Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juli 2011 - X ZR 75/08

bei uns veröffentlicht am12.07.2011
vorgehend
Bundespatentgericht, 3 Ni 48/07, 16.05.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 75/08 Verkündet am:
12. Juli 2011
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Reifenabdichtmittel
EPÜ Art. 123 Abs. 2; PatG § 38
Ist den ursprünglichen Unterlagen der Patentanmeldung zu entnehmen, dass
ein Erzeugnis bestimmte Bestandteile "enthalten" soll, ist damit nicht ohne weiteres
auch als zur Erfindung gehörend offenbart, dass ihm keine weiteren Bestandteile
hinzugefügt werden dürfen. Für die Offenbarung, dass es zur Erfindung
gehört, dass das Erzeugnis ausschließlich aus den genannten Bestandteilen
"besteht", bedarf es vielmehr in der Regel darüber hinausgehender Anhaltspunkte
in den ursprünglichen Unterlagen, wie etwa des Hinweises, dass das
ausschließliche Bestehen des Erzeugnisses aus den genannten Bestandteilen
besondere Vorteile hat oder sonst erwünscht ist.
BGH, Urteil vom 12. Juli 2011 - X ZR 75/08 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Juli 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens, den Richter Dr. Grabinski
und die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 16. Mai 2008 an Verkündungs Statt zugestellte Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 753 420 (Streitpatents), das am 9. Juli 1996 unter Inanspruchnahme zweier deutscher Prioritätsanmeldungen vom 11. Juli und 8. Dezember 1995 angemeldet wurde.
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Patentanspruch 1, auf den die Patentansprüche 2 bis 9 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, und Patentanspruch 18, auf den die Patentansprüche 19 und 20 unmittelbar rückbezogen sind, haben in der englischen Verfahrenssprache des Streitpatents folgenden Wortlaut: "1. A preparation for sealing tyres with a puncture which is introducible via the valve into the tyre, characterized in that the preparation contains a natural rubber latex and an adhesive resin compatible with the rubber latex.
18. An apparatus for the sealing of punctures and pumping up of tyres, comprising a pressure-tight container (4) containing a sealing preparation (6) and having an outlet valve for the sealing preparation and also a gas inlet, and a pressure source with which gas under pressure can be introduced into the pressure-tight container via the gas inlet, characterized in that the sealing preparation (6) is according to any of claims 1 to 9."
3
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 9 sowie 18 bis 20 sei nicht patentfähig. Demgegenüber hat die Beklagte das Streitpatent in der erteilten Fassung und in der Fassung von sechs Hilfsanträgen verteidigt.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent im angegriffenen Umfang für nichtig erklärt. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung,
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wobei sie das Streitpatent zuletzt mit einem Haupt- und drei Hilfsanträgen verteidigt. Nach dem Hauptantrag soll Patentanspruch 1 folgende Fassung erhal6 ten: "Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel einen Kautschuklatex und ein mit dem Kautschuklatex kompatibles Klebstoffharz enthält und wobei der Kautschuklatex im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht." Nach Hilfsantrag I soll Patentanspruch 1 lauten:
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"Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel aus einem Kautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz, einem Gefrierschutzmittel und optional einem Dispergiermittel besteht, wobei der Kautschuklatex im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht." Nach Hilfsantrag II soll Patentanspruch 1 folgende Fassung erhalten:
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"Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel einen Kautschuklatex und ein mit dem Kautschuklatex kompatibles Klebstoffharz enthält, wobei in dem Mittel das Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoffharz 4:1 bis 1:1 beträgt und wobei der Kautschuklatex im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht." Mit Hilfsantrag III wird folgende Fassung des Patentanspruchs 1 vertei9 digt: "Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel aus einem Naturkautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz und einem Gefrierschutzmittel besteht." An Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags und der Hilfsan10 träge sollen sich jeweils die erteilten Patentansprüche 2 bis 9 und 18 bis 20 mit Ausnahme des Hauptantrags umformuliert zu Verwendungsansprüchen anschließen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
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12
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. Claus D. E. , Universität S. , Institut für Polymerchemie, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


Die Berufung ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
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I. Das Streitpatent betrifft ein Mittel zum Abdichten von Reifen bei Pan14 nen und eine Vorrichtung zum Abdichten und Aufpumpen von Reifen bei Pannen mit einem druckfesten Behälter. In der Beschreibung wird ausgeführt, dass bereits verschiedene Abdich15 tmittel für Reifenpannen auf dem Markt seien. Während die meisten Latices kolloidale Dispersionen aus Polymeren in einem wässrigen Medium enthielten, gebe es auch andere Abdichtmittel, deren Trägermittel nicht Wasser, sondern Tetrachlorethylen sei. Eine aus der US-Patentanmeldung 4 116 895 (KS 29) bekannte Abdichtzusammensetzung sei dazu bestimmt, bei der Herstellung des Reifens auf dessen innerer Oberfläche aufgebracht zu werden, damit sich ein teilweise vernetzter Kautschuk bilde. Dies habe jedoch den Nachteil, dass sich das Gewicht des Reifens bzw. des Radaufbaus von Anfang an vergrößere (Rn. 3). Ferner sei bekannt, im Falle einer Reifenpanne das Abdichtmittel aus ei16 nem druckfesten Behälter mit einem verflüssigten Gas als Druckquelle (Spraydose ) durch das Reifenventil in das Innere des Reifens zu sprühen. Dabei werde der Reifen mittels des Treibgases auf einen bestimmten Druck aufgepumpt und dann einige Kilometer in Abhängigkeit von der Art des Defektes gefahren, um das Abdichtmittel im Inneren des Reifens zu verteilen und den Defekt abzudichten (Rn. 5). Bei einer anderen Vorrichtung werde der Ventileinsatz entfernt und das Abdichtmittel durch Pressen einer Flasche in den Reifen gespritzt, der Ventileinsatz wieder eingesetzt und der Reifen mit Hilfe von Kohlendioxidpatro- nen wieder aufgepumpt (Rn. 6). Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift seien die bisher verwendeten Abdichtmittel jedoch nicht zufriedenstellend , weil sie leicht mechanisch entfernt werden könnten, einige von ihnen nicht ausreichend wasserfest seien und keine Abdichtung bewirkten, wenn der Reifendefekt an den Rändern des Reifens (Protektorauslauf) liege (Rn. 7). Der Erfindung liegt nach den Angaben der Streitpatentschrift das Prob17 lem ("die Aufgabe") zugrunde, ein Abdichtmittel bereit zu stellen, das eine wirksame Abdichtung auch bei Nässe sowie bei Defekten im Protektorauslauf erreiche und das mechanisch schwer zu entfernen sei. Außerdem sollen Vorrichtungen zum Einbringen des Abdichtmittels in den Reifen und Aufpumpen des Reifens auf einen Druck vorgestellt werden, bei dem der Reifen verwendet werden kann (Rn. 11). Die Lehre aus Patentanspruch 1 in der im Hauptantrag von der Beklag18 ten verteidigten Fassung umfasst folgende Merkmale: 1. Das Mittel wird verwendet zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen. 2. Das Mittel enthält einen Kautschuklatex, der im Wesentlichen nur aus Naturkautschuk besteht. 3. Das Mittel enthält einen Klebstoffharz, der mit Kautschuklatex kompatibel ist. In der Streitpatentschrift wird dem Fachmann, bei dem es sich um einen
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Chemiker handelt, der über vertiefte Kenntnisse und praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Kautschuktechnologie (natürliche und synthetische Werkstoffe und deren Verarbeitung) insbesondere im Hinblick auf die Herstellung von Abdichtmitteln von Reifen verfügt und sich in diesem Zusammenhang auch mit Dispersionsklebstoffen und Fragen der Polymerchemie beschäftigt hat, erläutert , dass ein Klebstoffharz "kompatibel" mit dem Kautschuklatex ist, wenn er keine Koagulation desselben verursacht. "Klebstoffharze" sind Harze, welche die Haftfähigkeit des Kautschuklatex am Reifen verbessern, wie etwa Harze, denen Elastomere als Klebrigmacher ("Tackifier") zugesetzt worden sind (Rn. 14). Merkmal 3 schließt es aus Sicht des Fachmanns nicht aus, dass das Mittel neben einem Naturkautschuklatex auch synthetischen Kautschuk "enthält". Das exklusive Vorhandensein von Naturkautschuk in dem Mittel ist in der Streitpatentschrift lediglich als "besonders bevorzugt" beschrieben (vgl. Rn. 16). II. Das Patentgericht hat es dahingestellt sein lassen, ob dem Gegen20 stand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung bereits die Neuheit fehle, weil er durch die französische Patentschrift 1 016 016 (KS 4) offenbart sei. Denn jedenfalls sei der Fachmann im Prioritätszeitpunkt in der Lage gewesen, die Lehre des Patentanspruchs 1 aus der US-Patentschrift 4 501 825 (KS 6) in Verbindung mit der US-Patentschrift 4 337 322 (KS 19) in naheliegender Weise aufzufinden. In der KS 6 sei ein Mittel zum Abdichten von Reifen bei Pannen be21 schrieben, wobei das Mittel über das Ventil in den Reifen einführbar sei. Dieses Mittel enthalte neben anderen Bestandteilen einen Kautschuklatex und ein Klebstoffharz. Zwar sei nicht ausdrücklich angesprochen, dass das Klebstoffharz mit dem Kautschuklatex kompatibel sei. Dem Fachmann, der auch wisse, dass Phenolharze zu den gebräuchlichsten Additiven in der KautschukVerarbeitung zählten, werde jedoch mangels gegenteiliger Hinweise aus der KS 6 den Schluss ziehen, dass mit dem Einsatz von Phenolharzen als Klebharz die Eigenschaften von Kautschuklatices nicht beeinträchtigt würden und Phenolharze deshalb keinerlei Koagulation der Latices verursachten. Da das in der KS 6 beschriebene Abdichtmittel zum Zeitpunkt der Anwendung bei einer Rei- fenpanne fließfähig sei, müsse das in KS 6 verwendete Klebstoffharz zwangsläufig auch kompatibel mit dem Kautschuklatex sein.
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Als Material für den Kautschuklatex schlage die KS 6 vor, Polymere und/oder Copolymere von Isopren, Styrol und Butadien einzusetzen. Zwar gehe aus der Stoffangabe Polyisopren nicht ausdrücklich hervor, dass Naturkautschuk - aufgrund der gleichen chemischen Zusammensetzung - ein Mittel der Wahl sei, zumal in den Beispielen der KS 6 ein solcher nicht genannt sei. Allerdings werde der Fachmann Naturkautschuk als Polyisopren schon deshalb in seine Überlegungen einbeziehen, weil in der Beschreibungseinleitung der KS 6 als Stand der Technik auf die US-Patentschrift 4 337 322 (KS 19) Bezug genommen werde, aus der ein Reifenabdichtmittel hervorgehe, das neben anderen Bestandteilen ebenfalls Polyisopren und zwar in Form eines Naturkautschuklatex enthalte. Damit verdeutliche die KS 19, dass es sich bei Polyisopren und Naturkautschuk um für den Fachmann auf dem Gebiet der Reifenabdichtmittel überschneidende Begriffe und um zwei nicht klar voneinander abgrenzbare Stoffe handele. Deshalb werde der Fachmann, wenn er mit der Entwicklung eines Reifenabdichtmittels befasst sei, bei dem Hinweis auf Polyisopren zwangsläufig auch Naturkautschuklatex als parates Mittel in Erwägung ziehen und zwar unabhängig von der Bezeichnung in der jeweiligen Veröffentlichung. Auch der Einwand der Beklagten, der Fachmann beziehe die KS 6 nicht
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in seine Überlegungen mit ein, weil es sich um die Bereitstellung eines Abdichtmittels auf Basis synthetischer Kautschuklatices handele, überzeuge nicht. Im Streitpatent sei auch der Einsatz von Synthesekautschuklatices als geeignet beschrieben, darunter auch Styrolbutadienlatex. Die Verwendung von natürlichen Kautschuklatices allein als Kautschuklatex sei lediglich eine besonders bevorzugte Ausführungsform. Die von der Beklagten weiter geltend gemachten Vorteile, insbesondere unerwartete Vorteile des erfindungsgemäßen Abdicht- mittels, qualifizierten dieses ebenfalls nicht als Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit.
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Wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht rechtsbeständig seien überdies die Unteransprüche im angegriffenen Umfang sowie die Fassungen des Patentanspruchs 1, mit denen die Beklagte das Streitpatent hilfsweise verteidigt habe. III. Die Überlegungen des Patentgerichts halten den Angriffen der Beru25 fung auch hinsichtlich der mit Haupt- und Hilfsanträgen verteidigten Fassung des Patentanspruchs 1 im Wesentlichen stand. 1. Dem Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Haupt26 antrags fehlt die Patentfähigkeit (Art. 52 EPÜ).
a) Die Lehre aus Patentanspruch 1 ist allerdings neu (Art. 54 EPÜ). Wie
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sich aus den oben wiedergegebenen Ausführungen des Patentgerichts in dem mit der Berufung angegriffenen Urteil ergibt und zwischen den Parteien auch nicht streitig ist, offenbart die US-Patentschrift 4 501 825 (KS 6) zwar ein Mittel zum Abdichten von Reifen, das mit Ausnahme der näheren Definition der Latexkomponente der Lehre des Patentanspruchs 1 entspricht. Insbesondere konnte der Fachmann der Entgegenhaltung die Verwendung des Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen im Pannenfall entnehmen (vgl. KS 6, Sp. 2 Z. 53 ff.). Nicht offenbart ist jedoch das Merkmal 2, wonach das Mittel einen Kaut28 schuklatex enthalten soll, der im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht. In der Vorveröffentlichung wird zwar ausgeführt, dass als Latexkomponente alle geeigneten polymerischen oder copolymerischen Latices, wie Polymere oder Copolymere von Isopren, Styrol und Butadien in Betracht kommen (K 6, Sp. 3 Z. 44 ff.). Zudem war dem Fachmann bekannt, dass Naturkautschuk ein Polymer von Isopren ist. Unter die abstrakte Bezeichnung "Polymere oder Copolymere von Isopren, Styrol und Butadien" fallen jedoch mehrere Tausend natürliche oder synthetische Verbindungen (vgl. die gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. W. vom 21.1.2011, E 24), und Naturkautschuk wird weder an dieser noch an einer anderen Stelle der Entgegenhaltung ausdrücklich als mögliche Latexkomponente erwähnt. Es kann daher nicht angenommen werden, dass es aus fachlicher Sicht selbstverständlich gewesen ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedurfte, Naturkautschuk als Latexkomponente auszuwählen (vgl. Senat, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, Rn. 26, BGHZ 179, 168, 174 - Olanzapin).
b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptan29 trags ergab sich für den Fachmann allerdings in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Art. 56 EPÜ). Wie dargelegt wurde dem Fachmann in der KS 6 ein Mittel zum Abdich30 ten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil offenbart, welches unter anderem ein Klebstoffharz enthält, das mit der Latexkomponente kompatibel ist. Hinsichtlich der genauen Art des zu verwendenden Latex erhielt er aus der Entgegenhaltung die Anregung, dafür ein geeignetes Polymer oder ein Copolymer von Isopren, Styrol und Butadien zu nehmen (K 6, Sp. 3 Z. 44 ff.). Zwar wird als insoweit bevorzugte Latexkomponente ein Styrol-Butadien-Copolymer genannt, das unter der Marke Pliolite 5336 von Goodyear erhältlich ist, einen Butadiengehalt von über 50 % aufweist und auf der Basis von Fettsäureemulsion hergestellt ist (KS 6, Sp. 3 Z. 47 ff.), und dieses Latex (Pliolite Latex) wird auch in Ausführungsbeispiel 1 der Entgegenhaltung zur Herstellung des Abdichtmittels eingesetzt (KS 6, Sp. 5 Z. 31, 38). Jedoch schloss dies aus Sicht des Fachmanns auf Grundlage der allgemeinen Erläuterungen in der Entgegenhaltung , dass insoweit "jedes geeignete Polymer oder Copolymer von Isopren , Styrol und Butadien" in Betracht kommt, nicht aus, als Latexkomponente auch einen anderen Latex als das ausdrücklich genannte Produkt Pliolite 5336 oder ein sonstiges Copolymer von Styrol und Butadien zu nehmen. Als eine solche alternative Latexkomponente bot sich dem Fachmann nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung ein Naturkautschuklatex als (Mono-)Polymer von Isopren an. Für diese Alternative sprach zunächst die Überlegung, dass für die Herstellung von Reifen üblicherweise Mischungen aus Styrol-Butadien (SBR [StyreneButadiene -Rubber]) und Naturkautschuk verwendet werden und die Verwendung eines Naturkautschuklatex es daher wie bei der von der KS 6 ausdrücklich gelehrten Benutzung eines Styrol-Butadien-Copolymers erlaubte, für die Latexkomponente eines Mittels zur Abdichtung von Reifen, das sich fest und dauerhaft mit dem Reifen verbinden soll, auf einen Reifengrundstoff zurückzugreifen. Hinzu kamen die hervorragenden elastomeren Eigenschaften des aus Latex ausgefällten und aufgearbeiteten Naturkautschuks aufgrund des hohen Anteils von cis-1,4-Polyisopren (vgl. Gutachten, S. 10 f.), die aus fachlicher Sicht Naturkautschuklatex als eine realistische Alternative zu Styrol-Butadien als Latexkomponente erscheinen ließen. In diesen Überlegungen konnte sich der Fachmann dadurch bestätigt
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sehen, dass in der KS 6 bei der Darstellung des Standes der Technik auf die US-Patentschrift 4 337 322 (KS 19) verwiesen und dabei ausgeführt wird, dass diese eine Zusammensetzung für die Radauswuchtung und Abdichtung offenbart , die neben anderen Komponenten aus Polyisopren besteht. Der KS 19 konnte der Fachmann dann bei der Beschreibung der bevorzugten Ausführungsform entnehmen, dass als Polyisopren ein ungehärteter Naturlatex eingesetzt werden kann bzw. das Polyisopren in der Form von natürlichem Latexkautschuk (natürlichem Poly-cis-1,4-polyisopren) in dem Abdichtmittel enthalten ist (KS 19, Sp. 2 Z. 12, 21 ff.). Dies war geeignet, den Fachmann darin zu be- stärken, für das Abdichtmittel als Latexkomponente einen Naturkautschuklatex in Erwägung zu ziehen. Das wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die KS 19 vor allem
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die vorbeugende Behandlung eines Reifens gegen Perforationen betrifft und die Reparatur eines bereits platten Reifens nicht erwähnt (vgl. K 19, Sp. 1 Z. 29 ff.; Sp. 2 Z. 53 ff.). Denn dabei handelt es sich vornehmlich um einen anwendungstechnischen Unterschied, der es, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, aus fachlicher Sicht jedenfalls nicht ausschließt , die Verwendung des in der KS 19 als Polyisoprenkomponente vorgeschlagenen natürlichen Kautschuklatex als Latexkomponente des in der KS 6 vorgeschlagenen Abdichtmittels in Erwägung zu ziehen. Zwar sind die Ausführungen der Beklagten zutreffend, dass es sich bei
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den in der KS 6 neben Polymeren oder Copolymeren von Isopren genannten beiden anderen Latices (Polymere oder Copolymere von Styrol und/oder Butadien ) um synthetische Kautschuklatices handelt. Dies rechtfertigt jedoch nicht den Schluss, dass auch mit dem Begriff der Polyisoprene, der nach allgemeinem Verständnis sowohl natürliche als auch synthetische Polymere des Isopren umfasst, lediglich synthetische Polymere des Isoprens gemeint sind. Ein derart eingeschränktes fachliches Verständnis wird durch die KS 6 nicht veranlasst, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend in seinem Gutachten ausgeführt und in der Verhandlung bestätigt hat. Der Beklagten kann daher nicht in dem Argument gefolgt werden, dass die Beschreibung der Entgegenhaltung ganz (ausschließlich) auf die Verwendung von synthetischem Latex ausgerichtet sei. Dies verkennt den Begriff des Polyisoprens, der nach allgemeinem Verständnis neben synthetischen auch natürliche Polymere von Isopren umfasst und der auch im Offenbarungsgehalt der KS 6 nicht eingeschränkt worden ist.
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Es mag sein, dass sich Naturkautschuklatex und synthetischer Latex insbesondere auch von Polyisopren hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und ihrer Eigenschaften (Stereoisomerenreinheit, Molekulargewicht und Molekularverteilung , Anwesenheit funktioneller Gruppen und Art der vorhandenen Gruppen ) unterscheiden, wie von der Beklagten im Einzelnen ausgeführt worden ist. Es ist aber nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht dargetan worden, inwiefern diese Unterschiede den Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents davon hätten abhalten sollen, entsprechend der Anregung in KS 6 natürliches Polyisopren als Latex in Betracht zu ziehen und - wie dargelegt - gestützt auf sein Fachwissen und entsprechend der Anregung in der KS 19, auf die in der KS 6 hingewiesen wird, bei der Herstellung des Reifendichtmittels zu verwenden. 2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsan35 trags I geht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus und ist daher nicht zulässig (Art. 123 Abs. 2 EPÜ). Zur Feststellung einer unzulässigen Erweiterung ist der Gegenstand des
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erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen. Der Inhalt der Patentanmeldung ist der Gesamtheit der Unterlagen zu entnehmen. Der Patentanspruch darf nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht zur Erfindung gehörend erkennen lässt (Senat, Urteil vom 5. Juli 2005 - X ZR 30/02, GRUR 2005, 1023, 1024 - Einkaufswagen II; Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 28/06, Rn. 29, GRUR 2010, 513 - Hubgliedertor II). Dies ist jedoch hier der Fall. Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I unterscheidet sich
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von selbigem in der Fassung des Hauptantrags dadurch, dass nicht mehr nur vorgesehen ist, dass das Abdichtmittel, dessen Verwendung im Pannenfall un- ter Schutz gestellt werden soll, einen (Natur-)Kautschuklatex und ein mit diesem kompatibles Klebstoffharz "enthält", sondern dass das Abdichtmittel aus einem (Natur-)Kautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz und optional einem Dispergiermittel "besteht". Dies ist - wie auch die Beklagte in der Verhandlung ausgeführt hat - aus fachlicher Sicht dahin zu verstehen, dass das erfindungsgemäße Abdichtmittel ausschließlich aus den genannten Bestandteilen bestehen darf, wobei lediglich das Dispergiermittel nicht zwingend enthalten sein muss. Insbesondere dürfen dem erfindungsgemäßen Abdichtmittel damit auch keine Füllstoffe, wie etwa faserige Materialien, zugesetzt worden sein. Gerade auf das Fehlen solcher faserigen Materialien, auf das im ursprünglich formulierten Hilfsantrag IV ausdrücklich abgestellt worden war, zielt erklärtermaßen die von der Beklagten gewählte Anspruchsfassung. Die Verwendung eines Abdichtmittels im Pannenfall, das ausschließlich
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aus einem (Natur-)Kautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz besteht und dem allein ein Dispergiermittel wahlweise zugegeben werden durfte, wird dem Fachmann in der ursprünglichen Anmeldung jedoch nicht als zur Erfindung gehörend offenbart. In den gesamten Anmeldungsunterlagen findet sich an keiner Stelle ein Hinweis darauf, dass eine derart exklusive Zusammensetzung des Abdichtmittels, die vor allem auch keine Füllstoffe aufweist, besondere technische Vorteile hat oder sonst erwünscht ist und deshalb vom Fachmann als zur Erfindung gehörend angesehen wird. In der Anmeldung wird zwar, worauf die Beklagte insoweit zutreffend im
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Verhandlungstermin hingewiesen hat, ein Ausführungsbeispiel beschrieben, bei dem ein Abdichtmittel durch Mischen von Naturkautschuklatex (300 g Naturkautschuklatex mit einem Kautschukgehalt von 60 Gew.-%), das einen pHRegulator (Ammoniak) enthält, unter einen Klebstoffharz (120 g Terpenphenol- harzdispersion mit einem Harzgehalt von 55 Gew.-% [Dermulsene®]) und nach Zugabe eines Gefrierschutzmittels (67 g Ethylenglycol) hergestellt wurde (vgl. Rn. 49). Damit wurde dem Fachmann jedoch lediglich ein Abdichtmittel als erfindungsgemäß offenbart, das die genannten Bestandteile enthält, nicht aber ein solches, das (ausgenommen die wahlweise Zugabe von Dispergiermittel) exklusiv aus diesen Komponenten bestehen und damit insbesondere auch keine Füllstoffe, wie etwa faserige Materialen, umfassen darf. Vielmehr wird an anderer Stelle in der Anmeldung die Zugabe von einem oder mehreren Füllstoffen wie etwa faserigen Materialien als für eine rasche Abdichtung oder für die Abdichtung größerer Löcher vorteilhaft gelehrt (Rn. 20), ohne dass eine solche Zugabe im Hinblick auf das Ausführungsbeispiel ausgeschlossen wird, so dass aus fachmännischer Sicht insoweit kein Grund zu der Annahme besteht, dass die Aufzählung der in dem Ausführungsbeispiel genannten Komponenten zwingend als abschließend zu verstehen ist. 3. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsan40 trags II, der sich von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal unterscheidet, dass das Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoffharz 4:1 bis 1:1 betragen soll, ist zulässig, aber nicht patentfähig. War es für den Fachmann - entsprechend den obigen Ausführungen zu
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Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags - naheliegend, als Alternative zu Styrol-Butadien-Latex Naturkautschuklatex in Erwägung zu ziehen, so stellte sich ihm bei der Formulierung einer konkreten Rezeptur die Frage nach dem Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoffharz. Der KS 6 entnahm er insoweit gemäß der allgemeinen Definition der Mischung in der Beschreibung (KS 6, Sp. 3 Z. 9 ff.) und in Patenanspruch 1, dass der Massenanteil von Harz und Latexdichtmittel jeweils zwischen 20 - 40 % liegen kann. Da die Entgegenhaltung keine näheren Angaben zu dem Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoff enthält, lag für den Fachmann, wie auch das Patentgericht angenommen hat, im Hinblick auf die parallelen Bereichsangaben der Massenanteile von Harz und Latexdichtmittel die Annahme nahe, dass der Feststoffanteil in der wässrigen Phase bei dem Harz und dem Latexdichtmittel in etwa identisch ist, so dass die in der KS 6 offenbarten Gewichtsverhältnisse von Kautschuk zu Klebstoffharz in einem Bereich von etwa 1:2 bis etwa 2:1 liegen. Dabei liegt, wie auch der gerichtliche Sachverständige im Verhandlungstermin bestätigt hat, die genaue Bestimmung des Gewichtsverhältnisses von Kautschuk und Klebstoffharz für das bei Reifenpannen zu verwendende Dichtmittel im "Erprobungsermessen" des Fachmanns, wobei es diesem aufgrund seines Fachwissens auch bekannt ist, das ein verhältnismäßig hoher Anteil von Kautschuk die elastomeren Eigenschaften des Dichtmittels verbessert, so dass er auch unter diesem Gesichtspunkt motiviert ist, den Gewichtsanteil von Kautschuk nicht geringer, sondern höher als den von Klebstoffharz zu bestimmen. 4. Dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des
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Hilfsantrags III über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus geht und daher nicht zulässig ist, folgt ohne weiteres aus den Ausführungen zu Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I, weil sich Patentanspruch 1 in der Fassung der Hilfsanträge I und III lediglich darin unterscheiden, dass die optionale Zugabe von Dispergiermittel nicht mehr erlaubt ist. 5. Dass die jeweils auf Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptan43 trags und der drei Hilfsanträge rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen, ist bereits vom Patentgericht verneint worden. Es ist auch unter Berücksichtigung der Neufassung des Patentanspruchs 1 als Verwendungsanspruch weder von der Beklagten dargelegt worden noch sonst ersichtlich, dass die Beurteilung des Patentgerichts fehlerhaft wäre. Gleiches gilt hinsichtlich des Patentanspruchs 18 und der auf diesen rückbezogenen Patentansprüche 19 und 20; die Patentfähigkeit des Gegen- stands dieser Vorrichtungsansprüche hat auch die Beklagte nur mit denjenigen Erwägungen gerechtfertigt, die sie zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 angeführt hat. IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97
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Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens
Grabinski Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 16. Mai 2008 – 3 Ni 48/07 (EU) –

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

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(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 38


Bis zum Beschluß über die Erteilung des Patents sind Änderungen der in der Anmeldung enthaltenen Angaben, die den Gegenstand der Anmeldung nicht erweitern, zulässig, bis zum Eingang des Prüfungsantrags (§ 44) jedoch nur, soweit es sich um die Bericht

Patentgesetz - PatG | § 97


(1) Die Beteiligten können vor dem Patentgericht den Rechtsstreit selbst führen. § 25 bleibt unberührt. (2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder Patentanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevo

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bei uns veröffentlicht am 08.01.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 58/17 Verkündet am: 8. Januar 2019 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache ECLI:DE:BGH:2019:080119UXZR58.17.0

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Okt. 2011 - X ZR 94/09

bei uns veröffentlicht am 27.10.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 94/09 Verkündet am: 27. Oktober 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Der X. Zivilsenat des Bundesgerich

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Apr. 2014 - X ZR 12/11

bei uns veröffentlicht am 29.04.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 12/11 Verkündet am: 29. April 2014 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtsh

Bundesgerichtshof Urteil, 13. Dez. 2011 - X ZR 135/08

bei uns veröffentlicht am 13.12.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 135/08 Verkündet am: 13. Dezember 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Der X. Zivilsenat des Bundesgerich

Referenzen

Bis zum Beschluß über die Erteilung des Patents sind Änderungen der in der Anmeldung enthaltenen Angaben, die den Gegenstand der Anmeldung nicht erweitern, zulässig, bis zum Eingang des Prüfungsantrags (§ 44) jedoch nur, soweit es sich um die Berichtigung offensichtlicher Unrichtigkeiten, um die Beseitigung der von der Prüfungsstelle bezeichneten Mängel oder um Änderungen des Patentanspruchs handelt. Aus Änderungen, die den Gegenstand der Anmeldung erweitern, können Rechte nicht hergeleitet werden.

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Hierzu steht es nicht in Widerspruch, dass der Senat insbesondere im Hinblick auf den Zweck der (gesonderten) Neuheitsprüfung, Doppelpatentierungen zu vermeiden, eine Ausdehnung des neuheitsschädlich Offenbarten über den "reinen Wortlaut" hinaus für unabdingbar gehalten hat (BGHZ 128, 270, 277 - Elektrische Steckverbindung). Die Erfassung desjenigen, was in den Merkmalen des Patentanspruchs und im Wortlaut der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt, aus der Sicht des Fachmanns jedoch nach seinem allgemeinen Fachwissen für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich oder unerlässlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf (BGHZ 128, 270, 276), zielt nicht auf eine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern, nicht anders als bei der Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, auf die Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (Benkard/Melullis aaO Rdn. 75). Nichts anderes gilt für die in der Entscheidung "Elektrische Steckverbindung" weiterhin in den Offenbarungsgehalt einbezogenen Abwandlungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen , dass sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne weiteres erschließen, so dass er sie gewissermaßen in Gedanken gleich mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist (BGHZ 128, 270, 276 f.). Das Wort "naheliegen" mag in diesem Zusammenhang vordergründig auf den Äquivalenzbereich hinweisen. Der Begriff des Mitlesens macht jedoch deutlich, dass es nicht um die Einbeziehung von Austauschmitteln geht, sondern darum, die technische Information, die der Fachmann durch eine Schrift erhält, in ihrer Gesamtheit zu erfassen (vgl. Rogge , GRUR 1996, 931, 935). Abwandlungen und Weiterentwicklungen dieser Information gehören ebenso wenig zum Offenbarten wie diejenigen Schlussfolgerungen , die der Fachmann kraft seines Fachwissens aus der erhaltenen technischen Information ziehen mag (Benkard/Melullis, EPÜ, aaO Rdn. 68, 71, 77; PatG, aaO Rdn. 35 f.; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 3 Rdn. 100).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 30/02 Verkündet am:
5. Juli 2005
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Einkaufswagen II
EPÜ Art. 138 Abs. 1 Buchst. c; IntPatÜG Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3
Zur Beantwortung der Frage, ob der Gegenstand der Patentansprüche in der
erteilten Fassung des Patents über den Inhalt der Anmeldung hinausgeht und
deshalb der Nichtigkeitsgrund des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i.V.m.
Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ vorliegt, ist die durch die Patentansprüche definierte
Lehre mit dem gesamten Offenbarungsgehalt der Patentanmeldung zu
vergleichen. Entscheidend ist, ob die ursprüngliche Offenbarung in ihrer Gesamtheit
das in den erteilten Patentansprüchen niedergelegte Schutzbegehren
umfaßt. Den mit der Anmeldung ursprünglich formulierten Patentansprüchen
kommt im Rahmen des Erteilungsverfahrens keine eine weitergehende Offenbarung
in der Beschreibung einschränkende Bedeutung zu.
BGH, Urt. v. 5. Juli 2005 - X ZR 30/02 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. Juli 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. MeierBeck
und Asendorf

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28. November 2001 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Das europäische Patent 0 199 274 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des unter anderem mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 199 274 (Streitpatents), das unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Offenlegungsschrift 35 15 069 vom 26. April 1985 angemeldet worden ist.
Es betrifft einen "Transportwagen" und umfaßt sechs Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Deutsch:
"Transportwagen, der in einen gleichgearteten Transportwagen einschiebbar und mit einer zur Aufnahme von Ware vorgesehenen Einrichtung ausgestattet ist, wobei in seinem Griffbereich ein mit einer Kopplungseinrichtung versehenes Münzschloß angeordnet ist, das auf Pfandbasis ein gegenseitiges An- und Abkoppeln von Transportwagen mit oder ohne Inanspruchnahme einer Sammelstelle erlaubt, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß das Münzschloß im Bereich eines der beiden Grifftragarme angeordnet ist und sich sowohl am Grifftragarm als auch am Griff abstützt."
Wegen der Patentansprüche 2 bis 6 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerin macht mit ihrer Klage geltend, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der Anmeldung hinaus und sei deshalb für nichtig zu erklären.
Das Bundespatentgericht hat die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Klageziel weiterverfolgt. Die Beklagte tritt der Berufung entgegen.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr.-Ing. H.
schriftliches ein Gutachten erstellt, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist begründet. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund , der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der Anmeldung hinaus (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ, Art. 123 Abs. 2 EPÜ), liegt vor.
1. Das Streitpatent betrifft einen Transportwagen, wie er beispielsweise als Einkaufswagen in Supermärkten zum Einsatz kommt, wo er von Kunden auf Pfandbasis benutzt werden kann. Mehrere solcher Wagen können ineinandergeschoben und aneinandergekoppelt werden. Die Koppelungseinrichtung ist im
Griffbereich des Wagens angeordnet und weist ein Münzschloß auf, in das die Pfandmünze eingesteckt werden kann. Damit betätigt der Kunde - meistens unter Verwendung einer Kette - eine Steckverbindung zum nächsten Wagen und kann einen Wagen von den übrigen trennen.
Die Lehre des Streitpatents befaßt sich mit der Anordnung des Münzschlosses an einer geeigneten Stelle des Wagens.
Die Streitpatentschrift geht davon aus, daß es bei Wagensammel- und Ausleihsystemen durch die den Einkaufswagen eigentümliche Form nicht einfach sei, die Münzschlösser an geeigneten Stellen anzubringen, nämlich so, daß sowohl das Ineinanderschieben als auch die bequeme Handhabung des Einkaufswagens erhalten bleibe (Sp. 1 Z. 26-31).
Bei der Lösung nach der deutschen Offenlegungsschrift 25 54 916 bestehe die Schwierigkeit darin, daß das Münzschloß wegen seiner Größe teilweise in den Ladebereich des Korbs rage, so daß beim Beladen von der Griffseite des Einkaufswagens aus die Ware immer um das Münzschloß herum bewegt werden müsse (Sp. 1 Z. 31-39). Die in der deutschen Offenlegungsschrift 29 00 367 und dem deutschen Gebrauchsmuster 81 21 677 beschriebenen Münzschlösser seien kleiner und ließen sich am Griff des Einkaufswagens befestigen ; es bestehe jedoch die Gefahr, daß sie entweder mit Absicht um die Griffachse verdreht würden oder daß sie sich im Laufe der Zeit lockerten und ihre Lage veränderten (Sp. 1 Z. 39-49). Die Münzschlösser nach Art des deutschen Gebrauchsmusters 81 21 677 würden mittig am Griff des Einkaufswagens angebracht und ragten dadurch bei einem mit einem Kindersitz ausgestatteten Wagen störend in diesen Kindersitz hinein (Sp. 1 Z. 49-53). Der Nach-
teil der in der deutschen Offenlegungsschrift 33 24 962 vorgeschlagenen Münzschlösser bestehe schließlich darin, daß diese außen an den Korbseitenwänden befestigt würden, was beispielsweise beim Passieren des engen Durchgangs an der Kasse zu Schwierigkeiten führen könne (Sp. 1 Z. 54-63).
Die Streitpatentschrift bezeichnet es als Aufgabe der Erfindung, die geschilderten Nachteile zu vermeiden und das Münzschloß so anzuordnen, daß es den für ein im Wagen mitzuführendes Kleinkind vorgesehenen Raum nicht verkleinere, daß das Be- und Entladen der zur Aufnahme der Ware vorgesehenen Einrichtung nicht behindert werde, daß es ferner nicht mutwillig in seiner Lage veränderbar sei und daß sich schließlich seine Lage im Laufe der Zeit nicht durch Gebrauchseinflüsse von selbst ändere (Sp. 1 Z. 64 - Sp. 2 Z. 8). Das Streitpatent schlägt dazu einen Transportwagen vor,
1. der in einen gleichgearteten Transportwagen einschiebbar und mit einer zur Aufnahme von Waren vorgesehenen Einrichtung ausgestattet ist,
2. wobei im Griffbereich des Transportwagens ein mit einer Kopplungseinrichtung versehenes Münzschloß angeordnet ist,
3. das auf Pfandbasis ein gegenseitiges An- und Abkoppeln von Transportwagen mit oder ohne Inanspruchnahme einer Sammelstelle erlaubt;
4. das Münzschloß ist
4.1 im Bereich eines der beiden Grifftragarme angeordnet und
4.2 stützt sich sowohl am Grifftragarm als auch am Griff ab.
Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung trifft keine näheren Aussagen dazu, wo das Münzschloß "im Bereich" der beiden Grifftragarme anzuordnen ist. Beansprucht ist daher nicht nur eine Anordnung des Münzschlosses oberhalb der beiden Grifftragarme, sondern jede beliebige Anordnung in deren Bereich , also auch auf gleicher Höhe oder unterhalb der Grifftragarme, sofern die Anordnung nur in räumlicher Nähe zu den Grifftragarmen erfolgt.
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung geht damit über den Inhalt der Anmeldung hinaus, denn Anordnungen in gleicher Höhe und unterhalb des Grifftragarms sind nicht Teil der Offenbarung der Anmeldung; die in den ursprünglichen Unterlagen offenbarte Lehre ist auf eine Anordnung des Schlosses unmittelbar oberhalb eines Griffarms beschränkt.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist durch die Anmeldung offenbart , was sich dem Fachmann des Betreffenden Gebietes der Technik ohne weiteres aus dem Gesamtinhalt der Unterlagen am Anmeldetag erschließt (so für die Rechtslage in Deutschland vor 1978 BGHZ 111, 21, 26 - Crackkatalysator I m.w.N.).
Zur Feststellung, ob der Nichtigkeitsgrund des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ vorliegt, ist der Gegenstand des
erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen. Gegenstand des Patents ist die durch die Patentansprüche definierte Lehre. Der Inhalt der Patentanmeldung ist hingegen der Gesamtheit der Unterlagen zu entnehmen, ohne daß dabei den Patentansprüchen eine gleich hervorragende Bedeutung zukommt (Sen.Urt. v. 03.12.1991 - X ZR 101/89, GRUR 1992, 157, 158 f. - Frachtcontainer; Sen.Urt. v. 21.09.1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204, 206 - Spielfahrbahn). Entscheidend ist, ob die ursprüngliche Offenbarung für den Fachmann erkennen ließ, der geänderte Lösungsvorschlag solle von vornherein vom Schutzbegehren umfaßt werden.
Der Gegenstand der Anmeldung darf im Erteilungsverfahren bei der Aufstellung des Patentanspruchs daher anders formuliert beschränkt werden. Eine solche Änderung darf aber nicht zu einer Erweiterung de s Gegenstands der Anmeldung führen (Sen. BGHZ 110, 123, 125 f. - Spleißkammer). Der Patentanspruch darf nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, von dem der Fachmann aufgrund der ursprünglichen Unterlagen nicht erkennen kann, daß die darin enthaltene Offenbarung von vornherein ihn als zur Erfindung gehörend erkennen ließ (vgl. Sen.Beschl. v. 05.10.2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm; Sen.Beschl. v. 11.09.2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung; vgl. ferner EPA - T 255/88, EPOR 1992, 87 - Befestigungsvorrichtung für Fassadenelemente; EPA - T 192/89, EPOR 1990, 287 - Dispositif d' homogénisation; EPA - T 270/89, EPOR 1991, 540 - Splash bar method). Eine solche Zuordnung ist für die im erteilten Patentanspruch bezeichnete Anordnung des Münzschlosses nicht zu erkennen.
In den Anmeldungsunterlagen wird die Aufgabe der Erfindung wie in der Streitpatentschrift angegeben. Zur Lösung dieser Aufgabe gibt die Anmeldung eine Anordnung eines wesentlichen Teils des Münzschlosses unmittelbar über einem der beiden Grifftragarme an. Soweit die Beschreibung sich mit Angaben zur Lage des Schlosses befaßt, sind der Anmeldung wiederum nur Hinweise zu einer Anordnung in dieser Weise zu entnehmen (S. 4 Z. 23 ff.), wobei sich die Einschränkung, daß die beschriebene Anordnung bevorzugt sei, zwanglos mit der Anordnung auf der Seite des Wagens in Verbindung bringen läßt. Dem entspricht auch der in der Anmeldung formulierte Patentanspruch 1, wonach der Einkaufswagen allein dadurch gekennzeichnet sein soll, daß ein wesentlicher Teil des Münzschlosses unmittelbar über einem der beiden Grifftragarme angeordnet ist. Hierzu wird in der Beschreibung ausgeführt, das Münzschloß werde in einem Bereich angeordnet, der nicht anderweitig bereits für die Funktion oder für das Bewegen des Einkaufswagens vonnöten sei (S. 3 Z. 5 ff.).
Der Senat folgt dem gerichtlichen Sachverständigen, soweit dieser ausgeführt hat, der Fachmann, bei dem es sich um einen Techniker mit Konstruktionserfahrungen handele, entnehme der Anmeldung, daß das Münzschloß im Bereich Grifftragarm/Griff anzuordnen ist, damit es sich sowohl an einem der beiden Grifftragarme als auch am Griff abstützen kann. Dies kommt in Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung durch Verwendung der Worte "im Bereich eines der beiden Grifftragarme" zum Ausdruck. Darin erschöpfen sich die Angaben in der Anmeldung über die erfindungsgemäße Anordnung des Münzschlosses jedoch nicht.
Denn solche Anordnungen, bei denen zwar eine solche Abstützung möglich ist, das Münzschloß sich jedoch in gleicher Höhe oder unter dem Griff-
tragarm befindet, entnahm der Fachmann nicht den Anmeldungsunterlagen. Diese geben nicht nur an, daß die Anordnung des Münzschlosses dadurch gekennzeichnet sei, daß ein wesentlicher Teil des Münzschlosses unmittelbar über einem der Grifftragarme angeordnet ist; allein ein solche Lage findet sich auch in sämtlichen Abbildungen. Neben dem Hinweis auf die Lösung der gestellten Aufgage durch eine Anordnung eines wesentlichen Teils des Münzschlosses unmittelbar über einem der beiden Grifftragarme (S. 3 Z. 1-3), wird als besonderer Vorteil hervorgehoben, daß durch die Inanspruchnahme des seitlich über dem Griff befindlichen Raums zur Unterbringung des Münzschlosses der unter dem Griff befindliche Bereich zum Zwecke des Ineinanderschiebens mehrerer Einkaufswagen voll erhalten bleibt und das Be- und Entladen des Korbs nicht nachteilig beeinflußt wird (S. 3 Z. 22-29). Auch bei der Erläuterung der Zeichnungen wird an verschiedenen Stellen stets betont, daß der wesentliche Teil des Münzschlosses, so die Kopplungseinrichtung und die Geldeinwurf - und -ausgabeöffnung, sich über dem Grifftragarm befinden (S. 4 Z. 23-32; S. 7 Z. 1-5; S. 7 Z. 13-16). Soweit in der weiteren Beschreibung eine Anordnung "im Bereich" der Grifftragarme angesprochen wird, ist dem keine beliebige Lage im Verhältnis zu den Grifftragarmen zu entnehmen; es handelt sich hier jedoch um die Verwendung sprachlicher Alternativen zur Bezeichnung des gleichen Gegenstandes. Daß weiterhin eine unmittelbare Lage oberhalb des Grifftragarms gefordert wird, ergibt sich auf S. 5 Z. 20 etwa daraus, daß der angesprochene Schacht, der das eigentliche Münzschloß trägt, in seiner Kontur dem Grifftragarm angepaßt wird und diesen bei der Befestigung des Schlosses aufnimmt. Bezug genommen wird in diesem Zusammenhang zudem jeweils auf die Abbildungen, die das Schloß allein in einer Lage unmittelbar oberhalb des Grifftragarms zeigen. Das gilt auch für die auf S. 8 angesprochenen Bereiche.

Der Fachmann hatte im Zeitpunkt der Anmeldung auch keine Veranlassung , diese Aussagen in den Anmeldungsunterlagen zu relativieren und die Anordnung des Münzschlosses mit einem wesentlichen Teil unmittelbar über einem der beiden Grifftragarme nur als eine mögliche Anordnung anzusehen. Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend dargestellt hat, war angesichts der damaligen Größe der Münzschlösser, wie in den Zeichnungen der Anmeldung dargestellt, eine Behinderung beim Ineinanderschieben der Wagen die Folge, wenn eine andere Anordnung des Schlosses als im wesentlichen über einem der Grifftragarme, insbesondere eine solche unterhalb eines der Grifftragarme, gewählt worden wäre. Danach war eine solche andere Anordnung nicht Teil der Offenbarung, wie sie in den Anmeldungsunterlagen Ausdruck gefunden hat. Sie war für den Fachmann aus der Anmeldung nicht zu entnehmen. Da sie von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung dagegen umfaßt wird, ist dieser auf einen Gegenstand gerichtet, von dem der Fachmann aufgrund der ursprünglichen Offenbarung nicht erkennen konnte, daß er von vornherein vom Schutzbegehren umfaßt sein sollte.
Daher geht der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Streitpatents über den Gegenstand der Anmeldung hinaus mit der Folge, daß das Streitpatent für nichtig zu erklären ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG i.V.m. § 91 ZPO.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Asendorf
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Der Gegenstand der Anmeldung kann daher im Erteilungsverfahren bei der Formulierung des Anspruchs anders gefasst werden. Eine solche Änderung darf aber nicht zu einer Erweiterung des Gegenstandes der Anmeldung führen (BGHZ 110, 123, 125 f. - Spleißkammer). Der Patentanspruch darf nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht zur Erfindung gehörend erkennen ließ (Sen.Urt. v. 5.7.2005 - X ZR 30/02, GRUR 2005, 1023, 1024 - Einkaufswagen II; v.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Beteiligten können vor dem Patentgericht den Rechtsstreit selbst führen. § 25 bleibt unberührt.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder Patentanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Patentgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.

(4) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören.

(5) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Patentgericht eine Frist bestimmen.

(6) Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Patentgericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt oder ein Patentanwalt auftritt.