Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. Januar 2013 verkündete Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Patentgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des am 20. März 2001 unter Inanspruchnahme einer britischen Priorität vom 15. April 2000 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 275 192.

2

Patentanspruch 1 lautet:

"A machine for the manufacture of elements (8) from strip stock, the elements (8) in use being stacked to provide an assembly of stacked elements (8) for an electrical motor, each element (8) including body (10) and pole (12) portions which are integrally formed, the machine including a die assembly including a first die member (22) for providing by punching at least parts of the body portions (10) of each element and a second die member (32) for providing by punching, the pole portions (12) of each element (8), and characterised in that the body and pole die members (22, 32) are relatively moveable between successive punching operations when the body and pole portions (10, 12) of the elements (8) are provided, whereby incremental adjustment of the position of the second die member (32) relative to the first die member (22) is effected so that whilst each of the body portions (10) of the elements (8) is provided along a common centre line, the pole portion (12) of each of the successive elements (8) is incrementally offset relative to the pole portion (12) of each of the respective previous elements (8) with respect to the said common centre line of the body portion (10)."

3

Die Klägerinnen machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei unzulässig erweitert und nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent wie erteilt und hilfsweise mit mehreren geänderten Anspruchssätzen verteidigt.

4

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.

5

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die weiterhin die Abweisung der Klage erstrebt.

Entscheidungsgründe

6

Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht zur Prüfung der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents. Die Annahme des Patentgerichts, mit dem Streitpatent sei ein "Aliud" gegenüber der Anmeldung unter Schutz gestellt worden, hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

7

I. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zum Herstellen von Elementen aus bandförmigem Material, wobei die Elemente im Gebrauch aufeinander gestapelt werden, um eine Anordnung von gestapelten Elementen für eine elektrische Maschine zu bilden. Eine elektrische Maschine mit ausgeprägten Polen ist, wie das Patentgericht ausgeführt hat, unter dem Fachbegriff Schenkelpolmaschine bekannt. Für Käfig- und Drehstromwicklungen ist es üblich, zur Geräusch- und Oberwellendämpfung die Nuten zu schrägen. Die Einzelbleche werden gegeneinander versetzt, so dass Nuten und Leiter wendelförmig verlaufen, gegebenenfalls auch abschnittsweise mit unterschiedlicher Schrägungsrichtung, so dass sich eine als Winkel- oder Pfeilform bezeichnete Form ergibt. Auch nach dem Streitpatent sollen die Polabschnitte winkelförmig geschrägt werden, die Grundkörper hingegen unverändert bleiben, wie in (der nachfolgend mit Figur 1 wiedergegebenen) Figur 2 des Streitpatents gezeigt.

Abbildung

8

Dazu müssen im Stand der Technik entweder beide Teile einzeln gefertigt und beispielsweise durch Schweißen verbunden werden oder es ist für jedes Blech eine gesonderte Form zu stanzen, was eine große Zahl verschiedener Stanzwerkzeuge erfordert. Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, einen Rotor mit dem gewünschten Winkelprofil einfacher herzustellen. Erfindungsgemäß wird dies durch zwei Stanzwerkzeuge erreicht, die schrittweise (inkrementell) gegeneinander bewegt werden und so eine sukzessive Verschiebung des Polabschnitts zum Grundkörper bewirken.

9

Das Patentgericht hat Patentanspruch 1 wie folgt in Merkmale gegliedert:

1.1 Vorrichtung zum Herstellen von Elementen

1.2 aus bandförmigem Material,

1.3 wobei die Elemente im Gebrauch aufeinandergestapelt werden, um eine Anordnung von gestapelten Elementen für eine elektrische Maschine zu bilden,

1.4 wobei jedes Element Grundkörper und Polabschnitte aufweist, die integral ausgebildet sind,

2. wobei die Maschine eine Stanzanordnung aufweist,

2.1 die mit einem ersten Stanzelement versehen ist, zum Bereitstellen durch Ausstanzen zumindest von Teilen der Grundkörperabschnitte eines jeden Elements,

2.2 und ein zweites Stanzelement zum Bereitstellen durch Ausstanzen der Polabschnitte eines jeden Elements, und dadurch gekennzeichnet,

3.1 dass die Stanzelemente für Grundkörper und Pole relativ zueinander bewegbar sind, zwischen aufeinanderfolgenden Stanzvorgängen,

3.2 wenn die Grundkörper- und Polabschnitte der Elemente gebildet werden,

4. wobei eine schrittweise Einstellung der Position des zweiten Stanzelements relativ zu dem ersten Stanzelement so ausgeführt wird,

4.1 dass während jeder der Grundkörperabschnitte der Elemente entlang einer gemeinsamen Mittellinie gebildet wird,

4.2 der Polabschnitt eines jeden der aufeinanderfolgenden Elemente schrittweise relativ zu dem Polabschnitt eines jeden entsprechenden vorangehenden Elements in Bezug auf die genannte gemeinsame Mittellinie des Grundkörperabschnitts versetzt ist.

10

II. Das Patentgericht hat in diesem Gegenstand eine unzulässige Erweiterung der Ursprungsoffenbarung gesehen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

11

Der Anspruch stütze sich auf Anspruch 11 der Anmeldung, wobei

- die Merkmale 1.2 bis 1.4 neu hinzugekommen seien,

- in Merkmal 3.1 der zweite Halbsatz neu hinzugekommen sei,

- in den Merkmalen 4 und 4.2 "schrittweise" ergänzt worden sei,

- der auf Rotorelemente beschränkte Anspruch 11 auf Elemente verallgemeinert worden sei,

- die Zuordnung der Grundkörperabschnitte und der Polabschnitte zu den Stanzelementen nach Merkmalen 2.1 und 2.2 vertauscht worden sei,

- nach diesen Merkmalen zumindest Teile der Grundkörperabschnitte und die Polabschnitte (insgesamt) ausgestanzt würden, während es nach Anspruch 11 der Anmeldung umgekehrt sei,

- aus der Mittellinie des zugehörigen Grundkörperabschnitts eine gemeinsame Mittellinie des Grundkörperabschnitts geworden sei.

12

Während sich die ersten drei Abweichungen von Anspruch 11 der Anmeldung aus den Ursprungsunterlagen ableiten ließen und die vierte als zulässige Verallgemeinerung angesehen werden könne, seien die weiteren Änderungen nicht mehr zulässig. Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin handele es sich nicht um einen offensichtlichen Fehler in der Formulierung des Patentanspruchs, der berichtigt werden könne. Anspruch 1 sei in sich schlüssig und lasse keine Widersprüche erkennen. Die von der Beklagten gesehenen Widersprüche zur Beschreibung und zu den Zeichnungen könnten nur im Rahmen der Auslegung berücksichtigt werden.

13

Hierzu hat das Patentgericht ausgeführt, Patentanspruch 1 lasse offen, welches Stanzelement stationär und welches beweglich sei; beansprucht sei nur die Relativbewegung. In den Merkmalen 4.1 und 4.2 spreche der Anspruch von einer gemeinsamen Mittellinie als Bezugslinie für die Bewegung. In den ursprünglichen Unterlagen werde die Mittellinie auf den Grundkörperabschnitt bezogen. Werde die Mittellinie aber auf das Blechband oder die Stanzanlage bezogen, wären das erste Stanzelement und die Grundkörperabschnitte stationär und folglich die zweiten Stanzelemente und die Polabschnitte beweglich angeordnet, was ein Aliud zu der ursprünglich offenbarten und in den Figuren dargestellten Anlage darstelle. Der Argumentation der Klägerinnen folgend, die in der beanspruchten gemeinsamen Mittellinie des Grundkörperabschnitts etwas anderes sähen als in der ursprünglich offenbarten Mittellinie des zugehörigen Grundkörperabschnitts, sei als mit dem Streitpatent beansprucht eine Anlage anzusehen, bei der die Grundkörperabschnitte beim Ausstanzen auf einer nunmehr gemeinsamen Mittellinie lägen und das zugehörige Stanzwerkzeug folglich stationär sei. Dass sich die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele ausschließlich auf eine Anlage mit einem stationären Stanzwerkzeug für die Polabschnitte und einem beweglichen Stanzwerkzeug für die Grundkörperabschnitte bezögen, könne den Sinngehalt der Patentansprüche nicht in ihr Gegenteil verkehren. Eine Auslegung entgegen dem Wortlaut (im Sinne einer Auslegung entgegen dem Sinngehalt) der Patentansprüche sei nicht zulässig.

14

III. Diese Beurteilung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Bei zutreffender Auslegung des Patentanspruchs 1 enthält dieser nicht die vom Patentgericht angenommenen Abweichungen vom Offenbarungsgehalt der Anmeldung, und entsprechendes gilt für den Verfahrensanspruch 7.

15

1. Zu Recht rügt die Berufung, dass es das Patentgericht unterlassen hat, Patentanspruch 1 zunächst unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen auszulegen, bevor es sich der Frage zuwandte, ob der Gegenstand des Streitpatents, der als das Ergebnis der Auslegung zutage tritt, in den ursprünglichen Unterlagen als die angemeldete Erfindung oder als dieser zugehörig offenbart ist.

16

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Auslegung des Patentanspruchs stets geboten und darf auch dann nicht unterbleiben, wenn der Wortlaut des Anspruchs eindeutig zu sein scheint (s. nur BGH, Urteil vom 29. April 1986 - X ZR 28/85, BGHZ 98, 12, 18 - Formstein; Urteil vom 12. März 2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149, 153 - Schneidmesser I; Beschluss vom 17. April 2007 - X ZB 9/06, BGHZ 172, 108 - Informationsübermittlungsverfahren I; Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107, Rn. 27 - Polymerschaum I). Denn die Beschreibung des Patents kann Begriffe eigenständig definieren und insoweit ein "patenteigenes Lexikon" darstellen (BGH, Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909 - Spannschraube). Auch der Grundsatz, dass bei Widersprüchen zwischen Anspruch und Beschreibung der Anspruch Vorrang genießt, weil dieser und nicht die Beschreibung den geschützten Gegenstand definiert und damit auch begrenzt (BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330, Rn. 23 - Okklusionsvorrichtung), schließt nicht aus, dass sich aus der Beschreibung und den Zeichnungen ein Verständnis des Patentanspruchs ergibt, das von demjenigen abweicht, das der bloße Wortlaut des Anspruchs vermittelt. Funktion der Beschreibung ist es, die geschützte Erfindung zu erläutern. Im Zweifel ist daher ein Verständnis der Beschreibung und des Anspruchs geboten, das beide Teile der Patentschrift nicht in Widerspruch zueinander bringt, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Patent zur Verfügung gestellten technischen Lehre als eines sinnvollen Ganzen versteht. Nur wenn und soweit dies nicht möglich ist, ist der Schluss gerechtfertigt, dass Teile der Beschreibung zur Auslegung nicht herangezogen werden dürfen. Eine Auslegung des Patentanspruchs, die zur Folge hätte, dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würde, kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten, die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2014 - X ZR 35/11, GRUR 2015, 159, Rn. 26 - Zugriffsrechte).

17

Der Inhalt der Ursprungsunterlagen oder der Veröffentlichung der Anmeldung bleibt bei der Auslegung außer Betracht. Weder darf der Patentanspruch - zur Vermeidung einer unzulässigen Erweiterung - nach Maßgabe des ursprünglich Offenbarten ausgelegt werden (BGHZ 194, 107, Rn. 28 - Polymerschaum I), noch darf umgekehrt sein Sinngehalt dadurch ermittelt werden, dass dem Wortlaut des Patentanspruchs abweichende Formulierungen der Anmeldung gegenübergestellt werden. Allenfalls dann, wenn zweifelhaft bleibt, ob sich Patentanspruch und Beschreibung sinnvoll zueinander in Beziehung setzen lassen, darf die "Anspruchsgeschichte" zur weiteren Klärung der Frage herangezogen werden, ob mit dem Anspruch ein Gegenstand unter Schutz gestellt worden ist, der von dem in der Beschreibung offenbarten abweicht oder hinter diesem zurückbleibt (BGHZ 189, 330, Rn. 25 - Okklusionsvorrichtung; BGHZ 194, 107, Rn. 28 - Polymerschaum I).

18

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich im Streitfall, dass die Merkmale 2.1 und 2.2 abweichend vom Wortlaut des Anspruchs dahin zu lesen sind, dass mit dem ersten Stanzelement zumindest Teile der Polabschnitte eines jeden Elements und mit dem zweiten Stanzelement die Grundkörperabschnitte eines jeden Elements durch Ausstanzen bereitgestellt werden.

19

a) Mit der Erfindung soll, so heißt es im allgemeinen Teil der Beschreibung, eine Möglichkeit bereitgestellt werden, auf einfache Weise Rotorelemente mit Polabschnitten (Polköpfen) herzustellen, die um unterschiedliche Abstände zu einer Mittellinie des Grundkörperabschnitts (Polschafts) versetzt sind (Abs. 12 der Beschreibung). Bevorzugt ist dabei der vom ersten Stanzelement hergestellte Teil des Polabschnitts derjenige, der allen Rotorelementen (scil. unabhängig vom Ausmaß der Versetzung von der Mittellinie) gemeinsam ist (Abs. 13), d.h. der Polabschnitt wird vom ersten Stanzelement nur teilweise ausgestanzt, während der Rest des Materials beim nachfolgenden Ausstanzen des Grundkörperabschnitts weggenommen wird.

20

Dies wird im Folgenden unter Bezugnahme auf die Zeichnungen, von denen die nachfolgend wiedergegebene Figur 4a wie die Figuren 5a und 6a Ansichten einer erfindungsgemäßen Vorrichtung darstellen (Abs. 17), näher erläutert.

Abbildung

21

Danach ist auf einer Basisplatte 20 ein erstes ortsfestes Stanzelement (die member) 22 und benachbart zu diesem ein zweites bewegliches Stanzelement 32 angeordnet (Abs. 22). Das Stanzelement 22 weist zwei Stanzöffnungen 24a und 24b auf, von denen jede einer Fläche entspricht, die an einen Teil der Umfangslinie des Polabschnitts angrenzt (Abs. 23). Das bewegliche Stanzelement 32 weist Stanzöffnungen 34a und 34b auf, von denen jede einer Fläche entspricht, die an die (Längs-)Seite des Grundkörperabschnitts angrenzt, sowie eine sich dazwischen erstreckende dritte Stanzöffnung 35 (Abs. 24). Unter Ausnutzung dieser Stanzöffnungen werden mittels nicht dargestellter Stanzen die Rotorelemente ausgestanzt (Abs. 27 ff.), indem in Position B zunächst die Polabschnitte teilweise ausgestanzt werden (Abs. 28) und in Position C die Grundkörperabschnitte gestanzt werden (Abs. 29), so dass auf diese Weise mit dem Ausstanzen des Grundkörperabschnitts mittels der Stanzen (punch members) 64a und 64b und einer einteilig mit diesen ausgebildeten dritten Stanze 65 gleichzeitig das Ausstanzen der Polabschnitte vollendet wird und in Position D ein vollständiges Rotorelement bereitsteht (Abs. 30). Die Beschreibung erläutert weiter, es verstehe sich, dass die Stanzen beider Stanzelemente 22, 32 gleichzeitig betätigt würden. Im Anschluss an jeden Stanzvorgang werde ein Antriebsmittel 36 betätigt, um das Stanzelement 32 inkrementell in einer Richtung zu versetzen und damit einen Versatz des Polabschnittabschnitts von der Mittellinie des Grundkörperabschnitts zu erzeugen (Abs. 32).

22

b) Mit dieser Darstellung des erfindungsgemäßen Verfahrens und einer hierfür geeigneten Vorrichtung steht Patentanspruch 1 (und ebenso der Verfahrensanspruch 7) auf den ersten Blick nicht in Einklang. Denn nach Merkmal 2.1 scheint das (feststehende) erste Stanzelement zum Ausstanzen (zumindest) von Teilen des Grundkörperabschnitts und das (bewegliche) zweite Stanzelement zum Ausstanzen der Polabschnitte bestimmt zu sein. Aus dem Gesamtinhalt der Beschreibung und den weiteren Patentansprüchen 2 bis 6 ergibt sich jedoch, dass hierbei Grundkörper- und Polabschnitte vertauscht worden sind und die Merkmalsgruppe 2 daher so zu lesen ist, dass die Maschine eine Stanzanordnung aufweist, die (2.1) mit einem ersten Stanzelement zum Ausstanzen zumindest von Teilen der Grundkörperabschnitte und (2.2) mit einem zweiten Stanzelement zum Ausstanzen der Polabschnitte eines jeden Elements versehen ist.

23

(1) Darauf deutet zunächst der Umstand hin, dass ein wörtlich genommener Patentanspruch 1 nicht nur mit Teilen der Beschreibung wie einzelnen oder auch sämtlichen Ausführungsbeispielen, sondern mit der Beschreibung insgesamt in Widerspruch tritt, ohne dass hierfür ein plausibler Grund erkennbar wäre. Dies wird insbesondere an der vermeintlichen Anweisung des Merkmals 2.1 deutlich, mit dem ersten Stanzelement zumindest Teile des Grundkörperabschnitts auszustanzen. Denn in der Beschreibung ist es, wie erwähnt, gleich eingangs als bevorzugte Vorgehensweise erläutert, mit dem ersten Stanzelement Teile der Polabschnitte, nämlich den allen Polabschnitten gemeinsamen (äußeren) Umriss der Polköpfe, herzustellen. Mit dem Ausstanzen des Grundkörperabschnitts wird sodann die Oberkante des (vorauslaufenden) Polabschnitts gestanzt und gleichzeitig die Unterkante des nächsten Polabschnitts in Abhängigkeit vom Betrag des Versatzes des zweiten Stanzelements so ausgebildet, dass sich ein entsprechender Versatz des Polabschnitts gegenüber der gemeinsamen Mittellinie des Grundkörperabschnitts (Merkmal 4.2) ergibt. Auf diese Weise lassen sich mit einem Werkzeug unterschiedliche Polkopfformen herstellen. Hingegen findet die Möglichkeit, den (gleichförmigen) Grundkörper mit dem ersten Stanzwerkzeug nur teilweise auszustanzen, den Polabschnitt und den Rest des Grundkörperabschnitts aber mit weiteren Stanzwerkzeugen, keinerlei Anklang in der Beschreibung.

24

(2) Es kommt hinzu, dass der Wortlaut der Merkmalsgruppe 4 zwar mit dem vom Patentgericht entwickelten Verständnis nicht unvereinbar ist, jedoch im Kontext der Beschreibung und der weiteren Patentansprüche betrachtet gleichfalls die Annahme stützt, dass das erste Stanzelement anspruchsgemäß nicht zum Ausstanzen zumindest von Teilen der Grundkörperabschnitte, sondern der Polabschnitte bestimmt ist.

25

Das Patentgericht hat, im Ausgangspunkt zutreffend, erwogen, dass der Patentanspruch in den Merkmalen 3.1, 3.2 und 4 offen lässt, welches Stanzelement fest und welches beweglich angeordnet ist, da Merkmal 3.1 nur vorgibt, dass beide Stanzelemente relativ zueinander bewegt werden können. Es hat jedoch aus Merkmal 4.2 geschlossen, dass das den Grundkörperabschnitt (teilweise) ausstanzende erste Stanzelement stationär angeordnet sei, weil in diesem Merkmal Bezug auf eine gemeinsame Mittellinie aufeinanderfolgender Elemente genommen, der Fachmann hierunter nichts anderes als eine allen Elementen gemeinsame Mittellinie verstehen könne und folglich eine Vorrichtung unter Schutz gestellt werde, bei der die Grundkörperabschnitte beim Ausstanzen auf einer gemeinsamen Mittellinie lägen.

26

Bei Patentanspruch 1 handelt es sich um einen Sachanspruch, dessen Merkmale dazu bestimmt sind, die geschützte Sache zu beschreiben, d.h. im Streitfall die Maschine und damit gegebenenfalls mittelbar die Ausgestaltung der Erzeugnisse, die mit ihr hergestellt werden können. Wird Merkmal 4.2 - wie stets geboten (statt aller BGHZ 194, 107, Rn. 27 - Polymerschaum I) - im Kontext der Merkmalsgruppe 4 und diese im Zusammenhang des gesamten Anspruch und vor dem erläuternden Hintergrund der Beschreibung gelesen, besagt die Merkmalsgruppe 4, dass die Relativposition des zweiten Stanzelements schrittweise (inkrementell) so geändert wird, dass der Polabschnitt jedes Elements im Verhältnis zum Polabschnitt des vorangehenden um eine entsprechende Schrittweite gegenüber der gemeinsamen Mittellinie der Grundkörperabschnitte versetzt ist. Die Relativbewegung der Stanzelemente (Vorrichtungsmerkmal 4) soll mit anderen Worten so erfolgen, dass die mit der Vorrichtung hergestellten (Rotor-)Elemente den Merkmalen 4.1 und 4.2 entsprechen. Die Grundkörperabschnitte haben mithin eine gemeinsame Mittellinie, die (nicht symmetrischen) Polabschnitte weisen hingegen einen Versatz aus der Mittellinie in die eine oder andere Richtung auf.

27

Demgegenüber liefe ein Verständnis des Merkmals 4.2 als mittelbare Umschreibung der stationären Anordnung des ersten Stanzelements darauf hinaus, dass die - wie auch das Patentgericht angenommen hat - in Patentanspruch 1 an sich offen gelassene Frage, welches Stanzelement fest und welches beweglich angeordnet ist, doch im Sinne einer festen Anordnung des ersten Stanzelements beantwortet würde. Gleichzeitig verlöre damit Patentanspruch 2, der gerade erst bestimmt, dass das erste Stanzelement fest sein und das zweite inkrementell relativ zu diesem bewegt werden soll, seine Funktion, die mit Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Vorrichtung zu konkretisieren und wiederholte mit anderen Worten lediglich den sachlichen Gehalt des Patentanspruchs 1.

28

(3) Schließlich stützt auch Patentanspruch 6 - und entsprechendes gilt für das Verfahren nach Patentanspruch 9 - in Verbindung mit der Beschreibung die Annahme, dass die Merkmale 2.1 und 2.2 im dargestellten Sinne einer Vertauschung von Grundkörper- und Polabschnitten zu lesen sind.

29

Technisch sinnvoll ließe sich die zunächst nur teilweise Ausstanzung des Grundkörperabschnitts, die Merkmal 2.1 vorzusehen scheint, nur dahin verstehen, dass dem Ausstanzen seiner Längskanten die Ausstanzung seiner Fußlinie, gegebenenfalls zusammen mit der Oberkante des vorauslaufenden Polabschnitts, nachfolgt. Hierfür wird, wie ausgeführt, im Ausführungsbeispiel die Stanze 65 verwendet, die zusammen mit der gekrümmten inneren Oberfläche des Grundkörperabschnitts die gekrümmte äußere Oberfläche des Polabschnitts erzeugt. Dadurch bleibt, wie in Absatz 35 der Beschreibung erläutert wird, die Mittellinie des Krümmungsradius der Polabschnitte im Wesentlichen auf der Mittellinie C/L des Grundkörperabschnitts, obwohl sich der Versatz des Polabschnitts um einen Schritt von der theoretischen Position unterscheidet. Damit bleiben gleichzeitig die Mittellinie der äußeren Oberfläche der Polabschnitte der gestapelten Rotorelemente und der Luftspalt zwischen dieser äußeren Oberfläche und der inneren Oberfläche des Stators trotz der winkelartigen Anordnung konstant. Die Vorteile dieser Anordnung können ohne den Nachteil einer Veränderung der Dicke des Luftspalts in Axialrichtung der Rotoranordnung genutzt werden (Abs. 36).

30

Die Stanze 65 gehört zu einem dritten Stanzelement 35, das nach Patentanspruch 4 zum Ausstanzen eines Umfangsrands zwischen dem Grundkörperabschnitt eines Elements und dem Polabschnitt eines durch den vorangegangenen Ausstanzvorgang gebildeten Elements dient. Nach Patentanspruch 6 sind die zweiten und dritten Stanzelemente integral ausgebildet. Es sind somit in Patentanspruch 6 einteilig ausgebildete Stanzen 64a, 64b, 65 unter Schutz gestellt, wie sie in der Beschreibung erläutert und in Figur 7 gezeigt sind. Sie können, wie von Patentanspruch 9 gefordert, gemeinsam schrittweise zwischen aufeinander folgenden Ausstanzvorgängen bewegt werden.

31

Mit diesem einteiligen beweglichen Werkzeug lassen sich jedoch im Wesentlichen auf der Mittellinie C/L des Grundkörperabschnitts liegende Krümmungsradien der Polabschnitte nicht erzeugen. Es lassen sich nicht einmal die (gleichmäßig) gekrümmten inneren Oberflächen des Grundkörperabschnitts erzeugen, mit denen die Rotorelemente im Ausführungsbeispiel auf der Welle angeordnet sind, weil die einteilige Stanze relativ zum Grundkörperabschnitt verschoben wird.

32

(4) Unter Berücksichtigung des Gesamtinhalts der Beschreibung, des Sinngehalts der Merkmalsgruppe 4, und des Wortlauts der Patentansprüche 2, 6 und 9 muss der Fachmann, der es unternimmt, ein sinnvolles und wenn möglich widerspruchsfreies Gesamtverständnis der Patentansprüche und der zu ihrer Erläuterung bestimmten Beschreibung zu entwickeln, mithin zu dem Schluss gelangen, dass mit der Formulierung des Patentanspruchs in den Merkmalen 2.1 und 2.2 - entgegen dem insoweit verunglückten Wortlaut - nichts unter Schutz gestellt worden ist, was von der in der Beschreibung offenbarten Vorrichtung abweicht, bei der mit dem ersten (feststehenden) Stanzelement (zumindest) Teile der Polabschnitte eines jeden Elements und mit dem zweiten (beweglichen) Stanzelement die Grundkörperabschnitte eines jeden Elements durch Ausstanzen bereitgestellt werden.

33

c) Entgegen der von den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung steht die dargestellte Auslegung des Patentanspruchs 1 - die entsprechend für Patentanspruch 7 gilt - auch nicht im Widerspruch zu einer mit der Erteilung des Streitpatents vorgenommenen Beschränkung des Schutzgegenstands gegenüber dem mit der Anmeldung beanspruchten Gegenstand. Denn es bleibt dabei, dass der Patentanspruch durch die vom Patentgericht aufgezeigten zusätzlichen Merkmale als ein gegenüber der Anmeldung engerer Gegenstand definiert worden ist.

34

3. Damit enthält der Gegenstand des Streitpatents insoweit keine unzulässige Erweiterung. Dass sie auch im Übrigen nicht vorliegt, hat das Patentgericht rechtsfehlerfrei angenommen; die Berufungserwiderungen wenden sich hiergegen auch nicht.

35

IV. Da das Patentgericht - nach seinem Ausgangspunkt konsequent - sich mit der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents nicht befasst hat, ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Patentgericht zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 2 und 3 PatG).

36

Ein Grundgedanke des reformierten Patentnichtigkeitsverfahrens ist es, dass die Patentfähigkeit zunächst durch das auch mit technisch sachkundigen Richtern besetzte Patentgericht bewertet wird und diese Bewertung durch den Bundesgerichtshof überprüft wird. Eine Endentscheidung durch den Bundesgerichtshof (§ 119 Abs. 5 PatG) ist daher regelmäßig nicht sachgerecht, wenn die Erstbewertung des Standes der Technik durch das Patentgericht unterblieben ist. Dafür, dass im Streitfall etwas anderes gälte, ist nichts erkennbar und wird auch von den Parteien nichts geltend gemacht.

Meier-Beck                        Gröning                                Bacher

                     Deichfuß                        Kober-Dehm

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Patentgesetz - PatG | § 119


(1) Ergibt die Begründung des angefochtenen Urteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Berufung zurückzuweisen. (2) Insoweit die Berufung für begründet erachtet wir

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in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
Schneidmesser I
PatG 1981 § 14; EPÜ Art. 69

a) Durch in den Patentanspruch aufgenommene Zahlen- und Maßangaben
wird der Schutzgegenstand des Patents mitbestimmt und damit auch begrenzt.
Wie jeder Bestandteil eines Patentanspruchs sind Zahlen- und
Maßangaben jedoch grundsätzlich der Auslegung fähig.

b) Erschließt sich dem Fachmann kein abweichender Zahlenwert als im Sinne
des anspruchsgemäßen Wertes gleichwirkend, erstreckt sich der Schutzbereich
insoweit nicht über den Sinngehalt des Anspruchs hinaus.
BGH, Urt. v. 12. März 2002 - X ZR 168/00 - OLG Karlsruhe
LG Mannheim
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. MeierBeck
und Asendorf

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 23. August 2000 verkündete Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin ist Inhaberin einer ausschlieûlichen Lizenz an dem am 12. Juni 1987 angemeldeten deutschen Patent 37 19 721 (Klagepatent), wegen dessen Verletzung sie die Beklagte in Anspruch nimmt.
Das Klagepatent ist im Einspruchsverfahren vom Bundespatentgericht beschränkt aufrechterhalten worden. Patentanspruch 1 lautet danach:
"Mit einem Gegenmesser zusammenwirkendes Schneidmesser (1) für Rotationsschneidanlagen für Papier, insbesondere mehrlagige vereinzelte Papierprodukte in Schuppenformation, mit einem runden, im wesentlichen kegelstumpfförmigen Grundkörper (4), dessen zur senkrecht zur Drehachse verlaufenden Schneidebene (6) konische Tragfläche Klingen (8) o. dgl. trägt, dadurch gekennzeichnet , daû die Klingen (8)

a) auf der kegelstumpfförmigen Rückfläche (3) des Grundkörpers (4) angeordnet sind und mit der Schneidebene (6) einen Winkel (5) von 10°- 22°, vorzugsweise 16° einschlieûen,

b) in unterschiedlichen Schneidstellungen in Richtung auf die Schneidebene (6) in länglichen Aussparungen (18) des Grundkörpers (4) verschiebbar gelagert und in diesem arretierbar sind,

c) mit ihren Längsachsen einen spitzen Winkel zum jeweiligen Radius des Grundkörpers (4), der 9° - 12° beträgt, einschlieûen ,
- in Draufsicht rechteckig ausgebildet sind, und
- in Zahnform die Schneidfläche (13) bilden."
Die Beklagte ist als übernehmende Gesellschaft Rechtsnachfolgerin der mit ihr verschmolzenen E. GmbH (im folgenden: E.). E. belieferte ein französi-
sches Unternehmen, das eine Rotationsschneidemaschine von der Klägerin bezogen hatte, mit passenden Schneidmessern, in denen die Klägerin eine Verletzung des Klagepatents sieht.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäû zur Unterlassung und zur Rechnungslegung verurteilt und ihre Verpflichtung zum Schadensersatz und zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung festgestellt. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.
Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage erstrebt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, daû die angegriffenen Schneidmesser in den Schutzbereich des Klagepatents fallen und die Beklagte wegen deren Herstellung und Vertriebs zur Unterlassung, zum Schadensersatz und zur Entschädigung sowie zur Rechnungslegung verpflichtet ist (§§ 14, 139 Abs. 1 und 2, 33 Abs. 1 PatG, 242 BGB).
I. Das Klagepatent betrifft ein Schneidmesser für Rotationsschneidanlagen für Papier. Derartige Schneidmesser dienen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dazu, im Zusammenwirken mit einem Gegenmesser eine Schuppe aus vereinzelten, überlappend aufeinanderliegenden Druckerzeug-
nissen zu beschneiden. Sie bestehen aus einem runden Grundkörper, dessen zur - senkrecht zur Drehachse verlaufenden - Schneidebene konische Tragfläche mit einer Vielzahl von Klingen bestückt ist.
Bei einem aus der deutschen Offenlegungsschrift 35 36 989 bekannten Schneidmesser dieser Art ist die konische Tragfläche als Vorderfläche des Grundkörpers der Schneidebene zugekehrt. Sind die Schneidflächen der (unverschiebbar ) in Ausnehmungen der Tragfläche untergebrachten Klingen abgenutzt , können sie zwar nachgeschliffen werden, jedoch verringert sich der Durchmesser des Schneidmessers entsprechend.
Das Berufungsgericht hat das technische Problem in Übereinstimmung mit den Angaben in der Klagepatentschrift dahin formuliert, die Lebensdauer derartiger Schneidmesser zu erhöhen und gleichzeitig zu gewährleisten, daû der jeweils wirksame Radius der Schneidflächen auch nach einem etwaigen Nachschleifen unverändert bleiben kann, und die erfindungsgemäûe Lösung nach dem aufrechterhaltenen Patentanspruch 1 wie folgt in Merkmale gegliedert :
1. Es handelt sich um ein mit einem Gegenmesser zusammenwirkendes Schneidmesser für Rotationsschneidanlagen für Papier, insbesondere mehrlagige vereinzelte Papierprodukte in Schuppenformation.
2. Das Schneidmesser besitzt einen runden, im wesentlichen kegelstumpfförmigen Grundkörper.
3. Der Grundkörper weist eine Tragfläche auf, die zur - senkrecht zur Drehachse verlaufenden - Schneidebene konisch ist und Klingen oder dergleichen trägt.
4. Die Klingen

a) sind auf der kegelstumpfförmigen Rückfläche des Grundkörpers angeordnet und schlieûen mit der Schneidebene einen Winkel von 10° bis 22°, vorzugsweise von 16°, ein,

b) sind in unterschiedlichen Schneidstellungen in Richtung auf die Schneidebene in länglichen Aussparungen des Grundkörpers verschiebbar gelagert und in diesen arretierbar,

c) schlieûen mit ihren Längsachsen einen spitzen Winkel zum jeweiligen Radius des Grundkörpers ein, wobei der Winkel 9° bis 12° beträgt ,

d) sind in Draufsicht rechteckig ausgebildet und

e) bilden in Zahnform die Schneidfläche.
Nach den weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts, bei denen es sich auf den Beschluû des Bundespatentgerichts im Einspruchsverfahren bezogen hat, unterscheidet sich das so umschriebene Schneidmesser von dem im Einspruchsverfahren gewürdigten Stand der Technik insbesondere dadurch, daû die Klingenlängsachsen nur einen kleinen Winkel von 9° bis 12° zum
Radius des Grundkörpers aufweisen und die Schneidkanten entsprechend flach in das Schneidgut eintauchen, wodurch sich eine besonders vorteilhafte Schnittführung ergibt. Das wird weder von der Revisionsklägerin noch von der Revisionsbeklagten angegriffen und läût keinen Rechtsfehler erkennen.
II. Auch insoweit unbeanstandet und rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht weiterhin festgestellt, daû das von E. hergestellte und vertriebene Schneidmesser bis auf Merkmal 4 c) wortsinngemäû Patentanspruch 1 des Klagepatents entspreche. Hinsichtlich des streitigen Merkmals 4 c) hat das Landgericht gemeint, daû auch dieses verwirklicht sei, weil der Winkel bei der angegriffenen Ausführungsform selbst mit dem von der Beklagten behaupteten Maû von 8° 40' noch im Wortsinn des Anspruchs liege, zu dem der Fachmann den in der DIN ISO 2768 T2 für die Toleranzklassen "fein" und "mittel" vorgesehenen Toleranzbereich von ± 20' rechne. Das Berufungsgericht hat offengelassen , ob dem zu folgen sei, und angenommen, daû ein Winkel von 8° 40' jedenfalls eine Verletzung des Klagepatents mit äquivalenten Mitteln begründe.
1. Die Auffassung der Beklagten, der Schutzbereich eines Patents, in dessen Anspruch Maûangaben als Höchst- und Mindestwerte angegeben seien , beschränke sich unter Ausschluû von Äquivalenten auf den im Anspruch genannten Bereich, hat das Berufungsgericht für unzutreffend erachtet. Zwar möge die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Rechtslage vor 1978 (Sen.Urt. v. 31.1.1984 - X ZR 7/82, GRUR 1984, 425 - Bierklärmittel) im Hinblick auf die durch § 14 PatG betonte Bedeutung der Patentansprüche für die Bemessung des Schutzbereichs sowie unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts der Rechtssicherheit einer Einschränkung bedürfen. Sie könne jedoch nicht so weit gehen, daû jeder über den Anspruchswortlaut hinausgehende
Schutzbereich ausgeschlossen sei. Vielmehr erfasse, soweit nicht der Stand der Technik oder sonstige Umstände wie etwa Beschränkungen oder Verzichtserklärungen im Erteilungsverfahren eine einschränkende Auslegung geböten , der Schutzbereich eines Patents, dessen Anspruch Zahl- und Maûangaben enthalte, jedenfalls solche Ausführungsformen, bei denen von dem im Patent beanspruchten Bereich nur in derart geringfügigem Maû abgewichen werden, daû sich dem Fachmann die Gleichwirkung geradezu aufdränge.
2. Die Revision ist demgegenüber der Meinung, das entscheidende Gewicht , das der Rechtssicherheit für auûenstehende Dritte nach dem Auslegungsprotokoll zu Art. 69 EPÜ zukomme, hindere, den Schutzbereich von Patentansprüchen , die Zahlenangaben als Höchst- und Mindestwerte enthalten, durch Äquivalenzbetrachtungen über die im Patentanspruch genannten Grenzen hinaus zu erweitern. Solche Höchst- und Mindestwerte müûten vielmehr wörtlich genommen und als absolute Grenzen des Schutzbereichs behandelt werden. Die Rechtsprechung des Senats zur Erstreckung des Schutzbereichs auf äquivalente Ausführungsformen sei nicht auf Anspruchsmerkmale übertragbar , die mit der Formulierung "von ... bis" mit Zahlen- und Maûangaben Höchst- und Mindestwerte festlegten. Die Lehre von der Äquivalenz sei für normale Anspruchsmerkmale entwickelt worden, die den unter Schutz gestellten Gegenstand mit Worten und Begriffen definierten. Zahlen- und Maûangaben seien schon begrifflich durch die Angabe der Maûeinheit und des Zahlenwertes um ein Vielfaches schärfer und exakter definiert als ein normales, in Worten und Begriffen formuliertes Anspruchsmerkmal; sie würden daher vom angesprochenen Verkehr von vornherein als exakte scharf definierte Grenze des Schutzbereichs verstanden. Zudem habe es der Anmelder in der Hand, die
im Patentanspruch angegebenen Höchst- und Mindestwerte zu variieren und exakt an den Anwendungsbereich der Erfindung anzupassen.
3. Dem kann nur zum Teil gefolgt werden.

a) Nach § 14 PatG und der wortgleichen Vorschrift des Art. 69 Abs. 1 EPÜ wird der Schutzbereich des Patents durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt, zu deren Auslegung die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen sind. Nach den Grundsätzen, die der erkennende Senat hierzu entwickelt hat, dient die Auslegung der Patentansprüche nicht nur der Behebung etwaiger Unklarheiten, sondern auch zur Erläuterung der darin verwendeten technischen Begriffe sowie zur Klärung der Bedeutung und der Tragweite der dort beschriebenen Erfindung (BGHZ 98, 12, 18 f. - Formstein; 105, 1, 10 - Ionenanalyse; 125, 303, 309 f. - Zerlegvorrichtung für Baumstämme; Sen.Urt. v. 5.5.1992 - X ZR 9/91, GRUR 1992, 594, 596 - mechanische Betätigungsvorrichtung ). Abzustellen ist dabei auf die Sicht des Fachmanns, von dessen Verständnis bereits die Bestimmung des Inhalts der Patentansprüche einschlieûlich der dort verwendeten Begriffe abhängt und das auch bei der Feststellung des über den Wortlaut hinausgehenden Umfangs des von den Patentansprüchen ausgehenden Schutzes maûgebend ist. Bei der Prüfung der Frage, ob die im Patent unter Schutz gestellte Erfindung benutzt wird, ist daher zunächst unter Zugrundelegung dieses Verständnisses der Inhalt der Patentansprüche festzustellen, d.h. der dem Anspruchswortlaut vom Fachmann beigelegte Sinn zu ermitteln. Macht die angegriffene Ausführungsform von dem so ermittelten Sinngehalt eines Patentanspruchs Gebrauch, dann wird die unter Schutz stehende Erfindung benutzt. Bei einer vom Sinngehalt der Patentansprüche abweichenden Ausführung kann eine Benutzung dann vorliegen, wenn der Fach-
mann auf Grund von Überlegungen, die an den Sinngehalt der in den Ansprüchen unter Schutz gestellten Erfindung anknüpfen, die bei der angegriffenen Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe seiner Fachkenntnisse als für die Lösung des der Erfindung zugrundeliegenden Problems gleichwirkend auffinden konnte (BGHZ 105, 1, 10 f. - Ionenanalyse; Sen.Urt. v. 3.10.1989 - X ZR 33/88, GRUR 1989, 903, 904 - Batteriekastenschnur; v. 28.6.2000 - X ZR 128/98, GRUR 2000, 1005, 1006 - Bratgeschirr). Dabei fordert es das gleichgewichtig neben dem Gesichtspunkt eines angemessenen Schutzes der erfinderischen Leistung stehende Gebot der Rechtssicherheit, daû der durch Auslegung zu ermittelnde Sinngehalt der Patentansprüche nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maûgebliche Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs bildet; diese hat sich an den Patentansprüchen auszurichten (BGHZ 106, 84, 90 f. - Schwermetalloxidationskatalysator; Sen.Urt. v. 3.10.1989 - X ZR 33/88, GRUR 1989, 903, 904 - Batteriekastenschnur; v. 20.4.1993 - X ZR 6/91, GRUR 1993, 886, 889 - Weichvorrichtung I). Für die Zugehörigkeit einer vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichenden Ausführung zum Schutzbereich genügt es hiernach nicht, daû sie (1.) das der Erfindung zu Grunde liegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln löst und (2.) seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen , die abgewandelten Mittel als gleichwirkend aufzufinden. Ebenso wie die Gleichwirkung nicht ohne Orientierung am Patentanspruch festgestellt werden kann (Einzelheiten hierzu Sen.Urt. v. 28.6.2000 - X ZR 128/98, GRUR 2000, 1005, 1006 - Bratgeschirr), müssen (3.) darüber hinaus die Überlegungen , die der Fachmann anstellen muû, derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert sein, daû der Fachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der gegenständlichen gleichwertige Lösung in Betracht zieht.

Von diesen Grundsätzen abzuweichen, besteht kein Anlaû. Sie stehen in Einklang mit dem Protokoll über die Auslegung von Art. 69 Abs. 1 EPÜ (BGBl. 1976 II 1000), das nach ständiger Rechtsprechung des Senats (BGHZ 106, 84, 93 f. - Schwermetalloxidationskatalysator; Sen.Urt. v. 5.5.1992 - X ZR 9/91, GRUR 1992, 594, 596 - mechanische Betätigungsvorrichtung) auch zur Auslegung von § 14 PatG heranzuziehen ist. Nach Art. 2 Nr. 1 der Münchener Revisionsakte zum Europäischen Patentübereinkommen vom 29.11.2000 soll zukünftig das revidierte Auslegungsprotokoll in Art. 2 ausdrücklich vorsehen, daû bei der Bestimmung des Schutzbereichs des europäischen Patents solchen Elementen gebührend Rechnung zu tragen ist, die Äquivalente der in den Patentansprüchen genannten Elemente sind.

b) Die Grundsätze der Schutzbereichsbestimmung sind auch dann anzuwenden , wenn der Patentanspruch Zahlen- oder Maûangaben enthält. Solche Angaben nehmen an der Verbindlichkeit des Patentanspruchs als maûgeblicher Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs teil. Die Aufnahme von Zahlen- oder Maûangaben in den Anspruch verdeutlicht, daû sie den Schutzgegenstand des Patents mitbestimmen und damit auch begrenzen sollen (Sen., BGHZ 118, 210, 218 f. - Chrom-Nickel-Legierung). Es verbietet sich daher, solche Angaben als minder verbindliche, lediglich beispielhafte Festlegungen der geschützten technischen Lehre anzusehen, wie dies in der Rechtsprechung zur Rechtslage im Inland vor Inkrafttreten des Art. 69 EPÜ und der entsprechenden Neuregelung des nationalen Rechts für möglich erachtet worden ist (vgl. RGZ 86, 412, 416 f. - pyrophore Metallegierungen; RG, Urt. v. 10.3.1928 - I 238/27, GRUR 1928, 481 - Preûhefe I; OGH BrZ 3, 63, 71 f. - künstliche Wursthüllen).


c) Wie jeder Bestandteil eines Patentanspruchs sind Zahlen- und Maûangaben grundsätzlich der Auslegung fähig. Wie auch sonst kommt es darauf an, wie der Fachmann solche Angaben im Gesamtzusammenhang des Patentanspruchs versteht, wobei auch hier zur Erläuterung dieses Zusammenhangs Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen sind. Dabei ist zu berücksichtigen , daû Zahlen- und Maûangaben schon nach ihrem objektiven Gehalt, der auch das Verständnis des Fachmanns prägen wird, nicht einheitlich sind, sondern in unterschiedlichen Formen Sachverhalte mit durchaus verschiedenen Inhalten bezeichnen können.

d) Schon diese Umstände schlieûen es aus, daû der Fachmann Zahlen-, Maû- oder Bereichsangaben eine immer gleiche feste Bedeutung zuweisen wird. Jedoch wird er solchen Angaben in aller Regel einen höheren Grad an Eindeutigkeit und Klarheit zubilligen, als dies bei verbal umschriebenen Elementen der erfindungsgemäûen Lehre der Fall wäre (v. Rospatt, GRUR 2001, 991, 993). Denn Zahlen sind als solche eindeutig, während sprachlich formulierte allgemeine Begriffe eine gewisse Abstraktion von dem durch sie bezeichneten Gegenstand bedeuten. Zudem müssen solche Begriffe, wenn sie in einer Patentschrift verwendet werden, nicht notwendig in dem Sinn gebraucht werden , den der allgemeine technische Sprachgebrauch ihnen beimiût; die Patentschrift kann insoweit ihr "eigenes Wörterbuch" bilden (vgl. Sen.Urt. v. 2.3.1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube; v. 13.4.1999 - X ZR 23/97, Mitt. 2000, 105, 106 - Extrusionskopf). Aus der Sicht des fachmännischen Lesers kann durch Zahlen- und Maûangaben konkretisierten Merkmalen deshalb die Bedeutung zukommen, daû der objektive, erfindungsgemäû zu erreichende Erfolg genauer und gegebenenfalls enger eingegrenzt
wird, als dies bei bloû verbaler Umschreibung der Fall wäre. Da es Sache des Anmelders ist, dafür zu sorgen, daû in den Patentansprüchen alles niedergelegt ist, wofür er Schutz begehrt (Sen.Urt. v. 3.10.1989 - X ZR 33/88, GRUR 1989, 903, 905 - Batteriekastenschnur; v. 5.5.1992 - X ZR 9/91, GRUR 1992, 594, 596 - Mechanische Betätigungsvorrichtung), darf der Leser der Patentschrift annehmen, daû diesem Erfordernis auch bei der Aufnahme von Zahlenangaben in die Formulierung der Patentansprüche genügt worden ist. Dies gilt um so mehr, als der Anmelder bei Zahlenangaben besonderen Anlaû hat, sich über die Konsequenzen der Anspruchsformulierung für die Grenzen des nachgesuchten Patentschutzes klar zu werden.
Daher ist eine deutlich strengere Beurteilung angebracht, als es der Praxis zur Rechtslage in Deutschland vor 1978 entsprach (Bruchhausen, GRUR 1982, 1, 4). Eine eindeutige Zahlenangabe bestimmt und begrenzt den geschützten Gegenstand grundsätzlich insoweit abschlieûend; ihre Über- oder Unterschreitung ist daher in aller Regel nicht mehr zum Gegenstand des Patentanspruchs zu rechnen (v. Falck, Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, S. 543, 577).
Andererseits schlieût dies nicht aus, daû der Fachmann eine gewisse, beispielsweise übliche Toleranzen umfassende, Unschärfe als mit dem technischen Sinngehalt einer Zahlenangabe vereinbar ansieht. So hat das House of Lords in der Catnic-Entscheidung (R.P.C. 1982, 163; deutsch GRUR Int. 1982, 136), die allerdings die Rechtslage im Vereinigten Königreich vor der europäischen Harmonisierung betraf, bei einem auf einen rechten Winkel gerichteten Anspruchsmerkmal Abweichungen von 6° bzw. 8° vom rechten Winkel als mit
der Annahme einer Benutzung der geschützten Lehre vereinbar angesehen. In einem solchen Fall kann es grundsätzlich nicht darauf ankommen, ob im Anspruch von einem rechten Winkel oder von 90° die Rede ist. Maûgeblich ist vielmehr der unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen zu ermittelnde Sinngehalt des Patentanspruchs. In einem anderem Zusammenhang kann der gleiche Winkel sich daher dem Fachmann auch als exakt einzuhaltende Gröûe darstellen. Dies gilt grundsätzlich auch für Zahlenbereiche mit Grenzwerten (vgl. Sen., BGHZ 118, 210, 218 f. - Chrom-Nickel-Legierung; vgl. auch White, The C.I.P.A. Guide to the Patents Act, 5. Aufl., Part III, Section 125 Rdn. 22 mit Hinweis auf die soweit ersichtlich - insoweit - unveröffentlichten Entscheidungen Lubrizol v. Esso und Goldschmidt v. EOC Belgium). Ein Verständnis , daû ein Wert genau einzuhalten ist, wird vor allem dann der Vorstellung des Fachmanns entsprechen, wenn er erkennt, daû es sich um einen "kritischen" Wert handelt. Wie eine bestimmte Zahlen- oder Maûangabe im Patentanspruch demnach zu verstehen ist, ist eine Frage des der tatrichterlichen Beurteilung unterliegenden fachmännischen Verständnisses im Einzelfall.

d) Wie für die Erfassung des technischen Sinngehalts des Patentanspruchs gilt auch für die Bestimmung eines über diesen hinausreichenden Schutzbereichs, daû im Anspruch enthaltene Zahlen- oder Maûangaben mit den angegebenen Werten den geschützten Gegenstand begrenzen. Im Rahmen der Schutzbereichsbestimmung darf vom Sinngehalt der Zahlen- und Maûangaben nicht abstrahiert werden. Bei der Prüfung der Frage, ob der Fachmann eine Ausführungsform mit einem vom Anspruch abweichenden Zahlenwert aufgrund von Überlegungen, die sich am Sinngehalt der im Anspruch umschriebenen Erfindung orientieren, als gleichwirkende Lösung auffinden kann, muû vielmehr die sich aus der Zahlenangabe ergebende Eingren-
zung des objektiven, erfindungsgemäû zu erreichenden Erfolgs berücksichtigt werden. Als im Sinne des Patentanspruchs gleichwirkend kann nur eine Ausführungsform angesehen werden, die der Fachmann als eine solche auffinden kann, die nicht nur überhaupt die Wirkung eines - im Anspruch zahlenmäûig eingegrenzten - Merkmals der Erfindung erzielt, sondern auch gerade diejenige , die nach seinem Verständnis anspruchsgemäû der zahlenmäûigen Eingrenzung dieses Merkmals zukommen soll. Fehlt es daran, ist auch eine objektiv und für den Fachmann erkennbar technisch ansonsten gleichwirkende Ausführungsform vom Schutzbereich des Patents grundsätzlich nicht umfaût.
Damit im Kern übereinstimmend hat auch die Rechtsprechung im Vereinigten Königreich zur Feststellung einer Verletzung geprüft, ob die fachkundige Öffentlichkeit erwarten und sich darauf einstellen darf, daû es nach dem Patent auf die genaue Einhaltung des Wortlauts des Patentanspruchs ankommen soll (vgl. die sog. dritte Catnic-Frage; für das harmonisierte Recht u.a. Patents Court, F.S.R. 1989, 181 = GRUR Int. 1993, 245 - Improver Corporation v. Remington Consumer Products Ltd. ("Epilady"-Fall); Court of Appeal R.P.C. 1995, 585 = GRUR Int. 1997, 374 - Kastner v. Rizla Ltd.). Bezogen auf ein einzelnes Merkmal des Patentanspruchs geht es darum, ob das betreffende Merkmal dem Fachmann als ein solches erscheint, das ausschlieûlich wortsinngemäû benutzt werden kann, wenn die beanspruchte Lehre zum technischen Handeln eingehalten werden soll (vgl. Court of Appeal R.P.C. 1995, 585 = GRUR Int. 1997, 374 - Kastner v. Rizla Ltd.). Ein solches Verständnis kann insbesondere bei Zahlen- und Maûangaben in Betracht zu ziehen sein (vgl. Patents Court, R.P.C. 1997, 649 - Auchincloss v. Agricultural & Veterinary Supplies Ltd.).
Wie bei anderen Elementen des Patentanspruchs auch darf deshalb die anspruchsgemäûe Wirkung nicht unter Auûerachtlassung von im Anspruch enthaltenen Zahlen- und Maûangaben bestimmt werden. Es reicht daher für die Einbeziehung abweichender Ausführungsformen in den Schutzbereich grundsätzlich nicht aus, daû nach der Erkenntnis des Fachmanns die erfindungsgemäûe Wirkung im übrigen unabhängig von der Einhaltung des Zahlenwertes eintritt. Erschlieût sich dem Fachmann kein abweichender Zahlenwert als im Sinne des anspruchsgemäûen Wertes gleichwirkend, erstreckt sich der Schutzbereich insoweit nicht über den Sinngehalt des Patentanspruchs hinaus. Die anspruchsgemäûe Wirkung des zahlenmäûig bestimmten Merkmals wird in diesem Fall nach dem Verständnis des Fachmanns durch die (genaue ) Einhaltung eines Zahlenwertes bestimmt und kann daher notwendigerweise durch einen abweichenden Zahlenwert nicht erzielt werden. In einem solchen Fall genügt es nicht, daû der Fachmann auch eine von der Zahlenangabe abstrahierende Lehre als technisch sinnvoll erkennt.
Der Anmelder wird nicht immer den vollen technischen Gehalt der Erfindung erkennen und ausschöpfen; er ist auch - unbeschadet der Frage, ob ihm das rechtlich möglich ist - von Rechts wegen nicht gehalten, dies zu tun. Beschränkt sich das Patent bei objektiver Betrachtung auf eine engere Anspruchsfassung , als dies vom technischen Gehalt der Erfindung und gegenüber dem Stand der Technik geboten wäre, darf die Fachwelt darauf vertrauen, daû der Schutz entsprechend beschränkt ist. Dem Patentinhaber ist es dann verwehrt, nachträglich Schutz für etwas zu beanspruchen, was er nicht unter Schutz hat stellen lassen. Das gilt selbst dann, wenn der Fachmann erkennt, daû die erfindungsgemäûe Wirkung als solche (in dem vorstehend ausgeführ-
ten engeren Sinn) über den im Patentanspruch unter Schutz gestellten Bereich hinaus erreicht werden könnte.
4. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze läût die Bestimmung des Schutzbereichs des Klagepatents durch das Berufungsgericht keinen Rechtsfehler erkennen.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die angegriffenen Schneidmesser erzielten mindestens im wesentlichen die gleiche Wirkung wie Vorrichtungen, bei denen der Winkel zwischen den Längsachsen der Klingen und dem jeweiligen Radius des Grundkörpers zwischen 9° und 12° liege. Die im Klagepatent unter Schutz gestellte geringfügige Abwinklung der Klingen zum jeweiligen Radius führe im Vergleich mit dem Stand der Technik zu einer anderen Schneidgeometrie. Sie bewirke, wie das Bundespatentgericht in seinem Beschluû vom 15. Februar 1996 überzeugend ausgeführt habe, im Zusammenwirken mit der Grundform der Klingen, daû bei einem entsprechend dem Klagepatent ausgestalteten Schneidmesser stets das radial innere Ende der Schneidkante zuerst in das Papier eintauche. Das flache Eintauchen der Schneidkanten in das Schneidgut gewährleiste einen "sanften Einschnitt", wobei gleichzeitig die gegenüber einem Rundmesser bessere Schneidwirkung einer zahnförmigen Schneidfläche erhalten bleibe. Diese Wirkungen träten, wie auch die Beklagte nicht in Abrede stelle, bei der Wahl eines geringfügig spitzeren Winkels (8° 40© statt 9°) in gleicher Weise ein.
Der Fachmann, dem die Wirkungsweise eines gemäû dem Hauptanspruch des Patents ausgestalteten Schneidmesser auch ohne nähere Darstellung in der Beschreibung aufgrund seines Fachwissens klar sei, könne auf-
grund von Überlegungen, die sich an der im Anspruch 1 umschriebenen Erfindung orientierten, ohne weiteres erkennen, daû die Wahl eines geringfügig spitzeren Winkels die erzielten Ergebnisse nicht wesentlich ändere. Allerdings werde der Fachmann dann, wenn in einem Patentanspruch ein bestimmter Bereich vorgegeben sei und sich der Patentschrift kein Anhaltspunkt dafür entnehmen lasse, daû die beanspruchten Werte nur beispielhaft gemeint sein könnten, in der Regel keinen Anlaû haben, sich darüber Gedanken zu machen, ob die Erfindung auch bei der Wahl anderer Werte ausführbar sein könnte. Etwas anderes müsse aber für solche Werte gelten, die nur in so geringem Maû auûerhalb des im Patent genannten Bereichs lägen, daû eine ins Gewicht fallende Änderung der Wirkung von vornherein ausgeschlossen erscheine. So liege es im Streitfall, da der Winkel von 8° 40© um weniger als 4 % von dem im Patent genannten unteren Wert abweiche. Dem angesprochenen Fachmann - einem mit einschlägigen Schneidanordnungen vertrauten Maschinenbauingenieur - sei zudem bekannt, daû eine Abweichung von ± 20© sich im Rahmen der von der einschlägigen DIN-Norm vorgegebenen Allgemeintoleranz für Winkelmaûe halte.
Dem Inhalt der Patentschrift und dem dort mitgeteilten Stand der Technik könne nicht entnommen werden, daû die Vermeidung einer noch so geringfügigen Überschreitung des im Merkmal 4 c) der Merkmalsgliederung genannten Bereichs für die unter Schutz gestellte Lehre wesentlich und bestimmend sei. Bei der in der Patentschrift gewürdigten DE-OS 35 36 989 seien die Längsachsen der Klingen parallel zum jeweiligen Radius angeordnet, ihre Schneidkanten seien schräg zu den Längsachsen in der Weise orientiert, daû stets das radial äuûere Ende zuerst in das Papier eintauche. Aber auch der übrige, im Einspruchsverfahren herangezogene und auf dem Deckblatt der
Klagepatentschrift genannte Stand der Technik gebe keine Veranlassung zu einer einschränkenden und eine äquivalente Verletzung ausschlieûenden Auslegung des Patents.
Damit hat das Berufungsgericht alle maûgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt , daû der Fachmann den unteren Wert des Winkelbereichs von 9° bis 12° im Prioritätszeitpunkt nicht als starren Grenzwert ansah und eine Ausführungsform , bei der das Winkelmaû von 9° geringfügig unterschritten wird, als gleichwirkend auffinden konnte. Aus den Ausführungen des Berufungsgerichts zur Wirkung der im Klagepatent unter Schutz gestellten geringfügigen Abwinklung der Klingen zum jeweiligen Radius, die im Vergleich mit dem Stand der Technik zu einer anderen Schneidgeometrie führe, ergibt sich, daû der für den Fachmann erkennbare technische Sinngehalt des durch die Bereichsangabe 9 bis 12° näher definierten spitzen Winkels zum jeweiligen Radius des Grundkörpers in dieser durch den Winkel bestimmten und im Anspruch durch die Winkelangabe ausgedrückten Schneidgeometrie zu finden ist. Dann konnte das Berufungsgericht aber auch ohne Rechtsfehler zu der Feststellung gelangen , daû der Fachmann den objektiv unstreitig gleichwirkenden geringfügig kleineren Winkel der angegriffenen Ausführungsform aufgrund von Überlegungen als gleichwirkend auffinden konnte, die sich derart am Sinngehalt des Patentanspruchs einschlieûlich der in Merkmal 4 c) enthaltenen Winkelangabe orientierten, daû er die angegriffene Ausführungsform als der gegenständlichen gleichwertige Lösung des dem Klagepatent zugrundeliegenden Problems in Betracht zog.
5. Die Rüge der Revision, mit der Berufung auf die Allgemeintoleranz setze sich das Berufungsgericht in Widerspruch zu seiner Unterstellung, nach dem Verständnis des Fachmanns seien bei der Angabe des Bereichs 9° bis 12° Herstellungstoleranzen bereits berücksichtigt, ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat mit dieser Unterstellung ersichtlich nur sagen wollen, der technische Sinngehalt (Wortsinn) des Winkelbereichs 9° bis 12° dürfe nach dem Verständnis des Fachmanns nicht noch um einen Toleranzbereich auf 8° 40© bis 12° 20© erweitert werden. Das schloû es nicht aus, bei der Prüfung der Frage, ob die angegriffene Ausführungsform vom Fachmann als gleichwirkend aufgefunden werden konnte, das geringe, sich im Rahmen der üblichen Toleranz haltende Maû der Abweichung vom Wortlaut des Anspruchs zu berücksichtigen.
6. Keinen Erfolg hat auch die weitere Rüge, das Klagepatent sei im Einspruchsbeschwerdeverfahren durch Aufnahme des Winkelbereichs 9° bis 12° eingeschränkt worden, was es ausschlieûe, den Schutzbereich über diese Grenzen hinaus wieder auszudehnen.
Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, die Beschränkung nehme dem Klagepatent nicht den Schutzbereich, den es gehabt hätte, wenn es schon in der nunmehr geltenden Fassung angemeldet (und erteilt) worden wäre. Das ist richtig, und dabei hat das Berufungsgericht auch nicht, wie die Revision meint, übersehen, daû das Klagepatent "doppelt" beschränkt worden ist, nämlich zunächst durch die Aufnahme des Merkmals des spitzen Winkels aus dem erteilten Anspruch 6 und sodann durch den konkreten Winkelbereich aus dem erteilten Anspruch 7. Denn das schlieût es zwar aus, jeden spitzen Winkel als äquivalent anzusehen, verbietet jedoch nicht die Annahme, der Fachmann er-
kenne eine geringfügige Unterschreitung des 9°-Winkels als für die erfindungsgemäûe Wirkung unschädlich.
III. Ebenfalls keinen Rechtsfehler erkennen lassen die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den Rechtsfolgen, die es aus der festgestellten Patentverletzung abgeleitet hat; die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen. Sie ist daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Asendorf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 9/06
vom
17. April 2007
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Informationsübermittlungsverfahren
Abs. 1 Nr. 1

a) Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für das Einspruchsverfahren
nach § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in den vom 1. Januar 2002 bis zum
30. Juni 2006 geltenden Fassungen ist nicht verfassungswidrig.

b) Auch im Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren setzt die Prüfung
, ob der Gegenstand des Patents nach den §§ 1 bis 5 PatG nicht patentfähig
ist, die Auslegung des Patentanspruchs voraus. Dazu ist zu ermitteln
, was sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den
Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als
unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt.
BGH, Beschl. v. 17. April 2007 - X ZB 9/06 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 17. April 2007 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis und die Richter Scharen, Keukenschrijver,
Prof. Dr. Meier-Beck und Gröning

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 20. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 6. März 2006 wird auf Kosten der Patentinhaberin zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 25.000,-- € festgesetzt.

Gründe:


1
I. DieRechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des am 14. Mai 1999 angemeldeten deutschen Patents 199 22 068 (Streitpatents), das ein "Verfahren und (ein) System zum Übermitteln von Symbolen von einem Sender zu einem Empfänger" betrifft und 24 Patentansprüche umfasst. Patentanspruch 1 lautet (Nummerierung der Verfahrensschritte hinzugefügt):
2
Verfahren zum Übermitteln von Symbolen von einem Sender zu einem Empfänger, mit den Schritten: [1] sendeseitig wird ein bestimmtes Symbol ausgewählt; [2] sendeseitig wird ein dem ausgewählten Symbol zugeordneter, dieses vollständig bezeichnender sprachlicher Ausdruck (Text) ermittelt; [3] dem sprachlichen Ausdruck (Text) wird eine Kennung hinzugefügt , die den sprachlichen Ausdruck als verschlüsseltes Symbol kennzeichnet; [4] der gekennzeichnete sprachliche Ausdruck (Text) wird als Zeichenfolge von dem Sender zu dem Empfänger gesendet; [5] empfangsseitig wird das dem gekennzeichneten sprachlichen Ausdruck (Text) zugeordnete Symbol aus einem Speichermittel ausgewählt und [6] das ausgewählte Symbol wird auf einer Anzeigeeinrichtung des Empfängers dargestellt.
3
Die Einsprechende hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Das Bundespatentgericht, vor dem das Einspruchsverfahren nach § 147 Abs. 3 PatG durchgeführt worden ist, hat das Patent widerrufen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin.
4
II. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Zulassung statthaft (§ 147 Abs. 3 Satz 5 i.d.F. vom 9.12.2004 i.V.m. § 100 Abs. 1 PatG) und auch im Übrigen zulässig.
5
Sie eröffnet die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses nach Art einer Revision (BGHZ 133, 18, 19 - Informationssignal). Diese Nachprüfung ist inhaltlich nicht auf die Nachprüfung der Entscheidung des Bundespatentgerichts beschränkt, von einer Aussetzung des Verfahrens abzusehen.
6
Das Patentgericht hat im Tenor des angefochtenen Beschlusses eine unbeschränkte Zulassung der Rechtsbeschwerde ausgesprochen. Aus den Gründen ergibt sich, dass die Rechtsbeschwerde "zur Klärung der Frage, ob das Gericht einem Aussetzungsantrag im Hinblick auf eine erhobene Verfassungsbeschwerde auch dann stattzugeben habe, wenn aus seiner Sicht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Norm bestünden" zugelassen worden ist. Daraus ergibt sich jedoch keine Beschränkung der Nachprüfung.
7
Zwar kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde, ebenso wie die der Revision (s. dazu BGHZ 53, 152, 155; 101, 276, 278; 111, 158,166; BGH, Urt. v. 21.09.2006 - I ZR 2/04, NJW-RR 2007, 182, 183), auf einen abgrenzbaren Teil des Beschwerdeverfahrens beschränkt werden (BGHZ 88, 191, 193 - Ziegelsteinformling I; Sen.Beschl. v. 03.12.1996 - X ZB 1/96, GRUR 1997, 360, 361 - Profilkrümmer; v. 29.04.2003 - X ZB 4/01, GRUR 2003, 781 - Basisstation ; v. 19.10.2004 - X ZB 34/03, GRUR 2005, 143 - Rentabilitätsermittlung; st. Rspr.). Dabei muss es sich aber um einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffes handeln, der Gegenstand einer Teilentscheidung sein könnte oder auf den der Rechtsbeschwerdeführer selbst die Rechtsbeschwerde beschränken könnte. Dies ist hier nicht der Fall.
8
Die Entscheidung des Gerichts über die Aussetzung des Verfahrens ist im patentgerichtlichen Verfahren zwar durch gesonderten Beschluss möglich. Sie ist aber nicht gesondert anfechtbar, weder in Fällen, in denen das Patentgericht wie im Streitfall über den Einspruch in erster Instanz entscheidet noch in Fällen, in denen es im Beschwerde- bzw. im Nichtigkeitsverfahren (vgl. hierzu § 110 Abs. 6 PatG) die Aussetzung des Verfahrens gesondert beschließt. Nach § 99 Abs. 2 PatG findet eine Anfechtung der Entscheidungen des Patentgerichts nur statt, soweit das Patentgesetz sie zulässt. Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde, das § 252 ZPO im Zivilprozess erster Instanz in Fällen der Aussetzung eröffnet, ist im patentgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen. Die Rechtsbeschwerde nach § 100 PatG ist nur statthaft gegen die Beschlüsse der Beschwerdesenate des Patentgerichts, durch die über eine Beschwerde nach § 73 oder über die Aufrechterhaltung oder den Widerruf eines Patents nach § 61 Abs. 2 entschieden worden ist. Eine Zwischenentscheidung über die Aussetzung ist keine Entscheidung über die Beschwerde oder über die Aufrechterhaltung oder den Widerruf des Patents und unterliegt damit nicht der Rechtsbeschwerde. Ein abtrennbarer Teil des Streitstoffes liegt demnach nicht vor, so dass die Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht auf den rechtlichen Teilaspekt der Aussetzung begrenzt werden kann.
9
III. Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent mit der Begründung widerrufen, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
10
1. Das Bundespatentgericht hat hierzu ausgeführt: Aus der USPatentschrift 5 784 001 sei ein Verfahren zum Übermitteln von Symbolen von einem Sender zu einem Empfänger bekannt. Beim Sender werde aus mehreren zur Verfügung stehenden Symbolen ein bestimmtes Symbol (z.B. ein Telefonsymbol "TELEPHONE", Fig. 2, 4) ausgewählt und ein dem ausgewählten Symbol zugeordneter numerischer Ausdruck (z.B. "01", Fig. 2) ermittelt. Diesem numerischen Ausdruck werde eine Kennung ("#") hinzugefügt, die den numerischen Ausdruck als verschlüsseltes Symbol kennzeichne. Der so gekennzeichnete numerische Ausdruck ("#01") werde von dem Sender zu dem Empfänger gesendet. Alternativ zu einem gekennzeichneten numerischen Ausdruck (z.B.
"#01") könne auch ein das Symbol bezeichnender sprachlicher Ausdruck (key word "CALL" oder "PHONE") zum Empfänger gesendet werden. Beim Empfänger würden die vom Sender übermittelten Wörter bzw. sprachlichen Ausdrücke mit gespeicherten Schlüsselwörtern verglichen. Stimme ein Wort der übermittelten Nachricht mit einem gespeicherten Schlüsselwort (z.B. "CALL" oder "PHONE") überein, werde auf dem Display des Empfängers sowohl das dem Schlüsselwort (z.B. "PHONE") entsprechende Symbol (Telefonsymbol) als auch das Schlüsselwort selbst ("PHONE") dargestellt. In Fig. 20 sei ein Beispiel gezeigt , bei dem die übermittelte Nachricht ausschließlich aus den sprachlichen Ausdrücken "CALL" und "HOME" bestehe, während auf dem Display des Empfängers nur die beiden zugeordneten Symbole (Telefonsymbol und Haussymbol ) und nicht die zugehörigen Schlüsselwörter "CALL" und "HOME" dargestellt würden. Wolle der Fachmann - ein Dipl.-Ing. (FH) für Informatik mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung von Software für Datenübertragungseinrichtungen - dieses Beispiel ausführen, so müsse er eine Anzeige der sprachlichen Ausdrücke "CALL" und "HOME" unterbinden. Dazu liege es für den Fachmann auf der Hand, jeden einzelnen sprachlichen Ausdruck genauso wie die numerischen Ausdrücke mit einer Kennung (z.B. #) als verschlüsseltes Symbol zu kennzeichnen. Damit sei der Fachmann beim Gegenstand des Patentanspruchs 1 angelangt, ohne erfinderisch tätig zu werden.
11
2. Die Rechtsbeschwerde rügt, das Patentgericht habe rechtsfehlerhaft lediglich geprüft, ob der über den Inhalt der US-Patentschrift 5 784 001 hinausgehende Teil des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit beruhe, anstatt der Prüfung den Gegenstand des Streitpatents in seiner Gesamtheit zu unterziehen.
12
3. Der Angriff der Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
13
a) Zutreffend ist allerdings ihr Ausgangspunkt, dass sich die Prüfung, ob der Gegenstand des Patentanspruchs patentfähig ist (hier: ob er dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war), auf die im Patentanspruch geschützte technische Lehre in ihrer Gesamtheit beziehen muss und sich nicht auf einen Teil, wie etwa die kennzeichnenden Merkmale eines zweiteiligen Patentanspruchs , beschränken darf (BGHZ 147, 137, 141 - Trigonellin; Sen.Urt. v. 08.12.1983 - X ZR 15/82, GRUR 1984, 272, 274 - Isolierglasscheibenrandfugenfüllvorrichtung ). Für die Prüfung dieses Gegenstandes reicht es nicht aus, zu untersuchen, ob sich der Wortlaut des Patentanspruchs auf eine Entgegenhaltung aus dem Stand der Technik oder einen Gegenstand, den der Stand der Technik dem Fachmann nahegelegt hat, lesen lässt. Vielmehr ist es grundsätzlich erforderlich, dass zunächst der Gegenstand des Patentanspruchs ermittelt wird, indem der Patentanspruch unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen aus der Sicht des von der Erfindung angesprochenen Fachmanns ausgelegt wird. Für die Prüfung der Patentfähigkeit im Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahren gilt dies ebenso wie für das Nichtigkeitsverfahren (Sen.Urt. v. 07.11.2000 - X ZR 145/98, GRUR 2001, 232 - Brieflocher) und den Verletzungsprozess (BGHZ 159, 221, 226 - Drehzahlermittlung). Denn erst wenn diese Auslegung erfolgt ist, steht der Gegenstand der nachfolgenden Überprüfung auf Patentfähigkeit fest.
14
Die Auslegung ist Rechterkenntnis und demgemäß richterliche Aufgabe (BGHZ 160, 204, 213 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; BGHZ 166, 305, 311 - Vorausbezahlte Telefongespräche; Sen.Urt. v. 13.02.2007 - X ZR 74/05, Tz. 18 - Kettenradanordnung, für BGHZ bestimmt). Sie wird freilich , wie jede Auslegung, auf tatsächlicher Grundlage getroffen, zu der neben den objektiven technischen Gegebenheiten auch ein bestimmtes Vorverständnis der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Sachkundigen sowie Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen und methodische Herangehensweise dieser Fachleute gehören, die das Verständnis des Patentanspruchs und der in ihm verwendeten Begriffe bestimmen oder jedenfalls beeinflussen können (BGHZ 164, 261, 268 - Seitenspiegel). Zu ermitteln ist, was sich aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt (Sen.Urt. "Kettenradanordnung" aaO; Melullis, Festschrift für Eike Ullmann, S. 503, 512 f.).
15
b) Das Bundespatentgericht hat sich nicht in erkennbarer Weise mit dem richtigen Verständnis des Patentanspruchs befasst. Im Streitfall erweist sich dies jedoch im Ergebnis als unschädlich, da die Auslegung, die das Rechtsbeschwerdegericht selbständig vornehmen kann (st. Rspr.; s. nur BGHZ 142, 7, 15 - Räumschild; BGHZ 160, 204, 213 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung ), nicht ergibt, dass der Patentanspruch insgesamt oder hinsichtlich einzelner Merkmale anders zu verstehen ist als das Bundespatentgericht auf der Grundlage des Anspruchswortlauts angenommen hat. Weiterer tatsächlicher Feststellungen, die im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht getroffen werden könnten, bedarf es hierzu nicht; auch die Rechtsbeschwerde macht insoweit nichts geltend.
16
c) Die Streitpatentschrift betrifft ein Verfahren zum Übermitteln von Symbolen von einem Sender zu einem Empfänger.
17
Sie bezeichnet es als beispielsweise bei Mobiltelefonen bekannt, beim Übersenden einer Nachricht vom Sender ausgewählte Symbole als solche zu übermitteln. Aus der veröffentlichten internationalen Patentanmeldung WO 97/10429 sei ferner ein Verfahren zum Übermitteln von Symbolen von einem Sender zu einem Empfänger bekannt, bei dem sendeseitig ein Symbol ausgewählt werde, ein diesem zugeordneter sprachlicher Ausdruck (Text) er- mittelt werde, dieser Text als Zeichenfolge vom Sender zum Empfänger gesendet werde, empfangsseitig das dem Text zugeordnete Symbol aus einem Speichermittel ausgewählt werde und dieses Symbol sodann auf einer Anzeigeeinrichtung dargestellt werde.
18
Als nachteilig sieht die Streitpatentschrift an diesen sowie einem weiteren bekannten Verfahren an, dass entweder die Symbole als solche übermittelt werden müssten, was eine erhebliche Datenmenge und entsprechende Übermittlungszeit erfordere, oder aber die Symbole nicht sicher als solche erkannt werden könnten.
19
Daraus ergibt sich im Wesentlichen in Übereinstimmung mit der im Streitpatent angegebenen Aufgabe das Problem, ein Verfahren anzugeben, das es erlaubt, die für die Übermittlung der Symbolinformation erforderliche Datenmenge zu reduzieren.
20
Diese Aufgabe soll durch die im Patentanspruch angegebenen Verfahrensschritte 1 bis 6 gelöst werden. Indem nicht das ausgewählte Symbol (Merkmal 1), sondern ein dieses vertretender Text übermittelt wird (Merkmale 2 und 4), kann die Datenmenge reduziert werden. Zugleich wird dadurch, dass dem Text eine Kennung hinzugefügt wird (Merkmal 3), sichergestellt, dass der übermittelte Text auf Empfängerseite eindeutig als Symbolinformation interpretiert (Merkmal 5) und das Symbol auf der Anzeigeeinrichtung des Empfängers dargestellt wird (Merkmal 6).
21
d) Hiernach hat das Bundespatentgericht jedenfalls im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 dem Fachmann durch die US-Patentschrift 5 784 001 nahegelegt war.
22
Nach seinen rechtsfehlerfreien und auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Ausführungen ist dieser Vorveröffentlichung ein Verfahren zu entnehmen, bei der sendeseitig einem bestimmten Symbol eine dieses bezeichnende Ziffernfolge zugeordnet ist. Dieser Ziffernfolge ist das Zeichen # vorangestellt, das die nachfolgenden Ziffern als Symbolcode kennzeichnet (Sp. 3 Z. 18-21). Die gesamte Zeichenfolge wird übermittelt, als Symbolcode erkannt und das Symbol auf der Anzeigeeinrichtung des Empfängers dargestellt (Sp. 3 Z. 38-42).
23
Dieses Verfahren unterscheidet sich von dem erfindungsgemäßen nur dadurch, dass die übermittelte Symbolinformation nicht, wie in Merkmal 2 angegeben , durch eine Buchstabenfolge ("Text"), sondern durch eine Ziffernfolge dargestellt wird. Abgesehen davon, dass, worauf das Bundespatentgericht abgehoben hat, bei dem vorbekannten Verfahren alternativ auch die Übermittlung von Schlüsselwörtern vorgesehen ist, kann dieser Unterschied jedoch keine erfinderische Tätigkeit begründen. Denn der "dem ausgewählten Symbol zugeordnete , dieses vollständig bezeichnende sprachliche Ausdruck (Text)" hat wie der Zifferncode im Stand der Technik nur die Funktion eines eindeutigen Symbolcodes , der mit einer geringen Datenmenge auskommt. Da der Symbolcode nicht dazu bestimmt ist, dem Empfänger als solcher angezeigt zu werden, sondern nur auf Empfängerseite wiederum eindeutig einem Symbol zugeordnet werden soll, das für den Empfänger sichtbar ist, liegt es auf der Hand, dass es unerheblich ist, ob der zur Symbolcodierung verwendete alphanumerische Code aus Ziffern oder aus Buchstaben besteht oder ob er ein Wort einer gesprochenen Sprache ergibt, sofern er nur eindeutig ist. Welcher Möglichkeit er sich bediente, stand daher im freien Belieben des Fachmanns.
24
III. Der Senat hat keinen Anlass gesehen, das Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend § 148 ZPO auszusetzen.
25
Hält das Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig, ist es gemäß § 100 Abs. 1 GG verpflichtet, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Wenn das entscheidungserhebliche Gesetz - wie hier - bereits Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist, ist eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO zulässig (BGHZ 162, 373, 376 - Aussetzung wegen Parallelverfahren; BGH, Beschl. v. 18.07.2000 - VIII ZR 323/99, RdE 2001, 20; v. 25.03.1998 - VIII ZR 337/97, NJW 1998, 1957). Es besteht aber keine Verpflichtung des Gerichts, das Verfahren in einem solchen Fall auszusetzen; es hat hierüber nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Eine Aussetzung kommt in einem derartigen Fall insbesondere dann in Betracht, wenn Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betreffenden Vorschrift bestehen und die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit weder einfach noch ohne großen Zeitaufwand zu erledigen ist (so in dem vom Bundesgerichtshof zur Aussetzung wegen behaupteter Verfassungswidrigkeit des Stromeinspeisungsgesetzes entschiedenen Fall, aaO NJW 1998, 1957). Bestehen hingegen keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der entscheidungserheblichen Vorschrift, hat grundsätzlich das Interesse der Verfahrensbeteiligten, die nicht auf eine Aussetzung angetragen haben, an einer zügigen Erledigung des Verfahrens Vorrang. So ist es auch hier, denn § 147 Abs. 3 PatG in den bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassungen des Gesetzes ist verfassungsgemäß.
26
Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist nicht verletzt. Das Einspruchsverfahren vor dem Bundespatentgericht ermöglicht es jedem Dritten, die Rechtmäßigkeit der Erteilung eines Patents, das seinem Inhaber ein gegenüber jedem Dritten wirkendes Ausschließlichkeitsrecht verleiht, durch ein unabhängiges Gericht überprüfen zu lassen. Der Gesetzgeber ist nach dem Grundgesetz nicht gehalten, die diese Überprüfung abschließende gerichtliche Entscheidung ihrerseits einer Nachprüfung zugänglich zu machen, denn Art. 19 Abs. 4 GG garantiert nur den Rechtsweg, nicht aber einen Instanzenzug (BVerfGE 49, 329, 343; 87, 48, 61; 92, 365, 410; 96, 27, 39; st. Rspr.).
27
Es ist auch nicht zutreffend, dass das Einspruchsverfahren vor dem Bundespatentgericht, wie die Patentinhaberin meint, materiell Verwaltungstätigkeit darstellte. Zwar kann im Einspruchsverfahren das Patent in den gesetzlichen Grenzen gestaltet werden. Das ändert aber nichts daran, dass das Einspruchsverfahren im Kern der gerichtlichen Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung dient (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 14/7140, S. 60 f.; Sen.Beschl. v. 02.03.1999 - X ZB 14/97, GRUR 1999, 571, 572 - künstliche Atmosphäre; Schwendy/Keukenschrijver/Schuster in Busse, PatG, 6. Aufl., § 147 Rdn. 26 f.), indem es insbesondere die Nachprüfung ermöglicht, ob das Patentamt die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Patentfähigkeit des Gegenstands des Patents zutreffend bejaht hat (§ 21 Nr. 1 PatG), zu Recht angenommen hat, dass die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 21 Nr. 2 PatG), und zu Recht angenommen hat, dass der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung nicht hinausgeht (§ 21 Nr. 4 PatG). Das vom Gesetzgeber zeitweise suspendierte Einspruchsverfahren vor der Patentabteilung stellt aus verfassungsrechtlicher Sicht ein Vorverfahren dar, das - ähnlich dem Widerspruchsverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung - es der Erteilungsbehörde ermöglicht, dem Rechtsschutzbegehren des Einsprechenden durch einen vollständigen oder teilweisen Widerruf des Patents abzuhelfen.
28
Ein solches Vorverfahren ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Es stand dem Gesetzgeber daher frei, es - zeitweise - abzuschaffen.
29
Gegen die zeitweise Suspendierung des Einspruchsverfahrens vor der Patentabteilung bestehen auch im Hinblick auf den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) keine Bedenken. Dass die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts davon abhängt, ob die Einspruchsfrist vor oder - wie im Streitfall - nach dem 1. Januar 2002 begonnen hat, liegt in der Natur einer verfahrensrechtlichen Regelung , die notwendigerweise einen Zeitpunkt bestimmen muss, von dem an sie Geltung beansprucht, und damit Sachverhalte, die in den einen Zeitraum fallen, anders behandeln muss als diejenigen, die den für den anderen Zeitraum geltenden Regeln unterliegen. Art. 3 Abs. 1 GG schützt jedoch nicht vor jeder Ungleichbehandlung, sondern nur vor der ungerechtfertigten Verschiedenbehandlung. Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72, 88; 88, 87, 96 f.; 101, 239, 269; st. Rspr.). Dass der Patentanmelder keinen oder nur begrenzten Einfluss darauf hat, wann die Einspruchsfrist gegen das ihm erteilte Patent beginnt, begründet keinen sachlichen Einwand gegen den vom Gesetzgeber gewählten Stichtag. Es war vielmehr sachgerecht und naheliegend, die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts davon abhängig zu machen, zu welchem Zeitpunkt ein Patent mit dem Einspruch angegriffen werden konnte.
30
Ebenso wenig ist der allgemeine Gleichheitssatz dadurch verletzt, dass dem Patentinhaber, dessen Patent durch das Bundespatentgericht widerrufen worden ist, ein weiterer Rechtsbehelf nur unter den Voraussetzungen des § 100 PatG zu Gebote steht, während der Einsprechende das aufrechterhaltene Patent noch mit der Nichtigkeitsklage angreifen kann. Mit der Nichtigkeitsklage stellt der Gesetzgeber jedem Dritten die Möglichkeit zur Verfügung, die Rechtsbeständigkeit eines Patents auch dann zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen, wenn die Einspruchsfrist abgelaufen und ein Einspruchsverfahren nicht mehr anhängig ist. Da die Verletzungsgerichte an die Erteilung eines Patents gebunden sind, solange das Patent nicht (rechtskräftig) widerrufen oder für nichtig erklärt ist, ermöglicht das Gesetz damit jederzeit die Überprüfung, ob das erteilte Ausschließlichkeitsrecht von jedermann zu beachten ist oder nicht. Daraus lässt sich nicht herleiten, auch dem Patentinhaber, dessen Patent mit der Folge widerrufen worden ist, dass die Wirkungen des Patents als von Anfang an nicht eingetreten gelten (§ 21 Abs. 3 Satz 1 PatG), müsse eine "zweite Chance" eingeräumt werden.
31
Da auch das Bundespatentgericht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm hatte, hat es seinerseits rechtsfehlerfrei davon abgesehen, das Einspruchsverfahren auszusetzen.
32
IV. Die Rechtsbeschwerde ist hiernach mit der Kostenfolge des § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG zurückzuweisen.
33
Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten.
Melullis Scharen Keukenschrijver
Meier-Beck Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 06.03.2006 - 20 W(pat) 305/03 -
27
a) Das Patentgericht hat eine zusammenhängende Ermittlung der mit Patentanspruch 1 gegebenen technischen Lehre unterlassen und lediglich bei der Prüfung der Neuheit jeweils Ausführungen zum Sinngehalt einzelner Merkmale gemacht. Im Rahmen der Auslegung sind jedoch der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen (BGH, Urteil vom 3. Juni 2004 - X ZR 82/03, BGHZ 159, 221, 226 - Drehzahlermittlung; Urteil vom 13. Februar 2007 - X ZR 74/05, BGHZ 171, 120 Rn. 18 f. - Kettenradanordnung I; Beschluss vom 17. April 2007 - X ZB 9/06, BGHZ 172, 108 Rn. 13 f. - Informationsübermittlungsverfahren I; Urteil vom 31. Mai 2007 - X ZR 172/04, BGHZ 172, 298 Rn. 38 - Zerfallszeitmessgerät; Urteil vom 29. Juni 2010 - X ZR 193/03, BGHZ 186, 90 Rn. 13 - Crimpwerkzeug III). Die Bestimmung des Sinngehalts eines einzelnen Merkmals muss stets in diesem Kontext erfolgen, aus dem sich ergeben kann, dass dem Merkmal eine andere Bedeutung zukommt als einem entsprechenden Merkmal in einer zum Stand der Technik gehörenden Entgegenhaltung. Denn für das Verständnis entschei- dend ist zumindest im Zweifel die Funktion, die das einzelne technische Merkmal für sich und im Zusammenwirken mit den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs bei der Herbeiführung des erfindungsgemäßen Erfolgs hat. Dabei sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen sind, unabhängig davon, ob diese Auslegung die Grundlage der Verletzungsprüfung oder der Prüfung des Gegenstands des Patentanspruchs auf seine Patentfähigkeit ist (BGHZ 186, 90 Rn. 13 - Crimpwerkzeug
23
Nach der Vorgabe in Art. 69 Abs. 1 Satz 1 EPÜ wird der Schutzbereich eines Patents durch die Patentansprüche bestimmt. Damit diese Bestimmung so erfolgen kann, dass die Ziele des Artikels 1 des Auslegungsprotokolls erreicht werden, ist zunächst unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen der technische Sinngehalt zu ermitteln, der dem Wortlaut des Patentanspruchs aus fachmännischer Sicht beizumessen ist. Zwar ist ein buchstäbliches Verständnis der Patentansprüche nicht zur Erfassung des geschützten Gegenstands geeignet, andererseits darf der Schutzgegenstand aber auch nicht durch Verallgemeinerung konkreter, im Anspruch angegebener Lösungsmittel erweitert werden (vgl. Ballhaus/Sikinger, GRUR 1986, 337, 341). Insbesondere darf ein engerer Patentanspruch nicht nach Maßgabe einer weiter ge- fassten Beschreibung interpretiert werden. Der Patentanspruch hat vielmehr Vorrang gegenüber der Beschreibung (BGH, Urteile vom 7. September 2004 - X ZR 255/01, BGHZ 160, 204, 209 = GRUR 2004, 1023 - bodenseitige Vereinzelungseinrichtung ; vom 13. Februar 2007 - X ZR 74/05, BGHZ 171, 120 = GRUR 2007, 410 - Kettenradanordnung I; vom 17. April 2007 - X ZR 72/05, BGHZ 172, 88, 97 = GRUR 2007, 778, 779 - Ziehmaschinenzugeinheit I; vom 4. Februar 2010 - Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 - Gelenkanordnung). Was in den Patentansprüchen keinen Niederschlag gefunden hat, kann nicht unter den Schutz des Patents fallen. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind zwar nach Art. 69 Abs. 1 Satz 2 EPÜ zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen , da diese der Erläuterung der Patentansprüche dienen. Beschreibung und Zeichnungen sind mithin heranzuziehen, um den Sinngehalt des Patentanspruchs zu ermitteln. Ihre Heranziehung darf aber weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortsinn des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (BGH, aaO - bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; BGH, aaO - Ziehmaschinenzugeinheit I; BGH, aaO - Gelenkanordnung). Lassen sich die technische Lehre der Beschreibung und die technische Lehre des Patentanspruchs nicht in Einklang bringen, ist der Patentanspruch maßgeblich (vgl. schon BGH, Urteile vom 29. November 1988 - X ZR 63/87, BGHZ 106, 84, 93 f. = GRUR 1989, 205, 208 - Schwermetalloxidationskatalysator ; vom 16. Juni 1987 - X ZR 51/86, BGHZ 101, 159 = GRUR 1987, 794 - Antivirusmittel). Bei Widersprüchen zwischen Patentansprüchen und Beschreibung sind solche Bestandteile der Beschreibung, die in den Patentansprüchen keinen Niederschlag gefunden haben, grundsätzlich nicht in den Patentschutz einbezogen. Die Beschreibung darf somit nur insoweit berücksichtigt werden, als sie sich als Erläuterung des Gegenstands des Patentanspruchs lesen lässt.
26
Sie hätte - wie auch das Patentgericht nicht verkannt hat - zur Folge, dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würde. Eine Auslegung mit einem solchen Ergebnis ist zwar nicht schlechthin ausgeschlossen. Sie käme aber nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten, die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausschieden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen ließen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht. Diese Voraussetzung ist entgegen der Auffassung des Patentgerichts im Streitfall nicht gegeben. Der Patentanspruch lässt vielmehr - noch - hinreichend deutlich erkennen, dass mit den darin vorgesehenen Merkmalen beide in der Beschreibung geschilderten Ausführungsbeispiele erfasst werden sollen.

(1) Ergibt die Begründung des angefochtenen Urteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Berufung zurückzuweisen.

(2) Insoweit die Berufung für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(3) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Nichtigkeitssenat erfolgen.

(4) Das Patentgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Der Bundesgerichtshof kann in der Sache selbst entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Er hat selbst zu entscheiden, wenn die Sache zur Endentscheidung reif ist.