Bundessozialgericht Urteil, 15. März 2017 - B 6 KA 35/16 R
Tenor
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Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 30. August 2016 (L 3 KA 2/16 WA) wird zurückgewiesen.
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Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
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Die Klägerin macht gegen den Beklagten Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche wegen Wettbewerbsverletzung geltend.
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Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) bestehend aus drei Fachärzten für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie, die in N. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind.
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Der Beklagte ist ebenfalls als Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Bescheid vom 23.10.2003 erteilte ihm die beigeladene KÄV die Genehmigung zur Durchführung besonderer Versorgungsaufträge in eigener Dialysepraxis - in gemeinschaftlicher Ausübung mit Dr. R. B. gemäß § 8 der Anlage 9.1 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) für den Praxissitz "W., 66 H." sowie für die ausgelagerte Praxisstätte LC-Einheit N. in der H. straße , 66 N., und eine ausgelagerte Praxisstätte in S., mit der Maßgabe, dass in den ausgelagerten Praxisstätten ausschließlich Patienten der zentralisierten Heimdialyse behandelt werden. Der Bescheid enthielt den Zusatz, dass die erteilte Genehmigung zur Durchführung besonderer Versorgungsaufträge bei Ausscheiden aus der Dialysepraxis "mit Datum der Beendigung der Niederlassung am Praxisort" erlösche.
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Im April des Jahres 2011 teilte der Beklagte der Beigeladenen mit, dass er seine bis dahin bestehende BAG mit Dr. B. zum 30.9.2011 beenden werde und die Verlegung seines Praxissitzes in die S. Straße , I. zum 1.10.2011 beantrage. Gleichzeitig beantragte er die Erteilung eines nephrologischen Versorgungsauftrags für den neuen Praxissitz in I. Mit Bescheid vom 31.5.2011 erteilte die Beigeladene dem Beklagten die beantragte Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags für die Behandlung von maximal 30 Patienten mit Blutreinigungsverfahren in I. Gegen diesen Bescheid wandte sich ua die Klägerin des vorliegenden Verfahrens, die mit ihrem Begehren im Revisionsverfahren Erfolg hatte (Urteil des Senats vom heutigen Tage zum Az B 6 KA 20/16 R).
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Während des Laufs des den Genehmigungsbescheid vom 31.5.2011 betreffenden Klageverfahrens wurde die Dialysepraxis des Beklagten in I. betrieben, nachdem die beigeladene KÄV die sofortige Vollziehung angeordnet hatte. Der dagegen gerichtete Antrag der Klägerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes blieb vor dem SG (S 2 KA 11/11 ER) und dem LSG (L 3 KA 6/11 B ER) ohne Erfolg. Gegenstand des Verfahrens um die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 31.5.2011 war auch die Frage, ob die mit diesem Bescheid erteilte Genehmigung den Betrieb der ausgelagerten Praxisstätte in N. einschließen würde. Dazu vertrat die beigeladene KÄV in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Auffassung, dass dem Beklagten gestattet worden sei, den ihm bereits mit Bescheid vom 23.10.2003 erteilten Versorgungsauftrag fortzuführen. Die im Bescheid vom 23.10.2003 genehmigte ausgelagerte Praxisstätte müsse nicht noch einmal neu genehmigt werden.
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Auf eine Mitteilung des Beklagten und seines damaligen Praxispartners Dr. B. aus August 2011, nach der die Versorgung der in N. betreuten Patienten ab dem 1.10.2011 von dem Beklagten in Einzelpraxis übernommen und eine Verlängerung der Genehmigung für diesen Standort um zehn Jahre beantragt werde, teilte die Beigeladene gegenüber der A. Heimdialyse mit, dass die Genehmigung für die ausgelagerte Praxisstätte in N. unbefristet erteilt worden sei und es deshalb keiner Verlängerung um weitere zehn Jahre bedürfe.
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin gegenüber dem Beklagten die Unterlassung der Durchführung von Dialysen in N. sowie in der Stufenklage Auskunftserteilung sowie Schadensersatz geltend gemacht. Die Behandlung von Patienten durch den Beklagten erfolge zu Unrecht, da sich der Genehmigungsbescheid vom 31.5.2011 nicht auf die Durchführung von Dialysebehandlungen in N. beziehe. In Anwendung der Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) habe sie einen Unterlassungsanspruch, weil die rechtswidrigen Dialysebehandlungen des Beklagten in N. unzulässige geschäftliche Handlungen im Sinne dieses Gesetzes darstellten. Die Genehmigung sei dem Beklagten lediglich für die Praxis in I. erteilt worden.
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Das SG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Beklagte mit dem Betrieb der Praxisstätte in N. nicht gegen das Genehmigungserfordernis nach § 4 Abs 3 Anlage 9.1 BMV-Ä verstoße. Zwar folge die Genehmigung nicht mehr aus dem Bescheid vom 23.10.2003, weil diese sich auf den Hauptsitz der Praxis in H. und die ausgelagerte Praxisstätte zu dieser Praxis beziehe. Allerdings ergebe sich die Genehmigung unter Berücksichtigung des geführten Schriftverkehrs aus dem dem Beklagten erteilten Bescheid vom 31.5.2011.
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Die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das LSG zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Rechtsprechung des 6. Senats des BSG zur Anwendbarkeit der Bestimmungen des UWG bezogen auf Schadensersatzansprüche konkurrierender Leistungserbringer nicht gefolgt werden könne. Jedenfalls könne diese Rechtsprechung nicht auf Schadensersatzansprüche zwischen Vertragsärzten übertragen werden. Den KÄVen werde durch die gesetzlichen Vorschriften der §§ 72 ff SGB V die öffentliche Aufgabe übertragen, die medizinische Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherten sicherzustellen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe bediene sie sich zugelassener Vertragsärzte. Im Hinblick auf diesen öffentlich-rechtlichen Charakter der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung seien wettbewerbsrechtliche Ansprüche von Vertragsärzten untereinander von vornherein ausgeschlossen. Dafür spreche auch, dass der KÄV nach § 81 Abs 5 SGB V die Verpflichtung obliege, im Satzungswege die Voraussetzungen und das Verfahren zur Verhängung von Maßnahmen gegen Mitglieder zu bestimmen, die ihre vertragsärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllten. Hierbei liege Funktion und Zweck des Disziplinarrechts in der Aufrechterhaltung einer geordneten Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung, die ohne Pflichtenverstoß erreicht werden solle. Die Befugnis und Verpflichtung, Verstöße zu ahnden, obliege dem Disziplinarausschuss. Selbst wenn der Klägerin ein aus Wettbewerbsrecht herrührender Anspruch grundsätzlich zustehen würde, wären die Voraussetzungen des § 3 Abs 1 UWG vorliegend nicht erfüllt, weil von unlauteren geschäftlichen Handlungen des Beklagten durch den Betrieb der ausgelagerten Praxisstätte in N. nicht ausgegangen werden könne. Dabei sei zu berücksichtigen, dass dem Beklagten keine Erstzulassung im Bezirk der beigeladenen KÄV erteilt worden sei, sondern dass er die bereits im Jahr 2003 erteilte Berechtigung an den neuen Sitz der Praxis in I. mitgenommen habe. Daher könne in dem Weiterbetrieb der ausgelagerten Praxisstätte in N. keine unlautere geschäftliche Handlung iS des § 3 Abs 1 UWG gesehen werden, wobei für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung unerheblich sei, ob dem Beklagten eine ausdrückliche Genehmigung zum Weiterbetrieb der ausgelagerten Praxisstätte erteilt worden sei und ob dies - wegen der möglichen Weitergeltung der bereits im Jahr 2003 erteilten Genehmigung - überhaupt nicht erforderlich gewesen sei.
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Selbst wenn mit der Klägerin von einem Vorrang der klagenden BAG im Verhältnis zu dem Beklagten auszugehen wäre, wäre die auf Bestimmungen des UWG gestützte Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzklage nicht begründet. Die beigeladene KÄV habe als die für die Erteilung einer Genehmigung zuständige Behörde die Auffassung vertreten, dass die dem Beklagten mit Bescheid vom 23.10.2003 erteilte Genehmigung weiterhin Grundlage für dessen Tätigkeit in der ausgelagerten Praxisstätte sei. Da sich der Beklagte damit auf die kundgetane Rechtsauffassung der zuständigen Genehmigungsbehörde berufen könne, könne sein hierauf gestütztes Verhalten auch dann keine "unlautere geschäftliche Handlung" iS des § 3 Abs 1 UWG sein, wenn die erteilte Genehmigung im Nachhinein im gerichtlichen Verfahren als rechtswidrig beurteilt werde.
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Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Bundesrecht in Gestalt von Vorschriften des UWG sowie der Anlage 9.1 BMV-Ä. Das LSG gehe zu Unrecht davon aus, dass die vertragsärztliche Tätigkeit aufgrund des Umstands, dass diese der Sicherstellung der Versorgung der Versicherten diene, als hoheitliches Handeln zu qualifizieren sei, welches der wettbewerblichen Kontrolle nach dem UWG entzogen sei. Der Vertragsarzt sei nicht "Verwaltungshelfer" seiner KÄV und seine Tätigkeit sei auch keine hoheitliche, die nach Weisung der KÄV verrichtet werde. Dies werde durch die Rechtsprechung des BGH bestätigt, der den Vertragsarzt nicht als "Amtsträger" im strafrechtlichen Sinne einordne. Der Vertragsarzt übe seine Tätigkeit freiberuflich aus und die vertragsärztliche Behandlung werde überwiegend durch das persönliche Verhältnis zum Patienten geprägt. Zwischen Vertragsarzt und Patient komme ein zivilrechtliches Behandlungsverhältnis zustande. Mit der Rechtsprechung des 6. Senats des BSG sei davon auszugehen, dass das UWG auch im Verhältnis zwischen konkurrierenden Leistungserbringern Anwendung finde. Der Umstand, dass hier das Verhältnis zwischen verschiedenen Vertragsärzten und nicht - wie in den der bisherigen Rechtsprechung des BSG zugrunde liegenden Fällen - das Verhältnis von Vertragsärzten zu Krankenhäusern oder Krankenhausärzten zu beurteilen sei, stehe der Anwendung des UWG nicht entgegen. Entgegen der Auffassung des LSG schlössen auch disziplinarische Befugnisse der KÄVen Wettbewerbsansprüche der Disziplinarunterworfenen im Verhältnis zueinander nicht aus. Dies folge schon daraus, dass beide Instrumente - Disziplinarmaßnahme und wettbewerbsrechtlicher Anspruch - unterschiedliche Zwecke verfolgten. Während das Disziplinarrecht und die daraus folgende Disziplinargewalt der KÄV die Leistungserbringer zur Einhaltung ihrer vertragsärztlichen Pflichten anhalte und letztlich - objektiv-rechtlich - eine normenkonforme Leistungserbringung gewährleisten solle, diene das Wettbewerbsrecht dem Schutz der Mitbewerber vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Dass disziplinarische Sanktionsmöglichkeiten Wettbewerbsansprüchen nicht entgegenstünden, sei auch für andere Berufsgruppen wie die der Rechtsanwälte anerkannt. Berufliche Selbstverwaltungskörperschaften seien nicht selten von Standesdenken, falscher Rücksichtnahme oder einem übermäßigen Näheverhältnis der involvierten Kollegen geprägt. Angesichts dieser Gefahren wäre es nicht sachgerecht, dem von unlauterem Wettbewerb betroffenen Mitbewerber eigene Handlungsmöglichkeiten zu versagen. Wettbewerbliche Ansprüche könnten unabhängig davon geltend gemacht werden, ob zwischen den Mitbewerbern ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis und damit eine Drittklagebefugnis bestünde. Selbst wenn aber eine Drittklagebefugnis gegen eine nicht vorhandene Genehmigung als Voraussetzung eines Abwehranspruchs nach dem UWG anzusehen wäre, wäre diese Voraussetzung hier erfüllt. Rechtsgrundlage für die Erteilung von Nebenbetriebsstättengenehmigungen neu errichteter Dialysepraxen sei § 4 Abs 3 Anlage 9.1 BMV-Ä. In der Rechtsprechung des BSG sei anerkannt, dass diese Genehmigungsnorm drittschützend sei.
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Der Umstand, dass die Beigeladene als Genehmigungsbehörde eine Genehmigung als Voraussetzung für die Durchführung von Dialysen in N. nicht für erforderlich halte, stehe einem Unterlassungsanspruch nicht entgegen. Ausschlaggebend sei, dass die tatsächlich erforderliche Genehmigung nicht erteilt worden sei. Auf ein Verschulden des Beklagten komme es insoweit nicht an.
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Auch die Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs seien erfüllt. Zwar hänge der Anspruch auf Schadensersatz vom Verschulden des Beklagten ab. Insoweit genüge jedoch Fahrlässigkeit. Fahrlässig handele auch, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewege, in dem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen müsse. Der Handelnde sei vom Vorwurf der Fahrlässigkeit nicht frei, wenn er sich einfach auf die ihm günstige Ansicht stütze, ohne die für ihn ungünstige Rechtsauffassung ernsthaft in Betracht zu ziehen. Bei Anlegung dieser Maßstäbe befinde sich die anwaltlich beratene beklagte Dialysepraxis in einem vermeidbaren und damit fahrlässig verschuldeten Rechtsirrtum, wenn sie meine, sie verfüge über eine vollzugsfähige statusähnliche Genehmigung, die sich auch auf die Betriebsstätte in N. beziehe. Zwar dürfe der Marktteilnehmer im Regelfall auf die Richtigkeit einer von ihm begehrten behördlichen Auskunft durch die zuständige Behörde vertrauen. Diese Grundsätze würden aber nicht uneingeschränkt gelten. Die Fahrlässigkeit entfalle nicht, wenn der Wettbewerber die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens kenne und sich dieser Einsicht bewusst verschließe oder auf die Haltung der Verwaltungsbehörden in unlauterer Weise eingewirkt habe. Darüber hinaus seien nur Auskünfte der materiell zuständigen Behörde relevant. Hier sei zu berücksichtigen, dass die Beigeladene zwar formal für die Erteilung der Genehmigung zuständig sei. Sie dürfe diese aber nur im Einvernehmen mit den zuständigen Verbänden der Krankenkassen auf Landesebene erteilen. Damit liege die Verantwortung für die Genehmigung von Dialysebetriebsgenehmigungen nicht allein bei der Beigeladenen, sondern sie sei gemeinsame Aufgabe der Beigeladenen und der Landesverbände der Krankenkassen. Der Beklagte habe bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen können, dass die beigeladene KÄV den erteilten "Freibrief" nicht "eigenmächtig" hätte ausstellen dürfen. Darüber hinaus sei die von der beigeladenen KÄV geäußerte Rechtsauffassung so offenkundig einseitig und fehlerhaft, dass sie sich als ungeeignet darstelle, einen fahrlässigen Rechtsirrtum auf Seiten des Beklagten auszuschließen.
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Die Klägerin beantragt,
1.
die Urteile des LSG für das Saarland vom 30.8.2016 - L 3 KA 2/16 WA - und des SG für das Saarland vom 23.5.2012 aufzuheben,
2.
den Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines in jedem Fall der Wiederholung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250 000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, oder es bei Meidung einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten zu unterlassen, ohne die erforderliche, vollziehbare vertragsarztrechtliche Genehmigung im Sinne von § 4 Abs 3 Anlage 9.1 BMV-Ä für die in § 2 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä definierten Gruppen gesetzlich versicherten Patienten Behandlungen mit Blutreinigungsverfahren (Dialyse) in den Räumen der A. Heimdialyse in der H. straße in 66 N. anzubieten und durchzuführen,
3.
den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Auskünfte zu erteilen, wie viele gesetzlich versicherte Patienten der in § 2 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä definierten Patientengruppen in den Räumen der A. Heimdialyse in der H. straße in 66 N. wie oft mit Blutreinigungsverfahren seit dem 1.10.2011 durch den Beklagten behandelt und welche Abrechnungsziffern des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs ("EBM") in der jeweils gültigen Fassung für diese Behandlung gesetzlich Versicherter bei der Beigeladenen abgerechnet wurden oder noch abzurechnen sind,
4.
den Beklagten zu verurteilen, in einem nach Erteilung der Auskunft (iSv Ziffer 3) zu bestimmenden Höhe Schadensersatz zzgl Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung an die Klägerin zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Wenn man der Ansicht folgen würde, dass auch der persönlich erteilte Versorgungsauftrag in einer Praxis verbleibe, dann in der Praxis, in der die bisherige Tätigkeit fortgeführt werde. Hierbei könne nicht die Adresse entscheidend sein, sondern nur die handelnde Person. Eine BAG, in der der ihm erteilte Versorgungsauftrag hätte verbleiben können, existiere nicht mehr, nachdem er seinen Praxissitz nach I. verlegt und sein ehemaliger Praxispartner Dr. B. zugunsten einer Tätigkeit als Angestellter im MVZ S. auf seine Zulassung verzichtet habe. Die Frage, ob das UWG Anwendung finde, müsse deshalb nicht mehr entschieden werden. Voraussetzung für einen Anspruch des Klägers wäre aber jedenfalls ein schuldhaftes Verhalten. Sowohl die für Vertragsarztsachen zuständige Kammer des SG für das Saarland als auch der Fachsenat des LSG für das Saarland hätten festgestellt, dass er die Genehmigung besitze, in N. Dialyse zu betreiben. Es liege auf der Hand, dass er in einem solchen Fall nicht schuldhaft gehandelt haben könne.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
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A. Die Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten folgt bereits daraus, dass das SG ihn als gegeben angesehen hat und dies gemäß § 17a Abs 5 GVG von den weiteren Instanzen im Rechtsmittelzug nicht mehr in Frage gestellt werden kann(vgl BSGE 108, 35 = SozR 4-2500 § 115b Nr 3, RdNr 15 mwN). Die Bindungswirkung des § 17a Abs 5 GVG greift hier ein, weil das SG über das Klagebegehren der Klägerin in der Sache entschieden und den Rechtsweg zu den Sozialgerichten(§ 51 SGG) somit inzident für gegeben erachtet hat.
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Im Übrigen ist die Bejahung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten für Streitigkeiten der vorliegenden Art auch inhaltlich zutreffend, weil die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände ua zu den Ärzten gemäß § 69 Abs 1 Satz 1 SGB V abschließend im Vierten Kapitel des SGB V sowie in §§ 63 und 64 SGB V geregelt werden. Dies gilt nach § 69 Abs 1 Satz 4 SGB V auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Dritte betroffen sind. Die Vorschrift ist mit dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000) vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) gerade mit dem Ziel eingeführt worden klarzustellen, dass auch die sich aus den Rechtsbeziehungen ergebenden Rechte Dritter sozialversicherungsrechtlicher bzw verwaltungsrechtlicher Natur sind (BT-Drucks 14/1245 S 68, zu Nr 29; vgl Engelmann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, § 69 RdNr 34 Fußnote 21). Im Übrigen haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Satz 1 SGG über Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung auch dann zu entscheiden, wenn sie privatrechtliche Streitigkeiten betreffen und auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Damit sind die Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V - mit Ausnahme der nach § 51 Abs 3 SGG ausgenommenen Streitigkeiten in Verfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), die Rechtsbeziehungen nach § 69 SGB V betreffen - umfassend den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen, auch soweit die Rechtsbeziehungen der Leistungserbringer untereinander betroffen sind (BSGE 108, 35 = SozR 4-2500 § 115b Nr 3, RdNr 17).
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B. Die gegenüber dem Beklagten geltend gemachten Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche stehen der Klägerin nicht zu. Zwar hat der Beklagte die ausgelagerte Praxisstätte in N. ohne die erforderliche Erlaubnis betrieben (1). Eine unmittelbare Anwendung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften ist jedoch gesetzlich ausgeschlossen, auch soweit die Rechtsbeziehungen Dritter betroffen sind (2). Eine besondere Konstellation, in der das Gebot des effektiven Rechtsschutzes eine entsprechende Anwendung allgemeiner Regelungen des Wettbewerbsrechts ausnahmsweise gebieten könnte, liegt hier jedenfalls nicht vor (3). Im Übrigen würden die geltend gemachten Ansprüche auch bei entsprechender Anwendung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften nicht bestehen (4).
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1. Den geltend gemachten Ansprüchen auf Unterlassung und auf Schadensersatz steht nicht bereits entgegen, dass die Erbringung und Abrechnung von Dialyseleistungen durch den Beklagten in der ausgelagerten Praxisstätte in N. rechtmäßig gewesen wäre. Das folgt bereits aus dem Umstand, dass die dem Beklagten erteilte Genehmigung für den Hauptsitz der Praxis in I. rechtswidrig war. Die mit Bescheid der Beigeladenen vom 31.5.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.2.2012 für den Hauptsitz erteilte Genehmigung ist mit dem unter dem Az B 6 KA 20/16 R ergangenen Urteil des Senats vom heutigen Tage aufgehoben worden. Aufgrund der Akzessorietät der Genehmigung einer Zweigpraxis (vgl BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 6 KA 7/14 R - SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 5 RdNr 32; BSG Urteil vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R - BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 29) oder einer ausgelagerten Praxisstätte (zur Unterscheidung vgl BSG Urteil vom 13.5.2015 - B 6 KA 23/14 R - SozR 4-5520 § 32 Nr 5 RdNr 21 ff; BSG Urteil vom 12.9.2001 - B 6 KA 64/00 R - SozR 3-2500 § 135 Nr 20) fehlt damit auch die Grundlage für eine rechtmäßige Erbringung von Dialyseleistungen durch den Beklagten in I.
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Im Übrigen bedarf die Durchführung von Versorgungsaufträgen in einer Zweigpraxis oder in einer ausgelagerten Praxisstätte nach § 4 Abs 3 Anlage 9.1 BMV-Ä, Abs 1 Satz 1 Anhang 9.1.5 der Anlage 9.1 BMV-Ä einer Genehmigung. Eine solche Genehmigung hat die beigeladene KÄV zwar gegenüber dem Beklagten mit Bescheid vom 23.10.2003 zusammen mit der Genehmigung für die Durchführung von Dialysen am Praxissitz im W. , 66 H. erteilt. Wie der Senat in der am heutigen Tage in der zum Az B 6 KA 20/16 R ergangenen Entscheidung im Einzelnen dargelegt hat, konnte der Beklagte die mit Bescheid vom 23.10.2003 erteilte Genehmigung nach seinem Ausscheiden aus der gemeinsam mit Dr. B. betriebenen BAG wegen der Bindung an den Praxisstandort nicht in seine neue Praxis in I."mitnehmen". Dies gilt in gleicher Weise für die in demselben Bescheid erteilte Genehmigung für die ausgelagerte Praxisstätte in N. Eine weitere Genehmigung für die ausgelagerte Praxisstätte in N. ist dem Beklagten nicht erteilt worden. Die erteilte Genehmigung für den Praxissitz in I. vom 31.5.2011 umfasste keine ausgelagerte Praxisstätte und allein der geführte Schriftwechsel um das Ausscheiden des Beklagten aus der BAG mit Dr. B. kann entgegen der Auffassung des SG nicht als Genehmigungsbescheid gewertet werden. Dem steht insbesondere der Umstand entgegen, dass die Beigeladene die Erteilung einer erneuten, die ausgelagerte Praxisstätte in N. betreffenden Genehmigung nach dem Ausscheiden des Beklagten aus der Gemeinschaftspraxis mit Dr. B. nicht für erforderlich gehalten hat. An dieser Auffassung hat sie im sozialgerichtlichen Verfahren ausdrücklich festgehalten. Unter diesen Umständen kann den Schreiben der Beigeladenen keine die ausgelagerte Praxisstätte des Beklagten betreffende Regelung entnommen werden. Ohne einen nach außen erkennbaren Regelungswillen kann kein Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X erlassen und damit auch keine Genehmigung erteilt worden sein.
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2. Soweit die Klägerin wegen des Betriebs der ausgelagerten Praxisstätte Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche in unmittelbarer Anwendung von Vorschriften des UWG oder des BGB geltend machen möchte, steht dem jedoch § 69 SGB V entgegen. Nach § 69 Abs 1 Satz 1 SGB V werden die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94 SGB V abschließend durch das Vierte Kapitel des SGB V sowie §§ 63, 64 SGB V geregelt. Dies gilt nach § 69 Abs 1 Satz 4 SGB V auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind. Die Vorschriften des BGB gelten für diese Rechtsbeziehungen gemäß § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V ebenfalls nicht unmittelbar, sondern nur entsprechend und auch nur, soweit sie mit den Vorgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Mit dieser durch das mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber der Rechtsprechung, nach der Handlungen der Krankenkassen, die den Versicherten gegenüber als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren sind, im Hinblick auf mögliche wettbewerbswidrige Auswirkungen auch privatrechtlich einzuordnen sind und damit dem Wettbewerbs- und Kartellrecht unterliegen können (vgl BGH Urteil vom 18.12.1981 - I ZR 34/80 - BGHZ 82, 375, 382 = NJW 1982, 2117; GmSOGB Beschluss vom 29.10.1987 - GmS-OGB 1/86, BGHZ 102, 280 = SozR 1500 § 51 Nr 47), die Grundlage entzogen (vgl die Gesetzesbegründung zum GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000, BT-Drucks 14/1245 S 68; ebenso: BSGE 89, 24, 32 f = SozR 3-2500 § 69 Nr 1; BGH Urteil vom 23.2.2006 - I ZR 164/03 - NJW-RR 2006, 1046, RdNr 23; vgl bereits BSGE 87, 95, 99 = SozR 3-2500 § 35 Nr 1).
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Deshalb kann die Anwendung des Wettbewerbsrechts entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht damit begründet werden, dass der Vertragsarzt nicht als Verwaltungshelfer der Krankenkasse oder der KÄV tätig werde, sondern eine freiberufliche Tätigkeit ausübe (zur ärztlichen Tätigkeit in freier Praxis vgl zuletzt BSG Urteil vom 30.11.2016 - B 6 KA 38/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen für BSGE und SozR, RdNr 102; BSG Urteil vom 23.6.2010 - B 6 KA 7/09 R - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 37 f). Soweit es um Handlungen in Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags nach dem SGB V geht, bezieht sich § 69 SGB V ganz unabhängig davon auch auf die Beziehungen der Leistungserbringer untereinander, mit der Folge, dass der Rechtsschutz nach dem UWG auch für betroffene Dritte ausgeschlossen ist(BSG Urteil vom 25.9.2001 - B 3 KR 37/01 R - BSGE 89, 24, 32 f = SozR 3-2500 § 69 Nr 1; BSG Urteil vom 12.5.2005 - B 3 KR 32/04 R - SozR 4-2500 § 69 Nr 1 RdNr 17, Juris RdNr 24; BGH Urteil vom 23.2.2006 - I ZR 164/03 - NJW-RR 2006, 1046, RdNr 21 ff; BGH Urteil vom 2.10.2003 - I ZR 117/01 - NZS 2004, 478 = GesR 2004, 151; vgl BGH Beschluss vom 16.1.2008 - KVR 26/07 - BGHZ 175, 333 = NJW-RR 2008, 1426, 1427 = NZS 2008, 653, 654, RdNr 18).
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Allerdings hat der Senat unmittelbar nach der Änderung des § 69 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 in einer Entscheidung vom 28.6.2000 (B 6 KA 26/99 R - BSGE 86, 223, 229 f = SozR 3-2500 § 138 Nr 1) in Übereinstimmung mit Teilen der sozialrechtlichen Literatur (Engelmann, NZS 2000, 213, 221; Sodan/Adam, NZS 2006, 113, 114 ff; anders die inzwischen ganz überwiegende Auffassung, vgl zB Ebsen, ZSR 2000, 298, 307; Gassner, VSSR 2000, 121, 130 f; Knispel, NZS 2001, 466, 468 f; Guido Kirchhoff, SGb 2005, 499, 507 f; Peikert/Kroel, MedR 2001, 14, 19; Schwerdtfeger, PharmInd 2000, 106 ff, 185 ff; Wallrabenstein, NZS 2015, 48, 53; Bäune in Eichenhofer/Wenner, SGB V, 2. Aufl 2016, § 69 RdNr 3; Becker/Kingreen in dieselben, SGB V, 5. Aufl 2017, § 69 RdNr 44; Krauskopf in ders, Soziale Krankenversicherung, Stand Januar 2017, § 69 SGB V RdNr 24) die Auffassung vertreten, dass § 69 SGB V nur im Sinne einer Rechtswegzuweisung zu verstehen sei und jedenfalls kartellrechtliche Ansprüche von Leistungserbringern gegen Institutionen des Krankenversicherungsrechts nicht ausschließe. Daran hält der Senat nicht mehr fest, jedenfalls nachdem zunächst durch § 69 Abs 1 Satz 2 SGB V idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl l 378) und anschließend mit der Anfügung des § 69 Abs 2 SGB V durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15.12.2008 (BGBl I 2426) im Einzelnen geregelt worden ist, welche Vorschriften des GWB unter welchen Voraussetzungen - abweichend von dem in § 69 Abs 1 SGB V geregelten Grundsatz - auch auf das Verhältnis der Krankenkassen zu den Leistungserbringern nach dem SGB V entsprechende Anwendung finden. Eine über die in § 69 Abs 2 SGB V geregelten Ausnahmen hinausgehende Anwendung von Vorschriften des GWB ist in diesem Bereich ausgeschlossen(so im Ergebnis auch: BSG Urteil vom 25.3.2015 - B 6 KA 9/14 R - BSGE 118, 164 = SozR 4-2500 § 73b Nr 1, RdNr 88 f; BSG Urteil vom 23.6.2016 - B 3 KR 26/15 R - SozR 4-2500 § 132a Nr 10, zur Veröffentlichung auch für BSGE vorgesehen, RdNr 53).
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Entsprechendes gilt für Vorschriften des UWG, für die § 69 Abs 2 SGB V von vornherein keine Ausnahme von dem in Abs 1 geregelten Grundsatz regelt. § 4 Abs 3 Satz 2 SGB V idF des Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.6.2013 (BGBl I 1738) regelt zwar Unterlassungsansprüche und sieht in diesem Zusammenhang eine entsprechende Anwendung von Vorschriften des UWG vor. Gegenstand ist aber nicht das im vorliegenden Fall maßgebende Verhältnis der Leistungserbringer, sondern allein das Verhältnis der Krankenkassen untereinander, und zwar beschränkt auf konkret bezeichnete Verfahrensvorschriften (§ 12 Abs 1 bis 3 UWG). Diese Bestimmungen zur Anwendbarkeit bestimmter Vorschriften für spezielle - hier nicht vorliegende - Konstellationen bestätigen, dass das UWG für den Regelfall im Bereich der Leistungserbringung nach dem SGB V nicht zur Anwendung kommen kann. Damit übereinstimmend geht die Kommentarliteratur zum Lauterkeitsrecht soweit ersichtlich einheitlich davon aus, dass § 69 SGB V Ansprüche nach dem UWG ausschließt(vgl etwa Götting/Hetmank in Fezer/Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht, 3. Aufl 2016, § 3a RdNr 72; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl 2017, § 3a RdNr 1.36; Link in Ullmann, jurisPK-UWG, 4. Aufl 2016, § 3a RdNr 59; Schaffert in Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 2. Aufl 2014, § 4 Nr 11 UWG RdNr 25). Die in § 69 SGB V geregelte Bereichsausnahme gilt zwar nur, soweit es gerade um Handlungen in Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags der Krankenkassen geht(BSG Urteil vom 23.3.2011 - B 6 KA 11/10 R - BSGE 108, 35 = SozR 4-2500 § 115b Nr 3, RdNr 43 mwN; verneinend bezogen auf die Zusammenschlusskontrolle bei Krankenhausfusionen: BGH Beschluss vom 16.1.2008 - KVR 26/07 - BGHZ 175, 333 = NZS 2008, 653). Gerade darum geht es hier aber bei der Frage, ob der Beklagte Dialyseleistungen in der ausgelagerten Praxisstätte in N. für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen und gegenüber der KÄV abrechnen darf.
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3. Soweit der Senat in einer Entscheidung vom 25.11.1998 (B 6 KA 75/97 R - BSGE 83, 128, 131 ff = SozR 3-2500 § 116 Nr 17 S 84 ff) § 1 UWG auf das Verhältnis eines Vertragsarztes zu einem ermächtigten Arzt angewandt und dem Vertragsarzt auf dieser Grundlage einen Schadensersatzanspruch zuerkannt hat, ist diese Entscheidung durch die oben dargestellte Änderung des § 69 SGB V mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 überholt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Senat seine Rechtsprechung, nach der im Rahmen einer defensiven Konkurrentenklage durch niedergelassene Vertragsärzte lediglich eine Überprüfung auf gravierende Rechtsverstöße (Willkür) erfolgt (vgl BSG Urteil vom 29.9.1999 - B 6 KA 30/98 R - SozR 3-1500 § 54 Nr 40) im Anschluss an eine dazu ergangene Entscheidung des BVerfG vom 17.8.2004 (1 BvR 378/00 - SozR 4-1500 § 54 Nr 4) aufgegeben hat. Ausgehend von dem Urteil vom 7.2.2007 (B 6 KA 8/06 R - BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10) hat der Senat in den folgenden Jahren in einer Reihe von Entscheidungen geklärt, unter welchen Voraussetzungen Vertragsärzte berechtigt sind, zugunsten anderer Ärzte ergangene Entscheidungen der zuständigen Körperschaften bzw Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung mit dem Ziel der Abwehr rechtswidriger Konkurrenz anzufechten (vgl BSG Urteil vom 17.10.2007 - B 6 KA 42/06 R - BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4; BSG Urteil vom 17.6.2009 - B 6 KA 25/08 R - BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 19; BSG Urteil vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R - BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3; zuletzt BSG Urteil vom 28.10.2015 - B 6 KA 43/14 R - SozR 4-5540 § 6 Nr 2; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 6 KA 40/14 R - SozR 4-1500 § 54 Nr 39; BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 20/15 R - zur Veröffentlichung für SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 7 vorgesehen).
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Damit ist die Rechtfertigung für die an sich systemfremde Heranziehung wettbewerbsrechtlicher Grundsätze jedenfalls weitgehend entfallen. Der Senat stellt deshalb klar, dass in Fällen, in denen eine Drittanfechtungsbefugnis in unmittelbarer Anwendung sozialrechtlicher Vorschriften besteht, eine ergänzende Anwendung wettbewerbsrechtlicher Grundsätze ausgeschlossen ist. Maßgeblich ist dabei nicht, ob es dem Betroffenen tatsächlich gelungen ist, die Begünstigung des Konkurrenten zu verhindern oder wieder zu beseitigen, sondern allein, ob effektiver Rechtsschutz gewährleistet war. Zur Kompensation einer unterlassenen oder im Ergebnis erfolglosen Inanspruchnahme gerichtlichen Primärrechtsschutzes, insbesondere von einstweiligem Rechtsschutz nach § 86b SGG, steht das Instrument wettbewerbsrechtlicher Ansprüche unter vertragsärztlichen Leistungserbringern von vornherein nicht zur Verfügung.
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Soweit nach den vertragsarztrechtlichen Grundsätzen Drittrechtsschutz gegenüber der als rechtswidrig angesehenen Begünstigung von Konkurrenten nicht in Betracht kommt, weil den maßgeblichen Normen keine drittschützende Wirkung zukommt, bleibt es dabei grundsätzlich auch für das Rechtsverhältnis der Leistungserbringer untereinander: Soweit etwa ein Arzt den Honorarbescheid eines anderen Arztes nicht mit der Begründung anfechten kann, die KÄV habe zu Unrecht fachfremde Leistungen vergütet oder einen Fachkundenachweis auf der Grundlage des § 135 Abs 2 SGB V zu Unrecht als geführt angesehen, kann der Arzt sein Ziel, nämlich ein entsprechendes Abrechnungsverhalten des Konkurrenten zu verhindern, auch nicht über eine entsprechende Anwendung von Vorschriften des UWG oder des BGB erreichen. Vielmehr bleibt es dabei, dass weder die Verletzung nur wirtschaftlicher Interessen noch die Verletzung von Rechtssätzen, die lediglich Reflexwirkung haben, eine Anfechtungsberechtigung zu begründen vermögen (vgl BSG Urteil vom 7.2.2007 - B 6 KA 8/06 R - BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10, RdNr 21; BVerfG Beschluss vom 23.5.2006 - 1 BvR 2530/04 - BVerfGE 116, 1, 11 mwN).
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Zutreffend weist die Klägerin allerdings darauf hin, dass der Senat auch noch in einer Entscheidung vom 23.3.2011 (B 6 KA 11/10 R - BSGE 108, 35 = SozR 4-2500 § 115b Nr 3)Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche von Leistungserbringern nach dem SGB V in Anwendung wettbewerbsrechtlicher Grundsätze bejaht hat. Indes hat der Senat in dieser Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass § 69 SGB V auch im Verhältnis der Leistungserbringer untereinander zu beachten ist(vgl aaO RdNr 43). Im Hinblick darauf hat der Senat Vorschriften des UWG nicht unmittelbar angewandt, sondern nur allgemeine Grundsätze des Wettbewerbsrechts herangezogen (vgl aaO RdNr 42). Für die zu entscheidende Fallkonstellation hatte der Senat die entsprechende Anwendung allgemeiner zivilrechtlicher Regelungen und Grundsätze des Wettbewerbsrechts mit dem verfassungsrechtlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) begründet (aaO RdNr 42, 44 bis 46).
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Ob hieran festzuhalten ist, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Voraussetzung wäre jedenfalls auch nach den Maßstäben aus der Entscheidung des Senats vom 23.3.2011, dass sich die Anwendung von Grundsätzen aus dem Lauterkeitsrecht als erforderlich erweist, um verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Rechtsschutzdefizite zu vermeiden. Wenn dies nicht der Fall ist, können die im Lauterkeitsrecht geregelten Ansprüche auch nicht über eine - nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V im Grundsatz zulässige - entsprechende Heranziehung von Vorschriften des BGB begründet werden.
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Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche der Leistungserbringer untereinander kommen danach allenfalls noch in ganz besonders gelagerten Fällen in Betracht, in denen es aus systematischen Gründen an verfassungsrechtlich zu fordernden primären Rechtsschutzmöglichkeiten fehlt, weil die zuständigen Gremien der vertragsärztlichen Versorgung nicht mit dem Ziel der Verhinderung rechtswidriger Konkurrenz in Anspruch genommen werden können, obwohl ein Verstoß gegen solche Vorschriften in Rede steht, die auch dem klagenden Arzt zu dienen bestimmt sind. Dabei geht der Senat allerdings - abweichend von der angefochtenen Entscheidung des LSG - davon aus, dass der Anfechtungsberechtigung eines Konkurrenten nicht die Verpflichtung der KÄV entgegengehalten werden kann, gegen Pflichtverletzungen auch mit disziplinarischen Mitteln vorzugehen. Unter dem Gesichtspunkt der Effektivität des Rechtsschutzes kommt es darauf an, ob der Konkurrent selbst die Möglichkeit hat, eine inhaltliche Überprüfung durch die Gerichte zu erreichen.
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Die Voraussetzungen, unter denen eine entsprechende Anwendung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften danach im Geltungsbereich des § 69 Abs 1 SGB V geboten sein könnte, liegen hier jedenfalls nicht vor. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 11.2.2015 (B 6 KA 7/14 R - SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 5; vgl auch die beiden Urteile des Senats vom heutigen Tage zu den Az B 6 KA 22/16 R und B 6 KA 30/16 R) entschieden hat, kann die Genehmigung von Dialysezweigpraxen - anders als andere Zweigpraxisgenehmigungen (BSG Urteil vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R - BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3) - von einem Dritten, der in derselben Versorgungsregion die gleichen Leistungen anbietet, angefochten werden. Für eine iS des Anhangs 9.1.5 Anlage 9.1 BMV-Ä genehmigungsbedürftige ausgelagerte Praxisstätte gilt nichts anderes, weil sie die in diesem Versorgungsbereich ausnahmsweise geschützte Wettbewerbssituation (Urteil vom 11.2.2015 - B 6 KA 7/14 R - SozR 4-5540 An5540 Anl 9.1 Nr 5 RdNr 32) in ganz ähnlicher Weise beeinträchtigen kann wie eine Zweigpraxis. Damit wird dem Erfordernis des effektiven Rechtsschutzes Dritter ausreichend Rechnung getragen. Der Umstand, dass die beigeladene KÄV dem Beklagten hier nach der Beendigung der BAG mit Dr. B. und der Verlegung des Hauptsitzes der Praxis nach I. keine weitere Genehmigung für den Betrieb der hier streitbefangenen ausgelagerten Praxisstätte in N. erteilt hat, sondern die Auffassung vertreten hat, dass es einer solchen nicht bedürfe, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zwar trifft es zu, dass die Klägerin aus diesem Grund keine Möglichkeit hatte, eine auf die ausgelagerte Praxisstätte bezogene Genehmigungsentscheidung der beigeladenen KÄV anzufechten. Allerdings beruhte die Auffassung der Beigeladenen, nach der es einer Genehmigung für die ausgelagerte Praxisstätte nicht bedürfe, auf der Annahme, dass der Beklagte die Genehmigung, die ihm für den Betrieb der Hauptbetriebsstätte erteilt worden war, einschließlich der ihm damals erteilten Genehmigung für die ausgelagerte Praxisstätte in N. nach der Beendigung der BAG mit Dr. B. habe "mitnehmen" können. Da eine Zweigpraxisgenehmigung für Dialyseleistungen untrennbar und akzessorisch mit dem Versorgungsauftrag für die Hauptbetriebsstätte verbunden ist (vgl oben B. 1. RdNr 21), hat die Anfechtung der Genehmigung für den Hauptsitz der Praxis des Beklagten in I. unmittelbar Auswirkungen auch auf den hier streitgegenständlichen Betrieb der Zweigpraxis. Von der Möglichkeit, die Genehmigung für die Dialysepraxis in I. anzufechten, hat die Klägerin - letztlich erfolgreich (vgl das Urteil vom heutigen Tage zum Az B 6 KA 20/16 R) - Gebrauch gemacht. Mit der Aufhebung der Genehmigung für die Praxis des Beklagten in I. ist auch die Grundlage für den Betrieb der hier streitbefangenen ausgelagerten Praxisstätte in N. entfallen, wobei die für die Praxis in I. eingeräumte Übergangsfrist bis zum Ablauf des 31.12.2017 auch bezogen auf die ausgelagerte Praxisstätte in N. zu beachten ist.
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Zutreffend ist, dass die Klägerin mit ihrem Begehren nicht bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Erfolg gehabt hat, weil das LSG die Auffassung der beigeladenen KÄV zur Möglichkeit der Mitnahme einer Genehmigung nach dem Ausscheiden des Beklagten aus der BAG mit Dr. B. geteilt hat. Die Effektivität des Rechtsschutzes wird indes nicht dadurch in Frage gestellt, dass dem nicht mehr anfechtbaren Beschluss des LSG im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine nach Auffassung des Senats nicht zutreffende Rechtsauffassung zugrunde lag. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art 19 Abs 4 Satz 1 GG garantiert den Zugang, das Verfahren vor Gericht und eine Entscheidung durch das Gericht. Ein Anspruch auf die Einrichtung eines bestimmten Instanzenzuges ist davon nicht umfasst (BVerfG Beschluss vom 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 - BVerfGE 125, 104, 136 f mwN). Die Unanfechtbarkeit von Beschlüssen des LSG im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (§ 177 SGG) begegnet deshalb keinen Bedenken.
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Im Übrigen hätte die Klägerin - wenn sie allein die Frage hätte klären wollen, ob der Betrieb der ausgelagerten Praxisstätte in N. rechtmäßig ist - auch die Möglichkeit gehabt, mit der Feststellungsklage gegen die beigeladene KÄV vorzugehen. Mit der Klage hätte sie geltend machen können, dass die Genehmigung für die ausgelagerte Praxisstätte in N., die ihm für die ursprünglich gemeinsam mit Dr. B. in H. betriebene Gemeinschaftspraxis erteilt worden ist, nach dem Ausscheiden des Beklagten aus der Gemeinschaftspraxis erloschen ist und dass eine - für den Betrieb erforderliche - Genehmigung damit nicht mehr vorliegt. Das gilt auch bezogen auf den Eilrechtsschutz. Auch bei einem Feststellungsbegehren des Rechtsschutzsuchenden ist vorläufiger Rechtsschutz nicht ausgeschlossen (ebenso: W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl 2016, § 123 RdNr 9; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2016, § 123 RdNr 35, 139; M. Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, 16. Aufl 2014, § 123 VwGO RdNr 19). Vielmehr kann eine vorläufige Feststellung durch Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Gewährung eines lückenlosen und wirksamen vorläufigen Rechtsschutzes verfassungsrechtlich (Art 19 Abs 4 Satz 1 GG) geboten sein (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 7.4.2003 - 1 BvR 2129/02 - BVerfGK 1, 107 = NVwZ 2003, 856, 857; vgl auch BVerfG Beschluss vom 18.12.1985 - 2 BvR 1167/84 ua -, BVerfGE 71, 305, 347). Der Senat stellt deshalb klar, dass der Umstand, dass ein Kläger ggf auf die Erhebung einer Feststellungklage zu verweisen ist, wenn die KÄV als Genehmigungsbehörde keinen Bescheid erlassen hat, die Effektivität des Rechtsschutzes nicht einschränken darf. Daher ist auch ein gegen die KÄV als Genehmigungsbehörde gerichteter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs 2 SGG mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Betriebs einer ausgelagerten Praxisstätte nicht ausgeschlossen, wenn die KÄV die Auffassung vertritt, dass eine Genehmigung nicht erforderlich sei oder wenn der Inhalt und Umfang einer erteilten Genehmigung im Streit steht.
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4. Auch bei entsprechender Anwendung allgemeiner wettbewerbsrechtlicher Grundsätze würden der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche im Übrigen nicht zustehen.
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a) Für den auf eine entsprechende Anwendung der §§ 3, 3a iVm § 8 UWG gestützten Unterlassungsanspruch folgt das schon daraus, dass der Senat mit Urteil vom heutigen Tage im Verfahren zum Aktenzeichen B 6 KA 20/16 R entschieden hat, dass die hier umstrittene ausgelagerte Praxisstätte nach dem 31.12.2017 nicht mehr betrieben werden darf, weil der Versorgungsauftrag für den Hauptsitz der Praxis des Beklagten nicht auf diesen übergegangen ist. Ein Unterlassungsanspruch ist in die Zukunft gerichtet. Er muss deshalb nach ständiger Rechtsprechung auch noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehen, auf die das Urteil ergeht (vgl BGH Urteil vom 24.9.2013 - I ZR 73/12 - Juris RdNr 8, mwN). Zu dem damit maßgebenden Zeitpunkt hat die Gefahr der Fortsetzung einer Rechtsverletzung aufgrund der Rechtskraft des genannten Urteils (B 6 KA 20/16 R) nicht mehr bestanden, sodass bereits aus diesem Grund ein Unterlassungsanspruch nicht mehr begründet sein kann.
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b) Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Klägerin gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Auskunftserteilung und auf Schadensersatz in entsprechender Anwendung von § 9 UWG hat. Allerdings ist der Anspruch auf Schadensersatz nach § 9 Satz 1 UWG davon abhängig, dass eine nach § 3 oder § 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vorgenommen wird. Das wird auch von der Klägerin des vorliegenden Verfahrens ausdrücklich nicht in Zweifel gezogen.
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Einem Verschulden des Beklagten steht hier der Umstand entgegen, dass die beigeladene KÄV eine (erneute) Genehmigung für den Betrieb der ausgelagerten Praxisstätte in N. ausdrücklich nicht für erforderlich gehalten hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist von einem "Gewerbetreibenden" zu verlangen, dass er sich Kenntnis von den für seinen Tätigkeitsbereich einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen verschafft und in Zweifelsfällen mit zumutbaren Anstrengungen besonders sachkundigen Rechtsrat einholt. Wer weder die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens kennt noch sich dieser Einsicht bewusst verschließt und auch nicht auf die Haltung der Verwaltungsbehörden in unlauterer Weise eingewirkt hat, handelt jedoch grundsätzlich auch dann nicht schuldhaft, wenn er sich nicht vorsichtshalber nach der strengsten Gesetzesauslegung und Einzelfallbeurteilung richtet, wenn die zuständigen Behörden und Gerichte sein Verhalten ausdrücklich als rechtlich zulässig bewerten (vgl BGHZ 163, 265, 270 f = NJW 2005, 2705, Juris RdNr 21; BGH Urteil vom 11.10.2001 - I ZR 172/99 - NJW-RR 2002, 395, 396, Juris RdNr 19 mwN).
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Soweit die Klägerin geltend macht, dass die von der Beigeladenen vertretene Rechtsauffassung so offenkundig einseitig und fehlerhaft erfolgt sei, dass sie sich als ungeeignet darstelle, einen fahrlässigen Rechtsirrtum auszuschließen, so steht dem der Umstand entgegen, dass die Rechtsauffassung der Beigeladenen, nach der der Beklagte den ihm im Jahr 2003 erteilten Versorgungsauftrag nach dem Ausscheiden aus der BAG an den neuen Standort seiner Einzelpraxis in I."mitnehmen" konnte, durch das LSG bestätigt worden ist. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen bei einer schwierig zu beantwortenden Rechtsfrage ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht unrichtigerweise die Rechtmäßigkeit einer Amtshandlung bejaht hat, ist in der Regel ein Verschulden des Amtsträgers zu verneinen (vgl BGH Urteil vom 6.2.1986 - III ZR 109/84 - BGHZ 97, 97, 107; BGH Urteil vom 14.3.1996 - III ZR 224/94 - NJW 1996, 2422, 2424, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 132, 181; BGH Urteil vom 4.11.2010 - III ZR 32/10 - NJW 2011, 1072 RdNr 36 f), mit der Folge, dass ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB ausscheidet. Ausnahmen gelten etwa, wenn das Kollegialgericht von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist oder im summarischen Verfahren entschieden hat (vgl Sprau in Palandt, BGB, 76. Aufl 2017, § 839 RdNr 53 mwN). Wenn angesichts der die Rechtmäßigkeit bestätigenden Entscheidung eines Kollegialgerichts das Verschulden der zuständigen Behörde bezogen auf eine objektiv unrichtige Entscheidung oder eine objektiv unrichtig erteilte Auskunft im Regelfall ausgeschlossen ist, dann kann dem Empfänger der Entscheidung oder der Auskunft im Regelfall erst recht nicht entgegengehalten werden, dass er die Unrichtigkeit hätte erkennen müssen. Für einen Sachverhalt, der ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen würde, etwa weil sich der Beklagte der Einsicht in die Unrechtmäßigkeit des Betriebs der ausgelagerten Praxisstätte in N. bewusst verschlossen oder auf die Haltung der Verwaltungsbehörden in unlauterer Weise eingewirkt hätte, gibt es hier keine Anhaltspunkte.
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Im Grundsatz zutreffend ist der Einwand der Klägerin, dass die Beigeladene eine Erklärung, nach der der Beklagte für den Betrieb der ausgelagerten Praxisstätte keiner Genehmigung mehr bedarf, nicht unmittelbar gegenüber dem Beklagten abgegeben hat. Vielmehr verhält es sich so, dass die aus dem Beklagten und Dr. B. bestehende BAG mit Schreiben vom 18.8.2011 gegenüber der beigeladenen KÄV die Verlängerung der Genehmigung für den Standort N. beantragt und in diesem Zusammenhang gegenüber der KÄV mitgeteilt hat: "Ab dem 01.10.2011 wird die Einzelpraxis Dr. S. (Jobsharing mit Frau Dr. W.) die Versorgung der Patienten in N. übernehmen." Das Antwortschreiben der Beigeladenen vom 5.9.2011, in dem ausdrücklich auf das Schreiben der BAG vom 18.8.2011 Bezug genommen wird, ist nicht an die BAG, sondern die A. Heimdialyse gerichtet worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen der Klägerin zutrifft, nach der die A. Heimdialyse den Beklagten "de facto dirigiert" habe. Jedenfalls unterliegt es keinem Zweifel, dass der Beklagte mit dieser wirtschaftlich eng verbunden war. Vor diesem Hintergrund durfte die Beigeladene davon ausgehen, dass das Antwortschreiben dem Beklagten zur Kenntnis gelangt, auch wenn es an die A. Heimdialyse adressiert war. Dies war im Übrigen auch aufgrund des Eilverfahrens (L 3 KA 6/11 B ER) um die Genehmigung für den Hauptsitz des Beklagten in I. gewährleistet. Bereits in diesem Verfahren war das Schreiben der Beigeladenen an die A. Heimdialyse vom 5.9.2011 Gegenstand intensiver Erörterungen, und die KÄV (Beklagte des dortigen Verfahrens) hat auch in dem dortigen Verfahren die Auffassung vertreten, dass dem Beklagten aufgrund der Genehmigung, die der Gemeinschaftspraxis im Jahr 2003 erteilt worden war, in Kombination mit der Genehmigung zur Verlegung des Praxissitzes des Beklagten nach I. die Erbringung von Leistungen auch in der ausgelagerten Praxisstätte in I. weiterhin gestattet sei. Vor diesem Hintergrund hatte der Beklagte des vorliegenden Verfahrens keinen Anlass, einen erneuten Genehmigungsantrag zu stellen. Vielmehr durfte er auf die Richtigkeit der von der Beigeladenen - als der für die Genehmigung zuständigen Behörde - erteilten Auskunft vertrauen.
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Dagegen kann die Klägerin nicht mit Erfolg einwenden, dass die Beigeladene die Genehmigung nur im Einvernehmen mit den zuständigen Verbänden der Krankenkassen erteilen darf. Richtig ist, dass die Auskunft einer für den Empfänger erkennbar unzuständigen Behörde ein Verschulden nicht ausschließen kann (BGH Urteil vom 2.10.2002 - I ZR 177/00 - NJW-RR 2003, 174 = NVwZ 2003, 503). Nach Abs 1 Satz 1 und 2 Anhang 9.1.5 der Anlage 9.1 BMV-Ä ist die Genehmigung zur Durchführung von Versorgungsaufträgen in einer Dialysezweigpraxis oder einer ausgelagerten Praxisstätte indes - im Einvernehmen mit den zuständigen Verbänden der Krankenkassen auf Landesebene - durch die KÄV zu erteilen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Nur wenn die beantragte Zweigpraxis - was hier nicht der Fall ist - außerhalb des Bezirks der KÄV liegt, ist der Zulassungsausschuss für die dann erforderliche Ermächtigung zuständig. Das Einvernehmenserfordernis begründet keine gemeinsame Zuständigkeit der KÄV und der Krankenkassen für die Erteilung der Genehmigung und beseitigt erst recht nicht die Zuständigkeit der KÄV. "Einvernehmen" setzt eine Willensübereinstimmung zwischen entscheidender und beteiligter Stelle voraus (vgl BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 6 KA 7/14 R - SozR 4-55405540 Anl 9.1 Nr 5 RdNr 41, mwN). Bei der in Abs 1 Satz 2 Anhang 9.1.5 der Anlage 9.1 BMV-Ä geforderten Herstellung des Einvernehmens handelt es sich um eine verwaltungsinterne Form der Beteiligung (ebenso zur Zustimmung der Aufsichtsbehörde zur Annahme oder Ablehnung der Bereiterklärung eines Krankenhauses nach § 371 Abs 2 Satz 2 RVO: BSG Urteil vom 15.1.1986 - 3/8 RK 5/84 - BSGE 59, 258, 259 = SozR 2200 § 371 Nr 5 S 10 f; zum Zustimmungserfordernis nach § 39 AufenthG als Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, der einem Ausländer die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt, vgl zB Bünte/Knödler, NZA 2008, 743, 745 mwN). Auf etwaige Fehler bei der Herstellung des Einvernehmens können sich Dritte nicht berufen (vgl das Urteil vom heutigen Tage zu Az B 6 KA 18/16 R, I.3.b., RdNr 50 f und zu Az B 6 KA 20/16 R, RdNr 47 f). Den Genehmigungsbescheid erlässt die entscheidende und nicht die zu beteiligende Stelle. Die erforderliche Zustimmung ist kein Verwaltungsakt, weil ihr nicht die nach § 31 SGB X erforderliche Außenwirkung zukommt. Die Genehmigung wird dementsprechend nach Abs 1 Satz 2 Anhang 9.1.5 der Anlage 9.1 BMV-Ä allein durch die KÄV erteilt. Daher ist allein die beigeladene KÄV die für die Erteilung der Genehmigung zuständige Behörde. In Übereinstimmung mit der von dieser Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 77 Abs 5 SGB V) vertretenen Rechtsauffassung durfte der Beklagte in der Vergangenheit von der Rechtmäßigkeit des Betriebs der ausgelagerten Praxisstätte in N. ausgehen.
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C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach hat die Klägerin die Kosten des erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).
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Referenzen - Gesetze
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154
Gesetz über den Lastenausgleich
Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 123
Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 177
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 8 Beseitigung und Unterlassung
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 3 Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen
Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 86b
Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 839 Haftung bei Amtspflichtverletzung
Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 17a
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 4 Mitbewerberschutz
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 12 Einstweiliger Rechtsschutz; Veröffentlichungsbefugnis; Streitwertminderung
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 31 Begriff des Verwaltungsaktes
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 1 Zweck des Gesetzes; Anwendungsbereich
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 135 Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 51
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 69 Anwendungsbereich
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 7 Unzumutbare Belästigungen
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 3a Rechtsbruch
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 72 Sicherstellung der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 9 Schadensersatz
Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 39 Zustimmung zur Beschäftigung
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 4 Krankenkassen
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 63 Grundsätze
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 81 Satzung
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 77 Kassenärztliche Vereinigungen und Bundesvereinigungen
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 64 Vereinbarungen mit Leistungserbringern
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 90 Landesausschüsse
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenBundessozialgericht Urteil, 15. März 2017 - B 6 KA 35/16 R zitiert oder wird zitiert von 21 Urteil(en).
Bundesgerichtshof Urteil, 04. Nov. 2010 - III ZR 32/10
Bundesgerichtshof Urteil, 02. Okt. 2002 - I ZR 177/00
Bundesgerichtshof Urteil, 23. Feb. 2006 - I ZR 164/03
Bundesgerichtshof Urteil, 24. Sept. 2013 - I ZR 73/12
Bundesgerichtshof Urteil, 11. Okt. 2001 - I ZR 172/99
Bundesgerichtshof Urteil, 02. Okt. 2003 - I ZR 117/01
Bundessozialgericht Urteil, 15. März 2017 - B 6 KA 18/16 R
Bundessozialgericht Urteil, 15. März 2017 - B 6 KA 22/16 R
Bundessozialgericht Urteil, 15. März 2017 - B 6 KA 30/16 R
Bundessozialgericht Urteil, 15. März 2017 - B 6 KA 20/16 R
Bundessozialgericht Urteil, 30. Nov. 2016 - B 6 KA 38/15 R
Bundessozialgericht Urteil, 23. Juni 2016 - B 3 KR 26/15 R
Bundessozialgericht Urteil, 16. Dez. 2015 - B 6 KA 40/14 R
Bundessozialgericht Urteil, 28. Okt. 2015 - B 6 KA 43/14 R
Bundessozialgericht Urteil, 13. Mai 2015 - B 6 KA 23/14 R
Bundessozialgericht Urteil, 25. März 2015 - B 6 KA 9/14 R
Bundessozialgericht Urteil, 11. Feb. 2015 - B 6 KA 7/14 R
Bundessozialgericht Urteil, 23. März 2011 - B 6 KA 11/10 R
Bundessozialgericht Urteil, 23. Juni 2010 - B 6 KA 7/09 R
Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Apr. 2019 - L 20 KR 362/17
Bundessozialgericht Urteil, 21. März 2018 - B 6 KA 44/16 R
Tenor
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Auf die Revision der Klägerin zu 1. werden die Urteile des Landessozialgerichts für das Saarland vom 24. Mai 2016 und des Sozialgerichts für das Saarland vom 12. Dezember 2012 sowie der Bescheid der Beklagten vom 31. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2012 (Beschluss des Widerspruchsausschusses vom 30. Januar 2012) mit der Maßgabe aufgehoben, dass die Wirkungen der Aufhebung erst mit Ablauf des 31. Dezember 2017 eintreten. Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zu 1. zurückgewiesen.
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Die Beklagte und der Beigeladene zu 1. tragen die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 7.
Tatbestand
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Die zu 1. klagende Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) wendet sich mit einer Konkurrentenklage gegen einen der Praxis des Beigeladenen zu 1. erteilten nephrologischen Versorgungsauftrag. Der Kläger zu 2. hat seine Revision im Termin zur mündlichen Verhandlung nach einem Hinweis des Senats zurückgenommen.
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Die Dres. G., D. und H. sind in einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) - der Klägerin zu 1. - tätig und als Fachärzte für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie zur vertragsärztlichen Versorgung in N. zugelassen. Die Dres. G., D. und H. verfügen über drei Versorgungsaufträge nach der Anlage 9.1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä; bis zum 31.12.2012 BMV-Ä/Ersatzkassenvertrag-Ärzte). Auch dem Kläger zu 2., der bei der Klägerin angestellt ist, ist von der Beklagten am 27.6.2011 ein solcher Versorgungsauftrag erteilt worden, der allerdings mit Bescheid vom 30.1.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.4.2012 wieder aufgehoben wurde; Rechtsmittel der Kläger hiergegen sind im Ergebnis erfolglos geblieben (vgl hierzu Beschluss des Senats vom 30.11.2016 - B 6 KA 35/16 B - Juris).
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Der Beigeladene zu 1. ist ebenfalls als fachärztlicher Internist mit dem Schwerpunkt Nephrologie tätig. Ihm wurde mit Bescheid der Beklagten vom 23.10.2003 ein nephrologischer Versorgungsauftrag erteilt "in eigener Dialysepraxis - und in gemeinschaftlicher Berufsausübung mit Dr. B. gemäß § 8 (Übergangsregelung für die Genehmigung von Versorgungsaufträgen bei Vertragsärzten) der Anlage 9.1 BMV-Ä für den Praxissitz W. ring, 66 H." bei im Einzelnen aufgeführten Patientengruppen sowie gemäß Abs 3 erster Abschnitt (Anforderung an die Genehmigung für eine ausgelagerte Praxisstätte in der Versorgungsregion) der Anlage 9.1.5 BMV-Ä ab dem Inkrafttreten dieser Vereinbarung zum 9.5.2003 für die ausgelagerte Praxisstätte LC-Einheit N., H. straße, 66 N. und gemäß Abs 3 zweiter Abschnitt für die Dauer von zehn Jahren für die ausgelagerte Praxisstätte LC-Einheit S., E. straße, 66 S. Der Bescheid enthielt folgenden Zusatz: "Diese Genehmigung ist an den derzeitigen Praxissitz und die beiden v. g. Praxisstätten gebunden. Bei Ausscheiden aus der Dialysepraxis erlischt diese Genehmigung zur Durchführung besonderer Versorgungsaufträge mit dem Datum der Beendigung der Niederlassung am Praxisort."
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Im April 2011 teilte der Beigeladene zu 1. der Beklagten mit, dass er die BAG mit Dr. B. zum 30.9.2011 beenden werde, und beantragte die Verlegung seines Vertragsarztsitzes in die S. Straße, 66 I. zum 1.10.2011. Weiter stellte er den Antrag auf Genehmigung der Übernahme eines nephrologischen Versorgungsauftrags nach der Anlage 9.1 BMV-Ä für den neuen Praxissitz in I. Dr. B. verzichtete auf seine Zulassung zugunsten des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) S. und erbringt am bisherigen Standort der BAG als angestellter Arzt Dialyseleistungen.
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Daraufhin teilte die Beklagte den Beigeladenen zu 2. bis 7. mit Schreiben vom 26.4.2011 zur Herstellung des Einvernehmens mit, dass die projektierte Dialysepraxis des Beigeladenen zu 1. voraussichtlich hinreichend ausgelastet sein werde und auch die weiteren in der Versorgungsregion liegenden Dialysepraxen zu mehr als 90 % ausgelastet seien. Es werde um kurzfristige Mitteilung gebeten, ob die Zustimmung zur Erteilung des Versorgungsauftrags erteilt werde. Sollte bis zum 25.5.2011 keine gegenteilige Nachricht eingehen, werde vom Bestehen des Einverständnisses ausgegangen.
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Mit Bescheid vom 31.5.2011 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen zu 1. die Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags nach der Anlage 9.1 BMV-Ä für die Behandlung von maximal 30 mit Blutreinigungsverfahren zu behandelnden Patienten am Praxissitz S. Straße, 66 I.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 22.8.2011 Widerspruch ein. Die Beklagte ordnete daraufhin mit weiterem Bescheid vom 29.8.2011 die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 31.5.2011 an. Die dagegen eingelegten Rechtsbehelfe der Klägerin blieben ohne Erfolg.
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Mit Beschluss vom 30.1.2012 (Bescheid vom 27.2.2012) wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Widerspruch richte sich gegen den Bescheid vom 23.10.2003, dessen Rechtswirkungen auch nach Auflösung der Gemeinschaftspraxis nicht erloschen seien. Damit sei der Widerspruch verfristet. Die Beklagte habe dem Beigeladenen zu 1. den Versorgungsauftrag im Jahre 2003 persönlich erteilt. Dessen Fortführung in derselben Versorgungsregion sei ohne eine weitere Auslastungsprüfung umliegender Dialysepraxen möglich.
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Das SG hat die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 12.12.2012 abgewiesen. Die Kläger könnten nicht geltend machen, das Einvernehmen mit den Beigeladenen zu 2. bis 7. nach § 4 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä sei nicht wirksam hergestellt worden. Auch könnten sie sich zur Frage einer ausreichenden Auslastung der Dialysepraxis nur auf ihre eigene Auslastungssituation, nicht auf die anderer Dialysepraxen berufen. Eine Auslastungsprüfung habe zwar zu erfolgen. Aus den einschlägigen Normen folge erkennbar eine Ortsbezogenheit der Versorgungsaufträge auf einen bestimmten Praxissitz. Verlege der Beigeladene zu 1. seinen Praxissitz an einen anderen Ort, so löse dies erneut die Prüfung der Erteilung eines Versorgungsauftrags aus. Zu dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung habe aber ausgehend von drei vollziehbaren Versorgungsaufträgen für die Behandlung von bis zu 150 Dialysepatienten eine hinreichende Auslastung der Dialysepraxis der Kläger bestanden. Nach den von der Beklagten übermittelten Daten seien in den Quartalen I/2011 bis IV/2011 139, 142, 143 und 140 Patienten kontinuierlich behandelt worden, sodass eine hinreichende Auslastung von mindestens 90 % bestanden habe. Das gelte selbst unter Zugrundelegung der von den Klägern abweichend vorgetragenen Auslastungen im Jahre 2011 von 135,37 Patienten.
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Soweit die Kläger am 1.3.2011 einen Antrag für einen nephrologischen Versorgungsauftrag für einen vierten Arzt gestellt hätten, könne dies nicht berücksichtigt werden. Zu diesem Zeitpunkt habe es in der Dialysepraxis der Kläger, die weniger als 150 Dialysepatienten im Sinne der Qualitätssicherungsvereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren (Blutreinigungsvereinbarung = BlutreinigungsV) behandelt hätten, eines vierten Arztes noch nicht bedurft. Auch könnten sich die Kläger nicht auf den für den Kläger zu 2. erst später, am 27.6.2011, und damit zeitlich nach dem 31.5.2011 erteilten nephrologischen Versorgungsauftrag berufen, zumal dieser auch von mehreren konkurrierenden Dialysepraxen, nicht nur vom Beigeladenen zu 1., angefochten worden und damit nicht vollziehbar sei.
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Auch die Voraussetzungen des § 6 Abs 2 Buchst b Anlage 9.1 BMV-Ä lägen nicht vor. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Abfrage der Bereitschaft, sich für den Fall des Erfordernisses der Tätigkeit eines zusätzlichen Arztes in der Dialysepraxis mit einem solchen zusammenzuschließen, lasse sich der Vorschrift nicht entnehmen. Eine Weiterentwicklungsgarantie allein für vorhandene Dialysepraxen mit einem Ausschluss hinzukommender Vertragsärzte sei mit der verfassungsrechtlich garantierten Berufsfreiheit nicht in Einklang zu bringen. Im Übrigen wäre überhaupt nicht ersichtlich, bei welchen von zB mehreren bereits hinreichend ausgelasteten und vorhandenen Dialysepraxen denn anzufragen wäre.
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Das LSG hat mit Urteil vom 24.5.2016 die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Ein Vorrang der den Klägern erteilten Versorgungsaufträge im Verhältnis zu dem Versorgungsauftrag des Beigeladenen zu 1. sei in jedem Fall zu verneinen. Der Beigeladene zu 1. habe keine Erstzulassung für das Blutreinigungsverfahren im Einzugsbereich der Beklagten beantragt, sondern lediglich die "Mitnahme" seiner bereits im Jahr 2003 erteilten Berechtigung in eine neue Praxis. Das Auseinanderbrechen einer Gemeinschaftspraxis bzw BAG dürfe - jedenfalls für Fallgestaltungen der vorliegenden Art, in denen die Genehmigung vor der am 1.7.2005 in Kraft getretenen Neufassung der Anlage 9.1 BMV-Ä erteilt worden sei - nicht dazu führen, dass der aus der Gemeinschaftspraxis bzw BAG ausscheidende Arzt seine bisherige Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags für Blutreinigungsverfahren verliere. Die Vorschriften der Anlage 9.1 BMV-Ä beträfen lediglich die Neuzulassung weiterer Praxen, die bisher noch keine Genehmigung haben, nicht aber den Fall, dass ein Vertragsarzt mit der Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags zur Durchführung und Abrechnung von Blutreinigungsverfahren seine Praxis im Planungsbereich verlegen wolle. Zu berücksichtigen sei, dass einem Arzt, dem bereits vor dem Jahr 2005 die Genehmigung zur Durchführung von Dialysebehandlungen in einem bestimmten Umfang erteilt worden sei, erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohten, wenn ihm der erteilte Versorgungsauftrag zur Gänze entzogen werde; die Möglichkeit, weiter als Nephrologe ohne Dialyseberechtigung tätig sein zu können, stelle hierbei im Lichte des Grundrechts der Berufsfreiheit keine ausreichende Kompensation dar.
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§ 4 Abs 1b Anlage 9.1 BMV-Ä in der seit dem 1.7.2009 geltenden Fassung, wonach der Versorgungsauftrag beim Ausscheiden eines Arztes aus der Dialysepraxis bei der Dialysepraxis verbleibe, sei hier schon deshalb nicht anwendbar, weil die aus Dr. B. und dem Beigeladenen zu 1. bestehende 2er-BAG aufgelöst worden sei, sodass eine "Dialysepraxis", bei der der Versorgungsauftrag hätte verbleiben können, gar nicht mehr vorhanden gewesen sei. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, dass Dr. B. in der Folge als Angestellter des MVZ mit dem Sitz W. ring, 66 H., tätig geworden sei, weil das MVZ nicht als Rechtsnachfolger der zuvor bestehenden BAG Dres. B. und S. anzusehen sei.
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Eine Klagebefugnis sei auch dann zu verneinen, wenn die Genehmigung dem Beigeladenen zu 1. erst nach dem 1.7.2005 erteilt worden wäre. Im SGB V finde sich kein gesetzlicher Auftrag für die Partner der Bundesmantelverträge, die Erteilung einer Dialyse-Genehmigung von bedarfsplanerischen Erwägungen abhängig zu machen. Der Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Berufswahlfreiheit werde deutlich bei einer Fallgestaltung, in der eine aus zwei Ärzten bestehende BAG, der die Genehmigung zur Erbringung von Dialyseleistungen erteilt sei, aufgelöst werde und einer der beiden Ärzte gezwungen sei, die Praxisräumlichkeiten zu verlassen. Wenn der die Praxis verlassende Arzt nun im selben Gebäude Räumlichkeiten anmieten und dort eine eigene Praxis eröffnen würde, dürfte er keine Dialyseleistungen mehr erbringen, während der in der Praxis verbliebene Arzt nach § 5 Abs 7 Buchst c Satz 6 BlutreinigungsV einen weiteren Arzt zur Erbringung von Dialyseleistungen hinzunehmen dürfte. Ein derartiges, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht haltbares Ergebnis lasse sich nur vermeiden, wenn man ein "Ausscheiden aus der Dialysepraxis" nur annehme, wenn der aus der BAG ausgeschiedene Arzt keinen Antrag auf Verlegung seines Praxissitzes und Mitnahme seines Versorgungsauftrags gestellt habe. Damit sei aber in solchen Fällen ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis im Sinne der Rechtsprechung des BSG zwischen dem ausgeschiedenen Arzt und Konkurrenten, die im selben Versorgungsbereich Dialyseleistungen erbringen, zu verneinen.
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Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin. § 4 Abs 1b Anlage 9.1 BMV-Ä, wonach ein Versorgungsauftrag beim Ausscheiden eines Arztes aus einer Dialysepraxis in der Praxis verbleibe, gelte, ebenso wie § 4 Abs 1a Anlage 9.1 BMV-Ä, wonach besondere Versorgungsaufträge der Dialysepraxis ortsbezogen erteilt würden, mangels Übergangs- und Bestandsschutzvorschriften ab dem Inkrafttreten zum 1.7.2009 für alle Dialysegenehmigungen. Dass besondere Versorgungsaufträge schon seit Inkrafttreten der Anlage 9.1 BMV-Ä bei gemeinschaftlicher Leistungserbringung der Dialysepraxis und nicht dem einzelnen Arzt erteilt würden, folge aus dem Wortlaut des § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Anlage 9.1 BMV-Ä, dem Gesamtkontext der Regelungen der Anlage 9.1 BMV-Ä und der BlutreinigungsV und der Entstehungsgeschichte. So habe die BlutreinigungsV bereits seit 2002 vorgesehen, dass eine Dialysepraxis einen ausgeschiedenen Arzt innerhalb von sechs Monaten zu ersetzen habe. Nach den Vollzugshinweisen der KÄBV aus dem Jahr 2002 könnten nach dem Verständnis des Normgebers besondere Versorgungsaufträge erstens bei Ausscheiden aus einer Gemeinschaftspraxis nicht mitgenommen und zweitens als ortsbezogene Genehmigungen nur in unmittelbare räumliche Nähe zum ursprünglichen Sitz der Dialysepraxis verlegt werden. Könne ein Versorgungsauftrag mitgenommen werden, würde dies zu einer ungebremsten "Zellteilung und -vermehrung" führen. Hier habe die ursprüngliche Genehmigung vom 23.10.2003 in einer Nebenbestimmung ausdrücklich bestimmt, dass die Genehmigung an den derzeitigen Praxissitz gebunden sei. Die Auslegung des LSG, dass damit eine Bindung an den jeweiligen Praxissitz des Beigeladenen zu 1. bestehe, gehe fehl. Die Dialysepraxis sei hier nicht aufgelöst worden, sondern habe weiter bestanden, weil am selben Standort Dialyseleistungen von einem MVZ durch Dr. B. als angestelltem Arzt erbracht würden.
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Zwischen § 24 Abs 7 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) und Anlage 9.1 BMV-Ä bestehe keine Normenkollision. Der Bundesmantelvertrag - einschließlich sämtlicher Anlagen - beruhe nicht nur auf § 135 Abs 2 SGB V, sondern auch und vor allem auf §§ 82 Abs 1 Satz 1, 72 Abs 2 SGB V. Die Bindung besonderer Versorgungsaufträge an die Dialysepraxis sei auch mit Art 12 Abs 1 GG vereinbar. Es handele sich bei der Ortsbindung und der Bindung des besonderen Versorgungsauftrags an die bestehende Dialysepraxis um Berufsausübungsbeschränkungen, die durch Gründe des Gemeinwohls, der Sicherung der Versorgungsqualität durch flächendeckende und wohnortnahe Versorgung mit allen Dialyseformen und -verfahren und der Wirtschaftlichkeit der nephrologischen Behandlung gesetzlich Versicherter, gerechtfertigt seien. Die Aufsplitterung größerer Dialyseeinrichtungen in Einzelpraxen gefährde eine kontinuierliche Versorgung durch mehrere Ärzte und führe zu kleinteiligen unwirtschaftlichen Strukturen. Anlage 9.1 BMV-Ä schränke auch das Recht der Versicherten auf freie Arztwahl nicht ein. Die formelle Rechtswidrigkeit der dem Beigeladenen zu 1. erteilten Genehmigung ergebe sich aus der Verletzung des Einvernehmensverfahrens nach § 4 Abs 1 Satz 2 Anlage 9.1 BMV-Ä. Die Landesverbände seien über die Auslastung der benachbarten Dialysepraxen getäuscht worden. Die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen lägen nicht vor, da die Praxis der Kläger nicht hinreichend ausgelastet gewesen sei.
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG für das Saarland vom 24.5.2016 und das Urteil des SG für das Saarland vom 12.12.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31.5.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.2.2012 (Beschluss des Widerspruchsausschusses vom 30.1.2012) aufzuheben.
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Die Beklagte und der Beigeladene zu 1. beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor, die Vertragspartner nach § 82 SGB V seien nicht ermächtigt gewesen, die Regelungen der Anlage 9.1 BMV-Ä zu treffen. Die Zuständigkeit für Bedarfsplanung liege beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Auch sei fraglich, ob die Motivlage des Normgebers zutreffe, da Anhaltspunkte für den behaupteten Verdrängungswettbewerb nicht bestünden. Eine Kollision mit § 24 Abs 7 Ärzte-ZV sei offensichtlich. Selbst wenn man die Bedarfsplanungs-Regelungen der Anlage 9.1 BMV-Ä für verfassungsgemäß halte, müsse das Normwerk zulassen, dass ein Dialyse-Versorgungsauftrag dorthin mitgenommen werden könne, wo der zugehörige Vertragsarztsitz auf Grundlage von § 24 Abs 7 Ärzte-ZV zulässigerweise hin verlegt werden könne. Die Anfechtungsbefugnis müsse sich auf die Fälle beschränken, in denen ein neuer zusätzlicher Dialysearzt in die Versorgung eintrete und den Markt in quantitativer Hinsicht verändere. Hier bestehe keine Praxis mehr, bei der der Versorgungsauftrag verbleiben könne.
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Der Beigeladene zu 1. trägt vor, der Versorgungsauftrag sei ihm mit Bescheid vom 23.10.2003 entsprechend der damaligen Rechtslage persönlich erteilt worden. Er könne den Versorgungsauftrag daher zusammen mit seiner Zulassung mitnehmen. Von einem Fortbestand der Dialysepraxis am W. ring in H. könne nicht ausgegangen werden, da eine andere Rechtspersönlichkeit und eine andere vertragsärztliche Kooperationsform bestehe. An der Versorgungssituation habe sich durch die Verlegung seines Vertragsarztsitzes nichts geändert. Wenn man der Ansicht der Kläger folge, könne die Zusammenarbeit zweier oder mehrerer in der Dialyse tätigen Ärzte nicht mehr beendet werden. Mit dem Entzug des Versorgungsauftrags werde ihm die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Die Urteile des SG und des LSG sowie der Bescheid der beklagten KÄV vom 31.5.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.2.2012 (Beschluss vom 30.1.2012) sind aufzuheben. Zur Sicherung der kontinuierlichen Versorgung der Versicherten und zur Vermeidung eines übergangslosen Entfallens des Versorgungsangebotes der Praxis des Beigeladenen zu 1. lässt der Senat die Wirkung der Aufhebung des angefochtenen Bescheides jedoch erst mit Ablauf des 31.12.2017 eintreten.
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I. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zu 1. zu Unrecht zurückgewiesen. Die Klägerin ist anfechtungsberechtigt und in ihren subjektiven Rechten verletzt.
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1. Die Klägerin ist berechtigt, den Bescheid vom 31.5.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.2.2012 anzufechten. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10, RdNr 19; BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 22 ff und 26 ff; BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 18; BSG SozR 4-5540 § 6 Nr 2, RdNr 25; zuletzt BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 20/15 R - SozR 4-55405540 Anl 9.1 Nr 7 RdNr 16) erfolgt die Prüfung der Begründetheit von Drittanfechtungen vertragsärztlicher Konkurrenten zweistufig. Danach ist zunächst zu klären, ob der Kläger berechtigt ist, die dem Konkurrenten erteilte Begünstigung anzufechten. Ist das zu bejahen, muss geprüft werden, ob die Entscheidung der jeweils zuständigen Behörde in der Sache zutrifft.
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Unter welchen Voraussetzungen Vertragsärzte berechtigt sind, zugunsten anderer Ärzte ergan-gene Entscheidungen anzufechten (sogenannte defensive Konkurrentenklage) hat der Senat in seinem Urteil vom 7.2.2007 im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG vom 17.8.2004 (BVerfG
SozR 4-1500 § 54 Nr 4) im Einzelnen dargelegt (BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10, RdNr 19 ff). Danach müssen erstens der Kläger und der Konkurrent im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbieten, weiterhin dem Konkurrenten die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet oder erweitert und nicht nur ein weiterer Leistungsbereich genehmigt werden, und ferner der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber demjenigen des Anfechtenden nachrangig sein. Letzteres ist der Fall, wenn die Einräumung des Status an den Konkurrenten vom Vorliegen eines Versorgungsbedarfs abhängt, der von den bereits zugelassenen Ärzten nicht abgedeckt wird (vgl BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10, RdNr 19 ff; in der Folgezeit weiterführend BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 17 f, 20, 22 bis 24; BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 19 ff; BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 17 ff; BSG SozR 4-2500 § 121a Nr 4 RdNr 19 ff; BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 30 ff; BSG SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 5 RdNr 24; zuletzt BSG Urteil vom 30.11.2016 - B 6 KA 3/16 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen - RdNr 21). Diese Maßstäbe gelten auch für Drittanfechtungsklagen im Rahmen der Versorgung mit Dialyseleistungen (BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 39 RdNr 19 mwN, zuletzt BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 20/15 R - SozR 4-55405540 Anl 9.1 Nr 7 RdNr 16). Die Voraussetzungen liegen hier vor.
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a. Die Klägerin und der Beigeladene zu 1. erbringen im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn ein faktisches Konkurrenzverhältnis vorliegt, durch das plausibel wird, dass der bereits zugelassene Arzt bzw die BAG eine nicht nur geringfügige Schmälerung seiner/ihrer Erwerbsmöglichkeiten zu befürchten hat (vgl BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 22 bis 24; BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 25; BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 21). Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob sich faktisch der Patientenkreis des Anfechtenden mit dem Patientenkreis desjenigen, dessen Berechtigung angegriffen wird, in relevantem Maße überschneidet (vgl BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 24: mehr als 5 %; ebenso BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 25 f). Das Bestehen eines faktischen Konkurrenzverhältnisses ist im Verhältnis von zwei weniger als 10 km, hier Luftlinie 8,86 km, voneinander entfernt liegenden Dialysepraxen plausibel. Bei solcher Nähe und einem so begrenzten Leistungszuschnitt bedarf es weder näherer Darlegungen des Anfechtenden noch näherer Ermittlungen durch die Zulassungsgremien oder die Gerichte, sondern es ist ohne Weiteres ein real bestehendes Konkurrenzverhältnis anzunehmen (hierzu und zur Darlegungslast vgl BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 26 f, 30; BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 22 f).
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b. Die weiteren Voraussetzungen - die Eröffnung oder Erweiterung der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung und die Nachrangigkeit des dem Konkurrenten eingeräumten Status gegenüber demjenigen des Anfechtenden - liegen ebenfalls vor.
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aa. Der Anfechtungsberechtigung steht nicht entgegen, dass eine Genehmigung besonderer Versorgungsaufträge nach Anlage 9.1 BMV-Ä keinen vertragsarztrechtlichen Status vermittelt und der Beigeladene zu 1. zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung bereits über eine Zulassung als Vertragsarzt verfügte. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 7.2.2007 (BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10) zur Dialysegenehmigung nach der BlutreinigungsV vom 16.6.1997 entschieden, dass sie als bloße Abrechnungsgenehmigung nicht von Konkurrenten angefochten werden könne, weil sie nur die Erweiterung des durch die jeweilige fachbezogene Qualifikation eröffneten Kernbereichs ärztlicher Tätigkeit, nicht aber diesen Kern selbst und den ihm zugrunde liegenden Basis-Status betreffe. Die Erteilung der Genehmigung hierfür war bis zum 30.6.2002 allein an Qualitäts- bzw Qualifikationsgesichtspunkten auszurichten. Für das seit dem 1.7.2002 geltende neue Recht hat der Senat hingegen eine Anfechtungsberechtigung der bereits eine Dialysepraxis betreibenden BAG bejaht (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 30). Dabei hat der Senat ausgeführt, dass die Zusicherung der Genehmigung eines Versorgungsauftrags Voraussetzung für eine Sonderbedarfszulassung nach § 24 Satz 1 Buchst e Bedarfsplanungs-Richtlinie Ärzte (BedarfsplRL) und untrennbar mit dieser Statusentscheidung verbunden ist. Vor allem hat der Senat aber darauf abgestellt, dass die nach § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 6 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä durchzuführende Bedarfsprüfung Drittschutz für diejenigen vermittelt, die bei der Ermittlung des Bedarfs zu berücksichtigen sind.
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bb. Eine solche Bedarfsprüfung war auch hier durchzuführen. Sie entfiel nicht etwa deshalb, weil der Beigeladene zu 1. seinen Versorgungsauftrag nach seinem Ausscheiden aus der BAG an seinen neuen Vertragsarztsitz S. Straße, 66 I."mitnehmen" konnte. Dieser verblieb vielmehr in der Dialysepraxis. Der Antrag des Beigeladenen zu 1. vom 28.3.2011 auf Erteilung eines Versorgungsauftrags für seine "künftige Praxis" am heutigen Standort in I. ist als Neuantrag im Sinne des § 4 Abs 1 Satz 2 Anlage 9.1 BMV-Ä zu werten. Die Genehmigung ist daher nach § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Anlage 9.1 BMV-Ä unter anderem von der hinreichenden Auslastung der in der Versorgungsregion der beabsichtigten Niederlassung bestehenden Dialysepraxen abhängig.
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(1) Zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Beigeladenen zu 1. aus der BAG mit Dr. B zum 1.10.2011 galt § 4 Abs 1b Anlage 9.1 BMV-Ä in der seit 1.7.2009 unverändert gültigen Fassung (vgl zum maßgeblichen Zeitpunkt bei Drittanfechtungen BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 16 RdNr 25 mwN). In § 4 Abs 1b Anlage 9.1 BMV-Ä wurde 2009 die Regelung aufgenommen, dass der Versorgungsauftrag bei gemeinschaftlicher Berufsausübung im Fall des Ausscheidens eines Arztes aus der Dialysepraxis bei der Dialysepraxis verbleibt (DÄ 2009, A-1476). Gleichzeitig wurde in § 4 Abs 1a Satz 1 der Anlage 9.1 BMV-Ä festgeschrieben, dass die Genehmigung zur Übernahme des Versorgungsauftrags iS des § 1a Nr 18 BMV-Ä der Dialysepraxis erteilt wird. Bereits zum 1.7.2005 war in § 4 Abs 1a Satz 1 der Anlage 9.1 BMV-Ä die Regelung aufgenommen worden, dass der Versorgungsauftrag bei gemeinschaftlicher Berufsausübung für denjenigen Arzt endete, der aus der Gemeinschaftspraxis ausschied (DÄ 2005, A-2267). § 7 Abs 4 Anlage 9.1 BMV-Ä war zum 1.7.2005 dahingehend neu gefasst worden, dass bei Ausscheiden eines Arztes aus der Dialysepraxis und Ersetzung durch einen entsprechenden Arzt gemäß § 5 Abs 7 Buchst c BlutreinigungsV der eintretende Arzt auf Antrag eine Genehmigung zur Übernahme des Versorgungsauftrags erhielt, wenn die Voraussetzungen nach § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 2 Anlage 9.1 BMV-Ä erfüllt waren. Diese Vorschrift wurde 2009 aufgehoben.
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Es bestand nach dem Ausscheiden des Beigeladenen zu 1. auch weiterhin am bisherigen Standort eine Dialysepraxis, bei der der Versorgungsauftrag verblieb. Der frühere Praxispartner des Beigeladenen zu 1., Dr. B., verzichtete zum 1.10.2011 auf seine Zulassung, um am bisherigen Niederlassungsort W. ring in H. in der neu gegründeten MVZ S. GmbH in Anstellung tätig zu werden. Der Senat hat bereits entschieden, dass der Versorgungsauftrag bei einem Wechsel eines zugelassenen Vertragsarztes als Angestellter in ein MVZ inhaltlich unverändert auf das MVZ für den angestellten Arzt übertragen wird (BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 24). Zwar besteht insofern ein Unterschied zu dem entschiedenen Fall, als dort die bestehende BAG aufgelöst wurde und alle ehemaligen Praxispartner gemeinsam das MVZ gründeten, während hier nur einer der beiden Praxispartner seine Zulassung in das MVZ einbrachte. Auch in einer derartigen Konstellation, in der ein Mitglied der ehemaligen BAG am selben Vertragsarztsitz, mit derselben Infrastruktur und in denselben Räumlichkeiten weiterhin Dialyseleistungen erbringt, die Versorgung mithin nahtlos weitergeführt wird und sich nur der rechtliche Träger der Praxis ändert, besteht aber die Dialysepraxis iS von § 4 Abs 1a Satz 1 Anlage 9.1 BMV-Ä fort. Die grundlegenden Unterschiede im Teilnahmestatus des Vertragsarztes und des angestellten Arztes in einem MVZ stehen zwar nach der Rechtsprechung des Senats der Annahme entgegen, der eine Status setze sich gleichsam automatisch im anderen fort (Urteil vom 17.10.2012 - SozR 4-2500 § 95 Nr 27 RdNr 21; s auch zum Ausschluss der Praxisnachfolge allein durch einen angestellten Arzt in der Zweigpraxis einer BAG Urteil vom 20.3.2013 - SozR 4-2500 § 103 Nr 12 RdNr 42). Auf der anderen Seite ist aber klar, dass der Gesetzgeber Vertragsärzten die Möglichkeit geben wollte, ihrer Tätigkeit auch als Vertragsärzte oder als angestellte Ärzte in einem - uU von ihnen selbst gegründeten - MVZ nachzugehen (§ 103 Abs 4a Satz 1 SGB V). Für den Versorgungsbereich Dialyse setzt ein entsprechender Statuswechsel faktisch die Übernahme der bisherigen Versorgungsaufträge voraus. Diese werden standortbezogen einer Praxis ungeachtet ihrer Rechtsform (Einzelpraxis, BAG, MVZ) erteilt und verbleiben dort, auch wenn ein Arzt die Kooperation verlässt (vgl auch Senatsurteil vom 15.3.2017 - B 6 KA 18/16 R). Deshalb muss ein Versorgungsauftrag grundsätzlich auch dann in einer Praxis verbleiben, wenn diese ihre rechtliche Form der Kooperation ändert, selbst wenn damit Statusänderungen verbunden sind und eine Anstellungsgenehmigung etwa eine Sonderbedarfszulassung (§ 101 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB V) nicht iS des § 96 SGG ersetzt(BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 27 RdNr 21). Soweit, wozu der Senat neigt, die KÄV gehalten ist, den Versorgungsauftrag auch förmlich den geänderten Statusverhältnissen am jeweiligen Praxisstandort anzupassen, hätte das in erster Linie klarstellenden Charakter.
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(2) Die Genehmigung zur Durchführung von Versorgungsaufträgen nach Anlage 9.1 BMV-Ä ist dem Beigeladenen zu 1. auch nicht mit bestandskräftigem Bescheid vom 23.10.2003 nach dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht persönlich ohne Bezug zur damaligen Praxis der Gemeinschaftspraxis erteilt worden.
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(a) Die Praxisbezogenheit des Versorgungsauftrags bestand bereits nach der seit dem 1.7.2002 geltenden Rechtslage. Bereits ab diesem Zeitpunkt galt, dass der Versorgungsauftrag bei Ausscheiden eines Arztes in der Praxis verbleibt (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 24 und das weitere Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 42/11 R - Juris RdNr 23). Zu diesem Zeitpunkt war eine konzeptionelle Neuordnung der Dialyseversorgung erfolgt. Neben der Weiterentwicklung der BlutreinigungsV, der Neugestaltung der BedarfsplRL und der Einführung vergütungsbezogener Strukturanreize vereinbarten die KÄBV und die Spitzenverbände der Krankenkassen zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen Leistungserbringung in Anlage 9.1 BMV-Ä Vorgaben für eine bestimmte Versorgungsstruktur (DÄ 2002, A-972).
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Zur Feststellung eines zusätzlichen Versorgungsbedarfs ist seitdem gemäß § 6 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä auf den Auslastungsgrad der Dialysepraxen einer Versorgungsregion abzustellen, der auf der Grundlage eines Arzt-Patienten-Schlüssels nach der BlutreinigungsV ermittelt wird. Wenn danach kontinuierlich weniger als 90 % der Höchstpatientenzahl in den bestehenden Praxen versorgt wird, wird die Genehmigung der Übernahme eines weiteren Versorgungsauftrags als mit den Forderungen einer wirtschaftlichen Versorgungsstruktur nicht vereinbar angesehen. In § 5 Abs 7 Buchst c Satz 5 Nr 1 und 2 BlutreinigungsV ist mit Wirkung seit dem 1.7.2002 ein Arzt-Patienten Schlüssel von bis zu 30 kontinuierlich versorgten Patienten jährlich beim ersten Arzt, bei zwei Ärzten von bis zu 100 kontinuierlich versorgten Patienten und je weiteren 50 Patienten ein weiterer Arzt vorgesehen. § 5 Abs 7 Buchst c Satz 6 BlutreinigungsV gibt vor, dass bei Ausscheiden eines Arztes aus der Dialysepraxis oder Dialyseeinrichtung innerhalb von sechs Monaten durch die Praxis oder Einrichtung nachzuweisen ist, dass der ausgeschiedene Arzt durch einen entsprechenden Arzt ersetzt wurde. Erst wenn der Nachweis nicht erbracht wurde, ist die Berechtigung zur Ausführung und Abrechnung von Dialyseleistungen nach Satz 8 anzupassen. Nach § 8 Abs 3 Anlage 9.1 BMV-Ä in der zum 1.7.2002 in Kraft getretenen Fassung erhielt, soweit ein Arzt aus der Dialysepraxis ausschied und dieser gemäß § 5 Abs 7 Buchst c BlutreinigungsV durch einen entsprechenden Arzt ersetzt wurde, der eintretende Arzt auf Antrag eine Genehmigung zur Übernahme des Versorgungsauftrags nach der Übergangsvorschrift in § 8 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä.
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Das zum 1.7.2002 eingeführte Regelungskonzept sollte dazu dienen, die Sicherstellung einer Versorgung der Versicherten mit Dialyseleistungen durch eine kontinuierliche wirtschaftliche Versorgungsstruktur zu gewährleisten. Dem einzelnen Leistungserbringer, der sich in einem verhältnismäßig kleinen Markt hoch spezialisierter Leistungen bewegt, werden im Hinblick auf die kostenintensiven Investitionen, die für den Betrieb einer Dialysepraxis zu tätigen sind, und zur Verhinderung eines Verdrängungswettbewerbs Erwerbsmöglichkeiten in einem bestimmten Umfang gesichert (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 26 RdNr 26; BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 32; ebenso zur Zweigpraxis BSG SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 5 RdNr 37). Die Mitnahme des Versorgungsauftrags durch einen aus einer Dialysepraxis ausscheidenden Arzt würde diesem Konzept erkennbar widersprechen. Danach soll es nicht zu einer bedarfsunabhängigen Zunahme von Versorgungsaufträgen kommen. Da aber nach § 5 Abs 7 Buchst c Satz 6 BlutreinigungsV ein Nachbesetzungsrecht der Praxis besteht, aus der der Arzt ausscheidet, käme es zu einer Vermehrung der Versorgungsaufträge, wenn der ausscheidende Arzt seinerseits seinen Versorgungsauftrag in eine neue Praxis "mitnehmen" könnte. Darüber hinaus könnte auch der ausscheidende Vertragsarzt bei einer kontinuierlichen Versorgung von mehr als 30 Patienten pro Jahr nach § 7 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä die Zusicherung bzw Genehmigung für die Durchführung von Versorgungsaufträgen durch einen zweiten Arzt erhalten, ohne dass hierfür die hinreichende Auslastung der in der Versorgungsregion bestehenden Dialysepraxen Voraussetzung wäre.
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Auch die KÄBV ging in ihren Hinweisen und Erläuterungen zu den Neuregelungen bereits seit 1.7.2002 von einer Bindung des Versorgungsauftrags an den Ort der Leistungserbringung aus (vgl "Neuordnung der Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten, Hinweise und Erläuterungen für die Kassenärztlichen Vereinigungen", Anlage zum Rundschreiben D3-25-VII-6/2002 der KÄBV vom 1.7.2002, S 14). Zwar handelt es sich bei diesen Hinweisen lediglich um eine rechtlich unverbindliche "Empfehlung" (vgl BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 20/15 R - SozR 4-55405540 Anl 9.1 Nr 7 RdNr 37), sie sind aber geeignet, das Verständnis und die Intention der Vertragspartner bei der Normsetzung zu verdeutlichen. Die Bindung an die Praxis und nicht den einzelnen Arzt wird nicht zuletzt auch darin erkennbar, dass nach § 7 Abs 2 Anlage 9.1 BMV-Ä die Dialysepraxis berechtigt ist, Genehmigungen für "weitere Ärzte" zu beantragen (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 24 und das weitere Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 42/11 R - Juris RdNr 23).
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(b) Die Bindung an die Dialysepraxis kam im Bescheid vom 23.10.2003 für den fach- und sachkundigen Empfängerkreis der Vertragsärzte in Dialysepraxen auch hinreichend zum Ausdruck. Der Bescheid war zwar an den Beigeladenen zu 1. adressiert, ihm wurde jedoch die Genehmigung zur Durchführung von Versorgungsaufträgen nach Anlage 9.1 BMV-Ä nach dem Wortlaut der Verfügung "in eigener Dialysepraxis - und in gemeinschaftlicher Berufsausübung mit Dr. med. B.", also als Mitglied der bestehenden BAG, erteilt. Die Formulierung "in eigener Praxis" nimmt Bezug auf die entsprechende Voraussetzung für die Erteilung einer Genehmigung nach der Übergangsvorschrift in § 8 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä, womit klargestellt werden sollte, dass genehmigungspflichtige Versorgungsaufträge Vertragsärzten, die unter die Übergangsbestimmung fielen, nur dann erteilt werden konnten, wenn sie auch bisher Inhaber der Praxis waren. Damit sollte sichergestellt werden, dass nach der Übergangsbestimmung nur "Inhaber" einer Praxis, nicht aber in Dialysepraxen oder ermächtigten Einrichtungen angestellte Ärzte genehmigungspflichtige Versorgungsaufträge übernehmen konnten (vgl "Hinweise und Erläuterungen" aaO, S 14, 22). Eine persönliche Erteilung der Genehmigung kann daraus bereits deshalb nicht abgeleitet werden, weil der Beigeladene zu 1. zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung in Gemeinschaftspraxis mit Dr. B., und damit nach vertragsarztrechtlichen Begrifflichkeiten (§ 33 Abs 2 Ärzte-ZV) in gemeinsamer Berufsausübung, tätig war.
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(3) Bestands- und Vertrauensschutzerwägungen im Hinblick auf die bereits zuvor bestehende Berechtigung zu Dialyseleistungen stehen der Bindung der Genehmigung an die Dialysepraxis und dem hieraus folgenden Mitnahmeverbot nicht entgegen. Bei Inkrafttreten der Regelungen zur Neuordnung der Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten zum 1.7.2002 war in § 8 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä vorgesehen, dass Vertragsärzte, auch solche, die nicht zum Führen der Schwerpunktbezeichnung Nephrologie berechtigt waren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages über eine Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von Leistungen der Dialyse aufgrund der Qualitätssicherungsvereinbarung verfügten und die bis zu diesem Zeitpunkt Leistungen der Dialyse in eigener Dialysepraxis regelmäßig in der vertragsärztlichen Versorgung erbracht hatten, auf Antrag eine Genehmigung zur Übernahme des Versorgungsauftrags erhielten, wenn sie innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten einen entsprechenden Genehmigungsantrag stellten.
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Die mit der Umstellung von einer reinen Qualitätssicherungsvereinbarung zu einer besonderen Versorgungsplanungsregelung verbundenen Übergangsprobleme sind dadurch gelöst worden, dass Ärzte wie der Beigeladene zu 1., die schon vor dem 1.7.2002 über eine - damals auf Fachkunde begrenzte - Genehmigung zur Erbringung von Dialyseleistungen verfügten, eine Genehmigung nach neuem Recht erhalten haben, ohne dass der Bedarf geprüft wurde. Damit sind sie bedarfsunabhängig in ein bedarfsbezogenes System integriert worden. Nichts spricht indessen für die Annahme, dass die nach dem 1.7.2002 erteilten Genehmigungen von Versorgungsaufträgen hinsichtlich der hier maßgeblichen Praxisbindung des Versorgungsauftrags danach zu unterscheiden wären, ob sie übergangsrechtlich oder unter Beachtung der 2002 neu eingeführten Versorgungaspekte erteilt worden sind. Das hätte je nach Alter der beteiligten Ärzte dazu geführt, dass über mehr als zwei Jahrzehnte Dialysegenehmigungen mit gänzlich unterschiedlichen Wirkungen und Berechtigungen nebeneinander bestanden hätten; für einen dahin gehenden Regelungswillen der Vertragspartner fehlen Anhaltspunkte.
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(4) Der Ausschluss der Mitnahme des Versorgungsauftrags steht auch nicht in Widerspruch zu § 24 Abs 7 Ärzte-ZV. Diese Vorschrift regelt den Anspruch auf Verlegung des Praxissitzes (vgl dazu BSG SozR 4-5520 § 24 Nr 13 RdNr 13, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen), bestimmt aber nicht, welche Leistungen am neuen Praxissitz erbracht werden dürfen. Die Genehmigung der Verlegung des Vertragsarztsitzes nach § 24 Abs 7 Ärzte-ZV ist hier nicht angefochten; der angefochtene Bescheid bezieht sich ausschließlich auf die Genehmigung zur Durchführung besonderer Versorgungsaufträge nach Anlage 9.1 BMV-Ä am neuen Vertragsarztsitz. Zwar besteht eine Bindung der Genehmigung zur Durchführung der Versorgungsaufträge nach Anlage 9.1 BMV-Ä auch an den Vertragsarztsitz. Dies ist seit 1.7.2005 in § 3 Abs 3 Satz 4 der Anlage 9.1 BMV-Ä ausdrücklich geregelt. Danach wird der Versorgungsauftrag für den Ort der Zulassung oder der Ermächtigung erteilt. Die Bindung ergibt sich - auch vor Inkrafttreten dieser Regelung - bereits daraus, dass für die Genehmigung der Übernahme des Versorgungsauftrags nach § 4 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä die Zulassung als Vertragsarzt Voraussetzung ist. Die im Zulassungsbescheid enthaltene Bestimmung des Vertragsarztsitzes stellt eine Komponente der Zulassung dar. Darüber hinaus bestehen nach der BlutreinigungsV betriebsstättenbezogene Genehmigungsvoraussetzungen. Ein Anspruch auf Verlegung des Vertragsarztsitzes nach § 24 Abs 7 Ärzte-ZV umfasst dabei aber bereits nach Wortlaut und Regelungskontext nicht automatisch die Mitnahme etwaiger besonderer Versorgungsaufträge, sondern nur die Fortführung der von der Zulassung umfassten vertragsärztlichen Tätigkeit an einem anderen Niederlassungsort.
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2. Die Revision ist auch begründet, weil eine kontinuierliche wirtschaftliche Auslastung der Dialysepraxis der Klägerin nicht gegeben war.
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a. Rechtsgrundlage des Bescheides vom 31.5.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.2.2012 ist - da eine Mitnahme des Versorgungsauftrags durch den Beigeladenen zu 1., wie bereits ausgeführt, ausscheidet - § 4 Abs 1 Satz 2 der Anlage 9.1 BMV-Ä. Nach § 4 Abs 1 Satz 1 Anlage 9.1 BMV-Ä bedarf die Übernahme des Versorgungsauftrags nach § 3 Abs 3 Buchst a aaO - dh für die in § 2 aaO definierten Patientengruppen - durch zugelassene Vertragsärzte der Genehmigung der KÄV. Diese ist gemäß § 4 Abs 1 Satz 2 Anlage 9.1 BMV-Ä im Einvernehmen mit den zuständigen Verbänden der Krankenkassen zu erteilen, wenn hinsichtlich der Fachkunde die arzt- und betriebsstättenbezogenen Voraussetzungen der BlutreinigungsV erfüllt sind und eine kontinuierliche wirtschaftliche Versorgungsstruktur für die Dialysepraxis gewährleistet ist.
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b. Die Beklagte hat die Klägerin vor Erlass des Bescheides zu Gunsten des Beigeladenen zu 1. nicht auf der Grundlage des § 12 Abs 2 SGB X zum Verwaltungsverfahren hinzugezogen und auch nicht nach § 24 Abs 1 SGB X angehört. Das begründet jedoch entgegen der Auffassung der Klägerin keinen Verfahrensfehler, der zur Aufhebung des Bescheides führen würde.
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§ 24 Abs 1 SGB X gebietet die Anhörung eines "Beteiligten", in dessen Rechte der zu erlas-sende Bescheid eingreift. Der Beteiligtenbegriff im Sinne dieser Vorschrift ist technisch zu ver-stehen; § 24 Abs 1 verweist auf die Beteiligtenstellung im Sinne des § 12 Abs 1 und 2 SGB X(Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 24 RdNr 11). Da die Klägerin weder nach § 12 Abs 1 SGB X kraft Gesetzes am Verfahren zur Erteilung der Genehmigung eines Versorgungsauftrags des Beigeladenen zu 1. beteiligt war noch von der Beklagten nach Abs 2 zum Verfahren hinzugezogen worden war, könnte sich ein Verfahrensfehler allenfalls daraus ergeben, dass die Klägerin förmlich hätte beteiligt werden müssen. Das war jedoch nicht der Fall.
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aa. Wer an einem Verfahren nicht beteiligt ist, aber meint, wegen rechtlicher Betroffenheit hin-zugezogen werden zu müssen, muss einen Antrag auf Hinzuziehung nach § 12 Abs 2 SGB X stellen; auch im Hinblick auf die notwendige Formalisierung der Beteiligtenstellung muss diese gegenüber der Behörde durchgesetzt werden, um nach Hinzuziehung (auch) Anhörungs- und Äußerungsrechte zu erhalten (vgl Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Dezember 2016, § 24 RdNr 20). Hier wäre von vornherein keine Hinzuziehung der Klägerin auf der Grundlage des § 12 Abs 2 Satz 2 SGB X in Betracht gekommen; deshalb war die Beklagte nicht nach dem 2. Halbsatz dieser Vorschrift verpflichtet, die Klägerin zu benachrichtigen, um ihr die Antragstellung auf Beteiligung zu ermöglichen. § 12 Abs 2 Satz 2 SGB X normiert eine solche Pflicht nur, wenn ein Verwaltungsakt "rechtsgestaltende Wirkung" für einen Dritten hat. Rechtsgestaltende Wirkung zu Lasten der Klägerin im Sinne des § 12 Abs 2 Satz 2 SGB X hat die Entscheidung über die Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags des Beigeladenen zu 1. jedoch nicht. Sie begründet oder verändert unmittelbar Rechte der Klägerin nicht (vgl Roller in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 12 RdNr 11). Deren wirtschaftliche Interessen, die im Hinblick auf ihre Stellung als Leistungsanbieter in ihrer Versorgungsregion nach dem System der Anlage 9.1 BMV-Ä auch rechtlich geschützt sind, wurden durch das Leistungsangebot des Beigeladenen zu 1. tangiert. Das Recht der Teilnahme der Klägerin an der Dialyseversorgung auf der Grundlage der ihr zugeordneten Versorgungsaufträge wird aber durch die zugunsten des Beigeladenen zu 1. ergangene Entscheidung der Beklagten nicht beschränkt. Insoweit liegen die Dinge anders, wenn zwei Praxen bei steigender Patientenzahl um einen zusätzlichen Versorgungsauftrag konkurrieren oder wenn ein Verlängerungsantrag nach Abs 3 Satz 3 Anhang 9.1.5 zu Anlage 9.1 BMV-Ä mit einem Antrag einer Hauptpraxis aus der Versorgungsregion auf Genehmigung einer (eigenen) Zweigpraxis am Ort der schon bestehenden Nebenbetriebsstätte konkurriert (vgl dazu Senatsurteil vom 15.3.2017 - B 6 KA 22/16 R).
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bb. Eine Pflicht der Beklagten, die Klägerin im Hinblick auf deren "rechtliche Interessen" auch ohne Antrag von Amts wegen zu beteiligen (§ 12 Abs 2 Satz 1 SGB X), hat nicht bestanden. Die Ausübung des Ermessens nach dieser Vorschrift ist an der Rechtsauffassung der Behörde auszurichten; sie kann über die Hinzuziehung nur solcher Personen entscheiden, von denen sie annimmt oder den Umständen nach annehmen muss, dass die Voraussetzungen einer Beteiligung erfüllt sein können, deren rechtliche Interessen also berührt sind. Die Ausrichtung der Verfahrensgestaltung vorrangig auf die materiell-rechtliche Rechtsauffassung der Behörde gilt etwa auch für den Umfang der Anhörung. Die "entscheidungserheblichen Tatsachen" im Sinne des § 24 Abs 1 SGB X sind solche, die die Behörde dafür hält(vgl Siefert, aaO, RdNr 13 mwN). Dass das Gericht diese Auffassung evtl für falsch hält, begründet keinen Verfahrensfehler. Dieser Maßstab gilt auch für die Heilung von Anhörungsmängeln im Widerspruchs- oder Klageverfahren. Solange die Behörde zu den Umständen anhört, die sie für maßgeblich hält, kann die Heilungswirkung auch eintreten, wenn diese Auffassung materiell-rechtlich unzutreffend ist (vgl Steinwedel in Kasseler Komm, § 41 SGB X, Stand 1.12.2016, RdNr 16). Dementsprechend besteht für eine Ermessensbetätigung nach § 12 Abs 2 Satz 1 SGB X kein Anlass, wenn die Behörde eine rechtliche Betroffenheit eines Dritten aus Rechtsgründen verneint. Auch § 35 Abs 2 Nr 1 SGB X kann nicht anders angewandt werden. Hat die Behörde antragsgemäß entschieden und auf eine Begründung verzichtet, weil sie davon ausgeht, der Verwaltungsakt greife nicht "in Rechte eines anderen" ein, kann diese Beurteilung aus der Sicht des Gerichts in der Sache falsch sein, führt aber nicht gleichsam rückwirkend zu einem Verfahrensfehler.
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Die Beklagte hat hier - bestätigt zuletzt durch das LSG - eine rechtliche Betroffenheit der Kläge-rin verneint und hatte deshalb keinen Anlass, die Klägerin förmlich an dem Verfahren zu beteili-gen. Nichts anderes ergibt sich in diesem Zusammenhang aus dem Urteil des Senats vom 17.10.2012 (SozR 4-2500 § 95 Nr 27 RdNr 28). In diesem auch die Dialyseversorgung betref-fenden Urteil hat der Senat auf eine Verpflichtung der KÄV hingewiesen, vor der Erteilung von Versorgungsaufträgen solche Ärzte und Praxen zu informieren und zu beteiligen, "zu deren Gunsten Drittschutz besteht". Damit wird ersichtlich auf die Situation abgehoben, dass die KÄV eine Entscheidung auf der Grundlage einer Norm trifft, deren drittschützender Charakter geklärt ist, und ihr der Kreis der davon erfassten Ärzte im Kern bekannt ist. Eine solche Lage bestand hier nicht; die Anfechtungsberechtigung gegen die Genehmigung des Beigeladenen zu 1. ist erst durch das Urteil des Senats vom heutigen Tag (15.3.2017) geklärt worden.
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c. Es kann offenbleiben, ob die Beklagte ordnungsgemäß das Einvernehmen mit den zuständigen Verbänden der Krankenkassen nach § 4 Abs 1 Satz 2 Anlage 9.1 BMV-Ä hergestellt hat. Auf etwaige Fehler bei der Herstellung des Einvernehmens kann die Klägerin sich nicht berufen. Die dazu von den Partnern der Bundesmantelverträge vereinbarten Regelungen dienen allein den Belangen der Krankenkassen und tragen deren Verantwortung für die Versorgung der Versicherten mit Dialyseleistungen Rechnung. Die Bestimmungen enthalten keinen Hinweis, dass sie auch den Interessen der ärztlichen Leistungserbringer im Bereich Dialyse zu dienen bestimmt sind. Diesen steht deshalb kein subjektiv-öffentliches Recht zu, dass sich KÄV und Krankenkassen-Verbände an die für das Verwaltungsverfahren nach der Dialyse-Vereinbarung geltenden Vorschriften zur Herstellung des Einvernehmens halten. Die Verfahrensregelungen zur Beteiligung der Krankenkassen an versorgungsbezogenen Entscheidungen im Bereich Dialyse (dazu näher BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 34) dienen nur dem Ziel der Einbeziehung der Krankenkassen in die Verantwortung für eine flächendeckende Dialyseversorgung und nicht zugleich auch der Rücksichtnahme auf die Interessen von miteinander konkurrierenden Praxen.
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Aus dem Senatsurteil vom 11.2.2015 (BSG SozR 4-5540 Anl 9.1.5 Nr 5 RdNr 41 ff) zur Anfechtung der Erteilung einer Zweigpraxisgenehmigung für Dialysen ergibt sich insoweit nichts anderes. Auch in diesem Rechtsstreit waren die Verbände der Krankenkassen beigeladen und zwischen ihnen und der beklagten KÄV war umstritten, ob bei einer nach Auffassung des Senats erforderlich werdenden Neubescheidung durch die KÄV erneut das Verfahren der Einvernehmensherstellung durchzuführen ist, auch soweit die KÄV an ihrer ursprünglichen Einschätzung der Erforderlichkeit der dort umstrittenen Zweigpraxis festhalten würde. Der Senat stellt klar, dass die Ausführungen zu den Anforderungen an eine korrekte Herstellung des Einvernehmens nur für die Gestaltung des (weiteren) Verwaltungsverfahrens und nicht für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung der damals beklagten KÄV von Bedeutung waren.
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d. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, weil eine kontinuierliche wirtschaftliche Auslastung der Klägerin nach Maßgabe von § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 6 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä nicht gewährleistet war.
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aa. Ob die Anforderungen an eine wirtschaftliche Versorgungstruktur iS des § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Anlage 9.1 BMV-Ä erfüllt sind, stellt die KÄV im Verfahren nach § 6 Anlage 9.1 BMV-Ä fest. Danach ist der Auslastungsgrad der im Umkreis der beabsichtigten Niederlassung bestehenden Dialysepraxen (Versorgungsregion) durch eine Arzt-Patienten-Relation zu bestimmen (§ 6 Satz 1, 2 Anlage 9.1 BMV-Ä). Eine Auslastung der Dialysepraxen in der Versorgungsregion ist nach § 6 Abs 1 Satz 3 Anlage 9.1 BMV-Ä anzunehmen, wenn kontinuierlich mindestens 90 % der nach der BlutreinigungsV festgelegten Patientenzahl von den dazu erforderlichen Ärzten versorgt wird. Die Forderung nach einer wirtschaftlichen Versorgungsstruktur der projektierten Dialysepraxen gilt als dauerhaft erfüllt, wenn sich die Versorgungsregionen der bestehenden und der projektierten Praxis nicht schneiden (§ 6 Satz 4 Anlage 9.1 BMV-Ä). Das Gleiche gilt, wenn sich die Versorgungsregionen zwar schneiden, jedoch die bereits bestehenden Dialysepraxen in diesem Umfang ausgelastet sind (§ 6 Satz 5 Anlage 9.1 BMV-Ä). § 5 Abs 7 Buchst c BlutreinigungsV sieht beim ersten Arzt einen "Arzt-Patienten-Schlüssel" von bis zu 30 kontinuierlich versorgten Patienten jährlich, bei zwei Ärzten von bis zu 100 kontinuierlich versorgten Patienten vor.
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Die danach erforderliche hinreichende Auslastung bereits bestehender Praxen muss nach der Rechtsprechung des Senats sowohl im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zusicherung oder Genehmigung des Versorgungsauftrags gegeben als auch - prognostisch - in Zukunft zu erwarten sein. Dies ergibt sich nach der Rechtsprechung des Senats bereits aus der wiederholten Verwendung des Begriffes "kontinuierlich" in den maßgeblichen Vorschriften der §§ 4, 6 Anlage 9.1 BMV-Ä (im Einzelnen vgl BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 20/15 R - SozR 4-55405540 Anl 9.1 Nr 7 RdNr 22).
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bb. Zutreffend ist das LSG insoweit davon ausgegangen, dass für die Auslastungsprüfung bei der Klägerin auf drei und nicht auf vier Versorgungsaufträge abzustellen ist. Die mit Bescheid vom 27.6.2011 von der Beklagten erteilte Genehmigung zur Übernahme eines vierten Versorgungsauftrags hat diese auf den Widerspruch von zwei mit der Klägerin konkurrierenden Praxen am 30.1.2012 wieder aufgehoben, ohne dass die Klägerin von diesem zusätzlichen Auftrag schon Gebrauch machen konnte. Diese Aufhebung ist nach dem Beschluss des Senats vom 30.11.2016 (B 6 KA 35/16 B) bestandskräftig. Maßgeblich ist insoweit, dass es für die Auslastung vorrangig auf die - rechtmäßigen - tatsächlichen Verhältnisse ankommt. Das bedeutet, dass Versorgungsaufträge, die vollziehbar sind und tatsächlich genutzt werden, bei der Bedarfsdeckung auch dann nicht generell außer Betracht bleiben dürfen, wenn sie wegen der Anfechtung durch einen Konkurrenten nicht bestandssicher sind (vgl BSG Beschluss vom 30.11.2016 - B 6 KA 35/16 B - RdNr 13). Versorgungsaufträge, die aber wegen der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs von Konkurrenten, fehlender Vollziehungsanordnung oder umgehender Rücknahme durch die KÄV nicht genutzt worden sind und von vornherein für eine "kontinuierliche" Versorgung ausscheiden, müssen entsprechend bei der Auslastungsprüfung unberücksichtigt bleiben.
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Nach den - insoweit unstreitigen und mit der Revision nicht angegriffenen - Feststellungen des LSG hatte nach den aus den Abrechnungsrohdaten der klägerischen Praxis ermittelten Wochenpauschalen die Klägerin im Quartal I/2011 139 Patienten, im Quartal II/2011 142 Patienten, im Quartal III/2011 143 Patienten und im Quartal IV/2011 140 Patienten. Unter Berücksichtigung eines 6%igen Abzugs für Heimdialysepatienten (vgl BSG SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 7 RdNr 36) wurden damit, wenn auch nur knapp, 90 % der nach der Qualitätssicherungsvereinbarung festgelegten Patientenzahl unterschritten. Damit bestand keine ausreichende Auslastung der Klägerin. Auf den möglichen Anwendungsbereich von § 6 Abs 2 Anlage 9.1 BMV-Ä kommt es mithin nicht mehr an.
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e. Die hier maßgeblichen Regelungen der Anlage 9.1 BMV-Ä sind verfassungsgemäß. Die durch Art 12 Abs 1 GG geschützte Berufsfreiheit der aus einer Dialysepraxis ausscheidenden Ärzte wird zwar eingeschränkt; das Maß des verfassungsrechtlich Zulässigen ist jedoch nicht überschritten. In das durch Art 12 Abs 1 GG garantierte einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit darf nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden (stRspr; vgl nur BVerfGE 36, 212, 219 ff; 45, 354, 358 f; 93, 362, 369; 135, 90, 111 RdNr 57; 141, 82, 98 RdNr 47; zuletzt BVerfG Beschluss vom 7.3.2017 - 1 BvR 1314/12, 1 BvR 1630/12, 1 BvR 11 BvR 1694/13, 1 BvR 11 BvR 1874/13 - Juris RdNr 121). Der Eingriff muss zur Erreichung eines legitimen Eingriffsziels geeignet sein und darf nicht weitergehen, als es die Gemeinwohlbelange erfordern; ferner müssen Eingriffszweck und Eingriffsintensität in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl BVerfGE 54, 301, 313; 101, 331, 347; 141, 121, 133 RdNr 40).
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Die Beklagte und der Beigeladene zu 1. machen einen Verstoß gegen Art 12 Abs 1 GG geltend, wenden sich dabei jedoch nicht gegen die von der BlutreinigungsV geregelten Anforderungen an die fachliche Kompetenz sowie die organisatorische und apparative Ausstattung, sondern allein gegen die bedarfsplanerische Komponente von Anlage 9.1 BMV-Ä, die darüber hinausgehende Kriterien für die Strukturqualität formuliert. Eine solche Komponente ist auch der Verbleib des Versorgungsauftrags in der Dialysepraxis bei Ausscheiden eines Arztes. Hierin liegt eine Beschränkung der Berufsfreiheit des ausscheidenden Arztes, der seine bisherige Berechtigung zur Durchführung von Dialyseleistungen verliert. Diese rückt im Hinblick auf die Besonderheiten der Leistungserbringung und nicht zuletzt wegen des regelmäßigen Zusammenhangs mit einer Sonderbedarfszulassung sowohl in fachlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht in die Nähe einer Statusentscheidung (vgl zur Genehmigung zur Durchführung von Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nach § 121a SGB V: BSG SozR 4-2500 § 121a Nr 4 RdNr 18). Ein Internist mit einer Genehmigung nach Anlage 9.1 BMV-Ä ist in der Regel ausschließlich in diesem Bereich tätig. Allerdings wird dem entsprechend qualifizierten Arzt mit dem Verbleib des Versorgungsauftrags in der Praxis lediglich die Möglichkeit genommen, ohne weitere Bedarfsprüfung an einem anderen Ort seiner Wahl Dialysen an gesetzlich Versicherten durchzuführen und abzurechnen. Im Übrigen wird ihm der Zugang zur vertragsärztlichen und speziell zur nephrologischen Versorgung nicht versperrt. Dass der Versorgungsauftrag nicht bedarfsunabhängig verlagert werden darf, beschränkt nur die Betätigungsmöglichkeiten des aus einer Dialysepraxis ausscheidenden Arztes in örtlicher Hinsicht (vgl zu örtlichen Zulassungsbeschränkungen BVerfG
MedR 2001, 639; BSGE 82, 41, 43 ff = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 11 ff) . Dieser Grundrechtseingriff ist durch Gemeinwohlbelange gerechtfertigt und verhältnismäßig.
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aa. Rechtsgrundlage für die Regelungen in § 2 Abs 7 BMV-Ä iVm Anlage 9.1 BMV-Ä sind § 82 Abs 1 iVm § 72 Abs 2 SGB V.
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§ 72 Abs 2 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 SGB V regelt die allgemeine Kompetenz der Partner der Bundesmantelverträge zur vertraglichen Regelung der vertragsärztlichen Versorgung. Nach diesen Vorschriften ist die vertragsärztliche Versorgung unter anderem durch schriftliche Verträge der KÄVen mit den Verbänden der Krankenkassen so zu regeln, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist, wobei die KÄBV mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge in Bundesmantelverträgen zu regeln hat.
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Die gesetzlichen Ermächtigungen in § 72 Abs 2 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 SGB V sind hinreichend bestimmt. Die Kriterien des Art 80 Abs 1 Satz 2 GG sind hier nicht anwendbar. Dessen Vorgabe, dass Ermächtigungsgrundlagen nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt sein müssen, betrifft Rechtsverordnungen, nicht aber Normsetzungen, die in anderer Gestalt als durch Rechtsverordnungen erfolgen (vgl BVerfGE 33, 125, 157 f; 44, 322, 349; 97, 332, 343). Dementsprechend bedarf es für die im SGB V vorgesehene Normsetzung der sog gemeinsamen Selbstverwaltung keiner gemäß Art 80 Abs 1 Satz 2 GG eng umrissenen gesetzlichen Grundlage (vgl BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, RdNr 22). Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auf § 72 Abs 2 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 und § 135 Abs 2 SGB V gestützte Regelungen der Träger der gemeinsamen Selbstverwaltung zur Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung verfassungsrechtlich zulässig sind(vgl BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, RdNr 18 ff; BSGE 115, 235 = SozR 4-2500 § 135 Nr 21, RdNr 32 unter Hinweis auf BVerfGK 18, 345 sowie BVerfG SozR 4-2500 § 135 Nr 16). Insofern fehlt es den Vertragspartnern auch nicht an der erforderlichen demokratischen Legitimation (vgl BSGE 82, 41, 46 ff = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 15 ff zum Bundesausschuss der Ärzte, heute: GBA).
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§ 72 Abs 2 und § 82 Abs 1 Satz 1 SGB V decken die von den Vertragspartnern in der Anlage 9.1 BMV-Ä für den Bereich der Dialyseversorgung vereinbarten Regelungen. Die Vertragspartner haben damit entsprechend dem gesetzlichen Auftrag spezielle Regelungen für eine ausreichende und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Dialyseleistungen getroffen. Diese stehen, wie in § 1 Satz 2 Anlage 9.1 BMV-Ä ausdrücklich aufgeführt, im Zusammenhang mit den Regelungen der Sonderbedarfsplanung gemäß der BedarfsplRL des GBA, der BlutreinigungsV, der Qualitätssicherungs-Richtlinie Dialyse des GBA und den Regelungen der KÄBV zur Fortbildungsverpflichtung der Vertragsärzte nach § 95d SGB V. Der GBA nimmt in der auf der Grundlage von § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 9 SGB V erlassenen BedarfsplRL auf die BlutreinigungsV und die Anlage 9.1 BMV-Ä Bezug. Nach § 37 Abs 4 BedarfsplRL ist die Anlage 9.1 BMV-Ä bei den Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulassung wegen eines Bedarfs - zur Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung oder wegen des Erfordernisses eines weiteren Arztes nach der BlutreinigungsV - in der Dialyseversorgung zu berücksichtigen. Die Zulassung ist im Fall gemeinsamer Berufsausübung auf die Dauer der gemeinsamen Berufsausübung beschränkt. Die BlutreinigungsV regelt die fachlichen, organisatorischen und apparativen Voraussetzungen für die Ausführung und Abrechnung von Dialysebehandlungen und verweist in § 2 Satz 2 für das Genehmigungsverfahren auf die Anlage 9.1 BMV-Ä. Auch die Qualitätssicherungs-Richtlinie Dialyse des GBA enthält in § 2 Abs 3 einen Hinweis auf die Anlage 9.1 BMV-Ä. Aus dem Zusammenhang und der jeweiligen Bezugnahme wird deutlich, dass die bedarfsplanerischen Elemente der Anlage 9.1 BMV-Ä, die auch die Bindung des Versorgungsauftrags an die Dialysepraxis umfassen, eng mit einer der KÄV obliegenden Qualifikations- und Fachkundeprüfung verzahnt sind. So ist Ausgangspunkt für die Beurteilung eines Bedarfs der in § 5 Abs 7 Buchst c Satz 5 BlutreinigungsV unter Qualitätssicherungsaspekten festgelegte "Arzt-Patienten-Schlüssel". Die Frage der wirtschaftlichen Versorgungsstruktur wird sodann anhand der für die konkrete Praxis maßgeblichen Versorgungsregion und anhand des tatsächlichen Auslastungsgrades der in der Versorgungsregion bestehenden Praxen beantwortet. Durch dieses spezielle Konstrukt für die Feststellung eines konkreten Versorgungsbedarfs für einen besonderen Leistungsbereich wird die Zuständigkeit des GBA für die generelle vertragsärztliche Bedarfsplanung nicht berührt. Die Belange der Verbände der Krankenkassen sind im Verfahren durch das Erfordernis des Einvernehmens gewahrt (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 34).
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Dieses in sich schlüssige Konzept beruht auf ineinandergreifenden Elementen der Qualitätssicherung, der Regulierung des Marktzugangs durch normative Planungsvorgaben an Hand eines Arzt-Patienten-Schlüssels, der Schaffung von Versorgungsregionen und der Sicherung der wirtschaftlichen Versorgung an den gewachsenen Standorten der zugelassenen oder ermächtigten Leistungserbringer auch durch Schutz vor zusätzlichen, nicht zur Bedarfsdeckung erforderlichen Leistungsanbietern. Aus diesem Konzept kann nicht - wie der Beigeladene zu 1. und die Beklagte meinen - ein Element, nämlich die Bindung eines Versorgungsauftrags an eine Praxis und deren Standort, herausgebrochen werden, ohne dass das Konzept insgesamt in Frage gestellt würde. Der Senat ist deshalb in seinen Entscheidungen zur Anlage 9.1 seit dem Jahr 2011 stets von deren Rechtmäßigkeit ausgegangen. Auch von den Beteiligten sind erstmals in den am heutigen Tag entschiedenen Verfahren Bedenken erhoben worden.
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Dass auch der Gesetzgeber von einer umfassenden und sachgerecht wahrgenommenen Kompetenz der Partner der Bundesmantelverträge ausgegangen ist, wird darin deutlich, dass er sich in Kenntnis der Regelungen in Anlage 9.1 BMV-Ä seit Jahrzehnten einer umfassenden gesetzlichen Regelung der Versorgung der Versicherten mit Dialyse enthalten hat. Er hat lediglich punktuelle Einzelregelungen - etwa in § 126 Abs 3 SGB V zur Vergütung nichtärztlicher Dialyseleistungen - getroffen. Auch die Existenz von ärztlich geleiteten Einrichtungen, die den Dialysemarkt stark prägen, und das spezielle Nebeneinander von ärztlichen und nichtärztlichen technischen und pflegerischen Leistungen, auf die der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 4.5.1994 (BSGE 74, 154 ff = SozR 3-2500 § 85 Nr 6) hingewiesen hat, haben dem Gesetzgeber keinen Anlass zu eigenständigen Regelungen gegeben. Daraus hat der Senat wegen der bestehenden Besonderheiten im Versorgungsbereich Dialyse abgeleitet, dass der auf § 31 Abs 2 Ärzte-ZV iVm § 9 der Anlage 9.1 BMV-Ä beruhende Status ermächtigter Einrichtungen demjenigen zugelassener Vertragsärzte entspricht (vgl SozR 4-1500 § 54 Nr 26 RdNr 24). Da der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, detaillierte Vorgaben für die Struktur der Dialyseversorgung zu machen oder eine entsprechende Ermächtigung an den GBA vorzusehen, ist derzeit davon auszugehen, dass die Sicherstellung der Versorgung vorrangig den Vertragspartnern auf Bundesebene überantwortet ist.
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bb. Die Regelungen der Anlage 9.1 BMV-Ä sind durch wichtige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die sich aus diesem Konzept der Regelungen zur Dialyseversorgung ergebenden örtlichen Beschränkungen für die Genehmigung weiterer Versorgungsaufträge in Versorgungsregionen, in denen (noch) keine hinreichende Auslastung der bestehenden Dialysepraxen gegeben ist, dienen der Sicherung der Versorgungsqualität sowie der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung der nephrologischen Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten. Sie tragen - gerade im mit außergewöhnlich hohen Kosten verbundenen Bereich der Dialysebehandlung - zur finanziellen Stabilität und Funktionsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung bei und dienen damit einem Gemeinwohlbelang von hoher Bedeutung (vgl BVerfGE 68, 193, 218 = SozR 5495 Art 5 Nr 1 S 3; BVerfGE 70, 1, 30 = SozR 2200 § 376d Nr 1 S 11 f; BVerfGE 82, 209, 230), der sogar Eingriffe, die Beschränkungen der Berufswahl nahekommen, rechtfertigen würde (vgl BVerfGE 82, 209, 229 ff; BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 4 RdNr 23-24 mwN; BSGE 82, 41, 44 ff = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 13 ff). Gefördert wird, insbesondere durch den Verbleib des Versorgungsauftrags in der Dialysepraxis, zudem die gemeinschaftliche Berufsausübung, die nicht nur als organisatorische Erleichterung, sondern vor allem aus Gründen der Versorgungsqualität erwünscht ist. Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der versicherten Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Leistungen ist dabei ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl BSGE 82, 55, 61 = SozR 3-2500 § 135 Nr 9 S 43; BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 8 S 22).
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Die Normgeber haben in nicht zu beanstandender Weise die Besonderheiten im Leistungsbereich der Dialyseversorgung berücksichtigt. Diese unterscheidet sich grundlegend von anderen Leistungsbereichen wie etwa der Radiologie oder der Labormedizin, die ebenfalls von den Leistungserbringern erhebliche Investitionen verlangen. Dabei kann offenbleiben, inwiefern die für den Betrieb einer Dialysepraxis entstehenden Kosten mit anderen Fachgebieten vergleichbar sind. Gerade bei der Versorgung von Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz, die eine Dialysebehandlung in der Regel lebenslang mehrmals die Woche und über mehrere Stunden benötigen, kommt der Kontinuität und Wohnortnähe der Versorgung jedenfalls ein besonderer Stellenwert zu, da die Behandlung tief in die persönliche Lebensführung eingreift (vgl zu den entstehenden Fahrkosten Anlage 2 der Krankentransport-Richtlinie des GBA). Um eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung von Dialysepatienten sicherzustellen, hat der Normgeber ein Konzept entwickelt, in dem zum einen mit der Bildung von Versorgungsregionen eine räumliche Komponente berücksichtigt wurde. Zum anderen wurde mit dem Abstellen auf einen bestimmten Auslastungsgrad der in der Versorgungsregion tätigen Praxen eine für die Leistungserbringer wirtschaftliche Praxisführung gewährleistet. Dieser Bestandsschutz der bereits tätigen Praxen dient der Verhinderung eines Wettbewerbs, der zu Unwirtschaftlichkeiten in der Versorgung insgesamt und durch Verdrängung von Leistungserbringern zu einer unerwünschten räumlichen Konzentration oder zu Versorgungslücken führen kann (vgl Köhler, Dialysevereinbarung: Gegen den industriellen Verdrängungswettbewerb, DÄ 2002, A-828). Die wirtschaftliche Sicherung bestehender Praxen liegt auch im Interesse des Patientenwohls, weil hierdurch verhindert werden soll, dass die Versorgung der Patienten mit Dialyseleistungen durch die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz bestehender Praxen in Frage gestellt wird (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 26 RdNr 26). Dass gerade in kostenintensiven Leistungsbereichen die Gefahr einer Konzentration weniger Praxen an insgesamt attraktiven Standorten besteht, zeigt nicht zuletzt die Entwicklung der Versorgung mit radiologischen Leistungen.
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cc. Der Eingriff ist auch insgesamt verhältnismäßig. Die angegriffenen Regelungen der Anlage 9.1 BMV-Ä sind geeignet und erforderlich zur Erreichung des genannten Gemeinwohlbelangs. Eingriffszweck und Eingriffsintensität stehen bezogen auf die maßgeblichen Gemeinwohlziele in einem angemessenen Verhältnis. Im Rahmen der Abwägung der Schwere des Eingriffs gegenüber den der Regelung zugrunde liegenden Gemeinwohlinteressen durfte der Normsetzer diesen Belangen den Vorrang einräumen. Wie bereits dargelegt, hätte sich ohne den Verbleib des Versorgungsauftrags in der Dialysepraxis die Zahl der Leistungserbringer in der Dialyseversorgung ohne Begrenzung erhöhen können. Das würde die Intentionen des Normgebers, zum einen mit der Sicherung der Erwerbsmöglichkeiten in einem bestimmten Umfang einen Anreiz zu setzen, in der nephrologischen Versorgung niereninsuffizienter Patienten tätig zu werden, und zum anderen eine wirtschaftliche Versorgung mit Dialyseleistungen insgesamt durch eine Begrenzung der Zahl der Leistungserbringer zu bewirken, zuwiderlaufen. Die Einschränkungen der Berufsfreiheit des einzelnen Arztes stehen nicht außer Verhältnis zu den gewichtigen Gemeinwohlbelangen. Zum einen kann ein Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie bzw ein Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie (vgl
Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer vom 23.10.2015 Ziffer 13.7 S 84) nephrologische Leistungen auch außerhalb der Dialyse erbringen. Zum anderen stehen dem aus einer Dialysepraxis ausscheidenden Arzt auch weiterhin Betätigungsmöglichkeiten in diesem Bereich offen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Dialyseleistungen in aller Regel in ärztlichen Kooperationen erbracht werden. Ein Arzt, der aus einer BAG ausscheidet, kann zwar seinen Versorgungsauftrag nicht mitnehmen, er kann aber den in einer anderen BAG, einem MVZ oder bei einer der in diesem Versorgungssegment stark vertretenen ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtungen (vgl dazu BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 30) frei gewordenen Versorgungsauftrag übernehmen. Gerade in einem Markt, der - zT historisch bedingt - stark von Leistungserbringern wie dem Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation mit einer Vielzahl angestellter Ärzte oder in Kooperation tätiger selbstständiger Ärzte geprägt wird, sind die beruflichen Möglichkeiten einer fachlich hoch spezialisierten Gruppe wie der Nephrologen auch ohne die Bindung des Versorgungsauftrags an eine Person vielfältig. Schließlich kann eine Einzelpraxis, die Dialysen anbietet, unter den Voraussetzungen des § 5 Abs 7 Buchst c BlutreinigungsV ohne Bedarfsprüfung um einen weiteren Arzt verstärkt werden(vgl BSG SozR 4-2500 § 101 Nr 11 RdNr 32 f). In Fällen einer Praxisnachfolge ist die Übertragung der Genehmigung eines Versorgungsauftrags in § 4 Abs 2 Anlage 9.1 BMV-Ä vorgesehen. Nur für den Fall der Gründung einer neuen Dialysepraxis besteht die Notwendigkeit, die Genehmigung der Übernahme eines Versorgungsauftrags unter den in der Anlage 9.1 BMV-Ä genannten Voraussetzungen zu beantragen. Die damit verbundene räumliche Einschränkung der Berufstätigkeit ist angesichts der überragenden Bedeutung der mit dem Regelungskonzept der Anlage 9.1 BMV-Ä verfolgten Gemeinwohlbelange hinzunehmen.
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II. Im Interesse der unverzichtbaren Kontinuität der Versorgung der Versicherten modifiziert der Senat die Aufhebung der angefochtenen Genehmigung in der Weise, dass diese erst mit Ablauf des 31.12.2017 wirksam wird. Ähnlich wie in dem am 28.10.2015 (SozR 4-5540 § 6 Nr 2, RdNr 47) entschiedenen Fall kann der Senat nicht darüber hinwegsehen, dass am Standort des Beigeladenen zu 1. seit Jahren Patienten mit Dialyseleistungen versorgt werden. Dieses Versorgungsangebot kann nicht an dem Tag der rechtskräftigen Feststellung der Rechtswidrigkeit der ihm zugrunde liegenden Genehmigungen beendet werden. Der Senat sieht - wie im vorgenannten Verfahren - anderenfalls die Gefahr, dass die gerade im Bereich der Dialyse besonders bedeutsame kontinuierliche Versorgung der Versicherten gefährdet würde, wenn dieses Versorgungsangebot übergangslos entfiele. Gleichzeitig werden die Folgen der Entscheidung für den Beigeladenen zu 1. abgefedert.
- 66
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Die Aufhebung der Genehmigung erst mit Ablauf des 31.12.2017 betrifft auch die Nebenbetriebsstätte in N. ; auch wenn für diese keine formelle Genehmigung der Beklagten vorliegt, die die Klägerin anfechten könnte, wird dieser Standort im Einvernehmen mit der insoweit zuständigen Behörde, der Beklagten, betrieben. Aus der Perspektive des Schutzes einer seit Jahren bestehenden Versorgungsstruktur macht es keinen Unterschied, ob eine Nebenbetriebsstätte förmlich genehmigt ist oder die für eine - hypothetisch erforderliche Genehmigung zuständige - Behörde mitteilt, eine Genehmigung sei nicht erforderlich. Ebenso wie die Klägerin dagegen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorgehen kann, können sich die Begünstigten zunächst auf die Auffassung der KÄV verlassen.
- 67
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach haben die Beklagte und der Beigeladene zu 1. die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen als Gesamtschuldner zu tragen (§ 154 Abs 1, § 159 Satz 2 VwGO). Eine Erstattung der Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 7. ist nicht veranlasst; sie haben im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt (§ 162 Abs 3 VwGO; vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
(1) Die Satzung muss insbesondere Bestimmungen enthalten über
- 1.
Namen, Bezirk und Sitz der Vereinigung, - 2.
Zusammensetzung, Wahl und Zahl der Mitglieder der Organe, - 3.
Öffentlichkeit und Art der Beschlussfassung der Vertreterversammlung, - 4.
Rechte und Pflichten der Organe und der Mitglieder, - 5.
Aufbringung und Verwaltung der Mittel, - 6.
jährliche Prüfung der Betriebs- und Rechnungsprüfung und Abnahme der Jahresrechnung, - 7.
Änderung der Satzung, - 8.
Entschädigungsregelungen für Organmitglieder einschließlich der Regelungen zur Art und Höhe der Entschädigungen, - 9.
Art der Bekanntmachungen, - 10.
die vertragsärztlichen Pflichten zur Ausfüllung des Sicherstellungsauftrags.
(2) Sollen Verwaltungs- und Abrechnungsstellen errichtet werden, müssen die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen Bestimmungen über Errichtung und Aufgaben dieser Stellen enthalten.
(3) Die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen müssen Bestimmungen enthalten, nach denen
- 1.
die von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen abzuschließenden Verträge und die dazu gefaßten Beschlüsse sowie die Bestimmungen über die überbezirkliche Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung und den Zahlungsausgleich zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen für die Kassenärztlichen Vereinigungen und ihre Mitglieder verbindlich sind, - 2.
die Richtlinien nach § 75 Abs. 7, § 92, § 136 Absatz 1 und § 136a Absatz 4 für die Kassenärztlichen Vereinigungen und ihre Mitglieder verbindlich sind.
(4) Die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen müssen Bestimmungen enthalten für die Fortbildung der Ärzte auf dem Gebiet der vertragsärztlichen Tätigkeit, das Nähere über die Art und Weise der Fortbildung sowie die Teilnahmepflicht.
(5) Die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen müssen ferner die Voraussetzungen und das Verfahren zur Verhängung von Maßnahmen gegen Mitglieder bestimmen, die ihre vertragsärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen. Maßnahmen nach Satz 1 sind je nach der Schwere der Verfehlung Verwarnung, Verweis, Geldbuße oder die Anordnung des Ruhens der Zulassung oder der vertragsärztlichen Beteiligung bis zu zwei Jahren. Das Höchstmaß der Geldbußen kann bis zu fünfzigtausend Euro betragen. Ein Vorverfahren (§ 78 des Sozialgerichtsgesetzes) findet nicht statt.
(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.
(2) Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen.
(3) Die im Anhang dieses Gesetzes aufgeführten geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern sind stets unzulässig.
(4) Bei der Beurteilung von geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern ist auf den durchschnittlichen Verbraucher oder, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Geschäftliche Handlungen, die für den Unternehmer vorhersehbar das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die auf Grund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese geschäftlichen Handlungen oder die diesen zugrunde liegenden Waren oder Dienstleistungen besonders schutzbedürftig sind, sind aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen.
(1) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden.
(2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Sind mehrere Gerichte zuständig, wird an das vom Kläger oder Antragsteller auszuwählende Gericht verwiesen oder, wenn die Wahl unterbleibt, an das vom Gericht bestimmte. Der Beschluß ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges bindend.
(3) Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt.
(4) Der Beschluß nach den Absätzen 2 und 3 kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Er ist zu begründen. Gegen den Beschluß ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben. Den Beteiligten steht die Beschwerde gegen einen Beschluß des oberen Landesgerichts an den obersten Gerichtshof des Bundes nur zu, wenn sie in dem Beschluß zugelassen worden ist. Die Beschwerde ist zuzulassen, wenn die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn das Gericht von der Entscheidung eines obersten Gerichtshofes des Bundes oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht. Der oberste Gerichtshof des Bundes ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden.
(5) Das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, prüft nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für die in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper in ihrem Verhältnis zueinander entsprechend.
(1) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten
- 1.
in Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte, - 2.
in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch), auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden; dies gilt nicht für Streitigkeiten in Angelegenheiten nach § 110 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch aufgrund einer Kündigung von Versorgungsverträgen, die für Hochschulkliniken oder Plankrankenhäuser (§ 108 Nr. 1 und 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) gelten, - 3.
in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der Überwachung der Maßnahmen zur Prävention durch die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, - 4.
in Angelegenheiten der Arbeitsförderung einschließlich der übrigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit, - 4a.
in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende, - 5.
in sonstigen Angelegenheiten der Sozialversicherung, - 6.
in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der §§ 25 bis 27j des Bundesversorgungsgesetzes (Kriegsopferfürsorge), auch soweit andere Gesetze die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften vorsehen, - 6a.
in Angelegenheiten der Sozialhilfe einschließlich der Angelegenheiten nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und des Asylbewerberleistungsgesetzes, - 7.
bei der Feststellung von Behinderungen und ihrem Grad sowie weiterer gesundheitlicher Merkmale, ferner der Ausstellung, Verlängerung, Berichtigung und Einziehung von Ausweisen nach § 152 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, - 8.
die aufgrund des Aufwendungsausgleichsgesetzes entstehen, - 9.
(weggefallen) - 10.
für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet wird.
(2) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Zulassung von Trägern und Maßnahmen durch fachkundige Stellen nach dem Fünften Kapitel des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Satz 1 gilt für die soziale Pflegeversicherung und die private Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch) entsprechend.
(3) Von der Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach den Absätzen 1 und 2 ausgenommen sind Streitigkeiten in Verfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die Rechtsbeziehungen nach § 69 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen.
(1) Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden abschließend in diesem Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.
(2) Die §§ 1 bis 3 Absatz 1, die §§ 19 bis 21, 32 bis 34a, 48 bis 81 Absatz 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 6 bis 11, Absatz 3 Nummer 1 und 2 sowie die §§ 81a bis 95 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten für die in Absatz 1 genannten Rechtsbeziehungen entsprechend. Satz 1 gilt nicht für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind. Satz 1 gilt auch nicht für Beschlüsse, Empfehlungen, Richtlinien oder sonstige Entscheidungen der Krankenkassen oder deren Verbände, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, sowie für Beschlüsse, Richtlinien und sonstige Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist.
(3) Auf öffentliche Aufträge nach diesem Buch sind die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden.
(4) Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 und 140a über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Absatz 1 und § 130 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie von § 14 Absatz 1 bis 3 der Vergabeverordnung andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 der Vergabeverordnung darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Absatz 4 und 6 der Vergabeverordnung vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 der Vergabeverordnung, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder.
(1) Die Krankenkassen und ihre Verbände können im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung zur Verbesserung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Versorgung Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Verfahrens-, Organisations-, Finanzierungs- und Vergütungsformen der Leistungserbringung durchführen oder nach § 64 vereinbaren.
(2) Die Krankenkassen können Modellvorhaben zu Leistungen zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten, zur Krankenbehandlung sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft, die nach den Vorschriften dieses Buches oder auf Grund hiernach getroffener Regelungen keine Leistungen der Krankenversicherung sind, durchführen oder nach § 64 vereinbaren.
(3) Bei der Vereinbarung und Durchführung von Modellvorhaben nach Absatz 1 kann von den Vorschriften des Vierten und des Zehnten Kapitels dieses Buches, soweit es für die Modellvorhaben erforderlich ist, und des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, des Krankenhausentgeltgesetzes sowie den nach diesen Vorschriften getroffenen Regelungen abgewichen werden; der Grundsatz der Beitragssatzstabilität gilt entsprechend. Gegen diesen Grundsatz wird insbesondere für den Fall nicht verstoßen, daß durch ein Modellvorhaben entstehende Mehraufwendungen durch nachzuweisende Einsparungen auf Grund der in dem Modellvorhaben vorgesehenen Maßnahmen ausgeglichen werden. Einsparungen nach Satz 2 können, soweit sie die Mehraufwendungen überschreiten, auch an die an einem Modellvorhaben teilnehmenden Versicherten weitergeleitet werden. Satz 1 gilt mit der Maßgabe, dass von § 284 Abs. 1 Satz 4 nicht abgewichen werden darf.
(3a) Gegenstand von Modellvorhaben nach Absatz 1, in denen von den Vorschriften des Zehnten Kapitels dieses Buches abgewichen wird, können insbesondere informationstechnische und organisatorische Verbesserungen der Datenverarbeitung, einschließlich der Erweiterungen der Befugnisse zur Verarbeitung von personenbezogenen Daten sein. Von den Vorschriften des Zehnten Kapitels dieses Buches zur Verarbeitung personenbezogener Daten darf nur mit schriftlicher oder elektronischer Einwilligung des Versicherten und nur in dem Umfang abgewichen werden, der erforderlich ist, um die Ziele des Modellvorhabens zu erreichen. Der Versicherte ist vor Erteilung der Einwilligung schriftlich oder elektronisch darüber zu unterrichten, inwieweit das Modellvorhaben von den Vorschriften des Zehnten Kapitels dieses Buches abweicht und aus welchen Gründen diese Abweichungen erforderlich sind. Die Einwilligung des Versicherten hat sich auf Zweck, Inhalt, Art, Umfang und Dauer der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten sowie die daran Beteiligten zu erstrecken.
(3b) Modellvorhaben nach Absatz 1 können vorsehen, dass Angehörige der im Pflegeberufegesetz, im Krankenpflegegesetz und im Altenpflegegesetz geregelten Berufe
- 1.
die Verordnung von Verbandsmitteln und Pflegehilfsmitteln sowie - 2.
die inhaltliche Ausgestaltung der häuslichen Krankenpflege einschließlich deren Dauer
(3c) Modellvorhaben nach Absatz 1 können eine Übertragung der ärztlichen Tätigkeiten, bei denen es sich um selbstständige Ausübung von Heilkunde handelt und für die die Angehörigen des im Pflegeberufegesetz geregelten Berufs auf Grundlage einer Ausbildung nach § 14 des Pflegeberufegesetzes qualifiziert sind, auf diese vorsehen. Die Krankenkassen und ihre Verbände sollen entsprechende Vorhaben spätestens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2020 vereinbaren oder durchführen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in Richtlinien fest, bei welchen Tätigkeiten eine Übertragung von Heilkunde auf die Angehörigen des in Satz 1 genannten Berufs im Rahmen von Modellvorhaben erfolgen kann. Vor der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses ist der Bundesärztekammer sowie den maßgeblichen Verbänden der Pflegeberufe Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Stellungnahmen sind in die Entscheidungen einzubeziehen. Durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nach den Sätzen 2 bis 4 festgelegte Richtlinien gelten für die Angehörigen des in Satz 1 geregelten Berufs fort.
(3d) Die Anwendung von Heilmitteln, die nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 zur Behandlung krankheitsbedingter Schädigungen nur verordnungsfähig sind, wenn die Schädigungen auf Grund bestimmter Grunderkrankungen eintreten, kann auch bei anderen ursächlichen Grunderkrankungen Gegenstand von Modellvorhaben nach Absatz 2 sein.
(4) Gegenstand von Modellvorhaben nach Absatz 2 können nur solche Leistungen sein, über deren Eignung als Leistung der Krankenversicherung der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 91 im Rahmen der Beschlüsse nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 oder im Rahmen der Beschlüsse nach § 137c Abs. 1 keine ablehnende Entscheidung getroffen hat. Fragen der biomedizinischen Forschung sowie Forschungen zur Entwicklung und Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten können nicht Gegenstand von Modellvorhaben sein.
(5) Die Modellvorhaben sind im Regelfall auf längstens acht Jahre zu befristen. Verträge nach § 64 Abs. 1 sind den für die Vertragsparteien zuständigen Aufsichtsbehörden vorzulegen. Modellvorhaben nach Absatz 1, in denen von den Vorschriften des Zehnten Kapitels dieses Buches abgewichen werden kann, sind auf längstens fünf Jahre zu befristen. Über Modellvorhaben nach Absatz 1, in denen von den Vorschriften des Zehnten Kapitels dieses Buches abgewichen wird, sind der Bundesbeauftragte für den Datenschutz oder die Landesbeauftragten für den Datenschutz, soweit diese zuständig sind, rechtzeitig vor Beginn des Modellvorhabens zu unterrichten.
(6) Modellvorhaben nach den Absätzen 1 und 2 können auch von den Kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung mit den Krankenkassen oder ihren Verbänden vereinbart werden. Die Vorschriften dieses Abschnitts gelten entsprechend.
(1) Die Krankenkassen und ihre Verbände können mit den in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Leistungserbringern oder Gruppen von Leistungserbringern Vereinbarungen über die Durchführung von Modellvorhaben nach § 63 Abs. 1 oder 2 schließen. Soweit die ärztliche Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung betroffen ist, können sie nur mit einzelnen Vertragsärzten, mit Gemeinschaften dieser Leistungserbringer oder mit Kassenärztlichen Vereinigungen Verträge über die Durchführung von Modellvorhaben nach § 63 Abs. 1 oder 2 schließen.
(2) (weggefallen)
(3) Werden in einem Modellvorhaben nach § 63 Abs. 1 oder § 64a Leistungen außerhalb der für diese Leistungen geltenden Vergütungen nach § 85 oder § 87a, der Ausgabenvolumen nach § 84 oder der Krankenhausbudgets vergütet, sind die Vergütungen oder der Behandlungsbedarf nach § 87a Absatz 3 Satz 2, die Ausgabenvolumen oder die Budgets, in denen die Ausgaben für diese Leistungen enthalten sind, entsprechend der Zahl und der Morbiditäts- oder Risikostruktur der am Modellversuch teilnehmenden Versicherten sowie dem in den Verträgen nach Absatz 1 jeweils vereinbarten Inhalt des Modellvorhabens zu bereinigen; die Budgets der teilnehmenden Krankenhäuser sind dem geringeren Leistungsumfang anzupassen. Kommt eine Einigung der zuständigen Vertragsparteien über die Bereinigung der Vergütungen, Ausgabenvolumen oder Budgets nach Satz 1 nicht zustande, können auch die Krankenkassen oder ihre Verbände, die Vertragspartner der Vereinbarung nach Absatz 1 sind, das Schiedsamt nach § 89 oder die Schiedsstelle nach § 18a Abs. 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes anrufen. Vereinbaren alle gemäß § 18 Abs. 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes an der Pflegesatzvereinbarung beteiligten Krankenkassen gemeinsam ein Modellvorhaben, das die gesamten nach der Bundespflegesatzverordnung oder dem Krankenhausentgeltgesetz vergüteten Leistungen eines Krankenhauses für Versicherte erfaßt, sind die vereinbarten Entgelte für alle Benutzer des Krankenhauses einheitlich zu berechnen. Bei der Ausgliederung nach Satz 1 sind nicht auf die einzelne Leistung bezogene, insbesondere periodenfremde, Finanzierungsverpflichtungen in Höhe der ausgegliederten Belegungsanteile dem Modellvorhaben zuzuordnen. Für die Bereinigung des Behandlungsbedarfs nach § 87a Absatz 3 Satz 2 gilt § 73b Absatz 7 entsprechend; falls eine Vorabeinschreibung der teilnehmenden Versicherten nicht möglich ist, kann eine rückwirkende Bereinigung vereinbart werden. Die Krankenkasse kann bei Verträgen nach Satz 1 auf die Bereinigung verzichten, wenn das voraussichtliche Bereinigungsvolumen einer Krankenkasse für ein Modellvorhaben geringer ist als der Aufwand für die Durchführung dieser Bereinigung. Der Bewertungsausschuss hat in seinen Vorgaben gemäß § 87a Absatz 5 Satz 7 zur Bereinigung und zur Ermittlung der kassenspezifischen Aufsatzwerte des Behandlungsbedarfs auch Vorgaben zur Höhe des Schwellenwertes für das voraussichtliche Bereinigungsvolumen, unterhalb dessen von einer basiswirksamen Bereinigung abgesehen werden kann, zu der pauschalen Ermittlung und Übermittlung des voraussichtlichen Bereinigungsvolumens an die Vertragspartner nach § 73b Absatz 7 Satz 1 sowie zu dessen Anrechnung beim Aufsatzwert der betroffenen Krankenkasse zu machen.
(4) Die Vertragspartner nach Absatz 1 Satz 1 können Modellvorhaben zur Vermeidung einer unkoordinierten Mehrfachinanspruchnahme von Vertragsärzten durch die Versicherten durchführen. Sie können vorsehen, daß der Vertragsarzt, der vom Versicherten weder als erster Arzt in einem Behandlungsquartal noch mit Überweisung noch zur Einholung einer Zweitmeinung in Anspruch genommen wird, von diesem Versicherten verlangen kann, daß die bei ihm in Anspruch genommenen Leistungen im Wege der Kostenerstattung abgerechnet werden.
(1) Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden abschließend in diesem Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.
(2) Die §§ 1 bis 3 Absatz 1, die §§ 19 bis 21, 32 bis 34a, 48 bis 81 Absatz 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 6 bis 11, Absatz 3 Nummer 1 und 2 sowie die §§ 81a bis 95 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten für die in Absatz 1 genannten Rechtsbeziehungen entsprechend. Satz 1 gilt nicht für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind. Satz 1 gilt auch nicht für Beschlüsse, Empfehlungen, Richtlinien oder sonstige Entscheidungen der Krankenkassen oder deren Verbände, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, sowie für Beschlüsse, Richtlinien und sonstige Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist.
(3) Auf öffentliche Aufträge nach diesem Buch sind die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden.
(4) Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 und 140a über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Absatz 1 und § 130 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie von § 14 Absatz 1 bis 3 der Vergabeverordnung andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 der Vergabeverordnung darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Absatz 4 und 6 der Vergabeverordnung vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 der Vergabeverordnung, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder.
(1) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten
- 1.
in Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte, - 2.
in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch), auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden; dies gilt nicht für Streitigkeiten in Angelegenheiten nach § 110 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch aufgrund einer Kündigung von Versorgungsverträgen, die für Hochschulkliniken oder Plankrankenhäuser (§ 108 Nr. 1 und 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) gelten, - 3.
in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der Überwachung der Maßnahmen zur Prävention durch die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, - 4.
in Angelegenheiten der Arbeitsförderung einschließlich der übrigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit, - 4a.
in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende, - 5.
in sonstigen Angelegenheiten der Sozialversicherung, - 6.
in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der §§ 25 bis 27j des Bundesversorgungsgesetzes (Kriegsopferfürsorge), auch soweit andere Gesetze die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften vorsehen, - 6a.
in Angelegenheiten der Sozialhilfe einschließlich der Angelegenheiten nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und des Asylbewerberleistungsgesetzes, - 7.
bei der Feststellung von Behinderungen und ihrem Grad sowie weiterer gesundheitlicher Merkmale, ferner der Ausstellung, Verlängerung, Berichtigung und Einziehung von Ausweisen nach § 152 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, - 8.
die aufgrund des Aufwendungsausgleichsgesetzes entstehen, - 9.
(weggefallen) - 10.
für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet wird.
(2) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Zulassung von Trägern und Maßnahmen durch fachkundige Stellen nach dem Fünften Kapitel des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Satz 1 gilt für die soziale Pflegeversicherung und die private Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch) entsprechend.
(3) Von der Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach den Absätzen 1 und 2 ausgenommen sind Streitigkeiten in Verfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die Rechtsbeziehungen nach § 69 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen.
(1) Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden abschließend in diesem Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.
(2) Die §§ 1 bis 3 Absatz 1, die §§ 19 bis 21, 32 bis 34a, 48 bis 81 Absatz 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 6 bis 11, Absatz 3 Nummer 1 und 2 sowie die §§ 81a bis 95 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten für die in Absatz 1 genannten Rechtsbeziehungen entsprechend. Satz 1 gilt nicht für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind. Satz 1 gilt auch nicht für Beschlüsse, Empfehlungen, Richtlinien oder sonstige Entscheidungen der Krankenkassen oder deren Verbände, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, sowie für Beschlüsse, Richtlinien und sonstige Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist.
(3) Auf öffentliche Aufträge nach diesem Buch sind die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden.
(4) Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 und 140a über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Absatz 1 und § 130 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie von § 14 Absatz 1 bis 3 der Vergabeverordnung andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 der Vergabeverordnung darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Absatz 4 und 6 der Vergabeverordnung vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 der Vergabeverordnung, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder.
Tenor
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Auf die Revision der Klägerin zu 1. werden die Urteile des Landessozialgerichts für das Saarland vom 24. Mai 2016 und des Sozialgerichts für das Saarland vom 12. Dezember 2012 sowie der Bescheid der Beklagten vom 31. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2012 (Beschluss des Widerspruchsausschusses vom 30. Januar 2012) mit der Maßgabe aufgehoben, dass die Wirkungen der Aufhebung erst mit Ablauf des 31. Dezember 2017 eintreten. Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zu 1. zurückgewiesen.
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Die Beklagte und der Beigeladene zu 1. tragen die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 7.
Tatbestand
- 1
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Die zu 1. klagende Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) wendet sich mit einer Konkurrentenklage gegen einen der Praxis des Beigeladenen zu 1. erteilten nephrologischen Versorgungsauftrag. Der Kläger zu 2. hat seine Revision im Termin zur mündlichen Verhandlung nach einem Hinweis des Senats zurückgenommen.
- 2
-
Die Dres. G., D. und H. sind in einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) - der Klägerin zu 1. - tätig und als Fachärzte für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie zur vertragsärztlichen Versorgung in N. zugelassen. Die Dres. G., D. und H. verfügen über drei Versorgungsaufträge nach der Anlage 9.1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä; bis zum 31.12.2012 BMV-Ä/Ersatzkassenvertrag-Ärzte). Auch dem Kläger zu 2., der bei der Klägerin angestellt ist, ist von der Beklagten am 27.6.2011 ein solcher Versorgungsauftrag erteilt worden, der allerdings mit Bescheid vom 30.1.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.4.2012 wieder aufgehoben wurde; Rechtsmittel der Kläger hiergegen sind im Ergebnis erfolglos geblieben (vgl hierzu Beschluss des Senats vom 30.11.2016 - B 6 KA 35/16 B - Juris).
- 3
-
Der Beigeladene zu 1. ist ebenfalls als fachärztlicher Internist mit dem Schwerpunkt Nephrologie tätig. Ihm wurde mit Bescheid der Beklagten vom 23.10.2003 ein nephrologischer Versorgungsauftrag erteilt "in eigener Dialysepraxis - und in gemeinschaftlicher Berufsausübung mit Dr. B. gemäß § 8 (Übergangsregelung für die Genehmigung von Versorgungsaufträgen bei Vertragsärzten) der Anlage 9.1 BMV-Ä für den Praxissitz W. ring, 66 H." bei im Einzelnen aufgeführten Patientengruppen sowie gemäß Abs 3 erster Abschnitt (Anforderung an die Genehmigung für eine ausgelagerte Praxisstätte in der Versorgungsregion) der Anlage 9.1.5 BMV-Ä ab dem Inkrafttreten dieser Vereinbarung zum 9.5.2003 für die ausgelagerte Praxisstätte LC-Einheit N., H. straße, 66 N. und gemäß Abs 3 zweiter Abschnitt für die Dauer von zehn Jahren für die ausgelagerte Praxisstätte LC-Einheit S., E. straße, 66 S. Der Bescheid enthielt folgenden Zusatz: "Diese Genehmigung ist an den derzeitigen Praxissitz und die beiden v. g. Praxisstätten gebunden. Bei Ausscheiden aus der Dialysepraxis erlischt diese Genehmigung zur Durchführung besonderer Versorgungsaufträge mit dem Datum der Beendigung der Niederlassung am Praxisort."
- 4
-
Im April 2011 teilte der Beigeladene zu 1. der Beklagten mit, dass er die BAG mit Dr. B. zum 30.9.2011 beenden werde, und beantragte die Verlegung seines Vertragsarztsitzes in die S. Straße, 66 I. zum 1.10.2011. Weiter stellte er den Antrag auf Genehmigung der Übernahme eines nephrologischen Versorgungsauftrags nach der Anlage 9.1 BMV-Ä für den neuen Praxissitz in I. Dr. B. verzichtete auf seine Zulassung zugunsten des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) S. und erbringt am bisherigen Standort der BAG als angestellter Arzt Dialyseleistungen.
- 5
-
Daraufhin teilte die Beklagte den Beigeladenen zu 2. bis 7. mit Schreiben vom 26.4.2011 zur Herstellung des Einvernehmens mit, dass die projektierte Dialysepraxis des Beigeladenen zu 1. voraussichtlich hinreichend ausgelastet sein werde und auch die weiteren in der Versorgungsregion liegenden Dialysepraxen zu mehr als 90 % ausgelastet seien. Es werde um kurzfristige Mitteilung gebeten, ob die Zustimmung zur Erteilung des Versorgungsauftrags erteilt werde. Sollte bis zum 25.5.2011 keine gegenteilige Nachricht eingehen, werde vom Bestehen des Einverständnisses ausgegangen.
- 6
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Mit Bescheid vom 31.5.2011 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen zu 1. die Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags nach der Anlage 9.1 BMV-Ä für die Behandlung von maximal 30 mit Blutreinigungsverfahren zu behandelnden Patienten am Praxissitz S. Straße, 66 I.
- 7
-
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 22.8.2011 Widerspruch ein. Die Beklagte ordnete daraufhin mit weiterem Bescheid vom 29.8.2011 die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 31.5.2011 an. Die dagegen eingelegten Rechtsbehelfe der Klägerin blieben ohne Erfolg.
- 8
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Mit Beschluss vom 30.1.2012 (Bescheid vom 27.2.2012) wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Widerspruch richte sich gegen den Bescheid vom 23.10.2003, dessen Rechtswirkungen auch nach Auflösung der Gemeinschaftspraxis nicht erloschen seien. Damit sei der Widerspruch verfristet. Die Beklagte habe dem Beigeladenen zu 1. den Versorgungsauftrag im Jahre 2003 persönlich erteilt. Dessen Fortführung in derselben Versorgungsregion sei ohne eine weitere Auslastungsprüfung umliegender Dialysepraxen möglich.
- 9
-
Das SG hat die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 12.12.2012 abgewiesen. Die Kläger könnten nicht geltend machen, das Einvernehmen mit den Beigeladenen zu 2. bis 7. nach § 4 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä sei nicht wirksam hergestellt worden. Auch könnten sie sich zur Frage einer ausreichenden Auslastung der Dialysepraxis nur auf ihre eigene Auslastungssituation, nicht auf die anderer Dialysepraxen berufen. Eine Auslastungsprüfung habe zwar zu erfolgen. Aus den einschlägigen Normen folge erkennbar eine Ortsbezogenheit der Versorgungsaufträge auf einen bestimmten Praxissitz. Verlege der Beigeladene zu 1. seinen Praxissitz an einen anderen Ort, so löse dies erneut die Prüfung der Erteilung eines Versorgungsauftrags aus. Zu dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung habe aber ausgehend von drei vollziehbaren Versorgungsaufträgen für die Behandlung von bis zu 150 Dialysepatienten eine hinreichende Auslastung der Dialysepraxis der Kläger bestanden. Nach den von der Beklagten übermittelten Daten seien in den Quartalen I/2011 bis IV/2011 139, 142, 143 und 140 Patienten kontinuierlich behandelt worden, sodass eine hinreichende Auslastung von mindestens 90 % bestanden habe. Das gelte selbst unter Zugrundelegung der von den Klägern abweichend vorgetragenen Auslastungen im Jahre 2011 von 135,37 Patienten.
- 10
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Soweit die Kläger am 1.3.2011 einen Antrag für einen nephrologischen Versorgungsauftrag für einen vierten Arzt gestellt hätten, könne dies nicht berücksichtigt werden. Zu diesem Zeitpunkt habe es in der Dialysepraxis der Kläger, die weniger als 150 Dialysepatienten im Sinne der Qualitätssicherungsvereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren (Blutreinigungsvereinbarung = BlutreinigungsV) behandelt hätten, eines vierten Arztes noch nicht bedurft. Auch könnten sich die Kläger nicht auf den für den Kläger zu 2. erst später, am 27.6.2011, und damit zeitlich nach dem 31.5.2011 erteilten nephrologischen Versorgungsauftrag berufen, zumal dieser auch von mehreren konkurrierenden Dialysepraxen, nicht nur vom Beigeladenen zu 1., angefochten worden und damit nicht vollziehbar sei.
- 11
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Auch die Voraussetzungen des § 6 Abs 2 Buchst b Anlage 9.1 BMV-Ä lägen nicht vor. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Abfrage der Bereitschaft, sich für den Fall des Erfordernisses der Tätigkeit eines zusätzlichen Arztes in der Dialysepraxis mit einem solchen zusammenzuschließen, lasse sich der Vorschrift nicht entnehmen. Eine Weiterentwicklungsgarantie allein für vorhandene Dialysepraxen mit einem Ausschluss hinzukommender Vertragsärzte sei mit der verfassungsrechtlich garantierten Berufsfreiheit nicht in Einklang zu bringen. Im Übrigen wäre überhaupt nicht ersichtlich, bei welchen von zB mehreren bereits hinreichend ausgelasteten und vorhandenen Dialysepraxen denn anzufragen wäre.
- 12
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Das LSG hat mit Urteil vom 24.5.2016 die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Ein Vorrang der den Klägern erteilten Versorgungsaufträge im Verhältnis zu dem Versorgungsauftrag des Beigeladenen zu 1. sei in jedem Fall zu verneinen. Der Beigeladene zu 1. habe keine Erstzulassung für das Blutreinigungsverfahren im Einzugsbereich der Beklagten beantragt, sondern lediglich die "Mitnahme" seiner bereits im Jahr 2003 erteilten Berechtigung in eine neue Praxis. Das Auseinanderbrechen einer Gemeinschaftspraxis bzw BAG dürfe - jedenfalls für Fallgestaltungen der vorliegenden Art, in denen die Genehmigung vor der am 1.7.2005 in Kraft getretenen Neufassung der Anlage 9.1 BMV-Ä erteilt worden sei - nicht dazu führen, dass der aus der Gemeinschaftspraxis bzw BAG ausscheidende Arzt seine bisherige Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags für Blutreinigungsverfahren verliere. Die Vorschriften der Anlage 9.1 BMV-Ä beträfen lediglich die Neuzulassung weiterer Praxen, die bisher noch keine Genehmigung haben, nicht aber den Fall, dass ein Vertragsarzt mit der Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags zur Durchführung und Abrechnung von Blutreinigungsverfahren seine Praxis im Planungsbereich verlegen wolle. Zu berücksichtigen sei, dass einem Arzt, dem bereits vor dem Jahr 2005 die Genehmigung zur Durchführung von Dialysebehandlungen in einem bestimmten Umfang erteilt worden sei, erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohten, wenn ihm der erteilte Versorgungsauftrag zur Gänze entzogen werde; die Möglichkeit, weiter als Nephrologe ohne Dialyseberechtigung tätig sein zu können, stelle hierbei im Lichte des Grundrechts der Berufsfreiheit keine ausreichende Kompensation dar.
- 13
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§ 4 Abs 1b Anlage 9.1 BMV-Ä in der seit dem 1.7.2009 geltenden Fassung, wonach der Versorgungsauftrag beim Ausscheiden eines Arztes aus der Dialysepraxis bei der Dialysepraxis verbleibe, sei hier schon deshalb nicht anwendbar, weil die aus Dr. B. und dem Beigeladenen zu 1. bestehende 2er-BAG aufgelöst worden sei, sodass eine "Dialysepraxis", bei der der Versorgungsauftrag hätte verbleiben können, gar nicht mehr vorhanden gewesen sei. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, dass Dr. B. in der Folge als Angestellter des MVZ mit dem Sitz W. ring, 66 H., tätig geworden sei, weil das MVZ nicht als Rechtsnachfolger der zuvor bestehenden BAG Dres. B. und S. anzusehen sei.
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Eine Klagebefugnis sei auch dann zu verneinen, wenn die Genehmigung dem Beigeladenen zu 1. erst nach dem 1.7.2005 erteilt worden wäre. Im SGB V finde sich kein gesetzlicher Auftrag für die Partner der Bundesmantelverträge, die Erteilung einer Dialyse-Genehmigung von bedarfsplanerischen Erwägungen abhängig zu machen. Der Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Berufswahlfreiheit werde deutlich bei einer Fallgestaltung, in der eine aus zwei Ärzten bestehende BAG, der die Genehmigung zur Erbringung von Dialyseleistungen erteilt sei, aufgelöst werde und einer der beiden Ärzte gezwungen sei, die Praxisräumlichkeiten zu verlassen. Wenn der die Praxis verlassende Arzt nun im selben Gebäude Räumlichkeiten anmieten und dort eine eigene Praxis eröffnen würde, dürfte er keine Dialyseleistungen mehr erbringen, während der in der Praxis verbliebene Arzt nach § 5 Abs 7 Buchst c Satz 6 BlutreinigungsV einen weiteren Arzt zur Erbringung von Dialyseleistungen hinzunehmen dürfte. Ein derartiges, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht haltbares Ergebnis lasse sich nur vermeiden, wenn man ein "Ausscheiden aus der Dialysepraxis" nur annehme, wenn der aus der BAG ausgeschiedene Arzt keinen Antrag auf Verlegung seines Praxissitzes und Mitnahme seines Versorgungsauftrags gestellt habe. Damit sei aber in solchen Fällen ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis im Sinne der Rechtsprechung des BSG zwischen dem ausgeschiedenen Arzt und Konkurrenten, die im selben Versorgungsbereich Dialyseleistungen erbringen, zu verneinen.
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Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin. § 4 Abs 1b Anlage 9.1 BMV-Ä, wonach ein Versorgungsauftrag beim Ausscheiden eines Arztes aus einer Dialysepraxis in der Praxis verbleibe, gelte, ebenso wie § 4 Abs 1a Anlage 9.1 BMV-Ä, wonach besondere Versorgungsaufträge der Dialysepraxis ortsbezogen erteilt würden, mangels Übergangs- und Bestandsschutzvorschriften ab dem Inkrafttreten zum 1.7.2009 für alle Dialysegenehmigungen. Dass besondere Versorgungsaufträge schon seit Inkrafttreten der Anlage 9.1 BMV-Ä bei gemeinschaftlicher Leistungserbringung der Dialysepraxis und nicht dem einzelnen Arzt erteilt würden, folge aus dem Wortlaut des § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Anlage 9.1 BMV-Ä, dem Gesamtkontext der Regelungen der Anlage 9.1 BMV-Ä und der BlutreinigungsV und der Entstehungsgeschichte. So habe die BlutreinigungsV bereits seit 2002 vorgesehen, dass eine Dialysepraxis einen ausgeschiedenen Arzt innerhalb von sechs Monaten zu ersetzen habe. Nach den Vollzugshinweisen der KÄBV aus dem Jahr 2002 könnten nach dem Verständnis des Normgebers besondere Versorgungsaufträge erstens bei Ausscheiden aus einer Gemeinschaftspraxis nicht mitgenommen und zweitens als ortsbezogene Genehmigungen nur in unmittelbare räumliche Nähe zum ursprünglichen Sitz der Dialysepraxis verlegt werden. Könne ein Versorgungsauftrag mitgenommen werden, würde dies zu einer ungebremsten "Zellteilung und -vermehrung" führen. Hier habe die ursprüngliche Genehmigung vom 23.10.2003 in einer Nebenbestimmung ausdrücklich bestimmt, dass die Genehmigung an den derzeitigen Praxissitz gebunden sei. Die Auslegung des LSG, dass damit eine Bindung an den jeweiligen Praxissitz des Beigeladenen zu 1. bestehe, gehe fehl. Die Dialysepraxis sei hier nicht aufgelöst worden, sondern habe weiter bestanden, weil am selben Standort Dialyseleistungen von einem MVZ durch Dr. B. als angestelltem Arzt erbracht würden.
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Zwischen § 24 Abs 7 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) und Anlage 9.1 BMV-Ä bestehe keine Normenkollision. Der Bundesmantelvertrag - einschließlich sämtlicher Anlagen - beruhe nicht nur auf § 135 Abs 2 SGB V, sondern auch und vor allem auf §§ 82 Abs 1 Satz 1, 72 Abs 2 SGB V. Die Bindung besonderer Versorgungsaufträge an die Dialysepraxis sei auch mit Art 12 Abs 1 GG vereinbar. Es handele sich bei der Ortsbindung und der Bindung des besonderen Versorgungsauftrags an die bestehende Dialysepraxis um Berufsausübungsbeschränkungen, die durch Gründe des Gemeinwohls, der Sicherung der Versorgungsqualität durch flächendeckende und wohnortnahe Versorgung mit allen Dialyseformen und -verfahren und der Wirtschaftlichkeit der nephrologischen Behandlung gesetzlich Versicherter, gerechtfertigt seien. Die Aufsplitterung größerer Dialyseeinrichtungen in Einzelpraxen gefährde eine kontinuierliche Versorgung durch mehrere Ärzte und führe zu kleinteiligen unwirtschaftlichen Strukturen. Anlage 9.1 BMV-Ä schränke auch das Recht der Versicherten auf freie Arztwahl nicht ein. Die formelle Rechtswidrigkeit der dem Beigeladenen zu 1. erteilten Genehmigung ergebe sich aus der Verletzung des Einvernehmensverfahrens nach § 4 Abs 1 Satz 2 Anlage 9.1 BMV-Ä. Die Landesverbände seien über die Auslastung der benachbarten Dialysepraxen getäuscht worden. Die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen lägen nicht vor, da die Praxis der Kläger nicht hinreichend ausgelastet gewesen sei.
- 17
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG für das Saarland vom 24.5.2016 und das Urteil des SG für das Saarland vom 12.12.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31.5.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.2.2012 (Beschluss des Widerspruchsausschusses vom 30.1.2012) aufzuheben.
- 18
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Die Beklagte und der Beigeladene zu 1. beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor, die Vertragspartner nach § 82 SGB V seien nicht ermächtigt gewesen, die Regelungen der Anlage 9.1 BMV-Ä zu treffen. Die Zuständigkeit für Bedarfsplanung liege beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Auch sei fraglich, ob die Motivlage des Normgebers zutreffe, da Anhaltspunkte für den behaupteten Verdrängungswettbewerb nicht bestünden. Eine Kollision mit § 24 Abs 7 Ärzte-ZV sei offensichtlich. Selbst wenn man die Bedarfsplanungs-Regelungen der Anlage 9.1 BMV-Ä für verfassungsgemäß halte, müsse das Normwerk zulassen, dass ein Dialyse-Versorgungsauftrag dorthin mitgenommen werden könne, wo der zugehörige Vertragsarztsitz auf Grundlage von § 24 Abs 7 Ärzte-ZV zulässigerweise hin verlegt werden könne. Die Anfechtungsbefugnis müsse sich auf die Fälle beschränken, in denen ein neuer zusätzlicher Dialysearzt in die Versorgung eintrete und den Markt in quantitativer Hinsicht verändere. Hier bestehe keine Praxis mehr, bei der der Versorgungsauftrag verbleiben könne.
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Der Beigeladene zu 1. trägt vor, der Versorgungsauftrag sei ihm mit Bescheid vom 23.10.2003 entsprechend der damaligen Rechtslage persönlich erteilt worden. Er könne den Versorgungsauftrag daher zusammen mit seiner Zulassung mitnehmen. Von einem Fortbestand der Dialysepraxis am W. ring in H. könne nicht ausgegangen werden, da eine andere Rechtspersönlichkeit und eine andere vertragsärztliche Kooperationsform bestehe. An der Versorgungssituation habe sich durch die Verlegung seines Vertragsarztsitzes nichts geändert. Wenn man der Ansicht der Kläger folge, könne die Zusammenarbeit zweier oder mehrerer in der Dialyse tätigen Ärzte nicht mehr beendet werden. Mit dem Entzug des Versorgungsauftrags werde ihm die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Die Urteile des SG und des LSG sowie der Bescheid der beklagten KÄV vom 31.5.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.2.2012 (Beschluss vom 30.1.2012) sind aufzuheben. Zur Sicherung der kontinuierlichen Versorgung der Versicherten und zur Vermeidung eines übergangslosen Entfallens des Versorgungsangebotes der Praxis des Beigeladenen zu 1. lässt der Senat die Wirkung der Aufhebung des angefochtenen Bescheides jedoch erst mit Ablauf des 31.12.2017 eintreten.
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I. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zu 1. zu Unrecht zurückgewiesen. Die Klägerin ist anfechtungsberechtigt und in ihren subjektiven Rechten verletzt.
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1. Die Klägerin ist berechtigt, den Bescheid vom 31.5.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.2.2012 anzufechten. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10, RdNr 19; BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 22 ff und 26 ff; BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 18; BSG SozR 4-5540 § 6 Nr 2, RdNr 25; zuletzt BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 20/15 R - SozR 4-55405540 Anl 9.1 Nr 7 RdNr 16) erfolgt die Prüfung der Begründetheit von Drittanfechtungen vertragsärztlicher Konkurrenten zweistufig. Danach ist zunächst zu klären, ob der Kläger berechtigt ist, die dem Konkurrenten erteilte Begünstigung anzufechten. Ist das zu bejahen, muss geprüft werden, ob die Entscheidung der jeweils zuständigen Behörde in der Sache zutrifft.
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Unter welchen Voraussetzungen Vertragsärzte berechtigt sind, zugunsten anderer Ärzte ergan-gene Entscheidungen anzufechten (sogenannte defensive Konkurrentenklage) hat der Senat in seinem Urteil vom 7.2.2007 im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG vom 17.8.2004 (BVerfG
SozR 4-1500 § 54 Nr 4) im Einzelnen dargelegt (BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10, RdNr 19 ff). Danach müssen erstens der Kläger und der Konkurrent im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbieten, weiterhin dem Konkurrenten die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet oder erweitert und nicht nur ein weiterer Leistungsbereich genehmigt werden, und ferner der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber demjenigen des Anfechtenden nachrangig sein. Letzteres ist der Fall, wenn die Einräumung des Status an den Konkurrenten vom Vorliegen eines Versorgungsbedarfs abhängt, der von den bereits zugelassenen Ärzten nicht abgedeckt wird (vgl BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10, RdNr 19 ff; in der Folgezeit weiterführend BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 17 f, 20, 22 bis 24; BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 19 ff; BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 17 ff; BSG SozR 4-2500 § 121a Nr 4 RdNr 19 ff; BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 30 ff; BSG SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 5 RdNr 24; zuletzt BSG Urteil vom 30.11.2016 - B 6 KA 3/16 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen - RdNr 21). Diese Maßstäbe gelten auch für Drittanfechtungsklagen im Rahmen der Versorgung mit Dialyseleistungen (BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 39 RdNr 19 mwN, zuletzt BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 20/15 R - SozR 4-55405540 Anl 9.1 Nr 7 RdNr 16). Die Voraussetzungen liegen hier vor.
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a. Die Klägerin und der Beigeladene zu 1. erbringen im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn ein faktisches Konkurrenzverhältnis vorliegt, durch das plausibel wird, dass der bereits zugelassene Arzt bzw die BAG eine nicht nur geringfügige Schmälerung seiner/ihrer Erwerbsmöglichkeiten zu befürchten hat (vgl BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 22 bis 24; BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 25; BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 21). Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob sich faktisch der Patientenkreis des Anfechtenden mit dem Patientenkreis desjenigen, dessen Berechtigung angegriffen wird, in relevantem Maße überschneidet (vgl BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 24: mehr als 5 %; ebenso BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 25 f). Das Bestehen eines faktischen Konkurrenzverhältnisses ist im Verhältnis von zwei weniger als 10 km, hier Luftlinie 8,86 km, voneinander entfernt liegenden Dialysepraxen plausibel. Bei solcher Nähe und einem so begrenzten Leistungszuschnitt bedarf es weder näherer Darlegungen des Anfechtenden noch näherer Ermittlungen durch die Zulassungsgremien oder die Gerichte, sondern es ist ohne Weiteres ein real bestehendes Konkurrenzverhältnis anzunehmen (hierzu und zur Darlegungslast vgl BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 26 f, 30; BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 22 f).
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b. Die weiteren Voraussetzungen - die Eröffnung oder Erweiterung der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung und die Nachrangigkeit des dem Konkurrenten eingeräumten Status gegenüber demjenigen des Anfechtenden - liegen ebenfalls vor.
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aa. Der Anfechtungsberechtigung steht nicht entgegen, dass eine Genehmigung besonderer Versorgungsaufträge nach Anlage 9.1 BMV-Ä keinen vertragsarztrechtlichen Status vermittelt und der Beigeladene zu 1. zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung bereits über eine Zulassung als Vertragsarzt verfügte. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 7.2.2007 (BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10) zur Dialysegenehmigung nach der BlutreinigungsV vom 16.6.1997 entschieden, dass sie als bloße Abrechnungsgenehmigung nicht von Konkurrenten angefochten werden könne, weil sie nur die Erweiterung des durch die jeweilige fachbezogene Qualifikation eröffneten Kernbereichs ärztlicher Tätigkeit, nicht aber diesen Kern selbst und den ihm zugrunde liegenden Basis-Status betreffe. Die Erteilung der Genehmigung hierfür war bis zum 30.6.2002 allein an Qualitäts- bzw Qualifikationsgesichtspunkten auszurichten. Für das seit dem 1.7.2002 geltende neue Recht hat der Senat hingegen eine Anfechtungsberechtigung der bereits eine Dialysepraxis betreibenden BAG bejaht (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 30). Dabei hat der Senat ausgeführt, dass die Zusicherung der Genehmigung eines Versorgungsauftrags Voraussetzung für eine Sonderbedarfszulassung nach § 24 Satz 1 Buchst e Bedarfsplanungs-Richtlinie Ärzte (BedarfsplRL) und untrennbar mit dieser Statusentscheidung verbunden ist. Vor allem hat der Senat aber darauf abgestellt, dass die nach § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 6 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä durchzuführende Bedarfsprüfung Drittschutz für diejenigen vermittelt, die bei der Ermittlung des Bedarfs zu berücksichtigen sind.
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bb. Eine solche Bedarfsprüfung war auch hier durchzuführen. Sie entfiel nicht etwa deshalb, weil der Beigeladene zu 1. seinen Versorgungsauftrag nach seinem Ausscheiden aus der BAG an seinen neuen Vertragsarztsitz S. Straße, 66 I."mitnehmen" konnte. Dieser verblieb vielmehr in der Dialysepraxis. Der Antrag des Beigeladenen zu 1. vom 28.3.2011 auf Erteilung eines Versorgungsauftrags für seine "künftige Praxis" am heutigen Standort in I. ist als Neuantrag im Sinne des § 4 Abs 1 Satz 2 Anlage 9.1 BMV-Ä zu werten. Die Genehmigung ist daher nach § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Anlage 9.1 BMV-Ä unter anderem von der hinreichenden Auslastung der in der Versorgungsregion der beabsichtigten Niederlassung bestehenden Dialysepraxen abhängig.
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(1) Zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Beigeladenen zu 1. aus der BAG mit Dr. B zum 1.10.2011 galt § 4 Abs 1b Anlage 9.1 BMV-Ä in der seit 1.7.2009 unverändert gültigen Fassung (vgl zum maßgeblichen Zeitpunkt bei Drittanfechtungen BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 16 RdNr 25 mwN). In § 4 Abs 1b Anlage 9.1 BMV-Ä wurde 2009 die Regelung aufgenommen, dass der Versorgungsauftrag bei gemeinschaftlicher Berufsausübung im Fall des Ausscheidens eines Arztes aus der Dialysepraxis bei der Dialysepraxis verbleibt (DÄ 2009, A-1476). Gleichzeitig wurde in § 4 Abs 1a Satz 1 der Anlage 9.1 BMV-Ä festgeschrieben, dass die Genehmigung zur Übernahme des Versorgungsauftrags iS des § 1a Nr 18 BMV-Ä der Dialysepraxis erteilt wird. Bereits zum 1.7.2005 war in § 4 Abs 1a Satz 1 der Anlage 9.1 BMV-Ä die Regelung aufgenommen worden, dass der Versorgungsauftrag bei gemeinschaftlicher Berufsausübung für denjenigen Arzt endete, der aus der Gemeinschaftspraxis ausschied (DÄ 2005, A-2267). § 7 Abs 4 Anlage 9.1 BMV-Ä war zum 1.7.2005 dahingehend neu gefasst worden, dass bei Ausscheiden eines Arztes aus der Dialysepraxis und Ersetzung durch einen entsprechenden Arzt gemäß § 5 Abs 7 Buchst c BlutreinigungsV der eintretende Arzt auf Antrag eine Genehmigung zur Übernahme des Versorgungsauftrags erhielt, wenn die Voraussetzungen nach § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 2 Anlage 9.1 BMV-Ä erfüllt waren. Diese Vorschrift wurde 2009 aufgehoben.
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Es bestand nach dem Ausscheiden des Beigeladenen zu 1. auch weiterhin am bisherigen Standort eine Dialysepraxis, bei der der Versorgungsauftrag verblieb. Der frühere Praxispartner des Beigeladenen zu 1., Dr. B., verzichtete zum 1.10.2011 auf seine Zulassung, um am bisherigen Niederlassungsort W. ring in H. in der neu gegründeten MVZ S. GmbH in Anstellung tätig zu werden. Der Senat hat bereits entschieden, dass der Versorgungsauftrag bei einem Wechsel eines zugelassenen Vertragsarztes als Angestellter in ein MVZ inhaltlich unverändert auf das MVZ für den angestellten Arzt übertragen wird (BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 24). Zwar besteht insofern ein Unterschied zu dem entschiedenen Fall, als dort die bestehende BAG aufgelöst wurde und alle ehemaligen Praxispartner gemeinsam das MVZ gründeten, während hier nur einer der beiden Praxispartner seine Zulassung in das MVZ einbrachte. Auch in einer derartigen Konstellation, in der ein Mitglied der ehemaligen BAG am selben Vertragsarztsitz, mit derselben Infrastruktur und in denselben Räumlichkeiten weiterhin Dialyseleistungen erbringt, die Versorgung mithin nahtlos weitergeführt wird und sich nur der rechtliche Träger der Praxis ändert, besteht aber die Dialysepraxis iS von § 4 Abs 1a Satz 1 Anlage 9.1 BMV-Ä fort. Die grundlegenden Unterschiede im Teilnahmestatus des Vertragsarztes und des angestellten Arztes in einem MVZ stehen zwar nach der Rechtsprechung des Senats der Annahme entgegen, der eine Status setze sich gleichsam automatisch im anderen fort (Urteil vom 17.10.2012 - SozR 4-2500 § 95 Nr 27 RdNr 21; s auch zum Ausschluss der Praxisnachfolge allein durch einen angestellten Arzt in der Zweigpraxis einer BAG Urteil vom 20.3.2013 - SozR 4-2500 § 103 Nr 12 RdNr 42). Auf der anderen Seite ist aber klar, dass der Gesetzgeber Vertragsärzten die Möglichkeit geben wollte, ihrer Tätigkeit auch als Vertragsärzte oder als angestellte Ärzte in einem - uU von ihnen selbst gegründeten - MVZ nachzugehen (§ 103 Abs 4a Satz 1 SGB V). Für den Versorgungsbereich Dialyse setzt ein entsprechender Statuswechsel faktisch die Übernahme der bisherigen Versorgungsaufträge voraus. Diese werden standortbezogen einer Praxis ungeachtet ihrer Rechtsform (Einzelpraxis, BAG, MVZ) erteilt und verbleiben dort, auch wenn ein Arzt die Kooperation verlässt (vgl auch Senatsurteil vom 15.3.2017 - B 6 KA 18/16 R). Deshalb muss ein Versorgungsauftrag grundsätzlich auch dann in einer Praxis verbleiben, wenn diese ihre rechtliche Form der Kooperation ändert, selbst wenn damit Statusänderungen verbunden sind und eine Anstellungsgenehmigung etwa eine Sonderbedarfszulassung (§ 101 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB V) nicht iS des § 96 SGG ersetzt(BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 27 RdNr 21). Soweit, wozu der Senat neigt, die KÄV gehalten ist, den Versorgungsauftrag auch förmlich den geänderten Statusverhältnissen am jeweiligen Praxisstandort anzupassen, hätte das in erster Linie klarstellenden Charakter.
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(2) Die Genehmigung zur Durchführung von Versorgungsaufträgen nach Anlage 9.1 BMV-Ä ist dem Beigeladenen zu 1. auch nicht mit bestandskräftigem Bescheid vom 23.10.2003 nach dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht persönlich ohne Bezug zur damaligen Praxis der Gemeinschaftspraxis erteilt worden.
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(a) Die Praxisbezogenheit des Versorgungsauftrags bestand bereits nach der seit dem 1.7.2002 geltenden Rechtslage. Bereits ab diesem Zeitpunkt galt, dass der Versorgungsauftrag bei Ausscheiden eines Arztes in der Praxis verbleibt (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 24 und das weitere Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 42/11 R - Juris RdNr 23). Zu diesem Zeitpunkt war eine konzeptionelle Neuordnung der Dialyseversorgung erfolgt. Neben der Weiterentwicklung der BlutreinigungsV, der Neugestaltung der BedarfsplRL und der Einführung vergütungsbezogener Strukturanreize vereinbarten die KÄBV und die Spitzenverbände der Krankenkassen zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen Leistungserbringung in Anlage 9.1 BMV-Ä Vorgaben für eine bestimmte Versorgungsstruktur (DÄ 2002, A-972).
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Zur Feststellung eines zusätzlichen Versorgungsbedarfs ist seitdem gemäß § 6 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä auf den Auslastungsgrad der Dialysepraxen einer Versorgungsregion abzustellen, der auf der Grundlage eines Arzt-Patienten-Schlüssels nach der BlutreinigungsV ermittelt wird. Wenn danach kontinuierlich weniger als 90 % der Höchstpatientenzahl in den bestehenden Praxen versorgt wird, wird die Genehmigung der Übernahme eines weiteren Versorgungsauftrags als mit den Forderungen einer wirtschaftlichen Versorgungsstruktur nicht vereinbar angesehen. In § 5 Abs 7 Buchst c Satz 5 Nr 1 und 2 BlutreinigungsV ist mit Wirkung seit dem 1.7.2002 ein Arzt-Patienten Schlüssel von bis zu 30 kontinuierlich versorgten Patienten jährlich beim ersten Arzt, bei zwei Ärzten von bis zu 100 kontinuierlich versorgten Patienten und je weiteren 50 Patienten ein weiterer Arzt vorgesehen. § 5 Abs 7 Buchst c Satz 6 BlutreinigungsV gibt vor, dass bei Ausscheiden eines Arztes aus der Dialysepraxis oder Dialyseeinrichtung innerhalb von sechs Monaten durch die Praxis oder Einrichtung nachzuweisen ist, dass der ausgeschiedene Arzt durch einen entsprechenden Arzt ersetzt wurde. Erst wenn der Nachweis nicht erbracht wurde, ist die Berechtigung zur Ausführung und Abrechnung von Dialyseleistungen nach Satz 8 anzupassen. Nach § 8 Abs 3 Anlage 9.1 BMV-Ä in der zum 1.7.2002 in Kraft getretenen Fassung erhielt, soweit ein Arzt aus der Dialysepraxis ausschied und dieser gemäß § 5 Abs 7 Buchst c BlutreinigungsV durch einen entsprechenden Arzt ersetzt wurde, der eintretende Arzt auf Antrag eine Genehmigung zur Übernahme des Versorgungsauftrags nach der Übergangsvorschrift in § 8 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä.
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Das zum 1.7.2002 eingeführte Regelungskonzept sollte dazu dienen, die Sicherstellung einer Versorgung der Versicherten mit Dialyseleistungen durch eine kontinuierliche wirtschaftliche Versorgungsstruktur zu gewährleisten. Dem einzelnen Leistungserbringer, der sich in einem verhältnismäßig kleinen Markt hoch spezialisierter Leistungen bewegt, werden im Hinblick auf die kostenintensiven Investitionen, die für den Betrieb einer Dialysepraxis zu tätigen sind, und zur Verhinderung eines Verdrängungswettbewerbs Erwerbsmöglichkeiten in einem bestimmten Umfang gesichert (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 26 RdNr 26; BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 32; ebenso zur Zweigpraxis BSG SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 5 RdNr 37). Die Mitnahme des Versorgungsauftrags durch einen aus einer Dialysepraxis ausscheidenden Arzt würde diesem Konzept erkennbar widersprechen. Danach soll es nicht zu einer bedarfsunabhängigen Zunahme von Versorgungsaufträgen kommen. Da aber nach § 5 Abs 7 Buchst c Satz 6 BlutreinigungsV ein Nachbesetzungsrecht der Praxis besteht, aus der der Arzt ausscheidet, käme es zu einer Vermehrung der Versorgungsaufträge, wenn der ausscheidende Arzt seinerseits seinen Versorgungsauftrag in eine neue Praxis "mitnehmen" könnte. Darüber hinaus könnte auch der ausscheidende Vertragsarzt bei einer kontinuierlichen Versorgung von mehr als 30 Patienten pro Jahr nach § 7 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä die Zusicherung bzw Genehmigung für die Durchführung von Versorgungsaufträgen durch einen zweiten Arzt erhalten, ohne dass hierfür die hinreichende Auslastung der in der Versorgungsregion bestehenden Dialysepraxen Voraussetzung wäre.
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Auch die KÄBV ging in ihren Hinweisen und Erläuterungen zu den Neuregelungen bereits seit 1.7.2002 von einer Bindung des Versorgungsauftrags an den Ort der Leistungserbringung aus (vgl "Neuordnung der Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten, Hinweise und Erläuterungen für die Kassenärztlichen Vereinigungen", Anlage zum Rundschreiben D3-25-VII-6/2002 der KÄBV vom 1.7.2002, S 14). Zwar handelt es sich bei diesen Hinweisen lediglich um eine rechtlich unverbindliche "Empfehlung" (vgl BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 20/15 R - SozR 4-55405540 Anl 9.1 Nr 7 RdNr 37), sie sind aber geeignet, das Verständnis und die Intention der Vertragspartner bei der Normsetzung zu verdeutlichen. Die Bindung an die Praxis und nicht den einzelnen Arzt wird nicht zuletzt auch darin erkennbar, dass nach § 7 Abs 2 Anlage 9.1 BMV-Ä die Dialysepraxis berechtigt ist, Genehmigungen für "weitere Ärzte" zu beantragen (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 24 und das weitere Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 42/11 R - Juris RdNr 23).
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(b) Die Bindung an die Dialysepraxis kam im Bescheid vom 23.10.2003 für den fach- und sachkundigen Empfängerkreis der Vertragsärzte in Dialysepraxen auch hinreichend zum Ausdruck. Der Bescheid war zwar an den Beigeladenen zu 1. adressiert, ihm wurde jedoch die Genehmigung zur Durchführung von Versorgungsaufträgen nach Anlage 9.1 BMV-Ä nach dem Wortlaut der Verfügung "in eigener Dialysepraxis - und in gemeinschaftlicher Berufsausübung mit Dr. med. B.", also als Mitglied der bestehenden BAG, erteilt. Die Formulierung "in eigener Praxis" nimmt Bezug auf die entsprechende Voraussetzung für die Erteilung einer Genehmigung nach der Übergangsvorschrift in § 8 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä, womit klargestellt werden sollte, dass genehmigungspflichtige Versorgungsaufträge Vertragsärzten, die unter die Übergangsbestimmung fielen, nur dann erteilt werden konnten, wenn sie auch bisher Inhaber der Praxis waren. Damit sollte sichergestellt werden, dass nach der Übergangsbestimmung nur "Inhaber" einer Praxis, nicht aber in Dialysepraxen oder ermächtigten Einrichtungen angestellte Ärzte genehmigungspflichtige Versorgungsaufträge übernehmen konnten (vgl "Hinweise und Erläuterungen" aaO, S 14, 22). Eine persönliche Erteilung der Genehmigung kann daraus bereits deshalb nicht abgeleitet werden, weil der Beigeladene zu 1. zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung in Gemeinschaftspraxis mit Dr. B., und damit nach vertragsarztrechtlichen Begrifflichkeiten (§ 33 Abs 2 Ärzte-ZV) in gemeinsamer Berufsausübung, tätig war.
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(3) Bestands- und Vertrauensschutzerwägungen im Hinblick auf die bereits zuvor bestehende Berechtigung zu Dialyseleistungen stehen der Bindung der Genehmigung an die Dialysepraxis und dem hieraus folgenden Mitnahmeverbot nicht entgegen. Bei Inkrafttreten der Regelungen zur Neuordnung der Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten zum 1.7.2002 war in § 8 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä vorgesehen, dass Vertragsärzte, auch solche, die nicht zum Führen der Schwerpunktbezeichnung Nephrologie berechtigt waren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages über eine Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von Leistungen der Dialyse aufgrund der Qualitätssicherungsvereinbarung verfügten und die bis zu diesem Zeitpunkt Leistungen der Dialyse in eigener Dialysepraxis regelmäßig in der vertragsärztlichen Versorgung erbracht hatten, auf Antrag eine Genehmigung zur Übernahme des Versorgungsauftrags erhielten, wenn sie innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten einen entsprechenden Genehmigungsantrag stellten.
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Die mit der Umstellung von einer reinen Qualitätssicherungsvereinbarung zu einer besonderen Versorgungsplanungsregelung verbundenen Übergangsprobleme sind dadurch gelöst worden, dass Ärzte wie der Beigeladene zu 1., die schon vor dem 1.7.2002 über eine - damals auf Fachkunde begrenzte - Genehmigung zur Erbringung von Dialyseleistungen verfügten, eine Genehmigung nach neuem Recht erhalten haben, ohne dass der Bedarf geprüft wurde. Damit sind sie bedarfsunabhängig in ein bedarfsbezogenes System integriert worden. Nichts spricht indessen für die Annahme, dass die nach dem 1.7.2002 erteilten Genehmigungen von Versorgungsaufträgen hinsichtlich der hier maßgeblichen Praxisbindung des Versorgungsauftrags danach zu unterscheiden wären, ob sie übergangsrechtlich oder unter Beachtung der 2002 neu eingeführten Versorgungaspekte erteilt worden sind. Das hätte je nach Alter der beteiligten Ärzte dazu geführt, dass über mehr als zwei Jahrzehnte Dialysegenehmigungen mit gänzlich unterschiedlichen Wirkungen und Berechtigungen nebeneinander bestanden hätten; für einen dahin gehenden Regelungswillen der Vertragspartner fehlen Anhaltspunkte.
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(4) Der Ausschluss der Mitnahme des Versorgungsauftrags steht auch nicht in Widerspruch zu § 24 Abs 7 Ärzte-ZV. Diese Vorschrift regelt den Anspruch auf Verlegung des Praxissitzes (vgl dazu BSG SozR 4-5520 § 24 Nr 13 RdNr 13, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen), bestimmt aber nicht, welche Leistungen am neuen Praxissitz erbracht werden dürfen. Die Genehmigung der Verlegung des Vertragsarztsitzes nach § 24 Abs 7 Ärzte-ZV ist hier nicht angefochten; der angefochtene Bescheid bezieht sich ausschließlich auf die Genehmigung zur Durchführung besonderer Versorgungsaufträge nach Anlage 9.1 BMV-Ä am neuen Vertragsarztsitz. Zwar besteht eine Bindung der Genehmigung zur Durchführung der Versorgungsaufträge nach Anlage 9.1 BMV-Ä auch an den Vertragsarztsitz. Dies ist seit 1.7.2005 in § 3 Abs 3 Satz 4 der Anlage 9.1 BMV-Ä ausdrücklich geregelt. Danach wird der Versorgungsauftrag für den Ort der Zulassung oder der Ermächtigung erteilt. Die Bindung ergibt sich - auch vor Inkrafttreten dieser Regelung - bereits daraus, dass für die Genehmigung der Übernahme des Versorgungsauftrags nach § 4 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä die Zulassung als Vertragsarzt Voraussetzung ist. Die im Zulassungsbescheid enthaltene Bestimmung des Vertragsarztsitzes stellt eine Komponente der Zulassung dar. Darüber hinaus bestehen nach der BlutreinigungsV betriebsstättenbezogene Genehmigungsvoraussetzungen. Ein Anspruch auf Verlegung des Vertragsarztsitzes nach § 24 Abs 7 Ärzte-ZV umfasst dabei aber bereits nach Wortlaut und Regelungskontext nicht automatisch die Mitnahme etwaiger besonderer Versorgungsaufträge, sondern nur die Fortführung der von der Zulassung umfassten vertragsärztlichen Tätigkeit an einem anderen Niederlassungsort.
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2. Die Revision ist auch begründet, weil eine kontinuierliche wirtschaftliche Auslastung der Dialysepraxis der Klägerin nicht gegeben war.
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a. Rechtsgrundlage des Bescheides vom 31.5.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.2.2012 ist - da eine Mitnahme des Versorgungsauftrags durch den Beigeladenen zu 1., wie bereits ausgeführt, ausscheidet - § 4 Abs 1 Satz 2 der Anlage 9.1 BMV-Ä. Nach § 4 Abs 1 Satz 1 Anlage 9.1 BMV-Ä bedarf die Übernahme des Versorgungsauftrags nach § 3 Abs 3 Buchst a aaO - dh für die in § 2 aaO definierten Patientengruppen - durch zugelassene Vertragsärzte der Genehmigung der KÄV. Diese ist gemäß § 4 Abs 1 Satz 2 Anlage 9.1 BMV-Ä im Einvernehmen mit den zuständigen Verbänden der Krankenkassen zu erteilen, wenn hinsichtlich der Fachkunde die arzt- und betriebsstättenbezogenen Voraussetzungen der BlutreinigungsV erfüllt sind und eine kontinuierliche wirtschaftliche Versorgungsstruktur für die Dialysepraxis gewährleistet ist.
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b. Die Beklagte hat die Klägerin vor Erlass des Bescheides zu Gunsten des Beigeladenen zu 1. nicht auf der Grundlage des § 12 Abs 2 SGB X zum Verwaltungsverfahren hinzugezogen und auch nicht nach § 24 Abs 1 SGB X angehört. Das begründet jedoch entgegen der Auffassung der Klägerin keinen Verfahrensfehler, der zur Aufhebung des Bescheides führen würde.
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§ 24 Abs 1 SGB X gebietet die Anhörung eines "Beteiligten", in dessen Rechte der zu erlas-sende Bescheid eingreift. Der Beteiligtenbegriff im Sinne dieser Vorschrift ist technisch zu ver-stehen; § 24 Abs 1 verweist auf die Beteiligtenstellung im Sinne des § 12 Abs 1 und 2 SGB X(Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 24 RdNr 11). Da die Klägerin weder nach § 12 Abs 1 SGB X kraft Gesetzes am Verfahren zur Erteilung der Genehmigung eines Versorgungsauftrags des Beigeladenen zu 1. beteiligt war noch von der Beklagten nach Abs 2 zum Verfahren hinzugezogen worden war, könnte sich ein Verfahrensfehler allenfalls daraus ergeben, dass die Klägerin förmlich hätte beteiligt werden müssen. Das war jedoch nicht der Fall.
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aa. Wer an einem Verfahren nicht beteiligt ist, aber meint, wegen rechtlicher Betroffenheit hin-zugezogen werden zu müssen, muss einen Antrag auf Hinzuziehung nach § 12 Abs 2 SGB X stellen; auch im Hinblick auf die notwendige Formalisierung der Beteiligtenstellung muss diese gegenüber der Behörde durchgesetzt werden, um nach Hinzuziehung (auch) Anhörungs- und Äußerungsrechte zu erhalten (vgl Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Dezember 2016, § 24 RdNr 20). Hier wäre von vornherein keine Hinzuziehung der Klägerin auf der Grundlage des § 12 Abs 2 Satz 2 SGB X in Betracht gekommen; deshalb war die Beklagte nicht nach dem 2. Halbsatz dieser Vorschrift verpflichtet, die Klägerin zu benachrichtigen, um ihr die Antragstellung auf Beteiligung zu ermöglichen. § 12 Abs 2 Satz 2 SGB X normiert eine solche Pflicht nur, wenn ein Verwaltungsakt "rechtsgestaltende Wirkung" für einen Dritten hat. Rechtsgestaltende Wirkung zu Lasten der Klägerin im Sinne des § 12 Abs 2 Satz 2 SGB X hat die Entscheidung über die Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags des Beigeladenen zu 1. jedoch nicht. Sie begründet oder verändert unmittelbar Rechte der Klägerin nicht (vgl Roller in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 12 RdNr 11). Deren wirtschaftliche Interessen, die im Hinblick auf ihre Stellung als Leistungsanbieter in ihrer Versorgungsregion nach dem System der Anlage 9.1 BMV-Ä auch rechtlich geschützt sind, wurden durch das Leistungsangebot des Beigeladenen zu 1. tangiert. Das Recht der Teilnahme der Klägerin an der Dialyseversorgung auf der Grundlage der ihr zugeordneten Versorgungsaufträge wird aber durch die zugunsten des Beigeladenen zu 1. ergangene Entscheidung der Beklagten nicht beschränkt. Insoweit liegen die Dinge anders, wenn zwei Praxen bei steigender Patientenzahl um einen zusätzlichen Versorgungsauftrag konkurrieren oder wenn ein Verlängerungsantrag nach Abs 3 Satz 3 Anhang 9.1.5 zu Anlage 9.1 BMV-Ä mit einem Antrag einer Hauptpraxis aus der Versorgungsregion auf Genehmigung einer (eigenen) Zweigpraxis am Ort der schon bestehenden Nebenbetriebsstätte konkurriert (vgl dazu Senatsurteil vom 15.3.2017 - B 6 KA 22/16 R).
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bb. Eine Pflicht der Beklagten, die Klägerin im Hinblick auf deren "rechtliche Interessen" auch ohne Antrag von Amts wegen zu beteiligen (§ 12 Abs 2 Satz 1 SGB X), hat nicht bestanden. Die Ausübung des Ermessens nach dieser Vorschrift ist an der Rechtsauffassung der Behörde auszurichten; sie kann über die Hinzuziehung nur solcher Personen entscheiden, von denen sie annimmt oder den Umständen nach annehmen muss, dass die Voraussetzungen einer Beteiligung erfüllt sein können, deren rechtliche Interessen also berührt sind. Die Ausrichtung der Verfahrensgestaltung vorrangig auf die materiell-rechtliche Rechtsauffassung der Behörde gilt etwa auch für den Umfang der Anhörung. Die "entscheidungserheblichen Tatsachen" im Sinne des § 24 Abs 1 SGB X sind solche, die die Behörde dafür hält(vgl Siefert, aaO, RdNr 13 mwN). Dass das Gericht diese Auffassung evtl für falsch hält, begründet keinen Verfahrensfehler. Dieser Maßstab gilt auch für die Heilung von Anhörungsmängeln im Widerspruchs- oder Klageverfahren. Solange die Behörde zu den Umständen anhört, die sie für maßgeblich hält, kann die Heilungswirkung auch eintreten, wenn diese Auffassung materiell-rechtlich unzutreffend ist (vgl Steinwedel in Kasseler Komm, § 41 SGB X, Stand 1.12.2016, RdNr 16). Dementsprechend besteht für eine Ermessensbetätigung nach § 12 Abs 2 Satz 1 SGB X kein Anlass, wenn die Behörde eine rechtliche Betroffenheit eines Dritten aus Rechtsgründen verneint. Auch § 35 Abs 2 Nr 1 SGB X kann nicht anders angewandt werden. Hat die Behörde antragsgemäß entschieden und auf eine Begründung verzichtet, weil sie davon ausgeht, der Verwaltungsakt greife nicht "in Rechte eines anderen" ein, kann diese Beurteilung aus der Sicht des Gerichts in der Sache falsch sein, führt aber nicht gleichsam rückwirkend zu einem Verfahrensfehler.
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Die Beklagte hat hier - bestätigt zuletzt durch das LSG - eine rechtliche Betroffenheit der Kläge-rin verneint und hatte deshalb keinen Anlass, die Klägerin förmlich an dem Verfahren zu beteili-gen. Nichts anderes ergibt sich in diesem Zusammenhang aus dem Urteil des Senats vom 17.10.2012 (SozR 4-2500 § 95 Nr 27 RdNr 28). In diesem auch die Dialyseversorgung betref-fenden Urteil hat der Senat auf eine Verpflichtung der KÄV hingewiesen, vor der Erteilung von Versorgungsaufträgen solche Ärzte und Praxen zu informieren und zu beteiligen, "zu deren Gunsten Drittschutz besteht". Damit wird ersichtlich auf die Situation abgehoben, dass die KÄV eine Entscheidung auf der Grundlage einer Norm trifft, deren drittschützender Charakter geklärt ist, und ihr der Kreis der davon erfassten Ärzte im Kern bekannt ist. Eine solche Lage bestand hier nicht; die Anfechtungsberechtigung gegen die Genehmigung des Beigeladenen zu 1. ist erst durch das Urteil des Senats vom heutigen Tag (15.3.2017) geklärt worden.
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c. Es kann offenbleiben, ob die Beklagte ordnungsgemäß das Einvernehmen mit den zuständigen Verbänden der Krankenkassen nach § 4 Abs 1 Satz 2 Anlage 9.1 BMV-Ä hergestellt hat. Auf etwaige Fehler bei der Herstellung des Einvernehmens kann die Klägerin sich nicht berufen. Die dazu von den Partnern der Bundesmantelverträge vereinbarten Regelungen dienen allein den Belangen der Krankenkassen und tragen deren Verantwortung für die Versorgung der Versicherten mit Dialyseleistungen Rechnung. Die Bestimmungen enthalten keinen Hinweis, dass sie auch den Interessen der ärztlichen Leistungserbringer im Bereich Dialyse zu dienen bestimmt sind. Diesen steht deshalb kein subjektiv-öffentliches Recht zu, dass sich KÄV und Krankenkassen-Verbände an die für das Verwaltungsverfahren nach der Dialyse-Vereinbarung geltenden Vorschriften zur Herstellung des Einvernehmens halten. Die Verfahrensregelungen zur Beteiligung der Krankenkassen an versorgungsbezogenen Entscheidungen im Bereich Dialyse (dazu näher BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 34) dienen nur dem Ziel der Einbeziehung der Krankenkassen in die Verantwortung für eine flächendeckende Dialyseversorgung und nicht zugleich auch der Rücksichtnahme auf die Interessen von miteinander konkurrierenden Praxen.
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Aus dem Senatsurteil vom 11.2.2015 (BSG SozR 4-5540 Anl 9.1.5 Nr 5 RdNr 41 ff) zur Anfechtung der Erteilung einer Zweigpraxisgenehmigung für Dialysen ergibt sich insoweit nichts anderes. Auch in diesem Rechtsstreit waren die Verbände der Krankenkassen beigeladen und zwischen ihnen und der beklagten KÄV war umstritten, ob bei einer nach Auffassung des Senats erforderlich werdenden Neubescheidung durch die KÄV erneut das Verfahren der Einvernehmensherstellung durchzuführen ist, auch soweit die KÄV an ihrer ursprünglichen Einschätzung der Erforderlichkeit der dort umstrittenen Zweigpraxis festhalten würde. Der Senat stellt klar, dass die Ausführungen zu den Anforderungen an eine korrekte Herstellung des Einvernehmens nur für die Gestaltung des (weiteren) Verwaltungsverfahrens und nicht für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung der damals beklagten KÄV von Bedeutung waren.
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d. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, weil eine kontinuierliche wirtschaftliche Auslastung der Klägerin nach Maßgabe von § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 6 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä nicht gewährleistet war.
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aa. Ob die Anforderungen an eine wirtschaftliche Versorgungstruktur iS des § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Anlage 9.1 BMV-Ä erfüllt sind, stellt die KÄV im Verfahren nach § 6 Anlage 9.1 BMV-Ä fest. Danach ist der Auslastungsgrad der im Umkreis der beabsichtigten Niederlassung bestehenden Dialysepraxen (Versorgungsregion) durch eine Arzt-Patienten-Relation zu bestimmen (§ 6 Satz 1, 2 Anlage 9.1 BMV-Ä). Eine Auslastung der Dialysepraxen in der Versorgungsregion ist nach § 6 Abs 1 Satz 3 Anlage 9.1 BMV-Ä anzunehmen, wenn kontinuierlich mindestens 90 % der nach der BlutreinigungsV festgelegten Patientenzahl von den dazu erforderlichen Ärzten versorgt wird. Die Forderung nach einer wirtschaftlichen Versorgungsstruktur der projektierten Dialysepraxen gilt als dauerhaft erfüllt, wenn sich die Versorgungsregionen der bestehenden und der projektierten Praxis nicht schneiden (§ 6 Satz 4 Anlage 9.1 BMV-Ä). Das Gleiche gilt, wenn sich die Versorgungsregionen zwar schneiden, jedoch die bereits bestehenden Dialysepraxen in diesem Umfang ausgelastet sind (§ 6 Satz 5 Anlage 9.1 BMV-Ä). § 5 Abs 7 Buchst c BlutreinigungsV sieht beim ersten Arzt einen "Arzt-Patienten-Schlüssel" von bis zu 30 kontinuierlich versorgten Patienten jährlich, bei zwei Ärzten von bis zu 100 kontinuierlich versorgten Patienten vor.
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Die danach erforderliche hinreichende Auslastung bereits bestehender Praxen muss nach der Rechtsprechung des Senats sowohl im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zusicherung oder Genehmigung des Versorgungsauftrags gegeben als auch - prognostisch - in Zukunft zu erwarten sein. Dies ergibt sich nach der Rechtsprechung des Senats bereits aus der wiederholten Verwendung des Begriffes "kontinuierlich" in den maßgeblichen Vorschriften der §§ 4, 6 Anlage 9.1 BMV-Ä (im Einzelnen vgl BSG Urteil vom 3.8.2016 - B 6 KA 20/15 R - SozR 4-55405540 Anl 9.1 Nr 7 RdNr 22).
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bb. Zutreffend ist das LSG insoweit davon ausgegangen, dass für die Auslastungsprüfung bei der Klägerin auf drei und nicht auf vier Versorgungsaufträge abzustellen ist. Die mit Bescheid vom 27.6.2011 von der Beklagten erteilte Genehmigung zur Übernahme eines vierten Versorgungsauftrags hat diese auf den Widerspruch von zwei mit der Klägerin konkurrierenden Praxen am 30.1.2012 wieder aufgehoben, ohne dass die Klägerin von diesem zusätzlichen Auftrag schon Gebrauch machen konnte. Diese Aufhebung ist nach dem Beschluss des Senats vom 30.11.2016 (B 6 KA 35/16 B) bestandskräftig. Maßgeblich ist insoweit, dass es für die Auslastung vorrangig auf die - rechtmäßigen - tatsächlichen Verhältnisse ankommt. Das bedeutet, dass Versorgungsaufträge, die vollziehbar sind und tatsächlich genutzt werden, bei der Bedarfsdeckung auch dann nicht generell außer Betracht bleiben dürfen, wenn sie wegen der Anfechtung durch einen Konkurrenten nicht bestandssicher sind (vgl BSG Beschluss vom 30.11.2016 - B 6 KA 35/16 B - RdNr 13). Versorgungsaufträge, die aber wegen der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs von Konkurrenten, fehlender Vollziehungsanordnung oder umgehender Rücknahme durch die KÄV nicht genutzt worden sind und von vornherein für eine "kontinuierliche" Versorgung ausscheiden, müssen entsprechend bei der Auslastungsprüfung unberücksichtigt bleiben.
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Nach den - insoweit unstreitigen und mit der Revision nicht angegriffenen - Feststellungen des LSG hatte nach den aus den Abrechnungsrohdaten der klägerischen Praxis ermittelten Wochenpauschalen die Klägerin im Quartal I/2011 139 Patienten, im Quartal II/2011 142 Patienten, im Quartal III/2011 143 Patienten und im Quartal IV/2011 140 Patienten. Unter Berücksichtigung eines 6%igen Abzugs für Heimdialysepatienten (vgl BSG SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 7 RdNr 36) wurden damit, wenn auch nur knapp, 90 % der nach der Qualitätssicherungsvereinbarung festgelegten Patientenzahl unterschritten. Damit bestand keine ausreichende Auslastung der Klägerin. Auf den möglichen Anwendungsbereich von § 6 Abs 2 Anlage 9.1 BMV-Ä kommt es mithin nicht mehr an.
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e. Die hier maßgeblichen Regelungen der Anlage 9.1 BMV-Ä sind verfassungsgemäß. Die durch Art 12 Abs 1 GG geschützte Berufsfreiheit der aus einer Dialysepraxis ausscheidenden Ärzte wird zwar eingeschränkt; das Maß des verfassungsrechtlich Zulässigen ist jedoch nicht überschritten. In das durch Art 12 Abs 1 GG garantierte einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit darf nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden (stRspr; vgl nur BVerfGE 36, 212, 219 ff; 45, 354, 358 f; 93, 362, 369; 135, 90, 111 RdNr 57; 141, 82, 98 RdNr 47; zuletzt BVerfG Beschluss vom 7.3.2017 - 1 BvR 1314/12, 1 BvR 1630/12, 1 BvR 11 BvR 1694/13, 1 BvR 11 BvR 1874/13 - Juris RdNr 121). Der Eingriff muss zur Erreichung eines legitimen Eingriffsziels geeignet sein und darf nicht weitergehen, als es die Gemeinwohlbelange erfordern; ferner müssen Eingriffszweck und Eingriffsintensität in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl BVerfGE 54, 301, 313; 101, 331, 347; 141, 121, 133 RdNr 40).
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Die Beklagte und der Beigeladene zu 1. machen einen Verstoß gegen Art 12 Abs 1 GG geltend, wenden sich dabei jedoch nicht gegen die von der BlutreinigungsV geregelten Anforderungen an die fachliche Kompetenz sowie die organisatorische und apparative Ausstattung, sondern allein gegen die bedarfsplanerische Komponente von Anlage 9.1 BMV-Ä, die darüber hinausgehende Kriterien für die Strukturqualität formuliert. Eine solche Komponente ist auch der Verbleib des Versorgungsauftrags in der Dialysepraxis bei Ausscheiden eines Arztes. Hierin liegt eine Beschränkung der Berufsfreiheit des ausscheidenden Arztes, der seine bisherige Berechtigung zur Durchführung von Dialyseleistungen verliert. Diese rückt im Hinblick auf die Besonderheiten der Leistungserbringung und nicht zuletzt wegen des regelmäßigen Zusammenhangs mit einer Sonderbedarfszulassung sowohl in fachlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht in die Nähe einer Statusentscheidung (vgl zur Genehmigung zur Durchführung von Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nach § 121a SGB V: BSG SozR 4-2500 § 121a Nr 4 RdNr 18). Ein Internist mit einer Genehmigung nach Anlage 9.1 BMV-Ä ist in der Regel ausschließlich in diesem Bereich tätig. Allerdings wird dem entsprechend qualifizierten Arzt mit dem Verbleib des Versorgungsauftrags in der Praxis lediglich die Möglichkeit genommen, ohne weitere Bedarfsprüfung an einem anderen Ort seiner Wahl Dialysen an gesetzlich Versicherten durchzuführen und abzurechnen. Im Übrigen wird ihm der Zugang zur vertragsärztlichen und speziell zur nephrologischen Versorgung nicht versperrt. Dass der Versorgungsauftrag nicht bedarfsunabhängig verlagert werden darf, beschränkt nur die Betätigungsmöglichkeiten des aus einer Dialysepraxis ausscheidenden Arztes in örtlicher Hinsicht (vgl zu örtlichen Zulassungsbeschränkungen BVerfG
MedR 2001, 639; BSGE 82, 41, 43 ff = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 11 ff) . Dieser Grundrechtseingriff ist durch Gemeinwohlbelange gerechtfertigt und verhältnismäßig.
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aa. Rechtsgrundlage für die Regelungen in § 2 Abs 7 BMV-Ä iVm Anlage 9.1 BMV-Ä sind § 82 Abs 1 iVm § 72 Abs 2 SGB V.
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§ 72 Abs 2 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 SGB V regelt die allgemeine Kompetenz der Partner der Bundesmantelverträge zur vertraglichen Regelung der vertragsärztlichen Versorgung. Nach diesen Vorschriften ist die vertragsärztliche Versorgung unter anderem durch schriftliche Verträge der KÄVen mit den Verbänden der Krankenkassen so zu regeln, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist, wobei die KÄBV mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge in Bundesmantelverträgen zu regeln hat.
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Die gesetzlichen Ermächtigungen in § 72 Abs 2 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 SGB V sind hinreichend bestimmt. Die Kriterien des Art 80 Abs 1 Satz 2 GG sind hier nicht anwendbar. Dessen Vorgabe, dass Ermächtigungsgrundlagen nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt sein müssen, betrifft Rechtsverordnungen, nicht aber Normsetzungen, die in anderer Gestalt als durch Rechtsverordnungen erfolgen (vgl BVerfGE 33, 125, 157 f; 44, 322, 349; 97, 332, 343). Dementsprechend bedarf es für die im SGB V vorgesehene Normsetzung der sog gemeinsamen Selbstverwaltung keiner gemäß Art 80 Abs 1 Satz 2 GG eng umrissenen gesetzlichen Grundlage (vgl BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, RdNr 22). Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auf § 72 Abs 2 iVm § 82 Abs 1 Satz 1 und § 135 Abs 2 SGB V gestützte Regelungen der Träger der gemeinsamen Selbstverwaltung zur Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung verfassungsrechtlich zulässig sind(vgl BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, RdNr 18 ff; BSGE 115, 235 = SozR 4-2500 § 135 Nr 21, RdNr 32 unter Hinweis auf BVerfGK 18, 345 sowie BVerfG SozR 4-2500 § 135 Nr 16). Insofern fehlt es den Vertragspartnern auch nicht an der erforderlichen demokratischen Legitimation (vgl BSGE 82, 41, 46 ff = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 15 ff zum Bundesausschuss der Ärzte, heute: GBA).
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§ 72 Abs 2 und § 82 Abs 1 Satz 1 SGB V decken die von den Vertragspartnern in der Anlage 9.1 BMV-Ä für den Bereich der Dialyseversorgung vereinbarten Regelungen. Die Vertragspartner haben damit entsprechend dem gesetzlichen Auftrag spezielle Regelungen für eine ausreichende und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Dialyseleistungen getroffen. Diese stehen, wie in § 1 Satz 2 Anlage 9.1 BMV-Ä ausdrücklich aufgeführt, im Zusammenhang mit den Regelungen der Sonderbedarfsplanung gemäß der BedarfsplRL des GBA, der BlutreinigungsV, der Qualitätssicherungs-Richtlinie Dialyse des GBA und den Regelungen der KÄBV zur Fortbildungsverpflichtung der Vertragsärzte nach § 95d SGB V. Der GBA nimmt in der auf der Grundlage von § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 9 SGB V erlassenen BedarfsplRL auf die BlutreinigungsV und die Anlage 9.1 BMV-Ä Bezug. Nach § 37 Abs 4 BedarfsplRL ist die Anlage 9.1 BMV-Ä bei den Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulassung wegen eines Bedarfs - zur Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung oder wegen des Erfordernisses eines weiteren Arztes nach der BlutreinigungsV - in der Dialyseversorgung zu berücksichtigen. Die Zulassung ist im Fall gemeinsamer Berufsausübung auf die Dauer der gemeinsamen Berufsausübung beschränkt. Die BlutreinigungsV regelt die fachlichen, organisatorischen und apparativen Voraussetzungen für die Ausführung und Abrechnung von Dialysebehandlungen und verweist in § 2 Satz 2 für das Genehmigungsverfahren auf die Anlage 9.1 BMV-Ä. Auch die Qualitätssicherungs-Richtlinie Dialyse des GBA enthält in § 2 Abs 3 einen Hinweis auf die Anlage 9.1 BMV-Ä. Aus dem Zusammenhang und der jeweiligen Bezugnahme wird deutlich, dass die bedarfsplanerischen Elemente der Anlage 9.1 BMV-Ä, die auch die Bindung des Versorgungsauftrags an die Dialysepraxis umfassen, eng mit einer der KÄV obliegenden Qualifikations- und Fachkundeprüfung verzahnt sind. So ist Ausgangspunkt für die Beurteilung eines Bedarfs der in § 5 Abs 7 Buchst c Satz 5 BlutreinigungsV unter Qualitätssicherungsaspekten festgelegte "Arzt-Patienten-Schlüssel". Die Frage der wirtschaftlichen Versorgungsstruktur wird sodann anhand der für die konkrete Praxis maßgeblichen Versorgungsregion und anhand des tatsächlichen Auslastungsgrades der in der Versorgungsregion bestehenden Praxen beantwortet. Durch dieses spezielle Konstrukt für die Feststellung eines konkreten Versorgungsbedarfs für einen besonderen Leistungsbereich wird die Zuständigkeit des GBA für die generelle vertragsärztliche Bedarfsplanung nicht berührt. Die Belange der Verbände der Krankenkassen sind im Verfahren durch das Erfordernis des Einvernehmens gewahrt (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 34).
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Dieses in sich schlüssige Konzept beruht auf ineinandergreifenden Elementen der Qualitätssicherung, der Regulierung des Marktzugangs durch normative Planungsvorgaben an Hand eines Arzt-Patienten-Schlüssels, der Schaffung von Versorgungsregionen und der Sicherung der wirtschaftlichen Versorgung an den gewachsenen Standorten der zugelassenen oder ermächtigten Leistungserbringer auch durch Schutz vor zusätzlichen, nicht zur Bedarfsdeckung erforderlichen Leistungsanbietern. Aus diesem Konzept kann nicht - wie der Beigeladene zu 1. und die Beklagte meinen - ein Element, nämlich die Bindung eines Versorgungsauftrags an eine Praxis und deren Standort, herausgebrochen werden, ohne dass das Konzept insgesamt in Frage gestellt würde. Der Senat ist deshalb in seinen Entscheidungen zur Anlage 9.1 seit dem Jahr 2011 stets von deren Rechtmäßigkeit ausgegangen. Auch von den Beteiligten sind erstmals in den am heutigen Tag entschiedenen Verfahren Bedenken erhoben worden.
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Dass auch der Gesetzgeber von einer umfassenden und sachgerecht wahrgenommenen Kompetenz der Partner der Bundesmantelverträge ausgegangen ist, wird darin deutlich, dass er sich in Kenntnis der Regelungen in Anlage 9.1 BMV-Ä seit Jahrzehnten einer umfassenden gesetzlichen Regelung der Versorgung der Versicherten mit Dialyse enthalten hat. Er hat lediglich punktuelle Einzelregelungen - etwa in § 126 Abs 3 SGB V zur Vergütung nichtärztlicher Dialyseleistungen - getroffen. Auch die Existenz von ärztlich geleiteten Einrichtungen, die den Dialysemarkt stark prägen, und das spezielle Nebeneinander von ärztlichen und nichtärztlichen technischen und pflegerischen Leistungen, auf die der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 4.5.1994 (BSGE 74, 154 ff = SozR 3-2500 § 85 Nr 6) hingewiesen hat, haben dem Gesetzgeber keinen Anlass zu eigenständigen Regelungen gegeben. Daraus hat der Senat wegen der bestehenden Besonderheiten im Versorgungsbereich Dialyse abgeleitet, dass der auf § 31 Abs 2 Ärzte-ZV iVm § 9 der Anlage 9.1 BMV-Ä beruhende Status ermächtigter Einrichtungen demjenigen zugelassener Vertragsärzte entspricht (vgl SozR 4-1500 § 54 Nr 26 RdNr 24). Da der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, detaillierte Vorgaben für die Struktur der Dialyseversorgung zu machen oder eine entsprechende Ermächtigung an den GBA vorzusehen, ist derzeit davon auszugehen, dass die Sicherstellung der Versorgung vorrangig den Vertragspartnern auf Bundesebene überantwortet ist.
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bb. Die Regelungen der Anlage 9.1 BMV-Ä sind durch wichtige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die sich aus diesem Konzept der Regelungen zur Dialyseversorgung ergebenden örtlichen Beschränkungen für die Genehmigung weiterer Versorgungsaufträge in Versorgungsregionen, in denen (noch) keine hinreichende Auslastung der bestehenden Dialysepraxen gegeben ist, dienen der Sicherung der Versorgungsqualität sowie der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung der nephrologischen Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten. Sie tragen - gerade im mit außergewöhnlich hohen Kosten verbundenen Bereich der Dialysebehandlung - zur finanziellen Stabilität und Funktionsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung bei und dienen damit einem Gemeinwohlbelang von hoher Bedeutung (vgl BVerfGE 68, 193, 218 = SozR 5495 Art 5 Nr 1 S 3; BVerfGE 70, 1, 30 = SozR 2200 § 376d Nr 1 S 11 f; BVerfGE 82, 209, 230), der sogar Eingriffe, die Beschränkungen der Berufswahl nahekommen, rechtfertigen würde (vgl BVerfGE 82, 209, 229 ff; BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 4 RdNr 23-24 mwN; BSGE 82, 41, 44 ff = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 13 ff). Gefördert wird, insbesondere durch den Verbleib des Versorgungsauftrags in der Dialysepraxis, zudem die gemeinschaftliche Berufsausübung, die nicht nur als organisatorische Erleichterung, sondern vor allem aus Gründen der Versorgungsqualität erwünscht ist. Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der versicherten Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Leistungen ist dabei ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl BSGE 82, 55, 61 = SozR 3-2500 § 135 Nr 9 S 43; BSG SozR 3-2500 § 72 Nr 8 S 22).
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Die Normgeber haben in nicht zu beanstandender Weise die Besonderheiten im Leistungsbereich der Dialyseversorgung berücksichtigt. Diese unterscheidet sich grundlegend von anderen Leistungsbereichen wie etwa der Radiologie oder der Labormedizin, die ebenfalls von den Leistungserbringern erhebliche Investitionen verlangen. Dabei kann offenbleiben, inwiefern die für den Betrieb einer Dialysepraxis entstehenden Kosten mit anderen Fachgebieten vergleichbar sind. Gerade bei der Versorgung von Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz, die eine Dialysebehandlung in der Regel lebenslang mehrmals die Woche und über mehrere Stunden benötigen, kommt der Kontinuität und Wohnortnähe der Versorgung jedenfalls ein besonderer Stellenwert zu, da die Behandlung tief in die persönliche Lebensführung eingreift (vgl zu den entstehenden Fahrkosten Anlage 2 der Krankentransport-Richtlinie des GBA). Um eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung von Dialysepatienten sicherzustellen, hat der Normgeber ein Konzept entwickelt, in dem zum einen mit der Bildung von Versorgungsregionen eine räumliche Komponente berücksichtigt wurde. Zum anderen wurde mit dem Abstellen auf einen bestimmten Auslastungsgrad der in der Versorgungsregion tätigen Praxen eine für die Leistungserbringer wirtschaftliche Praxisführung gewährleistet. Dieser Bestandsschutz der bereits tätigen Praxen dient der Verhinderung eines Wettbewerbs, der zu Unwirtschaftlichkeiten in der Versorgung insgesamt und durch Verdrängung von Leistungserbringern zu einer unerwünschten räumlichen Konzentration oder zu Versorgungslücken führen kann (vgl Köhler, Dialysevereinbarung: Gegen den industriellen Verdrängungswettbewerb, DÄ 2002, A-828). Die wirtschaftliche Sicherung bestehender Praxen liegt auch im Interesse des Patientenwohls, weil hierdurch verhindert werden soll, dass die Versorgung der Patienten mit Dialyseleistungen durch die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz bestehender Praxen in Frage gestellt wird (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 26 RdNr 26). Dass gerade in kostenintensiven Leistungsbereichen die Gefahr einer Konzentration weniger Praxen an insgesamt attraktiven Standorten besteht, zeigt nicht zuletzt die Entwicklung der Versorgung mit radiologischen Leistungen.
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cc. Der Eingriff ist auch insgesamt verhältnismäßig. Die angegriffenen Regelungen der Anlage 9.1 BMV-Ä sind geeignet und erforderlich zur Erreichung des genannten Gemeinwohlbelangs. Eingriffszweck und Eingriffsintensität stehen bezogen auf die maßgeblichen Gemeinwohlziele in einem angemessenen Verhältnis. Im Rahmen der Abwägung der Schwere des Eingriffs gegenüber den der Regelung zugrunde liegenden Gemeinwohlinteressen durfte der Normsetzer diesen Belangen den Vorrang einräumen. Wie bereits dargelegt, hätte sich ohne den Verbleib des Versorgungsauftrags in der Dialysepraxis die Zahl der Leistungserbringer in der Dialyseversorgung ohne Begrenzung erhöhen können. Das würde die Intentionen des Normgebers, zum einen mit der Sicherung der Erwerbsmöglichkeiten in einem bestimmten Umfang einen Anreiz zu setzen, in der nephrologischen Versorgung niereninsuffizienter Patienten tätig zu werden, und zum anderen eine wirtschaftliche Versorgung mit Dialyseleistungen insgesamt durch eine Begrenzung der Zahl der Leistungserbringer zu bewirken, zuwiderlaufen. Die Einschränkungen der Berufsfreiheit des einzelnen Arztes stehen nicht außer Verhältnis zu den gewichtigen Gemeinwohlbelangen. Zum einen kann ein Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie bzw ein Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie (vgl
Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer vom 23.10.2015 Ziffer 13.7 S 84) nephrologische Leistungen auch außerhalb der Dialyse erbringen. Zum anderen stehen dem aus einer Dialysepraxis ausscheidenden Arzt auch weiterhin Betätigungsmöglichkeiten in diesem Bereich offen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Dialyseleistungen in aller Regel in ärztlichen Kooperationen erbracht werden. Ein Arzt, der aus einer BAG ausscheidet, kann zwar seinen Versorgungsauftrag nicht mitnehmen, er kann aber den in einer anderen BAG, einem MVZ oder bei einer der in diesem Versorgungssegment stark vertretenen ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtungen (vgl dazu BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 30) frei gewordenen Versorgungsauftrag übernehmen. Gerade in einem Markt, der - zT historisch bedingt - stark von Leistungserbringern wie dem Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation mit einer Vielzahl angestellter Ärzte oder in Kooperation tätiger selbstständiger Ärzte geprägt wird, sind die beruflichen Möglichkeiten einer fachlich hoch spezialisierten Gruppe wie der Nephrologen auch ohne die Bindung des Versorgungsauftrags an eine Person vielfältig. Schließlich kann eine Einzelpraxis, die Dialysen anbietet, unter den Voraussetzungen des § 5 Abs 7 Buchst c BlutreinigungsV ohne Bedarfsprüfung um einen weiteren Arzt verstärkt werden(vgl BSG SozR 4-2500 § 101 Nr 11 RdNr 32 f). In Fällen einer Praxisnachfolge ist die Übertragung der Genehmigung eines Versorgungsauftrags in § 4 Abs 2 Anlage 9.1 BMV-Ä vorgesehen. Nur für den Fall der Gründung einer neuen Dialysepraxis besteht die Notwendigkeit, die Genehmigung der Übernahme eines Versorgungsauftrags unter den in der Anlage 9.1 BMV-Ä genannten Voraussetzungen zu beantragen. Die damit verbundene räumliche Einschränkung der Berufstätigkeit ist angesichts der überragenden Bedeutung der mit dem Regelungskonzept der Anlage 9.1 BMV-Ä verfolgten Gemeinwohlbelange hinzunehmen.
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II. Im Interesse der unverzichtbaren Kontinuität der Versorgung der Versicherten modifiziert der Senat die Aufhebung der angefochtenen Genehmigung in der Weise, dass diese erst mit Ablauf des 31.12.2017 wirksam wird. Ähnlich wie in dem am 28.10.2015 (SozR 4-5540 § 6 Nr 2, RdNr 47) entschiedenen Fall kann der Senat nicht darüber hinwegsehen, dass am Standort des Beigeladenen zu 1. seit Jahren Patienten mit Dialyseleistungen versorgt werden. Dieses Versorgungsangebot kann nicht an dem Tag der rechtskräftigen Feststellung der Rechtswidrigkeit der ihm zugrunde liegenden Genehmigungen beendet werden. Der Senat sieht - wie im vorgenannten Verfahren - anderenfalls die Gefahr, dass die gerade im Bereich der Dialyse besonders bedeutsame kontinuierliche Versorgung der Versicherten gefährdet würde, wenn dieses Versorgungsangebot übergangslos entfiele. Gleichzeitig werden die Folgen der Entscheidung für den Beigeladenen zu 1. abgefedert.
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Die Aufhebung der Genehmigung erst mit Ablauf des 31.12.2017 betrifft auch die Nebenbetriebsstätte in N. ; auch wenn für diese keine formelle Genehmigung der Beklagten vorliegt, die die Klägerin anfechten könnte, wird dieser Standort im Einvernehmen mit der insoweit zuständigen Behörde, der Beklagten, betrieben. Aus der Perspektive des Schutzes einer seit Jahren bestehenden Versorgungsstruktur macht es keinen Unterschied, ob eine Nebenbetriebsstätte förmlich genehmigt ist oder die für eine - hypothetisch erforderliche Genehmigung zuständige - Behörde mitteilt, eine Genehmigung sei nicht erforderlich. Ebenso wie die Klägerin dagegen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorgehen kann, können sich die Begünstigten zunächst auf die Auffassung der KÄV verlassen.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach haben die Beklagte und der Beigeladene zu 1. die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen als Gesamtschuldner zu tragen (§ 154 Abs 1, § 159 Satz 2 VwGO). Eine Erstattung der Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 7. ist nicht veranlasst; sie haben im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt (§ 162 Abs 3 VwGO; vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Oktober 2013 geändert, soweit auf die Berufung des Klägers festgestellt worden ist, dass sich der Bescheid vom 10. November 2008 erledigt hat. Die Berufung des Klägers wird in vollem Umfang zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11. August 2010 mit der Maßgabe geändert, dass die Beklagte verurteilt wird, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 10. November 2008 zu entscheiden. Im Übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
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Die Beklagte, der Kläger und die Beigeladene zu 1. tragen die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens je zu 1/3. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 7. sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Streitig ist die Drittanfechtung einer Zweigpraxisgenehmigung zur Durchführung von Dialyseleistungen.
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Die Beigeladene zu 1. ist eine zur vertragsärztlichen Versorgung in S zugelassene Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) von Fachärzten für Innere Medizin, zum Teil mit Schwerpunktbezeichnung Nephrologie. Sie führt in S an drei Standorten Dialyseleistungen durch.
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Im August 2008 stellte die Beigeladene zu 1. einen Antrag auf Errichtung einer fachärztlich nephrologischen Zweigpraxis mit Dialyse am S-Krankenhaus, H straße 7 in
E In dem Schreiben wurde auch erwähnt, dass in unmittelbarer Nähe von ca drei Kilometern ein "kleines, nicht fachspezifisch nephrologisch geführtes Dialysezentrum" angesiedelt sei. Die Beklagte holte eine Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Rheinland-Pfalz ein, die die Dialyseeinrichtungen ihres nördlichen Bereiches und deren Versorgungsregionen sowie die Auslastung der Praxen mitteilte. Sodann wandte sich die Beklagte mit Hinweis auf die Stellungnahme der KÄV Rheinland-Pfalz und unter Übersendung des Antrags der Beigeladenen zu 1. an die Landesverbände der Krankenkassen (KK) mit dem Bemerken, sie befürworte den Antrag zur Sicherstellung der wohnortnahen Dialyse-Versorgung. Sollte bis zum 7.11.2008 keine Stellungnahme vorliegen, setze sie das Einverständnis zu dem vorliegenden Antrag voraus. Zwei Landesverbände (BKK und Landwirtschaftliche KK) befürworteten daraufhin ausdrücklich den Antrag, die übrigen Adressaten äußerten sich nicht. Mit Bescheid vom 10.11.2008 gab die Beklagte dem Antrag auf Genehmigung einer Zweigpraxis zur Durchführung von Dialyseleistungen in der H straße 7 in E statt.
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Gegen diesen Genehmigungsbescheid legte der Kläger, der seit 1983 als Facharzt für Innere Medizin in H zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist und dort auch Dialyseleistungen erbringt, am 13.5.2009 Widerspruch ein. Er dialysiere zurzeit mehr als 30 Kassenpatienten; seine freien Kapazitäten lägen nach den gültigen Richtlinien bei über 60 Patienten. Tatsächlich erhielt der Kläger mit Bescheid vom 13.11.2008 die Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags für eine angestellte Ärztin, Frau Dr. H, mit der er mittlerweile in einer BAG tätig ist.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 25.8.2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück, weil es an seiner Anfechtungsbefugnis fehle. Dem Antrag der Beigeladenen zu 1. auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der Genehmigung hatte die Beklagte zuvor hinsichtlich der Dialyseleistungen bei Patienten, die bereits in der Hauptbetriebsstätte in S versorgt wurden, entsprochen. Das SG hat den Antrag der Beigeladenen zu 1., auch hinsichtlich der Dialysepatienten, die am 10.11.2008 noch nicht in ihrer Praxis in S versorgt wurden, die sofortige Vollziehung der Zweigpraxisgenehmigung anzuordnen sowie den Antrag des Klägers auf Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Beschluss vom 5.8.2010 - S 2 KA 308/10 ER - zurückgewiesen.
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Mit Urteil vom 11.8.2010 hat das SG Düsseldorf die Beklagte zur Neubescheidung des Antrags der Beigeladenen zu 1. verurteilt. Die Genehmigung einer Zweigpraxis für Dialyseleistungen könne nur erteilt werden, wenn die projektierte Zweigpraxis nicht gleichzeitig in der Versorgungsregion einer anderen Praxis liege, es sei denn, sie sei nach einvernehmlicher Feststellung der KÄV und der zuständigen Verbände der KKn aus Gründen der Sicherstellung der Versorgung notwendig. Hieraus ergebe sich für den Kläger ein Anspruch auf gerichtliche Nachprüfung, ob das in Abs 1 Buchst b Satz 2 Anhang 9.1.5 Bundesmantelvertrag Ärzte/Ersatzkassenvertrag Ärzte (BMV-Ä/EKV-Ä) normierte Verwaltungsverfahren korrekt durchgeführt worden ist. Das sei nicht der Fall gewesen. Es fehle jedenfalls an der einvernehmlichen Feststellung der Beklagten und der Krankenkassenverbände, ob die Einrichtung der in E projektierten Zweigpraxis aus Gründen der Sicherstellung der Dialyseversorgung notwendig sei. Die Beklagte habe in ihrem Anschreiben an die Landesverbände vom 22.10.2008, mit denen diese um Stellungnahme zum Antrag auf Zweigpraxisgenehmigung gebeten worden seien, die Praxis des Klägers in H
mit keinem Wort erwähnt. Auf der Basis einer dergestalt unvollständigen Sachverhaltsermittlung hätten die Krankenkassenverbände aber keine sachgerechten Erwägungen über die Dialyseversorgung im Umkreis von E anstellen können.
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Parallel zum anschließenden Berufungsverfahren haben der Kläger und die Beigeladene zu 1. sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschwerden gegen den Beschluss des SG Düsseldorf vom 5.8.2010 gewendet. Das LSG hat mit Beschluss vom 16.3.2011 den die sofortige Vollziehung der Zweigpraxisgenehmigung anordnenden Bescheid der Beklagten vom 3.8.2009 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der im Hauptsacheverfahren verfolgten Klage festgestellt. Der Kläger sei anfechtungsberechtigt. Im Hinblick auf den Zweck und den daran ausgerichteten Zuschnitt der Dialyseversorgungsregionen (§ 6 Anlage 9.1 BMV-Ä/EKV-Ä) bewirke eine in die Versorgungsregion eindringende "fremde" (Dialyse-)Zweigpraxis eine für die Berufsfreiheit des vorhandenen Arztes grundsätzlich relevante tatsächliche Wettbewerbsbeeinträchtigung. Auch liege ein faktisches Konkurrenzverhältnis vor, durch das der bereits zugelassene Arzt eine nicht nur geringfügige Schmälerung seiner Erwerbsmöglichkeiten zu befürchten habe. Da die Genehmigung einer Dialysezweigpraxis in der Versorgungsregion einer anderen Dialysepraxis nur erfolgen dürfe, wenn die KÄV und die KKn die Zweigpraxis aus Gründen der Sicherstellung der Versorgung für erforderlich hielten, bestehe eine Vorrangigkeit der Bedarfsdeckung durch die bereits vorhandenen Dialyseeinrichtungen. Der Kläger könne daher die Genehmigung der Zweigpraxis mittels defensiver Konkurrentenklage abwehren. Der angefochtene Bescheid sei bereits deswegen formell fehlerhaft, weil er keine Begründung enthalte. Der Widerspruchsbescheid vom 25.8.2009 verhalte sich nur zur Frage der Anfechtungsbefugnis. Der angefochtene Bescheid sei auch materiell fehlerhaft. Er verstoße gegen Anhang 9.1.5 Abs 1 Buchst b Satz 2 Anlage 9.1 BMV-Ä/EKV-Ä. Die projektierte Zweigpraxis liege in der dem Kläger zugewiesenen Versorgungsregion und das erforderliche Einvernehmen sei nicht wirksam hergestellt worden, weil die zugrundeliegende konkludente Zustimmung auf einem unvollständig unterbreiteten Sachverhalt beruht habe.
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Mit Bescheid vom 27.6.2011 wurde der BAG des Klägers mit Frau Dr. H die Genehmigung für die Durchführung von Dialyseleistungen in der Zweigpraxis S straße 25 - 27 in
W erteilt. Diese Genehmigung wurde mit Bescheid vom 4.9.2012 widerrufen, weil die Zweigpraxis nicht betrieben wurde. Mit Bescheid vom 27.3.2013 wurde dem Kläger die Genehmigung erteilt, am Standort "H str. 7, E" - mithin an dem Standort, für den auch der Beigeladenen zu 1. die Genehmigung erteilt wurde - Dialyse-Leistungen abzurechnen und durchzuführen. Diese Genehmigung hat die Beigeladene zu 1. angefochten. Bereits im Oktober 2011 hatte das S-Krankenhaus der Beigeladenen zu 1. mitgeteilt, dass es die potentiellen Räumlichkeiten nicht länger freihalten könne und von einer Kooperation Abstand nehme.
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Die Beklagte richtete mit Schreiben vom 18.5.2011 erneut eine Anfrage an die Landesverbände der KKn, um das erforderliche Einvernehmen herzustellen. Darin wurde ausgeführt, dass die projektierte Zweigpraxis in die Versorgungsregion der Praxis des Klägers falle, die zum Zeitpunkt der Antragstellung zu 91 % ausgelastet gewesen sei. Mittlerweile verfüge der Kläger über einen weiteren Versorgungsauftrag, der Auslastungsgrad der Praxis betrage 34 %. Die Praxis des Klägers liege 17 km von der projektierten Zweigpraxis der Beigeladenen zu 1. entfernt. Versicherte aus der ländlichen, bergigen Struktur der Region müssten zur Praxis des Klägers Fahrzeiten von mindestens 24 Minuten mit dem Auto bzw mindestens 39 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Kauf nehmen. Dies bedeute erhebliche zusätzliche Beschwernisse für die häufig immobilen Patienten, die diese Wege mehrmals wöchentlich zurücklegen müssten. Mit den jeweiligen Fahrten seien erhebliche Kosten für die Krankenkassen verbunden. Der Kläger befürchte, dass der Auslastungsgrad seiner Praxis weiter zurückgehe und sich die Beigeladene zu 1. neue Patientenkreise erschließen könnte. Bei der gebotenen Abwägung der Gesamtumstände sei zu berücksichtigen, dass die Regelungen zur Versorgung chronisch nierenkranker Patienten der wohnortnahen Versorgung gerade im Hinblick auf die besonderen Patienteninteressen ein hoher Stellenwert einräumen würden. Für die Neuerteilung von Versorgungsaufträgen sei ausdrücklich geregelt, dass die wohnortnahe Versorgung Vorrang vor der Forderung nach kontinuierlichen Versorgungsstrukturen habe. Dies gelte auch bei der Erteilung einer Zweigpraxisgenehmigung. Angesichts der spezifischen örtlichen Gegebenheiten, der infrastrukturellen Voraussetzungen und der ungünstigen Verteilung der Dialysepraxen im R
Kreis werde die Einrichtung der Zweigpraxis zur Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung weiterhin für notwendig gehalten. Daraufhin erklärte die IKK, sie könne über die Notwendigkeit der Einrichtung einer Zweigpraxis keine Aussage treffen, die landwirtschaftliche KK bestätigte, dass sie schon im Jahr 2008 der Erteilung eines Versorgungsauftrags an die Beigeladene zu 1. zugestimmt habe, die Knappschaft schloss sich mit Mail vom 17.4.2012 der zustimmenden Stellungnahme der AOK, des Vdek und des BKK-Landesverbandes an.
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Das LSG hat mit Urteil vom 9.10.2013 auf die Berufung des Klägers festgestellt, dass sich der Bescheid vom 10.11.2008 erledigt habe und im Übrigen seine Berufung sowie die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. zurückgewiesen. Sein mit dem Hauptantrag verfolgtes Klageziel, den Bescheid vom 10.11.2008 in der Gestalt des ihm erteilten Widerspruchsbescheides vom 25.8.2009 im Rahmen einer Drittanfechtungsklage nach § 54 Abs 1 SGG aufzuheben, könne der Kläger nicht mehr erreichen. Zwar sei seine Drittanfechtungsklage zulässig. Auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 16.3.2011 - L 11 KA 96/10 B ER - werde verwiesen. Allerdings habe sich der Bescheid der Beklagten vom 10.11.2008 im Sinne des § 39 Abs 2 SGB X erledigt. Der Beigeladenen zu 1. sei eine Genehmigung für den Betrieb einer Zweigpraxis in der H straße 7 in E erteilt worden. Wie sich aus dem im Berufungsverfahren überreichten Schriftverkehr mit dem S-Krankenhaus ergebe, halte dieses keine Räumlichkeiten mehr für die Beigeladene zu 1. zum Betrieb ihrer Zweigpraxis vor, sodass der Bezugspunkt der Genehmigung entfallen sei.
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Der hilfsweise gestellte Antrag, festzustellen, dass sich der Bescheid vom 10.11.2008 erledigt habe, sei aber als Feststellungsklage im Sinne des § 55 SGG zulässig und begründet. Die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. seien unbegründet, weil sie, nachdem sich die Genehmigung erledigt habe, durch das Urteil des SG Düsseldorf vom 11.8.2010 nicht mehr beschwert würden.
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Dagegen richtet sich die Revision der Beklagen. Eine Anfechtungsberechtigung des Klägers scheitere bereits an der fehlenden Statusrelevanz der angefochtenen Entscheidung. Die Dialysezweigpraxisgenehmigung eröffne weder einen Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung noch werde der Kreis der Patienten rechtlich erweitert. Die Genehmigung beinhalte nur ein von der Zulassung abgeleitetes Recht zur Tätigkeit an einem anderen Ort. Weder sei sie Voraussetzung für eine Sonderbedarfszulassung oder Ermächtigung noch für die Erteilung eines neuen Versorgungsauftrags. Soweit in dem Fall, in dem die projektierte Dialysezweigpraxisgenehmigung auch in der Versorgungsregion einer anderen Praxis liegt, zu prüfen und ggf einvernehmlich festzustellen sei, ob die Genehmigung zur Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung notwendig sei, begründe dies keinen Drittschutz. Es gehe um eine Betrachtung der lokalen Versorgungssituation unter Berücksichtigung der besonderen Patienteninteressen an einer wohnortnahen Versorgung. Für einen lokalen Versorgungsbedarf wäre der Kläger jedenfalls nicht zu berücksichtigen, weil er Patienten aus E nicht als wohnortnaher Versorger zur Verfügung stehe.
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Die Beklagte und die Beigeladene zu 1. beantragen,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 9.10.2013 und des SG Düsseldorf vom 11.8.2010 aufzuheben, die Berufung des Klägers zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Er trägt vor, Dialysepatienten müssten regelmäßig Krankentransportfahrzeuge in Anspruch nehmen. Nach den Krankentransportrichtlinien würden nur Kosten für die Beförderung zur "nächst erreichbaren Behandlungsmöglichkeit" erstattet. Dies führe faktisch zu einer Einschränkung der freien Arztwahl. Für Patienten aus dem östlichen R-Kreis sei seine Praxis die nächstgelegene. Mit dem Betrieb einer Zweigpraxis der Beigeladenen zu 1. in E würde seine Praxis durch die Hauptbetriebsstätte der Beigeladenen zu 1. in S von Westen und durch die Nebenbetriebsstätte in E von Osten her so eingeschnürt, dass sie auf Dauer nicht wirtschaftlich zu führen wäre. Die Dialysezweigpraxisgenehmigung nach der Anlage 9.1 BMV-Ä/EKV-Ä unterscheide sich grundlegend von einer Zweigpraxisgenehmigung nach § 24 Abs 3 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV). Sie sei bereits dann zu versagen, wenn die beantragte Zweigpraxis in der Versorgungsregion einer anderen Dialysepraxis liege. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, wenn die Sicherstellung der Dialyseversorgung ohne die Zweigpraxis gefährdet wäre, könne eine Genehmigung erteilt werden, auch wenn die beantragte Zweigpraxis in der Versorgungsregion einer anderen Dialysepraxis liege. Daraus werde deutlich, dass die Dialysezweigpraxisgenehmigung nachrangig gegenüber einer konkurrierenden Dialysepraxis in derselben Versorgungsregion sei.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten hat insoweit Erfolg, als das Urteil des LSG zu ändern, die Berufung des Klägers insgesamt zurückzuweisen und die Beklagte zur erneuten Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu verurteilen ist. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.
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1. Die Revision der Beklagten ist zulässig. Die Beklagte ist durch das Urteil des LSG jedenfalls formell beschwert, weil das LSG ihre Berufung zurückgewiesen hat.
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2. Sie ist auch materiell beschwert. Das LSG hat zu Unrecht festgestellt, dass sich der Bescheid vom 10.11.2008 auf andere Weise iS des § 39 SGB X erledigt hat. Nach § 39 Abs 2 SGB X bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Auf andere Weise hat der Verwaltungsakt sich erledigt, wenn er seine regelnde Wirkung verliert oder die Ausführung seines Hauptverfügungssatzes rechtlich oder tatsächlich unmöglich geworden ist (vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 132a Nr 7 RdNr 18 ff, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen; BSGE 72, 50, 56 = SozR 3-8570 § 10 Nr 1 S 8; vgl zur Erledigung von Bescheiden allgemein zB Roos in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 39 RdNr 14). Eine solche Erledigung liegt vor, wenn durch eine Änderung der Sach- oder Rechtslage das Regelungsobjekt des Verwaltungsaktes entfällt. Dazu zählen insbesondere Sachverhalte, bei denen für die getroffene Regelung nach der eingetretenen Änderung kein Anwendungsbereich mehr verbleibt bzw bei denen der geregelte Tatbestand selbst entfällt (BSG SozR 3-1300 § 39 Nr 7 S 13). Für die Gegenstandslosigkeit des Verwaltungsaktes bei nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage ist damit maßgeblich, ob er auch für den Fall geänderter Umstände noch Geltung beansprucht oder nicht. Waren Bestand oder Rechtswirkungen des Verwaltungsaktes für den Adressaten erkennbar an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, wird er gegenstandslos, wenn diese Situation nicht mehr besteht (BSG SozR aaO, S 14; BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 5 RdNr 24). Eine solche Situation liegt hier nicht vor.
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Ebenso wie die Zulassung wird die Genehmigung einer Zweigpraxis zwar grundsätzlich für eine konkrete Anschrift erteilt (vgl für die Zulassung § 95 Abs 1 Satz 7 SGB V, § 18 Abs 1 Satz 2 und § 24 Abs 1 Ärzte-ZV; BSG SozR 4-5520 § 24 Nr 2 RdNr 13). Von der Genehmigung einer Zweigpraxis im S-Krankenhaus in E kann die Beigeladene zu 1. tatsächlich nicht mehr Gebrauch machen, weil ihr dort keine Räumlichkeiten zur Verfügung stehen. Die Beigeladene zu 1. ist hier aber nicht gehindert, die Anschrift der projektierten Zweigpraxis zu ändern. Für die Zulassung hat der Senat entschieden, dass es eines Verlegungsantrags hierzu nicht bedarf, wenn der Zulassungsbescheid noch nicht bestandskräftig und der darin genannte Vertragsarztsitz damit festgeschrieben geworden ist (BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 5 RdNr 49, 50). Es sei durchaus lebensnah, dass ein als Vertragsarztsitz avisiertes - und im Zulassungsantrag benanntes - Objekt nicht mehr zur Verfügung stehe oder sich beabsichtigte Kooperationen mit Niedergelassenen zerschlügen, namentlich dann, wenn sich das Zulassungsverfahren über einen längeren Zeitraum hinziehe. In derartigen Fällen sei es - jedenfalls bei gleich bleibendem Zulassungsbezirk - sachgerecht und ausreichend, den benannten Vertragsarztsitz formlos zu ändern. Anders als in dem dortigen Fall hat die Beigeladene zu 1. hier allerdings keinen alternativen Standort benannt, sondern ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem LSG darauf beharrt, sie sei weiterhin Inhaberin einer Genehmigung einer Dialysezweigpraxis im S-Krankenhaus in E
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Zwar kommt eine Zweigpraxisgenehmigung ebenso wie die Zulassung eines Arztes grundsätzlich nicht in Betracht, wenn nicht feststeht, an welchem Ort er seine Tätigkeit ausüben wird. Eine über die Ortsbezeichnung hinausgehende konkrete Benennung ist hier jedoch ausnahmsweise entbehrlich. Der Beigeladenen zu 1. kann nicht zugemutet werden, Räumlichkeiten in E anzumieten, um eine Adresse für eine Zweigpraxis vorweisen zu können, in der sie nach den Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz nicht tätig werden darf. Es wäre mit ihrem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art 19 Abs 4 GG nicht vereinbar, wenn sie einerseits aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Drittanfechtung von ihrer Zweigpraxisgenehmigung keinen Gebrauch machen könnte und andererseits ihr der Wegfall der ins Auge gefassten Räumlichkeiten entgegengehalten würde. Hätte die Beigeladene zu 1. andere Räumlichkeiten angemietet, um eine neue Adresse für die Zweigpraxis angeben zu können, wäre sie Gefahr gelaufen, auch diese in absehbarer Zeit wegen der aufschiebenden Wirkung eines Drittwiderspruchs nicht nutzen zu können. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über eine Drittanfechtung wird regelmäßig ein so langer Zeitraum vergehen, dass in Aussicht genommene Räumlichkeiten nicht ohne erhebliche Kosten vorgehalten werden können. In einer derart rechtlich ungesicherten Position über einen Zeitraum von hier nahezu 6 Jahren kann von der Beigeladenen zu 1. nicht erwartet werden, andere Räumlichkeiten in E nur für die Möglichkeit der Angabe eines konkreten Zweigpraxissitzes anzumieten. Die Beigeladene zu 1. hat im Revisionsverfahren hinreichend deutlich gemacht, dass sie von der Zweigpraxisgenehmigung für E grundsätzlich Gebrauch machen will. Es kann offenbleiben, in welcher Entfernung vom ursprünglich geplanten Standort der neue Praxissitz grundsätzlich liegen muss. Jedenfalls ist dann, wenn die Beigeladene zu 1. im näheren Umfeld des S-Krankenhauses geeignete Räumlichkeiten findet, die Genehmigung ggf auf den neuen Standort umzuschreiben. Eine Erledigung der Genehmigung ist damit noch nicht eingetreten.
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3. Das LSG hat aber zu Recht den Kläger für berechtigt gehalten, die der Beigeladenen zu 1. erteilte Zweigpraxisgenehmigung anzufechten. Die Beklagte wird erneut in der Sache über den Widerspruch des Klägers zu entscheiden haben.
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a) Widerspruch und Klage waren zulässig, weil eine Rechtsverletzung jedenfalls nicht ausgeschlossen war.
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b) Die Prüfung der Begründetheit von Drittanfechtungen vertragsärztlicher Konkurrenten erfolgt nach der Rechtsprechung des Senats zweistufig (s zuletzt BSG SozR 4-2500 § 121a Nr 4 RdNr 13 ff und BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 26 ff, jeweils mwN). Zunächst ist zu klären, ob der Vertragsarzt berechtigt ist, die dem konkurrierenden Arzt erteilte Begünstigung anzufechten. Ist das zu bejahen, so muss geprüft werden, ob die Entscheidung in der Sache zutrifft.
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aa) Unter welchen Voraussetzungen Vertragsärzte berechtigt sind, zugunsten anderer Ärzte ergangene Entscheidungen anzufechten (sog defensive Konkurrentenklage), hat das BSG in seinem Urteil vom 7.2.2007 im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG vom 17.8.2004 (BVerfG
SozR 4-1500 § 54 Nr 4) im Einzelnen dargestellt (BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10). Danach müssen erstens der Kläger und der Konkurrent im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbieten, weiterhin dem Konkurrenten die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet oder erweitert und nicht nur ein weiterer Leistungsbereich genehmigt werden, und ferner der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber demjenigen des Anfechtenden nachrangig sein. Letzteres ist der Fall, wenn die Einräumung des Status an den Konkurrenten vom Vorliegen eines Versorgungsbedarfs abhängt, der von den bereits zugelassenen Ärzten nicht abgedeckt wird (BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10, RdNr 19 ff; in der Folgezeit weiterführend BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 17 f, 20, 22-24; BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 19 ff; BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 17 ff; BSG SozR 4-2500 § 121a Nr 4 RdNr 19 ff und BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 30 ff).
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(1) Erfüllt ist hier die Voraussetzung, dass der Kläger und der Konkurrent im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbieten (vgl zu diesem Merkmal BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 29; BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10, RdNr 19, 21; BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 22-24; BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 25; BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 21; BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 26 RdNr 30; BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 29). In der Konstellation, die dem Urteil vom 17.10.2007 zugrunde lag (s BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, insbes RdNr 22-24), hat der Senat hervorgehoben, dass für die Anfechtungsberechtigung ein faktisches Konkurrenzverhältnis vorliegen muss, durch das plausibel wird, dass der bereits zugelassene Arzt eine nicht nur geringfügige Schmälerung seiner Erwerbsmöglichkeiten zu befürchten hat. Dementsprechend bedarf es der Überprüfung und Feststellung, dass es in den Leistungsspektren und den Einzugsbereichen von anfechtendem und konkurrierendem Arzt ins Gewicht fallende Überschneidungen gibt (BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 31 RdNr 29; BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 24; BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 25 f; BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 121a Nr 4 RdNr 16).
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Die Genehmigung der Zweigpraxis wurde der Beigeladenen zu 1. zur Durchführung von Dialyseleistungen erteilt. Diese Leistungen werden auch vom Kläger erbracht. Die projektierte Zweigpraxis befindet sich in der Versorgungsregion der Praxis des Klägers. Nach der Anlage 3 der Bedarfsplanungs-Richtlinie-Ärzte (BedarfsplRL) ist der R-Kreis der Raumordnungskategorie 2 zugeordnet, sodass nach § 6 Abs 1 Satz 7 Anlage 9.1 BMV-Ä (bis zum 30.9.2013: BMV-Ä/EKV-Ä) die Versorgungsregion der klägerischen Praxis einen Radius von 20 km umfasst. Die von der Beigeladenen zu 1. beantragte Zweigpraxis in E befindet sich ca 12 km Luftlinie und ca 17 km Autoverkehrsstrecke von der Praxis des Klägers in H entfernt. Danach ist ohne Weiteres von einer Überschneidung der Einzugsbereiche auszugehen. Bei den Dialyseleistungen steckt der Versorgungsbereich typisierend den räumlichen Bereich ab, dessen Patientenzahl eine kontinuierlich wirtschaftliche Versorgungsstruktur gewährleistet. Das wird hier dadurch deutlich, dass nach Abs 1 Buchst b Satz 2 Anhang 9.1.5 Anlage 9.1 BMV-Ä eine Zweigpraxis grundsätzlich nur genehmigt wird, wenn sie nicht gleichzeitig in der Versorgungsregion einer anderen Praxis liegt. Unabhängig davon hat der Kläger im Berufungsverfahren angegeben, im Juli 2010 14 Patienten aus dem östlichen R-Kreis zu behandeln. Da der Kläger nach § 5 Abs 7 Satz 5 Nr 1 der Vereinbarung zur Ausführung und Abrechnung von Blutreinigungsverfahren (Qualitätssicherungsvereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren - BlutreinigungsVf-VB) bis zur Erteilung des Versorgungsauftrags an Frau Dr. H nur 30 Dialysepatienten, danach 100 behandeln durfte, ist davon auszugehen, dass ein Anteil von mehr als 5 %, mithin ein relevanter Patientenkreis betroffen ist (vgl BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, RdNr 24; BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 25 f). Nicht abzustellen ist auf die Gesamtpatientenzahl des Klägers, sondern auf die Zahl der Dialysepatienten, weil nur insoweit die Wettbewerbssituation des Klägers betroffen ist.
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Das durch die Überschneidung entstehende Konkurrenzverhältnis entfällt auch nicht deshalb, weil die Beigeladene zu 1. angegeben hat, sie wolle nur Patienten behandeln, die sie bisher bereits in S behandelt habe. Die Zweigpraxisgenehmigung wird nicht für die Behandlung konkreter Patienten erteilt. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat die Beigeladene zu 1. dementsprechend dafür gestritten, dass sie nicht nur die bereits in S behandelten Patienten aus E und Umgebung dialysieren darf. Sie hat auch vorgetragen, dass im Patientenkollektiv ständig Veränderungen eintreten. Mehr als ein Drittel der Patienten (9 von 24), die in E wohnortnah versorgt werden sollten, waren nach 20 Monaten aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr in Behandlung der Beigeladenen zu 1.
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(2) Die Anfechtungsberechtigung scheitert hier nicht daran, dass die Genehmigung einer Zweigpraxis keinen vertragsarztrechtlichen Status vermittelt. Der Senat hat eine Berechtigung von Vertragsärzten, die einem anderen Vertragsarzt nach § 24 Abs 3 Ärzte-ZV erteilte Zweigpraxisgenehmigung anzufechten, im Hinblick darauf allerdings ausdrücklich verneint(BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3). Im Falle einer Zweigpraxisgenehmigung bestehe gegenüber den bislang entschiedenen Fällen die Besonderheit, dass der Konkurrent bereits über einen - durch die Zulassung an seinem Vertragsarztsitz vermittelten - Status verfüge, ihm der Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung also bereits grundsätzlich eröffnet sei. Daher lasse sich die Erfüllung des Merkmals der Teilnahmeeröffnung allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Erweiterung der Teilnahme begründen. Eine Zweigpraxisgenehmigung führe jedoch zu keiner rechtlichen Erweiterung des Kreises der Patienten, die ein Vertragsarzt behandeln dürfe. Zwar resultiere aus der Zulassung eine grundsätzliche Beschränkung des Tätigkeitsortes im Sinne einer Bindung der Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit an den Vertragsarztsitz. Eine Beschränkung des Kreises der möglichen Patienten - etwa auf solche, die am Praxissitz wohnen oder arbeiten - sei damit aber nicht verbunden. Spiegelbildlich zum Recht der Versicherten auf freie Arztwahl seien die Vertragsärzte nicht gehindert, alle Versicherten, die sie als Behandler gewählt haben, auch dann zu behandeln, wenn diese von auswärts kämen.
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Erst recht könne dem Vertragsarztrecht bzw dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung kein Grundsatz entnommen werden, dass dem bereits vor Ort tätigen Vertragsarzt kraft seiner Zulassung ein "Erstzugriffsrecht" auf die dort (bzw im Planungsbereich) wohnenden oder arbeitenden gesetzlich krankenversicherten Patienten zustehe. Potentielle Patienten einer Zweigpraxis seien rechtlich nicht gehindert, den Filialarzt schon vor Erteilung einer Zweigpraxisgenehmigung an seinem Stammsitz in Anspruch zu nehmen, etwa weil er einen besonders guten Ruf hat oder der Stammsitz verkehrsgünstig gelegen sei. Ebenso sei umgekehrt kein Versicherter verpflichtet, den nunmehr an seinem Wohn- oder Beschäftigungsort partiell praktizierenden Filialarzt in Anspruch zu nehmen. Die Zweigpraxisgenehmigung bewirke somit keine rechtliche Erweiterung des Kreises der für eine Behandlung in Frage kommenden Versicherten, sondern allein eine faktische Verbesserung des Marktzugangs. In Abgrenzung von der für eine Anfechtungsberechtigung irrelevanten Erschließung eines weiteren Leistungsbereichs komme es entscheidend darauf an, ob das in Rede stehende Recht mit einer Statusgewährung verbunden sei. Eine Zweigpraxisgenehmigung führe jedoch nicht zu einer Statusgewährung in diesem Sinne, denn die eigentliche Statusgewährung werde durch die Zulassung vermittelt, mit der die Zweigpraxisgenehmigung akzessorisch und untrennbar verbunden sei.
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Diese Rechtsprechung ist jedoch, wie SG und LSG zutreffend ausgeführt haben, nicht auf die Genehmigung der Durchführung von Dialyseleistungen in einer Zweigpraxis übertragbar. Zwar wird auch in diesem Versorgungsbereich mit der Zweigpraxisgenehmigung kein gesonderter Status verliehen. Das steht einer Anfechtungsbefugnis Dritter aber nicht unbedingt entgegen. Der Senat hat für die Zusicherung der Genehmigung eines (Dialyse-)Versorgungsauftrags nach neuem Recht eine Anfechtungsberechtigung der bereits eine Dialysepraxis betreibenden BAG bejaht (vgl BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 30 und Nr 31), obwohl es sich hierbei nicht um eine Statusentscheidung handelt. Dabei hat der Senat zunächst ausgeführt, dass die Zusicherung der Genehmigung eines Versorgungsauftrags Voraussetzung für eine Sonderbedarfszulassung nach § 24 Satz 1 Buchst e BedarfsplRL idF vom 15.2.2007 und untrennbar mit dieser Statusentscheidung verbunden ist. Vor allem hat der Senat aber darauf abgestellt, dass die nach § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 6 Abs 1 Anlage 9.1 BMV-Ä durchzuführende Bedarfsprüfung Drittschutz für diejenigen vermittelt, die bei der Ermittlung des Bedarfs zu berücksichtigen sind.
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Eine vergleichbare Konstellation hat der Senat auch bei der Genehmigung zur Durchführung künstlicher Befruchtungen nach § 121a SGB V angenommen(BSG SozR 4-2500 § 121a Nr 4). Zwar bestehe dort keine untrennbare Verknüpfung zwischen Genehmigung und Statusentscheidung wie bei dem Dialyse-Versorgungsauftrag und der Sonderbedarfszulassung nach § 36 Buchst e Satz 1 BedarfsplRL idF vom 20.12.2012. Es könne aber grundsätzlich eine Sonderbedarfszulassung für reproduktionsmedizinische Leistungen nach § 36 Buchst a bis c BedarfsplRL erteilt werden. Die Statusentscheidung setze dann die vorherige Erteilung einer Genehmigung nach § 121a SGB V durch die zuständige Landesbehörde voraus. Die Berechtigung, die die Genehmigung nach § 121a SGB V vermittele, könne unabhängig davon, ob ein vertragsarztrechtlicher Status bereits bestehe oder erst angestrebt werde, die Wettbewerbssituation des bereits reproduktionsmedizinisch tätigen Arztes beeinträchtigen. Mit der Genehmigung zur Durchführung künstlicher Befruchtungen sei eine ausschließlich hierauf ausgerichtete Praxisführung verbunden, die mit einer hohen Kostenbelastung einhergehe, und die daher nur bei entsprechender Auslastung einen wirtschaftlichen Betrieb gewährleiste. Aufgrund des hohen apparativen und personellen Aufwands unterscheide sich eine reproduktionsmedizinisch ausgerichtete Praxis so deutlich von einer gynäkologischen Praxis ohne diesen Schwerpunkt, dass die tatsächlichen Auswirkungen einer Genehmigung denen einer Statusentscheidung nahekämen.
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Die Zweigpraxisgenehmigung für Dialyseleistungen nach § 4 Abs 3 Anlage 9.1 BMV-Ä iVm Anhang 9.1.5 Anlage 9.1 BMV-Ä - Anforderungen an die Genehmigung einer Zweigpraxis oder ausgelagerten Praxisstätte nach § 4 Abs 3, Anlage 9.1 Bundesmantelvertrag - ist wie die Zweigpraxisgenehmigung nach § 24 Ärzte-ZV untrennbar und akzessorisch mit der Zulassung verbunden. Es wird mit ihrer Erteilung kein Status und auch keine Rechtsposition verliehen, die Voraussetzung für eine Sonderbedarfszulassung ist. Ähnlich wie die Zusicherung der Genehmigung eines Versorgungsauftrags oder die Genehmigung für reproduktionsmedizinische Leistungen ist aber die Dialysezweigpraxis geeignet, die in diesem Versorgungsbereich ausnahmsweise geschützte Wettbewerbssituation des bereits in der Dialyse tätigen Arztes zu beeinträchtigen. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 17.8.2011 (SozR 4-2500 § 54 Nr 26 RdNr 26) ausgeführt hat, sichert die spezielle Bedarfsprüfung des § 6 Anlage 9.1 BMV-Ä dem Leistungserbringer, der sich in einem verhältnismäßig kleinen Markt spezialisierter Leistungen bewegt und erhebliche Investitionen tätigt, auch Erwerbsmöglichkeiten in einem bestimmten Umfang. Diese Sicherheit darf durch eine Zweigpraxisgenehmigung nicht in Frage gestellt werden (so auch LSG Baden-Württemberg Urteil vom 9.12.2009 - L 5 KA 2164/08 - Juris RdNr 93). Für den bereits tätigen Arzt kann die Zweigpraxis in seiner Versorgungsregion aber ebensolche Auswirkungen auf seine Wettbewerbsposition haben wie eine Neuzulassung.
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Dass eine ähnliche Wettbewerbssituation entstehen kann wie bei der Erteilung eines Versorgungsauftrags, wird darin deutlich, dass nach Abs 1 Buchst b Satz 2 Anhang 9.1.5 Anlage 9.1 des BMV-Ä in der zum 1.7.2005 in Kraft getretenen und seitdem unverändert geltenden Fassung (DÄ 2005, A-2267) die Genehmigung nur erteilt werden kann, wenn die projektierte Zweigpraxis oder ausgelagerte Betriebsstätte, die in der Versorgungsregion der bestehenden Dialysepraxis liegen muss, nicht gleichzeitig in der Versorgungsregion einer anderen Praxis liegt, es sei denn, die Einrichtung der projektierten Zweigpraxis oder der ausgelagerten Betriebsstätte ist nach einvernehmlicher Feststellung der KÄV und der zuständigen Verbände der Krankenkassen auf Landesebene aus Gründen der Sicherstellung der Dialyseversorgung notwendig. Die Formulierung des ersten Halbsatzes knüpft an § 6 Abs 1 Satz 4 der Anlage 9.1 BMV-Ä an, wonach im Rahmen der Erteilung von Versorgungsaufträgen eine kontinuierliche wirtschaftliche Versorgungsstruktur für die Dialysepraxis als dauerhaft gesichert gilt, wenn sich die Versorgungsregionen der bestehenden und der projektierten Praxis nicht schneiden. Eine Zweigpraxis soll mithin grundsätzlich ebenso wenig wie die Vertragsarztpraxis in der Versorgungsregion einer anderen bestehenden Praxis betrieben werden. Hiervon wird nur eine Ausnahme gemacht, wenn KÄV und KKn einvernehmlich die Einrichtung der Zweigpraxis aus Gründen der Sicherstellung der Versorgung für notwendig halten. Eine Überschneidung der Versorgungsregionen soll erkennbar mit Blick auf eine wirtschaftliche Versorgungsstruktur nicht nur vermieden werden, wenn es um die Erteilung eines Versorgungsauftrags geht, sondern auch dann, wenn ein solcher Auftrag bereits erteilt ist und die Durchführung in einer Zweigpraxis erfolgen soll. Damit wird verhindert, dass mittels einer Zweigpraxis Patienten von einer Praxis abgezogen werden, die bisher die Versorgung in der Region sicherstellt, und die möglicherweise ohne diese Patienten in ihrem Bestand gefährdet ist. Ein Verdrängungswettbewerb mittels der Errichtung von Zweigpraxen ist ebenso wenig im Interesse einer stabilen Versorgung wie der Verdrängungswettbewerb unter den (Haupt-)Praxen.
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Angesichts der auch vom Kläger und der Beigeladenen zu 1. immer wieder betonten Besonderheiten des multimorbiden Patientenklientels, das mehrfach wöchentlich Dialyseleistungen in Anspruch nimmt, ist der Standort ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Der Standort des Klägers in H liegt deutlich näher am projektierten Ort der Zweigpraxis in E als die Praxis der Beigeladenen zu 1. Die "Einkreisung" einer Praxis durch Zweigpraxen einer anderen Praxis in verkehrsgünstiger Nähe zur Konkurrentenpraxis kann zu einer ebensolchen wirtschaftlichen Gefährdung führen wie die Genehmigung der Übernahme eines zusätzlichen Versorgungsauftrags. Die personelle und apparative Ausstattung einer Zweigpraxis zur Durchführung von Dialysen erfordert einen ebensolchen Aufwand wie die Ausstattung einer Praxis, die erstmals einen Versorgungsauftrag erhält. Die notwendigen Investitionen werden sich nur lohnen, wenn in der Zweigpraxis nicht nur die Patienten behandelt werden, die bisher am Vertragsarztsitz dialysiert wurden, sondern weitere Patientenpotentiale durch den neuen Standort erschlossen werden. Dementsprechend hat die Beigeladene zu 1. in ihrem Antrag zunächst angegeben, sie wolle in der Zweigpraxis in E 30 bis 40 Patienten (bei 24 aktuellen Patienten aus dieser Region) behandeln. Der Genehmigung einer Dialysezweigpraxis in der Versorgungsregion einer anderen Dialysepraxis kommt damit in dem besonderen Markt der Dialyseleistungen eine andere Bedeutung zu als der Genehmigung einer Zweigpraxis nach § 24 Abs 3 Ärzte-ZV.
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(3) Die Zweigpraxis nach Anhang 9.1.5 Anlage 9.1 BMV-Ä ist auch nachrangig gegenüber der bereits in der Versorgungsregion bestehenden Dialysepraxis. Für die Zweigpraxisgenehmigung nach § 24 Abs 3 Ärzte-ZV hat der Senat entschieden, dass der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber dem Status des Anfechtenden nicht nachrangig sei(BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 31 ff). Maßstab für die Frage des Nachrangs sei, ob der konkurrierende Status nur bei Vorliegen eines noch bestehenden Versorgungsbedarfs erteilt werde und die Erteilung somit im allgemeinen Interesse an einer ordnungsgemäßen und lückenlosen Versorgung erfolge. Dies komme im Gesetz bei der Ermächtigung eines Krankenhausarztes nach § 116 Satz 2 SGB V durch die Formulierung "soweit und solange eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten" ohne diese "nicht sichergestellt" ist und bei Sonderbedarfszulassungen durch die Wendung zum Ausdruck, dass diese "zur Wahrung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung in einem Versorgungsbereich unerlässlich sind"(§ 101 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V). In § 24 Abs 3 Satz 1 Ärzte-ZV finde sich keine dem auch nur annähernd gleichwertige Aussage. Danach setze eine Zweigpraxisgenehmigung nur voraus, dass ("wenn und soweit") die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert (Nr 1 aaO) und die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt werde (Nr 2 aaO). Im Gegensatz zu Ermächtigungen und Sonderbedarfszulassungen erfordere die Erteilung der Zweigpraxisgenehmigung damit nicht zwingend das Bestehen einer ausgleichsbedürftigen Versorgungslücke, sondern lediglich eine "Verbesserung" der Versorgung. Unabhängig davon, was konkret hierunter zu verstehen sei, sei dieser Begriff jedenfalls nicht in dem Sinne auszulegen, dass er eine - den Anforderungen an Ermächtigungen und Sonderbedarfszulassungen vergleichbare - Bedarfsprüfung erfordere. Damit sei zugleich kein Raum für die Annahme eines Vorrangs der bereits vor Ort niedergelassenen Vertragsärzte.
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Die normative Ausgangslage ist bei der Genehmigung einer Dialysezweigpraxis eine andere. Die Anforderungen für die Genehmigung einer Zweigpraxis für Dialyseleistungen gehen über die allgemeinen Anforderungen der Ärzte-ZV hinaus. Nach § 4 Abs 3 Anlage 9.1 BMV-Ä bedarf die Durchführung von Versorgungsaufträgen mit Dialyse in einer Zweigpraxis oder in einer ausgelagerten Praxisstätte nach den Vorschriften des § 15 Abs 2 BMV-Ä der Genehmigung oder Ermächtigung. Die Genehmigung oder Ermächtigung wird erteilt, wenn die in Anhang 9.1.5 festgelegten besonderen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Vorinstanzen haben insoweit zu Recht ausgeführt, dass § 24 Ärzte-ZV der Normierung weiterer Voraussetzungen für die Genehmigung einer Zweigpraxis in speziellen Bereichen nicht entgegensteht. Die in Anhang 9.1.5 Anlage 9.1 BMV-Ä statuierten Voraussetzungen knüpfen in zulässiger Weise an die besonderen Regelungen für die Dialyseversorgung an.
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Die Genehmigung kann nach Abs 1 Buchst b Satz 2 Anhang 9.1.5 Anlage 9.1 BMV-Ä nur erteilt werden, wenn die projektierte Zweigpraxis nicht gleichzeitig in der Versorgungsregion einer anderen Praxis liegt, es sei denn, die Einrichtung der projektierten Zweigpraxis ist nach einvernehmlicher Feststellung der KÄV und der zuständigen Verbände der Krankenkassen auf Landesebene aus Gründen der Sicherstellung der Dialyseversorgung notwendig. Mit der Anknüpfung an die Prüfung der Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Versorgungsstruktur iS des § 4 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Anlage 9.1 BMV-Ä nach § 6 der Anlage 9.1 BMV-Ä wird ein Vorrang der bestehenden Dialysepraxis begründet. Der Senat hat bereits entschieden, dass die spezielle, am Auslastungsgrad der im Umkreis der beabsichtigten Niederlassung bestehenden Dialysepraxen (Versorgungsregion) durch eine Arzt-Patienten-Relation ausgerichtete Bedarfsprüfung zwar in erster Linie der Sicherstellung einer wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten mit Dialyseleistungen, daneben aber auch dem Schutz der bereits in diesem Bereich tätigen Leistungserbringer dient. Während der Arzt-Patienten-Schlüssel in § 5 Abs 7 Buchst c BlutreinigungsVf-VB mit der Festlegung einer Höchstzahl der von einem Arzt zu betreuenden Patienten ausschließlich der Sicherung einer qualitativ hochstehenden Versorgung diene, solle der in § 6 der Anlage 9.1 BMV-Ä/EKV-Ä festgelegte Auslastungsgrad eine wirtschaftliche Versorgungsstruktur gewährleisten. Ein Anreiz dafür, in der nephrologischen Versorgung niereninsuffizienter Patienten tätig zu werden, bestehe angesichts der erforderlichen Investitionen nur dann, wenn das Kostenrisiko hinreichend wirtschaftlich abgesichert sei. Es entspreche sowohl dem Gemeinwohlinteresse an einer wirtschaftlichen Versorgung als auch den Individualinteressen der Leistungserbringer, wenn durch die Verhinderung eines Verdrängungswettbewerbs der Leistungserbringer untereinander die Wirtschaftlichkeit einer Dialysepraxis gewährleistet werde (BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 26 RdNr 26).
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Diese Überlegungen sind auf die Erteilung einer Zweigpraxisgenehmigung für Dialyseleistungen übertragbar. Wenn die Erteilung einer Zweigpraxisgenehmigung in der Versorgungsregion einer bestehenden Dialysepraxis nur erfolgen soll, wenn dies zur Sicherstellung der Versorgung notwendig ist, ist damit eine Bedarfsprüfung vorgegeben, in deren Rahmen zunächst die Sicherstellung durch die in der Versorgungsregion bestehenden Praxen zu prüfen ist. Soweit die Beklagte meint, es gehe allein um eine Betrachtung der lokalen Versorgungssituation unter Berücksichtigung der besonderen Patienteninteressen an einer wohnortnahen Versorgung, trifft dies nicht zu. Dieser Aspekt wird vielmehr in Abs 1 Buchst a Anhang 9.1.5 Anlage 9.1 BMV-Ä berücksichtigt. Dort ist als erste Voraussetzung für eine Zweigpraxisgenehmigung genannt, dass die räumlichen Gegebenheiten in der Praxis zur Durchführung der Hämodialyse für die zum Zeitpunkt der Antragstellung zu versorgenden Patienten nicht ausreichen oder die wohnortnahe Versorgung der zum Zeitpunkt der Antragstellung mit Verfahren der Hämodialyse behandelten Patienten durch die projektierte Zweigpraxis oder ausgelagerte Betriebsstätte verbessert wird. Damit ist der Gesichtspunkt der Versorgungsverbesserung iS des § 24 Abs 3 Nr 1 Ärzte-ZV aufgegriffen. Dabei wird der wohnortnahen Versorgung in der Dialyse ein besonderer Stellenwert eingeräumt. So ist nach § 6 Abs 3 Anlage 9.1 BMV-Ä eine Genehmigung der Übernahme eines Versorgungsauftrags unabhängig von der kontinuierlichen wirtschaftlichen Versorgungsstruktur zu erteilen, wenn Gründe der Sicherstellung eine zusätzliche Dialysepraxis erfordern. Das ist nach Satz 2 der Vorschrift dann der Fall, wenn die wohnortnahe Versorgung unter Berücksichtigung der einzelnen Dialyseformen und -verfahren gewährleistet werden muss. Die Besonderheiten des Patientenklientels, das der lebenslangen Behandlung mehrmals wöchentlich bedarf, wird auch in den Hinweisen und Erläuterungen der Kassenärztliche Bundesvereinigung für die KÄVen zur Neuordnung der Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten vom 1.7.2002 hervorgehoben (DÄ 2002, A-970). Das Erfordernis der Verbesserung der wohnortnahen Versorgung ist folgerichtig als eine mögliche Begründung für die Genehmigung einer Zweigpraxis in Abs 1 Buchst a Anhang 9.1.5 Anlage 9.1 BMV-Ä genannt.
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Kumulativ hierzu fordert Abs 1 Buchst b Satz 2 Anhang 9.1.5 Anlage 9.1 BMV-Ä aber eine darüber hinausgehende Bedarfsprüfung, die nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut nicht auf die Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung beschränkt ist. Die Anknüpfung an die Versorgungsregionen - keine Zweigpraxis in der Versorgungsregion einer anderen Praxis - macht deutlich, dass hier eine Bedarfsprüfung auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Versorgungsstruktur für die Dialysepraxis durchzuführen ist. Dem entspricht es, dass die Zweigpraxisgenehmigung - anders als nach § 24 Abs 3 Ärzte-ZV - ebenso wie die Genehmigung der Übernahme des Versorgungsauftrags nach § 4 Anlage 9.1 BMV-Ä durch die KÄV im Einvernehmen mit den zuständigen Verbänden der KKn erteilt wird. Erforderlich ist, dass die Notwendigkeit der Genehmigung der Zweigpraxis aus Gründen der Sicherstellung der Dialyseversorgung festgestellt wird. Dieses Kriterium geht über eine Versorgungsverbesserung hinaus. Der Senat hat für die Zeit vor Einfügung einer ausdrücklichen Bestimmung über die Voraussetzungen zum Betrieb von Zweigpraxen entschieden, die Genehmigung dürfe nur erteilt werden, wenn die Zweigpraxis zur Sicherung einer ausreichenden vertragsärztlichen Versorgung notwendig sei (BSGE 77, 188, 190 f = SozR 3-2500 § 75 Nr 7 S 27). Die Bindung der Genehmigung an ein bestehendes Versorgungsdefizit sei geeignet, gerade im ländlichen Raum die Existenz von kleineren Praxen zu sichern. Es bestehe ansonsten die Gefahr, dass von Mittel- und Oberzentren aus eventuell kostengünstiger arbeitende Gemeinschaftspraxis den ländlichen Raum versorgen und damit der wohnortnahen kleineren Praxis die Existenzgrundlage entziehen könnten. Diese Überlegungen haben auch hier ihre Berechtigung. Eine Notwendigkeit zur Sicherung der Versorgung ist bereits nach dem möglichen Wortsinn nur dann anzunehmen, wenn ein Versorgungsdefizit besteht. Zwar ist eine strenge Bedarfsprüfung wie in § 6 Anlage 9.1 BMV-Ä nicht vorgesehen. Entsprechend der Regelung in § 6 Abs 3 Anlage 9.1 BMV-Ä ist vielmehr denkbar, dass auch dann, wenn die anderen Dialysepraxen in der Versorgungsregion nicht ausgelastet sind, wegen eines dringenden Bedarfs an wohnortnaher Versorgung in einem ländlichen oder auch großstädtischen Bereich eine Zweigpraxisgenehmigung unter Sicherstellungsgesichtspunkten geboten ist. Das setzt jedoch zunächst eine allgemeine Bedarfsprüfung unter Einbeziehung aller in der Versorgungsregion bestehenden Praxen voraus. Je nach dem Ergebnis dieser Prüfung wird möglicherweise dann auch eine Abwägung zwischen dem Interesse an einer möglichst wohnortnahen Versorgung einerseits und dem Interesse an der kontinuierlichen Gewährleistung bestehender Versorgungsstrukturen andererseits erforderlich sein. Jede Zweigpraxis in einigen Kilometern Entfernung vom Vertragsarztsitz wird zu einer Verbesserung der wohnortnahen Versorgung der in ihrem unmittelbaren Umfeld wohnenden Patienten führen. Es kann aber auch im Interesse der Sicherstellung der Versorgung sein, bestehende Praxen in ihrem Bestand nicht zu gefährden. Für die bei dieser Prüfung und Abwägung zu berücksichtigenden Praxen entfaltet Abs 1 Buchst b Satz 2 Anhang 9.1.5 Anlage 9.1 BMV-Ä drittschützende Wirkung.
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c) Sind mithin die Voraussetzungen für eine Anfechtungsberechtigung des Klägers gegeben, hat das SG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Beklagte erneut über den Widerspruch des Klägers gegen die der Beigeladenen zu 1. erteilten Genehmigung zu entscheiden hat. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Zweigpraxis aus Gründen der Sicherstellung der Dialyseversorgung steht ihr ein Spielraum zu, der von den Gerichten nur darauf überprüft werden kann, ob ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde gelegt und in sachgerechter Weise gewürdigt worden ist (vgl BSGE 77, 188, 191 f = SozR 3-2500 § 75 Nr 7 S 29; zur "Bedarfsgerechtigkeit" im Rahmen des § 121a SGB V: BSG SozR 4-2500 § 121a Nr 3 RdNr 28; zur "Verbesserung der Versorgung" durch eine Zweigpraxis nach § 24 Abs 3 Ärzte-ZV vgl BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 53 ff). Hier hat die Beklagte die erforderliche Bedarfsprüfung bislang unvollständig durchgeführt. Die Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten der Versorgung mit Dialyseleistungen im Versorgungsbereich des Klägers, wie sie im Schreiben an die KKn vom 18.5.2011 zum Ausdruck kommt, wird den Anforderungen nicht gerecht. Die Beklagte wird daher zunächst den Auslastungsgrad der klägerischen Praxis festzustellen - zum Zeitpunkt der Antragstellung sowie in der Folgezeit - und sodann die infrastrukturellen Gegebenheiten zu ermitteln haben. Ob ein Versorgungsdefizit besteht, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die für sich und in ihrer Abhängigkeit untereinander weitgehend unbestimmt sind (vgl BSGE 77, 188, 192 = SozR 3-2500 § 75 Nr 7 S 29). Festzustellen wäre insofern, welchen Einzugsbereich E potentiell hat, wie groß die Nachfrage aus diesem Bereich ist und wie die jeweiligen Verkehrsverbindungen sind. Der Kläger stellt auch zu Recht die Frage, ob für Dialysepatienten der öffentliche Nahverkehr überhaupt eine Rolle spielt oder ob nicht vielmehr allein auf den Straßenverkehr abzustellen ist. Auch die Beklagte argumentiert damit, dass teure Krankentransporte zur weiter gelegenen Praxis des Klägers erforderlich seien, ohne dass tatsächliche Feststellungen hierzu ersichtlich sind. Sollte der überwiegende Teil der potentiellen Patienten solche Transporte in Anspruch nehmen, ist weiter nach den Fahrzeiten und danach zu fragen, welche konkreten Veränderungen durch eine Zweigpraxis in E eintreten würden. Auch die Bedeutung der klägerischen Praxis für die Versorgung der Region und die möglichen Auswirkungen der projektierten Zweigpraxis auf die Praxis des Klägers sind zu beleuchten. Erst bei einer Gesamtschau aller Faktoren kann beurteilt werden, ob die Zweigpraxis für die Patienten aus diesem Einzugsbereich für eine wohnortnahe Versorgung notwendig ist. Maßgeblich für die Bewertung der tatsächlichen Gegebenheiten ist dabei zunächst der Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Antragstellung (vgl BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 16 RdNr 14 ff). Auch bei der Drittanfechtung sind aber alle Tatsachenänderungen bis zur mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz beachtlich, sofern nicht Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegenstehen (vgl BSGE 104, 116 = SozR 4-2500 § 101 Nr 7, RdNr 26 ff).
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d) Das nach Abs 1 Satz 2 Anhang 9.1.5 Anlage 9.1 BMV-Ä erforderliche Einvernehmen mit den zuständigen Verbänden der KKn auf Landesebene ist hergestellt. Ein "Einvernehmen" setzt eine Willensübereinstimmung zwischen entscheidender und beteiligter Stelle voraus (vgl BSGE 75, 37, 40 = SozR 3-2500 § 85 Nr 7 S 40; BSGE 44, 244, 246 = SozR 7323 § 3 Nr 1 S 2; vgl auch BVerwGE 57, 98, 101). Hierzu ist grundsätzlich erforderlich, dass die KKn dem Vorschlag der KÄV zustimmen. Es ist der KÄV auch zumutbar, auf eine zeitnahe Erklärung der KKn hinzuwirken. Den KKn als Kostenträgern muss ihrerseits an einer raschen Feststellung der Versorgungslage und ggf Verbesserung der Versorgung durch eine Zweigpraxis gelegen sein. Da ihnen die Art und Weise - und ebenso die Qualität - ihrer Entscheidung nicht gesetzlich vorgegeben ist, entscheiden die KKn selbst, welche Informationen sie aus ihrer Sicht für eine sachgerechte Entscheidung benötigen. Die KÄV kann sich grundsätzlich darauf beschränken, die bestehende Versorgungslage zu skizzieren und die eigene Entscheidung, hier die Befürwortung des Antrags, darzulegen. Soweit die KKn weitere Informationen benötigen, kann die KÄV davon ausgehen, dass sie angefordert werden. Es obliegt nicht der KÄV, eine Entscheidung der KKn auf einem bestimmten Informationsstand sicherzustellen.
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Um das Verfahren zügig zu betreiben, kann die KÄV auch eine angemessene Frist für die Äußerung der KKn setzen mit dem ausdrücklichen Zusatz, dass nach Ablauf der Frist von einem Einvernehmen ausgegangen werde. Dabei wird, um eine sachgerechte Überprüfung durch die KKn überhaupt zu ermöglichen, eine Frist von mindestens einem Monat erforderlich, aber auch ausreichend sein. Reagieren die KKn in einem solchen Fall nicht, ist das erforderliche Einvernehmen hergestellt. Im Interesse der Sicherstellung der Versorgung sowie im Interesse der betroffenen Ärzte an Rechtssicherheit reicht es in einer solchen Konstellation ausnahmsweise aus, dass die Landesverbände der KKn das Schreiben der KÄV stillschweigend zur Kenntnis nehmen.
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Hier haben die Vorinstanzen zu Recht ausgeführt, dass das Schreiben der KÄV vom 22.10.2008, in dem lediglich kurz der - in der Anlage beigefügte - Antrag der Beigeladenen zu 1. erläutert und das Ergebnis der Auskunft der KÄV Rheinland-Pfalz mitgeteilt wurde, den Anforderungen nicht genügte. Die klägerische Praxis wurde von der Beklagten nämlich überhaupt nicht und von der Beigeladenen zu 1. in ihrem Antrag als "kleines, nicht fachspezifisch nephrologisch geführtes Dialysezentrum" erwähnt. Damit wurde der wesentliche Umstand, dass die beabsichtigte Zweigpraxis in der Versorgungsregion des Klägers liegt, nicht deutlich. Insoweit ausreichende Angaben hierzu hat die Beklagte allerdings im erneuten Schreiben an die Landesverbände der KKn vom 18.5.2011 gemacht. Die KKn haben daraufhin ihr Einverständnis mit der Erteilung der Zweigpraxisgenehmigung erklärt. Soweit die IKK formuliert hat, sie könne keine Aussage treffen, ist dies ebenfalls als Zustimmung zu werten. Damit wird deutlich, dass aus der Sicht der KK die Kompetenz für eine Entscheidung allein bei der KÄV gesehen wird und mit ihrer abschließenden Beurteilung Einverständnis besteht. Soweit die Beklagte bei ihrer Überprüfung wiederum zu dem Ergebnis kommt, dass eine Zweigpraxisgenehmigung zu erteilen ist, bedarf es der erneuten Herstellung des Einvernehmens daher nicht.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Die Beklagte, der Kläger und die Beigeladene zu 1. tragen danach die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens je zu einem Drittel. Die Änderung aufgrund der Berufung der Beklagten betraf nicht die Verurteilung zur Neubescheidung dem Grunde nach und war daher nicht gesondert zu berücksichtigen. Mit der Revision hat die Beklagte darüber hinaus nur eine Aufhebung der Feststellung der Erledigung des Genehmigungsbescheides erreicht. Die Beigeladene zu 1. hat den gleichen Antrag gestellt wie die Beklagte und war daher mit einem ebensolchen Kostenanteil zu belasten. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 7. ist nicht veranlasst, weil sie im Verfahren keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl dazu BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozial-gerichts vom 14. Januar 2014 geändert. Der Antrag des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides der Beklagten vom 26. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2008 wird abgewiesen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung zytologischer Untersuchungen in den Räumen seines Privathauses in der L. Straße in L.
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Der Kläger, der seit 1985 als Frauenarzt in L. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, führt seine gynäkologische Praxis unter der Adresse "H." in L. Ferner ist er Belegarzt im M.-Krankenhaus in L. Mit Bescheid vom 5.12.1995 wurde ihm eine Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung zytologischer Untersuchungen im Rahmen seiner vertragsärztlichen Tätigkeit erteilt.
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Im Hinblick auf die Neufassung der Qualitätssicherungsvereinbarung zur Zervix-Zytologie zum 1.10.2007 beantragte der Kläger am 19.9.2007 eine Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung zytologischer Untersuchungen im Rahmen der Übergangsregelungen der Qualitätssicherungsvereinbarung für seine Praxis und für seine - ca 2,5 km entfernt liegende - Privatanschrift L. Straße in L. ; letztere bezeichnete er in dem Antrag als Hauptbetriebsstätte. Mit Bescheid vom 26.3.2008 genehmigte die Beklagte dem Kläger die Durchführung und Abrechnung zytologischer Untersuchungen in den Räumen seiner Praxis H.
Die Genehmigung galt nur für Untersuchungen, die während seiner Anwesenheit in der Praxis durchgeführt wurden und unter dem Vorbehalt, dass für die bereits tätigen Präparatebefunder innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Vereinbarung die erforderliche Qualifikation nachgewiesen würde. Nach Vorlage der Qualifikationsnachweise erteilte die Beklagte einen weiteren Genehmigungsbescheid (28.7.2009), nunmehr ohne Vorbehalt. Ebenfalls mit Schreiben vom 26.3.2008 lehnte die Beklagte die Genehmigung für die Privatanschrift des Klägers ab, weil dort die Anforderungen an die persönliche Leistungserbringung nicht erfüllt seien.
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Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er betreibe seit 22 Jahren unbeanstandet ein zytologisches Labor mit jährlich 100 000 Einsendungen. Die räumlichen und apparativen Voraussetzungen seien an seiner Privatanschrift erfüllt, auch die fachliche Überwachung sei gewährleistet. Das Labor werde werktäglich von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr betrieben, also 45 Stunden wöchentlich. Seine Praxis sei 2 km entfernt und montags und donnerstags am Vormittag und montags, dienstags und donnerstags nach 16.00 Uhr sowie mittwochs und freitags in Notfällen geöffnet. Dienstags vormittags arbeite er durchschnittlich 2 Stunden im ebenfalls etwa 2 km entfernten M.-Krankenhaus. Somit sei er lediglich 9 Stunden, entsprechend 20 % der Betriebszeiten, im Labor nicht anwesend.
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Die Beklagte wies den Widerspruch zurück. Die Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung zytologischer Untersuchungen vom 5.12.1995 sei für die Praxisanschrift erteilt gewesen. Hinsichtlich der Privatanschrift handele es sich um einen Neuantrag, der nicht unter die Übergangsregelung des § 14 der Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie falle. Das unter der Privatanschrift betriebene Labor dürfe als Zweigpraxis anzusehen sein, für die es dem Kläger an der erforderlichen Genehmigung fehle. Außerdem sei für die Leistungserbringung eine grundsätzliche Anwesenheit des abrechnenden Arztes erforderlich, die bei einer Abwesenheit von 20 % nicht gegeben sei.
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Im Klageverfahren hat der Kläger ausgeführt, die Laborräume in der L. Straße stellten keine Zweigpraxis dar, sondern bildeten zusammen mit den Praxisräumen im H.
eine Verwaltungs- und Arbeitseinheit im Sinne einer ausgelagerten Praxis- oder Nebenbetriebsstätte. Die dafür erforderliche Anzeige habe er spätestens mit seinem Antrag vom 17.9.2007 erstattet. Die Genehmigung vom 5.12.1995 sei ihm als Person unabhängig von einer räumlichen Zuordnung erteilt worden. Bezeichnenderweise habe er für die L. Straße eine Betriebsstättennummer erhalten. Sofern es erforderlich sei, könne er seine Arbeitszeiten so gestalten, dass es nicht zu Überschneidungen zwischen Praxis- und Laborzeiten komme.
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Das SG Kiel hat mit Urteil vom 18.5.2011 die Klage abgewiesen. Der Kläger sei arbeitstäglich während zwei Arbeitsstunden nicht persönlich im Labor anwesend, sondern nur telefonisch erreichbar. Die Qualitätssicherungsvereinbarung verlange aber eine grundsätzliche Anwesenheit und erlaube allenfalls eine kurzfristige Abwesenheit des zytologisch verantwortlichen Arztes.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hat der Kläger vorgetragen, er habe das Labor in der L. Straße zur Zeit aufgelöst, schließe aber nicht aus, den Betrieb später wieder einmal aufzunehmen. Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sei auch von Bedeutung für ein Verfahren wegen einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung. Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 27.5.2013 für die Quartale III/2008 bis II/2011 eine sachlich-rechnerische Korrektur vor und forderte von dem Kläger Honorar in Höhe von 2 796 779,88 Euro zurück. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das SG mit Urteil vom 24.2.2015 abgewiesen, die Berufung ist anhängig.
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Das LSG hat das Urteil des SG geändert und festgestellt, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist. Die Fortsetzungsfeststellungsklage, auf die der Kläger in zulässiger Weise den ursprünglichen Antrag umgestellt habe, sei begründet, weil die Versagung der Abrechnungsgenehmigung rechtswidrig gewesen sei. Es seien keine Tatsachen festgestellt worden, die einer zytologischen Präparateaufbereitung und -befundung im Labor in der L. Straße entgegenstünden. § 5 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie setze ungeschrieben voraus, dass das Labor in Räumen betrieben werde, in denen der Arzt zulässigerweise seine Arbeit verrichten dürfe. Das sei hier der Fall. Der Annahme einer ausgelagerter Praxisstätte stehe unter der veränderten Maßgabe der landesrechtlichen Berufsregelungen nicht mehr entgegen, wie das BSG das noch in einem Urteil vom 12.9.2001 entschieden habe, dass dort und am Praxissitz gleichgeartete Leistungen erbracht würden. § 17 Abs 2 der Berufsordnung der Ärztekammer Schleswig-Holstein in der aktuell geltenden Fassung beschränke die Tätigkeit des Vertragsarztes nicht mehr auf den Praxissitz im herkömmlichen Sinne, sondern erlaube eine Tätigkeit an zwei weiteren Orten. Der Kläger sei danach grundsätzlich befugt, Laborleistungen in gleicher Weise in seiner Praxis wie auch in seinem Labor in der L. Straße zu erbringen.
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Allerdings habe der Arzt sich nach der Verfahrensvorschrift des § 13 Abs 3 Satz 2 Nr 2 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie vor der Genehmigung zu verpflichten, die jeweiligen Anforderungen an die Leistungserbringung zu erfüllen. Dazu gehöre auch seine Anwesenheit am Ort der Leistungserbringung. Diese sei hier nicht hinreichend gewährleistet. Dem Anspruch des Klägers auf die Erteilung der Genehmigung für sein Labor in der L.
Straße stehe das aber nicht entgegen. Nach § 2 Abs 3 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie sei die Genehmigung mit der Auflage zu erteilen, dass die in den §§ 5 bis 10 festgelegten Anforderungen, also auch die Anforderungen an die Anwesenheit, dauerhaft erfüllt würden. Eine derartige Auflage hätte die Beklagte auch der Genehmigung für das Labor in der L. Straße beifügen können, wobei zu berücksichtigen sei, dass der Kläger mehrfach angeboten habe, seine Labor- und Praxisöffnungszeiten in der Weise aufeinander abzustimmen, dass es nicht mehr zu Überschneidungen im Labor- und Praxisbetrieb komme. Mit der Auflage hätte der Laborbetrieb in der L. Straße auf die Zeiten beschränkt werden können, die mit den Praxisöffnungszeiten und den Arbeitszeiten des Klägers im M.-
Krankenhaus nicht in Kollision standen. Eine derartige Auflage zu der Genehmigung wäre als milderes Mittel jedenfalls vorrangig vor der Versagung der Genehmigung gewesen.
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Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie trägt vor, die Ausführungen des BSG im Urteil vom 12.9.2001 gälten weiterhin. Die Formulierung in der Musterberufsordnung (MBO) von 2003, wonach in ausgelagerten Praxisräumen auch solche Leistungen erbracht werden dürften, die am Ort der Niederlassung erbracht würden, sei nicht in die Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) übernommen worden. Es sei vielmehr in § 24 Abs 5 Ärzte-ZV nur geregelt worden, dass der Vertragsarzt Ort und Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit seiner Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) anzuzeigen habe, wenn er spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen an weiteren Orten in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz erbringe. Das LSG gehe auch zu Unrecht davon aus, dass es sich bei § 13 Abs 3 Satz 2 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie um eine Verfahrensvorschrift handele. Die Verpflichtungserklärung sei Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung. Ausgehend davon, dass der Kläger 14 Stunden wöchentlich Sprechstunde angeboten und darüber hinaus belegärztlich tätig gewesen sei, habe er die Befundung der Präparate nicht so beaufsichtigen können, wie es § 6 Abs 1 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie entspreche. Dazu hätte er sich selbst in den Räumen des Labors aufhalten müssen. Angesichts der dem Kläger zur Verfügung stehenden Zeit sei von vornherein erkennbar, dass die Überwachung der delegierten Leistungen ganz überwiegend nicht gewährleistet gewesen sei. Es sei überdies zweifelhaft, ob eine Genehmigung mit einer Auflage überhaupt zulässig gewesen wäre. Die Auflage nach § 2 Abs 3 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie, dass die in §§ 5 bis 10 festgelegten Anforderungen erfüllt würden, solle lediglich gewährleisten, dass die Anforderungen auch in Zukunft erfüllt würden.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 14.1.2014 aufzuheben, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Kiel vom 18.5.2011 zurückzuweisen und festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 26.3.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.6.2008 rechtmäßig war.
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Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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Er trägt vor, bei den Räumlichkeiten in der L. Straße handele es sich um eine "ausgelagerte Praxisstätte", für die nur eine Anzeigepflicht bestanden habe. Dementsprechend habe die Beklagte mit Bescheid vom 30.6.2008 eine Nebenbetriebsstättennummer für das Labor in der L. Straße vergeben. Seine ausreichende Präsenz am Ort der Leistungserbringung sei sichergestellt gewesen. Er habe im Übrigen mehrfach angeboten, Überschneidungen von Praxis- und Laborzeiten zu vermeiden.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist begründet. Das LSG hat der Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zu Unrecht stattgegeben. Die Versagung der Genehmigung der Durchführung und Abrechnung zytologischer Leistungen in den Räumen L. Straße war rechtmäßig.
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1. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger sein ursprünglich im Wege der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage verfolgtes Begehren in der Form einer Fortsetzungsfeststellungsklage iS des § 131 Abs 1 Satz 3 SGG weiter verfolgen kann. Der ablehnende Bescheid hat sich mit Auflösung des Labors in der L. Straße auf andere Weise iS des § 39 Abs 2 SGB X erledigt. Das gemäß § 131 Abs 1 Satz 3 SGG erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse(vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 131 RdNr 10 ff) ist unter dem Gesichtspunkt der möglichen Wiederaufnahme der Tätigkeit in den dortigen Räumen sowie möglicher Auswirkungen auf das Verfahren hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigstellung und Honorarrückforderung gegeben.
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2. Rechtsgrundlage der vom Kläger begehrten Genehmigung ist § 2 Abs 1 der zum 1.10.2007 in Kraft getretenen Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen nach § 135 Abs 2 SGB V zur zytologischen Untersuchung der Zervix uteri(Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie, DÄ 2007, A-2446). Danach ist die Ausführung und Abrechnung der zytologischen Untersuchung von Abstrichen der Zervix uteri durch die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte erst nach Erteilung der Genehmigung durch die KÄV zulässig. Die Genehmigung ist nach Satz 2 dieser Vorschrift zu erteilen, wenn die fachlichen, räumlichen und apparativen Voraussetzungen nach den §§ 3, 4 und 5 im Einzelnen erfüllt sind. Die Erfüllung der Voraussetzungen ist nach § 2 Abs 2 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie gegenüber der KÄV nachzuweisen. Die Genehmigung ist gemäß § 2 Abs 3 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie mit der Auflage zu erteilen, dass die in den §§ 5 bis 10 festgelegten Anforderungen dauerhaft erfüllt werden. Die Erteilung einer Genehmigung nach dieser Vorschrift für die Durchführung zytologischer Untersuchungen in der L. Straße war weder entbehrlich noch lagen die Voraussetzungen hierfür vor.
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a) Die dem Kläger für seine Praxis im H. erteilte Genehmigung vom 26.3.2008 nach § 14 Abs 1 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie umfasste eine Leistungserbringung in der L. Straße nicht. Nach dieser Vorschrift erhielten Ärzte, die aufgrund der "Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen nach § 135 Abs 2 SGB V zur Durchführung von zytologischen Untersuchungen zur Diagnostik der Karzinome des weiblichen Genitale" vom 12.2.1992 berechtigt waren, zytologische Untersuchungen der Zervix uteri in der vertragsärztlichen Versorgung auszuführen und abzurechnen, eine Genehmigung nach dieser Vereinbarung mit der Auflage, die Voraussetzungen nach § 5 innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten dieser Vereinbarung zu erfüllen. Die Präparatebefunder mussten nach Abs 2 der Vorschrift innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Vereinbarung ihre näher spezifizierte Qualifikation nachweisen.
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aa) Unabhängig davon, ob die Räumlichkeiten in der L. Straße als Zweigpraxis oder als ausgelagerte Praxisräume zu qualifizieren sind, erstreckt sich die auf dieser Grundlage zunächst unter dem Vorbehalt des Nachweises der erforderlichen Qualifikation der Präparatebefunder erteilte Genehmigung bereits deshalb nicht auf diese Räume, weil sie ausdrücklich ausschließlich für die Räume der Praxis H. erteilt wurde ("in den Räumen Ihrer Praxis H."). Der Genehmigungsbescheid vom 28.7.2009, der nach Vorlage der Qualifikationsnachweise an die Stelle des Bescheides vom 26.3.2008 getreten ist, nannte zwar nicht ausdrücklich eine konkrete Adresse. Dass er aber ebenfalls allein für die Räumlichkeiten unter der Praxisanschrift galt, ergibt sich zum einen aus der Bezugnahme auf den vorangegangenen Bescheid ("nunmehr ohne Vorbehalt") sowie dem Zusatz, dass die Genehmigung nur für zytologische Untersuchungen gilt, die während der Anwesenheit des Klägers "in der Praxis" durchgeführt werden. Zum anderen schließt die zeitgleiche ausdrückliche Ablehnung der Genehmigung für die L. Straße die Annahme einer Erstreckung aus.
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Auch für die ursprüngliche, 1995 erteilte Genehmigung gilt nichts anderes. Nach der Leitlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung zytologischer Untersuchungen im Rahmen der Früherkennung des Zervixkarzinoms vom 17.12.1993 (DÄ 1994, A-365) war eine Leistungserbringung außerhalb der Arztpraxis nicht statthaft. Es kann dahinstehen, ob der Kläger, wie er vorträgt, über 20 Jahre mit Wissen der Beklagten zytologische Leistungen in den Räumen L. Straße erbracht hat und aus welchen Gründen dem Kläger kurzzeitig für die L. Straße eine eigene Betriebsstättennummer erteilt wurde. Dies mag unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und des Verbots widersprüchlichen Verhaltens Bedeutung für die Frage haben, ob Honorar für die unter der Anschrift L. Straße erbrachten Leistungen zurückgefordert werden kann. Umfang und Rechtmäßigkeit der Genehmigung sind davon nicht abhängig.
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bb) Die Genehmigung erstreckte sich auch nicht etwa "automatisch" auf die Räumlichkeiten in der L. Straße, weil es sich bei ihnen um ausgelagerte Praxisräume iS des § 24 Abs 5 Ärzte-ZV handelte. Nach dieser Vorschrift kann der Vertragsarzt spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen an weiteren Orten in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz erbringen. Ort und Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit sind der KÄV anzuzeigen. Der Kläger hat zwar spezielle Untersuchungsleistungen in diesem Sinn, nämlich zytologische Leistungen, in räumlicher Nähe, nämlich in ca 2,5 km Entfernung von seiner Praxis, erbracht, doch hätte es insoweit einer gesonderten Genehmigung bedurft.
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(1) Die vom Senat in der Vergangenheit für die Annahme ausgelagerter Praxisräume aufgestellte Forderung, dass in den ausgelagerten Praxisräumen Leistungen erbracht werden, die in der Hauptpraxis nicht erbracht werden können (Urteil vom 12.9.2001 - B 6 KA 64/00 R - BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 20), findet in der Ärzte-ZV keine Stütze und ist nach den Änderungen des einschlägigen Berufsrechts überholt (so im Ergebnis auch Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 20 RdNr 28; vgl auch Schallen, Zulassungsverordnung, 8. Aufl 2012, § 24 RdNr 73). Sie gründete sich im 2001 entschiedenen Fall auf die von § 2 der Dialysevereinbarung in Bezug genommene Vorschrift des § 18 Abs 2 MBO in der bis Mai 2003 geltenden Fassung, wonach es dem Arzt gestattet war, in räumlicher Nähe zum Ort seiner Niederlassung Untersuchungs- und Behandlungsräume ausschließlich für spezielle Untersuchungs- und Behandlungszwecke (zB Operationen, medizinisch-technische Leistungen) zu unterhalten, in denen er seine Patienten nach vorherigem Aufsuchen seiner Praxis versorgte(vgl zur Historie Bäune in Bäune/Meschke/Rothfuß, Ärzte-ZV, 2008, § 24 RdNr 69 ff; Engelmann, Zweigpraxen und ausgelagerte Praxisräume in der ambulanten
ärztlichen Versorgung, GesR 2004, 113 ff) . Der Senat hat daraus gefolgert, dass die Erbringung der gesamten ärztlichen Behandlungsleistung grundsätzlich in der vertragsärztlichen Praxis zu erfolgen hat und nur spezielle ärztliche Leistungen ausgelagert werden dürfen, sofern hierfür ein sachlicher Grund besteht.
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In Reaktion auf das Urteil des Senats wurde § 18 MBO im Mai 2003 dahingehend geändert, dass in ausgelagerten Praxisräumlichkeiten auch solche Leistungen erbracht werden durften, die am Ort der Niederlassung erbracht wurden. Mittlerweile ist § 18 Abs 2 MBO durch § 17 Abs 2 MBO ersetzt worden, der nur noch bestimmt, dass es Ärztinnen und Ärzten gestattet ist, über den Praxissitz hinaus an zwei weiteren Orten ärztlich tätig zu sein(noch aktuelle Fassung des 107. Deutschen Ärztetages 2004; s dazu Mitteilungen der Bundesärztekammer "Niederlassung und berufliche Kooperation", DÄ 2008, A-1019). Ärztinnen und Ärzte haben Vorkehrungen für eine ordnungsgemäße Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten an jedem Ort ihrer Tätigkeit zu treffen (Satz 2). Die Unterscheidung zwischen Zweigpraxis und ausgelagerten Praxisräumen kennt das Berufsrecht nicht.
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Die Normgeber im Vertragsarztrecht haben auf das Urteil des Senats insofern reagiert, als in die Bundesmantelverträge Vorschriften aufgenommen wurden, die auf § 18 MBO verwiesen(§ 15a Abs 2 Nr 1 BMV-Ä aF und § 15a Abs 2 Nr 1 EKV-Ä aF). Seit dem 1.7.2007 definieren § 1a Nr 20 BMV-Ä und § 1a Nr 20 EKV-Ä eine ausgelagerte Praxisstätte als einen zulässigen, nicht genehmigungspflichtigen, aber anzeigepflichtigen Tätigkeitsort des Vertragsarztes, Vertragspsychotherapeuten oder eines Medizinischen Versorgungszentrums in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz; ausgelagerte Praxisstätte in diesem Sinne ist auch ein Operationszentrum, in welchem ambulante Operationen bei Versicherten ausgeführt werden, welche den Vertragsarzt an seiner Praxisstätte in Anspruch genommen haben. Mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz vom 22.12.2006 (BGBl I 3439) wurde zum 1.1.2007 § 24 Abs 5 Ärzte-ZV eingefügt, der Einschränkungen, wie der Senat sie im Urteil vom 12.9.2001 formuliert hat, nicht enthält. Das LSG hat insofern zu Recht entschieden, dass von einer geänderten Rechtslage auszugehen ist. Der Umstand, dass der Kläger zytologische Untersuchungen auch in seinen Praxisräumen erbringt, steht der Qualifizierung der Räumlichkeiten in der L. Straße als ausgelagerte Praxisräume mithin nicht entgegen.
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(2) Das hat jedoch nicht zur Folge, dass es einer gesonderten Genehmigung für die Leistungserbringung in diesen Räumen nicht bedürfte. Die Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung zytologischer Leistungen setzt nach § 5 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie eine bestimmte räumliche und apparative Ausstattung der Zytologie-Einrichtung voraus. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie erfolgt die Präparatebefundung in den Räumen der zytologischen Einrichtung an einem zytologischen Arbeitsplatz. Es wird nicht etwa, wie der Kläger meint, eine persönliche Genehmigung erteilt, von der an jedem beliebigen Ort Gebrauch gemacht werden kann. Ebenso wie der Vertragsarztsitz muss ein ausgelagerter Praxisraum vielmehr örtlich bestimmt sein, weil ansonsten eine Überprüfung, ob die Leistungen in geeigneten, den normativen Vorgaben entsprechenden Räumlichkeiten erbracht werden, nicht effektiv möglich ist. Jedenfalls dann, wenn die Berechtigung zur Leistungserbringung an die Erfüllung besonderer Anforderungen an die räumliche Ausstattung geknüpft ist, wie dies bei den zytologischen Leistungen der Fall ist, erfasst die für den Praxissitz erteilte Genehmigung nicht ohne Weiteres auch die Leistungserbringung in den ausgelagerten Praxisräumen.
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b) Die Entscheidung über die Versagung der Genehmigung für die Räumlichkeiten in der L. Straße ist von der KÄV als zuständiger Stelle getroffen worden. Entgegen der Auffassung des Klägers hat nicht die Qualitätssicherungskommission nach § 11 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie über seinen Antrag entschieden, sondern die KÄV, die nach § 2 Abs 1 Satz 1 der Vereinbarung die Genehmigung zu erteilen hat. Dass sie sich zur Vorbereitung der Entscheidung der Kommission bedient und diese auch beauftragt hat, die Ausstattung der Räumlichkeiten in der L. Straße zu überprüfen, entspricht den Vorgaben in § 11 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 2 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie und Ziffer 2.4 der Richtlinien für Verfahren zur Qualitätssicherung gemäß § 75 Abs 7 SGB V. Da die Ablehnung nicht auf Mängel der apparativen und räumlichen Ausstattung gestützt wurde, ist nicht erkennbar, inwiefern eine etwaige Konkurrenzsituation des Klägers mit dem Vorsitzenden der Kommission Auswirkungen auf die Entscheidung der Beklagten gehabt haben könnte. Gleiches gilt für etwaige Mängel der Protokollierung der Begehung der Räumlichkeiten. Da nach § 11 Abs 1 Satz 3 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie mindestens ein Mitglied der Qualitätssicherungs-Kommission über die fachliche Qualifikation nach § 3 verfügen muss, dürfte sich im Übrigen eine Überschneidung der Leistungsbereiche mit den von der Kommission zu überprüfenden Vertragsärzten kaum vermeiden lassen und nicht per se eine Befangenheit begründen.
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c) Eine Genehmigung konnte dem Kläger für die L. Straße deshalb nicht erteilt werden, weil er die persönliche Leistungserbringung nicht im erforderlichen Umfang sicherstellen konnte.
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aa) Zwar ist nach § 2 Abs 1 Satz 2 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie die Genehmigung zu erteilen, wenn die fachlichen, räumlichen und apparativen Voraussetzungen nach den §§ 3, 4 und 5 im Einzelnen erfüllt sind. Die Anforderungen des § 6 Abs 1 der Vereinbarung an die fachliche Überwachung aller Arbeitsvorgänge durch den zytologieverantwortlichen Arzt und die damit verbundene Anwesenheitspflicht sind mithin nicht ausdrücklich als Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung benannt. Das bedeutet indes nicht, dass die Gewährleistung der persönlichen Leistungserbringung keine Genehmigungsvoraussetzung ist. Die persönliche Leistungserbringung ist, wie sich aus § 32 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV ergibt ("Der Vertragsarzt hat die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben."), vielmehr bei jeder vertragsärztlichen Tätigkeit geboten und insofern als allgemeine Voraussetzung der Genehmigung vorgelagert. Die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung dient der Sicherung der hohen Qualität der vertragsärztlichen Versorgung. Diese kann nur gewährleistet werden, wenn die Leistungen von demjenigen persönlich erbracht werden, der als befähigt angesehen wird, qualitätsgerechte Leistungen zu erbringen (zur persönlichen Leistungserbringung vgl zB BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 37; BSGE 107, 56 = SozR 4-5520 § 20 Nr 3, RdNr 27 mwN; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 121 Nr 2 RdNr 29; BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 15 RdNr 30 und Nr 24 RdNr 19).
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Die in § 6 Abs 1 Satz 2 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie vorgesehene Delegation vom zytologieverantwortlichen Arzt auf Präparatebefunder erlaubt ein Absehen von der persönlichen Leistungserbringung unter der Voraussetzung, dass dies mit den medizinischen Erfordernissen zu vereinbaren und eine kontinuierliche Überwachung der Arbeitsvorgänge gewährleistet ist. Diese Regelung modifiziert insofern das Gebot der persönlichen Leistungserbringung bei der Durchführung zytologischer Untersuchungen. Die Gewährleistung der fachlichen Überwachung setzt grundsätzlich die Anwesenheit dieses Arztes am Ort der Leistungserbringung voraus (Satz 3). Damit vereinbar ist bestenfalls eine kurzfristige, vorübergehende Abwesenheit, bei der der Arzt in angemessener Zeit persönlich in der Einrichtung erreichbar ist (Satz 4). Dass der verantwortliche Arzt diesen Anforderungen gerecht wird, ist substantielle Voraussetzung für die Leistungserbringung. Die in § 3 Abs 1 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie normierten Voraussetzungen für die fachliche Befähigung des zytologieverantwortlichen Arztes gehen ins Leere, wenn sie nicht mit den in § 6 der Vereinbarung festgelegten Anwesenheits- und Überwachungspflichten des verantwortlichen Arztes korrespondieren. Lediglich verfahrensrechtlicher Natur mag die Verpflichtungserklärung des Arztes nach § 13 Abs 3 Nr 2 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie sein, die jeweiligen Anforderungen an die Leistungserbringung zu erfüllen. Die persönliche Leistungserbringung ist grundsätzlich materielle Voraussetzung jeder vertragsärztlichen Tätigkeit.
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bb) Die derart konkretisierte Anwesenheitspflicht des verantwortlichen Arztes zur Gewährleistung der fachlichen Überwachung hat die Beklagte hier hinsichtlich der Räume in der L.
Straße zu Recht nicht als gewährleistet angesehen. Der Kläger hat Laborzeiten an diesem Standort werktäglich von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr angegeben. Inwieweit diese Angaben mit der an anderer Stelle dokumentierten Aussage, die Befunder könnten ihre Arbeitszeit selbst einteilen, vereinbar ist, kann offenbleiben. In seiner Praxis bot der Kläger nach den Feststellungen des LSG Sprechstunden montags und dienstags vormittags sowie montags, dienstags und donnerstags nach 16.00 Uhr an, mittwochs und freitags für Notfälle. Auch insoweit kann offenbleiben, ob mit diesen Sprechstundenzeiten der zeitliche Umfang eines vollen Versorgungsauftrags erreicht wurde. Zusätzlich war er nach eigenen Angaben dienstags vormittags für zwei Stunden im 2 km entfernten M.-Krankenhaus als Belegarzt tätig. Auch hierzu finden sich in der Verfahrensakte zT abweichende Angaben. Im Berufungsverfahren hat der Kläger vorgetragen, er führe dienstags zwei Operationen durch, die in der Zeit zwischen 7.00 Uhr und 14.00 Uhr stattfänden. Die Beklagte hat Abrechnungsunterlagen vorgelegt, wonach der Kläger fast täglich zu wechselnden Zeiten als Belegarzt tätig war. Eine kontinuierliche, allenfalls kurzfristig unterbrochene Anwesenheit des Klägers in der L. Straße war damit nicht gewährleistet. Selbst nach den für ihn günstigsten Angaben war der Kläger jedenfalls 20 % der Betriebszeit im Labor in der L. Straße nicht anwesend. Dabei waren etwa Zeiten für den Weg zur Praxis im H. noch nicht berücksichtigt. Abwesenheitszeiten in diesem Umfang sind nicht mehr als kurzfristig anzusehen. Sinn und Zweck der Anwesenheitspflicht ist die Sicherstellung einer kontinuierlichen fachlichen Überwachung der Befunder, die nach den Vorstellungen der Qualitätssicherungsvereinbarung pro Arbeitsstunde maximal durchschnittlich 10 Präparate befunden dürfen (§ 6 Abs 2). Der delegierende Arzt, an dessen Qualifikation nach § 3 Abs 1 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie besondere Anforderungen gestellt werden, muss jederzeit in der Lage sein, eine fachliche Überprüfung vorzunehmen oder Hilfestellung in Zweifelsfragen zu geben. Bei einer Abwesenheit von mindestens 9 Stunden während der Betriebszeiten ist das nicht gewährleistet. Ein Befunder könnte in dieser Zeit 90 Präparate bearbeiten, ohne einer Kontrolle durch den Arzt zu unterliegen. Das ist im Sinne der Qualitätssicherung nicht mehr hinnehmbar.
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Der Kläger hat zwar mehrfach angeboten, seine Labor- und Praxiszeiten so aufeinander abzustimmen, dass sich keine Überschneidungen mehr ergeben. Abgesehen davon, dass sein Vortrag auch den Schluss zulässt, dass er die Forderung nach ständiger Anwesenheit des Arztes für überzogen hält, ist es aber zu keiner Festlegung gekommen. Dies mag auch an einer mangelnden Beratung der Beklagten gelegen haben, ändert aber nichts daran, dass die persönliche Leistungserbringung durch den Kläger nicht sichergestellt war.
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d) Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, dem Kläger eine Genehmigung zu erteilen mit der Auflage, die Voraussetzungen des § 6 Abs 1 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie sicherzustellen. Diese konnten nicht Gegenstand einer Nebenbestimmung zur Genehmigung sein.
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aa) Die Erteilung der Genehmigung steht nicht im Ermessen der Beklagten, sondern stellt eine gebundene Entscheidung dar. Wenn die Voraussetzungen der §§ 3 bis 5 erfüllt sind, ist nach § 2 Abs 1 Satz 2 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie die Genehmigung zu erteilen. Nach § 32 Abs 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, nur dann mit einer Nebenbestimmung, etwa einer Auflage nach § 32 Abs 2 Nr 4 SGB X, versehen werden, wenn diese durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. So bestimmt etwa § 20 Abs 3 Ärzte-ZV, dass ein Arzt, bei dem Hinderungsgründe für eine vertragsärztliche Tätigkeit vorliegen, unter der Bedingung zugelassen werden kann, dass der seiner Eignung entgegenstehende Grund spätestens drei Monate nach dem Eintritt der Bestandskraft beseitigt wird. Eine solche ausdrückliche Zulassung einer Nebenbestimmung iS des § 32 Abs 1 SGB X besteht hier nicht. Sie ist nicht, wie das LSG meint, in § 2 Abs 3 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie zu sehen. Danach ist die Genehmigung mit der Auflage zu erteilen, dass die in den §§ 5 bis 10 festgelegten Anforderungen an die Durchführung von zytologischen Untersuchungen dauerhaft erfüllt werden. Bereits nach ihrem Wortlaut - "dauerhaft" - bezieht sich diese Regelung nur auf die Sicherstellung der genannten Anforderungen für die Zukunft. Es kann offenbleiben, ob eine Nebenbestimmung, die den Fortbestand der gesetzlichen Voraussetzungen eines Dauerverwaltungsaktes wie einer Genehmigung für die Zukunft sicherstellen soll, überhaupt zulässig ist (vgl dazu BSG SozR 4-1300 § 47 Nr 1 RdNr 18 ff). Mit einer Auflage nach § 2 Abs 3 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie kann jedenfalls nicht die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen für die erstmalige Erteilung der Genehmigung sichergestellt werden.
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bb) Eine Auflage, die Voraussetzungen des § 6 Abs 1 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie zu erfüllen, ist auch nicht nach der 2. Alternative des § 32 Abs 1 SGB X, Sicherstellung der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes, zulässig. Gegenstand einer Auflage kann nicht eine wesentliche Pflicht sein, deren Erfüllung bereits unmittelbar vom Leistungstatbestand vorausgesetzt wird (vgl Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 32 RdNr 24a mwN). Eine Nebenbestimmung ist grundsätzlich darauf beschränkt, die Erfüllung geringfügiger tatbestandlicher Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes sicherzustellen (vgl BSG SozR 4-1300 § 47 Nr 1 RdNr 17 zum Widerrufsvorbehalt hinsichtlich einer Sonographie-Genehmigung; BSGE 113, 291 = SozR 4-5520 § 24 Nr 9, RdNr 21; BSGE 89, 62, 65 = SozR 3-2500 § 85 Nr 42 S 344 mwN). Zwar hat der Senat eine Auflage zur Sicherstellung der früher bestehenden Residenzpflicht für eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung im Grundsatz gebilligt (SozR 4-5520 § 24 Nr 1). Die Verwendung der Auflage als Instrument zur Durchsetzung der Voraussetzungen für die Zulassung diene dazu, hinreichend bestimmt und nachvollziehbar begründet festzulegen, welches Verhalten vom betroffenen Arzt erwartet werde. Mit dem Gebot der persönlichen Leistungserbringung sind hier aber Essentialia der Leistungserbringung selbst betroffen. Dass der verantwortliche Arzt den in § 6 Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie genannten Anforderungen an seine Anwesenheit gerecht werden kann, ist substantielle Voraussetzung für die Leistungserbringung. Anders als bei der - bis zum 31.12.2011 geltenden - Residenzpflicht besteht ein untrennbarer Zusammenhang mit der Leistungserbringung und dem Ziel der Qualitätssicherung. Die persönliche Leistungserbringung kann nicht durch eine Nebenbestimmung gewährleistet werden, die die Wirksamkeit der Genehmigung selbst nicht berührt.
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cc) Bei der Auflage iS des § 32 Abs 2 Nr 4 SGB X handelt es sich, anders als bei den in § 32 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGB X genannten Nebenbestimmungen, nicht um einen Bestandteil des Verwaltungsaktes, sondern um einen selbstständigen Verwaltungsakt(vgl Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 32 RdNr 24 mwN). Die Wirksamkeit der Hauptregelung ist nicht abhängig von der Wirksamkeit der Auflage. Konsequenz der Auffassung des LSG wäre mithin, dass die Beklagte eine Genehmigung erteilen würde, die mit dem Zugang bei dem Kläger wirksam würde. Zwar würde zum selben Zeitpunkt auch die Auflage wirksam. Würde ihr aber nicht entsprochen, würde dies die Beklagte nur zu einem Widerruf der Genehmigung nach § 47 Abs 1 Nr 2 SGB X berechtigen. Die Beklagte würde damit die Genehmigung für eine Leistungserbringung erteilen, deren ordnungsgemäße Durchführung von Anfang an nicht gesichert ist. Ungeachtet der Frage, ob und ggf welche Folgen dies für die Abrechnung der Leistungen haben würde, stünde dies in diametralem Gegensatz zur Zielsetzung der Qualitätssicherung.
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dd) Die Erteilung einer Genehmigung mit einer entsprechenden Auflage läge schließlich auch nicht im Interesse des Klägers. Sofern nicht eine genaue Festlegung der Betriebszeiten, der Zahl der maximal durchzuführenden Untersuchungen und der Präsenzzeiten des Klägers erfolgen würde, würde - abgesehen von den Schwierigkeiten des Nachweises bei einer solchen Gestaltung - weiterhin eine erhebliche Rechtsunsicherheit bestehen. Die Entscheidung darüber, ob der Kläger seine Kontroll- und Überwachungspflichten hinreichend wahrgenommen hat, würde letztlich in den Honorarstreit verlagert.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach hat der Kläger die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu tragen, weil er unterlegen ist (§ 154 Abs 1 VwGO).
Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.
(1) Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden abschließend in diesem Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.
(2) Die §§ 1 bis 3 Absatz 1, die §§ 19 bis 21, 32 bis 34a, 48 bis 81 Absatz 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 6 bis 11, Absatz 3 Nummer 1 und 2 sowie die §§ 81a bis 95 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten für die in Absatz 1 genannten Rechtsbeziehungen entsprechend. Satz 1 gilt nicht für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind. Satz 1 gilt auch nicht für Beschlüsse, Empfehlungen, Richtlinien oder sonstige Entscheidungen der Krankenkassen oder deren Verbände, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, sowie für Beschlüsse, Richtlinien und sonstige Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist.
(3) Auf öffentliche Aufträge nach diesem Buch sind die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden.
(4) Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 und 140a über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Absatz 1 und § 130 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie von § 14 Absatz 1 bis 3 der Vergabeverordnung andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 der Vergabeverordnung darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Absatz 4 und 6 der Vergabeverordnung vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 der Vergabeverordnung, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder.
(1) Die Krankenkassen und ihre Verbände können im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung zur Verbesserung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Versorgung Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Verfahrens-, Organisations-, Finanzierungs- und Vergütungsformen der Leistungserbringung durchführen oder nach § 64 vereinbaren.
(2) Die Krankenkassen können Modellvorhaben zu Leistungen zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten, zur Krankenbehandlung sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft, die nach den Vorschriften dieses Buches oder auf Grund hiernach getroffener Regelungen keine Leistungen der Krankenversicherung sind, durchführen oder nach § 64 vereinbaren.
(3) Bei der Vereinbarung und Durchführung von Modellvorhaben nach Absatz 1 kann von den Vorschriften des Vierten und des Zehnten Kapitels dieses Buches, soweit es für die Modellvorhaben erforderlich ist, und des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, des Krankenhausentgeltgesetzes sowie den nach diesen Vorschriften getroffenen Regelungen abgewichen werden; der Grundsatz der Beitragssatzstabilität gilt entsprechend. Gegen diesen Grundsatz wird insbesondere für den Fall nicht verstoßen, daß durch ein Modellvorhaben entstehende Mehraufwendungen durch nachzuweisende Einsparungen auf Grund der in dem Modellvorhaben vorgesehenen Maßnahmen ausgeglichen werden. Einsparungen nach Satz 2 können, soweit sie die Mehraufwendungen überschreiten, auch an die an einem Modellvorhaben teilnehmenden Versicherten weitergeleitet werden. Satz 1 gilt mit der Maßgabe, dass von § 284 Abs. 1 Satz 4 nicht abgewichen werden darf.
(3a) Gegenstand von Modellvorhaben nach Absatz 1, in denen von den Vorschriften des Zehnten Kapitels dieses Buches abgewichen wird, können insbesondere informationstechnische und organisatorische Verbesserungen der Datenverarbeitung, einschließlich der Erweiterungen der Befugnisse zur Verarbeitung von personenbezogenen Daten sein. Von den Vorschriften des Zehnten Kapitels dieses Buches zur Verarbeitung personenbezogener Daten darf nur mit schriftlicher oder elektronischer Einwilligung des Versicherten und nur in dem Umfang abgewichen werden, der erforderlich ist, um die Ziele des Modellvorhabens zu erreichen. Der Versicherte ist vor Erteilung der Einwilligung schriftlich oder elektronisch darüber zu unterrichten, inwieweit das Modellvorhaben von den Vorschriften des Zehnten Kapitels dieses Buches abweicht und aus welchen Gründen diese Abweichungen erforderlich sind. Die Einwilligung des Versicherten hat sich auf Zweck, Inhalt, Art, Umfang und Dauer der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten sowie die daran Beteiligten zu erstrecken.
(3b) Modellvorhaben nach Absatz 1 können vorsehen, dass Angehörige der im Pflegeberufegesetz, im Krankenpflegegesetz und im Altenpflegegesetz geregelten Berufe
- 1.
die Verordnung von Verbandsmitteln und Pflegehilfsmitteln sowie - 2.
die inhaltliche Ausgestaltung der häuslichen Krankenpflege einschließlich deren Dauer
(3c) Modellvorhaben nach Absatz 1 können eine Übertragung der ärztlichen Tätigkeiten, bei denen es sich um selbstständige Ausübung von Heilkunde handelt und für die die Angehörigen des im Pflegeberufegesetz geregelten Berufs auf Grundlage einer Ausbildung nach § 14 des Pflegeberufegesetzes qualifiziert sind, auf diese vorsehen. Die Krankenkassen und ihre Verbände sollen entsprechende Vorhaben spätestens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2020 vereinbaren oder durchführen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in Richtlinien fest, bei welchen Tätigkeiten eine Übertragung von Heilkunde auf die Angehörigen des in Satz 1 genannten Berufs im Rahmen von Modellvorhaben erfolgen kann. Vor der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses ist der Bundesärztekammer sowie den maßgeblichen Verbänden der Pflegeberufe Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Stellungnahmen sind in die Entscheidungen einzubeziehen. Durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nach den Sätzen 2 bis 4 festgelegte Richtlinien gelten für die Angehörigen des in Satz 1 geregelten Berufs fort.
(3d) Die Anwendung von Heilmitteln, die nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 zur Behandlung krankheitsbedingter Schädigungen nur verordnungsfähig sind, wenn die Schädigungen auf Grund bestimmter Grunderkrankungen eintreten, kann auch bei anderen ursächlichen Grunderkrankungen Gegenstand von Modellvorhaben nach Absatz 2 sein.
(4) Gegenstand von Modellvorhaben nach Absatz 2 können nur solche Leistungen sein, über deren Eignung als Leistung der Krankenversicherung der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 91 im Rahmen der Beschlüsse nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 oder im Rahmen der Beschlüsse nach § 137c Abs. 1 keine ablehnende Entscheidung getroffen hat. Fragen der biomedizinischen Forschung sowie Forschungen zur Entwicklung und Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten können nicht Gegenstand von Modellvorhaben sein.
(5) Die Modellvorhaben sind im Regelfall auf längstens acht Jahre zu befristen. Verträge nach § 64 Abs. 1 sind den für die Vertragsparteien zuständigen Aufsichtsbehörden vorzulegen. Modellvorhaben nach Absatz 1, in denen von den Vorschriften des Zehnten Kapitels dieses Buches abgewichen werden kann, sind auf längstens fünf Jahre zu befristen. Über Modellvorhaben nach Absatz 1, in denen von den Vorschriften des Zehnten Kapitels dieses Buches abgewichen wird, sind der Bundesbeauftragte für den Datenschutz oder die Landesbeauftragten für den Datenschutz, soweit diese zuständig sind, rechtzeitig vor Beginn des Modellvorhabens zu unterrichten.
(6) Modellvorhaben nach den Absätzen 1 und 2 können auch von den Kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung mit den Krankenkassen oder ihren Verbänden vereinbart werden. Die Vorschriften dieses Abschnitts gelten entsprechend.
(1) Die Krankenkassen und ihre Verbände können mit den in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Leistungserbringern oder Gruppen von Leistungserbringern Vereinbarungen über die Durchführung von Modellvorhaben nach § 63 Abs. 1 oder 2 schließen. Soweit die ärztliche Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung betroffen ist, können sie nur mit einzelnen Vertragsärzten, mit Gemeinschaften dieser Leistungserbringer oder mit Kassenärztlichen Vereinigungen Verträge über die Durchführung von Modellvorhaben nach § 63 Abs. 1 oder 2 schließen.
(2) (weggefallen)
(3) Werden in einem Modellvorhaben nach § 63 Abs. 1 oder § 64a Leistungen außerhalb der für diese Leistungen geltenden Vergütungen nach § 85 oder § 87a, der Ausgabenvolumen nach § 84 oder der Krankenhausbudgets vergütet, sind die Vergütungen oder der Behandlungsbedarf nach § 87a Absatz 3 Satz 2, die Ausgabenvolumen oder die Budgets, in denen die Ausgaben für diese Leistungen enthalten sind, entsprechend der Zahl und der Morbiditäts- oder Risikostruktur der am Modellversuch teilnehmenden Versicherten sowie dem in den Verträgen nach Absatz 1 jeweils vereinbarten Inhalt des Modellvorhabens zu bereinigen; die Budgets der teilnehmenden Krankenhäuser sind dem geringeren Leistungsumfang anzupassen. Kommt eine Einigung der zuständigen Vertragsparteien über die Bereinigung der Vergütungen, Ausgabenvolumen oder Budgets nach Satz 1 nicht zustande, können auch die Krankenkassen oder ihre Verbände, die Vertragspartner der Vereinbarung nach Absatz 1 sind, das Schiedsamt nach § 89 oder die Schiedsstelle nach § 18a Abs. 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes anrufen. Vereinbaren alle gemäß § 18 Abs. 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes an der Pflegesatzvereinbarung beteiligten Krankenkassen gemeinsam ein Modellvorhaben, das die gesamten nach der Bundespflegesatzverordnung oder dem Krankenhausentgeltgesetz vergüteten Leistungen eines Krankenhauses für Versicherte erfaßt, sind die vereinbarten Entgelte für alle Benutzer des Krankenhauses einheitlich zu berechnen. Bei der Ausgliederung nach Satz 1 sind nicht auf die einzelne Leistung bezogene, insbesondere periodenfremde, Finanzierungsverpflichtungen in Höhe der ausgegliederten Belegungsanteile dem Modellvorhaben zuzuordnen. Für die Bereinigung des Behandlungsbedarfs nach § 87a Absatz 3 Satz 2 gilt § 73b Absatz 7 entsprechend; falls eine Vorabeinschreibung der teilnehmenden Versicherten nicht möglich ist, kann eine rückwirkende Bereinigung vereinbart werden. Die Krankenkasse kann bei Verträgen nach Satz 1 auf die Bereinigung verzichten, wenn das voraussichtliche Bereinigungsvolumen einer Krankenkasse für ein Modellvorhaben geringer ist als der Aufwand für die Durchführung dieser Bereinigung. Der Bewertungsausschuss hat in seinen Vorgaben gemäß § 87a Absatz 5 Satz 7 zur Bereinigung und zur Ermittlung der kassenspezifischen Aufsatzwerte des Behandlungsbedarfs auch Vorgaben zur Höhe des Schwellenwertes für das voraussichtliche Bereinigungsvolumen, unterhalb dessen von einer basiswirksamen Bereinigung abgesehen werden kann, zu der pauschalen Ermittlung und Übermittlung des voraussichtlichen Bereinigungsvolumens an die Vertragspartner nach § 73b Absatz 7 Satz 1 sowie zu dessen Anrechnung beim Aufsatzwert der betroffenen Krankenkasse zu machen.
(4) Die Vertragspartner nach Absatz 1 Satz 1 können Modellvorhaben zur Vermeidung einer unkoordinierten Mehrfachinanspruchnahme von Vertragsärzten durch die Versicherten durchführen. Sie können vorsehen, daß der Vertragsarzt, der vom Versicherten weder als erster Arzt in einem Behandlungsquartal noch mit Überweisung noch zur Einholung einer Zweitmeinung in Anspruch genommen wird, von diesem Versicherten verlangen kann, daß die bei ihm in Anspruch genommenen Leistungen im Wege der Kostenerstattung abgerechnet werden.
(1) Dieses Kapitel sowie die §§ 63 und 64 regeln abschließend die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse nach den §§ 90 bis 94. Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden werden abschließend in diesem Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Für die Rechtsbeziehungen nach den Sätzen 1 und 2 gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.
(2) Die §§ 1 bis 3 Absatz 1, die §§ 19 bis 21, 32 bis 34a, 48 bis 81 Absatz 2 Nummer 1, 2 Buchstabe a und Nummer 6 bis 11, Absatz 3 Nummer 1 und 2 sowie die §§ 81a bis 95 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten für die in Absatz 1 genannten Rechtsbeziehungen entsprechend. Satz 1 gilt nicht für Verträge und sonstige Vereinbarungen von Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern oder deren Verbänden, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind. Satz 1 gilt auch nicht für Beschlüsse, Empfehlungen, Richtlinien oder sonstige Entscheidungen der Krankenkassen oder deren Verbände, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, sowie für Beschlüsse, Richtlinien und sonstige Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist.
(3) Auf öffentliche Aufträge nach diesem Buch sind die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden.
(4) Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 und 140a über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Absatz 1 und § 130 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie von § 14 Absatz 1 bis 3 der Vergabeverordnung andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 der Vergabeverordnung darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Absatz 4 und 6 der Vergabeverordnung vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 der Vergabeverordnung, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Beklagte zu 1, eine Betriebskrankenkasse, druckte in ihrer Mitgliederzeitung (Ausgabe Juni 2002) einen "Gutschein für eine kostenlose Blutdruck - und Blutzuckermessung" ab, der bei der Apotheke der Beklagten zu 2 in W. einzulösen sein sollte. Dieser Aktion lag ein Vertrag zwischen der Beklagten zu 1 und der Beklagten zu 2 vom 7. Juni 2002 zugrunde. Danach sollten alle Versicherten der Beklagten zu 1 bei Vorlage eines Gutscheins An- spruch auf eine kostenlose Blutdruck- und Blutzuckermessung haben. Die Beklagte zu 2 führte solche Messungen durch und erhielt dafür von der Beklagten zu 1 vereinbarungsgemäß eine Vergütung.
- 2
- Die klagende Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. hat die Aktion unter den rechtlichen Gesichtspunkten des übertriebenen Anlockens und des psychischen Kaufzwangs als wettbewerbswidrig beanstandet und die Zahlung von Abmahnkosten verlangt. Sie hat beantragt, 1. den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu untersagen , im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die Verteilung von Gutscheinen für kostenlose Blutdruck- und/ oder Blutzuckermessungen anzubieten und/oder anbieten zu lassen und/oder derartige Gutscheine einzulösen und/oder einlösen zu lassen. 2. die Beklagten zu verurteilen, jeweils an die Klägerin 175,06 € zuzüglich Zinsen zu zahlen.
- 3
- Die Beklagten haben ihr Verhalten als wettbewerbsgemäß verteidigt. Es gehe zudem um Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge, die nicht der Beurteilung nach dem Recht des unlauteren Wettbewerbs unterlägen.
- 4
- Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Gegen diese Entscheidung haben die Beklagten Berufung eingelegt.
- 5
- Die Klägerin hat im Berufungsverfahren weiter vorgetragen, die Beklagte zu 1 sei als gesetzliche Krankenkasse und Körperschaft des öffentlichen Rechts verpflichtet, einzelne Leistungserbringer nicht einseitig auf Kosten anderer zu fördern. Dieses Neutralitätsgebot habe sie verletzt, weil sie nur mit der Beklagten zu 2 einen Vertrag über die Durchführung kostenloser Blutdruck- und Blutzuckermessungen geschlossen habe und damit nur dieser die Möglichkeit geboten habe, kostenlos zu werben und neue Kunden zu gewinnen.
- 6
- Die Klägerin hat beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise mit der Maßgabe, dass der Tenor bei Nr. 1 wie folgt gefasst wird: 1. Den Beklagten wird untersagt,
a) in dem Gesundheitsmagazin "Gesundheit - Das Magazin der BKK V. " oder anderen an die Mitglieder der Beklagten zu 1 gerichteten Publikationen einen Gutschein für eine kostenlose Blutdruck- und/oder Blutzuckermessung abzudrucken (Beklagte zu 1) bzw. abdrucken zu lassen (Beklagte zu 2), der nur in der Apotheke der Beklagten zu 2 eingelöst werden kann, insbesondere wenn der Gutschein folgenden Wortlaut hat: "GUTSCHEIN für eine kostenlose Blutdruckund Blutzuckermessung Einzulösen bei: We. -Apotheke We. W. ";
b) in der Apotheke der Beklagten zu 2 an Kunden, die sich mit einem Gutschein gemäß a) dort einfinden, Blutdruckund /oder Blutzuckermessungen kostenlos durchzuführen oder durchführen zu lassen; äußerst hilfsweise mit der Maßgabe, dass der Urteilstenor bei Nr. 1 durch folgende Nr. 1 und Nr. 1a ersetzt wird: 1. der Beklagten zu 1 wird untersagt, in ihrem Gesundheitsmagazin "Gesundheit - Das Magazin der BKK V. " oder anderen an die Mitglieder der Beklagten zu 1 gerichteten Publikationen einen "Gutschein für eine kostenlose Blutdruck- und Blutzuckermessung" abzudrucken, der nur in der Apotheke der Beklagten zu 2 eingelöst werden kann,
a) ohne dass der Beklagten zu 2 für diesen Abdruck etwas berechnet wird und
b) wobei der Beklagten zu 2 von der Beklagten zu 1 erstattet wird 0,52 € für eine Blutdruckmessung und 2,00 € für eine Blutzuckermessung. 1a. Der Beklagten zu 2 wird untersagt, an Kunden, die sich mit einem Gutschein gemäß Nr. 1 in ihrer Apotheke einfinden, Blutdruck - und/oder Blutzuckermessungen kostenlos durchzuführen.
- 7
- Die Beklagten sind auch den Hilfsanträgen entgegengetreten.
- 8
- Das Berufungsgericht hat die Klage (samt den Hilfsanträgen) abgewiesen (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2003, 378).
- 9
- Mit der (vom Berufungsgericht zugelassenen) Revision beantragt die Klägerin, nach ihren Schlussanträgen in der Berufungsinstanz zu erkennen. Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
- 10
- A. Das Berufungsgericht hat die Klage als insgesamt unzulässig angesehen. Dazu hat es ausgeführt:
- 11
- Die Zulässigkeit des Zivilrechtswegs sei im Rechtsmittelverfahren gemäß § 17a Abs. 5 GVG nicht mehr zu prüfen. Die Klage sei aber unzulässig, weil die Klägerin nicht nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG (a.F.) klagebefugt sei. Aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) könne sie keine Ansprüche herleiten , weil die mit der Klage beanstandeten Handlungen nicht nach dem UWG zu beurteilen seien. Die Beklagte zu 1 habe als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung , die Beklagte zu 2 als Leistungserbringer gehandelt. Ihr Vertrag vom 7. Juni 2002 habe geregelt, welche Leistungen und in welcher Form die Beklagte zu 1 durch die Beklagte zu 2 ihren Mitgliedern erbringen lasse. Diese Rechtsbeziehungen würden nach § 69 SGB V abschließend durch Vorschriften des SGB V geregelt. Dies gelte auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen seien.
- 12
- Es sei nicht zu prüfen, ob Leistungserbringern aus verfassungs- oder sozialrechtlichen Gründen Ansprüche zustehen könnten, die dem Schutz gegen eine Ungleichbehandlung oder Kompetenzüberschreitung durch eine Krankenkasse dienen, da die Klägerin für derartige Ansprüche jedenfalls nicht klagebefugt wäre.
- 13
- B. Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Klage statt als unzulässig als unbegründet abzuwei- sen ist. Das Verschlechterungsverbot steht dem nicht entgegen (vgl. BGH, Urt. v. 2.3.2000 - III ZR 65/99, NJW 2000, 1645, 1647 m.w.N.).
- 14
- I. Die Klage ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts fehlt der Klägerin nicht die Klagebefugnis.
- 15
- Die Klägerin hat ihre Klagebefugnis bei Klageerhebung auf § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG a.F. gestützt. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom 3. Juli 2004 ergibt sich ihre Klagebefugnis aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, der - wie zuvor § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG a.F. - auch die prozessuale Klagebefugnis regelt (BGH, Urt. v. 27.1.2005 - I ZR 146/02, GRUR 2005, 689 f. = WRP 2005, 1007 - Sammelmitgliedschaft III, m.w.N.). Die Klägerin erfüllt die Anforderungen dieser Vorschrift. Sie nimmt als rechtsfähiger Verband die Interessen einer erheblichen Zahl von Unternehmen wahr, die auf demselben Markt wie die Beklagten tätig sind.
- 16
- Die prozessuale Klagebefugnis setzt nur voraus, dass ein wettbewerbsrechtlicher Anspruch behauptet wird. Ob dieser Anspruch durchgreift, ist eine Frage der Begründetheit der Klage. Dies gilt auch für die Frage, ob wettbewerbsrechtliche Ansprüche durch § 69 SGB V ausgeschlossen werden (vgl. BGH, Urt. v. 2.10.2003 - I ZR 117/01, GRUR 2004, 247, 248 = WRP 2004, 337 - Krankenkassenzulassung; a.A. BSGE 89, 24, 30 = NJW-RR 2002, 1691).
- 17
- II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüche nicht zu. Die Klägerin hat dementsprechend auch keinen Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten.
- 18
- 1. Der Senat ist nicht gehindert, über die Begründetheit der Klage selbst zu entscheiden, obwohl das Berufungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen hat. Die Klageanträge können - wie im Folgenden dargelegt - bereits aus Rechtsgründen nicht zugesprochen werden, so dass bei Zurückverweisung nicht anders entschieden werden könnte (vgl. BGH, Urt. v. 29.9.1993 - VIII ZR 107/93, WM 1994, 76, 77).
- 19
- 2. Mit ihrem als Hauptantrag gestellten Unterlassungsantrag beanstandet die Klägerin als wettbewerbswidrig (§ 3, § 4 Nr. 1, 10, 11 UWG, zuvor § 1 UWG a.F.), dass die Beklagte zu 1 Gutscheine für kostenlose Blutdruck- und/oder Blutzuckermessungen anbietet, die in der Apotheke der Beklagten zu 2 einzulösen sind, und weiter, dass von den Beklagten entsprechend verfahren wird. Der Klägerin steht jedoch gegen dieses Verhalten schon deshalbkein wettbewerbsrechtlicher Anspruch zu, weil § 69 SGB V solche Ansprüche ausschließt.
- 20
- a) Nach § 69 Satz 1 SGB V sind die Rechtsbeziehungen der gesetzlichen Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken und sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden abschließend im Vierten Kapitel des SGB V (Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern) und in §§ 63 und 64 SGB V geregelt. Dies gilt nach § 69 Satz 4 SGB V auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen sind.
- 21
- b) Entgegen der Ansicht der Revision trifft § 69 SGB V eine materiellrechtliche Regelung. Sie legt fest, nach welchen Bestimmungen die Handlungen der Krankenkassen zu beurteilen sind, durch die sie - mittels ihrer Rechtsbeziehungen zu den Leistungserbringern - ihren öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag erfüllen, den Versicherten die im Dritten Kapitel des SGB V gere- gelten Leistungen in Natur zur Verfügung zu stellen (vgl. BSGE 89, 24, 30 f.; BSG GesR 2005, 409, 411; BGH GRUR 2004, 247, 249 - Krankenkassenzulassung ; jeweils unter Bezugnahme auf die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 [GKV-Gesundheitsreform 2000], BT-Drucks. 14/1245, S. 68).
- 22
- c) Die Vorschrift des § 69 SGB V schließt es aus, Handlungen der Krankenkassen und der von ihnen eingeschalteten Leistungserbringer, die der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags gegenüber den Versicherten dienen sollen, nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zu beurteilen (vgl. BSGE 89, 24, 30 ff.; BSG GesR 2005, 409, 411; BGH GRUR 2004, 247, 249 - Krankenkassenzulassung).
- 23
- Der Wortlaut des § 69 SGB V könnte es allerdings nahelegen, diese Bestimmung nur auf die Beurteilung der internen, insbesondere vertraglichen Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern untereinander und - im Hinblick auf § 69 Satz 4 SGB V - auf die Auswirkungen dieser Rechtsbeziehungen auf Dritte anzuwenden. Wie aus der Gesetzesbegründung hervorgeht, sollte mit der Neufassung des § 69 SGB V durch das GKVGesundheitsreformgesetz 2000 (GKVRefG 2000) aber gerade auch sichergestellt werden, dass Handlungen der gesetzlichen Krankenkassen und der für sie tätigen Leistungserbringer zur Erfüllung des Versorgungsauftrags gegenüber dem Versicherten nur nach dem öffentlichen Recht beurteilt werden (vgl. BTDrucks. 14/1245 S. 68; BSGE 89, 24, 32; BSG GesR 2005, 409, 411; BGH GRUR 2004, 247, 249 - Krankenkassenzulassung). Damit sollte der früheren Rechtsprechung (vgl. insbesondere GemS-OGB BGHZ 102, 280) die Grundlage entzogen werden, dass solche (schlicht-hoheitlichen) Handlungen wegen ihrer Auswirkungen auf den Wettbewerb gegebenenfalls eine Doppelnatur ha- ben können und dementsprechend auch dem Wettbewerbs- oder Kartellrecht unterliegen können. Die Vorschrift des § 69 SGB V bezieht sich auch auf die Beziehungen von Leistungserbringern untereinander, soweit es um Handlungen in Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags der Krankenkassen geht (vgl. BSGE 89, 24, 33; BGH GRUR 2004, 247, 249 - Krankenkassenzulassung ).
- 24
- d) Die Beklagten haben bei dem beanstandeten Verhalten in Erfüllung des Versorgungsauftrags der Beklagten zu 1 gegenüber deren Versicherten gehandelt. Die Beklagte zu 1 hat mit dem Vertrag vom 7. Juni 2002 den Zweck verfolgt, ihren Mitgliedern (für diese) kostenlose Blutdruck- und Blutzuckermessungen als Vorsorgeuntersuchungen zu ermöglichen, und hat dazu die Beklagte zu 2 als Leistungserbringerin eingesetzt. Solche Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention werden vom öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen umfasst (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2, § 20 SGB V; vgl. weiter BT-Drucks. 14/1245, S. 61 f.); bei der Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit ist daher § 69 SGB V zu beachten. Die Anwendbarkeit des § 69 SGB V und damit der Ausschluss der Vorschriften des UWG hängt nicht davon ab, ob die zu beurteilenden Handlungen den Anforderungen des SGB V an das Tätigwerden der Krankenkassen genügen. Es ist gerade der Sinn des § 69 SGB V, die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Krankenkassen und der von ihnen eingesetzten Leistungserbringer, die dem öffentlichrechtlichen Versorgungsauftrag dienen sollen, nur den in dieser Bestimmung aufgeführten Rechtsvorschriften zu unterwerfen und dabei die Anwendung des Wettbewerbsrechts auszuschließen.
- 25
- e) Die Revision bringt vor, die Regelung des § 69 SGB V habe zur Folge, dass das UWG nur noch auf Handlungen der privaten Krankenversicherer an- zuwenden sei, nicht aber auf das Verhalten der gesetzlichen Krankenkassen. Ebenso sei danach die Anwendbarkeit des UWG auf Handlungen privater Leistungserbringer davon abhängig, ob diese für private Krankenversicherer oder gesetzliche Krankenkassen tätig würden. Diese Ungleichbehandlung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
- 26
- Bei diesem Vorbringen berücksichtigt die Revision jedoch nicht, dass private Unternehmen gegen beeinträchtigendes oder diskriminierendes Verhalten der gesetzlichen Krankenkassen unter Umständen Abwehransprüche mit der Begründung geltend machen können, sie würden dadurch im Recht der freien Berufsausübung (Art. 12 GG) oder der Gleichbehandlung im Wettbewerb (Art. 3 GG) beeinträchtigt (vgl. BSGE 89, 24, 33 f.). Soweit derartige grundrechtliche Abwehransprüche von strengeren Voraussetzungen abhängen können als Ansprüche aus dem UWG, kann dies seine Rechtfertigung auch darin finden, dass die gesetzlichen Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts bereits strengeren Bindungen unterliegen als private Unternehmen.
- 27
- 3. Die Hilfsanträge der Klägerin sind ebenfalls unbegründet.
- 28
- a) Die Revision sieht es als wettbewerbswidrig an, dass die Beklagte zu 1 durch ihre Werbeaktion zu Gunsten der Beklagten zu 2 in den Wettbewerb der Apotheken eingegriffen habe. Die Beklagte zu 1 sei als gesetzliche Krankenkasse im Verhältnis zu den Leistungserbringern zur Neutralität verpflichtet. Sie sei deshalb nicht berechtigt gewesen, die Beklagte zu 2 auf dem Gutschein als einzige Apotheke für die Durchführung der Messungen zu benennen. Dies gelte um so mehr, als an die Beklagte zu 2 für die Messungen ein höheres Entgelt gezahlt worden sei als von den Apotheken üblicherweise gefordert werde.
- 29
- b) Wie sich aus den vorstehenden Darlegungen (unter 2.) ergibt, kann die Klägerin im Hinblick auf § 69 SGB V auch aus diesem Sachverhalt keine wettbewerbsrechtlichen Ansprüche gegen die Beklagten herleiten.
- 30
- c) Abwehransprüche aus Art. 12 GG oder Art. 3 GG können der Klägerin, die ihre Klagebefugnis nur auf § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG stützen kann, nicht zustehen (vgl. - zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG a.F. - BGH, Urt. v. 19.1.1997 - I ZR 225/94, GRUR 1997, 669, 671 = WRP 1997, 731 - Euromint).
- 31
- C. Danach war die Revision der Klägerin mit der Maßgabe zurückzuweisen , dass die Klage statt als unzulässig als unbegründet abgewiesen wird.
- 32
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Schaffert Bergmann
Vorinstanzen:
LG Wuppertal, Entscheidung vom 20.12.2002 - 1 O 440/02 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 03.06.2003 - 20 U 27/03 -
Tenor
-
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
-
Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
- 1
-
Im Streit steht, ob der dem Kläger erteilte disziplinar-rechtliche Verweis rechtmäßig ist.
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Der Kläger nimmt als Facharzt für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der beklagten KÄV teil. Mit Schreiben vom 8.10.2012 setzte er die Beklagte darüber in Kenntnis, dass er am 10.10.2012 zusammen mit fünf anderen Kollegen "das allen Berufsgruppen verfassungsrechtlich zustehende Streikrecht" ausüben und deshalb an diesem Tag seine Praxis schließen werde. Eine Notfallversorgung werde gewährleistet, indem zum Beispiel über den Anrufbeantworter und einen Aushang an der Praxis auf einen die Notfallversorgung übernehmenden Kollegen hingewiesen werde. Mit diesem Warnstreik werde der Forderung nach einem ärztlichen Honorarsystem Ausdruck verliehen, welches feste Preise ohne irgendeine Form von Mengenbegrenzungen vorsehe. Am 10.10.2012 schloss der Kläger nach den Feststellungen des SG seine Praxis, ebenso - wie mit weiterem Schreiben vom 19.11.2012 angekündigt - am 21.11.2012. Auf Antrag des Vorstandes der Beklagten eröffnete der Disziplinarausschuss ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger und gab ihm dies mit Beschluss vom 23.1.2013 bekannt; die ihm eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme nahm der Kläger mit Schreiben vom 26.2.2013 wahr.
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Mit Bescheid vom 7.5.2013 erteilte die Beklagte dem Kläger einen Verweis, da er seine Pflichten als Vertragsarzt verletzt habe. Vertragsärzte seien grundsätzlich verpflichtet, am Vertragsarztsitz in den Praxisräumen Sprechstunde zu halten. Die Praxisschließung zur Ausübung eines Warnstreiks sei nicht durch Art 9 Abs 3 GG gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe den Kassenärzten das Recht vorenthalten, ihre Leistungsbedingungen durch Streik zu erkämpfen. Der Kläger habe in nachhaltiger Weise gegen seine Präsenzpflicht verstoßen und auch schuldhaft gehandelt, denn er habe erkennen können, dass der Gesetzgeber kollektive Ärztestreiks zu Recht als eine "schwerwiegende Verletzung vertragsärztlicher Pflichten" gewertet habe und diese mit harten Sanktionen möglichst verhindern wolle. Da derartige Verstöße gegen die Präsenzpflicht in der vertragsärztlichen Leistungserbringung als schwerwiegend einzustufen seien, andererseits zugunsten des Klägers zu berücksichtigen sei, dass er zum ersten Mal disziplinarisch auffällig geworden sei, werde ein Verweis für angemessen und erforderlich gehalten.
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Die hiergegen vom Kläger erhobene Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 23.7.2015 - berichtigt mit Beschluss vom 27.1.2016). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, nach § 24 Abs 2 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) müsse der Vertragsarzt am Vertragsarztsitz seine Sprechstunde halten, also in den Sprechstundenzeiten dauernd für die ärztliche Versorgung der Patienten bereit sein, sofern er keinen zulässigen Unterbrechungsgrund vorweisen könne. Einer der in § 32 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV genannten Unterbrechungsgründe habe nicht vorgelegen; auch ein sonstiger Unterbrechungsgrund, der im Rahmen einer Güterabwägung berücksichtigt werden könne, liege nicht vor. Weder im SGB V, noch in der Ärzte-ZV oder den Verträgen sei ein Streikrecht als Grund für eine Unterbrechung der Praxistätigkeit vorgesehen. Vielmehr sprächen die Vorschriften insbesondere des SGB V eher gegen ein solches Streikrecht. So hätten nach § 75 Abs 1 SGB V die KÄVen und die KÄBV die vertragsärztliche Versorgung in dem in § 73 Abs 2 SGB V bezeichneten Umfang sicherzustellen und den Krankenkassen (KKen) und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspreche. Die Bedeutung des Sicherstellungsauftrags bestehe insbesondere darin, dass es eine verantwortliche Institution gebe, die letztlich immer dafür Sorge zu tragen habe, dass gesetzlich Krankenversicherten eine ambulante ärztliche Versorgung gewährt werden könne. Daraus, dass der Vertragsarzt an diesem System teilnehme, folgere der Gesetzgeber, dass der Vertragsarzt die Erfüllung des Sicherstellungsauftrags zu fördern und alles zu unterlassen habe, was die Sicherstellung und Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung gefährden oder ausschließen könnte.
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Auch aus Art 9 Abs 3 GG könne kein Recht auf Unterbrechung der Sprechstundenverpflichtung hergeleitet werden. Bereits der Schutzbereich des Art 9 Abs 3 GG sei nicht eröffnet. Trotz der weiten Fassung des Art 9 Abs 3 GG entspreche es der historischen Entwicklung, dass primär auf die Arbeitnehmereigenschaft abgestellt werde. Die Vertragsärzte seien jedoch nicht als Arbeitnehmer einzustufen, die des Schutzes des Art 9 Abs 3 GG bedürften. Die Tätigkeit des Vertragsarztes in freier Praxis werde durch die Merkmale der individuellen Unabhängigkeit in persönlicher und beruflicher Hinsicht und das Tragen des wirtschaftlichen Risikos sowie die Beteiligung an wirtschaftlichen Erfolgen der Praxis konkretisiert. Auch sei das Verhältnis der Vertragsärzte zur KÄV ein anderes als das der Arbeitnehmer zu "ihrer" Gewerkschaft, denn der Streik der Vertragsärzte diene dazu, Druck auf beide Verhandlungsparteien, also auch auf die KÄV als Interessenvertretung der Ärzte, auszuüben. Auch Art 11 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vermöge zu keiner anderen Beurteilung führen, denn auch hier seien Freiberufler vom Schutzbereich nicht erfasst.
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Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht. Ein Streik von Vertragsärzten sei dann gerechtfertigt, wenn er sich unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Vertragsarztrechts und des Ärztestreiks als solcher als verhältnismäßig darstelle. Ein absolutes Streikverbot, das über allem stehe, gebe es auch im Vertragsarztrecht nicht; Vertragsärzte könnten im Ergebnis nicht schlechter gestellt werden als zB Arbeitnehmer oder Beamte. Ein vollständiger Ausschluss vom Streikrecht sei weder verfassungsrechtlich noch europarechtlich haltbar. Demnach könne ein Warnstreik von Vertragsärzten, der eine ausreichende Notfallversorgung gewährleiste und verhältnismäßig sei, rechtmäßig sein; ein rechtmäßiger Streik wiederum dürfte nicht zur Verhängung einer Disziplinarmaßnahme führen. Nach dem klaren Wortlaut des Art 9 Abs 3 GG sei auch die Berufsgruppe der Ärzte als Grundrechtsträger vom Schutzbereich dieser Vorschrift umfasst. Was für Ärzte gelte, gelte auch für Vertragsärzte. Dass Vertragsärzte im rechtlichen Sinne keine klassischen Arbeitnehmer seien, sondern vielmehr als Freiberufler eingestuft würden, führe nicht dazu, dass diese generell von einem Streikrecht ausgeschlossen wären. Dem Wortlaut des Art 9 Abs 3 GG sei ein solcher Ausschluss nicht zu entnehmen; vielmehr gelte es für "jedermann" und deshalb für alle Menschen in ihrer Eigenschaft als Berufsangehörige. Die Notwendigkeit, eine individuelle Verhandlungsschwäche mit Hilfe kollektiver Interessenvertretungen auszugleichen, liege ohne Zweifel auch beim Vertragsarzt vor. Die KÄVen seien durch ihre Doppelfunktion als Interessenvertretung und Körperschaft kein gleichwertiger Ersatz für eine Koalition nach Art 9 Abs 3 GG, da es ihnen als Körperschaft des öffentlichen Rechts verboten sei, sich im Fall einer gewünschten Boykottmaßnahme gegen die KKen zu stellen.
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Hinzu komme, dass der Status des Vertragsarztes, gerade in Bezug auf den vielfältigen Pflichtenkatalog, den er zu übernehmen habe, gegenüber einem klassischen Freiberufler so stark limitiert sei, dass er durchaus "arbeitnehmerähnliche Züge" enthalte. Dies sei bei der Auslegung des Art 9 Abs 3 GG zu berücksichtigen. Das vertragsärztliche Honorar werde - wie bei einem Arbeitnehmer - von einem einzigen "Arbeitgeber" bezahlt, nämlich der KÄV. Zudem könne der Vertragsarzt weder sein Honorarrisiko streuen noch die Auswahl seiner Kunden selektieren, sondern müsse mit Sanktionen rechnen, wenn er seine Verpflichtungen auch nur gegenüber einem einzelnen gesetzlich versicherten Patienten nicht erfülle. Auch die wirtschaftliche Freiheit, das "ob" und "wie" der Arbeitsleistung frei zu bestimmen, sei bei einem Vertragsarzt deutlich eingeschränkt. Wenn er im Rahmen seiner Sprechstundentätigkeit dem Grunde nach "rund um die Uhr" zur Verfügung zu stehen habe, habe er keine freie Verfügung mehr über seine eigene Arbeitskraft und könne insbesondere seine Arbeitszeit nicht mehr frei wählen. Die meisten Ärzte seien auf eine Teilnahme an diesem System dringend angewiesen.
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Nach europarechtlichen Vorgaben sei Art 9 Abs 3 GG - wie beispielsweise auch Art 33 Abs 5 GG - so auszulegen, dass diese Auslegung nicht im Widerspruch zur EMRK stehe. In jüngerer Zeit habe das BVerwG festgestellt, dass das statusbezogene Streikverbot nach Art 33 Abs 5 GG und die funktionsbezogenen Gewährleistungen nach Art 11 EMRK in Bezug auf Beamte, die außerhalb der genuinen Hoheitsverwaltung eingesetzt seien, inhaltlich miteinander unvereinbar seien. Für Vertragsärzte gelte nichts anderes. Stehe somit fest, dass Vertragsärzte sowohl vom Schutzbereich des Art 9 Abs 3 GG als auch des Art 11 Abs 1 EMRK erfasst seien, greife die angefochtene Disziplinarmaßnahme in das daraus resultierende Recht des Vertragsarztes ein, sich mit anderen Vertragsärzten kollektiv zusammenzuschließen. Der Eingriff in die Schutzbereiche sei auch nicht gerechtfertigt. Ein verfassungsrechtlich normiertes absolutes Streikverbot bestehe für Vertragsärzte nicht.
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Auch das vertragsärztliche System schließe ein Recht auf Streik und andere kollektiv abgestimmte Kampfmaßnahmen nicht wirksam aus oder begrenze diese. Zwar könne ein Ärztestreik den Sicherstellungsauftrag der KÄVen gefährden, doch lasse sich hieraus kein generelles bzw absolutes Streikverbot herleiten. So sei der Sicherstellungsauftrag der KÄVen schon durch die hausarztzentrierte oder die besondere Versorgung eingeschränkt. Auch § 95b Abs 1 SGB V schließe einen Ärztestreik, der nicht mit einem kollektiven Verzicht der Zulassungen verbunden sei, nicht aus. Es könne auch nicht allgemein und mit Gewissheit abstrakt behauptet werden, dass jeder Streik zwangsläufig die Finanzierbarkeit oder die Funktionsfähigkeit des Systems gefährde. Schließlich ergebe sich ein konkludentes Streikverbot auch nicht aus dem vertragsärztlichen Pflichtenkatalog. Gegen die Verpflichtung, mindestens 20 Stunden wöchentlich in Form von Sprechstunden zur Verfügung zu stehen, habe er - der Kläger - mit seinen zweimaligen eintägigen Warnstreiks nicht verstoßen. Das SG stelle zu Unrecht auf einen Verstoß gegen § 32 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV ab, weil die Vorschrift allein den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung normiere. Soweit das SG auf eine "Unterbrechung" der Sprechstunde abstelle, sei diese zulässig, soweit eine einzelfallbezogene Güterabwägung den Vorrang anderer Schutzgüter ergebe. Danach sei der Streik vorliegend rechtmäßig, weil eine ausreichende Notfallversorgung bzw eine kollegiale Vertretung sichergestellt gewesen sei und er weder die finanzielle Stabilität oder die Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gefährdet habe. Auch die allgemeine "Treuepflicht" des Vertragsarztes könne nicht weitergehen als zB die Einschränkung des Streikrechts für Beamte.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.7.2015 sowie den Bescheid des Disziplinarausschusses der Beklagten vom 7.5.2013 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Der Kläger sei seiner Präsenzpflicht nicht nachgekommen, indem er an zwei Tagen seine Praxis geschlossen und somit den Versicherten nicht zur Verfügung gestanden habe. Es habe auch kein zulässiger Grund für eine Unterbrechung bzw Nichtableistung der Sprechstundentätigkeit vorgelegen. Der Schutzbereich des Art 9 Abs 3 GG sei nicht eröffnet, weil ein Streikrecht ein klassisches Recht von Arbeitnehmern sei; der Kläger sei jedoch Freiberufler, sodass es an dem einen Arbeitnehmer charakterisierenden Abhängigkeitsverhältnis fehle. Auch ein arbeitnehmerähnliches wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis sei bei Vertragsärzten nicht gegeben. Art 11 Abs 1 EMRK führe zu keiner anderen Beurteilung; hieran ändere auch die jüngere Rechtsprechung des EGMR zum Streikrecht von Beamten nichts. Ausschlaggebend sei dort weder die Arbeitnehmereigenschaft noch die hohe Einbindung von Beamten in die staatliche Sphäre gewesen, sondern das Kriterium der abhängigen Beschäftigung. Selbst wenn Vertragsärzte vom Schutzbereich des Art 9 Abs 3 GG und des Art 11 Abs 1 EMRK erfasst würden, habe der Gesetzgeber diesen jedenfalls das Recht vorenthalten, ihre Leistungsbedingungen durch Streik zu erkämpfen. An die Stelle des Tarifkampfes trete im Vertragsarztrecht das gesetzlich geregelte Schlichtungsverfahren. Ein systemimmanentes Streikverbot lasse sich mit dem Sicherstellungsauftrag gemäß § 75 Abs 1 SGB V begründen. Das gesetzgeberische Ziel, streikähnliche Auseinandersetzungen auszuschließen, habe sich nur durch die Bildung der KÄVen als Körperschaften mit Pflichtmitgliedschaft erreichen lassen. Als politischer Ausgleich für den Verzicht der Vertragsärzte auf die Möglichkeit eines streikähnlichen Honorarkampfes sei den KÄVen der Sicherstellungsauftrag übertragen worden. Der Sicherstellungsauftrag bestehe ungeachtet des selektivvertraglichen Versorgungssystems unverändert fort. Eine Gefährdung des Sicherstellungsauftrags liege bereits dann vor, wenn die Versorgung eines Teils der Patienten nicht entsprechend der gesetzlichen und vertraglichen Erfordernisse vorgenommen werden könne.
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Für die Funktionsfähigkeit des vertragsärztlichen Systems sei es unentbehrlich, dass jeder Vertragsarzt seinen vertragsärztlichen Pflichten - wozu auch die Einhaltung der Präsenzpflicht nach § 24 Abs 2 Ärzte-ZV gehöre - jederzeit nachkomme. Die Sicherung einer angemessenen Versorgung der großen Mehrzahl der Bürger im Krankheitsfall zu bezahlbaren Konditionen sei ein Gemeinwohlbelang von überragender Wichtigkeit, die auch entsprechende Grundrechtseinschränkungen rechtfertige. Im Unterschied zu Arbeitnehmern hätten Vertragsärzte die Möglichkeit, sich für oder gegen eine Eingliederung ins System zu entscheiden. Die Funktionsfähigkeit dieses Systems werde nachhaltig gefährdet, wenn einzelne Vertragsärzte durch Streiks oder streikähnliche Maßnahmen ihre Praxis schlössen und der vertragsärztlichen Versorgung nicht mehr zur Verfügung stünden. Mehrstündige, kollektive Praxisschließungen von Vertragsärzten aufgrund abgesprochener Streikaktionen stellten nicht unerhebliche Verweigerungen der vertragsärztlichen Tätigkeit dar und kämen einem Warnstreik von Beschäftigten öffentlicher Verkehrsbetriebe gleich. Mit der in § 72a Abs 1 SGB V normierten Rechtsfolge habe der Gesetzgeber ein Streikverbot für Vertragsärzte statuiert. Der Sicherstellungsauftrag verpflichte die KÄVen, disziplinarisch gegen Mitglieder vorzugehen, die auch nur zeitweise bzw kurzfristig die erforderliche vertragsärztliche Versorgung verweigerten, wenn sie ihren Sicherstellungsauftrag nicht verlieren wolle. Wenn selbst die äußerst harte Sanktion einer sechsjährigen Wiederzulassungssperre keinen Verstoß gegen Art 9 Abs 3 GG darstelle, müsse dies erst recht für ein sich aus dem Sicherstellungsauftrag ergebendes Streikverbot gelten.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Entscheidung der Beklagten, dem Kläger einen Verweis zu erteilen, als rechtmäßig angesehen. Der Kläger hat dadurch, dass er seine Praxis am 10.10.2012 sowie am 21.11.2012 geschlossen hatte, um mit anderen Ärzten an einem "Warnstreik" teilzunehmen, seine vertragsärztlichen Pflichten schuldhaft verletzt.
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A. 1. Rechtsgrundlage der Disziplinarmaßnahme ist § 81 Abs 5 Satz 1 SGB V in Verbindung mit der Satzung der Beklagten. Nach § 81 Abs 5 Satz 1 SGB V müssen die Satzungen der KÄVen die Voraussetzungen und das Verfahren zur Verhängung von Maßnahmen gegen Mitglieder bestimmen, die ihre vertragsärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen. Als Disziplinarmaßnahme kommen je nach Schwere der Verfehlung eine Verwarnung, ein Verweis, eine Geldbuße oder die Anordnung des Ruhens der Zulassung bis zu zwei Jahren in Betracht (aaO Satz 2). Das Höchstmaß der Geldbußen kann bis zu 10 000 Euro (§ 81 Abs 5 Satz 3 SGB V idF bis 22.7.2015) bzw bis zu 50 000 Euro (§ 81 Abs 5 Satz 3 SGB V idF ab 23.7.2015) betragen.
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Nach § 3 Abs 2 der Satzung der Beklagten(in der ab 1.1.2010 geltenden Fassung) ist diese befugt, gegen Mitglieder, die ihre Pflichten nicht oder in nicht ausreichender Weise erfüllen, nach den Bestimmungen der - als Bestandteil dieser Satzung geregelten - Disziplinarordnung (DO) Maßnahmen zu ergreifen. Nach § 1 Satz 1 DO kann ein Disziplinarverfahren gegen ein Mitglied der KÄV durchgeführt werden, wenn dieses die ihm durch Gesetz, Satzung, Vertrag, Richtlinien und satzungsmäßige Bestimmungen oder Weisungen obliegenden vertragsärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt. Zu den in § 13 Abs 1 DO aufgeführten Disziplinarmaßnahmen gehört der Verweis, der dort als "Tadel eines pflichtwidrigen Verhaltens mit der Aufforderung, die sich aus Gesetz, Satzung oder Vertrag ergebenden Pflichten in gehöriger Weise zu erfüllen", umschrieben ist.
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Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme setzt - neben der Verletzung vertragsärztlicher Pflichten - zudem voraus, dass der Vertragsarzt schuldhaft gehandelt hat (BSG Beschluss vom 8.5.1996 - 6 BKa 67/95 - Juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 9.12.2004 - B 6 KA 70/04 B - Juris RdNr 9; siehe auch BSG SozR 3-2500 § 81 Nr 7 S 37; BSG Beschluss vom 28.8.1996 - 6 BKa 22/96 - Juris RdNr 4).
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2. Das Disziplinarrecht der KÄVen ist verfassungsgemäß und verstößt insbesondere nicht gegen Art 12 Abs 1 GG (BSG SozR 3-2500 § 81 Nr 9 S 49; Steinmann-Munzinger in juris-PK SGB V, 3. Aufl 2016, § 81 RdNr 52 f; siehe hierzu auch BSG Beschluss vom 20.3.1996 - 6 BKa 1/96 - Juris). Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die gesetzlichen Vorgaben für die Festsetzung von Disziplinarmaßnahmen hinreichend bestimmt sind (BSG SozR 3-2500 § 81 Nr 7 S 29; BSG SozR 3-2500 § 81 Nr 9 S 49; siehe auch BSG Urteil vom 14.3.2001 - B 6 KA 67/00 R - Juris RdNr 13 = MedR 2002, 47 = USK 2001-126).
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§ 75 Abs 2 Satz 2 SGB V bestimmt ausdrücklich, dass es zu den Aufgaben der KÄVen gehört, die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen und die Vertragsärzte, soweit notwendig, unter Anwendung der in § 81 Abs 5 SGB V vorgesehenen Maßnahmen zur Erfüllung dieser Pflichten anzuhalten. Im Übrigen bedingt die den KÄVen gemäß § 75 Abs 1 Satz 1 SGB V auferlegte Gewährleistungsverpflichtung deren Disziplinargewalt(Steinmann-Munzinger aaO RdNr 53). Nach § 75 Abs 1 Satz 1 SGB V haben die KÄVen und die KÄBV die vertragsärztliche Versorgung in dem in § 73 Abs 2 SGB V bezeichneten Umfang sicherzustellen und den KKen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Diese Gewährleistungsverpflichtungen können sie nur erfüllen, wenn ihnen Sanktionsmöglichkeiten gegenüber denjenigen Mitgliedern zur Verfügung stehen, die ihre Pflichten als Vertragsarzt nicht ordnungsgemäß erfüllen (BSG Beschluss vom 20.3.1996 - 6 BKa 1/96 - Juris RdNr 5).
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3. Ob ein Vertragsarzt seine vertragsärztlichen Pflichten verletzt hat - dh das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen -, ist gerichtlich voll überprüfbar, ohne dass der KÄV oder ihrem Disziplinarorgan ein Beurteilungsspielraum zusteht (BSGE 62, 127, 128 = SozR 2200 § 368m Nr 3 S 3). Lediglich bei der Auswahl der Disziplinarmaßnahme und bei der Festsetzung ihrer Höhe ist der Disziplinarausschuss grundsätzlich ermächtigt, nach seinem Ermessen zu handeln, sodass die Entscheidung nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist (BSGE 62, 127, 129 = SozR 2200 § 368m Nr 3 S 3; BSG SozR 3-2500 § 81 Nr 9 S 51); insoweit ist der Bescheid daher nur bei Ermessensüberschreitung oder bei Ermessensfehlgebrauch rechtswidrig (BSG SozR 3-2500 § 81 Nr 9 S 51).
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B. Nach diesen Maßstäben ist der Bescheid der Beklagten rechtmäßig.
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Der Bescheid der Beklagten ist formell rechtmäßig; insbesondere bedarf es keines Vorverfahrens (§ 81 Abs 5 Satz 4 SGB V). Der angefochtene Bescheid ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden; die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine disziplinarische Reaktion auf das Verhalten des Klägers als Vertragsarzt liegen vor und rechtfertigen den Ausspruch eines Verweises. Der Kläger hat seine vertragsärztlichen Pflichten dadurch verletzt, dass er seine Praxis während der Sprechstundenzeit geschlossen hat, um an einem "Warnstreik" teilzunehmen (1.); der Kläger handelte auch schuldhaft (2.). Schließlich ist auch die verhängte Disziplinarmaßnahme als solche nicht zu beanstanden (3.).
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1. Der Kläger hat die ihm obliegenden vertragsärztlichen Pflichten dadurch verletzt, dass er entgegen seiner in § 24 Abs 2 Ärzte-ZV normierten Verpflichtung, am Vertragsarztsitz eine Sprechstunde zu halten, seine Praxis an zwei Tagen geschlossen hatte, um an einem "Warnstreik" teilzunehmen(a.), und ihm für die Praxisschließung keine diese rechtfertigenden Gründe zur Seite gestanden haben (b.).
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a. aa. Nach § 24 Abs 2 Ärzte-ZV iVm § 98 Abs 1 Satz 1 SGB V muss der Vertragsarzt am Vertragsarztsitz seine Sprechstunde halten, also persönlich in Form von Sprechstunden zur Verfügung stehen(Schallen, Ärzte-ZV, 7. Aufl 2009, § 24 RdNr 19). Diese - aus dem Gebot der persönlichen Leistungserbringung folgende (BSGE 120, 197 = SozR 4-5520 § 20 Nr 4, RdNr 30)- sogenannte "Präsenzpflicht" steht im Zusammenhang mit der Pflicht zur Behandlungsübernahme nach dem Sachleistungsprinzip und der Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung (Hartmannsgruber in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, 3. Aufl 2015, Abschnitt 7 RdNr 1235): Wer nicht in der Praxis erreichbar ist, kann auch diese Pflichten nicht erfüllen. Durch diese Pflichten soll es den KÄVen ermöglicht werden, ihren Sicherstellungsauftrag nach § 75 Abs 1 SGB V zu erfüllen.
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Konkretisiert wird dies durch § 17 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä): Nach § 17 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 BMV-Ä ist der Vertragsarzt gehalten, an seinem Vertragsarztsitz - sowie ggf weiteren Tätigkeitsorten - Sprechstunden entsprechend dem Bedürfnis nach einer ausreichenden und zweckmäßigen vertragsärztlichen Versorgung mindestens in dem in § 17 Abs 1a BMV-Ä geregelten Umfang festzusetzen und seine Sprechstunden auf einem Praxisschild bekanntzugeben. Die Sprechstunden sind grundsätzlich mit festen Uhrzeiten auf dem Praxisschild anzugeben (Satz 2 aaO). Der sich aus der Zulassung des Vertragsarztes ergebende Versorgungsauftrag ist dadurch zu erfüllen, dass der Vertragsarzt an seinem Vertragsarztsitz persönlich mindestens 20 Stunden wöchentlich in Form von Sprechstunden zur Verfügung steht (§ 17 Abs 1a Satz 1 BMV-Ä in der ab 1.7.2007 geltenden und seither unveränderten Fassung).
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bb. Dieser Verpflichtung ist der Kläger am 10.10.2012 sowie am 21.11.2012 nicht nachgekommen. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob der Kläger ggf ungeachtet der Praxisschließungen die Vorgabe von mindestens 20 Wochenstunden erfüllt hat:
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Darauf kommt es zum einen schon deshalb nicht an, weil er jedenfalls an einem Tag, an dem er üblicherweise (und wie auf dem Praxisschild bekanntzugeben) seiner Praxistätigkeit nachging, seine Praxis geschlossen hatte. Sprechstunden sind nicht nur anzukündigen, sondern auch einzuhalten (Pawlita in juris-PK SGB V, 3. Aufl 2016, § 95 RdNr 445; siehe auch BSG SozR 4-5520 § 24 Nr 1 RdNr 18). Der Vertragsarzt muss in den Sprechstundenzeiten dauernd für die vertragsärztliche Versorgung der Patienten bereit sein, sofern er keinen zulässigen Unterbrechungsgrund vorweisen kann (Bayerisches LSG Urteil vom 15.1.2014 - L 12 KA 91/13 - Juris RdNr 18 = GesR 2014, 362 ff = NZS 2014, 518 ff = MedR 2014, 840 ff). Er vernachlässigt daher seine Versorgungsverpflichtung, die er mit der Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit übernimmt, wenn er regelmäßig angekündigte Sprechstunden nicht einhält, was unzumutbare Wartezeiten für die Patienten zur Folge hätte (BSG SozR 4-5520 § 24 Nr 1 RdNr 18).
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Zum anderen bestimmt § 17 Abs 1a Satz 1 BMV-Ä nur den zeitlichen (Gesamt-)Umfang der Sprechstunden, nicht aber deren Verteilung auf die einzelnen Wochentage. Diese sind grundsätzlich gleichmäßig auf die einzelnen Wochentage zu verteilen und dürfen nicht etwa "geblockt" werden (etwa durch zwei zehnstündige Sprechstunden am Wochenanfang). Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass eine ärztliche Praxis in den Zeiten, in denen kein Notfalldienst eingerichtet ist, grundsätzlich für die Versorgung der Versicherten erreichbar sein muss und nicht nur Sprechstunden an einzelnen Wochentagen anbieten darf (BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 29 RdNr 44). Dies folgt bereits aus § 17 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 BMV-Ä, wonach die Sprechstunden "entsprechend dem Bedürfnis nach einer ausreichenden und zweckmäßigen vertragsärztlichen Versorgung" festzusetzen sind. Im Übrigen bestimmt § 17 Abs 2 BMV-Ä, dass bei der Verteilung der Sprechstunden "auf den einzelnen Tag" - gemeint ist damit nicht allein deren Verteilung innerhalb des Tages, sondern auch ihre Verteilung auf die Wochentage - die "Besonderheiten des Praxisbereiches und die Bedürfnisse der Versicherten (z.B. durch Sprechstunden am Abend oder an Samstagen)" zu berücksichtigen sind. Den Bedürfnissen der Versicherten entspricht es am ehesten, wenn sie den Vertragsarzt an jedem Werktag aufsuchen können.
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cc. Der Pflichtverstoß entfällt auch nicht deswegen, weil eine Notfallversorgung gesichert war und der Kläger seine Patienten darüber informiert hatte, welche Ärzte ihre Praxis geöffnet hatten (siehe hierzu noch
) . Dies stellt kein gesetzeskonformes Surrogat für die Wahrnehmung des vom Kläger übernommenen Versorgungsauftrags dar; maßgeblich ist allein, dass der Kläger seine Praxis geschlossen hatte, ohne hierzu berechtigt zu sein, und deswegen nicht für die Versorgung der Patienten zur Verfügung stand.
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b. Der Kläger war auch nicht aufgrund normativ anerkannter (aa.) bzw sonstiger anerkennenswerte Gründe (bb.) zur Praxisschließung berechtigt.
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aa. In welchen Fällen ein Vertragsarzt berechtigt ist, seine Praxis (vorübergehend) zu schließen, ist zwar nicht explizit geregelt, folgt jedoch grundsätzlich aus § 32 Abs 1 Ärzte-ZV iVm § 98 Abs 1 Satz 1 SGB V. Danach ist der Vertragsarzt verpflichtet, die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich auszuüben (Satz 1 aaO). Inhalt der - persönlich auszuübenden - Tätigkeit ist die Durchführung von Sprechstunden. Er kann sich jedoch in den in § 32 Abs 1 Satz 2, Abs 2 Ärzte-ZV genannten Konstellationen - in begrenztem zeitlichen Umfang - vertreten lassen. Aus dieser Regelung ist nicht allein der Schluss zu ziehen, dass der Vertragsarzt bei Nichtvorliegen der dort genannten Gründe sich nicht vertreten lassen darf, sondern seine Tätigkeit persönlich auszuüben hat. Vielmehr lässt die Regelung darüber hinaus den Erst-recht-Schluss zu, dass einem Vertragsarzt bei Nichtvorliegen der in § 32 Ärzte-ZV genannten Gründe (bzw sonstiger anerkennenswerter Gründe) auch nicht das Recht zusteht, den Praxisbetrieb - und sei es nur vorübergehend - vollständig einzustellen.
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Gründe für eine Vertretung sind Krankheit, Urlaub oder Teilnahme an ärztlicher Fortbildung oder an einer Wehrübung (§ 32 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV); bei Ärztinnen tritt eine Vertretung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer Entbindung hinzu (aaO Satz 3). Als (weitere) Gründe für eine - längerfristige - Vertretung (bzw die Beschäftigung von Assistenten) nennt § 32 Abs 2 Satz 2 Ärzte-ZV Kindererziehungszeiten(Nr 2 aaO), die Pflege eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen (Nr 3 aaO) sowie eine Vertretung im Rahmen der Aus- und Weiterbildung oder aus Gründen der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung (Nr 1 aaO). Derartige Gründe werden jedoch vom Kläger weder geltend gemacht noch liegen solche vor. Unterbrechungen aus anderen Gründen sind - grundsätzlich (siehe noch bb.) - unzulässig (Hartmannsgruber in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, 3. Aufl 2015, Abschnitt 7 RdNr 1237).
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bb. Der Kläger war vorliegend auch nicht aus anderen - nicht von § 32 Ärzte-ZV erfassten - Gründen berechtigt, seine Praxis zu schließen. In welchen Fällen Vertragsärzte - über die in § 32 Ärzte-ZV geregelten Konstellationen hinaus - ihre Praxis während der regulären Sprechstundenzeiten schließen dürfen, ohne gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten zu verstoßen, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Außerhalb von § 32 Ärzte-ZV kommen als rechtfertigende Gründe etwa gerichtliche Zeugenvorladungen und Hausbesuche in Betracht (siehe hierzu Hesral in Ehlers, Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, 2. Aufl 2013, RdNr 87; ebenso Bäune in Bäune/Meschke/Rothfuß, Ärzte-ZV, § 24 RdNr 3). Die Teilnahme an einem vertragsärztlichen "Warnstreik" ist jedenfalls kein Anlass, der eine Praxisschließung rechtfertigen könnte, da derartige ärztliche "Kampfmaßnahmen" durch die Bestimmungen des Vertragsarztrechts ausgeschlossen sind (siehe B.1.c.).
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c. Die Durchsetzung ärztlicher Forderungen durch "Kampfmaßnahmen" - hierzu gehören neben "(Warn-)Streiks" etwa Boykottaufrufe gegen bestimmte KKen, aber auch andere Maßnahmen, wie zB die ohne sachlichen Grund erfolgende Verweigerung der Annahme neuer Patienten bzw die Nichtvergabe von Terminen bei planbaren Eingriffen - steht nicht mit den Bestimmungen des Vertragsarztrechts im Einklang (ein "Streikrecht" der Vertragsärzte verneinend: Burkardt, Ärztliche Standespflichten und Streikrecht der Kassenärzte und der in Krankenhäusern privatrechtlich angestellten Ärzte, Dissertation 1971, S 21 f mwN; Hencke in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand Januar 2016, § 72 SGB V RdNr 14; Thiele, DVBl 1977, 556 ff; Wenner, GesR 2009, 505, 516; Zacher, ZfS 1966, 129, 161; ders, Abhandlungen zum Sozialrecht, 1993, 582, 615; differenzierend und ein "Streikrecht" für den Fall einer gravierenden Systemstörung bejahend: Kern in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl 2010, § 16 RdNr 4; Uhlenbruck, RdA 1972, 327, 334; ein Streikrecht auf der Grundlage von Art 12 Abs 1 GG bejahend: Sodan/Schaks, VSSR 2014, 89, 112 ff).
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Der Senat hat vorliegend allein darüber zu befinden, ob Praxisschließungen zum Zweck der Durchführung streikähnlicher ärztlicher "Kampfmaßnahmen" eine Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten darstellen. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten ausdrücklich erklärt, ein "Streikrecht" ausüben zu wollen. Damit hat er sein Handeln in dem Sinne verstanden, an einer planmäßigen und gemeinschaftlich durchgeführten "Arbeitsniederlegung" - dh der Einstellung einer an sich zu erbringenden Arbeitsleistung - teilzunehmen (zum Streikbegriff siehe Treber in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 16. Aufl 2015, § 191 RdNr 8; Linsenmaier in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Aufl 2016, Art 9 GG RdNr 161).
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Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob einmalige Praxisschließungen innerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten, die allein zu dem Zweck einer Teilnahme des Vertragsarztes an einer Protestversammlung oder -kundgebung erfolgen, generell oder unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind.
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Die durch Art 5 Abs 1 GG und Art 8 GG geschützten Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit stehen auch Vertragsärzten zu und können - unter der Voraussetzung, dass zumindest ein Notdienst sichergestellt ist - im Grundsatz auch eine vorübergehende Praxisschließung rechtfertigen. Zu welchem Zweck diese Versammlung abgehalten wird und gegen wen sie sich richtet, ist dabei unerheblich. Ungeachtet des Gebots des Zusammenwirkens (§ 72 Abs 1 Satz 1 SGB V)kann sich die Versammlung auch auf eine Beeinflussung der KKen, der eigenen KÄV der Vertragsärzte oder aber des Gesetzgebers richten. Die KÄVen werden jedoch zur Vermeidung einer Umgehung des "Streikverbots" durch vorgebliche "Demonstrationen" in jedem Einzelfall - insbesondere bei wiederkehrenden Aktionen - sorgfältig zu prüfen haben, ob es sich (noch) um eine durch Art 8 GG geschützte Versammlung oder vielmehr um einen - vertragsärztliche Pflichten verletzenden - "Streik" handelt.
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Eine - auch eine vorübergehende Praxisschließung rechtfertigende - Teilnahme an einer Versammlung könnte dann anzunehmen sein, wenn dabei das auf eine größere Öffentlichkeit zielende demonstrative Element - im Sinne einer "machtvollen Kundgebung" - im Mittelpunkt steht und die Schließung der Praxis gleichsam nur unvermeidliche Folge der Demonstrationsabsicht ist. Steht hingegen das Bestreben im Vordergrund, durch eine Beeinträchtigung der Versorgung der Versicherten Druck auf die KKen auszuüben und wird diese Maßnahme lediglich medial unterstützt, liegt hingegen ein - unzulässiger - "Streik" vor.
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aa. Ein ausdrückliches Verbot von kollektiven "Kampfmaßnahmen" der Ärzteschaft bzw eine dem gleichkommende Sanktionierung entsprechenden Verhaltens enthalten allerdings weder das SGB V noch das auf dessen Grundlage ergangene Recht.
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Zwar bestimmt § 95b Abs 1 SGB V, dass es mit den Pflichten eines Vertragsarztes nicht vereinbar ist, in einem mit anderen Ärzten aufeinander abgestimmten Verhalten auf die Zulassung als Vertragsarzt zu verzichten (sogenannter "Kollektivverzicht"); entsprechende Pflichtverstöße haben (ua) gemäß § 95b Abs 2 SGB V eine sechsjährige Wiederzulassungssperre zur Folge(zur Rechtmäßigkeit dieser Regelung siehe die Urteile des BSG vom 27.6.2007 - B 6 KA 37/06 R - BSGE 98, 294 = SozR 4-2500 § 95b Nr 1, - B 6 KA 38/06 R - USK 2007-68 und - B 6 KA 39/06 R - nicht veröffentlicht, sowie die Urteile vom 17.6.2009 - B 6 KA 16/08 R - BSGE 103, 243 = SozR 4-2500 § 95b Nr 2, - B 6 KA 18/08 R - SozR 4-1500 § 54 Nr 15 und - B 6 KA 14/08 R - nicht veröffentlicht). § 95b SGB V gilt jedoch sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach seinem Sinn und Zweck nur für den Fall eines kollektiven Verzichts auf die Zulassung und kann nicht auf andere "Kampfmaßnahmen" - wie vorübergehende Praxisschließungen - analog angewandt werden.
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Allerdings lässt der Umstand, dass der Gesetzgeber allein den Fall eines kollektiven Zulassungsverzichts explizit sanktioniert hat, auch nicht den Umkehrschluss zu, dass er alle übrigen "Kampfmaßnahmen" der Vertragsärzte als zulässig erachtet. Dass sich der Gesetzgeber in Bezug auf den "Kollektivverzicht" zu einer expliziten gesetzlichen Reaktion veranlasst sah, beruht gerade darauf, dass das Mittel des "Kollektivverzichts" aus dem Bewusstsein heraus entwickelt wurde, dass andere "Kampfmaßnahmen" - insbesondere ein "Ärztestreik" - rechtlich ausgeschlossen sind (siehe hierzu Ludes, Die Honorierung kassenärztlicher Leistungen als Instrument zur Angebotssteuerung im ambulanten Sektor, 1986, S 57 ff: Rückgabe der Zulassung als "Quasi-Streik"). Mit Aktionen in Form eines "Kollektivverzichts" sollte der Umstand genutzt werden, dass Vertragsärzte rechtlich nicht gehindert sind, ihre Zulassungen zurückzugeben bzw auf diese zu verzichten. Die gesetzliche Regelung soll einen derartigen Missbrauch dieses Rechts verhindern; sanktioniert wird der rechtsmissbräuchliche, von den Vertragsärzten lediglich als Druckmittel in der Erwartung eingesetzte Verzicht, die vertragsärztliche Versorgung könne auf Dauer nicht ohne sie auskommen (siehe Gesetzesbegründung zum Gesundheitsstrukturgesetz
, BT-Drucks 12/3608 S 95 zu § 95b Abs 1 SGB V) .
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Auch § 72a Abs 1 SGB V, der den Übergang des Sicherstellungsauftrags auf die KKen vorsieht, wenn mehr als 50 vH aller in einem Zulassungsbezirk oder regionalen Planungsbereich niedergelassenen Vertragsärzte auf ihre Zulassung nach § 95b Abs 1 SGB V verzichten oder die vertragsärztliche Versorgung verweigern und die Aufsichtsbehörde festgestellt hat, dass dadurch die vertragsärztliche Versorgung nicht mehr sichergestellt ist, kann weder im Sinne eines "Streikverbots" noch im (umgekehrten) Sinne einer gesetzlichen Tolerierung aller übrigen "Kampfmaßnahmen" verstanden werden. Zwar käme der Fall einer "Verweigerung" vertragsärztlicher Leistungen im Ergebnis einem "Streik" gleich. Der Annahme, dass der Gesetzgeber damit allein den Fall eines "flächendeckenden" Streiks sanktionieren wollte, steht jedoch die Wertung entgegen, dass der Gesetzgeber eine Sanktionierung etwaiger Streikmaßnahmen von Vertragsärzten durch Disziplinarmaßnahmen der KÄVen als grundsätzlich ausreichend erachten durfte und nur im Falle einer "flächendeckenden" Verweigerung der vertragsärztlichen Tätigkeit zusätzlich das schärfere Schwert eines Entzugs des Sicherstellungsauftrags für erforderlich erachtet.
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bb. Die Unzulässigkeit von gegen die KKen (und ggf auch gegen die KÄVen) gerichteten "Kampfmaßnahmen" der Vertragsärzte ergibt sich jedoch aus der gesetzlichen Konzeption des Vertragsarztrechts. Dieses stellt ein in sich geschlossenes System dar, durch dessen Ausgestaltung der Gesetzgeber die partiell gegenläufigen Interessen der KKen auf der einen und der Leistungserbringer auf der anderen Seite zum Ausgleich gebracht hat, um auf diese Weise eine verlässliche Versorgung der Versicherten zu angemessenen Bedingungen sicherzustellen.
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Der Gesetzgeber hat das Vertragsarztrecht bewusst so konzipiert, dass die Versorgung der Versicherten mit vertragsärztlichen Leistungen ungeachtet der Interessengegensätze zwischen den Leistungserbringern und den Kostenträgern unter allen Umständen gewährleistet bleibt. Dies wird durch bestimmte, das Vertragsarztrecht prägende Strukturelemente erreicht, deren wesentlicher Zweck darin besteht, Störungen der Patientenversorgung zu verhindern. Das vom Gesetzgeber geschaffene System ist dabei vorrangig auf einen Interessenausgleich ausgerichtet, stellt jedoch zugleich sicher, dass auch im Falle unüberbrückbarer Gegensätze zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern die Versorgung der Versicherten gewährleistet bleibt. Wesentliche Strukturelemente des Vertragsarztrechts sind die Trennung der Rechtskreise (siehe dazu <(1)>), die Übertragung des Sicherstellungsauftrags auf die KÄVen (siehe dazu <(2)>) sowie ein "Kollektivvertragssystem" (siehe dazu <(3)>). Dieses System ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen, durch wiederkehrende Auseinandersetzungen und Interessengegensätze geprägten Entwicklung und daher auf den Ausgleich dieser Gegensätze angelegt (siehe dazu <(4)>).
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(1) Das Vertragsarztrecht ist zunächst so ausgestaltet, dass grundsätzlich (zu Ausnahmen durch Selektivverträge siehe §§ 73b, 140a SGB V)unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen den KKen als Kostenträgern und den Ärzten als Leistungserbringern vermieden werden (vgl BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 130): Rechtliche Beziehungen bestehen allein zwischen den KKen bzw deren Verbänden und den - als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten (§ 77 Abs 5 SGB V)- KÄVen, welche in einer Doppelfunktion zugleich die Rechte der Vertragsärzte wahrzunehmen haben (§ 75 Abs 2 Satz 1 SGB V). Auf Bundesebene gilt Entsprechendes für deren Spitzenorganisationen, die KÄBV und den Spitzenverband Bund der KKen. Allein zwischen diesen Vertragsparteien werden die maßgeblichen Leistungsbedingungen ausgehandelt und in Form von Bundesmantelverträgen (§ 82 Abs 1 Satz 1 SGB V)bzw auf regionaler Ebene in Form von Gesamtverträgen (§ 83 Satz 1 SGB V) vereinbart. Dies gilt insbesondere für die Höhe der Vergütungen, die von den Landesverbänden der KKen und den Ersatzkassen mit der jeweiligen KÄV vereinbart und von der jeweiligen KK als "Gesamtvergütung" für alle in einem bestimmten Zeitraum erbrachten vertragsärztlichen Leistungen insgesamt gezahlt werden(§ 85 Abs 1, § 87a Abs 3 Satz 1 SGB V). Die Verteilung der Gesamtvergütungen auf die einzelnen Vertragsärzte wiederum ist alleinige Aufgabe der jeweiligen KÄV. Bei der Berechnung und Zahlung der Gesamtvergütungen und deren Verteilung handelt es sich um zwei eigenständige, formal getrennte Rechtskreise (stRspr des BSG, zB BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 9 RdNr 32; BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 33).
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Die Trennung der Rechtskreise sowie der Umstand, dass sich bei den Vertragsverhandlungen Körperschaften des öffentlichen Rechts gegenüberstehen, die an Recht und Gesetz gebunden sind, bewirkt schon für sich genommen eine gewisse "Verrechtlichung" und damit Versachlichung der Auseinandersetzungen.
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(2) Ein zentrales Element des Vertragsarztrechts und damit des Systems der GKV stellt der den KÄVen übertragene "Sicherstellungsauftrag" dar.
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§ 72 Abs 1 Satz 1 SGB V bestimmt grundlegend(in der Art einer "Generalklausel", so Klückmann in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2016, § 72 RdNr 6), dass Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, medizinische Versorgungszentren (MVZ) und KKen zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten zusammenwirken. Ungeachtet dieser alle Beteiligten treffenden Verpflichtung zur Zusammenarbeit überträgt das Gesetz durch § 75 Abs 1 Satz 1 SGB V die konkrete Aufgabe der Sicherstellung der (Regel-)Versorgung den vertragsärztlichen Körperschaften. Danach haben die KÄVen und die KÄBV die vertragsärztliche Versorgung in dem in § 73 Abs 2 SGB V bezeichneten Umfang sicherzustellen und den KKen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht (sogenannter "Sicherstellungsauftrag"). Aus dieser Aufgabenübertragung resultiert die Gesamtverantwortung der vertragsärztlichen Körperschaften für die ordnungsgemäße Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung (stRspr des BSG, zB BSGE 79, 97, 99 f = SozR 3-5545 § 23 Nr 1 S 4; BSGE 109, 182 = SozR 4-2500 § 103 Nr 8, RdNr 13). Ob den KÄVen der Sicherstellungsauftrag für die vertragsärztliche Versorgung als politischer Ausgleich für den Verzicht der Kassenärzte auf die Möglichkeit des streikähnlichen Honorarkampfes übertragen wurde (so Hess in Kasseler Komm, SGB V, Stand Juni 2016, § 75 RdNr 3) oder ob die Übertragung auf die KÄVen nicht primär deswegen erfolgte, weil sie die Sicherstellung der Versorgung (über ihre Mitglieder) am besten gewährleisten können, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
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Entgegen der Auffassung des Klägers ist dieser Sicherstellungsauftrag auch nicht dadurch obsolet geworden, dass § 73b SGB V ("Hausarztzentrierte Versorgung") und § 140a SGB V ("Besondere Versorgung") den Abschluss von Selektivverträgen zwischen KKen und Leistungserbringern ermöglichen, bei deren Durchführung der Sicherstellungsauftrag der KÄV eingeschränkt ist(siehe hierzu § 73b Abs 4 Satz 6 und § 140a Abs 1 Satz 4 SGB V; BSGE 100, 52 = SozR 4-2500 § 140d Nr 1, RdNr 21). Dass nunmehr ein Teil der vertragsärztlichen Versorgung über Selektivverträge organisiert wird, ändert im Grundsatz nichts daran, dass die KÄVen weiterhin die vertragsärztliche Versorgung sicherzustellen haben. Das Gesetz spricht allein von einer "Einschränkung", nicht hingegen von einer "Aufhebung" des Sicherstellungsauftrags; zudem gilt die gesetzliche Einschränkung nur, "soweit" die Versorgung durch Selektivverträge durchgeführt wird. Ob bzw unter welchen Voraussetzungen der den KÄVen verbliebene Sicherstellungsauftrag etwa für die hausärztliche Versorgung obsolet werden kann, wenn die überwiegende Zahl der Vertragsärzte an Selektivverträgen beteiligt ist, bedarf gegenwärtig keiner Entscheidung.
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Die sich aus § 75 Abs 1 Satz 1 SGB V ergebende Verpflichtung trifft zwar unmittelbar allein die KÄV als Körperschaft. Umgesetzt wird die Sicherstellung aber von den gemäß § 72 Abs 1 Satz 1 SGB V an der vertragsärztlichen Versorgung mitwirkenden Vertragsärzten (und Psychotherapeuten) als Mitglieder der KÄV(BSGE 88, 20, 27 = SozR 3-2500 § 75 Nr 12 S 73). Die KÄV kann ihre Sicherstellungsverpflichtung nur erfüllen, wenn ihre Mitglieder wiederum ihrer Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nachkommen, dh die zur vertragsärztlichen Versorgung ihres jeweiligen Fachgebiets gehörenden Leistungen auch anbieten und erbringen (BSGE 88, 20, 27 = SozR 3-2500 § 75 Nr 12 S 73). Daher ist der einzelne Vertragsarzt gemäß §§ 70 Abs 1, 72 Abs 1 Satz 1, 75 Abs 1 SGB V in diesen Sicherstellungsauftrag eingebunden(BSG Urteil vom 14.3.2001 - B 6 KA 67/00 R - Juris RdNr 26 = MedR 2002, 47 = USK 2001-126).
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Gewährleistet wird die Umsetzung des Sicherstellungsauftrags der KÄV dadurch, dass die zugelassenen Vertragsärzte - sowie die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden angestellten Ärzte nach Maßgabe dieser Vorschrift - (Zwangs-)Mitglieder der für sie zuständigen Körperschaft KÄV werden (§ 77 Abs 3 SGB V). Der einzelne Vertragsarzt wird gemäß § 95 Abs 3 Satz 1 SGB V aufgrund seiner Zulassung kraft Gesetzes zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung in dem durch den Sicherstellungsauftrag festgelegten Umfang verpflichtet(BSG Urteil vom 12.10.1994 - 6 RKa 29/93 - Juris RdNr 10 = USK 94139; BSGE 88, 193, 197 f = SozR 3-2500 § 79a Nr 1 S 6); Entsprechendes gilt für MVZ (§ 95 Abs 3 Satz 2 SGB V)und ermächtigte Ärzte (§ 95 Abs 4 Satz 1 SGB V). Dementsprechend haben (ua) die Vertragsärzte an der Erfüllung des den Versicherten zustehenden Anspruchs auf ärztliche Behandlung mitzuwirken (BSGE 88, 20, 26 = SozR 3-2500 § 75 Nr 12 S 73; BSG Urteil vom 14.3.2001 - B 6 KA 67/00 R - Juris RdNr 26 = MedR 2002, 47 = USK 2001-126). Die KÄVen haben die Vertragsärzte ggf mit den Mitteln des Disziplinarrechts dazu anzuhalten, sich der Mitwirkung an der vertragsärztlichen Versorgung nicht ohne sachlichen Grund - auch nicht in Teilbereichen - zu entziehen (BSG aaO), und sie haben durch die Zwangsmitgliedschaft der an der Versorgung teilnehmenden Vertragsärzte und die hiermit verbundene Disziplinargewalt über diese auch die Möglichkeit hierzu.
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Durch die Übertragung des Sicherstellungsauftrags erfolgt eine Inpflichtnahme der KÄV und - hiervon abgeleitet - der dieser angehörenden Vertragsärzte der Art, dass sie für den Gemeinwohlbelang der Funktionsfähigkeit der GKV Verantwortung zu tragen haben. Die Vertragsärzte sind aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der KÄV nicht allein als deren Erfüllungsgehilfen zu betrachten; vielmehr übernimmt (auch) der einzelne Vertragsarzt mit seinem Beitritt zum vertragsärztlichen System die Verantwortung für den Erhalt dieses Systems (so ausdrücklich die Gesetzesbegründung zum GSG, BT-Drucks 12/3608 S 95 zu § 95b Abs 3 SGB V). Damit ist die Bereitschaft der Vertragsärzte zur Einhaltung der vertragsärztlichen Vorschriften und zur Kooperation mit den vertragsärztlichen Institutionen wesentlich für die Sicherung des Systems der vertragsärztlichen Versorgung und der Funktionsfähigkeit der GKV (vgl BVerfG
Beschluss vom 26.9.2016 - 1 BvR 1326/15 - RdNr 43 - Juris) . Ohne diese auch tatsächliche Gewährleistung einer störungsfreien Versorgung der Versicherten durch die KÄVen und ihre Mitglieder wäre es nicht zu rechtfertigen, dass die Sicherstellungsaufgaben nicht denjenigen Körperschaften übertragen worden sind, die - über die Beiträge ihrer Mitglieder - die Versorgung finanzieren.
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Der den KÄVen übertragene Auftrag zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung ist von zentraler Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Systems der GKV. Das kommt bereits dadurch zum Ausdruck, dass die "Sicherstellung der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung" ausweislich der Überschrift Gegenstand des gesamten Ersten Titels des Kapitels 4 Abschnitt 2 des SGB V ist. Die Bedeutung des Sicherstellungsauftrags für den Systemerhalt bestätigen zudem zahlreiche gesetzliche Vorschriften, die dessen Erfüllung gewährleisten bzw Systemstörungen verhindern sollen: So sieht § 72a Abs 1 SGB V den Übergang des Sicherstellungsauftrags auf die KKen vor, wenn mehr als 50 vH aller in einem Zulassungsbezirk oder regionalen Planungsbereich niedergelassenen Vertragsärzte auf ihre Zulassung nach § 95b Abs 1 SGB V verzichten oder die vertragsärztliche Versorgung verweigern und die Aufsichtsbehörde festgestellt hat, dass dadurch die vertragsärztliche Versorgung nicht mehr sichergestellt ist. Die Regelung bezweckt, abgestimmte Boykottaktionen zur Herbeiführung erheblicher Versorgungsengpässe und Erlangung einer nötigungsgleichen Verhandlungsposition zu unterbinden (Hesral in juris-PK SGB V, 3. Aufl 2016 § 72a RdNr 19). Mit dem Übergang des Sicherstellungsauftrags sind die KKen insbesondere berechtigt, mit Ärzten - aber auch mit Krankenhäusern - Einzel- und Gruppenverträge zu schließen (§ 72a Abs 3 Satz 1 SGB V)und Eigeneinrichtungen nach § 140 Abs 2 SGB V zu errichten(§ 72a Abs 3 Satz 2 SGB V).
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Zudem steht den KKen dann, wenn die KÄV ihrem Sicherstellungsauftrag aus Gründen, die sie zu vertreten hat, nicht nachkommt, das Recht zu, die in den Gesamtverträgen nach § 85 oder § 87a SGB V vereinbarten Vergütungen teilweise zurückzubehalten(§ 75 Abs 1 Satz 2 SGB V
) . Die Einzelheiten haben die Partner des BMV-Ä gemäß § 75 Abs 1 Satz 3 SGB V vertraglich zu regeln; entsprechende Regelungen enthält § 54 Abs 3 BMV-Ä idF ab 1.10.2013 - einschließlich eines Schadensersatzanspruchs der KK (siehe § 54 Abs 3 Satz 12 BMV-Ä). Zweck der Regelung ist es, den KKen "die Möglichkeit" - letztlich ein Druckmittel (so auch Klückmann in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2016, § 75 RdNr 4e) - in die Hand zu geben, um die KÄVen zur Einhaltung ihrer Gewährleistungsverpflichtung anzuhalten (Gesetzesbegründung zum GKV-Modernisierungsgesetz, BT-Drucks 15/1525 S 98) . Von der KÄV zu vertretende Gründe für ein Versagen des Sicherstellungsauftrags können in einem gesetzwidrigen Verhalten (Boykottaufrufe etc) oder in einem systematischen Unterlassen gesetzlich gebotener oder vertraglich vereinbarter Maßnahmen bestehen, wenn kausal damit Sicherstellungsdefizite verbunden sind (Hess in Kasseler Komm, SGB V, Stand Juni 2016, § 75 RdNr 36a). Nach Sinn und Zweck der Regelung dürften die Voraussetzungen für einen Einbehalt schon dann erfüllt sein, wenn die KÄV nicht in der gebotenen Weise (etwa durch Einleitung von Disziplinarverfahren und/oder durch Verlautbarungen, die auf die Pflichtwidrigkeit der geplanten Maßnahmen hinweisen) ärztlichen "Kampfmaßnahmen" entgegentritt oder diese sogar befürwortet.
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(3) Das System der vertragsärztlichen Versorgung ist als sogenanntes "Kollektivvertragssystem" konzipiert. Dies bedeutet zum einen, dass die für die Tätigkeit der Vertragsärzte maßgeblichen Bedingungen nicht durch zwischen dem einzelnen Arzt und der einzelnen KK geschlossene Einzelverträge, sondern durch Kollektivverträge der KKen(-Verbände) auf der einen und den vertragsärztlichen Körperschaften (K
ÄVen, KÄBV bzw KZÄBV) auf der anderen Seite bestimmt werden. Das gesetzlich vorgegebene System verzichtet damit zwar nicht darauf, dass die maßgeblichen Leistungsbedingungen, insbesondere die Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen, ausgehandelt werden; dies wird aber nicht durch "Marktkräfte", sondern durch Verbände gesteuert (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 130).
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Zum anderen ist Wesensmerkmal des vertragsärztlichen Kollektivvertragssystems, dass die beteiligten Körperschaften der KKen und der Ärzte als "gemeinsame Selbstverwaltung" die Einzelheiten der vertragsärztlichen Versorgung auf der Grundlage gesetzlicher Vorgaben weitgehend selbst regeln. Die Selbstverwaltung und das Zusammenwirken der Beteiligten zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Versicherten stellt einen "Grundzug" des Vertragsarztrechts dar (Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik zum Gesetz über die Regelung der Beziehungen zwischen Ärzten, Zahnärzten und KKen
- GKAR, BT-Drucks <2. Wahlperiode> 1313 S 3) . Auch der erkennende Senat hat es als "Leitgedanken" des Vertragsarztrechts bezeichnet, dass die vertragsärztliche Versorgung "in allen ihrer Verästelungen wesentlich vom eigenverantwortlichen Zusammenwirken der KKen und der Kassenärzte sowie ihrer Verbände in gemeinsamer Selbstverwaltung getragen wird" (BSGE 36, 151, 154 = SozR Nr 7 zu § 368g RVO unter Bezugnahme auf BSGE 20, 73, 84 = SozR Nr 1 zu § 368h RVO). Dieses System kollektivvertraglicher Normsetzung bildet ein Regelungsinstrumentarium eigener Art (BSGE 81, 73, 82 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7 S 57).
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Rechtliche Grundlage des Kollektivvertragssystems ist § 72 Abs 2 SGB V. Danach ist die vertragsärztliche Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien des GBA durch schriftliche Verträge der KÄVen mit den Verbänden der KKen zu regeln. Ausgehend hiervon bestimmt etwa § 83 Satz 1 SGB V, dass die KÄVen mit den für ihren Bezirk zuständigen Landesverbänden der KKen und den Ersatzkassen Gesamtverträge über die vertragsärztliche Versorgung der Mitglieder zu schließen haben. Den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge wiederum haben deren Spitzenorganisationen auf Bundesebene - die KÄBV (§ 77 Abs 4 SGB V) sowie der Spitzenverband Bund der KKen (§ 217a SGB V) - in Bundesmantelverträgen zu vereinbaren (§ 82 Abs 1 Satz 1 SGB V). Zu den gesetzlich vorgeschriebenen Vereinbarungen gehören darüber hinaus - auf der Ebene der KÄVen - etwa Punktwertvereinbarungen nach § 87a Abs 2 Satz 1 SGB V und Arzneimittelvereinbarungen nach § 84 Abs 1 SGB V. Auf Bundesebene haben die dortigen Vertragspartner durch einen von ihnen gebildeten Bewertungsausschuss (§ 87 Abs 1 Satz 1 SGB V)insbesondere einen einheitlichen Bewertungsmaßstab (als Bestandteil der Bundesmantelverträge) zu vereinbaren, welcher den Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen und ihr wertmäßiges, (grundsätzlich) in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander bestimmt (§ 87 Abs 2 Satz 1 SGB V).
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Den hierzu zwischen den Vertragspartnern der gemeinsamen Selbstverwaltung geschlossenen Vereinbarungen kommt zudem Rechtsnormqualität zu (sogenannte "Normsetzungsverträge", vgl BSGE 81, 86, 89 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 84; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 64 ff; BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 13 RdNr 26; BSG Urteil vom 17.2.2016 - B 6 KA 47/14 R - SozR 4-2500 § 87 Nr 32 RdNr 22 - zu Regelungen des einheitlichen Bewertungsmaßstabs; BSGE 76, 48, 51 = SozR 3-2500 § 120 Nr 5 S 29 - zu Gesamtverträgen; BSG Beschluss vom 28.9.2016 - B 6 KA 11/16 B - nicht veröffentlicht, RdNr 10 - zu Richtgrößenvereinbarungen nach § 84 Abs 6 SGB V aF), mit der Folge, dass sie nicht allein für die Vertragsparteien, sondern auch für die Vertragsärzte und die gesetzlich krankenversicherten Patienten verbindlich sind.
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Über die gemeinsame Vertragsgestaltung hinaus sind die vertragsärztlichen Körperschaften und die KKen(-Verbände) als "gemeinsame Selbstverwaltung" in vielfältiger Weise miteinander verbunden: So wirken sie im GBA nach § 91 SGB V zusammen, welcher die zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten beschließt(§ 92 Abs 1 Satz 1 SGB V); in dessen Beschlussgremium entsenden die Spitzenorganisationen der Ärzte wie auch der KKen Mitglieder (§ 91 Abs 2 Satz 1 SGB V). Weitere Entscheidungsgremien, in denen KKen und KÄVen zusammenarbeiten, sind zB Landesausschüsse nach § 90 SGB V, Zulassungs- und Berufungsausschüsse nach §§ 96, 97 SGB V sowie Beschwerdeausschüsse nach § 106 Abs 4 SGB V.
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Die Übertragung des Rechts, die eigenen Angelegenheiten im Wesentlichen selbst durch entsprechende Verträge zu gestalten, und das den Kollektivvertragspartnern damit gewährte hohe Maß an Autonomie macht es zugleich erforderlich, durch entsprechende Rahmenbedingungen sicherzustellen, dass die Beteiligten ihren Verpflichtungen auch nachkommen. Die KÄVen und die KKen-Verbände sind zugleich gezwungen, beim Abschluss der Vereinbarungen über die vertragsärztliche Versorgung einen Interessenausgleich mit der jeweils anderen Seite zu finden (BSGE 81, 73, 82 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7 S 57). Diese Verpflichtung zum Interessenausgleich wird bereits durch das in § 72 Abs 1 Satz 1 SGB V normierte "Zusammenwirkungsgebot"(Hesral in juris-PK SGB V, 3. Aufl 2016, § 72 RdNr 7)verdeutlicht.
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Um zu verhindern, dass ein vertragsloser und damit "regelungsloser" Zustand eintritt, verlässt sich der Gesetzgeber allerdings weder allein auf das vorerwähnte Gebot einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der Vertragspartner noch auf die Möglichkeit, mit Aufsichtsmitteln nach § 89 SGB IV auf die als Körperschaften des öffentlichen Rechts unter staatlicher Aufsicht stehenden Vertragspartner einzuwirken(siehe hierzu § 78 Abs 1 für die KÄBV und die KÄVen, § 208 Abs 1 Satz 1 SGB V für die Landesverbände der KKen, § 217d Satz 3 iVm § 208 Abs 2 Satz 1 SGB V für den Spitzenverband Bund der KKen), auch wenn diese Maßnahmen bis zur Einsetzung eines "Staatskommissars" reichen können (siehe hierzu § 79a Abs 1 SGB V; BSGE 88, 193 = SozR 3-2500 § 79a Nr 1). Vielmehr wird das reibungslose Funktionieren der vertragsärztlichen Versorgung durch zwei weitere für das vertragsärztliche Kollektivvertragssystem typische Gestaltungselemente abgesichert, nämlich durch gesetzlich vorgeschriebene Schlichtungsverfahren sowie die gesetzlich angeordnete Fortgeltung ausgelaufener Verträge bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung.
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Diese Regelungen gewährleisten, dass ein vertragsloser Zustand vermieden wird (vgl BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 30); gleichzeitig verhindern sie, dass einer der Beteiligten durch die Blockade der Vertragsverhandlungen und den sich aus einem vertragslosen Zustand ergebenden Auswirkungen auf die vertragsärztliche Versorgung ein ihm genehmes Verhandlungsergebnis erzwingen kann. Im Streitfall soll das erforderliche Ergebnis - der Abschluss eines Vertrages über die vertragsärztliche Versorgung - nicht durch Mittel des "Arbeitskampfes" (im Sinne von "Streik" und "Aussperrung") erzwungen werden. Vielmehr wird den Vertragspartnern im Falle der Nichteinigung der Streitgegenstand entzogen und die Entscheidungshoheit auf das neutrale Schiedsamt übertragen, dessen Entscheidung wiederum zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden kann.
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So bestimmt § 89 Abs 1 SGB V, dass dann, wenn ein Vertrag über die vertragsärztliche Versorgung ganz oder teilweise nicht zustande kommt(Satz 1 aaO) oder wenn ein neuer Vertrag nach Kündigung des alten nicht bis zu dessen Ablauf zustande kommt (Satz 3 aaO), das - neben Vertretern der Vertragsparteien mit drei unparteiischen Mitgliedern besetzte - (Landes-)Schiedsamt den Vertragsinhalt innerhalb von drei Monaten festsetzt (siehe hierzu Düring/Schnapp in Schnapp/Düring, Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, 2. Aufl 2016, S 57 ff). Für den Fall, dass der für eine Entscheidung des Schiedsamts erforderliche Antrag nicht gestellt wird, sieht § 89 Abs 1a Satz 1 SGB V für gesetzlich vorgeschriebene Verträge - wie etwa Gesamtverträge nach § 83 SGB V, deren Inhalt insbesondere die Vereinbarung der Gesamtvergütungen ist(vgl § 85 Abs 2 Satz 1 SGB V) - eine Antragstellung durch die Aufsichtsbehörden vor. Schließlich hat der Gesetzgeber auch für den Fall Vorsorge getroffen, dass das Schiedsamt seinerseits untätig bleibt: Kommt ein Vertrag nicht innerhalb von drei Monaten durch Schiedsspruch zustande und verstreicht sodann auch eine dem Schiedsamt von der Aufsichtsbehörde gesetzte Frist, setzt diese den Vertragsinhalt fest (§ 89 Abs 1 Satz 5 und Abs 1a Satz 3 iVm Abs 1 Satz 5 SGB V). Schließlich wird bestimmt, dass Klagen gegen die Festsetzung des Schiedsamts keine aufschiebende Wirkung haben (§ 89 Abs 1 Satz 6, Abs 1a Satz 4 SGB V), der von diesem festgesetzte Vertragsinhalt also sofort Geltung erlangt.
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Für den Fall, dass die den Bewertungsausschuss bildenden Organisationen - im Regelfall also die KÄBV und der Spitzenverband Bund der KKen - keine Einigung über die dem Bewertungsausschuss übertragenen Aufgaben, namentlich den Inhalt des Bewertungsmaßstabs nach § 87 Abs 1 SGB V, erzielen, sieht § 87 Abs 5 SGB V eine Entscheidung durch den - um einen unparteiischen Vorsitzenden und zwei weitere unparteiische Mitglieder erweiterten(§ 87 Abs 4 Satz 1 SGB V) -erweiterten Bewertungsausschuss vor (siehe hierzu Altmiks in Schnapp/Düring aaO, S 205 ff).
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Flankiert werden die Schiedsregelungen durch die Bestimmungen über die Fortgeltung bisheriger Verträge. Zwecks Verhinderung eines vertragslosen Zustandes im Zeitraum zwischen Vertragsablauf und Schiedsamtsentscheidung bestimmt etwa § 89 Abs 1 Satz 4 SGB V, dass ein gekündigter Vertrag bis zur Entscheidung des Schiedsamts fortgilt. Dies wird weder durch das Scheitern der Schiedsverhandlungen in Frage gestellt noch dadurch, dass ein Schiedsentscheid nicht binnen der Dreimonatsfrist des § 89 Abs 1 Satz 3 SGB V ergeht(BSGE 88, 193, 202 = SozR 3-2500 § 79a Nr 1 S 11). Ebenso bestimmt § 84 Abs 1 Satz 3 SGB V, dass dann, wenn eine Arzneimittelvereinbarung nicht bis zum Ablauf der in § 84 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Frist zustande kommt, die bisherige Vereinbarung bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung oder einer Entscheidung durch das Schiedsamt weiter gilt.
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(4) Die gesetzlichen Regelungen zum Vertragsarztrecht sind in "jahrzehntelanger Entwicklung aus den Interessengegensätzen und dem Interessenausgleich zwischen der Ärzteschaft und den KKen" entstanden (so ausdrücklich die Gesetzesbegründung zum ersten Entwurf eines GKAR, BT-Drucks <2. Wahlperiode> 87 S 14 - A. Allgemeiner Teil I. Entwicklung des Kassenarztrechts).
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Nach dem "Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" (Krankenversicherungsgesetz
) vom 15.6.1883 (RGBl 73) konnten die KKen nach eigenem Ermessen und in freier Vereinbarung mit ihnen genehmen Ärzten bürgerlich-rechtliche (Einzel-)Dienstverträge über die ärztliche Versorgung ihrer Versicherten schließen (Gesetzesbegründung zum GKAR aaO; siehe hierzu auch Rompf, VSSR 2007, 1, 5 ff). So ermächtigte der mit Gesetz vom 10.4.1892 (RGBl 379) in das KVG eingefügte § 6a die KKen, durch Statut zu bestimmen, welche Ärzte die Versicherten behandeln konnten; die Bezahlung anderer als der im Statut benannten Ärzte war ausgeschlossen. Die durch den zunehmenden Organisationsgrad der GKV bedingten Auswirkungen dieser Machtstellung auf die Ärzteschaft (ausführlich hierzu Käsbauer, Die Neuordnung der Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und KKen durch das Berliner Abkommen vom 23.12.1913, Dissertation, 2015, S 54 ff) führten zur Gründung ärztlicher Interessenorganisationen (namentlich des Leipziger Verbandes bzw "Hartmannbundes"), die insbesondere für eine Erhöhung der Honorare, die freie Arztwahl sowie die Ablösung der Einzelverträge durch Kollektivverträge eintraten (Rompf aaO; Gesetzesbegründung zum GKAR aaO).
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Die an die Stelle des KVG tretende RVO vom 19.7.1911 (RGBl 509) übernahm die bestehenden Strukturen des KVG und entsprach damit nicht den Interessen der Ärzteschaft (Zacher, ZfS 1966, 129, 131). Vielmehr wurde die Position der Ärzte weiter geschwächt, da die KKen durch § 370 Satz 1 RVO ermächtigt wurden, den Versicherten an Stelle von Sachleistungen zwei Drittel des durchschnittlichen Krankengeldes zu gewähren, sofern die ärztliche Versorgung ernstlich dadurch gefährdet wurde, dass die KK keinen Vertrag zu angemessenen Bedingungen mit einer ausreichenden Zahl von Ärzten schließen konnte oder dass die Ärzte den Vertrag nicht einhielten; hierdurch wurde den Ärzten ein effektives Druckmittel - die Kündigung der Verträge - entzogen, weil die Versicherten in diesem Fall Ärzte konsultieren konnten, die keine Verträge mit den KKen geschlossen hatten (Ziermann, Inhaltsbestimmung und Abgrenzung der Normsetzungskompetenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Bewertungsausschüsse im Recht der GKV, Dissertation 2007, S 20). Daraufhin wurde auf einem außerordentlichen Ärztetag am 26.10.1913 ein allgemeiner Streik ab dem Inkrafttreten der RVO - dh ab dem 1.1.1914 - beschlossen (Zacher, ZfS 1966, 129, 131). Auf Vermittlung der Reichsregierung wurde am 23.12.1913 zwischen den Spitzenverbänden der KKn und der Ärzteschaft das sogenannte "Berliner Abkommen" (abgedruckt bei Käsbauer aaO S 405 ff) vereinbart. Nach diesem - auf privatrechtlicher Grundlage zwischen Ärzten und KKen geschaffenen - Vertragssystem(zu den Einzelheiten siehe Käsbauer aaO S 149 ff) verblieb es beim Einzelvertragssystem. Jedoch verzichteten die KKen auf die einseitige Bestimmung der Zahl, der Auswahl und der Beschäftigungsbedingungen der Ärzte zugunsten einer gemeinsamen Regelung durch paritätisch besetzte Ausschüsse unter ausschlaggebender Mitwirkung eines beamteten Vorsitzenden (vgl Nr 5 und 6 des Abkommens). Auch sah das Abkommen vor, dass der Leipziger Verband auf eine Weitergeltung der alten Verträge bis zum Abschluss eines neuen Vertrages hinwirken sollte (siehe hierzu auch Rompf aaO Fußnote 59: Verpflichtung zur Weiterbehandlung).
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Bedingt durch das Auslaufen des zunächst auf zehn Jahre befristeten und nunmehr kündbaren "Berliner Abkommens" sowie durch die Auswirkungen der Geldentwertung (Rompf aaO S 10; Käsbauer aaO S 195 ff) kam es auf der Grundlage eines Ermächtigungsgesetzes vom 13.10.1923 (RGBl 943) mit der Verordnung der Reichsregierung über Ärzte und KKen vom 30.10.1923 (RGBl 1051) erstmals zu einer normativen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten und KKen. Mit dieser Verordnung wurde der wesentliche Teil des "Berliner Abkommens" in die RVO aufgenommen (Gesetzesbegründung zum GKAR aaO; Käsbauer aaO S 211 mwN). Geregelt wurde die Bildung eines Reichsausschusses für Ärzte und KKen (§§ 1 bis 6), von Landesausschüssen (§§ 7 bis 9)sowie von Einigungs- und Schiedsstellen (§§ 10 bis 17). Die Nichtbeachtung von Schiedsamtsentscheidungen durch den Arzt konnte einen Zulassungsausschluss von bis zu fünf Jahren nach sich ziehen, während für die Verbände der Ärzte und der KKen eine Schadensersatzpflicht bestand (§ 17 der Verordnung). Durch die Verordnung über Krankenhilfe bei den KKen vom 30.10.1923 (RGBl I 1054) wurde hingegen ua - in § 6 - bestimmt, dass die ärztliche Versorgung im Sinne von § 370 RVO insbesondere als ernstlich gefährdet gilt, wenn ein für die ausreichende Versorgung unentbehrlicher Teil der Ärzte den geschlossenen Vertrag nicht einhält(Nr 1), sich nach Ablauf oder Abbruch des Vertrags weigert, die Behandlung vorläufig unter den bisher geltenden Bedingungen fortzusetzen (Nr 2) oder sich weigert, über die künftigen Bedingungen vor den Schiedsstellen zu verhandeln (Nr 3). Der Inhalt der "Verordnung über Ärzte und KKen" wurde durch die Bekanntmachung vom 15.12.1924 (RGBl I 779, 821 ff) - als §§ 368a bis 368t - in die RVO aufgenommen.
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Die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre und die daraus resultierende Massenarbeitslosigkeit mit entsprechender Verringerung des Beitragsaufkommens sowie die Absenkung der Krankenkassenbeiträge zur Finanzierung der Arbeitslosenversicherung bedingte eine Reduzierung der Krankenversicherungsausgaben (Käsbauer aaO S 265 ff). Hierzu dienten die durch die Notverordnung vom 26.7.1930 (RGBl I 311, 321 ff) umgesetzten Maßnahmen. Zu diesen gehörten insbesondere die Normierung eines Wirtschaftlichkeitsgebots und eine mit dessen Verletzung verbundene Schadensersatzpflicht des Arztes sowie die Aufnahme von Regelungen gegen eine übermäßige Ausdehnung des kassenärztlichen Dienstes (§ 368 Abs 2 RVO) und eine Verschärfung des § 370 RVO durch die Reduzierung der anstelle einer Sachleistung zu gewährenden Barleistung auf 80 vH der wirklichen Kosten, die zugleich als Zahlung im Sinne der ärztlichen Gebührenordnung galt, und die Einführung eines Kündigungsrechts bei übermäßigen Ausgaben der KK.
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Die insbesondere aus diesen Maßnahmen resultierenden Spannungen zwischen Ärzten und KKen (vgl Rompf aaO S 14) führten dazu, dass es auf Initiative und unter maßgeblicher Mitwirkung des Reichsarbeitsministeriums 1931 zu einer Vereinbarung zwischen der Ärzteschaft und den größten Verbänden der KKen kam, die auf der einen Seite Forderungen der Ärzteschaft nach großzügigerer Zulassung durch eine Absenkung der Verhältniszahl entgegenkam und auf der anderen Seite den Forderungen der KKen nach Abgeltung der gesamten Behandlung durch einen festen Abgeltungsbetrag für jeden Versicherten - sogenannte "Kopfpauschale" - entsprach (Gesetzesbegründung zum GKAR aaO). Da die Innungs-, Betriebs- und Landeskrankenkassen dem Kompromiss nicht zustimmten (Rompf aaO), erfolgte mit der Vierten Verordnung des Reichspräsidenten vom 8.12.1931 (RGBl I 699, 718 ff = Fünfter Teil Kapitel I
) auf der Grundlage des vorgenannten Übereinkommens (Gesetzesbegründung zum GKAR aaO S 14 f) eine gesetzliche Regelung. Deren Inhalt wurde nachfolgend durch die Verordnung über die kassenärztliche Versorgung vom 14.1.1932 (RGBl I 19) im Wege einer Neufassung der §§ 368 bis 373 in die RVO eingearbeitet.
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Mit dieser Neuregelung erhielt das Vertragsarztrecht weitgehend seine noch heute gültigen Strukturen. So wurde zur Regelung des "kassenärztlichen Dienstes" der Abschluss von Gesamtverträgen zwischen KKen und KÄVen auf der Grundlage der von den Spitzenverbänden vereinbarten Mantelverträge vorgeschrieben (§ 1 der Notverordnung = § 368 RVO nF), die Zahlung einer nach Kopfpauschalen bemessenen Gesamtvergütung bestimmt (§ 2 = § 368e Abs 1 RVO nF) sowie deren mit befreiender Wirkung erfolgenden Zahlung an die KÄV, welcher deren Verteilung oblag (§ 3 = § 368e Abs 2 RVO nF). Zudem wurde bestimmt, dass die KÄV die Erfüllung der den Kassenärzten obliegenden Verpflichtungen zu überwachen hatte und dass sie den KKen gegenüber die Gewähr dafür übernahm, dass die kassenärztliche Versorgung den Anforderungen entsprach (§ 4 = § 368d Abs 2 und 3 RVO nF). Nach § 368p Abs 3 Satz 3 Halbsatz 2 RVO wurde zudem bestimmt, dass bis zur Entscheidung des Reichsschiedsamts über das gegen eine Entscheidung des Schiedsamts eingelegte Rechtsmittel die Vergütung in der Höhe fortzuzahlen war, in der sie vor Erlass der angefochtenen Entscheidung gewährt wurde.
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Der nachkonstitutionelle Gesetzgeber hat an das überkommene Regelungskonzept angeknüpft und es weiter ausgebaut (BSGE 78, 70, 78 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 S 33; BSGE 81, 73, 83 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7 S 58). Mit dem GKAR vom 17.8.1955 (BGBl I 513) hat er dabei bewusst - in der Erkenntnis, dass in der Vergangenheit mehrfach heftige Kämpfe zwischen der Ärzteschaft und den KKen entbrannt seien, die zeitweise die Grundlagen der GKV zu erschüttern gedroht hätten, im Ergebnis aber zu der beiderseitigen Erkenntnis geführt hätten, dass im Interesse der ärztlichen Versorgung der Versicherten das verständnisvolle Zusammenwirken der Ärzteschaft und der KKen in einer umfassenden Gemeinschaftsarbeit unerlässlich sei (Gesetzesbegründung zum GKAR, BT-Drucks <2. Wahlperiode> 87 S 14) - die wesentlichen Strukturen des bisherigen Rechts übernommen. Ausdrücklich hervorgehoben wurde, dass dann, wenn keine Einigung über den Inhalt der Gesamtverträge erzielt werde, ein "Einigungsverfahren" gelte, das notfalls zu einer Zwangsschlichtung führe, und dass bis zur endgültigen Entscheidung die Vergütung gemäß § 368h Abs 5 RVO in der bisherigen Höhe weiterzuzahlen sei(Ausschussbericht zum GKAR, BT-Drucks <2. Wahlperiode> 1313 S 4). Auf die Übernahme der sogenannten "Misstrauensparagraphen" (§§ 370 ff der RVO) werde verzichtet, da Ärztestreiks uÄ aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Zwangsschlichtung ausgeschlossen erschienen (Ausschussbericht aaO). Die Gesetzesbegründung betont damit den engen Zusammenhang zwischen der "Zwangsschlichtung" auf der einen und dem Verzicht auf die "Misstrauensparagraphen" auf der anderen Seite: Es habe Einigkeit darüber bestanden, dass der - im Gesetzgebungsverfahren diskutierte - Wegfall der Zwangsschlichtung die Wiedereinführung der §§ 370 ff RVO zur Folge haben müsse; daher habe man im Interesse der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Versicherten an der Zwangsschlichtung festgehalten (Ausschussbericht aaO S 6 zu d) Schlichtung).
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Auch dem nachkonstitutionellen Gesetzgeber kam es damit maßgeblich darauf an, im Interesse der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Versicherten einen vertragslosen Zustand zu verhindern. Dabei wurde als selbstverständlich vorausgesetzt, dass die (vorübergehende) Fortgeltung der bestehenden Vereinbarungen auch ihren Niederschlag in einer durch "Kampfmaßnahmen" unbeeinträchtigten Versorgung der Versicherten findet. Hierauf weisen gerade die im Gesetzgebungsverfahren diskutierten Alternativen "Zwangsschlichtung" oder "Misstrauensparagraphen" hin: Den KKen sollte kein Mittel nach Art des § 370 RVO aF in die Hand gegeben werden, um auf "Kampfmaßnahmen" der Vertragsärzte angemessen reagieren zu können, sondern es sollte durch die Verpflichtung der KKen und KÄVen zum Zusammenwirken und die ggf zwangsweise Herbeiführung einer Einigung von vornherein ausgeschlossen werden, dass es überhaupt zu "Kampfmaßnahmen" kommt.
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Hieran hat der Gesetzgeber auch nachfolgend festgehalten. So hat er mit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (
vom 27.6.1977, BGBl I 1069) eine dreimonatige Frist für das Wirksamwerden eines Zulassungsverzichts eingeführt (siehe hierzu §§ 368a Abs 7, 368c Nr 15 RVO iVm den Zulassungsordnungen). Hierdurch sollten die KÄVen rechtzeitig von einer Veränderung der Versorgungssituation Kenntnis erlangen und ggf geeignete Sicherstellungsmaßnahmen ergreifen können (Ausschussbericht zum KVKG, BT-Drucks 8/338 S 63 zu Art 1 Nr 28); damit sollte vermieden werden, dass sich ein Vertragsarzt mit sofortiger Wirkung von seinen Verpflichtungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung lösen kann (Ausschussbericht aaO S 52 Allgemeiner Teil III.1.; zu den Hintergründen siehe auch Ludes aaO S 57 ff).
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Im Zusammenhang mit der Einfügung der gesetzlichen Regelungen zur Begegnung von Maßnahmen in Form eines "Kollektivverzichts" durch das GSG vom 21.12.1992 (BGBl I 2266) - hierzu gehört insbesondere der Übergang des Sicherstellungsauftrags auf die KKen (§ 72a SGB V) und die sechsjährige Wiederzulassungssperre (§ 95b SGB V), aber auch die Regelungen in § 13 Abs 2 Satz 7 SGB V und § 140 Abs 2 Satz 2 SGB V - hat er nicht nur durch die ergriffenen Maßnahmen, sondern auch durch die Gesetzesbegründung deutlich gemacht, dass er jegliche Beeinträchtigung der vertragsärztlichen Versorgung durch ärztliche "Kampfmaßnahmen" für nicht hinnehmbar ansieht. Die Bestimmungen über die vertragsärztliche Versorgung seien für den Vertragsarzt verbindlich und er habe dementsprechend die Erfüllung des Sicherstellungsauftrags zu fördern und alles zu unterlassen, was die Sicherstellung und die Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung gefährden oder ausschließen könnte; jede Schädigung der vom Körperschaftszweck erfassten Interessen der Beteiligten habe zu unterbleiben (Gesetzesbegründung zum GSG, BT-Drucks 12/3608 S 95 zu § 95b Abs 1 SGB V).
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Durch das GMG vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) hat der Gesetzgeber den KKen mit § 75 Abs 1 Satz 2 SGB V die Möglichkeit eröffnet, die Gesamtvergütungen teilweise zurückzubehalten, wenn die KÄVen ihrer Sicherstellungsverpflichtung nicht nachkommen. Zudem wurde bestimmt, dass die Satzung der KÄVen auch Bestimmungen über die vertragsärztlichen Pflichten zur Ausfüllung des Sicherstellungsauftrags enthalten muss (§ 81 Abs 1 Satz 1 Nr 9
SGB V) . Hierdurch soll nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 15/1525 S 99 zu Art 1 Nr 59) rein betriebswirtschaftlich motivierten Praxisschließungen vor Ende des Abrechnungsquartals entgegengewirkt werden.
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cc. Mit diesem in sich geschlossenen, in der Kontinuität einer mehr als hundertjährigen Entwicklung stehenden und bis in die jüngere Zeit durch den Gesetzgeber fortentwickelten System des Vertragsarztrechts sind "Kampfmaßnahmen" der Vertragsärzte nicht vereinbar (in diesem Sinne auch LSG Berlin Urteil vom 5.12.2001 - L 7 KA 17/99 - RdNr 29 ff - Juris, zu Streikaufrufen der KZÄV).
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(1) (a) Es würde das dargestellte Regelwerk des Vertragsarztrechts konterkarieren, wenn sich die Vertragsärzte dem vom Gesetzgeber mit der Schiedsregelung und der Fortgeltung von Verträgen beabsichtigten Zweck, eine störungsfreie ärztliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen, durch "(Warn-)Streiks" ganz oder auch nur partiell entziehen könnten. Insbesondere die Verpflichtung zur Weiterarbeit unter den bisherigen Bedingungen bis zum Abschluss oder der Festsetzung einer neuen Vereinbarung, die bereits Eingang in die Bestimmungen des Berliner Abkommens gefunden hatte und nachfolgend in die RVO übernommen wurde (siehe § 368p Abs 3 Satz 3 Halbsatz 2 RVO idF der Verordnung vom 14.1.1932), verfolgt den erkennbaren Zweck, jede - und sei es auch nur vorübergehende - Unterbrechung oder Beeinträchtigung der Versorgung der in der GKV versicherten Patienten auszuschließen.
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Eine der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufende Störung der Versorgung liegt mithin auch dann vor, wenn es sich bei den ärztlichen "Kampfmaßnahmen" lediglich um "Nadelstiche" - also um zeitlich, örtlich oder vom Ausmaß her begrenzte Maßnahmen wie etwa "Warnstreiks" - handelt. Auch in der mit einem vertragsärztlichen "Warnstreik" verbundenen mehrstündigen Praxisschließung liegt eine nicht unerhebliche Verweigerung der vertragsärztlichen Versorgung (so auch LSG Berlin Urteil vom 5.12.2001 - L 7 KA 17/99 - Juris RdNr 34 = NZS 2002, 386 ff = Breith 2002, 495 ff = MedR 2002, 370 ff). Auch derartige partielle "Kampfmaßnahmen" beeinträchtigen die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten. Die teilnehmenden Vertragsärzte stehen für die Dauer des "Warnstreiks" nicht für die Versorgung der Versicherten zur Verfügung, obwohl ihre Teilnahme hieran geboten und erforderlich ist:
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Die KÄVen und ihre Mitglieder haben gemäß § 75 Abs 1 Satz 1 SGB V zu gewährleisten, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn alle Vertragsärzte im vorgesehenen und als erforderlich erachteten Umfang an der Versorgung teilnehmen. Die vertragsärztliche Bedarfsplanung mit der Feststellung eines bedarfsgerechten Versorgungsgrades und der Feststellung von Überversorgung beruht auf der Prämisse, dass die Vertragsärzte die für ihre Fachgebiete oder für ihren Versorgungsbereich wesentlichen Leistungen anbieten und erbringen (BSGE 88, 20, 27 = SozR 3-2500 § 75 Nr 12 S 73), und damit natürlich erst recht auf der Annahme, dass die Vertragsärzte überhaupt Leistungen im Umfang des übernommenen Versorgungsauftrags erbringen. Dass im Rahmen der vertragsärztlichen Bedarfsplanung auch diejenigen Vertragsärzte berücksichtigt werden, die tatsächlich kaum Sprechstunden verlässlich durchführen, ist ein auch vom Senat beklagter Missstand (vgl BSG SozR 4-5520 § 24 Nr 1 RdNr 18), der nicht der mit der Bedarfsplanung verfolgten Intention einer gleichmäßigen und ausreichenden Versorgung entspricht. Dieser Umstand ändert aber nichts daran, dass nur ein Tätigwerden im Umfang des übernommenen Versorgungsauftrags den rechtlichen Vorgaben genügt.
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Dem entspricht die in § 81 Abs 1 Satz 1 Nr 10 SGB V normierte Vorgabe, dass die Satzung der KÄV auch Bestimmungen über die vertragsärztlichen Pflichten zur Ausfüllung des Sicherstellungsauftrags enthalten muss. Hintergrund dieser ausdrücklichen Verpflichtung ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 15/1525 S 99 zu Nr 59) die Beobachtung, dass Vertragsärzte vor Ende eines Abrechnungszeitraums ihre Praxis schließen, weil das individuelle Abrechnungsvolumen ihrer Praxis erschöpft ist. Mit einem derartigen Verhalten setzten sich diese Vertragsärzte in Widerspruch zu der aus ihrer Zulassung resultierenden Verpflichtung, der vertragsärztlichen Versorgung in vollem Umfang zur Verfügung zu stehen und nicht aus betriebswirtschaftlichen Gründen ihre Praxis zu schließen (aaO). Diesem Verhalten hat der Gesetzgeber auch mit Blick auf § 32 Abs 1 Ärzte-ZV, der eine Praxisschließung nur unter den dort geregelten Voraussetzungen erlaubt, entgegenwirken wollen(vgl Vahldiek in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2016, § 81 RdNr 26). Auch dies stützt die Annahme, dass jede nicht durch Sachgründe bedingte bzw gerechtfertigte Unterbrechung der vertragsärztlichen Versorgung mit einer Systemstörung gleichzusetzen ist.
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Es ist im Übrigen gerade der Zweck der als "Kampfmaßnahme" ("Warn-Streik") konzipierten vorübergehenden Praxisschließung, dass sich diese Maßnahme auf die Versorgung der Versicherten auswirkt, weil hierdurch ein Nachgeben der KKen in den (Vergütungs-)Verhandlungen erzwungen werden soll: Es soll den KKen - vorerst zeitlich und vom Umfang her begrenzt - aufgezeigt werden, welche Situation eintreten könnte, wenn diese nicht auf die Forderungen der Ärzteschaft eingehen. "Warnstreiks" von Vertragsärzten kommen in ihrer Wirkung einem Warnstreik der Beschäftigten eines öffentlichen Versorgungsunternehmens gleich, bei dem ebenfalls aufgrund einer kurzfristigen Arbeitsniederlegung durch die Öffentlichkeit vermittelter Druck auf die Verhandlungspartner ausgeübt werden soll (LSG Berlin aaO RdNr 34).
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(b) Ebenso würde es dem vom Gesetzgeber angestrebten Interessenausgleich zwischen den KKen und den Ärzten zuwiderlaufen, wenn die Vertragsärzte die Möglichkeit besäßen, die KKen durch - die ärztliche Versorgung der Mitglieder der KKen beeinträchtigende - "Kampfmaßnahmen", wie vorübergehende Praxisschließungen, unter Druck zu setzen. Der vom Gesetzgeber beabsichtige Ausgleich der partiell gegenläufigen Interessen würde unter diesen Umständen daran scheitern, dass die KKen einen zu Lasten ihrer Versicherten geführten Kampf um Vergütungen und Vertragsbedingungen im Regelfall nicht lange durchhalten würden und daher gezwungen wären, auf die Forderungen der Ärzte bzw der KÄV einzugehen (in diesem Sinne auch Ludes aaO S 59, 60). Denn der von den Vertragsärzten durch "Kampfmaßnahmen" ausgeübte Druck richtete sich nur vermeintlich gegen die KKen selbst; unmittelbar betroffen wären vielmehr die Patienten, die ärztlicher Behandlung bedürfen und diese Behandlung nur in begrenztem zeitlichen Umfang oder gar nicht aufschieben können; diese würden letztlich von den Vertragsärzten als "Geiseln" genommen. Vertragsärzte dürfen ihre Auseinandersetzungen mit der KÄV und den KKen aber nicht auf dem Rücken der Versicherten austragen (Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 30 RdNr 6), vor allem, weil die Versicherten auf die Höhe der vertragsärztlichen Vergütungen keinen Einfluss haben (Wenner, GesR 2009, 505, 517). Im Ergebnis würden die widerstreitenden Interessen also nicht ausgeglichen, sondern es käme im Extremfall zu einem einseitigen "Diktat" zu Lasten der KKen.
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(c) Dass der Gesetzgeber ein derartiges "Diktat" nicht hinzunehmen bereit ist, bestätigen auch die bereits erwähnten Regelungen in § 72a und § 95b SGB V. Der Gesetzgeber hat mit diesen Vorschriften deutlich zu erkennen gegeben, dass "Kampfmaßnahmen" mit der vertragsärztlichen Tätigkeit unvereinbar sind. Die sehr scharfen Sanktionen im Falle eines abgesprochenen Systemausstiegs - namentlich die sechsjährige Wiederzulassungssperre - wären nur beschränkt plausibel, wenn "Ärztestreiks" unter Beibehaltung des Zulassungsstatus zulässig wären. Denn es stellte sich die Frage, worin der Unterschied zwischen einem - sanktionierten - abgesprochenen Zulassungsverzicht mit der Intention, nach Erfüllung der finanziellen Forderungen sofort wieder in das System zurückzukehren, und einem zeitlich unbefristeten Streik unter Beibehaltung des Zulassungsstatus bestehen könnte.
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Die Wertung eines systemimmanenten Ausschlusses von "Kampfmaßnahmen" der Vertragsärzte bestätigt der Umstand, dass der nachkonstitutionelle Gesetzgeber - anders, als dies unter der Geltung des "Misstrauensparagraphen" § 370 RVO der Fall war - den KKen kein Instrumentarium in die Hand gegeben hat, um vorübergehenden und ggf auch "niedrigschwelligen" Störungen der Versorgung entgegentreten zu können. Wollte man den Vertragsärzten ein "Streikrecht" zugestehen, müsste man im Übrigen zugleich den KKen die Möglichkeit eröffnen, hierauf adäquat reagieren zu können. Während die Arbeitgeber im Falle eines Streiks ihrer Beschäftigten zur Herstellung der Kampf- bzw Verhandlungsparität (vgl BVerfGE 84, 212, 225) die Möglichkeit der Aussperrung - also der Suspendierung der Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis (vgl Treber in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 16. Aufl 2015, § 191 RdNr 12) - haben, sind vergleichbare Gegenmaßnahmen den KKen für den Regelfall verwehrt (auf die "sehr begrenzten Substitutionsmöglichkeiten" der KK weist auch Ludes
hin) .
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So ist es ihnen grundsätzlich (vgl § 140 Abs 2 Satz 1 SGB V) versagt, durch Schaffung von Eigeneinrichtungen etwaigen "Kampfmaßnahmen" der Ärzte vorzubeugen. Ebenso wenig sind die KKen berechtigt, eine ambulante Behandlung ihrer Mitglieder durch Krankenhäuser statt durch Vertragsärzte sicherstellen zu lassen, weil die ambulante Versorgung Aufgabe der niedergelassenen Ärzte ist und ihnen hier - grundsätzlich - der Vorrang zukommt (stRspr des BSG, vgl zB BSGE 88, 20, 27 = SozR 3-2500 § 75 Nr 12 S 73; BSG SozR 4-2500 § 76 Nr 2 RdNr 13; siehe auch BVerfG SozR 4-1500 § 54 Nr 4 RdNr 15 ff). Etwas anderes gilt allein in dem (Extrem-)Fall, dass mehr als 50 vH der Vertragsärzte in einem Zulassungsbereich oder Planungsbezirk nach § 95b Abs 1 SGB V (sogenannter "Kollektivverzicht") auf ihre Zulassung verzichtet haben oder die vertragsärztliche Versorgung verweigern und damit - nach entsprechender Feststellung der Aufsichtsbehörde - der Sicherstellungsauftrag nach § 72a SGB V auf die KKen übergeht. Insoweit lässt das Gesetz auch die Neuerrichtung von Eigeneinrichtungen zur Erfüllung des Sicherstellungsauftrags (§ 72a Abs 3 Satz 2, § 140 Abs 2 Satz 2 SGB V) und den Abschluss von Verträgen mit Krankenhäusern ua zu (§ 72a Abs 3 Satz 1 SGB V).
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Einem "Ärztestreik" steht schließlich auch entgegen, dass die von den KKen an die KÄVen gezahlte Gesamtvergütung eine Gesamtmenge an Leistungen vergüten soll, die sich nach dem mit der Morbiditätsstruktur der Versicherten verbundenen Behandlungsbedarf bemisst (vgl § 87a Abs 3 Satz 2 SGB V). Da davon auszugehen ist, dass mit Praxisschließungen konfrontierte Versicherte in gewissem Umfang darauf verzichten werden, "eingepreiste" Behandlungen nachzufragen, etwa um lange Wartezeiten bei den "Vertretungs-Praxen" zu vermeiden, erhalten Vertragsärzte, die aufgrund von "Warnstreiks" oÄ ihre Leistungen zurückhalten, einen Anteil der - abstrakt bemessenen - Gesamtvergütung zu Unrecht.
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(2) Die gegen wesentliche Strukturelemente des vertragsarztrechtlichen Systems erhobenen Einwände überzeugen nicht. Soweit geltend gemacht wird, dass das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren zur Streitschlichtung durch (Landes- oder Bundes-)Schiedsämter nach § 89 SGB V bzw durch den erweiterten Bewertungsausschuss nach § 87 Abs 4 SGB V untauglich sei, weil es nicht sicherstelle, dass die Interessen der Ärzteschaft gewahrt würden, geht dies fehl. Dass die unparteiischen Mitglieder der genannten Gremien oftmals den Ausschlag geben werden, ist einem Schlichtungsverfahren ebenso immanent wie der Umstand, dass die Entscheidung des Schiedsorgans zu Lasten der einen wie auch der anderen Seite ausgehen kann.
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Der weitere Einwand, dass die Sozialgerichtsbarkeit ihrer Überprüfungspflicht nur unzureichend nachkomme, weil sie bei der Überprüfung der Schiedssprüche starke Zurückhaltung übe (so auch Sodan/Schaks, VSSR 2014, 89, 112), trifft ebenfalls nicht zu. Die eingeschränkte Überprüfbarkeit der Schiedssprüche bzw der Entscheidungen des erweiterten Bewertungsausschusses beruht zum einen auf dem Umstand, dass es sich nach der gesetzlichen Konstruktion auch bei den an die Stelle der vertraglichen Vereinbarung tretenden Entscheidungen der Schiedsorgane um untergesetzliche Normsetzung handelt, sodass die hierfür geltenden Prüfmaßstäbe anzuwenden sind und insbesondere die Gestaltungsfreiheit des Normgebers zu respektieren ist (stRspr des BSG, vgl zum Bewertungsausschuss: BSGE 88, 126, 134 = SozR 3-2500 § 87 Nr 29 S 153; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 86; zu Gesamtvergütungsvereinbarungen: BSGE 95, 141 RdNr 17 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 25; BSG SozR 4-2500 § 83 Nr 5 RdNr 17; siehe auch BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 72 RdNr 33 mwN). Zum anderen besitzen Schiedsämter eine besondere Gestaltungsfreiheit, die dem auf den Interessenausgleich angelegten Wesen der Schiedssprüche und dem ihnen immanenten Kompromisscharakter Rechnung trägt und die nicht geringer ist als der Gestaltungsspielraum der Vertragspartner (stRspr des BSG, vgl BSGE 91, 153 = SozR 4-2500 § 85 Nr 3, RdNr 11; BSGE 100, 144 = SozR 4-2500 § 85 Nr 41, RdNr 13). Dies gilt nicht allein für Schiedsämter nach § 89 SGB V, sondern gleichermaßen für den erweiterten Bewertungsausschuss, da es sich bei der in § 87 Abs 4 SGB V vorgesehenen Erweiterung des Bewertungssauschusses um ein in den Normsetzungsvorgang inkorporiertes Schiedsverfahren handelt(BSGE 90, 61, 62 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 35 S 202; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 75). Auch diesen besonderen Gestaltungsspielraum haben die Gerichte zu respektieren.
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Der Feststellung, dass die rechtlichen Vorgaben des Vertragsarztrechts einen Streik der Vertragsärzte nicht zulassen, steht schließlich auch nicht das Urteil des 3. Senats des BSG vom 25.9.2001 (B 3 KR 14/00 R - BSGE 89, 19 = SozR 3-2500 § 125 Nr 7)entgegen, mit dem dieser einen Boykottaufruf des Zentralverbandes der Krankengymnasten als zulässig angesehen hat (aA Sodan/Schaks, VSSR 2014, 89, 116). Unabhängig von dem Gesichtspunkt, dass das für die Krankengymnasten geltende Regelwerk nicht ohne Weiteres mit dem Vertragsarztrecht vergleichbar ist, hat der 3. Senat des BSG seine auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen gestützte Entscheidung namentlich damit begründet, dass innerhalb des Systems der GKV kein geeignetes Konfliktlösungsinstrument zur Verfügung stehe, welches die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Krankengymnasten berücksichtige (BSGE 89, 19, 24 = SozR 3-2500 § 125 Nr 7 S 28). Derartige Konfliktlösungsinstrumente stellen jedoch ein wesentliches Strukturelement des Vertragsarztrechts dar.
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dd. Das "Streikverbot" gilt nicht allein für zugelassene Vertragsärzte, sondern auch für MVZ, da diese kraft ihrer Zulassung denselben vertragsärztlichen Vorgaben unterliegen (siehe hierzu BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 14 RdNr 15, 25 für die Verpflichtung des MVZ zur Teilnahme am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst). Das MVZ kann seinen ihm kraft seiner Zulassung zugewiesenen Versorgungsauftrag nur durch die bei ihm tätigen angestellten Ärzte oder Vertragsärzte erfüllen (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 80 RdNr 35). Das dargestellte "Streikverbot" gilt generell für alle Ärzte, die innerhalb des GKV-Systems an der Versorgung der Versicherten beteiligt sind. Es ist also auch von Ärzten zu beachten, die als angestellte Ärzte bei in Einzelpraxis tätigen Ärzten, in Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) oder in MVZ beschäftigt sind, ebenso - soweit die vertragsärztliche Tätigkeit betroffen ist - auch von ermächtigten Ärzten:
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Wesensmerkmal der vertragsärztlichen Versorgung ist - wie dargestellt -, dass die KÄVen die Versorgung sicherzustellen haben und sich zur Gewährleistung dieser Verpflichtung ihrer Mitglieder "bedienen". Durch die Zwangsmitgliedschaft in der KÄV - die gemäß § 77 Abs 3 Satz 1 SGB V auch angestellte Ärzte umfasst, sofern sie mindestens halbtags beschäftigt sind(§ 77 Abs 3 Satz 2 SGB V - nach Art 1 Nr 1 des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes, BT-Drucks 18/10605 S 7 zu § 77 Abs 3 Satz 2 SGB V ist zukünftig eine Grenze von zehn Stunden pro Woche vorgesehen) - und die daraus resultierende Disziplinargewalt wird den KÄVen die Möglichkeit eröffnet, ihre Mitglieder zur Gewährleistung des ihr obliegenden Sicherstellungsauftrags heranziehen. Dies spricht dafür, dass grundsätzlich alle Ärzte, die am Sicherstellungsauftrag mitwirken, dem systemimmanenten "Streikverbot" unterliegen. Dies ist nicht zuletzt deswegen von Bedeutung, weil die Zahl der angestellten Ärzte erheblich zugenommen hat (siehe hierzu auch Gesetzesbegründung zum GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, BT-Drucks 18/10605 S 24 f zu § 77 Abs 3 Satz 2 SGB V)und daher Zweifel angebracht sind, ob die KÄVen ohne deren Einbeziehung noch die Sicherstellung der Versorgung gewährleisten könnten.
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Etwas anderes gilt für den Fall, dass angestellte Ärzte durch eine Arbeitsniederlegung allein Druck auf ihren Arbeitgeber ausüben wollen. Insoweit sind sie angestellten Krankenhausärzten vergleichbar und damit auch berechtigt, ihre Forderungen gegenüber ihrem Arbeitgeber durch Arbeitskampfmaßnahmen durchzusetzen. Mit dem Streikverbot im dargestellten Sinne auch für angestellte Ärzte im MVZ, in einer BAG und bei einzelnen Vertragsärzten wird die Koalitionsfreiheit (Art 9 Abs 3 GG) der als Arbeitnehmer tätigen Ärzte nicht in verfassungswidriger Weise beschränkt. Deren Berufsverbände sind nicht gehindert, auf den Abschluss eines Tarifvertrages mit (potentiellen) Verbänden ärztlicher Kooperationen oder auch mit Einrichtungen hinzuwirken und in diesem Rahmen auch einen Arbeitskampf zu führen. Dieser darf sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts allerdings nur auf tariflich regelbare Ziele richten (stRspr, vgl BAGE 122, 134, 156 = NZA 2007, 987, RdNr 79), also ausdrücklich nicht auf eine Verbesserung der Honorierung der Leistung des MVZ oder der BAG, bei dem die ärztlichen Arbeitnehmer, die der KÄV angehören, tätig sind.
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d. Der sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen des Vertragsarztrechts ergebende Ausschluss ärztlicher "Kampfmaßnahmen" steht auch mit Verfassungsrecht (sowie Menschenrechten) im Einklang. Dabei lässt der Senat dahingestellt, ob sich der Kläger überhaupt - dem Grunde nach - auf derartige Rechte berufen könnte (siehe aa.), weil diese jedenfalls in zulässiger Weise durch das Gesetz beschränkt worden sind (siehe hierzu bb.).
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aa. (1) Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob der Kläger als Vertragsarzt aus Art 9 Abs 3 GG Rechte herleiten könnte.
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Art 9 Abs 3 Satz 1 GG bestimmt, dass für jedermann und für alle Berufe das Recht gewährleistet ist, zur Wahrung und zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Das als "Koalitionsfreiheit" bezeichnete Grundrecht (vgl etwa BVerfGE 88, 103, 113) soll gewährleisten, dass die Beteiligten selbst und eigenverantwortlich, grundsätzlich frei von staatlicher Einflussnahme über die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bestimmen (BVerfGE 50, 290, 367). Zu den geschützten Tätigkeiten gehört im Bereich der individuellen Koalitionsfreiheit die Gründung sowie der Beitritt zu einer Koalition, der Verbleib in der Koalition und die Teilnahme an der geschützten Tätigkeit (vgl BVerfGE 116, 202, 217 mwN). Im Bereich der kollektiven Koalitionsfreiheit werden zum einen der Bestand und damit die verbandsbezogenen Tätigkeiten und zum anderen die nach außen gerichteten koalitionsspezifischen Aktivitäten geschützt (Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 14. Aufl 2016, Art 9 RdNr 37 mwN). In den Schutzbereich des Art 9 Abs 3 GG sind solche Betätigungen einbezogen, die dem Zweck der Koalitionen dienen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern (BVerfG
Beschluss vom 6.2.2007 - 1 BvR 978/05 - RdNr 22 - Juris = BVerfGK 10, 250 unter Hinweis auf BVerfGE 28, 295, 305) . Zu den geschützten Tätigkeiten gehört insbesondere der Streik, der auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet ist (vgl BVerfGE 92, 365, 393 f = SozR 3-4100 § 116 Nr 3 S 115).
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Ob sich auch Ärzte im Rahmen ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit auf dieses Grundrecht berufen können, ist zweifelhaft. Schon dem Grunde nach stellt sich die Frage, ob Koalitionen von Angehörigen eines freien Berufes bzw Selbstständigen überhaupt in den Schutzbereich des Art 9 Abs 3 GG einbezogen sind (a); erst recht unterliegt es gravierenden Zweifeln, ob ein "Warnstreik" von Vertragsärzten eine koalitionsmäßige Betätigung im Sinne des Art 9 Abs 3 GG darstellen kann (b).
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(a) Der Senat lässt es - wie bereits in seinem Urteil zum "Kollektivverzicht" (BSGE 103, 243 = SozR 4-2500 § 95b Nr 2, RdNr 81)- weiterhin offen, ob Art 9 Abs 3 GG so zu verstehen ist, dass Träger der Koalitionsfreiheit nicht allein Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind, sondern sich grundsätzlich alle Menschen in ihrer Eigenschaft als Angehörige eines Berufes - also auch Selbstständige - hierauf berufen können. Diese Frage wird, soweit sie überhaupt Erörterung findet, in Rechtsprechung (bejahend wohl LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 9.4.2008 - L 3 KA 139/06 - Juris RdNr 50; LSG Berlin Urteil vom 5.12.2001 - L 7 KA 17/99 - Juris RdNr 30 = NZS 2002, 386 ff = Breith 2002, 495 ff = MedR 2002, 370 ff; verneinend LSG für das Saarland Urteil vom 4.4.2000 - L 2/3 K 31/95 - Juris RdNr 32) und Schrifttum (verneinend Scholz in Maunz/Dürig, GG, Stand Mai 2016, Art 9 RdNr 180) unterschiedlich beantwortet.
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Auch wenn der Begriff "Beruf" es nicht per se ausschließt, auch die freien Berufe miteinzubeziehen, wird der Schutzbereich des Art 9 Abs 3 Satz 1 GG sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum regelmäßig allein auf "Arbeitnehmer" und "Arbeitgeber" bezogen (aus dem Schrifttum zB Scholz aaO RdNr 174, 178; Bauer in Dreier, GG, 2013, Art 9 RdNr 67; Sodan in ders, GG, 3. Aufl 2015, Art 9 RdNr 21; Jarass aaO, Art 9 RdNr 43; Kannengießer in Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 13. Aufl 2014, Art 9 RdNr 23). Soweit das BVerfG ausgeführt hat, dass die Koalitionsfreiheit nach Art 9 Abs 3 GG - obwohl historisch vor allem den Arbeitnehmern vorenthalten und von diesen erstritten - nicht als Arbeitnehmer-Grundrecht ausgestaltet sei, hat es daran angeschlossen, dass das Grundrecht ebenso den Arbeitgebern zustehe (BVerfGE 84, 212, 224).
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Wären daher vom Schutzbereich des Art 9 Abs 3 GG nicht nur in erster Linie, sondern ausschließlich Arbeitnehmer und Arbeitgeber erfasst, könnten sich Vertragsärzte - sofern sie nicht in der Funktion eines Arbeitgebers betroffen sind - nicht auf dieses Grundrecht berufen. Der Vertragsarzt ist kein Arbeitnehmer (Sodan/Schaks, VSSR 2014, 89, 94 f; Zacher, ZfS 1966, 129, 158), sondern er übt einen freien Beruf aus (allg Ansicht, siehe zB Zacher, ZfS 1966, 129, 157; Sodan/Schaks, VSSR 2014, 89, 91; Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 18 RdNr 39 ff).
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Der Kläger kann - unabhängig davon, ob dieser Umstand überhaupt eine Geltung des Art 9 Abs 3 GG begründen könnte - auch nicht damit durchdringen, dass Vertragsärzte aufgrund des "vielfältigen Pflichtenkanons" des Vertragsarztrechts jedenfalls im Ergebnis Arbeitnehmern gleichzustellen seien. Der Begriff des "Arbeitnehmers" ist vor allem durch das Merkmal unselbstständiger Arbeit gekennzeichnet (Scholz aaO RdNr 178 mwN) und dieses Merkmal ist auch für den Arbeitnehmerbegriff des Art 9 Abs 3 GG maßgebend. Auch "arbeitnehmerähnliche Personen" unterfallen daher nur dann dem Schutzbereich des Art 9 Abs 3 Satz 1 GG, wenn sie persönliche Arbeitsleistungen in wirtschaftlicher Abhängigkeit erbringen (Sodan/Schaks, VSSR 2014, 89, 99; siehe auch Linsenmaier in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Aufl 2016, Art 9 GG RdNr 28). Diese Voraussetzungen erfüllen Vertragsärzte - ungeachtet gefühlter Abhängigkeiten - nicht ansatzweise (so im Ergebnis auch Uhlenbruck, RdA 1972, 327, 334). Es fehlt zweifelsfrei an der für unselbstständige Beschäftigungsverhältnisse kennzeichnenden persönlichen Abhängigkeit: Eine durch Handlungsfreiheit in beruflicher und persönlicher Hinsicht geprägte Tätigkeit ist gerade Wesensmerkmal einer Tätigkeit in freier Praxis im Sinne des § 32 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV(BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 37 f).
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(b) Aber auch wenn man davon ausgeht, dass auch Angehörige freier Berufe dem Grunde nach Koalitionen im Sinne des Art 9 Abs 3 GG bilden und koalitionsspezifische Rechte wahrnehmen könnten, erscheint es jedenfalls als sehr fernliegend, dass die durch Art 9 Abs 3 GG gewährleisteten koalitionsspezifischen Rechte und Betätigungen - insbesondere der Abschluss von Tarifverträgen sowie Arbeitskampfmaßnahmen wie Streik und Aussperrung - der Sache nach Anwendung auf das Handeln der Vertragsärzte finden können.
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Wesensmerkmal der durch Art 9 Abs 3 GG gewährleisteten Rechte ist es, dass zwischen den Beteiligten Verhandlungen über die "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" - hierzu gehören insbesondere das Arbeitsentgelt sowie die anderen materiellen Arbeitsbedingungen (BVerfGE 100, 271, 282 = SozR 3-4300 § 275 Nr 1 S 5 f, mwN)- geführt werden und beide Seiten die Möglichkeiten haben, ihre diesbezüglichen Vorstellungen ggf durch Arbeitskampfmaßnahmen durchzusetzen. Eine solche Konstellation besteht in Bezug auf das Verhältnis zwischen Vertragsärzten und KKen jedoch nicht:
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Zum einen stehen sich Vertragsärzte und KKen überhaupt nicht als ("Tarif"-)Vertragspartner oder Gegner gegenüber, weil es aufgrund der spezifischen Konstruktion des Vertragsarztrechts (siehe hierzu B.1.c.bb.) keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen zwischen Vertragsärzten und KKen gibt. Die maßgeblichen Verträge über die "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" werden zwischen den KKen bzw ihren Verbänden und den K(Z)ÄVen, der KÄBV bzw der KZÄBV geschlossen. Insbesondere wird die Höhe des vertragsärztlichen Honorars - in Form einer "Gesamtvergütung" - allein zwischen den KKen(-Verbänden) und den KÄVen verhandelt und vereinbart. Zwischen den Kontrahenten etwaiger "Kampfmaßnahmen" der Vertragsärzte und den die für das Vertragsarztrecht maßgeblichen "Arbeitsbedingungen" aushandelnden Vertragspartnern besteht mithin gerade keine Identität. Ein Streik, der sich nicht gegen einen Tarifvertragspartner wendet und kein Ziel verfolgt, das mit den Mitteln des "kollektiven Arbeitsrechts" regelbar wäre, stellt jedoch einen unzulässigen politischen Streik dar (vgl Linsenmaier in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Aufl 2016, Art 9 GG RdNr 119; Jarass aaO, Art 9 RdNr 40 mwN).
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Zum anderen sind auch die Verhandlungsspielräume der "eigentlichen" Vertragspartner - der KKen und KÄVen bzw ihrer Spitzenorganisationen - aufgrund ihrer Gesetzesbindung stark eingeschränkt. Namentlich bei der Bestimmung der Höhe der zu vereinbarenden Gesamtvergütung sind die Vertragspartner nicht frei; vielmehr enthält das Gesetz hierzu Vorgaben, die die Vertragspartner teilweise zwingend zu beachten, teilweise jedenfalls zu berücksichtigen haben. So bestimmt etwa § 87a Abs 3 Satz 2 SGB V für den vertragsärztlichen Bereich, dass die Vertragspartner zur Bestimmung der Höhe der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung den mit der Zahl und der Morbiditätsstruktur der Versicherten verbundenen Behandlungsbedarf als Punktzahlvolumen auf der Grundlage des einheitlichen Bewertungsmaßstabs zu vereinbaren haben. Für die vertragszahnärztliche Versorgung gibt § 85 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB V die Faktoren vor, die bei der Vereinbarung der Veränderung der Gesamtvergütung zu berücksichtigen sind; zu diesen gehört etwa der Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 SGB V). Selbst wenn sich die Vertragspartner über die gesetzlichen Vorgaben hinwegsetzen würden, stünde der Erreichung des ärztlichen "Kampfzieles" entgegen, dass die Partner der Kollektivverträge staatlicher Aufsicht unterliegen. Gemäß § 71 Abs 4 Satz 1 SGB V sind die Vereinbarungen über die Vergütung der Leistungen (ua) nach den §§ 83 und 85 SGB V den für die Vertragsparteien zuständigen Aufsichtsbehörden vorzulegen; diese können die Vereinbarungen bei einem Rechtsverstoß innerhalb von zwei Monaten nach deren Vorlage beanstanden (§ 71 Abs 4 Satz 2 SGB V).
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Schließlich fehlte es auch an der erforderlichen "Waffengleichheit" bzw einem "Verhandlungsgleichgewicht" (Kannengießer aaO RdNr 31) zwischen den Kontrahenten eines "Arbeitskampfes" der Vertragsärzte, weil den KKen anders als Arbeitgebern nicht die Möglichkeit der "Aussperrung" - im Sinne einer vorübergehenden Suspendierung des aus der Zulassung folgenden Rechts zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung - zukommt.
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(2) Für Art 11 Abs 1 EMRK gilt nichts anderes, da die Norm einen vergleichbaren Schutzbereich wie Art 9 Abs 3 GG aufweist. Danach hat jede Person das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen; dazu gehört auch das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten. Art 11 Abs 1 EMRK gewährleistet damit die Koalitionsfreiheit insoweit, als ausdrücklich das Recht eingeräumt wird, Gewerkschaften zum Schutz der Interessen der Mitglieder zu bilden und sich ihnen anzuschließen (Kluth in Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Stand August 2016, C Art 9 RdNr 142). So werden ua das Eintreten der Gewerkschaft für die Interessen ihrer Mitglieder und das Streikrecht als Mittel des Arbeitskampfes gewährleistet, wobei der in allen Konventionsstaaten bekannte Begriff der "Gewerkschaft" - als Zusammenschluss abhängig Beschäftigter zur Vertretung ihrer Interessen aus dem Beschäftigungsverhältnis - vorausgesetzt wird (Kluth aaO RdNr 143 mwN). Auch insoweit bestehen die in Bezug auf Art 9 Abs 3 GG dargestellten Zweifel an einer Anwendbarkeit der Norm auf "(Warn-)Streiks" von Vertragsärzten, ohne dass dies einer abschließenden Entscheidung bedarf.
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(3) Ebenfalls keiner Entscheidung bedarf es, ob das Verbot von Arbeitskampfmaßnahmen einen Eingriff in die durch Art 12 Abs 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit darstellt (in diesem Sinne Sodan/Schaks, VSSR 2014, 89, 110 f).
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bb. Unabhängig davon, ob sich Vertragsärzte überhaupt auf die angeführten Grund- und Menschenrechte berufen können, stellt der inzidente Ausschluss gegen die KK oder gegen die KÄV gerichteter streikähnlicher "Kampfmaßnahmen" durch das Vertragsarztrecht - nicht anders als die sechsjährige Wiederzulassungssperre nach § 95b Abs 2 SGB V(siehe hierzu BSGE 103, 243 = SozR 4-2500 § 95b Nr 2, RdNr 68 ff, 81)- eine verfassungsrechtlich unbedenkliche, zum Schutz der Stabilität der vertragsärztlichen Versorgung erforderliche Begrenzung des Art 9 Abs 3 GG, des Art 12 Abs 1 GG sowie des Art 11 Abs 1 EMRK dar.
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Die in Art 9 Abs 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit kann, obwohl sie ohne Gesetzesvorbehalt gewährt wird, zum Schutz von Rechtsgütern und Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden, denen gleichermaßen verfassungsrechtlicher Rang gebührt (stRspr, vgl BVerfGE 84, 212, 228; BVerfGE 100, 271, 283 = SozR 3-4300 § 275 Nr 1 S 6; BVerfGE 103, 293, 306; BVerfG
Beschluss vom 6.2.2007 - 1 BvR 978/05 - RdNr 23 - Juris = BVerfGK 10, 250, 256) ; hierzu gehört auch die finanzielle Stabilität und Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung (BVerfGE 103, 293, 306 f; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 14. Aufl 2016, Art 9 RdNr 53). Für Art 12 Abs 1 GG und für Art 11 Abs 1 EMRK gilt nichts anderes. Der durch ein Verbot von "Kampfmaßnahmen" der Vertragsärzte - vorliegend in der Form eines "Warnstreiks" - (ggf) bewirkte Eingriff in die genannten Grund- und Menschenrechte ist verfassungskonform, weil er wichtigen Gemeinwohlbelangen dient, zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele geeignet und erforderlich ist sowie insgesamt verhältnismäßig ist.
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(1) Die Verhinderung ärztlicher "Kampfmaßnahmen" dient gewichtigen Gemeinwohlbelangen, nämlich zum einen der Sicherstellung der Versorgung der gesetzlich Versicherten (siehe hierzu BVerfGE 103, 172, 184 = SozR 3-5520 § 25 Nr 4 S 27; BVerfG
SozR 4-1500 § 54 Nr 4 RdNr 16, 25) , zum anderen der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Systems der GKV (BVerfGE 68, 193, 218 = SozR 5495 Art 5 Nr 1 S 3; BVerfGE 103, 172, 184 f, 192 = SozR 3-5520 § 25 Nr 4 S 27, 32 f; BVerfGE 114, 196, 248 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9 RdNr 139; BVerfG SozR 4-2500 § 5 Nr 1 RdNr 24; BVerfGE 123, 186, 264 = SozR 4-2500 § 6 Nr 8 RdNr 233; zuletzt BVerfGBeschluss vom 26.9.2016 - 1 BvR 1326/15 - RdNr 43 - Juris; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 139; BSGE 98, 294 = SozR 4-2500 § 95b Nr 1, RdNr 34; siehe auch BVerfG SozR 4-2500 § 87 Nr 6 RdNr 13) . Neben ihrer Funktionsfähigkeit ist auch die finanzielle Stabilität des Systems der GKV bzw dessen Finanzierbarkeit als ein Gemeinwohlbelang von hohem Rang anerkannt (vgl BVerfGE 68, 193, 218 = SozR 5495 Art 5 Nr 1 S 3; BVerfGE 70, 1, 26, 29 = SozR 2200 § 376d Nr 1 S 8, 10; BVerfGE 82, 209, 230; BVerfGSozR 3-2500 § 34 Nr 1 S 4; BVerfG SozR 3-2500 § 73 Nr 3 S 17; BVerfGE 103, 172, 184 f, 192 = SozR 3-5520 § 266 Nr 9 S 27, 32; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 30 S 229; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 136; BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 1 RdNr 27; BSG SozR 4-5562 § 8 Nr 5 RdNr 22). Letztlich dient die Sicherung der finanziellen Stabilität der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Systems (vgl BVerfGE 123, 186, 264 = SozR 4-2500 § 6 Nr 8 RdNr 233).
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Das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG) enthält einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber; es verpflichtet ihn unter anderem, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze zu sorgen (BVerfGE 100, 271, 284 = SozR 3-4300 § 275 Nr 1 S 7 mwN). Dies gilt auch für den Bereich der GKV (vgl BVerfGE 123, 186, 263 = SozR 4-2500 § 6 Nr 8 RdNr 229). Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 9.12.2004 (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 134 ff) dargelegt hat, ist das bestehende System einer Gesundheitsversorgung durch ein Sozialversicherungssystem - dessen wesentlicher Bestandteil das Vertragsarztrecht ist - als solches nicht "beliebig", sondern in dieser oder ähnlicher Form geboten. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht frei, ob er ein System errichten und erhalten will, das allen oder zumindest der großen Mehrzahl der Bürger eine angemessene Versorgung im Krankheitsfall gewährleistet, sondern er hat auch einkommensschwachen Bevölkerungsteilen einen vollen Krankenversicherungsschutz zu moderaten Beiträgen zu ermöglichen (vgl BVerfGE 103, 172, 185 = SozR 3-5520 § 25 Nr 4 S 27). Unabhängig von der Ausgestaltung des Krankenversicherungssystems im Einzelnen besteht ein struktureller Gegensatz zwischen dem Ziel einer qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung zu bezahlbaren Konditionen und den Interessen der Leistungserbringer an möglichst hohen Einkünften aus ihrer Tätigkeit, der vom Gesetzgeber zum Ausgleich zu bringen ist (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 134, 140; siehe hierzu schon BVerfGE 103, 172, 185 = SozR 3-5520 § 25 Nr 4 S 27; siehe auch BVerfGE 101, 331, 348). Die Sicherung einer solchen angemessenen Versorgung zu bezahlbaren Konditionen ist ein Gemeinwohlbelang von überragender Wichtigkeit (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 134).
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Für die Einschränkung der Berufsausübung ist anerkannt, dass die Versorgung der Patienten als hohes Gut von öffentlichem Interesse die Regulierung der vertragsärztlichen Versorgung mit den daraus resultierenden Beschränkungen der Berufsfreiheit der Leistungserbringer legitimiert (BVerfG
SozR 4-1500 § 54 Nr 4 RdNr 16, 25) ; Rang und Gemeinwohlbedeutung der Funktionsfähigkeit der GKV sind dabei von solchem Gewicht, dass denjenigen, die ihre berufliche Tätigkeit in diesem System und unter seinem Schutz ausüben, stärkere Reglementierungen zugemutet werden können als anderen freiberuflich tätigen Personen, die in einem allein durch die Marktkräfte gesteuerten System arbeiten (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 139). Für eine (etwaige) Beschränkung des Rechts auf Koalitionsfreiheit gilt nichts anderes, da sich dieses Recht - wenn überhaupt - gerade aus der beruflichen Betätigung der Vertragsärzte ergibt.
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Die genannten Gemeinwohlbelange würden durch ärztliche "Kampfmaßnahmen" in Form von "Warnstreiks" oÄ beeinträchtigt: Zum einen würden "Kampfmaßnahmen" unmittelbar eine Störung der vertragsärztlichen Versorgung der GKV-Versicherten bewirken, weil die hieran teilnehmenden Vertragsärzte nicht für eine Versorgung zur Verfügung stünden. Zum anderen besteht die Gefahr, dass die "Kampfmaßnahmen" - ihrem Zweck entsprechend - zu Kostensteigerungen führen, sei es aufgrund überproportionaler Honorarsteigerungen für die Vertragsärzte oder zumindest für einzelne Gruppen von Vertragsärzten, sei es - wie vom Kläger im Rahmen seines "Warnstreiks" gefordert - als Folge eines durch "Kampfmaßnahmen" erzwungenen Honorarsystems mit festen Preisen und ohne irgendeine Form der Mengenbegrenzung; diese Kostensteigerungen wären wiederum geeignet, die finanzielle Stabilität der GKV zu beeinträchtigen. Eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Systems der GKV durch die mit den "Kampfmaßnahmen" verbundenen Engpässe in der Versorgung und absehbaren Ausgabenerhöhungen für die KKen wäre mit dem gesetzgeberischen Ziel und der sozialstaatlichen Verpflichtung, im Rahmen der GKV eine funktionsfähige und bedarfsgerechte Patientenversorgung zu bezahlbaren Preisen zu gewährleisten (BVerfGE 123, 186, 242 = SozR 4-2500 § 6 Nr 8 RdNr 171; BSGE 103, 243 = SozR 4-2500 § 95b Nr 2, RdNr 52; siehe schon BVerfGE 103, 172, 186 = SozR 3-5520 § 25 Nr 4 S 28), unvereinbar.
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(2) Der Eingriff in die verfassungsmäßigen Rechte der Vertragsärzte ist auch zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich. Eine Maßnahme ist geeignet, wenn der gewünschte Erfolg mit ihrer Hilfe gefördert werden kann, und sie ist erforderlich, wenn kein anderes, gleich wirksames, das betreffende Grundrecht nicht oder doch weniger fühlbar einschränkendes (milderes) Mittel zur Verfügung steht (vgl BVerfGE 63, 88, 115 = SozR 7610 § 1587b Nr 3 S 7; BVerfGE 70, 1, 28 = SozR 2200 § 376d Nr 1 S 10 mwN; BSGE 61, 1, 2 = SozR 2200 § 368a Nr 16 S 58; BSGE 103, 243 = SozR 4-2500 § 95b Nr 2, RdNr 72).
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Das "Streikverbot" für Vertragsärzte ist geeignet, die genannten Gemeinwohlbelange zu fördern: Unterbleiben "Warnstreiks" oder andere "Kampfmaßnahmen" der Vertragsärzte, weil die andernfalls drohenden Disziplinarmaßnahmen präventive Wirkung haben, oder weil jedenfalls die Möglichkeit besteht, pflichtwidrig handelnde Ärzte zu disziplinieren und ggf - im Extremfall - aus dem System auszuschließen, kommt es weder zu einer Störung in der Versorgung der Versicherten noch zu einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der GKV. Ebenso wird eine Gefährdung der finanziellen Stabilität der KKen durch überhöhte Honorarsteigerungen vermieden.
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Darüber hinaus ist das generelle Verbot vertragsärztlicher "Kampfmaßnahmen" und die damit verbundene Möglichkeit einer Sanktionierung abweichenden Verhaltens auch erforderlich, weil keine milderen Mittel erkennbar sind. Insbesondere genügt es nicht, lediglich solche "Warnstreiks" auszuschließen, die ohne vorherige Information der Versicherten und ohne ausreichenden "Notdienst" durchgeführt werden, weil sich - ausgehend von einer gebotenen Versorgung der Versicherten durch alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte - jede nicht gerechtfertigte Versorgungsunterbrechung als Störung des Systems der vertragsärztlichen Versorgung darstellt (siehe hierzu schon
) ; die Organisation eines "Notdienstes" und die Information der Patienten über behandlungsbereite Ärzte ändert hieran nichts.
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(3) Schließlich ist der Eingriff auch im engeren Sinne verhältnismäßig, da bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (zu diesen Anforderungen vgl BVerfGE 103, 1, 10 mwN; vgl auch BVerfGE 100, 271, 286 = SozR 3-4300 § 275 Nr 1 S 9 sowie BVerfG SozR 4-2500 § 135 Nr 16 RdNr 14 = BVerfGK 17, 381, 386; BSGE 103, 243 = SozR 4-2500 § 95b Nr 2, RdNr 75), bzw Eingriffszweck und Eingriffsintensität in einem angemessenen Verhältnis stehen (so zB BVerfGE 123, 186, 238 f = SozR 4-2500 § 6 Nr 8 RdNr 165).
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Der mit dem "Streikverbot" für Vertragsärzte verfolgte Zweck, der auf eine Verhinderung der Systemgefährdung gerichtet ist (vgl zu diesem Maßstab BVerfG
Beschluss vom 26.9.2016 - 1 BvR 1326/15 - RdNr 44 - Juris) , und die Intensität des Eingriffs in die Rechte des Klägers stehen in einem angemessenen Verhältnis zueinander: Leistungserbringer innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung profitieren einerseits von den Vorteilen des öffentlich-rechtlichen Systems des Vertragsarztrechts, müssen im Interesse der Funktionsfähigkeit und Finanzierbarkeit des Systems unter Umständen aber auch Einschränkungen hinnehmen, die ihnen das Berufsrecht nicht abverlangt (BVerfG SozR 4-2500 § 135 Nr 2 RdNr 29; BSGE 88, 20, 24 = SozR 3-2500 § 75 Nr 12 S 70; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 135).
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Wer aus diesem System Nutzen zieht, indem er davon lebt, muss zum Erhalt des Systems auch Eingriffe ertragen, die ein Unternehmen, dass sich auf dem Markt behaupten muss, nicht hinnehmen müsste (Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, § 13 RdNr 11 mwN). Dies gilt umso mehr, als Vertragsärzte die Möglichkeit haben, sich für oder gegen die Eingliederung in das System der GKV in Kenntnis der damit für sie verbundenen Vor- und Nachteile zu entscheiden (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 135). Mit der Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit akzeptiert der Vertragsarzt - oder hat es zumindest hinzunehmen -, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit gewissen Beschränkungen unterworfen ist; die Option, von den Vorteilen des Systems zu profitieren, aber ansonsten nach Marktgesetzen agieren zu können, steht Vertragsärzten nicht zu.
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Der erkennende Senat wie auch das BVerfG haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit die Teilhabe an einem umfassenden Leistungssystem der GKV ermöglicht, von dem auch die Leistungserbringer profitieren (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 135, 139; siehe hierzu auch BVerfGE 103, 172, 185 f = SozR 3-5520 § 25 Nr 4 S 27 f; BVerfG SozR 3-2500 § 73 Nr 3 S 17). Mit dem Erwerb des besonderen Status eines Vertragsarztes sind verschiedene Begünstigungen verbunden: So wird ihm der Zugang zum Kreis der GKV-Versicherten als potentielle Patienten eröffnet und es werden ihm sichere, insolvenzgeschützte und auch auskömmliche Einnahmen von öffentlich-rechtlichen Institutionen als Schuldnern gewährt (BSGE 88, 20, 24 = SozR 3-2500 § 75 Nr 12 S 70); sie sind - anders als viele andere freiberuflich tätige Berufsgruppen - durch ihre öffentlich-rechtlichen Vergütungsansprüche gegen die KÄVen davor geschützt, ihre erbrachten Leistungen nicht, nicht vollständig oder nicht in angemessener Zeit honoriert zu bekommen, was ihnen ein hohes Maß an Planungssicherheit gewährleistet (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 135).
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Innerhalb dieses Systems sind Vertragsärzte aufgrund von Zulassungsbeschränkungen, insbesondere aber aufgrund des ihnen eingeräumten Vorrangs im Bereich der ambulanten ärztlichen Versorgung, weitgehend gegen Konkurrenz geschützt (vgl BVerfG
SozR 4-1500 § 54 Nr 4 RdNr 21) . Externe Anbieter - insbesondere Krankenhäuser - erhalten in der Regel nur bei Vorliegen eines nicht durch die am System beteiligten Leistungserbringer gedeckten Bedarfs Zugang hierzu. Zudem können sich Vertragsärzte im Wege der defensiven Konkurrentenklage gegen das Hinzutreten weiterer Leistungserbringer wehren, sofern der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber demjenigen des Anfechtenden nachrangig ist (stRspr, vgl BSGE 98, 98 = SozR 4-1500 § 54 Nr 10; BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4; BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16, RdNr 19; BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3, RdNr 19). Nicht zuletzt sind die Vertragsärzte durch das Kollektivvertragssystem davor geschützt, als Einzelne und im Wettbewerb mit anderen Ärzten die Vertragsbedingungen mit marktstarken KKen aushandeln zu müssen.
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Den Interessen der Vertragsärzte an einer angemessenen Vergütung der von ihnen innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung erbrachten Leistungen trägt § 72 Abs 2 SGB V Rechnung. Danach ist die vertragsärztliche Versorgung ua so zu regeln, dass die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet werden. Die Einhaltung dieses zwingenden gesetzlichen Gebots der Angemessenheit der Vergütung (siehe hierzu schon BSGE 68, 291, 296 = SozR 3-1500 § 54 Nr 7 S 16)können die Vertragsärzte gerichtlich klären lassen. Speziell den Vertragsärzten wird aus ihrer Tätigkeit für die Versicherten der KKen seit Jahrzehnten und bis heute ein Einkommen ermöglicht, das weit über dem Durchschnittseinkommen der pflichtversicherten Arbeitnehmer liegt (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 135; in diesem Sinne schon BVerfGE 103, 172, 192) und auch bei einem Vergleich mit anderen Berufsgruppen mit akademischer Qualifikation eine Spitzenstellung gewährt.
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Angesichts der Unvereinbarkeit ärztlicher "Kampfmaßnahmen" mit dem System des Vertragsarztrechts und der durch diese bewirkten Störung des Systems der Gesundheitsversorgung stellt sich das systemimmanente Verbot ärztlicher "Kampfmaßnahmen" als vergleichsweise geringfügiger Eingriff in die Rechte der Vertragsärzte dar. Diese werden durch ein "Streikverbot" keineswegs schutzlos gestellt, weil durch die gesetzlich vorgeschriebenen Schlichtungsverfahren in ausreichendem Umfang sichergestellt ist, dass ihre Interessen Berücksichtigung finden. Der Ausschluss von "Kampfmaßnahmen" ist daher Vertragsärzten ohne Weiteres zumutbar, weil es dieser zur Durchsetzung ihrer legitimen Interessen nicht bedarf. Sofern Vertragsärzte der Auffassung sind, dass sich die sie vertretende KÄV in den Verhandlungen mit den KKen als zu nachgiebig erweist, haben sie die Möglichkeit, über die Wahlen zur Vertreterversammlung Einfluss auf die Organe der KÄV zu nehmen.
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2. Der Kläger handelte auch schuldhaft. Die Feststellung der Beklagten, dass der Kläger zumindest grob fahrlässig gehandelt hat, begegnet keinen Bedenken. Der Umstand, dass ein vertragsärztlicher Pflichtenverstoß begangen wurde, verliert nicht dadurch an Bedeutung, dass der Betroffene in Unkenntnis war oder sich in einem Irrtum über die Rechtslage befand bzw dass zur Zulässigkeit einer konkreten Verhaltensweise noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorlag (BSG Urteil vom 14.3.2001 - B 6 KA 67/00 R - Juris RdNr 27 = MedR 2002, 47 = USK 2001-126; BSG Beschluss vom 15.8.2012 - B 6 KA 13/12 B - Juris RdNr 12).
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3. Schließlich ist der Bescheid der Beklagten auch hinsichtlich der ausgewählten Disziplinarmaßnahme nicht zu beanstanden. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Unabhängig davon erscheint ein Verweis als die "zweitmildeste" Disziplinarmaßnahme ("Tadel") zur Ahndung des Pflichtenverstoßes angemessen.
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C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach hat der Kläger die Kosten des erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).
Tenor
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
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Im Streit steht die Rückforderung vertragsärztlichen Honorars für die Quartale IV/1996 bis I/2001.
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Der Kläger nahm bis zum 30.6.2004 als Radiologe an der vertragsärztlichen Versorgung in S. teil. Zunächst - ab 1.7.1989 bis zum 30.9.1996 - führte er eine Gemeinschaftspraxis mit Dr. B., welcher auf seine Zulassung zum 30.9.1996 verzichtete. Unter dem 17.7.1996 schloss der Kläger mit dem Arzt für Radiologische Diagnostik und für Strahlentherapie Dr. H. sowie dem Arzt für Radiologische Diagnostik Dr. M. einen "Gesellschaftsvertrag über die Errichtung einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis". Danach war vorgesehen, dass Dr. B. nach seinem Ausscheiden seine Geschäftsanteile an Dres. H. und M. verkaufen und diese an seiner Stelle in die Gemeinschaftspraxis eintreten sollten. Als Hauptsitz der Gemeinschaftspraxis wurde S. bestimmt; weitere Praxisteile sollten in V. und im Krankenhaus W. betrieben werden. An Gewinnen und Verlusten sowie am Anlagevermögen waren der Kläger zu ½, die beiden anderen Ärzte zu je ¼ beteiligt. Zum geschäftsführenden Gesellschafter wurde der Kläger bestimmt. Gemäß "Gesellschafterbeschluss" vom 17.7.1996 war die Aufnahme eines weiteren Partners - "voraussichtlich" des zu 2. beigeladenen Dr. Ph. - vorgesehen (Nr 16a des Beschlusses). Der vierte Partner sollte sich gemäß Ziff 18a des Beschlusses "KV-rechtlich im Außenverhältnis ab 1.10.1996 niederlassen, und zwar offiziell in Gemeinschaftspraxis mit Dr. P.
"; mit ihm sollte ein "Probejahr (freie Mitarbeit)" vereinbart werden (Nr 18b).
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Am 30.7.1996 schlossen die "Gemeinschaftspraxis" Dres. P., H. und M. sowie der Beigeladene zu 2. sodann einen sogenannten Kooperationsvertrag. Dieser beinhaltete im Wesentlichen, dass der Beigeladene zu 2. ab dem 1.10.1996 bis zum Ablauf einer Probezeit als "freier Mitarbeiter" der "Gemeinschaftspraxis" tätig werden sollte. Nach beiderseits befriedigendem Ablauf der Probezeit sollte der Mitarbeiter am 1.10.1997 "partnerschaftlich eingebunden werden, und zwar bei Herstellung paritätischer Gesellschaftsanteile" (Ziff 6a der Präambel des Vertrages). Auf ein Mitarbeiterverhältnis waren auch die Detailregelungen (Zahlung eines Festgehalts ua) ausgerichtet. Ein "ggf. dem Zulassungsausschuss vorzulegender Vertrag" sollte zwischen den Vertragsparteien keine eigene Rechtswirkung entfalten (Ziff 2c der Präambel). Nach Ziff 6b der Präambel sollte der Mitarbeiter "im Außenverhältnis" den Gemeinschaftspraxis-Anteil des ausscheidenden Partners Dr. B. "erwerben" (Satz 1), aber hieraus keine Rechte herleiten können (Satz 2). Ebenso war bestimmt, dass der Vertragsarztsitz "der Praxis gehört" und bei "Ausscheiden ohne Gemeinschaftspraxis-Eintritt … vom freien Mitarbeiter … unentgeltlich (formal) zu übertragen" ist (Satz 4).
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Der Beigeladene zu 2. bewarb sich auf den zur Nachbesetzung ausgeschriebenen Vertragsarztsitz von Dr. B. und wurde vom Zulassungsausschuss zum 1.10.1996 als Facharzt für Diagnostische Radiologie für den Vertragsarztsitz S. zugelassen. Zugleich genehmigte der Zulassungsausschuss den Antrag des Klägers sowie des Beigeladenen zu 2. auf Führung einer Gemeinschaftspraxis. Dres. H. und M. erhielten die Genehmigung zum Führen einer Gemeinschaftspraxis in V. Zu der im Kooperationsvertrag vorgesehenen partnerschaftlichen Einbindung des Beigeladenen zu 2. in die durch Dres. P. (Kläger), H. und M. gebildete "Gemeinschaftspraxis" kam es in der Folgezeit nicht. Insbesondere nahm er nach den Feststellungen des LSG im streitgegenständlichen Zeitraum nicht an Gesellschafterversammlungen teil. Unstimmigkeiten zwischen den beteiligten Ärzten führten dazu, dass die zwischen dem Kläger und Dres. H. und M. bestehende Gesellschaft zum 31.12.2001 beendet wurde. Die zu 1. beigeladene "Gemeinschaftspraxis" wurde zum 31.3.2001 beendet.
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Die Beigeladene zu 1. rechnete als "Gemeinschaftspraxis Dr. P./Dr. Ph." Leistungen ab, die in der Praxis in S. und in einem ausgelagerten, mit einem CT-Gerät ausgestatteten Praxisteil im Kreiskrankenhaus S. erbracht worden waren. In den Quartalen IV/1996 bis I/2001 erhielt sie Honorarzahlungen in einer Gesamthöhe von 4 145 507,66 DM. Mit inhaltlich identischen, sowohl an den Kläger als auch an den Beigeladenen zu 2. adressierten Bescheiden vom 30.11.2001 - dem Kläger am 5.12.2001 zugestellt - hob die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) die Honorarbescheide für die Quartale IV/1996 bis I/2001 auf und forderte die in diesen Quartalen ihres Erachtens zu Unrecht gezahlten Honorare in Höhe von insgesamt 1 785 135,03 DM (von der Beklagten in 880 578,27 Euro umgerechnet) zurück. Beide Ärzte hätten die Genehmigung zur gemeinschaftlichen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch vorsätzlich falsche Angaben über die gesellschaftsrechtliche Beteiligung erlangt. Die Höhe des neu festzusetzenden Honorars des Klägers sei unter Zugrundelegung des Fachgruppendurchschnitts ermittelt worden.
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Der hiergegen vom Kläger eingelegte Widerspruch blieb erfolglos. Auf Antrag des Klägers hat das LSG mit Beschluss vom 13.8.2002 (L 3 KA 161/02 ER) die aufschiebende Wirkung des Widerspruches insgesamt angeordnet. Auf die Klage des Klägers hat das SG die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und dies damit begründet, für die Rechtmäßigkeit der Honorarrückforderung komme es allein auf die eingereichten Sammelerklärungen an. Diese seien jedenfalls im Hinblick auf die Leistungserbringung nicht "falsch" (Urteil vom 13.10.2004).
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Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Richtigstellungs- und Rückforderungsbescheid sei rechtmäßig, auch wenn er an den Kläger und den Beigeladenen zu 2., nicht jedoch an die zu 1. beigeladene "Gemeinschaftspraxis" gerichtet gewesen sei. Der Bescheid erweise sich auch inhaltlich als rechtmäßig. Eine Abrechnung sei auch dann falsch, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit, in deren Rahmen die Leistungen erbracht worden seien, nicht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der vertragsärztlichen Versorgung ausgeübt worden sei. Dies gelte auch für den Fall der Leistungserbringung durch eine nur formal bestehende Gemeinschaftspraxis.
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Für die Rechtmäßigkeit der Honorargewährung komme es nicht nur auf die formelle Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung an, sondern der Vertragsarzt müsse vielmehr auch materiell berechtigt sein, Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung zu erbringen. Daher sei die Beklagte berechtigt, im Falle eines Gestaltungsmissbrauchs der Rechtsformen vertragsärztlicher Kooperation die Honorarabrechnungen der beteiligten Ärzte sachlich-rechnerisch richtig zu stellen. Dies gelte auch für Fälle, in denen nach außen hin eine Gemeinschaftspraxis mit entsprechender Genehmigung des Zulassungsausschusses betrieben worden sei, die Genehmigung aber nicht hätte erteilt werden dürfen oder hätte widerrufen werden müssen, weil eine gemeinschaftliche Berufsausübung nie gewollt gewesen oder später nicht mehr realisiert worden sei. Dieser Fall sei vorliegend gegeben, denn die Beigeladene zu 1. sei ungeachtet ihrer formellen Genehmigung keine Gemeinschaftspraxis gewesen, weil der Beigeladene zu 2. tatsächlich als angestellter Arzt tätig geworden sei.
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Unverzichtbar für die Annahme einer Tätigkeit in "freier Praxis" sei, dass dem Gesellschafter Mitgliedschaftsrechte in Form von Mitwirkungsrechten, insbesondere Stimmrechten, durch den Gesellschaftsvertrag eingeräumt würden, weil ansonsten nicht angenommen werden könne, dass der Arzt den Einsatz der der Praxis zugeordneten sachlichen und persönlichen Mittel selbst bestimme. Dem Beigeladenen zu 2. seien weder nach Vertragslage noch tatsächlich Mitwirkungsmöglichkeiten an den zentralen, die Struktur der Praxis in S. bestimmenden Entscheidungen eingeräumt worden. Hierüber hätten allein der Kläger und die Dres. H. und M. in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter der GbR, die die wirkliche Trägerin der Praxis in S. und V. gewesen sei, befunden. Der Beigeladene zu 2. sei nie in die Gesellschaft aufgenommen worden und habe insbesondere an keiner Gesellschafterversammlung teilgenommen. Dass er bei seiner Arbeit in der CT-Außenstelle selbstständig habe arbeiten können, ändere daran nichts, da die GbR über die Rechtsmacht verfügt habe, sich im Konfliktfall gegen den Beigeladenen zu 2. durchzusetzen. Dieser sei zudem weder an Gewinnen noch Verlusten der Praxis beteiligt gewesen, sondern habe ein festes Gehalt bezogen. Auch eine Beteiligung am Vermögen der Gemeinschaftspraxis habe zu keiner Zeit vorgelegen.
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Die Beklagte habe die sachlich-rechnerischen Richtigstellungen in Anknüpfung an die in den strittigen Quartalen unrichtigen Sammelerklärungen durchführen dürfen. Den Kläger treffe auch ein Verschulden, zumindest im Sinne grober Fahrlässigkeit. Er habe aufgrund der Verträge wissen müssen, dass der Beigeladene zu 2. in Wirklichkeit nur die Stellung eines unselbstständig tätigen Assistenten inne gehabt habe. Bei der Neufestsetzung des Honorars sei die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die vom Beigeladenen zu 2. erarbeiteten Honorare zu Unrecht ausgezahlt worden seien. Die Schätzung der verbleibenden Honorare anhand der durchschnittlichen Einnahmen einer radiologischen Einzelpraxis bewege sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Urteil vom 17.12.2008, MedR 2009, 497 = GesR 2009, 206).
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Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht. Die bundesmantelvertraglichen Bestimmungen über die sachlich-rechnerische Richtigstellung von Honorarforderungen stellten keine ausreichende Rechtsgrundlage für die streitbefangene Honorarrückforderung dar, da die abgerechneten Leistungen entsprechend den Vorgaben des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen erbracht und abgerechnet worden seien. Die Beklagte mache vielmehr einen vermeintlichen "sonstigen Schaden" geltend. Der Anwendung der Regelungen über die sachlich-rechnerische Richtigstellung stehe im Übrigen die Drittbindungswirkung der ihm - dem Kläger - und dem Beigeladenen zu 2. erteilten Gemeinschaftspraxis-Genehmigung entgegen. Diese Genehmigung habe statusbegründenden Charakter. Die Kompetenz der Zulassungsgremien sei abschließend und lückenlos; auch die Beklagte sei an deren Entscheidung gebunden. Diese Kompetenzverteilung und die daraus resultierende Drittbindungswirkung könne die Beklagte nicht dadurch umgehen, dass sie einseitig im Wege der Aufhebung erteilter Honorarbescheide ihre Ansicht durchzusetzen versuche.
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Selbst wenn man unterstelle, dass der Vertrag über die Gemeinschaftspraxis vertragsarztrechtlich bedenklich sei, könne ihm - dem Kläger - als juristischem Laien, der einen solchen Vertrag unter fachlicher Beratung durch einen bundesweit anerkannten Spezialisten auf dem Gebiet des Vertragsarztrechts abgeschlossen habe, nicht der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs gemacht werden. Die Frage der fehlerhaften Vertragsgestaltung sei erst in das Blickfeld der Beklagten gerückt, nachdem gegen den beratenden Rechtsanwalt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei, das mit einer Verurteilung geendet habe. Der Vertrag sei von ihm - dem Kläger - freiwillig vorgelegt worden; nur dadurch habe die Beklagte Kenntnis von diesem erhalten. Dies spreche gegen die ihm unterstellte Absicht der Irreführung.
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Im Übrigen sei der Beigeladene zu 2. in "freier Praxis" tätig gewesen; er habe den ausgelagerten Praxisteil am Krankenhaus S. selbstständig und eigenverantwortlich geführt. Der Kooperationsvertrag stehe den Anforderungen einer Tätigkeit in "freier Praxis" nicht entgegen. Der Beigeladene zu 2. habe seine Tätigkeit frei und eigenverantwortlich ausgeübt, habe Beginn, Dauer und Ende seiner Tätigkeit frei bestimmt und über den Einsatz des nichtärztlichen Personals verfügt. Unzutreffend sei auch, dass der Beigeladene zu 2. an keiner Gesellschafterversammlung teilgenommen habe. Unabhängig davon hätte das LSG den Beteiligten einen Hinweis darauf geben müssen, dass es seine Entscheidung wesentlich auf die Feststellung stützen wolle, dass sich aus den Protokollen der Gesellschafterversammlungen eine Mitwirkung des Beigeladenen zu 2. nicht ergebe. Das LSG habe dies jedoch nicht getan und so den Beteiligten keine Möglichkeit gegeben, diesbezüglich Beweis anzutreten. Das Fehlen einer Beteiligung am Gesellschaftsvermögen vermöge ebenso wenig wie eine feste Gewinnbeteiligung und der Ausschluss einer Verlustbeteiligung die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Arztes zu gefährden. Eine unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte der Gesellschafter sei jedenfalls für eine Übergangszeit des "Kennenlernens" von in der Regel drei Jahren - aber auch darüber hinaus - zulässig.
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Wie das BVerfG entschieden habe, sei der Begriff des "freien Berufes" ein soziologischer Begriff und kein eindeutiger Rechtsbegriff, aus dem präzise normative Wirkungen abgeleitet werden könnten. Es obliege dem Gesetzgeber, die Merkmale eines "freien" Berufs im Einzelnen festzulegen und damit das Berufsbild zu fixieren. Die Unbestimmtheit des § 32 Abs 1 Satz 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) lasse eine Auslegung, die konkrete Anforderungen an die Vertragsgestaltung stelle, um so weniger zu, als die Regelung damit in die Nähe einer Berufszugangsregelung gerückt werde. Schließlich verstoße § 32 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV in der Auslegung des LSG gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG, wenn sich Partner einer Gemeinschaftspraxis einem drohenden Honorarregress bereits dadurch entziehen könnten, dass sie ihre internen vertraglichen Regelungen geheim hielten. Schließlich scheide, da der angefochtene Bescheid dem Kläger am 5.12.2001 zugestellt worden sei, eine sachlich-rechnerische Richtigstellung von Quartalsbescheiden, die vor dem 5.12.1997 ergangen seien, aus.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 17.12.2008 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hannover vom 13.10.2004 zurückzuweisen.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Insbesondere stehe der sachlich-rechnerischen Richtigstellung keine "Drittbindungswirkung" durch die vom Zulassungsausschuss erteilte Gemeinschaftspraxisgenehmigung entgegen. Denn die angefochtenen Bescheide hätten keinen Einfluss auf den Zulassungsstatus des Klägers. Sie - die Beklagte - sei berechtigt, das Honorar einer Scheingemeinschaftspraxis in der Weise zu reduzieren, dass die einzelnen Ärzte so behandelt würden, als wären sie in einer Einzelpraxis tätig gewesen. Es liege ein offenkundiger Rechtsmissbrauch vor, wenn bereits in der Präambel des Kooperationsvertrages bestimmt werde, dass ein ggf dem Zulassungsausschuss vorzulegender Vertrag keine Bindungswirkung entfalten werde. Die behauptete gleichberechtigte Mitwirkung des Beigeladenen zu 2. an Entscheidungen werde durch die vorliegenden Unterlagen widerlegt. Dessen Befragung vor dem LSG habe ergeben, dass er noch nicht einmal Kenntnis gehabt habe, wann die regulären Gesellschafterversammlungen stattgefunden hätten. Für Fälle von Abrechnungsbetrug gelte die vierjährige Verjährungsfrist nicht.
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Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat seine Klage zu Recht unter Aufhebung des Urteils des SG abgewiesen. Die Beklagte hat die der Beigeladenen zu 1. erteilten Honorarbescheide zu Recht aufgrund sachlich-rechnerischer Richtigstellung teilweise aufgehoben und von den an ihr beteiligten Ärzten zu viel gezahltes Honorar zurückverlangt. Sie hat den Rückforderungsbetrag auch der Höhe nach zutreffend berechnet.
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1. Die Entscheidung des LSG ist verfahrensfehlerfrei zustande gekommen. Soweit der Kläger rügt, das Berufungsgericht habe den Beteiligten einen Hinweis darauf geben müssen, es werde seine Entscheidung wesentlich auf die Feststellung stützen, dass sich aus den Protokollen eine Mitwirkung des Beigeladenen zu 2. an Entscheidungen über "Praxisangelegenheiten" nicht ergebe, macht er einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Sinne einer Überraschungsentscheidung geltend. Eine Überraschungsentscheidung liegt nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfGE 84, 188, 190; BVerfGE 86, 133, 144 f; BVerfGE 98, 218, 263; zuletzt BVerfG
, Beschluss vom 7.10.2009 - 1 BvR 178/09 - juris RdNr 8) wie auch des BSG (BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 4 S 23; BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 17)dann vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht.
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Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, denn Art 103 Abs 1 GG begründet keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts (stRspr des BVerfG, vgl BVerfGE 66, 116, 147; BVerfGE 84, 188, 190; BVerfGE 86, 133, 144; BVerfG
, Beschluss vom 27.11.2008 - 2 BvR 1012/08 - juris RdNr 6). Prozessbeteiligte - insbesondere anwaltlich vertretene - müssen grundsätzlich von sich aus alle vertretbaren Gesichtspunkte in Betracht ziehen und sich in ihrem Vortrag darauf einstellen (BVerfGE 86, 133, 144 f; BVerfGE 98, 218, 263; BSG SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 18 mwN). Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll lediglich verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (BSG Urteil vom 11.11.2003 - B 2 U 32/02 R - NZS 2004, 660 ff unter Hinweis auf BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN). Dementsprechend liegt keine unzulässige Überraschungsentscheidung vor, wenn die betroffene Sach- oder Rechtsfrage bereits Gegenstand von Äußerungen der Beteiligten des Verfahrens war, das zu der angegriffenen Entscheidung führte (BVerfG,, Beschluss vom 12.7.2006 - 2 BvR 513/06 - BVerfGK 8, 376) . So liegt es auch hier, denn die Frage einer Tätigkeit des Beigeladenen zu 2. in "freier Praxis" - für deren Beantwortung ggf auch eine Beteiligung an Gesellschafterversammlungen Bedeutung haben kann - hat von Beginn des Verfahrens an im Mittelpunkt der rechtlichen Auseinandersetzung gestanden.
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2. Die Beklagte hat die allgemeinen Vorgaben für eine Richtigstellung der Abrechnungen der Beigeladenen zu 1. beachtet.
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a) Rechtsgrundlage der aufgrund sachlich-rechnerischer Richtigstellung erfolgten Aufhebung der Honorarbewilligungen für die Quartale IV/1996 bis I/2001 sind hier noch § 45 Abs 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte bzw § 34 Abs 4 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä)(für Zeiträume ab 1.1.2004 vgl nunmehr § 106a SGB V idF des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190).
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Nach diesen im Wesentlichen gleichlautenden Vorschriften hat die KÄV von Amts wegen oder auf Antrag einer Krankenkasse die Befugnis, die von Vertragsärzten eingereichten Abrechnungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und nötigenfalls richtig zu stellen (stRspr, vgl BSGE 89, 90, 93 f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 6; BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 5 RdNr 13). Dies kann auch im Wege nachgehender Richtigstellung erfolgen (stRspr, vgl BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 4 RdNr 10 mwN; BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr 6, RdNr 11). Aus diesen Bestimmungen ergibt sich weiter, dass der Vertragsarzt das Honorar, das ihm nach sachlich-rechnerischer Abrechnungskorrektur nicht mehr zusteht, erstatten muss (BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, RdNr 11; BSGE 103, 1 = SozR 4-2500 § 106a Nr 7, RdNr 13).
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b) Der Anwendung dieser bundesmantelvertraglichen Regelungen steht nicht entgegen, dass vorliegend nicht Abrechnungsverstöße im engeren Sinne - etwa der fehlerhafte Absatz von Gebührennummern - in Rede stehen. Zwar geht es bei der sachlich-rechnerischen Richtigstellung vor allem um die Auslegung und Anwendung der Gebührenordnungen (s schon BSGE 42, 268, 270 = SozR 2200 § 368n Nr 9, S 21 f), jedoch hat der Senat die entsprechenden bundesmantelvertraglichen Vorschriften in ständiger Rechtsprechung umfassend verstanden.
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Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertrags(zahn)arztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots -, erbracht und abgerechnet worden sind (BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 4 RdNr 10; BSGE 102, 134 = SozR 4-2500 § 295 Nr 2, RdNr 15; s schon BSG SozR 5557 Nr 5451 Nr 1 S 2). Dies entspricht den Formulierungen in den zu § 106a SGB V erlassenen Richtlinien(vgl § 3 Abs 1 und 2 iVm § 4 der Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KÄVen und der Krankenkassen, DÄ 2004, A 2555 bzw A 3135; § 5 Abs 1 iVm Abs 3 der Richtlinien der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen nach § 106a SGB V, zm 2008, S 111 ff).
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Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarforderung auf bundesmantelvertraglicher Rechtsgrundlage besteht danach nicht nur im Falle rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler, sondern erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat (BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr 6, RdNr 11). Dementsprechend hat der Senat in seiner Rechtsprechung das Rechtsinstitut der sachlich-rechnerischen Richtigstellung zB bei der Abrechnung fachfremder Leistungen (vgl ua BSGE 93, 170 = SozR 4-2500 § 95 Nr 8; BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 1)oder qualitativ mangelhafter Leistungen angewandt, aber auch bei Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten (BSG SozR 3-5525 § 32 Nr 1 S 3 f)sowie bei der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs mit Hilfe eines Assistenten (BSG SozR 4-5520 § 32 Nr 2), bei der Abrechnung von Leistungen, die nach stationärer Aufnahme erbracht werden (BSG SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 8; s hierzu auch die Nachweise bei BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr 6, RdNr 11),bei der Nichtbeachtung der bereichsspezifischen Vorschriften zur Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung im Rahmen der vertragsärztlichen Abrechnung (BSGE 102, 134 = SozR 4-2500 § 295 Nr 2, RdNr 15)und schließlich bei einem Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen (BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr 6; zuletzt BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 17/07 B - juris).
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Die Beklagte hat die sachlich-rechnerische Richtigstellung daher zu Recht darauf stützen dürfen, dass sich die Beigeladene zu 1. durch die angeblich gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit des Klägers mit dem Beigeladenen zu 2. vertragsärztliches Honorar verschafft hat, das sie - bzw der Kläger in Einzelpraxis - bei Beachtung der vertragsärztlichen Pflichten nicht hätte erzielen können. Diesen auf pflichtwidriger Verhaltensweise beruhenden Honoraranteil darf die KÄV sachlich-rechnerisch richtig stellen und insoweit bereits ausgezahltes Honorar zurückfordern. Sie ist nicht darauf beschränkt, den Pflichtenverstoß disziplinarisch zu ahnden und/oder auf die Entziehung der Zulassung hinzuwirken (BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr 6, RdNr 12).
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c) Die Beklagte war auch berechtigt, eine Honorarrückforderung - statt gegenüber der zu 1. beigeladenen "Gemeinschaftspraxis" - gegenüber dem Kläger geltend zu machen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide, die Quartale betreffen, in denen eine Praxis als Gemeinschaftspraxis (jetzt Berufsausübungsgemeinschaft) geführt wurde, nicht an die Gemeinschaftspraxis, sondern nur an einen der Partner gerichtet wurden (vgl BSGE 89, 90, 93 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 6). Die Partner einer Gemeinschaftspraxis können jeder für sich in Anspruch genommen werden (BSGE 89, 90, 92 f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 5; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16).
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Zum anderen rechtfertigt sich der an den Kläger gerichtete Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid auch dadurch, dass eine Gemeinschaftspraxis lediglich pro forma bestand. Weil dies materiell-rechtlich die Zusammenarbeit zweier in "freier Praxis" tätiger Ärzte voraussetzt, der Beigeladene zu 2. jedoch in Wirklichkeit lediglich als Angestellter des Klägers (bzw der "Gesellschaft") tätig war (s dazu unter 3. b cc), war der Kläger somit tatsächlich in Einzelpraxis tätig. Die Beklagte ist - jedenfalls in Bezug auf die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen - nicht an lediglich formal bestehende, materiell-rechtlich jedoch rechtswidrige Statusentscheidungen gebunden (s unter 3. c). "Vertragspartner" der Beklagten war daher der Kläger, so dass auch die Rückabwicklung im Verhältnis Kläger-Beklagte zu erfolgen hat.
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3. Die Beklagte war auch in der Sache berechtigt, die Abrechnungen der "Gemeinschaftspraxis" für die streitgegenständlichen Quartale richtig zu stellen. Denn die "Gemeinschaftspraxis", der (auch) der Kläger angehörte, hat in dieser Zeit Leistungen abgerechnet, die im Widerspruch zu bindenden Vorgaben des Vertragsarztrechts erbracht wurden. Die vom Zulassungsausschuss genehmigte, aus ihm und dem zu 2. beigeladenen Arzt Dr. Ph. bestehende Gemeinschaftspraxis existierte tatsächlich nicht. Dr. Ph. war lediglich als Angestellter des Klägers tätig, und die Genehmigung zur Beschäftigung eines angestellten Arztes hatte die Beklagte nicht erteilt.
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Die vertraglich zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 2. vereinbarte Kooperation erfüllte die Voraussetzungen des § 33 Abs 2 Satz 1 Ärzte-ZV nicht, weil der zu 2. beigeladene Dr. Ph. nicht in freier Praxis im Sinne des § 32 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV tätig war. Über die berufliche und persönliche Selbstständigkeit, die für die Ausübung der Tätigkeit des Vertragsarztes in "freier Praxis" erforderlich ist, verfügte Dr. Ph. zu keinem Zeitpunkt. Dieser Arzt trug nach den Vereinbarungen zwischen ihm und dem Kläger das wirtschaftliche Risiko der Praxis nicht mit und war in keiner Weise am Wert der Praxis beteiligt, die durch seine Tätigkeit mit geschaffen wurde. Jedenfalls soweit beides explizit ausgeschlossen ist, wird die ärztliche Tätigkeit nicht mehr in freier Praxis ausgeübt.
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a) Nach § 33 Abs 2 Satz 1 Ärzte-ZV ist die gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit zulässig unter allen zugelassenen Leistungserbringern. Das setzt die (auch materiell rechtmäßige) Zulassung eines jeden einzelnen Mitglieds der Gemeinschaftspraxis voraus (vgl Engelmann, ZMGR 2004, 3, 10). Schon hieran fehlt es. Denn der Beigeladene zu 2. war - wie das LSG zutreffend festgestellt hat - bereits nicht als Arzt in freier Praxis, sondern tatsächlich als "freier Mitarbeiter" tätig. Da das Vertragsarztrecht den Typus des "freien Mitarbeiters" nicht kennt, ist der Beigeladene zu 2. vertragsarztrechtlich als "angestellter Arzt" bzw als "Assistent" zu qualifizieren. Derartige Tätigkeiten sind nur mit entsprechender Genehmigung zulässig; daran fehlte es jedoch.
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b) Nach § 32 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV hat der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in "freier Praxis" auszuüben. Dies war dem Beigeladenen zu 2. gesellschaftsvertraglich nicht möglich, und er hat es auch tatsächlich nicht getan.
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aa) Der Begriff der "freien Praxis" ist nicht zu unbestimmt, um hieraus Anforderungen an die vertragsärztliche Tätigkeit abzuleiten. Dem steht auch nicht die Aussage des BVerfG entgegen, dass der (vergleichbare) Begriff "freier Beruf" kein eindeutiger Rechtsbegriff, sondern ein soziologischer Begriff sei, der aus einer bestimmten gesellschaftlichen Situation erwachsen sei und aus dem sich keine präzise normative Wirkungen ableiten ließen (BVerfGE 10, 354, 364). Abgesehen davon, dass das BVerfG diese Aussagen getätigt hat, um der (gegenteiligen) Auffassung entgegenzutreten, dieser Begriff beinhalte einen spezifischen, gesteigerten Gehalt an Freiheit (vgl BVerfG aaO), unterscheidet sich die Situation vornehmlich dadurch, dass der ähnliche Begriff der "freien Praxis" vorliegend nicht im allgemeinen - "soziologischen" - Sinne gebraucht wird, sondern durch die Regelungen in § 32 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV wie auch in § 98 Abs 2 Nr 13 SGB V ("nach den Grundsätzen der Ausübung eines freien Berufes …") normativen Gehalt bekommen hat. Darüber hinaus ist der Begriff der "freien Praxis" durch zahlreiche Entscheidungen des BSG weiter konkretisiert worden (s unter 3. b bb).
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Im Übrigen hat auch das BVerfG in verschiedenen Entscheidungen den Kerngehalt dieses Begriffes dahingehend umschrieben, dass der Arztberuf durch ein hohes Maß an eigener Verantwortlichkeit und eigenem Risiko in wirtschaftlicher Beziehung charakterisiert sei (BVerfGE 9, 338, 351). Das Berufsbild der freiberuflich Tätigen trage im Ganzen den "unternehmerischen Zug", der auf Selbstverantwortung, individuelle Unabhängigkeit und eigenes wirtschaftliches Risiko gegründet sei (BVerfGE 10, 354, 369). Der frei praktizierende Arzt habe die freie Verfügung über die eigene Arbeitskraft, könne insbesondere seine Arbeitszeit frei einteilen, er trage aber auch das volle wirtschaftliche Berufsrisiko (BVerfGE 16, 286, 294). Mithin wird eine Tätigkeit in "freier Praxis" unzweifelhaft durch die Merkmale individuelle Unabhängigkeit und Tragung des wirtschaftlichen Risikos konkretisiert.
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bb) Was für eine Tätigkeit persönlich in freier Praxis im Sinne des § 32 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV - im Gegensatz zu einem Angestelltenverhältnis im Sinne des § 32b Ärzte-ZV - erforderlich ist, hat das BSG in seinen Urteilen vom 16.3.1973 (BSGE 35, 247 = SozR Nr 1 zu § 5 EKV-Ärzte = NJW 1973, 1435), vom 16.7.2003 (BSG SozR 4-5520 § 33 Nr 2)und vom 28.11.2007 (BSGE 99, 218 = SozR 4-2500 § 103 Nr 3)vorgezeichnet. Das Merkmal erfordert mehr, als nach den §§ 705 ff BGB für die Stellung als Gesellschafter erforderlich ist. Die vertragsärztliche Tätigkeit muss in beruflicher und persönlicher Selbstständigkeit gesichert sein; erhebliche Einflussnahmen Dritter müssen ausgeschlossen sein; insbesondere darf nicht in Wahrheit ein verstecktes Angestelltenverhältnis vorliegen (BSGE 99, 218 = SozR 4-2500 § 103 Nr 3, RdNr 26, anknüpfend an BSG SozR 4-5520 § 33 Nr 2; vgl auch BSGE 91, 164 RdNr 17, 18 = SozR 4-5520 § 33 Nr 1 RdNr 16, 17; - jeweils betreffend Gemeinschaftspraxis). Zur erforderlichen eigenverantwortlichen Gestaltung ärztlicher Tätigkeit gehört es, dass der Arzt ein wirtschaftliches Risiko trägt, insoweit es maßgebend von seiner Arbeitskraft abhängen muss, in welchem Umfang seine freiberufliche Tätigkeit Einkünfte erbringt (BSGE 35, 247, 252 = SozR Nr 1 zu § 5 EKV-Ärzte = NJW 1973, 1435, 1437 - betreffend Facharzt für Laboratoriumsmedizin). Zudem muss der Arzt die Befugnis haben, den medizinischen Auftrag nach eigenem Ermessen zu gestalten sowie über die räumlichen und sächlichen Mittel, ggf auch über den Einsatz von Hilfspersonal zu disponieren oder jedenfalls an der Disposition mitzuwirken (BSGE 35, 247, 250 = NJW 1973, 1435, 1436; BSGE 76, 59, 64 = SozR 3-5520 § 20 Nr 1 S 7; BSGE 80, 130, 132 f = SozR 3-5520 § 20 Nr 2 S 13).
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Somit beinhaltet die Tätigkeit in "freier Praxis" zum einen eine wirtschaftliche Komponente - die Tragung des wirtschaftlichen Risikos wie auch eine Beteiligung an den wirtschaftlichen Erfolgen der Praxis - und zum anderen eine ausreichende Handlungsfreiheit in beruflicher und persönlicher Hinsicht.
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Für das Maß an Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit, das einem Arzt bei der von ihm bei seinem Antrag auf Zulassung geplanten und dann ausgeübten vertragsärztlichen Tätigkeit verbleibt, können zivilrechtliche Vereinbarungen, die er bezogen auf die Arztpraxis getroffen hat, Bedeutung haben. Dies gilt nicht nur für Gemeinschaftspraxen (hierzu s BSGE 99, 218 = SozR 4-2500 § 103 Nr 3, RdNr 25 f), sondern auch in anderen Fällen, etwa dann, wenn einem Arzt die Praxisräume und -ausstattung von einem anderen zur Verfügung gestellt werden und dieser sich erhebliche Einflussmöglichkeiten auf die Praxisausstattung und den Praxisbetrieb vorbehält. In solchen Fällen ist es Aufgabe der Zulassungsgremien, aber ggf auch der Sozialgerichte und der KÄVen, die zivilrechtlichen Verhältnisse in die Überprüfung einzubeziehen (hierzu zuletzt BSGE 99, 218 = SozR 4-2500 § 103 Nr 3, RdNr 26 mwN).
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cc) Die dargestellten Voraussetzungen einer Tätigkeit in "freier Praxis" waren im Falle des Beigeladenen zu 2. schon nicht gegeben, als er zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen wurde. Sie sind angesichts der gescheiterten Aufnahme in die "Gesellschaft" ebenso wenig während seiner anschließenden Tätigkeit eingetreten. Der Beigeladene zu 2. trug nämlich zu keinem Zeitpunkt ein erkennbares wirtschaftliches Risiko (1) und war an der Verwertung des von ihm erarbeiteten Praxiswerts nicht beteiligt (2). Ob er darüber hinaus auch in seiner Dispositionsfreiheit eingeschränkt war, bedarf keiner abschließenden Entscheidung (3).
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(1) Das Erfordernis, dass es beim Vertragsarzt "maßgebend von seiner Arbeitskraft abhängen" muss, in welchem Umfang seine freiberufliche Tätigkeit Einkünfte erbringt (BSGE 35, 247, 252 = SozR Nr 1 zu § 5 EKV-Ärzte = NJW 1973, 1435, 1437), ihn also im positiven wie im negativen Sinne die Chance und das Risiko des beruflichen Erfolges oder Misserfolges persönlich treffen müssen, ist der Notwendigkeit geschuldet, den Status des Vertragsarztes von dem Status des angestellten Arztes abzugrenzen. Nur dann ist das Merkmal beruflicher und persönlicher Selbstständigkeit gegeben und liegt nicht ein (verstecktes) Angestelltenverhältnis vor. Dies bedeutet insbesondere, dass der Vertragsarzt nicht wie ein Angestellter nur ein Festgehalt erhalten darf. Vielmehr muss ihm maßgeblich der Ertrag seiner vertragsärztlichen Tätigkeit zugute kommen, ebenso wie ein eventueller Verlust zu seinen Lasten gehen muss. Dieses Erfordernis muss von Anbeginn der vertragsärztlichen Tätigkeit erfüllt sein, kann mithin nicht für die Dauer einer "Probezeit" suspendiert werden.
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Diese Teilhabe an Gewinn und Verlust der laufenden Praxistätigkeit kann nicht allein auf den Kapitaleinsatz bezogen werden, der bei der ärztlichen Tätigkeit nicht die ausschlaggebende Rolle spielt, wie der Senat bereits in einer früheren Entscheidung (Urteil vom 16.3.1973 - BSGE 35, 247, 252 = SozR Nr 1 zu § 5 EKV-Ärzte = NJW 1973, 1435, 1436 f ) ausgeführt hat. Fehlender wirtschaftlicher Erfolg einer Praxis wirkt sich im Übrigen vor allem in Gestalt einer Reduzierung des sogenannten Unternehmerlohns aus, weil die laufenden Praxiskosten nicht sogleich einem Umsatzrückgang angepasst werden können, und kann auch zum Auflaufen von Verbindlichkeiten führen. Ob im Übrigen die Gewichtung von Kapitaleinsatz und persönlicher Arbeitskraft des Arztes, die im Urteil vom 16.3.1973 zum Ausdruck kommt, heute im Zuge der Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der vertragsärztlichen Tätigkeit anders vorgenommen werden müsste, bedarf hier keiner Entscheidung.
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Diese Voraussetzungen lagen, wie vom LSG zutreffend festgestellt, nicht vor:
Nach dem - die Rahmenbedingungen für das Tätigwerden des Beigeladenen zu 2. in der "Gemeinschaftspraxis" regelnden - Kooperationsvertrag sollte der Beigeladene zu 2. kein wirtschaftliches Risiko tragen (Ziff 2a und b der Präambel zum Kooperationsvertrag); gemäß § 4 des Vertrages erhielt er ein Festgehalt("regelmäßige Vergütung pro Arbeitswoche"). Die "Abrechnung von Privat- und Kassenpatienten" oblag allein "den Praxisinhabern" (§ 5 Abs 1 des Vertrages); zudem war der Beigeladene zu 2. "im Innenverhältnis" von allen Honorarkürzungs- und Regressansprüchen freigestellt (§ 2 Abs 6 des Vertrages). Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese - eine "Mitunternehmerschaft" des Beigeladenen zu 2. in Bezug auf die Einkünfte ausschließenden - Regelungen in der Folgezeit nicht mehr gegolten haben. Denn zu dessen avisierten Eintritt in die von Dres. P., H. und M. gebildete Gesellschaft ist es unzweifelhaft nicht gekommen, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG bestätigt hat. Der Beigeladene zu 2. hat bekräftigt, dass es bis 2001 bei den im V