Bundesgerichtshof Urteil, 19. Okt. 2012 - V ZR 233/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung vom 15. November 2007 beschlossen die Wohnungseigentümer , in den Wohnungen eine Schwammsanierung durchzuführen sowie in den Erdgeschosswohnungen 002 und 003 eine neue Stahlbetonsohle einzuziehen und sie gegen Feuchtigkeit zu isolieren. Die geschätzten Kosten von 120.000 € bis 160.000 € sollten nach Aufforderung durch die Verwalterin nach dem Verteilungsschlüssel beglichen werden. In der Folgezeit forderte die Verwalterin für die Schwammsanierung die ratenweise Zahlung von insgesamt 50.000 € an, wobei der letzte Teilbetrag von 20.000 € zum 15. Mai 2008 zu zahlen war. Die beiden Raten von jeweils 80.000 € für die Erdgeschosssanierung waren zum 15. Mai und 15. Juni 2008 zur Zahlung fällig.
- 2
- Nachdem Bedenken aufgekommen waren, ob der Beschluss vom November 2007 hinreichend bestimmt war, fassten die Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 31. März 2009 folgenden Beschluss: Die von der Versammlung angeforderten Umlagen zum 15.05.2008 über 100.000 € und zum 15.06.2008 über weitere 80.000 € werden ausdrücklich genehmigt. Von dieser Umlage dienen restliche 20.000 € zur Schwammsanierung und 160.000 € für die Sanierungen der Erdge- schosswohnungen 002 und 003. Die Umlagen sind, soweit sie noch nicht entrichtet wurden - zu zahlen bis zum 15.04.2009. Die Ausrechnung der Umlagen ist beigelegt, sie richtet sich nach den Miteigentumsanteilen.
- 3
- Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, mit der die Klägerin - soweit hier von Interesse - beantragt hat, den Umlagebeschluss vom 31. März 2009 hinsichtlich der Kosten der Schwammsanierung in Höhe von 20.000 € und hinsichtlich der Kosten der Sanierung der Erdgeschosswohnungen 002 und 003 in Höhe von weiteren 37.000 € für unwirksam zu erklären. Die dagegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
- 4
- Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klage mangels berechtigten Interesses unzulässig, da das Klagebegehren auf eine nicht herstellbare Rechtsfolge gerichtet sei. Zwar könne ein Beschluss auch teilweise angefochten werden, wenn sich die Anfechtung auf einen abtrennbaren Teil des Beschlusses beziehe. Daran fehle es hier jedoch. Die Gemeinschaft habe den einheitlichen Beschluss gefasst, einen insgesamt bestehenden Kapitalbedarf von 180.000 € durch die Erhebung einer Sonderumlage zu decken. Die nach- folgende Verteilung des Betrages auf die Kosten der Schwammsanierung und die Kosten der Sanierung der Erdgeschosswohnungen diene lediglich dazu, die angedachten Verwendungszwecke für die Sonderumlage zu bezeichnen, nicht aber dazu, den Beschluss in zwei Teile aufzuspalten. Einzelne Teilbeträge oder Rechnungsposten einer beschlossenen Sonderumlage könnten aber nicht zum Gegenstand einer Anfechtungsklage gemacht werden, vielmehr müsse sich die Anfechtung auf den gesamten Beschluss erstrecken. Da die Klägerin die Anfechtung , wie sich aus dem nach Wortlaut und Zweck eindeutigen Inhalt ihres Klageantrags ergebe, auf einen Teil des Beschlusses beschränkt habe, könne ihr gemäß § 308 Abs. 1 ZPO nicht mehr zugesprochen werden, als sie beantragt habe. Im Übrigen habe das Amtsgericht aus zutreffenden Erwägungen die Klage als unbegründet abgewiesen.
II.
- 5
- Die Revision ist begründet. Zu Unrecht erachtet das Berufungsgericht die Anfechtungsklage wegen unzulässiger Teilanfechtung des Beschlusses für unzulässig.
- 6
- 1. Die Klägerin hat den Sonderumlagebeschluss insgesamt angefochten. Ihre Anfechtungsklage richtet sich sowohl gegen den auf die Schwammsanierung der Wohnungen als auch gegen den auf die Sanierung der beiden Erdgeschosswohnungen entfallenden Umlagebetrag. Daher kann die von dem Berufungsgericht erörterte Frage dahinstehen, ob die Anfechtungsklage allein auf den die Schwammsanierung betreffenden Teil des Beschlusses hätte beschränkt werden können.
- 7
- 2. Der Annahme einer unbeschränkten Anfechtung steht nicht entgegen, dass nach dem Wortlaut des Klageantrags der Umlagebeschluss hinsichtlich der Kosten der Sanierung der Erdgeschosswohnung lediglich „in Höhe von 37.000 €“ für unwirksam erklärt werden soll.
- 8
- a) Der Wortlaut des Klagebegehrens legt zwar eine auf die Höhe der beschlossenen Umlage beschränkte Anfechtung nahe. Eine derartige Beschränkung wäre aber unzulässig.
- 9
- Allerdings kann die Anfechtung auf einen abtrennbaren Teil des Beschlusses beschränkt werden. Bei der Anfechtung etwa einer Abrechnung ist eine Beschränkung rechtlich möglich, wenn es sich um einen rechnerisch selbständigen und abgrenzbaren Teil der Abrechnung handelt (Senat, Beschluss vom 4. Dezember 2009 - V ZR 44/09, NJW 2010, 2127 Rn. 6; Beschluss vom 15. März 2007 - V ZB 1/06, BGHZ 171, 335 Rn. 12; BayOblG, NJW-RR 2001, 10; Klein in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 43 Rn. 135; MünchKommBGB /Engelhardt, 5. Aufl., § 46 WEG Rn. 6). An der erforderlichen Abtrennbarkeit des angefochtenen Beschlussgegenstandes fehlt es jedoch grundsätzlich, wenn sich die Anfechtungsklage allein gegen die Höhe einer Umlage richtet. Könnte eine Sonderumlage für unwirksam erklärt werden, soweit sie einen bestimmten Betrag übersteigt, würde sich der übrig bleibende Teil des Beschlusses inhaltlich von dem in der Versammlung gefassten Beschluss unterscheiden, da durch eine Reduzierung des Umlagebetrages das Finanzierungskonzept verändert worden wäre. Das Gericht ist im Beschlussanfechtungsverfahren aber nicht befugt, die im Beschluss getroffene Regelung inhaltlich zu ändern, oder durch geeignet erscheinende andere Maßnahmen zu ergänzen oder zu ersetzen. Vielmehr hat es sich auf die Ungültigerklärung des angefochtenen Beschlusses zu beschränken (vgl. Senat, Beschluss vom 10. September 1998 - V ZB 11/98, BGHZ 139, 288, 299; BayOblG, NJW-RR 2001, 10; OLG Köln, NZM 2000, 191 f.; Staudinger/Wenzel, BGB [2005], § 43 WEG Rn. 45; Klein in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 46 Rn. 71). Daher darf es eine beschlossene Sonderumlage grundsätzlich nicht um einen bestimmten Betrag reduzieren (Abramenko , ZWE 2012, 54; aA Briesemeister ZWE 2012, 51).
- 10
- b) Ist die Anfechtung nach dem Wortlaut des Klageantrags auf einen nicht abtrennbaren Teil des Beschlusses beschränkt worden, führt dies aber nicht zwangsläufig zur Unzulässigkeit der Klage.
- 11
- aa) Eine in unzulässiger Weise beschränkte Anfechtungsklage ist im Zweifel grundsätzlich als Anfechtung des ganzen Beschlusses auszulegen (BayOblG, NJW-RR 2001, 10; MünchKomm-BGB/Engelhardt, 5. Aufl. 2009, § 46 WEG Rn. 6). Würde man die Partei am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festhalten und dementsprechend den Klageantrag dahingehend auslegen, dass nur eine Teilanfechtung gewollt ist, verstünde man das Begehren in einem Sinne, in dem es von vornherein keinen Erfolg haben kann. Das verstößt gegen den Auslegungsgrundsatz, wonach eine Partei mit ihrer Prozesshandlung im Zweifel das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - XI ZB 15/09, NJW-RR 2010, 275 Rn. 9 mwN). Dementsprechend liegt auch hier eine Auslegung dahin nahe, dass die Klägerin den Beschluss zwar insgesamt anfechten, ihre materiell-rechtlichen Einwendungen aber auf die Höhe der beschlossenen Sonderumlage beschränken wollte und dass sie mit der ausdrücklichen Hervorhebung des in Streit ste- henden Betrages von 37.000 € lediglich ihr Interesse im Sinne des § 49a Abs. 1 GKG verdeutlichen wollte.
- 12
- bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht die Vorschrift des § 308 Abs. 1 ZPO einer solchen Auslegung nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass das Gericht nicht befugt ist, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Hieraus folgt aber nicht, dass ein Klageantrag nicht ausgelegt werden dürfte; die Auslegung dient gerade der Feststellung des Beantragten. Kommt eine Auslegung des Klageantrags abweichend von dessen Wortlaut in Betracht, ist das Gericht allerdings nicht nur zu einem Hinweis verpflichtet (§ 139 Abs. 1 ZPO); zur Vermeidung einer Verletzung von § 308 Abs. 1 ZPO muss es sich vielmehr vergewissern, dass seine Auslegung des Klageantrags dem Willen des Klägers entspricht (vgl. Musielak, ZPO, 9. Aufl., § 308 Rn.3; Wieczorek/Schütze/Rensen, ZPO, 3. Aufl., § 308 Rn. 22). Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass das Gericht durch eine vom Parteiwillen nicht mehr gedeckte Auslegung des Klageantrags die Grenzen des § 308 ZPO überschreitet.
- 13
- An der notwendigen Aufklärung des von der Klägerin Gewollten fehlt es hier. Nach dem Protokoll der mündlichen Verhandlung hat das Berufungsgericht die Klägerin lediglich darauf hingewiesen, dass es dazu neige, mangels Teilbarkeit des Beschlussgegenstandes von einer unzulässigen Klage auszugehen. Es hat ihr hingegen nicht die Möglichkeit eingeräumt, ihren Klageantrag und das mit ihm verfolgte Begehren zu erläutern. Dieses Versäumnis ist jedoch dadurch behoben worden, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, ihr Antrag sei dahingehend zu verstehen, dass sie den Beschluss insgesamt anfechten wolle und lediglich ihre Einwendungen auf die Höhe der beschlossenen Umlage beschränkt habe. Demgemäß ist von einer unbeschränkten Anfechtung auszugehen.
III.
- 14
- Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit es über die Begründetheit der zulässigen Klage befinden kann. Der Senat kann mangels der erforderlichen Feststellungen nicht gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Die vom Berufungsgericht hilfsweise gemachten Ausführungen zur Begründetheit der Klage gelten als nicht geschrieben und sind vom Revisionsgericht nicht zu beachten (Senat, Urteil vom 3. Juli 2009 - V ZR 58/08, RNotZ 2010, 133; Urteil vom 25. November 1966 - V ZR 30/64, BGHZ 46, 281, 284 f.).
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 27.04.2010 - 102D C 49/09 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 14.09.2011 - 318 S 138/10 -
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Fehlt eine nach § 12 erforderliche Zustimmung, so sind die Veräußerung und das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft unbeschadet der sonstigen Voraussetzungen wirksam, wenn die Eintragung der Veräußerung oder einer Auflassungsvormerkung in das Grundbuch vor dem 15. Januar 1994 erfolgt ist und es sich um die erstmalige Veräußerung dieses Wohnungseigentums nach seiner Begründung handelt, es sei denn, dass eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung entgegensteht. Das Fehlen der Zustimmung steht in diesen Fällen dem Eintritt der Rechtsfolgen des § 878desBürgerlichen Gesetzbuchs nicht entgegen. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen der §§ 30 und 35 des Wohnungseigentumsgesetzes.
(1) Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer hat ihren allgemeinen Gerichtsstand bei dem Gericht, in dessen Bezirk das Grundstück liegt. Bei diesem Gericht kann auch die Klage gegen Wohnungseigentümer im Fall des § 9a Absatz 4 Satz 1 erhoben werden.
(2) Das Gericht, in dessen Bezirk das Grundstück liegt, ist ausschließlich zuständig für
- 1.
Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander, - 2.
Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten zwischen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und Wohnungseigentümern, - 3.
Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten des Verwalters einschließlich solcher über Ansprüche eines Wohnungseigentümers gegen den Verwalter sowie - 4.
Beschlussklagen gemäß § 44.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.