Bundesgerichtshof Urteil, 08. Juni 2016 - 2 StR 88/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:080616U2STR88.16.0
bei uns veröffentlicht am08.06.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 88/16
vom
8. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Vorbehalt
ECLI:DE:BGH:2016:080616U2STR88.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Juni 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Dr. Eschelbach, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen den „Beschluss“ des Landgerichts Gera vom 20. August 2015 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht Gera - 2. Strafkammer - hatte mit Urteil vom 1. Dezember 2003 den Verurteilten wegen Vergewaltigung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und sich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten.
2
Mit „Beschluss“ vom 20. August 2015 hat die nämliche Strafkammer des Landgerichts ohne mündliche Hauptverhandlung entschieden, dass die durch das vorbezeichnete Urteil vorbehaltene Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung nicht angeordnet wird. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass gemäß § 66a Abs. 2 StGB in der ab 28. August 2002 geltenden Fassung (eingeführt durch Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002, BGBl. I S. 3344) über die Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor einer möglichen Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zu entscheiden sei. Diese Frist sei hier verstrichen, da der Verurteilte die verhängte Freiheitsstrafe schon zum 12. Mai 2015 zu zwei Dritteln verbüßt habe.
3
Gegen diese am 28. August 2015 zugestellte Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft am 1. September 2015 „sofortige Beschwerde“ eingelegt. Mit einem am 24. September 2015 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat sie ihr Rechtsmittel begründet und ausgeführt, dass über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach Vorbehalt auch in Altfällen gemäß § 66a Abs. 3 StGB in der ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung (eingeführt durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010, BGBl. I S. 2300) bis zur vollständigen Vollstreckung der Strafe entschieden werden könne. Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung des § 66a StGB erkennen lassen, dass er die Frist des § 66a Abs. 2 StGB a.F. nicht als Ausschlussfrist habe verstanden wissen wollen. Im Übrigen könne unter den in Art. 316f Abs. 2 EGStGB genannten Voraussetzungen die Sicherungsverwahrung „auch über den Ablauf der sechsmonatigen Frist des § 66a Abs. 2 StGB a.F. angeordnet werden“.
4
Das Thüringer Oberlandesgericht hat die Sache mit Beschluss vom 20. August 2015 zur Entscheidung über das als Revision zu behandelnde Rechtsmittel an den Bundesgerichtshof abgegeben. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

5
Das Rechtsmittel ist statthaft und zulässig.
6
1. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist das Rechtsmittel der Revision statthaft.
7
Zwar hat das Gericht seine Entscheidung als "Beschluss" bezeichnet. Dies führt aber nicht dazu, dass eine Beschwerde nach §§ 304 ff. StPO das statthafte Rechtsmittel wäre. Auf die Bezeichnung der Entscheidung kommt es nicht an. Maßgebend für die Frage, welches Rechtsmittel statthaft ist, ist das Verfahrensrecht. Danach sind Urteile solche Entscheidungen, die eine mündliche Verhandlung und eine öffentliche Verkündung voraussetzen. Ohne Bedeutung ist, ob eine mündliche Verhandlung und eine öffentliche Verkündung wirklich stattgefunden haben. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die betreffende Entscheidung nach dem Gesetz nur aufgrund mündlicher Verhandlung und im Wege öffentlicher Verkündung hätte ergehen dürfen. Sind Verhandlung und Verkündung entgegen dem Gesetz unterblieben, handelt es sich für die Frage der Anfechtbarkeit dennoch um ein Urteil (vgl. Senat, Urteil vom 1. Juli 2005 – 2 StR9/05, BGHSt 50, 180, 186; Beschluss vom 17. Februar 2010 – 2 StR 524/09, BGHSt 55, 62, 63 f.; BGH, Urteil vom 14. Juli 2011 – 4 StR 16/11, NStZ 2011, 693 f. mwN).
8
Nach § 275a Abs. 2 und 3 StPO ist über die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Vorbehalt aufgrund einer Hauptverhandlung zu entscheiden. Diese Entscheidung ergeht bei Anordnung wie auch bei Absehen von der Anordnung gleichermaßen durch Urteil (§ 275a Abs. 2 i.V.m. § 260 Abs. 1 StPO). Ein schriftliches Verfahren ist dagegen nicht vorgesehen. Die Entscheidung stellt daher auch dann ein Urteil dar, wenn sie die Bezeichnung „Beschluss“ trägt und ohne Verhandlung und Verkündung erlassen wurde (Senat, Urteil vom 1. Juli 2005 - 2 StR 9/05, BGHSt 50, 180 ff; BGH, Urteil vom 14. Juli 2011 – 4 StR 16/11, NStZ 2011, 693 f.; KK-StPO/Greger 7. Aufl. § 275a Rn. 19).
9
Dass die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel irrtümlich als "sofortige Beschwerde" bezeichnet hat, ist nach § 300 StPO ebenfalls unschädlich. Diese Vorschrift gilt auch für Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft (Senat, Urteil vom 1. Juli 2005 – 2 StR 9/05, BGHSt 50, 180 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 300 Rn. 2).
10
2. Das als Revision zu behandelnde Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist fristgerecht erhoben und begründet worden. Die Ausführungen lassen den Willen der Beschwerdeführerin hinreichend erkennen, die angefochtene Entscheidung wegen eines sachlich-rechtlichen Fehlers zur Nachprüfung zu stellen.

II.

11
Die Revision ist unbegründet. Die Überprüfung der Entscheidung auf die Sachrüge zeigt keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
12
1. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die materiellen Voraussetzungen einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Vorbehalt auf der Grundlage der Feststellungen nicht vorliegen, weil die Ausschlussfrist des § 66a Abs. 2 StGB a.F. verstrichen ist.
13
Nach Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB in der ab 1. Juni 2013 geltenden Fassung ist § 66a StGB in der ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung nur anzuwenden , wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet werden soll, nach dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. In allen anderen Fällen ist nach Art. 316e Abs. 2 Satz 2 EGStGB das bisherige Recht anzuwenden. Auf den vorliegenden Fall findet daher § 66a StGB in der ab 28. August 2002 bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung Anwendung, weil die Anlasstaten in der Zeit von April bis Juni 2003 begangen worden sind.
14
Dies gilt nach Art. 316e Abs. 1 Satz 2 EGStGB zwar nur insoweit, alsin Art. 316f Abs. 2 und 3 EGStGB nichts anderes bestimmt ist. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ergibt sich aber aus Art. 316f Abs. 2 EGStGB weder eine über § 66a StGB a.F. hinaus gehende längere Anordnungsfrist noch eine Geltung des § 66a Abs.3 StGB n.F.
15
Durch den in Art. 316e Abs. 2 Satz 2 EGStGB erfolgten Verweis auf Art. 316f Abs. 2 EGStGB soll lediglich sichergestellt werden, dass die bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in Fällen rückwirkender Gesetzesanwendung oder nachträglicher Sicherungsverwahrung (sog. Vertrauensschutzfälle) nur unter den vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 404 ff.) formulierten hohen Voraussetzungen weiter anwendbar sind (vgl. BT-Drucks. 17/9874 vom 6. Juni 2012, S. 30; BGH, Urteil vom 12. Juni 2013 – 1 StR 48/13, BGHSt 58, 292, 294 f.). Ungeachtet dessen handelt es sich vor- liegend auch nicht um einen solchen von Art. 316f Abs. 2 EGStGB erfassten „Vertrauensschutzfall“. Das Landgericht hat die Anordnung der Sicherungsverwahrung am Maßstab des § 66a Abs. 2 StGB in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung geprüft. Diese Vorschrift war zum Zeitpunkt der letzten Anlasstat (4. Juni 2003) bereits in Kraft; sie wurde durch das Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3344) mit Wirkung ab 28. August 2002 eingeführt.
16
Es gilt daher § 66a Abs. 2 a.F. weiter (vgl. auch BGH, Beschluss vom 7. August 2013 − 1 StR 246/13, NStZ 2014, 209; Ullenbruch/Morgenstern in MüKo StGB, 2. Aufl., § 66a Rn. 138). Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift. Die Einhaltung der Frist des § 66a Abs. 2 StGB a.F. stellt vielmehr eine grundsätzlich verbindliche materiell-rechtliche Voraussetzung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung dar (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 – 3 StR 269/06 –, BGHSt 51, 159, 160 ff.; Urteil vom 7. August 2012 – 1 StR 98/12, NStZ 2013, 100, 101; KK-StPO/Greger, 7. Aufl. § 275a Rn. 7).
17
Ob eine Sicherungsverwahrung ausnahmsweise angeordnet werden kann, wenn die Frist nur wenige Tage überschritten ist (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2005 – 1 StR 324/05, StV 2006, 63 f.) und die Gründe dafür nicht im Verantwortungsbereich der Justiz liegen, braucht hier nicht entschieden zu werden. Das Landgericht hatte zum 12. Mai 2015, dem spätesten Entscheidungszeitpunkt (§ 66a Abs. 2 Satz 1, § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB), das Nachverfahren noch nicht einmal eingeleitet.
18
2. Die Entscheidung unterliegt nicht schon deshalb der Aufhebung, weil über die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach Vorbehalt nur aufgrund einer mündlichen Hauptverhandlung unter Beteiligung der Schöffen durch Urteil entschieden werden kann.
19
Ungeachtet dessen, dass schon fraglich ist, ob die im Beschlussverfahren ergangene Entscheidung auf diesem Rechtsfehler überhaupt beruhen kann, weil die Sicherungsverwahrung schon wegen Fristversäumnis und damit aus zwingenden Rechtsgründen nicht angeordnet werden konnte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 – 1 StR 441/05, NStZ 2006, 178, 179; BGH, Urteil vom 14. Juli 2011 – 4 StR 16/11, NStZ 2011, 693, 694; KK-StPO/Greger, 7. Aufl., § 275a Rn. 24), fehlt es jedenfalls an einer insoweit erforderlichen Verfahrensrüge.
20
Das von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel beschränkt sich auf die Rüge des sachlich-rechtlichen Mangels, § 66a Abs. 2 StGB a.F. könne vorliegend nicht als Ausschlussfrist verstanden werden. Zwar ist damit in der Regel auch die allgemeine Sachrüge erhoben, weil die Revision zumindest Einzelausführungen zu einzelnen Urteilsteilen- oder grundlagen enthält (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44, 46). Eine Rüge dahingehend, dass die Entscheidung vorliegend aufgrund einer Hauptverhandlung und unter Beteiligung der Schöffen hätte ergehen müssen, wurde seitens der Beschwerdeführerin aber zu keiner Zeit erhoben. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

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(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

(1) Die bisherigen Vorschriften über die Sicherungsverwahrung sind in der ab dem 1. Juni 2013 geltenden Fassung anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll (Anlasstat), nach dem 31. Mai 2013 begangen worden ist.

(2) In allen anderen Fällen sind, soweit Absatz 3 nichts anderes bestimmt, die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzuwenden. Die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, oder eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, die nicht die Erledigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus voraussetzt, oder die Fortdauer einer solchen nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung ist nur zulässig, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird. Auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, kann die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur vorbehalten werden, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und die in Satz 2 genannte Gefahr wahrscheinlich ist oder, wenn es sich bei dem Betroffenen um einen Heranwachsenden handelt, feststeht. Liegen die Voraussetzungen für eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung in den in Satz 2 genannten Fällen nicht mehr vor, erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt; mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Die durch die Artikel 1, 2 Nummer 1 Buchstabe c Doppelbuchstabe cc und Nummer 4 sowie die Artikel 3 bis 6 des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2425) geänderten Vorschriften sind auch auf die in Absatz 2 Satz 1 genannten Fälle anzuwenden, § 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Strafgesetzbuches jedoch nur dann, wenn nach dem 31. Mai 2013 keine ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c des Strafgesetzbuches angeboten worden ist. Die Frist des § 119a Absatz 3 des Strafvollzugsgesetzes für die erste Entscheidung von Amts wegen beginnt am 1. Juni 2013 zu laufen, wenn die Freiheitsstrafe zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogen wird.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 16/11
vom
14. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Juli 2011,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 27. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zur Verhandlung und erneuten Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Der Verurteilte, um dessen nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung es im vorliegenden Verfahren geht, war vom Landgericht mit Urteil vom 28. Juli 1993 wegen Gefangenenmeuterei unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Bezirksgerichts Neubrandenburg vom 24. Februar 1992 und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden. Gegenstand der einbezogenen Entscheidung ist eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (ein Jahr Freiheitsstrafe) und Mordes (14 Jahre Freiheitsstrafe). Sämtliche Straftaten beging der Verurteilte im Beitrittsgebiet. Das Strafende war auf den 18. Februar 2011 notiert.
2
Bereits vor Erreichen des Strafendes hatte die Staatsanwaltschaft mit Antragsschrift vom 1. Juli 2010, bei Gericht eingegangen am 6. Juli 2010, beantragt , gemäß § 66b Abs. 1 StGB a.F. nachträglich die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Hiervon informierte das Landgericht den Verurteilten. Durch eine als "Beschluss" bezeichnete Entschei- dung vom 27. Oktober 2010 hat das Landgericht diesen Antrag ohne Hauptverhandlung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zwar die „Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 in Verbindung mit § 66 StGB … zu beja- hen" seien, nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (NJW 2010, 2495) und dem Beschluss des erkennenden Senats vom 12. Mai 2010 (4 StR 577/09, NStZ 2010, 567, 568) aber eine Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten nach § 66b StGB nicht verhängt werden könne, da im Zeitpunkt der Tatbegehung die Straftat nicht mit Sicherungsverwahrung bedroht gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die ihr am 2. November 2010 zugestellte Entscheidung am 4. November 2010 "sofortige Beschwerde" eingelegt. Mit einem am 2. Dezember 2010 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz gleichen Datums hat sie dieses Rechtsmittel sodann als Revision bezeichnet und die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.

I.


3
Mit Beschluss vom 3. Februar 2011 hatte der Senat die Entscheidung über das Rechtsmittel im Blick auf das vom 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 9. November 2010 (5 StR 394/10 u.a., NJW 2011, 240; zum Abdruck in BGHSt bestimmt) eingeleitete Anfrageverfahren zurückgestellt. Die Sache ist nunmehr entscheidungsreif, nachdem der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in den den Anfrageverfahren zugrunde liegenden Strafsachen mit Beschluss vom 23. Mai 2011 zur Sache entschieden hat, ohne zuvor den Großen Senat für Strafsachen anzurufen.

II.


4
Die zulässige Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass das Landgericht über ihren Antrag ohne die nach § 275a Abs. 2 und 3 StPO erforderliche Hauptverhandlung entschieden hat.
5
1. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist das Rechtsmittel der Revision statthaft (§ 333 StPO).
6
Zwar hat das Landgericht seine Entscheidung als "Beschluss" bezeichnet. Dies führt aber nicht dazu, dass eine Beschwerde nach §§ 304 ff. StPO das statthafte Rechtsmittel wäre. Auf die Bezeichnung der Entscheidung kommt es nicht an. Maßgebend für die Frage, welches Rechtsmittel statthaft ist, ist das Verfahrensrecht. Danach sind Urteile solche Entscheidungen, die eine mündliche Verhandlung und eine öffentliche Verkündung voraussetzen. Ohne Bedeutung ist, ob eine mündliche Verhandlung und eine öffentliche Verkündung wirklich stattgefunden haben. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die betreffende Entscheidung nach dem Gesetz nur auf Grund mündlicher Verhandlung und im Wege öffentlicher Verkündung hätte ergehen dürfen. Sind Verhandlung und Verkündung in einem solchen Fall entgegen dem Gesetz unterblieben, handelt es sich für die Frage der Anfechtbarkeit dennoch um ein Urteil (BGH, Urteil vom 1. Juli 2005 – 2 StR 9/05, BGHSt 50, 180, 186; Beschluss vom 17. Februar 2010 - 2 StR 524/09, BGHSt 55, 62, 63 f.; vgl. weiter BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 1955 - 5 StR 363/55, BGHSt 8, 383, 384, und vom 30. Oktober 1973 - 5 StR 496/73, BGHSt 25, 242, 243, zu "Urteilen", die verfahrensrechtlich Beschlüsse waren). Nach § 275a Abs. 2 StPO ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auf Grund einer Hauptverhandlung zu ent- scheiden. Diese Entscheidung ergeht durch Urteil (§ 275a Abs. 2 i.V.m. § 260 Abs. 1 StPO). Dieses ist grundsätzlich in öffentlicher Verhandlung zu verkünden (§ 169 GVG). Ein schriftliches Verfahren ist für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei der vom Gesetzgeber gewählten Hauptverhandlungslösung nicht vorgesehen; insbesondere kommt eine analoge Anwendung der Regelungen über das Zwischenverfahren nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 - 1 StR 441/05, NStZ-RR 2006, 74).
7
Dass die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel zunächst irrtümlich als "sofortige Beschwerde" bezeichnet hat, ist nach § 300 StPO ebenfalls unschädlich. Diese Vorschrift gilt auch für Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft (MeyerGoßner , StPO, 54. Aufl., § 300 Rn. 2). Im Übrigen hat sie selbst das Rechtsmittel noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als "Revision" bezeichnet.
8
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet. Entgegen der Vorschrift des § 275a Abs. 2 StPO hat das Landgericht ohne Hauptverhandlung entschieden.
9
Die Entscheidung beruht auf dieser Gesetzesverletzung. Das kann der Senat bereits deswegen nicht ausschließen, weil die Strafkammer bei der Entscheidung neben dem Vorsitzenden mit zwei Berufsrichtern, aber nicht mit Schöffen besetzt war. In ordnungsgemäßer Besetzung für eine Hauptverhandlung wäre das Ergebnis möglicherweise ein anderes gewesen.
10
Die vom 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 6. Dezember 2005 (aaO S. 75) aufgeworfene Frage, ob das Beruhen zu verneinen ist, wenn zwingend vorgeschriebene formale – also ohne jede wertende Würdigung feststellbare – Voraussetzungen für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung fehlen, bedarf auch hier keiner Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a.; dort Rn. 164) die vom Landgericht zu Grunde gelegte und auch vom Senat in seinem Beschluss vom 12. Mai 2010 (4 StR 577/09, NStZ 2010, 567) vertretene Auffassung, § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK stehe einer rückwirkenden Anwendung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung entgegen, verworfen. Die vollständige Verbüßung der Strafe und die Haftentlassung des Verurteilten stehen der Fortsetzung des Verfahrens nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2005 – 2 StR 9/05, BGHSt 50, 180, 181 f.). Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist rechtzeitig gestellt (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2005 – 2 StR 272/05, BGHSt 50, 284, 290; Beschluss vom 26. Mai 2010 – 2 StR 263/10, BGHR StPO § 275a Antrag 2). Die Erfüllung der formellen Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 oder 2 StGB a.F. kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht verneint werden; insoweit verweist der Senat auf die Darlegungen des Generalbundesanwalts in seiner Terminzuschrift und die darin wiedergegebenen Ausführungen des Generalstaatsanwalts in Rostock.

III.


11
Das Landgericht wird nunmehr in der gebotenen Form und nach Einholung der Gutachten von zwei Sachverständigen nach Maßgabe des § 275a Abs. 4 Satz 2 und 3 StPO über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu befinden haben. Dabei ist der Antrag unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 – 1 StR 441/05, NStZ-RR 2006, 74, 75). § 66b StGB ist in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung an- zuwenden (§ 2 Abs. 6 StGB; Art. 316e Abs. 1 Satz 2 EGStGB; Art. 316e Abs. 2 EGStGB gilt nur für die Anordnung der primären Sicherungsverwahrung, BTDrucks. 17/3403 S. 50 und Kinzig NJW 2011, 177, 180). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht diese Vorschrift in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a.) für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Jedoch hat es in Ziff. III. des Urteilstenors eine Weitergeltungsanordnung getroffen; diese hat Gesetzeskraft (BGBl. I S. 1003, 1004 f.). Danach ist § 66b Abs. 2 StGB a.F., der in den sog. Altfällen Rückwirkung entfaltet (BVerfG aaO Rn. 148, 149), bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013, nur noch nach den engen Maßgaben in Ziff. III. 2. Buchst. a des Tenors anzuwenden. Im Gegensatz dazu hatte das Bundesverfassungsgericht nach der Fassung der Weitergeltungsanordnung (Ziff. III. 1. in Verbindung mit Ziff. II. 1. Buchst. b des Tenors des Urteils vom 4. Mai 2011) die weitere Anwendung des § 66b Abs. 1 StGB a.F. nach Maßgabe der Gründe seines Urteils angeordnet und diese damit an sich nur von einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung (Rn. 172) abhängig gemacht (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Mai 2011 – 4 StR 650/10). Jedoch hat es mit Senatsbeschluss vom 8. Juni 2011 (2 BvR 2846/09) klargestellt, dass die im Urteil vom 4. Mai 2011 festgesetzten höheren Verhältnismäßigkeitsanforderungen an die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung in allen Fällen mit Rückwirkung – und damit auch in dem hier zu entscheidenden – gelten. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird daher in materieller Hinsicht zu prüfen haben, ob eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2010 zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz – ThUG; BGBl. I. 2300) leidet.
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Bender Quentin

(1) Ist im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66a des Strafgesetzbuches), übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten rechtzeitig an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichts. Diese übergibt die Akten so rechtzeitig dem Vorsitzenden des Gerichts, dass eine Entscheidung bis zu dem in Absatz 5 genannten Zeitpunkt ergehen kann. Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Absatz 6 Satz 1 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des Gerichts, das für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66b des Strafgesetzbuches) zuständig ist. Beabsichtigt diese, eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu beantragen, teilt sie dies der betroffenen Person mit. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung unverzüglich stellen und ihn zusammen mit den Akten dem Vorsitzenden des Gerichts übergeben.

(2) Für die Vorbereitung und die Durchführung der Hauptverhandlung gelten die §§ 213 bis 275 entsprechend, soweit nachfolgend nichts anderes geregelt ist.

(3) Nachdem die Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 243 Abs. 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter in Abwesenheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. Der Vorsitzende verliest das frühere Urteil, soweit es für die Entscheidung über die vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung von Bedeutung ist. Sodann erfolgt die Vernehmung des Verurteilten und die Beweisaufnahme.

(4) Das Gericht holt vor der Entscheidung das Gutachten eines Sachverständigen ein. Ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, müssen die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt werden. Die Gutachter dürfen im Rahmen des Strafvollzugs oder des Vollzugs der Unterbringung nicht mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sein.

(5) Das Gericht soll über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden.

(6) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird, so kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen. Für den Erlass des Unterbringungsbefehls ist das für die Entscheidung nach § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches zuständige Gericht so lange zuständig, bis der Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei dem für diese Entscheidung zuständigen Gericht eingeht. In den Fällen des § 66a des Strafgesetzbuches kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen, wenn es im ersten Rechtszug bis zu dem in § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bestimmten Zeitpunkt die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Die §§ 114 bis 115a, 117 bis 119a und 126a Abs. 3 gelten entsprechend.

(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils.

(2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau zu bezeichnen.

(3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Die Urteilsformel gibt die rechtliche Bezeichnung der Tat an, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird. Hat ein Straftatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Wird eine Geldstrafe verhängt, so sind Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. Wird die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt oder von Strafe abgesehen, so ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts.

(5) Nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt. Ist bei einer Verurteilung, durch die auf Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird, die Tat oder der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden, so ist außerdem § 17 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes anzuführen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 16/11
vom
14. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Juli 2011,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 27. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zur Verhandlung und erneuten Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Der Verurteilte, um dessen nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung es im vorliegenden Verfahren geht, war vom Landgericht mit Urteil vom 28. Juli 1993 wegen Gefangenenmeuterei unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Bezirksgerichts Neubrandenburg vom 24. Februar 1992 und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden. Gegenstand der einbezogenen Entscheidung ist eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (ein Jahr Freiheitsstrafe) und Mordes (14 Jahre Freiheitsstrafe). Sämtliche Straftaten beging der Verurteilte im Beitrittsgebiet. Das Strafende war auf den 18. Februar 2011 notiert.
2
Bereits vor Erreichen des Strafendes hatte die Staatsanwaltschaft mit Antragsschrift vom 1. Juli 2010, bei Gericht eingegangen am 6. Juli 2010, beantragt , gemäß § 66b Abs. 1 StGB a.F. nachträglich die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Hiervon informierte das Landgericht den Verurteilten. Durch eine als "Beschluss" bezeichnete Entschei- dung vom 27. Oktober 2010 hat das Landgericht diesen Antrag ohne Hauptverhandlung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zwar die „Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 in Verbindung mit § 66 StGB … zu beja- hen" seien, nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (NJW 2010, 2495) und dem Beschluss des erkennenden Senats vom 12. Mai 2010 (4 StR 577/09, NStZ 2010, 567, 568) aber eine Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten nach § 66b StGB nicht verhängt werden könne, da im Zeitpunkt der Tatbegehung die Straftat nicht mit Sicherungsverwahrung bedroht gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die ihr am 2. November 2010 zugestellte Entscheidung am 4. November 2010 "sofortige Beschwerde" eingelegt. Mit einem am 2. Dezember 2010 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz gleichen Datums hat sie dieses Rechtsmittel sodann als Revision bezeichnet und die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.

I.


3
Mit Beschluss vom 3. Februar 2011 hatte der Senat die Entscheidung über das Rechtsmittel im Blick auf das vom 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 9. November 2010 (5 StR 394/10 u.a., NJW 2011, 240; zum Abdruck in BGHSt bestimmt) eingeleitete Anfrageverfahren zurückgestellt. Die Sache ist nunmehr entscheidungsreif, nachdem der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in den den Anfrageverfahren zugrunde liegenden Strafsachen mit Beschluss vom 23. Mai 2011 zur Sache entschieden hat, ohne zuvor den Großen Senat für Strafsachen anzurufen.

II.


4
Die zulässige Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass das Landgericht über ihren Antrag ohne die nach § 275a Abs. 2 und 3 StPO erforderliche Hauptverhandlung entschieden hat.
5
1. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist das Rechtsmittel der Revision statthaft (§ 333 StPO).
6
Zwar hat das Landgericht seine Entscheidung als "Beschluss" bezeichnet. Dies führt aber nicht dazu, dass eine Beschwerde nach §§ 304 ff. StPO das statthafte Rechtsmittel wäre. Auf die Bezeichnung der Entscheidung kommt es nicht an. Maßgebend für die Frage, welches Rechtsmittel statthaft ist, ist das Verfahrensrecht. Danach sind Urteile solche Entscheidungen, die eine mündliche Verhandlung und eine öffentliche Verkündung voraussetzen. Ohne Bedeutung ist, ob eine mündliche Verhandlung und eine öffentliche Verkündung wirklich stattgefunden haben. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die betreffende Entscheidung nach dem Gesetz nur auf Grund mündlicher Verhandlung und im Wege öffentlicher Verkündung hätte ergehen dürfen. Sind Verhandlung und Verkündung in einem solchen Fall entgegen dem Gesetz unterblieben, handelt es sich für die Frage der Anfechtbarkeit dennoch um ein Urteil (BGH, Urteil vom 1. Juli 2005 – 2 StR 9/05, BGHSt 50, 180, 186; Beschluss vom 17. Februar 2010 - 2 StR 524/09, BGHSt 55, 62, 63 f.; vgl. weiter BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 1955 - 5 StR 363/55, BGHSt 8, 383, 384, und vom 30. Oktober 1973 - 5 StR 496/73, BGHSt 25, 242, 243, zu "Urteilen", die verfahrensrechtlich Beschlüsse waren). Nach § 275a Abs. 2 StPO ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auf Grund einer Hauptverhandlung zu ent- scheiden. Diese Entscheidung ergeht durch Urteil (§ 275a Abs. 2 i.V.m. § 260 Abs. 1 StPO). Dieses ist grundsätzlich in öffentlicher Verhandlung zu verkünden (§ 169 GVG). Ein schriftliches Verfahren ist für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei der vom Gesetzgeber gewählten Hauptverhandlungslösung nicht vorgesehen; insbesondere kommt eine analoge Anwendung der Regelungen über das Zwischenverfahren nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 - 1 StR 441/05, NStZ-RR 2006, 74).
7
Dass die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel zunächst irrtümlich als "sofortige Beschwerde" bezeichnet hat, ist nach § 300 StPO ebenfalls unschädlich. Diese Vorschrift gilt auch für Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft (MeyerGoßner , StPO, 54. Aufl., § 300 Rn. 2). Im Übrigen hat sie selbst das Rechtsmittel noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als "Revision" bezeichnet.
8
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet. Entgegen der Vorschrift des § 275a Abs. 2 StPO hat das Landgericht ohne Hauptverhandlung entschieden.
9
Die Entscheidung beruht auf dieser Gesetzesverletzung. Das kann der Senat bereits deswegen nicht ausschließen, weil die Strafkammer bei der Entscheidung neben dem Vorsitzenden mit zwei Berufsrichtern, aber nicht mit Schöffen besetzt war. In ordnungsgemäßer Besetzung für eine Hauptverhandlung wäre das Ergebnis möglicherweise ein anderes gewesen.
10
Die vom 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 6. Dezember 2005 (aaO S. 75) aufgeworfene Frage, ob das Beruhen zu verneinen ist, wenn zwingend vorgeschriebene formale – also ohne jede wertende Würdigung feststellbare – Voraussetzungen für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung fehlen, bedarf auch hier keiner Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a.; dort Rn. 164) die vom Landgericht zu Grunde gelegte und auch vom Senat in seinem Beschluss vom 12. Mai 2010 (4 StR 577/09, NStZ 2010, 567) vertretene Auffassung, § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK stehe einer rückwirkenden Anwendung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung entgegen, verworfen. Die vollständige Verbüßung der Strafe und die Haftentlassung des Verurteilten stehen der Fortsetzung des Verfahrens nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2005 – 2 StR 9/05, BGHSt 50, 180, 181 f.). Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist rechtzeitig gestellt (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2005 – 2 StR 272/05, BGHSt 50, 284, 290; Beschluss vom 26. Mai 2010 – 2 StR 263/10, BGHR StPO § 275a Antrag 2). Die Erfüllung der formellen Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 oder 2 StGB a.F. kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht verneint werden; insoweit verweist der Senat auf die Darlegungen des Generalbundesanwalts in seiner Terminzuschrift und die darin wiedergegebenen Ausführungen des Generalstaatsanwalts in Rostock.

III.


11
Das Landgericht wird nunmehr in der gebotenen Form und nach Einholung der Gutachten von zwei Sachverständigen nach Maßgabe des § 275a Abs. 4 Satz 2 und 3 StPO über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu befinden haben. Dabei ist der Antrag unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 – 1 StR 441/05, NStZ-RR 2006, 74, 75). § 66b StGB ist in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung an- zuwenden (§ 2 Abs. 6 StGB; Art. 316e Abs. 1 Satz 2 EGStGB; Art. 316e Abs. 2 EGStGB gilt nur für die Anordnung der primären Sicherungsverwahrung, BTDrucks. 17/3403 S. 50 und Kinzig NJW 2011, 177, 180). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht diese Vorschrift in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a.) für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Jedoch hat es in Ziff. III. des Urteilstenors eine Weitergeltungsanordnung getroffen; diese hat Gesetzeskraft (BGBl. I S. 1003, 1004 f.). Danach ist § 66b Abs. 2 StGB a.F., der in den sog. Altfällen Rückwirkung entfaltet (BVerfG aaO Rn. 148, 149), bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013, nur noch nach den engen Maßgaben in Ziff. III. 2. Buchst. a des Tenors anzuwenden. Im Gegensatz dazu hatte das Bundesverfassungsgericht nach der Fassung der Weitergeltungsanordnung (Ziff. III. 1. in Verbindung mit Ziff. II. 1. Buchst. b des Tenors des Urteils vom 4. Mai 2011) die weitere Anwendung des § 66b Abs. 1 StGB a.F. nach Maßgabe der Gründe seines Urteils angeordnet und diese damit an sich nur von einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung (Rn. 172) abhängig gemacht (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Mai 2011 – 4 StR 650/10). Jedoch hat es mit Senatsbeschluss vom 8. Juni 2011 (2 BvR 2846/09) klargestellt, dass die im Urteil vom 4. Mai 2011 festgesetzten höheren Verhältnismäßigkeitsanforderungen an die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung in allen Fällen mit Rückwirkung – und damit auch in dem hier zu entscheidenden – gelten. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird daher in materieller Hinsicht zu prüfen haben, ob eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2010 zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz – ThUG; BGBl. I. 2300) leidet.
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Bender Quentin

Ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

(1) Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) sind nur anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll, nach dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. In allen anderen Fällen ist das bisherige Recht anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 und 3 sowie in Artikel 316f Absatz 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist.

(2) Sind die Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung nach § 66 des Strafgesetzbuches angeordnet werden soll, vor dem 1. Januar 2011 begangen worden und ist der Täter deswegen noch nicht rechtskräftig verurteilt worden, so ist § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung anzuwenden, wenn diese gegenüber dem bisherigen Recht das mildere Gesetz ist.

(3) Eine nach § 66 des Strafgesetzbuches vor dem 1. Januar 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung erklärt das Gericht für erledigt, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Das Gericht kann, soweit dies zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen geboten ist, als Zeitpunkt der Erledigung spätestens den 1. Juli 2011 festlegen. Zuständig für die Entscheidungen nach den Sätzen 1 und 2 ist das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht. Für das Verfahren ist § 454 Absatz 1, 3 und 4 der Strafprozessordnung entsprechend anzuwenden; die Vollstreckungsbehörde übersendet die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichtes, die diese umgehend dem Gericht zur Entscheidung übergibt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein.

(4) § 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

(1) Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) sind nur anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll, nach dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. In allen anderen Fällen ist das bisherige Recht anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 und 3 sowie in Artikel 316f Absatz 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist.

(2) Sind die Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung nach § 66 des Strafgesetzbuches angeordnet werden soll, vor dem 1. Januar 2011 begangen worden und ist der Täter deswegen noch nicht rechtskräftig verurteilt worden, so ist § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung anzuwenden, wenn diese gegenüber dem bisherigen Recht das mildere Gesetz ist.

(3) Eine nach § 66 des Strafgesetzbuches vor dem 1. Januar 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung erklärt das Gericht für erledigt, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Das Gericht kann, soweit dies zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen geboten ist, als Zeitpunkt der Erledigung spätestens den 1. Juli 2011 festlegen. Zuständig für die Entscheidungen nach den Sätzen 1 und 2 ist das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht. Für das Verfahren ist § 454 Absatz 1, 3 und 4 der Strafprozessordnung entsprechend anzuwenden; die Vollstreckungsbehörde übersendet die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichtes, die diese umgehend dem Gericht zur Entscheidung übergibt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein.

(4) § 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

(1) Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) sind nur anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll, nach dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. In allen anderen Fällen ist das bisherige Recht anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 und 3 sowie in Artikel 316f Absatz 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist.

(2) Sind die Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung nach § 66 des Strafgesetzbuches angeordnet werden soll, vor dem 1. Januar 2011 begangen worden und ist der Täter deswegen noch nicht rechtskräftig verurteilt worden, so ist § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung anzuwenden, wenn diese gegenüber dem bisherigen Recht das mildere Gesetz ist.

(3) Eine nach § 66 des Strafgesetzbuches vor dem 1. Januar 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung erklärt das Gericht für erledigt, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Das Gericht kann, soweit dies zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen geboten ist, als Zeitpunkt der Erledigung spätestens den 1. Juli 2011 festlegen. Zuständig für die Entscheidungen nach den Sätzen 1 und 2 ist das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht. Für das Verfahren ist § 454 Absatz 1, 3 und 4 der Strafprozessordnung entsprechend anzuwenden; die Vollstreckungsbehörde übersendet die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichtes, die diese umgehend dem Gericht zur Entscheidung übergibt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein.

(4) § 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.

(1) Die bisherigen Vorschriften über die Sicherungsverwahrung sind in der ab dem 1. Juni 2013 geltenden Fassung anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll (Anlasstat), nach dem 31. Mai 2013 begangen worden ist.

(2) In allen anderen Fällen sind, soweit Absatz 3 nichts anderes bestimmt, die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzuwenden. Die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, oder eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, die nicht die Erledigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus voraussetzt, oder die Fortdauer einer solchen nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung ist nur zulässig, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird. Auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, kann die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur vorbehalten werden, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und die in Satz 2 genannte Gefahr wahrscheinlich ist oder, wenn es sich bei dem Betroffenen um einen Heranwachsenden handelt, feststeht. Liegen die Voraussetzungen für eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung in den in Satz 2 genannten Fällen nicht mehr vor, erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt; mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Die durch die Artikel 1, 2 Nummer 1 Buchstabe c Doppelbuchstabe cc und Nummer 4 sowie die Artikel 3 bis 6 des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2425) geänderten Vorschriften sind auch auf die in Absatz 2 Satz 1 genannten Fälle anzuwenden, § 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Strafgesetzbuches jedoch nur dann, wenn nach dem 31. Mai 2013 keine ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c des Strafgesetzbuches angeboten worden ist. Die Frist des § 119a Absatz 3 des Strafvollzugsgesetzes für die erste Entscheidung von Amts wegen beginnt am 1. Juni 2013 zu laufen, wenn die Freiheitsstrafe zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogen wird.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

(1) Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) sind nur anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll, nach dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. In allen anderen Fällen ist das bisherige Recht anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 und 3 sowie in Artikel 316f Absatz 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist.

(2) Sind die Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung nach § 66 des Strafgesetzbuches angeordnet werden soll, vor dem 1. Januar 2011 begangen worden und ist der Täter deswegen noch nicht rechtskräftig verurteilt worden, so ist § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung anzuwenden, wenn diese gegenüber dem bisherigen Recht das mildere Gesetz ist.

(3) Eine nach § 66 des Strafgesetzbuches vor dem 1. Januar 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung erklärt das Gericht für erledigt, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Das Gericht kann, soweit dies zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen geboten ist, als Zeitpunkt der Erledigung spätestens den 1. Juli 2011 festlegen. Zuständig für die Entscheidungen nach den Sätzen 1 und 2 ist das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht. Für das Verfahren ist § 454 Absatz 1, 3 und 4 der Strafprozessordnung entsprechend anzuwenden; die Vollstreckungsbehörde übersendet die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichtes, die diese umgehend dem Gericht zur Entscheidung übergibt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein.

(4) § 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.

(1) Die bisherigen Vorschriften über die Sicherungsverwahrung sind in der ab dem 1. Juni 2013 geltenden Fassung anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll (Anlasstat), nach dem 31. Mai 2013 begangen worden ist.

(2) In allen anderen Fällen sind, soweit Absatz 3 nichts anderes bestimmt, die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzuwenden. Die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, oder eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, die nicht die Erledigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus voraussetzt, oder die Fortdauer einer solchen nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung ist nur zulässig, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird. Auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, kann die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur vorbehalten werden, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und die in Satz 2 genannte Gefahr wahrscheinlich ist oder, wenn es sich bei dem Betroffenen um einen Heranwachsenden handelt, feststeht. Liegen die Voraussetzungen für eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung in den in Satz 2 genannten Fällen nicht mehr vor, erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt; mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Die durch die Artikel 1, 2 Nummer 1 Buchstabe c Doppelbuchstabe cc und Nummer 4 sowie die Artikel 3 bis 6 des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2425) geänderten Vorschriften sind auch auf die in Absatz 2 Satz 1 genannten Fälle anzuwenden, § 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Strafgesetzbuches jedoch nur dann, wenn nach dem 31. Mai 2013 keine ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c des Strafgesetzbuches angeboten worden ist. Die Frist des § 119a Absatz 3 des Strafvollzugsgesetzes für die erste Entscheidung von Amts wegen beginnt am 1. Juni 2013 zu laufen, wenn die Freiheitsstrafe zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 48/13
vom
12. Juni 2013
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________
Auslegung der Übergangsvorschrift zum Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung
des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung.
BGH, Urteil vom 12. Juni 2013 - 1 StR 48/13 - LG Traunstein
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Juni 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender,
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Radtke,
Zeng,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte - in der Verhandlung -,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 25. September 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten H. (im Folgenden H.) zurückgewiesen.
2
Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.
3
Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg. Eines Eingehens darauf, ob die Staatsanwaltschaft inhaltlich auch eine Verfahrensrüge (§ 275a Abs. 4 Satz 2 StPO) erhoben hat, bedarf es daher nicht.

I.

4
Prozessgeschichte:
5
Das Landgericht Traunstein hatte H. durch Urteil vom 1. Oktober 2004 wegen Mordes in Tateinheit mit Diebstahl mit Waffen unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Rosenheim vom 15. Dezember 2003 zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt.
6
Die hiergegen eingelegte Revision des H. hat der Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 1. März 2005 (1 StR 44/05) gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
7
H. war in diesem Verfahren am 9. Januar 2004 vorläufig festgenommen worden und befand sich zunächst in Untersuchungshaft und dann in Strafhaft.
8
Als Entlassungstermin nach vollständiger Verbüßung der Jugendstrafe von neun Jahren und sechs Monaten ist der 7. Juli 2013 vorgemerkt.
9
Die Staatsanwaltschaft hat mit Antrag vom 5. Juni 2012 die nachträgliche Unterbringung des H. in der Sicherungsverwahrung gemäß § 7 Abs. 2 JGG (aF) beantragt. Das Landgericht hat ohne Einholung von Sachverständigengutachten Hauptverhandlung anberaumt, da es "rechtliche Bedenken hinsichtlich einer wirksamen gesetzlichen Grundlage für die beantragte nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung habe".

II.

10
Dem rechtskräftigen Urteil vom 1. Oktober 2004 liegt folgendeAnlasstat zugrunde:
11
Der zur Tatzeit (7. Januar 2004) 19 Jahre und neun Monate alte H. beschloss mit seiner damaligen Verlobten (im Folgenden V.) nachts in eine Pizzeria einzubrechen, um dort das Geld aus den beiden vorhandenen Spielautomaten zu entwenden. Zur Durchführung der Tat nahmen sie zwei große Messer, zwei Hämmer und eine Stablampe mit. H. kletterte durch ein eingeschlagenes Fenster in das Lokal und bemerkte, dass entgegen ihren Erwartungen die Wirtin anwesend war und auf einer Eckbank schlief. Er ließ V. ein, wobei die Wirtin erwachte und durch das Lokal lief. H. sprang sie von hinten an, umklammerte sie und hielt ihr Mund und Nase zu, um sie am Schreien zu hindern.
12
Als die Wirtin sich heftig wehrte, stach H. ihr zweimal mit dem Messer seitlich in den Bauch. Ihr gelang es, H. das Messer aus der Hand zu schlagen. H., der davon ausging von der Wirtin als Stammgast erkannt worden zu sein, verlangte von V. die Hergabe des zweiten Messers. Dieses rammte er der Wirtin von unten in Richtung Herzgegend in den Bauch und traf dabei bereits das Herz. Er zog das Messer leicht zurück und rammte es nochmal heftig in ihr Herz. Die Wirtin erlitt tödliche Verletzungen. Als sie am Boden lag, brachte ihr H. noch mindestens drei Schnitte in der Halsgegend bei. Einer dieser Schnitte war so tief, dass er den gesamten Hals bis zur Wirbelsäule durchtrennte. Er schnitt ihr darüber hinaus noch beide Pulsadern auf. H. und V. nahmen dann Geld aus einem Geldbeutel und aus einem der beiden von H. mit einem Hammer aufgeschlagenen Spielautomaten mit.
13
H. war zur Tatzeit weder aufgrund vorhergegangenen Alkoholkonsums noch aufgrund einer psychischen Erkrankung in seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit beeinträchtigt.

III.

14
Im jetzigen Verfahren (wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung) hat das Landgericht im angefochtenen Urteil unter anderem folgende Feststellungen getroffen:
15
Im Vollzug ist H. disziplinarisch zweimal in Erscheinung getreten. Zum externen Drogenberater nahm er mehrfach Kontakt auf. In einem Prognosegutachten von Anfang 2010 für die Strafvollstreckungskammer wird unter Einbeziehung eines Zusatzgutachtens von 2009 festgestellt, bei H. bestehe die Gefahr , dass dessen durch die Anlasstat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe ; die Kombination diverser Stressoren stelle ein erhebliches Rückfallrisiko dar. Die baldige Aufnahme einer Behandlung im Rahmen einer sozialtherapeutischen Abteilung für Gewaltstraftäter sei notwendig.
16
Als Diagnose sei zu stellen: Schädlicher Gebrauch von Alkohol nach ICD-10, F. 10.1 sowie Nikotinabhängigkeit nach ICD-10, F. 17.25. Außerdem seien selbstunsichere, schizoide und dissoziale Persönlichkeitszüge vorhanden , die aber (noch) nicht das Ausmaß einer (kombinierten) Persönlichkeitsstörung erreichten. Bei H. bestehe keine ausreichende Therapiemotivation für die erforderlichen gruppentherapeutischen Maßnahmen. H. sei auch durch "übersexualisiertes Verhalten" aufgefallen. Die Justizvollzugsanstalt könne jedoch eine abschließende Bewertung der Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 JGG (aF) nicht abgeben.

IV.

17
Das Landgericht hat den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 7 Abs. 2 JGG (aF) "aus Rechtsgründen zurückgewiesen, da diese Norm im konkreten Fall nicht als ge- setzliche Grundlage herangezogen werden kann" (UA S. 19). Zur Begründung wird u.a. ausgeführt: Weder zum Zeitpunkt der Tat noch der Verurteilung sei für einen einem Jugendlichen gleichgestellten Heranwachsenden eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung möglich gewesen.
18
Gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 2 EGStGB sei § 7 Abs. 2 JGG in der Fassung vom 8. Juli 2008 nicht anwendbar. Aber selbst wenn, sei durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 4. Mai 2011, BVerfGE 128, 326) ein "rechtliches Vakuum" eingetreten, das durch das beabsichtigte Gesetz zur Reform der Sicherungsverwahrung nicht ausgefüllt würde, da der Entwurf der "Übergangsregelung nicht der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR genügen dürfte und daher voraussichtlich nicht endgültige Gesetzeskraft erreichen wird".

V.

19
Die Urteilsausführungen zur Nichtanwendbarkeit des § 7 Abs. 2 JGG (aF) halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
20
1. Das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I 2425 f.) ist am 1. Juni 2013 in Kraft getreten. Durch Artikel 7 dieses Gesetzes wurde nach Artikel 316e EGStGB der Artikel 316f als Übergangsvorschrift eingeführt. Aus dessen Absatz 2 Satz 1 ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzuwenden sind. Danach ist die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war oder eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, die nicht die Erledigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus voraussetzt, oder die Fortdauer einer solchen nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung nur zulässig, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird.
21
Durch die Änderung (auch) des Artikel 316e EGStGB, in dessen Absatz 1 Satz 2 nach den Wörtern "Absätzen 2 und 3" die Wörter "sowie in Artikel 316f Absatz 2 und 3" eingefügt wurden, ist sichergestellt, dass die bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in Fällen rückwirkender Gesetzesanwendung oder in Fällen der nachträglichen Sicherungsverwahrung ("Vertrauensschutzfälle") nur unter den vom BVerfG in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326) formulierten hohen Voraussetzungen weiter anwendbar sind (vgl. auch BT-Drucks. 17/9874 vom 6. Juni 2012 S. 30).
22
Die Übergangsvorschrift Artikel 316f EGStGB regelt sowohl die dem StGB als auch die dem JGG unterfallenden Sachverhalte. Absatz 2 Satz 1 bestimmt , dass auf Altfälle hinsichtlich der Sicherungsverwahrung nach Vorschriften des JGG das bis zum 31. Mai 2013 geltende Recht anzuwenden ist mit den in den Sätzen 2 bis 4 enthaltenen Grundsätzen (vgl. auch BT-Drucks. 17/9874 vom 6. Juni 2012 S. 31).
23
Die vom BVerfG selbst nur für die Übergangszeit bis zu einer Neuregelung vorgesehene Fortgeltung ist also fortgeschrieben, wobei sich Artikel 316f Absatz 2 Satz 2 EGStGB mit Blick auf die Anforderungen des Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK nicht auf die bloße Übernahme der Formulierung des BVerfG beschränkt, sondern darüber hinaus ein Kausalitätserfordernis zwischen psychischer Störung und hochgradiger Gefahr statuiert.
24
Der Senat hält diese (modifizierte) Fortgeltung für verfassungs- und konventionsgemäß (vgl. in diesem Sinne auch BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats] Beschluss vom 11. März 2013 - 2 BvR 2000/12, StraFo 2013, 213, 214; vgl. auch zu § 66 StGB: BGH, Urteile vom 23. April 2013 - 5 StR 610 und 617/12 sowie vom 24. April 2013 - 5 StR 593/12).
25
2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war § 7 Abs. 2 JGG (aF) zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils (25. September 2012) daher nach den vom BVerfG durch Urteil vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326) aufgestellten Grundsätzen anzuwenden.
26
Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 25. September 2012 (1 StR 160/12) ausdrücklich und in einem Verwerfungsbeschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO vom 5. März 2013 (1 StR 37/13) inzidenter entschieden, wobei die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 JGG (aF) auch in diesen Fällen nicht das Vorliegen neuer Tatsachen voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 30. August 2011 - 5 StR 235/11 Rn. 11).
27
Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben, da auch die seit 1. Juni 2013 geltenden Regelungen eine grundsätzliche Anwendbarkeit des § 7 Abs. 2 JGG aF für Altfälle der vorliegenden Art vorsehen und das Urteil auf dem dargelegten Rechtsfehler beruht.
28
Die Sache war an das Landgericht zurückzuverweisen. Denn der Senat kann nicht sicher ausschließen, dass Feststellungen getroffen werden können, die auch die - zu Recht - sehr hohen Anforderungen an die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 105 Abs. 1, § 7 Abs. 2 JGG aF in der modifizierten Fortgeltung erfüllen.
29
Eine vom Senat abschließende Entscheidung ist hier schon deshalb nicht möglich, weil das Landgericht keine - nach der gebotenen Anhörung zweier Sachverständiger - entsprechenden Feststellungen getroffen hat. Wahl Rothfuß Jäger Radtke Zeng

(1) Die bisherigen Vorschriften über die Sicherungsverwahrung sind in der ab dem 1. Juni 2013 geltenden Fassung anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll (Anlasstat), nach dem 31. Mai 2013 begangen worden ist.

(2) In allen anderen Fällen sind, soweit Absatz 3 nichts anderes bestimmt, die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzuwenden. Die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, oder eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, die nicht die Erledigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus voraussetzt, oder die Fortdauer einer solchen nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung ist nur zulässig, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird. Auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, kann die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur vorbehalten werden, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und die in Satz 2 genannte Gefahr wahrscheinlich ist oder, wenn es sich bei dem Betroffenen um einen Heranwachsenden handelt, feststeht. Liegen die Voraussetzungen für eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung in den in Satz 2 genannten Fällen nicht mehr vor, erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt; mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Die durch die Artikel 1, 2 Nummer 1 Buchstabe c Doppelbuchstabe cc und Nummer 4 sowie die Artikel 3 bis 6 des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2425) geänderten Vorschriften sind auch auf die in Absatz 2 Satz 1 genannten Fälle anzuwenden, § 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Strafgesetzbuches jedoch nur dann, wenn nach dem 31. Mai 2013 keine ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c des Strafgesetzbuches angeboten worden ist. Die Frist des § 119a Absatz 3 des Strafvollzugsgesetzes für die erste Entscheidung von Amts wegen beginnt am 1. Juni 2013 zu laufen, wenn die Freiheitsstrafe zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogen wird.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 246/13
vom
7. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Entscheidung über die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. August 2013 beschlossen:
Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 29. Januar 2013 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.


1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Er war am 15. Mai 2007 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (unter Einbeziehung weiterer Strafen aus einem wegen ähnlicher Delikte ergangenen Erkenntnis) verurteilt worden, die Anordnung der Sicherungsverwahrung blieb vorbehalten. Die Revision des Verurteilten hat mit der Sachrüge Erfolg.

II.


2
1. a) Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht, dass der Beschwerdeführer an einer psychischen Störung leidet und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- und Sexualstraftaten begehen wird (vgl. Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB).
3
Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung einen hiervon abweichenden rechtlichen Maßstab angelegt (UA S. 16 ff.), der nicht der seit Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung (vom 5. Dezember 2012, BGBl. I S. 2425) am 1. Juni 2013 geltenden und für das Revisionsgericht maßgeblichen (vgl. § 354a StPO) Rechtslage entspricht.
4
b) Gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 2 EGStGB in der ab 1. Juni 2013 geltenden Fassung findet auf den vorliegenden Fall das bis zum 31. Dezember 2010 geltende Recht Anwendung, weil die Anlasstaten bis Juni 2002 begangen wurden. Dies gilt nach Art. 316e Abs. 1 Satz 2 EGStGB allerdings nur, soweit in Art. 316f Abs. 2 und 3 EGStGB nichts anders bestimmt ist. Für die vorliegende Konstellation hat Art. 316f Abs. 2 EGStGB eine andere Bestimmung getroffen. Nach Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB ist die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, nur zulässig, wenn bei dem Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird.
5
c) Vorliegend handelt es sich um einen von Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB erfassten „Altfall“, bei dem erhöhte Anforderungenan die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu stellen sind. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung stützt sich auf § 66a Abs. 2 StGB in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung. Diese Vorschrift war jedoch zum Zeitpunkt der letzten Anlasstat (15. Juni 2002) noch nicht in Kraft, sondern wurde erst durch das Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3344) mit Wirkung ab 28. August 2002 eingeführt.
6
d) Dass Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB auch die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung erfasst, ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm. Wird in einem Urteil die Sicherungsverwahrung vorbehalten, entscheidet das Gericht in dem Verfahren nach § 275a StPO über die „Anordnung“ der vor- behaltenen Sicherungsverwahrung nach den Maßstäben von § 66a StGB. Den Begriff der „Anordnung“ verwendet auch Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB.Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber den Begriff an dieser Stelle anders als in § 66a StGB oder § 275a Abs. 1 StPO verwenden wollte (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 30 ff.).
7
Dieses Ergebnis wird durch systematische Erwägungen gestützt. Der Gesetzgeber hat in Art. 316f Abs. 2 Satz 3 EGStGB eine Sonderregelung für den Vorbehalt der Anordnung der Sicherungsverwahrung in Altfällen - wie dem vorliegenden - getroffen (vgl. auch BT-Drucks. 17/9874 S. 32). Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann danach in Altfällen nur vorbehalten werden, wenn bei dem Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und (beim Erwachsenen ) die in Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB genannte Gefahr wahrscheinlich ist. Das spricht dafür, dass eine Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsver- wahrung in Vertrauensschutzfällen - wie dem vorliegenden - nur ergehen kann, wenn diese erhöhten Anforderungen im Zeitpunkt der Anordnung vorliegen.
8
2. Die Änderung des rechtlichen Maßstabs erfordert die Aufhebung der dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen. Sollte das Landgericht zur Überzeugung kommen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach den oben genannten Maßstäben vorliegen , wird es bei der dann erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung die bisherigen Therapieangebote auch unter dem Gesichtspunkt der in § 66c Abs. 2, § 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu Tage tretenden Wertung des Gesetzgebers zu würdigen haben (vgl. hierzu auch Art. 316f Abs. 3 Satz 1 EGStGB).
Raum Graf Jäger Radtke Mosbacher

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 98/12
vom
7. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
hier: nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. August
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16. September 2011 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Verurteilten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Die Strafkammer hat die nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.

I.

2
Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
3
1. Der Verurteilte ist pädophil (ICD 10 F 65.4). Er war bereits 1999 wegen früherer sexueller Missbrauchstaten gegen Kinder zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit - später widerrufener - Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Bereits ab 1998 - und im weiteren Fortgang von der gegen ihn 1999 ergangenen Verurteilung unbeeindruckt - bis 2001 missbrauchte er in zahlreichen Fällen seine beiden 1987 und 1992 geborenen Stieftöchter sowie seinen 1987 geborenen Stiefsohn.
4
Wegen dieser Taten wurde der für uneingeschränkt schuldfähig befundene Verurteilte durch das Landgericht Nürnberg-Fürth im Anlassverfahren am 12. Juni 2003 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 23 Fällen unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von drei Monaten aus einem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 24. Oktober 2002 wegen Entziehung elektrischer Energie zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wurde vorbehalten. Das Urteil erlangte noch am selben Tage Rechtskraft.
5
2. Von Juli 2001 bis November 2011 verbüßte der Verurteilte ohne Unterbrechungen die Strafen aus den genannten Verurteilungen. Nach Rechtskraft der Anlassverurteilung wurde er von der Justizvollzugsanstalt St. GeorgenBayreuth in die Justizvollzugsanstalt Straubing verlegt. Ende November 2011 war die mit der Anlassverurteilung ausgesprochene Freiheitsstrafe verbüßt.
6
3. Im Strafvollzug verhielt sich der Verurteilte unauffällig. Während seines Aufenthaltes in der Justizvollzugsanstalt St. Georgen-Bayreuth war der Verurteilte in mehrere Therapiegruppen, u.a. eine niederschwellige Gruppentherapie zur Vorbereitung einer späteren Sozialtherapie, eingebunden. Diese Gruppentherapie hatte zwar Sexualdelikte zum Inhalt, betraf allerdings nur solche, die Gegenstand der Vorverurteilung aus dem Jahr 1999 gewesen waren. Zudem war unter Berücksichtigung der Anlassverurteilung eine solche niederschwellige Gruppentherapie keinesfalls ausreichend.
7
Mit der Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Straubing unterblieben weitere Therapien. Nur im Rahmen halbjährlicher "Konferenzgespräche" wurde der Verurteilte regelmäßig zu seiner Therapiebereitschaft befragt. Dabei gab er von April 2005 bis April 2008 stets wahrheitswidrig vor, seine Rückverlegung und Aufnahme in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt St. Georgen-Bayreuth vorzubereiten bzw. auf die ihm von dort zugesagte Aufnahmebestätigung zu warten, um dort eine Verhaltenstherapie ("echte Sozialtherapie" ) durchzuführen. Tatsächlich hatte er sich weder in Bayreuth beworben , noch wäre für ihn dort ein Therapieplatz verfügbar gewesen. Seine Angaben wurden durch die Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Straubing nicht überprüft. Auch war er zu keiner Zeit ernsthaft zu einer umfassenden Therapie motiviert, sondern versuchte durch die Vorspiegelung seines Therapiewillens, der Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung zu entgehen.
8
4. Am 14. Februar 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf den im Urteil ausgesprochenen Vorbehalt die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 2 StGB a.F.. Mit dem Antrag und nochmals im weiteren Verfahrensverlauf wurde von der Staatsanwaltschaft ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Sicherungsverwahrung auf den in der Anlassverhandlung ausgesprochenen Vorbehalt nach dem Ablauf der in § 66a Abs. 2 StGB a.F. bestimmten Frist nicht mehr möglich ist. Seitens der Strafkammer wurden daraufhin verschiedene Nachermittlungen veranlasst und die Antragsschrift zugestellt ; eine Hauptverhandlung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung fand aber innerhalb der Frist des § 66a Abs. 2 StGB a.F., die am 25. Juli 2008 ablief, nicht mehr statt. Auf Anregung der Strafkammer nahm die Staatsanwaltschaft den Antrag am 3. September 2008 zurück.

II.

9
Den nunmehr von der Staatsanwaltschaft gestellten Antrag, die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 und 2 StGB (i. d. bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung - § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 316e Abs. 1 EGStGB) anzuordnen, hat das Landgericht abgelehnt.
10
Die Ablehnung wurde von der Strafkammer wie folgt begründet: Zwar bestehe bei dem Verurteilten ein Hang zu erheblichen Straftaten, welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer schädigen. So verspüre er noch immer sexuelles Interesse an Kindern; bei ihm liege ein eingeschliffenes Verhaltensmuster vor, immer wieder Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern zu begehen. Auch habe er keine erfolgversprechende Therapie durchlaufen, und die Gefahr künftiger einschlägiger Straftaten sei deutlich überdurchschnittlich bzw. hoch, der Verurteilte sei für die Allgemeinheit gefährlich. Indes mangele es am Vorliegen neuer Tatsachen. Insbesondere sei die mangelnde Therapiebereitschaft des Verurteilten bereits im Zeitpunkt der letztmöglichen Entscheidung über eine primäre Anordnung der Sicherungsverwahrung - dies sei der Zeitpunkt des Verstreichens der Frist nach § 66a Abs. 2 StGB a.F. - erkennbar gewesen.

III.

11
Die Ablehnung der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung hält revisionsgerichtlicher Prüfung stand.
12
1. Als Grundlage einer - nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NStZ 2011, 450 ff.) noch längstens bis zum Ablauf des 31. Mai 2013 möglichen - nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB a.F. darf eine solche Maßnahme nur noch dann ausgesprochen werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG leidet (zusammenfassend BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2011 - 2 BvR 2846/09). Im Übrigen ist Voraussetzung einer solchen Anordnung , dass sich diese nur auf solche "neuen" Tatsachen stützen kann, die "nach einer Verurteilung" und "vor dem Ende des Vollzuges" erkennbar geworden sind. Dabei kommt es nicht auf den Entstehungszeitpunkt der Tatsachen, sondern allein auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme und Berücksichtigung im vorangegangenen Strafverfahren an (BGH, Urteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05, BGHSt 50, 121 ff.).
13
Maßgeblich für die Frage, ob eine Tatsache "neu" ist, ist demnach der letztmögliche Zeitpunkt, zu dem eine (primäre) Sicherungsverwahrung hätte angeordnet werden können (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2006 - 5 StR 113/06, NStZ-RR 2006, 302 f.; Beschluss vom 15. April 2008 - 5 StR 635/07, BGHSt 52, 213 ff.). Hierzu zählt auch die Entscheidung im Vorbehaltsverfahren; denn diese ist Bestandteil des Erkenntnisverfahrens (so bereits OLG Schleswig, Beschluss vom 17. Oktober 2008 - 2 Ws 405/08 [263/08], NStZ-RR 2009, 75 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 5. Januar 2010 - 4 Ws 348/09, StV 2010, 189 ff.).
14
2. Nicht anders zu beurteilen ist der Fall, in dem - wie hier - eine Entscheidung über den Vorbehalt ganz unterblieben ist. Der Verurteilte ist dann so zu stellen, als sei die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Vorbehaltsverfahren rechtskräftig abgelehnt worden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Einhaltung der Frist des § 66a Abs. 2 StGB a.F. eine grundsätzlich verbindliche materiellrechtliche Voraussetzung für die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung darstellt (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 3 StR 269/06, BGHSt 51, 159 ff.); denn nach den Gesetzesmaterialien ist die Entscheidung über den Vorbehalt spätestens sechs Monate vor dem von § 66a Abs. 2 StGB a.F. in Bezug genommenen Aussetzungszeitpunkt zu treffen (BT-Drucks. 14/8586, S. 6).
15
An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Das hiernach zwingende Ergebnis kann nicht dadurch umgangen werden, dass Tatsachen, die als Grundlage einer auf § 66a StGB gestützten Sicherungsverwahrung nicht (mehr) herangezogen werden können, stattdessen Grundlage einer auf § 66b StGB a.F. gestützten Sicherungsverwahrung werden. Die Auffassung, dass anderes gelte, wenn die im Vorbehaltsverfahren zur Entscheidung berufene Strafkammer das Verfahren bis zum Fristablauf so sehr verzögert hat (wofür auch vorliegend einiges spricht), dass eine Sachentscheidung nicht mehr möglich war (zur Möglichkeit einer Untätigkeitsbeschwerde im strukturell vergleichbaren Fall drohender Verjährung vgl. BGH, Beschluss vom 22. Dezember 1992 - 3 BJs 960/91 - 4 [85] - StB 15/92, NJW 1993, 1279 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. Oktober 2001 - 3 Ws 986/01, NStZ 2002, 220 f. mwN), teilt der Senat nicht.
16
Die "Neuheit" von Tatsachen im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB a.F. beurteilt sich in diesem Falle nach dem Tag des Ablaufs der Ausschlussfrist des § 66a Abs. 2 StGB a.F.. Der Verurteilte hat einen Anspruch darauf, dass bis zu diesem Tag eine Entscheidung getroffen worden und - im Falle der Ablehnung - eine nachträgliche Anordnung dann nur noch unter den engeren Voraussetzungen des § 66b StGB a.F. möglich ist.
17
3. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Strafkammer das Vorliegen "neuer Tatsachen" i.S.v. § 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StGB rechtsfehlerfrei verneint. Die gegen die Beweiswürdigung gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.
18
a) Insbesondere ist die Beweiswürdigung nicht lückenhaft oder widersprüchlich. Die gegen die Beweiswürdigung gerichteten Angriffe der Revision versagen. Der Verurteilte hat jedenfalls seit seiner Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Straubing seine Therapieunwilligkeit planmäßig verdeckt. Dies war nicht erst nach Ablauf der in § 66a Abs. 2 StGB a.F. normierten Frist erkennbar. Das hiergegen gerichtete Vorbringen der Staatsanwaltschaft beschränkt sich auf eine eigene Bewertung auch von der Strafkammer gesehener Gesichtspunkte und vermag daher keinen revisiblen Rechtsfehler aufzuzeigen.
19
b) Hinsichtlich der Feststellungen des Sachverständigen, dass der Verurteilte nach seiner Haftentlassung ein neues Umfeld aufbauen und dabei das Vertrauen fremder Kinder sich erschleichen könnte, handelt es sich um keine neue Tatsache i.S.v. § 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StGB, denn dieser Umstand war bereits bei der Anlassverurteilung erkennbar. Auch bei den Vorverurteilungen bezüglich der Taten von Dezember 1996 bis April 1998 waren Opfer Kinder , die nicht aus seinem unmittelbaren Nahbereich stammten und deren Vertrauen er sich erschlichen hatte (UA S. 8 f.).

IV.

20
Der Senat weist darauf hin, dass über den Vorbehalt von Amts wegen entschieden werden muss (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 3 StR 269/06, BGHSt 51, 159 ff.; Peglau JR 2002, 449, 451). Dies gilt auch, wenn der Antrag auf Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zurückgenommen worden ist. Diese Entscheidung kann nach Auffassung des Senats entsprechend dem Rechtsgedanken des § 206a StPO auch im Beschlusswege getroffen werden.
Wahl Graf RiBGH Prof. Dr. Jäger ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Wahl Sander Cirener

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 324/05
vom
25. Oktober 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Entscheidung über die Anordnung der vorbehaltenen
Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Oktober 2005 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 22. April 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Die Revision des Verurteilten richtet sich gegen die nachträgliche Anordnung der ursprünglich vorbehaltenen Sicherungsverwahrung. Er war vom Landgericht mit Urteil vom 21. August 2003 wegen Versuches der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden; außerdem war die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen ihn vorbehalten worden. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte am 9. Juni 2001 in der Justizvollzugsanstalt A. zusammen mit zwei Mitgefangenen einen neu aufgenommenen weiteren Mitgefangenen wegen eines angeblichen Verrates eines ihnen unbekannten Straftäters zur "Bestrafung" körperlich misshandelt und ihm dabei das Versprechen abgenötigt hatte, in Zukunft unter anderem seinen gesamten Einkauf abzuliefern.
Das vom Verurteilten mit der Revision angefochtene Urteil des Landgerichts , welches nunmehr die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnet, ist im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Verurteilte während des Haftvollzugs in Belastungs- und Enttäuschungssituationen mit Wutausbrüchen reagierte, bei denen er sich gegenüber Sachen und gegenüber sich selbst aggressiv verhielt. Insbesondere habe er sich, als ihm die Polizei eröffnet habe, ein Mitgefangener habe ihn wegen angeblicher Bedrohung angezeigt, wutentbrannt in der Toilette mit einer "so aggressiven Wucht auf den Toilettendeckel" gesetzt, dass dieser zerbrach. In einem anderen Fall habe er, nachdem ihm ein beantragter Umschluss abgelehnt worden sei, mit Fäusten gegen die Toilettentüre "gedroschen" und danach in seinem Haftraum gegen die Wand geschlagen und eigene Gegenstände zertrümmert. Zu Körperverletzungstaten sei es jedoch seit der Tat vom 9. Juni 2001 nicht mehr gekommen. Das Landgericht hat darüber hinaus eine Vorahndung aus einem Urteil des Amtsgerichts W. vom 30. Juni 1988 herangezogen, welcher eine versuchte sexuelle Nötigung in Tateinheit mit exhibitionistischen Handlungen zum Nachteil eines zur Tatzeit 85-jährigen Rentners betrifft. Das Rechtsmittel des Verurteilten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

Entgegen der Auffassung der Revision stellt der Umstand, dass die angefochtene Entscheidung erst am 22. April 2005 verkündet worden ist, während gemäß § 66a Abs. 2 Satz 1 StGB darüber spätestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt, ab dem eine Aussetzung des vollstreckenden Strafrestes zur Bewährung möglich ist, somit am 15. April 2005 zu entscheiden gewesen wäre, keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar.
Weder aus § 66a StGB noch der Begründung in den Gesetzgebungsmaterialien (vgl. BTDrucks. 14/8586 S. 6) ergibt sich, was aus der Überschreitung der Frist des § 66a Abs. 2 Satz 1 StGB folgt. Ob es sich hierbei um einen Verfahrensfehler handelt, auf dem das Urteil der in besonderen Fällen beruhen könnte, braucht der Senat vorliegend nicht zu entscheiden; denn jedenfalls dann, wenn bei einer nicht in der Frist des § 66a Abs. 2 Satz 1 StGB getroffenen Entscheidung die Verzögerung nur wenige Tage beträgt und zudem der Verzögerungsgrund nicht direkt im Verantwortungsbereich der Justiz liegt, greift eine darauf gestützte Revisionsrüge nicht durch. So ist es in dem vorliegenden Verfahren, in dem die Staatsanwaltschaft rechtzeitig einen Antrag auf Anordnung der Sicherungsverwahrung gestellt hatte, jedoch das einzuholende psychiatrische Fachgutachten erst am 7. April 2005 dem Landgericht vorlag. Der Vorsitzende bestimmte sogleich am 8. April 2005 Termin zur Hauptverhandlung , welcher dann am 22. April 2005, insoweit ohne weitere Verzögerung, durchgeführt wurde (vgl. zu einer vergleichbaren Sachlage auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK: BGH, Beschluss vom 7. April 1999 - 3 StR 219/99).

II.

Die materiellen Voraussetzungen einer nachträglichen Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung sind jedoch vom Landgericht nicht ausreichend dargelegt worden. Entsprechend § 66a Abs. 2 Satz 2 StGB ist die endgültige Sicherungsverwahrung anzuordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und seiner Entwicklung während des Strafvollzuges ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Voraussetzung ist daher die prognostizierte Gefahr schwerwiegender Delikte gegen die
Person; nicht erfasst sind Vermögensdelikte (BTDrucks. aaO S. 7). Die Berücksichtigung des Verhaltens des Verurteilten im Strafvollzug soll dabei vor allem seine Entwicklung in einer Behandlung als gewichtigen Prognosefaktor erfassen, wobei weitere prognoserelevante Gesichtspunkte z.B. aggressive Handlungen gegen Strafvollzugsbedienstete oder Mitgefangene, Straftaten oder subkulturelle Aktivitäten im Vollzug, Drohungen oder andere Äußerungen sein können, die auf eine Rückkehr in kriminelle Subkulturen und eine Wiederaufnahme insbesondere von Gewalt- oder Sexualkriminalität hindeuten (BTDrucks. aaO). Das vom Landgericht seiner Anordnung zugrunde gelegte Verhalten des Verurteilten im Vollzug umfasst jedoch nur die Beschädigung eines Toilettendeckels, das Eindreschen mit den Fäusten gegen eine Toilettentür und Schlagen gegen eine Wand sowie das Zertrümmern eigener Gegenstände. Hierbei handelt es sich aber weder um aggressive Handlungen gegen Strafvollzugsbedienstete oder Mitgefangene noch um Straftaten oder Drohungen , welche für sich betrachtet auf eine Rückkehr in kriminelle Subkulturen hindeuten. Danach verbleibt vorliegend nur die neu erwähnte und gewichtete Straftat vom 30. November 1988, welche aber bereits bei der Verurteilung vom wegen der Anlasstat mehr als 15 Jahre zurücklag und damit im Rahmen dieses Verfahrens hätte Berücksichtigung finden können. Wenn aber bei jener Verurteilung diese Tat entweder bei der Entscheidung nicht eingeflossen ist oder jedenfalls dennoch kein Anlass bestand, bereits zum damaligen Zeitpunkt die Sicherungsverwahrung anzuordnen, dann bestehen zumindest rechtliche Bedenken , wenn nun hierauf die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (neu) gestützt wird. Der Bundesgerichtshof hat bereits in früheren Entscheidungen darauf hingewiesen, dass der Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht dazu führen soll, in Fällen, in denen die Anord-
nung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB grundsätzlich angezeigt ist, die Verhängung dieser Maßregel (zunächst) zu vermeiden (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2003 - 5 StR 445/03).

III.

Da der Senat nicht ausschließen konnte, dass sich möglicherweise noch andere Gesichtspunkte im Rahmen des Strafvollzugs ergeben haben, welche die Anordnung einer Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten, weist der Senat die Sache zur neuen Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück, welche dann auch das nach dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung liegende Verhalten des Verurteilten im Strafvollzug zu berücksichtigen haben wird. Nack Kolz Hebenstreit Elf Graf

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 441/05
vom
6. Dezember 2005
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
6. Dezember 2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 7. Juli 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB) abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, die auch vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg. Die Jugendkammer hat nicht in der gesetzlichen Verfahrensweise entschieden und hat in der Sache (schon) die (formalen) Voraussetzungen für eine nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrungen verkannt.

I.

Folgender Verfahrensgang liegt zu Grunde: 1. Der Betroffene war am 20. Oktober 1998 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen (§ 176 StGB in der bis 31. März 1998 geltenden Fassung) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. In einem Fall betrug die Einzelstrafe sechs Monate, die übrigen fünf Fälle waren besonders schwere Fälle i. S. d. (damaligen) § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB; in einem Fall wurde eine Strafe von vier Jahren - die Einsatzstrafe - verhängt, in den vier weiteren Fällen betrug die Einzelstrafe jeweils drei Jahre und sechs Monate. Dieses Urteil ist seit dem 10. März 1999 rechtskräftig. Der Betroffene hat die Strafe bis Mitte Oktober 2005 vollständig verbüßt. 2. Am 7. Juni 2005 hat die Staatsanwaltschaft beantragt, den Betroffenen nachträglich in Sicherungsverwahrung unterzubringen, da die Voraussetzungen von § 66b Abs. 2 StGB erfüllt seien. Diesen Antrag hat die Jugendkammer durch den angefochtenen Beschluss vom 7. Juli 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Es fehlten die formalen Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB, die genannte Verurteilung vom 20. Oktober 1998 sei nicht wegen Verbrechen, sondern wegen Vergehen erfolgt. Darüber hinaus rechtfertige auch eine Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und der im Strafvollzug angefallenen Erkenntnisse nicht die gemäß § 66b Abs. 2 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose. 3. Gegen diese Entscheidung richtet sich das zunächst als sofortige Beschwerde , später als Revision bezeichnete Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Sie macht geltend, die Jugendkammer hätte nur auf Grund einer Hauptverhand-
lung und dementsprechend durch Urteil entscheiden dürfen. In der Sache lägen zwar nicht die Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB, dafür jedoch die des § 66b Abs. 1 StGB vor. Auch die von der Jugendkammer vorgenommene Gesamtwürdigung sei aus im Einzelnen dargelegten Gründen rechtsfehlerhaft. 4. Wie die Verteidigung dem Senat vorgetragen hat, ist der Betroffene inzwischen auf freiem Fuß. Die Jugendkammer hat mit Beschluss vom 30. August 2005 einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Unterbringungsbefehls abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das Oberlandesgericht München durch Beschluss vom 12. Oktober 2005 ( ) aus formellen und materiellen Gründen verworfen.

II.

Das Rechtsmittel ist statthaft und zulässig (vgl. zu einem im Verfahrensablauf im Kern identischen Fall BGH, Urteil vom 1. Juli 2005 - 2 StR 9/05) und greift durch. 1. Wie in der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Einzelnen ausgeführt ist, ergibt sich aus § 275a StPO, dass über einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Unterbringung in Sicherungsverwahrung nur auf Grund einer mündlichen Hauptverhandlung in der dafür vorgesehenen Besetzung (also mit Schöffen) entschieden werden kann. Eine Entscheidung durch Beschluss, also ohne Schöffen, kann regelmäßig keinen Bestand haben. 2. a) Auch die Verteidigung verkennt nicht, dass bei einem Antrag auf nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 275a Abs. 2 StPO die Regeln über das Zwischenverfahren nicht gelten. Sie hält diese Regelung aber für lückenhaft und ihre Konsequenz, dass auf einen solchen An-
trag dann stets auf Grund einer Hauptverhandlung zu entscheiden sei, für verfehlt. Es ginge nicht an, dass über einen Antrag, der aus zwingenden rechtlichen Gründen keinesfalls Erfolg haben könne, nur nach einer Hauptverhandlung und auch noch unter Heranziehung von zwei Gutachtern (vgl. § 275a Abs. 4 Satz 2 StPO) entschieden werden dürfe. Die Jugendkammer habe daher zu Recht in entsprechender Anwendung von § 207 StPO den Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss zurückgewiesen.
b) Der Senat kann dem letztlich nicht folgen. Notwendige Voraussetzung für eine analoge Anwendung der Regelungen über das Zwischenverfahren auf die nachträgliche Unterbringung in Sicherungsverwahrung wäre, wie für jede analoge Anwendung nicht unmittelbar anwendbarer Bestimmungen, eine vom Gesetzgeber nicht erkannte („planwidrige“ ) Regelungslücke (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2005 - 1 StR 350/05; Wahl, NStZ 1988, 317 m. w. N.). Daran fehlt es. Die Materialien zur nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung ergeben eindeutig, dass der Gesetzgeber die Verfahrensregeln, die für die Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB) gelten, für das Verfahren zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung übernehmen wollte (vgl. BTDrucks. 15/2887 S. 15). In dem Verfahren über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung ist für ein „Zwischenverfahren“ aber schon deshalb keine Notwendigkeit, weil bereits ein Hauptverfahren stattgefunden hat, in dem die formalen Voraussetzungen von Sicherungsverwahrung zu prüfen waren. Dies ist bei nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht der Fall. Dementsprechend heißt es auch in den Gesetzesmaterialien, dass bei vorbehaltener Sicherungsverwahrung auf jeden Fall eine weitere gerichtliche Entscheidung erfolgen muss, während ein Verfahren wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung nur stattfindet, wenn die Staatsanwaltschaft
einen entsprechenden Antrag stellt (aaO S. 16). Wenn der Gesetzgeber trotzdem für das Verfahren zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung die Regeln über die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung für anwendbar erklärt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er übersehen hätte, dass damit auch hier für ein Zwischenverfahren kein Raum ist. Darauf , ob auch eine andere Regelung vorstellbar und im Einzelfall zweckmäßiger sein könnte, kommt es unter diesen Umständen nicht an. 3. Von alledem unabhängig ist jedoch die Frage, ob eine Entscheidung, mit der eine nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung abgelehnt wurde, weil zwingend vorgeschriebene formale - also ohne jede wertende Würdigung feststellbare - Voraussetzungen fehlen, je darauf beruhen könnte (§ 337 StPO), dass sie nicht in der vorgeschriebenen Form oder ohne Anhörung von Sachverständigen getroffen wurde. Der Senat braucht dem aber nicht näher nachzugehen, weil die formalen Voraussetzungen einer nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung entgegen der Auffassung der Jugendkammer vorliegen. Allerdings hat die Jugendkammer, ersichtlich orientiert am ursprünglichen Antrag der Staatsanwaltschaft (vgl. oben I. 2.), zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen von § 66b Abs. 2 StGB nicht vorliegen, weil die Vorverurteilung nicht Verbrechen betrifft. Sie hat jedoch verkannt, dass dieser Mangel im Antrag der Staatsanwaltschaft sie nicht davon freistellte, den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, wobei gegebenenfalls entsprechende Hinweise zu geben sind (§ 275a Abs. 2 StPO i. V. m. §§ 264, 265 StPO).
Hier liegen die Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 StGB i. V. m. § 66 Abs. 2 StGB vor. § 66b Abs. 1 StGB verlangt die Verurteilung wegen eines der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Vergehens. Dies liegt vor, § 176 StGB ist dort genannt. Weiter ist gemäß § 66b Abs. 1 StGB, letzter Halbsatz, erforderlich , dass die übrigen Voraussetzungen des § 66 StGB erfüllt sind. Damit ist auf die formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 1 bis 3 StGB verwiesen. Hieraus ergeben sich auch für § 66b Abs. 1 StGB verschiedene Fallgruppen entsprechend denjenigen des § 66 StGB (vgl. Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 66b Rdn. 10 m. w. N.). Hier liegen die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vor. Der Verurteilung wegen sechs Fällen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von über sieben Jahren liegen nämlich vier Fälle zu Grunde, in denen je eine Strafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt wurde, und ein Fall, in dem diese Strafe sogar vier Jahre betrug (vgl. oben I. 1.). 4. Da nach alledem die formellen Voraussetzungen für eine nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung vorliegen, kommt es entscheidend auf die (tatrichterliche) Würdigung der Persönlichkeit des Verurteilten, seiner Straftaten und der im Strafvollzug angefallenen Erkenntnisse an. Die hierauf bezogenen knappen Ausführungen der Jugendkammer und das hiergegen gerichtete Vorbringen der Staatsanwaltschaft - das, soweit bisher ersichtlich, nicht ohne weiteres zu einer nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung
drängt - können jedoch auf sich beruhen. Wie dargelegt, könnte, wenn überhaupt , die Entscheidung durch Beschluss statt durch Urteil allenfalls dann unschädlich sein, wenn die Zurückweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft aus Rechtsgründen ohne jede wertende Würdigung zwingend geboten gewesen wäre (vgl. oben II. 3.). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Nack Wahl Kolz Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 16/11
vom
14. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Juli 2011,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 27. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zur Verhandlung und erneuten Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Der Verurteilte, um dessen nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung es im vorliegenden Verfahren geht, war vom Landgericht mit Urteil vom 28. Juli 1993 wegen Gefangenenmeuterei unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Bezirksgerichts Neubrandenburg vom 24. Februar 1992 und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden. Gegenstand der einbezogenen Entscheidung ist eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (ein Jahr Freiheitsstrafe) und Mordes (14 Jahre Freiheitsstrafe). Sämtliche Straftaten beging der Verurteilte im Beitrittsgebiet. Das Strafende war auf den 18. Februar 2011 notiert.
2
Bereits vor Erreichen des Strafendes hatte die Staatsanwaltschaft mit Antragsschrift vom 1. Juli 2010, bei Gericht eingegangen am 6. Juli 2010, beantragt , gemäß § 66b Abs. 1 StGB a.F. nachträglich die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Hiervon informierte das Landgericht den Verurteilten. Durch eine als "Beschluss" bezeichnete Entschei- dung vom 27. Oktober 2010 hat das Landgericht diesen Antrag ohne Hauptverhandlung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zwar die „Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 in Verbindung mit § 66 StGB … zu beja- hen" seien, nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (NJW 2010, 2495) und dem Beschluss des erkennenden Senats vom 12. Mai 2010 (4 StR 577/09, NStZ 2010, 567, 568) aber eine Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten nach § 66b StGB nicht verhängt werden könne, da im Zeitpunkt der Tatbegehung die Straftat nicht mit Sicherungsverwahrung bedroht gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die ihr am 2. November 2010 zugestellte Entscheidung am 4. November 2010 "sofortige Beschwerde" eingelegt. Mit einem am 2. Dezember 2010 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz gleichen Datums hat sie dieses Rechtsmittel sodann als Revision bezeichnet und die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.

I.


3
Mit Beschluss vom 3. Februar 2011 hatte der Senat die Entscheidung über das Rechtsmittel im Blick auf das vom 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 9. November 2010 (5 StR 394/10 u.a., NJW 2011, 240; zum Abdruck in BGHSt bestimmt) eingeleitete Anfrageverfahren zurückgestellt. Die Sache ist nunmehr entscheidungsreif, nachdem der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in den den Anfrageverfahren zugrunde liegenden Strafsachen mit Beschluss vom 23. Mai 2011 zur Sache entschieden hat, ohne zuvor den Großen Senat für Strafsachen anzurufen.

II.


4
Die zulässige Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass das Landgericht über ihren Antrag ohne die nach § 275a Abs. 2 und 3 StPO erforderliche Hauptverhandlung entschieden hat.
5
1. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist das Rechtsmittel der Revision statthaft (§ 333 StPO).
6
Zwar hat das Landgericht seine Entscheidung als "Beschluss" bezeichnet. Dies führt aber nicht dazu, dass eine Beschwerde nach §§ 304 ff. StPO das statthafte Rechtsmittel wäre. Auf die Bezeichnung der Entscheidung kommt es nicht an. Maßgebend für die Frage, welches Rechtsmittel statthaft ist, ist das Verfahrensrecht. Danach sind Urteile solche Entscheidungen, die eine mündliche Verhandlung und eine öffentliche Verkündung voraussetzen. Ohne Bedeutung ist, ob eine mündliche Verhandlung und eine öffentliche Verkündung wirklich stattgefunden haben. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die betreffende Entscheidung nach dem Gesetz nur auf Grund mündlicher Verhandlung und im Wege öffentlicher Verkündung hätte ergehen dürfen. Sind Verhandlung und Verkündung in einem solchen Fall entgegen dem Gesetz unterblieben, handelt es sich für die Frage der Anfechtbarkeit dennoch um ein Urteil (BGH, Urteil vom 1. Juli 2005 – 2 StR 9/05, BGHSt 50, 180, 186; Beschluss vom 17. Februar 2010 - 2 StR 524/09, BGHSt 55, 62, 63 f.; vgl. weiter BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 1955 - 5 StR 363/55, BGHSt 8, 383, 384, und vom 30. Oktober 1973 - 5 StR 496/73, BGHSt 25, 242, 243, zu "Urteilen", die verfahrensrechtlich Beschlüsse waren). Nach § 275a Abs. 2 StPO ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auf Grund einer Hauptverhandlung zu ent- scheiden. Diese Entscheidung ergeht durch Urteil (§ 275a Abs. 2 i.V.m. § 260 Abs. 1 StPO). Dieses ist grundsätzlich in öffentlicher Verhandlung zu verkünden (§ 169 GVG). Ein schriftliches Verfahren ist für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei der vom Gesetzgeber gewählten Hauptverhandlungslösung nicht vorgesehen; insbesondere kommt eine analoge Anwendung der Regelungen über das Zwischenverfahren nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 - 1 StR 441/05, NStZ-RR 2006, 74).
7
Dass die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel zunächst irrtümlich als "sofortige Beschwerde" bezeichnet hat, ist nach § 300 StPO ebenfalls unschädlich. Diese Vorschrift gilt auch für Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft (MeyerGoßner , StPO, 54. Aufl., § 300 Rn. 2). Im Übrigen hat sie selbst das Rechtsmittel noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als "Revision" bezeichnet.
8
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet. Entgegen der Vorschrift des § 275a Abs. 2 StPO hat das Landgericht ohne Hauptverhandlung entschieden.
9
Die Entscheidung beruht auf dieser Gesetzesverletzung. Das kann der Senat bereits deswegen nicht ausschließen, weil die Strafkammer bei der Entscheidung neben dem Vorsitzenden mit zwei Berufsrichtern, aber nicht mit Schöffen besetzt war. In ordnungsgemäßer Besetzung für eine Hauptverhandlung wäre das Ergebnis möglicherweise ein anderes gewesen.
10
Die vom 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 6. Dezember 2005 (aaO S. 75) aufgeworfene Frage, ob das Beruhen zu verneinen ist, wenn zwingend vorgeschriebene formale – also ohne jede wertende Würdigung feststellbare – Voraussetzungen für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung fehlen, bedarf auch hier keiner Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a.; dort Rn. 164) die vom Landgericht zu Grunde gelegte und auch vom Senat in seinem Beschluss vom 12. Mai 2010 (4 StR 577/09, NStZ 2010, 567) vertretene Auffassung, § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK stehe einer rückwirkenden Anwendung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung entgegen, verworfen. Die vollständige Verbüßung der Strafe und die Haftentlassung des Verurteilten stehen der Fortsetzung des Verfahrens nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2005 – 2 StR 9/05, BGHSt 50, 180, 181 f.). Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist rechtzeitig gestellt (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2005 – 2 StR 272/05, BGHSt 50, 284, 290; Beschluss vom 26. Mai 2010 – 2 StR 263/10, BGHR StPO § 275a Antrag 2). Die Erfüllung der formellen Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 oder 2 StGB a.F. kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht verneint werden; insoweit verweist der Senat auf die Darlegungen des Generalbundesanwalts in seiner Terminzuschrift und die darin wiedergegebenen Ausführungen des Generalstaatsanwalts in Rostock.

III.


11
Das Landgericht wird nunmehr in der gebotenen Form und nach Einholung der Gutachten von zwei Sachverständigen nach Maßgabe des § 275a Abs. 4 Satz 2 und 3 StPO über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu befinden haben. Dabei ist der Antrag unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 – 1 StR 441/05, NStZ-RR 2006, 74, 75). § 66b StGB ist in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung an- zuwenden (§ 2 Abs. 6 StGB; Art. 316e Abs. 1 Satz 2 EGStGB; Art. 316e Abs. 2 EGStGB gilt nur für die Anordnung der primären Sicherungsverwahrung, BTDrucks. 17/3403 S. 50 und Kinzig NJW 2011, 177, 180). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht diese Vorschrift in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a.) für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Jedoch hat es in Ziff. III. des Urteilstenors eine Weitergeltungsanordnung getroffen; diese hat Gesetzeskraft (BGBl. I S. 1003, 1004 f.). Danach ist § 66b Abs. 2 StGB a.F., der in den sog. Altfällen Rückwirkung entfaltet (BVerfG aaO Rn. 148, 149), bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013, nur noch nach den engen Maßgaben in Ziff. III. 2. Buchst. a des Tenors anzuwenden. Im Gegensatz dazu hatte das Bundesverfassungsgericht nach der Fassung der Weitergeltungsanordnung (Ziff. III. 1. in Verbindung mit Ziff. II. 1. Buchst. b des Tenors des Urteils vom 4. Mai 2011) die weitere Anwendung des § 66b Abs. 1 StGB a.F. nach Maßgabe der Gründe seines Urteils angeordnet und diese damit an sich nur von einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung (Rn. 172) abhängig gemacht (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Mai 2011 – 4 StR 650/10). Jedoch hat es mit Senatsbeschluss vom 8. Juni 2011 (2 BvR 2846/09) klargestellt, dass die im Urteil vom 4. Mai 2011 festgesetzten höheren Verhältnismäßigkeitsanforderungen an die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung in allen Fällen mit Rückwirkung – und damit auch in dem hier zu entscheidenden – gelten. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird daher in materieller Hinsicht zu prüfen haben, ob eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2010 zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz – ThUG; BGBl. I. 2300) leidet.
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Bender Quentin

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.