Bundesgerichtshof Urteil, 07. Juli 2015 - X ZR 64/13

bei uns veröffentlicht am07.07.2015
vorgehend
Bundespatentgericht, 5 Ni 58/11, 12.03.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X Z R 6 4 / 1 3 Verkündet am:
7. Juli 2015
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Bitratenreduktion
Im Patentnichtigkeitsverfahren ist die Sache im Falle der Aufhebung des patentgerichtlichen
Urteils durch den Bundesgerichtshof regelmäßig zu neuer
Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen, wenn
dieses eine Erstbewertung des Standes der Technik unter dem Gesichtspunkt
der Patentfähigkeit noch nicht vorgenommen hat.
BGH, Urteil vom 7. Juli 2015 - X ZR 64/13 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Juli 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die
Richter Dr. Grabinski, Hoffmann und Dr. Deichfuß sowie die Richterin
Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12. März 2013 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Patentgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des am 10. September 1987 angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten und vor Klageerhebung durch Zeitablauf erloschenen europäischen Patents 260 748 (Streitpatents ). Es nimmt Prioritäten vom 13. September 1986, 8. November 1986 und 23. Mai 1987 in Anspruch und umfasst 17 Patentansprüche, von denen Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat: "Verfahren zur Bitratenreduktion bei der Codierung eines Signals mit einer Folge von Signalwerten, das einen am häufigsten, in ununterbrochenen Teilfolgen vorkommenden, bestimmten Signalwert (A) enthält und aus denen eine Folge von Huffman-Codeworten gebildet wird, dadurch gekennzeichnet, dass wenigstens ein Huffman-Codewort - entweder aus einem anderen Signalwert und aus einer nachfolgenden , ununterbrochenen Teilfolge des bestimmten Signalwertes (A), wenn diese vorhanden ist, - oder aus einem anderen Signalwert und aus einer vorangehenden , ununterbrochenen Teilfolge des bestimmten Signalwertes (A), wenn diese vorhanden ist, gebildet wird und dass bei der Bildung der Folge der Codeworte nur die vorangehenden oder nur die nachfolgenden Teilfolgen des bestimmten Signalwertes (A) mit dem anderen Signalwert verwendet werden."
2
Die Klägerinnen, die sich Ansprüchen aus dem Streitpatent ausgesetzt sehen, machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und sei darüber hinaus nicht patentfähig.
3
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Ziel einer Klageabweisung weiterverfolgt. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung von neun Hilfsanträgen. Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


4
Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht zur Prüfung der Patentfähigkeit.
5
I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Bitratenreduktion für die Codierung von Bild- oder Videodaten.
6
1. Nach dem im Streitpatent referierten Stand der Technik werden Videosignale so codiert, dass Videobilder mit möglichst geringer Bitrate in ausreichender Qualität übertragen werden können. Die Codierung erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst werden gleichgroße Blöcke von Abtastwerten der Bildpunkte einer diskreten Cosinus-Transformation unterworfen, so dass ein neuer Block von Zahlenwerten (Koeffizienten) entsteht. In diesem Block hat in der Regel der überwiegende Teil der Koeffizienten den Wert 0 oder nahezu 0. Wegen dieser Häufigkeit des Werts 0 werden die Koeffizienten Huffman-codiert und dabei ununterbrochene Teilfolgen des Werts 0 als ein einziges "Ereignis" für die Bildung von Huffman-Codeworten verwendet. Bei der Huffman-Codierung werden häufig auftretende Ereignisse mit kurzen und weniger häufig auftretende Ereignisse mit längeren Codeworten codiert. Unter den Codeworten ist keines der Beginn eines anderen, so dass es trotz unterschiedlicher Länge keines Präfixes bedarf, das den Beginn eines neuen Codeworts signalisierte. Insgesamt ergibt sich daraus eine Bitratenreduktion.
7
2. Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Codierverfahren anzugeben , das zu einer weiteren Bitratenreduktion für Bilddaten führt.
8
3. Zur Lösung schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 ein Verfahren zur Bitratenreduktion mit folgenden Merkmalen vor [in eckigen Klammern die Gliederung des Patentgerichts]: 1. Es wird ein Signal mit einer Folge von Signalwerten codiert [1.1, 1.2 a]. 2. In dieser Folge von Signalwerten gibt es einen bestimmten Signalwert A, der am häufigsten und in ununterbrochenen Teilfolgen vorkommt [1.2 b]. 3. Aus den Signalwerten wird eine Folge von HuffmanCodeworten wie folgt gebildet [1.3]: 3.1 Es wird wenigstens ein Huffman-Codewort gebildet [1.4] 3.1.1 entweder aus einem anderen Signalwert und aus einer nachfolgenden ununterbrochenen Teilfolge des bestimmten Signalwertes (A), wenn diese vorhanden ist, [1.4 a] 3.1.2 oder aus einem anderen Signalwert und aus einer vorangehenden ununterbrochenen Teilfolge des bestimmten Signalwertes (A), wenn diese vorhanden ist. [1.4 b] 3.2 Bei der Bildung der Folge der Codeworte werden [1.5] 3.2.1 nur die vorangehenden Teilfolgen [1.5 a] oder 3.2.2 nur die nachfolgenden Teilfolgen [1.5 b] des bestimmten Signalwertes (A) mit dem anderen Signalwert verwendet.
9
4. Einige Merkmale bedürfen der näheren Erläuterung:
10
a) Die Merkmalsgruppe 3.1 hat nicht die ihr vom Patentgericht zugemessene Bedeutung.
11
aa) Im Zusammenhang mit der Prüfung einer unzulässigen Erweiterung hat das Patentgericht angenommen, da der am häufigsten vorkommende Signalwert A in ununterbrochenen Teilfolgen vorkomme ("vgl. Merkmal 2"), sei deren Länge zwangsläufig größer Null. Nach den Merkmalen 3.1.1 und 3.1.2 sollten jedoch nur andere Signalwerte zusammen mit vorhandenen, ununterbrochenen Teilfolgen des bestimmten Signalwerts A codiert werden. Die Merkmalsgruppe 3.1 lasse mithin offen, wie Ereignisse codiert würden, bei denen einem solchen anderen Signalwert kein Signalwert A vorausgehe beziehungsweise nachfolge. Auch den weiteren Merkmalen des Patentanspruchs 1 sei hierzu keine Definition zu entnehmen. Die Codierung von Ereignissen, bei denen die Teilfolge des Signalwerts A die Länge 0 aufweise, sei vielmehr in das Belieben des Fachmanns gestellt. Der Beschreibung sei zwar zu entnehmen, dass auch solche Ereignisse als zu codierende Ereignisse behandelt werden. Indessen habe diese Vorschrift keinen Eingang in den Patentanspruch gefunden. Aus fachmännischer Sicht erscheine es nicht abwegig, nicht alle HuffmanCodeworte gemäß der Bildungsregel der Merkmalsgruppe 3.1 zu bilden, sondern eine Teilmenge der Codeworte nach einer hiervon abweichenden Bildungsregel zu generieren.
12
bb) Dies rügt die Berufung zu Recht als rechtsfehlerhaft.
13
Der Sinngehalt eines Merkmals ist mit Blick darauf zu ermitteln, was mit dem Merkmal aus der Sicht des Fachmanns im Hinblick auf die Erfindung erreicht werden soll. Dabei können der allgemeine wie auch der übliche fachliche Sprachgebrauch Anhaltspunkte für das Verständnis des Fachmanns geben. Mit Rücksicht darauf, dass Begriffe in einer Patentbeschreibung abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch benutzt werden können, ist letztlich aber der sich aus dem Gesamtzusammenhang der Patentschrift ergebende Begriffsinhalt maßgeblich. Für einen Rückgriff auf den allgemeinen Sprachgebrauch ist umso weniger Raum, je mehr der Inhalt der Patentschrift auf ein abweichendes Verständnis hindeutet. Die Beschreibung des Patents kann Begriffe eigenständig definieren und insoweit ein "patenteigenes Lexikon" darstellen. Auch der Grundsatz , dass bei Widersprüchen zwischen Anspruch und Beschreibung der Anspruch Vorrang genießt, weil dieser und nicht die Beschreibung den geschützten Gegenstand definiert und damit auch begrenzt, schließt nicht aus, dass sich aus der Beschreibung und den Zeichnungen ein Verständnis des Patentanspruchs ergibt, das von demjenigen abweicht, das der bloße Wortlaut des Anspruchs vermittelt. Funktion der Beschreibung ist es, die geschützte Erfindung zu erläutern. Im Zweifel ist daher ein Verständnis der Beschreibung und des Anspruchs geboten, das beide Teile der Patentschrift nicht in Widerspruch zueinander bringt, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Patent zur Verfügung gestellten technischen Lehre als eines sinnvollen Ganzen versteht. Nur wenn und soweit dies nicht möglich ist, ist der Schluss gerechtfertigt, dass aus Teilen der Beschreibung keine Schlussfolgerungen in Bezug auf den geschützten Gegenstand gezogen werden dürfen (BGH, Urteile vom 12. Mai 2015 - X ZR 43/13, juris Rn. 16 - Rotorelemente; vom 9. Juni 2015 - X ZR 101/13, juris Rn. 26 - Polymerschaum II, jeweils mwN).
14
Das Streitpatent erzielt die angestrebte weitere Bitratenreduktion dadurch , dass als zu codierendes Ereignis nicht die ununterbrochene Folge von Signalwerten A (im Folgenden auch: Signalwerten 0, denn dies ist der häufigste Fall, Sp. 3 Z. 33 bis 36), sondern diese Folge und zusätzlich der nachfolgende (alternativ der vorangehende, wobei diese Alternative im Folgenden zur Vereinfachung außer Betracht bleibt) andere Signalwert behandelt werden. Denn hierfür ergeben sich andere, der Bitratenreduktion günstige Wahrscheinlichkeiten (Sp. 4 Z. 30 bis 43).
15
Die Beschreibung fasst dies, bevor sie auf Einzelheiten des Ausführungsbeispiels eingeht, dahin zusammen, dass das Auftreten einer ununterbrochenen Teilfolge von Nullen und des sich dieser Teilfolge anschließenden Koeffizienten als ein zu codierendes Ereignis angesehen werde, wie der erfindungsgemäßen Lehre zu entnehmen sei. Unmittelbar im Anschluss hieran fügt sie hinzu, wichtig sei, dass auch das Auftreten keiner Null vor einem von Null verschiedenen Koeffizienten - also das Auftreten einer Teilfolge der Länge 0 - als zu codierendes Ereignis behandelt werde (Sp. 3 Z. 37 bis 45). So verfährt auch das Ausführungsbeispiel; das häufigste Ereignis in der Tabelle der Figur 3, das demgemäß das kürzeste Codewort erhält, wird durch eine Teilfolge der Länge 0 und den Koeffizienten 1 gebildet.
16
Eine Lesart des Merkmals 3.1, wonach - entsprechend den Ausführungen des Patentgerichts - eine Behandlung von Koeffizienten mit einer vorangehenden Teilfolge der Länge 0 im Patentanspruch keinen Niederschlag gefunden habe, vernachlässigt, dass es bei der Merkmalsgruppe 3 nicht nur darum geht, wie (mindestens) ein Codewort gebildet wird, sondern wie die "Folge von Huffman -Codeworten" gebildet wird (Merkmal 3 ["Oberbegriff"]). Dies wird durch Merkmal 3.2 weiter verdeutlicht, nach dem bei der Bildung der Folge der Codeworte nur die vorangehenden Teilfolgen des Signalwerts 0 mit dem anderen Signalwert verwendet werden. Demnach ist es nicht nur "wichtig", wie die Beschreibung hervorhebt, sondern unumgänglich, dass auch der Fall berücksich- tigt wird, in dem die Teilfolge die Länge 0 hat. Die Formulierung "wenn diese vorhanden ist" in Merkmal 3.1.2 besagt somit nur, dass in das Codewort der Wert des "anderen" Signalwerts und die Länge > 0 der ununterbrochenen Teilfolge mit Nullwerten eingeht und lediglich der Wert des "anderen" Signalwerts, wenn keine solche Folge vorausgeht. Dies bedeutet zugleich, dass das Codewort in diesem Fall für den "anderen" Signalwert steht, dem keine Teilfolge mit Nullwerten (oder eine solche mit der Länge 0) vorangeht.
17
Dabei handelt es sich nicht um eine Spezialität des Ausführungsbeispiels , sondern um ein generelles Problem, für das an dieser Stelle der Beschreibung die erfindungsgemäße Lösung gezeigt wird. Diese Lösung betrifft deshalb den Patentanspruch insgesamt und ist für seine Auslegung mit zu berücksichtigen.
18
Die Vorgabe, mindestens ein Huffman-Codewort nach dieser Vorschrift zu bilden, erklärt sich daraus, dass nach Patentanspruch 2 dem HuffmanCodewort ein Zusatzcodewort angehängt werden kann, wenn die Teilfolge eine vorgegebene Länge oder der zugeordnete andere Signalwert einen vorgegebenen Betrag überschreitet, und es nach Patentanspruch 3 möglich ist, eine Wertefolge in Abschnitte zu zerlegen und jedem Abschnitt ein Huffman-Codewort zuzuordnen.
19
b) In der Merkmalsgruppe 3.2 stehen die Merkmale 3.2.1 und 3.2.2 in einer Entweder-oder-Beziehung zueinander. Das Wort "nur" jeweils zu Beginn der Merkmale bringt zum Ausdruck, dass in einem Verfahren nur das eine Merkmal oder nur das andere Merkmal zur Anwendung kommt, mithin nicht beide Varianten gemeinsam zur Anwendung kommen können.
20
c) Als ein Verfahren zur Bitratenreduktion ist der Gegenstand des Streitpatents auf digitale Werte beschränkt. Bitfolgen oder -ströme, die reduziert werden könnten, setzten digitale Daten voraus.
21
d) Merkmal 1 ist dahin zu verstehen, dass jeder Wert in einem Signal ein Signalwert ist. Welche inhaltliche Bedeutung diesem Wert zukommt, ist irrelevant.
22
II. Das Patentgericht hat angenommen, das Streitpatent gehe in der erteilten und allen weiteren verteidigten Fassungen über den Inhalt der Anmeldung hinaus.
23
1. Den ursprünglichen Unterlagen sei die Merkmalsgruppe 3.1 nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen. Der Fall einer Teilfolge der Länge 0 sei dort - anders als in Patentanspruch 1 - nicht offen gelassen, vielmehr definiert geregelt, und es sei als wichtig hervorgehoben worden, dass auch eine ununterbrochene Teilfolge mit der Länge 0 zusammen mit einem davor oder dahinter liegenden, vom Signalwert (A) verschiedenen Koeffizienten als ein zu codierendes Ereignis behandelt werde.
24
2. Weiterhin sei die Merkmalsgruppe 3.2 den ursprünglichen Unterlagen nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen. Sie bestimme, dass für die Bildung der Huffman-Codeworte nur eine der beiden Varianten nach Merkmal 3.1 verwendet werden könne und daran für das komplette zu codierende Signal festgehalten werden müsse. Die ursprünglichen Unterlagen ließen hingegen beide Varianten nebeneinander zu. In dem für die Anmeldung formulierten Patentanspruch 1 sei am Ende lediglich formuliert worden: "… dass jeder ununterbrochenen Teilfolge von Signalwerten A mit der Länge 0, 1, 2 usw. zusammen mit dem sich der Teilfolge an- schließenden Signalwert oder zusammen mit dem der Teilfolge vorangehenden Signalwert ein Huffman-Codewort zugeordnet wird."
25
Die mit der Merkmalsgruppe 3.2 festgeschriebene Exklusivität der Verwendung von stets nur einer der beiden Varianten finde in diesen ursprünglichen Unterlagen weder eine wortgetreue noch eine sinngemäße Stütze. Für die ursprünglich offenbarten Ausführungsbeispiele sei zwar nur eine solche exklusive Verwendung einer der beiden Varianten gezeigt worden. Gleichwohl sei dem Fachmann bewusst, dass er die Mannigfaltigkeit der zu codierenden Ereignisse auf die Menge der vorangehenden und der nachfolgenden Teilfolgen zusammen mit jeweils einem anderen Signalwert erweitern und die statistischen Signifikanzen dieser größeren Mannigfaltigkeit für die Bildung der HuffmanCodeworte heranziehen könne. Die ursprünglich offenbarten Beispiele würden das Verständnis des Fachmanns in keiner Weise beschränken.
26
III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.
27
1. Patentanspruch 1 geht mit der Fassung der Merkmalsgruppe 3.1 nicht über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinaus. Die Auslegung ergibt, wie ausgeführt, dass auch von einem anderen Signalwert, dem keine Teilfolge des Signalwerts (A) vorangeht beziehungsweise nachfolgt, stets einzeln ein Huffman-Codewort zu bilden ist. Dies entspricht der erfindungsgemäßen Lehre, wie sie schon in der Patentanmeldung beschrieben wurde.
28
2. Patentanspruch 1 geht auch nicht mit der Merkmalsgruppe 3.2 über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus.
29
Das Ausführungsbeispiel in der Anmeldung des Streitpatents (Anl. K4) zeigt - wie das Patentgericht zutreffend feststellt - ausschließlich eine Codie- rung, bei der ununterbrochene Teilfolgen des Signalwerts 0 mit der Länge 0, 1, 2 … zusammen mit sich daran anschließenden, also nachfolgenden anderen Signalwerten als ein Ereignis für die Bildung von Huffman-Codeworten zusammengefasst werden (K4, Sp. 3 Z. 15 bis 20). Dieses Ausführungsbeispiel offenbart damit das Merkmal 3.2.1 in Bezug auf eine Codierung gemäß Merkmal 3.1.2.
30
Eine Mischung der Codierung, bei der für einen Teil der anderen Signalwerte eine Kombination mit vorangehenden Teilfolgen und für den restlichen Teil eine Kombination mit nachfolgenden Teilfolgen des Signalwerts (A) vorgenommen wird, wird in der Anmeldung nicht erörtert.
31
Der in der Anmeldung formulierte Patentanspruch 1 offenbarte mit seinem kennzeichnenden Teil dem Fachmann eindeutig und unmittelbar, dass nicht nur eine Kombination des anderen Signalwerts mit vorangehenden Teilfolgen , sondern auch eine Kombination mit nachfolgenden Teilfolgen des Signalwerts (A) für die Bildung der Huffman-Codeworte als Ereignis zugrunde gelegt werden kann. Das Verfahren für eine Kombination mit nachfolgenden Teilfolgen des Signalwerts (A) ist in der Anmeldung nicht anhand eines konkreten Ausführungsbeispiels erläutert. Die Alternative am Ende des in der Anmeldung formulierten Patentanspruchs 1, eine Kombination mit nachfolgenden Teilfolgen des Signalwerts (A) vorzunehmen, war für den Fachmann somit dahin zu verstehen , hierfür ebenso vorzugehen wie in dem beschriebenen Verfahren für eine Kombination mit vorangehenden Teilfolgen mit der einzigen Abweichung, für diese Kombination die Reihenfolge der ununterbrochenen Teilfolge des Signalwerts (A) und des daran angrenzenden anderen Signalwerts zu vertauschen. Dieses sich aus dem in der Anmeldung formulierten Patentanspruch ergebende Verständnis bedurfte keiner weiteren Erläuterung durch ein weiteres Ausfüh- rungsbeispiel, sondern erschloss sich aus der Formulierung des Patentanspruchs in der Anmeldung unmittelbar.
32
Ob der Fachmann darüber hinaus der Angabe im beantragten Patentanspruch auch entnahm, beide Varianten mischen zu können, also HuffmanCodeworte zu bilden, denen sowohl Kombinationen anderer Signalwerte mit vorangehenden Teilfolgen als auch Kombinationen mit nachfolgenden Teilfolgen der Signalwerte (A) zugrunde liegen, und beides in einem Signalpaket zuverlässig decodierbar vereinen zu können, kann offen bleiben. Ein solches Verfahren wäre eine zusätzliche Variante, die die Beklagte im Prüfungsverfahren sodann nicht weiterverfolgte, indem sie sich mit der Merkmalsgruppe 3.2 auf eine ausschließliche Verwendung eine der beiden Alternativen ohne Mischformen beschränkte. Da diese beiden Alternativen als zur Erfindung gehörend in der Anmeldung offenbart waren, begründet eine solche Beschränkung keine unzulässige Erweiterung.
33
IV. Das Urteil des Patentgerichts ist auch nicht deshalb im Ergebnis zutreffend , weil Patentanspruch 1 in anderer Hinsicht eine unzulässige Erweiterung enthielte.
34
Merkmal 1 führt nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus , indem das zu codierende Signal lediglich eine Folge von Signalwerten umfassen und nicht ausschließlich aus solchen Werten bestehen müsste.
35
In dem in der Anmeldung formulierten Patentanspruch 1 wird dieses Merkmal zwar dahin beschrieben, dass das Signal "aus einer Folge von digital dargestellten Signalwerten besteht".
36
Soweit darin die Signalwerte mit dem Adjektiv "digital" beschrieben werden , ist dies unschädlich. Auch wenn dieses Wort im erteilten Patentanspruch nicht vorkommt, ist das Verfahren aufgrund seiner Funktion zur Bitdatenreduktion auf digital dargestellte Werte beschränkt.
37
Soweit die Formulierung des Patentanspruchs 1 in der Anmeldung mit den Worten "besteht aus" eine abschließende Aufzählung beschreibt (vgl. BGH, Urteile vom 12. Juli 2011 - X ZR 75/08, GRUR 2011, 1109 Rn. 37 - Reifenabdichtmittel ; vom 5. Mai 2015 - X ZR 60/13, juris - Verdickerpolymer), ergibt sich daraus keine Diskrepanz zu Merkmal 1 von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung. Auch in der erteilten Fassung ist dieses Merkmal dahin zu verstehen, dass jeder Wert in einem Signal einen Signalwert darstellt.
38
V. Da das Patentgericht - nach seinem Ausgangspunkt konsequent - sich mit der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents nicht befasst hat, ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Patentgericht zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 2 und 3 PatG).
39
Ein Grundgedanke des reformierten Patentnichtigkeitsverfahrens ist es, dass die Patentfähigkeit zunächst durch das auch mit technisch sachkundigen Richtern besetzte Patentgericht bewertet wird und diese Bewertung durch den Bundesgerichtshof überprüft wird. Eine Endentscheidung durch den Bundesgerichtshof (§ 119 Abs. 5 PatG) ist daher regelmäßig nicht sachgerecht, wenn die Erstbewertung des Standes der Technik durch das Patentgericht unterblieben ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 60-62 - Polymerschaum I). Dafür, dass im Streitfall etwas anderes gälte, ist nichts erkennbar und wird auch von den Parteien nichts geltend gemacht.
Meier-Beck Grabinski Hoffmann Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 12.03.2013 - 5 Ni 58/11 (EP) -

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Patentgesetz - PatG | § 119


(1) Ergibt die Begründung des angefochtenen Urteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Berufung zurückzuweisen. (2) Insoweit die Berufung für begründet erachtet wir

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Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juli 2011 - X ZR 75/08

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Bundesgerichtshof Urteil, 09. Juni 2015 - X ZR 101/13

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Bundesgerichtshof Urteil, 12. Mai 2015 - X ZR 43/13

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Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. Januar 2013 verkündete Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X Z R 6 0 / 1 3 Verkündet am: 5. Mai 2015 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja
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Bundesgerichtshof Urteil, 19. März 2019 - X ZR 11/17

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 11/17 Verkündet am: 19. März 2019 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: n

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Bundesgerichtshof Urteil, 20. Dez. 2016 - X ZR 84/14

bei uns veröffentlicht am 20.12.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 84/14 Verkündet am: 20. Dezember 2016 Hartmann Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache ECLI:DE:BGH:2016:201216UXZR84.14

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(1) Ergibt die Begründung des angefochtenen Urteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Berufung zurückzuweisen.

(2) Insoweit die Berufung für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(3) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Nichtigkeitssenat erfolgen.

(4) Das Patentgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Der Bundesgerichtshof kann in der Sache selbst entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Er hat selbst zu entscheiden, wenn die Sache zur Endentscheidung reif ist.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. Januar 2013 verkündete Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Patentgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des am 20. März 2001 unter Inanspruchnahme einer britischen Priorität vom 15. April 2000 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 275 192.

2

Patentanspruch 1 lautet:

"A machine for the manufacture of elements (8) from strip stock, the elements (8) in use being stacked to provide an assembly of stacked elements (8) for an electrical motor, each element (8) including body (10) and pole (12) portions which are integrally formed, the machine including a die assembly including a first die member (22) for providing by punching at least parts of the body portions (10) of each element and a second die member (32) for providing by punching, the pole portions (12) of each element (8), and characterised in that the body and pole die members (22, 32) are relatively moveable between successive punching operations when the body and pole portions (10, 12) of the elements (8) are provided, whereby incremental adjustment of the position of the second die member (32) relative to the first die member (22) is effected so that whilst each of the body portions (10) of the elements (8) is provided along a common centre line, the pole portion (12) of each of the successive elements (8) is incrementally offset relative to the pole portion (12) of each of the respective previous elements (8) with respect to the said common centre line of the body portion (10)."

3

Die Klägerinnen machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei unzulässig erweitert und nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent wie erteilt und hilfsweise mit mehreren geänderten Anspruchssätzen verteidigt.

4

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.

5

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die weiterhin die Abweisung der Klage erstrebt.

Entscheidungsgründe

6

Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht zur Prüfung der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents. Die Annahme des Patentgerichts, mit dem Streitpatent sei ein "Aliud" gegenüber der Anmeldung unter Schutz gestellt worden, hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

7

I. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zum Herstellen von Elementen aus bandförmigem Material, wobei die Elemente im Gebrauch aufeinander gestapelt werden, um eine Anordnung von gestapelten Elementen für eine elektrische Maschine zu bilden. Eine elektrische Maschine mit ausgeprägten Polen ist, wie das Patentgericht ausgeführt hat, unter dem Fachbegriff Schenkelpolmaschine bekannt. Für Käfig- und Drehstromwicklungen ist es üblich, zur Geräusch- und Oberwellendämpfung die Nuten zu schrägen. Die Einzelbleche werden gegeneinander versetzt, so dass Nuten und Leiter wendelförmig verlaufen, gegebenenfalls auch abschnittsweise mit unterschiedlicher Schrägungsrichtung, so dass sich eine als Winkel- oder Pfeilform bezeichnete Form ergibt. Auch nach dem Streitpatent sollen die Polabschnitte winkelförmig geschrägt werden, die Grundkörper hingegen unverändert bleiben, wie in (der nachfolgend mit Figur 1 wiedergegebenen) Figur 2 des Streitpatents gezeigt.

Abbildung

8

Dazu müssen im Stand der Technik entweder beide Teile einzeln gefertigt und beispielsweise durch Schweißen verbunden werden oder es ist für jedes Blech eine gesonderte Form zu stanzen, was eine große Zahl verschiedener Stanzwerkzeuge erfordert. Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, einen Rotor mit dem gewünschten Winkelprofil einfacher herzustellen. Erfindungsgemäß wird dies durch zwei Stanzwerkzeuge erreicht, die schrittweise (inkrementell) gegeneinander bewegt werden und so eine sukzessive Verschiebung des Polabschnitts zum Grundkörper bewirken.

9

Das Patentgericht hat Patentanspruch 1 wie folgt in Merkmale gegliedert:

1.1 Vorrichtung zum Herstellen von Elementen

1.2 aus bandförmigem Material,

1.3 wobei die Elemente im Gebrauch aufeinandergestapelt werden, um eine Anordnung von gestapelten Elementen für eine elektrische Maschine zu bilden,

1.4 wobei jedes Element Grundkörper und Polabschnitte aufweist, die integral ausgebildet sind,

2. wobei die Maschine eine Stanzanordnung aufweist,

2.1 die mit einem ersten Stanzelement versehen ist, zum Bereitstellen durch Ausstanzen zumindest von Teilen der Grundkörperabschnitte eines jeden Elements,

2.2 und ein zweites Stanzelement zum Bereitstellen durch Ausstanzen der Polabschnitte eines jeden Elements, und dadurch gekennzeichnet,

3.1 dass die Stanzelemente für Grundkörper und Pole relativ zueinander bewegbar sind, zwischen aufeinanderfolgenden Stanzvorgängen,

3.2 wenn die Grundkörper- und Polabschnitte der Elemente gebildet werden,

4. wobei eine schrittweise Einstellung der Position des zweiten Stanzelements relativ zu dem ersten Stanzelement so ausgeführt wird,

4.1 dass während jeder der Grundkörperabschnitte der Elemente entlang einer gemeinsamen Mittellinie gebildet wird,

4.2 der Polabschnitt eines jeden der aufeinanderfolgenden Elemente schrittweise relativ zu dem Polabschnitt eines jeden entsprechenden vorangehenden Elements in Bezug auf die genannte gemeinsame Mittellinie des Grundkörperabschnitts versetzt ist.

10

II. Das Patentgericht hat in diesem Gegenstand eine unzulässige Erweiterung der Ursprungsoffenbarung gesehen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

11

Der Anspruch stütze sich auf Anspruch 11 der Anmeldung, wobei

- die Merkmale 1.2 bis 1.4 neu hinzugekommen seien,

- in Merkmal 3.1 der zweite Halbsatz neu hinzugekommen sei,

- in den Merkmalen 4 und 4.2 "schrittweise" ergänzt worden sei,

- der auf Rotorelemente beschränkte Anspruch 11 auf Elemente verallgemeinert worden sei,

- die Zuordnung der Grundkörperabschnitte und der Polabschnitte zu den Stanzelementen nach Merkmalen 2.1 und 2.2 vertauscht worden sei,

- nach diesen Merkmalen zumindest Teile der Grundkörperabschnitte und die Polabschnitte (insgesamt) ausgestanzt würden, während es nach Anspruch 11 der Anmeldung umgekehrt sei,

- aus der Mittellinie des zugehörigen Grundkörperabschnitts eine gemeinsame Mittellinie des Grundkörperabschnitts geworden sei.

12

Während sich die ersten drei Abweichungen von Anspruch 11 der Anmeldung aus den Ursprungsunterlagen ableiten ließen und die vierte als zulässige Verallgemeinerung angesehen werden könne, seien die weiteren Änderungen nicht mehr zulässig. Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin handele es sich nicht um einen offensichtlichen Fehler in der Formulierung des Patentanspruchs, der berichtigt werden könne. Anspruch 1 sei in sich schlüssig und lasse keine Widersprüche erkennen. Die von der Beklagten gesehenen Widersprüche zur Beschreibung und zu den Zeichnungen könnten nur im Rahmen der Auslegung berücksichtigt werden.

13

Hierzu hat das Patentgericht ausgeführt, Patentanspruch 1 lasse offen, welches Stanzelement stationär und welches beweglich sei; beansprucht sei nur die Relativbewegung. In den Merkmalen 4.1 und 4.2 spreche der Anspruch von einer gemeinsamen Mittellinie als Bezugslinie für die Bewegung. In den ursprünglichen Unterlagen werde die Mittellinie auf den Grundkörperabschnitt bezogen. Werde die Mittellinie aber auf das Blechband oder die Stanzanlage bezogen, wären das erste Stanzelement und die Grundkörperabschnitte stationär und folglich die zweiten Stanzelemente und die Polabschnitte beweglich angeordnet, was ein Aliud zu der ursprünglich offenbarten und in den Figuren dargestellten Anlage darstelle. Der Argumentation der Klägerinnen folgend, die in der beanspruchten gemeinsamen Mittellinie des Grundkörperabschnitts etwas anderes sähen als in der ursprünglich offenbarten Mittellinie des zugehörigen Grundkörperabschnitts, sei als mit dem Streitpatent beansprucht eine Anlage anzusehen, bei der die Grundkörperabschnitte beim Ausstanzen auf einer nunmehr gemeinsamen Mittellinie lägen und das zugehörige Stanzwerkzeug folglich stationär sei. Dass sich die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele ausschließlich auf eine Anlage mit einem stationären Stanzwerkzeug für die Polabschnitte und einem beweglichen Stanzwerkzeug für die Grundkörperabschnitte bezögen, könne den Sinngehalt der Patentansprüche nicht in ihr Gegenteil verkehren. Eine Auslegung entgegen dem Wortlaut (im Sinne einer Auslegung entgegen dem Sinngehalt) der Patentansprüche sei nicht zulässig.

14

III. Diese Beurteilung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Bei zutreffender Auslegung des Patentanspruchs 1 enthält dieser nicht die vom Patentgericht angenommenen Abweichungen vom Offenbarungsgehalt der Anmeldung, und entsprechendes gilt für den Verfahrensanspruch 7.

15

1. Zu Recht rügt die Berufung, dass es das Patentgericht unterlassen hat, Patentanspruch 1 zunächst unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen auszulegen, bevor es sich der Frage zuwandte, ob der Gegenstand des Streitpatents, der als das Ergebnis der Auslegung zutage tritt, in den ursprünglichen Unterlagen als die angemeldete Erfindung oder als dieser zugehörig offenbart ist.

16

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Auslegung des Patentanspruchs stets geboten und darf auch dann nicht unterbleiben, wenn der Wortlaut des Anspruchs eindeutig zu sein scheint (s. nur BGH, Urteil vom 29. April 1986 - X ZR 28/85, BGHZ 98, 12, 18 - Formstein; Urteil vom 12. März 2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149, 153 - Schneidmesser I; Beschluss vom 17. April 2007 - X ZB 9/06, BGHZ 172, 108 - Informationsübermittlungsverfahren I; Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107, Rn. 27 - Polymerschaum I). Denn die Beschreibung des Patents kann Begriffe eigenständig definieren und insoweit ein "patenteigenes Lexikon" darstellen (BGH, Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909 - Spannschraube). Auch der Grundsatz, dass bei Widersprüchen zwischen Anspruch und Beschreibung der Anspruch Vorrang genießt, weil dieser und nicht die Beschreibung den geschützten Gegenstand definiert und damit auch begrenzt (BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330, Rn. 23 - Okklusionsvorrichtung), schließt nicht aus, dass sich aus der Beschreibung und den Zeichnungen ein Verständnis des Patentanspruchs ergibt, das von demjenigen abweicht, das der bloße Wortlaut des Anspruchs vermittelt. Funktion der Beschreibung ist es, die geschützte Erfindung zu erläutern. Im Zweifel ist daher ein Verständnis der Beschreibung und des Anspruchs geboten, das beide Teile der Patentschrift nicht in Widerspruch zueinander bringt, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Patent zur Verfügung gestellten technischen Lehre als eines sinnvollen Ganzen versteht. Nur wenn und soweit dies nicht möglich ist, ist der Schluss gerechtfertigt, dass Teile der Beschreibung zur Auslegung nicht herangezogen werden dürfen. Eine Auslegung des Patentanspruchs, die zur Folge hätte, dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würde, kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten, die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2014 - X ZR 35/11, GRUR 2015, 159, Rn. 26 - Zugriffsrechte).

17

Der Inhalt der Ursprungsunterlagen oder der Veröffentlichung der Anmeldung bleibt bei der Auslegung außer Betracht. Weder darf der Patentanspruch - zur Vermeidung einer unzulässigen Erweiterung - nach Maßgabe des ursprünglich Offenbarten ausgelegt werden (BGHZ 194, 107, Rn. 28 - Polymerschaum I), noch darf umgekehrt sein Sinngehalt dadurch ermittelt werden, dass dem Wortlaut des Patentanspruchs abweichende Formulierungen der Anmeldung gegenübergestellt werden. Allenfalls dann, wenn zweifelhaft bleibt, ob sich Patentanspruch und Beschreibung sinnvoll zueinander in Beziehung setzen lassen, darf die "Anspruchsgeschichte" zur weiteren Klärung der Frage herangezogen werden, ob mit dem Anspruch ein Gegenstand unter Schutz gestellt worden ist, der von dem in der Beschreibung offenbarten abweicht oder hinter diesem zurückbleibt (BGHZ 189, 330, Rn. 25 - Okklusionsvorrichtung; BGHZ 194, 107, Rn. 28 - Polymerschaum I).

18

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich im Streitfall, dass die Merkmale 2.1 und 2.2 abweichend vom Wortlaut des Anspruchs dahin zu lesen sind, dass mit dem ersten Stanzelement zumindest Teile der Polabschnitte eines jeden Elements und mit dem zweiten Stanzelement die Grundkörperabschnitte eines jeden Elements durch Ausstanzen bereitgestellt werden.

19

a) Mit der Erfindung soll, so heißt es im allgemeinen Teil der Beschreibung, eine Möglichkeit bereitgestellt werden, auf einfache Weise Rotorelemente mit Polabschnitten (Polköpfen) herzustellen, die um unterschiedliche Abstände zu einer Mittellinie des Grundkörperabschnitts (Polschafts) versetzt sind (Abs. 12 der Beschreibung). Bevorzugt ist dabei der vom ersten Stanzelement hergestellte Teil des Polabschnitts derjenige, der allen Rotorelementen (scil. unabhängig vom Ausmaß der Versetzung von der Mittellinie) gemeinsam ist (Abs. 13), d.h. der Polabschnitt wird vom ersten Stanzelement nur teilweise ausgestanzt, während der Rest des Materials beim nachfolgenden Ausstanzen des Grundkörperabschnitts weggenommen wird.

20

Dies wird im Folgenden unter Bezugnahme auf die Zeichnungen, von denen die nachfolgend wiedergegebene Figur 4a wie die Figuren 5a und 6a Ansichten einer erfindungsgemäßen Vorrichtung darstellen (Abs. 17), näher erläutert.

Abbildung

21

Danach ist auf einer Basisplatte 20 ein erstes ortsfestes Stanzelement (die member) 22 und benachbart zu diesem ein zweites bewegliches Stanzelement 32 angeordnet (Abs. 22). Das Stanzelement 22 weist zwei Stanzöffnungen 24a und 24b auf, von denen jede einer Fläche entspricht, die an einen Teil der Umfangslinie des Polabschnitts angrenzt (Abs. 23). Das bewegliche Stanzelement 32 weist Stanzöffnungen 34a und 34b auf, von denen jede einer Fläche entspricht, die an die (Längs-)Seite des Grundkörperabschnitts angrenzt, sowie eine sich dazwischen erstreckende dritte Stanzöffnung 35 (Abs. 24). Unter Ausnutzung dieser Stanzöffnungen werden mittels nicht dargestellter Stanzen die Rotorelemente ausgestanzt (Abs. 27 ff.), indem in Position B zunächst die Polabschnitte teilweise ausgestanzt werden (Abs. 28) und in Position C die Grundkörperabschnitte gestanzt werden (Abs. 29), so dass auf diese Weise mit dem Ausstanzen des Grundkörperabschnitts mittels der Stanzen (punch members) 64a und 64b und einer einteilig mit diesen ausgebildeten dritten Stanze 65 gleichzeitig das Ausstanzen der Polabschnitte vollendet wird und in Position D ein vollständiges Rotorelement bereitsteht (Abs. 30). Die Beschreibung erläutert weiter, es verstehe sich, dass die Stanzen beider Stanzelemente 22, 32 gleichzeitig betätigt würden. Im Anschluss an jeden Stanzvorgang werde ein Antriebsmittel 36 betätigt, um das Stanzelement 32 inkrementell in einer Richtung zu versetzen und damit einen Versatz des Polabschnittabschnitts von der Mittellinie des Grundkörperabschnitts zu erzeugen (Abs. 32).

22

b) Mit dieser Darstellung des erfindungsgemäßen Verfahrens und einer hierfür geeigneten Vorrichtung steht Patentanspruch 1 (und ebenso der Verfahrensanspruch 7) auf den ersten Blick nicht in Einklang. Denn nach Merkmal 2.1 scheint das (feststehende) erste Stanzelement zum Ausstanzen (zumindest) von Teilen des Grundkörperabschnitts und das (bewegliche) zweite Stanzelement zum Ausstanzen der Polabschnitte bestimmt zu sein. Aus dem Gesamtinhalt der Beschreibung und den weiteren Patentansprüchen 2 bis 6 ergibt sich jedoch, dass hierbei Grundkörper- und Polabschnitte vertauscht worden sind und die Merkmalsgruppe 2 daher so zu lesen ist, dass die Maschine eine Stanzanordnung aufweist, die (2.1) mit einem ersten Stanzelement zum Ausstanzen zumindest von Teilen der Grundkörperabschnitte und (2.2) mit einem zweiten Stanzelement zum Ausstanzen der Polabschnitte eines jeden Elements versehen ist.

23

(1) Darauf deutet zunächst der Umstand hin, dass ein wörtlich genommener Patentanspruch 1 nicht nur mit Teilen der Beschreibung wie einzelnen oder auch sämtlichen Ausführungsbeispielen, sondern mit der Beschreibung insgesamt in Widerspruch tritt, ohne dass hierfür ein plausibler Grund erkennbar wäre. Dies wird insbesondere an der vermeintlichen Anweisung des Merkmals 2.1 deutlich, mit dem ersten Stanzelement zumindest Teile des Grundkörperabschnitts auszustanzen. Denn in der Beschreibung ist es, wie erwähnt, gleich eingangs als bevorzugte Vorgehensweise erläutert, mit dem ersten Stanzelement Teile der Polabschnitte, nämlich den allen Polabschnitten gemeinsamen (äußeren) Umriss der Polköpfe, herzustellen. Mit dem Ausstanzen des Grundkörperabschnitts wird sodann die Oberkante des (vorauslaufenden) Polabschnitts gestanzt und gleichzeitig die Unterkante des nächsten Polabschnitts in Abhängigkeit vom Betrag des Versatzes des zweiten Stanzelements so ausgebildet, dass sich ein entsprechender Versatz des Polabschnitts gegenüber der gemeinsamen Mittellinie des Grundkörperabschnitts (Merkmal 4.2) ergibt. Auf diese Weise lassen sich mit einem Werkzeug unterschiedliche Polkopfformen herstellen. Hingegen findet die Möglichkeit, den (gleichförmigen) Grundkörper mit dem ersten Stanzwerkzeug nur teilweise auszustanzen, den Polabschnitt und den Rest des Grundkörperabschnitts aber mit weiteren Stanzwerkzeugen, keinerlei Anklang in der Beschreibung.

24

(2) Es kommt hinzu, dass der Wortlaut der Merkmalsgruppe 4 zwar mit dem vom Patentgericht entwickelten Verständnis nicht unvereinbar ist, jedoch im Kontext der Beschreibung und der weiteren Patentansprüche betrachtet gleichfalls die Annahme stützt, dass das erste Stanzelement anspruchsgemäß nicht zum Ausstanzen zumindest von Teilen der Grundkörperabschnitte, sondern der Polabschnitte bestimmt ist.

25

Das Patentgericht hat, im Ausgangspunkt zutreffend, erwogen, dass der Patentanspruch in den Merkmalen 3.1, 3.2 und 4 offen lässt, welches Stanzelement fest und welches beweglich angeordnet ist, da Merkmal 3.1 nur vorgibt, dass beide Stanzelemente relativ zueinander bewegt werden können. Es hat jedoch aus Merkmal 4.2 geschlossen, dass das den Grundkörperabschnitt (teilweise) ausstanzende erste Stanzelement stationär angeordnet sei, weil in diesem Merkmal Bezug auf eine gemeinsame Mittellinie aufeinanderfolgender Elemente genommen, der Fachmann hierunter nichts anderes als eine allen Elementen gemeinsame Mittellinie verstehen könne und folglich eine Vorrichtung unter Schutz gestellt werde, bei der die Grundkörperabschnitte beim Ausstanzen auf einer gemeinsamen Mittellinie lägen.

26

Bei Patentanspruch 1 handelt es sich um einen Sachanspruch, dessen Merkmale dazu bestimmt sind, die geschützte Sache zu beschreiben, d.h. im Streitfall die Maschine und damit gegebenenfalls mittelbar die Ausgestaltung der Erzeugnisse, die mit ihr hergestellt werden können. Wird Merkmal 4.2 - wie stets geboten (statt aller BGHZ 194, 107, Rn. 27 - Polymerschaum I) - im Kontext der Merkmalsgruppe 4 und diese im Zusammenhang des gesamten Anspruch und vor dem erläuternden Hintergrund der Beschreibung gelesen, besagt die Merkmalsgruppe 4, dass die Relativposition des zweiten Stanzelements schrittweise (inkrementell) so geändert wird, dass der Polabschnitt jedes Elements im Verhältnis zum Polabschnitt des vorangehenden um eine entsprechende Schrittweite gegenüber der gemeinsamen Mittellinie der Grundkörperabschnitte versetzt ist. Die Relativbewegung der Stanzelemente (Vorrichtungsmerkmal 4) soll mit anderen Worten so erfolgen, dass die mit der Vorrichtung hergestellten (Rotor-)Elemente den Merkmalen 4.1 und 4.2 entsprechen. Die Grundkörperabschnitte haben mithin eine gemeinsame Mittellinie, die (nicht symmetrischen) Polabschnitte weisen hingegen einen Versatz aus der Mittellinie in die eine oder andere Richtung auf.

27

Demgegenüber liefe ein Verständnis des Merkmals 4.2 als mittelbare Umschreibung der stationären Anordnung des ersten Stanzelements darauf hinaus, dass die - wie auch das Patentgericht angenommen hat - in Patentanspruch 1 an sich offen gelassene Frage, welches Stanzelement fest und welches beweglich angeordnet ist, doch im Sinne einer festen Anordnung des ersten Stanzelements beantwortet würde. Gleichzeitig verlöre damit Patentanspruch 2, der gerade erst bestimmt, dass das erste Stanzelement fest sein und das zweite inkrementell relativ zu diesem bewegt werden soll, seine Funktion, die mit Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Vorrichtung zu konkretisieren und wiederholte mit anderen Worten lediglich den sachlichen Gehalt des Patentanspruchs 1.

28

(3) Schließlich stützt auch Patentanspruch 6 - und entsprechendes gilt für das Verfahren nach Patentanspruch 9 - in Verbindung mit der Beschreibung die Annahme, dass die Merkmale 2.1 und 2.2 im dargestellten Sinne einer Vertauschung von Grundkörper- und Polabschnitten zu lesen sind.

29

Technisch sinnvoll ließe sich die zunächst nur teilweise Ausstanzung des Grundkörperabschnitts, die Merkmal 2.1 vorzusehen scheint, nur dahin verstehen, dass dem Ausstanzen seiner Längskanten die Ausstanzung seiner Fußlinie, gegebenenfalls zusammen mit der Oberkante des vorauslaufenden Polabschnitts, nachfolgt. Hierfür wird, wie ausgeführt, im Ausführungsbeispiel die Stanze 65 verwendet, die zusammen mit der gekrümmten inneren Oberfläche des Grundkörperabschnitts die gekrümmte äußere Oberfläche des Polabschnitts erzeugt. Dadurch bleibt, wie in Absatz 35 der Beschreibung erläutert wird, die Mittellinie des Krümmungsradius der Polabschnitte im Wesentlichen auf der Mittellinie C/L des Grundkörperabschnitts, obwohl sich der Versatz des Polabschnitts um einen Schritt von der theoretischen Position unterscheidet. Damit bleiben gleichzeitig die Mittellinie der äußeren Oberfläche der Polabschnitte der gestapelten Rotorelemente und der Luftspalt zwischen dieser äußeren Oberfläche und der inneren Oberfläche des Stators trotz der winkelartigen Anordnung konstant. Die Vorteile dieser Anordnung können ohne den Nachteil einer Veränderung der Dicke des Luftspalts in Axialrichtung der Rotoranordnung genutzt werden (Abs. 36).

30

Die Stanze 65 gehört zu einem dritten Stanzelement 35, das nach Patentanspruch 4 zum Ausstanzen eines Umfangsrands zwischen dem Grundkörperabschnitt eines Elements und dem Polabschnitt eines durch den vorangegangenen Ausstanzvorgang gebildeten Elements dient. Nach Patentanspruch 6 sind die zweiten und dritten Stanzelemente integral ausgebildet. Es sind somit in Patentanspruch 6 einteilig ausgebildete Stanzen 64a, 64b, 65 unter Schutz gestellt, wie sie in der Beschreibung erläutert und in Figur 7 gezeigt sind. Sie können, wie von Patentanspruch 9 gefordert, gemeinsam schrittweise zwischen aufeinander folgenden Ausstanzvorgängen bewegt werden.

31

Mit diesem einteiligen beweglichen Werkzeug lassen sich jedoch im Wesentlichen auf der Mittellinie C/L des Grundkörperabschnitts liegende Krümmungsradien der Polabschnitte nicht erzeugen. Es lassen sich nicht einmal die (gleichmäßig) gekrümmten inneren Oberflächen des Grundkörperabschnitts erzeugen, mit denen die Rotorelemente im Ausführungsbeispiel auf der Welle angeordnet sind, weil die einteilige Stanze relativ zum Grundkörperabschnitt verschoben wird.

32

(4) Unter Berücksichtigung des Gesamtinhalts der Beschreibung, des Sinngehalts der Merkmalsgruppe 4, und des Wortlauts der Patentansprüche 2, 6 und 9 muss der Fachmann, der es unternimmt, ein sinnvolles und wenn möglich widerspruchsfreies Gesamtverständnis der Patentansprüche und der zu ihrer Erläuterung bestimmten Beschreibung zu entwickeln, mithin zu dem Schluss gelangen, dass mit der Formulierung des Patentanspruchs in den Merkmalen 2.1 und 2.2 - entgegen dem insoweit verunglückten Wortlaut - nichts unter Schutz gestellt worden ist, was von der in der Beschreibung offenbarten Vorrichtung abweicht, bei der mit dem ersten (feststehenden) Stanzelement (zumindest) Teile der Polabschnitte eines jeden Elements und mit dem zweiten (beweglichen) Stanzelement die Grundkörperabschnitte eines jeden Elements durch Ausstanzen bereitgestellt werden.

33

c) Entgegen der von den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung steht die dargestellte Auslegung des Patentanspruchs 1 - die entsprechend für Patentanspruch 7 gilt - auch nicht im Widerspruch zu einer mit der Erteilung des Streitpatents vorgenommenen Beschränkung des Schutzgegenstands gegenüber dem mit der Anmeldung beanspruchten Gegenstand. Denn es bleibt dabei, dass der Patentanspruch durch die vom Patentgericht aufgezeigten zusätzlichen Merkmale als ein gegenüber der Anmeldung engerer Gegenstand definiert worden ist.

34

3. Damit enthält der Gegenstand des Streitpatents insoweit keine unzulässige Erweiterung. Dass sie auch im Übrigen nicht vorliegt, hat das Patentgericht rechtsfehlerfrei angenommen; die Berufungserwiderungen wenden sich hiergegen auch nicht.

35

IV. Da das Patentgericht - nach seinem Ausgangspunkt konsequent - sich mit der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents nicht befasst hat, ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Patentgericht zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 2 und 3 PatG).

36

Ein Grundgedanke des reformierten Patentnichtigkeitsverfahrens ist es, dass die Patentfähigkeit zunächst durch das auch mit technisch sachkundigen Richtern besetzte Patentgericht bewertet wird und diese Bewertung durch den Bundesgerichtshof überprüft wird. Eine Endentscheidung durch den Bundesgerichtshof (§ 119 Abs. 5 PatG) ist daher regelmäßig nicht sachgerecht, wenn die Erstbewertung des Standes der Technik durch das Patentgericht unterblieben ist. Dafür, dass im Streitfall etwas anderes gälte, ist nichts erkennbar und wird auch von den Parteien nichts geltend gemacht.

Meier-Beck                        Gröning                                Bacher

                     Deichfuß                        Kober-Dehm

26
Der Sinngehalt eines Merkmals ist mit Blick darauf zu ermitteln, was mit dem Merkmal aus der Sicht des Fachmanns im Hinblick auf die Erfindung erreicht werden soll. Dabei können der allgemeine wie auch der übliche fachliche Sprachgebrauch Anhaltspunkte für das Verständnis des Fachmanns geben. Mit Rücksicht darauf, dass Begriffe in einer Patentbeschreibung abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch benutzt werden können, ist letztlich aber der sich aus dem Gesamtzusammenhang der Patentschrift ergebende Begriffsinhalt maßgeblich. Für einen Rückgriff auf den allgemeinen Sprachgebrauch ist umso weniger Raum, je mehr der Inhalt der Patentschrift auf ein abweichendes Verständnis hindeutet (BGH, Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 911 f. - Spannschraube). Soweit es die Heranziehung der Beschreibung in ihrer Gesamtheit für die Anspruchsauslegung betrifft, ist grundsätzlich ein Verständnis des Anspruchs angezeigt, das im Einklang mit den Erläuterungen in der Beschreibung insgesamt steht. Nur wenn und soweit sich daraus ein Verständnis des Anspruchs ergeben würde, das eindeutig nicht dem entsprechen kann, was unter Schutz gestellt werden soll, ist der Schluss gerechtfertigt, dass aus Teilen der Beschreibung keine Schlussfolgerungen in Bezug auf den geschützten Gegenstand gezogen werden dürfen. Eine Auslegung des Patentanspruchs , die zur Folge hätte, dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würde, kommt nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten, die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2014 - X ZR 35/11, GRUR 2015, 159 Rn. 26 - Zugriffsrechte).
37
von selbigem in der Fassung des Hauptantrags dadurch, dass nicht mehr nur vorgesehen ist, dass das Abdichtmittel, dessen Verwendung im Pannenfall un- ter Schutz gestellt werden soll, einen (Natur-)Kautschuklatex und ein mit diesem kompatibles Klebstoffharz "enthält", sondern dass das Abdichtmittel aus einem (Natur-)Kautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz und optional einem Dispergiermittel "besteht". Dies ist - wie auch die Beklagte in der Verhandlung ausgeführt hat - aus fachlicher Sicht dahin zu verstehen, dass das erfindungsgemäße Abdichtmittel ausschließlich aus den genannten Bestandteilen bestehen darf, wobei lediglich das Dispergiermittel nicht zwingend enthalten sein muss. Insbesondere dürfen dem erfindungsgemäßen Abdichtmittel damit auch keine Füllstoffe, wie etwa faserige Materialien, zugesetzt worden sein. Gerade auf das Fehlen solcher faserigen Materialien, auf das im ursprünglich formulierten Hilfsantrag IV ausdrücklich abgestellt worden war, zielt erklärtermaßen die von der Beklagten gewählte Anspruchsfassung. Die Verwendung eines Abdichtmittels im Pannenfall, das ausschließlich

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X Z R 6 0 / 1 3 Verkündet am:
5. Mai 2015
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Verdickerpolymer I
EPÜ Art. 54
Werden als Bestandteile einer Stoffzusammensetzung mehrere Stoffe oder
Stoffgruppen alternativ beansprucht, fehlt es dem Gegenstand des Patents bereits
dann an der erforderlichen Neuheit in der gesamten beanspruchten Bandbreite
, wenn einer dieser Stoffe oder eine dieser Stoffgruppen als Bestandteil
einer solchen Zusammensetzung bekannt war.
BGH, Urteil vom 5. Mai 2015 - X ZR 60/13 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. Mai 2015 durch die Richter Gröning, Dr. Grabinski, Hoffmann und
Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 20. November 2012 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 10. Mai 1995 angemeldeten , auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 682 094 (Streitpatents). Das Streitpatent nimmt eine Priorität vom 12. Mai 1994 in Anspruch. Von den insgesamt acht Patentansprüchen hat Patentanspruch 1 nach Durchführung eines Einspruchsverfahrens in der Verfahrenssprache folgenden Wortlaut: "1. A pourable water dispersible associative thickener composition for aqueous systems having a viscosity less than 15,000 mPa.s (centipoise) at 25°C consisting of:
a) from 15 to 40% by weight of an associative thickener polymer selected from polyurethanes, polyesters, modified cel- lulosics, poIyester-urethanes, polyether-alpha olefins and polyether-polyols;
b) at least 30% by weight water;
c) from 1 to 30% by weight of one or more surfactants selected from anionic and non-ionic surfactants and mixtures thereof; and
d) optionally one or more additional components selected from binders, clays, neutralization chemicals, buffering agents, inorganic salts, chelating agents and pH adjusting agents, except a thickener preparation for thickening aqueous systems consisting of a mixture of (i) a water-soluble or water-dispersible thickener containing urethane groups, (ii) a non-ionic emulsifier, and (iii) at least one compound of the formula (I)

(I)

wherein in this formula R1 and R3 denote identical or different hydrocarbon residues and R2 and R4 denote hydrogen or identical or different hydrocarbon residues, Q denotes alkylene oxide units, as are obtained from alkoxylating alcohols with alkylene oxides having 2 to 4 carbon atoms, and n denotes numbers from 0 to 120, wherein the thickener preparation is in the form of an aqueous solution or dispersion."
2
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig; er sei nicht neu, beruhe jedenfalls aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Zudem gehe der Gegenstand von Patentanspruch 1 über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinaus.
3
Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten , mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung von drei beschränkten Anspruchssätzen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


4
I. Das Streitpatent betrifft Verdickerzusammensetzungen zur Kontrolle der Viskosität und anderer rheologischer Eigenschaften (Fließeigenschaften) von wässrigen Systemen.
5
1. Nach der Beschreibung des Streitpatents sind solche Verdickerzusammensetzungen für eine Anwendung insbesondere bei Latexfarben, Beschichtungen , Tinten, Baumaterialien, Kosmetika und Holzbeizen bekannt. Hierfür würden zunehmend synthetische Eindicker verwendet, zu denen unter anderem auch Polyurethaneindicker zählten. Solche rheologischen Additive würden oftmals auch als Eindicker oder Assoziativverdicker bezeichnet. Zu dem Mechanismus , durch den sie eindickten, gehörten hydrophobe Assoziationen zwischen den hydrophoben Komponenten in den Eindickermolekülen und anderen hydrophoben Oberflächen. Handelsübliche Assoziativverdicker seien gewöhnlich gießbare Flüssigkeiten, wobei die Verdickerzusammensetzung üblicherweise durch Vermischen des assoziativen Polymers mit Wasser und einem organischen Lösungsmittel hergestellt würden. Diese organischen Lösungsmittel würden zugesetzt, um die Viskosität der Polymere in Wasser zu senken. Da die flüchtigen organischen Lösungsmittel oder deren flüchtige organischen Komponenten ein Risiko für Mensch und Umwelt darstellten, würden in vielen Ländern die Toleranzwerte für diese Gase sukzessiv gesenkt oder bestimmte Anwendungen dieser Lösungsmittel verboten.
6
2. Dem Streitpatent liegt vor diesem Hintergrund die Aufgabe zugrunde, eine flüssige, in Wasser dispergierbare Verdickerzusammensetzung mit einer zur weiteren Verarbeitung passenden Viskosität bereitzustellen, ohne dabei Umweltprobleme zu verursachen.
7
Zur Lösung schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 eine Verdickerzusammensetzung mit folgenden Merkmalen vor: 1. Assoziative Verdickerzusammensetzung für wässrige Systeme , 1.1 die gießbar und in Wasser dispergierbar ist und 1.2 die eine Viskosität von weniger als 15.000 mPa·s bei 25°C aufweist, bestehend aus 2. 15 bis 40 Gew.-% eines assoziativen Verdickerpolymers, 2.1 ausgewählt aus Polyurethanen, Polyestern, modifizierten Cellulosederivaten, Polyesterurethanen, Polyether- α-Olefinen und Polyetherpolyolen; 3. mindestens 30 Gew.-% Wasser; 4. 1 bis 30 Gew.-% eines oder mehrerer oberflächenaktiver Mittel , 4.1 ausgewählt aus anionischen und nicht-ionischen oberflächenaktiven Mitteln und deren Gemischen; 5. optional einem oder mehreren zusätzlichen Bestandteilen, 5.1 ausgewählt aus Bindemitteln, Tonen, Neutralisationschemikalien , Pufferungsmitteln, anorganischen Salzen, Chelatbildnern und pH-Wert-Einstellungsmitteln; 6. ausgenommen einer Verdickungsmittelzubereitung zum Verdicken wässriger Systeme, bestehend aus einem Gemisch 6.1 eines wasserlöslichen oder in Wasser dispergierbaren Verdickungsmittels, das Urethangruppen enthält, 6.2 eines nicht-ionischen Emulgators und 6.3 mindestens einer Verbindung gemäß der Formel (I)

(I)

wobei in dieser Formel R1 und R3 identische oder unterschiedliche Kohlenwasserstoffe bezeichnen, R2 und R4 Wasserstoff oder identische oder unterschiedliche Kohlenwasserstoffreste bezeichnen, Q Alkenoxideinheiten bezeichnet, wie sie aus dem Alkoxylieren von Alkoholen mit Alkenoxiden erhalten werden , die 2 bis 4 Kohlenstoffatome aufweisen, und n Zahlen von 0 bis 120 bezeichnet, 6.4 in Form einer wässrigen Lösung oder Dispersion.
8
3. Dies bedarf in zweierlei Hinsicht der näheren Erläuterung:
9
a) Die Wendung "bestehend aus" ("consisting of") deutet in Patentansprüchen , die chemische Zusammensetzungen oder Gemische zum Gegenstand haben, in der Regel auf eine abschließende Aufzählung der in Bezug genommenen Bestandteile hin (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2011 - X ZR 75/08, GRUR 2011, 1109 Rn. 37 - Reifenabdichtmittel; EPA, Prüfungsrichtlinien Teil F, Kap. IV Nr. 4.21; EPA, Entscheidung vom 15. September 1993 - T 711/90 unter 2.).
10
Von der Frage der Bestandteile einer Stoffzusammensetzung zu trennen ist die Frage des Reinheitsgrades der dazu eingesetzten Stoffe. Insbesondere wenn, wie für die hier interessierenden Verdickerzusammensetzungen, handelsübliche Chemikalien benutzt werden, wird aus fachlicher Sicht nicht notgedrungen immer vollständige Reinheit der Bestandteile oder Zutaten vorausgesetzt , sondern gegebenenfalls nur ein dem jeweiligen Bedarf angepasster Reinheitsgrad. Da sich vorliegend aus Patentanspruch 1 oder der Beschreibung keine besonderen Anforderungen an die Reinheit der herzustellenden Zusammensetzung ergeben, schließt die Vorgabe "bestehend aus" ("consisting of") aus fachlicher Sicht nicht aus, dass die dafür zu verwendenden Polymere Mittel und gegebenenfalls fakultativen Zusätze in geringem Umfang auch Rückstände der für ihre Herstellung verwendeten Ausgangsstoffe und restliches Wasser enthalten können.
11
b) Der Begriff des oberflächenaktiven Mittels in Merkmal 4 ist eine Übersetzung des englischen Worts "surfactant", das für die Worte "surface active agent" steht. Es ist zugleich ein Synonym für Tenside, die wiederum synonym auch als Emulgatoren bezeichnet werden.
12
II. Das Patentgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, der Gegenstand des Streitpatents sei in der - nachveröffentlichten (Art. 54 Abs. 3 EPÜ) - europäi- schen Patentanmeldung 618 243 (NiK6) vorweggenommen und habe ausgehend von einer anderen Entgegenhaltung (NiK10e) auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Die Gegenstände der Hilfsanträge beruhten ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
13
1. Die NiK6 betreffe eine Zubereitung auf Polyurethanbasis zur Verdickung wässriger Systeme, die wegen ihrer Löslichkeit und Dispergierbarkeit in Wasser zwangsläufig auch gießbar sei und bei der es sich um eine assoziativ wirkende Verdickerzusammensetzung mit besonders niedriger Eigenviskosität handele. Darüber hinaus zeige das Dokument weitere Verdickerzusammensetzungen mit den Merkmalen 3 bis 4.1 sowie der ohnehin lediglich optionalen Merkmalsgruppe 5 und ohne die vom Streitpatent durch Disclaimer ausgenommenen Zusatzstoffe gemäß Merkmalsgruppe 6. Eine entsprechende Zusammensetzung werde in den Vergleichsbeispielen 21 und 24 der NiK6 mit jeweils 25 Gewichtsprozent eines aus Polyurethanen ausgewählten assoziativen Verdickerpolymers und eines nicht-ionischen oberflächenaktiven Mittels sowie mit einem Restwasseranteil von 50 Gewichtsprozent offenbart. Die in den Vergleichsbeispielen verwendeten Produkte COATEX BR 900 und COATEX BR 910 seien zweifelsfrei trockene, nicht-ionische, wasserlösliche Assoziativverdicker vom Polyurethan-Typ. Dem stehe nicht entgegen, dass in der Tabelle 13 für die Vergleichsbeispiele 21 und 24 die Komponenten für zwei Spalten falsch bezeichnet seien. Der fachkundige Leser werde diesen Schreibfehler und die richtige Bedeutung zweifelsfrei erkennen.
14
2. Zudem beruhe der Gegenstand des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
15
In der vorveröffentlichten Produktbeschreibung für COAPUR 5035 (NiK10e) werde unter dieser Bezeichnung ein flüssiger, zweifelsfrei assoziativ wirkender, nicht-ionischer Polyurethanverdicker mit einer niedrigen Viskosität von 4000 cP beschrieben, der zu 35 % in Wasser gelöst und völlig frei von flüchtigen organischen Lösungsmitteln sei. Dieses Produkt unterscheide sich vom Gegenstand des Streitpatents lediglich durch das Fehlen eines anionischen oder nicht-ionischen oberflächenaktiven Mittels gemäß Merkmalsgruppe 4.
16
Dem Fachmann, bei dem es sich um einen regelmäßig in einem Team arbeitenden Diplom-Chemiker der Fachrichtung organische Chemie mit besonderen Kenntnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet der Polymerchemie, der Rheologie und Grenzflächenchemie von polymerbasierten, wässrigen Systemen sowie der assoziativen Verdicker und oberflächenaktiven Mitteln handele, sei geläufig gewesen, dass durch den Zusatz von oberflächenaktiven Stoffen aufgrund ihrer Wechselwirkung mit den Assoziativverdickerpolymeren bei der Anwendung in Farben und Beschichtungsmitteln deren rheologische Eigenschaften noch weiter günstig beeinflusst werden könnten. Er werde deshalb einen solchen Zusatz zu dem Produkt COAPUR 5035 in Betracht ziehen, und dabei insbesondere oberflächenaktive Mittel vom anionischen und nichtionischen Typ experimentell untersuchen, denn aus dem Lehrbuch von M. Hulden - Colloides and Surfaces A: Physicochemical and Engineering Aspects , 82 (1994) S. 263 bis 277 - (NiK18) sei der vorteilhafte Einfluss von oberflächenaktiven Mitteln gemäß der Merkmalsgruppe 4 auf wässrige Assoziativverdickerzusammensetzungen bekannt gewesen. Durch routinemäßiges Optimieren gelange er zwanglos zu Anteilen von 1 bis 30 Gewichtsprozenten und somit ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Streitpatents.
17
Ebenso habe ein Entwicklungsansatz ausgehend von dem Aufsatz von E. J. Schaller - Rheology Modifiers in Surface Coatings Australia, Vol. 22, Nr. 10, Okt. 1985 S. 6 bis 13 - (NiK12) zusammen mit dem allgemeinen Fach- wissen sowie mit den in der japanischen Offenlegungsschrift 60-49022 (NiK14) ohne erfinderische Tätigkeit zu dem Gegenstand des Streitpatents geführt.
18
Schließlich beruhe der Gegenstand des Streitpatents auch in der Fassung eines der Hilfsanträge nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
19
III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.
20
1. Das Patentgericht hat zu Recht angenommen, dass NiK6, die als europäische Patentanmeldung aufgrund ihrer vor dem Prioritätstag erfolgten Anmeldung zum Stand der Technik gehört (Art. 54 Abs. 3 EPÜ), den Gegenstand von Patentanspruch 1 vorwegnimmt.
21
a) NiK6 betrifft eine Verdickungsmittelzubereitung aus einem Urethangruppen aufweisenden, in Wasser dispergierbaren Verdickungsmittel, einem - als Komponente b bezeichneten - nicht-inonischen Emulgator und einer als "c1" benannten Komponente, deren Definition dem Disclaimermerkmal 6.3 in Patentanspruch 1 entspricht. Mit der Erfindung gemäß NiK6 sollte das Problem gelöst werden, eine neue Verdickungsmittelzubereitung auf Polyurethanbasis für wässrige Systeme zu finden, die bei zumindest gleich guter Verdickerwirkung eine deutlich geringere Eigenviskosität aufweist. Die Lösung bestand darin , einem Polyurethanverdicker neben den größtenteils bereits bekannten Emulgatoren eine c1-Komponente beizumischen (NiK6, S. 2 Z. 42 bis 55).
22
Zum Beleg der vorteilhaften Wirkung einer solchen Komponente dokumentiert NiK6 in der nachfolgend eingefügten Tabelle 13 vergleichend Messergebnisse der Viskosität und Verdickerwirkung von Zusammensetzungen gemäß der dortigen Erfindung (Beispiele 44, 45) und Mischungen, denen ein nichtionischer Emulgator und/oder die Komponente c1 fehlt (Vergleichsbeispiele 20, 21, 23, 24) und die deshalb zum Teil (Vergleichsbeispiele 21 und 24) die vom Streitpatent vorgeschlagene stoffliche Zusammensetzung aufweisen:
23
Soweit in dieser Tabelle Spalten für "Komponente A" bzw. "Komponente B" vorgesehen sind, hat das Patentgericht festgestellt, dass der Fachmann darin ein Versehen erkennt und die "Komponente A" für die Vergleichsbeispiele 21 und 24 als "Komponente b" und "Komponente B" als "Komponente c1" interpretiert. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Durchgreifende konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der vom Patentgericht getroffenen Feststellung begründen und eine neue Feststellung gebieten würden (§§ 117 PatG, 529 Abs. 1 ZPO), vermag die Berufung , die insoweit im Wesentlichen das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten vertiefend wiederholt, nicht aufzuzeigen. Ihre Erklärungsversuche, warum der Fachmann den Schreibfehler nicht erkennen und eine andere Erkenntnis aus der NiK6 gewinnen werde, sind nicht plausibel. In der Beschreibung der NiK6 finden sich keine Definitionen für Komponenten A und B, wohl aber für Komponenten b und c1 usw. (Beschreibung ab S. 2 Zeile 46 ff.). Ohne eine Er- klärung, um was es sich bei "Komponente A" in der NiK6 handelt, müsste der Fachmann die Beispiele 44 und 45 sowie die Vergleichsbeispiele 20 bis 25 als nicht ausführbar oder unklar ansehen, während eine Betrachtung des Dokuments in seiner Gesamtheit ihn zum richtigen Verständnis führt. Die Tabellen darin weisen ganz überwiegend die Komponentenbezeichnungen "b", "c1" usw. auf. Soweit in Tabelle 9 Ethyloxid abweichend davon als "Komponente B" bezeichnet ist, ergibt sich aus den der Tabelle unmittelbar vorangestellten Erläuterungen , dass "c1" gemeint ist. Die Bezeichnung und Zuordnung der Komponenten sowohl in NiK6 selbst als auch in der US-amerikanischen Parallelanmeldung ist somit zwar uneinheitlich, insgesamt ist jedoch die vom Patentgericht gefundene Erklärung allein plausibel.
24
b) Auch hinsichtlich der Feststellung des Patentgerichts, dass es sich bei den in den Vergleichsbeispielen 21 und 24 eingesetzten, auf dem Markt bereits eingeführten Produkten COATEX BR 900 und COATEX BR 910 um trockene, nicht-ionische, wasserlösliche Assoziativverdicker vom Polyurethantyp entsprechend der Merkmalsgruppe 2 handelt, hat die Berufung keine konkreten Anhaltspunkte aufzuzeigen vermocht, die Zweifel an dieser Feststellung des Patentgerichts begründen und neue Feststellungen gebieten könnten.
25
Das Produktblatt für COATEX BR 900 (NiK9a) weist dieses Erzeugnis als einen lösungsmittelfreien, nicht-ionischen und wasserlöslichen Eindicker vom Polyurethantyp aus. Dass es sich bei dem aktiven Wirkstoff der genannten Produkte um ein Verdickerpolymer im Sinne der Merkmalsgruppe 2 handelt, stand in erster Instanz außer Streit und ist von der Klägerin zudem anhand der Anlage NiK27 eingehend erläutert worden. Die Berufung hat dies nicht zu erschüttern vermocht. Dass NiK27 nachveröffentlicht ist, ist unbedenklich, weil damit kein Stand der Technik dokumentiert werden soll, sondern chemische Zusammenhänge, die unverändert bestehen (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 24. Juli 2012 - X ZR 126/09, GRUR 2012, 1130 Rn. 24 f. - Leflunomid).
26
Soweit für COATEX BR 900 ein aktiver Inhalt von mindestens 97 % angegeben wird, haben das schriftsätzliche Vorbringen der Beklagten und die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung weder Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dem als Verdickungsmittel angegebenen Polyurethan andere aktive Stoffe beigemischt gewesen sein könnten, noch dass es sich bei dem Rest um etwas anderes als Rückstände der Ausgangssubstanzen und gegebenenfalls Wasser handelt. Soweit die Berufung die Verwendung von Polyurethan mit dem Hinweis auf den deutlich abweichenden Viskositätswert von 29.500 mPas.s/23°C im Vergleichsbeispiel 2 der Tabelle 2 gegenüber dem entsprechenden Wert in den Vergleichsbeispielen 21 und 24 der Tabelle 13 anzweifelt, übersieht sie zum einen, dass die Viskosität in breiten Grenzen variieren kann (vgl. NiK6 S. 5 Z. 25 ff.), und zum anderen, dass bei den Vergleichsbeispielen in Tabelle 2 nicht zwangsläufig ebenfalls mit COATEX BR 900 bzw. 910 gearbeitet worden sein muss.
27
In den Vergleichsbeispielen 21 und 24 in Tabelle 13 wird dem Assoziativverdicker auf Polyurethanbasis lediglich als Komponente b (fälschlich als "Komponente A" bezeichnet) ein mit der nebenstehenden Strukturformel definiertes nichtionisches Tensid sowie Wasser jeweils in Mengen hinzugefügt, die den Merkmalen 3 und 4 entsprechen. Die Vergleichsbeispiele 21 und 24 entsprechen mit den für sie angegebenen Viskositätswerten dem Merkmal 1.2. Mit dem Fehlen einer Komponente gemäß Merkmal 6.3 erfüllen die Vergleichsmerkmale die Disclaimermerkmalsgruppe 6.
28
c) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 wird damit zumindest von dem Vergleichsbeispiel 21 der NiK6 neuheitsschädlich vorweggenommen.
29
aa) Dass das Produktblatt NiK9a für eine Verwendung von COATEX BR 900 nur Beimischungen dieses Produkts in Wasser mit einem Gehalt von bis zu 10 % - bei Fehlen weiterer Zusatzstoffe - vorsieht, steht dem nicht entgegen, weil die Verwendung des Produkts in den NiK6 zugrunde liegenden Versuchen nicht an die Herstellerhinweise für eine leichte Handhabung gebunden waren und die dort gezeigten Vergleichsbeispiele 20 und 21 deutlich zeigen, dass es eines Tensids als weiteren Zusatzstoff bedarf, um eine hinreichend niedrige Viskosität zu erreichen.
30
bb) Entgegen der Ansicht der Berufung verstößt es nicht gegen das für die Neuheitsprüfung geltende Gebot des Einzelvergleichs, im Rahmen der Ermittlung des Offenbarungsgehalts von NiK6 die Produktinformationen aus NiK9a zu berücksichtigen. Es ist anerkannt, dass Verweise in Dokumenten wie etwa auf "herkömmliche Verfahren" durch Heranziehen von Nachschlagewerken konkretisiert werden können (Busse/Keukenschrijver, 7. Aufl., § 3 Rn. 83 mN in Fn. 329). Entsprechend verhält es sich hier. Die Bezugnahme auf COATEX BR 900 in NiK6 als auf einen handelsüblichen Polyurethanverdicker deutet darauf hin, dass es sich um ein so marktgängiges Erzeugnis handelt, dass dem Fachmann seine Zusammensetzung ohne Weiteres bekannt ist oder er sich die entsprechenden Produktinformationen ohne Hindernisse beschaffen kann.
31
cc) NiK6 trifft Patentanspruch 1 des Streitpatents entgegen der Auffassung der Berufung insgesamt neuheitsschädlich, obwohl die Vergleichsbeispiele 21 und 24 in NiK6 in Bezug auf die Merkmalsgruppe 2 lediglich ein Polyurethan gemäß COATEX BR 900 bzw. 910 und in Bezug auf die Merkmals- gruppe 4 nur ein nicht-ionisches Tensid offenbaren. Patentschutz kann nur für eine insgesamt neue Erfindung beansprucht werden. Wird ihr Gegenstand im Stand der Technik auch nur mit einer erfassten Ausführungsform vorweggenommen , fehlt es an dieser Voraussetzung (vgl. Benkard/Melullis, PatG, 10. Aufl., § 3 Rn. 12). Andernfalls würde ein Exklusivrecht für schon im Stand der Technik Bekanntes verliehen. Das gilt auch, wenn, wie hier, als Bestandteile einer Stoffzusammensetzung mehrere Stoffe oder Stoffgruppen alternativ beansprucht werden, obwohl einige dieser Stoffe oder Stoffgruppen als Bestandteil einer solchen Zusammensetzung bekannt waren. Dies steht zu der von der Beklagten angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere zum Offenbarungsgehalt von Strukturformeln (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 - Olanzapin) nicht in Widerspruch. Denn es geht nicht darum, ob mit Polyurethanen auch die anderen in Patentanspruch 1 beanspruchten Verdickerpolymere offenbart sind, sondern, worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, darum, dass ein solcher Anspruch nicht in seiner Gesamtheit gewährt werden kann.
32
dd) Für die Vorwegnahme der Merkmalsgruppe 2 reicht es im Übrigen aus, dass COATEX BR 900 - am Prioritätstag - auf dem Markt erhältlich war. Damit war der Fachmann in der Lage, eine der Merkmalsgruppe 2 entsprechende Zusammensetzung herzustellen. Für eine die Neuheit eines Erzeugnisses ausschließende Offenbarung reicht es aus, wenn ein auf dem Markt erhältliches Produkt die Merkmale dieses Erzeugnisses tatsächlich aufweist. Es ist nicht erforderlich, dass der Fachmann die konkreten Eigenschaften des Produkts kannte oder in der Lage war, diese analytisch zu bestimmen und danach das Produkt herzustellen (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 2010 - Xa ZR 10/07, juris Rn. 48 f.; vom 18. November 2010 - Xa ZR 149/07, GRUR 2011, 129 Rn. 45 - Fentanyl-TTS).
33
2. Patentanspruch 1 ist auch in der Fassung der Hilfsanträge nicht patentfähig. Die in diesen Fassungen beschriebenen Gegenstände beruhen nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Frage der Zulässigkeit der gestellten Hilfsanträge kann daher offen bleiben.
34
a) Im Hilfsantrag I wird Patentanspruch 1 folgendes zusätzliches Merkmal als Ausschlusskriterium hinzugefügt: "7. ausgenommen einer Verdickungsmittelzubereitung bestehend aus einem Gemisch zu 25 Gew.-% COATEX BR 900 oder zu 25 Gew.-% COATEX BR 910 sowie zu 25 Gew.-% eines Stoffes der folgenden Formel: und Wasser im Übrigen."
35
Die in diesem Merkmal als Disclaimer beschriebene Stoffzusammensetzung entspricht den Vergleichsbeispielen 21 und 24 der NiK6.
36
Hilfsantrag II entspricht Hilfsantrag I mit der Abweichung, dass in Merkmal 2.1 die Worte "Polyester, modifizierte Cellulosederivate, Polyesterurethane" fehlen.
37
Hilfsantrag III entspricht Hilfsantrag II mit der Abweichung, dass Merkmal 2.1 nur noch Polyurethane als Auswahl für das Verdickerpolymer vorsieht und Unteranspruch 3 wegfällt.
38
b) Gegen die Zulässigkeit der Hilfsanträge können unter dem Gesichtspunkt des Klarheitsgebots Bedenken bestehen. Ein europäisches Patent kann im Nichtigkeitsverfahren nicht mit Patentansprüchen beschränkt verteidigt werden , die dem Erfordernis einer deutlichen (klaren) Anspruchsfassung nicht genügen (BGH, Urteil vom 18. März 2010 - Xa ZR 54/06, GRUR 2010, 709 - Proxiserversystem). Das schließt ein, dass die beschränkten Ansprüche in sich widerspruchsfrei sind. Ob es daran, unbeschadet der Frage der generellen Zulässigkeit von Disclaimern, bereits deshalb fehlt, weil hier Verdickungsmittelzubereitungen von den Ansprüchen ausgenommen sein sollen, die COATEX BR 900 bzw. 910 enthalten, deren Aktivstoff ein Polyurethan ist (oben III 1 b), Polyurethan gleichzeitig aber als Verdickerpolymer in der Fassung aller Hilfsanträge beansprucht wird und damit unklar sein könnte, was beansprucht wird und was nicht, bedarf im Hinblick auf die nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit keiner abschließenden Entscheidung.
39
c) Jedenfalls war eine den Gegenständen der jeweiligen Patentansprüche 1 aus den Hilfsanträgen I bis III entsprechende Verdickerzusammensetzung dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt.
40
aa) Bereits vor dem Prioritätstag war für das Produkt COAPUR 5035 ein Produktblatt (Anl. NiK10e) der Öffentlichkeit zugänglich. Soweit die Beklagte dessen Vorveröffentlichung erstmals in der Berufungsinstanz bestreitet, ist dies gemäß §§ 117 PatG, 531 Abs. 2 ZPO nicht zu beachten; die Beklagte zeigt aber auch keine tatsächlichen Umstände auf, die Zweifel daran begründen könnten, dass COAPUR 5035 vor dem Prioritätstag tatsächlich vertrieben und mit dem Produktblatt NiK10e beworben worden ist. Dass in einzelnen zu den Akten gereichten Dokumenten von einem COAPUR-Gel die Rede ist, rechtfertigt entgegen der Berufung nicht die Annahme oder den begründeten Verdacht, dass es dieses Erzeugnis als leicht viskose Flüssigkeit gar nicht gegeben hätte.
Das Produktblatt (NiK10e) offenbart, dass es mit COAPUR 5035 ein Produkt auf der Basis eines lösungsmittelfreien, in Wasser löslichen, flüssigen Polyurethanverdickers gab, dessen aktive Stoffe darin einen Anteil von 35 % aufweisen. Die Brookfield-Viskosität wird bei einer Spindeldrehzahl von 100 U/min mit 4.000 cP angegeben (NiK10e S. 1 re. Sp.). Gegen die Feststellung des Patentgerichts , dass sich daraus eine Viskosität von weniger als 15.000 mPa·s entsprechend der Maßeinheit von Merkmal 1.2 ergibt, sind keine konkrete Zweifel begründenden Anhaltspunkte ersichtlich.
41
bb) Aufgrund der in diesem Produktblatt beschriebenen vorteilhaften Eigenschaften, nämlich einer lösungsmittelfreien und gleichwohl entsprechend dem Merkmal 1.2 gießbaren Verdickerzusammensetzung, hatte der Fachmann Anlass, Überlegungen zur Herstellbarkeit eines solchen oder ähnlichen Produkts mit gleichen Eigenschaften anzustellen.
42
Aus dem Produktblatt erfuhr er, dass eine solche Zusammensetzung mit einem Polyurethan zu erzielen war. Ihm war bekannt, dass die bloße Mischung eines für einen Assoziativverdicker geeigneten Polyurethans mit Wasser nicht zu der gewünschten Viskosität führen würde, jedenfalls wenn der aktive Anteil bei 35 % liegt. Da das in NiK10e beschriebene Produkt keine organischen Lösungsmittel enthielt, drängte sich ihm auf, dass ein anderer Zusatzstoff erforderlich ist, um die gewünschte Viskosität zu erzielen. Hierzu war aus NiK12 und dem Aufsatz von Thibeault u.a. "Effect of Surfactants and Cosolvents on the Behavior of Associative Thickeners in Latex Systems" in Adv.Chem.Series 213 (1986) S. 375 (NiK13) bekannt, dass neben organischen Lösungsmitteln auch oberflächenaktive Stoffe entsprechende Auswirkungen auf die assoziativen Bindungen und somit auf die Viskosität eines Verdickers haben. Dem Aufsatz "Hydrophobically modified urethane-ethoxylate (HEUR) associative thickeners" von Huldén in Colloids and Surfaces A, 82 (1994), S. 263 (NiK18) entnahm er entsprechend den Feststellungen des Patentgerichts, die nicht infolge konkreter Anhaltspunkte zweifelhaft erscheinen, dass diese Wirkungen von oberflächenaktiven Stoffen nicht erst im Endprodukt sondern bereits in den dem Endprodukt beigemischten, wässrigen Verdickerzusammensetzungen wirksam werden.
43
Die durch diese neueren Veröffentlichungen in NiK12, 13 und 18 vermittelten Erkenntnisse wurden durch die in der älteren australischen Patentanmeldung 32174/78 (NiK15) mitgeteilten Beobachtungen, die Hinzufügung von oberflächenaktiven Stoffen zu Polyurethan bewirke eine erhebliche Steigerung der Viskosität (S. 5 Abs. 2), aus fachlicher Sicht nicht entscheidend erschüttert. NiK18 beschreibt hierzu klar, dass die Zugabe solcher Stoffe zwar zunächst zu einer Steigerung, nach Überschreiten eines Maximums aber wieder zu einer Senkung der Viskosität führe (NiK18, Zusammenfassung).
44
Auch wenn NiK12 sich, wie die Berufung es darstellt, vorrangig mit dem Endprodukt befasst, womit ausweislich der Titelzeile Farben auf Wasserbasis angesprochen sind, stellt diese Veröffentlichung für den Gegenstand des Streitpatents unmittelbar einschlägiges, dem Fachmann zuzurechnendes Fachwissen dar. Die vom Streitpatent unter Schutz gestellten Zusammensetzungen sind für die Verwendung in wässrigen Systemen vorgesehen, welche nach den weiteren Ausführungen in der Beschreibung u.a. auf Wasser oder Latex basierende Farben und Beschichtungen, Baumaterialien oder Kosmetika einschließen. Aus fachlicher Sicht betreffen die durch einen wissenschaftlichen Beitrag mit diesem Thema vermittelten Erkenntnisse direkt die Weiterentwicklung des Stands der Technik am Prioritätstag. NiK12 spricht im Übrigen auch, worauf bereits das Patentgericht hingewiesen hat, den Umweltaspekt an. Es werden die Vorzüge der verschiedenen oberflächenaktiven Stoffe geschildert und in diesem Zusammenhang wird bemerkt, dass Butylcarbitol als wasserlösliches Hilfslösungsmittel (scil: nur) die beste Auswahl sei, wenn die Konzentrationen unter den gesetzlich festgelegten Höchstwerten gehalten werden können (vgl. NiK12 S. 12).
45
Hiervon ausgehend hatte der Fachmann Anlass, Assoziativverdicker aus der Gruppe der Polyurethane im Wege von Versuchen mit oberflächenaktiven Stoffen in Wasser zu mischen und dabei jeweils Anteile gemäß den Merkmalen 2 bis 4.1 in Betracht zu ziehen. Entsprechend den Feststellungen des Patentgerichts , die auch insoweit nicht durch konkrete Anhaltspunkte infrage stehen , war zu erwarten, mit solchen Versuchen auch zu Zusammensetzungen entsprechend diesen Merkmalen außerhalb der durch die Disclaimer der Hilfsanträge ausgenommenen Stoffe zu gelangen und dabei eine Gießbarkeit, Dispergierbarkeit und Viskosität entsprechend der Merkmalsgruppe 1 zu erzielen, ohne eine Mischung entsprechend den Merkmalen 6 und 7 verwenden zu müssen. Die Entwicklung einer Verdickerzusammensetzung entsprechend dem Gegenstand des Patentsanspruchs 1 in der Fassung eines der Hilfsanträge hatte daher für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt nahegelegen.
46
3. Hinsichtlich der Patentfähigkeit der Unteransprüche sowohl in der Fassung des Hauptantrags als auch in den Fassungen der Hilfsanträge der Beklagten wird auf die zutreffenden Ausführungen des Patentgerichts verwiesen, gegen die mit der Berufung auch keine durchgreifenden Bedenken erhoben wurden.
47
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO. Gröning Grabinski Hoffmann Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 20.11.2012 - 3 Ni 20/11 (EP) -

(1) Ergibt die Begründung des angefochtenen Urteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Berufung zurückzuweisen.

(2) Insoweit die Berufung für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(3) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Nichtigkeitssenat erfolgen.

(4) Das Patentgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Der Bundesgerichtshof kann in der Sache selbst entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Er hat selbst zu entscheiden, wenn die Sache zur Endentscheidung reif ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 117/11 Verkündet am:
17. Juli 2012
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Polymerschaum
PatG §§ 81 ff., § 14; EPÜ Art. 69 Abs. 1
Die Prüfung der Patentfähigkeit erfordert regelmäßig eine Auslegung des Patentanspruchs, bei
der dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum
Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen sind. Dem Patentanspruch darf dabei
nicht deshalb ein bestimmter Sinngehalt beigelegt werden, weil sein Gegenstand andernfalls
gegenüber den Ursprungsunterlagen unzulässig erweitert wäre.
Ergibt die mündliche Verhandlung des Patentnichtigkeitsberufungsverfahrens, dass die Sache
nicht zur Endentscheidung reif ist, kommt es für die Entscheidung, ob es sachdienlich ist, die
gebotene weitere Sachaufklärung dem Patentgericht zu übertragen oder zu diesem Zweck das
Berufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof fortzusetzen, in erster Linie darauf an, auf welchem
Weg die noch offenen Sachfragen möglichst effizient und zügig geklärt werden können.
BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Juli 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, den
Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. Grabinski
und Dr. Bacher

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14. April 2011 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Patentgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 102 809 (Streitpatents), das am 30. Juli 1999 unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom 31. Juli 1998 international angemeldet worden ist und Polymerschaum enthaltende Artikel sowie ein Verfahren zu deren Herstellung betrifft. Das Streitpatent umfasst 38 Ansprüche, von denen die einander nebengeordneten Ansprüche 1, 15 und 36 in der Verfahrenssprache Englisch wie folgt lauten: "1. A method for preparing a polymer foam, said method comprising: (a) providing a plurality of expandable polymeric microspheres and a molten polymer composition containing less than 20 wt.% solvent , each expandable polymeric microsphere including a polymer shell and a core material in the form of a gas, liquid, or combination thereof, that expands upon heating, with the expansion of the core material, in turn, causing the shell to expand; (b) melt mixing the molten polymer composition and the plurality of expandable polymeric microspheres, under process conditions, including temperature and shear rate, selected to form an expandable extrudable composition; (c) extruding the expandable extrudable composition through a die to form the polymer foam; and (d) at least partially expanding a plurality of the expandable polymeric microspheres before the expandable extrudable composition exits the die. 15. An article comprising the polymer foam obtainable according to the method of claim 1. 36. An article comprising: a recess; a foam-in-place article comprising a polymer foam obtainable by a method of claim 1 comprising a polymeric matrix and a plurality of at least partially expanded polymeric microspheres, and optionally an activated blowing agent, said foam-in-place article being positioned in said recess and partially or completely filling said recess."
2
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig und die Erfindung sei nicht so deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Ferner hat die Klägerin im Wege der Klageerweiterung geltend gemacht, dass das Streitpatent über den Inhalt der ursprüng- lich eingereichten Anmeldung hinausgehe. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat das Streitpatent hilfsweise in der Fassung mehrerer Hilfsanträge verteidigt.
3
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.
4
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage anstrebt, soweit sie das Streitpatent verteidigt. Nach ihrem Hauptantrag, neben dem sie - in geänderter Reihenfolge - ihre erstinstanzlichen Hilfsanträge weiterverfolgt, sollen Patentanspruch 1 und die diesem untergeordneten Patentansprüche in der erteilten Fassung beibehalten werden. Patentanspruch 15 und die diesem untergeordneten Patentansprüche sollen die Fassung des bisherigen Hilfsantrags 5 erhalten. Danach soll Patentanspruch 15 wie folgt lauten: "15. An article comprising the polymer foam obtainable according to the method of claim 1, wherein said polymer foam is an adhesive, and wherein the polymer composition comprises an acrylate or methacrylate adhesive polymer or copolymer."
5
Unteranspruch 24 soll entfallen und die Nummerierung der nachfolgenden Unteransprüche 25 bis 35 entsprechend angepasst werden. Die Patentansprüche 36 bis 38 der erteilten Fassung sollen entfallen.
6
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
7
Die Parteien haben eine Mehrzahl von Gutachten vorgelegt, die Prof. Dr.-Ing. F. O. , Hochschule für Angewandte Wissenschaften H. , Department Maschinenbau & Produktion, für die Klägerin und Prof. Dr.-Ing. M. S. , Inhaber des Lehrstuhls für Polymerwerkstoffe der Universität S. , für die Beklagte erstattet haben.

Entscheidungsgründe:


8
Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht.
9
I. Das Patentgericht hat die Erweiterung der Klage um den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung als sachdienlich und die Klage daher insgesamt als zulässig angesehen.
10
Den Nichtigkeitsgrund mangelnder Ausführbarkeit hat das Patentgericht als unbegründet angesehen. Zur Begründetheit der Klage hat es im Übrigen ausgeführt, es teile die Bedenken der Klägerin gegen die Ursprungsoffenbarung der Merkmale "providing … a molten polymer composition …" und "melt mixing the molten polymer composition and the plurality of expandable polymeric microspheres …", sofern damit die zeitliche Reihenfolge der Arbeitsweisen der Absätze (a) und (b) derart festgelegt sei, dass die Mikrokugeln erst der bereits geschmolzenen Polymerzusammensetzung zugegeben würden. Denn eine entsprechende Textstelle fehle in den Ursprungsunterlagen. Der Einwand der Beklagten , die Reihenfolge ergebe sich aus sämtlichen Ausführungsbeispielen, die Hot-Melt-Polymer-Zusammensetzungen beträfen, sowie einer voran gestellten allgemeinen Anweisung der Zugabe der expandierbaren Mikrokugeln zum geschmolzenen Polymer, könne die Bedenken nicht ausräumen, weil eine stoffliche Einschränkung hinsichtlich der Polymerzusammensetzung und eine Einschränkung der Verfahrensführung nicht offenbart seien.
11
Über den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung müsse jedoch nicht abschließend entschieden werden, da die Gegenstände des Patentanspruchs 1 und des Patentanspruchs 15, der auf ein Erzeugnis in Form eines Product-by-Process-Anspruchs gerichtet sei und auf die Merkmale des Verfahrens gemäß Patentanspruch 1 Bezug nehme, nicht patentfähig seien.
12
Dies hat das Patentgericht im Wesentlichen damit begründet, dass die Erfindung gegenüber dem in den Entgegenhaltungen E01, E02, E04 und E05 offenbarten Stand der Technik nicht neu sei.
13
Die deutsche Offenlegungsschrift 195 31 631 (E01) betreffe ein Verfahren zur Herstellung thermoplastischer Kunststoffschäume mit syntaktischer Schaumstruktur. Danach werde ein Gemisch aus thermoplastischem Polymer bzw. einer thermoplastischen Zusammensetzung und expandierbaren polymeren Mikrokugeln ohne Zusatz von Lösemitteln in geschmolzenem Zustand im Extruder durch eine Düse extrudiert. Die von der Lehre der E01 umfassten Ausführungsformen des Extrusionsverfahrens wiesen sämtliche Merkmale des streitpatentgemäßen Verfahrens auf. Da aus dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung nicht hervorgehe, wann genau im Verfahrensablauf die im Verfahrensschritt (d) vorgesehene mindestens teilweise Expansion der Mikrokugeln erfolge, erfasse das streitpatentgemäße Verfahren sowohl Ausführungsformen, bei denen nahezu die gesamte Expansion bereits vor dem Austritt der Polymermasse aus der Extruderdüse stattfinde, als auch Ausführungsformen, bei denen nur eine geringfügige Expansion vor dem Austritt aus der Düse und die vollständige Expansion erst nach dem Austritt aus der Düse erfolge. Schließlich sei das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents nach seinem Wortlaut nicht in der Weise beschränkt, dass die Polymerzusammensetzung zunächst vollständig geschmolzen sein müsse, bevor die expandierbaren polymeren Mikrokugeln zugesetzt würden. Das streitpatentgemäße Verfahren umfasse daher auch eine Ausführungsform, bei der die Polymerzusammensetzung erst nach der Zugabe der expandierbaren polymeren Mikrokugeln im Verlauf der Passage durch den Extruder hin zur Extruderdüse vollständig schmelze, und sei daher nicht abgegrenzt von der Verfahrensweise der E01, bei der die Temperaturen im Extrusi- onszylinder bei 395 bis 405 K und damit oberhalb der Schmelztemperatur der jeweils eingesetzten Polyolefine lägen.
14
Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 und damit auch die Erzeugnisse nach Patentanspruch 15 des Streitpatents in der erteilten Fassung seien auch gegenüber der Abhandlung von Elfving, Foaming Plastics With Expancel Microspheres, Seminarbeitrag 19. Februar 1998, RAPRA Technology Ltd. (E02), nicht neu. Diese Abhandlung befasse sich mit dem Aufschäumen von Polymermassen mittels "Expancel"-Mikrokugeln und beschreibe einen Großteil der Merkmale des Streitpatents. Die aufgabenhaft gehaltenen Merkmale, wonach das Schmelzmischen der geschmolzenen Polymerzusammensetzung und der expandierbaren polymeren Mikrokugeln hinsichtlich Temperatur und Schergeschwindigkeit unter solchen Prozessbedingungen durchzuführen sei, dass eine expandierbare, extrudierbare Masse entstehe, stellten Selbstverständlichkeiten bei der Extrusion von Thermoplasten dar, so dass insoweit fehlende Ausführungen in der E02 der Annahme der fehlenden Neuheit nicht entgegenstünden.
15
Ebenso lehre die veröffentlichte europäische Patentanmeldung 802 946 (E04) die Verarbeitung einer Mischung aus thermoplastischem und damit schmelzbaren polymeren Mikrokugeln zur Schäumung und damit Dichtereduktion im Extruder bei vorgegebener Temperatur und Verweilzeit. Sie erfülle damit ebenfalls alle Merkmale des streitgemäßen Verfahrens nach Anspruch 1. Dementsprechend seien auch die Erzeugnisse nach Anspruch 15 gegenüber der E04 nicht neu.
16
Schließlich seien streitpatentgemäße Erzeugnisse auch nach der Lehre der japanischen Offenlegungsschrift Hei 10-152575 (E05) erhältlich. Danach würden geschäumte Polymerformmassen aus dem Gemisch eines geschmolzenen thermoplastischen Materials als Matrix und expandierbarer polymerer Mikrokugeln des Typs "Expancel" unter Schmelzmischen bei geeigneten Be- dingungen im Extruder ohne den Zusatz von Lösemitteln hergestellt. Die Maßgaben des Verfahrensschritts (d) in Anspruch 1 des Streitpatents seien insofern erfüllt, als gemäß der Lehre der E05 verschiedene Expansionsgrade einschließlich der vollständigen Expansion vor dem Austritt aus der Düse des Extruders einstellbar seien.
17
Im Übrigen sei dem Fachmann, einem Diplom-Chemiker der Fachrichtung Makromolekulare Chemie bzw. Polymerchemie oder einem Diplom-Ingenieur der Verfahrenstechnik mit Kenntnissen und langjährigen Erfahrungen auf dem Gebiet der Kunststofftechnik, insbesondere der Herstellung geschäumter extrudierter Polymermassen und -formteile, ein Verfahren gemäß Patentanspruch 1 und damit ein nach dessen Arbeitsweise erhältliches Erzeugnis gemäß Patentanspruch 15 jedenfalls ausgehend von der Lehre der E02 nahegelegt worden , so dass das Streitpatent auch mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand haben könne. Die E02 gebe nicht nur die Anregung, Extrudate aus geeigneten thermoplastischen Polymerzusammensetzungen als Polymermatrix und expandierbaren extrudierbaren polymeren Mikrokugeln der Marke "Expancel" herzustellen, sondern vermittle darüber hinaus auch eine technische Lehre, die es einem Fachmann ermögliche, aufgrund seines Wissens und Könnens ohne weiteres zu einem für den jeweiligen Anwendungszweck maßgeschneiderten Verfahren bzw. zu Produkten mit sämtlichen Merkmalen der Patentansprüche 1 und 15 in der erteilten Fassung zu gelangen.
18
Schließlich könne das Streitpatent auch in den hilfsweise verteidigten Fassungen keinen Bestand haben. Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit der Hilfsanträge beruhten die hilfsweise verteidigten Gegenstände des Streitpatents jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
19
II. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.
20
1. Das Streitpatent betrifft Polymerschaum enthaltende Erzeugnisse und Verfahren zu deren Herstellung.
21
Polymerschaum enthaltende Gegenstände waren im Prioritätszeitpunkt des Streitpatents bereits bekannt und finden in unterschiedlichen Bereichen, wie beispielsweise in der Luftfahrt, im Fahrzeugbau und auf medizinischem Gebiet , Verwendung.
22
Polymerschaum zeichnet sich dadurch aus, dass er eine geringere Dichte aufweist als die in ihm enthaltende Polymermatrix. Die Reduzierung der Dichte wird mit unterschiedlichen Verfahrensweisen erreicht, so durch die Erzeugung von gasgefüllten Hohlräumen in der Matrix (z.B. mit Hilfe eines Treibmittels) oder durch das Zusetzen polymerer Mikrokugeln (z.B. expandierbarer Mikrokugeln ) oder nichtpolymerer Mikrokugeln (z.B. gläserner Mikrokugeln). Die Streitpatentschrift verweist in diesem Zusammenhang auf die deutsche Offenlegungsschrift 195 31 631 (E01), die ein Verfahren zur Herstellung eines thermoplastischen Polymerschaums mittels Extrusions- oder Spritzgussmaschinen betrifft (Beschr. Abs. 2, 3).
23
In der Streitpatentschrift wird nicht ausdrücklich angegeben, welches technische Problem das Streitpatent betrifft. Die Aufgabenbeschreibung des Patentgerichts nimmt mit dem Hinweis auf die Art und den Zeitpunkt der Expansion der Mikrokugeln im Extruder die erfindungsgemäße Lösung teilweise vorweg. Das dem Streitpatent zugrunde liegende Problem ist allgemeiner darin zu sehen, ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, bei dem das Aufschäumen mittels expandierbarer Mikrokugeln unter Einhaltung definierter Bedingungen möglich ist und Erzeugnisse zuverlässig innerhalb enger Fertigungstoleranzen hergestellt werden können.
24
Zur Lösung des Problems schlägt das Streitpatent ein Verfahren mit folgenden Merkmalen vor (die abweichende Merkmalsgliederung des Patentgerichts ist in eckigen Klammern wiedergegeben): 1. Verfahren zur Herstellung eines Polymerschaums durch Bereitstellen 1.1. von mehreren expandierbaren polymeren Mikrokugeln und 1.2. einer geschmolzenen Polymerzusammensetzung (molten polymer composition) [1; 2; 2.1]. 2. Die geschmolzene Polymerzusammensetzung enthält weniger als 20 Gewichtsprozent Lösungsmittel [2.1.1]. 3. Jede expandierbare polymere Mikrokugel umfasst eine Polymerhülle und ein Kernmaterial [2.1.2; 2.1.2.1], das 3.1. aus einem Gas, einer Flüssigkeit oder einer Kombination davon besteht [2.1.2.2] und 3.2. beim Erwärmen expandiert, was zur Expansion der Polymerhülle führt [2.1.2.3]. 4. Die geschmolzene Polymerzusammensetzung und die expandierbaren Mikrokugeln werden schmelzgemischt (melt mixing the molten polymer composition and the plurality of expandable polymeric microspheres) [2.2], wobei die Prozessbedingungen einschließlich Temperatur und Schergeschwindigkeit so gewählt werden, dass eine Zusammensetzung gebildet wird, die 4.1. extrudierbar und 4.2. expandierbar ist [2.2.1; 2.2.2]. 5. Die expandierbare extrudierbare Zusammensetzung wird durch eine Düse extrudiert, um den Polymerschaum zu bilden [2.3].
6. Mehrere der expandierbaren polymeren Mikrokugeln expandieren zumindest teilweise, bevor die expandierbare, extrudierbare Zusammensetzung aus der Düse tritt [2.4].
25
Der mit dem Hauptantrag allein noch verteidigte nebengeordnete Erzeugnisanspruch 15 ist auch in seiner verteidigten Fassung als Product-by-ProcessAnspruch ausgestaltet und dadurch definiert, dass die Erzeugnisse durch das Verfahren nach Patentanspruch 1 erhältlich sind, wobei der Polymerschaum ein Klebstoff ist und die Polymerzusammensetzung ein adhäsives Acryl- oder Methacrylpolymer oder -copolymer enthält.
26
2. Die Auslegung des Patentanspruchs 1, die das Patentgericht seiner Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents zugrunde gelegt hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
27
a) Das Patentgericht hat eine zusammenhängende Ermittlung der mit Patentanspruch 1 gegebenen technischen Lehre unterlassen und lediglich bei der Prüfung der Neuheit jeweils Ausführungen zum Sinngehalt einzelner Merkmale gemacht. Im Rahmen der Auslegung sind jedoch der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen (BGH, Urteil vom 3. Juni 2004 - X ZR 82/03, BGHZ 159, 221, 226 - Drehzahlermittlung; Urteil vom 13. Februar 2007 - X ZR 74/05, BGHZ 171, 120 Rn. 18 f. - Kettenradanordnung I; Beschluss vom 17. April 2007 - X ZB 9/06, BGHZ 172, 108 Rn. 13 f. - Informationsübermittlungsverfahren I; Urteil vom 31. Mai 2007 - X ZR 172/04, BGHZ 172, 298 Rn. 38 - Zerfallszeitmessgerät; Urteil vom 29. Juni 2010 - X ZR 193/03, BGHZ 186, 90 Rn. 13 - Crimpwerkzeug III). Die Bestimmung des Sinngehalts eines einzelnen Merkmals muss stets in diesem Kontext erfolgen, aus dem sich ergeben kann, dass dem Merkmal eine andere Bedeutung zukommt als einem entsprechenden Merkmal in einer zum Stand der Technik gehörenden Entgegenhaltung. Denn für das Verständnis entschei- dend ist zumindest im Zweifel die Funktion, die das einzelne technische Merkmal für sich und im Zusammenwirken mit den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs bei der Herbeiführung des erfindungsgemäßen Erfolgs hat. Dabei sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen sind, unabhängig davon, ob diese Auslegung die Grundlage der Verletzungsprüfung oder der Prüfung des Gegenstands des Patentanspruchs auf seine Patentfähigkeit ist (BGHZ 186, 90 Rn. 13 - Crimpwerkzeug

III).


28
Entgegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung ist es dabei unerheblich, ob die Auslegung zu einem Ergebnis führt, bei dem der Patentanspruch eine unzulässige Erweiterung gegenüber den Ursprungsunterlagen enthält. Ebenso wenig wie der Patentanspruch nach Maßgabe dessen ausgelegt werden darf, was sich nach Prüfung des Standes der Technik als patentfähig erweist (BGH, Urteil vom 24. September 2003 - X ZR 7/00, BGHZ 156, 179, 186 - blasenfreie Gummibahn I), darf er nach Maßgabe des Sinngehalts der Ursprungsunterlagen ausgelegt werden. Grundlage der Auslegung ist vielmehr allein die Patentschrift. Ein Vergleich mit der Veröffentlichung der Patentanmeldung kommt allenfalls dann in Betracht, wenn dies bei Widersprüchen zwischen Beschreibung und Patentanspruch zur Klärung des Umfangs einer bei der Erteilung des Patents oder im Einspruchsverfahren vorgenommenen Beschränkung des geschützten Gegenstands beitragen kann (BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 Rn. 25 - Okklusionsvorrichtung; Urteil vom 4. Februar 2010 - Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 Rn. 20 - Gelenkanordnung).
29
b) Die an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung führt zu folgendem Ergebnis:
30
Der Begriff "molten polymer composition" wird im Patentanspruch sowohl in Merkmal 1.2 als auch in Merkmal 4 verwendet. Die wesentlich von dem Verständnis dieser Merkmale abhängige und zwischen den Parteien streitige Frage , ob der Patentanspruch eine Reihenfolge der Verfahrensschritte zum Ausdruck bringt, nach der die expandierten Mikrokugeln einer bereits vor der Beimischung geschmolzenen Polymerzusammensetzung zugesetzt werden, ist entgegen der Auffassung des Patentgerichts und der Klägerin zu bejahen.
31
Schon der Wortlaut des Patentanspruchs macht deutlich, dass die Komponenten des Verfahrens die Mikrokugeln (Merkmal 1.1) und die geschmolzene Polymerzusammensetzung (Merkmal 1.2) sind. Diese Komponenten sollen bereitgestellt werden ("providing"). Die Kennzeichnung der Verfahrensschritte mit den Buchstaben a bis d und ihre sachliche Aufeinanderfolge Bereitstellung - Schmelzmischen - Extrudieren/Expandieren sprechen gegen die Annahme, hiermit sei über die Aufeinanderfolge der Maßnahmen nichts ausgesagt. Bei der Schmelzmischung beider Komponenten (Merkmal 4) soll folgerichtig die Expandierbarkeit erhalten bleiben (Merkmal 4.2); entsprechend müssen die Prozessbedingungen gewählt werden. Erst in der Düse beginnt, bedingt durch den Druckabfall (Beschr. Abs. 64; Abs. 83 der Übers.), die Expansion der Mikrokugeln (Merkmal 6).
32
Die Beschreibung erläutert dies, indem sie ausführt, dass Harzteilchen und Additive (aber nicht die Mikrokugeln) gemischt werden, wobei das Mischen vorzugsweise bei einer Temperatur ausgeführt werde, die für eine Mikrokugelexpansion nicht ausreiche. Es könne jedoch auch eine höhere Temperatur verwendet werden, wobei die Temperatur in diesem Fall im Anschluss an das Mischen und vor dem Eintragen der Mikrokugeln erniedrigt werde (Beschr. Abs. 61; Abs. 80 der Übers.). Erst danach werden Polymerzusammensetzung und Mikrokugeln "schmelzgemischt", wobei Temperatur, Druck und Scherkräfte so eingestellt werden, dass kein Expandieren oder Reißen der Mikrokugeln verursacht wird (Beschr. Abs. 63; Abs. 82 der Übers.). Da die Temperatur hier- nach erforderlichenfalls im Verlaufe des Mischungsprozesses abgesenkt werden soll, um eine vorzeitige Expansion der Mikrokugeln zu vermeiden, andererseits am Ende eine extrudierbare Schmelze stehen soll, wird deutlich, dass - entgegen der Annahme des Patentgerichts - die in dieser Konstellation die Temperatur schon vor Zufügung der Mikrokugeln über dem Schmelzpunkt der Polymerzusammensetzung liegen muss.
33
3. Vor diesem Hintergrund kann die Beurteilung der Neuheit der erfindungsgemäßen Lehre durch das Patentgericht keinen Bestand haben. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu (Art. 54 Abs. 1 und 2 EPÜ). Keine der Entgegenhaltungen sieht vor, dass die Mikrokugeln in die geschmolzene Polymermischung gegeben werden.
34
a) Das in der deutschen Offenlegungsschrift 195 31 631 (E01) beschriebene Verfahren sieht vor, dass den zu verarbeitenden Matrixkunststoffen, deren Erweichungs- oder Schmelztemperaturen zwischen 375 K und 450 K liegen können, Komponenten zugemischt werden, die bereits vor dem Erreichen der Temperaturen, bei denen die Expansion der Mikrokugeln unter Normalbedingungen beginnen würde, Schmelzanteile bilden. Durch diese früh gebildeten Schmelzanteile soll der Aufbau von Druck noch vor dem Schmelzen des Matrixkunststoffes ermöglicht und die Expansion der Mikrokugeln im Extruder während der Existenz fester, höherschmelzender Matrixkunststoffanteile wirksam verhindert werden. Daraus ergibt sich, dass die Mikrokugeln dem Matrixkunststoff zu einem Zeitpunkt beigemischt werden, in dem dieser anders als beim Streitpatent noch nicht (vollständig) geschmolzen ist.
35
b) Der RAPRA-Seminarvortrag "Foaming Plastics With Expancel Microspheres" des Produktmanagers des Herstellers Expancel, Klaus Elfving, (E02) befasst sich in erster Linie mit der Frage, welche Art und Menge von Mikrokugeln vorzugsweise zu verwenden sind, um die erwünschten Schaumstrukturen zu erzielen. Zu den Einzelheiten des Herstellungsverfahrens enthält die E02 keine Angaben. Insbesondere sieht die E02 nicht vor, dass die Mikrokugeln einer bereits geschmolzenen Polymerzusammensetzung beizugeben sind.
36
c) Die Veröffentlichung der internationalen Anmeldung WO 96/11226 (E04) betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines thermoplastischen Kunststoffes zur Ruhigstellung und/oder zum Schutz eines Körperteils, bei dem einem thermoplastischen Grundmaterial Mikrokugeln, die ein Schäummittel bilden, als Füllstoff hinzugefügt werden. Die Ansprüche und die Beschreibung der E04 enthalten zwar Angaben sowohl zu den Eigenschaften des thermoplastischen Grundmaterials und der Mikrokugeln bzw. des Schäummittels sowie zum Anteil des Mischverhältnisses als auch zum Ablauf des Extrudiervorgangs und den dabei einzusetzenden Temperaturen. Die E04 sieht jedoch an keiner Stelle vor, dass die Mikrokugeln in eine bereits geschmolzene Polymermischung gegeben werden.
37
d) Ebenso wenig lässt sich ein solcher Verfahrensschritt der japanischen Offenlegungsschrift Hei 10-152575 (E05) entnehmen, die ein Verfahren zum Schäumen und Formen eines thermoplastischen Harzes betrifft. Bereits in der Aufgabenbeschreibung dieser Entgegenhaltung ist davon die Rede, dass ein Verfahren zur Verfügung gestellt werden soll, das das Mischen eines Ausgangsmaterials aus thermoplastischem Harz mit thermisch expandierbaren Mikrokapseln sowie das thermische Kneten und Schmelzen des Gemisches um- fasst (Beschr. Abs. 7). An anderer Stelle wird ausgeführt, dass die Außenhüllen der thermisch expandierbaren Mikrokapseln aus synthetischem Harz weich würden und das Gas oder die Flüssigkeit in den Mikrokapseln expandierten, sobald das thermoplastische Harz des Ausgangsmaterials im Extrusions- oder Spritzgussverfahren thermisch geschmolzen sei (Beschr. Abs. 14). Dies bedeutet , dass die Mikrokapseln bereits vor dem Schmelzen des Harzes beigegeben worden sein müssen.
38
e) Schließlich sieht auch das in dem US-Patent 5 100 728 (E18) beschriebene Verfahren zur Herstellung von Haftklebebändern an keiner Stelle vor, dass die Mikrokugeln einer geschmolzenen Polymermischung zugesetzt werden sollen. In der Beschreibung wird im Zusammenhang mit der Verwendung von Mikrokugeln als Füllstoff lediglich ausgeführt, es sei vorzugswürdig, den Füllstoff, d.h. in diesem Fall die Mikrokugeln, erst am Ende des Extruders zuzugeben (Beschr. Sp. 10 Z. 62-65). Über den Aggregatzustand der Polymermatrix werden dagegen keine Angaben gemacht.
39
4. Entgegen der Annahme des Patentgerichts ist unter Zugrundelegung der oben dargestellten Auslegung der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch den ermittelten Stand der Technik nicht nahegelegt (Art. 56 EPÜ). Der Fachmann , gegen dessen Definition durch das Patentgericht keine Bedenken bestehen und die auch von den Parteien hingenommen wird, hatte keine Veranlassung , die aus dem Stand der Technik bekannten Verfahren dahingehend weiterzuentwickeln , dass die Mikrokugeln in eine bereits vollständig geschmolzene Polymermischung zu geben sind.
40
a) Die E02 mag zwar - wie das Patentgericht ausführt - die Anregung geben, Extrudate aus thermoplastischen Polymerzusammensetzungen als Polymermatrix und expandierbaren Mikrokugeln herzustellen. Aus der E02 ergab sich für den Fachmann jedoch keine ausreichende Anregung, zur Lehre des Streitpatents zu gelangen. Als Präsentation des Herstellers der Mikrokugeln befasst sich dieses Dokument vorrangig mit den Eigenschaften und der Funktion der Mikrokugeln. In Bezug auf die Komponente Polymere beschränkt sich die E02 auf die Frage, für welche Arten von Polymeren die ExpancelMikrokugeln als Treib- und Schäummittel gut geeignet sind. Vorgaben zum Aggregatzustand der in Betracht kommenden Polymere werden dagegen nicht gemacht. Ebenso wenig enthält die E02 Ausführungen zu den Einzelheiten des Herstellungsverfahrens. Auch insoweit hat die E02 nur die Mikrokugeln im Blick und führt aus, dass es sich bei der Reaktion der Mikrokugeln im Extrusions- und Spritzgussverfahren um Neuland handle (S. 3, li. Sp.: "… rather untouched ground: EXPANCEL in extrusion and injection molding") und dass die Expansionseigenschaften der Mikrokugeln durch Ausprobieren zu ermitteln seien (S. 4, li. Sp.: "trial and error"). Der Fachmann konnte der E02 mithin nichts entnehmen , das ihm Veranlassung hätte geben können, die Mikrokugeln einer bereits geschmolzenen Polymerzusammensetzung beizugeben.
41
b) Auch aus der Entgegenhaltung E01 ergibt sich für den Fachmann keine ausreichende Anregung, zur Lehre des Patentanspruchs 1 zu gelangen.
42
Diese Schrift, die ein Verfahren zur Herstellung von thermoplastischen Kunststoffschäumen mit syntaktischer Schaumstruktur betrifft, erörtert einleitend die verschiedenen im Stand der Technik auf diesem Gebiet bekannten Verfahren. Sie führt hierzu aus, dass im Stand der Technik davon ausgegangen werde, dass die - unerwünschte - vorzeitige Expansion von Mikrokugeln, die an sich durch die zum Aufschmelzen der Kunststoffe erforderlichen Temperaturen oberhalb der Expansionstemperaturen der Mikrokugeln begünstigt werde, durch den hohen Druck in den Kunststoffverarbeitungsmaschinen unterdrückt werde. Entgegen dieser Annahme sei jedoch der Druckaufbau während der Verarbeitung in der Spritzgussmaschine oder im Extruder nicht in allen Phasen gewährleistet , in denen es zur Expansion der Mikrokugeln kommen könne (Sp. 2 Z. 46-59). Ein für den erforderlichen Druckaufbau hermetischer Abschluss des Extruder- oder Spritzgussmaschinenzylinders könne jedoch nicht erfolgen, solange das Volumen zwischen Schneckenkern und Zylinderwandung noch überwiegend mit festen, unaufgeschmolzenen und gegeneinander bewegten Kunststoffpartikeln gefüllt sei. Vielmehr gewähre erst ein relativ hoher Schmelzanteil zwischen den Feststoffpartikeln den druckfesten Verschluss. Um auch Massenkunststoffe verwenden zu können, deren Schmelz- oder Erweichungstemperaturen im Bereich oder über der Expansionstemperatur der Mikroballons liegen, sieht die Schrift vor, den zu verarbeitenden Matrixkunststoffen, deren Erweichungs - oder Schmelztemperaturen zwischen 375 K und 450 K liegen können, Komponenten zuzumischen, die bereits vor dem Erreichen der Temperaturen, bei denen die Expansion der Mikroballons unter Normalbedingungen beginnen würde, Schmelzanteile bilden. Durch die früh gebildeten Schmelzanteile soll der Aufbau von Druck noch vor dem Schmelzen des - dem druckfesten Verschluss wegen seiner Partikularität entgegenstehenden (Sp. 3 Z. 3-13) - Matrixkunststoffes ermöglicht und die Expansion der Mikroballons im Extruder oder der Spritzgussmaschine während der Existenz fester, höherschmelzender Matrixkunststoffanteile wirksam verhindert und ferner die Einwirkung von Scherkräften auf die Mikrokugeln weitgehend vermieden werden (Sp. 4 Z. 22-39). Nach einer als vorteilhaft dargestellten Ausführungsform sollen gemahlene Matrixkunststoffe verwendet werden, mit denen die nicht expandierten Mikrokugeln und die Zusatzkomponenten vor dem Extrudieren gemischt werden, um so einen hohen Verteilungsgrad der Mikrokugeln im Kunststoff bereits vor der Verarbeitung über die Schmelze zu erreichen (Sp. 4 Z. 48-54). Der Grundgedanke der E01 besteht mithin darin, einer vorzeitigen Expansion der Mikrokugeln aufgrund der zum Aufschmelzen des Polymers erforderlichen Temperatur durch Druckaufbau entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund bot die E01 dem Fachmann keine Veranlassung, die Mikrokugeln in die bereits geschmolzene Polymermischung zu geben.
43
c) Ebenso wenig ergibt sich aus den Entgegenhaltungen E04, E05 und E18 für den Fachmann eine Anregung zu dem erfindungsgemäßen Verfahren. In keinem dieser Patentdokumente ist von der Zufügung der Mikrokugeln in eine bereits geschmolzene Polymermasse die Rede. Dies gilt insbesondere auch für die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hervorgehobene Passage in der Beschreibung der E18, wonach es vorzugswürdig sei, die Mikrokugeln erst am Abflussende des Extruders hinzuzufügen (Sp. 10 Z. 62-67). Mit dem Hinzufügen am Abflussende wird bei dem Verfahren nach der E18 nicht das Expansionsverhalten gesteuert, da es sich nicht um expandierende Kugeln handelt. Es ergibt sich mithin lediglich, an welcher Stelle die Mikrokugeln hinzu- zufügen sind. Dass die Polymerzusammensetzung zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig geschmolzen sei, lässt sich dieser Aussage dagegen nicht entnehmen und wäre in diesem Kontext auch ohne Belang.
44
III. Das angefochtene Urteil des Patentgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 119 Abs. 1 PatG). Der vom Patentgericht festgestellte Sachverhalt erlaubt nicht die Schlussfolgerung, dass das Streitpatent gegenüber dem Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung unzulässig erweitert worden ist.
45
1. Gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜbkG ist ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der danach maßgebliche Inhalt ist anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln. Er ist nicht auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche beschränkt. Entscheidend ist vielmehr, was der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmen kann (BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - X ZR 88/09, GRUR 2012, 475 Rn. 31 - Elektronenstrahltherapiesystem ; Urteil vom 8. Juli 2010 - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910 Rn. 46 - Fälschungssicheres Dokument; Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 28/06, GRUR 2010, 513 Rn. 29 - Hubgliedertor II).
46
2. Aus den Feststellungen des Patentgerichts ergibt sich nicht, dass der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen, deren Inhalt der Veröffentlichung WO 00/06637 entspricht, ein Verfahren, bei dem die Polymerzusammensetzung vor dem Schmelzmischen mit den expandierbaren polymeren Mikrokugeln in bereits geschmolzenem Zustand bereit gestellt wird ("melt mi- xing the molten polymer composition and the plurality of expandable polymeric microspheres" - Merkmal 4), nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist.
47
a) Allerdings hat das Patentgericht zu Recht angenommen, dass dem Text der Anmeldung Merkmal 4 nicht ausdrücklich zu entnehmen ist.
48
aa) Nach Patentanspruch 23 in der Fassung der Anmeldung ist der erste Verfahrensschritt das Schmelzmischen einer Polymerzusammensetzung und mehrerer Mikrokugeln. Eine eindeutige Festlegung dahingehend, dass die Polymerzusammensetzung bei der Zugabe der Mikrokugeln in geschmolzenen Zustand vorliegen müsse, enthält der Wortlaut des Patentanspruchs damit nicht.
49
bb) Ebenso wenig lassen diejenigen Passagen in der Beschreibung der Anmeldung, die den Ablauf des Verfahrens im Einzelnen schildern, für sich genommen eindeutige Rückschlüsse auf die Offenbarung des Merkmals 4 des Verfahrens gemäß Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung zu.
50
b) Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sich dem Fachmann Merkmal 4 gleichwohl unmittelbar und eindeutig aus dem Zusammenhang der Beschreibung ergibt.
51
aa) Das Patentgericht hat das Vorbringen der Beklagten, aus sämtlichen Ausführungsbeispielen, die Hot-Melt-Polymerzusammensetzungen betreffen, ergebe sich die im erteilten Patent geschützte Verfahrensführung, für unerheblich erachtet, weil weder dem Streitpatent noch den ursprünglichen Unterlagen eine entsprechende stoffliche Einschränkung hinsichtlich der eingesetzten Polymerzusammensetzung etwa auf Hot-Melt-Polymere und eine Einschränkung der Verfahrensführung, insbesondere der Temperatur bei den einzelnen Verfahrensschritten , zu entnehmen sei. Mit dieser Begründung kann jedoch die Offen- barung einer Merkmal 4 umfassenden technischen Lehre nicht ausgeschlossen werden.
52
bb) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist für die Ursprungsoffenbarung des Gegenstands eines Patentanspruchs erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen - "unmittelbar und eindeutig" (BGH, Urteil vom 11. September 2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 389 - Luftverteiler; Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 25 - Olanzapin; Urteil vom 8. Juli 2010 - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910, Rn. 62 - Fälschungssicheres Dokument) - als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann (Urteil vom 21. September 1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204, 206 - Spielfahrbahn 03; Beschluss vom 11. September 2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung ; Urteil vom 18. Februar 2010 - Xa ZR 52/08, GRUR 2010, 599 = BlPMZ 2010, 269, Rn. 22, 24 - Formteil). Dabei hat der Senat zur Vermeidung einer unbilligen Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zugelassen. Er hat einen "breit" formulierten Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann für unbedenklich erachtet, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, GRUR 2002, 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung ). Solche Verallgemeinerungen sind vornehmlich dann zugelassen worden, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenom- men worden sind (ständige Rechtsprechung seit BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 - X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer; zuletzt Urteil vom 24. Januar 2012 - X ZR 88/09, GRUR 2012, 475 Rn. 34 - Elektronenstrahltherapiesystem ). Als zulässig ist jedoch auch die Verallgemeinerung einer chemischen Verbindung angesehen worden (BGH, Urteil vom 18. Dezember 1975 - X ZR 51/72, BGHZ 66, 17, 30 - Alkylendiamine I).
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cc) Es würde daher für die Offenbarung einer Merkmal 4 umfassenden technischen Lehre genügen, wenn der fachmännische Leser den Hot-MeltPolymerzusammensetzungen betreffenden Ausführungsbeispielen der Ursprungsunterlagen entnähme, dass bei diesen Ausführungsbeispielen die Mikrokugeln einer Polymerschmelze zugegeben werden. Denn in diesem Fall entnähme er den Ursprungsunterlagen damit, dass die Erfindung jedenfalls so ausgeführt werden kann, wie nunmehr in Patentanspruch 1 unter Schutz gestellt. Das angefochtene Urteil schließt ein solches fachmännisches Verständnis nicht aus, sondern legt es vielmehr zugrunde.
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IV. Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 PatG). Eine abschließende Sachentscheidung durch den Senat ist nicht angezeigt (§ 119 Abs. 5 PatG).
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1. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 119 Abs. 5 Satz 2 PatG).
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a) Der Senat kann aufgrund der Feststellungen des Patentgerichts und des Sach- und Streitstandes am Schluss der mündlichen Verhandlung nicht abschließend beurteilen, ob das Streitpatent wegen unzulässiger Erweiterung für nichtig zu erklären ist. Hierzu bedarf es vielmehr zusätzlicher Feststellungen zu den Kenntnissen des Fachmanns über Beschaffenheit und Eigenschaften der in den Ursprungsunterlagen beschriebenen Hot-Melt-Zusammensetzungen, die der Senat nicht ohne Einholung des Gutachtens eines gerichtlichen Sachverständigen zu treffen vermag.
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b) Auch über die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents kann nicht abschließend entschieden werden. Zwar erweist sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1, wie ausgeführt, als patentfähig. Ob auch der Gegenstand des Patentanspruchs 15 patentfähig ist, kann aber ohne ergänzende Feststellungen gleichfalls nicht beurteilt werden.
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Das Patentgericht hat dies - nach seinem Ausgangspunkt folgerichtig - nicht geprüft. Patentanspruch 15 in der im Berufungsverfahren zuletzt verteidigten Fassung beschreibt die geschützte Sache lediglich als adhäsives Acrylatoder Methacrylatpolymer oder -copolymer, das durch das Verfahren nach Patentanspruch 1 erhältlich ist. Die Patentfähigkeit dieses Gegenstands hängt mithin davon ab, ob sich das Ergebnis des Verfahrens durch mindestens ein nicht durch ein nahegelegtes Verfahren erhältliches Sachmerkmal von den Ergebnissen sämtlicher im Stand der Technik bekannter Verfahren unterscheidet. Die Klägerin hat erstinstanzlich unter Bezugnahme auf das Gutachten O. vom 18. März 2011 (G2a) geltend gemacht, dass sich die nach dem Verfahren nach der E01 erhältlichen Erzeugnisse nicht von den erfindungsgemäßen Erzeugnissen unterscheiden. Demgegenüber hat die Beklagte unter Bezugnahme auf das Gutachten S. vom 7. April 2011 (G3) die Aussagekraft des Gutachtens O. beanstandet. Es kann dahinstehen, ob der Senat die Begründetheit dieser Beanstandungen abschließend beurteilen könnte. Jedenfalls stünde damit noch nicht fest, dass die Behauptung der Klägerin nicht gleichwohl zutreffend ist. Auch dies könnte nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden.
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2. Eine Entscheidung durch den Senat ist auch nicht nach § 119 Abs. 5 Satz 1 PatG angebracht.
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a) Nach dieser Bestimmung kann der Bundesgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. In der Begründung des Gesetzentwurfs zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts (BT-Drucks. 16/11339, S. 25) zu dieser Vorschrift wird erläutert, dass der Bundesgerichtshof in einer noch nicht zur Endentscheidung reifen Sache selbst die notwendigen Feststellungen treffen und abschließend in der Sache entscheiden könne, wenn dies im Sinne der Verfahrensökonomie geboten sei. Eine Zurückweisung an das Patentgericht soll vermieden werden, wenn das Verfahren einfacher und schneller in der Berufungsinstanz abschließend erledigt werden kann. Für die Entscheidung der Frage, ob eine wegen fehlender Entscheidungsreife gebotene weitere Sachaufklärung dem Patentgericht übertragen wird oder in dem zu diesem Zweck fortgesetzten Berufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof erfolgt , kommt es mithin in erster Linie darauf an, auf welchem Weg die noch offenen Sachfragen möglichst effizient und zügig geklärt werden können.
61
b) Danach hält der Senat eine Fortsetzung des Berufungsverfahrens nicht für sachdienlich.
62
Die erforderliche Sachaufklärung könnte, wie ausgeführt, im Berufungsverfahren nur mithilfe eines vom Senat zu bestellenden Sachverständigen erfolgen. Hingegen kann der Senat nicht ausschließen, dass das Patentgericht die noch offenen Fragen aufgrund eigener Sachkunde entscheiden kann. Denn die Sachkunde seiner technischen Richter kann dem Patentgericht möglicherweise eine fundierte Auseinandersetzung mit den von den Parteien vorgelegten Gutachten erlauben, die es gestattet, sowohl die Frage der Ursprungsoffenbarung als auch gegebenenfalls die Frage der Patentfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 15 ohne Beratung durch einen gerichtlichen Sachverständigen abschließend zu klären. Sollte insbesondere die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit sich die Erzeugnisse nach dem Verfahren der E01 von den erfindungsgemäßen unterscheiden, die Einholung des Gutachtens eines gerichtlichen Sachverständigen erfordern, wird es entscheidend darauf ankom- men, welche Randbedingungen bei gegebenenfalls erforderlichen Versuchen zu beachten sind; auch insoweit ist das Patentgericht aufgrund seiner Besetzung mit rechtskundigen und technischen Mitgliedern am besten in der Lage, die Beweiserhebung sachgerecht zu steuern.
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V. Für die erneute Verhandlung vor dem Patentgericht weist der Senat auf Folgendes hin:
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1. Bei der Ermittlung des Offenbarungsgehalts der ursprünglichen Unterlagen wird zu prüfen sein, ob aus der Sicht des Fachmanns das Mischen der Harzpartikel und der Additive unter Wärmezufuhr zumindest bei einzelnen Ausführungsbeispielen zwangsläufig zum Schmelzen der Mischung führt, bevor die Mikrokugeln zugegeben werden (S. 16 Z. 12-17). Nach der Darstellung des Ablaufs des Extrusionsverfahrens in der Beschreibung der Anmeldung wird zunächst das Polymerharz, das in jeder beliebigen geeigneten Form, wie beispielsweise als Granulat, Fäden oder Stränge verwendet werden kann, in den Extruder gegeben, um es zu erweichen und in kleine, zur Extrusion geeignete Teile zu zermahlen (S. 16 Z. 4-8). Beim folgenden Verfahrensschritt werden in den Fällen, in denen den Harzpartikeln noch weitere Additive zugefügt werden, die Komponenten mit Ausnahme der Mikrokugeln in einen zweiten Extruder gegeben, um sie in der Knetzone des Extruders zu vermischen. Hierbei wird für den Mischvorgang angegeben, bei welcher Temperatur er vorzugsweise durchgeführt werden soll. Als Parameter für die Temperatur wird lediglich die Expansion der Mikrokugeln genannt: die vorzuziehende Temperatur soll unter derjenigen liegen, die zur Expansion der Mikrokugeln führt. Wird die Temperatur höher gewählt, was nach der Beschreibung möglich ist, muss sie nach dem Mischen und vor dem Beifügen der Mikrokugeln wieder heruntergesetzt werden. Zu der Frage, wie sich die Temperatur auf die Polymermischung auswirkt bzw. auswirken soll, nämlich, dass diese schmelzen soll, enthält die Beschreibung der Anmeldung an dieser Stelle keine Aussage. Es fehlt insbesondere die Angabe, dass die Erwärmung auch ein Aufschmelzen der Polymerzusammensetzung bewirkt haben muss, bevor die Mikrokugeln zugegeben werden. Möglicherweise führt aber aus der Sicht des Fachmanns dieser Verfahrensschritt zwangsläufig zum Schmelzen der Mischung, bevor die Mikrokugeln zugegeben werden.
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2. Auf Seite 5 (Z. 8 und Z. 23) der Beschreibung wird wie in Patentanspruch 23 in der Fassung der Anmeldung ausgeführt, dass eine Polymerzusammensetzung mit den Mikrokugeln schmelzgemischt wird, so dass auch der Verfahrensschritt des Schmelzmischens Aufschluss darüber geben könnte, ob die Merkmale 1.2 und 4 des Patentanspruchs 1 bereits in den Anmeldeunterlagen offenbart sind. Bei der Darstellung des Verfahrensablaufs ist nämlich erstmals bei diesem Verfahrensschritt von einem geschmolzenen Polymerharz die Rede (S. 16 Z. 27 der Beschreibung der Anmeldung). Sind die Harzpartikel und Additive gut gemischt, werden die expandierbaren Mikrokugeln dieser Mischung zugefügt, wobei die Beschreibung zur Bezeichnung dieser Mischung allerdings lediglich den Begriff "resulting mixture" verwendet und an dieser Stelle gerade nicht von einer "molten mixture" spricht. Jedoch wird der Begriff "molten polymer resin" im Zusammenhang mit der Beschreibung des Zwecks des Schmelzmischens verwendet, der darin bestehen soll, eine expandierbare und extrudierbare Zusammensetzung herzustellen, in der die expandierbaren polymeren Mikrokugeln und andere Additive gleichmäßig in dem geschmolzenen Polymerharz verteilt sind (S. 26 Z. 22-27 der Beschreibung der Anmeldung). Zu prüfen wird daher sein, ob dieser Stelle vor dem Hintergrund des allgemeinen Fachwissens entnommen werden kann, dass die Polymermasse bereits geschmolzen vorliegt, wenn die Mikrokugeln beigegeben werden.
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3. Hingegen würde es für eine Ursprungsoffenbarung des Merkmals 4 nicht genügen, wenn sich bei der Nacharbeitung von Ausführungsbeispielen der Ursprungsunterlagen zwar objektiv ergäbe, dass die Polymerzusammensetzung bereits in einem geschmolzenen Zustand vorliegt, wenn die Mikrokugeln beige- geben werden, dies aber für den Fachmann anhand der Ursprungsunterlagen nicht ohne weiteres erkennbar wäre.
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Denn zwar bestehen, wie ausgeführt, gegen eine allgemeinere, von für ein Ausführungsbeispiel dargestellten Einzelheiten abstrahierende Formulierung eines Patentanspruchs keine grundsätzlichen Bedenken. Eine solche Abstraktion ist jedoch dann nicht mehr durch die Ursprungsoffenbarung gedeckt, wenn mit der allgemeinen Formulierung auf eine als solche nicht genannte oder für den Fachmann ohne Weiteres erkennbare Eigenschaft des Gegenstands der Erfindung abgehoben wird. Wäre für den Fachmann nicht erkennbar, dass jedenfalls bei Ausführungsbeispielen die Mikrokugeln der Polymerschmelze zugegeben werden, enthielte Merkmal 4 ein Unterscheidungskriterium für die Wahl einer zur Erzielung des erfindungsgemäßen Erfolgs geeigneten Verfahrensführung , das in den Prioritätsunterlagen weder offenbart noch diesen als zur Erfindung gehörend zu entnehmen wäre.
Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens
Grabinski Bacher Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 14.04.2011 - 3 Ni 28/09 (EU) -