Bundesgerichtshof Urteil, 07. Aug. 2012 - 1 StR 98/12
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Die Strafkammer hat die nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.
I.
- 2
- Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
- 3
- 1. Der Verurteilte ist pädophil (ICD 10 F 65.4). Er war bereits 1999 wegen früherer sexueller Missbrauchstaten gegen Kinder zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit - später widerrufener - Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Bereits ab 1998 - und im weiteren Fortgang von der gegen ihn 1999 ergangenen Verurteilung unbeeindruckt - bis 2001 missbrauchte er in zahlreichen Fällen seine beiden 1987 und 1992 geborenen Stieftöchter sowie seinen 1987 geborenen Stiefsohn.
- 4
- Wegen dieser Taten wurde der für uneingeschränkt schuldfähig befundene Verurteilte durch das Landgericht Nürnberg-Fürth im Anlassverfahren am 12. Juni 2003 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 23 Fällen unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von drei Monaten aus einem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 24. Oktober 2002 wegen Entziehung elektrischer Energie zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wurde vorbehalten. Das Urteil erlangte noch am selben Tage Rechtskraft.
- 5
- 2. Von Juli 2001 bis November 2011 verbüßte der Verurteilte ohne Unterbrechungen die Strafen aus den genannten Verurteilungen. Nach Rechtskraft der Anlassverurteilung wurde er von der Justizvollzugsanstalt St. GeorgenBayreuth in die Justizvollzugsanstalt Straubing verlegt. Ende November 2011 war die mit der Anlassverurteilung ausgesprochene Freiheitsstrafe verbüßt.
- 6
- 3. Im Strafvollzug verhielt sich der Verurteilte unauffällig. Während seines Aufenthaltes in der Justizvollzugsanstalt St. Georgen-Bayreuth war der Verurteilte in mehrere Therapiegruppen, u.a. eine niederschwellige Gruppentherapie zur Vorbereitung einer späteren Sozialtherapie, eingebunden. Diese Gruppentherapie hatte zwar Sexualdelikte zum Inhalt, betraf allerdings nur solche, die Gegenstand der Vorverurteilung aus dem Jahr 1999 gewesen waren. Zudem war unter Berücksichtigung der Anlassverurteilung eine solche niederschwellige Gruppentherapie keinesfalls ausreichend.
- 7
- Mit der Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Straubing unterblieben weitere Therapien. Nur im Rahmen halbjährlicher "Konferenzgespräche" wurde der Verurteilte regelmäßig zu seiner Therapiebereitschaft befragt. Dabei gab er von April 2005 bis April 2008 stets wahrheitswidrig vor, seine Rückverlegung und Aufnahme in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt St. Georgen-Bayreuth vorzubereiten bzw. auf die ihm von dort zugesagte Aufnahmebestätigung zu warten, um dort eine Verhaltenstherapie ("echte Sozialtherapie" ) durchzuführen. Tatsächlich hatte er sich weder in Bayreuth beworben , noch wäre für ihn dort ein Therapieplatz verfügbar gewesen. Seine Angaben wurden durch die Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Straubing nicht überprüft. Auch war er zu keiner Zeit ernsthaft zu einer umfassenden Therapie motiviert, sondern versuchte durch die Vorspiegelung seines Therapiewillens, der Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung zu entgehen.
- 8
- 4. Am 14. Februar 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf den im Urteil ausgesprochenen Vorbehalt die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 2 StGB a.F.. Mit dem Antrag und nochmals im weiteren Verfahrensverlauf wurde von der Staatsanwaltschaft ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Sicherungsverwahrung auf den in der Anlassverhandlung ausgesprochenen Vorbehalt nach dem Ablauf der in § 66a Abs. 2 StGB a.F. bestimmten Frist nicht mehr möglich ist. Seitens der Strafkammer wurden daraufhin verschiedene Nachermittlungen veranlasst und die Antragsschrift zugestellt ; eine Hauptverhandlung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung fand aber innerhalb der Frist des § 66a Abs. 2 StGB a.F., die am 25. Juli 2008 ablief, nicht mehr statt. Auf Anregung der Strafkammer nahm die Staatsanwaltschaft den Antrag am 3. September 2008 zurück.
II.
- 9
- Den nunmehr von der Staatsanwaltschaft gestellten Antrag, die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 und 2 StGB (i. d. bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung - § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 316e Abs. 1 EGStGB) anzuordnen, hat das Landgericht abgelehnt.
- 10
- Die Ablehnung wurde von der Strafkammer wie folgt begründet: Zwar bestehe bei dem Verurteilten ein Hang zu erheblichen Straftaten, welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer schädigen. So verspüre er noch immer sexuelles Interesse an Kindern; bei ihm liege ein eingeschliffenes Verhaltensmuster vor, immer wieder Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern zu begehen. Auch habe er keine erfolgversprechende Therapie durchlaufen, und die Gefahr künftiger einschlägiger Straftaten sei deutlich überdurchschnittlich bzw. hoch, der Verurteilte sei für die Allgemeinheit gefährlich. Indes mangele es am Vorliegen neuer Tatsachen. Insbesondere sei die mangelnde Therapiebereitschaft des Verurteilten bereits im Zeitpunkt der letztmöglichen Entscheidung über eine primäre Anordnung der Sicherungsverwahrung - dies sei der Zeitpunkt des Verstreichens der Frist nach § 66a Abs. 2 StGB a.F. - erkennbar gewesen.
III.
- 11
- Die Ablehnung der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung hält revisionsgerichtlicher Prüfung stand.
- 12
- 1. Als Grundlage einer - nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NStZ 2011, 450 ff.) noch längstens bis zum Ablauf des 31. Mai 2013 möglichen - nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB a.F. darf eine solche Maßnahme nur noch dann ausgesprochen werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG leidet (zusammenfassend BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2011 - 2 BvR 2846/09). Im Übrigen ist Voraussetzung einer solchen Anordnung , dass sich diese nur auf solche "neuen" Tatsachen stützen kann, die "nach einer Verurteilung" und "vor dem Ende des Vollzuges" erkennbar geworden sind. Dabei kommt es nicht auf den Entstehungszeitpunkt der Tatsachen, sondern allein auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme und Berücksichtigung im vorangegangenen Strafverfahren an (BGH, Urteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05, BGHSt 50, 121 ff.).
- 13
- Maßgeblich für die Frage, ob eine Tatsache "neu" ist, ist demnach der letztmögliche Zeitpunkt, zu dem eine (primäre) Sicherungsverwahrung hätte angeordnet werden können (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2006 - 5 StR 113/06, NStZ-RR 2006, 302 f.; Beschluss vom 15. April 2008 - 5 StR 635/07, BGHSt 52, 213 ff.). Hierzu zählt auch die Entscheidung im Vorbehaltsverfahren; denn diese ist Bestandteil des Erkenntnisverfahrens (so bereits OLG Schleswig, Beschluss vom 17. Oktober 2008 - 2 Ws 405/08 [263/08], NStZ-RR 2009, 75 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 5. Januar 2010 - 4 Ws 348/09, StV 2010, 189 ff.).
- 14
- 2. Nicht anders zu beurteilen ist der Fall, in dem - wie hier - eine Entscheidung über den Vorbehalt ganz unterblieben ist. Der Verurteilte ist dann so zu stellen, als sei die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Vorbehaltsverfahren rechtskräftig abgelehnt worden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Einhaltung der Frist des § 66a Abs. 2 StGB a.F. eine grundsätzlich verbindliche materiellrechtliche Voraussetzung für die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung darstellt (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 3 StR 269/06, BGHSt 51, 159 ff.); denn nach den Gesetzesmaterialien ist die Entscheidung über den Vorbehalt spätestens sechs Monate vor dem von § 66a Abs. 2 StGB a.F. in Bezug genommenen Aussetzungszeitpunkt zu treffen (BT-Drucks. 14/8586, S. 6).
- 15
- An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Das hiernach zwingende Ergebnis kann nicht dadurch umgangen werden, dass Tatsachen, die als Grundlage einer auf § 66a StGB gestützten Sicherungsverwahrung nicht (mehr) herangezogen werden können, stattdessen Grundlage einer auf § 66b StGB a.F. gestützten Sicherungsverwahrung werden. Die Auffassung, dass anderes gelte, wenn die im Vorbehaltsverfahren zur Entscheidung berufene Strafkammer das Verfahren bis zum Fristablauf so sehr verzögert hat (wofür auch vorliegend einiges spricht), dass eine Sachentscheidung nicht mehr möglich war (zur Möglichkeit einer Untätigkeitsbeschwerde im strukturell vergleichbaren Fall drohender Verjährung vgl. BGH, Beschluss vom 22. Dezember 1992 - 3 BJs 960/91 - 4 [85] - StB 15/92, NJW 1993, 1279 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. Oktober 2001 - 3 Ws 986/01, NStZ 2002, 220 f. mwN), teilt der Senat nicht.
- 16
- Die "Neuheit" von Tatsachen im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB a.F. beurteilt sich in diesem Falle nach dem Tag des Ablaufs der Ausschlussfrist des § 66a Abs. 2 StGB a.F.. Der Verurteilte hat einen Anspruch darauf, dass bis zu diesem Tag eine Entscheidung getroffen worden und - im Falle der Ablehnung - eine nachträgliche Anordnung dann nur noch unter den engeren Voraussetzungen des § 66b StGB a.F. möglich ist.
- 17
- 3. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Strafkammer das Vorliegen "neuer Tatsachen" i.S.v. § 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StGB rechtsfehlerfrei verneint. Die gegen die Beweiswürdigung gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.
- 18
- a) Insbesondere ist die Beweiswürdigung nicht lückenhaft oder widersprüchlich. Die gegen die Beweiswürdigung gerichteten Angriffe der Revision versagen. Der Verurteilte hat jedenfalls seit seiner Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Straubing seine Therapieunwilligkeit planmäßig verdeckt. Dies war nicht erst nach Ablauf der in § 66a Abs. 2 StGB a.F. normierten Frist erkennbar. Das hiergegen gerichtete Vorbringen der Staatsanwaltschaft beschränkt sich auf eine eigene Bewertung auch von der Strafkammer gesehener Gesichtspunkte und vermag daher keinen revisiblen Rechtsfehler aufzuzeigen.
- 19
- b) Hinsichtlich der Feststellungen des Sachverständigen, dass der Verurteilte nach seiner Haftentlassung ein neues Umfeld aufbauen und dabei das Vertrauen fremder Kinder sich erschleichen könnte, handelt es sich um keine neue Tatsache i.S.v. § 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StGB, denn dieser Umstand war bereits bei der Anlassverurteilung erkennbar. Auch bei den Vorverurteilungen bezüglich der Taten von Dezember 1996 bis April 1998 waren Opfer Kinder , die nicht aus seinem unmittelbaren Nahbereich stammten und deren Vertrauen er sich erschlichen hatte (UA S. 8 f.).
IV.
- 20
- Der Senat weist darauf hin, dass über den Vorbehalt von Amts wegen entschieden werden muss (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 3 StR 269/06, BGHSt 51, 159 ff.; Peglau JR 2002, 449, 451). Dies gilt auch, wenn der Antrag auf Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zurückgenommen worden ist. Diese Entscheidung kann nach Auffassung des Senats entsprechend dem Rechtsgedanken des § 206a StPO auch im Beschlusswege getroffen werden.
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(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn
- 1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird, - 2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und - 3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.
(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn
- 1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird, - 2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und - 3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.
(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.
(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.
(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.
(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.
(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.
(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.
(1) Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) sind nur anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll, nach dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. In allen anderen Fällen ist das bisherige Recht anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 und 3 sowie in Artikel 316f Absatz 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist.
(2) Sind die Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung nach § 66 des Strafgesetzbuches angeordnet werden soll, vor dem 1. Januar 2011 begangen worden und ist der Täter deswegen noch nicht rechtskräftig verurteilt worden, so ist § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung anzuwenden, wenn diese gegenüber dem bisherigen Recht das mildere Gesetz ist.
(3) Eine nach § 66 des Strafgesetzbuches vor dem 1. Januar 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung erklärt das Gericht für erledigt, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 des Strafgesetzbuches in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Das Gericht kann, soweit dies zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen geboten ist, als Zeitpunkt der Erledigung spätestens den 1. Juli 2011 festlegen. Zuständig für die Entscheidungen nach den Sätzen 1 und 2 ist das nach den §§ 454, 462a Absatz 1 der Strafprozessordnung zuständige Gericht. Für das Verfahren ist § 454 Absatz 1, 3 und 4 der Strafprozessordnung entsprechend anzuwenden; die Vollstreckungsbehörde übersendet die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichtes, die diese umgehend dem Gericht zur Entscheidung übergibt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein.
(4) § 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegenstand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.
(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn
- 1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird, - 2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und - 3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.
(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn
- 1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird, - 2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und - 3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.
(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
(1) Steht auf Grund einer rechtskräftigen Entscheidung fest, dass eine wegen einer Straftat der in § 66 Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches genannten Art verurteilte Person deshalb nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden kann, weil ein Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung zu berücksichtigen ist, kann das zuständige Gericht die Unterbringung dieser Person in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung anordnen, wenn
- 1.
sie an einer psychischen Störung leidet und eine Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit, ihres Vorlebens und ihrer Lebensverhältnisse ergibt, dass sie infolge ihrer psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird, und - 2.
die Unterbringung aus den in Nummer 1 genannten Gründen zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist.
(2) Absatz 1 ist unabhängig davon anzuwenden, ob die verurteilte Person sich noch im Vollzug der Sicherungsverwahrung befindet oder bereits entlassen wurde.
Tenor
-
1. Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. Februar 2009 - (540) M 13 / 1 Kap Js 2826/96 VRs (14/08) - und das Urteil des Bundes-gerichtshofs vom 27. Oktober 2009 - 5 StR 296/09 - verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Urteile werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.
-
2. Damit wird der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26. November 2009 - 5 StR 296/09 - gegenstandslos.
-
3. ...
-
4. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 50.000,00 € (in Worten: fünfzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
-
A.
- 1
-
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 1 und 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 StGB.
-
I.
- 2
-
§ 66b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (BGBl I S. 513) ermöglichen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auch in solchen Fällen, in denen zum Zeitpunkt der Verurteilung wegen der Anlasstat aus Rechtsgründen keine primäre Sicherungsverwahrung angeordnet werden konnte. Mit einer Änderung von Satz 1 und der Einführung von Satz 2 der Vorschrift reagierte der Gesetzgeber auf eine restriktive Auslegung des § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB. Der Bundesgerichtshof hatte die Frage der Anwendbarkeit der Norm aufgeworfen, wenn zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung aus Rechtsgründen keine originäre Sicherungsverwahrung verhängt werden durfte (vgl. BGHSt 50, 284 <293 ff.>). Dies betraf wegen der Fassung von Art. 1a EGStGB bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838) zum einen Verurteilungen wegen Taten in den neuen Ländern, bei denen im Zeitpunkt der Verurteilung die Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden konnte, zum anderen Taten, die zwar die Voraussetzungen des 1998 eingeführten § 66 Abs. 3 StGB erfüllten, jedoch vor dessen Inkrafttreten begangen und vor Einführung des § 66b StGB abgeurteilt worden waren (vgl. BTDrucks 16/4740, S. 1, 22 f.).Mit dem am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010(BGBl I S. 2300) wurde § 66b Abs. 1 StGB aufgehoben. Gemäß Art. 316e Abs. 1 EGStGB gilt das bisherige Recht der Sicherungsverwahrung allerdings für bis zum 31. Dezember 2010 begangene Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll, fort. Das Bundesverfassungsgericht hat § 66b Abs. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (BGBl I S. 513) mit Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u. a. - für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 des Grundgesetzes erklärt.
-
II.
- 3
-
1. a) Das Stadtgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 5. Oktober 1987 wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren. Der Beschwerdeführer - der zu jener Zeit wegen Auseinandersetzungen mit seiner Partnerin seinen Lebensmittelpunkt an seinem Arbeitsplatz, der Heizanlage einer Fabrik, hatte - war mit einem Arbeitskollegen nach gemeinsamem Alkoholgenuss in Streit geraten und hatte diesem mit einer 600 bis 800 Grad Celsius heißen Schürstange den Unterbauch durchbohrt. Er verbüßte die verhängte Strafe zu zwei Dritteln und wurde im Dezember 1994 unter Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung entlassen.
- 4
-
b) Mit Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Juli 1997 wurde der Beschwerdeführer wegen Totschlags seiner Ehefrau zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen der Strafkammer führten der Beschwerdeführer und seine Frau eine sehr problembelastete Ehe voller gegenseitiger Beschimpfungen und Verdächtigungen; mehrfach trennten sich die Ehepartner und lebten anschließend wieder zusammen. Am Abend vor der Tat im Dezember 1996 trank der Beschwerdeführer in einer Gaststätte erhebliche Mengen Alkohol, nachdem er sich von seiner Frau provoziert gefühlt hatte. Am nächsten Morgen begab er sich in die gemeinsame Wohnung, wo es nach Rückkehr seiner Frau von deren Arbeitsstelle zunächst zu heftigen Auseinandersetzungen, dann aber zu einer Versöhnung und einverständlichem Geschlechtsverkehr kam. Als seine Frau ihm danach wieder die Trennung ankündigte, konnte der Beschwerdeführer den Wechsel zwischen Zuwendung und Ablehnung nicht mehr ertragen. Er stieß seine Frau heftig weg, so dass sie rücklings auf den Boden fiel, setzte sich auf ihren Bauch, fixierte ihre Arme an den Handgelenken und schrie sie an, sie solle mit ihren Vorhaltungen aufhören. Als sie der Aufforderung nicht nachkam, packte der Beschwerdeführer sie von vorn mit beiden Händen am Hals und drückte über mindestens fünf Minuten mit aller Kraft zu, was bereits nach 10 bis 15 Sekunden zur Bewusstlosigkeit und alsbald zum Tod des Opfers führte.
- 5
-
Die Strafkammer ging von verminderter Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers aus, für welche die erhebliche Alkoholisierung zur Tatzeit (Blutalkoholkonzen-tration zwischen 2,04 und 2,14 Promille) nicht allein maßgeblich gewesen sei. Sachverständig beraten kam die Kammer zu dem Schluss, bei dem Beschwerdeführer handle es sich um eine akzentuierte Persönlichkeit mit ausgeprägter Eigenwilligkeit, Zurückgezogenheit und Misstrauen gegenüber anderen Menschen. Kennzeichnend seien auch die erhöht reizbaren Anteile im Sinne leichter Provozierbarkeit. Er zeige deutlich schizoide Aspekte im Zusammenhang mit seiner schwach ausgeprägten Fähigkeit, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen seinen Bedürfnissen nach Nähe und Distanz herzustellen. Dieses Persönlichkeitsbild sei zwar für sich gesehen nicht von Krankheitswert. Die Tat sei jedoch Ausdruck einer heftigen affektiven Aufladung, ausgelöst durch die rasante Folge von Nähe und Distanz zwischen den Ehepartnern im Vorfeld des Tatgeschehens.
- 6
-
c) Der Beschwerdeführer befand sich zunächst in Untersuchungshaft und verbüßte nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils vom 4. Juli 1997 die verhängte Freiheitsstrafe sowie die Reststrafe aus der vorigen Verurteilung vom 5. Oktober 1987. Während des Strafvollzugs wurde er durch Urteil des Amtsgerichts Brandenburg vom 15. Mai 2003 wegen vorsätzlicher Körperverletzung (Tatzeitpunkt: 12. August 2002) zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, wobei das Amtsgericht in den Urteilsgründen hervorhob, dass die mittels eines Schlages gegen den Kopf eines Mitgefangenen begangene Körperverletzung aus einer verbalen Auseinandersetzung mit dem Geschädigten resultierte, die ihren Ursprung insbesondere in dessen provokantem Verhalten hatte.
- 7
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2. a) Mit dem angegriffenen Urteil vom 24. Februar 2009 ordnete das Landgericht Berlin nachträglich auf der Grundlage des § 66b Abs. 1 Satz 1 und 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 StGB die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung an.
- 8
-
aa) Der Beschwerdeführer werde aufgrund eines Hanges (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Der von der Kammer beauftragte Sachverständige habe bei dem Beschwerdeführer eine dissoziale Persönlichkeitsentwicklung mit Egozentrik, Rücksichtslosigkeit beim Durchsetzen eigener Interessen, Gefühlskälte und völlig unzureichenden Problem- und Konfliktlösungsstrategien festgestellt; hinzu komme ein massiver Alkoholmissbrauch. Der Beschwerdeführer sei unfähig, mit sozialen Konflikten angemessen umzugehen. Diese Konflikte vermeide er bis zu einem gewissen Punkt, bei dessen Überschreitung sich - gerade im Zusammenhang mit dem Konsum erheblicher Mengen Alkohols - ein aggressiver Impuls ungehindert Bahn breche. Insofern sei auch die Tat zum Nachteil seiner Ehefrau Ausfluss der gestörten Persönlichkeit des Beschwerdeführers, obwohl die Tat einige Züge einer Affekttat getragen habe. Bereits das damalige Urteil sei zu dem Ergebnis gelangt, dass neben der spezifischen Beziehungskonstellation die Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers und seine Reaktionsmuster elementare Bestandteile der Tatvoraussetzungen gewesen seien. Während der Haftzeit habe die Persönlichkeit des Beschwerdeführers keine nennenswerten Veränderungen erfahren. Noch immer trete seine Impulsivität deutlich zu Tage; er sei nicht in der Lage, vorsichtige Kritik oder intensivere Nachfragen zu seiner Person zu ertragen. Er trage deutlich schizoide und dissoziale Züge; so bringe er keinerlei Empathie für seine Opfer auf und sei kaum in der Lage, eigenes Fehlverhalten zu reflektieren. Eine Untersuchung mittels einer Prognosecheckliste zur Ermittlung von Psychopathien habe das Vorhandensein einer solchen ergeben, was ein Indikator für ein erhöhtes Kriminalitätsrisiko und eine fehlende Aussicht auf Behandlungserfolge sei. Ein weiterer Test habe eine hohe Wahrscheinlichkeit künftiger Gewaltstraftaten ergeben. Prognostisch negativ wirke sich insbesondere aus, dass es - auch während des Vollzugs - bereits mehrfach zu Gewaltanwendung durch den Beschwerdeführer gekommen sei. Dieser sei weiterhin gefährlich; die Gefahr neuer erheblicher Straftaten sei - insbesondere unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit von Alkohol sowie zu erwartender Konflikt- und Stresssituationen im Anschluss an eine Entlassung - auch gegenwärtig. Ein zweiter Sachverständiger sei in der Hauptverhandlung bei gewissen Abweichungen im Rahmen der Testergebnisse zum selben Ergebnis gekommen. Die Kammer schließe sich den in allen wesentlichen Punkten übereinstimmenden Einschätzungen der Sachverständigen nach sorgfältiger eigener Prüfung an. Danach liege bei dem Beschwerdeführer ein Hang im Sinne eines eingeschliffenen inneren Zustands vor, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lasse und aus dem sich seine hohe Gefährlichkeit ergebe. Die Persönlichkeitsstörung des Beschwerdeführers stelle diesen inneren Zustand dar, aus dem seine intensive Neigung zu Gewalttaten erwachse. Entsprechend seien sowohl der Mordversuch als auch der Totschlag zum Nachteil seiner Ehefrau als Ausfluss dieses Hanges und damit als Symptomtaten anzusehen. Für den Totschlag gelte dies auch in Ansehung des Umstands, dass er Züge einer Affekttat trage.
- 9
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bb) Die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 3 StGB (in Verbindung mit § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB) seien erfüllt. Der Rückgriff auf diese Vorschrift sei zulässig, obwohl sie im Zeitpunkt der Anlasstat noch nicht gegolten habe, weil es auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über die nachträgliche Sicherungsverwahrung ankomme. Dass § 66 Abs. 3 StGB erst nach der Verurteilung des Beschwerdeführers in Kraft getreten sei, rechtfertige gemäß § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB auch die Berücksichtigung von Tatsachen, die bereits im Zeitpunkt der Verurteilung erkennbar gewesen seien. Damals sei die Anordnung der Sicherungsverwahrung aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht gekommen, weil die Voraussetzungen für eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 und 2 StGB nicht vorgelegen hätten.
- 10
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cc) Im Rahmen ihres Ermessensspielraums berücksichtigte die Kammer, dass von der nachträglichen Sicherungsverwahrung nur sparsam Gebrauch zu machen und "das Fehlen jeglicher Behandlungsmaßnahmen während des Vollzugs durch die teilweise beklagenswerten Umstände in den brandenburgischen Justizvollzugsanstalten jedenfalls begünstigt worden" sei. Auf der anderen Seite sei zu berücksichtigen gewesen, dass es sich bei Anlass- und Vortat um schwerste Straftaten handle und keine milderen Maßnahmen - etwa im Rahmen der Führungsaufsicht - erkennbar seien, mit denen die Allgemeinheit in ausreichendem Maße vor der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers geschützt werden könne.
- 11
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b) Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision des Beschwerdeführers mit Urteil vom 27. Oktober 2009 als unbegründet. Das Landgericht habe die formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB ebenso rechtsfehlerfrei bejaht wie es einen Hang des Beschwerdeführers zur Begehung schwerer Straftaten sowie dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit festgestellt und die Anwendbarkeit sowie die sachlichen Voraussetzungen von § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB zutreffend angenommen habe. Die aus Verhältnismäßigkeitsgründen gebotene restriktive Anwendung von § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB sei innerhalb des Anwendungsbereichs nach Gefährlichkeitsgesichtspunkten vorzunehmen; nach zwei schweren Kapitalverbrechen lägen die entsprechenden Voraussetzungen vor.
- 12
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c) Mit Beschluss vom 26. November 2009 wies der Bundesgerichtshof die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers als unbegründet zurück.
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III.
- 13
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Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG. Die Auslegung von § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB dahin, dass die Norm auch Verurteilungen wegen solcher Taten umfasse, die zwar heute die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 StGB erfüllen würden, jedoch vor dessen Inkrafttreten am 31. Januar 1998 begangen und vor Einführung von § 66b StGB am 29. Juli 2004 abgeurteilt worden seien, sei mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Ausnahmecharakter der Vorschrift nicht zu vereinbaren und trage dem Vertrauensschutz nicht Rechnung. Ferner habe das Landgericht weder eine Hangtäterschaft noch eine gegenwärtige Gefahr einschlägiger Rückfallstraftaten ausreichend belegt; Feststellungen zur Rückfallgeschwindigkeit fehlten völlig. Das Gericht habe keine eigene Gesamtbewertung des Beschwerdeführers vorgenommen, sondern sich nur den Ausführungen der Sachverständigen angeschlossen, ohne zwischen den beiden Gutachten bestehende Widersprüche aufzulösen. Zudem verstoße die auf § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen das Rückwirkungsverbot und sei unverhältnismäßig. Die Anwendung eines milderen Mittels sei nicht geprüft, sondern pauschal abgelehnt worden.
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IV.
- 14
-
Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands, der Deutsche Richterbund und der Deutsche Anwaltverein geäußert. Der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, die Regierungen der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Niedersachsen sowie der Bundesgerichtshof und der Generalbundesanwalt haben mitgeteilt, von einer Stellungnahme abzusehen.
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B.
- 15
-
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
- 16
-
Die auf § 66b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (BGBl I S. 513) gestützte nachträgliche Anordnung seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verletzt die Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
-
I.
- 17
-
Das Bundesverfassungsgericht hat - neben den anderen Vorschriften über Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung - auch § 66b Abs. 1 StGB in der hier maßgeblichen Fassung wegen Verstoßes gegen das Abstandsgebot für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG erklärt (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u. a. -, juris). Zugleich hat es gemäß § 35 BVerfGG die Weitergeltung der Norm bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013, angeordnet. Danach darf § 66b Abs. 1 StGB während seiner Fortgeltung nur nach Maßgabe einer - insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter - strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden.
- 18
-
1. Die Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung wird in der Regel nur unter der Voraussetzung gewahrt sein, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG, a.a.O., Rn. 172). Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung haben die Fachgerichte die Möglichkeiten einer Führungsaufsicht auszuloten und sich damit auseinanderzusetzen, ob und inwieweit der Gefährlichkeitsgrad des Betroffenen hierüber reduziert werden kann (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 176).
- 19
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2. Soweit darüber hinaus ein nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG schutzwürdiges Vertrauen auf ein Unterbleiben der Anordnung einer Sicherungsverwahrung beeinträchtigt wird, ist dies angesichts des damit verbundenen Eingriffs in das Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verfassungsrechtlich nur nach Maßgabe strikter Verhältnismäßigkeitsprüfung und zum Schutz höchster Verfassungsgüter zulässig. Das Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange wird dabei durch die Wertungen von Art. 5 und Art. 7 EMRK verstärkt. Der mit einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung verbundene Eingriff in das Vertrauen des Betroffenen auf das Unterbleiben seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung kann deshalb nur noch dann als verhältnismäßig angesehen werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK erfüllt sind (BVerfG, a.a.O., Rn. 131 ff.). Da die Bestimmung der Voraussetzungen einer psychischen Störung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK in erster Linie dem Gesetzgeber obliegt, ist während der Weitergeltung der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung bis zu einer Neuregelung insoweit auf das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz - ThUG) zurückzugreifen (BVerfG, a.a.O., Rn. 173).
- 20
-
Die Gerichte sind bis zu einer Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung gehalten, über die in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (Nummer III. 2. Buchstabe a des Tenors) genannten Fälle hinaus auch in den Fallkonstellationen, in denen die Anwendung einer Norm wie hier des § 66b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB nach Maßgabe der Urteilsgründe (a.a.O., Rn. 132 ff.) auch in grundrechtlich geschütztes, durch die Wertungen von Art. 5 und 7 EMRK gestärktes Vertrauen eingreift, die Sicherungsverwahrung nur noch dann anzuordnen oder aufrechtzuerhalten, wenn die genannten erhöhten Verhältnismäßigkeitsanforderungen erfüllt sind.
- 21
-
3. § 66b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB ermöglicht eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gerade für solche Fälle, in denen zum Zeitpunkt der Verurteilung des Betroffenen wegen der Anlasstat aus Rechtsgründen eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht kam, weil die betreffenden Anlasstaten vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I S. 160) geschaffenen § 66 Abs. 3 StGB begangen und vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung am 29. Juli 2004 (mit dem der vorherige Art. 1a Abs. 2 EGStGB gestrichen wurde) abgeurteilt wurden. Damit greift die Norm in das Vertrauen des Betroffenen auf ein Unterbleiben seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ein. Eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung darf daher auf der Grundlage von § 66b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (BGBl I S. 513) in diesen Fällen nur noch dann ausgesprochen werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz - ThUG) leidet (vgl. BVerfG, a.a.O., Nummer III. 2. Buchstabe a des Tenors).
-
II.
- 22
-
Die angefochtenen Urteile verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Sie sind daher aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
- 23
-
Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung genügt den Anforderungen nicht, die sich für eine verfassungsgemäße Entscheidung auf der Grundlage der weiter geltenden Vorschrift des § 66b Abs. 1 StGB aus den Maßgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 ergeben. Die Gerichte haben nicht geprüft, ob hiernach noch eine nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung zulässig ist. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Fachgerichte im Zeitpunkt ihrer jeweiligen Entscheidung weder das Kammerurteil der 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (Beschwerde-Nr. 19359/04, M. ./. Deutschland) noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 berücksichtigen konnten, weil beide Entscheidungen noch nicht ergangen waren. Für die Feststellung einer Grundrechtsverletzung kommt es allein auf die objektive Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Urteile im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an; unerheblich ist hingegen, ob die Grundrechtsverletzung den Fachgerichten vorwerfbar ist (BVerfG, a.a.O., Rn. 175). Das Landgericht wird deshalb nach den Maßgaben der vom Senat in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 nach § 35 BVerfGG getroffenen Übergangsregelung (Nummer III. 2. des Tenors) erneut über eine nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung zu befinden oder dessen Freilassung gegebenenfalls unter Auflagen zu verfügen haben.
-
C.
- 24
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Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfGE 101, 106 <132>; 104, 357 <358>; 105, 135 <136>). Die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Betroffenen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
- 1
- Das Landgericht hat die nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung (§ 66b Abs. 1 StGB) abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, die von der Bundesanwaltschaft nicht vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.
I.
- 2
- Verurteilte Der war durch das Landgericht Frankfurt (Oder) am 22. Februar 2000 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, begangen am 27. April 1998 und am 6. August 1999, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten sowie – infolge der Zäsurwirkung einer weiteren Verurteilung – zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. In dem damaligen Verfahren war der Verurteilte im Wesentlichen geständig. Eine Begutachtung durch einen psychiatrischen Sachverständigen erfolgte nicht.
- 3
- Die Strafhaft wegen der Anlassverurteilung endete am 5. März 2005. Nach der Verbüßung einer sich anschließenden Ersatzfreiheitsstrafe wurde der Verurteilte am 24. März 2005 aus der Haft entlassen. Seitdem wohnt er bei seinen Eltern. Vier Tage in der Woche ist er „auswärts auf Montage“. Er hält regelmäßig Kontakt zu seinem Bewährungshelfer, der im Rahmen der Führungsaufsicht bestellt worden ist.
- 4
- Die beiden eingeholten psychiatrischen Gutachten kommen zum Ergebnis , dass der Verurteilte ausgeprägte dissoziale Merkmale wie fehlende Empathie, Rücksichtslosigkeit, kriminelle Vielseitigkeit, hohe Selbstbezogenheit , Omnipotenzfantasien und nachhaltige Kränkbarkeit aufweise. Es sei nicht erkennbar, dass es während der Haft zu einer positiven Veränderung bei dem Verurteilten gekommen sei. Er habe es trotz seines 13-monatigen Aufenthalts in der sozialtherapeuthischen Abteilung der Haftanstalt abgelehnt , eine Therapievereinbarung zu unterschreiben, und habe deshalb in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt werden müssen. Insgesamt sei aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur von einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit auszugehen.
- 5
- Das Landgericht hat die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt, weil während des Vollzuges keine wesentlichen Änderungen eingetreten seien, die als „neue Tatsachen“ im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB zu beurteilen wären.
II.
- 6
- Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
- 7
- von Die den Sachverständigen festgestellten Persönlichkeitsdefizite des Verurteilten sind keine „neuen Tatsachen“ im Sinne von § 66b Abs. 1 StGB.
- 8
- „Neue Tatsachen“ der in § 66b StGB genannten Art sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzugs der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind (vgl. BGHSt 50, 180, 187; BGH NJW 2006, 1442, 1444). Ob diese Tatsachen bereits im Ausgangs- oder einem früheren Verfahren Grundlage einer sachverständigen Bewertung waren, ist ohne Belang (vgl. BGH NStZ 2006, 276, 278). Maßgeblich ist nicht die neue oder – wie hier – sogar erstmalige Bewertung von Tatsachen. Entscheidend ist vielmehr, ob die dieser Bewertung zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Aburteilung oder der letzten Möglichkeit Sicherungsverwahrung anzuordnen, bereits vorlagen und bekannt oder erkennbar waren (vgl. BGHSt 50, 275, 278; BGH NJW 2006, 1442, 1444).
- 9
- Hierzu hat die Bundesanwaltschaft im Terminsantrag vom 18. April 2006 zutreffend ausgeführt:
- 10
- von „Die den Gutachtern getroffenen Schlussfolgerungen beruhen nicht auf konkreten ‚neuen’ Anknüpfungstatsachen. Vielmehr belegen die Sachverhalte, die der Verurteilung vom 22. Februar 2000 zugrunde lagen, dass die nunmehr festgestellten Persönlichkeitsdefizite des Betroffenen und sein Gefährlichkeitspotenzial bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung vorgelegen haben und erkennbar waren. Hierfür spricht insbesondere die offensichtliche Steigerung seiner Gewaltbereitschaft bei Begehung der Taten innerhalb von knapp eineinhalb Jahren.“
- 11
- Zu Recht hat die Strafkammer es für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung auch nicht für ausreichend erachtet, dass sich der Verurteilte letztlich geweigert hat, eine Therapievereinbarung zu unterschreiben. Zwar kann die Verweigerung oder der Abbruch einer Therapie grundsätzlich zu den in § 66b Abs. 1 StGB genannten „neuen Tatsachen“ gehören (vgl. BGHSt 50, 121, 126; 275, 280 f.), auch wenn dieser Umstand allein für die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung grund- sätzlich nicht genügt (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 13; BGHSt 50, 121, 126 f.). Die Therapieverweigerung kann allerdings nur dann als berücksichtigungsfähige „neue Tatsache“ angesehen werden, wenn das Ursprungsgericht zum Zeitpunkt seiner Verurteilung begründet annehmen konnte, der Verurteilte werde sich im Vollzug einer erfolgversprechenden Therapie unterziehen (vgl. BGHSt 50, 275, 281; BGH, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 4 StR 393/05). Hiervon kann im vorliegenden Fall jedoch nicht ausgegangen werden, weil die Frage der Therapiewilligkeit im Urteil vom 22. Februar 2000 nicht erörtert worden ist, so dass eine grundlegende nachträgliche Haltungsänderung nicht erkennbar ist (vgl. hierzu BGHSt 50, 275, 280 f.; BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 1 StR 482/05). Im Übrigen beruhte die Weigerung des Verurteilten nicht auf einer generellen Ablehnung therapeutischer Maßnahmen, sondern auf – jedenfalls aus Sicht eines Strafgefangenen nicht einmal unverständlichen – taktischen Erwägungen; denn im Hinblick auf die vorgesehene Dauer einer solchen Therapie befürchtete er, die Chance einer vorzeitigen Entlassung aus der Strafhaft zu verlieren.
- 12
- Da somit „neue Tatsachen“ im Sinne von § 66b Abs. 1 StGB nicht vorliegen , ist es unerheblich, dass die Strafkammer abweichend von der Auffassung der Sachverständigen eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit verneint hat. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass sie in diesem Zusammenhang auch die als positiv zu bewertende Lebensführung des Verurteilten nach seiner Entlassung in ihre Erwägungen einbezogen hat.
BUNDESGERICHTSHOF
(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn
- 1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird, - 2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und - 3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.
(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn
- 1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird, - 2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und - 3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.
(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn
- 1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird, - 2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und - 3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.
(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn
- 1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird, - 2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und - 3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.
(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn
- 1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und - 2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.
(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn
- 1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird, - 2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und - 3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.
(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn
- 1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird, - 2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und - 3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.
(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.