihrer Gültigkeit nach Rückgabe erstattet wird, sofern der zu erstattende Betrag 15 Euro nicht unterschreitet; Entsprechendes gilt für jeden vollen Kalendermonat nach dem Tod des schwerbehinderten Menschen. Der Anwendungsbereich dieser Norm ist nicht eröffnet, da sie nur diejenigen Fälle erfasst, in denen Berechtigte die gegen eine Selbstbeteiligung erhaltene Wertmarke vor Ablauf ihrer Gültigkeitsdauer zurückgeben oder versterben. Der Wertmarkenbetrag wird infolgedessen für diejenigen Monate erstattet, in denen die Berechtigten von ihrem Recht auf unentgeltliche Beförderung keinen Gebrauch mehr machen können (vgl BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 8). Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich hingegen auf die Erstattung des für die (inzwischen bereits abgelaufene) Wertmarke entrichteten Eigenanteils mit der Begründung, dass gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX überhaupt kein Betrag iS des § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX zu leisten gewesen sei.

30

bb) Auch § 15 Abs 1 Satz 3 SGB IX ist hier als besondere Erstattungsregel nicht einschlägig. Danach ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, soweit sich Leistungsberechtigte nach fruchtloser Fristsetzung und weiteren Voraussetzungen (vgl § 15 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX) eine erforderliche Leistung selbst beschaffen. Die Erstattungspflicht besteht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (§ 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX). Es muss sich um eine Rehabilitationsleistung nach dem SGB IX (§§ 4, 5 SGB IX) bzw den speziellen Leistungsgesetzen handeln (vgl Luik in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 15 RdNr 27). Hieran fehlt es. Die gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX ohne Eigenanteil auszugebende Wertmarke ist keine eigenständige Leistung nach dem SGB IX und kann überdies (auf rechtmäßige Weise) nicht selbst beschafft werden, soweit die Behörde die Ausgabe der Wertmarke von der Entrichtung des Betrags nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX abhängig macht. Die Sozialleistung besteht im Verhältnis zwischen Schwerbehinderten und Staat vielmehr in der Vergünstigung, von der Pflicht zur Zahlung des üblichen Beförderungsentgelts an die Verkehrsunternehmen freigestellt zu werden (vgl BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 7).

31

b) Dem hier einschlägigen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch liegt der allgemeine, auch im Sozialrecht geltende Rechtsgrundsatz zu Grunde, dass zu Unrecht empfangene Leistungen zurückzugeben sind (vgl zur Erstattung des anteiligen Eigenanteils bei vorzeitiger Rückgabe der Wertmarke für Zeiträume vor Inkrafttreten des § 57 Abs 1 Satz 4 SchwbG idF vom 18.7.1985 bereits BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 7 ff). Auf diesen Anspruch kann sich nicht nur die Behörde, sondern auch der Bürger stützen, wenn zu seinen Lasten eine Vermögensverschiebung eingetreten ist und ein Sozialleistungsträger etwas erhalten hat, was ihm nicht zusteht (vgl BSG Urteil vom 11.10.1994 - 1 RK 34/93 - BSGE 75, 167 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 2 mwN; Ossenbühl, NVwZ 1991, 513, 514). Übertragen auf die vorliegende Fallgestaltung bedeutet dies, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des bei der Ausgabe der Wertmarke für den Zeitraum September 2009 bis Oktober 2010 gezahlten Betrages in Höhe von 60 Euro hat, wenn er seinerzeit diesen Eigenanteil gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX nicht zu entrichten hatte, der Betrag nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX also rechtsgrundlos von der Beklagten entgegengenommen worden ist. Dies ist hier der Fall. Denn der Kläger konnte eine kostenfreie Wertmarke beanspruchen.

32

Rechtsgrundlage für die von dem damals zuständigen Kreis abgelehnte unentgeltliche Ausgabe einer Wertmarke ist hier § 145 Abs 1 Satz 1 bis 3 und 5 Nr 2 SGB IX idF vom 22.12.2008 (BGBl I 2959). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der Vermögensverschiebung vor Ausgabe der von September 2009 bis August 2010 gültigen Wertmarke. Nach den genannten Regelungen werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs 5 SGB IX im Nahverkehr unentgeltlich befördert. Voraussetzung ist, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist. Sie wird gegen Entrichtung eines Betrages von 60 Euro für ein Jahr oder 30 Euro für ein halbes Jahr ausgegeben. Auf Antrag wird eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Betrag nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX zu entrichten ist, ua an schwerbehinderte Menschen ausgegeben, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII, dem SGB VIII oder den §§ 27a und 27d Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhalten.

33

Soweit danach ein Antrag erforderlich ist, steht dem Anspruch des Klägers auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke für die Zeit von September 2009 bis August 2010 nicht bereits entgegen, dass der Kläger vor der Ausgabe der für diesen Zeitraum gültigen kostenpflichtigen Wertmarke möglicherweise keinen erneuten, "ausdrücklichen" Antrag iS des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX auf Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke gestellt hat(vgl zu dieser Problematik LSG Baden-Württemberg Urteil vom 29.8.2005 - L 6 SB 5511/04 - juris RdNr 34). Zu einer wiederholten Antragstellung hat nämlich wegen der vom Kläger angefochtenen und damit nicht bestandskräftigen Ablehnungsentscheidung der zuständigen Behörde (Bescheid vom 20.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.8.2009) kein Anlass bestanden.

34

Auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke liegen für den maßgeblichen Zeitraum vor. Der Kläger hat zum Kreis der berechtigten Personen iS des § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX gehört, denn ihm war das Merkzeichen "G" erteilt worden. Zudem hat der Kläger seinerzeit Leistungen iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX erhalten. Denn die dem Kläger gewährten Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 27 ff SGB XII stellen nach Auffassung des erkennenden Senats "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS dieser Vorschrift dar. Dafür sind folgende Erwägungen maßgebend:

35

aa) Um die Bedeutung einer Gesetzesvorschrift zu ermitteln, kommen zunächst die herkömmlichen Auslegungsmethoden zur Anwendung. Danach ist auf den Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), ihren Zusammenhang (systematische Auslegung), ihren Zweck (teleologische Auslegung) sowie die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) abzustellen (vgl aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts : BVerfGE 11, 126, 130; 82, 6, 11; 93, 37, 81; 105, 135, 157; dazu auch Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 141 ff; 163 ff). Dabei sind die konkret einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Ist von mehreren möglichen Auslegungen nur eine mit dem GG vereinbar, muss diese gewählt werden (verfassungskonforme Auslegung; vgl etwa BVerfGE 88, 145, 166 f; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 159 ff). Die Grenzen jeder Auslegung ergeben sich daraus, dass einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht durch Auslegung eine entgegengesetzte Bedeutung verliehen werden darf (vgl BVerfGE 54, 277, 299 f; 59, 330, 334; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 143).

36

bb) Das BSG hat bereits zu den Vorgängervorschriften des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX entschieden, dass der Gesetzgeber nur einem bestimmten Personenkreis, der nach der damaligen Rechtslage eindeutig benannt war, den kostenlosen Erwerb der zur Freifahrt berechtigenden Wertmarke zubilligen wollte(vgl BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1; BSG Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 7/93 - RdLH 1996 Nr 1, 35 ), und an dieser Rechtsprechung auch seit Inkrafttreten des SGB IX festgehalten (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1§ 145 abs 1 satz 5 nr 2 sgb ix idf vom 21.3.2005, bgbl i 818, und idf vom 2.12.2006, bgbl i 2742>). Danach besteht keine Veranlassung für eine den Wortlaut des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX erweiternde Auslegung, die zu einer Erstreckung auf Personen führt, die nicht Bezieher laufender Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII sind. Denn die Mobilitätsförderung von schwerbehinderten Menschen nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX wird durch den zu leistenden Eigenanteil nur moderat relativiert. Die kostenlose Ausgabe der Wertmarke stellt systematisch eine Ausnahme von der Pflicht zur Entrichtung des Eigenanteils dar. Die Regelung ist abschließend (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 27-29; vgl auch Vogl in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 145 RdNr 47).

37

cc) Hieran anknüpfend hält der Senat - innerhalb der Wortlautgrenze - eine weite Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX für richtig. Von diesem Begriff sind nicht nur Leistungen umfasst, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben, sondern auch für den Lebensunterhalt laufende Leistungen, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII an Personen erbracht werden, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen (1). Zudem ist unter dem Begriff "erhalten" in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX der faktische Bezug der in der Vorschrift genannten Leistungen zu verstehen, ohne dass es auf die materiell-rechtliche Leistungsberechtigung des Empfängers ankommt(2).

38

(1) Einem weiten Verständnis des Begriffs der "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX steht nicht entgegen, dass es sich bei dieser Norm gegenüber dem Regelfall der Freifahrtberechtigung mit Zahlung einer Eigenbeteiligung nach § 145 Abs 1 Satz 1 bis 3 SGB IX um eine Ausnahmevorschrift handelt(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 29). Die Regel, dass Ausnahmevorschriften grundsätzlich eng auszulegen sind, gilt nicht allgemein. Entscheidend ist vielmehr der Grund, warum der Gesetzgeber eine bestimmte Gruppe von Fällen aus dem Anwendungsbereich der Regelvorschrift herausgenommen hat (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 337, 339 f).

39

(a) Zwar lässt der Wortlaut der Norm sowohl eine enge als auch eine weite Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" zu, im sprachlichem Zusammenhang betrachtet legt § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX jedoch bereits ein weites Begriffsverständnis nahe.

40

Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen richtet sich die Wortlautinterpretation zunächst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eines Ausdrucks bzw einer Wortverbindung. Haben Ausdrücke in der Rechtssprache eine spezifische Bedeutung erhalten, geht der besondere Sprachgebrauch des Gesetzes vor (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 305 ff). Nach diesen Grundsätzen hat das LSG im Ansatz zutreffend erkannt, dass der Befreiungstatbestand für Personen, die "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" beziehen, im Rahmen des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX so verstanden werden kann, dass von diesem Begriff auch nach den gleichen Voraussetzungen zu gewährende Leistungen umfasst sind. Das Wort "nach" kann im allgemeinen Sprachgebrauch unterschiedliche Bedeutungen einnehmen, etwa "gemäß", "entsprechend" oder "im Sinne von". Es ist auch nach dem juristischen Sprachgebrauch keineswegs zwingend, dass mit der Wortverbindung "nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" nur Leistungen gemeint sind, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben bzw im engeren Rechtssinne Leistungen der Sozialhilfe darstellen. Vielmehr können auch Leistungen umfasst sein, die in entsprechender Anwendung der Regelungen des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden.

41

Ein solches Verständnis wird auch bei den ebenfalls von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IV erfassten Beziehern von Leistungen "nach" den §§ 27a und 27d BVG vertreten(Heinz in Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, Stand April 2010, § 145 RdNr 33; Winkler in Müller-Wenner/Winkler, SGB IX, 2. Aufl 2011, § 145 RdNr 14). Danach sollen nicht nur Empfänger von Leistungen der Kriegsopferfürsorge (in unmittelbarer Anwendung des BVG), sondern auch Berechtigte nach den sog "Nebengesetzen" zum BVG von der Zuzahlungspflicht befreit sein, obwohl das BVG nach diesen Gesetzen nur entsprechend anzuwenden ist (vgl etwa § 80 Abs 1 Satz 1 Soldatenversorgungsgesetz; § 47 Abs 1 Satz 1 Zivildienstgesetz; § 60 Abs 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz; § 1 Abs 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz).

42

Schließlich spricht auch der Aufbau der Wortverbindung dafür, dass von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX auch Leistungen umfasst sind, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden. Der Gesetzgeber hat die Leistungen zunächst näher umschrieben als "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen"; die nachfolgende Nennung der materiell-rechtlichen Bezugsnorm ("nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches") kann dann allein dazu dienen, die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise - ungeachtet des genaueren Rechtsgrunds der erhaltenen Leistungen - "nach dem System des Sozialhilferechts" vorzunehmen, welches für sich bereits zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen (11. Kap SGB XII) sowie relevante Sonderbedarfe regelt (vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34).

43

(b) Ein weites Verständnis des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX steht mit der Entstehungsgeschichte der Norm im Einklang.

44

Die Vorschrift über die Freifahrtsberechtigung schwerbehinderter Menschen geht auf § 57 Abs 1 SchwbG idF des Art 20 des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1984 vom 22.12.1983 (BGBl I 1532) zurück, durch den der Kreis der berechtigten Personen eingeschränkt und grundsätzlich eine Kostenbeteiligung in Höhe von damals 120 DM jährlich bzw 60 DM halbjährlich eingeführt wurde. Nach der ersten Fassung des § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SchwbG erhielten ua "Bezieher von laufenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG" eine kostenlose Wertmarke. Diesen Wortlaut änderte der Gesetzgeber bereits mit der ersten Korrektur des HBegleitG 1984 durch das Gesetz zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 18.7.1985 (BGBl I 1516), um auch bedürftige Heimbewohner eindeutig von der Eigenbeteiligung zu befreien. Denn einige Länder hatten bei der Durchführung des Gesetzes nach der damaligen Systematik des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ein enges Verständnis der Norm zu Grunde gelegt und unter "Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt" nicht Hilfen in besonderen Lebenslagen für bedürftige Heimbewohner verstanden, obwohl bei der Gewährung dieser Leistungen in einer Einrichtung gemäß § 27 Abs 3 BSHG idF vom 24.5.1983 (BGBl I 613) auch Leistungen zum Lebensunterhalt umfasst waren (vgl hierzu Cramer, VersorgB 1985, 87, 89 mwN). Dieser engen Auslegung trat der Gesetzgeber entgegen. Mit der Gesetzesänderung führte er den Begriff "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen" ein und bekundete das Anliegen, durch diesen Befreiungstatbestand "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40). Ähnlich der heutigen Fassung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX waren nach der damals geltenden Fassung des § 57 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SchwbG Berechtigte, die "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem BSHG erhalten", von der Entrichtung des Eigenanteils befreit.

45

Dieser Befreiungstatbestand ist inhaltlich sowohl mit Einführung des SGB IX durch Gesetz vom 19.6.2001 (BGBl I 1046) als auch mit Einführung des SGB XII durch Gesetz vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) im Wesentlichen unverändert geblieben. Er hat seine letzte Fassung jedoch erst durch die Änderungsgesetze vom 13.12.2007 (BGBl I 2904) und 22.12.2008 (BGBl I 2959) erhalten, die nach den Gesetzesmaterialien vornehmlich redaktionelle Änderungen betrafen (vgl BT-Drucks 16/6985 S 5; BT-Drucks 16/10487 S 11). Die Aufnahme des Tatbestandsmerkmals der Leistungen nach dem "Dritten und Vierten Kapitel" des SGB XII ist auf die Eingliederung des Gesetzes über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 26.6.2001 (BGBl I 1310) in das SGB XII (Viertes Kapitel) und die systematische Trennung der Hilfe zum Lebensunterhalt (Drittes Kapitel) und der Hilfen in besonderen Lebenslagen (nun Fünftes bis Neuntes Kapitel) zurückzuführen (vgl zur neueren Gesetzhistorie auch Spiolek in GK-SGB IX, Stand Februar 2011, § 145 RdNr 25).

46

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich - wie das LSG zutreffend erkannt hat - aus den Gesetzesmaterialien zu den jeweiligen Änderungen der Befreiungstatbestände für einkommensschwache schwerbehinderte Menschen bei der unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass der Gesetzgeber sein ursprüngliches Anliegen, "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40), aufgegeben haben könnte.

47

(c) Für die vom erkennenden Senat vertretene Auslegung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX sprechen auch systematische Erwägungen, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis dieser sozialen Vergünstigung zu den existenzsichernden Systemen des Fürsorgerechts (SGB II/SGB XII).

48

Die Privilegierung einkommensschwacher schwerbehinderter Menschen im Rahmen des § 145 Abs 1 SGB IX stellt eine von den Systemen des Fürsorgerechts abgegrenzte soziale Vergünstigung des Schwerbehindertenrechts dar. Der Gesetzgeber hat diese Vergünstigung nicht allen einkommensschwachen Personen, die das Merkzeichen "G" besitzen, zukommen lassen wollen, sondern dabei eine systembezogene Zuordnung vorgenommen. Der Senat hat bereits entschieden, dass selbst dann kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG (vgl hierzu BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) vorliegt, wenn dem Berechtigten, der die Eigenbeteiligung aufzubringen hat, das vom Gesetzgeber in Höhe des Regelbedarfs normativ bestimmte (vgl § 27 Abs 1 SGB XII) soziokulturelle Existenzminimum zur Verfügung steht (Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 36). Konsequenterweise ist eine entsprechende soziale Vergünstigung (kostenfreie Wertmarke) bzw die Deckung eines entsprechenden Bedarfs bei Schwer- oder Gehbehinderung grundsätzlich kein Regelungsgegenstand der existenzsichernden Systeme nach dem SGB II und SGB XII (vgl zum SGB II etwa BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 29/09 R - BSGE 105, 279 = SozR 4-1100 Art 1 Nr 7, RdNr 39; BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 24). Der Gesetzgeber hat vielmehr im Rahmen der Nr 2 nur bestimmte Gruppen von Leistungsbeziehern nach dem SGB XII, SGB II und BVG in den Befreiungstatbestand des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX aufgenommen. Dementsprechend ist insoweit die Zuordnung von Freifahrtberechtigten nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX zu diesen Systemen der öffentlichen Fürsorge von entscheidender Bedeutung.

49

Dem System des SGB XII sind dabei nicht nur Personen zuzurechnen, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen in unmittelbarer Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII beziehen, sondern auch Personen, die diese Leistungen (nur) in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften erhalten, aber materiell-rechtlich weitgehend Sozialhilfeempfängern gleichgestellt sind. Anders verhält es sich dagegen mit Personen, deren laufender Lebensunterhalt durch eigene Mittel oder ein anderes Sicherungssystem gewährleistet wird. Bei diesem sieht der Gesetzgeber ersichtlich keine Veranlassung für eine Befreiung vom Eigenanteil nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX. Im Fall der Zuordnung zu einem anderen Sicherungssystem geht er nachvollziehbar davon aus, dass ein etwa erforderlicher Ausgleich - zB durch Erstattung des Eigenanteils - ggf im Rahmen dieses Systems erfolgen kann.

50

Auf die "Zweckidentität" einer Leistung hinsichtlich der Gewährleistung des Existenzminimums kommt es mithin bei der Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" nicht entscheidend an, vielmehr auf die Zuordnung eines Personenkreises zum "System des Sozialhilferechts". Folglich hält es der Senat aus systematischen Gründen für notwendig, dass es sich dabei nicht nur um Leistungen handelt, die zumindest in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden, sondern auch um Leistungsbezieher, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen, also nicht unbedingt formal, aber materiell-rechtlich dem "System des Sozialhilferechts" zugewiesen sind.

51

Der Senat verkennt nicht, dass bei einer solchen Auslegung der ausdrücklichen Nennung der Bezieher von ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt iS des § 27a BVG in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Var 4 SGB IX kaum eigenständige Bedeutung zukommt, da nach § 27a Satz 2 BVG bereits eine entsprechende Anwendung der Regelungen des Dritten Kapitels des SGB XII unter Berücksichtigung der besonderen Lage der Beschädigten und Hinterbliebenen vorgesehen ist. Gerade im Zusammenhang mit der Begünstigung der Leistungsbezieher nach § 27d BVG kann die Nennung des § 27a BVG immerhin eine sinnvolle Klarstellung bedeuten, zumal eine Gleichstellung des von § 27a BVG erfassten Personenkreises - auch im Hinblick auf die angeordnete Berücksichtigung der besonderen Lage der Betroffenen - zweifelhaft seien könnte.

52

(d) Ein weites Begriffsverständnis entspricht auch am ehesten dem Sinn und Zweck des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX.

53

Durch die jetzt in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX vorgesehene soziale Vergünstigung sollen - wie schon seit Einführung des Eigenanteils bei der ermäßigten Beförderung eines Kreises schwerbehinderter Menschen im Jahre 1984(vgl § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SchwbG idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) - die "Belange typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtsberechtigter" berücksichtigt werden (BT-Drucks 10/335 S 89; vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34). Dabei ist es ein Anliegen des Gesetzgebers, "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40). Durch die Anknüpfung ua an den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII macht der Gesetzgeber die Befreiung vom Unterschreiten einer Einkommensgrenze abhängig, die sich aus dem System des Sozialhilferechts (11. Kap SGB XII) ergibt (vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34). Bei dieser Zweckrichtung macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob die für den Lebensunterhalt laufenden Leistungen in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden.

54

Hierbei ist auch das weitere Ziel des Gesetzgebers zu berücksichtigen, die verwaltungspraktische Arbeit der zuständigen Behörden dadurch zu erleichtern, dass die Hilfebedürftigkeit des Berechtigten bereits durch andere Träger - mittels Verwaltungsakt - festgestellt worden ist (vgl BT-Drucks 10/335 S 89; vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 35). Dieser hatte insoweit offensichtlich das sozialhilferechtliche Verwaltungsverfahren vor Augen. Nicht nur aus systematischen Gründen, sondern auch im Hinblick auf diese Zweckrichtung liegt es nahe, ein weites Verständnis des Befreiungstatbestands auf Leistungsbezieher zu beschränken, die - auch verfahrensmäßig - Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen.

55

(e) Auch mit Rücksicht auf höherrangiges Recht ist das vom Senat für zutreffend gehaltene Verständnis des Befreiungstatbestands nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX angebracht.

56

Das BSG hat bereits entschieden, dass die Umwandlung von einer unentgeltlichen Freifahrt in eine "Freifahrt" mit Kostenbeteiligung den Gesetzgeber nicht berechtigt, in unbeschränktem Ermessen Personenkreise von der Kostenbeteiligung auszunehmen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet es vielmehr, den begünstigten Personenkreis nach sachgemäßen Erwägungen zu bestimmen (BVerfGE 39, 148, 153). Allgemein ist Art 3 Abs 1 GG verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art oder solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl BVerfG Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86, 50/87 und 1 BvR 873/90, 761/91 - BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7; BVerfG Beschluss vom 8.4.1998 - 1 BvL 16/90 - BVerfGE 98, 1, 12 = SozR 3-5755 Art 2 § 27 Nr 1 S 5). Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der sozialen Vergünstigung iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX gilt als Maßstab das Willkürverbot(vgl BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 30 ff, 36; BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1).

57

Diesen Vorgaben wird eine Auslegung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX am ehesten gerecht, die auch Personen erfasst, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII erhalten, und Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen. Maßgebend für die sachliche Rechtfertigung einer Gleich- oder Ungleichbehandlung ist es danach, ob die betreffende Person dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe zuzuordnen ist.

58

(2) Zur Auslegung des Begriffs "erhalten" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX hat der erkennende Senat bereits die möglichen Deutungen und die in anderen Rechtsgebieten vertretenen Auffassungen dargelegt; danach kann unter diesem Begriff sowohl der faktische Bezug einer Leistung zu verstehen sein als auch das Empfangen der Leistung durch den sachlich-rechtlichen Inhaber der Forderung (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 18 mwN). Der Senat ist der Auffassung, dass bei § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX eine dem engeren Wortsinn entsprechende Auslegung vorzugswürdig ist, nach der es allein auf den tatsächlichen Zufluss der Leistungen ankommt(so auch Vogl in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 145 RdNr 46). Hierfür spricht maßgeblich die nach den Gesetzesmaterialien zur insoweit inhaltsgleichen Vorläufervorschrift des § 57 Abs 1 Nr 2 SchwbG(idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) vom Gesetzgeber gewollte Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens. Danach sollen die Belange typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtsberechtigter berücksichtigt werden, "ohne dass die Versorgungsämter die Höhe des Einkommens im einzelnen prüfen müssen". Über die Befreiung von der Kostenbeteiligung soll nach Vorlage eines Bescheids entschieden werden, "aus dem hervorgeht, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung die genannten Leistungen bezogen werden" (BT-Drucks 10/335 S 89).

59

dd) Gemessen an diesen Kriterien werden die vom Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 27 ff SGB XII bezogenen Leistungen von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX erfasst. Unerheblich ist hierbei, ob der Kläger auch einen materiell-rechtlichen Anspruch auf diese Leistungen hatte, da es im Rahmen des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX allein auf den tatsächlichen Zufluss der Leistungen ankommt. Ferner ergibt sich ein gesetzlicher Ausschluss des Klägers von der sozialen Vergünstigung iS des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB XII weder unmittelbar noch mittelbar aus § 9 Abs 1 AsylbLG (1). Die vom Kläger bezogenen Leistungen werden in entsprechender Anwendung des Dritten Kapitels des SGB XII gewährt (2), und zwar an Personen, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen (3).

60

(1) Nach § 9 Abs 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte keine Leistungen nach dem SGB XII oder vergleichbaren Landesgesetzen, wobei als Leistungsberechtigte dieser Vorschrift nach allgemeiner Meinung alle Berechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG zählen, also sowohl Bezieher von sog Grundleistungen(§§ 3 ff AsylbLG) als auch Analog-Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG(vgl Hohm in AsylbLG, Stand Juli 2011, § 9 RdNr 5; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand Mai 2011, § 9 AsylbLG RdNr 7).

61

Entgegen der Auffassung des LSG und der Beklagten ergibt sich nicht bereits aus dem Wortlaut des § 9 Abs 1 AsylbLG, dass Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG von der in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX vorgesehenen Vergünstigung ausgeschlossen sind (a). Hierfür sprechen auch nicht die Entstehungsgeschichte (b), der systematische Zusammenhang (c) oder der Sinn und Zweck der Vorschrift (d).

62

(a) Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich nicht zwangsläufig eine übereinstimmende Bedeutung der Begriffe "Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" iS des § 9 Abs 1 Alt 1 AsylbLG und "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX. Dem letztgenannten Begriff kommt im Rahmen der sozialen Vergünstigung bei der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im Personenverkehr eine weitergehende Bedeutung zu. Er umfasst auch Leistungen, die ihren Rechtsgrund nicht (allein) im SGB XII haben, sondern in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII an Personen gewährt werden, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen. Die Zweckrichtung der Vorschrift kann insoweit zu einem Begriffsverständnis führen, das von der in anderem gesetzlichen Zusammenhang entwickelten Auslegung abweicht.

63

(b) § 9 AsylbLG ist mit Einführung des AsylbLG am 1.11.1993 in Kraft getreten (BGBl I 1074) und regelt seither das Verhältnis dieses Leistungsgesetzes zu anderen gesetzlichen Vorschriften (vgl BT-Drucks 12/4451 S 10 zu der im ersten Gesetzentwurf ursprünglich als § 8 vorgesehenen Regelung und BT-Drucks 13/2746 S 17 zu § 9). Denn bei dem AsylbLG handelt es sich um ein besonderes Sicherungssystem, das aus dem Asylkompromiss 1992 heraus entstanden ist und eigenständige, abschließende Regelungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für einen eng begrenzten Personenkreis von Ausländern enthält (vgl BT-Drucks 12/4451 S 5; BT-Drucks 15/1516 S 52 zu § 7 SGB II). Nach dem ursprünglichen Wortlaut sah § 9 Abs 1 AsylbLG vor, dass Leistungsberechtigte keine Leistungen nach dem BSHG oder vergleichbaren Landesgesetzen erhalten; dieser Wortlaut ist durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) zum 1.1.2005 lediglich redaktionell angepasst worden (Groth in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 9 AsylbLG RdNr 3).

64

Es ergeben sich weder aus den Gesetzmaterialen zur Einführung und zu späteren Änderungen der Beteiligung Berechtigter an den Kosten für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr nach dem SchwbG bzw dem SGB IX noch aus den Vorgängen zu § 9 AsylbLG (und dem AsylbLG insgesamt) hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff "Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" in § 9 Abs 1 AsylbLG und § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX übereinstimmend verstanden wissen und damit ausnahmslos alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG (mittelbar) von der sozialen Vergünstigung nach dem SGB IX ausschließen wollte.

65

Mit Einführung der Kostenbeteiligung im Jahr 1984 durch § 57 Abs 1 SchwbG(idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) waren auch bedürftige Ausländer von der Entrichtung des Eigenanteils iS des § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 Alt 2 SGB IX befreit, soweit sie zur Sicherung des Lebensunterhalts Leistungen der öffentlichen Fürsorge in Anspruch genommen haben. Denn sie hatten im Rahmen der Sozialhilfe ausnahmslos einen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG (§ 120 Abs 1 und 2 BSHG idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532); dies galt auch für Asylbewerber (vgl BT-Drucks 12/4451 S 5). Die Einführung des AsylbLG zum 1.11.1993 hatte im Hinblick auf den Mindestunterhalt während des Asylverfahrens eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen nach § 120 Abs 2 BSHG(idF bis zum 30.10.1993, BGBl I 1991, 94, 808; BGBl I 1993, 278) und einen Vorrang der Sachleistungsgewährung zum Ziel, um das Leistungsrecht dem Ausländer- und Asylrecht anzupassen (vgl BT-Drucks 12/4451 S 4). Den Materialien ist nicht zu entnehmen, dass sich dieser Systemwechsel auch auf die Rechtstellung des Personenkreises nach § 1 Abs 1 AsylbLG(idF vom 30.6.1993, BGBl I 1074) im Schwerbehindertenrecht, namentlich im Rahmen des damals geltenden § 59 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG(idF vom 21.6.1991, BGBl I 1310), auswirken sollte. Insbesondere kann nicht ohne Weiteres auf eine übereinstimmende Verwendung des Begriffs "Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz" in § 9 AsylbLG und § 59 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG geschlossen werden. Vielmehr sollte die Formulierung in § 9 Abs 1 AsylbLG (lediglich) im Verhältnis zum Sozialhilferecht festlegen, dass Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG weder Leistungen nach dem BSHG oder vergleichbaren Landesgesetzen zustehen(BT-Drucks 12/4451 S 10).

66

Ein gewichtiges Argument für einen übereinstimmenden Wortsinn ist es zwar, dass der Gesetzgeber seit Inkrafttreten des AsylbLG die Regelung des § 59 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG bzw § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX trotz deren häufigen redaktionellen Änderungen nicht ausdrücklich zumindest auf einen Teil der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG(§ 2 Abs 1 AsylbLG) erstreckt hat. Daraus könnte man folgern, dass ein an sich regelungsbedürftiger Anspruch bewusst nicht gewährt werden sollte (sog "beredtes Schweigen"). Hiergegen spricht wiederum die weitere Entwicklung des Asylbewerberleistungsrechts. Denn der Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG ist im Laufe der Jahre mehrmals geändert worden, ohne dass sich der Gesetzgeber mit den Auswirkungen auf das Schwerbehindertenrecht nachvollziehbar auseinandergesetzt hat.

67

Dies gilt insbesondere für das Erste Änderungsgesetz des AsylbLG vom 26.5.1997 (BGBl I 1130). Mit ihm ist der Gedanke der Kosteneinsparung durch Einführung der sog Vorbezugszeit iS des § 2 Abs 1 AsylbLG in den Vordergrund getreten(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 21; BT-Drucks 17/3660 S 5) und die Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs iS des § 1 Abs 1 AsylbLG ua auf Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge einhergegangen(vgl § 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG idF vom 5.8.1997, BGBl I 1130), die ursprünglich nach dem Asylkompromiss 1992 ausdrücklich ausgenommen gewesen sind (vgl BT-Drucks 12/5008 S 13). Im Gesetzgebungsverfahren sind zwar auf Länderseite den Mehrkosten im Sozialhilfewesen durch eine Begrenzung der Arbeitslosenhilfe und durch die finanzielle Verantwortung für die unentgeltliche Beförderung ua von Schwerbehinderten im Personenverkehr Einsparungen durch die Änderungen des AsylbLG gegenübergestellt worden (vgl BT-Drucks 13/3475 S 3). Mögliche Auswirkungen der inhaltlichen Änderungen des AsylbLG auf die Rechtstellung der Betroffenen im Schwerbehindertenrecht und insbesondere bei der unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr werden jedoch in den vorliegenden Gesetzesmaterialien (ua BT-Drucks 13/2746, Erstentwurf vom 24.10.1995; BT-Drucks 13/3475, Entwurf der Bundesregierung vom 12.1.1996; BT-Drucks 13/3720, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit vom 7.2.1996; BT-Drucks 13/7510, Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 23.4.1997) an keiner Stelle erörtert, obwohl dies bei einer gemeinsamen Behandlung dieser Regelungsgegenstände nahe gelegen hätte.

68

Entsprechendes gilt auch für die Änderungen und Anpassungen des persönlichen Anwendungsbereichs (§ 1 Abs 1 AsylbLG) an das neue Asyl- und Aufenthaltsrecht mit der Einführung des AufenthG, das mit Wirkung zum 1.1.2005 das Ausländergesetz abgelöst hat (vgl Art 8 Nr 1 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004, BGBl I 1950). Mit dem Zuwanderungsgesetz 2004 ist zum einen ein Teil der bis dahin regelmäßig nach dem AsylbLG Leistungsberechtigten wegen europa- und völkerrechtlich vorgegebener Mindeststandards bei der Gewährung von Fürsorgeleistungen (vgl Art 28 Abs 1 Richtlinie 2004/83/EG , ABl.EU L 304 vom 30.9.2004 und Art 23 Genfer Flüchtlingskommission, BGBl II 1953, 559) aus dem persönlichen Anwendungsbereich des AsylbLG herausgenommen worden (vgl hierzu ausführlich Frerichs in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 1 AsylbLG RdNr 42 f, 56-58, 71 ff, 73; vgl auch BT-Drucks 15/420 S 61). Zum anderen sind Inhaber bestimmter Aufenthaltstitel (Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs 3 und 4 AuslG), die zuvor leistungsberechtigt nach dem BSHG gewesen sind, durch die Überführung ihres Titels in eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG(vgl § 101 Abs 2 AufenthG)erstmals in den Anwendungsbereich des AsylbLG (§ 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG) einbezogen worden (vgl Frerichs, aaO, § 1 AsylbLG RdNr 95 f). Gleichwohl werden in den Gesetzesmaterialien die Änderungen des § 1 Abs 1 AsylbLG nicht näher erläutert, auch nicht im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf das Schwerbehindertenrecht(BT-Drucks 15/420 S 120 f).

69

(c) Systematisch regelt § 9 Abs 1 AsylbLG nach Art einer Konkurrenznorm das Verhältnis des AsylbLG als abgeschlossenes Leistungssystem zu anderen Leistungsgesetzen. Er legt ausdrücklich fest, dass Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG weder Leistungen nach dem Sozialhilferecht (SGB XII) noch nach vergleichbaren Landesgesetzen, wie etwa Landesblinden- oder Landespflegegeldleistungen, zustehen (so die Gesetzesbegründung vom 2.3.1993 zum inhaltsgleichen § 8 Abs 1 des ersten Gesetzesentwurfs, BT-Drucks 12/4451 S 10; vgl jüngst etwa zum Landesblindengeld NRW OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 17.6.2011 - 12 A 1011/10 - juris). Die Vorschrift korrespondiert insoweit mit § 23 Abs 2 SGB XII, derzufolge Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG keine Leistungen der Sozialhilfe erhalten, und mit § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II(vgl hierzu BSG Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 66/08 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 14; zur Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 24/07 R - BSGE 102, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 10; BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 40/07 R - juris). Über seinen leistungsausschließenden Charakter hinaus, stellt die Vorschrift klar, dass es sich bei den Leistungen nach diesem Gesetz, auch bei denjenigen nach § 2 Abs 1 AsylbLG, ihrem Rechtsgrund nach um Leistungen nach dem AsylbLG handelt(vgl BT-Drucks 12/5008 S 15 zu der im Entwurf als § 1a AsylbLG vorgesehenen Regelung; vgl auch Hohm, AsylbLG, Stand Juli 2011, § 9 RdNr 5; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand Mai 2011, § 9 AsylbLG RdNr 8; Groth in jurisPK-SGB XII, § 9 AsylbLG RdNr 17).

70

Die Reichweite des § 9 Abs 1 AsylbLG ist systematisch aber auf das Verhältnis von AsylbLG und SGB XII (und vergleichbaren Ländergesetzen) begrenzt und erstreckt sich gemäß § 9 Abs 2 AsylbLG grundsätzlich nicht auf das Aufgaben- und Leistungsprogramm anderer Leistungsträger(vgl BVerwG Urteil vom 24.6.1999 - 5 C 24/98 - BVerwGE 109, 155 - juris RdNr 30 ). Für die Mobilitätsförderung nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX selbst ist dies offensichtlich; von einem Ausschluss des Klägers von diesem Nachteilsausgleich geht auch die Beklagte nicht aus. Aus dieser Systematik folgt zugleich, dass die Bedeutung der Begriffe "Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" in § 9 Abs 1 AsylbLG und "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX nicht übereinstimmen muss. Bemerkenswert sind insoweit die Gesetzesmaterialien zur Einführung des § 9 Abs 2 AsylbLG. Danach können Leistungen anderer Leistungsträger nicht unter Hinweis auf Leistungen nach dem AsylbLG eingeschränkt werden, "sofern dies nicht ausdrücklich im Rahmen von Einkommensvoraussetzungen vorgesehen ist" (BT-Drucks 12/4451 S 10 zu § 8). Zumindest eine ausdrückliche Einschränkung enthält § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX für Leistungsbezieher nach dem AsylbLG nicht. Da das AsylbLG als eigenständiges Leistungssystem nicht in das SGB eingegliedert und kein besonderer Teil iS des § 68 SGB I ist(vgl Herbst in Mergler/Zink, SGB XII/AsylbLG, Einführung zum AsylbLG RdNr 12), lässt sich auch nicht mit einer übereinstimmenden Bedeutung der Begriffe innerhalb des SGB argumentieren.

71

(d) Der Gesetzgeber hat die durch § 9 Abs 1 AsylbLG klar zum Ausdruck kommende Abgrenzung dieses Leistungssystems vom Recht der Sozialhilfe(vgl dazu auch § 23 Abs 2 SGB XII) als notwendig erachtet, um bei der Leistungsgewährung nach dem AsylbLG von grundlegenden Prinzipien des Sozialhilferechts, insbesondere vom Individualisierungsgrundsatz, abweichen zu können (vgl BT-Drucks 12/4451 S 5 zu Nr 2; vgl auch Kunkel, NVwZ 1994, 352, 353; zum Abschied von den sog Strukturprinzipien der Sozialhilfe, die vom BVerwG entwickelt worden sind, vgl insb BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 5/07 R - SozR 4-3520 § 9 Nr 1 RdNr 14 unter Hinweis auf Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, Vor § 1 RdNr 4 f, 8 f). Die Leistungen an Asylbewerber zur Deckung ihres Lebensunterhalts sollten außerhalb des BSHG "vereinfacht und auf die Bedürfnisse eines hier in aller Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthaltes" ausgerichtet werden. Nach der zuvor geltenden Rechtslage (§ 120 Abs 2 BSHG) war die Einschränkung der Leistungen auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche nur aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalles zulässig (BT-Drucks 12/4451 S 5 zu Nr 2 unter Hinweis auf BVerwG Urteil vom 26.8.1991 - 5 C 61.88 - BVerwGE 89, 87 ff).

72

Der Beklagten ist insoweit einzuräumen, dass die Herausnahme der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG aus dem Kreis der Sozialhilfebezieher ein bewusster Schritt der Schlechterstellung gegenüber denjenigen Personen darstellt, die unmittelbar anspruchsberechtigt nach dem BSHG waren bzw heute nach dem SGB XII sind. Nicht beantwortet hat sie aber die entscheidende Frage, ob hieraus auch auf eine bewusste Schlechterstellung dieses Personenkreises im Schwerbehindertenrecht geschlossen werden kann. Dies wäre bei einem übereinstimmenden Wortsinn der "Leistungen nach dem SGB XII" iS des § 9 Abs 1 AsylbLG und der "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX der Fall. Der Senat verneint diese Frage. Denn § 9 Abs 1 Alt 1 AsylbLG - und Entsprechendes gilt für § 23 Abs 2 SGB XII - ist nicht nur systematisch, sondern auch nach seinem Sinn und Zweck vornehmlich als Vorschrift betreffend die Gesetzeskonkurrenz im Bereich der Existenz sichernden Leistungen (SGB XII, AsylbLG) zu verstehen. Er stellt lediglich klar, dass Berechtigten nach § 1 AsylbLG über die Asylbewerberleistungen hinaus keine (weiteren) Existenz sichernden Leistungen der Sozialhilfe zustehen. Die gewollte Schlechterstellung dieser Personen gegenüber Leistungsberechtigten nach dem Recht der Sozialhilfe, lässt deren Rechtstellung im SGB IX unberührt. Durch das Schwerbehindertenrecht sollen nämlich alle Menschen mit Behinderungen - grundsätzlich unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status - durch einen möglichst weitgehenden Ausgleich ihrer Behinderung in die Gesellschaft integriert werden (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 2/09 R - BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 69 Nr 11, RdNr 31). Dies gilt nach Auffassung des Senats auch für die soziale Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX.

73

(2) Die Leistungen, die der Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 27 ff SGB XII erhalten hat, werden in entsprechender Anwendung des Dritten Kapitels des SGB XII gewährt. Denn nach § 2 Abs 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf einen bestimmten Kreis der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG entsprechend anzuwenden. Hierbei kann die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob § 2 Abs 1 AsylbLG eine Rechtsfolgenverweisung(vgl hierzu ausführlich Hohm in AsylbLG, Stand Juli 2011, § 2 RdNr 94 ff mwN) oder eine Rechtsgrundverweisung auf § 23 SGB XII(so Decker in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Juni 2011, § 2 AsylbLG RdNr 37 ff, 41 mwN; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII - AsylbLG, Stand Januar 2011, § 2 RdNr 40) enthält, unbeantwortet bleiben (ebenfalls offen gelassen durch BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 21 und BSG Urteil vom 9.6.2011 - B 8 AY 1/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR RdNr 14 f; zur praktischen Bedeutung dieses Streits vgl auch Oppermann in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 2 AsylbLG RdNr 108).

74

Es handelt sich zwar in der Rechtsfolge des § 2 Abs 1 AsylbLG um eine sog Analogieverweisung(vgl hierzu Handbuch der Rechtsförmlichkeit, herausgegeben vom BMJ, 3. Aufl 2008, RdNr 232), bei der der Bezugstext - das SGB XII - nicht wörtlich mitgelesen werden kann und nur eine "entsprechende" und ggf eine nach der Regelungsmaterie des AsylbLG abweichende Anwendung findet (zur entsprechenden Anwendung des SGB XII iS des § 2 Abs 1 AsylbLG vgl Hohm, aaO, § 2 RdNr 101 ff). Die Leistungen bestimmen sich jedoch grundsätzlich nach den näheren Leistungsvoraussetzungen, den Bestimmungen über Art, Form und Maß der Leistung und den einzelnen Verfahrensregelungen des Sozialhilferechts (vgl BT-Drucks 12/5008 S 15). Es gelten die - auch für die soziale Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX maßgeblichen - Einkommens- und Vermögensgrenzen des SGB XII, da die asylbewerberleistungsrechtliche Vorschrift über zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen(§ 7 AsylbLG) gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG ("abweichend von den §§ 3 bis 7" AsylbLG) nicht anzuwenden ist(vgl auch Herbst, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 39; Hohm, aaO, § 2 RdNr 105 mwN). Ungeachtet des Streits über die Art der Verweisung besteht nach ganz herrschender Meinung jedenfalls im Hinblick auf die Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt Einigkeit darüber, dass die Regelungen über diese Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG heranzuziehen sind(vgl Hohm, aaO, § 2 RdNr 185 f; Decker, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 53; Herbst, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 42; Oppermann, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 121 f).

75

(3) Die Bezieher von Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm den Vorschriften des SGB XII stehen zudem - wie von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX vorausgesetzt - den Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleich. Der Gesetzgeber mag die (in § 9 Abs 1 AsylbLG und § 23 Abs 2 SGB XII zum Ausdruck kommende) klare Abgrenzung der Leistungssysteme (SGB XII/AsylbLG) aus systematischen Gründen als notwendig erachtet haben. Materiell-rechtlich sind Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG jedoch dem "System der Sozialhilfe" zugewiesen. Auch hierbei kann der Streit über die Art der Verweisung in § 2 Abs 1 AsylbLG unentschieden bleiben. Selbst wenn diese allein als Verweisung auf § 23 SGB XII zu verstehen wäre(so Decker in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Juni 2011, § 2 AsylbLG RdNr 37 ff, 41 mwN; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII - AsylbLG, Stand Januar 2011, § 2 RdNr 40), steht der berechtigte Personenkreis Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleich. § 23 SGB XII regelt, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Ausländer Sozialhilfe beziehen können. Die Vorschrift sieht für diesen Personenkreis zwar nur einen reduzierten Leistungskatalog vor. Nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII sind aber als Pflichtleistung die Hilfe zum Lebensunterhalt(§§ 27 ff SGB XII), die Hilfe bei Krankheit (§ 48 SGB XII), die Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§ 50 SGB XII) sowie die Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff SGB XII) auf sozialhilferechtlichem Niveau vorgesehen. Entsprechendes gilt für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (§§ 41 bis 46 SGB XII), da diese Regelungen nach § 23 Abs 1 Satz 2 SGB XII unberührt bleiben. Die Erbringung der übrigen Sozialhilfeleistungen liegt einzelfallbezogen im Ermessen der Behörde (§ 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII).

76

Zwar erstreckt sich der Rechtsanspruch damit grundsätzlich nicht auf die Leistungen der übrigen Kapitel des SGB XII, insbesondere nicht auf die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 bis 60 SGB XII). Dieser sozialhilferechtliche Regelausschluss ist aber für die soziale Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX ohne Belang. Zum einen sind auch Leistungsberechtigte nach § 23 Abs 1 SGB XII, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII beziehen, nach dieser Vorschrift von der Entrichtung des Eigenanteils befreit. Zum anderen führt der Erhalt der Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII allein noch nicht zu der Kostenbefreiung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX.

77

Aus den Besonderheiten des AsylbLG ergibt sich keine andere Bewertung. Vielmehr verbindet auch der Gesetzgeber mit der Anspruchsberechtigung nach § 2 Abs 1 AsylbLG "eine weitgehende Angleichung des Leistungsrechts an das Sozialhilferecht", weil bei einem längeren Zeitraum des Aufenthaltes und - mangels Entscheidung (über den Asylantrag) - noch nicht absehbarer weiterer Dauer nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden könne, der bei einem in der Regel nur vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland entstehe. Insbesondere seien nunmehr Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse und auf bessere soziale Integration gerichtet seien (BT-Drucks 12/5008 S 15 zu der im Entwurf als § 1a AsylbLG vorgesehenen Regelung). Im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 AsylbLG ging diese Integrationskomponente allerdings in der endgültigen Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 26.5.1997 (BGBl I 1130) weitgehend verloren. In den Vordergrund trat der Gedanke der Kosteneinsparung, wie er sich an der Leistungsvoraussetzung eines 36 Monate währenden Leistungsbezugs nach §§ 3 ff AsylbLG (sog Vorbezugszeit) zeigt(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 21 unter Bezugnahme auf den Ausschussbericht vom 7.2.1996, BT-Drucks 13/3728 S 3).

78

Auch bei der Anhebung der Vorbezugszeit iS des § 2 Abs 1 AsylbLG auf 48 Monate mit Wirkung ab 28.8.2007 (Art 6 Abs 2 Nr 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 - BGBl I 1970) spielte die Integrationskomponente keine wesentliche Rolle (vgl BSG, aaO, RdNr 23 mwN). Immerhin kommt in den Materialien zum Ausdruck, nach einem Voraufenthalt von vier Jahren könne davon ausgegangen werden, dass eine Aufenthaltsperspektive entstanden sei, die es gebiete, Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine "bessere soziale Integration" gerichtet seien (vgl BT-Drucks 16/5065 S 232 zu Nr 2). Hieraus ergibt sich jedenfalls für die Rechtsfolge des § 2 Abs 1 AsylbLG, dass der Gesetzgeber sein ursprüngliches Anliegen "einer weitgehenden Angleichung des Leistungsrechts an das Sozialhilferecht" nicht aufgegeben hat. Auf die wegen der entsprechenden Anwendung des SGB XII im Detail gegebenenfalls abweichende Leistungsgewährung nach § 2 Abs 1 AsylbLG(vgl hierzu ausführlich Hohm, aaO, § 2 RdNr 110 ff) kommt es nach Auffassung des Senats insoweit nicht entscheidend an.

79

c) Die Beklagte war nach alledem gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX verpflichtet, an den Kläger eine für ein Jahr gültige Wertmarke - hier für den Zeitraum von September 2009 bis August 2010 - kostenlos, also ohne Entrichtung des Eigenanteils nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX, auszugeben. Der angefochtene Verwaltungsakt ist insoweit rechtswidrig und aufzuheben. Zudem hat die Beklagte dem Kläger den rechtsgrundlos erhaltenen Betrag in Höhe von 60 Euro zu erstatten.

80

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Hilfsmerkmale sind

1.
Name und Anschrift des Auskunftspflichtigen,
2.
Name, Telefonnummer und E-Mail-Adresse der für eventuelle Rückfragen zur Verfügung stehenden Person,
3.
für die Erhebung nach § 143 Nummer 1 die Kennnummer des Leistungsberechtigten.

(2) Die Kennnummern nach Absatz 1 Nummer 3 dienen der Prüfung der Richtigkeit der Statistik und der Fortschreibung der jeweils letzten Bestandserhebung. Sie enthalten keine Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Leistungsberechtigten und sind zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens nach Abschluss der wiederkehrenden Bestandserhebung, zu löschen.

(1) Leistungsberechtigte nach § 1 erhalten Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf).

(2) Bei einer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen im Sinne von § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes wird der notwendige Bedarf durch Sachleistungen gedeckt. Kann Kleidung nicht geleistet werden, so kann sie in Form von Wertgutscheinen oder anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen gewährt werden. Gebrauchsgüter des Haushalts können leihweise zur Verfügung gestellt werden. Der notwendige persönliche Bedarf soll durch Sachleistungen gedeckt werden, soweit dies mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich ist. Sind Sachleistungen für den notwendigen persönlichen Bedarf nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich, können auch Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen gewährt werden.

(3) Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes sind vorbehaltlich des Satzes 3 vorrangig Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs zu gewähren. Anstelle der Geldleistungen können, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, zur Deckung des notwendigen Bedarfs Leistungen in Form von unbaren Abrechnungen, von Wertgutscheinen oder von Sachleistungen gewährt werden. Der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat sowie für Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie wird, soweit notwendig und angemessen, gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht. Absatz 2 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden. Der notwendige persönliche Bedarf ist vorbehaltlich des Satzes 6 durch Geldleistungen zu decken. In Gemeinschaftsunterkünften im Sinne von § 53 des Asylgesetzes kann der notwendige persönliche Bedarf soweit wie möglich auch durch Sachleistungen gedeckt werden.

(4) Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft werden bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben den Leistungen nach den Absätzen 1 bis 3 entsprechend den §§ 34, 34a und 34b des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gesondert berücksichtigt. Die Regelung des § 141 Absatz 5 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend.

(5) Leistungen in Geld oder Geldeswert sollen der oder dem Leistungsberechtigten oder einem volljährigen berechtigten Mitglied des Haushalts persönlich ausgehändigt werden. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht; dabei wird der Monat mit 30 Tagen berechnet. Geldleistungen dürfen längstens einen Monat im Voraus erbracht werden. Von Satz 3 kann nicht durch Landesrecht abgewichen werden.

(6) (weggefallen)

(1) Abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 sind das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch und Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Sonderregelungen für Auszubildende nach § 22 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch finden dabei jedoch keine Anwendung auf

1.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 3 und 4 in einer nach den §§ 51, 57 und 58 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung sowie
2.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 3 und 4 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung, deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten.
Bei Leistungsberechtigten nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung gilt anstelle des § 22 Absatz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, dass die zuständige Behörde Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch als Beihilfe oder als Darlehen gewährt. § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a, 40 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch findet auf Leistungsberechtigte nach Satz 1 mit den Maßgaben entsprechende Anwendung, dass
1.
bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird;
2.
für jede erwachsene Person, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unverheiratet ist und mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung im Sinne von § 8 Absatz 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes zusammenlebt, ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 anerkannt wird.

(2) Bei der Unterbringung von Leistungsberechtigten nach Absatz 1 in einer Gemeinschaftsunterkunft bestimmt die zuständige Behörde die Form der Leistung auf Grund der örtlichen Umstände.

(3) Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, erhalten Leistungen nach Absatz 1 auch dann, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Absatz 1 erhält.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.

(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Ist eine Vertretung durch Anwälte vorgeschrieben, wird der Partei ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet.

(2) Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.

(3) Ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt kann nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen.

(4) Wenn besondere Umstände dies erfordern, kann der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet werden.

(5) Findet die Partei keinen zur Vertretung bereiten Anwalt, ordnet der Vorsitzende ihr auf Antrag einen Rechtsanwalt bei.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Das Bundessozialgericht hat zu prüfen, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision als unzulässig zu verwerfen. Die Verwerfung ohne mündliche Verhandlung erfolgt durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 27. Juli 2010 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die 1945 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren, 12 557,62 Euro Kosten der am 23.10.2003 wegen Lebermetastasen durchgeführten laserinduzierten Thermotherapie (LITT) erstattet zu erhalten, bei der Beklagten und dem LSG ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat das der Klage stattgebende SG-Urteil aufgehoben und zur Begründung ua ausgeführt, die Klägerin habe keinen Naturalleistungsanspruch auf die ambulante Behandlung mit der neuen Methode LITT gehabt. Der Bundesausschuss habe nämlich die Methode zum Zeitpunkt der Behandlung nicht positiv empfohlen, wie von § 135 Abs 1 SGB V vorausgesetzt, und die Voraussetzungen eines Systemversagens seien nicht erfüllt gewesen(Hinweis auf BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Auch sei eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts (vgl BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) nicht in Betracht gekommen, da der Klägerin im Behandlungszeitpunkt eine Standardtherapie zur Verfügung gestanden habe, nämlich die auch für sie vorgesehene und dann von ihr nicht in Anspruch genommene Teilresektion der betroffenen Leberlappen (Urteil vom 27.7.2010).

2

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil und beruft sich auf Divergenz und grundsätzliche Bedeutung.

3

II. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 2 und Nr 1 SGG.

4

1. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in dem herangezogenen höchstrichterlichen Urteil andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar seien sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). An der Darlegung eines vom LSG bewusst abweichend von höchstrichterlicher Rechtsprechung aufgestellten Rechtssatzes fehlt es. Die Klägerin deutet im Kern lediglich an, dass das LSG vermeintlich das Recht in Form der vom LSG selbst herangezogenen Entscheidungen des BVerfG und des BSG nicht zutreffend angewendet habe.

5

2. Die Klägerin legt auch den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nicht hinreichend dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwieweit diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 1 ff; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Klägerin richtet ihr Beschwerdevorbringen an diesen Anforderungen nicht aus.

6

           

Die Klägerin formuliert mit folgendem Vorbringen schon keine klare Rechtsfrage:

        

"ob die Behandlungsmethode LITT, bei der es sich um eine 'neue Behandlungsmethode' nach § 92 Abs. 2 SGB V i.V.m. § 135 SGB V handelt und es sich dabei auch um eine allgemein anerkannte wissenschaftliche Behandlungsmethode für die Spezifik der Tumorerkrankung, wie sie bei der Beschwerdeführerin gegeben ist, handelt, die Kostentragungspflicht nur deshalb verneint wird, weil diese Methode als 'nicht anerkannte Methode' in die Anlage B der RL zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden … ausgewiesen wird und dies deshalb, weil die vom BMBF geforderte Vergleichsstudie zu LITT objektiv nicht erbringbar ist, auch nicht für die Zukunft."

7

Zudem legt die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit der allenfalls angedeuteten Rechtsfrage nicht hinreichend dar. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt nämlich, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt ist" (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann dennoch klärungsbedürftig sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist. Daran fehlt es. Die Klägerin legt nicht dar, dass trotz der auch vom LSG zitierten BSG-Rechtsprechung (BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12)noch Klärungsbedarf verblieben ist, der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, weil von einer Entscheidung der Rechtssache im Revisionsverfahren in einer die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise die Wahrung, Sicherung oder Herstellung von Rechtseinheit oder die Fortbildung des Rechts erwartet werden kann.

8

           

Nichts anderes gilt im Ergebnis, soweit die Klägerin die Frage formuliert,

        

"ob der Bundesausschuss vom 18. Oktober 2005, der die LITT als Nr 43 als 'nicht anerkannte Methode' in der Anlage B der RL zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-RL) ausweist, rückwirkend zum Nachteil der Beschwerdeführerin anzuwenden, zulässig ist oder nicht, nachdem der Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (Az: 1 BvR 347/98) in seinem Leitsatz auf das Recht abstellt, dass ein gesetzlich Krankenversicherter bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung einen Anspruch auf eine allgemein anerkannte medizinische Behandlungsmethode hat".

9

Es bedarf keiner Vertiefung, ob die Klägerin damit eine Rechtsfrage klar formuliert hat. Jedenfalls legt sie nicht dar, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist. Insbesondere setzt sie sich nicht damit auseinander, dass das LSG in den Gründen seiner Entscheidung gerade nicht auf die am 13.1.2006 in Kraft getretenen Richtlinien abgehoben, sondern darauf verwiesen hat, dass weder die gesetzlichen Voraussetzungen des § 135 Abs 1 SGB V erfüllt sind noch ein Fall grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts gegeben ist, weil für die Klägerin eine allgemeinem Standard entsprechende Behandlungsmethode verfügbar gewesen sei.

10

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG).

11

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

(1) Abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 sind das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch und Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Sonderregelungen für Auszubildende nach § 22 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch finden dabei jedoch keine Anwendung auf

1.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 3 und 4 in einer nach den §§ 51, 57 und 58 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung sowie
2.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 3 und 4 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung, deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten.
Bei Leistungsberechtigten nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung gilt anstelle des § 22 Absatz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, dass die zuständige Behörde Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch als Beihilfe oder als Darlehen gewährt. § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a, 40 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch findet auf Leistungsberechtigte nach Satz 1 mit den Maßgaben entsprechende Anwendung, dass
1.
bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird;
2.
für jede erwachsene Person, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unverheiratet ist und mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung im Sinne von § 8 Absatz 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes zusammenlebt, ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 anerkannt wird.

(2) Bei der Unterbringung von Leistungsberechtigten nach Absatz 1 in einer Gemeinschaftsunterkunft bestimmt die zuständige Behörde die Form der Leistung auf Grund der örtlichen Umstände.

(3) Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, erhalten Leistungen nach Absatz 1 auch dann, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Absatz 1 erhält.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Hilfsmerkmale sind

1.
Name und Anschrift des Auskunftspflichtigen,
2.
Name, Telefonnummer und E-Mail-Adresse der für eventuelle Rückfragen zur Verfügung stehenden Person,
3.
für die Erhebung nach § 143 Nummer 1 die Kennnummer des Leistungsberechtigten.

(2) Die Kennnummern nach Absatz 1 Nummer 3 dienen der Prüfung der Richtigkeit der Statistik und der Fortschreibung der jeweils letzten Bestandserhebung. Sie enthalten keine Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Leistungsberechtigten und sind zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens nach Abschluss der wiederkehrenden Bestandserhebung, zu löschen.

(1) Abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 sind das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch und Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Sonderregelungen für Auszubildende nach § 22 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch finden dabei jedoch keine Anwendung auf

1.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 3 und 4 in einer nach den §§ 51, 57 und 58 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung sowie
2.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 3 und 4 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung, deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten.
Bei Leistungsberechtigten nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung gilt anstelle des § 22 Absatz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, dass die zuständige Behörde Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch als Beihilfe oder als Darlehen gewährt. § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a, 40 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch findet auf Leistungsberechtigte nach Satz 1 mit den Maßgaben entsprechende Anwendung, dass
1.
bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird;
2.
für jede erwachsene Person, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unverheiratet ist und mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung im Sinne von § 8 Absatz 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes zusammenlebt, ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 anerkannt wird.

(2) Bei der Unterbringung von Leistungsberechtigten nach Absatz 1 in einer Gemeinschaftsunterkunft bestimmt die zuständige Behörde die Form der Leistung auf Grund der örtlichen Umstände.

(3) Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, erhalten Leistungen nach Absatz 1 auch dann, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Absatz 1 erhält.

(1) Leistungsberechtigte nach § 1 erhalten Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf).

(2) Bei einer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen im Sinne von § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes wird der notwendige Bedarf durch Sachleistungen gedeckt. Kann Kleidung nicht geleistet werden, so kann sie in Form von Wertgutscheinen oder anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen gewährt werden. Gebrauchsgüter des Haushalts können leihweise zur Verfügung gestellt werden. Der notwendige persönliche Bedarf soll durch Sachleistungen gedeckt werden, soweit dies mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich ist. Sind Sachleistungen für den notwendigen persönlichen Bedarf nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich, können auch Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen gewährt werden.

(3) Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes sind vorbehaltlich des Satzes 3 vorrangig Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs zu gewähren. Anstelle der Geldleistungen können, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, zur Deckung des notwendigen Bedarfs Leistungen in Form von unbaren Abrechnungen, von Wertgutscheinen oder von Sachleistungen gewährt werden. Der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat sowie für Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie wird, soweit notwendig und angemessen, gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht. Absatz 2 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden. Der notwendige persönliche Bedarf ist vorbehaltlich des Satzes 6 durch Geldleistungen zu decken. In Gemeinschaftsunterkünften im Sinne von § 53 des Asylgesetzes kann der notwendige persönliche Bedarf soweit wie möglich auch durch Sachleistungen gedeckt werden.

(4) Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft werden bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben den Leistungen nach den Absätzen 1 bis 3 entsprechend den §§ 34, 34a und 34b des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gesondert berücksichtigt. Die Regelung des § 141 Absatz 5 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend.

(5) Leistungen in Geld oder Geldeswert sollen der oder dem Leistungsberechtigten oder einem volljährigen berechtigten Mitglied des Haushalts persönlich ausgehändigt werden. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht; dabei wird der Monat mit 30 Tagen berechnet. Geldleistungen dürfen längstens einen Monat im Voraus erbracht werden. Von Satz 3 kann nicht durch Landesrecht abgewichen werden.

(6) (weggefallen)

(1) Leistungsberechtigt nach diesem Gesetz sind Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die

1.
eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzen,
1a.
ein Asylgesuch geäußert haben und nicht die in den Nummern 1, 2 bis 5 und 7 genannten Voraussetzungen erfüllen,
2.
über einen Flughafen einreisen wollen und denen die Einreise nicht oder noch nicht gestattet ist,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzen
a)
wegen des Krieges in ihrem Heimatland nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes,
b)
nach § 25 Absatz 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder
c)
nach § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes, sofern die Entscheidung über die Aussetzung ihrer Abschiebung noch nicht 18 Monate zurückliegt,
4.
eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes besitzen,
5.
vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist,
6.
Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder der in den Nummern 1 bis 5 genannten Personen sind, ohne daß sie selbst die dort genannten Voraussetzungen erfüllen,
7.
einen Folgeantrag nach § 71 des Asylgesetzes oder einen Zweitantrag nach § 71a des Asylgesetzes stellen oder
8.
a)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, die ihnen nach dem 24. Februar 2022 und vor dem 1. Juni 2022 erteilt wurde, oder
b)
eine entsprechende Fiktionsbescheinigung nach § 81 Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 3 oder Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes besitzen, die nach dem 24. Februar 2022 und vor dem 1. Juni 2022 ausgestellt wurde,
und bei denen weder eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 49 des Aufenthaltsgesetzes oder nach § 16 des Asylgesetzes durchgeführt worden ist, noch deren Daten nach § 3 Absatz 1 des AZR-Gesetzes gespeichert wurden; das Erfordernis einer erkennungsdienstlichen Behandlung gilt nicht, soweit eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 49 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorgesehen ist.

(2) Die in Absatz 1 bezeichneten Ausländer sind für die Zeit, für die ihnen ein anderer Aufenthaltstitel als die in Absatz 1 Nr. 3 bezeichnete Aufenthaltserlaubnis mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten erteilt worden ist, nicht nach diesem Gesetz leistungsberechtigt.

(3) Die Leistungsberechtigung endet mit der Ausreise oder mit Ablauf des Monats, in dem die Leistungsvoraussetzung entfällt. Für minderjährige Kinder, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen und die mit ihren Eltern in einer Haushaltsgemeinschaft leben, endet die Leistungsberechtigung auch dann, wenn die Leistungsberechtigung eines Elternteils, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzt, entfallen ist.

(3a) Sofern kein Fall des Absatzes 1 Nummer 8 vorliegt, sind Leistungen nach diesem Gesetz mit Ablauf des Monats ausgeschlossen, in dem Leistungsberechtigten, die gemäß § 49 des Aufenthaltsgesetzes erkennungsdienstlich behandelt worden sind und eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes beantragt haben, eine entsprechende Fiktionsbescheinigung nach § 81 Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 3 oder Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes ausgestellt worden ist. Der Ausschluss nach Satz 1 gilt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes. Das Erfordernis einer erkennungsdienstlichen Behandlung in den Sätzen 1 und 2 gilt nicht, soweit eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 49 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorgesehen ist.

(4) Leistungsberechtigte nach Absatz 1 Nummer 5, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von § 1a Absatz 4 Satz 1 internationaler Schutz gewährt worden ist, haben keinen Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz, wenn der internationale Schutz fortbesteht. Hilfebedürftigen Ausländern, die Satz 1 unterfallen, werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von zwei Wochen, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 2. Hierüber und über die Möglichkeit der Leistungen nach Satz 6 sind die Leistungsberechtigten zu unterrichten. Die Überbrückungsleistungen umfassen die Leistungen nach § 1a Absatz 1 und nach § 4 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2. Sie sollen als Sachleistung erbracht werden. Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 2 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen nach den §§ 3, 4 und 6 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von zwei Wochen hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Neben den Überbrückungsleistungen werden auf Antrag auch die angemessenen Kosten der Rückreise übernommen. Satz 7 gilt entsprechend, soweit die Personen allein durch die angemessenen Kosten der Rückreise die in Satz 4 genannten Bedarfe nicht aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken können. Die Leistung ist als Darlehen zu erbringen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch für das Revisionsverfahren die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung des Betrages, den der Kläger für eine an ihn ausgegebene Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Personenverkehr entrichtet hat.

2

Der 1970 geborene Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger; er hält sich nach eigenen Angaben seit 2003 in Deutschland auf und durchlief erfolglos das Asylverfahren. Er leidet seit 2006 an einer koronaren Herzerkrankung und ist aus diesem Grunde reiseunfähig. Im Februar 2009 erhielt der Kläger eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), deren Gültigkeit in der Folgezeit verlängert wurde.

3

Seit Juni 2009 ist der Kläger als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Es sind bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er zumindest seit dem 1.7.2009 durch Leistungen nach § 2 Abs 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) iVm den Vorschriften des SGB XII.

4

Am 2.7.2009 beantragte der Kläger beim Kreis A. die Ausstellung eines Beiblatts mit unentgeltlicher Wertmarke zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger zu keiner der in § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX aufgezählten Personengruppen gehöre; insbesondere beziehe er keine der dort aufgeführten Leistungen (Bescheid vom 20.7.2009). Den Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Münster zurück (Widerspruchsbescheid vom 25.8.2009).

5

Auf die hiergegen am 19.9.2009 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Aachen die ab dem 20.10.2009 an die Stelle des Kreises Aachen getretene Städteregion Aachen (Beklagte) unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung verurteilt, dem Kläger ein Beiblatt mit kostenloser Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr auszustellen (Urteil vom 11.1.2010), weil Leistungsbezieher gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG nach einer am Sinn und Zweck des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX orientierten Auslegung - auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Norm - zu dem wegen Bedürftigkeit von der Entrichtung des Eigenanteils befreiten Personenkreis gehörten.

6

Die Beklagte hat hiergegen beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger seinen Klageantrag im Einvernehmen mit der Beklagten dahingehend geändert, dass er von ihr die Kostenerstattung von 60 Euro begehre, da er sich die ursprünglich beantragte Wertmarke mittlerweile gegen Entrichtung des Eigenanteils selbst beschafft hatte.

7

Das LSG hat die Berufung durch Urteil vom 3.9.2010 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.8.2009 verurteilt wird, dem Kläger 60 Euro zu erstatten. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

8

Dem Kläger stehe ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, da die Beklagte von ihm für die Wertmarke zu Unrecht den Eigenanteil in Höhe von 60 Euro entgegengenommen habe. Der Kläger sei in analoger Anwendung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX von vornherein nicht verpflichtet gewesen, einen Eigenanteil zu leisten. Die Vorschrift sei zwar nach ihrem Wortlaut nicht unmittelbar anzuwenden, auch wenn die dem Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG gewährten Leistungen der Höhe nach ausschließlich nach den Vorschriften des SGB XII bemessen seien. Denn nach § 9 Abs 1 AsylbLG erhielten Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG gerade keine Leistungen nach dem SGB XII, sondern Leistungen nach dem AsylbLG. Mit Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte zur Beteiligung von Schwerbehinderten an den Kosten für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr gemäß § 57 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) aF liege aber eine Regelungslücke vor. Ursprünglich seien einkommensschwache Ausländer nämlich von der Kostenpflicht befreit gewesen, da sie vor Einführung des AsylbLG im Jahre 1993 bei Bedürftigkeit einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gehabt hätten. Auch wenn der Gesetzgeber mit dem AsylbLG eigenständige Regelungen des Unterhalts von Asylbewerbern und gegenüber den Leistungen nach dem BSHG eine deutlich abgesenkte Versorgung während des Asylverfahrens eingeführt habe, lasse sich eine bewusste Beseitigung der Kostenfreiheit gegenüber dem vorher bestehenden Rechtszustand jedenfalls für die Bezieher von sog Analog-Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG aus den Gesetzesmaterialien nicht eindeutig ableiten. Auch könne nicht angenommen werden, der moderne, oft unter Zeitdruck arbeitende Gesetzgeber wolle dieser Personengruppe einen regelungsbedürftigen Anspruch bewusst nicht gewähren, wenn er dazu schweige ("beredtes Schweigen").

9

Für die analoge Anwendung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX spreche zum einen der Normzweck, einkommensschwache Personen von der Kostenbeteiligung zu befreien, weil sie mangels finanzieller Mittel ohnehin auf die finanzielle Hilfe der öffentlichen Hand angewiesen seien. Dies treffe auf schwerbehinderte Bezieher von sog Analog-Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG in genau derselben Weise zu wie auf schwerbehinderte Sozialhilfeempfänger. Zum anderen entspreche diese Rechtsanwendung dem hier aus Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) abzuleitenden Gebot verfassungskonformer Auslegung, da die Umwandlung einer unentgeltlichen Freifahrt in eine Freifahrt mit Kostenbeteiligung den Gesetzgeber nicht berechtige, in unbeschränktem Ermessen Personenkreise von der Kostenbeteiligung auszunehmen. Eine Ungleichbehandlung von mittellosen schwerbehinderten Beziehern von Analog-Leistungen nach dem AsylbLG gegenüber mittellosen schwerbehinderten Beziehern von Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII sei sachlich nicht gerechtfertigt, insbesondere nicht wegen eines nur vorläufigen Aufenthalts der Bezieher von Analog-Leistungen in Deutschland. Einerseits setze der Bezug dieser Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG einen Voraufenthalt von 48 Monaten voraus, andererseits gelte die Wertmarke jeweils nur für ein Jahr. Im Fall des Klägers könne wegen der schweren Herzerkrankung ohnehin nicht von einem nur vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland ausgegangen werden.

10

Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend: Das LSG habe § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX zu Unrecht analog auf den Leistungen nach § 2 AsylbLG beziehenden Kläger angewandt. Die Vorschrift sei abschließend und ihrem Wortlaut nach eindeutig. Bei dem Erwerb der Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr seien insbesondere Bezieher von laufenden Leistungen nach dem SGB XII von dem Eigenanteil in Höhe von 60 Euro befreit (§ 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX), nicht aber Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG. Diese Regelung verstoße auch nicht gegen die Verfassung. Dem Gesetzgeber stehe es hier bis zur Grenze der Willkür frei, nach sachgemäßen Erwägungen bestimmte Personenkreise gegenüber anderen zu begünstigen. Insoweit belege die Gesetzesentwicklung seit Jahrzehnten das Bemühen des Gesetzgebers, die ständig steigende Belastung der öffentlichen Haushalte durch Anspruchsberechtigte - ob Schwerbehinderte, Asylbewerber oder Sozialhilfebezieher - abzumildern. Insbesondere habe der Gesetzgeber mit Neufassung des AsylbLG im Jahr 1993 eine eigenständige gesetzliche Regelung des Mindestunterhalts von Asylbewerbern geschaffen, mit der eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen einhergegangen sei. Die Entkoppelung dieses Leistungssystems vom regulären Sozialhilferecht sei ein bewusster Schritt der Schlechterstellung gegenüber den Personen gewesen, die direkt anspruchsberechtigt nach dem BSHG bzw SGB XII seien.

11

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3.9.2010 und des SG Aachen vom 11.1.2010 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid des Kreises Aachen vom 20.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Münster vom 25.8.2009 abzuweisen.

12

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2010 zurückzuweisen.

13

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend und macht ergänzend geltend, ein Ausschluss aus dem Kreis der Begünstigten iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX verstoße in seinem Fall mangels sachlicher Rechtfertigung nicht nur gegen die Verfassung(Art 3 Abs 1 GG), sondern sei auch mit völkerrechtlichen Diskriminierungsverboten nicht zu vereinbaren.

14

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

15

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

16

1. Die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung des erkennenden Senats liegen vor.

17

a) Im Laufe des Gerichtsverfahrens ist auf der Beklagtenseite ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes erfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/07 R - BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, RdNr 13 f, BSG Beschluss vom 8.5.2007 - B 12 SF 3/07 S - SozR 4-1500 § 57 Nr 2 RdNr 4; BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1). Der seit dem 1.1.2008 für die Aufgaben nach §§ 69, 145 SGB IX zuständige Kreis Aachen(vgl § 2 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482; vgl zur Übertragung der Aufgaben des Schwerbehindertenrechts auf die Kreise und kreisfreien Städte: BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - SozialVerw 2009, 59) ist nach Klageerhebung am 19.9.2009 mit Ablauf des 20.10.2009 durch § 1 Abs 1 Städteregion Aachen Gesetz vom 26.2.2008 (GVBl NRW 162) aufgelöst worden. Rechtsnachfolgerin ist gemäß § 2 Abs 1 Städteregion Aachen Gesetz die Städteregion Aachen(vgl hierzu bereits BSG Teilurteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 9/09 R - BSGE 107, 1 = SozR 4-7837 § 1 Nr 2, RdNr 16 und Urteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 19/09 R - BSGE 107, 18 = SozR 4-7837 § 2 Nr 6, RdNr 13).

18

Die Klage richtet sich jetzt zutreffend gegen die Städteregion Aachen, zumal mit Wirkung vom 1.1.2011 die Beteiligtenfähigkeit einer Behörde nach § 70 Nr 3 SGG iVm § 3 Gesetz zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes im Lande Nordrhein-Westfalen (AG-SGG NRW) vom 3.9.1953 (GVBl NRW 412) idF des Gesetzes vom 17.12.1974 (GVBl NRW 1588) weggefallen ist. Durch Art 2 Nr 29 iVm Art 4 Satz 1 Gesetz zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein-Westfalen vom 26.1.2010 (GVBl NRW 30) sind mit Wirkung vom 1.1.2011 die vorgenannten landesrechtlichen Bestimmungen ersatzlos aufgehoben worden (vgl hierzu bereits BSG Urteile vom 17.2.2011 - B 10 EG 1/10 R und B 10B 10 EG 2/10 R - juris RdNr 11). Der Senat hat sich deshalb nicht mehr mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Auffassung des 8. Senats des BSG (s Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R - SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 14) zutrifft, dass eine Klage bei Bestehen eines landesrechtlich vorgesehenen Behördenprinzips zwingend gegen die Behörde zu richten ist (zur Gegenansicht BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - juris RdNr 21; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 70 RdNr 4).

19

b) Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und 4 SGG) zulässig.

20

aa) Der Kläger begehrt die Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsaktes und - nach Umstellung seines Klageantrags im Berufungsverfahren - die Erstattung des Eigenanteils für die Ausgabe der Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr. Insoweit betrifft der Rechtsstreit die Fragen, ob der seinerzeit zuständige Kreis die Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr für die Zeit von September 2009 bis August 2010 kostenlos an den Kläger abzugeben hatte und die Beklagte zur Erstattung des vom Kläger dafür geleisteten Eigenanteils von 60 Euro verpflichtet ist. Der Kläger hat zunächst die Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke begehrt und sich nach erfolglosem Verwaltungsverfahren die Wertmarke gegen Entrichtung des Eigenanteils iHv 60 Euro selbst beschafft. Das LSG hat zwar in seiner Entscheidung die Gültigkeitsdauer der dem Kläger ausgegebenen Wertmarke nicht festgestellt (§ 163 SGG). Diese ergibt sich aber aus der Sitzungsniederschrift vom 3.9.2010, nach der sich die Beteiligten nach Vorlage des Schwerbehindertenausweises des Klägers darüber einig geworden sind, dass Gegenstand des Verfahrens allein die für den Zeitraum September 2009 bis August 2010 beschaffte Wertmarke ist. Diesen Sachverhalt legt der Senat seiner Entscheidung zu Grunde. Denn über Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung hinaus kann das BSG den erforderlichen Tatsachenstoff auch der vorinstanzlichen Sitzungsniederschrift entnehmen (§ 202 SGG iVm § 559 Abs 1 Satz 1 ZPO; vgl auch Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 23.9.1969 - II C 25.66 - Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 34; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 163 RdNr 4; Lüdtke in Hk-SGG, 3. Aufl 2009, § 163 RdNr 2). Insoweit ist hier die Frage der Kostenpflicht oder Kostenfreiheit nach § 145 Abs 1 SGB IX für diesen Zeitraum weiterhin streitig(vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 13).

21

bb) Der Senat kann offen lassen, ob in der Umstellung des Klageantrags im Berufungsverfahren eine stets zulässige Umwandlung des Klagebegehrens wegen einer später eingetretenen Veränderung iS des § 99 Abs 3 Nr 3 SGG oder eine Klageänderung iS des § 99 Abs 1 SGG zu sehen ist. Das LSG hat sich mit dieser prozessualen Frage nicht befasst. Nach seinen Feststellungen, an die das BSG gebunden ist (§ 163 SGG), kann bereits nicht beurteilt werden, ob der Kläger die kostenpflichtige Wertmarke (§ 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX) vor oder nach Klageerhebung beim SG Aachen erworben hat, also eine später eingetretene Veränderung iS des § 99 Abs 3 Nr 3 SGG vorliegt. Auch erscheint fraglich, ob die Rechtsprechung zur Ersatzbeschaffung im Krankenversicherungsrecht, nach der ohne Änderung des Klagegrundes (§ 99 Abs 3 Nr 3 SGG) an die Stelle eines Sachleistungsanspruchs nach Maßgabe des § 13 SGB V ein Kostenerstattungsanspruch treten kann(vgl etwa BSG Urteil vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261, 262 = SozR 3-2500 § 33 Nr 21 S 113 mwN), auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar ist. Denn der Kläger hat die Sachleistung (Wertmarke) - wie begehrt - von der zuständigen Behörde erhalten, jedoch nur gegen Entrichtung des Eigenanteils iS des § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX. Der Erwerb der Wertmarke mit Eigenbeteiligung ist insoweit keine Ersatzbeschaffung, sondern gleicht der Beteiligung an den Kosten einer kranken- oder rentenversicherungsrechtlichen Sozialleistung (so bereits BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 7).

22

Selbst wenn man den Übergang auf ein anderes Klagebegehren - hier auf einen Kostenerstattungsanspruch - als eine Klageänderung ansieht, wäre diese nach den Maßgaben des § 99 Abs 1 SGG zulässig gewesen(vgl dazu BSG Urteil vom 17.5.1988 - 10 RKg 3/87 - BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85 S 86). Die Beklagte hat sich nämlich in der mündlichen Verhandlung des LSG vom 3.9.2010 mit der Umstellung des Klagebegehrens ausdrücklich einverstanden erklärt.

23

cc) Auch die Sachurteilsvoraussetzungen für die Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage liegen vor.

24

Im Hinblick auf die Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 20.7.2009 ist das Vorverfahren vor Erhebung der Anfechtungsklage durchgeführt worden (zur Durchführung eines Vorverfahrens als Sachurteilsvoraussetzung etwa BSG SozR 3-1500 § 78 Nr 3 S 5). Ob die Entscheidung über eine unentgeltliche Wertmarkenausgabe überhaupt durch Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X zu erfolgen hat(vgl zur Problematik LSG Baden Württemberg Urteil vom 29.8.2005 - L 6 SB 5511/04 - juris RdNr 26 ff), kann (weiterhin) offen bleiben, weil der Beklagte hier die Form des Verwaltungsaktes gewählt hat (vgl bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 14).

25

Ebenfalls kann offen bleiben, ob die Bezirksregierung Münster nach der zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 25.8.2009 maßgeblichen Rechtslage gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 SGG befugt war, über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.7.2009 zu entscheiden (vgl zur Frage der Zuständigkeit in Verfahren nach §§ 69, 145 SGB IX gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 1 oder 4 SGG in NRW: LSG Nordrhein Westfalen Urteil vom 16.12.2009 - L 10 SB 39/09 - SozialVerw 2010, 8 ff, Revision anhängig unter B 9 SB 2/10 R; LSG Nordrhein Westfalen Urteil vom 5.3.2008 - L 10 SB 40/06 - Juris RdNr 39 ff). Denn sie ist jedenfalls seit Inkrafttreten des § 4a AG SGG NRW rückwirkend ab 1.1.2008 durch Art 3, 4 Satz 2 des Gesetzes zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein Westfalen vom 26.1.2010 (GVBl NRW 30) als Widerspruchsbehörde in Angelegenheiten nach den §§ 69, 145 SGB IX festgelegt worden(vgl zu § 4a AG SGG NRW bereits BSG Teilurteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 9/09 R - BSGE 107, 1 = SozR 4-7837 § 1 Nr 2, RdNr 19). Diese landesrechtliche Zuständigkeitsregelung verstößt nicht gegen Bundesrecht. Sowohl nach §§ 219, 85 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGG als auch gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGG iVm § 2 Abs 2 Satz 2 EingliederungsG sind insoweit abweichende Zuständigkeitsregelungen erlaubt.

26

Soweit es den erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Anspruch des Klägers auf Erstattung des von ihm geleisteten Eigenanteils von 60 Euro betrifft, ist hier unschädlich, dass die Beklagte zu dem neuen Streitgegenstand kein eigenständiges Verwaltungsverfahren durchgeführt und dieses nicht mit einem Bescheid abgeschlossen hat (vgl § 8 SGB X). Erst recht schadet es nicht, dass kein Widerspruchsverfahren als Klagevoraussetzung durchgeführt worden ist (§ 78 Abs 3 iVm Abs 1 SGG). Zwar müssen auch im Falle einer zulässigen Klageänderung für die geänderte Klage im Regelfall die Sachurteilsvoraussetzungen in gleicher Weise vorliegen, wie es bei einer sofortigen Klageerhebung mit einem entsprechenden Begehren nötig gewesen wäre (vgl hierzu etwa BSG Urteil vom 15.8.1996 - 9 RVs 10/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr 13 S 54). Es ist aber anerkannt, dass in bestimmten Fällen nicht nur die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens entbehrlich sein kann (vgl im Einzelnen Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 78 RdNr 8, 8a mwN), sondern auch die Durchführung eines selbstständigen Verwaltungsverfahrens während eines anhängigen Rechtsstreits. Dies ist der Fall, wenn von einer eigenständigen Verwaltungsentscheidung nichts anderes zu erwarten ist als eine Bestätigung des prozessualen Vorbringens und die Verwaltung durch rügelose Einlassung oder gar durch ausdrückliches Einverständnis auf ihren Vorrang bei der Gesetzesausführung verzichtet hat (BSG Urteil vom 15.8.1996 - 9 RVs 10/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr 13 S 54; BSG Urteil vom 27.8.1998 - B 9 SB 13/97 R - juris RdNr 12). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Der Kläger hat sich die Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr nur deswegen gegen Entrichtung des Eigenanteils iS des § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX beschafft, weil die Beklagte die Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke mit der angegriffenen Entscheidung abgelehnt hat und hieran - wie der vorliegende Prozess zeigt - weiterhin festhält.

27

2. In der Sache hat die Revision der Beklagten keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das zusprechende Urteil des SG mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.8.2009 verurteilt wird, dem Kläger 60 Euro zu erstatten.

28

a) Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung des Eigenanteils in Höhe von 60 Euro ist - wie das LSG zutreffend erkannt hat - der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (vgl zu diesem allgemein anerkannten Rechtsinstitut BSG Urteil vom 11.10.1994 - 1 RK 34/93 - BSGE 75, 167 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 2 mwN; Ossenbühl, NVwZ 1991, 513 ff). Eine spezialgesetzliche Regelung über die Rückerstattung ohne Rechtsgrund geleisteter Beträge nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX ist nicht ersichtlich.

29

aa) Als vorrangige Erstattungsregelung kommt insbesondere § 145 Abs 1 Satz 4 SGB IX nicht in Betracht. Danach gilt für die gemäß § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX grundsätzlich gegen einen Betrag von 60 Euro für ein Jahr oder 30 Euro für ein halbes Jahr erhältliche Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im Personennahverkehr(§ 145 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX), dass im Falle der Rückgabe der Wertmarke vor Ablauf ihrer Gültigkeitsdauer auf Antrag ein Betrag von 5 Euro für jeden vollen Kalendermonat ihrer Gültigkeit nach Rückgabe erstattet wird, sofern der zu erstattende Betrag 15 Euro nicht unterschreitet; Entsprechendes gilt für jeden vollen Kalendermonat nach dem Tod des schwerbehinderten Menschen. Der Anwendungsbereich dieser Norm ist nicht eröffnet, da sie nur diejenigen Fälle erfasst, in denen Berechtigte die gegen eine Selbstbeteiligung erhaltene Wertmarke vor Ablauf ihrer Gültigkeitsdauer zurückgeben oder versterben. Der Wertmarkenbetrag wird infolgedessen für diejenigen Monate erstattet, in denen die Berechtigten von ihrem Recht auf unentgeltliche Beförderung keinen Gebrauch mehr machen können (vgl BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 8). Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich hingegen auf die Erstattung des für die (inzwischen bereits abgelaufene) Wertmarke entrichteten Eigenanteils mit der Begründung, dass gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX überhaupt kein Betrag iS des § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX zu leisten gewesen sei.

30

bb) Auch § 15 Abs 1 Satz 3 SGB IX ist hier als besondere Erstattungsregel nicht einschlägig. Danach ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, soweit sich Leistungsberechtigte nach fruchtloser Fristsetzung und weiteren Voraussetzungen (vgl § 15 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX) eine erforderliche Leistung selbst beschaffen. Die Erstattungspflicht besteht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (§ 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX). Es muss sich um eine Rehabilitationsleistung nach dem SGB IX (§§ 4, 5 SGB IX) bzw den speziellen Leistungsgesetzen handeln (vgl Luik in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 15 RdNr 27). Hieran fehlt es. Die gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX ohne Eigenanteil auszugebende Wertmarke ist keine eigenständige Leistung nach dem SGB IX und kann überdies (auf rechtmäßige Weise) nicht selbst beschafft werden, soweit die Behörde die Ausgabe der Wertmarke von der Entrichtung des Betrags nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX abhängig macht. Die Sozialleistung besteht im Verhältnis zwischen Schwerbehinderten und Staat vielmehr in der Vergünstigung, von der Pflicht zur Zahlung des üblichen Beförderungsentgelts an die Verkehrsunternehmen freigestellt zu werden (vgl BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 7).

31

b) Dem hier einschlägigen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch liegt der allgemeine, auch im Sozialrecht geltende Rechtsgrundsatz zu Grunde, dass zu Unrecht empfangene Leistungen zurückzugeben sind (vgl zur Erstattung des anteiligen Eigenanteils bei vorzeitiger Rückgabe der Wertmarke für Zeiträume vor Inkrafttreten des § 57 Abs 1 Satz 4 SchwbG idF vom 18.7.1985 bereits BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 7 ff). Auf diesen Anspruch kann sich nicht nur die Behörde, sondern auch der Bürger stützen, wenn zu seinen Lasten eine Vermögensverschiebung eingetreten ist und ein Sozialleistungsträger etwas erhalten hat, was ihm nicht zusteht (vgl BSG Urteil vom 11.10.1994 - 1 RK 34/93 - BSGE 75, 167 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 2 mwN; Ossenbühl, NVwZ 1991, 513, 514). Übertragen auf die vorliegende Fallgestaltung bedeutet dies, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des bei der Ausgabe der Wertmarke für den Zeitraum September 2009 bis Oktober 2010 gezahlten Betrages in Höhe von 60 Euro hat, wenn er seinerzeit diesen Eigenanteil gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX nicht zu entrichten hatte, der Betrag nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX also rechtsgrundlos von der Beklagten entgegengenommen worden ist. Dies ist hier der Fall. Denn der Kläger konnte eine kostenfreie Wertmarke beanspruchen.

32

Rechtsgrundlage für die von dem damals zuständigen Kreis abgelehnte unentgeltliche Ausgabe einer Wertmarke ist hier § 145 Abs 1 Satz 1 bis 3 und 5 Nr 2 SGB IX idF vom 22.12.2008 (BGBl I 2959). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der Vermögensverschiebung vor Ausgabe der von September 2009 bis August 2010 gültigen Wertmarke. Nach den genannten Regelungen werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs 5 SGB IX im Nahverkehr unentgeltlich befördert. Voraussetzung ist, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist. Sie wird gegen Entrichtung eines Betrages von 60 Euro für ein Jahr oder 30 Euro für ein halbes Jahr ausgegeben. Auf Antrag wird eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Betrag nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX zu entrichten ist, ua an schwerbehinderte Menschen ausgegeben, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII, dem SGB VIII oder den §§ 27a und 27d Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhalten.

33

Soweit danach ein Antrag erforderlich ist, steht dem Anspruch des Klägers auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke für die Zeit von September 2009 bis August 2010 nicht bereits entgegen, dass der Kläger vor der Ausgabe der für diesen Zeitraum gültigen kostenpflichtigen Wertmarke möglicherweise keinen erneuten, "ausdrücklichen" Antrag iS des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX auf Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke gestellt hat(vgl zu dieser Problematik LSG Baden-Württemberg Urteil vom 29.8.2005 - L 6 SB 5511/04 - juris RdNr 34). Zu einer wiederholten Antragstellung hat nämlich wegen der vom Kläger angefochtenen und damit nicht bestandskräftigen Ablehnungsentscheidung der zuständigen Behörde (Bescheid vom 20.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.8.2009) kein Anlass bestanden.

34

Auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke liegen für den maßgeblichen Zeitraum vor. Der Kläger hat zum Kreis der berechtigten Personen iS des § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX gehört, denn ihm war das Merkzeichen "G" erteilt worden. Zudem hat der Kläger seinerzeit Leistungen iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX erhalten. Denn die dem Kläger gewährten Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 27 ff SGB XII stellen nach Auffassung des erkennenden Senats "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS dieser Vorschrift dar. Dafür sind folgende Erwägungen maßgebend:

35

aa) Um die Bedeutung einer Gesetzesvorschrift zu ermitteln, kommen zunächst die herkömmlichen Auslegungsmethoden zur Anwendung. Danach ist auf den Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), ihren Zusammenhang (systematische Auslegung), ihren Zweck (teleologische Auslegung) sowie die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) abzustellen (vgl aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts : BVerfGE 11, 126, 130; 82, 6, 11; 93, 37, 81; 105, 135, 157; dazu auch Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 141 ff; 163 ff). Dabei sind die konkret einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Ist von mehreren möglichen Auslegungen nur eine mit dem GG vereinbar, muss diese gewählt werden (verfassungskonforme Auslegung; vgl etwa BVerfGE 88, 145, 166 f; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 159 ff). Die Grenzen jeder Auslegung ergeben sich daraus, dass einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht durch Auslegung eine entgegengesetzte Bedeutung verliehen werden darf (vgl BVerfGE 54, 277, 299 f; 59, 330, 334; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 143).

36

bb) Das BSG hat bereits zu den Vorgängervorschriften des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX entschieden, dass der Gesetzgeber nur einem bestimmten Personenkreis, der nach der damaligen Rechtslage eindeutig benannt war, den kostenlosen Erwerb der zur Freifahrt berechtigenden Wertmarke zubilligen wollte(vgl BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1; BSG Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 7/93 - RdLH 1996 Nr 1, 35 ), und an dieser Rechtsprechung auch seit Inkrafttreten des SGB IX festgehalten (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1§ 145 abs 1 satz 5 nr 2 sgb ix idf vom 21.3.2005, bgbl i 818, und idf vom 2.12.2006, bgbl i 2742>). Danach besteht keine Veranlassung für eine den Wortlaut des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX erweiternde Auslegung, die zu einer Erstreckung auf Personen führt, die nicht Bezieher laufender Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII sind. Denn die Mobilitätsförderung von schwerbehinderten Menschen nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX wird durch den zu leistenden Eigenanteil nur moderat relativiert. Die kostenlose Ausgabe der Wertmarke stellt systematisch eine Ausnahme von der Pflicht zur Entrichtung des Eigenanteils dar. Die Regelung ist abschließend (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 27-29; vgl auch Vogl in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 145 RdNr 47).

37

cc) Hieran anknüpfend hält der Senat - innerhalb der Wortlautgrenze - eine weite Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX für richtig. Von diesem Begriff sind nicht nur Leistungen umfasst, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben, sondern auch für den Lebensunterhalt laufende Leistungen, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII an Personen erbracht werden, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen (1). Zudem ist unter dem Begriff "erhalten" in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX der faktische Bezug der in der Vorschrift genannten Leistungen zu verstehen, ohne dass es auf die materiell-rechtliche Leistungsberechtigung des Empfängers ankommt(2).

38

(1) Einem weiten Verständnis des Begriffs der "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX steht nicht entgegen, dass es sich bei dieser Norm gegenüber dem Regelfall der Freifahrtberechtigung mit Zahlung einer Eigenbeteiligung nach § 145 Abs 1 Satz 1 bis 3 SGB IX um eine Ausnahmevorschrift handelt(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 29). Die Regel, dass Ausnahmevorschriften grundsätzlich eng auszulegen sind, gilt nicht allgemein. Entscheidend ist vielmehr der Grund, warum der Gesetzgeber eine bestimmte Gruppe von Fällen aus dem Anwendungsbereich der Regelvorschrift herausgenommen hat (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 337, 339 f).

39

(a) Zwar lässt der Wortlaut der Norm sowohl eine enge als auch eine weite Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" zu, im sprachlichem Zusammenhang betrachtet legt § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX jedoch bereits ein weites Begriffsverständnis nahe.

40

Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen richtet sich die Wortlautinterpretation zunächst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eines Ausdrucks bzw einer Wortverbindung. Haben Ausdrücke in der Rechtssprache eine spezifische Bedeutung erhalten, geht der besondere Sprachgebrauch des Gesetzes vor (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 305 ff). Nach diesen Grundsätzen hat das LSG im Ansatz zutreffend erkannt, dass der Befreiungstatbestand für Personen, die "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" beziehen, im Rahmen des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX so verstanden werden kann, dass von diesem Begriff auch nach den gleichen Voraussetzungen zu gewährende Leistungen umfasst sind. Das Wort "nach" kann im allgemeinen Sprachgebrauch unterschiedliche Bedeutungen einnehmen, etwa "gemäß", "entsprechend" oder "im Sinne von". Es ist auch nach dem juristischen Sprachgebrauch keineswegs zwingend, dass mit der Wortverbindung "nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" nur Leistungen gemeint sind, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben bzw im engeren Rechtssinne Leistungen der Sozialhilfe darstellen. Vielmehr können auch Leistungen umfasst sein, die in entsprechender Anwendung der Regelungen des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden.

41

Ein solches Verständnis wird auch bei den ebenfalls von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IV erfassten Beziehern von Leistungen "nach" den §§ 27a und 27d BVG vertreten(Heinz in Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, Stand April 2010, § 145 RdNr 33; Winkler in Müller-Wenner/Winkler, SGB IX, 2. Aufl 2011, § 145 RdNr 14). Danach sollen nicht nur Empfänger von Leistungen der Kriegsopferfürsorge (in unmittelbarer Anwendung des BVG), sondern auch Berechtigte nach den sog "Nebengesetzen" zum BVG von der Zuzahlungspflicht befreit sein, obwohl das BVG nach diesen Gesetzen nur entsprechend anzuwenden ist (vgl etwa § 80 Abs 1 Satz 1 Soldatenversorgungsgesetz; § 47 Abs 1 Satz 1 Zivildienstgesetz; § 60 Abs 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz; § 1 Abs 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz).

42

Schließlich spricht auch der Aufbau der Wortverbindung dafür, dass von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX auch Leistungen umfasst sind, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden. Der Gesetzgeber hat die Leistungen zunächst näher umschrieben als "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen"; die nachfolgende Nennung der materiell-rechtlichen Bezugsnorm ("nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches") kann dann allein dazu dienen, die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise - ungeachtet des genaueren Rechtsgrunds der erhaltenen Leistungen - "nach dem System des Sozialhilferechts" vorzunehmen, welches für sich bereits zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen (11. Kap SGB XII) sowie relevante Sonderbedarfe regelt (vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34).

43

(b) Ein weites Verständnis des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX steht mit der Entstehungsgeschichte der Norm im Einklang.

44

Die Vorschrift über die Freifahrtsberechtigung schwerbehinderter Menschen geht auf § 57 Abs 1 SchwbG idF des Art 20 des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1984 vom 22.12.1983 (BGBl I 1532) zurück, durch den der Kreis der berechtigten Personen eingeschränkt und grundsätzlich eine Kostenbeteiligung in Höhe von damals 120 DM jährlich bzw 60 DM halbjährlich eingeführt wurde. Nach der ersten Fassung des § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SchwbG erhielten ua "Bezieher von laufenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG" eine kostenlose Wertmarke. Diesen Wortlaut änderte der Gesetzgeber bereits mit der ersten Korrektur des HBegleitG 1984 durch das Gesetz zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 18.7.1985 (BGBl I 1516), um auch bedürftige Heimbewohner eindeutig von der Eigenbeteiligung zu befreien. Denn einige Länder hatten bei der Durchführung des Gesetzes nach der damaligen Systematik des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ein enges Verständnis der Norm zu Grunde gelegt und unter "Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt" nicht Hilfen in besonderen Lebenslagen für bedürftige Heimbewohner verstanden, obwohl bei der Gewährung dieser Leistungen in einer Einrichtung gemäß § 27 Abs 3 BSHG idF vom 24.5.1983 (BGBl I 613) auch Leistungen zum Lebensunterhalt umfasst waren (vgl hierzu Cramer, VersorgB 1985, 87, 89 mwN). Dieser engen Auslegung trat der Gesetzgeber entgegen. Mit der Gesetzesänderung führte er den Begriff "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen" ein und bekundete das Anliegen, durch diesen Befreiungstatbestand "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40). Ähnlich der heutigen Fassung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX waren nach der damals geltenden Fassung des § 57 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SchwbG Berechtigte, die "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem BSHG erhalten", von der Entrichtung des Eigenanteils befreit.

45

Dieser Befreiungstatbestand ist inhaltlich sowohl mit Einführung des SGB IX durch Gesetz vom 19.6.2001 (BGBl I 1046) als auch mit Einführung des SGB XII durch Gesetz vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) im Wesentlichen unverändert geblieben. Er hat seine letzte Fassung jedoch erst durch die Änderungsgesetze vom 13.12.2007 (BGBl I 2904) und 22.12.2008 (BGBl I 2959) erhalten, die nach den Gesetzesmaterialien vornehmlich redaktionelle Änderungen betrafen (vgl BT-Drucks 16/6985 S 5; BT-Drucks 16/10487 S 11). Die Aufnahme des Tatbestandsmerkmals der Leistungen nach dem "Dritten und Vierten Kapitel" des SGB XII ist auf die Eingliederung des Gesetzes über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 26.6.2001 (BGBl I 1310) in das SGB XII (Viertes Kapitel) und die systematische Trennung der Hilfe zum Lebensunterhalt (Drittes Kapitel) und der Hilfen in besonderen Lebenslagen (nun Fünftes bis Neuntes Kapitel) zurückzuführen (vgl zur neueren Gesetzhistorie auch Spiolek in GK-SGB IX, Stand Februar 2011, § 145 RdNr 25).

46

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich - wie das LSG zutreffend erkannt hat - aus den Gesetzesmaterialien zu den jeweiligen Änderungen der Befreiungstatbestände für einkommensschwache schwerbehinderte Menschen bei der unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass der Gesetzgeber sein ursprüngliches Anliegen, "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40), aufgegeben haben könnte.

47

(c) Für die vom erkennenden Senat vertretene Auslegung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX sprechen auch systematische Erwägungen, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis dieser sozialen Vergünstigung zu den existenzsichernden Systemen des Fürsorgerechts (SGB II/SGB XII).

48

Die Privilegierung einkommensschwacher schwerbehinderter Menschen im Rahmen des § 145 Abs 1 SGB IX stellt eine von den Systemen des Fürsorgerechts abgegrenzte soziale Vergünstigung des Schwerbehindertenrechts dar. Der Gesetzgeber hat diese Vergünstigung nicht allen einkommensschwachen Personen, die das Merkzeichen "G" besitzen, zukommen lassen wollen, sondern dabei eine systembezogene Zuordnung vorgenommen. Der Senat hat bereits entschieden, dass selbst dann kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG (vgl hierzu BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) vorliegt, wenn dem Berechtigten, der die Eigenbeteiligung aufzubringen hat, das vom Gesetzgeber in Höhe des Regelbedarfs normativ bestimmte (vgl § 27 Abs 1 SGB XII) soziokulturelle Existenzminimum zur Verfügung steht (Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 36). Konsequenterweise ist eine entsprechende soziale Vergünstigung (kostenfreie Wertmarke) bzw die Deckung eines entsprechenden Bedarfs bei Schwer- oder Gehbehinderung grundsätzlich kein Regelungsgegenstand der existenzsichernden Systeme nach dem SGB II und SGB XII (vgl zum SGB II etwa BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 29/09 R - BSGE 105, 279 = SozR 4-1100 Art 1 Nr 7, RdNr 39; BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 24). Der Gesetzgeber hat vielmehr im Rahmen der Nr 2 nur bestimmte Gruppen von Leistungsbeziehern nach dem SGB XII, SGB II und BVG in den Befreiungstatbestand des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX aufgenommen. Dementsprechend ist insoweit die Zuordnung von Freifahrtberechtigten nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX zu diesen Systemen der öffentlichen Fürsorge von entscheidender Bedeutung.

49

Dem System des SGB XII sind dabei nicht nur Personen zuzurechnen, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen in unmittelbarer Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII beziehen, sondern auch Personen, die diese Leistungen (nur) in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften erhalten, aber materiell-rechtlich weitgehend Sozialhilfeempfängern gleichgestellt sind. Anders verhält es sich dagegen mit Personen, deren laufender Lebensunterhalt durch eigene Mittel oder ein anderes Sicherungssystem gewährleistet wird. Bei diesem sieht der Gesetzgeber ersichtlich keine Veranlassung für eine Befreiung vom Eigenanteil nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX. Im Fall der Zuordnung zu einem anderen Sicherungssystem geht er nachvollziehbar davon aus, dass ein etwa erforderlicher Ausgleich - zB durch Erstattung des Eigenanteils - ggf im Rahmen dieses Systems erfolgen kann.

50

Auf die "Zweckidentität" einer Leistung hinsichtlich der Gewährleistung des Existenzminimums kommt es mithin bei der Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" nicht entscheidend an, vielmehr auf die Zuordnung eines Personenkreises zum "System des Sozialhilferechts". Folglich hält es der Senat aus systematischen Gründen für notwendig, dass es sich dabei nicht nur um Leistungen handelt, die zumindest in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden, sondern auch um Leistungsbezieher, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen, also nicht unbedingt formal, aber materiell-rechtlich dem "System des Sozialhilferechts" zugewiesen sind.

51

Der Senat verkennt nicht, dass bei einer solchen Auslegung der ausdrücklichen Nennung der Bezieher von ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt iS des § 27a BVG in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Var 4 SGB IX kaum eigenständige Bedeutung zukommt, da nach § 27a Satz 2 BVG bereits eine entsprechende Anwendung der Regelungen des Dritten Kapitels des SGB XII unter Berücksichtigung der besonderen Lage der Beschädigten und Hinterbliebenen vorgesehen ist. Gerade im Zusammenhang mit der Begünstigung der Leistungsbezieher nach § 27d BVG kann die Nennung des § 27a BVG immerhin eine sinnvolle Klarstellung bedeuten, zumal eine Gleichstellung des von § 27a BVG erfassten Personenkreises - auch im Hinblick auf die angeordnete Berücksichtigung der besonderen Lage der Betroffenen - zweifelhaft seien könnte.

52

(d) Ein weites Begriffsverständnis entspricht auch am ehesten dem Sinn und Zweck des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX.

53

Durch die jetzt in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX vorgesehene soziale Vergünstigung sollen - wie schon seit Einführung des Eigenanteils bei der ermäßigten Beförderung eines Kreises schwerbehinderter Menschen im Jahre 1984(vgl § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SchwbG idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) - die "Belange typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtsberechtigter" berücksichtigt werden (BT-Drucks 10/335 S 89; vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34). Dabei ist es ein Anliegen des Gesetzgebers, "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40). Durch die Anknüpfung ua an den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII macht der Gesetzgeber die Befreiung vom Unterschreiten einer Einkommensgrenze abhängig, die sich aus dem System des Sozialhilferechts (11. Kap SGB XII) ergibt (vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34). Bei dieser Zweckrichtung macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob die für den Lebensunterhalt laufenden Leistungen in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden.

54

Hierbei ist auch das weitere Ziel des Gesetzgebers zu berücksichtigen, die verwaltungspraktische Arbeit der zuständigen Behörden dadurch zu erleichtern, dass die Hilfebedürftigkeit des Berechtigten bereits durch andere Träger - mittels Verwaltungsakt - festgestellt worden ist (vgl BT-Drucks 10/335 S 89; vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 35). Dieser hatte insoweit offensichtlich das sozialhilferechtliche Verwaltungsverfahren vor Augen. Nicht nur aus systematischen Gründen, sondern auch im Hinblick auf diese Zweckrichtung liegt es nahe, ein weites Verständnis des Befreiungstatbestands auf Leistungsbezieher zu beschränken, die - auch verfahrensmäßig - Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen.

55

(e) Auch mit Rücksicht auf höherrangiges Recht ist das vom Senat für zutreffend gehaltene Verständnis des Befreiungstatbestands nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX angebracht.

56

Das BSG hat bereits entschieden, dass die Umwandlung von einer unentgeltlichen Freifahrt in eine "Freifahrt" mit Kostenbeteiligung den Gesetzgeber nicht berechtigt, in unbeschränktem Ermessen Personenkreise von der Kostenbeteiligung auszunehmen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet es vielmehr, den begünstigten Personenkreis nach sachgemäßen Erwägungen zu bestimmen (BVerfGE 39, 148, 153). Allgemein ist Art 3 Abs 1 GG verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art oder solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl BVerfG Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86, 50/87 und 1 BvR 873/90, 761/91 - BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7; BVerfG Beschluss vom 8.4.1998 - 1 BvL 16/90 - BVerfGE 98, 1, 12 = SozR 3-5755 Art 2 § 27 Nr 1 S 5). Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der sozialen Vergünstigung iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX gilt als Maßstab das Willkürverbot(vgl BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 30 ff, 36; BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1).

57

Diesen Vorgaben wird eine Auslegung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX am ehesten gerecht, die auch Personen erfasst, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII erhalten, und Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen. Maßgebend für die sachliche Rechtfertigung einer Gleich- oder Ungleichbehandlung ist es danach, ob die betreffende Person dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe zuzuordnen ist.

58

(2) Zur Auslegung des Begriffs "erhalten" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX hat der erkennende Senat bereits die möglichen Deutungen und die in anderen Rechtsgebieten vertretenen Auffassungen dargelegt; danach kann unter diesem Begriff sowohl der faktische Bezug einer Leistung zu verstehen sein als auch das Empfangen der Leistung durch den sachlich-rechtlichen Inhaber der Forderung (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 18 mwN). Der Senat ist der Auffassung, dass bei § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX eine dem engeren Wortsinn entsprechende Auslegung vorzugswürdig ist, nach der es allein auf den tatsächlichen Zufluss der Leistungen ankommt(so auch Vogl in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 145 RdNr 46). Hierfür spricht maßgeblich die nach den Gesetzesmaterialien zur insoweit inhaltsgleichen Vorläufervorschrift des § 57 Abs 1 Nr 2 SchwbG(idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) vom Gesetzgeber gewollte Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens. Danach sollen die Belange typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtsberechtigter berücksichtigt werden, "ohne dass die Versorgungsämter die Höhe des Einkommens im einzelnen prüfen müssen". Über die Befreiung von der Kostenbeteiligung soll nach Vorlage eines Bescheids entschieden werden, "aus dem hervorgeht, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung die genannten Leistungen bezogen werden" (BT-Drucks 10/335 S 89).

59

dd) Gemessen an diesen Kriterien werden die vom Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 27 ff SGB XII bezogenen Leistungen von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX erfasst. Unerheblich ist hierbei, ob der Kläger auch einen materiell-rechtlichen Anspruch auf diese Leistungen hatte, da es im Rahmen des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX allein auf den tatsächlichen Zufluss der Leistungen ankommt. Ferner ergibt sich ein gesetzlicher Ausschluss des Klägers von der sozialen Vergünstigung iS des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB XII weder unmittelbar noch mittelbar aus § 9 Abs 1 AsylbLG (1). Die vom Kläger bezogenen Leistungen werden in entsprechender Anwendung des Dritten Kapitels des SGB XII gewährt (2), und zwar an Personen, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen (3).

60

(1) Nach § 9 Abs 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte keine Leistungen nach dem SGB XII oder vergleichbaren Landesgesetzen, wobei als Leistungsberechtigte dieser Vorschrift nach allgemeiner Meinung alle Berechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG zählen, also sowohl Bezieher von sog Grundleistungen(§§ 3 ff AsylbLG) als auch Analog-Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG(vgl Hohm in AsylbLG, Stand Juli 2011, § 9 RdNr 5; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand Mai 2011, § 9 AsylbLG RdNr 7).

61

Entgegen der Auffassung des LSG und der Beklagten ergibt sich nicht bereits aus dem Wortlaut des § 9 Abs 1 AsylbLG, dass Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG von der in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX vorgesehenen Vergünstigung ausgeschlossen sind (a). Hierfür sprechen auch nicht die Entstehungsgeschichte (b), der systematische Zusammenhang (c) oder der Sinn und Zweck der Vorschrift (d).

62

(a) Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich nicht zwangsläufig eine übereinstimmende Bedeutung der Begriffe "Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" iS des § 9 Abs 1 Alt 1 AsylbLG und "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX. Dem letztgenannten Begriff kommt im Rahmen der sozialen Vergünstigung bei der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im Personenverkehr eine weitergehende Bedeutung zu. Er umfasst auch Leistungen, die ihren Rechtsgrund nicht (allein) im SGB XII haben, sondern in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII an Personen gewährt werden, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen. Die Zweckrichtung der Vorschrift kann insoweit zu einem Begriffsverständnis führen, das von der in anderem gesetzlichen Zusammenhang entwickelten Auslegung abweicht.

63

(b) § 9 AsylbLG ist mit Einführung des AsylbLG am 1.11.1993 in Kraft getreten (BGBl I 1074) und regelt seither das Verhältnis dieses Leistungsgesetzes zu anderen gesetzlichen Vorschriften (vgl BT-Drucks 12/4451 S 10 zu der im ersten Gesetzentwurf ursprünglich als § 8 vorgesehenen Regelung und BT-Drucks 13/2746 S 17 zu § 9). Denn bei dem AsylbLG handelt es sich um ein besonderes Sicherungssystem, das aus dem Asylkompromiss 1992 heraus entstanden ist und eigenständige, abschließende Regelungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für einen eng begrenzten Personenkreis von Ausländern enthält (vgl BT-Drucks 12/4451 S 5; BT-Drucks 15/1516 S 52 zu § 7 SGB II). Nach dem ursprünglichen Wortlaut sah § 9 Abs 1 AsylbLG vor, dass Leistungsberechtigte keine Leistungen nach dem BSHG oder vergleichbaren Landesgesetzen erhalten; dieser Wortlaut ist durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) zum 1.1.2005 lediglich redaktionell angepasst worden (Groth in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 9 AsylbLG RdNr 3).

64

Es ergeben sich weder aus den Gesetzmaterialen zur Einführung und zu späteren Änderungen der Beteiligung Berechtigter an den Kosten für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr nach dem SchwbG bzw dem SGB IX noch aus den Vorgängen zu § 9 AsylbLG (und dem AsylbLG insgesamt) hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff "Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" in § 9 Abs 1 AsylbLG und § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX übereinstimmend verstanden wissen und damit ausnahmslos alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG (mittelbar) von der sozialen Vergünstigung nach dem SGB IX ausschließen wollte.

65

Mit Einführung der Kostenbeteiligung im Jahr 1984 durch § 57 Abs 1 SchwbG(idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) waren auch bedürftige Ausländer von der Entrichtung des Eigenanteils iS des § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 Alt 2 SGB IX befreit, soweit sie zur Sicherung des Lebensunterhalts Leistungen der öffentlichen Fürsorge in Anspruch genommen haben. Denn sie hatten im Rahmen der Sozialhilfe ausnahmslos einen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG (§ 120 Abs 1 und 2 BSHG idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532); dies galt auch für Asylbewerber (vgl BT-Drucks 12/4451 S 5). Die Einführung des AsylbLG zum 1.11.1993 hatte im Hinblick auf den Mindestunterhalt während des Asylverfahrens eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen nach § 120 Abs 2 BSHG(idF bis zum 30.10.1993, BGBl I 1991, 94, 808; BGBl I 1993, 278) und einen Vorrang der Sachleistungsgewährung zum Ziel, um das Leistungsrecht dem Ausländer- und Asylrecht anzupassen (vgl BT-Drucks 12/4451 S 4). Den Materialien ist nicht zu entnehmen, dass sich dieser Systemwechsel auch auf die Rechtstellung des Personenkreises nach § 1 Abs 1 AsylbLG(idF vom 30.6.1993, BGBl I 1074) im Schwerbehindertenrecht, namentlich im Rahmen des damals geltenden § 59 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG(idF vom 21.6.1991, BGBl I 1310), auswirken sollte. Insbesondere kann nicht ohne Weiteres auf eine übereinstimmende Verwendung des Begriffs "Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz" in § 9 AsylbLG und § 59 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG geschlossen werden. Vielmehr sollte die Formulierung in § 9 Abs 1 AsylbLG (lediglich) im Verhältnis zum Sozialhilferecht festlegen, dass Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG weder Leistungen nach dem BSHG oder vergleichbaren Landesgesetzen zustehen(BT-Drucks 12/4451 S 10).

66

Ein gewichtiges Argument für einen übereinstimmenden Wortsinn ist es zwar, dass der Gesetzgeber seit Inkrafttreten des AsylbLG die Regelung des § 59 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG bzw § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX trotz deren häufigen redaktionellen Änderungen nicht ausdrücklich zumindest auf einen Teil der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG(§ 2 Abs 1 AsylbLG) erstreckt hat. Daraus könnte man folgern, dass ein an sich regelungsbedürftiger Anspruch bewusst nicht gewährt werden sollte (sog "beredtes Schweigen"). Hiergegen spricht wiederum die weitere Entwicklung des Asylbewerberleistungsrechts. Denn der Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG ist im Laufe der Jahre mehrmals geändert worden, ohne dass sich der Gesetzgeber mit den Auswirkungen auf das Schwerbehindertenrecht nachvollziehbar auseinandergesetzt hat.

67

Dies gilt insbesondere für das Erste Änderungsgesetz des AsylbLG vom 26.5.1997 (BGBl I 1130). Mit ihm ist der Gedanke der Kosteneinsparung durch Einführung der sog Vorbezugszeit iS des § 2 Abs 1 AsylbLG in den Vordergrund getreten(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 21; BT-Drucks 17/3660 S 5) und die Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs iS des § 1 Abs 1 AsylbLG ua auf Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge einhergegangen(vgl § 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG idF vom 5.8.1997, BGBl I 1130), die ursprünglich nach dem Asylkompromiss 1992 ausdrücklich ausgenommen gewesen sind (vgl BT-Drucks 12/5008 S 13). Im Gesetzgebungsverfahren sind zwar auf Länderseite den Mehrkosten im Sozialhilfewesen durch eine Begrenzung der Arbeitslosenhilfe und durch die finanzielle Verantwortung für die unentgeltliche Beförderung ua von Schwerbehinderten im Personenverkehr Einsparungen durch die Änderungen des AsylbLG gegenübergestellt worden (vgl BT-Drucks 13/3475 S 3). Mögliche Auswirkungen der inhaltlichen Änderungen des AsylbLG auf die Rechtstellung der Betroffenen im Schwerbehindertenrecht und insbesondere bei der unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr werden jedoch in den vorliegenden Gesetzesmaterialien (ua BT-Drucks 13/2746, Erstentwurf vom 24.10.1995; BT-Drucks 13/3475, Entwurf der Bundesregierung vom 12.1.1996; BT-Drucks 13/3720, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit vom 7.2.1996; BT-Drucks 13/7510, Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 23.4.1997) an keiner Stelle erörtert, obwohl dies bei einer gemeinsamen Behandlung dieser Regelungsgegenstände nahe gelegen hätte.

68

Entsprechendes gilt auch für die Änderungen und Anpassungen des persönlichen Anwendungsbereichs (§ 1 Abs 1 AsylbLG) an das neue Asyl- und Aufenthaltsrecht mit der Einführung des AufenthG, das mit Wirkung zum 1.1.2005 das Ausländergesetz abgelöst hat (vgl Art 8 Nr 1 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004, BGBl I 1950). Mit dem Zuwanderungsgesetz 2004 ist zum einen ein Teil der bis dahin regelmäßig nach dem AsylbLG Leistungsberechtigten wegen europa- und völkerrechtlich vorgegebener Mindeststandards bei der Gewährung von Fürsorgeleistungen (vgl Art 28 Abs 1 Richtlinie 2004/83/EG , ABl.EU L 304 vom 30.9.2004 und Art 23 Genfer Flüchtlingskommission, BGBl II 1953, 559) aus dem persönlichen Anwendungsbereich des AsylbLG herausgenommen worden (vgl hierzu ausführlich Frerichs in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 1 AsylbLG RdNr 42 f, 56-58, 71 ff, 73; vgl auch BT-Drucks 15/420 S 61). Zum anderen sind Inhaber bestimmter Aufenthaltstitel (Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs 3 und 4 AuslG), die zuvor leistungsberechtigt nach dem BSHG gewesen sind, durch die Überführung ihres Titels in eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG(vgl § 101 Abs 2 AufenthG)erstmals in den Anwendungsbereich des AsylbLG (§ 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG) einbezogen worden (vgl Frerichs, aaO, § 1 AsylbLG RdNr 95 f). Gleichwohl werden in den Gesetzesmaterialien die Änderungen des § 1 Abs 1 AsylbLG nicht näher erläutert, auch nicht im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf das Schwerbehindertenrecht(BT-Drucks 15/420 S 120 f).

69

(c) Systematisch regelt § 9 Abs 1 AsylbLG nach Art einer Konkurrenznorm das Verhältnis des AsylbLG als abgeschlossenes Leistungssystem zu anderen Leistungsgesetzen. Er legt ausdrücklich fest, dass Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG weder Leistungen nach dem Sozialhilferecht (SGB XII) noch nach vergleichbaren Landesgesetzen, wie etwa Landesblinden- oder Landespflegegeldleistungen, zustehen (so die Gesetzesbegründung vom 2.3.1993 zum inhaltsgleichen § 8 Abs 1 des ersten Gesetzesentwurfs, BT-Drucks 12/4451 S 10; vgl jüngst etwa zum Landesblindengeld NRW OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 17.6.2011 - 12 A 1011/10 - juris). Die Vorschrift korrespondiert insoweit mit § 23 Abs 2 SGB XII, derzufolge Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG keine Leistungen der Sozialhilfe erhalten, und mit § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II(vgl hierzu BSG Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 66/08 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 14; zur Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 24/07 R - BSGE 102, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 10; BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 40/07 R - juris). Über seinen leistungsausschließenden Charakter hinaus, stellt die Vorschrift klar, dass es sich bei den Leistungen nach diesem Gesetz, auch bei denjenigen nach § 2 Abs 1 AsylbLG, ihrem Rechtsgrund nach um Leistungen nach dem AsylbLG handelt(vgl BT-Drucks 12/5008 S 15 zu der im Entwurf als § 1a AsylbLG vorgesehenen Regelung; vgl auch Hohm, AsylbLG, Stand Juli 2011, § 9 RdNr 5; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand Mai 2011, § 9 AsylbLG RdNr 8; Groth in jurisPK-SGB XII, § 9 AsylbLG RdNr 17).

70

Die Reichweite des § 9 Abs 1 AsylbLG ist systematisch aber auf das Verhältnis von AsylbLG und SGB XII (und vergleichbaren Ländergesetzen) begrenzt und erstreckt sich gemäß § 9 Abs 2 AsylbLG grundsätzlich nicht auf das Aufgaben- und Leistungsprogramm anderer Leistungsträger(vgl BVerwG Urteil vom 24.6.1999 - 5 C 24/98 - BVerwGE 109, 155 - juris RdNr 30 ). Für die Mobilitätsförderung nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX selbst ist dies offensichtlich; von einem Ausschluss des Klägers von diesem Nachteilsausgleich geht auch die Beklagte nicht aus. Aus dieser Systematik folgt zugleich, dass die Bedeutung der Begriffe "Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" in § 9 Abs 1 AsylbLG und "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX nicht übereinstimmen muss. Bemerkenswert sind insoweit die Gesetzesmaterialien zur Einführung des § 9 Abs 2 AsylbLG. Danach können Leistungen anderer Leistungsträger nicht unter Hinweis auf Leistungen nach dem AsylbLG eingeschränkt werden, "sofern dies nicht ausdrücklich im Rahmen von Einkommensvoraussetzungen vorgesehen ist" (BT-Drucks 12/4451 S 10 zu § 8). Zumindest eine ausdrückliche Einschränkung enthält § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX für Leistungsbezieher nach dem AsylbLG nicht. Da das AsylbLG als eigenständiges Leistungssystem nicht in das SGB eingegliedert und kein besonderer Teil iS des § 68 SGB I ist(vgl Herbst in Mergler/Zink, SGB XII/AsylbLG, Einführung zum AsylbLG RdNr 12), lässt sich auch nicht mit einer übereinstimmenden Bedeutung der Begriffe innerhalb des SGB argumentieren.

71

(d) Der Gesetzgeber hat die durch § 9 Abs 1 AsylbLG klar zum Ausdruck kommende Abgrenzung dieses Leistungssystems vom Recht der Sozialhilfe(vgl dazu auch § 23 Abs 2 SGB XII) als notwendig erachtet, um bei der Leistungsgewährung nach dem AsylbLG von grundlegenden Prinzipien des Sozialhilferechts, insbesondere vom Individualisierungsgrundsatz, abweichen zu können (vgl BT-Drucks 12/4451 S 5 zu Nr 2; vgl auch Kunkel, NVwZ 1994, 352, 353; zum Abschied von den sog Strukturprinzipien der Sozialhilfe, die vom BVerwG entwickelt worden sind, vgl insb BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 5/07 R - SozR 4-3520 § 9 Nr 1 RdNr 14 unter Hinweis auf Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, Vor § 1 RdNr 4 f, 8 f). Die Leistungen an Asylbewerber zur Deckung ihres Lebensunterhalts sollten außerhalb des BSHG "vereinfacht und auf die Bedürfnisse eines hier in aller Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthaltes" ausgerichtet werden. Nach der zuvor geltenden Rechtslage (§ 120 Abs 2 BSHG) war die Einschränkung der Leistungen auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche nur aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalles zulässig (BT-Drucks 12/4451 S 5 zu Nr 2 unter Hinweis auf BVerwG Urteil vom 26.8.1991 - 5 C 61.88 - BVerwGE 89, 87 ff).

72

Der Beklagten ist insoweit einzuräumen, dass die Herausnahme der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG aus dem Kreis der Sozialhilfebezieher ein bewusster Schritt der Schlechterstellung gegenüber denjenigen Personen darstellt, die unmittelbar anspruchsberechtigt nach dem BSHG waren bzw heute nach dem SGB XII sind. Nicht beantwortet hat sie aber die entscheidende Frage, ob hieraus auch auf eine bewusste Schlechterstellung dieses Personenkreises im Schwerbehindertenrecht geschlossen werden kann. Dies wäre bei einem übereinstimmenden Wortsinn der "Leistungen nach dem SGB XII" iS des § 9 Abs 1 AsylbLG und der "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX der Fall. Der Senat verneint diese Frage. Denn § 9 Abs 1 Alt 1 AsylbLG - und Entsprechendes gilt für § 23 Abs 2 SGB XII - ist nicht nur systematisch, sondern auch nach seinem Sinn und Zweck vornehmlich als Vorschrift betreffend die Gesetzeskonkurrenz im Bereich der Existenz sichernden Leistungen (SGB XII, AsylbLG) zu verstehen. Er stellt lediglich klar, dass Berechtigten nach § 1 AsylbLG über die Asylbewerberleistungen hinaus keine (weiteren) Existenz sichernden Leistungen der Sozialhilfe zustehen. Die gewollte Schlechterstellung dieser Personen gegenüber Leistungsberechtigten nach dem Recht der Sozialhilfe, lässt deren Rechtstellung im SGB IX unberührt. Durch das Schwerbehindertenrecht sollen nämlich alle Menschen mit Behinderungen - grundsätzlich unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status - durch einen möglichst weitgehenden Ausgleich ihrer Behinderung in die Gesellschaft integriert werden (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 2/09 R - BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 69 Nr 11, RdNr 31). Dies gilt nach Auffassung des Senats auch für die soziale Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX.

73

(2) Die Leistungen, die der Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 27 ff SGB XII erhalten hat, werden in entsprechender Anwendung des Dritten Kapitels des SGB XII gewährt. Denn nach § 2 Abs 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf einen bestimmten Kreis der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG entsprechend anzuwenden. Hierbei kann die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob § 2 Abs 1 AsylbLG eine Rechtsfolgenverweisung(vgl hierzu ausführlich Hohm in AsylbLG, Stand Juli 2011, § 2 RdNr 94 ff mwN) oder eine Rechtsgrundverweisung auf § 23 SGB XII(so Decker in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Juni 2011, § 2 AsylbLG RdNr 37 ff, 41 mwN; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII - AsylbLG, Stand Januar 2011, § 2 RdNr 40) enthält, unbeantwortet bleiben (ebenfalls offen gelassen durch BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 21 und BSG Urteil vom 9.6.2011 - B 8 AY 1/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR RdNr 14 f; zur praktischen Bedeutung dieses Streits vgl auch Oppermann in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 2 AsylbLG RdNr 108).

74

Es handelt sich zwar in der Rechtsfolge des § 2 Abs 1 AsylbLG um eine sog Analogieverweisung(vgl hierzu Handbuch der Rechtsförmlichkeit, herausgegeben vom BMJ, 3. Aufl 2008, RdNr 232), bei der der Bezugstext - das SGB XII - nicht wörtlich mitgelesen werden kann und nur eine "entsprechende" und ggf eine nach der Regelungsmaterie des AsylbLG abweichende Anwendung findet (zur entsprechenden Anwendung des SGB XII iS des § 2 Abs 1 AsylbLG vgl Hohm, aaO, § 2 RdNr 101 ff). Die Leistungen bestimmen sich jedoch grundsätzlich nach den näheren Leistungsvoraussetzungen, den Bestimmungen über Art, Form und Maß der Leistung und den einzelnen Verfahrensregelungen des Sozialhilferechts (vgl BT-Drucks 12/5008 S 15). Es gelten die - auch für die soziale Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX maßgeblichen - Einkommens- und Vermögensgrenzen des SGB XII, da die asylbewerberleistungsrechtliche Vorschrift über zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen(§ 7 AsylbLG) gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG ("abweichend von den §§ 3 bis 7" AsylbLG) nicht anzuwenden ist(vgl auch Herbst, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 39; Hohm, aaO, § 2 RdNr 105 mwN). Ungeachtet des Streits über die Art der Verweisung besteht nach ganz herrschender Meinung jedenfalls im Hinblick auf die Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt Einigkeit darüber, dass die Regelungen über diese Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG heranzuziehen sind(vgl Hohm, aaO, § 2 RdNr 185 f; Decker, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 53; Herbst, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 42; Oppermann, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 121 f).

75

(3) Die Bezieher von Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm den Vorschriften des SGB XII stehen zudem - wie von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX vorausgesetzt - den Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleich. Der Gesetzgeber mag die (in § 9 Abs 1 AsylbLG und § 23 Abs 2 SGB XII zum Ausdruck kommende) klare Abgrenzung der Leistungssysteme (SGB XII/AsylbLG) aus systematischen Gründen als notwendig erachtet haben. Materiell-rechtlich sind Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG jedoch dem "System der Sozialhilfe" zugewiesen. Auch hierbei kann der Streit über die Art der Verweisung in § 2 Abs 1 AsylbLG unentschieden bleiben. Selbst wenn diese allein als Verweisung auf § 23 SGB XII zu verstehen wäre(so Decker in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Juni 2011, § 2 AsylbLG RdNr 37 ff, 41 mwN; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII - AsylbLG, Stand Januar 2011, § 2 RdNr 40), steht der berechtigte Personenkreis Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleich. § 23 SGB XII regelt, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Ausländer Sozialhilfe beziehen können. Die Vorschrift sieht für diesen Personenkreis zwar nur einen reduzierten Leistungskatalog vor. Nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII sind aber als Pflichtleistung die Hilfe zum Lebensunterhalt(§§ 27 ff SGB XII), die Hilfe bei Krankheit (§ 48 SGB XII), die Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§ 50 SGB XII) sowie die Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff SGB XII) auf sozialhilferechtlichem Niveau vorgesehen. Entsprechendes gilt für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (§§ 41 bis 46 SGB XII), da diese Regelungen nach § 23 Abs 1 Satz 2 SGB XII unberührt bleiben. Die Erbringung der übrigen Sozialhilfeleistungen liegt einzelfallbezogen im Ermessen der Behörde (§ 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII).

76

Zwar erstreckt sich der Rechtsanspruch damit grundsätzlich nicht auf die Leistungen der übrigen Kapitel des SGB XII, insbesondere nicht auf die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 bis 60 SGB XII). Dieser sozialhilferechtliche Regelausschluss ist aber für die soziale Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX ohne Belang. Zum einen sind auch Leistungsberechtigte nach § 23 Abs 1 SGB XII, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII beziehen, nach dieser Vorschrift von der Entrichtung des Eigenanteils befreit. Zum anderen führt der Erhalt der Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII allein noch nicht zu der Kostenbefreiung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX.

77

Aus den Besonderheiten des AsylbLG ergibt sich keine andere Bewertung. Vielmehr verbindet auch der Gesetzgeber mit der Anspruchsberechtigung nach § 2 Abs 1 AsylbLG "eine weitgehende Angleichung des Leistungsrechts an das Sozialhilferecht", weil bei einem längeren Zeitraum des Aufenthaltes und - mangels Entscheidung (über den Asylantrag) - noch nicht absehbarer weiterer Dauer nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden könne, der bei einem in der Regel nur vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland entstehe. Insbesondere seien nunmehr Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse und auf bessere soziale Integration gerichtet seien (BT-Drucks 12/5008 S 15 zu der im Entwurf als § 1a AsylbLG vorgesehenen Regelung). Im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 AsylbLG ging diese Integrationskomponente allerdings in der endgültigen Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 26.5.1997 (BGBl I 1130) weitgehend verloren. In den Vordergrund trat der Gedanke der Kosteneinsparung, wie er sich an der Leistungsvoraussetzung eines 36 Monate währenden Leistungsbezugs nach §§ 3 ff AsylbLG (sog Vorbezugszeit) zeigt(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 21 unter Bezugnahme auf den Ausschussbericht vom 7.2.1996, BT-Drucks 13/3728 S 3).

78

Auch bei der Anhebung der Vorbezugszeit iS des § 2 Abs 1 AsylbLG auf 48 Monate mit Wirkung ab 28.8.2007 (Art 6 Abs 2 Nr 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 - BGBl I 1970) spielte die Integrationskomponente keine wesentliche Rolle (vgl BSG, aaO, RdNr 23 mwN). Immerhin kommt in den Materialien zum Ausdruck, nach einem Voraufenthalt von vier Jahren könne davon ausgegangen werden, dass eine Aufenthaltsperspektive entstanden sei, die es gebiete, Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine "bessere soziale Integration" gerichtet seien (vgl BT-Drucks 16/5065 S 232 zu Nr 2). Hieraus ergibt sich jedenfalls für die Rechtsfolge des § 2 Abs 1 AsylbLG, dass der Gesetzgeber sein ursprüngliches Anliegen "einer weitgehenden Angleichung des Leistungsrechts an das Sozialhilferecht" nicht aufgegeben hat. Auf die wegen der entsprechenden Anwendung des SGB XII im Detail gegebenenfalls abweichende Leistungsgewährung nach § 2 Abs 1 AsylbLG(vgl hierzu ausführlich Hohm, aaO, § 2 RdNr 110 ff) kommt es nach Auffassung des Senats insoweit nicht entscheidend an.

79

c) Die Beklagte war nach alledem gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX verpflichtet, an den Kläger eine für ein Jahr gültige Wertmarke - hier für den Zeitraum von September 2009 bis August 2010 - kostenlos, also ohne Entrichtung des Eigenanteils nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX, auszugeben. Der angefochtene Verwaltungsakt ist insoweit rechtswidrig und aufzuheben. Zudem hat die Beklagte dem Kläger den rechtsgrundlos erhaltenen Betrag in Höhe von 60 Euro zu erstatten.

80

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 sind das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch und Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Sonderregelungen für Auszubildende nach § 22 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch finden dabei jedoch keine Anwendung auf

1.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 3 und 4 in einer nach den §§ 51, 57 und 58 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung sowie
2.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 3 und 4 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung, deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten.
Bei Leistungsberechtigten nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung gilt anstelle des § 22 Absatz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, dass die zuständige Behörde Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch als Beihilfe oder als Darlehen gewährt. § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a, 40 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch findet auf Leistungsberechtigte nach Satz 1 mit den Maßgaben entsprechende Anwendung, dass
1.
bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird;
2.
für jede erwachsene Person, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unverheiratet ist und mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung im Sinne von § 8 Absatz 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes zusammenlebt, ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 anerkannt wird.

(2) Bei der Unterbringung von Leistungsberechtigten nach Absatz 1 in einer Gemeinschaftsunterkunft bestimmt die zuständige Behörde die Form der Leistung auf Grund der örtlichen Umstände.

(3) Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, erhalten Leistungen nach Absatz 1 auch dann, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Absatz 1 erhält.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch für das Revisionsverfahren die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung des Betrages, den der Kläger für eine an ihn ausgegebene Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Personenverkehr entrichtet hat.

2

Der 1970 geborene Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger; er hält sich nach eigenen Angaben seit 2003 in Deutschland auf und durchlief erfolglos das Asylverfahren. Er leidet seit 2006 an einer koronaren Herzerkrankung und ist aus diesem Grunde reiseunfähig. Im Februar 2009 erhielt der Kläger eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), deren Gültigkeit in der Folgezeit verlängert wurde.

3

Seit Juni 2009 ist der Kläger als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Es sind bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er zumindest seit dem 1.7.2009 durch Leistungen nach § 2 Abs 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) iVm den Vorschriften des SGB XII.

4

Am 2.7.2009 beantragte der Kläger beim Kreis A. die Ausstellung eines Beiblatts mit unentgeltlicher Wertmarke zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger zu keiner der in § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX aufgezählten Personengruppen gehöre; insbesondere beziehe er keine der dort aufgeführten Leistungen (Bescheid vom 20.7.2009). Den Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Münster zurück (Widerspruchsbescheid vom 25.8.2009).

5

Auf die hiergegen am 19.9.2009 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Aachen die ab dem 20.10.2009 an die Stelle des Kreises Aachen getretene Städteregion Aachen (Beklagte) unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung verurteilt, dem Kläger ein Beiblatt mit kostenloser Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr auszustellen (Urteil vom 11.1.2010), weil Leistungsbezieher gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG nach einer am Sinn und Zweck des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX orientierten Auslegung - auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Norm - zu dem wegen Bedürftigkeit von der Entrichtung des Eigenanteils befreiten Personenkreis gehörten.

6

Die Beklagte hat hiergegen beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger seinen Klageantrag im Einvernehmen mit der Beklagten dahingehend geändert, dass er von ihr die Kostenerstattung von 60 Euro begehre, da er sich die ursprünglich beantragte Wertmarke mittlerweile gegen Entrichtung des Eigenanteils selbst beschafft hatte.

7

Das LSG hat die Berufung durch Urteil vom 3.9.2010 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.8.2009 verurteilt wird, dem Kläger 60 Euro zu erstatten. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

8

Dem Kläger stehe ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, da die Beklagte von ihm für die Wertmarke zu Unrecht den Eigenanteil in Höhe von 60 Euro entgegengenommen habe. Der Kläger sei in analoger Anwendung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX von vornherein nicht verpflichtet gewesen, einen Eigenanteil zu leisten. Die Vorschrift sei zwar nach ihrem Wortlaut nicht unmittelbar anzuwenden, auch wenn die dem Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG gewährten Leistungen der Höhe nach ausschließlich nach den Vorschriften des SGB XII bemessen seien. Denn nach § 9 Abs 1 AsylbLG erhielten Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG gerade keine Leistungen nach dem SGB XII, sondern Leistungen nach dem AsylbLG. Mit Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte zur Beteiligung von Schwerbehinderten an den Kosten für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr gemäß § 57 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) aF liege aber eine Regelungslücke vor. Ursprünglich seien einkommensschwache Ausländer nämlich von der Kostenpflicht befreit gewesen, da sie vor Einführung des AsylbLG im Jahre 1993 bei Bedürftigkeit einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gehabt hätten. Auch wenn der Gesetzgeber mit dem AsylbLG eigenständige Regelungen des Unterhalts von Asylbewerbern und gegenüber den Leistungen nach dem BSHG eine deutlich abgesenkte Versorgung während des Asylverfahrens eingeführt habe, lasse sich eine bewusste Beseitigung der Kostenfreiheit gegenüber dem vorher bestehenden Rechtszustand jedenfalls für die Bezieher von sog Analog-Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG aus den Gesetzesmaterialien nicht eindeutig ableiten. Auch könne nicht angenommen werden, der moderne, oft unter Zeitdruck arbeitende Gesetzgeber wolle dieser Personengruppe einen regelungsbedürftigen Anspruch bewusst nicht gewähren, wenn er dazu schweige ("beredtes Schweigen").

9

Für die analoge Anwendung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX spreche zum einen der Normzweck, einkommensschwache Personen von der Kostenbeteiligung zu befreien, weil sie mangels finanzieller Mittel ohnehin auf die finanzielle Hilfe der öffentlichen Hand angewiesen seien. Dies treffe auf schwerbehinderte Bezieher von sog Analog-Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG in genau derselben Weise zu wie auf schwerbehinderte Sozialhilfeempfänger. Zum anderen entspreche diese Rechtsanwendung dem hier aus Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) abzuleitenden Gebot verfassungskonformer Auslegung, da die Umwandlung einer unentgeltlichen Freifahrt in eine Freifahrt mit Kostenbeteiligung den Gesetzgeber nicht berechtige, in unbeschränktem Ermessen Personenkreise von der Kostenbeteiligung auszunehmen. Eine Ungleichbehandlung von mittellosen schwerbehinderten Beziehern von Analog-Leistungen nach dem AsylbLG gegenüber mittellosen schwerbehinderten Beziehern von Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII sei sachlich nicht gerechtfertigt, insbesondere nicht wegen eines nur vorläufigen Aufenthalts der Bezieher von Analog-Leistungen in Deutschland. Einerseits setze der Bezug dieser Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG einen Voraufenthalt von 48 Monaten voraus, andererseits gelte die Wertmarke jeweils nur für ein Jahr. Im Fall des Klägers könne wegen der schweren Herzerkrankung ohnehin nicht von einem nur vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland ausgegangen werden.

10

Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend: Das LSG habe § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX zu Unrecht analog auf den Leistungen nach § 2 AsylbLG beziehenden Kläger angewandt. Die Vorschrift sei abschließend und ihrem Wortlaut nach eindeutig. Bei dem Erwerb der Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr seien insbesondere Bezieher von laufenden Leistungen nach dem SGB XII von dem Eigenanteil in Höhe von 60 Euro befreit (§ 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX), nicht aber Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG. Diese Regelung verstoße auch nicht gegen die Verfassung. Dem Gesetzgeber stehe es hier bis zur Grenze der Willkür frei, nach sachgemäßen Erwägungen bestimmte Personenkreise gegenüber anderen zu begünstigen. Insoweit belege die Gesetzesentwicklung seit Jahrzehnten das Bemühen des Gesetzgebers, die ständig steigende Belastung der öffentlichen Haushalte durch Anspruchsberechtigte - ob Schwerbehinderte, Asylbewerber oder Sozialhilfebezieher - abzumildern. Insbesondere habe der Gesetzgeber mit Neufassung des AsylbLG im Jahr 1993 eine eigenständige gesetzliche Regelung des Mindestunterhalts von Asylbewerbern geschaffen, mit der eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen einhergegangen sei. Die Entkoppelung dieses Leistungssystems vom regulären Sozialhilferecht sei ein bewusster Schritt der Schlechterstellung gegenüber den Personen gewesen, die direkt anspruchsberechtigt nach dem BSHG bzw SGB XII seien.

11

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3.9.2010 und des SG Aachen vom 11.1.2010 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid des Kreises Aachen vom 20.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Münster vom 25.8.2009 abzuweisen.

12

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2010 zurückzuweisen.

13

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend und macht ergänzend geltend, ein Ausschluss aus dem Kreis der Begünstigten iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX verstoße in seinem Fall mangels sachlicher Rechtfertigung nicht nur gegen die Verfassung(Art 3 Abs 1 GG), sondern sei auch mit völkerrechtlichen Diskriminierungsverboten nicht zu vereinbaren.

14

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

15

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

16

1. Die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung des erkennenden Senats liegen vor.

17

a) Im Laufe des Gerichtsverfahrens ist auf der Beklagtenseite ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes erfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/07 R - BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, RdNr 13 f, BSG Beschluss vom 8.5.2007 - B 12 SF 3/07 S - SozR 4-1500 § 57 Nr 2 RdNr 4; BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1). Der seit dem 1.1.2008 für die Aufgaben nach §§ 69, 145 SGB IX zuständige Kreis Aachen(vgl § 2 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482; vgl zur Übertragung der Aufgaben des Schwerbehindertenrechts auf die Kreise und kreisfreien Städte: BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - SozialVerw 2009, 59) ist nach Klageerhebung am 19.9.2009 mit Ablauf des 20.10.2009 durch § 1 Abs 1 Städteregion Aachen Gesetz vom 26.2.2008 (GVBl NRW 162) aufgelöst worden. Rechtsnachfolgerin ist gemäß § 2 Abs 1 Städteregion Aachen Gesetz die Städteregion Aachen(vgl hierzu bereits BSG Teilurteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 9/09 R - BSGE 107, 1 = SozR 4-7837 § 1 Nr 2, RdNr 16 und Urteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 19/09 R - BSGE 107, 18 = SozR 4-7837 § 2 Nr 6, RdNr 13).

18

Die Klage richtet sich jetzt zutreffend gegen die Städteregion Aachen, zumal mit Wirkung vom 1.1.2011 die Beteiligtenfähigkeit einer Behörde nach § 70 Nr 3 SGG iVm § 3 Gesetz zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes im Lande Nordrhein-Westfalen (AG-SGG NRW) vom 3.9.1953 (GVBl NRW 412) idF des Gesetzes vom 17.12.1974 (GVBl NRW 1588) weggefallen ist. Durch Art 2 Nr 29 iVm Art 4 Satz 1 Gesetz zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein-Westfalen vom 26.1.2010 (GVBl NRW 30) sind mit Wirkung vom 1.1.2011 die vorgenannten landesrechtlichen Bestimmungen ersatzlos aufgehoben worden (vgl hierzu bereits BSG Urteile vom 17.2.2011 - B 10 EG 1/10 R und B 10B 10 EG 2/10 R - juris RdNr 11). Der Senat hat sich deshalb nicht mehr mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Auffassung des 8. Senats des BSG (s Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R - SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 14) zutrifft, dass eine Klage bei Bestehen eines landesrechtlich vorgesehenen Behördenprinzips zwingend gegen die Behörde zu richten ist (zur Gegenansicht BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - juris RdNr 21; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 70 RdNr 4).

19

b) Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und 4 SGG) zulässig.

20

aa) Der Kläger begehrt die Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsaktes und - nach Umstellung seines Klageantrags im Berufungsverfahren - die Erstattung des Eigenanteils für die Ausgabe der Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr. Insoweit betrifft der Rechtsstreit die Fragen, ob der seinerzeit zuständige Kreis die Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr für die Zeit von September 2009 bis August 2010 kostenlos an den Kläger abzugeben hatte und die Beklagte zur Erstattung des vom Kläger dafür geleisteten Eigenanteils von 60 Euro verpflichtet ist. Der Kläger hat zunächst die Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke begehrt und sich nach erfolglosem Verwaltungsverfahren die Wertmarke gegen Entrichtung des Eigenanteils iHv 60 Euro selbst beschafft. Das LSG hat zwar in seiner Entscheidung die Gültigkeitsdauer der dem Kläger ausgegebenen Wertmarke nicht festgestellt (§ 163 SGG). Diese ergibt sich aber aus der Sitzungsniederschrift vom 3.9.2010, nach der sich die Beteiligten nach Vorlage des Schwerbehindertenausweises des Klägers darüber einig geworden sind, dass Gegenstand des Verfahrens allein die für den Zeitraum September 2009 bis August 2010 beschaffte Wertmarke ist. Diesen Sachverhalt legt der Senat seiner Entscheidung zu Grunde. Denn über Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung hinaus kann das BSG den erforderlichen Tatsachenstoff auch der vorinstanzlichen Sitzungsniederschrift entnehmen (§ 202 SGG iVm § 559 Abs 1 Satz 1 ZPO; vgl auch Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 23.9.1969 - II C 25.66 - Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 34; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 163 RdNr 4; Lüdtke in Hk-SGG, 3. Aufl 2009, § 163 RdNr 2). Insoweit ist hier die Frage der Kostenpflicht oder Kostenfreiheit nach § 145 Abs 1 SGB IX für diesen Zeitraum weiterhin streitig(vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 13).

21

bb) Der Senat kann offen lassen, ob in der Umstellung des Klageantrags im Berufungsverfahren eine stets zulässige Umwandlung des Klagebegehrens wegen einer später eingetretenen Veränderung iS des § 99 Abs 3 Nr 3 SGG oder eine Klageänderung iS des § 99 Abs 1 SGG zu sehen ist. Das LSG hat sich mit dieser prozessualen Frage nicht befasst. Nach seinen Feststellungen, an die das BSG gebunden ist (§ 163 SGG), kann bereits nicht beurteilt werden, ob der Kläger die kostenpflichtige Wertmarke (§ 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX) vor oder nach Klageerhebung beim SG Aachen erworben hat, also eine später eingetretene Veränderung iS des § 99 Abs 3 Nr 3 SGG vorliegt. Auch erscheint fraglich, ob die Rechtsprechung zur Ersatzbeschaffung im Krankenversicherungsrecht, nach der ohne Änderung des Klagegrundes (§ 99 Abs 3 Nr 3 SGG) an die Stelle eines Sachleistungsanspruchs nach Maßgabe des § 13 SGB V ein Kostenerstattungsanspruch treten kann(vgl etwa BSG Urteil vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261, 262 = SozR 3-2500 § 33 Nr 21 S 113 mwN), auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar ist. Denn der Kläger hat die Sachleistung (Wertmarke) - wie begehrt - von der zuständigen Behörde erhalten, jedoch nur gegen Entrichtung des Eigenanteils iS des § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX. Der Erwerb der Wertmarke mit Eigenbeteiligung ist insoweit keine Ersatzbeschaffung, sondern gleicht der Beteiligung an den Kosten einer kranken- oder rentenversicherungsrechtlichen Sozialleistung (so bereits BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 7).

22

Selbst wenn man den Übergang auf ein anderes Klagebegehren - hier auf einen Kostenerstattungsanspruch - als eine Klageänderung ansieht, wäre diese nach den Maßgaben des § 99 Abs 1 SGG zulässig gewesen(vgl dazu BSG Urteil vom 17.5.1988 - 10 RKg 3/87 - BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85 S 86). Die Beklagte hat sich nämlich in der mündlichen Verhandlung des LSG vom 3.9.2010 mit der Umstellung des Klagebegehrens ausdrücklich einverstanden erklärt.

23

cc) Auch die Sachurteilsvoraussetzungen für die Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage liegen vor.

24

Im Hinblick auf die Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 20.7.2009 ist das Vorverfahren vor Erhebung der Anfechtungsklage durchgeführt worden (zur Durchführung eines Vorverfahrens als Sachurteilsvoraussetzung etwa BSG SozR 3-1500 § 78 Nr 3 S 5). Ob die Entscheidung über eine unentgeltliche Wertmarkenausgabe überhaupt durch Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X zu erfolgen hat(vgl zur Problematik LSG Baden Württemberg Urteil vom 29.8.2005 - L 6 SB 5511/04 - juris RdNr 26 ff), kann (weiterhin) offen bleiben, weil der Beklagte hier die Form des Verwaltungsaktes gewählt hat (vgl bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 14).

25

Ebenfalls kann offen bleiben, ob die Bezirksregierung Münster nach der zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 25.8.2009 maßgeblichen Rechtslage gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 SGG befugt war, über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.7.2009 zu entscheiden (vgl zur Frage der Zuständigkeit in Verfahren nach §§ 69, 145 SGB IX gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 1 oder 4 SGG in NRW: LSG Nordrhein Westfalen Urteil vom 16.12.2009 - L 10 SB 39/09 - SozialVerw 2010, 8 ff, Revision anhängig unter B 9 SB 2/10 R; LSG Nordrhein Westfalen Urteil vom 5.3.2008 - L 10 SB 40/06 - Juris RdNr 39 ff). Denn sie ist jedenfalls seit Inkrafttreten des § 4a AG SGG NRW rückwirkend ab 1.1.2008 durch Art 3, 4 Satz 2 des Gesetzes zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein Westfalen vom 26.1.2010 (GVBl NRW 30) als Widerspruchsbehörde in Angelegenheiten nach den §§ 69, 145 SGB IX festgelegt worden(vgl zu § 4a AG SGG NRW bereits BSG Teilurteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 9/09 R - BSGE 107, 1 = SozR 4-7837 § 1 Nr 2, RdNr 19). Diese landesrechtliche Zuständigkeitsregelung verstößt nicht gegen Bundesrecht. Sowohl nach §§ 219, 85 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGG als auch gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGG iVm § 2 Abs 2 Satz 2 EingliederungsG sind insoweit abweichende Zuständigkeitsregelungen erlaubt.

26

Soweit es den erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Anspruch des Klägers auf Erstattung des von ihm geleisteten Eigenanteils von 60 Euro betrifft, ist hier unschädlich, dass die Beklagte zu dem neuen Streitgegenstand kein eigenständiges Verwaltungsverfahren durchgeführt und dieses nicht mit einem Bescheid abgeschlossen hat (vgl § 8 SGB X). Erst recht schadet es nicht, dass kein Widerspruchsverfahren als Klagevoraussetzung durchgeführt worden ist (§ 78 Abs 3 iVm Abs 1 SGG). Zwar müssen auch im Falle einer zulässigen Klageänderung für die geänderte Klage im Regelfall die Sachurteilsvoraussetzungen in gleicher Weise vorliegen, wie es bei einer sofortigen Klageerhebung mit einem entsprechenden Begehren nötig gewesen wäre (vgl hierzu etwa BSG Urteil vom 15.8.1996 - 9 RVs 10/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr 13 S 54). Es ist aber anerkannt, dass in bestimmten Fällen nicht nur die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens entbehrlich sein kann (vgl im Einzelnen Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 78 RdNr 8, 8a mwN), sondern auch die Durchführung eines selbstständigen Verwaltungsverfahrens während eines anhängigen Rechtsstreits. Dies ist der Fall, wenn von einer eigenständigen Verwaltungsentscheidung nichts anderes zu erwarten ist als eine Bestätigung des prozessualen Vorbringens und die Verwaltung durch rügelose Einlassung oder gar durch ausdrückliches Einverständnis auf ihren Vorrang bei der Gesetzesausführung verzichtet hat (BSG Urteil vom 15.8.1996 - 9 RVs 10/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr 13 S 54; BSG Urteil vom 27.8.1998 - B 9 SB 13/97 R - juris RdNr 12). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Der Kläger hat sich die Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr nur deswegen gegen Entrichtung des Eigenanteils iS des § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX beschafft, weil die Beklagte die Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke mit der angegriffenen Entscheidung abgelehnt hat und hieran - wie der vorliegende Prozess zeigt - weiterhin festhält.

27

2. In der Sache hat die Revision der Beklagten keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das zusprechende Urteil des SG mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.8.2009 verurteilt wird, dem Kläger 60 Euro zu erstatten.

28

a) Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung des Eigenanteils in Höhe von 60 Euro ist - wie das LSG zutreffend erkannt hat - der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (vgl zu diesem allgemein anerkannten Rechtsinstitut BSG Urteil vom 11.10.1994 - 1 RK 34/93 - BSGE 75, 167 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 2 mwN; Ossenbühl, NVwZ 1991, 513 ff). Eine spezialgesetzliche Regelung über die Rückerstattung ohne Rechtsgrund geleisteter Beträge nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX ist nicht ersichtlich.

29

aa) Als vorrangige Erstattungsregelung kommt insbesondere § 145 Abs 1 Satz 4 SGB IX nicht in Betracht. Danach gilt für die gemäß § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX grundsätzlich gegen einen Betrag von 60 Euro für ein Jahr oder 30 Euro für ein halbes Jahr erhältliche Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im Personennahverkehr(§ 145 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX), dass im Falle der Rückgabe der Wertmarke vor Ablauf ihrer Gültigkeitsdauer auf Antrag ein Betrag von 5 Euro für jeden vollen Kalendermonat ihrer Gültigkeit nach Rückgabe erstattet wird, sofern der zu erstattende Betrag 15 Euro nicht unterschreitet; Entsprechendes gilt für jeden vollen Kalendermonat nach dem Tod des schwerbehinderten Menschen. Der Anwendungsbereich dieser Norm ist nicht eröffnet, da sie nur diejenigen Fälle erfasst, in denen Berechtigte die gegen eine Selbstbeteiligung erhaltene Wertmarke vor Ablauf ihrer Gültigkeitsdauer zurückgeben oder versterben. Der Wertmarkenbetrag wird infolgedessen für diejenigen Monate erstattet, in denen die Berechtigten von ihrem Recht auf unentgeltliche Beförderung keinen Gebrauch mehr machen können (vgl BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 8). Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich hingegen auf die Erstattung des für die (inzwischen bereits abgelaufene) Wertmarke entrichteten Eigenanteils mit der Begründung, dass gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX überhaupt kein Betrag iS des § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX zu leisten gewesen sei.

30

bb) Auch § 15 Abs 1 Satz 3 SGB IX ist hier als besondere Erstattungsregel nicht einschlägig. Danach ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, soweit sich Leistungsberechtigte nach fruchtloser Fristsetzung und weiteren Voraussetzungen (vgl § 15 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX) eine erforderliche Leistung selbst beschaffen. Die Erstattungspflicht besteht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (§ 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX). Es muss sich um eine Rehabilitationsleistung nach dem SGB IX (§§ 4, 5 SGB IX) bzw den speziellen Leistungsgesetzen handeln (vgl Luik in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 15 RdNr 27). Hieran fehlt es. Die gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX ohne Eigenanteil auszugebende Wertmarke ist keine eigenständige Leistung nach dem SGB IX und kann überdies (auf rechtmäßige Weise) nicht selbst beschafft werden, soweit die Behörde die Ausgabe der Wertmarke von der Entrichtung des Betrags nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX abhängig macht. Die Sozialleistung besteht im Verhältnis zwischen Schwerbehinderten und Staat vielmehr in der Vergünstigung, von der Pflicht zur Zahlung des üblichen Beförderungsentgelts an die Verkehrsunternehmen freigestellt zu werden (vgl BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 7).

31

b) Dem hier einschlägigen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch liegt der allgemeine, auch im Sozialrecht geltende Rechtsgrundsatz zu Grunde, dass zu Unrecht empfangene Leistungen zurückzugeben sind (vgl zur Erstattung des anteiligen Eigenanteils bei vorzeitiger Rückgabe der Wertmarke für Zeiträume vor Inkrafttreten des § 57 Abs 1 Satz 4 SchwbG idF vom 18.7.1985 bereits BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 7 ff). Auf diesen Anspruch kann sich nicht nur die Behörde, sondern auch der Bürger stützen, wenn zu seinen Lasten eine Vermögensverschiebung eingetreten ist und ein Sozialleistungsträger etwas erhalten hat, was ihm nicht zusteht (vgl BSG Urteil vom 11.10.1994 - 1 RK 34/93 - BSGE 75, 167 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 2 mwN; Ossenbühl, NVwZ 1991, 513, 514). Übertragen auf die vorliegende Fallgestaltung bedeutet dies, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des bei der Ausgabe der Wertmarke für den Zeitraum September 2009 bis Oktober 2010 gezahlten Betrages in Höhe von 60 Euro hat, wenn er seinerzeit diesen Eigenanteil gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX nicht zu entrichten hatte, der Betrag nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX also rechtsgrundlos von der Beklagten entgegengenommen worden ist. Dies ist hier der Fall. Denn der Kläger konnte eine kostenfreie Wertmarke beanspruchen.

32

Rechtsgrundlage für die von dem damals zuständigen Kreis abgelehnte unentgeltliche Ausgabe einer Wertmarke ist hier § 145 Abs 1 Satz 1 bis 3 und 5 Nr 2 SGB IX idF vom 22.12.2008 (BGBl I 2959). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der Vermögensverschiebung vor Ausgabe der von September 2009 bis August 2010 gültigen Wertmarke. Nach den genannten Regelungen werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs 5 SGB IX im Nahverkehr unentgeltlich befördert. Voraussetzung ist, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist. Sie wird gegen Entrichtung eines Betrages von 60 Euro für ein Jahr oder 30 Euro für ein halbes Jahr ausgegeben. Auf Antrag wird eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Betrag nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX zu entrichten ist, ua an schwerbehinderte Menschen ausgegeben, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII, dem SGB VIII oder den §§ 27a und 27d Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhalten.

33

Soweit danach ein Antrag erforderlich ist, steht dem Anspruch des Klägers auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke für die Zeit von September 2009 bis August 2010 nicht bereits entgegen, dass der Kläger vor der Ausgabe der für diesen Zeitraum gültigen kostenpflichtigen Wertmarke möglicherweise keinen erneuten, "ausdrücklichen" Antrag iS des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX auf Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke gestellt hat(vgl zu dieser Problematik LSG Baden-Württemberg Urteil vom 29.8.2005 - L 6 SB 5511/04 - juris RdNr 34). Zu einer wiederholten Antragstellung hat nämlich wegen der vom Kläger angefochtenen und damit nicht bestandskräftigen Ablehnungsentscheidung der zuständigen Behörde (Bescheid vom 20.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.8.2009) kein Anlass bestanden.

34

Auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke liegen für den maßgeblichen Zeitraum vor. Der Kläger hat zum Kreis der berechtigten Personen iS des § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX gehört, denn ihm war das Merkzeichen "G" erteilt worden. Zudem hat der Kläger seinerzeit Leistungen iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX erhalten. Denn die dem Kläger gewährten Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 27 ff SGB XII stellen nach Auffassung des erkennenden Senats "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS dieser Vorschrift dar. Dafür sind folgende Erwägungen maßgebend:

35

aa) Um die Bedeutung einer Gesetzesvorschrift zu ermitteln, kommen zunächst die herkömmlichen Auslegungsmethoden zur Anwendung. Danach ist auf den Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), ihren Zusammenhang (systematische Auslegung), ihren Zweck (teleologische Auslegung) sowie die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) abzustellen (vgl aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts : BVerfGE 11, 126, 130; 82, 6, 11; 93, 37, 81; 105, 135, 157; dazu auch Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 141 ff; 163 ff). Dabei sind die konkret einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Ist von mehreren möglichen Auslegungen nur eine mit dem GG vereinbar, muss diese gewählt werden (verfassungskonforme Auslegung; vgl etwa BVerfGE 88, 145, 166 f; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 159 ff). Die Grenzen jeder Auslegung ergeben sich daraus, dass einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht durch Auslegung eine entgegengesetzte Bedeutung verliehen werden darf (vgl BVerfGE 54, 277, 299 f; 59, 330, 334; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 143).

36

bb) Das BSG hat bereits zu den Vorgängervorschriften des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX entschieden, dass der Gesetzgeber nur einem bestimmten Personenkreis, der nach der damaligen Rechtslage eindeutig benannt war, den kostenlosen Erwerb der zur Freifahrt berechtigenden Wertmarke zubilligen wollte(vgl BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1; BSG Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 7/93 - RdLH 1996 Nr 1, 35 ), und an dieser Rechtsprechung auch seit Inkrafttreten des SGB IX festgehalten (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1§ 145 abs 1 satz 5 nr 2 sgb ix idf vom 21.3.2005, bgbl i 818, und idf vom 2.12.2006, bgbl i 2742>). Danach besteht keine Veranlassung für eine den Wortlaut des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX erweiternde Auslegung, die zu einer Erstreckung auf Personen führt, die nicht Bezieher laufender Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII sind. Denn die Mobilitätsförderung von schwerbehinderten Menschen nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX wird durch den zu leistenden Eigenanteil nur moderat relativiert. Die kostenlose Ausgabe der Wertmarke stellt systematisch eine Ausnahme von der Pflicht zur Entrichtung des Eigenanteils dar. Die Regelung ist abschließend (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 27-29; vgl auch Vogl in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 145 RdNr 47).

37

cc) Hieran anknüpfend hält der Senat - innerhalb der Wortlautgrenze - eine weite Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX für richtig. Von diesem Begriff sind nicht nur Leistungen umfasst, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben, sondern auch für den Lebensunterhalt laufende Leistungen, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII an Personen erbracht werden, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen (1). Zudem ist unter dem Begriff "erhalten" in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX der faktische Bezug der in der Vorschrift genannten Leistungen zu verstehen, ohne dass es auf die materiell-rechtliche Leistungsberechtigung des Empfängers ankommt(2).

38

(1) Einem weiten Verständnis des Begriffs der "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX steht nicht entgegen, dass es sich bei dieser Norm gegenüber dem Regelfall der Freifahrtberechtigung mit Zahlung einer Eigenbeteiligung nach § 145 Abs 1 Satz 1 bis 3 SGB IX um eine Ausnahmevorschrift handelt(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 29). Die Regel, dass Ausnahmevorschriften grundsätzlich eng auszulegen sind, gilt nicht allgemein. Entscheidend ist vielmehr der Grund, warum der Gesetzgeber eine bestimmte Gruppe von Fällen aus dem Anwendungsbereich der Regelvorschrift herausgenommen hat (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 337, 339 f).

39

(a) Zwar lässt der Wortlaut der Norm sowohl eine enge als auch eine weite Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" zu, im sprachlichem Zusammenhang betrachtet legt § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX jedoch bereits ein weites Begriffsverständnis nahe.

40

Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen richtet sich die Wortlautinterpretation zunächst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eines Ausdrucks bzw einer Wortverbindung. Haben Ausdrücke in der Rechtssprache eine spezifische Bedeutung erhalten, geht der besondere Sprachgebrauch des Gesetzes vor (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 305 ff). Nach diesen Grundsätzen hat das LSG im Ansatz zutreffend erkannt, dass der Befreiungstatbestand für Personen, die "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" beziehen, im Rahmen des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX so verstanden werden kann, dass von diesem Begriff auch nach den gleichen Voraussetzungen zu gewährende Leistungen umfasst sind. Das Wort "nach" kann im allgemeinen Sprachgebrauch unterschiedliche Bedeutungen einnehmen, etwa "gemäß", "entsprechend" oder "im Sinne von". Es ist auch nach dem juristischen Sprachgebrauch keineswegs zwingend, dass mit der Wortverbindung "nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" nur Leistungen gemeint sind, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben bzw im engeren Rechtssinne Leistungen der Sozialhilfe darstellen. Vielmehr können auch Leistungen umfasst sein, die in entsprechender Anwendung der Regelungen des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden.

41

Ein solches Verständnis wird auch bei den ebenfalls von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IV erfassten Beziehern von Leistungen "nach" den §§ 27a und 27d BVG vertreten(Heinz in Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, Stand April 2010, § 145 RdNr 33; Winkler in Müller-Wenner/Winkler, SGB IX, 2. Aufl 2011, § 145 RdNr 14). Danach sollen nicht nur Empfänger von Leistungen der Kriegsopferfürsorge (in unmittelbarer Anwendung des BVG), sondern auch Berechtigte nach den sog "Nebengesetzen" zum BVG von der Zuzahlungspflicht befreit sein, obwohl das BVG nach diesen Gesetzen nur entsprechend anzuwenden ist (vgl etwa § 80 Abs 1 Satz 1 Soldatenversorgungsgesetz; § 47 Abs 1 Satz 1 Zivildienstgesetz; § 60 Abs 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz; § 1 Abs 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz).

42

Schließlich spricht auch der Aufbau der Wortverbindung dafür, dass von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX auch Leistungen umfasst sind, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden. Der Gesetzgeber hat die Leistungen zunächst näher umschrieben als "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen"; die nachfolgende Nennung der materiell-rechtlichen Bezugsnorm ("nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches") kann dann allein dazu dienen, die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise - ungeachtet des genaueren Rechtsgrunds der erhaltenen Leistungen - "nach dem System des Sozialhilferechts" vorzunehmen, welches für sich bereits zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen (11. Kap SGB XII) sowie relevante Sonderbedarfe regelt (vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34).

43

(b) Ein weites Verständnis des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX steht mit der Entstehungsgeschichte der Norm im Einklang.

44

Die Vorschrift über die Freifahrtsberechtigung schwerbehinderter Menschen geht auf § 57 Abs 1 SchwbG idF des Art 20 des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1984 vom 22.12.1983 (BGBl I 1532) zurück, durch den der Kreis der berechtigten Personen eingeschränkt und grundsätzlich eine Kostenbeteiligung in Höhe von damals 120 DM jährlich bzw 60 DM halbjährlich eingeführt wurde. Nach der ersten Fassung des § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SchwbG erhielten ua "Bezieher von laufenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG" eine kostenlose Wertmarke. Diesen Wortlaut änderte der Gesetzgeber bereits mit der ersten Korrektur des HBegleitG 1984 durch das Gesetz zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 18.7.1985 (BGBl I 1516), um auch bedürftige Heimbewohner eindeutig von der Eigenbeteiligung zu befreien. Denn einige Länder hatten bei der Durchführung des Gesetzes nach der damaligen Systematik des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ein enges Verständnis der Norm zu Grunde gelegt und unter "Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt" nicht Hilfen in besonderen Lebenslagen für bedürftige Heimbewohner verstanden, obwohl bei der Gewährung dieser Leistungen in einer Einrichtung gemäß § 27 Abs 3 BSHG idF vom 24.5.1983 (BGBl I 613) auch Leistungen zum Lebensunterhalt umfasst waren (vgl hierzu Cramer, VersorgB 1985, 87, 89 mwN). Dieser engen Auslegung trat der Gesetzgeber entgegen. Mit der Gesetzesänderung führte er den Begriff "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen" ein und bekundete das Anliegen, durch diesen Befreiungstatbestand "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40). Ähnlich der heutigen Fassung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX waren nach der damals geltenden Fassung des § 57 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SchwbG Berechtigte, die "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem BSHG erhalten", von der Entrichtung des Eigenanteils befreit.

45

Dieser Befreiungstatbestand ist inhaltlich sowohl mit Einführung des SGB IX durch Gesetz vom 19.6.2001 (BGBl I 1046) als auch mit Einführung des SGB XII durch Gesetz vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) im Wesentlichen unverändert geblieben. Er hat seine letzte Fassung jedoch erst durch die Änderungsgesetze vom 13.12.2007 (BGBl I 2904) und 22.12.2008 (BGBl I 2959) erhalten, die nach den Gesetzesmaterialien vornehmlich redaktionelle Änderungen betrafen (vgl BT-Drucks 16/6985 S 5; BT-Drucks 16/10487 S 11). Die Aufnahme des Tatbestandsmerkmals der Leistungen nach dem "Dritten und Vierten Kapitel" des SGB XII ist auf die Eingliederung des Gesetzes über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 26.6.2001 (BGBl I 1310) in das SGB XII (Viertes Kapitel) und die systematische Trennung der Hilfe zum Lebensunterhalt (Drittes Kapitel) und der Hilfen in besonderen Lebenslagen (nun Fünftes bis Neuntes Kapitel) zurückzuführen (vgl zur neueren Gesetzhistorie auch Spiolek in GK-SGB IX, Stand Februar 2011, § 145 RdNr 25).

46

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich - wie das LSG zutreffend erkannt hat - aus den Gesetzesmaterialien zu den jeweiligen Änderungen der Befreiungstatbestände für einkommensschwache schwerbehinderte Menschen bei der unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass der Gesetzgeber sein ursprüngliches Anliegen, "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40), aufgegeben haben könnte.

47

(c) Für die vom erkennenden Senat vertretene Auslegung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX sprechen auch systematische Erwägungen, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis dieser sozialen Vergünstigung zu den existenzsichernden Systemen des Fürsorgerechts (SGB II/SGB XII).

48

Die Privilegierung einkommensschwacher schwerbehinderter Menschen im Rahmen des § 145 Abs 1 SGB IX stellt eine von den Systemen des Fürsorgerechts abgegrenzte soziale Vergünstigung des Schwerbehindertenrechts dar. Der Gesetzgeber hat diese Vergünstigung nicht allen einkommensschwachen Personen, die das Merkzeichen "G" besitzen, zukommen lassen wollen, sondern dabei eine systembezogene Zuordnung vorgenommen. Der Senat hat bereits entschieden, dass selbst dann kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG (vgl hierzu BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) vorliegt, wenn dem Berechtigten, der die Eigenbeteiligung aufzubringen hat, das vom Gesetzgeber in Höhe des Regelbedarfs normativ bestimmte (vgl § 27 Abs 1 SGB XII) soziokulturelle Existenzminimum zur Verfügung steht (Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 36). Konsequenterweise ist eine entsprechende soziale Vergünstigung (kostenfreie Wertmarke) bzw die Deckung eines entsprechenden Bedarfs bei Schwer- oder Gehbehinderung grundsätzlich kein Regelungsgegenstand der existenzsichernden Systeme nach dem SGB II und SGB XII (vgl zum SGB II etwa BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 29/09 R - BSGE 105, 279 = SozR 4-1100 Art 1 Nr 7, RdNr 39; BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 24). Der Gesetzgeber hat vielmehr im Rahmen der Nr 2 nur bestimmte Gruppen von Leistungsbeziehern nach dem SGB XII, SGB II und BVG in den Befreiungstatbestand des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX aufgenommen. Dementsprechend ist insoweit die Zuordnung von Freifahrtberechtigten nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX zu diesen Systemen der öffentlichen Fürsorge von entscheidender Bedeutung.

49

Dem System des SGB XII sind dabei nicht nur Personen zuzurechnen, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen in unmittelbarer Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII beziehen, sondern auch Personen, die diese Leistungen (nur) in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften erhalten, aber materiell-rechtlich weitgehend Sozialhilfeempfängern gleichgestellt sind. Anders verhält es sich dagegen mit Personen, deren laufender Lebensunterhalt durch eigene Mittel oder ein anderes Sicherungssystem gewährleistet wird. Bei diesem sieht der Gesetzgeber ersichtlich keine Veranlassung für eine Befreiung vom Eigenanteil nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX. Im Fall der Zuordnung zu einem anderen Sicherungssystem geht er nachvollziehbar davon aus, dass ein etwa erforderlicher Ausgleich - zB durch Erstattung des Eigenanteils - ggf im Rahmen dieses Systems erfolgen kann.

50

Auf die "Zweckidentität" einer Leistung hinsichtlich der Gewährleistung des Existenzminimums kommt es mithin bei der Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" nicht entscheidend an, vielmehr auf die Zuordnung eines Personenkreises zum "System des Sozialhilferechts". Folglich hält es der Senat aus systematischen Gründen für notwendig, dass es sich dabei nicht nur um Leistungen handelt, die zumindest in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden, sondern auch um Leistungsbezieher, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen, also nicht unbedingt formal, aber materiell-rechtlich dem "System des Sozialhilferechts" zugewiesen sind.

51

Der Senat verkennt nicht, dass bei einer solchen Auslegung der ausdrücklichen Nennung der Bezieher von ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt iS des § 27a BVG in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Var 4 SGB IX kaum eigenständige Bedeutung zukommt, da nach § 27a Satz 2 BVG bereits eine entsprechende Anwendung der Regelungen des Dritten Kapitels des SGB XII unter Berücksichtigung der besonderen Lage der Beschädigten und Hinterbliebenen vorgesehen ist. Gerade im Zusammenhang mit der Begünstigung der Leistungsbezieher nach § 27d BVG kann die Nennung des § 27a BVG immerhin eine sinnvolle Klarstellung bedeuten, zumal eine Gleichstellung des von § 27a BVG erfassten Personenkreises - auch im Hinblick auf die angeordnete Berücksichtigung der besonderen Lage der Betroffenen - zweifelhaft seien könnte.

52

(d) Ein weites Begriffsverständnis entspricht auch am ehesten dem Sinn und Zweck des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX.

53

Durch die jetzt in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX vorgesehene soziale Vergünstigung sollen - wie schon seit Einführung des Eigenanteils bei der ermäßigten Beförderung eines Kreises schwerbehinderter Menschen im Jahre 1984(vgl § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SchwbG idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) - die "Belange typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtsberechtigter" berücksichtigt werden (BT-Drucks 10/335 S 89; vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34). Dabei ist es ein Anliegen des Gesetzgebers, "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40). Durch die Anknüpfung ua an den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII macht der Gesetzgeber die Befreiung vom Unterschreiten einer Einkommensgrenze abhängig, die sich aus dem System des Sozialhilferechts (11. Kap SGB XII) ergibt (vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34). Bei dieser Zweckrichtung macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob die für den Lebensunterhalt laufenden Leistungen in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden.

54

Hierbei ist auch das weitere Ziel des Gesetzgebers zu berücksichtigen, die verwaltungspraktische Arbeit der zuständigen Behörden dadurch zu erleichtern, dass die Hilfebedürftigkeit des Berechtigten bereits durch andere Träger - mittels Verwaltungsakt - festgestellt worden ist (vgl BT-Drucks 10/335 S 89; vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 35). Dieser hatte insoweit offensichtlich das sozialhilferechtliche Verwaltungsverfahren vor Augen. Nicht nur aus systematischen Gründen, sondern auch im Hinblick auf diese Zweckrichtung liegt es nahe, ein weites Verständnis des Befreiungstatbestands auf Leistungsbezieher zu beschränken, die - auch verfahrensmäßig - Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen.

55

(e) Auch mit Rücksicht auf höherrangiges Recht ist das vom Senat für zutreffend gehaltene Verständnis des Befreiungstatbestands nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX angebracht.

56

Das BSG hat bereits entschieden, dass die Umwandlung von einer unentgeltlichen Freifahrt in eine "Freifahrt" mit Kostenbeteiligung den Gesetzgeber nicht berechtigt, in unbeschränktem Ermessen Personenkreise von der Kostenbeteiligung auszunehmen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet es vielmehr, den begünstigten Personenkreis nach sachgemäßen Erwägungen zu bestimmen (BVerfGE 39, 148, 153). Allgemein ist Art 3 Abs 1 GG verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art oder solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl BVerfG Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86, 50/87 und 1 BvR 873/90, 761/91 - BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7; BVerfG Beschluss vom 8.4.1998 - 1 BvL 16/90 - BVerfGE 98, 1, 12 = SozR 3-5755 Art 2 § 27 Nr 1 S 5). Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der sozialen Vergünstigung iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX gilt als Maßstab das Willkürverbot(vgl BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 30 ff, 36; BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1).

57

Diesen Vorgaben wird eine Auslegung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX am ehesten gerecht, die auch Personen erfasst, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII erhalten, und Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen. Maßgebend für die sachliche Rechtfertigung einer Gleich- oder Ungleichbehandlung ist es danach, ob die betreffende Person dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe zuzuordnen ist.

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(2) Zur Auslegung des Begriffs "erhalten" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX hat der erkennende Senat bereits die möglichen Deutungen und die in anderen Rechtsgebieten vertretenen Auffassungen dargelegt; danach kann unter diesem Begriff sowohl der faktische Bezug einer Leistung zu verstehen sein als auch das Empfangen der Leistung durch den sachlich-rechtlichen Inhaber der Forderung (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 18 mwN). Der Senat ist der Auffassung, dass bei § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX eine dem engeren Wortsinn entsprechende Auslegung vorzugswürdig ist, nach der es allein auf den tatsächlichen Zufluss der Leistungen ankommt(so auch Vogl in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 145 RdNr 46). Hierfür spricht maßgeblich die nach den Gesetzesmaterialien zur insoweit inhaltsgleichen Vorläufervorschrift des § 57 Abs 1 Nr 2 SchwbG(idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) vom Gesetzgeber gewollte Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens. Danach sollen die Belange typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtsberechtigter berücksichtigt werden, "ohne dass die Versorgungsämter die Höhe des Einkommens im einzelnen prüfen müssen". Über die Befreiung von der Kostenbeteiligung soll nach Vorlage eines Bescheids entschieden werden, "aus dem hervorgeht, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung die genannten Leistungen bezogen werden" (BT-Drucks 10/335 S 89).

59

dd) Gemessen an diesen Kriterien werden die vom Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 27 ff SGB XII bezogenen Leistungen von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX erfasst. Unerheblich ist hierbei, ob der Kläger auch einen materiell-rechtlichen Anspruch auf diese Leistungen hatte, da es im Rahmen des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX allein auf den tatsächlichen Zufluss der Leistungen ankommt. Ferner ergibt sich ein gesetzlicher Ausschluss des Klägers von der sozialen Vergünstigung iS des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB XII weder unmittelbar noch mittelbar aus § 9 Abs 1 AsylbLG (1). Die vom Kläger bezogenen Leistungen werden in entsprechender Anwendung des Dritten Kapitels des SGB XII gewährt (2), und zwar an Personen, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen (3).

60

(1) Nach § 9 Abs 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte keine Leistungen nach dem SGB XII oder vergleichbaren Landesgesetzen, wobei als Leistungsberechtigte dieser Vorschrift nach allgemeiner Meinung alle Berechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG zählen, also sowohl Bezieher von sog Grundleistungen(§§ 3 ff AsylbLG) als auch Analog-Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG(vgl Hohm in AsylbLG, Stand Juli 2011, § 9 RdNr 5; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand Mai 2011, § 9 AsylbLG RdNr 7).

61

Entgegen der Auffassung des LSG und der Beklagten ergibt sich nicht bereits aus dem Wortlaut des § 9 Abs 1 AsylbLG, dass Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG von der in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX vorgesehenen Vergünstigung ausgeschlossen sind (a). Hierfür sprechen auch nicht die Entstehungsgeschichte (b), der systematische Zusammenhang (c) oder der Sinn und Zweck der Vorschrift (d).

62

(a) Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich nicht zwangsläufig eine übereinstimmende Bedeutung der Begriffe "Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" iS des § 9 Abs 1 Alt 1 AsylbLG und "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX. Dem letztgenannten Begriff kommt im Rahmen der sozialen Vergünstigung bei der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im Personenverkehr eine weitergehende Bedeutung zu. Er umfasst auch Leistungen, die ihren Rechtsgrund nicht (allein) im SGB XII haben, sondern in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII an Personen gewährt werden, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen. Die Zweckrichtung der Vorschrift kann insoweit zu einem Begriffsverständnis führen, das von der in anderem gesetzlichen Zusammenhang entwickelten Auslegung abweicht.

63

(b) § 9 AsylbLG ist mit Einführung des AsylbLG am 1.11.1993 in Kraft getreten (BGBl I 1074) und regelt seither das Verhältnis dieses Leistungsgesetzes zu anderen gesetzlichen Vorschriften (vgl BT-Drucks 12/4451 S 10 zu der im ersten Gesetzentwurf ursprünglich als § 8 vorgesehenen Regelung und BT-Drucks 13/2746 S 17 zu § 9). Denn bei dem AsylbLG handelt es sich um ein besonderes Sicherungssystem, das aus dem Asylkompromiss 1992 heraus entstanden ist und eigenständige, abschließende Regelungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für einen eng begrenzten Personenkreis von Ausländern enthält (vgl BT-Drucks 12/4451 S 5; BT-Drucks 15/1516 S 52 zu § 7 SGB II). Nach dem ursprünglichen Wortlaut sah § 9 Abs 1 AsylbLG vor, dass Leistungsberechtigte keine Leistungen nach dem BSHG oder vergleichbaren Landesgesetzen erhalten; dieser Wortlaut ist durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) zum 1.1.2005 lediglich redaktionell angepasst worden (Groth in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 9 AsylbLG RdNr 3).

64

Es ergeben sich weder aus den Gesetzmaterialen zur Einführung und zu späteren Änderungen der Beteiligung Berechtigter an den Kosten für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr nach dem SchwbG bzw dem SGB IX noch aus den Vorgängen zu § 9 AsylbLG (und dem AsylbLG insgesamt) hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff "Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" in § 9 Abs 1 AsylbLG und § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX übereinstimmend verstanden wissen und damit ausnahmslos alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG (mittelbar) von der sozialen Vergünstigung nach dem SGB IX ausschließen wollte.

65

Mit Einführung der Kostenbeteiligung im Jahr 1984 durch § 57 Abs 1 SchwbG(idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) waren auch bedürftige Ausländer von der Entrichtung des Eigenanteils iS des § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 Alt 2 SGB IX befreit, soweit sie zur Sicherung des Lebensunterhalts Leistungen der öffentlichen Fürsorge in Anspruch genommen haben. Denn sie hatten im Rahmen der Sozialhilfe ausnahmslos einen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG (§ 120 Abs 1 und 2 BSHG idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532); dies galt auch für Asylbewerber (vgl BT-Drucks 12/4451 S 5). Die Einführung des AsylbLG zum 1.11.1993 hatte im Hinblick auf den Mindestunterhalt während des Asylverfahrens eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen nach § 120 Abs 2 BSHG(idF bis zum 30.10.1993, BGBl I 1991, 94, 808; BGBl I 1993, 278) und einen Vorrang der Sachleistungsgewährung zum Ziel, um das Leistungsrecht dem Ausländer- und Asylrecht anzupassen (vgl BT-Drucks 12/4451 S 4). Den Materialien ist nicht zu entnehmen, dass sich dieser Systemwechsel auch auf die Rechtstellung des Personenkreises nach § 1 Abs 1 AsylbLG(idF vom 30.6.1993, BGBl I 1074) im Schwerbehindertenrecht, namentlich im Rahmen des damals geltenden § 59 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG(idF vom 21.6.1991, BGBl I 1310), auswirken sollte. Insbesondere kann nicht ohne Weiteres auf eine übereinstimmende Verwendung des Begriffs "Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz" in § 9 AsylbLG und § 59 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG geschlossen werden. Vielmehr sollte die Formulierung in § 9 Abs 1 AsylbLG (lediglich) im Verhältnis zum Sozialhilferecht festlegen, dass Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG weder Leistungen nach dem BSHG oder vergleichbaren Landesgesetzen zustehen(BT-Drucks 12/4451 S 10).

66

Ein gewichtiges Argument für einen übereinstimmenden Wortsinn ist es zwar, dass der Gesetzgeber seit Inkrafttreten des AsylbLG die Regelung des § 59 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG bzw § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX trotz deren häufigen redaktionellen Änderungen nicht ausdrücklich zumindest auf einen Teil der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG(§ 2 Abs 1 AsylbLG) erstreckt hat. Daraus könnte man folgern, dass ein an sich regelungsbedürftiger Anspruch bewusst nicht gewährt werden sollte (sog "beredtes Schweigen"). Hiergegen spricht wiederum die weitere Entwicklung des Asylbewerberleistungsrechts. Denn der Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG ist im Laufe der Jahre mehrmals geändert worden, ohne dass sich der Gesetzgeber mit den Auswirkungen auf das Schwerbehindertenrecht nachvollziehbar auseinandergesetzt hat.

67

Dies gilt insbesondere für das Erste Änderungsgesetz des AsylbLG vom 26.5.1997 (BGBl I 1130). Mit ihm ist der Gedanke der Kosteneinsparung durch Einführung der sog Vorbezugszeit iS des § 2 Abs 1 AsylbLG in den Vordergrund getreten(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 21; BT-Drucks 17/3660 S 5) und die Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs iS des § 1 Abs 1 AsylbLG ua auf Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge einhergegangen(vgl § 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG idF vom 5.8.1997, BGBl I 1130), die ursprünglich nach dem Asylkompromiss 1992 ausdrücklich ausgenommen gewesen sind (vgl BT-Drucks 12/5008 S 13). Im Gesetzgebungsverfahren sind zwar auf Länderseite den Mehrkosten im Sozialhilfewesen durch eine Begrenzung der Arbeitslosenhilfe und durch die finanzielle Verantwortung für die unentgeltliche Beförderung ua von Schwerbehinderten im Personenverkehr Einsparungen durch die Änderungen des AsylbLG gegenübergestellt worden (vgl BT-Drucks 13/3475 S 3). Mögliche Auswirkungen der inhaltlichen Änderungen des AsylbLG auf die Rechtstellung der Betroffenen im Schwerbehindertenrecht und insbesondere bei der unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr werden jedoch in den vorliegenden Gesetzesmaterialien (ua BT-Drucks 13/2746, Erstentwurf vom 24.10.1995; BT-Drucks 13/3475, Entwurf der Bundesregierung vom 12.1.1996; BT-Drucks 13/3720, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit vom 7.2.1996; BT-Drucks 13/7510, Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 23.4.1997) an keiner Stelle erörtert, obwohl dies bei einer gemeinsamen Behandlung dieser Regelungsgegenstände nahe gelegen hätte.

68

Entsprechendes gilt auch für die Änderungen und Anpassungen des persönlichen Anwendungsbereichs (§ 1 Abs 1 AsylbLG) an das neue Asyl- und Aufenthaltsrecht mit der Einführung des AufenthG, das mit Wirkung zum 1.1.2005 das Ausländergesetz abgelöst hat (vgl Art 8 Nr 1 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004, BGBl I 1950). Mit dem Zuwanderungsgesetz 2004 ist zum einen ein Teil der bis dahin regelmäßig nach dem AsylbLG Leistungsberechtigten wegen europa- und völkerrechtlich vorgegebener Mindeststandards bei der Gewährung von Fürsorgeleistungen (vgl Art 28 Abs 1 Richtlinie 2004/83/EG , ABl.EU L 304 vom 30.9.2004 und Art 23 Genfer Flüchtlingskommission, BGBl II 1953, 559) aus dem persönlichen Anwendungsbereich des AsylbLG herausgenommen worden (vgl hierzu ausführlich Frerichs in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 1 AsylbLG RdNr 42 f, 56-58, 71 ff, 73; vgl auch BT-Drucks 15/420 S 61). Zum anderen sind Inhaber bestimmter Aufenthaltstitel (Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs 3 und 4 AuslG), die zuvor leistungsberechtigt nach dem BSHG gewesen sind, durch die Überführung ihres Titels in eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG(vgl § 101 Abs 2 AufenthG)erstmals in den Anwendungsbereich des AsylbLG (§ 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG) einbezogen worden (vgl Frerichs, aaO, § 1 AsylbLG RdNr 95 f). Gleichwohl werden in den Gesetzesmaterialien die Änderungen des § 1 Abs 1 AsylbLG nicht näher erläutert, auch nicht im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf das Schwerbehindertenrecht(BT-Drucks 15/420 S 120 f).

69

(c) Systematisch regelt § 9 Abs 1 AsylbLG nach Art einer Konkurrenznorm das Verhältnis des AsylbLG als abgeschlossenes Leistungssystem zu anderen Leistungsgesetzen. Er legt ausdrücklich fest, dass Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG weder Leistungen nach dem Sozialhilferecht (SGB XII) noch nach vergleichbaren Landesgesetzen, wie etwa Landesblinden- oder Landespflegegeldleistungen, zustehen (so die Gesetzesbegründung vom 2.3.1993 zum inhaltsgleichen § 8 Abs 1 des ersten Gesetzesentwurfs, BT-Drucks 12/4451 S 10; vgl jüngst etwa zum Landesblindengeld NRW OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 17.6.2011 - 12 A 1011/10 - juris). Die Vorschrift korrespondiert insoweit mit § 23 Abs 2 SGB XII, derzufolge Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG keine Leistungen der Sozialhilfe erhalten, und mit § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II(vgl hierzu BSG Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 66/08 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 14; zur Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 24/07 R - BSGE 102, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 10; BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 40/07 R - juris). Über seinen leistungsausschließenden Charakter hinaus, stellt die Vorschrift klar, dass es sich bei den Leistungen nach diesem Gesetz, auch bei denjenigen nach § 2 Abs 1 AsylbLG, ihrem Rechtsgrund nach um Leistungen nach dem AsylbLG handelt(vgl BT-Drucks 12/5008 S 15 zu der im Entwurf als § 1a AsylbLG vorgesehenen Regelung; vgl auch Hohm, AsylbLG, Stand Juli 2011, § 9 RdNr 5; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand Mai 2011, § 9 AsylbLG RdNr 8; Groth in jurisPK-SGB XII, § 9 AsylbLG RdNr 17).

70

Die Reichweite des § 9 Abs 1 AsylbLG ist systematisch aber auf das Verhältnis von AsylbLG und SGB XII (und vergleichbaren Ländergesetzen) begrenzt und erstreckt sich gemäß § 9 Abs 2 AsylbLG grundsätzlich nicht auf das Aufgaben- und Leistungsprogramm anderer Leistungsträger(vgl BVerwG Urteil vom 24.6.1999 - 5 C 24/98 - BVerwGE 109, 155 - juris RdNr 30 ). Für die Mobilitätsförderung nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX selbst ist dies offensichtlich; von einem Ausschluss des Klägers von diesem Nachteilsausgleich geht auch die Beklagte nicht aus. Aus dieser Systematik folgt zugleich, dass die Bedeutung der Begriffe "Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" in § 9 Abs 1 AsylbLG und "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX nicht übereinstimmen muss. Bemerkenswert sind insoweit die Gesetzesmaterialien zur Einführung des § 9 Abs 2 AsylbLG. Danach können Leistungen anderer Leistungsträger nicht unter Hinweis auf Leistungen nach dem AsylbLG eingeschränkt werden, "sofern dies nicht ausdrücklich im Rahmen von Einkommensvoraussetzungen vorgesehen ist" (BT-Drucks 12/4451 S 10 zu § 8). Zumindest eine ausdrückliche Einschränkung enthält § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX für Leistungsbezieher nach dem AsylbLG nicht. Da das AsylbLG als eigenständiges Leistungssystem nicht in das SGB eingegliedert und kein besonderer Teil iS des § 68 SGB I ist(vgl Herbst in Mergler/Zink, SGB XII/AsylbLG, Einführung zum AsylbLG RdNr 12), lässt sich auch nicht mit einer übereinstimmenden Bedeutung der Begriffe innerhalb des SGB argumentieren.

71

(d) Der Gesetzgeber hat die durch § 9 Abs 1 AsylbLG klar zum Ausdruck kommende Abgrenzung dieses Leistungssystems vom Recht der Sozialhilfe(vgl dazu auch § 23 Abs 2 SGB XII) als notwendig erachtet, um bei der Leistungsgewährung nach dem AsylbLG von grundlegenden Prinzipien des Sozialhilferechts, insbesondere vom Individualisierungsgrundsatz, abweichen zu können (vgl BT-Drucks 12/4451 S 5 zu Nr 2; vgl auch Kunkel, NVwZ 1994, 352, 353; zum Abschied von den sog Strukturprinzipien der Sozialhilfe, die vom BVerwG entwickelt worden sind, vgl insb BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 5/07 R - SozR 4-3520 § 9 Nr 1 RdNr 14 unter Hinweis auf Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, Vor § 1 RdNr 4 f, 8 f). Die Leistungen an Asylbewerber zur Deckung ihres Lebensunterhalts sollten außerhalb des BSHG "vereinfacht und auf die Bedürfnisse eines hier in aller Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthaltes" ausgerichtet werden. Nach der zuvor geltenden Rechtslage (§ 120 Abs 2 BSHG) war die Einschränkung der Leistungen auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche nur aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalles zulässig (BT-Drucks 12/4451 S 5 zu Nr 2 unter Hinweis auf BVerwG Urteil vom 26.8.1991 - 5 C 61.88 - BVerwGE 89, 87 ff).

72

Der Beklagten ist insoweit einzuräumen, dass die Herausnahme der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG aus dem Kreis der Sozialhilfebezieher ein bewusster Schritt der Schlechterstellung gegenüber denjenigen Personen darstellt, die unmittelbar anspruchsberechtigt nach dem BSHG waren bzw heute nach dem SGB XII sind. Nicht beantwortet hat sie aber die entscheidende Frage, ob hieraus auch auf eine bewusste Schlechterstellung dieses Personenkreises im Schwerbehindertenrecht geschlossen werden kann. Dies wäre bei einem übereinstimmenden Wortsinn der "Leistungen nach dem SGB XII" iS des § 9 Abs 1 AsylbLG und der "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX der Fall. Der Senat verneint diese Frage. Denn § 9 Abs 1 Alt 1 AsylbLG - und Entsprechendes gilt für § 23 Abs 2 SGB XII - ist nicht nur systematisch, sondern auch nach seinem Sinn und Zweck vornehmlich als Vorschrift betreffend die Gesetzeskonkurrenz im Bereich der Existenz sichernden Leistungen (SGB XII, AsylbLG) zu verstehen. Er stellt lediglich klar, dass Berechtigten nach § 1 AsylbLG über die Asylbewerberleistungen hinaus keine (weiteren) Existenz sichernden Leistungen der Sozialhilfe zustehen. Die gewollte Schlechterstellung dieser Personen gegenüber Leistungsberechtigten nach dem Recht der Sozialhilfe, lässt deren Rechtstellung im SGB IX unberührt. Durch das Schwerbehindertenrecht sollen nämlich alle Menschen mit Behinderungen - grundsätzlich unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status - durch einen möglichst weitgehenden Ausgleich ihrer Behinderung in die Gesellschaft integriert werden (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 2/09 R - BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 69 Nr 11, RdNr 31). Dies gilt nach Auffassung des Senats auch für die soziale Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX.

73

(2) Die Leistungen, die der Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 27 ff SGB XII erhalten hat, werden in entsprechender Anwendung des Dritten Kapitels des SGB XII gewährt. Denn nach § 2 Abs 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf einen bestimmten Kreis der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG entsprechend anzuwenden. Hierbei kann die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob § 2 Abs 1 AsylbLG eine Rechtsfolgenverweisung(vgl hierzu ausführlich Hohm in AsylbLG, Stand Juli 2011, § 2 RdNr 94 ff mwN) oder eine Rechtsgrundverweisung auf § 23 SGB XII(so Decker in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Juni 2011, § 2 AsylbLG RdNr 37 ff, 41 mwN; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII - AsylbLG, Stand Januar 2011, § 2 RdNr 40) enthält, unbeantwortet bleiben (ebenfalls offen gelassen durch BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 21 und BSG Urteil vom 9.6.2011 - B 8 AY 1/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR RdNr 14 f; zur praktischen Bedeutung dieses Streits vgl auch Oppermann in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 2 AsylbLG RdNr 108).

74

Es handelt sich zwar in der Rechtsfolge des § 2 Abs 1 AsylbLG um eine sog Analogieverweisung(vgl hierzu Handbuch der Rechtsförmlichkeit, herausgegeben vom BMJ, 3. Aufl 2008, RdNr 232), bei der der Bezugstext - das SGB XII - nicht wörtlich mitgelesen werden kann und nur eine "entsprechende" und ggf eine nach der Regelungsmaterie des AsylbLG abweichende Anwendung findet (zur entsprechenden Anwendung des SGB XII iS des § 2 Abs 1 AsylbLG vgl Hohm, aaO, § 2 RdNr 101 ff). Die Leistungen bestimmen sich jedoch grundsätzlich nach den näheren Leistungsvoraussetzungen, den Bestimmungen über Art, Form und Maß der Leistung und den einzelnen Verfahrensregelungen des Sozialhilferechts (vgl BT-Drucks 12/5008 S 15). Es gelten die - auch für die soziale Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX maßgeblichen - Einkommens- und Vermögensgrenzen des SGB XII, da die asylbewerberleistungsrechtliche Vorschrift über zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen(§ 7 AsylbLG) gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG ("abweichend von den §§ 3 bis 7" AsylbLG) nicht anzuwenden ist(vgl auch Herbst, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 39; Hohm, aaO, § 2 RdNr 105 mwN). Ungeachtet des Streits über die Art der Verweisung besteht nach ganz herrschender Meinung jedenfalls im Hinblick auf die Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt Einigkeit darüber, dass die Regelungen über diese Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG heranzuziehen sind(vgl Hohm, aaO, § 2 RdNr 185 f; Decker, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 53; Herbst, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 42; Oppermann, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 121 f).

75

(3) Die Bezieher von Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm den Vorschriften des SGB XII stehen zudem - wie von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX vorausgesetzt - den Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleich. Der Gesetzgeber mag die (in § 9 Abs 1 AsylbLG und § 23 Abs 2 SGB XII zum Ausdruck kommende) klare Abgrenzung der Leistungssysteme (SGB XII/AsylbLG) aus systematischen Gründen als notwendig erachtet haben. Materiell-rechtlich sind Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG jedoch dem "System der Sozialhilfe" zugewiesen. Auch hierbei kann der Streit über die Art der Verweisung in § 2 Abs 1 AsylbLG unentschieden bleiben. Selbst wenn diese allein als Verweisung auf § 23 SGB XII zu verstehen wäre(so Decker in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Juni 2011, § 2 AsylbLG RdNr 37 ff, 41 mwN; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII - AsylbLG, Stand Januar 2011, § 2 RdNr 40), steht der berechtigte Personenkreis Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleich. § 23 SGB XII regelt, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Ausländer Sozialhilfe beziehen können. Die Vorschrift sieht für diesen Personenkreis zwar nur einen reduzierten Leistungskatalog vor. Nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII sind aber als Pflichtleistung die Hilfe zum Lebensunterhalt(§§ 27 ff SGB XII), die Hilfe bei Krankheit (§ 48 SGB XII), die Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§ 50 SGB XII) sowie die Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff SGB XII) auf sozialhilferechtlichem Niveau vorgesehen. Entsprechendes gilt für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (§§ 41 bis 46 SGB XII), da diese Regelungen nach § 23 Abs 1 Satz 2 SGB XII unberührt bleiben. Die Erbringung der übrigen Sozialhilfeleistungen liegt einzelfallbezogen im Ermessen der Behörde (§ 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII).

76

Zwar erstreckt sich der Rechtsanspruch damit grundsätzlich nicht auf die Leistungen der übrigen Kapitel des SGB XII, insbesondere nicht auf die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 bis 60 SGB XII). Dieser sozialhilferechtliche Regelausschluss ist aber für die soziale Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX ohne Belang. Zum einen sind auch Leistungsberechtigte nach § 23 Abs 1 SGB XII, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII beziehen, nach dieser Vorschrift von der Entrichtung des Eigenanteils befreit. Zum anderen führt der Erhalt der Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII allein noch nicht zu der Kostenbefreiung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX.

77

Aus den Besonderheiten des AsylbLG ergibt sich keine andere Bewertung. Vielmehr verbindet auch der Gesetzgeber mit der Anspruchsberechtigung nach § 2 Abs 1 AsylbLG "eine weitgehende Angleichung des Leistungsrechts an das Sozialhilferecht", weil bei einem längeren Zeitraum des Aufenthaltes und - mangels Entscheidung (über den Asylantrag) - noch nicht absehbarer weiterer Dauer nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden könne, der bei einem in der Regel nur vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland entstehe. Insbesondere seien nunmehr Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse und auf bessere soziale Integration gerichtet seien (BT-Drucks 12/5008 S 15 zu der im Entwurf als § 1a AsylbLG vorgesehenen Regelung). Im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 AsylbLG ging diese Integrationskomponente allerdings in der endgültigen Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 26.5.1997 (BGBl I 1130) weitgehend verloren. In den Vordergrund trat der Gedanke der Kosteneinsparung, wie er sich an der Leistungsvoraussetzung eines 36 Monate währenden Leistungsbezugs nach §§ 3 ff AsylbLG (sog Vorbezugszeit) zeigt(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 21 unter Bezugnahme auf den Ausschussbericht vom 7.2.1996, BT-Drucks 13/3728 S 3).

78

Auch bei der Anhebung der Vorbezugszeit iS des § 2 Abs 1 AsylbLG auf 48 Monate mit Wirkung ab 28.8.2007 (Art 6 Abs 2 Nr 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 - BGBl I 1970) spielte die Integrationskomponente keine wesentliche Rolle (vgl BSG, aaO, RdNr 23 mwN). Immerhin kommt in den Materialien zum Ausdruck, nach einem Voraufenthalt von vier Jahren könne davon ausgegangen werden, dass eine Aufenthaltsperspektive entstanden sei, die es gebiete, Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine "bessere soziale Integration" gerichtet seien (vgl BT-Drucks 16/5065 S 232 zu Nr 2). Hieraus ergibt sich jedenfalls für die Rechtsfolge des § 2 Abs 1 AsylbLG, dass der Gesetzgeber sein ursprüngliches Anliegen "einer weitgehenden Angleichung des Leistungsrechts an das Sozialhilferecht" nicht aufgegeben hat. Auf die wegen der entsprechenden Anwendung des SGB XII im Detail gegebenenfalls abweichende Leistungsgewährung nach § 2 Abs 1 AsylbLG(vgl hierzu ausführlich Hohm, aaO, § 2 RdNr 110 ff) kommt es nach Auffassung des Senats insoweit nicht entscheidend an.

79

c) Die Beklagte war nach alledem gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX verpflichtet, an den Kläger eine für ein Jahr gültige Wertmarke - hier für den Zeitraum von September 2009 bis August 2010 - kostenlos, also ohne Entrichtung des Eigenanteils nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX, auszugeben. Der angefochtene Verwaltungsakt ist insoweit rechtswidrig und aufzuheben. Zudem hat die Beklagte dem Kläger den rechtsgrundlos erhaltenen Betrag in Höhe von 60 Euro zu erstatten.

80

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Hilfsmerkmale sind

1.
Name und Anschrift des Auskunftspflichtigen,
2.
Name, Telefonnummer und E-Mail-Adresse der für eventuelle Rückfragen zur Verfügung stehenden Person,
3.
für die Erhebung nach § 143 Nummer 1 die Kennnummer des Leistungsberechtigten.

(2) Die Kennnummern nach Absatz 1 Nummer 3 dienen der Prüfung der Richtigkeit der Statistik und der Fortschreibung der jeweils letzten Bestandserhebung. Sie enthalten keine Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Leistungsberechtigten und sind zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens nach Abschluss der wiederkehrenden Bestandserhebung, zu löschen.

(1) Abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 sind das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch und Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Sonderregelungen für Auszubildende nach § 22 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch finden dabei jedoch keine Anwendung auf

1.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 3 und 4 in einer nach den §§ 51, 57 und 58 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung sowie
2.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 3 und 4 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung, deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten.
Bei Leistungsberechtigten nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung gilt anstelle des § 22 Absatz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, dass die zuständige Behörde Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch als Beihilfe oder als Darlehen gewährt. § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a, 40 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch findet auf Leistungsberechtigte nach Satz 1 mit den Maßgaben entsprechende Anwendung, dass
1.
bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird;
2.
für jede erwachsene Person, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unverheiratet ist und mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung im Sinne von § 8 Absatz 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes zusammenlebt, ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 anerkannt wird.

(2) Bei der Unterbringung von Leistungsberechtigten nach Absatz 1 in einer Gemeinschaftsunterkunft bestimmt die zuständige Behörde die Form der Leistung auf Grund der örtlichen Umstände.

(3) Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, erhalten Leistungen nach Absatz 1 auch dann, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Absatz 1 erhält.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch für das Revisionsverfahren die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung des Betrages, den der Kläger für eine an ihn ausgegebene Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Personenverkehr entrichtet hat.

2

Der 1970 geborene Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger; er hält sich nach eigenen Angaben seit 2003 in Deutschland auf und durchlief erfolglos das Asylverfahren. Er leidet seit 2006 an einer koronaren Herzerkrankung und ist aus diesem Grunde reiseunfähig. Im Februar 2009 erhielt der Kläger eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), deren Gültigkeit in der Folgezeit verlängert wurde.

3

Seit Juni 2009 ist der Kläger als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Es sind bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er zumindest seit dem 1.7.2009 durch Leistungen nach § 2 Abs 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) iVm den Vorschriften des SGB XII.

4

Am 2.7.2009 beantragte der Kläger beim Kreis A. die Ausstellung eines Beiblatts mit unentgeltlicher Wertmarke zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger zu keiner der in § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX aufgezählten Personengruppen gehöre; insbesondere beziehe er keine der dort aufgeführten Leistungen (Bescheid vom 20.7.2009). Den Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Münster zurück (Widerspruchsbescheid vom 25.8.2009).

5

Auf die hiergegen am 19.9.2009 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Aachen die ab dem 20.10.2009 an die Stelle des Kreises Aachen getretene Städteregion Aachen (Beklagte) unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung verurteilt, dem Kläger ein Beiblatt mit kostenloser Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr auszustellen (Urteil vom 11.1.2010), weil Leistungsbezieher gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG nach einer am Sinn und Zweck des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX orientierten Auslegung - auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Norm - zu dem wegen Bedürftigkeit von der Entrichtung des Eigenanteils befreiten Personenkreis gehörten.

6

Die Beklagte hat hiergegen beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger seinen Klageantrag im Einvernehmen mit der Beklagten dahingehend geändert, dass er von ihr die Kostenerstattung von 60 Euro begehre, da er sich die ursprünglich beantragte Wertmarke mittlerweile gegen Entrichtung des Eigenanteils selbst beschafft hatte.

7

Das LSG hat die Berufung durch Urteil vom 3.9.2010 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.8.2009 verurteilt wird, dem Kläger 60 Euro zu erstatten. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

8

Dem Kläger stehe ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, da die Beklagte von ihm für die Wertmarke zu Unrecht den Eigenanteil in Höhe von 60 Euro entgegengenommen habe. Der Kläger sei in analoger Anwendung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX von vornherein nicht verpflichtet gewesen, einen Eigenanteil zu leisten. Die Vorschrift sei zwar nach ihrem Wortlaut nicht unmittelbar anzuwenden, auch wenn die dem Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG gewährten Leistungen der Höhe nach ausschließlich nach den Vorschriften des SGB XII bemessen seien. Denn nach § 9 Abs 1 AsylbLG erhielten Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG gerade keine Leistungen nach dem SGB XII, sondern Leistungen nach dem AsylbLG. Mit Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte zur Beteiligung von Schwerbehinderten an den Kosten für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr gemäß § 57 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) aF liege aber eine Regelungslücke vor. Ursprünglich seien einkommensschwache Ausländer nämlich von der Kostenpflicht befreit gewesen, da sie vor Einführung des AsylbLG im Jahre 1993 bei Bedürftigkeit einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gehabt hätten. Auch wenn der Gesetzgeber mit dem AsylbLG eigenständige Regelungen des Unterhalts von Asylbewerbern und gegenüber den Leistungen nach dem BSHG eine deutlich abgesenkte Versorgung während des Asylverfahrens eingeführt habe, lasse sich eine bewusste Beseitigung der Kostenfreiheit gegenüber dem vorher bestehenden Rechtszustand jedenfalls für die Bezieher von sog Analog-Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG aus den Gesetzesmaterialien nicht eindeutig ableiten. Auch könne nicht angenommen werden, der moderne, oft unter Zeitdruck arbeitende Gesetzgeber wolle dieser Personengruppe einen regelungsbedürftigen Anspruch bewusst nicht gewähren, wenn er dazu schweige ("beredtes Schweigen").

9

Für die analoge Anwendung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX spreche zum einen der Normzweck, einkommensschwache Personen von der Kostenbeteiligung zu befreien, weil sie mangels finanzieller Mittel ohnehin auf die finanzielle Hilfe der öffentlichen Hand angewiesen seien. Dies treffe auf schwerbehinderte Bezieher von sog Analog-Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG in genau derselben Weise zu wie auf schwerbehinderte Sozialhilfeempfänger. Zum anderen entspreche diese Rechtsanwendung dem hier aus Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) abzuleitenden Gebot verfassungskonformer Auslegung, da die Umwandlung einer unentgeltlichen Freifahrt in eine Freifahrt mit Kostenbeteiligung den Gesetzgeber nicht berechtige, in unbeschränktem Ermessen Personenkreise von der Kostenbeteiligung auszunehmen. Eine Ungleichbehandlung von mittellosen schwerbehinderten Beziehern von Analog-Leistungen nach dem AsylbLG gegenüber mittellosen schwerbehinderten Beziehern von Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII sei sachlich nicht gerechtfertigt, insbesondere nicht wegen eines nur vorläufigen Aufenthalts der Bezieher von Analog-Leistungen in Deutschland. Einerseits setze der Bezug dieser Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG einen Voraufenthalt von 48 Monaten voraus, andererseits gelte die Wertmarke jeweils nur für ein Jahr. Im Fall des Klägers könne wegen der schweren Herzerkrankung ohnehin nicht von einem nur vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland ausgegangen werden.

10

Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend: Das LSG habe § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX zu Unrecht analog auf den Leistungen nach § 2 AsylbLG beziehenden Kläger angewandt. Die Vorschrift sei abschließend und ihrem Wortlaut nach eindeutig. Bei dem Erwerb der Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr seien insbesondere Bezieher von laufenden Leistungen nach dem SGB XII von dem Eigenanteil in Höhe von 60 Euro befreit (§ 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX), nicht aber Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG. Diese Regelung verstoße auch nicht gegen die Verfassung. Dem Gesetzgeber stehe es hier bis zur Grenze der Willkür frei, nach sachgemäßen Erwägungen bestimmte Personenkreise gegenüber anderen zu begünstigen. Insoweit belege die Gesetzesentwicklung seit Jahrzehnten das Bemühen des Gesetzgebers, die ständig steigende Belastung der öffentlichen Haushalte durch Anspruchsberechtigte - ob Schwerbehinderte, Asylbewerber oder Sozialhilfebezieher - abzumildern. Insbesondere habe der Gesetzgeber mit Neufassung des AsylbLG im Jahr 1993 eine eigenständige gesetzliche Regelung des Mindestunterhalts von Asylbewerbern geschaffen, mit der eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen einhergegangen sei. Die Entkoppelung dieses Leistungssystems vom regulären Sozialhilferecht sei ein bewusster Schritt der Schlechterstellung gegenüber den Personen gewesen, die direkt anspruchsberechtigt nach dem BSHG bzw SGB XII seien.

11

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3.9.2010 und des SG Aachen vom 11.1.2010 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid des Kreises Aachen vom 20.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Münster vom 25.8.2009 abzuweisen.

12

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2010 zurückzuweisen.

13

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend und macht ergänzend geltend, ein Ausschluss aus dem Kreis der Begünstigten iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX verstoße in seinem Fall mangels sachlicher Rechtfertigung nicht nur gegen die Verfassung(Art 3 Abs 1 GG), sondern sei auch mit völkerrechtlichen Diskriminierungsverboten nicht zu vereinbaren.

14

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

15

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

16

1. Die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung des erkennenden Senats liegen vor.

17

a) Im Laufe des Gerichtsverfahrens ist auf der Beklagtenseite ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes erfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/07 R - BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, RdNr 13 f, BSG Beschluss vom 8.5.2007 - B 12 SF 3/07 S - SozR 4-1500 § 57 Nr 2 RdNr 4; BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1). Der seit dem 1.1.2008 für die Aufgaben nach §§ 69, 145 SGB IX zuständige Kreis Aachen(vgl § 2 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482; vgl zur Übertragung der Aufgaben des Schwerbehindertenrechts auf die Kreise und kreisfreien Städte: BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - SozialVerw 2009, 59) ist nach Klageerhebung am 19.9.2009 mit Ablauf des 20.10.2009 durch § 1 Abs 1 Städteregion Aachen Gesetz vom 26.2.2008 (GVBl NRW 162) aufgelöst worden. Rechtsnachfolgerin ist gemäß § 2 Abs 1 Städteregion Aachen Gesetz die Städteregion Aachen(vgl hierzu bereits BSG Teilurteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 9/09 R - BSGE 107, 1 = SozR 4-7837 § 1 Nr 2, RdNr 16 und Urteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 19/09 R - BSGE 107, 18 = SozR 4-7837 § 2 Nr 6, RdNr 13).

18

Die Klage richtet sich jetzt zutreffend gegen die Städteregion Aachen, zumal mit Wirkung vom 1.1.2011 die Beteiligtenfähigkeit einer Behörde nach § 70 Nr 3 SGG iVm § 3 Gesetz zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes im Lande Nordrhein-Westfalen (AG-SGG NRW) vom 3.9.1953 (GVBl NRW 412) idF des Gesetzes vom 17.12.1974 (GVBl NRW 1588) weggefallen ist. Durch Art 2 Nr 29 iVm Art 4 Satz 1 Gesetz zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein-Westfalen vom 26.1.2010 (GVBl NRW 30) sind mit Wirkung vom 1.1.2011 die vorgenannten landesrechtlichen Bestimmungen ersatzlos aufgehoben worden (vgl hierzu bereits BSG Urteile vom 17.2.2011 - B 10 EG 1/10 R und B 10B 10 EG 2/10 R - juris RdNr 11). Der Senat hat sich deshalb nicht mehr mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Auffassung des 8. Senats des BSG (s Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R - SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 14) zutrifft, dass eine Klage bei Bestehen eines landesrechtlich vorgesehenen Behördenprinzips zwingend gegen die Behörde zu richten ist (zur Gegenansicht BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - juris RdNr 21; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 70 RdNr 4).

19

b) Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und 4 SGG) zulässig.

20

aa) Der Kläger begehrt die Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsaktes und - nach Umstellung seines Klageantrags im Berufungsverfahren - die Erstattung des Eigenanteils für die Ausgabe der Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr. Insoweit betrifft der Rechtsstreit die Fragen, ob der seinerzeit zuständige Kreis die Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr für die Zeit von September 2009 bis August 2010 kostenlos an den Kläger abzugeben hatte und die Beklagte zur Erstattung des vom Kläger dafür geleisteten Eigenanteils von 60 Euro verpflichtet ist. Der Kläger hat zunächst die Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke begehrt und sich nach erfolglosem Verwaltungsverfahren die Wertmarke gegen Entrichtung des Eigenanteils iHv 60 Euro selbst beschafft. Das LSG hat zwar in seiner Entscheidung die Gültigkeitsdauer der dem Kläger ausgegebenen Wertmarke nicht festgestellt (§ 163 SGG). Diese ergibt sich aber aus der Sitzungsniederschrift vom 3.9.2010, nach der sich die Beteiligten nach Vorlage des Schwerbehindertenausweises des Klägers darüber einig geworden sind, dass Gegenstand des Verfahrens allein die für den Zeitraum September 2009 bis August 2010 beschaffte Wertmarke ist. Diesen Sachverhalt legt der Senat seiner Entscheidung zu Grunde. Denn über Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung hinaus kann das BSG den erforderlichen Tatsachenstoff auch der vorinstanzlichen Sitzungsniederschrift entnehmen (§ 202 SGG iVm § 559 Abs 1 Satz 1 ZPO; vgl auch Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 23.9.1969 - II C 25.66 - Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 34; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 163 RdNr 4; Lüdtke in Hk-SGG, 3. Aufl 2009, § 163 RdNr 2). Insoweit ist hier die Frage der Kostenpflicht oder Kostenfreiheit nach § 145 Abs 1 SGB IX für diesen Zeitraum weiterhin streitig(vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 13).

21

bb) Der Senat kann offen lassen, ob in der Umstellung des Klageantrags im Berufungsverfahren eine stets zulässige Umwandlung des Klagebegehrens wegen einer später eingetretenen Veränderung iS des § 99 Abs 3 Nr 3 SGG oder eine Klageänderung iS des § 99 Abs 1 SGG zu sehen ist. Das LSG hat sich mit dieser prozessualen Frage nicht befasst. Nach seinen Feststellungen, an die das BSG gebunden ist (§ 163 SGG), kann bereits nicht beurteilt werden, ob der Kläger die kostenpflichtige Wertmarke (§ 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX) vor oder nach Klageerhebung beim SG Aachen erworben hat, also eine später eingetretene Veränderung iS des § 99 Abs 3 Nr 3 SGG vorliegt. Auch erscheint fraglich, ob die Rechtsprechung zur Ersatzbeschaffung im Krankenversicherungsrecht, nach der ohne Änderung des Klagegrundes (§ 99 Abs 3 Nr 3 SGG) an die Stelle eines Sachleistungsanspruchs nach Maßgabe des § 13 SGB V ein Kostenerstattungsanspruch treten kann(vgl etwa BSG Urteil vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261, 262 = SozR 3-2500 § 33 Nr 21 S 113 mwN), auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar ist. Denn der Kläger hat die Sachleistung (Wertmarke) - wie begehrt - von der zuständigen Behörde erhalten, jedoch nur gegen Entrichtung des Eigenanteils iS des § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX. Der Erwerb der Wertmarke mit Eigenbeteiligung ist insoweit keine Ersatzbeschaffung, sondern gleicht der Beteiligung an den Kosten einer kranken- oder rentenversicherungsrechtlichen Sozialleistung (so bereits BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 7).

22

Selbst wenn man den Übergang auf ein anderes Klagebegehren - hier auf einen Kostenerstattungsanspruch - als eine Klageänderung ansieht, wäre diese nach den Maßgaben des § 99 Abs 1 SGG zulässig gewesen(vgl dazu BSG Urteil vom 17.5.1988 - 10 RKg 3/87 - BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85 S 86). Die Beklagte hat sich nämlich in der mündlichen Verhandlung des LSG vom 3.9.2010 mit der Umstellung des Klagebegehrens ausdrücklich einverstanden erklärt.

23

cc) Auch die Sachurteilsvoraussetzungen für die Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage liegen vor.

24

Im Hinblick auf die Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 20.7.2009 ist das Vorverfahren vor Erhebung der Anfechtungsklage durchgeführt worden (zur Durchführung eines Vorverfahrens als Sachurteilsvoraussetzung etwa BSG SozR 3-1500 § 78 Nr 3 S 5). Ob die Entscheidung über eine unentgeltliche Wertmarkenausgabe überhaupt durch Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X zu erfolgen hat(vgl zur Problematik LSG Baden Württemberg Urteil vom 29.8.2005 - L 6 SB 5511/04 - juris RdNr 26 ff), kann (weiterhin) offen bleiben, weil der Beklagte hier die Form des Verwaltungsaktes gewählt hat (vgl bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 14).

25

Ebenfalls kann offen bleiben, ob die Bezirksregierung Münster nach der zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 25.8.2009 maßgeblichen Rechtslage gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 SGG befugt war, über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.7.2009 zu entscheiden (vgl zur Frage der Zuständigkeit in Verfahren nach §§ 69, 145 SGB IX gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 1 oder 4 SGG in NRW: LSG Nordrhein Westfalen Urteil vom 16.12.2009 - L 10 SB 39/09 - SozialVerw 2010, 8 ff, Revision anhängig unter B 9 SB 2/10 R; LSG Nordrhein Westfalen Urteil vom 5.3.2008 - L 10 SB 40/06 - Juris RdNr 39 ff). Denn sie ist jedenfalls seit Inkrafttreten des § 4a AG SGG NRW rückwirkend ab 1.1.2008 durch Art 3, 4 Satz 2 des Gesetzes zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein Westfalen vom 26.1.2010 (GVBl NRW 30) als Widerspruchsbehörde in Angelegenheiten nach den §§ 69, 145 SGB IX festgelegt worden(vgl zu § 4a AG SGG NRW bereits BSG Teilurteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 9/09 R - BSGE 107, 1 = SozR 4-7837 § 1 Nr 2, RdNr 19). Diese landesrechtliche Zuständigkeitsregelung verstößt nicht gegen Bundesrecht. Sowohl nach §§ 219, 85 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGG als auch gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGG iVm § 2 Abs 2 Satz 2 EingliederungsG sind insoweit abweichende Zuständigkeitsregelungen erlaubt.

26

Soweit es den erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Anspruch des Klägers auf Erstattung des von ihm geleisteten Eigenanteils von 60 Euro betrifft, ist hier unschädlich, dass die Beklagte zu dem neuen Streitgegenstand kein eigenständiges Verwaltungsverfahren durchgeführt und dieses nicht mit einem Bescheid abgeschlossen hat (vgl § 8 SGB X). Erst recht schadet es nicht, dass kein Widerspruchsverfahren als Klagevoraussetzung durchgeführt worden ist (§ 78 Abs 3 iVm Abs 1 SGG). Zwar müssen auch im Falle einer zulässigen Klageänderung für die geänderte Klage im Regelfall die Sachurteilsvoraussetzungen in gleicher Weise vorliegen, wie es bei einer sofortigen Klageerhebung mit einem entsprechenden Begehren nötig gewesen wäre (vgl hierzu etwa BSG Urteil vom 15.8.1996 - 9 RVs 10/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr 13 S 54). Es ist aber anerkannt, dass in bestimmten Fällen nicht nur die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens entbehrlich sein kann (vgl im Einzelnen Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 78 RdNr 8, 8a mwN), sondern auch die Durchführung eines selbstständigen Verwaltungsverfahrens während eines anhängigen Rechtsstreits. Dies ist der Fall, wenn von einer eigenständigen Verwaltungsentscheidung nichts anderes zu erwarten ist als eine Bestätigung des prozessualen Vorbringens und die Verwaltung durch rügelose Einlassung oder gar durch ausdrückliches Einverständnis auf ihren Vorrang bei der Gesetzesausführung verzichtet hat (BSG Urteil vom 15.8.1996 - 9 RVs 10/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr 13 S 54; BSG Urteil vom 27.8.1998 - B 9 SB 13/97 R - juris RdNr 12). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Der Kläger hat sich die Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr nur deswegen gegen Entrichtung des Eigenanteils iS des § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX beschafft, weil die Beklagte die Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke mit der angegriffenen Entscheidung abgelehnt hat und hieran - wie der vorliegende Prozess zeigt - weiterhin festhält.

27

2. In der Sache hat die Revision der Beklagten keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das zusprechende Urteil des SG mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.8.2009 verurteilt wird, dem Kläger 60 Euro zu erstatten.

28

a) Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung des Eigenanteils in Höhe von 60 Euro ist - wie das LSG zutreffend erkannt hat - der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (vgl zu diesem allgemein anerkannten Rechtsinstitut BSG Urteil vom 11.10.1994 - 1 RK 34/93 - BSGE 75, 167 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 2 mwN; Ossenbühl, NVwZ 1991, 513 ff). Eine spezialgesetzliche Regelung über die Rückerstattung ohne Rechtsgrund geleisteter Beträge nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX ist nicht ersichtlich.

29

aa) Als vorrangige Erstattungsregelung kommt insbesondere § 145 Abs 1 Satz 4 SGB IX nicht in Betracht. Danach gilt für die gemäß § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX grundsätzlich gegen einen Betrag von 60 Euro für ein Jahr oder 30 Euro für ein halbes Jahr erhältliche Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im Personennahverkehr(§ 145 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX), dass im Falle der Rückgabe der Wertmarke vor Ablauf ihrer Gültigkeitsdauer auf Antrag ein Betrag von 5 Euro für jeden vollen Kalendermonat ihrer Gültigkeit nach Rückgabe erstattet wird, sofern der zu erstattende Betrag 15 Euro nicht unterschreitet; Entsprechendes gilt für jeden vollen Kalendermonat nach dem Tod des schwerbehinderten Menschen. Der Anwendungsbereich dieser Norm ist nicht eröffnet, da sie nur diejenigen Fälle erfasst, in denen Berechtigte die gegen eine Selbstbeteiligung erhaltene Wertmarke vor Ablauf ihrer Gültigkeitsdauer zurückgeben oder versterben. Der Wertmarkenbetrag wird infolgedessen für diejenigen Monate erstattet, in denen die Berechtigten von ihrem Recht auf unentgeltliche Beförderung keinen Gebrauch mehr machen können (vgl BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 8). Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich hingegen auf die Erstattung des für die (inzwischen bereits abgelaufene) Wertmarke entrichteten Eigenanteils mit der Begründung, dass gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX überhaupt kein Betrag iS des § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX zu leisten gewesen sei.

30

bb) Auch § 15 Abs 1 Satz 3 SGB IX ist hier als besondere Erstattungsregel nicht einschlägig. Danach ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, soweit sich Leistungsberechtigte nach fruchtloser Fristsetzung und weiteren Voraussetzungen (vgl § 15 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX) eine erforderliche Leistung selbst beschaffen. Die Erstattungspflicht besteht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (§ 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX). Es muss sich um eine Rehabilitationsleistung nach dem SGB IX (§§ 4, 5 SGB IX) bzw den speziellen Leistungsgesetzen handeln (vgl Luik in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 15 RdNr 27). Hieran fehlt es. Die gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX ohne Eigenanteil auszugebende Wertmarke ist keine eigenständige Leistung nach dem SGB IX und kann überdies (auf rechtmäßige Weise) nicht selbst beschafft werden, soweit die Behörde die Ausgabe der Wertmarke von der Entrichtung des Betrags nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX abhängig macht. Die Sozialleistung besteht im Verhältnis zwischen Schwerbehinderten und Staat vielmehr in der Vergünstigung, von der Pflicht zur Zahlung des üblichen Beförderungsentgelts an die Verkehrsunternehmen freigestellt zu werden (vgl BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 7).

31

b) Dem hier einschlägigen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch liegt der allgemeine, auch im Sozialrecht geltende Rechtsgrundsatz zu Grunde, dass zu Unrecht empfangene Leistungen zurückzugeben sind (vgl zur Erstattung des anteiligen Eigenanteils bei vorzeitiger Rückgabe der Wertmarke für Zeiträume vor Inkrafttreten des § 57 Abs 1 Satz 4 SchwbG idF vom 18.7.1985 bereits BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 7/86 - SozR 3870 § 57 Nr 2 S 7 ff). Auf diesen Anspruch kann sich nicht nur die Behörde, sondern auch der Bürger stützen, wenn zu seinen Lasten eine Vermögensverschiebung eingetreten ist und ein Sozialleistungsträger etwas erhalten hat, was ihm nicht zusteht (vgl BSG Urteil vom 11.10.1994 - 1 RK 34/93 - BSGE 75, 167 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 2 mwN; Ossenbühl, NVwZ 1991, 513, 514). Übertragen auf die vorliegende Fallgestaltung bedeutet dies, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des bei der Ausgabe der Wertmarke für den Zeitraum September 2009 bis Oktober 2010 gezahlten Betrages in Höhe von 60 Euro hat, wenn er seinerzeit diesen Eigenanteil gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX nicht zu entrichten hatte, der Betrag nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX also rechtsgrundlos von der Beklagten entgegengenommen worden ist. Dies ist hier der Fall. Denn der Kläger konnte eine kostenfreie Wertmarke beanspruchen.

32

Rechtsgrundlage für die von dem damals zuständigen Kreis abgelehnte unentgeltliche Ausgabe einer Wertmarke ist hier § 145 Abs 1 Satz 1 bis 3 und 5 Nr 2 SGB IX idF vom 22.12.2008 (BGBl I 2959). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der Vermögensverschiebung vor Ausgabe der von September 2009 bis August 2010 gültigen Wertmarke. Nach den genannten Regelungen werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs 5 SGB IX im Nahverkehr unentgeltlich befördert. Voraussetzung ist, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist. Sie wird gegen Entrichtung eines Betrages von 60 Euro für ein Jahr oder 30 Euro für ein halbes Jahr ausgegeben. Auf Antrag wird eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Betrag nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX zu entrichten ist, ua an schwerbehinderte Menschen ausgegeben, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII, dem SGB VIII oder den §§ 27a und 27d Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhalten.

33

Soweit danach ein Antrag erforderlich ist, steht dem Anspruch des Klägers auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke für die Zeit von September 2009 bis August 2010 nicht bereits entgegen, dass der Kläger vor der Ausgabe der für diesen Zeitraum gültigen kostenpflichtigen Wertmarke möglicherweise keinen erneuten, "ausdrücklichen" Antrag iS des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX auf Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke gestellt hat(vgl zu dieser Problematik LSG Baden-Württemberg Urteil vom 29.8.2005 - L 6 SB 5511/04 - juris RdNr 34). Zu einer wiederholten Antragstellung hat nämlich wegen der vom Kläger angefochtenen und damit nicht bestandskräftigen Ablehnungsentscheidung der zuständigen Behörde (Bescheid vom 20.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.8.2009) kein Anlass bestanden.

34

Auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke liegen für den maßgeblichen Zeitraum vor. Der Kläger hat zum Kreis der berechtigten Personen iS des § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX gehört, denn ihm war das Merkzeichen "G" erteilt worden. Zudem hat der Kläger seinerzeit Leistungen iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX erhalten. Denn die dem Kläger gewährten Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 27 ff SGB XII stellen nach Auffassung des erkennenden Senats "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS dieser Vorschrift dar. Dafür sind folgende Erwägungen maßgebend:

35

aa) Um die Bedeutung einer Gesetzesvorschrift zu ermitteln, kommen zunächst die herkömmlichen Auslegungsmethoden zur Anwendung. Danach ist auf den Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), ihren Zusammenhang (systematische Auslegung), ihren Zweck (teleologische Auslegung) sowie die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) abzustellen (vgl aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts : BVerfGE 11, 126, 130; 82, 6, 11; 93, 37, 81; 105, 135, 157; dazu auch Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 141 ff; 163 ff). Dabei sind die konkret einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Ist von mehreren möglichen Auslegungen nur eine mit dem GG vereinbar, muss diese gewählt werden (verfassungskonforme Auslegung; vgl etwa BVerfGE 88, 145, 166 f; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 159 ff). Die Grenzen jeder Auslegung ergeben sich daraus, dass einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht durch Auslegung eine entgegengesetzte Bedeutung verliehen werden darf (vgl BVerfGE 54, 277, 299 f; 59, 330, 334; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 143).

36

bb) Das BSG hat bereits zu den Vorgängervorschriften des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX entschieden, dass der Gesetzgeber nur einem bestimmten Personenkreis, der nach der damaligen Rechtslage eindeutig benannt war, den kostenlosen Erwerb der zur Freifahrt berechtigenden Wertmarke zubilligen wollte(vgl BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1; BSG Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 7/93 - RdLH 1996 Nr 1, 35 ), und an dieser Rechtsprechung auch seit Inkrafttreten des SGB IX festgehalten (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1§ 145 abs 1 satz 5 nr 2 sgb ix idf vom 21.3.2005, bgbl i 818, und idf vom 2.12.2006, bgbl i 2742>). Danach besteht keine Veranlassung für eine den Wortlaut des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX erweiternde Auslegung, die zu einer Erstreckung auf Personen führt, die nicht Bezieher laufender Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII sind. Denn die Mobilitätsförderung von schwerbehinderten Menschen nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX wird durch den zu leistenden Eigenanteil nur moderat relativiert. Die kostenlose Ausgabe der Wertmarke stellt systematisch eine Ausnahme von der Pflicht zur Entrichtung des Eigenanteils dar. Die Regelung ist abschließend (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 27-29; vgl auch Vogl in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 145 RdNr 47).

37

cc) Hieran anknüpfend hält der Senat - innerhalb der Wortlautgrenze - eine weite Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX für richtig. Von diesem Begriff sind nicht nur Leistungen umfasst, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben, sondern auch für den Lebensunterhalt laufende Leistungen, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII an Personen erbracht werden, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen (1). Zudem ist unter dem Begriff "erhalten" in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX der faktische Bezug der in der Vorschrift genannten Leistungen zu verstehen, ohne dass es auf die materiell-rechtliche Leistungsberechtigung des Empfängers ankommt(2).

38

(1) Einem weiten Verständnis des Begriffs der "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX steht nicht entgegen, dass es sich bei dieser Norm gegenüber dem Regelfall der Freifahrtberechtigung mit Zahlung einer Eigenbeteiligung nach § 145 Abs 1 Satz 1 bis 3 SGB IX um eine Ausnahmevorschrift handelt(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 29). Die Regel, dass Ausnahmevorschriften grundsätzlich eng auszulegen sind, gilt nicht allgemein. Entscheidend ist vielmehr der Grund, warum der Gesetzgeber eine bestimmte Gruppe von Fällen aus dem Anwendungsbereich der Regelvorschrift herausgenommen hat (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 337, 339 f).

39

(a) Zwar lässt der Wortlaut der Norm sowohl eine enge als auch eine weite Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" zu, im sprachlichem Zusammenhang betrachtet legt § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX jedoch bereits ein weites Begriffsverständnis nahe.

40

Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen richtet sich die Wortlautinterpretation zunächst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eines Ausdrucks bzw einer Wortverbindung. Haben Ausdrücke in der Rechtssprache eine spezifische Bedeutung erhalten, geht der besondere Sprachgebrauch des Gesetzes vor (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 305 ff). Nach diesen Grundsätzen hat das LSG im Ansatz zutreffend erkannt, dass der Befreiungstatbestand für Personen, die "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" beziehen, im Rahmen des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX so verstanden werden kann, dass von diesem Begriff auch nach den gleichen Voraussetzungen zu gewährende Leistungen umfasst sind. Das Wort "nach" kann im allgemeinen Sprachgebrauch unterschiedliche Bedeutungen einnehmen, etwa "gemäß", "entsprechend" oder "im Sinne von". Es ist auch nach dem juristischen Sprachgebrauch keineswegs zwingend, dass mit der Wortverbindung "nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" nur Leistungen gemeint sind, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben bzw im engeren Rechtssinne Leistungen der Sozialhilfe darstellen. Vielmehr können auch Leistungen umfasst sein, die in entsprechender Anwendung der Regelungen des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden.

41

Ein solches Verständnis wird auch bei den ebenfalls von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IV erfassten Beziehern von Leistungen "nach" den §§ 27a und 27d BVG vertreten(Heinz in Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, Stand April 2010, § 145 RdNr 33; Winkler in Müller-Wenner/Winkler, SGB IX, 2. Aufl 2011, § 145 RdNr 14). Danach sollen nicht nur Empfänger von Leistungen der Kriegsopferfürsorge (in unmittelbarer Anwendung des BVG), sondern auch Berechtigte nach den sog "Nebengesetzen" zum BVG von der Zuzahlungspflicht befreit sein, obwohl das BVG nach diesen Gesetzen nur entsprechend anzuwenden ist (vgl etwa § 80 Abs 1 Satz 1 Soldatenversorgungsgesetz; § 47 Abs 1 Satz 1 Zivildienstgesetz; § 60 Abs 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz; § 1 Abs 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz).

42

Schließlich spricht auch der Aufbau der Wortverbindung dafür, dass von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX auch Leistungen umfasst sind, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden. Der Gesetzgeber hat die Leistungen zunächst näher umschrieben als "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen"; die nachfolgende Nennung der materiell-rechtlichen Bezugsnorm ("nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches") kann dann allein dazu dienen, die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise - ungeachtet des genaueren Rechtsgrunds der erhaltenen Leistungen - "nach dem System des Sozialhilferechts" vorzunehmen, welches für sich bereits zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen (11. Kap SGB XII) sowie relevante Sonderbedarfe regelt (vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34).

43

(b) Ein weites Verständnis des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX steht mit der Entstehungsgeschichte der Norm im Einklang.

44

Die Vorschrift über die Freifahrtsberechtigung schwerbehinderter Menschen geht auf § 57 Abs 1 SchwbG idF des Art 20 des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1984 vom 22.12.1983 (BGBl I 1532) zurück, durch den der Kreis der berechtigten Personen eingeschränkt und grundsätzlich eine Kostenbeteiligung in Höhe von damals 120 DM jährlich bzw 60 DM halbjährlich eingeführt wurde. Nach der ersten Fassung des § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SchwbG erhielten ua "Bezieher von laufenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG" eine kostenlose Wertmarke. Diesen Wortlaut änderte der Gesetzgeber bereits mit der ersten Korrektur des HBegleitG 1984 durch das Gesetz zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 18.7.1985 (BGBl I 1516), um auch bedürftige Heimbewohner eindeutig von der Eigenbeteiligung zu befreien. Denn einige Länder hatten bei der Durchführung des Gesetzes nach der damaligen Systematik des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ein enges Verständnis der Norm zu Grunde gelegt und unter "Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt" nicht Hilfen in besonderen Lebenslagen für bedürftige Heimbewohner verstanden, obwohl bei der Gewährung dieser Leistungen in einer Einrichtung gemäß § 27 Abs 3 BSHG idF vom 24.5.1983 (BGBl I 613) auch Leistungen zum Lebensunterhalt umfasst waren (vgl hierzu Cramer, VersorgB 1985, 87, 89 mwN). Dieser engen Auslegung trat der Gesetzgeber entgegen. Mit der Gesetzesänderung führte er den Begriff "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen" ein und bekundete das Anliegen, durch diesen Befreiungstatbestand "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40). Ähnlich der heutigen Fassung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX waren nach der damals geltenden Fassung des § 57 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SchwbG Berechtigte, die "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem BSHG erhalten", von der Entrichtung des Eigenanteils befreit.

45

Dieser Befreiungstatbestand ist inhaltlich sowohl mit Einführung des SGB IX durch Gesetz vom 19.6.2001 (BGBl I 1046) als auch mit Einführung des SGB XII durch Gesetz vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) im Wesentlichen unverändert geblieben. Er hat seine letzte Fassung jedoch erst durch die Änderungsgesetze vom 13.12.2007 (BGBl I 2904) und 22.12.2008 (BGBl I 2959) erhalten, die nach den Gesetzesmaterialien vornehmlich redaktionelle Änderungen betrafen (vgl BT-Drucks 16/6985 S 5; BT-Drucks 16/10487 S 11). Die Aufnahme des Tatbestandsmerkmals der Leistungen nach dem "Dritten und Vierten Kapitel" des SGB XII ist auf die Eingliederung des Gesetzes über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 26.6.2001 (BGBl I 1310) in das SGB XII (Viertes Kapitel) und die systematische Trennung der Hilfe zum Lebensunterhalt (Drittes Kapitel) und der Hilfen in besonderen Lebenslagen (nun Fünftes bis Neuntes Kapitel) zurückzuführen (vgl zur neueren Gesetzhistorie auch Spiolek in GK-SGB IX, Stand Februar 2011, § 145 RdNr 25).

46

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich - wie das LSG zutreffend erkannt hat - aus den Gesetzesmaterialien zu den jeweiligen Änderungen der Befreiungstatbestände für einkommensschwache schwerbehinderte Menschen bei der unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass der Gesetzgeber sein ursprüngliches Anliegen, "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40), aufgegeben haben könnte.

47

(c) Für die vom erkennenden Senat vertretene Auslegung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX sprechen auch systematische Erwägungen, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis dieser sozialen Vergünstigung zu den existenzsichernden Systemen des Fürsorgerechts (SGB II/SGB XII).

48

Die Privilegierung einkommensschwacher schwerbehinderter Menschen im Rahmen des § 145 Abs 1 SGB IX stellt eine von den Systemen des Fürsorgerechts abgegrenzte soziale Vergünstigung des Schwerbehindertenrechts dar. Der Gesetzgeber hat diese Vergünstigung nicht allen einkommensschwachen Personen, die das Merkzeichen "G" besitzen, zukommen lassen wollen, sondern dabei eine systembezogene Zuordnung vorgenommen. Der Senat hat bereits entschieden, dass selbst dann kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG (vgl hierzu BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) vorliegt, wenn dem Berechtigten, der die Eigenbeteiligung aufzubringen hat, das vom Gesetzgeber in Höhe des Regelbedarfs normativ bestimmte (vgl § 27 Abs 1 SGB XII) soziokulturelle Existenzminimum zur Verfügung steht (Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 36). Konsequenterweise ist eine entsprechende soziale Vergünstigung (kostenfreie Wertmarke) bzw die Deckung eines entsprechenden Bedarfs bei Schwer- oder Gehbehinderung grundsätzlich kein Regelungsgegenstand der existenzsichernden Systeme nach dem SGB II und SGB XII (vgl zum SGB II etwa BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 29/09 R - BSGE 105, 279 = SozR 4-1100 Art 1 Nr 7, RdNr 39; BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 24). Der Gesetzgeber hat vielmehr im Rahmen der Nr 2 nur bestimmte Gruppen von Leistungsbeziehern nach dem SGB XII, SGB II und BVG in den Befreiungstatbestand des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB IX aufgenommen. Dementsprechend ist insoweit die Zuordnung von Freifahrtberechtigten nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX zu diesen Systemen der öffentlichen Fürsorge von entscheidender Bedeutung.

49

Dem System des SGB XII sind dabei nicht nur Personen zuzurechnen, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen in unmittelbarer Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII beziehen, sondern auch Personen, die diese Leistungen (nur) in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften erhalten, aber materiell-rechtlich weitgehend Sozialhilfeempfängern gleichgestellt sind. Anders verhält es sich dagegen mit Personen, deren laufender Lebensunterhalt durch eigene Mittel oder ein anderes Sicherungssystem gewährleistet wird. Bei diesem sieht der Gesetzgeber ersichtlich keine Veranlassung für eine Befreiung vom Eigenanteil nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX. Im Fall der Zuordnung zu einem anderen Sicherungssystem geht er nachvollziehbar davon aus, dass ein etwa erforderlicher Ausgleich - zB durch Erstattung des Eigenanteils - ggf im Rahmen dieses Systems erfolgen kann.

50

Auf die "Zweckidentität" einer Leistung hinsichtlich der Gewährleistung des Existenzminimums kommt es mithin bei der Auslegung des Begriffs "für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" nicht entscheidend an, vielmehr auf die Zuordnung eines Personenkreises zum "System des Sozialhilferechts". Folglich hält es der Senat aus systematischen Gründen für notwendig, dass es sich dabei nicht nur um Leistungen handelt, die zumindest in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden, sondern auch um Leistungsbezieher, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen, also nicht unbedingt formal, aber materiell-rechtlich dem "System des Sozialhilferechts" zugewiesen sind.

51

Der Senat verkennt nicht, dass bei einer solchen Auslegung der ausdrücklichen Nennung der Bezieher von ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt iS des § 27a BVG in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Var 4 SGB IX kaum eigenständige Bedeutung zukommt, da nach § 27a Satz 2 BVG bereits eine entsprechende Anwendung der Regelungen des Dritten Kapitels des SGB XII unter Berücksichtigung der besonderen Lage der Beschädigten und Hinterbliebenen vorgesehen ist. Gerade im Zusammenhang mit der Begünstigung der Leistungsbezieher nach § 27d BVG kann die Nennung des § 27a BVG immerhin eine sinnvolle Klarstellung bedeuten, zumal eine Gleichstellung des von § 27a BVG erfassten Personenkreises - auch im Hinblick auf die angeordnete Berücksichtigung der besonderen Lage der Betroffenen - zweifelhaft seien könnte.

52

(d) Ein weites Begriffsverständnis entspricht auch am ehesten dem Sinn und Zweck des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX.

53

Durch die jetzt in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX vorgesehene soziale Vergünstigung sollen - wie schon seit Einführung des Eigenanteils bei der ermäßigten Beförderung eines Kreises schwerbehinderter Menschen im Jahre 1984(vgl § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SchwbG idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) - die "Belange typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtsberechtigter" berücksichtigt werden (BT-Drucks 10/335 S 89; vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34). Dabei ist es ein Anliegen des Gesetzgebers, "alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten" (BT-Drucks 10/3138 S 40). Durch die Anknüpfung ua an den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII macht der Gesetzgeber die Befreiung vom Unterschreiten einer Einkommensgrenze abhängig, die sich aus dem System des Sozialhilferechts (11. Kap SGB XII) ergibt (vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34). Bei dieser Zweckrichtung macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob die für den Lebensunterhalt laufenden Leistungen in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII gewährt werden.

54

Hierbei ist auch das weitere Ziel des Gesetzgebers zu berücksichtigen, die verwaltungspraktische Arbeit der zuständigen Behörden dadurch zu erleichtern, dass die Hilfebedürftigkeit des Berechtigten bereits durch andere Träger - mittels Verwaltungsakt - festgestellt worden ist (vgl BT-Drucks 10/335 S 89; vgl auch BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 35). Dieser hatte insoweit offensichtlich das sozialhilferechtliche Verwaltungsverfahren vor Augen. Nicht nur aus systematischen Gründen, sondern auch im Hinblick auf diese Zweckrichtung liegt es nahe, ein weites Verständnis des Befreiungstatbestands auf Leistungsbezieher zu beschränken, die - auch verfahrensmäßig - Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen.

55

(e) Auch mit Rücksicht auf höherrangiges Recht ist das vom Senat für zutreffend gehaltene Verständnis des Befreiungstatbestands nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX angebracht.

56

Das BSG hat bereits entschieden, dass die Umwandlung von einer unentgeltlichen Freifahrt in eine "Freifahrt" mit Kostenbeteiligung den Gesetzgeber nicht berechtigt, in unbeschränktem Ermessen Personenkreise von der Kostenbeteiligung auszunehmen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet es vielmehr, den begünstigten Personenkreis nach sachgemäßen Erwägungen zu bestimmen (BVerfGE 39, 148, 153). Allgemein ist Art 3 Abs 1 GG verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art oder solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl BVerfG Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86, 50/87 und 1 BvR 873/90, 761/91 - BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 7; BVerfG Beschluss vom 8.4.1998 - 1 BvL 16/90 - BVerfGE 98, 1, 12 = SozR 3-5755 Art 2 § 27 Nr 1 S 5). Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der sozialen Vergünstigung iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX gilt als Maßstab das Willkürverbot(vgl BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 30 ff, 36; BSG Urteil vom 8.10.1987 - 9a RVs 6/87 - SozR 3870 § 57 Nr 1).

57

Diesen Vorgaben wird eine Auslegung des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX am ehesten gerecht, die auch Personen erfasst, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII erhalten, und Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen. Maßgebend für die sachliche Rechtfertigung einer Gleich- oder Ungleichbehandlung ist es danach, ob die betreffende Person dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe zuzuordnen ist.

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(2) Zur Auslegung des Begriffs "erhalten" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX hat der erkennende Senat bereits die möglichen Deutungen und die in anderen Rechtsgebieten vertretenen Auffassungen dargelegt; danach kann unter diesem Begriff sowohl der faktische Bezug einer Leistung zu verstehen sein als auch das Empfangen der Leistung durch den sachlich-rechtlichen Inhaber der Forderung (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a SB 11/06 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 18 mwN). Der Senat ist der Auffassung, dass bei § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX eine dem engeren Wortsinn entsprechende Auslegung vorzugswürdig ist, nach der es allein auf den tatsächlichen Zufluss der Leistungen ankommt(so auch Vogl in jurisPK-SGB IX, 1. Aufl 2010, § 145 RdNr 46). Hierfür spricht maßgeblich die nach den Gesetzesmaterialien zur insoweit inhaltsgleichen Vorläufervorschrift des § 57 Abs 1 Nr 2 SchwbG(idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) vom Gesetzgeber gewollte Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens. Danach sollen die Belange typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtsberechtigter berücksichtigt werden, "ohne dass die Versorgungsämter die Höhe des Einkommens im einzelnen prüfen müssen". Über die Befreiung von der Kostenbeteiligung soll nach Vorlage eines Bescheids entschieden werden, "aus dem hervorgeht, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung die genannten Leistungen bezogen werden" (BT-Drucks 10/335 S 89).

59

dd) Gemessen an diesen Kriterien werden die vom Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 27 ff SGB XII bezogenen Leistungen von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX erfasst. Unerheblich ist hierbei, ob der Kläger auch einen materiell-rechtlichen Anspruch auf diese Leistungen hatte, da es im Rahmen des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX allein auf den tatsächlichen Zufluss der Leistungen ankommt. Ferner ergibt sich ein gesetzlicher Ausschluss des Klägers von der sozialen Vergünstigung iS des § 145 Abs 1 Satz 5 SGB XII weder unmittelbar noch mittelbar aus § 9 Abs 1 AsylbLG (1). Die vom Kläger bezogenen Leistungen werden in entsprechender Anwendung des Dritten Kapitels des SGB XII gewährt (2), und zwar an Personen, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen (3).

60

(1) Nach § 9 Abs 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte keine Leistungen nach dem SGB XII oder vergleichbaren Landesgesetzen, wobei als Leistungsberechtigte dieser Vorschrift nach allgemeiner Meinung alle Berechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG zählen, also sowohl Bezieher von sog Grundleistungen(§§ 3 ff AsylbLG) als auch Analog-Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG(vgl Hohm in AsylbLG, Stand Juli 2011, § 9 RdNr 5; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand Mai 2011, § 9 AsylbLG RdNr 7).

61

Entgegen der Auffassung des LSG und der Beklagten ergibt sich nicht bereits aus dem Wortlaut des § 9 Abs 1 AsylbLG, dass Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG von der in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX vorgesehenen Vergünstigung ausgeschlossen sind (a). Hierfür sprechen auch nicht die Entstehungsgeschichte (b), der systematische Zusammenhang (c) oder der Sinn und Zweck der Vorschrift (d).

62

(a) Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich nicht zwangsläufig eine übereinstimmende Bedeutung der Begriffe "Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" iS des § 9 Abs 1 Alt 1 AsylbLG und "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX. Dem letztgenannten Begriff kommt im Rahmen der sozialen Vergünstigung bei der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im Personenverkehr eine weitergehende Bedeutung zu. Er umfasst auch Leistungen, die ihren Rechtsgrund nicht (allein) im SGB XII haben, sondern in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII an Personen gewährt werden, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen. Die Zweckrichtung der Vorschrift kann insoweit zu einem Begriffsverständnis führen, das von der in anderem gesetzlichen Zusammenhang entwickelten Auslegung abweicht.

63

(b) § 9 AsylbLG ist mit Einführung des AsylbLG am 1.11.1993 in Kraft getreten (BGBl I 1074) und regelt seither das Verhältnis dieses Leistungsgesetzes zu anderen gesetzlichen Vorschriften (vgl BT-Drucks 12/4451 S 10 zu der im ersten Gesetzentwurf ursprünglich als § 8 vorgesehenen Regelung und BT-Drucks 13/2746 S 17 zu § 9). Denn bei dem AsylbLG handelt es sich um ein besonderes Sicherungssystem, das aus dem Asylkompromiss 1992 heraus entstanden ist und eigenständige, abschließende Regelungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für einen eng begrenzten Personenkreis von Ausländern enthält (vgl BT-Drucks 12/4451 S 5; BT-Drucks 15/1516 S 52 zu § 7 SGB II). Nach dem ursprünglichen Wortlaut sah § 9 Abs 1 AsylbLG vor, dass Leistungsberechtigte keine Leistungen nach dem BSHG oder vergleichbaren Landesgesetzen erhalten; dieser Wortlaut ist durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) zum 1.1.2005 lediglich redaktionell angepasst worden (Groth in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 9 AsylbLG RdNr 3).

64

Es ergeben sich weder aus den Gesetzmaterialen zur Einführung und zu späteren Änderungen der Beteiligung Berechtigter an den Kosten für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr nach dem SchwbG bzw dem SGB IX noch aus den Vorgängen zu § 9 AsylbLG (und dem AsylbLG insgesamt) hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff "Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" in § 9 Abs 1 AsylbLG und § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX übereinstimmend verstanden wissen und damit ausnahmslos alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG (mittelbar) von der sozialen Vergünstigung nach dem SGB IX ausschließen wollte.

65

Mit Einführung der Kostenbeteiligung im Jahr 1984 durch § 57 Abs 1 SchwbG(idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532) waren auch bedürftige Ausländer von der Entrichtung des Eigenanteils iS des § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 Alt 2 SGB IX befreit, soweit sie zur Sicherung des Lebensunterhalts Leistungen der öffentlichen Fürsorge in Anspruch genommen haben. Denn sie hatten im Rahmen der Sozialhilfe ausnahmslos einen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG (§ 120 Abs 1 und 2 BSHG idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532); dies galt auch für Asylbewerber (vgl BT-Drucks 12/4451 S 5). Die Einführung des AsylbLG zum 1.11.1993 hatte im Hinblick auf den Mindestunterhalt während des Asylverfahrens eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen nach § 120 Abs 2 BSHG(idF bis zum 30.10.1993, BGBl I 1991, 94, 808; BGBl I 1993, 278) und einen Vorrang der Sachleistungsgewährung zum Ziel, um das Leistungsrecht dem Ausländer- und Asylrecht anzupassen (vgl BT-Drucks 12/4451 S 4). Den Materialien ist nicht zu entnehmen, dass sich dieser Systemwechsel auch auf die Rechtstellung des Personenkreises nach § 1 Abs 1 AsylbLG(idF vom 30.6.1993, BGBl I 1074) im Schwerbehindertenrecht, namentlich im Rahmen des damals geltenden § 59 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG(idF vom 21.6.1991, BGBl I 1310), auswirken sollte. Insbesondere kann nicht ohne Weiteres auf eine übereinstimmende Verwendung des Begriffs "Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz" in § 9 AsylbLG und § 59 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG geschlossen werden. Vielmehr sollte die Formulierung in § 9 Abs 1 AsylbLG (lediglich) im Verhältnis zum Sozialhilferecht festlegen, dass Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG weder Leistungen nach dem BSHG oder vergleichbaren Landesgesetzen zustehen(BT-Drucks 12/4451 S 10).

66

Ein gewichtiges Argument für einen übereinstimmenden Wortsinn ist es zwar, dass der Gesetzgeber seit Inkrafttreten des AsylbLG die Regelung des § 59 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SchwbG bzw § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX trotz deren häufigen redaktionellen Änderungen nicht ausdrücklich zumindest auf einen Teil der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG(§ 2 Abs 1 AsylbLG) erstreckt hat. Daraus könnte man folgern, dass ein an sich regelungsbedürftiger Anspruch bewusst nicht gewährt werden sollte (sog "beredtes Schweigen"). Hiergegen spricht wiederum die weitere Entwicklung des Asylbewerberleistungsrechts. Denn der Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG ist im Laufe der Jahre mehrmals geändert worden, ohne dass sich der Gesetzgeber mit den Auswirkungen auf das Schwerbehindertenrecht nachvollziehbar auseinandergesetzt hat.

67

Dies gilt insbesondere für das Erste Änderungsgesetz des AsylbLG vom 26.5.1997 (BGBl I 1130). Mit ihm ist der Gedanke der Kosteneinsparung durch Einführung der sog Vorbezugszeit iS des § 2 Abs 1 AsylbLG in den Vordergrund getreten(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 21; BT-Drucks 17/3660 S 5) und die Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs iS des § 1 Abs 1 AsylbLG ua auf Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge einhergegangen(vgl § 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG idF vom 5.8.1997, BGBl I 1130), die ursprünglich nach dem Asylkompromiss 1992 ausdrücklich ausgenommen gewesen sind (vgl BT-Drucks 12/5008 S 13). Im Gesetzgebungsverfahren sind zwar auf Länderseite den Mehrkosten im Sozialhilfewesen durch eine Begrenzung der Arbeitslosenhilfe und durch die finanzielle Verantwortung für die unentgeltliche Beförderung ua von Schwerbehinderten im Personenverkehr Einsparungen durch die Änderungen des AsylbLG gegenübergestellt worden (vgl BT-Drucks 13/3475 S 3). Mögliche Auswirkungen der inhaltlichen Änderungen des AsylbLG auf die Rechtstellung der Betroffenen im Schwerbehindertenrecht und insbesondere bei der unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr werden jedoch in den vorliegenden Gesetzesmaterialien (ua BT-Drucks 13/2746, Erstentwurf vom 24.10.1995; BT-Drucks 13/3475, Entwurf der Bundesregierung vom 12.1.1996; BT-Drucks 13/3720, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit vom 7.2.1996; BT-Drucks 13/7510, Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 23.4.1997) an keiner Stelle erörtert, obwohl dies bei einer gemeinsamen Behandlung dieser Regelungsgegenstände nahe gelegen hätte.

68

Entsprechendes gilt auch für die Änderungen und Anpassungen des persönlichen Anwendungsbereichs (§ 1 Abs 1 AsylbLG) an das neue Asyl- und Aufenthaltsrecht mit der Einführung des AufenthG, das mit Wirkung zum 1.1.2005 das Ausländergesetz abgelöst hat (vgl Art 8 Nr 1 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004, BGBl I 1950). Mit dem Zuwanderungsgesetz 2004 ist zum einen ein Teil der bis dahin regelmäßig nach dem AsylbLG Leistungsberechtigten wegen europa- und völkerrechtlich vorgegebener Mindeststandards bei der Gewährung von Fürsorgeleistungen (vgl Art 28 Abs 1 Richtlinie 2004/83/EG , ABl.EU L 304 vom 30.9.2004 und Art 23 Genfer Flüchtlingskommission, BGBl II 1953, 559) aus dem persönlichen Anwendungsbereich des AsylbLG herausgenommen worden (vgl hierzu ausführlich Frerichs in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 1 AsylbLG RdNr 42 f, 56-58, 71 ff, 73; vgl auch BT-Drucks 15/420 S 61). Zum anderen sind Inhaber bestimmter Aufenthaltstitel (Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs 3 und 4 AuslG), die zuvor leistungsberechtigt nach dem BSHG gewesen sind, durch die Überführung ihres Titels in eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG(vgl § 101 Abs 2 AufenthG)erstmals in den Anwendungsbereich des AsylbLG (§ 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG) einbezogen worden (vgl Frerichs, aaO, § 1 AsylbLG RdNr 95 f). Gleichwohl werden in den Gesetzesmaterialien die Änderungen des § 1 Abs 1 AsylbLG nicht näher erläutert, auch nicht im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf das Schwerbehindertenrecht(BT-Drucks 15/420 S 120 f).

69

(c) Systematisch regelt § 9 Abs 1 AsylbLG nach Art einer Konkurrenznorm das Verhältnis des AsylbLG als abgeschlossenes Leistungssystem zu anderen Leistungsgesetzen. Er legt ausdrücklich fest, dass Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG weder Leistungen nach dem Sozialhilferecht (SGB XII) noch nach vergleichbaren Landesgesetzen, wie etwa Landesblinden- oder Landespflegegeldleistungen, zustehen (so die Gesetzesbegründung vom 2.3.1993 zum inhaltsgleichen § 8 Abs 1 des ersten Gesetzesentwurfs, BT-Drucks 12/4451 S 10; vgl jüngst etwa zum Landesblindengeld NRW OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 17.6.2011 - 12 A 1011/10 - juris). Die Vorschrift korrespondiert insoweit mit § 23 Abs 2 SGB XII, derzufolge Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG keine Leistungen der Sozialhilfe erhalten, und mit § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II(vgl hierzu BSG Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 66/08 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 14; zur Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 24/07 R - BSGE 102, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 10; BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 40/07 R - juris). Über seinen leistungsausschließenden Charakter hinaus, stellt die Vorschrift klar, dass es sich bei den Leistungen nach diesem Gesetz, auch bei denjenigen nach § 2 Abs 1 AsylbLG, ihrem Rechtsgrund nach um Leistungen nach dem AsylbLG handelt(vgl BT-Drucks 12/5008 S 15 zu der im Entwurf als § 1a AsylbLG vorgesehenen Regelung; vgl auch Hohm, AsylbLG, Stand Juli 2011, § 9 RdNr 5; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand Mai 2011, § 9 AsylbLG RdNr 8; Groth in jurisPK-SGB XII, § 9 AsylbLG RdNr 17).

70

Die Reichweite des § 9 Abs 1 AsylbLG ist systematisch aber auf das Verhältnis von AsylbLG und SGB XII (und vergleichbaren Ländergesetzen) begrenzt und erstreckt sich gemäß § 9 Abs 2 AsylbLG grundsätzlich nicht auf das Aufgaben- und Leistungsprogramm anderer Leistungsträger(vgl BVerwG Urteil vom 24.6.1999 - 5 C 24/98 - BVerwGE 109, 155 - juris RdNr 30 ). Für die Mobilitätsförderung nach § 145 Abs 1 Satz 1 SGB IX selbst ist dies offensichtlich; von einem Ausschluss des Klägers von diesem Nachteilsausgleich geht auch die Beklagte nicht aus. Aus dieser Systematik folgt zugleich, dass die Bedeutung der Begriffe "Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" in § 9 Abs 1 AsylbLG und "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" in § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX nicht übereinstimmen muss. Bemerkenswert sind insoweit die Gesetzesmaterialien zur Einführung des § 9 Abs 2 AsylbLG. Danach können Leistungen anderer Leistungsträger nicht unter Hinweis auf Leistungen nach dem AsylbLG eingeschränkt werden, "sofern dies nicht ausdrücklich im Rahmen von Einkommensvoraussetzungen vorgesehen ist" (BT-Drucks 12/4451 S 10 zu § 8). Zumindest eine ausdrückliche Einschränkung enthält § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX für Leistungsbezieher nach dem AsylbLG nicht. Da das AsylbLG als eigenständiges Leistungssystem nicht in das SGB eingegliedert und kein besonderer Teil iS des § 68 SGB I ist(vgl Herbst in Mergler/Zink, SGB XII/AsylbLG, Einführung zum AsylbLG RdNr 12), lässt sich auch nicht mit einer übereinstimmenden Bedeutung der Begriffe innerhalb des SGB argumentieren.

71

(d) Der Gesetzgeber hat die durch § 9 Abs 1 AsylbLG klar zum Ausdruck kommende Abgrenzung dieses Leistungssystems vom Recht der Sozialhilfe(vgl dazu auch § 23 Abs 2 SGB XII) als notwendig erachtet, um bei der Leistungsgewährung nach dem AsylbLG von grundlegenden Prinzipien des Sozialhilferechts, insbesondere vom Individualisierungsgrundsatz, abweichen zu können (vgl BT-Drucks 12/4451 S 5 zu Nr 2; vgl auch Kunkel, NVwZ 1994, 352, 353; zum Abschied von den sog Strukturprinzipien der Sozialhilfe, die vom BVerwG entwickelt worden sind, vgl insb BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 5/07 R - SozR 4-3520 § 9 Nr 1 RdNr 14 unter Hinweis auf Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, Vor § 1 RdNr 4 f, 8 f). Die Leistungen an Asylbewerber zur Deckung ihres Lebensunterhalts sollten außerhalb des BSHG "vereinfacht und auf die Bedürfnisse eines hier in aller Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthaltes" ausgerichtet werden. Nach der zuvor geltenden Rechtslage (§ 120 Abs 2 BSHG) war die Einschränkung der Leistungen auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche nur aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalles zulässig (BT-Drucks 12/4451 S 5 zu Nr 2 unter Hinweis auf BVerwG Urteil vom 26.8.1991 - 5 C 61.88 - BVerwGE 89, 87 ff).

72

Der Beklagten ist insoweit einzuräumen, dass die Herausnahme der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG aus dem Kreis der Sozialhilfebezieher ein bewusster Schritt der Schlechterstellung gegenüber denjenigen Personen darstellt, die unmittelbar anspruchsberechtigt nach dem BSHG waren bzw heute nach dem SGB XII sind. Nicht beantwortet hat sie aber die entscheidende Frage, ob hieraus auch auf eine bewusste Schlechterstellung dieses Personenkreises im Schwerbehindertenrecht geschlossen werden kann. Dies wäre bei einem übereinstimmenden Wortsinn der "Leistungen nach dem SGB XII" iS des § 9 Abs 1 AsylbLG und der "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII" iS des § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX der Fall. Der Senat verneint diese Frage. Denn § 9 Abs 1 Alt 1 AsylbLG - und Entsprechendes gilt für § 23 Abs 2 SGB XII - ist nicht nur systematisch, sondern auch nach seinem Sinn und Zweck vornehmlich als Vorschrift betreffend die Gesetzeskonkurrenz im Bereich der Existenz sichernden Leistungen (SGB XII, AsylbLG) zu verstehen. Er stellt lediglich klar, dass Berechtigten nach § 1 AsylbLG über die Asylbewerberleistungen hinaus keine (weiteren) Existenz sichernden Leistungen der Sozialhilfe zustehen. Die gewollte Schlechterstellung dieser Personen gegenüber Leistungsberechtigten nach dem Recht der Sozialhilfe, lässt deren Rechtstellung im SGB IX unberührt. Durch das Schwerbehindertenrecht sollen nämlich alle Menschen mit Behinderungen - grundsätzlich unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status - durch einen möglichst weitgehenden Ausgleich ihrer Behinderung in die Gesellschaft integriert werden (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 2/09 R - BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 69 Nr 11, RdNr 31). Dies gilt nach Auffassung des Senats auch für die soziale Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX.

73

(2) Die Leistungen, die der Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 27 ff SGB XII erhalten hat, werden in entsprechender Anwendung des Dritten Kapitels des SGB XII gewährt. Denn nach § 2 Abs 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf einen bestimmten Kreis der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG entsprechend anzuwenden. Hierbei kann die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob § 2 Abs 1 AsylbLG eine Rechtsfolgenverweisung(vgl hierzu ausführlich Hohm in AsylbLG, Stand Juli 2011, § 2 RdNr 94 ff mwN) oder eine Rechtsgrundverweisung auf § 23 SGB XII(so Decker in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Juni 2011, § 2 AsylbLG RdNr 37 ff, 41 mwN; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII - AsylbLG, Stand Januar 2011, § 2 RdNr 40) enthält, unbeantwortet bleiben (ebenfalls offen gelassen durch BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 21 und BSG Urteil vom 9.6.2011 - B 8 AY 1/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR RdNr 14 f; zur praktischen Bedeutung dieses Streits vgl auch Oppermann in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 2 AsylbLG RdNr 108).

74

Es handelt sich zwar in der Rechtsfolge des § 2 Abs 1 AsylbLG um eine sog Analogieverweisung(vgl hierzu Handbuch der Rechtsförmlichkeit, herausgegeben vom BMJ, 3. Aufl 2008, RdNr 232), bei der der Bezugstext - das SGB XII - nicht wörtlich mitgelesen werden kann und nur eine "entsprechende" und ggf eine nach der Regelungsmaterie des AsylbLG abweichende Anwendung findet (zur entsprechenden Anwendung des SGB XII iS des § 2 Abs 1 AsylbLG vgl Hohm, aaO, § 2 RdNr 101 ff). Die Leistungen bestimmen sich jedoch grundsätzlich nach den näheren Leistungsvoraussetzungen, den Bestimmungen über Art, Form und Maß der Leistung und den einzelnen Verfahrensregelungen des Sozialhilferechts (vgl BT-Drucks 12/5008 S 15). Es gelten die - auch für die soziale Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX maßgeblichen - Einkommens- und Vermögensgrenzen des SGB XII, da die asylbewerberleistungsrechtliche Vorschrift über zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen(§ 7 AsylbLG) gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG ("abweichend von den §§ 3 bis 7" AsylbLG) nicht anzuwenden ist(vgl auch Herbst, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 39; Hohm, aaO, § 2 RdNr 105 mwN). Ungeachtet des Streits über die Art der Verweisung besteht nach ganz herrschender Meinung jedenfalls im Hinblick auf die Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt Einigkeit darüber, dass die Regelungen über diese Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG heranzuziehen sind(vgl Hohm, aaO, § 2 RdNr 185 f; Decker, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 53; Herbst, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 42; Oppermann, aaO, § 2 AsylbLG RdNr 121 f).

75

(3) Die Bezieher von Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm den Vorschriften des SGB XII stehen zudem - wie von § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX vorausgesetzt - den Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleich. Der Gesetzgeber mag die (in § 9 Abs 1 AsylbLG und § 23 Abs 2 SGB XII zum Ausdruck kommende) klare Abgrenzung der Leistungssysteme (SGB XII/AsylbLG) aus systematischen Gründen als notwendig erachtet haben. Materiell-rechtlich sind Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG jedoch dem "System der Sozialhilfe" zugewiesen. Auch hierbei kann der Streit über die Art der Verweisung in § 2 Abs 1 AsylbLG unentschieden bleiben. Selbst wenn diese allein als Verweisung auf § 23 SGB XII zu verstehen wäre(so Decker in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Juni 2011, § 2 AsylbLG RdNr 37 ff, 41 mwN; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII - AsylbLG, Stand Januar 2011, § 2 RdNr 40), steht der berechtigte Personenkreis Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleich. § 23 SGB XII regelt, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Ausländer Sozialhilfe beziehen können. Die Vorschrift sieht für diesen Personenkreis zwar nur einen reduzierten Leistungskatalog vor. Nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII sind aber als Pflichtleistung die Hilfe zum Lebensunterhalt(§§ 27 ff SGB XII), die Hilfe bei Krankheit (§ 48 SGB XII), die Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§ 50 SGB XII) sowie die Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff SGB XII) auf sozialhilferechtlichem Niveau vorgesehen. Entsprechendes gilt für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (§§ 41 bis 46 SGB XII), da diese Regelungen nach § 23 Abs 1 Satz 2 SGB XII unberührt bleiben. Die Erbringung der übrigen Sozialhilfeleistungen liegt einzelfallbezogen im Ermessen der Behörde (§ 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII).

76

Zwar erstreckt sich der Rechtsanspruch damit grundsätzlich nicht auf die Leistungen der übrigen Kapitel des SGB XII, insbesondere nicht auf die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 bis 60 SGB XII). Dieser sozialhilferechtliche Regelausschluss ist aber für die soziale Vergünstigung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX ohne Belang. Zum einen sind auch Leistungsberechtigte nach § 23 Abs 1 SGB XII, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII beziehen, nach dieser Vorschrift von der Entrichtung des Eigenanteils befreit. Zum anderen führt der Erhalt der Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII allein noch nicht zu der Kostenbefreiung nach § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 SGB IX.

77

Aus den Besonderheiten des AsylbLG ergibt sich keine andere Bewertung. Vielmehr verbindet auch der Gesetzgeber mit der Anspruchsberechtigung nach § 2 Abs 1 AsylbLG "eine weitgehende Angleichung des Leistungsrechts an das Sozialhilferecht", weil bei einem längeren Zeitraum des Aufenthaltes und - mangels Entscheidung (über den Asylantrag) - noch nicht absehbarer weiterer Dauer nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden könne, der bei einem in der Regel nur vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland entstehe. Insbesondere seien nunmehr Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse und auf bessere soziale Integration gerichtet seien (BT-Drucks 12/5008 S 15 zu der im Entwurf als § 1a AsylbLG vorgesehenen Regelung). Im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 AsylbLG ging diese Integrationskomponente allerdings in der endgültigen Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 26.5.1997 (BGBl I 1130) weitgehend verloren. In den Vordergrund trat der Gedanke der Kosteneinsparung, wie er sich an der Leistungsvoraussetzung eines 36 Monate währenden Leistungsbezugs nach §§ 3 ff AsylbLG (sog Vorbezugszeit) zeigt(vgl hierzu BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 21 unter Bezugnahme auf den Ausschussbericht vom 7.2.1996, BT-Drucks 13/3728 S 3).

78

Auch bei der Anhebung der Vorbezugszeit iS des § 2 Abs 1 AsylbLG auf 48 Monate mit Wirkung ab 28.8.2007 (Art 6 Abs 2 Nr 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 - BGBl I 1970) spielte die Integrationskomponente keine wesentliche Rolle (vgl BSG, aaO, RdNr 23 mwN). Immerhin kommt in den Materialien zum Ausdruck, nach einem Voraufenthalt von vier Jahren könne davon ausgegangen werden, dass eine Aufenthaltsperspektive entstanden sei, die es gebiete, Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine "bessere soziale Integration" gerichtet seien (vgl BT-Drucks 16/5065 S 232 zu Nr 2). Hieraus ergibt sich jedenfalls für die Rechtsfolge des § 2 Abs 1 AsylbLG, dass der Gesetzgeber sein ursprüngliches Anliegen "einer weitgehenden Angleichung des Leistungsrechts an das Sozialhilferecht" nicht aufgegeben hat. Auf die wegen der entsprechenden Anwendung des SGB XII im Detail gegebenenfalls abweichende Leistungsgewährung nach § 2 Abs 1 AsylbLG(vgl hierzu ausführlich Hohm, aaO, § 2 RdNr 110 ff) kommt es nach Auffassung des Senats insoweit nicht entscheidend an.

79

c) Die Beklagte war nach alledem gemäß § 145 Abs 1 Satz 5 Nr 2 Alt 2 SGB IX verpflichtet, an den Kläger eine für ein Jahr gültige Wertmarke - hier für den Zeitraum von September 2009 bis August 2010 - kostenlos, also ohne Entrichtung des Eigenanteils nach § 145 Abs 1 Satz 3 SGB IX, auszugeben. Der angefochtene Verwaltungsakt ist insoweit rechtswidrig und aufzuheben. Zudem hat die Beklagte dem Kläger den rechtsgrundlos erhaltenen Betrag in Höhe von 60 Euro zu erstatten.

80

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Leistungsberechtigte nach § 1 erhalten Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf).

(2) Bei einer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen im Sinne von § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes wird der notwendige Bedarf durch Sachleistungen gedeckt. Kann Kleidung nicht geleistet werden, so kann sie in Form von Wertgutscheinen oder anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen gewährt werden. Gebrauchsgüter des Haushalts können leihweise zur Verfügung gestellt werden. Der notwendige persönliche Bedarf soll durch Sachleistungen gedeckt werden, soweit dies mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich ist. Sind Sachleistungen für den notwendigen persönlichen Bedarf nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich, können auch Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen gewährt werden.

(3) Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes sind vorbehaltlich des Satzes 3 vorrangig Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs zu gewähren. Anstelle der Geldleistungen können, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, zur Deckung des notwendigen Bedarfs Leistungen in Form von unbaren Abrechnungen, von Wertgutscheinen oder von Sachleistungen gewährt werden. Der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat sowie für Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie wird, soweit notwendig und angemessen, gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht. Absatz 2 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden. Der notwendige persönliche Bedarf ist vorbehaltlich des Satzes 6 durch Geldleistungen zu decken. In Gemeinschaftsunterkünften im Sinne von § 53 des Asylgesetzes kann der notwendige persönliche Bedarf soweit wie möglich auch durch Sachleistungen gedeckt werden.

(4) Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft werden bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben den Leistungen nach den Absätzen 1 bis 3 entsprechend den §§ 34, 34a und 34b des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gesondert berücksichtigt. Die Regelung des § 141 Absatz 5 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend.

(5) Leistungen in Geld oder Geldeswert sollen der oder dem Leistungsberechtigten oder einem volljährigen berechtigten Mitglied des Haushalts persönlich ausgehändigt werden. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht; dabei wird der Monat mit 30 Tagen berechnet. Geldleistungen dürfen längstens einen Monat im Voraus erbracht werden. Von Satz 3 kann nicht durch Landesrecht abgewichen werden.

(6) (weggefallen)

(1) Abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 sind das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch und Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Sonderregelungen für Auszubildende nach § 22 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch finden dabei jedoch keine Anwendung auf

1.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, 3 und 4 in einer nach den §§ 51, 57 und 58 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung sowie
2.
Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 3 und 4 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung, deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten.
Bei Leistungsberechtigten nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 in einer nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung gilt anstelle des § 22 Absatz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, dass die zuständige Behörde Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch als Beihilfe oder als Darlehen gewährt. § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a, 40 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch findet auf Leistungsberechtigte nach Satz 1 mit den Maßgaben entsprechende Anwendung, dass
1.
bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird;
2.
für jede erwachsene Person, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unverheiratet ist und mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung im Sinne von § 8 Absatz 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes zusammenlebt, ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 anerkannt wird.

(2) Bei der Unterbringung von Leistungsberechtigten nach Absatz 1 in einer Gemeinschaftsunterkunft bestimmt die zuständige Behörde die Form der Leistung auf Grund der örtlichen Umstände.

(3) Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, erhalten Leistungen nach Absatz 1 auch dann, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Absatz 1 erhält.

(1) Leistungsberechtigte nach § 1 erhalten Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf).

(2) Bei einer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen im Sinne von § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes wird der notwendige Bedarf durch Sachleistungen gedeckt. Kann Kleidung nicht geleistet werden, so kann sie in Form von Wertgutscheinen oder anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen gewährt werden. Gebrauchsgüter des Haushalts können leihweise zur Verfügung gestellt werden. Der notwendige persönliche Bedarf soll durch Sachleistungen gedeckt werden, soweit dies mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich ist. Sind Sachleistungen für den notwendigen persönlichen Bedarf nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich, können auch Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen gewährt werden.

(3) Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes sind vorbehaltlich des Satzes 3 vorrangig Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs zu gewähren. Anstelle der Geldleistungen können, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, zur Deckung des notwendigen Bedarfs Leistungen in Form von unbaren Abrechnungen, von Wertgutscheinen oder von Sachleistungen gewährt werden. Der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat sowie für Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie wird, soweit notwendig und angemessen, gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht. Absatz 2 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden. Der notwendige persönliche Bedarf ist vorbehaltlich des Satzes 6 durch Geldleistungen zu decken. In Gemeinschaftsunterkünften im Sinne von § 53 des Asylgesetzes kann der notwendige persönliche Bedarf soweit wie möglich auch durch Sachleistungen gedeckt werden.

(4) Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft werden bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben den Leistungen nach den Absätzen 1 bis 3 entsprechend den §§ 34, 34a und 34b des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gesondert berücksichtigt. Die Regelung des § 141 Absatz 5 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend.

(5) Leistungen in Geld oder Geldeswert sollen der oder dem Leistungsberechtigten oder einem volljährigen berechtigten Mitglied des Haushalts persönlich ausgehändigt werden. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht; dabei wird der Monat mit 30 Tagen berechnet. Geldleistungen dürfen längstens einen Monat im Voraus erbracht werden. Von Satz 3 kann nicht durch Landesrecht abgewichen werden.

(6) (weggefallen)

(1) Hilfsmerkmale sind

1.
Name und Anschrift des Auskunftspflichtigen,
2.
Name, Telefonnummer und E-Mail-Adresse der für eventuelle Rückfragen zur Verfügung stehenden Person,
3.
für die Erhebung nach § 143 Nummer 1 die Kennnummer des Leistungsberechtigten.

(2) Die Kennnummern nach Absatz 1 Nummer 3 dienen der Prüfung der Richtigkeit der Statistik und der Fortschreibung der jeweils letzten Bestandserhebung. Sie enthalten keine Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Leistungsberechtigten und sind zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens nach Abschluss der wiederkehrenden Bestandserhebung, zu löschen.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.