Bundesgerichtshof Urteil, 21. März 2017 - 1 StR 486/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:210317U1STR486.16.0
bei uns veröffentlicht am21.03.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 486/16
vom
21. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:210317U1STR486.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. März 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof Bellay, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Dr. Bär,
Staatsanwalt – in der Verhandlung –, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung – als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter des Nebenklägers,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Ellwangen (Jagst) vom 28. Juni 2016 wird verworfen.
Der Revisionsführer hat die durch sein Rechtsmittel verursachten Kosten und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Wegen eines weiteren Vorwurfs der vorsätzlichen Körperverletzung hat es den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Es hat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Soweit dem Angeklagten die Begehung einer gefährlichen Körperverletzung zu Lasten des Nebenklägers vorgeworfen worden ist, hat das Landgericht ihn wegen einer nicht ausschließbaren Notwehrlage freigesprochen. Gegen diesen Teilfreispruch wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf eine Verfahrens - und die Sachrüge gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen und Wertungen des Landgerichts versetzte der Angeklagte am 27. November 2015 seinem Bekannten, den er lästig fand, einen Kopfstoß, wodurch dieser Verletzungen erlitt. Am 5. Januar 2016 bedrohte er einen Polizeibeamten auf dem Amtsgerichtsflur mit der Erschießung. Bei beiden Taten war er aufgrund einer organischen Persönlichkeitsstörung infolge einer frühkindlichen Hirnschädigung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert. Am 4. Januar 2016 machte er seiner Mutter unzutreffende Vorwürfe , zog sie an den Haaren und drückte sie so gegen eine Tür, dass diese stürzte und mit dem Hinterkopf auf dem Boden aufschlug, wodurch eine Platzwunde entstand. Er kniete sich neben seine am Boden liegende Mutter und drückte mit beiden Händen mindestens 30 Sekunden ihren Hals zu, so dass diese keine Luft mehr bekam. Bei dieser Tat war aufgrund einer wahnhaften Verkennung der Situation nicht auszuschließen, dass seine Unrechtseinsicht aufgehoben war. Diese Taten hat der Angeklagte eingeräumt.
3
Aus Anlass dieser Taten hat das Landgericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.
4
2. a) Darüber hinaus war dem Angeklagten vorgeworfen worden, am Abend des 28. November 2015 mit einem geöffneten Klappmesser auf den Nebenkläger losgegangen zu sein. Der Nebenkläger habe zur Abwehr den linken Arm vor den Körper gehoben, sei deshalb an der linken Hand getroffen worden und habe dort eine Durchtrennung von Muskelfasern und Sehnen erlitten. Erst als der Angeklagte nicht von dem Nebenkläger abgelassen habe, habe dieser letztlich eine Bierflasche genommen und nach dem Angeklagten geworfen , um dessen Angriff zu beenden, wodurch er den Angeklagten an der linken Schläfe verletzt habe.
5
b) In einem vom Landgericht mit Feststellungen zum Sachverhalt bezeichneten Abschnitt ist Folgendes ausgeführt:
6
Am Abend des 28. November 2015 traf der Nebenkläger vor seinem Hauseingang auf den alkoholisierten Angeklagten. Aus unklarem Anlass gerieten beide in Streit, in dessen Verlauf der Angeklagte den Nebenkläger als „Wichser“ bezeichnete. Im Rahmen der plötzlich auch körperlich geführten Auseinandersetzung wurde der Angeklagte an der Schläfe verletzt und erlitt eine blutende Wunde. Diese resultierte daraus, dass der Nebenkläger mit einer mitgeführten Bierflasche zuschlug oder mit ihr nach dem Angeklagten warf. Der Angeklagte zog sein Klappmesser hervor, öffnete dies und führte es in Richtung des Nebenklägers. Dieser hob zur Abwehr den linken Arm vor den Körper, so dass er von dem Messer an der linken Hand getroffen wurde, wodurch Muskelfasern und Sehnen durchtrennt wurden.
7
„Offen blieb“, ob der Angeklagte zuerst mit dem Messer den Nebenklä- ger verletzte, dieser dann mit der Bierflasche den Angeklagten verletzte oder ob umgekehrt zunächst der Angeklagte mit einem Wurf oder Schlag mit der Bierflasche durch den Nebenkläger verletzt wurde und sodann der Angeklagte das Messer gegen den Nebenkläger führte. „Möglicherweise“ war es der Ne- benkläger, welcher mit der Bierflasche in der Hand gegen die Schläfe des Angeklagten schlug und diesen erheblich verletzte, wogegen sich der Angeklagte unmittelbar wehrte – weil der Nebenkläger noch den Flaschenhals in Händen hielt und ihn weiter attackieren wollte –, indem er das Messer hervorzog, um sich gegen diesen fortdauernden Angriff zu verteidigen.
8
c) Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht ausgeführt, aufgrund der Beweislage nicht ausschließen zu können, dass der Nebenkläger den Angeklagten zuerst angegriffen habe, wogegen sich der Angeklagte im Rahmen eines dynamischen Geschehens unmittelbar mit dem Messer zur Wehr gesetzt habe, um den Angriff und ein Nachsetzen des Nebenklägers mit dem noch in der Hand gehaltenen Flaschenhals zu verhindern. Die dahingehende Einlassung des Angeklagten wertete es als schlüssig, widerspruchsfrei und zu den übrigen Beweisergebnissen – mit Ausnahme der Angaben des Nebenklägers – passend. Der Angeklagte hatte angegeben, den ihm bekannten Nebenkläger im Rahmen einer Unterhaltung gefragt zu haben, wo er etwas zum Rauchen herbekomme, woraufhin dieser ihn als Schmarotzer beschimpft habe. Es habe sich dann ein Streit entwickelt. Der Nebenkläger sei „ausgetickt“ und habe ihm eine Ohrfeige gegeben, weswegen er ihn als „Wichser“ be- schimpft habe. Daraufhin habe der Nebenkläger ihm die Flasche auf die Schläfe gehauen, diese sei dabei zu Bruch gegangen. Er habe nicht genau gesehen, ob der Nebenkläger noch etwas in der Hand halte, habe dies aber „für möglich gehalten“. Aus „Angst“, dass der Nebenkläger ihm nun „den Flaschenhals reinramme“ , habe er sein Messer herausgeholt und eine Stechbewegung gemacht.
9
Die Angaben des Nebenklägers erachtete das Landgericht hingegen für nicht glaubhaft. Dieser schilderte, dass der Angeklagte ihn zuerst übel beschimpft habe. Daraufhin habe er den Angeklagten aus dem Hausflur schieben wollen, als dieser das Messer herausgeholt habe. Der Angeklagte habe eine drohende Haltung mit dem schnell geöffneten Springmesser eingenommen und die Klinge in seine – des Nebenklägers – Richtung gehalten. Er habe betont, seine Ruhe haben zu wollen. Der Angeklagte sei auf ihn zugegangen und habe mit dem Messer in Richtung seines Oberkörpers gestochen. Durch das Heben seines Arms habe er den Stich abgewehrt. Der Angeklagte habe einen Schritt auf ihn zu gemacht, und er habe nun aus Angst die Bierflasche in Richtung des Angeklagten geworfen. Dieser habe zu dem Zeitpunkt zwei oder drei Meter entfernt gestanden und sei am Rücken getroffen worden.

II.

10
Soweit der Nebenkläger die Verletzung der Aufklärungspflicht bean- standet, da es „möglich gewesen“ wäre, durch ein medizinisches Sachverstän- digengutachten festzustellen, „ob die vom Angeklagten behauptete Verletzung überhaupt von einem Schlag mit einer Bierflasche auf die Schläfe, also einem Weichteil, herrühren und dabei diese Flasche zu Bruch gehen kann“, genügt die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Denn es wird nicht mit der erforderlichen inhaltlichen Bestimmtheit behauptet, welches Ergebnis die unterbliebene Beweiserhebung erbracht hätte (vgl. BGH, Urteile vom 23. August 1988 – 5 StR 157/88, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 1 und vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 223/15, NStZ 2016, 721, 723).

III.

11
Die auf die Sachrüge veranlasste revisionsrechtliche Prüfung des Freispruchs von der vorgeworfenen gefährlichen Körperverletzung zu Lasten des Nebenklägers zeigt keinen Rechtsfehler auf.
12
1. Die angefochtene Entscheidung genügt noch den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil.
13
Das Tatgericht ist gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO aus sachlichrechtlichen Gründen verpflichtet, all das festzustellen und darzulegen, was für die Beurteilung des Tatvorwurfs relevant und zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler notwendig ist. Dazu gehört bei einem Freispruch aus Notwehr auch, dass deren Voraussetzungen in revisionsrechtlich nachprüfbarer Weise dargelegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, BGHSt 52, 314 und vom 13. November 2008 – 5 StR 384/08, NStZ-RR 2009, 70). Die Begründung muss im Hinblick auf den der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegten Sachverhalt so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatgericht bei der Ermittlung dieses Sachverhalts Rechtsfehler unterlaufen sind, das heißt, ob die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, ob sie gegen Denkgesetze verstößt oder ob das Tatgericht an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 10. August 1994 – 3 StR 705/93, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10 mwN; vom 11. Februar 2014 – 1 StR 485/13, BGHSt 59, 177 und vom 27. November 2014 – 3 StR 334/14).
14
Diesen Anforderungen genügt das Urteil noch. Zwar lässt sich dem Abschnitt zu den Feststellungen für sich genommen der Geschehensablauf wie er der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt worden ist, nicht in der erforderlichen Bestimmtheit entnehmen. Da aber die schriftlichen Urteilsgründe eine Einheit bilden, deren tatsächliche Angaben auch dann berücksichtigt werden müssen, wenn sie sich in verschiedenen und dabei auch in solchen Zusammenhängen befinden, in denen sie nach dem üblichen Urteilsaufbau nicht erwartet werden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 1987 – 1 StR 110/87, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1, Feststellungen 1 – Zusammenhang der Urteilsgründe; Beschluss vom 5. Dezember 2008 – 2 StR 424/08), kann für die vollständige tatsächliche Grundlage der Entscheidung auch auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Würdigung zurückgegriffen werden. Dort hat das Landgericht klar und widerspruchsfrei ausgeführt, die Einlassung des Angeklagten nicht widerlegen zu können, der Nebenkläger habe ihn zunächst mit der Bierflasche gegen den Kopf geschlagen und er habe dann das Messer gegen weitere befürchtete Angriffe durch den zu einer weiteren Attacke bereiten Nebenkläger mittels des Flaschenhalses eingesetzt. Danach ergibt sich eindeutig, dass das Landgericht von dem Sachverhalt ausgegangen ist, wie er in dem feststellenden Teil mit „möglicherweise“ eingeleitet wird. Weiter ergeben die Urteilsgründe mit der erforderlichen Klarheit und Widerspruchsfreiheit , dass das Landgericht der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt hat, dass der erste Angriff durch den Nebenkläger erfolgte und dass die Abwehrhandlung sich im Rahmen eines in hohem Maße dynamischen und in Sekundenbruchteilen ablaufenden Geschehens ohne Zäsur ereignete.
15
Dies erlaubt dem Revisionsgericht in ausreichender Weise, einen bestimmten , widerspruchsfreien Sachverhalt seiner rechtlichen Überprüfung zu Grunde zu legen. Die Begründung für die Ermittlung dieses Sachverhalts lässt sich den Urteilsgründen auch eindeutig entnehmen. Damit ist eine revisionsrechtliche Nachprüfung des Schuldspruchs möglich und dementsprechend den Darlegungsanforderungen genügt.
16
2. Die Beweiswürdigung zeigt keinen Rechtsfehler auf.
17
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich insoweit darauf, ob dem Tatgericht bei der ihm obliegenden Feststellung und Würdigung des Ergebnisses der Hauptverhandlung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Urteilsgründe widersprüchlich, unklar oder lückenhaft sind oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoßen oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 11. November 2015 – 1 StR 235/15, NStZ-RR 2016, 47 mwN und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16).
18
b) Derartige Mängel zeigt das Urteil nicht auf.
19
aa) Das Landgericht hat dem Nebenkläger wegen seines Aussageverhaltens nicht geglaubt. Diese Würdigung hat eine tragfähige Grundlage, wie sich aus der Darlegung der Entwicklung des Aussageverhaltens des Nebenklägers ergibt. Danach hat dieser gegenüber dem noch am Tatort ermittelnden Polizeibeamten weder Angaben zum genauen Tatgeschehen noch zur Vorgeschichte gemacht. Eine von diesem eingesetzte Bierflasche fand dabei keine Erwähnung. Das gilt auch für die erste schriftliche, über den Rechtsanwalt erfolgte Einlassung. Es ist nachvollziehbar, dass das Landgericht vor diesem Hintergrund seine späteren Angaben, in denen er die Bierflasche als Abwehrmittel gegen den Angriff des Angeklagten dargestellt hat, als dem objektiven Beweisertrag – Verletzung des Angeklagten und Scherbenfeld am Tatort – angepasst gewertet hat. Es hat zudem berücksichtigt, dass die derart angepassten Angaben sich letztlich nicht mit der konkreten Art der Verletzung des Angeklagten und den Angaben des unbeteiligten Zeugen H. in Übereinstimmung bringen ließen, wonach die beiden Kontrahenten nahe beieinander gestanden hätten, als die Flasche geborsten sei. Dass es danach den Sachverhalt nicht wie vom Nebenkläger geschildert festgestellt hat, ist nach den dargelegten Grundsätzen nicht zu beanstanden.
20
bb) Anders als vom Generalbundesanwalt vertreten, ist nicht zu besorgen , dass das Landgericht verkannt haben könnte, dass Einlassungen, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegbar hinzunehmen und den Feststellungen zugrunde zu legen sind (vgl. nur BGH, Urteile vom 23. August 1977 – 1 StR 159/77, JZ 1978, 762 und vom 7. September 2016 – 2 StR 101/16). Das Tatgericht hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber entschieden und ist zu dem begründeten Ergebnis gelangt, dass die Angaben des Angeklagten geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die den Angeklagten über seine Einlassung hinaus allein belastenden Angaben des Nebenklägers als unglaubhaft angesehen worden sind. Zum anderen folgt dies aus der Bewertung der Einlassung als schlüssig, widerspruchsfrei und durch das übrige Beweisergebnis – wie die von Dritten wahrgenommene blutende Verletzung an der Schläfe – bestätigt. In die diesbezügliche Überzeugungsbildung sind auch von dem konkreten Tatgeschehen losgelöste Indizien einbezogen worden, wie die Neigung des Angeklagten zu Aggressionsdelikten.
21
cc) Dass der Schluss des Landgerichts, wonach eine Attacke durch den Nebenkläger mit dem Flaschenhals unmittelbar bevorstand, sich von einer tragfähigen Tatsachengrundlage entferne und sich in einer bloßen Vermutung erschöpfe , wie es der Generalbundesanwalt vertritt, ist angesichts der dahin gehenden ausdrücklichen Einlassung des Angeklagten, die das Landgericht dieser Feststellung zugrunde gelegt hat, unter keinem Aspekt zu besorgen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einlassung des Angeklagten, anders als die ursprünglichen Angaben des Nebenklägers, im Einklang mit dem am Tatort festgestellten Scherbenbild steht. Allein seine Schilderung des Geschehens lässt sich auch mit den Angaben des unbeteiligten Zeugen H. in Übereinstimmung bringen, wonach beide Kontrahenten nah beieinander gestanden hätten, als die Flasche geborsten sei.
22
dd) Die Beweiswürdigung ist auch nicht lückenhaft. Das Landgericht hat vielmehr die wesentlichen für die Entscheidungsfindung bedeutsamen Gesichtspunkte erörtert und diese auch im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 6. Februar 2002 – 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188, 2189 und vom 2. Dezember 2015 – 1 StR 292/15, NStZ-RR 2016, 150) abgewogen.
23
Soweit die Revision eine Auseinandersetzung damit vermisst, dass der Polizeibeamte, der die Wunde des Angeklagten an der Schläfe gesehen hat, diese als eher von einem Schnitt als von einer Platzwunde herrührend beschrieben hat, zeigt dies keine Lücke auf. Dies gilt schon deswegen, weil nach dem vom Landgericht zugrunde gelegten Sachverhalt die Verletzung des Angeklagten von der zersplitternden, mithin Schnittverletzungen ermöglichenden Flasche verursacht worden ist. Der Fund von Scherben vor der Haustür lässt sich ohne weitere Erörterungen mit den Feststellungen des Landgerichts vereinbaren , wonach sich die Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger „kurzzeitig“ im Hausflur, sodann aber wieder vor der Haustür ereignet hat. Selbst der Nebenkläger schildert den Einsatz der Flasche durch ihn im Bereich vor der Haustür. Das Landgericht hat ausdrücklich auch die Neigung des Angeklagten zu Aggressionstaten in die Gesamtwürdigung eingestellt.
24
Zwar ist der Revision darin Recht zu geben, dass sich das Landgericht nicht mehr ausdrücklich damit auseinandergesetzt hat, dass der unbeteiligte Zeuge H. unmittelbar nach dem Geschehen bei dem Angeklagten keine Verletzung wahrgenommen hat. Es ist aber nicht zu besorgen, dass es dies aus dem Blick verloren haben könnte. Denn ausweislich der Urteilsgründe hat es diesen Umstand vom Zeugen erfragt und als Beweisertrag dargestellt. Angesichts der unklaren Sichtverhältnisse des Zeugen begründet es zudem keinen revisionsrechtlich beachtlichen Mangel der Beweiswürdigung, dass das Landgericht nicht eine Selbstverletzung durch den Angeklagten im Nachgang zum Tatgeschehen erörtert hat. Soweit auch der Nebenkläger keine Verletzung des Angeklagten gesehen haben will, ist dies demgegenüber unbeachtlich, da dessen Angaben als unglaubhaft bewertet worden sind.
25
ee) Anders als der Generalbundesanwalt besorgt der Senat nicht, das Landgericht habe überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt. Zwar ist insoweit zuzugeben, dass die Urteilsgründe unangebracht häufig auf die Nichtwiderlegbarkeit bzw. die Nichtausschließbarkeit abstellen. Hierdurch wollte das Landgericht allerdings nur auf die Anwendung des Zweifelsgrundsatzes hinweisen, offenbart dadurch aber keinen falschen Maßstab für die richterliche Überzeugungsbildung.
26
3. Die Würdigung als gerechtfertigte Verteidigung gegenüber einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff hat Bestand.
27
a) Ersichtlich ist das Landgericht unter Anwendung des Zweifelssatzes vom Vorliegen eines gegenwärtigen Angriffs im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB ausgegangen.
28
aa) Gegenwärtig in diesem Sinne kann auch ein Verhalten sein, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; Urteil vom 24. November 2016 – 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38 mwN). Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153; Beschluss vom 25. Januar 2017 – 1 StR 588/16). Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlichen oder unverändert fortdauernden) Rechtsgutverletzung (vgl. BGH, Urteile vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203; vom 9. August 2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153 und vom 24. November 2016 – 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38; Beschluss vom 25. Januar 2017 – 1 StR 588/16; siehe auch Beschluss vom 28. Oktober 2015 – 5 StR 397/15, JuS 2016, 562).
29
bb) Das Landgericht vermochte nicht zu klären, ob tatsächlich vondem Nebenkläger ein Angriff bevorstand. Es ist daher unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit ausgegangen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 26. August 2004 – 4 StR 236/04, NStZ 2005, 85), nämlich dass ein „Angriff und ein Nachsetzen“ des Nebenklägers „mit dem von ihm noch in der Hand gehaltenen Flaschenhals“ unmittelbar be- vorstand. Danach war der rechtlichen Wertung eine objektiv bestehende Notwehrlage zugrunde zu legen. Das unterscheidet den Sachverhalt von der Fallgestaltung , die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. August 1977 (1 StR 159/77) zugrunde lag und auf die sich der Generalbundesanwalt stützt, die sich aber auf die Voraussetzungen eines Erlaubnistatbestandsirrtums bzw. eines Erlaubnis-(Verbots)irrtums bezieht.
30
b) Eine Einschränkung des Notwehrrechts wegen eines sozialethisch zu missbilligenden vorwerfbaren Vorverhaltens des Angeklagten ergibt sich nicht. Hierbei war zu berücksichtigen, dass nach dem als festgestellt beschriebenen Sachverhalt der Angeklagte den Nebenkläger im Rahmen einer bereits andau- ernden wechselseitigen Auseinandersetzung „Wichser“ genannt hat. Nach der ausweislich der Urteilsgründe nicht widerlegten Einlassung des Angeklagten erfolgte diese Äußerung erst als Reaktion auf eine Ohrfeige des Nebenklägers. Außerdem würde eine solche Äußerung in der konkreten Situation auch nicht zu einer Einschränkung des Notwehrrechts gegenüber dem mittels eines abgebrochenen Flaschenhalses unmittelbar drohenden Angriff führen. Denn zumut- bare Möglichkeiten, dem Angriff auszuweichen oder sich zurückhaltender zu verteidigen, sind nach der Tatsachengrundlage, wonach es sich um ein in Sekundenbruchteilen ablaufendes Geschehen ohne Gelegenheit zum Nachdenken für den Angeklagten gehandelt hat, nicht erkennbar (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 1989 – 4 StR 2/89, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 4; Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139).
31
c) Nach dem der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegtenSachverhalt handelte der Angeklagte, um sich gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff zu verteidigen. Dies wird durch seine Angabe, er habe „aus Angst, dass M. ihm den Flaschenhals reinramme“, sein Messer herausgeholt und eine Stechbewegung gemacht, ausreichend belegt. Da der Angeklagte infolgedessen mit Verteidigungswillen handelte, kommt es entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht darauf an, dass der Angeklagte einen weiteren An- griff nur „für möglich gehalten“ hat(vgl. nur BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 199/15, NStZ 2016, 333 mwN). Raum Bellay Cirener Radtke Bär

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Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 25. Feb. 2019 - 110 Ss 6/19

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Gründe Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angekl. ergeben (§ 349 II StPO). Ergänzend bemerkt der Senat: 1. Der Schuldspruch wegen Urkundenfälschung ist im Ergebnis nicht zu

BGH 1 StR 199/17

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Tenor 1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13. Dezember 2016 wird verworfen.

Referenzen

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 223/15
vom
3. Dezember 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Dezember
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenkläger-Vertreter – in der Verhandlung –,
die Nebenkläger in Person – in der Verhandlung –,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 15. Januar 2015 – mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung – mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Angeklagte hat die im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Neben- und Adhäsionskläger zu tragen; im Übrigen wird von der Auferlegung von Kosten und Auslagen abgesehen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Totschlags zu der einheitlichen Jugendstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten , die mit mehreren Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge begründet ist. Die Nebenkläger wenden sich mit ihren auf die Sachbeschwerde gestützten Revisionen gegen die Verurteilung wegen tatmehrheitlich begange- nen Totschlags und erstreben insoweit eine Verurteilung wegen Mordes. Während die Rechtsmittel der Nebenkläger durchdringen, erweist sich die Revision des Angeklagten als unbegründet.

I.


2
Nach den Feststellungen waren der zur Tatzeit 19-jährige Angeklagte und sein langjähriger, zwei Jahre jüngerer Freund, das spätere TatopferL. M. , am Abend des Tattags mit dem Fahrzeug des Angeklagtenunterwegs. Nachdem sie beim Autohof G. etwas gegessen hatten und sodann inder Umgebung herumgefahren waren, bogen sie von der Landstraße in einen Feldweg ab und hielten dort zunächst an einer Scheune an, um nachzusehen, was sich in der Scheune befand. Anschließend setzten sie ihre Fahrt über die Feldwege fort, bis sie an einer weiteren Scheune erneut anhielten. Beide stiegen aus und gingen zu der Längsseite der Scheune, an der sich ein großes, massives und verschlossenes Tor befand. Möglicherweise versuchte der Angeklagte mit einer mitgebrachten Metallstange ein Brett des Scheunentors beiseitezuschieben , während L. M. sich fortwährend mit seinem Mobiltelefon beschäftigte. Möglich ist auch, dass sich zwischen beiden eine kurze verbale Auseinandersetzung entwickelte, in deren Verlauf der Angeklagte seinem Freund vorhielt, dass es keinen Sinn mache, etwas zu schreiben, da die Mäd- chen ihn sowieso nicht wollten und ihn ständig „verarschten“, worauf L. M. entgegnete, dass der Angeklagte derjenige sei, der überhaupt nichts geregelt und für sein Alter „kein Mädchen an den Start bekomme“. Des Weiteren be- zeichnete L. M. den Angeklagten nicht ausschließbar als „armes Würst- chen“, was den Angeklagten verletzte. Zu darüber hinausgehenden Aggressivi- täten oder gar einer körperlichen Auseinandersetzung kam es aber nicht. L. M. nahm daraufhin sein Klappmesser und begann, sich damit im Bereich eines in dem Scheunentor wenige Zentimeter über dem Erdboden vorhandenen Lochs zu schaffen zu machen. Dabei kniete oder hockte er sich hin und drehte dem Angeklagten den Rücken zu.
3
Der Angeklagte entschloss sich spätestens jetzt, L. M. zu töten, wobei ihm bewusst war, dass das Tatopfer in dieser Situation mit keinem Angriff rechnete und einen Angriff von hinten nicht rechtzeitig genug bemerken würde, um sich noch wehren zu können. Der Angeklagte stellte sich hinter L. M. , holte mit der 1,11 m langen und 1.539 g schweren Metallstange aus und schlug dem Opfer in Tötungsabsicht mit voller Wucht von hinten auf den Hinterkopf. Infolge des Schlags kippte L. M. bewusstlos nach links zur Seite, sodass sein Körper mit dem Rücken und sein Kopf mit der rechten Gesichtshälfte auf dem Boden zu liegen kamen, und begann sofort stark im Kopfbereich und aus den Ohren zu bluten. Der Angeklagte schlug mindestens zwei weitere Male mit der Metallstange mit voller Wucht auf den Kopf des auf dem Boden liegenden bewusstlosen L. M. ein, um ihn sicher zu töten. Durch die Schläge auf den Kopf erlitt das Opfer u.a. ein hochgradiges Schädel-Hirn-Trauma mit umfangreichen Schädelbrüchen und Hirnverletzungen, die mit Sicherheit nach einiger Zeit zum Tod des Opfers geführt hätten.
4
In der Annahme, L. M. sei durch die Schläge bereits getötet worden oder werde in kurzer Zeit versterben, begab sich der Angeklagte nach dem letzten Schlag zu seinem Fahrzeug, legte die Metallstange in den Kofferraum und fuhr zur Landstraße zurück. Nachdem er die Metallstange am Rand eines Feldweges in den Straßengraben geworfen hatte, fuhr er wiederum zum Autohof G. , wo er sich kurze Zeit aufhielt. Da der Angeklagte den Verdacht, L. M. erschlagen zu haben, von sich weisen wollte, fasste er spätestens nach dem Verlassen des Autohofs den Entschluss, zurück zur Scheune zu fahren, die Polizei zu informieren und wahrheitswidrig anzugeben, er habe L. M. auf dessen Bitte allein an der Feldscheune absetzen sollen und ihn dann dort tot aufgefunden, als er ihn wieder habe abholen wollen. Als der Angeklagte wieder zu dem unverändert am Boden liegenden Tatopfer kam, stellte er aber fest, dass L. M. wider Erwarten noch nicht verstorben war. Er beschloss nunmehr, ihn endgültig zu töten. Mit einem aus seinem Fahrzeug herbeigeholten Messer mit einer Klingenlänge von 12 cm schnitt er dem rücklings auf dem Boden liegenden Tatopfer, das wegen der durch die Schläge verursachten Schädelverletzungen zu keiner Abwehrreaktion mehr in der Lage war, mit erheblicher Kraftentfaltung den Hals über eine Länge von 11,5 cm bis zur Wirbelsäule durch, wobei er das Messer mindestens zweimal ansetzen musste. L. M. verstarb schließlich infolge der Halsschnitte an einem zentralen Hirnversagen in Kombination mit Verbluten.
5
In rechtlicher Hinsicht hat die Jugendkammer nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, ohne dies näher auszuführen, die Schläge mit der Metallstange als versuchten heimtückischen Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und die den Tod des Opfers unmittelbar herbeiführenden Messerschnitte als tatmehrheitlich begangenen Totschlag gewertet.

II.


6
1. a) Der Rechtsmittelangriff der Nebenkläger erfasst den gesamten Schuldspruch. Die mit Revisionseinlegung erklärte Beschränkung der Rechtsmittel auf die Verurteilung wegen tatmehrheitlich begangenen Totschlags erweist sich als unwirksam.
7
Zwar kann die Anfechtung eines Urteils nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs innerhalb einer prozessualen Tat im Sinne des § 264 StPO regelmäßig auf einzelne materiell-rechtlich selbständige Straftaten beschränkt werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 22. Juli 1971 – 4 StR 184/71, BGHSt 24, 185; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 318 Rn. 10 mwN). Eine wirksame Teilanfechtung setzt aber nach den allgemein für die Beschränkung von Rechtsmitteln geltenden Grundsätzen im Einzelfall voraus, dass sich die Anfechtung auf einen Beschwerdepunkt bezieht, der nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden kann, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285; Beschluss vom 15. Mai 2001 – 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 35). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall, weil die abgeurteilten Angriffshandlungen des Angeklagten mit der Metallstange einerseits und dem Messer andererseits wegen der Mitursächlichkeit beider Handlungsakte für den eingetretenen Todeserfolg materiell-rechtlich nicht gesondert gewürdigt werden können (unten II. 2.).
8
b) Der Revisionsbegründung der Nebenkläger ist trotz verschiedener möglicherweise missverständlicher Ausführungen, die sich mit dem Strafausspruch des angefochtenen Urteils und der Höhe der verhängten Jugendstrafe befassen, noch hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Nebenkläger eine Verurteilung wegen vollendeten Mordes erstreben und damit ein zulässiges Rechtsmittelziel (§ 400 Abs. 1 StPO) verfolgen.
9
2. Die Revisionen der Nebenkläger sind begründet. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils weist einen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. Denn auf der Grundlage der getroffenen tatsächlichen Feststellungen hat sich der Angeklagte eines vollendeten Heimtückemordes schuldig gemacht, weil er bereits durch die Schläge mit der Metallstange eine Ursache für den später unmittelbar durch die Messerschnitte herbeigeführten Tod des Opfers setzte und dieser Ursachenzusammenhang von seinem ursprünglichen Vorsatz umfasst war.
10
a) Ursächlich für den Eintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolgs ist jede Bedingung, die den Erfolg herbeigeführt hat. Dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben (BGH, Urteil vom 30. August 2000 – 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29, 30). Ein Kausalzusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 – 3 StR 463/07 Rn. 21). Dagegen schließt es die Ursächlichkeit des Täterhandelns nicht aus, dass ein weiteres Verhalten an der Herbeiführung des Erfolgs mitgewirkt hat. Ob es sich bei dem mitwirkenden Verhalten um ein solches des Opfers oder um deliktisches oder undeliktisches Verhalten eines Dritten (vgl. BGH, Urteile vom 10. Januar 2008 – 3 StR 463/07 aaO; vom 30. August2000 – 2 StR 204/00 aaO; vom 12. September 1984 – 3 StR 245/84, StV 1985, 100; vom 18. Juni 1957 – 5 StR 164/57, BGHSt 10, 291, 293 f.; vom 6. Juli 1956 – 5 StR 434/55, bei Dallinger, MDR 1956, 526) oder des Täters selbst handelt (vgl. BGH, Urteile vom 30. März 1993 – 5 StR 720/92, BGHSt 39, 195, 198; vom 14. März 1989 – 1 StR 25/89, NJW 1989, 2479 f.; vom 26. April 1960 – 5 StR 77/60, BGHSt 14, 193, 194; vom 23. Oktober 1951 – 1 StR 348/51, bei Dallinger, MDR 1952, 16; RGSt 67, 258 f.), ist dabei ohne Bedeutung.
11
Danach waren die mit Tötungsabsicht geführten Schläge mit der Metallstange unbeschadet des Umstands, dass das Tatopfer unmittelbar an den Folgen der späteren Messerschnitte verstarb, für den Tod des Opfers ursächlich. Denn der Einsatz des Messers gegen das bewusstlose, bereits tödlich verletzte Opfer, um es endgültig zu töten, knüpfte an das vorausgegangene Geschehen an und wäre ohne die durch die Schläge mit der Metallstange geschaffene Lage nicht möglich gewesen.
12
b) Der Tod des Opfers als Folge der mit der Metallstange geführten Schläge ist dem Angeklagten auch subjektiv als von dem die Ausführung der Schläge tragenden Vorsatz mitumfasst zuzurechnen. Der Vorsatz des Täters muss sich auf den zum Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs führenden Geschehensablauf erstrecken (vgl. BGH, Urteile vom 9. Oktober 1969 – 2 StR 376/69, BGHSt 23, 133, 135; vom 21. April 1955 – 4 StR 552/54, BGHSt 7, 325, 329). Da dieser indes kaum je in allen Einzelheiten zu erfassen ist, wird der Vorsatz durch unwesentliche Abweichungen des vorgestellten vom tatsächlichen Geschehensablauf nicht in Frage gestellt. Eine Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als unwesentlich anzusehen, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren hält und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2011 – 1 StR 676/10, BGHSt 56, 162, 166; Urteil vom 30. August 2000 – 2 StR 204/00 aaO; Beschluss vom 11. Juli 1991 – 1 StR 357/91, BGHSt 38, 32, 34; Vogel in LK-StPO, 12. Aufl., § 16 Rn. 56 ff. mwN). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist in Fällen, in denen bei Angriffen gegen das Leben der Tod des Opfers nicht unmittelbar durch die Angriffshandlung sondern durch vorsätzliches Handeln eines Dritten oder eine nicht mehr vom Tötungsvorsatz getragene Verdeckungshandlung des Täters herbeigeführt wurde, von der Rechtsprechung eine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf verneint worden (vgl. BGH, Urteile vom 30. August 2000 – 2 StR 204/00 aaO; vom 26. April 1960 – 5 StR 77/60 aaO; vom 6. Juli 1956 – 5 StR 434/55, aaO).
13
Im vorliegenden Fall ist nach den festgestellten Tatumständen eine lediglich unwesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf gegeben. Der Umstand, dass der Tod des durch die Schläge mit der Metallstange bereits tödlich verletzten Tatopfers unmittelbar durch die im Zuge der Bemühungen um eine Tatverschleierung mit gleicher Angriffsrichtung gegen das wider Erwarten noch nicht verstorbene Opfer geführten Messerstiche bewirkt wurde, bewegt sich nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und rechtfertigt keine andere Bewertung der Tat.
14
c) Der Angeklagte hat sich durch die mit der Metallstange geführten Schläge gegen das Tatopfer damit eines vollendeten Mordes in der Tatbestandsalternative der heimtückischen Tötung schuldig gemacht. Der durch die Messerschnitte nach Auffassung des Landgerichts gleichfalls verwirklichte Totschlag nach § 212 Abs. 1 StGB tritt, da die Herbeiführung des Todeserfolgs dem Angeklagten strafrechtlich nur einmal angelastet werden kann, konkurrenzrechtlich hinter den Mord zurück (vgl. Rogall, JZ 1993, 1066, 1068).
15
d) Die Entscheidung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 12. Juni 2001 – 5 StR 432/00 – (NStZ 2002, 253) steht der hier getroffenen Entscheidung nicht entgegen, weil dem Urteil des 5. Strafsenats nicht zu entnehmen ist, ob die dort vorgenommene rechtliche Würdigung auf einer abweichenden Rechtsansicht oder einer einzelfallbezogenen Bewertung festgestellter Tatumstände beruht.
16
e) Die zu Gunsten des Angeklagten rechtsfehlerhafte rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts führt – mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung (vgl. BGH, Urteile vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96; vom 8. April 2009 – 5 StR 65/09 Rn. 27) – zur Aufhebung des Urteils. An der vom Generalbundesanwalt beantragten Schuldspruchänderung sieht sich der Senat durch die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO gehindert, da der Angeklagte, dem in der Anklage hinsichtlich der Schläge mit der Metallstange ein versuchter Mord angelastet worden ist, auf die Möglichkeit einer an die Schläge anknüpfenden Verurteilung wegen vollendeten Mordes bislang weder in rechtlicher noch tatsächlicher Hinsicht hingewiesen worden ist.

III.


17
Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos.
18
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hinsichtlich der Verfahrensrügen ist ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts zu bemerken:
19
Die Verfahrensrüge, mit welcher der Beschwerdeführer ein Verwertungsverbot hinsichtlich der durch Zeugenvernehmung der jeweiligen Vernehmungspersonen in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei im Ermittlungsverfahren wegen des Unterbleibens einer Beschuldigtenbelehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO sowie des Fehlens einer auf die Unverwertbarkeit früherer Angaben hinweisenden qualifizierten Beschuldigtenbelehrung geltend macht, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn dem Vortrag der Re- vision ist nicht zu entnehmen, ob die Widersprüche gegen die Verwertung rechtzeitig spätestens bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt im Anschluss an die Vernehmung der Vernehmungspersonen erfolgt sind (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 225 f.; Diemer in KK-StPO, 7. Aufl., § 136 Rn. 28 mwN). Soweit sich die Revision unter dem Gesichtspunkt einer unterbliebenen qualifizierten Beschuldigtenbelehrung gegen die Verwertung der vom Angeklagten nach Belehrung gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO gemachten Angaben wendet, wäre die Rüge aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen auch unbegründet, weil die Jugendkammer aufgrund der gebotenen Abwägung im Einzelfall (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 – 4 StR 170/09, NStZ 2009, 702, 703; Urteil vom 18. Dezember 2008 – 4 StR 455/08, BGHSt 53, 112 Rn. 14 ff.; vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07, StV 2007, 450, 452) rechtsfehlerfrei ein Verwertungsverbot verneint hat.
20
Die Aufklärungsrüge, mit welcher der Beschwerdeführer das Unterbleiben einer erneuten Befragung des rechtsmedizinischen Sachverständigen Dr. K. beanstandet, erfüllt mangels Vortrags zu dem erwarteten Beweisergebnis (vgl. Meyer-Goßner aaO, § 244 Rn. 81 mwN) nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Schließlich dringen auch die Beweisantragsrügen nicht durch, die sich auf die beantragte Einholung eines weiteren rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens zur Zeitdauer des Auftretens von neutrophilen Granulozyten im Wundbereich beziehen. Denn der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf einer fehlerhaften Ablehnung dieser Beweisanträge beruht. Das Landgericht hat im Rahmen seiner Überzeugungsbildung zum festgestellten Sachverhalt an keiner Stelle auf die für das Auftreten von neutrophilen Granulozyten erforderliche Zeitspanne abgestellt. Dies gilt entgegen dem Vorbringen der Revision auch für die Feststellung einer zeitlichen Zäsur zwischen den Schlägen mit der Metallstange und der Ausführung der Messerschnitte, die das Landgericht auf die Angaben des Angeklagten in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung gestützt hat, welche die Jugendkammer als durch andere Beweisergebnisse bestätigt gesehen und als glaubhaft bewertet hat. Lediglich für die Frage, ob die rechtsmedizinischen Befunde den Angaben des Angeklagten in der Beschuldigtenvernehmung entgegenstehen , hat die Jugendkammer Überlegungen zur erforderlichen Zeitdauer für das Auftreten von neutrophilen Granulozyten angestellt, die aber für die vom Beschwerdeführer unter Beweis gestellte kürzere Zeitspanne erst recht zutreffen. Auch im Übrigen werden die vom Landgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung gezogenen Schlussfolgerungen durch das in den Beweisanträgen behauptete raschere Auftreten von neutrophilen Granulozyten im Wundbereich nicht in Frage gestellt.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 4 8 5 / 1 3
vom
11. Februar 2014
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
________________________
Die Strafbarkeit nach § 184b StGB setzt nicht voraus, dass die Darstellung der sexuellen
Handlung einen vergröbernd-reißerischen Charakter aufweist.
BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - 1 StR 485/13 - LG Freiburg
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11. Februar 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Rothfuß,
Prof. Dr. Jäger
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwältin
- jeweils in der Verhandlung -
als Verteidiger für den Angeklagten Dr. N. ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwältin
als Verteidiger für den Angeklagten S. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers E. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten Dr. N. gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 7. März 2013 wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil
a) hinsichtlich des Angeklagten Dr. N.
aa) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, bb) im Fall II. 2. der Urteilsgründe im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte des Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften schuldig ist, cc) aufgehoben (1) hinsichtlich der im Fall II. 2. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe; (2) im Ausspruch über die Gesamtstrafe;
b) hinsichtlich des Angeklagten S. mit den Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten Dr. N. wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück verwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten Dr. N. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen und wegen Besitzes jugendpornographischer Schriften unter Anrechnung in der Schweiz erlittener Untersuchungshaft zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und die Einziehung eines bei dem Angeklagten sichergestellten Diapositivs angeordnet. Von den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil zweier weiterer Kinder in einem und weiteren vier Fällen hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
2
Den Angeklagten S. hat das Landgericht vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines Kindes – begangen durch Beteiligung an einer der zuletzt genannten Taten des Angeklagten Dr. N. – ebenfalls aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
3
Der Angeklagte Dr. N. rügt mit seiner Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Rechtsmitteln, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, die Aufhebung der Freisprüche hinsichtlich beider Angeklagter und, soweit der Angeklagte Dr. N. wegen Besitzes jugendpornographischer Schriften verurteilt ist, eine weitergehende Verurteilung auch wegen – tateinheitlichen – Besitzes dreier kinderpornographischer Schriften.
4
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet; die der Staatsanwaltschaft haben demgegenüber weitgehend Erfolg.

A.


I.


5
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
6
1. Der Angeklagte Dr. N. beaufsichtigte im Zeitraum zwischen Anfang 1994 und Ende 1996 in seiner Wohnung in F. mehrfach die Kinder seiner Bekannten A. Z. , den 1986 geborenen Fl. Z. und den 1988 geborenen J. Z. . Weit überwiegend hielten sich der Angeklagte und die beiden Kinder nackt in der Wohnung auf und sahen sich dabei auch – jeweils unbekleidet – gemeinsam auf einem großen Bett liegend Kinderfilme im Fernsehen an.
7
Bei mindestens drei zeitlich nicht mehr genauer bestimmbaren Gelegenheiten innerhalb des oben genannten Zeitraums massierte der Angeklagte Dr. N. dabei das Glied des J. Z. , um sich damit selbst sexuell zu stimulieren.
8
2. Bei einer am 28. Mai 2010 erfolgten Durchsuchung der vom Angeklagten Dr. N. und dessen Lebenspartner genutzten Ferienwohnung in A. /Schweiz befand sich der Angeklagte im Besitz eines in einer Schublade verstauten Mäppchens, in dem sich neben anderem ein Diapositiv befand, auf welchem ein mindestens vierzehn, jedoch noch nicht sechzehn Jahre alter Junge rücklings auf einem Bett liegend die nach oben gestreckten Beine seitlich abspreizt, womit der dadurch gut sichtbare After betont wird. Das Diapositiv hatte der Angeklagte bereits vor seinem 2006 erfolgten Umzug aus F. in die Schweiz in dem besagten Mäppchen besessen und es seitdem in der Schublade verwahrt.

II.


9
1. Aufgrund der – insoweit unverändert zugelassenen – Anklage lag dem Angeklagten Dr. N. darüber hinaus zur Last,
10
a) anlässlich eines gemeinsamen Besuchs der Kinder J. und Fl. Z. im Zeitraum von Anfang 1994 bis Ende 1996 in seiner Wohnung in F. auch am Glied des Fl. Z. „manipuliert“ zu haben, während er sich, mit beiden Kindern nackt auf dem Bett liegend, Kinderfilme ansah (Fall B. der Anklage), und
11
b) bei insgesamt vier Gelegenheiten (Fälle A. I. bis IV. der Anklage) im Zeitraum von 1995 bis 1997 auch den Sohn des Angeklagten S. , den 1988 geborenen Ju. E. , sexuell missbraucht zu haben. In einem Fall (Fall A. I. der Anklage) habe er den Jungen beim Spielen im Flur der o.g. Wohnung am Glied berührt und ihn gefragt, ob ihm das gefiele, in einem weiteren Fall (Fall A. II. der Anklage) beim gemeinsamen Betrachten einer Videoaufzeichnung in der Wohnung das Glied des auf seinem Schoß sitzenden Jungen geknetet. Im dritten Fall (Fall A. III. der Anklage) habe der Angeklagte im Beisein des Mitangeklagten S. im Computerzimmer der Wohnung zunächst das entblößte Glied des am Computer spielenden Ju. bis zur Erektion geknetet; im Anschluss hätten er und Ju. aneinander wechselseitig den Oralverkehr vollzogen. Im letzten Fall (Fall A. IV. der Anklage) habe der Angeklagte mit dem Jungen in seiner Ferienwohnung in A. /Schweiz Fangen gespielt; auf dem Bett des Gästezimmers habe er ihn zunächst gekitzelt und dann am entblößten Glied berührt.
12
c) Neben dem Vorwurf des Besitzes jugendpornographischer Schriften (s.o. I. 2.) lag dem Angeklagten Dr. N. weiterhin zur Last, anlässlich der Durchsuchung am 28. Mai 2010 in A. auch drei Abbildungen kinderpornographischen Inhalts besessen zu haben.
13
Darunter sollen sich zwei ca. 2001/2002 entstandene Abbildungen befunden haben, auf denen der 1992 geborene S. Ec. sein Glied aus der Hose holt sowie sein entblößtes Gesäß in die Kamera hält.
14
Auf einem ebenfalls aufgefundenen Diapositiv soll der nackte Angeklagte Dr. N. mit einem bis dahin unbekannten, ebenfalls nackten Kind abgebildet sein, dem er an das Genital fasst.
15
2. Dem Angeklagten S. lag aufgrund der – nur insoweit auch gegen ihn zugelassenen – Anklage zur Last, im Fall A. III. der Anklage bestärkend auf Ju. E. eingewirkt zu haben, damit er den Oralverkehr des Angeklagten Dr. N. an sich duldete bzw. seinerseits an diesem Oralverkehr ausübte.
16
3. Die Strafkammer hat zur Begründung der unterbliebenen Verurteilung wie folgt ausgeführt:
17
a) Sie sei zwar davon überzeugt, dass Fl. Z. das Opfer eines sexuellen Missbrauchs durch den Angeklagten Dr. N. geworden sei. Allerdings handele es sich bei diesem sexuellen Missbrauch nicht um die in der Anklage geschilderte, von einer „manuellen Manipulation“ geprägten Tat.
18
b) Auch bezüglich des Geschädigten Ju. E. hat sich die Straf- kammer davon überzeugt, dass dieser „überhaupt“ Opfer eines im Beisein des Angeklagten S. von dem Angeklagten Dr. N. verübten sexuellen Missbrauchs geworden ist. Diese Überzeugung stützt sie namentlich auf E-Mails, in denen der Angeklagte Dr. N. – ihres Erachtens glaubhaft – zwei Missbrauchstaten an Ju. E. beschrieben habe. Von den konkret der Anklage zugrunde liegenden Taten A. I. bis A. IV. hat sich die Strafkammer indes nicht überzeugen können, weil sie in den insoweit zugrunde gelegten An- gaben des Geschädigten „gravierende Konstanzmängel“ festgestellt habe.
19

c) Die beiden Abbildungen des S. Ec. trügen ersichtlich provokativen , nicht sexuell aufreizenden Charakter. Darüber hinaus habe der Angeklagte an diesen Bildern ersichtlich keinen Besitzwillen mehr gehabt, da er beide Bilder bereits zeitnah zur 2001 erfolgten Speicherung wieder gelöscht habe.
20
Im Fall der dritten Abbildung – die Strafkammer hat sich davon überzeugt , dass es sich bei dem neben dem Angeklagten abgebildeten Kind um den Pflegesohn seiner früheren Lebensgefährtin, B. , handelt – liege zwar der „sexuelle Bezug“ der auf dem Diapositiv abgebildeten Situation „auf der Hand“. Indes sei die Darstellung nicht „vergröbernd-reißerisch“, weshalb sie nicht als „pornographisch“ bewertet werden könne. Ein Teilfreispruch sei diesbezüglich jedoch nicht veranlasst, da der Besitz dieser Abbildung zum ausgeurteilten Besitz jugendpornographischer Schriften im Verhältnis der Tateinheit stehe.

B.


Revision des Angeklagten Dr. N.
21
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
22
Das Landgericht hat in Bezug auf die Verurteilung des Angeklagten wegen des Besitzes jugendpornographischer Schriften die Voraussetzungen der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts erörtert und in diesem Zusammenhang insbesondere die gemäß § 7 Abs. 2 StGB erforderliche Strafbarkeit des Besitzes der Abbildung auch nach Maßgabe des schweizerischen Strafrechts bis (Art. 197 Ziff. 3 StGB-CH) ohne Rechtsfehler bejaht. Soweit sich die Revision gegen die Würdigung der Strafkammer zum Besitzwillen des Angeklagten be- züglich des genannten Bildes wendet, greifen ihre Beanstandungen ebenfalls nicht durch. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Auch der von der Revision geltend gemachte Strafklageverbrauch durch einen Strafbefehl vom 31. Juli 2003, rechtskräftig seit dem 19. August 2003, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen und Verbreitung von pornographischen Schriften wegen des Besitzes einer Videokassette ist nicht eingetreten. Dies gilt schon deswegen, weil der hiesige Tatzeitraum für den erst ab 5. November 2008 strafbaren Besitz jugendpornographischer Schriften (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 19. November 1993 – 2 StR 468/93, NStZ 1994, 123) nach dem Eintritt der Rechtskraft jenes Strafbefehls liegt, mithin eine Tat aufgrund eines neuen, qualitativ verschiedenen Tatentschlusses der jetzigen Verurteilung zugrunde liegt (BVerfG, Beschluss vom 27. Dezember 2006 – 2 BvR 1895/05; BGH, Beschluss vom 13. März 1997 – 1 StR 800/96, NStZ 1997, 446 f.).
23
Auch im Übrigen hat die umfassende Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

C.


Revisionen der Staatsanwaltschaft
24
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft erzielen ihren weitgehenden Erfolg bereits mit der näher ausgeführten Sachrüge. Einer Erörterung der nur auf die Missbrauchsvorwürfe zum Nachteil des Ju. E. bezogenen Verfahrensbeanstandungen bedarf es nicht mehr.

I.


25
Die Freisprüche haben keinen Bestand.
26
Das Urteil leidet insoweit an einem durchgreifenden Darstellungsmangel. Denn die Strafkammer, die davon ausgeht, dass sowohl Fl. Z. als auch Ju. E. „überhaupt“ Opfer sexueller Missbrauchstaten geworden sind, teilt nicht mit, welchen Sachverhalt sie insoweit als festgestellt erachtet.
27
Spricht der Tatrichter den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, so muss er in den Urteilsgründen zunächst den Anklagevorwurf, hieran anschließend die insoweit getroffenen Feststellungen, dann die wesentlichen Beweisgründe und schließlich seine rechtlichen Erwägungen mitteilen. Der Tatrichter muss also zunächst diejenigen Tatsachen bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen er die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht treffen konnte (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2003 – 1 StR 544/02, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 13 mwN; Urteil vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, NStZ 2009, 512, 513; Urteil vom 3. März 2010 – 2 StR 427/09, NStZ-RR 2010, 182). Nur hierdurch wird das Revisionsgericht in die Lage versetzt, nachprüfen zu können, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (BGH, Urteile vom 5. Februar 2013 – 1 StR 405/12, NJW 2013, 1106; vom 27. Oktober 2011 – 5StR 236/11; vom 17. Mai 1990 – 4 StR 208/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 4; vom 26. September 1989 – 1 StR 299/89, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2). Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht.
28
Solche Feststellungen, die grundsätzlich als eine geschlossene Darstellung zu treffen sein werden, waren auch hier nicht ausnahmsweise deswegen entbehrlich, weil sich nach den Urteilsgründen keinerlei Erkenntnisse ergeben hätten (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 27. Oktober 2011 – 5 StR 236/11; vom 28. Oktober 2010 – 3 StR 317/10, NStZ-RR 2011, 88 f.; vom 17. Dezember2008 – 1 StR 552/08, NStZ-RR 2009, 116 f.; vom 29. Oktober 2003 – 5 StR 358/03). Vielmehr haben verschiedene Beweismittel, wie die zeugenschaftlichen Angaben der Geschädigten und der E-Mail-Verkehr des Angeklagten Dr. N. , ausweislich der Urteilsgründe einen Ertrag ergeben. Die Strafkammer unterlässt es aber, darzustellen, von welchem Geschehensablauf sie sich aufgrund einer würdigenden Gesamtschau des dargestellten Beweisertrags überzeugt hat.
29
Auf dieser Grundlage lässt sich die Wertung, die Missbrauchstaten, von deren Vorliegen sie überzeugt ist, seien nicht mit den angeklagten Taten (A. I. bis A. IV. hinsichtlich des Geschädigten Ju. E. , B. hinsichtlich des Geschädigten Fl. Z. ) identisch, revisionsrechtlich nicht überprüfen. Im Einzelnen gilt Folgendes:
30
1. Taten zu Lasten von Fl. Z.
31
Ausweislich der Urteilsausführungen hat der Zeuge Fl. Z. in der Hauptverhandlung unterschiedliche Missbrauchsgeschehen an mehreren Tatorten , darunter aber mindestens fünf Taten in der F. Wohnung des Angeklagten im Zeitraum um 1996 geschildert. Dort hätten sie häufig mit seinem Bruder zu dritt nackt auf dem Bett gelegen und Kinderfernsehen geschaut. Dabei habe der Angeklagte seinen Penis an ihm gerieben und an seinem – des Zeugen – Glied Oralverkehr vorgenommen. Ob der Angeklagte das Glied des Zeugen auch angefasst habe, daran habe er keine Erinnerung mehr. Aus den weiteren Darstellungen ergibt sich, dass der Zeuge Fl. Z. immer wieder Erinnerungsunsicherheiten thematisiert und in der Hauptverhandlung erstmals vernommen worden ist.

32
Vor diesem Hintergrund – Identität des Tatorts, der Tatzeit und der Tatumstände (vgl. demgegenüber BGH, Urteil vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 375/08, StraFo 2009, 71; Beschluss vom 10. November 2008 – 3 StR 433/08, NStZ-RR 2009, 146 f.) – erhellt sich die Wertung der Strafkammer, dass es sich zwar um den Angeklagten „in hohem Maße belastende Angaben“ handele, die so geschilderten Taten aber ein anderes Gepräge als die angeklagte Tat hätten, nicht. Vielmehr hätte sie sich eine Überzeugung von dem Ablauf der stattgefundenen Taten bilden und diese feststellen müssen. Allein dies hätte einen Vergleich mit dem angeklagten Sachverhalt ermöglicht. So aber bleibt offen, inwieweit sie sich auf die Darstellungen des Zeugen Fl. Z. , insbesondere zur eigentlichen Tathandlung, stützt und ob sie dabei auch die zutreffenden Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Es wäre nämlich zu berücksichtigen, dass bei der Schilderung mehrerer Missbrauchstaten, zumal nach Ablauf von vielen Jahren, nicht für jeden Vorgang eine zeitlich exakte und detailreiche Schilderung erwartet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 – 1 StR 190/01 mwN). Zudem bleibt unerörtert, inwieweit die Angaben des Zeugen durch andere Beweismittel bzw. -anzeichen eine Ergänzung, Bestätigung oder Widerlegung erfahren und worauf die als andersartig gewertete Darstellung des Tatablaufs in der Anklage zurückgeht.
33
2. Taten zu Lasten von Ju. E.
34
Hinsichtlich der den Geschädigten Ju. E. betreffenden Taten stellt die Strafkammer zunächst eine während des laufenden Ermittlungsverfahrens versandte E-Mail des Angeklagten Dr. N. an den Angeklagten S. dar, in der er als Reaktion auf den von ihm wiedergegebenen Vorwurf , dem Geschädigten, als dieser am Computer spielte, „in die Hose gefah- ren“ zu sein und an „seinem Pimmel herumgespielt“ zu haben, erklärt, es stimme vermutlich, dass er ihm „in die Hose gefahren“ sei.
35
Ihre Überzeugung davon, dass Ju. E. überhaupt Opfer eines in Anwesenheit des Angeklagten S. von dem Angeklagten Dr. N. verübten Missbrauchs geworden sei, gründet die Strafkammer auf weitere EMails des Angeklagten Dr. N. an eine Bekannte aus dem Jahr 2004. Hierin berichtet der Angeklagte ihres Erachtens glaubhaft unter anderem detailliert von zwei in Anwesenheit des Angeklagten S. in der F. Wohnung an Ju. E. verübten Missbrauchstaten. Einer dieser Vorfälle habe sich ereignet, als Ju. „wohl sieben oder acht Jahre alt“ gewesen sei.
36
„Gerade die angeklagten Taten“ hätten aber – so die Strafkammer – nicht „konkret festgestellt werden können“. Diese Wertung bleibt allerdings oh- ne Grundlage, da es die Strafkammer auch für diesen Tatkomplex unterlassen hat, dem angeklagten Geschehen die Feststellungen gegenüber zu stellen, die sie aufgrund einer Würdigung der erhobenen Beweise in der Gesamtschau treffen konnte.
37
Sie belässt es vielmehr dabei, die zeugenschaftlichen Schilderungen des Ju. E. darzustellen und losgelöst vom übrigen Beweisertrag zu bewerten. Auf dieser Grundlage kommt sie zu dem Schluss, dass der Zeuge Ju. E. zwar einen authentischen Eindruck gemacht habe, aber aufgrund „gra- vierender Mängel der Aussagequalität“ nicht zweifelsfrei auszuschließen sei, dass die von ihm konkret geschilderten Vorgänge durch Erinnerungsfehler, suggestive Einflüsse oder Phantasie beeinflusst gewesen seien. Da die angeklagten Taten aber auf seine Angaben gestützt seien, hätte sie sich eine zwei- felsfreie Überzeugung „trotz des (…) grundsätzlich erwiesenen sexuellen Miss- brauchs des Zeugen Ju. E. durch Dr. N. in Gegenwart seines nicht einschreitenden Vaters“ nicht bilden können.
38
Diese allein an den – für sich genommen als nicht hinreichend valide erachteten – Angaben des Geschädigten ausgerichtete Wertung lässt unerörtert, zu welcher Überzeugung zu einem Lebenssachverhalt eine Gesamtschau mit den sonstigen Beweismitteln – namentlich mit dem bereits erwähnten E-MailVerkehr ohne Beschränkung auf die E-Mails aus dem Jahre 2004 – aufgrund der gegenseitigen Durchdringung der Beweismittel hinsichtlich aller oder einzelner Taten geführt hätte. Damit ist auch der Verpflichtung, die Beweise erschöpfend zu würdigen (vgl. dazu BGH, Urteile vom 3. März 2010 – 2 StR 427/09, NStZ-RR 2010, 182 f.; vom 29. August 2007 – 2 StR 284/07 mwN; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 56 mwN), nicht genügt.

II.


39
Soweit das Landgericht den Angeklagten Dr. N. nur wegen des Besitzes einer jugendpornographischen Schrift, nicht jedoch wegen (tateinheitlichen ) Besitzes weiterer kinderpornographischer Schriften verurteilt hat, hält auch dies revisionsrechtlicher Überprüfung nicht in vollem Umfang stand.
40
1. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Abbildung des Angeklagten mit B. als nicht kinderpornographisch einstuft, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

41
Mit Recht ist die Strafkammer zwar von der Sexualbezogenheit der auf dem Diapositiv abgebildeten Situation – die dem Senat über die Beschreibung im Urteilstext und über den gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zum Bestandteil der Urteilsgründe gemachten, aktenkundigen Abdruck des Bildes zugänglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 – 2 StR 365/99, NStZ 2000, 307, 309) – ausgegangen.
42
Allerdings legt sie im weiteren Verlauf einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde, indem sie zusätzlich fordert, dass die Darstellung der sexuellen Handlung einen vergröbernd-reißerischen Charakter aufweisen müsse, und insoweit die am Pornographie-Begriff der §§ 184, 184a StGB entwickelten Maßstäbe überträgt.
43
a) Gemäß § 184b Abs. 1 StGB sind kinderpornographische Schriften „pornographische Schriften (§ 11 Abs. 3), die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern (§ 176 Abs. 1) zum Gegenstand haben“. Infolgedessen bedarf es deshalb auch für § 184b Abs. 1 StGB eines in diesem Sinne „pornographi- schen“ Charakters der Abbildung.
44
aa) Der Bundesgerichtshof hat sich zur Auslegung dieses Begriffs für den Tatbestand des § 184b StGB bislang noch nicht geäußert und – soweit er sich mit der Einordnung von Schriften, insbesondere Lichtbildern, als „kinder- pornographisch“ imSinne von § 184 StGB aF, § 184b StGB nF befasst hat – ersichtlich nur die Frage des Sexualbezugs der dargestellten Handlungen thematisiert (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2014 - 4 StR 370/13; Beschlüsse vom 21. November 2013 – 2 StR 459/13 ; vom 19. März 2013 – 1 StR 8/13, BGHSt 58, 197; vom 8. Februar 2012 – 4 StR 657/11, StV 2012, 540; vom 10. Juli 2008 – 3 StR 215/08, StraFo 2008, 477; Urteil vom 24. März 1999 – 3 StR 240/98, BGHSt 45, 41; Beschluss vom 17. Dezember 1997 – 3 StR 567/97, NJW 1998, 1502).
45
bb) Im Schrifttum ist die Auslegung des Merkmals „pornographisch“ in § 184b Abs. 1 StGB umstritten.
46
Nach einer Ansicht (Wolters in SK-StGB, 136. Lfg., § 184b Rn. 3a) ergibt sich der pornographische Charakter bei der Darstellung sexueller Handlungen von, an oder vor Kindern jedenfalls in den Fällen, in denen die Schrift einen sexuellen Missbrauch von Kindern (§§ 176 bis 176b StGB) zum Inhalt hat, bereits aus der Strafbarkeit des dargestellten Vorgangs, weil in diesen Fällen das Kind stets zum Objekt fremdbestimmter Sexualität degradiert werde. Außerhalb der Missbrauchsfälle sei eine Einzelfallbetrachtung erforderlich, dabei sei darauf abzustellen, ob das abgebildete Kind zum Opfer fremdbestimmter Sexualität degradiert werde.
47
Die vorherrschende Meinung verweist zur Auslegung des Begriffs „pornographisch“ auf die anhand der §§ 184, 184a StGB entwickelten Maßstäbe (Hörnle in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 14 mwN; Hilgendorf in SSW-StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 3; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 184b Rn. 3); erforderlich ist danach eine vergröbernde Darstellung sexuellen Verhaltens, die den Menschen unter weitgehender Ausklammerung emotional-individualisierter Bezüge zum bloßen – auswechselbaren – Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung macht (zu § 184 Abs. 1 StGB vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 1990 – 1 StR 477/89, BGHSt 37, 55, 59 f.; Beschluss vom 22. Juni 2010 – 3 StR 177/10, NStZ 2011, 455).
48
b) Der Senat teilt die letztgenannte Auffassung nicht.
49
„Pornographie“ ist die Vermittlung sexueller Inhalte, die ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachter abzielt und dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes überschreitet (so bereits Prot. des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform WP 6, S. 1932; vgl. Laufhütte/Roggenbuck in LK-StGB, 12. Aufl., § 184 Rn. 5). Nach heutigem Verständnis bestimmt sich die im Einzelfall schwer zu bestimmende Grenze nach der Wahrung der sexuellen Selbstbestimmung des Einzelnen (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 184 Rn. 7b mwN); pornographisch ist demgemäß die Darstellung entpersönlichter sexueller Verhaltensweisen , die die geschlechtliche Betätigung von personalen und sozialen Sinnbezügen trennt und den Menschen zum bloßen – auswechselbaren – Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung macht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21. Juni 1990 – 1 StR 477/89, BGHSt 37, 55).
50
Eine derartig degradierende Wirkung wohnt der Darstellung sexueller Handlungen von, an und vor Kindern jedoch in aller Regel inne. Von Fallgestaltungen abgesehen, in denen es der Darstellung am pornographischen Charakter schon deshalb fehlt, weil sie nicht überwiegend auf die Erregung sexueller Reize abzielt (so auch bereits Hörnle in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 14) – z.B. bei der Abbildung der Genitalien hierzu „posierender“ Kinder in medizinischen Lehrbüchern –, sind realitiätsbezogene Darstellungen sexueller Hand- lungen von, an oder vor Kindern daher regelmäßig auch „pornographisch“ i.S.v. § 184b Abs. 1 StGB. Eines darüber hinausgehenden „vergröberndreißerischen“ Charakters der Darstellung bedarf es demgegenüber nicht.
51
Das ergibt sich aus Folgendem:
52
aa) Der Wortlaut des § 184b Abs. 1 StGB, der die absolute Grenze einer Gesetzesauslegung zum Nachteil des Angeklagten bildet (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2012 – 1 StR 378/11, NStZ 2013, 120), bestimmt, dass nur eine „pornographische“ Schrift auch „kinderpornographisch“ i.S.v. § 184b Abs. 1 StGB sein kann. Wie der Begriff „pornographische Schriften“ innerhalb des § 184b Abs. 1 StGB jedoch ausgefüllt werden soll, lässt das Gesetz offen.
53
bb) Die gleichzeitige Verwendung des Begriffs in anderen Strafnormen, namentlich in den §§ 184, 184a StGB, gebietet nicht von vornherein eine gleichlautende Auslegung auch für § 184b StGB.
54
Maßgeblich ist stets der Schutzzweck der betroffenen Norm, der auch eine differenzierte Interpretation erforderlich machen kann (vgl. auch BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 – 1 StR 95/09, BGHSt 55, 36 ff. ; für eine unterschiedliche Definition des Begriffs „Pornographie“ innerhalb der verschiedenen Tatbestände des § 184 StGB daher auch Wolters in SK-StGB, 136. Lfg., § 184 Rn. 5; Schroeder, Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit, 1992, S. 21 ff.).
55
Eine Betrachtung nach dem Schutzzweck des § 184 StGB einerseits und dem des § 184b StGB andererseits legt keine einheitliche Interpretation des Begriffs „pornographisch“ nahe.
56
Die Vorschrift des § 184 StGB soll den Bürger vor unerwünschter Konfrontation mit Pornographie schützen (BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2005 – 5 StR 156/05, NStZ 2005, 688; vom 10. Juni 1986 – 1 StR 41/86, BGHSt 34, 94, 97); darüber hinaus dient er dem Jugendschutz (Laufhütte/Roggenbuck in LK-StGB, 12. Aufl., § 184 Rn. 1; krit. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 184 Rn. 2), wobei auch hier vor allem der Schutz Jugendlicher vor der Konfrontation mit Pornographie gemeint ist.
57
Demgegenüber schützt § 184b StGB nicht nur den Konsumenten der Abbildung, sondern auch die sexuelle Integrität des Kindes, das an ihrer Herstellung mitwirkt (BT-Drucks. 12/3001, S. 5; vgl. auch BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 – 2 StR 220/13, NStZ-RR 2013, 339, 340; Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 2 StR 328/11, StV 2012, 212). Insbesondere soll potenziellen Tätern kein An- reiz zu sexuellen Missbrauchstaten gewährt werden.
58
Schon nach dem Maßstab des Konsumentenschutzes bedarf es bei der Darstellung sexueller Handlungen von, an und vor Kindern keines vergröberndreißerischen Charakters. Denn deren Degradierung zum Objekt fremder sexueller Begierde ergibt sich allein daraus, dass ihnen eine selbstbestimmte Mitwirkung an sexuellen Handlungen per se nicht möglich ist (zur Unwirksamkeit einer Einwilligung des Kindes in sexuelle Handlungen vgl. Hörnle in LK-StGB, 12. Aufl., § 176 Rn. 4 mwN; Renzikowski in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 176 Rn. 2 mwN; Wolters in SK-StGB, 135. Lfg., § 176 Rn. 2; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 176 Rn. 2).
59
Vor allem aber spricht die Verknüpfung mit dem Schutzzweck der §§ 176 ff. StGB gegen eine Restriktion des Tatbestands am Maßstab des für §§ 184, 184a StGB entwickelten Pornographie-Begriffs. Der Gesetzgeber hat einen umfassenden Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch angestrebt. Die Ausdehnung dieses Schutzes auf die Fälle mittelbarer Förderung in § 184b StGB lässt sich daher nur umsetzen, wenn es für die Begründung der Strafbarkeit nicht noch der vergröbernd-reißerischen Darstellung bedarf.
60
cc) Auch der Gesetzgeber ist bei der Neufassung des heutigen § 184b StGB ersichtlich nicht davon ausgegangen, dass es für die Qualifizierung einer Schrift als „kinderpornographisch“ auf eine i.S.v. § 184 StGB „vergröberndreißerische“ Darstellung ankommt.
61
Die aktuelle Regelung entstammt dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I, S. 2149). Das bereits in der früheren Fassung enthaltene Merk- mal „pornographisch“ wurde im Entwurf der Neuregelung zunächst stillschwei- gend übernommen (vgl. Art. 1 Nr. 8, BT-Drucks. 16/3439, S. 5, 9). Bereits während der Beratungen des Rechtsausschusses wurde im Rahmen zweier Entschließungsanträge – allerdings erfolglos – beantragt, „zur Klarstellung“ das Tatbestandsmerkmal „pornographisch“ zu streichen, weil diesem keine Funkti- on zukomme (BT-Drucks. 16/9646, S. 10, 14).
62
Auch die Ausschussmehrheit, deren Beschlüsse im Gesetz zur Umsetzung gelangt sind, ging ersichtlich nicht davon aus, dass es für eine i.S.v. § 184b Abs. 1 StGB „pornographische“ Darstellung eines vergröberndreißerischen Charakters bedürfe: In der Beschlussempfehlung zur Begründung der Neuregelung in § 184c StGB (jugendpornographische Schriften) heißt es hierzu: „Außerdem wird durch die Regelung außerhalb von § 184b StGB klar- gestellt, dass es sich um pornographische Schriften handeln muss. Für eine Strafbarkeit nach § 184b StGB genügt es nämlich, dass die Schrift den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand hat, ohne dass es auf den por- nographischen Charakter der Darstellung (vergröbernde Darstellung des Sexuellen unter Ausklammerung aller sonstigen menschlichen Bezüge) ankommt, da sexuelle Handlungen mit Kindern generell verboten sind. Für die nach § 184a strafbare Gewalt- und Tierpornographie ist hingegen der Pornographiebegriff derselbe wie in § 184. Entsprechend gilt dies auch für § 184c – neu –. Weder für § 184a noch für § 184c – neu – gelten die für § 184b maßgeblichen Überlegungen (generelle Strafbarkeit aller dargestellten sexuellen Handlun- gen)“ (vgl. BT-Drucks. 16/9646, S. 18).
63
dd) Nach dem Schutzzweck des § 184b StGB ist der Begriff „pornogra- phisch“ indes auch nicht auf Fälle der Darstellung strafbewehrter sexueller Missbrauchstaten im Sinne der §§ 176 bis 176b StGB beschränkt.
64
Denn zum einen war es erklärtes Ziel der Neuregelung des § 184b StGB, die als zu eng empfundene Erfassung nur solcher Darstellungen, „die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben“ durch die Er- weiterung auf Darstellungen, die sexuelle Handlungen von, an und vor Kindern zum Gegenstand haben zu ersetzen (vgl. BT-Drucks. 16/3439, S. 9). Diesem Ziel liefe eine wiederum auf Missbrauchsfälle begrenzte Auslegung des Tatbe- standsmerkmals „pornographisch“ ersichtlich zuwider.
65
Zum anderen würden durch eine Anknüpfung an die Tatbestände der §§ 176 bis 176b StGB Darstellungen solcher Handlungen aus dem Anwendungsbereich des § 184b StGB ausgeschlossen, die den §§ 176 bis 176b StGB nur deshalb nicht unterfallen, weil sie nicht i.S.v. § 184g Nr. 1 StGB „von einiger Erheblichkeit“ sind. Das Merkmal „Erheblichkeit“ in § 184g Nr. 1 StGB ist jedoch nicht einheitlich am Maßstab des § 176 Abs. 1 StGB, sondern gemäß dem Wortlaut des § 184g Nr. 1 StGB „im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut“ zu bestimmen. Nachdem § 184bStGB aber schon mögliche Anrei- ze für potenzielle Missbrauchstäter vermeiden soll, versagt der für § 176 StGB entwickelte Maßstab der „Erheblichkeit“ gerade in den Fällen, in denen esdort z.B. auf die Intensität und Dauer einer Berührung ankommt (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 184g Rn. 7 mwN). Die Übernahme dieses Maßstabs würde den Zweck der Anreizvermeidung verkürzen; die Kriterien wären auch zur Bestim- mung der „Erheblichkeit“ für einen großen Teil der von § 184b StGB erfassten „Schriften“ völlig ungeeignet.
66
c) Das Merkmal „pornographisch“ läuft damit nicht ins Leere. Es dient dem Ausscheiden von Fallgestaltungen, in denen die dargestellte sexuelle Handlung keine Straftat darstellt und nicht überwiegend auf die Erregung sexueller Reize abzielt.
67
d) Nachdem die Strafkammer den Sexualbezug der Abbildung ohne Rechtsfehler festgestellt hat und ersichtlich kein Fall vorliegt, in dem es der Darstellung ausnahmsweise am pornographischen Charakter mangelt (s.o. 1. b.), kann der Senat bezüglich der rechtlichen Bewertung als „kinderpornographische Schrift“ eine eigene Entscheidung treffen.
68
2. Hinsichtlich der allenfalls noch für den Schuldumfang relevanten Dateien mit Abbildungen des S. Ec. , die der Angeklagte auf einer externen Festplatte gespeichert hatte, hat die Strafkammer demgegenüber mit nicht zu beanstandenden Erwägungen eine Verurteilung des Angeklagten Dr. N. schon mangels eines im Tatzeitraum bestehenden Besitzwillens abgelehnt.
69
Insoweit war die den Angeklagten Dr. N. betreffende Revision der Staatsanwaltschaft unbegründet und daher zu verwerfen.

III.


70
Im Hinblick auf die Erweiterung des den Angeklagten Dr. N. wegen Besitzes jugendpornographischer Schriften treffenden Schuldspruchs im Fall II. 2. der Urteilsgründe auf den Tatbestand der Kinderpornographie bedurfte die von der Strafkammer insoweit erkannte Einzelstrafe der Aufhebung. Bereits dies zog die Aufhebung auch des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.
71
Der Aufhebung von Feststellungen bedurfte es insoweit nicht, da die Strafkammer einem reinen Wertungsfehler erlegen ist. Dem neuen Tatrichter bleibt es jedoch unbenommen, ergänzende Feststellungen zu treffen, soweit diese sich nicht mit den bisher getroffenen in Widerspruch setzen.

D.


72
Der Angeklagte trägt die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels. Über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft wird die nunmehr zuständige Strafkammer zu erkennen haben.
RiBGH Dr. Wahl ist im Urlaub und deshalb an der Unterschriftsleistung verhindert. Raum Raum Rothfuß Jäger Cirener

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 3 3 4 / 1 4
vom
27. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. November
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 21. Februar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen sowie des sexuellen Missbrauchs von Kindern freigesprochen. Dem Angeklagten liegt zur Last, in seiner Wohnung im September 2009 die im Mai 1998 geborene Nebenklägerin u.a. an der unbedeckten Scheide geleckt und in der Folgezeit bei vier weiteren Gelegenheiten , letztmals im Oktober 2010, mit dem Kind den Oral-, Vaginal- und Analverkehr vollzogen zu haben. Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe bestritten. Das Landgericht hat sich von deren Richtigkeit nicht überzeugen können. Gegen den Freispruch richtet sich die Revision der Nebenklägerin (gesetzlich vertreten durch ihren Vater) mit einer Verfahrensrüge und mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Die Revision ist zulässig. Der Angeklagte ist vom Vorwurf eines die Beschwerdeführerin zur Nebenklage berechtigenden Delikts freigesprochen worden (§ 395 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Hiergegen wendet sich die Nebenklägerin u.a. mit sachlichrechtlichen Beanstandungen und beantragt die Aufhebung des freisprechenden Urteils.
3
2. Das Urteil ist auf die Sachrüge hin aufzuheben. Auf die Verfahrensbeanstandung kommt es daher nicht an.
4
Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen feststellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind, das heißt, ob die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, ob sie gegen Denkgesetze verstößt oder ob der Tatrichter an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 10. August 1994 - 3 StR 705/93, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10 mwN; vom 29. Juli 2010 - 4 StR 190/10, juris Rn. 7; vom 8. Mai 2014 - 1 StR 722/13, NStZ-RR 2014, 220 (nur Ls)).
5
Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Im Anschluss an die Darstellung des Anklagevorwurfs hat das Landgericht die bestreitende Einlassung des Angeklagten und die Aussage der Nebenklägerin wiedergegeben, ehe es auf viereinhalb Seiten Mängel der belastenden Aussage dargelegt hat, die ihr eine Überzeugung im Sinne des Anklagevorwurfs nicht möglich gemacht haben. Von welchen Geschehnissen sich das Landgericht hat überzeugen können, ist auch dem Gesamtzusammenhang des Urteils nicht zu entnehmen. Einerseits ist es der Darstellung des Angeklagten nicht ausnahmslos gefolgt, sondern hat vielmehr erhebliche Zweifel daran geäußert, dass diese in vollem Umfang zutreffe. Andererseits hat es die Angaben der Nebenklägerin nicht vollständig für unzureichend erachtet, sondern vielmehr für nicht völlig ausgeschlossen gehalten, dass zwei der Tatvorwürfe einen wahren Kern beinhalteten und dass ein anderes dem Angeklagten vorgeworfenes Geschehen sich bei einer anderen als der in der Anklageschrift in Bezug genommenen Gelegenheit ereignete. Eine Situation, dass wegen Ergebnislosigkeit der Beweisaufnahme überhaupt keine Feststellungen getroffen werden könnten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 317/10, NStZ-RR 2011, 88), ist damit nicht gegeben.
Becker Pfister Schäfer Mayer Spaniol

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 424/08
vom
5. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführerin am 5. Dezember 2008 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 15. Mai 2008, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen „Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in einem Fall in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.
2
1. Das Urteil kann nicht bestehen bleiben, weil es hinsichtlich der Angeklagten S. keine geschlossene und für das Revisionsgericht nachvollzieh- bare Darstellung des verwirklichten strafbaren Verhaltens enthält. Eine solche geschlossene Darstellung des Sachverhaltes, der das Tatgeschehen bildet, ist für die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils erforderlich. Sie muss erkennen lassen, welche Tatsachen der Richter als seine Feststellungen über die Tat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legt. Fehlt sie oder ist sie in wesentlichen Teilen unvollständig oder widersprüchlich, so ist dies ein Mangel des Urteils , der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 3, geschlossene Darstellung). So verhält es sich hier.
3
a) Aus den insoweit unübersichtlichen und wenig klar gegliederten Feststellungen ergibt sich, dass die Angeklagte S. in einer Vielzahl von Fällen, deren Anzahl über die abgeurteilten fünf Fälle weit hinausgeht (UA S. 12-15), Fahrzeuge angemietet hat, um sie dem Mitangeklagten B. für die Durchführung von Drogenbeschaffungsfahrten zur Verfügung zu stellen. Die verstreut im Urteil anzutreffenden Ausführungen (UA S. 15-17/18 sowie 51 und 52-54) deuten im Zusammenhang mit dem Schuldspruch allerdings darauf hin, dass die Kammer die Angeklagte lediglich u. a. wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge an den Fahrten vom 18. Mai 2007, 25. Mai 2007, 2. Juni 2007, 16. Juni 2007 und 30. Juni 2007 aburteilen wollte. Diese Interpretation steht jedoch in Widerspruch zur Beschreibung der Taten bei der Festsetzung der Einzelstrafen (UA S. 62/63). Eine ausdrückliche Zuordnung erfolgt dort lediglich zu den Einfuhrfahrten vom „2.6.2008“ und „30.6.2008“ (gemeint ist jeweils 2007), die rechtlich als Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bezeichnet werden. Geht man - nahe liegend - davon aus, dass das Landgericht die im Text davor festgesetzten zwei Einzelstrafen auf die zeitlich früher liegenden Einfuhrfahrten vom 18. Mai 2007 und 25. Mai 2007 sowie die danach festgesetzte Strafe für „Beihilfe zur Einfuhr in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben in nicht geringer Menge“ auf das zeitlich später liegende Aufbewahren der Betäubungsmittel für den Mitangeklagten B. und deren Sicherstellung bei der Angeklagten am 3. Juli 2007 (UA S. 55) bezogen wissen wollte, fehlt es an der Festsetzung einer Einzelstrafe für die Beteiligung an der Beschaffungsfahrt vom 16. Juni 2007. Darüber hinaus würde bei dieser Lesart im Widerspruch zu den Feststellungen unter II. 2. eine Einzelfreiheitsstrafe für eine Tat bestimmt, die über die Teilnahmehandlungen an den festgestellten Einfuhrfahrten hinausgeht.
4
Dieser Widerspruch kann nicht im Wege der Auslegung der Urteilsgründe ausgeräumt werden. Wollte man die zuletzt aufgeführte Strafe von einem Jahr und zehn Monaten wegen Beihilfe zur Einfuhr in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nämlich auf die Einfuhrfahrt vom 16. Juni 2007 beziehen, um eine Konkordanz zu den Feststellungen unter II. 2. herzustellen, wäre dies nicht mit den rechtlichen Ausführungen UA S. 55 i.V.m. UA S. 17 vereinbar, wonach die Kammer eine Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gerade nicht für den 16. Juni 2007, sondern für den 30. Juni 2007 als gegeben sieht. Die Zuordnung der Einzelfreiheitsstrafen zu den in den Feststellungen ausdrücklich in Bezug genommenen Einfuhrfahrten ist damit nicht widerspruchsfrei möglich.
5
b) Hinzu kommt, dass an Hand der Urteilsgründe auch eine zuverlässige Zuordnung der in drei Fällen tateinheitlich abgeurteilten Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu den festgestellten Einfuhrfahrten ausscheidet. Nach den Feststellungen UA S. 18/53 verkaufte die Angeklagte S. im Zeitraum von 3.5.2007 bis zum 3.7.2007 „sechs Mal Betäubungsmittel“ an drei verschiedene Vertrauenspersonen und einen verdeckten Ermittler der Polizei. Die- se Verkäufe stammten aus mindestens drei verschiedenen Lieferungen; zugunsten der Angeklagten sei davon auszugehen, dass diese drei Lieferungen aus drei der fünf festgestellten Beschaffungsfahrten stammten, an denen sie beteiligt gewesen sei (UA S. 53). Bei den am 3.5.2007, am 1.6.2007 und am 8.6.2007 verkauften Betäubungsmitteln habe es sich lediglich um geringe Mengen , bei dem am 14.6.2007 und am 3.7.2007 verkauften Amphetamin habe es sich um nicht geringe Mengen gehandelt.
6
Diesen Ausführungen lässt sich schon nicht entnehmen, welche drei der angegebenen fünf (nicht, wie die Kammer meint, sechs) Verkäufe die Kammer mit welchen konkreten Einfuhrfahrten als tateinheitlich verknüpft angesehen hat. Darüber hinaus erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht, warum die Kammer in nur einem Fall tateinheitlich Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jedoch in zwei Fällen tateinheitlich Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angenommen hat. Denn selbst wenn man den Verkauf vom 3. Mai 2007 als vor der ersten Einfuhrfahrt am 18. Mai 2007 liegend ausscheidet , verbleiben ausweislich UA S. 53/54 vier Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im relevanten Tatzeitraum, davon zwei - 1.6.2007 und 8.6.2007 - mit geringen und zwei - 14.6.2007 und 3.7.2007 - mit nicht geringen Mengen. Diese Unklarheiten hinsichtlich der in Tateinheit abgeurteilten Delikte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verstärken die bereits dargelegten, sich aus dem Vergleich der Feststellungen zum Tatgeschehen mit den Ausführungen zur Einzelstraffestsetzung ergebenden Unsicherheiten und machen eine zuverlässige und vor allem widerspruchsfreie Zuordnung zu konkreten Einfuhrfahrten unmöglich.
7
c) Damit bleibt insgesamt unsicher, welchen Sachverhalt der Tatrichter dem Urteil zugrunde gelegt hat. Die unklaren, unübersichtlichen und widersprüchlichen Ausführungen in den Urteilsgründen erlauben eine ausreichende revisionsrechtliche Nachprüfung des Schuldspruchs nicht (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 13; erkennbare Subsumtion; BGH NStZ 2000, 607 f.). Dies stellt einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils dar, der - soweit es die Angeklagte S. betrifft - zu seiner Aufhebung führt.
8
2. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
9
a) Ein unübersichtlicher Aufbau sowie an verschiedenen Stellen verstreute Feststellungen können einen durchgreifenden Mangel des Urteils darstellen, weil dann häufig die tatsächliche Grundlage des Urteils unvollständig sein wird. Zudem besteht die Gefahr, dass sich Unklarheiten und Widersprüche in die Urteilsfeststellungen einschleichen, die es dem Revisionsgericht unmöglich machen , einen bestimmten Sachverhalt seiner rechtlichen Überprüfung zugrunde zu legen. Zwar bilden die schriftlichen Entscheidungsgründe eine Einheit, deren tatsächliche Angaben auch dann berücksichtigt werden müssen, wenn sie sich in verschiedenen und dabei auch in solchen Zusammenhängen befinden, in denen sie nach dem üblichen Urteilsaufbau nicht erwartet werden (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1, Feststellungen 1, Zusammenhang der Urteilsgründe ). Dies setzt jedoch voraus, dass sich aus der Gesamtheit der Urteilsgründe eine ausreichende tatsächliche Grundlage für die rechtliche Würdigung entnehmen lässt. Es ist nicht die Aufgabe des Revisionsgerichts, unklaren und sich widersprechenden Ausführungen in den Urteilsgründen einen den Schuldspruch möglicherweise tragenden Sinn beizulegen.
10
b) Bei einer - wie hier - Vielzahl angeklagter Taten und wenn mehrere Personen angeklagt sind, empfiehlt es sich, in den Feststellungen jeder einzelnen Tat eine bestimmte Ordnungszahl zuzuordnen und die Beiträge aller Beteiligten an dieser Stelle gemeinsam darzustellen (vgl. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 28. Aufl. 2008, Rn. 234). Es beeinträchtigt dagegen die Klarheit und Übersichtlichkeit der Urteilsgründe, wenn im Wege eines „Mischsystems“ zwar einzelne Taten einer Ordnungsnummer zugeordnet, unter anderen Ordnungsnummern aber eine Vielzahl von - auch nicht abgeurteilten - Einzeltaten zusammengefasst und unter weiteren Ziffern die Tatbeiträge der einzelnen Beteiligten - teilweise - voneinander getrennt abgehandelt werden.
11
c) Besteht aus Sicht des Tatgerichts Anlass, Straftaten zu schildern, die nicht Gegenstand des Schuldspruchs sind - z.B. solche, die gemäß § 154 Abs. 2 StPO aus dem Verfahrensstoff ausgeschieden wurden oder solche, die nicht angeklagt waren, in der Hauptverhandlung aber zu Tage getreten sind -, sollten diese in der Darstellung deutlich von den konkret abgeurteilten Taten geschieden werden, um Missverständnisse und Unklarheiten zu vermeiden.
12
d) Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, dass die Formulierungen im Urteil, die Angeklagte S. sei „selbst betäubungsmittelabhängig“ (UA S. 60) und habe die Taten „aufgrund ihrer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen“ (UA S. 63) zur Prüfung der - vom Landgericht nicht erörterten - Frage drängen, ob ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB anzuordnen ist. Von der Unterbringung nach § 64 StGB darf nicht abgesehen werden, weil der Tatrichter - wie in den Urteilsgründen ausgeführt - „bereits jetzt“ einer Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 BtMG zustimmt. Die Unterbringungsanordnung nach § 64 StGB geht der allein dem Vollstreckungsver- fahren vorbehaltenen Zurückstellung nach § 35 BtMG vor (BGH StV 2008, 405 f.).
Fischer Roggenbuck Appl Cierniak Schmitt

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 235/15
vom
11. November 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
10. November 2015, in der Sitzung vom 11. November 2015, an denen teilgenommen
haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Graf
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bär,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom
10. November 2015 -,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom
10. November 2015 -
als Verteidiger des Angeklagten G. ,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom
10. November 2015 -,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom
10. November 2015 -
als Verteidiger des Angeklagten M. ,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom
10. November 2015 -,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom
10. November 2015 -
als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 15. September 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf des gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels und der Hinterziehung von Umsatzsteuer in insgesamt 216 Fällen bzw. beim Angeklagten K. in 181 Fällen, darunter eine versuchte Tat, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft, die gestützt auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts die Beweiswürdigung des Landgerichts beanstanden. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die von der Staatsanwaltschaft erhobenen verfahrensrechtlichen Beanstandungen nicht mehr ankommt.

I.


2
1. In der zugelassenen Anklage werden den Angeklagten in den Jahren 2010 bis 2012 zugunsten der S. K. GmbH (im Folgenden: S. GmbH) und der G. GmbH begangene Steuerstraftaten zur Last gelegt.
3
Die S. GmbH, deren Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der gesondert Verurteilte P. gewesen sei, habe ab dem Jahr 2010 umfangreiche Importe von Metallen durchgeführt, die nahezu vollständig an die G. GmbH weiterverkauft worden seien. Der Angeklagte G. sei Geschäftsführer und Alleingesellschafter und die Angeklagten M. und K. Angestellte dieser Gesellschaft gewesen.
4
Aufgrund einer gemeinsamen Besprechung Ende Juni 2010 in den Räumen der G. GmbH hätten die Angeklagten mit P. und den früheren Mitangeklagten S. und St. vereinbart, sich durch die Zwischenschaltung der S. GmbH in den Warenbezug einen Wettbewerbsvorteil am Markt zu verschaffen. Anders als bei der zuvor durch die G. GmbH selbst eingeführten Ware sollte es nun möglich sein, aufgrund generierter Vorsteuerabzüge eine Kaufpreisminderung und damit eine Gewinnmaximierung zu erreichen. Hierzu sollte die S. GmbH in den Rechnungen an die G. GmbH jeweils Umsatzsteuer ausweisen, diese aber gegenüber den Finanzbehörden nicht erklären und auch nicht abführen. Auf diese Weise sollte der G. GmbH die Geltendmachung von Vorsteuern ermöglicht werden, ohne dass diese zuvor abgeführt worden seien.
5
Die aus Osteuropa nach Deutschland verbrachten Waren hätten im Jahr 2010 allein aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union, insbesondere den baltischen Staaten, gestammt. Ab Anfang 2011 seien dann von den Angeklagten G. und M. zusammen mit den früheren Mitangeklagten S. und St. auch Einfuhren aus Drittstaaten, namentlich aus Russland und der Ukraine , vorgenommen worden. Hierbei sei der Wert der eingeführten Waren gegenüber dem Zoll in der Regel mit weniger als einem Zehntel des tatsächlichen Werts angegeben worden. Zudem sei für die inländischen Verkäufe der S. GmbH an die G. GmbH keine Umsatzsteuer erklärt worden, obwohl die Umsatzsteuer bei den jeweiligen Rechnungen an die G. GmbH ausgewiesen worden sei. Hierdurch seien jeweils Abgaben verkürzt worden. Im Einzelnen:
6
a) Fälle 1 bis 184 der Anklageschrift (gewerbs- und bandenmäßiger Schmuggel)
7
In den die Jahre 2011 und 2012 betreffenden Fällen 1 bis 184 bzw. hinsichtlich des Angeklagten K. 24 bis 184 der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten vor, sie hätten gewerbs- und bandenmäßig ge- genüber dem Zollamt E. falsche Angaben zum Warenwert bei der Einfuhr von Kupfererzeugnissen aus osteuropäischen Staaten in das Gebiet der Europäischen Union gemacht. Infolge der falschen Angaben seien nahezu vier Millionen Euro an Einfuhrumsatzsteuer und mehr als 300.000 Euro an Zoll nicht festgesetzt und damit verkürzt worden.
8
b) Fälle 185 bis 199 der Anklageschrift (Umsatzsteuerhinterziehung zugunsten der S. GmbH)
9
In den Fällen 185 bis 199 bzw. hinsichtlich des Angeklagten K. 191 bis 199 der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten jeweils die Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der S. GmbH vor. Entsprechend dem gemeinsamen Tatplan mit P. seien für die S. GmbH für das Jahr 2010 wahrheitswidrig ein Umsatz von null Euro angemeldet und für die Monate Februar 2011 bis März 2012 pflichtwidrig keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben worden. Hierdurch sei insgesamt Umsatzsteuer in Höhe von mehr als 4,7 Mio. Euro verkürzt worden.
10
c) Fälle 200 bis 216 der Anklageschrift (Umsatzsteuerhinterziehung zugunsten der G. GmbH)
11
In den Fällen 200 bis 216 bzw. hinsichtlich des Angeklagten K. 206 bis 216 der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten jeweils die Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der G. GmbH vor. Entsprechend dem gemeinsamen Tatplan seien für die G. GmbH in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2010 und den Umsatzsteuervoranmeldungen für Februar 2011 bis März 2012 sowie Mai und November 2012 zu Unrecht Vorsteuerbeträge aus den Rechnungen der S. GmbH geltend gemacht worden. Den Angeklagten sei dabei bewusst gewesen, dass ein Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der S. GmbH nicht in Betracht kam. Hierdurch seien in den Fällen 200 bis 215 der Anklageschrift insgesamt nahezu fünf Mio. Euro an Umsatzsteuer verkürzt worden. Im Fall 216 sei es beim Versuch geblieben.
12
2. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
13
a) Die G. GmbH stand etwa zehn Jahre lang in laufender Geschäftsbeziehung zur A. AG. Diese produzierte aus Kupferkonzentraten, Kupferschrott und anderen kupferhaltigen Legierungen hochreines Kupfer. Für ihre Kupferöfen benötigte die A. AG kupferhaltige Rohstoffe. Kupfer wird weltweit zu Preisen gehandelt, die an der Börse London Metal Exchange (LME) nach börsenmäßigen Preisfindungsmechanismen gebildet werden. Der Preis unterliegt dabei erheblichen Schwankungen. Für andere kupferhaltige Materialien werden Abschläge zu den LME-Preisen verhandelt.
14
Bis zum Ende des Jahres 2010 bezog die G. GmbH selbst Kupferraffiniermaterial aus Osteuropa. Die Einfuhren in den Jahren 2003 bis 2010 waren Gegenstand von zwei Betriebsprüfungen, die jeweils zu Beanstandungen führten , weil die Gesellschaft das Benennungsverlangen gemäß § 160 AO für die ausländischen Zahlungsempfänger nicht erfüllen konnte. Zur Vermeidung gleichartiger Probleme wurden mit den steuerlichen Beratern der Gesellschaft zahlreiche Maßnahmen erörtert, darunter die Einholung von steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen über Vertragspartner bei den Finanzbehörden.
15
b) Im Oktober 2006 hatte der frühere Mitangeklagte S. für den gesondert Verurteilten P. die S. GmbH gegründet, die ebenfalls im Metallhandel tätig werden sollte. Bei einem Treffen mit P. im Juli 2010 unter Beteiligung der Angeklagten G. und M. sowie der früheren Mitangeklagten S. und St. wurde vereinbart, dass die S. GmbH zukünftig die G. GmbH mit Buntmetallen beliefern sollte. S. und St. sollten P. unterstützen, insbesondere Aufgaben in Deutschland wahrnehmen, wenn sich P. im Ausland aufhält.
16
c) Ab September 2010 erfolgten dann Bestellungen der G. GmbH bei der S. GmbH und Lieferungen im Wege des Streckengeschäfts direkt an die G. GmbH. Der Angeklagte G. ließ sich für diese Geschäfte regelmäßig Unbedenklichkeitsbescheinigungen des Finanzamts über die S. GmbH vorlegen. Für den Einkauf in den baltischen Staaten führte der Zeuge P. dort mit den Lieferanten die Vertragsverhandlungen. Die letzte Lieferung aus den baltischen Staaten erfolgte Anfang Dezember 2010. Danach kam es zu einem Wechsel der Bezugsquellen. Ab Februar 2011 kamen die Kupferprodukte aus nicht der Europäischen Union angehörenden Staaten Osteuropas. Die S. GmbH lieferte dann bis zum Ende der Geschäftsbeziehung infolge der Festnahme des Zeugen P. im Mai 2012 an die G. GmbH sogenanntes Halbzeug, das sie von Lieferanten aus Russland und der Ukraine bezog.
17
d) Die Geschäfte der S. GmbH in Deutschland wurden weitgehend von den früheren Mitangeklagten S. und St. abgewickelt. Für die Verzollung der LKW-Lieferungen mit Kupfer tauschten sie die Kaufunterlagen gegen solche mit niedrigeren, manipulierten Werten aus, die stets nur zehn Prozent des tatsächlichen Werts betrugen. Infolgedessen wurden jeweils der Zoll und die Einfuhrumsatzsteuer zu niedrig festgesetzt. Bei den insgesamt 184 Einfuhren entstand insgesamt ein Einfuhrumsatzsteuerschaden von mehr als 3,9 Mio. Euro und ein Zollschaden von mehr als 307.000 Euro (UA S. 29 f.).
18
e) Beim anschließenden Weiterverkauf an die G. GmbH akzeptierte und bezahlte diese sämtliche Rechnungen einschließlich der dort ausgewiese- nen Umsatzsteuer. Da das aus Osteuropa gelieferte Halbzeug von minderer Qualität war, wurde allerdings beim Weiterverkauf an die A. AG nach Erörterung mit deren Vertretern gemäß § 13b Abs. 2 Nr. 7 UStG das ReverseCharge -Verfahren angewendet, so dass die Ausgangsrechnungen der G. GmbH im Gegensatz zu den Eingangsrechnungen keine Umsatzsteuer enthielten.
19
f) Zum Zwecke der Umsatzsteuerhinterziehung verschwieg die S. GmbH in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2010 und den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Februar 2011 bis März 2012 die Umsätze aus den inländischen Metallverkäufen. Insgesamt wurde hierdurch Umsatzsteuer in Höhe von mehr als 4,7 Mio. Euro hinterzogen.
20
g) Wer letztlich von den Zoll- und Steuerverkürzungen der S. GmbH profitierte, konnte das Landgericht nicht feststellen (UA S. 32).
21
h) Der Angeklagte G. brachte für die G. GmbH die Vorsteuern aus den Rechnungen der S. GmbH in der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2010 und in den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Februar 2011 bis März 2012 sowie Mai und November 2012 in Ansatz. Hierdurch wurde die Umsatzsteuerzahllast im Umfang von insgesamt mehr als 4,9 Mio. Euro vermindert; für November 2012 wurde zudem eine Auszahlung eines Umsatzsteuerguthabens von mehr als 141.000 Euro erstrebt.
22
3. Das Landgericht hat die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es konnte sich von einer Tatbegehung bzw. Tatbeteiligung der Angeklagten nicht überzeugen.
23
a) Der Angeklagte G. hatte die Tatvorwürfe bestritten (UA S. 33 ff.); die Angeklagten M. und K. hatten sich nicht zur Sache eingelassen (UA S. 35).
24
b) Hinsichtlich der Tatvorwürfe des Schmuggels und der Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der S. GmbH (Fälle 1 bis 199 der Anklageschrift ) hat sich das Landgericht zwar die Überzeugung gebildet, dass diese Straftaten tatsächlich begangen worden sind. Eine Beteiligung der drei Angeklagten an diesen Straftaten hält es jedoch nicht für erwiesen.
25
Bezüglich des Vorwurfs der Hinterziehung von Umsatzsteuer zugunsten der G. GmbH (Fälle 200 bis 216 der Anklageschrift) hat sich das Landgericht davon überzeugt, dass die Angeklagten bei den Handelsgeschäften der G. GmbH mit der S. GmbH gutgläubig gewesen seien; ihnen sei auch keine Leichtfertigkeit vorzuwerfen. Der G. GmbH habe deshalb jeweils ein Vorsteuererstattungsanspruch zugestanden, so dass Steuern nicht verkürzt worden seien.
26
c) Im Einzelnen konnte sich das Landgericht von folgenden Behauptungen der Staatsanwaltschaft keine Überzeugung verschaffen:
27
aa) Hinsichtlich der im Juli 2010 mit dem Zeugen P. geführten Unterredung konnte das Landgericht nicht zweifelsfrei klären, ob die Beteiligten des Gesprächs vereinbart hatten, dass die S. GmbH bei der Einfuhr zu geringe Werte angeben sollte, um zu erreichen, dass Zölle und Einfuhrumsatzsteuer zu niedrig festgesetzt werden. Auch konnte das Landgericht nicht zweifelsfrei klären, ob Gegenstand der Gespräche war, dass die S. GmbH bei den Weiterverkäufen an die G. GmbH im Streckengeschäft Umsatzsteuer gegen- über der G. GmbH in ihren Rechnungen ausweist, ohne sie beim Finanzamt anzumelden und abzuführen, und die G. GmbH sodann die Vorsteuer aus den Rechnungen beim Finanzamt geltend macht. Schließlich konnte das Landgericht nicht zweifelsfrei klären, ob in dem Gespräch vereinbart wurde, dass sich der Zeuge P. aus der Geschäftsführung zurückziehen und die S. GmbH faktisch den Angeklagten überlassen sollte (UA S. 26 f.).
28
bb) Das Landgericht konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass die Angeklagten Kenntnis davon hatten oder zumindest die Möglichkeit hatten zu erkennen, dass beim Zoll zu niedrige Warenwerte für die Kupferwaren angegeben wurden und dass die S. GmbH in ihren Ausgangsrechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer bei den Finanzbehörden nicht anmeldete und auch nicht abführte. Der Angeklagte G. habe versucht, alle steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen und die von seinen Steuerberatern empfohlenen Maßnahmen, um nicht in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden zu werden, umzusetzen.
29
d) Der Angeklagte G. hatte sich eingelassen, die Geschäftsanbahnung mit der S. GmbH sei in völlig üblichem Rahmen verlaufen (UA S. 34). Die Geschäftsbeziehung habe sich positiv entwickelt; außerdem habe er alle sechs Monate vom Finanzamt für diese Gesellschaft Unbedenklichkeitsbescheinigungen angefordert und erhalten. Für ihn sei es daher überraschend, dass der Zeuge P. die Handelsgeschäfte mit dem Ziel betrieben habe, Umsatzsteuer zu hinterziehen.
30
e) Das Landgericht ist der Auffassung, die Einlassung des Angeklagten G. sei nicht zu widerlegen. Die Behauptung der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, es habe einen gemeinsamen Tatplan gegeben, sei auf die Einlassung des Zeugen P. im vorangegangenen gegen ihn geführten Strafverfahren gestützt gewesen. Dieser habe in der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung seine eigene Tatbeteiligung eingeräumt und behauptet, es habe im Juni 2010 ein Treffen mit den Angeklagten G. und M. sowie den gesondert Verfolgten S. und St. gegeben. Bei diesem Treffen sei vereinbart worden, die bereits bestehende S. GmbH zwecks Hinterziehung von Einfuhrabgaben und inländischer Umsatzsteuer sowie zur Erschleichung von Vorsteuererstattungen zu nutzen, um Metallschrott aus dem Ausland für die G. GmbH einzuführen. Wesentliche Funktion des P. sei dabei der Kontakt zu den ausländischen Lieferanten und das „Schreiben von Rechnungen“ gewesen (UA S. 40).
31
Im Zuge seiner mehrtägigen Vernehmung vor der erkennenden Strafkammer habe der Zeuge P. aber bestritten, sich im vorangegangenen Verfahren in diesem Sinne geäußert zu haben, und habe den Sachverhalt abweichend dargestellt. Gegenstand eines Gesprächs im Juli 2010 seien nur sein beruflicher Hintergrund und seine Fachkenntnisse im Metallhandel, die Möglichkeit einer Belieferung der G. GmbH durch die S. GmbH und technische Details gewesen. Über geplante Abgabenverkürzungen sei dagegen weder ausdrücklich noch stillschweigend gesprochen worden. Erst im August 2011 habe er von den gesondert Verfolgten S. und St. erfahren, dass in den Zollanmeldungen die Warenwerte manipulativ herabgesetzt worden seien. Unter dem Eindruck ihrer Drohung, als Geschäftsführer der S. GmbH andernfalls finanziell einstehen zu müssen, habe er sich bereitgefunden, an der Fortführung dieser illegalen Praktiken mitzuwirken. Von der Hinterziehung der inländischen Umsatzsteuer habe er hingegen keine Kenntnis gehabt. Seine Verurteilung wegen Abgabenhinterziehung habe er akzeptiert, weil er als formeller Geschäftsführer unabhängig von seiner Unkenntnis einstandspflichtig gewesen sei (UA S. 41).

32
Das Landgericht hält die Angaben des Zeugen P. in weiten Teilen für unglaubhaft und widerlegt. Auch gestützt auf die Angaben der früheren Mitangeklagten S. und St. hat sich das Landgericht vielmehr die Überzeugung gebildet, dass die Tatherrschaft über die Einfuhrabgabenverkürzung und die Verkürzung der inländischen Umsatzsteuer der S. GmbH allein bei dem Zeugen P. lag (UA S. 43).
33
Das Landgericht hat „keineVeranlassung gesehen, aufzuklären, ob der Zeuge P. in der früheren Hauptverhandlung in eigener Sache die von der Staatsanwaltschaft behaupteten belastenden Angaben betreffend die Angeklagten G. , M. und K. tatsächlich gemacht hat.“ Denn es bleibe nicht nur zweifelhaft, ob P. die Angeklagten in der früheren Hauptver- handlung überhaupt in dieser Weise belastet hat. „Vielmehr wären entspre- chende frühere Angaben im Lichte seiner aktuellen zeugenschaftlichen Bekundungen und nach dem persönlichen Eindruck der Kammer unglaubhaft.“ Die Bekundungen des Zeugen P. seien daher nicht geeignet, den Nachweis einer kollusiven Einbindung der Angeklagten in die Abgabenhinterziehungen der S. GmbH zu führen (UA S. 44).
34
Auch nach einer Gesamtwürdigung mit weiteren Umständen, darunter die Höhe der Preise, Teilzahlungen an Drittempfänger, die Anwendung des Reverse -Charge-Verfahrens gegenüber der A. AG, die vorangegangene Versagung des Betriebskostenabzugs gemäß § 160 AO, der E-Mail-Verkehr unter den Angeklagten und die steuerliche Beratung des Angeklagten G. , verblieben beim Landgericht „unüberwindbare Zweifel“ an der Tatbeteiligung der Angeklagten.

II.


35
Die Freisprüche haben keinen Bestand; denn die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
36
1. Allerdings muss es das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178). Dem Tatrichter obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt , dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2007 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792 mwN).
37
2. Solche Rechtsfehler liegen hier vor.
38
a) Die Beweiswürdigung zur Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen P. ist lückenhaft. Denn die Urteilsgründe enthalten keine nachvollzieh- bare Begründung für die Annahme des Landgerichts, die von P. in der Hauptverhandlung des gegen ihn selbst gerichteten Strafverfahrens gemachten Angaben seien jedenfalls unglaubhaft (UA S. 44).
39
aa) Zwar können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt vielmehr von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere dann, wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es jedoch in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. BGH, Urteile vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11, wistra 2011, 465, vom 6. September 2006 – 5 StR 156/06, wistra 2007, 18, 19 und vom 22. August 2002 – 5 StR 240/02, wistra 2002, 430 mwN).
40
bb) Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung zu den Angaben des Zeugen P. nicht.
41
Ausweislich der Urteilsgründe beruht die Anklage entscheidend auf der Tatschilderung dieses Zeugen, die er in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren in der Hauptverhandlung gemacht hatte (UA S. 40). Weshalb das Landgericht diese Angaben für unglaubhaft hält, hat es indes nicht nachvollziehbar und für das Revisionsgericht nachprüfbar begründet. Als Beleg für diese Annahme hat das Landgericht lediglich die Bekundungen des Zeugen P. im vorliegenden Verfahren und dessen persönlichen Eindruck aus der Hauptverhand- lung angeführt. Den Inhalt der früheren Aussage des Zeugen hat das Landgericht hingegen nicht mitgeteilt. Damit fehlt es an einer ausreichenden Grundlage für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung. Um die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen P. beurteilen zu können, durfte das Landgericht nicht offen lassen , von welchem Inhalt der früheren Aussage es ausgeht. Auch hat das Landgericht nicht erörtert, welches Motiv der Zeuge für Falschangaben zum damaligen Zeitpunkt gehabt haben könnte. Umgekehrt hat das Landgericht auch nicht in den Blick genommen, dass die Aussage des Zeugen P. in der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten eine Gefälligkeitsaussage zu deren Gunsten gewesen sein konnte. Mit dieser Möglichkeit musste sich das Landgericht schon deshalb auseinandersetzen, weil es als naheliegend ansah, dass der Tatplan des Zeugen P. von vornherein auf die Verkürzung der Einfuhrabgaben , des Zolls und der Umsatzsteuer gerichtet war (UA S. 44).
42
b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts lässt zudem besorgen, das Landgericht habe belastende Indizien fehlerhaft einzeln sowie anhand eines falschen Maßstabs gewürdigt und nicht in die Gesamtwürdigung eingestellt.
43
aa) Das Tatgericht ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen , wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2007 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792 mwN). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, wistra 2009, 315). Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 30. März2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238).
44
bb) Rechtsfehlerhaft ist hier bereits der rechtliche Ansatz des Landgerichts bei der Würdigung belastender Einzelindizien.
45
Statt die Indizien mit ihrem jeweiligen Beweiswert in die Gesamtwürdigung einzustellen, spricht das Landgericht einzelnen Umständen jeglichen belastenden Beweiswert mit der Begründung ab, diese seien „nicht zwangsläufig“ nur mit einer Abgabenverkürzung zu erklären (UA S. 46), seien „nicht zweifelsfrei“ (UA S. 50) oder ließen „keinen zweifelsfreien Rückschluss“ auf Kenntnisse oder eine Tatbeteiligung der Angeklagten (UA S. 47, 52, 53) zu. Damit hat das Landgericht rechtsfehlerhaft einzelne Beweisergebnisse lediglich isoliert und nicht im Zusammenhang mit anderen Beweisanzeichen gewürdigt.
46
cc) Schließlich hält auch die vom Landgericht vorgenommene Gesamtwürdigung (UA S. 57 ff.) rechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die Würdigung entlastender Indizien. Belastende Indizien wurden hingegen nicht in die Gesamtwürdigung einbezogen, die damit unvollständig ist. Hierauf beruht das Urteil schon deshalb, weil auch dann, wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft der Angeklagten ausreichen würde, die Möglichkeit besteht, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatgericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004,

238).



47
3. Die Freisprüche einschließlich der ihnen zugrunde liegenden Feststellungen haben daher wegen rechtsfehlerhafter Beweiswürdigung keinen Bestand. Die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Auf die weiteren von der Staatsanwaltschaft erhobenen sachlich- und verfahrensrechtlichen Beanstandungen kommt es nicht mehr an.

III.


48
Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat im Hinblick auf die insoweit unzutreffenden Ausführungen des Landgerichts auf UA S. 61:
49
Die Kognitionspflicht des Gerichts bezieht sich auf die Tat im prozessualen Sinn (§ 264 StPO). Zur Tat als Prozessgegenstand gehört das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Dies kann nicht unabhängig von der verletzten Strafbestimmung beurteilt werden. Im Steuerstrafrecht werden der Umfang und die Reichweite der prozessualen Tat neben der einschlägigen Blankettvorschrift maßgeblich durch die sie ausfüllenden Normen des Steuerstrafrechts bestimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 – 1 StR 665/08, wistra 2009, 465 mwN). Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass es sich bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO um ein Erklärungs- und zugleich um ein Erfolgsdelikt handelt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 StR 718/08, BGHR StPO § 267 Abs. 1 StPO Steuerhinterziehung 1). Deshalb ist beim Tatvorwurf der Steuerhinterziehung auch bei einem freisprechenden Urteil festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen, wann der Angeklagte welche Steuererklärun- gen mit welchem Inhalt abgegeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 StR 718/08, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 mwN). Die Urteilsgründe müssen zudem in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise erkennen lassen, ob die in den verfahrensgegenständlichen Steuererklärungen enthaltenen Angaben unrichtig oder unvollständig waren und ob sie gegebenenfalls zu einer Steuerverkürzung oder einem nicht gerechtfertigten Steuervorteil geführt haben. Dies beinhaltet, dass das Tatgericht nicht nur die in der Anklageschrift als Beleg für fehlerhafte Angaben angeführten Umstände in den Blick zu nehmen hat. Vielmehr muss es sich dann, wenn nach dem Gang der Hauptverhandlung hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für andere Geschehnisse bestehen, aus denen sich die Unrichtigkeit der verfahrensgegenständlichen Steuererklärungen ergeben kann, auch mit diesen Umständen auseinandersetzen. Gegebenenfalls hat das Tatgericht entsprechend § 265 StPO auf diese Veränderung hinzuweisen. Denn der Strafklageverbrauch eines Freispruchs würde einer neuen, auf solche Umstände gestützten Strafverfolgung entgegenstehen. Ein Freispruch kommt schließlich auch dann nicht in Betracht, wenn das vom Tatgericht festgestellte Verhalten eines Angeklagten den Ordnungswidrigkeitentatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11, wistra 2011, 465 mwN). Graf Jäger Mosbacher Fischer Bär

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 94/16
vom
13. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Bandendiebstahls
ECLI:DE:BGH:2016:130716U1STR94.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Juli 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher, Dr. Bär,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –, Staatsanwalt – bei der Verkündung – als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20. März 2015
a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass in den Fällen A.II.2.c) und A.II.2.d) der Urteilsgründe jeweils die tateinheitlichen Verurteilungen entfallen
b) und klarstellend dergestalt neu gefasst, dass der Angeklagte wegen Diebstahls in vier Fällen verurteilt ist;
c) im Strafausspruch mit Ausnahme der in den Fällen A.II.2.a) und A.II.2.b) der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels sowie über eine nach der Verkündung des angefochtenen Urteils eingetretene Verfahrensverzögerung, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in vier Fällen, davon in einem Fall in drei tateinheitlichen Fällen und in einem (weiteren) Fall in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beteiligte sich der Angeklagte als Mitglied einer polnischen Tätergruppierung um den bereits verurteilten B. im Zeitraum zwischen Mai und September 2013 an vier Diebstählen von hochwertigen Fahrzeugen der Marke Audi. Bei den Tatobjekten handelte es sich jeweils um solche mit einem bestimmten Modell einer Wegfahrsperre, die B. zu überwinden in der Lage war. In sämtlichen verfahrensgegenständlichen Fällen öffnete B. mit einer spezifischen Vorgehensweise eine Fahrzeugtür, verschaffte sich Zugang zum Steuergerät des Fahrzeugs und verhinderte durch Unterbindung der Stromzufuhr das Auslösen des Alarms. Anschließend setzte er ein mitgeführtes elektronisches Gerät ein, um das Steuergerät des jeweiligen Pkws so zu programmieren, dass ein von ihm mitgebrachter Schlüsselrohling zum (erneuten) Öffnen der Fahrzeugtüren sowie zum Starten des Fahrzeugs eingesetzt werden konnte. Die Schlüsselrohlinge nutzten anschließend Tatbeteiligte, um die von B. manipulierten Fahrzeuge zu starten und vom jeweiligen Tatort wegzufahren.
3
In den Fällen der A.II.2.a) und b) der Urteilsgründe brach B. jeweils einen Pkw Audi auf die beschriebene Weise auf und versetzte diesen in einen fahrbereiten Zustand. Der Angeklagte übernahm das entsprechende Fahrzeug und entfernte sich damit jeweils in Koordination mit B. vom Tatort. Im Fall A.II.2.a) geriet er allerdings einige Zeit nach Aufbruch und Übernahme des Audi‘s in eine Polizeikontrolle. Der Angeklagte ließ das entwendete Fahrzeug stehen und floh zu Fuß.
4
Vor der Tat im Fall A.II.2.c) der Urteilsgründe reiste der Angeklagte gemeinsam mit B. , dessen jüngeren Bruder sowie einem weiteren, ledig- lich unter dem Spitznamen „K. “ bekannten Tatbeteiligten nach U. , um dort auf die beschriebene Weise Fahrzeuge zu entwenden. In der Tatnacht brach B. innerhalb eines Zeitraums von knapp einer Stunde drei Pkw verschiedener Modelle der Marke Audi auf und machte sie startbereit. Der Angeklagte sowie die beiden weiteren Tatbeteiligten übernahmen von B. jeweils einen Schlüsselrohling und traten als Fahrer je eines Fahrzeugs die Rückreise nach Polen an. Diese erfolgte in Koordination mit B. , der vorausfuhr , um die Fahrer der gestohlenen Pkws vor etwaigen Polizeikontrollen zu warnen. Welches der drei entwendeten Fahrzeuge der Angeklagte geführt hatte , konnte das Landgericht nicht aufklären.
5
Zur Ausführung der Tat im Fall A.II.2.d) begaben sich B. , der Angeklagte sowie ein unbekannt gebliebener weiterer Tatbeteiligter nach M. . Nach dem Aufbruch der beiden Audi-Pkw und der Umprogrammierung des Steuergeräts übergab B. den beiden anderen Beteiligten wiederum jeweils einen Schlüsselrohling. Unter der beschriebenen absichernden Begleitung durch B. fuhren der Angeklagte und der weitere Tatbeteiligte die Fahrzeuge nach Polen. Welcher Wagen von welchem der beiden gefahren worden war, hat die Strafkammer wiederum nicht feststellen können.

6
2. Das Landgericht hat die Taten für den Angeklagten jeweils als gemeinschaftlich mit B. begangene Diebstähle im besonders schweren Fall (§§ 242, 243 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nrn. 2 und 3 StGB) gewertet. Dabei ist es davon ausgegangen, dass es sich in den Fällen A.II.2.c) und d) der Urteilsgründe um drei bzw. zwei durch den Angeklagten tateinheitlich verwirklichte Diebstähle gehandelt hat. Ihm seien auch die Diebstähle derjenigen Fahrzeuge, die er nicht selbst gesteuert hatte, mittäterschaftlich zuzurechnen (UA S. 20).

II.

7
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen jeweils gemeinschaftlich mit B. begangenen Diebstahls in vier Fällen. Dagegen halten die in den Fällen A.II.2.c) und A.II.2.d) erfolgten Verurteilungen wegen tateinheitlich in drei bzw. zwei Fällen verwirklichter Diebstähle rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
1. Den getroffenen Feststellungen liegt für alle verfahrensgegenständlichen Fälle eine jeweils rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung zugrunde.
9
a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (siehe nur BGH, Beschlüsse vom 7. August 2014 – 3 StR 224/14 Rn. 5 [in NStZ-RR 2014, 349 nur redaktioneller Leitsatz] und vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Der Beur- teilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfeh- ler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 mwN und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15, Rn. 18; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87 und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18; siehe auch BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15 Rn. 26; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN). Die Überzeugung des Tatgerichts muss in den Feststellungen und der diesen zugrunde liegenden Beweiswürdigung allerdings eine ausreichende objektive Grundlage finden (BGH, Urteil vom 19. April 2016 – 5 StR 594/15 Rn. 6; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387, 388). Es ist im Fall einer Verurteilung des Angeklagten grundsätzlich verpflichtet, die für den Schuldspruch wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 20. März 2002 – 5 StR 448/01 und vom 25. Februar 2015 – 4 St4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]).
10
Die schriftlichen Urteilsgründe müssen dabei so sorgfältig und strukturiert abgefasst sein, dass die tatgerichtliche Entscheidung nachvollziehbar und einer revisionsrechtlichen Überprüfung anhand dieses Maßstabes zugänglich ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 7. August 2014 – 3 StR 224/14 mwN; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]).
11
b) An diesen Maßstäben gemessen ist die tatrichterliche Beweiswürdigung nicht zu beanstanden.
12
aa) In den Fällen A.II.2.a) und b) der Urteilsgründe hat der Angeklagte eingeräumt, die betroffenen Fahrzeuge von mit B. erhaltenen Schlüsseln gestartet und jeweils vom Abstellort weggefahren zu haben. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht seiner weiteren Einlassung, er habe lediglich ein von B. gestohlenes Fahrzeug erwerben wollen, nicht gefolgt ist. Die vom Tatrichter in diesem Zusammenhang gezogenen Schlüsse, die u.a. auf früheren vergleichbaren Straftaten des Angeklagten in Österreich und dem von ihm selbst angegebenen finanziellen Rahmen zum Erwerb eines Pkw von B. sowie der Lebensfremdheit einer erneuten Beteiligung als bloßer Käufer nach der Tatentdeckung im Fall A.II.2.a) fußen, sind jedenfalls möglich, wenn nicht sogar naheliegend. Das gilt in gleicher Weise für die Erwägungen des Landgerichts über die für eine Beteiligung des Angeklagten an diesen Taten sprechende telefonische Kommunikation zwischen diesem undB. im Fall A.II.2.b) während der Überführung des Fahrzeugs vom Tatort in I. nach Polen. Der Angeklagte war während des Betankens des gestohlenen Wagens von der Überwachungskamera der Tankstelle gefilmt worden. Zeitgleich telefonierte er mit einem Mobiltelefon, deren Nummer B. zugeordnet werden konnte.
13
bb) Die Überzeugung des Landgerichts von der festgestellten Tatbeteiligung im Fall A.II.2.c) der Urteilsgründe beruht ebenfalls auf einer umfassenden und rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Insbesondere die vom Tatgericht aus dem mitgeteilten Inhalt eines überwachten Telefongesprächs zwischen B. und einer früheren Lebensgefährtin von diesem legen aus den im angefochtenen Urteil näher dargelegten Gründen die Beteiligung des Angeklag- ten durch Verbringen eines der bei dieser Tat gestohlenen Fahrzeuge nach Polen außerordentlich nahe.
14
cc) Die dem Schuldspruch im Fall A.II.2.d) zugrunde liegende Beweiswürdigung hält ebenfalls revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Das Landgericht ist zunächst der Einlassung des Angeklagten am Tattag nicht in M. , dem Tatort, sondern zu einem Treffen mit einem Geschäftspartner in D. (Frankreich) gewesen zu sein, beanstandungsfrei nicht gefolgt. Dabei durfte es – wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend aufgezeigt wird – aus dem Teilschweigen des Angeklagten über die Identität des Geschäftspartners eines angeblich legalen Geschäfts für den Angeklagten nachteilige Schlüsse ziehen.
15
Ebenso sind die Schlüsse, die das Tatgericht aus den Erkenntnissen des polizeilichen Hauptsachbearbeiters, KHK H. , und des Zeugen S. über den Besuch von B. , dem Angeklagten sowie einer dritten, unbekannt gebliebenen Person bei ihm gezogen hat, als (wenigstens) möglich revisionsrechtlich hinzunehmen. Der Zeuge S. hatte angeben, dass nach den Gesprächsinhalten während des Besuchs alle drei Besucher nach M. weiterfahren wollten. Da drei Personen an den Diebstählen der beiden Fahrzeuge beteiligt waren, zwei Personen während des Tatzeitraums Mobilfunkkontakt mit B. hatten und das Landgericht keinerlei Anhaltspunkte für ein Hinzutreten eines weiteren Täters, der nicht an dem Besuch bei S. beteiligt war, hat feststellen können, ist der im Rahmen der Gesamtwürdigung gezogene Schluss auf die Tatbeteiligung des Angeklagten als einer der Fahrer der entwendeten Audi-Fahrzeuge nicht zu beanstanden. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund des festgestellten jeweils gleichartigen Vorgehens von B. , Fahrer für die Überführung der Fahrzeuge nach Polen zu den Tatorten mitzunehmen, sowie des Umstandes, dass B. , dessen Bruder und der Angeklagte bei mehreren Polizeikontrollen gemeinsam angetroffen wurden (UA S. 11). In der vom Landgericht vorgenommenen Gesamtwürdigung zu allen verfahrensgegenständlichen Taten finden damit auch die Beweiswürdigung und die darauf gestützten Feststellungen zu Fall A.II.2.d) eine ausreichende objektive Grundlage.
16
2. Die getroffenen Feststellungen tragen jedoch für alle vier verfahrensgegenständlichen Taten lediglich die Verurteilung wegen jeweils eines mit B. gemeinschaftlich begangenen Diebstahls an je einem Fahrzeug, das der Angeklagte vom Tatort weggefahren hat, nachdem B. dieses zuvor auf die beschriebene Weise aufgebrochen und startbereit gemacht hatte. Die Annahme der Mittäterschaft des Angeklagten an den Diebstählen derjenigen Fahrzeuge in den Fällen A.II.2.c) und d), die durch andere Tatbeteiligte weggefahren und nach Polen überführt worden sind, haben dagegen keine tragfähige Grundlage.
17
a) Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 30. Juni 2005 – 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44; vom 15. Januar 1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291; vom 9. April2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 226 Rn. 43 und vom 7. Oktober 2014 – 1 StR 182/14, NStZ-RR 2015, 284, 285 jeweils mwN). Bei Beteiligung mehrerer Personen , von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 29. September 2015 – 3 StR 336/15, NStZ-RR 2016, 6 f.; vom 4. Februar 2016 – 1 StR 344/15, NStZ-RR 2016, 136 f. und vom 2. Juli 2008 – 1 StR 174/08, NStZ 2009, 25, 26; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002 – 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254).
18
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Angeklagte die Diebstähle, an denen er als Fahrer der zuvor von B. aufgebrochenen und startbereit gemachten Fahrzeuge beteiligt war, mit diesem gemeinschaftlich im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB begangen. Durch die Handlungen von B. war zwar jeweils der zuvor bestehende Gewahrsam des bisherigen Inhabers gebrochen worden. Die Neubegründung des Gewahrsams hat jedoch erst der Angeklagte durch das Wegfahren der Fahrzeuge vom Tatort begründet und damit die Vollendung der jeweiligen Taten bewirkt. Bereits dieses Ausmaß der Tatbeteiligung und das damit einhergehende Maß an Tatherrschaft genügen, um eine Mittäterschaft des Angeklagten an den Taten von B. rechtsfehlerfrei zu begründen.
19
c) Dagegen ist die Annahme einer Mittäterschaft an den Diebstählen derjenigen Fahrzeuge in den Fällen A.II.2.c) und d), die von anderen Tatbeteiligten geführt wurden, nicht tragfähig belegt.
20
Zu der Wegnahme dieser Fahrzeuge hat der Angeklagte keinen eigenen Tatbeitrag erbracht. Aufhebung des bisherigen Gewahrsams und dessen Neubegründung sowie die endgültige Sicherung der Tatbeute spätestens durch die Verbringung der Pkw Audi nach Polen erfolgten ausschließlich durch B.
und jeweils einen anderen Tatbeteiligten. Die vor dem unmittelbaren Ansetzen zu den Diebstählen dieser Fahrzeuge erfolgende gemeinsame Anreise aller an der jeweiligen Tat Beteiligten vermag jedenfalls unter den hier vorliegenden konkreten Gegebenheiten keine Tatherrschaft des Angeklagten zu begründen. Die vom Landgericht festgestellte Koordination der Überführung der gestohlenen Pkw durch die jeweiligen Fahrer untereinander mittels eigens dafür beschaffter Mobiltelefone und das Vorausfahren durch B. , um u.a. vor Polizeikontrollen zu warnen (UA S. 5), lässt ebenfalls nicht erkennen, wie auf diese Weise ein gewisses Maß an Tatbeteiligung und Tatherrschaft, als Anhaltspunkte für (Mit)Täterwillen, hinsichtlich der Vollendung und Beendigung der Diebstähle derjenigen Fahrzeuge begründet werden soll, die der Angeklagte nicht selbst geführt hat.
21
Soweit das Landgericht ein „nicht unerhebliches eigenes wirtschaftliches Interesse am Gelingen der Tat in nicht genau feststellbarem Umfang“ (UA S. 20) als Mittäterschaft begründendes Kriterium heranzieht, ist bereits der berücksichtigte Umstand nicht beweiswürdigend belegt. Das Landgericht hat nämlich gerade nicht aufzuklären vermocht, was mit den entwendeten Fahrzeugen nach der Tat geschah bzw. geschehen sollte und welchen finanziellen Vorteil der Angeklagte für seine Tatbeteiligung erhielt (UA S. 19). Die Annahme der Strafkammer, „pro Täter und Tat“ fiele „ein Profit in Höhe von mindestens einigen hundert Euro“ ab (UA S. 19) findet wiederum keine ausreichende Stütze in den erhobenen Beweisen. Insbesondere sind keine Umstände tragfähig festgestellt , aus denen sich eine Teilhabe aller jeweils Tatbeteiligten am Erlös sämtlicher pro Fall entwendeter Fahrzeuge entnehmen ließe.
22
Angesichts des Vorstehenden findet auch die weitere Erwägung der Strafkammer, „selbst bei einem gegenüber den weiteren Beteiligten gering aus- geprägten Eigeninteresse (seien) die übrigen Faktoren so stark ausgeprägt, dass Mittäterschaft … zu bejahen ist“ (UA S. 20), keine Stütze inden Feststel- lungen. Tatherrschaft und ein gewisses Maß an Tatbeteiligung des Angeklagten besteht hinsichtlich der jeweils als in Tateinheit verwirklicht bewerteten Diebstählen in den Fällen A.II.2.c) und d) gerade nicht. Selbst unter Berücksichtigung eines etwaigen dem Tatgericht eingeräumten, revisionsgerichtlicher Kontrolle nur eingeschränkt zugänglichen Beurteilungsspielraums (dazu nur BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015 – 3 StR 439/15 Rn. 7 mwN) ist die Annahme von Mittäterschaft bezüglich der genannten Taten rechtsfehlerhaft.
23
d) Die Feststellungen tragen in diesen Fällen auch nicht eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zu den durch B. und jeweils einem weiteren Tatbeteiligten gemeinschaftlich begangenen Diebstählen.
24
aa) Wegen Beihilfe wird gemäß § 27 Abs. 1 StGB bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Diese Hilfeleistung muss sich auf die Begehung der Haupttat zwar nicht kausal auswirken; erforderlich ist aber, dass sie die Haupttat zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung in irgendeiner Weise erleichtert oder fördert (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 – 2 StR 58/15, NStZ-RR 2015, 343, 344 und vom 4. Februar 2016 – 1 StR 344/15, NStZ-RR 2016, 136, 137; BGH, Urteil vom 16. Januar 2008 – 2 StR 535/07, NStZ 2008, 284 mwN). Strafbare Beteiligung kann auch in Form der psychischen Beihilfe verwirklicht werden. Die bloße Anwesenheit am Tatort in Kenntnis einer Straftat reicht dazu allerdings selbst bei deren Billigung nicht aus (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. Oktober 2001 – 3 StR 237/01, NStZ 2002, 139, 140 mwN sowie BGH, Beschlüsse vom 22. Dezember 2015 – 2 StR 419/15 Rn. 11 und vom 4. Februar 2016 – 1 StR 344/15, NStZ-RR 2016, 136, 137).

25
bb) Eine konkrete Erleichterung oder Förderung der Diebstähle der nicht vom Angeklagten geführten Fahrzeuge durch diesen ist aus den Feststellungen nicht ersichtlich. Weder finden sich Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte die anderen Tatbeteiligten an die jeweiligen Tatorte verbracht hat, noch ist eine Verringerung des Risikos des Transports der anderen Fahrzeuge aufgrund der koordinierten Rückreise nach Polen erkennbar. Selbst wenn die Fahrer auch untereinander per Mobiltelefon in Verbindung gestanden haben (vgl. UA S. 5 oben), erfolgte die Absicherung der Transporte nach den Feststellungen durch B. und nicht durch die Fahrer der bestohlenen Fahrzeuge untereinander. Es ist auch nicht festgestellt, dass den jeweils anderen Fahrern ein höheres Maß an Sicherheit aufgrund der Mitwirkung des Angeklagten durch Überführen eines weiteren Fahrzeugs vermittelt worden ist. Ob dies zur Begründung einer Beihilfe genügen würde, bedarf daher keiner Entscheidung.
26
3. Der Senat lässt in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO in den Fällen A.II.2.c) und A.II.2.d) der Gründe des angefochtenen Urteils jeweils die tateinheitlichen Verurteilungen entfallen. Er vermag angesichts der bisherigen Feststellungen auszuschließen, dass noch weitere getroffen werden können, aus denen sich die Voraussetzungen der Mittäterschaft oder einer Form strafbarer Teilnahme ergeben könnten. Selbst wenn sich die Voraussetzungen einer Bande feststellen ließe, resultierte daraus unmittelbar nichts für die konkrete Form strafbarer Beteiligung eines einzelnen Bandenmitglieds an Bandentaten (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2016 – 3 StR 538/15 Rn. 5 mwN [in NStZ-RR 2016, 139 nur redaktioneller Leitsatz]).
27
§ 265 StPO steht der Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können.
28
4. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
29
a) Zwar enthalten die in den Fällen A.II.2.a) und b) der Urteilsgründe jeweils verhängten Einzelstrafen keine dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler.
30
b) Allerdings entfallen infolge der Schuldspruchänderung die Einzelstrafen in den Fällen A.II.2.c) und d). Das Landgericht hat die Zumessung der Einzelstrafen vor allem am Wert der jeweils entwendeten Fahrzeuge orientiert. Da es diesen in den genannten Fällen anhand der Summe des Wertes aller bei der jeweiligen Tat bestohlenen Fahrzeuge bemessen hat (UA S. 22), kann der Senat die Verhängung niedrigerer Strafen durch das Landgericht nicht ausschließen , wenn dieses nur vom Wert des vom Angeklagten überführten Audis ausgegangen wäre. Damit bedarf es auch der Aufhebung der Gesamtstrafe.
31
c) Das Tatgericht hat zudem entgegen § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB einen Anrechnungsmaßstab für die in Polen offenbar in der Zeit vom 17. September bis 1. Oktober 2014 in Polen erlittene Auslieferungshaft (Bl. 48, 51 und 54 der Sachakten) nicht – wie geboten (siehe nur BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 299/14, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 5 mwN) – bestimmt. Der neue Tatrichter wird dies nachzuholen haben. Angesichts der weitgehenden Aufhebung des Strafausspruchs sieht der Senat davon ab, den Anrechnungsmaßstab selbst festzulegen.
32
d) Der Aufhebung der dem Strafausspruch zugrunde liegenden Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen, treffen.

III.

33
Wie der Generalbundesanwalt bereits in seiner Antragsschrift zutreffend aufgezeigt hat, ist es nach der Verkündung des angefochtenen Urteils zu einer Verfahrensverzögerung gekommen. Die Akten des hiesigen Verfahrens sind versehentlich als Beiakten eines zivilrechtlichen Rechtsmittelverfahrens an den Bundesgerichtshof gesandt worden (BGH XII ZR 71/15). Erst im Februar 2016 gelangten diese wieder an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Bei dem Generalbundesanwalt gingen die Akten am 25. Februar 2016 bzw. am 2. März 2016 ein.
34
Der neue Tatrichter wird die Verfahrensverzögerung näher festzustellen sowie über Art und Umfang einer dafür erforderlichen Kompensation zu entscheiden haben. Raum Jäger Radtke Mosbacher Bär

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 101/16
vom
7. September 2016
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:070916U2STR101.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. September 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Zeng, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Wimmer,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 30. November 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , Diebstahls und Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen wenden sich die auf die Sachrüge gestützten, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision der Nebenklägerin. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begann der zur Tatzeit 25jährige Angeklagte im Alter von 17 bis 18 Jahren mit dem Konsum von Mari- huana und Alkohol, im Alter von etwa 20 Jahren mit dem Konsum von Kokain, auf das Wochenende verteilt in einer Größenordnung von 5-10 Gramm. In Belgien ist er bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten.
3
In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 2015 zwischen 1.00 Uhr und 2.00 Uhr suchte der Angeklagte die ihm bis dahin nicht bekannte, als Prostituierte tätige Nebenklägerin H. auf. Da er neun Stunden mit dieser auf dem Zimmer verbleiben wollte, zahlte er im Voraus 1.100 Euro, was in etwa seinem Monatsgehalt entsprach. Beide verbrachten die Nacht miteinander, wobei sie wach blieben und sich auf Englisch angeregt miteinander unterhielten. Während dessen konsumierte der Angeklagte, der einen ruhigen Eindruck machte, größere Mengen Wodka und Kokain. Im Verlaufe der Nacht kam es zu einem vaginalen Geschlechtsverkehr, den der Angeklagte jedoch wegen Erektionsproblemen vorzeitig abbrach. Nachdem er der Nebenklägerin weitere 200 Euro übergeben hatte, kündigte er zwischen 9.00 Uhr und 10.00 Uhr morgens an, zur Bank gehen zu wollen und weiteres Geld zu holen, um seinen Aufenthalt bei ihr bis etwa 15.00 Uhr verlängern zu können. Bis dahin hatte er sich ruhig verhalten und keinen betrunkenen Eindruck hinterlassen. Lediglich seine Pupillen waren erweitert und seine Augen gerötet.
4
Völlig unvermittelt schlug der Angeklagte, der die Nebenklägerin dabei anlachte, dieser die noch teilweise gefüllte Wodkaflasche ins Gesicht. Als die Geschädigte bewusstlos am Boden lag, entschloss er sich, die Situation auszunutzen. Er nahm deren Portemonnaie mit 2.000 Euro Bargeld sowie zwei wertvolle Mobiltelefone an sich. Beim Verlassen des Zimmers schloss er die Tür von außen ab und nahm den Schlüssel mit. Gegen 12.00 Uhr wachte die Geschädigte blutüberströmt auf und es gelang ihr, durch das geöffnete Fenster Hilfe herbeizurufen. Durch den Schlag hat sie eine rechtsseitige Fraktur des zentra- len Mittelgesichts, eine Alveolarfortsatzfraktur des rechten Oberkiefers sowie eine beidseitige Le Fort I Fraktur erlitten und einen Zahn verloren.
5
Noch vor Anklageerhebung während der Untersuchungshaft haben Angeklagter und Nebenklägerin über ihre Anwälte einen schriftlichen Täter-OpferAusgleich vereinbart. Infolge dessen hat der Angeklagte 7.500 Euro an die Geschädigte gezahlt und sich in der Hauptverhandlung bei dieser entschuldigt.
6
2. Von einer Verurteilung wegen eines Raubdelikts hat die Strafkammer abgesehen. Der Angeklagte habe den Schlag mit der Wodkaflasche nicht widerlegbar plausibel damit erklärt, dass er in Angst und Panik verfallen sei, weil ihm in diesem Moment bewusst geworden sei, entgegen in Belgien bestehender Bewährungsauflagen Alkohol und Kokain konsumiert zu haben. Erst danach habe er sich entschlossen, das Geld und die Mobiltelefone an sich zu nehmen. Deshalb sei er - weil es an einem finalen Zusammenhang zwischen Gewalt und Wegnahme fehle - nur wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit Diebstahl gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 6 StGB sowie - wegen des Einsperrens der bewusstlosen Geschädigten - in weiterer Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu verurteilen.
7
Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte aufgrund des konsumierten Alkohols und Kokains bei Tatbegehung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war. Aufgrund seiner eigenen Trinkmengenangaben errechnet sich eine maximale Blutalkoholkonzentration von 4,32 Promille, hinzu kommt eine verstärkende Wirkung durch das gleichzeitig konsumierte Kokain. Eine völlige Aufhebung der Schuldfähigkeit sei jedoch trotz des rechnerisch hohen Blutalkoholwerts ausgeschlossen. Bei dem Angeklagten wurden keine Ausfallerscheinungen festgestellt und sein Vorgehen war geordnet und zielgerichtet (Suche nach Wertgegenständen, Si- cherung seiner Flucht durch Verschließen des Zimmers) und im Nachhinein waren bei ihm keine wesentlichen Erinnerungslücken zu verzeichnen.

II.

8
1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
a) Die Strafkammer stützt ihre rechtliche Bewertung auf die "nicht widerlegbare" Einlassung des Angeklagten, den Wegnahmevorsatz erst dann gefasst zu haben, als die Geschädigte bewusstlos am Boden gelegen habe. Dabei verkennt sie bereits, dass Einlassungen, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, nicht ohne Weiteres als unwiderlegbar hinzunehmen und den Feststellungen zugrunde zu legen sind. Das Tatgericht hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber zu entscheiden , ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen.
10
Eine solche Gesamtwürdigung - insbesondere mit Blick auf das Tatvorgeschehen und das Nachtatverhalten - ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die vorangegangene Nacht war harmonisch und konfliktfrei verlaufen und der Angeklagte gab vor, seinen Aufenthalt bei der Nebenklägerin sogar verlängern zu wollen. Wieso er gerade in diesem Moment in Angst und Panik verfallen sein will, weil ihm bewusst geworden sei, durch den Konsum von Alkohol und Kokain gegen in Belgien bestehende Bewährungsauflagen verstoßen zu haben, ist nicht plausibel. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, wieso und auf welche Weise die Behörden und Gerichte in Belgien von seinem "Bewährungsversagen" hätten Kenntnis erlangen sollen. Gegen eine unüberlegte, impulsive, von Panik getragene Kurzschlusshandlung und für ein eher heimtückisches Handeln spricht im Übrigen, dass der Angeklagte die Geschädigte freundlich anlachte, um dann im nächsten Moment völlig überraschend zuzuschlagen. Auch sein geordnetes und zielgerichtetes Handeln nach dem Angriff auf die Geschädigte (sofortige Suche nach Wertsachen, Mitnahme von Handys und Abschließen des Zimmers, um eine Flucht zu hindern) spricht gegen ein impulsives unüberlegtes Verhalten.
11
b) Darüber hinaus hat das Landgericht nicht erwogen, ob es sich bei dem überraschenden Angriff auf die Nebenklägerin um einen hinterlistigen Überfall gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB bzw. in Anbetracht der erheblichen Verletzungsfolgen um eine das Leben gefährdende Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gehandelt hat.
12
2. Schließlich wird der neu entscheidende Tatrichter aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts auch zu erwägen haben, ob eine Unterbringung des langjährig drogenabhängigen Angeklagten, der bei Tatbegehung erheblich unter Alkohol- und Drogeneinfluss stand, in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB veranlasst ist. Appl Eschelbach Zeng Bartel Wimmer
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja zu A 1 + 2
Veröffentlichung: ja
_____________________________
§ 246 StGB ist nicht nur gegenüber Zueignungsdelikten subsidiär (im Anschluß an
BGHSt 43, 237).
BGH, Urt. vom 6. Februar 2002 - 1 StR 513/01 - LG Heidelberg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 513/01
vom
6. Februar 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
6. Februar 2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwältin
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 5. Juli 2001 wird mit der Maßgabe verworfen , daß der Angeklagte wegen Totschlags zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt ist. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Der Angeklagte wurde wegen Totschlags in Tatmehrheit mit Unterschlagung zu zwölf Jahren und einem Monat Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen wenden sich die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge.
Die nicht näher ausgeführte Revision des Angeklagten hat nur hinsichtlich der Verurteilung wegen Unterschlagung Erfolg. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist darauf beschränkt, daû der Angeklagte nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags verurteilt wurde. Sie führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt.

A.


Zur Revision des Angeklagten.
1. Der Angeklagte hat am 8. September 2000 einen Landsmann erstochen und anschlieûend dessen Mobiltelefon und dessen Geldbeutel an sich genommen. Unter Anwendung des Zweifelssatzes ist die Strafkammer davon ausgegangen, daû er sich erst zur Wegnahme entschlossen hat, als er sein Opfer erstochen hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt bei dieser Fallgestaltung Tateinheit zwischen dem Tötungsdelikt und dem Vermögensdelikt vor; der Zweifelssatz, der zur Verneinung von Mord aus Habgier führte, ist bei der Beurteilung der Konkurrenzen nochmals heranzuziehen (BGH b. Holtz MDR 1990, 676; BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 4 m. w. N.).
2. Ein Schuldspruch wegen Totschlags in Tateinheit mit Unterschlagung kommt dennoch nicht in Betracht.
Eine Verurteilung wegen Unterschlagung setzt nach der durch das 6. StrRG in § 246 StGB eingefügten Subsidiaritätsklausel voraus, daû die Tat nicht in anderen Vorschriften mit höherer Strafe bedroht ist. Eine ("die") Tat in
diesem Sinne liegt bei Tateinheit (§ 52 StGB) regelmäûig vor (vgl. Noak, Drittzueignung und 6. StrRG S. 109). Daû die Annahme von Tateinheit hier auf der Anwendung des Zweifelssatzes beruht, ist dabei ohne Belang.
Der Senat hat erwogen, ob die Subsidiaritätsklausel hier deshalb nicht anwendbar ist, weil es sich bei der Vorschrift mit höherer Strafandrohung um Totschlag und nicht um ein Zueignungsdelikt handelt (hierfür etwa Tröndle/ Fischer StGB 50. Aufl. § 246 Rdn. 29; Eser in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 246 Rdn. 32 jew. m. w. N.; in vergleichbarem Sinne auch Rudolphi in JZ 1998, 471, 472).
Unbeschadet der Frage, ob ein derartiges Ergebnis zweckmäûig sein könnte, ist dies zu verneinen.

a) Eine solche Einschränkung der Subsidiaritätsklausel wäre mit dem Wortlaut des Gesetzes, dessen möglicher Wortsinn die äuûerste Grenze der Auslegung strafrechtlicher Bestimmungen zum Nachteil des Angeklagten markiert (BGHSt 43, 237, 238 m. w. N. zur identischen Subsidiaritätsklausel des § 125 StGB), unvereinbar. Daher gilt die Subsidiaritätsklausel des § 246 StGB für alle Delikte mit höherer Strafdrohung (ebenso Laufhütte/Kuschel in LK 11. Aufl. § 246 Rdnr. 9; Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 246 Rdn. 14; Sander/Hohmann NStZ 1998, 273, 276; Noak, aaO S. 110; Wagner in Festschrift für Grünwald, S. 797, 800 ff; vgl. auch Otto, Jura 1998, 550, 551).

b) Eine Gegenüberstellung der Subsidiaritätsklauseln, die durch das 6. StrRG in § 246 StGB und in § 265 StGB eingefügt worden sind, bestätigt dieses Ergebnis:
§ 265 StGB enthält jetzt eine spezielle Subsidiaritätsklausel ("wenn die Tat nicht in § 263 mit Strafe bedroht ist"), deren Wortlaut demjenigen spezieller Subsidiaritätsklauseln anderer Strafbestimmungen (§§ 145, 145d, 202, 218c, 316 StGB) angeglichen ist. Die gleichzeitig in § 246 StGB eingefügte allgemeine Subsidiaritätsklausel kann danach nur so verstanden werden, daû sie auch allgemein gilt, Unterschlagung also hinter sämtlichen Vorschriften mit höherer Strafdrohung zurücktritt (Wagner aaO S. 800).

c) Der Senat verkennt bei alledem nicht, daû § 246 StGB nach den Materialien zum 6. StrRG alle Formen der rechtswidrigen Zueignung erfassen soll, die nicht einen mit schwererer Strafe bedrohten eigenständigen Straftatbestand erfüllen; beispielhaft sind Diebstahl, Raub, Erpressung und Hehlerei angeführt (BTDrucks. 13/8587, 43 f; hierzu im einzelnen Wagner aaO S. 797 f, 800). Danach läge die Annahme nahe, daû § 246 StGB nur hinter mit schwererer Strafe bedrohten Zueignungsdelikten subsidiär sein soll. Da ein solcher Wille des Gesetzgebers im Wortlaut des Gesetzes aber nicht zum Ausdruck gebracht ist (Kritik an der Gesetzesfassung etwa bei Otto aaO und Wagner aaO S. 810), kann er nicht Grundlage einer mit dem Wortlaut des Gesetzes unvereinbaren Auslegung des Gesetzes zum Nachteil des Angeklagten sein (vgl. BGHSt 42, 291, 293).
3. Der Senat ändert daher den Schuldspruch, der im übrigen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten enthält, dahin ab, daû die Verur-
teilung wegen Unterschlagung entfällt, und erkennt auf die ebenfalls ohne Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten festgesetzte Einzelstrafe wegen Totschlags (vgl. BGH b. Holtz MDR 1990, 676).
4. Der geringe Teilerfolg der Revision des Angeklagten hat auf die Kostenentscheidung keinen Einfluû (§ 473 Abs. 4 StPO).

B.


Zur Revision der Staatsanwaltschaft.
Das auch vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg. Die Mordmerkmale Habgier und niedrige Beweggründe sind nicht mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung verneint.

I.


1. Zu den Hintergründen der Tat, ihrem Ablauf sowie dem übrigen Geschehen am Tattag hat die Strafkammer folgendes festgestellt:
Der Angeklagte, ein gebürtiger Vietnamese, hatte von sich aus seine Arbeit im Betrieb seines Bruders in K. aufgegeben und hielt sich statt dessen vor allem in Spielhallen auf, wurde aber zumindest zeitweilig noch von seiner Familie finanziell unterstützt. Ein Freund der Familie, der an den Rollstuhl gefesselte Wissenschaftler H. , hatte dem Angeklagten 10.000 DM geliehen, damit er sich am Kauf eines Pkws durch die Familie beteiligen konnte. Auûerdem hatte er ihm eine Lehrstelle an der Universität He. ver-
mittelt. Der Angeklagte trat sie jedoch nicht an und behauptete sowohl gegenüber H. als auch gegenüber seiner Familie, er habe in Düsseldorf eine Lehre begonnen. Tatsächlich hielt er sich weiterhin vor allem in Spielhallen auf, bekam daher finanzielle Probleme und verbrauchte das Darlehen. Als H. von einer Schwester des Angeklagten erfuhr, daû dieser sich nicht an den Kosten des Pkws beteiligt hatte, forderte er vom Angeklagten über die Schwester wenigstens einen Teil des Darlehens zurück. Der Angeklagte konnte nicht zahlen und beschloû, H. in dessen Wohnung in N. aufzusuchen. Da er zwar Auto fahren kann, aber keinen Führerschein hat, forderte der Angeklagte seinen Bekannten L. auf, ihn zu begleiten. Als Grund der Reise gab er wahrheitswidrig an, er wolle einen Computer abholen. Der Angeklagte fuhr daher am Tattag in Begleitung L. s in einem seiner Familie gehörenden Pkw in Richtung N. . Nachdem man unterwegs in eine Polizeikontrolle geraten war, übergab der Angeklagte anschlieûend das Steuer an L. . In N. veranlaûte er ihn mit der bewuût falschen Behauptung, näher am Wohnhaus des H. könne man nicht parken, den Pkw in einiger Entfernung abzustellen und auf ihn zu warten.
In der Hoffnung, H. werde ihm einen Ausweg zeigen, legte der Angeklagte diesem in der Wohnung sein Lügengebäude offen. Als H. ihm jedoch Vorhalte machte, befürchtete er, daû nun auch gegenüber seiner Familie seine Lügen offenbar würden. Dies hätte nach seiner Vorstellung sowohl für ihn als auch für seine Familie groûe Schande bedeutet. Hierüber geriet er in völlige Verzweiflung, ergriff spontan ein H. gehörendes Messer und tötete ihn mit zahlreichen Stichen. Anschlieûend kam ihm die Idee, Geldbeutel und Mobiltelefon an sich zu nehmen. Auûerdem reinigte er sich und beseitigte das Tatmesser, das seither nicht aufgefunden werden konnte. Äu-
ûerlich ruhig begab er sich zum Pkw, wo er L. eingehend erklärte, warum er jetzt doch keinen Computer mitbrächte. Auf der anschlieûenden Rückfahrt entledigte er sich des Mobiltelefons; dessen Besitz war ihm verräterisch erschienen , nachdem es geklingelt hatte. Nach einem Zwischenaufenthalt in F. , wo man nach einem Sexshop suchte, waren der Angeklagte und L. am nächsten Morgen wieder zu Hause.
2. Der Angeklagte hat bestritten, H. getötet zu haben. Zunächst hatte er sich um ein falsches Alibi bemüht. Später hat er seine Angaben dem jeweiligen Ermittlungsstand angepaût. Zuletzt hat er angegeben, zur Tatzeit bei H. gewesen zu sein und ihm seine Lügengeschichten offenbart zu haben. Dieser sei von ihm enttäuscht gewesen und habe ihn aufgefordert zu gehen. Dies habe er getan. Wie und warum er Geldbeutel und Mobiltelefon mitgenommen habe, wisse er nicht. Als er es bemerkt habe, habe er sich gesorgt, daû er seinen Freund "schon wieder ... enttäuscht habe".
Die Strafkammer, die sich weder hinsichtlich des genauen Geschehensablaufs in der Wohnung noch hinsichtlich des Tatmotivs auf Zeugenaussagen stützen konnte, hat sich mit rechtsfehlerfreien Erwägungen davon überzeugt, daû der Angeklagte H. getötet hat. Ein Motiv, das zur Annahme von Mord führen würde, konnte sie dagegen nicht feststellen.
Hätte der Angeklagte H. getötet, um das Darlehen nicht zurückzahlen zu müssen, läge aus Habgier begangener Mord vor (vgl. BGH NJW 1993, 1664, 1665 m. w. N.), wäre es (auch) um die Wertgegenstände von H. gegangen, in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge (vgl. BGHSt 39, 100).
Niedrige Beweggründe im Sinne des § 211 StGB kämen in Betracht, wenn der Angeklagte eigenes, zwar nicht strafbares, aber ehrenrühriges Verhalten hätte verdecken wollen (vgl. BGH NStZ 1987, 81).
Von alledem geht auch die Strafkammer aus. Sie konnte jedoch nicht ausschlieûen, daû der Angeklagte H. nur aufgesucht hat, um eine Aussprache herbeizuführen und sich erst in deren Verlauf voller Verzweiflung über die drohende groûe Schande zur Tötung entschlossen hat. Dementsprechend scheide Habgier aus, weil es ihm nicht um Bereicherung gegangen sei; bei der Furcht vor Schande handle es sich jedenfalls im Hinblick auf den hohen Grad seiner seelischen Erregung nicht um einen niedrigen Beweggrund.
3. Kann der Tatrichter tatsächliche Zweifel nicht überwinden und zieht die danach gebotene Konsequenz (hier: Verurteilung wegen Totschlags statt wegen Mordes), so hat dies das Revisionsgericht regelmäûig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte.
Demgegenüber kann ein Urteil keinen Bestand haben, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist. Dies ist etwa der Fall, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, nicht alle wesentlichen Feststellungen in die Erwägungen einbezieht oder naheliegende Möglichkeiten unerörtert läût (st. Rspr., vgl. nur BGH Urteil vom 12. Juni 2001 - 1 StR 190/01; wistra 1999, 338, 339 m. w. N.).
Ist eine Vielzahl einzelner Erkenntnisse angefallen, so ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. Ein auf einen feststehenden Kern gestütztes Beweisanzeichen , dessen Bedeutung für sich genommen unklar bleibt, kann nicht vorab isoliert nach dem Zweifelssatz beurteilt werden. Beweisanzeichen können nämlich in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen (vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24; BGH Urteil vom 15. Juli 1998 - 1 StR 243/98 jew. m. w. N.). Hat der Angeklagte Angaben gemacht, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine (ausreichenden) Beweise gibt, sind diese in die Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses einzubeziehen und nicht ohne weiteres als unwiderlegt dem Urteil zu Grunde zu legen. Ihre Zurückweisung erfordert nicht, daû sich das Gegenteil der Behauptung positiv feststellen lieûe (vgl. nur BGHR StPO § 261 Einlassung 5, 6; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 28 jew. m. w. N.). Auch im übrigen gebietet es der Zweifelssatz nicht, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH NJW 1995, 2300; Urteil vom 12. Dezember 2001 - 3 StR 303/01 m. w. N.).
An alledem gemessen, enthält die Beweiswürdigung der Strafkammer den Angeklagten begünstigende Rechtsfehler.

II.


1. Die Strafkammer geht zutreffend davon aus, daû es gegen eine spontane und für eine geplante Tat spreche, wenn der Angeklagte das - nicht mehr auffindbare - Tatmesser zum Tatort mitgebracht hätte.

Dies konnte sie jedoch nicht feststellen.

a) Sie führt aus, gegen ein Mitbringen des Messers spreche schon, daû dieses Messer bei der polizeilichen Kontrolle auf der Hinfahrt nicht bemerkt werden konnte. Demgegenüber sei bei dieser Gelegenheit in der Aktentasche des Angeklagten ein Metallhandschuh gefunden worden, dessen Bedeutung (Handschutz beim Zuschneiden) der Angeklagte den kontrollierenden Beamten auf deren Nachfrage im einzelnen erläutert habe. Die Strafkammer folgert daraus , daû bei dieser Kontrolle auch ein im Pkw befindliches Messer gefunden worden wäre und Anlaû zu Erörterungen gegeben hätte.
Diese Erwägungen sind im Ansatz nicht zu beanstanden.
Im einzelnen ergeben die Ausführungen der Strafkammer jedoch von ihr nicht erörterte Gesichtspunkte, die dagegen sprechen, daû der Pkw überhaupt kontrolliert wurde. Selbst wenn man der Strafkammer aber insoweit folgt, sind die Feststellungen zu dem Metallhandschuh widersprüchlich und unklar.
aa) Die Strafkammer hat festgestellt, daû am Tattag auf der vom Angeklagten und dem Zeugen L. benutzten Bundesautobahn zahlreiche Kraftfahrzeuge im Rahmen einer Drogenfahndung kontrolliert wurden. Schriftliche Unterlagen darüber, daû auch das hier in Rede stehende Fahrzeug kontrolliert wurde, gibt es nicht; jedoch hätten der Angeklagte und der Zeuge L. die Kontrolle und ihren Ablauf weitgehend übereinstimmend geschildert. Eine Differenz in den Schilderungen gäbe es allerdings insofern, als nur L. behauptet habe, daû auch die Führerscheine kontrolliert worden seien.

Zum Zeitpunkt der Kontrolle steuerte der Angeklagte das Fahrzeug. Er hat keinen Führerschein. Hätte es, wie L. behauptet, eine Führerscheinkontrolle gegeben, läge zumindest nahe, daû dies festgestellt worden wäre. Ebenso nahe liegt, daû es dann schriftliche Unterlagen über die Kontrolle dieses Fahrzeugs gäbe.
Es erscheint aber auch fernliegend und hätte daher näherer Begründung bedurft, daû, wie der Angeklagte behauptet, Polizeibeamte ein Fahrzeug intensiv und zeitaufwendig durchsuchen, mit dem Fahrer dabei über einen in einer Aktentasche aufgefundenen Metallhandschuh debattieren und bei alledem nicht überprüfen, ob der Fahrer eine Fahrerlaubnis hat.
bb) Die Angaben des Angeklagten und die von L. zum Ablauf der Kontrolle differierten nur hinsichtlich der Führerscheinkontrolle. Danach haben beide das Auffinden des Metallhandschuhs übereinstimmend geschildert. Damit unvereinbar ist jedoch, daû der Metallhandschuh "nach Einlassung des Angeklagten" zu Nachfragen führte, während L. "hiervon" nichts berichtet hat. Beruhten die Feststellungen zum Auffinden des Metallhandschuhs nur auf den sonst durch nichts bestätigten Angaben des Angeklagten, wären sie aber, zumal unter Berücksichtigung seines übrigen Aussageverhaltens, nicht ohne weiteres als unwiderlegt den Feststellungen zu Grunde zu legen.

b) Diesen Maûstab hat die Strafkammer (auch) an die Erklärung des Angeklagten angelegt, er habe seine Aktentasche allein deshalb mit in die Wohnung von H. mitgenommen, weil sich darin (wohl zusätzlich zu dem Metallhandschuh) Hochzeitsbilder befunden hätten, die er ihm habe zei-
gen wollen. Die Strafkammer sieht diese Einlassung zwar als "wenig glaubhaft" an, sie sei aber "letztlich nicht zu widerlegen". Die Strafkammer brauchte sich jedoch nicht, wie sie es getan hat, durch eine sonst nicht belegte, wenig glaubhafte Einlassung des Angeklagten daran gehindert zu sehen, aus einem als solchen feststehenden Beweisanzeichen (der Angeklagte führte eine Aktentasche mit sich) einen Schluû zum Nachteil des Angeklagten (in der Aktentasche, die er ohne sonst erkennbaren Grund mit in die Wohnung nahm, befand sich ein Messer) zu ziehen.
2. Die Strafkammer hat auch die Lüge des Angeklagten zu den fehlenden Parkmöglichkeiten am Wohnhaus des H. nur isoliert und auch sonst nicht rechtsfehlerfrei bewertet. Sie verkennt zwar nicht, daû dieses Verhalten des Angeklagten, mit dem er verhindert hat, daû der auf ihn hindeutende Pkw in der Nähe des Tatorts gesehen werden konnte, für einen vorgefaûten Tatplan sprechen könnte. Sie meint aber, der Angeklagte habe möglicherweise einen lautstarken Streit mit H. vorausgesehen und befürchtet, L. könne diesen Streit mitbekommen, wenn der Pkw in unmittelbarer Nähe des Hauses parken würde. Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für diese Variante sind jedoch nicht ersichtlich; darüber hinaus ist auch nicht erörtert, wie sie mit einer durch Vorwürfe H. s ausgelösten Spontantat vereinbar ist.
3. Schlieûlich sind auch Gesichtspunkte, die gegen die Annahme einer ungewöhnlichen Verzweiflung wegen der drohenden groûen Schande sprechen können, nicht erkennbar erörtert.

a) Der Angeklagte hatte die Arbeit bei seinem Bruder aufgegeben und sich statt dessen hauptsächlich in Spielhallen aufgehalten. Dies war der Fami-
lie bekannt, die ihn gleichwohl finanziell zumindest zeitweilig weiter unterstützte. Die Angehörigen wuûten auch, daû der Angeklagte das Darlehen von H. absprachewidrig nicht dazu verwendet hatte, sich an den Kosten des neuen Pkws zu beteiligen. Es ist nicht ersichtlich, daû all dies zu einem besonderen Ehrverlust des Angeklagten gegenüber seiner Familie geführt hätte, oder daû gar die Familie deshalb in Schande geraten sei. Unter diesen Umständen verdeutlichen die Hinweise auf Herkunft und enge familiäre Bindung des Angeklagten nicht, warum er demgegenüber schwere Schande befürchtete , wenn (auch) offenbar würde, daû seine Behauptung über seine angebliche Tätigkeit in D. eine Lüge war.

b) Nach der Tat hat der Angeklagte Spuren beseitigt, Wertgegenstände seines Opfers an sich gebracht, dem Zeugen L. genau erklärt, warum er jetzt doch keinen Computer dabei hatte und sich an der Suche nach einem Sexshop beteiligt. Dieses Verhalten erscheint insgesamt zielgerichtet, überlegt und unauffällig. Es wäre daher zu erörtern gewesen, wie dies mit der Annahme vereinbar ist, der Angeklagte habe kurz zuvor aus spontan entstandener groûer Verzweiflung seinen Freund erstochen.

III.


1. Nach alledem sind die tatsächlichen Grundlagen zur Verneinung von Habgier und niedrigen Beweggründen nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Da die Sache deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung bedarf, können die in der Revisionsbegründung der Beschwerdeführerin vom 2. November 2001 und im Antrag des Generalbundesanwalts vom 28. November 2001 im einzelnen vor-
getragenen weiteren Bedenken gegen die Verneinung niedriger Beweggründe auf sich beruhen.
2. Die Urteilsaufhebung umfaût das gesamte Urteil. Da die Wegnahme von Geld und Mobiltelefon nicht in Tatmehrheit zu dem Tötungsdelikt steht, geht die Revisionsbeschränkung der Staatsanwaltschaft auf das Tötungsdelikt ins Leere (vgl. BGH b. Kusch NStZ-RR 1998, 257, 262 f m. w. N.).
Schäfer Nack Wahl Schluckebier Kolz

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 292/15
vom
2. Dezember 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2015:021215U1STR292.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Dezember 2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt , Rechtsanwalt und Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter für den Nebenkläger G. und Rechtsanwältin als Vertreterin für die Nebenklägerin M. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 19. Januar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags an seiner Ehefrau aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Sachrüge, die Nebenkläger zusätzlich auf eine Verfahrensrüge, gestützten Revisionen. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten. Alle drei Revisionen haben schon mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
1. Die Anklage legt dem Angeklagten zur Last, am 4. Dezember 2013 unmittelbar nach 12.37 Uhr im von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Anwesen in E. seine Ehefrau tätlich angegriffen und getötet zu haben, indem er ihr mit stumpfer Gewalteinwirkung Brüche der dritten und vierten Rippe im rechten Brustkorb, Blutungen im Bereich des Rippenfells und des Mittelfell- raums sowie Blutergüsse am Kopf, an der rechten Schulter, an der linken Brustdrüse sowie an beiden Armen zufügte und ihr dann den Hals komprimierte bzw. ihr Mund und Nase zuhielt und sie so erstickte.
3
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
a) Am 4. Dezember 2013 nach 12.37 Uhr wurde die Ehefrau des Angeklagten im von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Anwesen in E. durch mindestens 30 Faustschläge und weitere Tätlichkeiten von einer unbekannten Person, nicht ausschließbar dem Angeklagten, erheblich verletzt und dann getötet. Sie erlitt unter anderem Brüche der dritten und vierten Rippe im rechten Brustkorb, eine Vielzahl von Blutergüssen, vornehmlich auf den Händen und im Kopfbereich, nicht zuletzt auch eine blutende Wunde, verursacht durch eine Hautaufplatzung auf Höhe der linken Augenbraue. Todesursächlich war jedoch ein Erstickungs- bzw. Würgevorgang, der im Zusammenhang mit den Tätlichkeiten am Opfer vorgenommen wurde und spätestens gegen 18.00 Uhr desselben Tages zum Tode führte.
5
b) Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Tat könne ihm nicht nachgewiesen werden. Der Angeklagte habe für die Zeit zwischen 12.37 bis etwa 13.20 Uhr zwar kein Alibi, habe sich am Tattag teils sonderbar verhalten und zum Alkoholkonsum seiner Ehefrau teils widersprüchliche Angaben gemacht; auch Konfliktthemen für einen Streit könnten nicht ausgeschlossen werden, wobei sich keine konkreten Anhaltspunkte ergeben hätten, dass ein bestimmtes Thema tatsächlich eskaliert sei. Letztendlich aber sei entscheidend, dass eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch den Angeklagten nicht habe nachgewiesen werden können.
6
Viele Gesichtspunkte seien einer unterschiedlichen Betrachtung zugänglich ; solche, die den Angeklagten eindeutig belasteten, lägen jedoch nicht vor. Die Vorgehensweise des Täters bei der Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Faustschlägen und bei der Tötung weise zwar auf das Vorhandensein von Emotionen beim Täter hin und spräche zunächst für einen Täter im sozialen Umfeld. Jedoch komme nicht nur der Angeklagte als Täter in Betracht. Es habe auch ein großes Konfliktpotenzial mit anderen Personen aus dem sozialen Nahbereich bestanden, insbesondere mit Familienmitgliedern im weiteren Sinne. Auch sei nur wenig bekannt, wie die Verstorbene ihre Freizeit verbracht habe. Nach Überzeugung der Kammer könnten deshalb Fremdtäter nicht ausgeschlossen werden. Da endgültig eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch den Angeklagten nicht habe nachgewiesen werden können, habe die Kammer keine sichere Überzeugung von seiner Täterschaft gewinnen können, obwohl er als möglicher Täter nicht ausscheide.

II.


7
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil sich die ihm zugrundeliegende Beweiswürdigung als nicht tragfähig erweist. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
8
1. Das Urteil lässt die erforderliche Gesamtwürdigung des Beweisstoffs vermissen.
9
a) Ist eine Vielzahl einzelner Erkenntnisse angefallen, so ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. Februar 2002 – 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188, 2189). Erst sie entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtschau dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln. Beweisanzeichen können nämlich in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen (vgl. Senat, Urteil vom 6. Februar 2002 – 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188, 2189). Der Beweiswert einzelner Indizien ergibt sich zudem regelmäßig erst aus dem Zusammenhang mit anderen Indizien, weshalb der Inbezugsetzung der Indizien zueinander im Rahmen der Gesamtwürdigung besonderes Gewicht zukommt.
10
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Statt die Indizien mit ihrem jeweiligen Beweiswert in die Gesamtwürdigung einzustellen, spricht das Landgericht einzelnen Umständen insgesamt einen belastenden Beweiswert mit der Begründung ab, diese seien keine „sicheren“, „eindeutig belastenden“ oder „zweifelsfrei belastenden“ Indizienfür die Täterschaft des Angeklagten (vgl. UA S. 46, 49, 50, 53, 80, 81, 97, 108). Damit hat das Landgericht rechtsfehlerhaft einzelne Beweisergebnisse als „nicht eindeutig belastende“ Indizien aus der Beweiswürdigungvorschnell ausgeschieden , anstatt die einzelnen Beweisanzeichen mit dem ihnen zukommenden Gewicht, also mit den ihnen innewohnenden belastenden und entlastenden Aspekten, in Beziehung zu setzen und im Zusammenhang mit anderen Beweisanzeichen zu bewerten. Statt einer umfassenden Würdigung aller im Urteil dargelegten Beweisergebnisse bestätigt die Strafkammer in ihrer „Zusammen- fassung“ (UA S. 124) lediglich das zuvor bei den Einzelindizien gefundene Ergebnis , indem sie darauf verweist, dass „wie sich ergab und ausgeführt wurde“, keine wesentlichen Gesichtspunkte gefunden werden konnten, welche den Angeklagten eindeutig belasteten.
11
2. Das Urteil beruht auch auf dem Rechtsfehler. Zwar ist in vorliegendem Fall nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Beweislage infolge polizeilicher Ermittlungsfehler (dem Angeklagten wurde etwa vor einer Sicherung der Spuren erlaubt, den Tatort zu reinigen) als schwierig darstellt. Ob der weitere Verfahrensgang zu einer Verurteilung oder einem Freispruch führen wird, ist gleichwohl angesichts der Beweislage offen.

III.


12
Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils wird die damit verknüpfte Entschädigungsentscheidung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG) und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (BGH, Urteile vom 25. April 2013 – 4 StR 551/12 und vom 25. März 2010 – 1 StR 601/09). Raum Jäger Cirener Mosbacher Fischer

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 235/16
vom
24. November 2016
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts des Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:241116U4STR235.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. November 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Bender, Dr. Quentin als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts, Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenkläger S. , Y. und K. A. , Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin Si. A. , Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter der Nebenklägerin So. A. , Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 3. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags in Tateinheit mit Nötigung freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger haben Erfolg.

I.


2
Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten unter anderem zur Last, er habe am 14. Mai 2015 auf dem Vorplatz des Bahnhofes in L. im Rahmen eines Streites dem Geschädigten H. A. mit einen Spatenstiel unter billigender Inkaufnahme tödlicher Verletzungen zweimal heftig und gezielt gegen den Kopf geschlagen. H. A. sei infolge der durch die Schläge erlittenen Verletzungen zu Boden gegangen und mit dem Kopf auf das Stra- ßenpflaster aufgeschlagen. Dort habe ihn der Angeklagte mit dem beschuhten Fuß zumindest noch einmal in die linke Körperseite getreten. H. A. sei am 16. Mai 2015 an einem durch die Schläge und den Sturz verursachten Schädel-Hirn-Trauma verstorben.

II.


3
Zu der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat hat das Landgericht im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
1. Der Angeklagte trank im Verlauf des 14. Mai 2015 zusammen mit mehreren Bekannten erhebliche Mengen Alkohol. Ab 20.30 Uhr hielt er sich mit vier Begleitern vor dem Hauptbahnhof in L. auf. Gegen 20.50 Uhr standen die fünf Männer mindestens fünf Minuten am Ende der Ausfahrt des Bahnhofsvorplatzes , die sie dabei zu etwa einem Drittel blockierten. Zu dieser Zeit fuhr der 49 Jahre alte Geschädigte H. A. mit seinem Pkw die Auffahrt herauf, um den Bahnhofsvorplatz zu verlassen. Als er auf den Angeklagten und seine Begleiter traf, hielt er sein Fahrzeug in einer Entfernung von etwa eineinhalb Metern an und hupte. Ob es dem Geschädigten möglich gewesen wäre, an der Gruppe vorbeizufahren oder ob diese ihm die Ausfahrt versperrte, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. Als er die Scheibe der Fahrertür her- unterließ, kam es zu wechselseitigen Beleidigungen („Scheiß-Russen“, „ScheißTürke“ ). Wer hiermit begann, hat die Strafkammer nicht aufklären können.
5
Der Geschädigte stieg schließlich – für den Angeklagten und seine Begleiter unerwartet – aus seinem Fahrzeug aus, ging wortlos zum Kofferraum und entnahm daraus einen hölzernen Spatenstiel, der etwa 110 cm lang war und einen Durchmesser von etwa 5 cm aufwies. Anschließend trat er auf den Angeklagten und seine Begleiter zu und schlug mit dem Stiel einmal auf den Angeklagten ein. Der mit einer ausholenden Bewegung geführte Schlag traf den Angeklagten im Bereich des Oberkörpers. Nachdem der Geschädigte mit dem Spatenstiel auch zwei Begleiter des Angeklagten geschlagen hatte, schlug er erneut in Richtung des Angeklagten, der trotz eines Ausweichversuches ein zweites Mal im Bereich des Oberkörpers getroffen wurde.
6
Der Geschädigte folgte dem Angeklagten. Zwischen beiden entwickelte sich eine Auseinandersetzung um den Spatenstiel, den der Angeklagte an sich bringen wollte, um weitere Schläge zu verhindern. Dabei gingen beide aufeinander zu und schubsten sich hin und her. Während dieser Auseinandersetzung , bei der der Geschädigte schließlich dem Bahnhof den Rücken zuwandte, legten beide einen Weg von etwa 20 Metern in Richtung Bahnhof zurück; die Begleiter des Angeklagten folgten ihnen in kurzem Abstand nach. Obwohl sich der Geschädigte in einer Rückwärtsbewegung befand, machte er mit dem erhobenen Stiel in den Händen weiterhin Drohgebärden in Richtung des Angeklagten sowieseiner Begleiter und versuchte diese – wild um sich schlagend – zu treffen. Aufgrund dessen und mit Rücksicht darauf, dass der Geschädigte noch immer den Stiel fuchtelnd in Händen hielt, mit dem er ihn schon zwei Mal geschlagen hatte, „fürchtete der Angeklagte weiterhin“, dass H. A. plötzlich stehenbleiben oder nach vorne gehen und dann weiter auf ihn einschlagen würde. Um das zu verhindern, versuchte er, dem Geschädigten den Stiel zu entwinden, was ihm letztlich auch gelang. Obwohl er nunmehr entwaffnet war und sich in einer Rückwärtsbewegung befand, „griff H. A. sein Gegenüber weiter mit drohend hochgehobenen fuchtelnden Armen an“. Um weitere, aufgrund der vorangegangenen Schläge befürchtete, jetzt ohne den Spatenstiel geführte Schläge von sich abzuwehren und den Geschädigten von sich fernzuhalten, auch damit dieser den Spatenstiel nicht zurückerlangen und ihn damit erneut angreifen konnte, schlug der Angeklagte kurz hintereinander mit ausholenden Bewegungen mindestens zwei Mal mit dem Stiel in Richtung des Oberkörpers des Geschädigten und traf diesen jeweils am Kopf. Dabei nahm er zumindest billigend in Kauf, ihn am Körper zu verletzen. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht.
7
H. A. kam zu Fall. Die Ursache hierfür konnte nicht geklärt werden. Der Angeklagte „stupste“ den auf dem Rücken liegenden Geschädig- ten mit dem Fuß an, um ihn zum Aufstehen zu veranlassen. Dieser blieb jedoch auf dem Boden liegen, wobei er stark aus dem Ohr blutete. Der Angeklagte warf daraufhin den Spatenstiel weg und verblieb mit seinen Begleitern am Ort des Geschehens.
8
Es steht fest, dass der Geschädigte durch „weitere Gewalteinwirkung“ auf den Kopf – zusätzlich zu den zwei Schlägen des Angeklagten – verletzt wurde. Auf welche Weise dies konkret geschehen ist und von wem diese Gewalteinwirkung ausging, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. H. A. verstarb trotz zeitnaher ärztlicher Versorgung am 16. Mai 2015 infolge der erlittenen Verletzungen an einem schweren Schädel-HirnTrauma.
9
2. Das Landgericht hat angenommen, das Handeln des Angeklagten sei durch Notwehr gerechtfertigt. Der Geschädigte habe den Angeklagten rechtswidrig angegriffen, indem er mit dem Spatenstiel zwei Mal auf ihn eingeschlagen und noch im Rückwärtsgehen wild um sich schlagend versucht habe, ihn mit dem Spatenstiel zu treffen. Dieser Angriff sei auch noch nach dem Entwinden des Spatenstiels nicht beendet gewesen. Denn der Geschädigte habe den Angeklagten weiter mit „drohend hochgehobenen fuchtelnden Armen angegrif- fen“, obwohl er nunmehr entwaffnet gewesen sei und sich in einer Rückwärts- bewegung befunden habe. Es sei deshalb – auch angesichts der vorangegangenen Schläge – zu befürchten gewesen, dass der Geschädigte auch ohne den Stiel weiter auf den Angeklagten eindringen und ihn nunmehr mit den Händen oder Fäusten schlagen oder den Spatenstiel zurückerlangen und dann damit erneut angreifen werde.

III.


10
Die Revisionen der Nebenkläger und die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft haben Erfolg, weil das angefochtene Urteil sachlich-rechtlicher Prüfung nicht standhält.
11
1. Der Freispruch des Angeklagten kann schon deswegen nicht bestehen bleiben, weil die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei im Zeitpunkt der von ihm geführten Schläge mit dem Spatenstiel objektiv noch einem gegenwärtigen Angriff des Geschädigten ausgesetzt gewesen, nicht belegt ist. Die hierzu in den Feststellungen und der Beweiswürdigung gemachten Ausführungen sind unklar und lückenhaft.
12
a) Ein gegenwärtiger Angriff im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB ist auch ein Verhalten, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133; Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365; Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; Urteil vom 26. August 1987 – 3 StR 303/87, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1; Urteil vom 7. November 1972 – 1 StR 489/72, NJW 1973, 255 mwN). Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153; Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5). Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlichen oder unverändert fortdauernden) Rechtsgutsverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ 2002, 203; Urteil vom 9. August 2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153; Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; siehe auch Beschluss vom 28. Oktober 2015 – 5 StR 397/15, Rn. 5).
13
b) Das Landgericht hat keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen , welche Absichten der Geschädigte im Tatzeitpunkt hatte. Soweit davon die Rede ist, dass H. A. „obwohl er nunmehr entwaffnet war und sich in einer Rückwärtsbewegung befand“, sein Gegenüber „weiter mit drohend hoch- gehobenen fuchtelnden Armen“ angriff (UA 8), kann dem nicht entnommen werden, was der Geschädigte in Bezug auf den Angeklagten tatsächlich beabsichtigte und welche Gefahr objektiv von ihm – trotz der festgestellten Rückwärtsbewegung – für die Rechtsgüter des Angeklagten ausging. Im Weiteren geben die Feststellungen lediglich wieder, was der Angeklagte „aufgrund der vorangegangenen Schläge und des Gerangels“ von dem Geschädigten „befürchtete“ (ohne den Spatenstielgeführte Schläge) und welche Zwecke er mit seinen Schlägen verfolgte (H. A. von sich fernzuhalten, auch damit dieser den Spatenstiel nicht zurückerlangen und ihn damit erneut angreifen konnte).
14
Die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung gibt keinen weiteren Aufschluss. Das Landgericht hat ausgeführt, „im Wesentlichen“ der „nicht zu widerlegenden“ Einlassung des Angeklagten gefolgt zu sein. Die- ser habe geltend gemacht, der Geschädigte habe ihn (auch nach der Wegnahme des Spatenstiels) noch immer angreifen wollen, was er den „Drohungen und Bewegungen der hochgehobenen Arme entnommen habe“ (UA 18).Soweit an anderer Stelle dazu noch ausgeführt wird, der Angeklagte habe bei „lebensnaher Betrachtung“ auch davon ausgehen müssen, dass H. A. ver- suchen würde, den Spatenstiel zurückzuerlangen, um dann damit den Angriff fortzusetzen (UA 20), ergibt sich daraus nicht, dass eine solche (von dem Angeklagten nach eigenem Bekunden nicht besorgte) Gefahr auch tatsächlich bestand.
15
2. Es kommt deshalb nicht mehr entscheidend darauf an, dass dem Landgericht auch bei der Würdigung der Aussage des Zeugen Kl. ein auf Sachrüge hin zu beachtender Rechtsfehler unterlaufen ist (zum revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2016 – 4 StR 320/16, Rn. 9; Urteil vom 14. Oktober 1952 – 2 StR 306/52, BGHSt 3, 213, 215, st. Rspr.).
16
a) Der Tatrichter ist grundsätzlich verpflichtet, alle wesentlichen Beweismittel heranzuziehen und die vorhandenen Beweise erschöpfend zu würdigen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2002 – 5 StR 448/01, NStZ 2002, 485 mwN). Geschieht dies nicht, ist die Beweiswürdigung lückenhaft und weist damit in sachlich-rechtlicher Hinsicht (§ 261 StPO) einen Fehler auf.
17
b) Daran gemessen ist die Würdigung der Aussage des Zeugen Kl. lückenhaft. Die Strafkammer hat die Angaben dieses Zeugen zur Tatvorgeschichte (Streit mit dem Geschädigten im Bereich der Ausfahrt des Bahnhofs, Schläge seitens des Geschädigten mit dem aus dem Kofferraum geholten Spatenstiel usw.) für glaubhaft gehalten (UA 12, 15 und 19) und als eine Bestätigung der Einlassung des Angeklagten gewertet. Dass der Zeuge an entscheidender Stelle, nämlich hinsichtlich der Frage, von wem und auf welche Weise dem Geschädigten die festgestellten massiven Kopfverletzungen beigebracht wurden, eine nach den mitgeteilten Umständen nicht erklärbare Erinnerungslücke geltend gemacht hat, hat das Landgericht zwar gesehen, insoweit aber eine den Angeklagten begünstigende bewusste Falschaussage lediglich für möglich gehalten. Warum diese Erinnerungsschwäche auch mit allgemeinen Gedächtnisgesetzmäßigkeiten erklärbar sein soll und deshalb keinen sicheren Schluss auf eine bewusste Falschaussage zulässt, hat die Strafkammer nicht dargelegt. Hierzu hätte jedoch Anlass bestanden. Denn die von dem Zeugen angeblich nicht mehr erinnerten Ereignisse (mehrere gravierende Gewalthandlungen gegen den Kopf eines Menschen) waren ihrer Art nach wenig vergessensanfällig. Auch sah sich der Zeuge in der Lage, das nicht durch eine höhere Einprägsamkeit gekennzeichnete unmittelbar vorangehende Geschehen – zur Überzeugung der Strafkammer detailgenau – aus dem Gedächtnis wiederzugeben.
18
3. Schließlich kommt es auch nicht mehr maßgeblich darauf an, dass das Urteil keine Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten enthält und deshalb unter den hier gegebenen Umständen nicht den Darstellungsanforderungen des § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO genügt.
19
a) Bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen dann zu Feststellungen zur Person des Angeklagten verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an; für eine schematische Betrachtungsweise ist kein Raum (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 15/14, Rn. 8; Beschluss vom 5. März 2015 – 3 StR 514/14, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 18; Urteil vom 2. April 2014 – 2 StR 554/13, NStZ 2014, 419; Urteil vom 11. März 2010 – 4 StR 22/10, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 16 jeweils mwN).
20
b) Danach waren hier Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen veranlasst. Dem Angeklagten lag zur Last, im angetrunkenen Zustand im öffentlichen Raum aus einem belanglosen Streit heraus einen deutlich älteren, ihm unbekannten Mann tödlich verletzt zu haben. Für die Beurteilung eines derartigen Tatvorwurfs kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Angeklagte in der Vergangenheit bereits durch Gewalttaten – insbesondere unter Alkoholeinfluss – in Erscheinung getreten ist oder tätliche Auseinandersetzungen gesucht hat.

IV.


21
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
22
1. Sollte auch der neue Tatrichter das Gutachten des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen aus dem Bereich DNA-Analytik/Serologie vom 4. August 2015 heranziehen wollen, wird er bei der Darstellung der Ergebnisse die einschlägigen Anforderungen der Rechtsprechung zu beachten haben (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2016 – 4 StR 558/15, Rn. 10; Beschluss vom 12. April 2016 – 4 StR 18/16, Rn. 4; Urteil vom 24. März 2016 – 2 StR 112/14, NStZ 2016, 490, 491 f.; Beschluss vom 19. Januar 2016 – 4 StR 484/15, NStZ-RR 2016, 118 f.; Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NStZ 2014, 477 ff.; Urteil vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212, 217).
23
2. Ergibt sich, dass der Angeklagte in einer Notwehrlage gehandelt hat, wird das neue Tatgericht auch konkrete Feststellungen dazu treffen müssen, ob er an wechselseitigen Beleidigungen im Vorfeld beteiligt war. Sollte dies der Fall gewesen sein, wird es die Frage zu erörtern haben, ob und inwieweit das Notwehrrecht des Angeklagten dadurch unter dem Gesichtspunkt einer Angriffsprovokation Einschränkungen erfahren hat (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 141; Urteil vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333 jeweils mwN).
24
3. Ist auch im zweiten Rechtsgang ein bedingter Tötungsvorsatz zu erörtern , wird der neue Tatrichter zu bedenken haben, dass ein solcher nicht mit der Erwägung in Frage gestellt werden kann, dass sich der Angeklagte „in einer Abwehrsituation reagierend“ befunden habe. Mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv, sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach. Die Absicht, sich verteidigen zu wollen, steht daher der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13, NStZ 2014, 147, 149 mwN). Auch zeigt ein lediglich formelhafter Hinweis auf eine bei Tötungsdelikten erhöhte subjektive Hemmschwelle keinen vorsatzkritischen Gesichtspunkt von Gewicht auf (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 Rn. 31 ff.).
Sost-Scheible Cierniak RiBGH Dr. Franke ist erkrankt und deshalb gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 99/05
vom
9. August 2005
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. August
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 13. Dezember 2004 werden verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last. Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung aus rechtlichen Gründen freigesprochen, weil die Tathandlung durch Notwehr gerechtfertigt sei. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers richten sich mit der Sachbeschwerde gegen den Freispruch und beanstanden die Bewertung der Verteidigungshandlung als erforderlich. Die im Ergebnis auch vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen haben keinen Erfolg. Die Verfahrensrüge des Nebenklägers hinsichtlich der
fehlenden Aufhebung des Unterbringungsbeschlusses ist unzulässig nach § 400 Abs. 1 StPO (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 305). 1. Das Landgericht hat festgestellt:
a) Am 20. Februar 2004 gegen Mitternacht suchten der Angeklagte und sein Freund T. eine Mc Donald's-Filiale in A. auf, um dort etwas zu essen. Aus Furcht vor tätlichen Angriffen bewaffneten sie sich zuvor. Der Angeklagte hatte zwei Bajonette mit einer Klingenlänge von je 24 cm in die Seitentaschen seiner Military-Hose gesteckt, während der Freund vier Wurfmesser am Gürtel an seiner Rückenseite trug. Als beide in dem Lokal ihre Mahlzeiten verzehrten, trafen zwei junge Männer ein, die Zeugen U. und K. . Sie nahmen ihr Essen an einem nicht weit entfernt stehenden Tisch ein. Zwischen den vier Personen, den alleinigen Gästen, gab es immer wieder Blickkontakt. Als der Angeklagte mit der flachen Hand eine Verpackung zusammenschlug, bezogU. dies auf sich, ging zum Tisch der beiden anderen und fragte wutentbrannt , ob sie Stress suchten. Diese antworteten, dass sie in Ruhe essen wollten. U. entgegnete, man werde die Sache nachher draußen klären. U. und K. verließen das Lokal. Die beiden anderen aßen in Ruhe zu Ende und hofften, dass U. und K. sich entfernt hätten. Diese warteten jedoch draußen. Als der Angeklagte und sein Freund sie beim Verlassen des Lokals erblickten, zückten sie ihre Messer und hielten sie in Abwehrhaltung vor sich, um sich einer drohenden Schlägerei zu entziehen. U. , der nach wie vor auf eine gewaltsame Auseinandersetzung aus war, forderte seine Kontrahenten wiederholt auf, die Messer wegzulegen. Diese erwiderten, dass sie sich wohl "die Falschen" ausgesucht hätten, sie sollten ihres Weges gehen, dann sei die Sache vergessen. Erst als aus den Reihen der Bediensteten des Lokals das Wort "Polizei" fiel, zogenU. undK. sich in Richtung Parkplatz zurück.
Der Angeklagte und sein Freund steckten die Messer wieder ein und begaben sich auf den Weg zur Wohnung des Angeklagten. Für sie war der Vorfall erledigt.
b) U. dagegen, der wegen Körperverletzungsdelikten mehrfach verurteilt worden war und der zur Tatzeit wegen eines solchen Deliktes unter Bewährung stand, wollte das Vorgefallene nicht auf sich sitzen lassen, sondern eine tätliche Auseinandersetzung herbeiführen. Er verfolgte mit dem nur widerwillig ihn begleitenden K. die beiden Kontrahenten schnellen Schrittes - teils in leichtem Lauf -, um sie einzuholen. An einer ca. 150 m von Mc Donald's entfernt liegenden Total-Tankstelle erblickte er drei Bekannte, die Zeugen F. , Ko. und R. . Diesen erklärte er, dass eben zwei vorbeigegangen seien, die Messer hätten und mit denen er "Stress habe". Seinen Bekannten war klar, dassU. eine Schlägerei beabsichtigte und sie waren bereit, ohne weitere Nachfrage ihm beizustehen. F. fand die Aussicht auf eine Schlägerei attraktiver als sofort zum Tanz zu gehen. Sie kamen überein, dass Ko. und R. zunächst das Fahrzeug betanken und dann den beiden Personen mit dem Fahrzeug den Weg abschneiden sollten.Ko. und R. waren auch bereit , unterstützend zur Hilfe zu kommen. F. nahm sofort mit U. die Verfolgung auf. K. zog sich zurück, weil seine Hilfe nicht mehr erforderlich war. F. wollte für den bevorstehenden Kampf Waffengleichheit herstellen. Als er im Hofbereich einer Firma Baumaterialien erblickte, ergriff er eine ca. 1,60 m lange Holzlatte und U. eine deutlich kürzere Eisenstange. Mit diesen Schlagwerkzeugen bewaffnet rannten sie ihren Kontrahenten hinterher. U. rief ihnen zu, sie sollten stehen bleiben und ihre Messer wegwerfen. Diese drehten sich um, zogen ihre Messer heraus und hielten sie in Abwehrhal-
tung vor sich, um deren Einsatz anzudrohen. Da U. nun eine weitere Person bei sich hatte und beide mit Schlagwerkzeugen bewaffnet auf sie zueilten, befürchteten sie für den Fall des Weglegens ihrer Waffen Schläge. U. hieb auch sofort mit einer Eisenstange mehrfach auf T. ein, wobei beide sich im Bereich des Gehweges befanden. Der Angeklagte bewegte sich vom Gehweg weg auf die Straße und wurde von F. verfolgt. Zwischen ihnen und den beiden anderen Kämpfern befand sich ein abgestellter Lkw, so dass sie diese nicht mehr sehen konnten. Der Angeklagte stellte sich seinem Verfolger. F. beabsichtigte, mit der Holzlatte dem Angeklagten die Bajonette aus den Händen zu schlagen. Er ging auf ihn los, schlug mit der Latte zu und traf ihn am linken Oberschenkel. Dann glitt F. auf der nassen und rutschigen Fahrbahn aus und fiel zu Boden, wobei ihm auch die Holzlatte entglitt. Als er sich wieder aufrichtete, um sich erneut zu bewaffnen und weiter auf den Angeklagten einzudringen, stieß dieser zur Abwehr mit Wucht das Bajonett in den linken oberen Brustbereich seines Angreifers. Der Angeklagte rechnete damit, dass er ihn tödlich verletzen konnte und nahm dies zur Unterbindung weiterer Angriffe in Kauf. Der mit heftiger Wucht geführte Stoß durchdrang das Revers und den darunter befindlichen Stoff einer dicken Winterjacke aus Lammfellimitat und führte zu einer rund 10 cm tiefen Stichverletzung unterhalb des Schlüsselbeins parallel zur Thoraxwand. Dadurch wurden eine aus der Aorta kommende Arterie und die Lunge verletzt. Nach Beibringung dieser konkret lebensgefährlichen Verletzung ließ der Angeklagte von seinem Angreifer ab. F. bewegte sich rückwärts in Richtung Gehweg. Ko. und R. waren mittlerweile mit dem Fahrzeug eingetroffen , nahmen U. und F. auf und brachten den nun schon deutlich blutenden F. ins Krankenhaus. In einer zweistündigen Notoperation konnte
er außer Lebensgefahr gebracht werden. Als Verletzungsfolgen klagt er lediglich über gelegentliche Schmerzen an der Narbe und geringere Ausdauer bei körperlicher Betätigung. 2. Zu Recht geht der Tatrichter davon aus, dass die vom Angeklagten gewählte Verteidigungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich war.
a) Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger sind der Auffassung, diese Bewertung des Landgerichts stütze sich auf widersprüchliche und lückenhafte Feststellungen zur Beschaffenheit, insbesondere Gefährlichkeit der vom Angreifer F. verwendeten Holzlatte und zur andauernden Notwehrlage. Die Urteilsgründe ließen nicht erkennen, wie F. sich nach dem Sturz hätte erneut bewaffnen können, wenn nicht festgestellt ist, wo die Latte gelegen habe. Die Urteilsfeststellungen weisen weder Widersprüche noch Lücken auf. Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit der gegnerischen Bewaffnung kommt es nicht auf den bisherigen Einsatz der Holzlatte in Richtung Hand des Angegriffenen zur Entwaffnung an - wie die Revisionsführer meinen - sondern auf einen möglichen Einsatz - z.B. nach Entwaffnung -. Die Einstufung der Holzlatte durch den Tatrichter als gefährliches Werkzeug, welches bei einem Schlag auf den ungeschützten Kopf eines Kontrahenten schwere bis hin zu tödliche Verletzungen herbeiführen kann (UA S. 17, 18), erfolgte zu Recht und ohne Widersprüche. Eine sachlich-rechtliche Pflicht, eine zwar theoretisch mögliche, jedoch fern liegende Fallgestaltung zu erörtern, dass der Angreifer F. sich etwa mit einer morschen Latte bewaffnet haben könnte, besteht nicht (BGH, Urteil vom 5. November 2003 - 1 StR 287/03). Es liegt vielmehr
nahe, dass die vom Angreifer verwendete Holzlatte geeignet ist, die dargestellten Verletzungen herbeizuführen. Eine Aufklärungsrüge hinsichtlich der Beschaffenheit der Holzlatte ist nicht erhoben. Das Landgericht geht ohne Rechtsfehler von einer andauernden Notwehrlage aus. Dabei verkennt es nicht, dass F. zum Zeitpunkt der Zufügung des Stiches die Holzlatte verloren hatte (UA S. 17). Einer Erörterung oder Feststellung, wo die Latte konkret gelegen hat, bedurfte es nicht. Der Angriff dauert so lange an, wie eine Wiederholung unmittelbar zu befürchten ist. Entscheidend sind die Absichten des Angreifers (BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5). Das Landgericht hat festgestellt, dass F. nach seinen eigenen Äußerungen den Angriff fortgesetzt hätte und der Angeklagte schon aus dem gesamten Geschehensablauf davon ausgehen musste, dass F. sich sofort wieder mit der Holzlatte bewaffnen und den Angriff fortsetzen werde. Das genügt.
b) Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger meinen, der Tatrichter hätte sich bei der Erörterung milderer Verteidigungsmittel damit auseinandersetzen müssen, ob es nicht ausreichend gewesen wäre, wenn der Angeklagte dem Angreifer die Spitze seines Bajonettes auf den Körper aufgesetzt hätte. Der Generalbundesanwalt vermisst Erörterungen zum Einsatz der Stichwaffe als Schlagwerkzeug. Mit dem Griff des Bajonettes hätte der Angeklagte nach Auffassung des Generalbundesanwalts wuchtige Schläge zur Abwehr ausführen können. Auch insoweit weist das Urteil keinen Rechtsfehler auf. Ob die Verteidigungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich ist, hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Dabei darf
sich der Angegriffene grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Das schließt auch den Einsatz lebensgefährlicher Mittel ein. Zwar kann dieser nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf auch nur das letzte Mittel der Verteidigung sein; doch ist der Angegriffene nicht genötigt, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang braucht er sich nicht einzulassen (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2002, 140 m.w.N.). Nach diesen Maßstäben durfte der Angeklagte sich mit einem wuchtigen Messerstich verteidigen. Das Aufsetzen einer oder beider Bajonettspitzen auf den Körper des sich wieder aufrichtenden - wenn auch zu diesem Zeitpunkt unbewaffneten - Angreifers hätte nach den getroffenen Feststellungen den Angriff nicht zweifelsfrei endgültig beendet. Die Kampflage wird hier bestimmt durch das Vortatgeschehen, die andauernde Intensität, mit der die tätliche Auseinandersetzung gesucht wurde, das Nebentatgeschehen - der Kampf zwischenU. undT. - und das mögliche jederzeitige Eintreffen von Verstärkung für F. . Dieser war ohne eigene Veranlassung dem streitsüchtigen U. , der bereits bei Mc Donald's aus nichtigem, missdeutetem Anlass die Schlägerei gesucht hatte, zu Hilfe geeilt und beide waren mit Schlagwerkzeugen bewaffnet in den Kampf gegangen. Der Einsatz des Messers war dem Angreifer durch Vorhalten angedroht worden, was ihn aber nicht vom Angriff abhielt. Das endgültige Ausscheiden des K. , des früheren Kampfgefährten des U. , war dem Angeklagten zur Zeit der Verteidigungshandlung nicht bekannt. Auch kannte er die Kampflage zwischen U. und T. nicht. Er wusste also nicht, ob er von U. weitere Bedrohung bzw. Verstärkung für F. befürchten musste. Bei dieser Bedrohungslage konnte er nicht erwar-
ten, dass ein Aufsetzen von Bajonettspitzen auf den Körper die Gefahr endgültig beseitigt hätte. Ein solches Aufsetzen wäre im Übrigen, wie der Tatrichter es für einen gezielten Stich in andere Körperteile ausgeführt hat, auch aus tatsächlichen Gründen nicht möglich gewesen. F. war dabei, sich wieder aufzurichten, er und der Angeklagte befanden sich in einem bewegten Geschehensablauf und die Lichtverhältnisse bei Dunkelheit - Beleuchtung nur durch Straßenlaternen - ermöglichten lediglich eine eingeschränkte Sicht. Auf den Einsatz der Stichwaffe als Schlagwerkzeug muss der Angeklagte sich nicht verweisen lassen. Bei mehreren Einsatzmöglichkeiten des vorhandenen Abwehrmittels hat der Verteidigende nur dann das für den Angreifer am wenigsten gefährliche zu wählen, wenn ihm Zeit zum Überlegen zur Verfügung steht und durch die weniger gefährliche Abwehr dieselbe, oben beschriebene Wirkung erzielt wird (BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 5). Beides trifft hier nicht zu. Das eigentliche Tatgeschehen spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab (UA S. 12). Als F. ausrutschte, blieb dem Angeklagten keine Zeit, sich Gedanken über verschiedene Einsatzmöglichkeiten seiner Bajonette zu machen und diese - wie auch immer - als Schlagwerkzeuge zu ergreifen. Er musste angesichts der Bedrohungslage sofort reagieren. Aus seiner und auch objektiver Sicht konnte er die Gefahrenlage durch wuchtige Schläge mit dem Griff eines Bajonettes auch nicht ohne Zweifel endgültig beenden. Die Gesamtlänge des Bajonettes mit einer Klingenlänge von 24 cm ist zwar nicht bekannt, aber bei einer Verwendung als Schlagwerkzeug auf den Körper des Angreifers wäre der Angeklagte in eine solche Nähe seines Kontrahenten gelangt, dass dieser ihn mit Faustschlägen hätte attackieren können.
Mit möglichen anderen Einschränkungen des Notwehrrechts hat das Landgericht sich auseinandergesetzt (UA S. 18) und diese rechtsfehlerfrei verneint. Nack Wahl Kolz Hebenstreit Elf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 235/16
vom
24. November 2016
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts des Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:241116U4STR235.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. November 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Bender, Dr. Quentin als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts, Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenkläger S. , Y. und K. A. , Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin Si. A. , Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter der Nebenklägerin So. A. , Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 3. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags in Tateinheit mit Nötigung freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger haben Erfolg.

I.


2
Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten unter anderem zur Last, er habe am 14. Mai 2015 auf dem Vorplatz des Bahnhofes in L. im Rahmen eines Streites dem Geschädigten H. A. mit einen Spatenstiel unter billigender Inkaufnahme tödlicher Verletzungen zweimal heftig und gezielt gegen den Kopf geschlagen. H. A. sei infolge der durch die Schläge erlittenen Verletzungen zu Boden gegangen und mit dem Kopf auf das Stra- ßenpflaster aufgeschlagen. Dort habe ihn der Angeklagte mit dem beschuhten Fuß zumindest noch einmal in die linke Körperseite getreten. H. A. sei am 16. Mai 2015 an einem durch die Schläge und den Sturz verursachten Schädel-Hirn-Trauma verstorben.

II.


3
Zu der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat hat das Landgericht im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
1. Der Angeklagte trank im Verlauf des 14. Mai 2015 zusammen mit mehreren Bekannten erhebliche Mengen Alkohol. Ab 20.30 Uhr hielt er sich mit vier Begleitern vor dem Hauptbahnhof in L. auf. Gegen 20.50 Uhr standen die fünf Männer mindestens fünf Minuten am Ende der Ausfahrt des Bahnhofsvorplatzes , die sie dabei zu etwa einem Drittel blockierten. Zu dieser Zeit fuhr der 49 Jahre alte Geschädigte H. A. mit seinem Pkw die Auffahrt herauf, um den Bahnhofsvorplatz zu verlassen. Als er auf den Angeklagten und seine Begleiter traf, hielt er sein Fahrzeug in einer Entfernung von etwa eineinhalb Metern an und hupte. Ob es dem Geschädigten möglich gewesen wäre, an der Gruppe vorbeizufahren oder ob diese ihm die Ausfahrt versperrte, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. Als er die Scheibe der Fahrertür her- unterließ, kam es zu wechselseitigen Beleidigungen („Scheiß-Russen“, „ScheißTürke“ ). Wer hiermit begann, hat die Strafkammer nicht aufklären können.
5
Der Geschädigte stieg schließlich – für den Angeklagten und seine Begleiter unerwartet – aus seinem Fahrzeug aus, ging wortlos zum Kofferraum und entnahm daraus einen hölzernen Spatenstiel, der etwa 110 cm lang war und einen Durchmesser von etwa 5 cm aufwies. Anschließend trat er auf den Angeklagten und seine Begleiter zu und schlug mit dem Stiel einmal auf den Angeklagten ein. Der mit einer ausholenden Bewegung geführte Schlag traf den Angeklagten im Bereich des Oberkörpers. Nachdem der Geschädigte mit dem Spatenstiel auch zwei Begleiter des Angeklagten geschlagen hatte, schlug er erneut in Richtung des Angeklagten, der trotz eines Ausweichversuches ein zweites Mal im Bereich des Oberkörpers getroffen wurde.
6
Der Geschädigte folgte dem Angeklagten. Zwischen beiden entwickelte sich eine Auseinandersetzung um den Spatenstiel, den der Angeklagte an sich bringen wollte, um weitere Schläge zu verhindern. Dabei gingen beide aufeinander zu und schubsten sich hin und her. Während dieser Auseinandersetzung , bei der der Geschädigte schließlich dem Bahnhof den Rücken zuwandte, legten beide einen Weg von etwa 20 Metern in Richtung Bahnhof zurück; die Begleiter des Angeklagten folgten ihnen in kurzem Abstand nach. Obwohl sich der Geschädigte in einer Rückwärtsbewegung befand, machte er mit dem erhobenen Stiel in den Händen weiterhin Drohgebärden in Richtung des Angeklagten sowieseiner Begleiter und versuchte diese – wild um sich schlagend – zu treffen. Aufgrund dessen und mit Rücksicht darauf, dass der Geschädigte noch immer den Stiel fuchtelnd in Händen hielt, mit dem er ihn schon zwei Mal geschlagen hatte, „fürchtete der Angeklagte weiterhin“, dass H. A. plötzlich stehenbleiben oder nach vorne gehen und dann weiter auf ihn einschlagen würde. Um das zu verhindern, versuchte er, dem Geschädigten den Stiel zu entwinden, was ihm letztlich auch gelang. Obwohl er nunmehr entwaffnet war und sich in einer Rückwärtsbewegung befand, „griff H. A. sein Gegenüber weiter mit drohend hochgehobenen fuchtelnden Armen an“. Um weitere, aufgrund der vorangegangenen Schläge befürchtete, jetzt ohne den Spatenstiel geführte Schläge von sich abzuwehren und den Geschädigten von sich fernzuhalten, auch damit dieser den Spatenstiel nicht zurückerlangen und ihn damit erneut angreifen konnte, schlug der Angeklagte kurz hintereinander mit ausholenden Bewegungen mindestens zwei Mal mit dem Stiel in Richtung des Oberkörpers des Geschädigten und traf diesen jeweils am Kopf. Dabei nahm er zumindest billigend in Kauf, ihn am Körper zu verletzen. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht.
7
H. A. kam zu Fall. Die Ursache hierfür konnte nicht geklärt werden. Der Angeklagte „stupste“ den auf dem Rücken liegenden Geschädig- ten mit dem Fuß an, um ihn zum Aufstehen zu veranlassen. Dieser blieb jedoch auf dem Boden liegen, wobei er stark aus dem Ohr blutete. Der Angeklagte warf daraufhin den Spatenstiel weg und verblieb mit seinen Begleitern am Ort des Geschehens.
8
Es steht fest, dass der Geschädigte durch „weitere Gewalteinwirkung“ auf den Kopf – zusätzlich zu den zwei Schlägen des Angeklagten – verletzt wurde. Auf welche Weise dies konkret geschehen ist und von wem diese Gewalteinwirkung ausging, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. H. A. verstarb trotz zeitnaher ärztlicher Versorgung am 16. Mai 2015 infolge der erlittenen Verletzungen an einem schweren Schädel-HirnTrauma.
9
2. Das Landgericht hat angenommen, das Handeln des Angeklagten sei durch Notwehr gerechtfertigt. Der Geschädigte habe den Angeklagten rechtswidrig angegriffen, indem er mit dem Spatenstiel zwei Mal auf ihn eingeschlagen und noch im Rückwärtsgehen wild um sich schlagend versucht habe, ihn mit dem Spatenstiel zu treffen. Dieser Angriff sei auch noch nach dem Entwinden des Spatenstiels nicht beendet gewesen. Denn der Geschädigte habe den Angeklagten weiter mit „drohend hochgehobenen fuchtelnden Armen angegrif- fen“, obwohl er nunmehr entwaffnet gewesen sei und sich in einer Rückwärts- bewegung befunden habe. Es sei deshalb – auch angesichts der vorangegangenen Schläge – zu befürchten gewesen, dass der Geschädigte auch ohne den Stiel weiter auf den Angeklagten eindringen und ihn nunmehr mit den Händen oder Fäusten schlagen oder den Spatenstiel zurückerlangen und dann damit erneut angreifen werde.

III.


10
Die Revisionen der Nebenkläger und die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft haben Erfolg, weil das angefochtene Urteil sachlich-rechtlicher Prüfung nicht standhält.
11
1. Der Freispruch des Angeklagten kann schon deswegen nicht bestehen bleiben, weil die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei im Zeitpunkt der von ihm geführten Schläge mit dem Spatenstiel objektiv noch einem gegenwärtigen Angriff des Geschädigten ausgesetzt gewesen, nicht belegt ist. Die hierzu in den Feststellungen und der Beweiswürdigung gemachten Ausführungen sind unklar und lückenhaft.
12
a) Ein gegenwärtiger Angriff im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB ist auch ein Verhalten, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133; Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365; Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; Urteil vom 26. August 1987 – 3 StR 303/87, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1; Urteil vom 7. November 1972 – 1 StR 489/72, NJW 1973, 255 mwN). Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153; Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5). Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlichen oder unverändert fortdauernden) Rechtsgutsverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ 2002, 203; Urteil vom 9. August 2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153; Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; siehe auch Beschluss vom 28. Oktober 2015 – 5 StR 397/15, Rn. 5).
13
b) Das Landgericht hat keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen , welche Absichten der Geschädigte im Tatzeitpunkt hatte. Soweit davon die Rede ist, dass H. A. „obwohl er nunmehr entwaffnet war und sich in einer Rückwärtsbewegung befand“, sein Gegenüber „weiter mit drohend hoch- gehobenen fuchtelnden Armen“ angriff (UA 8), kann dem nicht entnommen werden, was der Geschädigte in Bezug auf den Angeklagten tatsächlich beabsichtigte und welche Gefahr objektiv von ihm – trotz der festgestellten Rückwärtsbewegung – für die Rechtsgüter des Angeklagten ausging. Im Weiteren geben die Feststellungen lediglich wieder, was der Angeklagte „aufgrund der vorangegangenen Schläge und des Gerangels“ von dem Geschädigten „befürchtete“ (ohne den Spatenstielgeführte Schläge) und welche Zwecke er mit seinen Schlägen verfolgte (H. A. von sich fernzuhalten, auch damit dieser den Spatenstiel nicht zurückerlangen und ihn damit erneut angreifen konnte).
14
Die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung gibt keinen weiteren Aufschluss. Das Landgericht hat ausgeführt, „im Wesentlichen“ der „nicht zu widerlegenden“ Einlassung des Angeklagten gefolgt zu sein. Die- ser habe geltend gemacht, der Geschädigte habe ihn (auch nach der Wegnahme des Spatenstiels) noch immer angreifen wollen, was er den „Drohungen und Bewegungen der hochgehobenen Arme entnommen habe“ (UA 18).Soweit an anderer Stelle dazu noch ausgeführt wird, der Angeklagte habe bei „lebensnaher Betrachtung“ auch davon ausgehen müssen, dass H. A. ver- suchen würde, den Spatenstiel zurückzuerlangen, um dann damit den Angriff fortzusetzen (UA 20), ergibt sich daraus nicht, dass eine solche (von dem Angeklagten nach eigenem Bekunden nicht besorgte) Gefahr auch tatsächlich bestand.
15
2. Es kommt deshalb nicht mehr entscheidend darauf an, dass dem Landgericht auch bei der Würdigung der Aussage des Zeugen Kl. ein auf Sachrüge hin zu beachtender Rechtsfehler unterlaufen ist (zum revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2016 – 4 StR 320/16, Rn. 9; Urteil vom 14. Oktober 1952 – 2 StR 306/52, BGHSt 3, 213, 215, st. Rspr.).
16
a) Der Tatrichter ist grundsätzlich verpflichtet, alle wesentlichen Beweismittel heranzuziehen und die vorhandenen Beweise erschöpfend zu würdigen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2002 – 5 StR 448/01, NStZ 2002, 485 mwN). Geschieht dies nicht, ist die Beweiswürdigung lückenhaft und weist damit in sachlich-rechtlicher Hinsicht (§ 261 StPO) einen Fehler auf.
17
b) Daran gemessen ist die Würdigung der Aussage des Zeugen Kl. lückenhaft. Die Strafkammer hat die Angaben dieses Zeugen zur Tatvorgeschichte (Streit mit dem Geschädigten im Bereich der Ausfahrt des Bahnhofs, Schläge seitens des Geschädigten mit dem aus dem Kofferraum geholten Spatenstiel usw.) für glaubhaft gehalten (UA 12, 15 und 19) und als eine Bestätigung der Einlassung des Angeklagten gewertet. Dass der Zeuge an entscheidender Stelle, nämlich hinsichtlich der Frage, von wem und auf welche Weise dem Geschädigten die festgestellten massiven Kopfverletzungen beigebracht wurden, eine nach den mitgeteilten Umständen nicht erklärbare Erinnerungslücke geltend gemacht hat, hat das Landgericht zwar gesehen, insoweit aber eine den Angeklagten begünstigende bewusste Falschaussage lediglich für möglich gehalten. Warum diese Erinnerungsschwäche auch mit allgemeinen Gedächtnisgesetzmäßigkeiten erklärbar sein soll und deshalb keinen sicheren Schluss auf eine bewusste Falschaussage zulässt, hat die Strafkammer nicht dargelegt. Hierzu hätte jedoch Anlass bestanden. Denn die von dem Zeugen angeblich nicht mehr erinnerten Ereignisse (mehrere gravierende Gewalthandlungen gegen den Kopf eines Menschen) waren ihrer Art nach wenig vergessensanfällig. Auch sah sich der Zeuge in der Lage, das nicht durch eine höhere Einprägsamkeit gekennzeichnete unmittelbar vorangehende Geschehen – zur Überzeugung der Strafkammer detailgenau – aus dem Gedächtnis wiederzugeben.
18
3. Schließlich kommt es auch nicht mehr maßgeblich darauf an, dass das Urteil keine Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten enthält und deshalb unter den hier gegebenen Umständen nicht den Darstellungsanforderungen des § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO genügt.
19
a) Bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen dann zu Feststellungen zur Person des Angeklagten verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an; für eine schematische Betrachtungsweise ist kein Raum (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 15/14, Rn. 8; Beschluss vom 5. März 2015 – 3 StR 514/14, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 18; Urteil vom 2. April 2014 – 2 StR 554/13, NStZ 2014, 419; Urteil vom 11. März 2010 – 4 StR 22/10, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 16 jeweils mwN).
20
b) Danach waren hier Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen veranlasst. Dem Angeklagten lag zur Last, im angetrunkenen Zustand im öffentlichen Raum aus einem belanglosen Streit heraus einen deutlich älteren, ihm unbekannten Mann tödlich verletzt zu haben. Für die Beurteilung eines derartigen Tatvorwurfs kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Angeklagte in der Vergangenheit bereits durch Gewalttaten – insbesondere unter Alkoholeinfluss – in Erscheinung getreten ist oder tätliche Auseinandersetzungen gesucht hat.

IV.


21
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
22
1. Sollte auch der neue Tatrichter das Gutachten des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen aus dem Bereich DNA-Analytik/Serologie vom 4. August 2015 heranziehen wollen, wird er bei der Darstellung der Ergebnisse die einschlägigen Anforderungen der Rechtsprechung zu beachten haben (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2016 – 4 StR 558/15, Rn. 10; Beschluss vom 12. April 2016 – 4 StR 18/16, Rn. 4; Urteil vom 24. März 2016 – 2 StR 112/14, NStZ 2016, 490, 491 f.; Beschluss vom 19. Januar 2016 – 4 StR 484/15, NStZ-RR 2016, 118 f.; Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NStZ 2014, 477 ff.; Urteil vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212, 217).
23
2. Ergibt sich, dass der Angeklagte in einer Notwehrlage gehandelt hat, wird das neue Tatgericht auch konkrete Feststellungen dazu treffen müssen, ob er an wechselseitigen Beleidigungen im Vorfeld beteiligt war. Sollte dies der Fall gewesen sein, wird es die Frage zu erörtern haben, ob und inwieweit das Notwehrrecht des Angeklagten dadurch unter dem Gesichtspunkt einer Angriffsprovokation Einschränkungen erfahren hat (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 141; Urteil vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333 jeweils mwN).
24
3. Ist auch im zweiten Rechtsgang ein bedingter Tötungsvorsatz zu erörtern , wird der neue Tatrichter zu bedenken haben, dass ein solcher nicht mit der Erwägung in Frage gestellt werden kann, dass sich der Angeklagte „in einer Abwehrsituation reagierend“ befunden habe. Mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv, sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach. Die Absicht, sich verteidigen zu wollen, steht daher der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13, NStZ 2014, 147, 149 mwN). Auch zeigt ein lediglich formelhafter Hinweis auf eine bei Tötungsdelikten erhöhte subjektive Hemmschwelle keinen vorsatzkritischen Gesichtspunkt von Gewicht auf (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 Rn. 31 ff.).
Sost-Scheible Cierniak RiBGH Dr. Franke ist erkrankt und deshalb gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 588/16
vom
25. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2017:250117B1STR588.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. Januar 2017 beschlossen :
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 2. August 2016 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Das Landgericht hat auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung das Vorliegen einer Notwehrlage (§ 32 Abs. 2 StGB) für den Angeklagten verneint, als dieser dem geschädigten Nebenkläger zwei Messerstiche in den Oberkörper versetzte.
Hat ein Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, so ist der Angriff so lange gegenwärtig i.S.v. § 32 Abs. 2 StGB, wie eine Wiederholung und damit ein erneutes Umschlagen in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist (BGH, Urteile vom 24. November 2016 – 4 StR 235/16 Rn. 12, NStZ-RR 2017, 38, 39 mwN und vom 9. August 2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153). Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlichen oder unverändert fortdauernden) Rechtsgutverletzung (BGH aaO jeweils mwN; siehe auch Urteil
vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203). Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Geschädigte dem Angeklagten den Faustschlag in das Gesicht versetzt, bevor dieser mehrfach zustach. Von einem erneuten, unmittelbar bevorstehenden Angriff seitens des geschädigten Nebenklägers auf den Angeklagten hat sich das Landgericht rechtsfehlerfrei gerade nicht überzeugen können (vgl. UA S. 18 und 25).
Fehlte es aber an einer Notwehrlage bei Ausführung der Messerstiche, kam es auf die ergänzenden Erwägungen des Landgerichts zum Fehlen der Erforderlichkeit der Messerstiche und des Verteidigungswillens beim Angeklagten nicht mehr an. Schon deshalb bleibt den beiden erhobenen Rügen der Verletzung von § 261 StPO der Erfolg versagt. Beide knüpfen an (mögliche) Geschehensabläufe an, denen rechtliche Bedeutung allenfalls bei Vorliegen eines gegenwärtigen Angriffs im Zeitpunkt der Messerstiche zukäme.
Einen Putativnotwehrexzess (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 – 4 StR 267/02,NStZ 2003, 599 f.), auf den § 33 StGB ohnehin keine Anwen- dung fände (BGH aaO), hat das Landgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei nicht zugrunde gelegt. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten , zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2016 – 2 StR 275/16, Rn. 12 mwN).
Raum Graf Jäger Radtke Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 397/15
vom
28. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2015:2810155STR397.15.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Oktober 2015 beschlossen :
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 8. Juni 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der Angeklagte und der Geschädigte sind Lkw-Fahrer. Nach einem Trinkgelage unter Fernfahrern auf einem Parkplatz drang der beträchtlich alkoholisierte Geschädigte in die Fahrerkabine des ebenfalls erheblich berauschten Angeklagten ein, in der dieser bereits schlief. Er griff den Angeklagten an oder verhielt sich so, dass dieser sich angegriffen fühlen konnte. Der Angeklagte schubste ihn aus dem Lkw. Der Geschädigte versuchte erneut, in den Lkw zu gelangen, wobei er möglicherweise einen Gegenstand in der Hand hielt. Der Angeklagte ergriff eine leere Bierflasche und schlug sie dem Geschädigten ge- gen den Kopf. Dieser fiel aus der Fahrerkabine in am Boden liegende Bierflaschen und zog sich Schnittverletzungen am Rücken zu. Der Angeklagte wollte die Beifahrertür schließen, was ihm aber nicht gelang. Er nahm eine neben dem Fahrersitz verstaute Eisenstange und stieg aus, weil er einen neuen Angriff fürchtete. Er ging um den Lastwagen herum. Der Geschädigte war inzwischen aufgestanden. Der Angeklagte forderte ihn auf, sich zu entfernen. Der Geschädigte ging aber auf den Angeklagten los, brachte ihn zu Boden und stürzte selbst. Er riss dem Angeklagten dabei ein Büschel Haare aus, was erhebliche Schmerzen bereitete. Die Kontrahenten kamen wieder auf die Beine. Der Angeklagte schlug dem Geschädigten die Eisenstange mit bedingtem Tötungsvorsatz zweimal auf den Kopf, so dass er mit schweren Kopfverletzungen zusammenbrach. Das Leben des Geschädigten konnte gerettet werden, nachdem der Angeklagte selbst die Rettungskräfte herbeigerufen hatte.
4
b) Die Schwurgerichtskammer hat hinsichtlich der Schläge mit der Ei- senstange eine objektive Notwehrlage angenommen. Diese seien „zur Abwehr des festgestellten Angriffs“ geeignet; eine Androhung des Einsatzes der Eisen- stange sei nicht erfolgversprechend gewesen, den „auch nach wiederholt erfolgter Abwehr weiterhin aggressiv auf ihn los gehenden“ Geschädigten hinrei- chend abzuschrecken (UA S. 14). Jedoch sei es dem Angeklagten ohne weiteres möglich gewesen, den Angriff durch Schläge gegen den Rumpf oder die Extremitäten zu beenden. Er habe daher nicht das relativ mildeste Mittel ergriffen , womit die Verteidigung nicht erforderlich im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB gewesen sei.
5
2. Das Urteil kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil dem Senat aufgrund unklarer, lückenhafter und widersprüchlicher Ausführungen in den Feststellungen, der Beweiswürdigung und der rechtlichen Würdigung keine Überprüfung möglich ist, ob die Schwurgerichtskammer dem Angeklagten zutreffend eine Rechtfertigung wegen Notwehr (§ 32 Abs. 1 StGB) versagt hat. Namentlich ist auch dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht hinreichend zu entnehmen, wie sich die „Kampflage“ unmittelbarvor den beiden Schlägen mit der Eisenstange objektiv darstellte. Während sich aus den Feststellungen nicht eindeutig ergibt, dass der Angriff nach dem beiderseitigen Aufstehen fort- dauerte, vielmehr nur von einer Angst des Angeklagten „vor weiteren Angriffen“ die Rede ist (UA S. 6), wird in der rechtlichen Würdigung auf einen „festgestellten Angriff“ bzw. auf ein aggressives „Losgehen“ des Geschädigten auf den Angeklagten abgehoben (UA S. 14 f.). Weder das eine noch das andere findet dabei in der Beweiswürdigung eine hinreichende Stütze. Die Schwurgerichtskammer beschränkt sich dort nämlich auf die Aussage, die Feststellungen zum äußeren Tatablauf beruhten „im Wesentlichen“ auf dem Geständnis des Ange- klagten (UA S. 7), ohne die Bekundungen des Angeklagten zur Situation im maßgebenden Zeitpunkt ansatzweise mitzuteilen. Art und Ausmaß der „Kampflage“ sind aber bestimmend für die Frage der Erforderlichkeit der Verteidi- gungshandlung; die Beurteilung muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung erfolgen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106; Urteil vom 28. Februar 1989 – 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027; Beschluss vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117).
6
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
7
a) Sollte das nunmehr entscheidende Tatgericht zu dem Ergebnis gelangen , dass der durch den Geschädigten verübte Angriff im maßgebenden Zeitpunkt unverändert fortdauerte, wird in Übereinstimmung mit den Erwägungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts und der dort zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu erörtern sein, aus welchem Grund bei Schlägen gegen den Rumpf oder die Extremitäten des Geschädigten sicher mit einer endgültigen Beendigung des Angriffs zu rechnen gewesen sein könnte. Dieser im angefochtenen Urteil eingenommenen Sicht könnte widerstreiten, dass sich der Geschädigte unter anderem durch einen Schlag mit einer Bierflasche gegen den Kopf und die durch den Angeklagten vor dem beiderseitigen Niederstürzen offen geführte Eisenstange von weiteren Angriffshandlungen nicht hatte abhalten lassen.
8
b) Für den Fall, dass es abermals zu einer Verurteilung des Angeklagten kommen sollte, wird zu prüfen sein, ob wegen des hier offensichtlich erfüllten Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB eine (weitere) Strafrahmenverschiebung vorzunehmen ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24 mwN).
Schneider Dölp König
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 236/04
vom
26. August 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen des Verdachts des Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. August
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt für den Angeklagten
Ahmer S.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt für den
Nebenkläger Mohamed K.
als Nebenkläger-Vertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 5. Dezember 2003 werden verworfen.
2. Die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen. Der Nebenkläger trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die in dem Revisionsverfahren gegen den Angeklagten Ahmer S. entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und der Nebenkläger je zur Hälfte.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat die Angeklagten von dem Vorwurf des Totschlags freigesprochen. Mit ihren gegen beide Angeklagten gerichteten Revisionen, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Der Nebenkläger erstrebt mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision die Verurteilung des Angeklagten Ahmer S. wegen Totschlags.
Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.


Die zugelassene Anklage hatte dem zur Tatzeit etwa 49 Jahre alten Angeklagten NejeimS. und dessen Sohn, dem zur Tatzeit zwischen 18 und 20 Jahre alten Ahmer S. , zur Last gelegt, gemeinschaftlich den in der Asylbewerberunterkunft in A. wohnenden Ihab E. getötet zu haben.
1. Das Landgericht hat zu dem Tatvorwurf im wesentlichen folgendes festgestellt:
Am 1. Januar 2003 wollten die Angeklagten Ahmed Ka. aufsuchen, der mit IhabE. und mit einem weiteren Asylbewerber in einem Zimmer des Asylbewerberheims wohnte, um Ahmed Ka. auf seine entgegen einer getroffenen Absprache nicht zurückgezahlten Schulden anzusprechen, die er aus Einkäufen in dem von der Familie S. betriebenen Lebensmittelgeschäft hatte. Nach mehrmaligem Klopfen eines der Angeklagten öffnete Ihab E. die Zimmertür. Er war über die Störung durch die Angeklagten und über die zuvor von ihm vernommene Äußerung, Ahmed Ka. verstecke sich, ve rärgert. Die Angeklagten verlangten, Ihab E. möge Ahmed Ka. ausrichten, daß er sich wegen der Schulden melden solle. Nach einem Wortwechsel mit dem Angeklagten Nejeim S. schlug Ihab E. diesem "mit einem Messer, einem anderen Gegenstand oder mit - was eher unwahrscheinlich erscheint - der geballten Faust" gegen den Kopf und fügte dem Angeklagten eine sofort blutende Verletzung oberhalb des linken Auges zu.
Der Angeklagte AhmerS. sah das breitflächig über das Gesicht seines Vaters rinnende Blut, stürzte sich auf Ihab E. und drängte diesen in das Zimmer zurück. Im Verlauf des wechselseitig geführten Kampfes, stach der Angeklagte Ahmer S. mit einem Bowiemesser auf Ihab E. Der ein. Angeklagte Nejeim S. kam hinzu, schlug mit einer Bratpfanne nach Ihab E. , möglicherweise ohne diesen zu treffen, und wurde nach "wenigen, mit mäßiger Kraft geführten Schlägen" von einem Heimbewohner aus dem Zimmer gezogen. Der Angeklagte Ahmer S. ließ von Ihab E. ab, als dessen Gegenwehr "merklich nachgelassen hatte", und meldete wenige Minuten später bei der Notrufzentrale eine Messerstecherei mit Verletzten.
Ihab E. erlitt neben anderen Verletzungen, unter anderem einer weiteren Stich- und einer Schnittverletzung, zwei jeweils etwa 13 cm tiefe Stichverletzungen , an deren Folgen er verstarb. Beide wären jeweils für sich genommen tödlich gewesen, hatten IhabE. "jedoch nicht sofort in seiner Angriffs-, bzw. Verteidigungsfähigkeit" beeinträchtigt.
2. Nach Auffassung des Landgerichts sind der bei dem Angeklagten Ahmer S. anzunehmende Totschlag und die bei dem Angeklagten Nejeim S. , der möglicherweise von dem Messereinsatz seines Sohnes keine Kenntnis hatte, anzunehmende versuchte gefährliche Körperverletzung jeweils nach dem Zweifelsgrundsatz gemäß § 32 StGB durch Nothilfe bzw. Notwehr gerechtfertigt , weil insoweit keine eindeutigen Feststellungen getroffen werden konnten. Insbesondere seien folgende Sachverhaltsvarianten nicht auszuschließen:
Der Angeklagte NejeimS. fühlte sich durch die lautstarken und - aus seiner Sicht – ihm gegenüber respektlosen Äußerungen Iha b E. s verletzt
und forderte diesen auf, "sich zusammenzureißen" und zu beruhigen. Ihab E. ging einen Schritt zurück in die Wohnung, nahm dort das Bowiemesser oder einen anderen Gegenstand und schlug mit dem Griffstück des Messers oder dem anderen Gegenstand nach dem Kopf des Angeklagten Nejeim S. , der zunächst vor Schreck erstarrte. Der Angeklagte Ahmer S. erschrak , "stürzte sich auf den noch in Schlagreichweite stehenden und weiterhin mit dem Messer/Gegenstand bewaffneten E. , um diesen - zumindest auch - an einem weiteren Schlag oder erneuten Angriff zu hindern und den E. 'auszuschalten' ", und drängte diesen in das Zimmer zurück.
Möglicherweise gelang es dem Angeklagten Ahmer S. im Verlauf des Kampfes, bei dem keiner der Beteiligten eine eindeutige Überlegenheit hatte, Ihab E. "das Bowiemesser zu entwenden oder aber er zog das - in diesem Falle mitgeführte - Messer selbst oder er nahm einfach das in dem Zimmer herumliegende Messer in die Hand". Sofern der Angeklagte Ahmer S. das Messer selbst mitführte, war IhabE. noch im Besitz des Gegenstandes, mit dem er auf den Angeklagten Nejeim S. eingeschlagen hatte. Der Angeklagte Ahmer S. stach "während des unvermindert andauernden Kampfes" mindestens zweimal in kurzer zeitlicher Abfolge auf den stehenden Ihab E. ein, der dadurch die beiden tödlichen Stichverletzungen erlitt, über die Bettkante seines am Ende des Zimmers stehenden Bettes stolperte und rücklings auf das Bett fiel. "In seiner Wehrhaftigkeit durch die erlittenen Stichverletzungen nicht merklich beeinträchtigt", schlug Ihab E. nach dem Angeklagten Ahmer S. , der möglicherweise "noch ein- oder zweimal in Richtung des auf dem Bett liegenden“ Ihab E. einstach. Der Angeklagte Nejeim S. war „kurz bevor, während oder kurz nachdem“ Ihab E. auf das Bett gestürzt war, hinzugekommen.

II.


Die Freisprüche halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
Spricht der Tatrichter den Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft oder Schuld nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGHSt 17, 382, 385; 29, 18, 20).
Rechtlich zu beanstanden sind die Beweiserwägungen ferner dann, wenn sie erkennen lassen, daß das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 5, Überzeugungsbildung 25).
Das angefochtene Urteil weist derartige Mängel nicht auf. Das Landgericht hat das Ergebnis der Beweisaufnahme entgegen der Auffassung der Revisionen umfassend dargestellt und gewürdigt. Es hat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum es sich von der Schuld der Angeklagten nicht mit der zur Verurteilung erforderlichen Gewißheit hat überzeugen können. Wenn sichere Feststellungen zu Einzelheiten des inneren oder äußeren Geschehens trotz Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel und Beweisanzeichen nicht getroffen werden können, so darf sich das nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken. Es ist vielmehr von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit
auszugehen, die nach den gesamten Umständen in Betracht kommt (vgl. BGHSt 35, 305; BGH NJW 1991, 503, 504 m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - aus tatsächlichen Gründen die Voraussetzungen des § 32 StGB nicht eindeutig auszuschließen sind, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Zweifel bleiben, ob die Tat gerechtfertigt ist oder nicht (vgl. BGHSt 10, 373, 374; BGH StV 1986, 6 [zur Putativnotwehr]; Spendel in LK StGB 11. Aufl. § 32 Rdn. 349 m.w.N.):
1. Freispruch des Angeklagten Ahmer S.

a) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei unter Anwendung des Zweifelssatzes angenommen, daß für den Angeklagten Ahmer S. eine Nothilfelage und im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung auch eine Notwehrlage bestand. Ihab E. handelte - entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft - rechtswidrig, als er dem Angeklagten Nejeim S. den zu einer stark blutenden Verletzung führenden Schlag an den Kopf versetzte. Ein rechtswidriger Angriff der Angeklagten gegen IhabE. kann in dem Klingeln an der Zimmertür und der nachfolgenden Bitte, einem Mitbewohner eine Nachricht zu übermitteln, nicht gesehen werden. Daß es sich dabei um ein rechtlich erlaubtes Tun handelt , ziehen Nebenkläger und Generalbundesanwalt auch nicht in Zweifel.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist aber auch die Annahme des Landgerichts rechtlich nicht zu beanstanden, daß zum Zeitpunkt des Eingreifens des Angeklagten Ahmer S. von Ihab E. eine Bedrohung „zumindest für den Nejeim S. “ nicht auszuschließen sei, weil nicht unwahrscheinlich sei, daß Ihab E. ohne das Eingreifen des Angeklagten Ahmer S. "einen oder mehrere weitere Schläge" ausgeführt hätte. Diese Annahme
ist durch die zur Persönlichkeit des Tatopfers getroffenen Feststellungen hinreichend belegt. Im Jahre 1999 wurde der damals zwanzigjährige Ihab E. wegen gefährlicher Körperverletzung, die er mit einem Küchenmesser begangen hatte, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Der vom Landgericht daraus und aus Bekundungen von Mitbewohnern des Asylbewerberheims zu Vorfällen, bei denen IhabE. aggressiv reagierte, tätlich wurde und mit dem Einsatz eines Messers drohte, gezogene Schluß, daß Ihab E. sich bereits durch geringe Anlässe zu Gewaltausbrüchen hinreißen ließ, ist möglich und liegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nahe.
Ein Erörterungsmangel liegt entgegen der Auffassung der Revision des Nebenklägers auch nicht darin, daß sich das Landgericht nicht mit der Möglichkeit auseinandergesetzt hat, daß Ihab E. den Angeklagten Nejeim S. mit dem Schlag lediglich disziplinieren wollte, so daß angesichts der blutenden Verletzung aus seiner Sicht weitere Schläge nicht mehr erforderlich waren. Umstände, die hierfür sprechen könnten und die dem Landgericht die Überzeugung hätten vermitteln können, daß Ihab E. seinen Angriff - für die Angeklagten erkennbar – zu dem Zeitpunkt des Eingreifens des Angeklagten Ahmer S. bereits beendet hatte, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Daß sich der Angeklagte AhmerS. nicht darauf berufen hat, daß Ihab E. erneut zuschlagen wollte, steht der Annahme einer nicht ausschließbaren Nothilfelage nicht entgegen, denn der Angeklagte, dem das Geschehen möglicherweise nur noch sehr eingeschränkt bewusst war, hat sich dahin eingelassen, er habe an das weitere Geschehen nach der Verletzung seines Vaters keine Erinnerung.
Die Verlagerung des Geschehens in das Zimmer bildete keine den rechtswidrigen Angriff beendende Zäsur. Vielmehr richtete sich der rechtwidrige Angriff nunmehr (auch) gegen den Angeklagten Ahmer S. , denn Ihab E. schlug nicht ausschließbar zu Beginn und im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung in dem Zimmer auf den, wovon zu seinen Gunsten auszugehen ist, mit Verteidigungswillen handelnden Angeklagten Ahmer S. ein. Dabei war Ihab E. nicht ausschließbar immer noch bewaffnet. Auch insoweit sind die Schlüsse, die das Landgericht aus dem Beweisergebnis - soweit es die Wechselseitigkeit der Kampfhandlungen betrifft, aus Bekundungen des Zeugen M. - gezogen hat, möglich und deshalb vom Revisionsgericht h inzunehmen.

b) Die Erwägungen des Landgerichts zur Erforderlichkeit der Verteidigungshandlungen des Angeklagten Ahmer S. weisen ebenfalls keinen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.
Ob eine Verteidigungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich ist, hängt im wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Grundsätzlich darf der Angegriffene das Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten läßt (vgl. BGHSt 25, 229, 230; BGH NStZ 1996, 29 jeweils m. N.). Er muß sich nicht mit der Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel begnügen, wenn deren Abwehrwirkung zweifelhaft ist. Wann eine weniger gefährliche Abwehr geeignet ist, die Gefahr zweifelsfrei zu beseitigen, hängt von der jeweiligen "Kampflage" ab (BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 5). Demgemäß ist auch der Einsatz eines Messers nicht von vornherein unzulässig. Er kann aber nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. In der Regel ist der Angegriffene gehalten, den Gebrauch des Messers zu-
nächst anzudrohen oder, sofern dies nicht ausreicht, wenn möglich, vor dem tödlichen einen weniger gefährlichen Einsatz zu versuchen (BGHSt 26, 256, 258; BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 1, Verteidigung 1; BGH NStZ 1996, 29). Das Landgericht hat dies nicht verkannt. Es hat im einzelnen dargelegt , daß nach dem Beweisergebnis eine Kampflage nicht auszuschließen ist, bei der eine weniger gefährliche Abwehr, insbesondere eine Androhung des Einsatzes des Messers, nicht geeignet war, die Gefahr zweifelsfrei zu beseitigen. Die von den Beschwerdeführern hiergegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.
aa) Das Verhalten der Angeklagten im Flur war entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nach den hierzu getroffenen Feststellungen keine „auch rechtlich relevante Beeinträchtigung der Rechtssphäre des E. “, die zu einer Notwehrbeschränkung führte. Daß die Angeklagten anklopften, um AhmedKa. wegen nicht beglichener Schulden anzusprechen, und daß sie Ihab E. veranlassen wollten, dem ebenfalls in dem Zimmer wohnenden Ahmed Ka. eine Nachricht zu übermitteln, ist sozialethisch nicht zu missbilligen (vgl. BGH NStZ 2003, 425, 428 m.N.). Ein für den Umfang des Notwehrrechts bedeutsames Vorverhalten, das von Rechts wegen vorwerfbar ist, läge darin nur dann, wenn das Verhalten der Angeklagten seinem Gewicht nach einer schweren Beleidigung gleichkäme (vgl. BGHSt 42, 97, 101). Das ist aber ersichtlich nicht der Fall.
bb) Soweit der Nebenkläger geltend macht, der Angeklagte Ahmer S. hätte sich, nachdem er Ihab E. in das Zimmer zurückgedrängt hatte, auf Schutzwehr beschränken müssen, stellt die Revision auf eine Kampflage ab, die nach dem Beweisergebnis zwar nicht ausgeschlossen, aber nicht, wie für
eine Verurteilung des Angeklagten erforderlich, sicher festgestellt ist. Nach der ebenfalls nicht ausschließbaren Kampflage, von der zugunsten des Anklagten auszugehen ist, war der Messereinsatz nach dem bei der Beurteilung der Kampflage heranzuziehenden Kräfteverhältnis (BGH NStZ 2003, 425, 427) objektiv erforderlich. Ihab E. war dem Angeklagten Ahmer S. nach den Ausführungen des hierzu gehörten Sachverständigen möglicherweise körperlich überlegen. Er schlug in dem Zimmer nicht ausschließbar sogleich auf den Angeklagten ein und ließ auch im weiteren Verlauf des Kampfes bis zu dessen Ende nicht von ihm ab. Dabei hielt er, wovon zu seinen Gunsten auszugehen ist, weiterhin den Gegenstand in der Faust, mit dem er zuvor Nejeim S. verletzt hatte. Ob nur die Gefahr vergleichbarer (erheblicher) Verletzungen bestand oder ob darüber hinaus ein das Leben gefährdender Angriff vorlag, ist entgegen der Auffassung der Revision des Nebenklägers ohne Belang. Eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter findet bei der Notwehr grundsätzlich nicht statt (vgl. BGH NStZ 2003, 425, 427 m. N.); ein Fall des Missbrauchs des Notwehrrechts wegen geringen Gewichts des angegriffenen Rechtsguts (vgl. BGH aaO) liegt nicht vor.
2. Freispruch des Angeklagten Nejeim S. :
Aus den genannten Gründen hält auch der nur von der Revision der Staatsanwaltschaft angegriffene Freispruch des Angeklagten Nejeim S. rechtlicher Nachprüfung stand. Die Schläge mit der Bratpfanne gegen Ihab
E. , sind durch Nothilfe gerechtfertigt, denn der Angeklagte hat sie nicht auschließbar zu einem Zeitpunkt geführt, als für seinen Sohn, dem er damit helfen wollte, noch eine Notwehrlage bestand.
Tepperwien Maatz Kuckein
Athing Sost-Scheible

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 197/12
vom
27. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. September
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof und
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 27. Januar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht Halle hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen traf der alkoholisierte Angeklagte (maximale Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit: 1,68 Promille) zusammen mit dem Zeugen V. am 15. April 2011 nach 22.00 Uhr im Stadtgebiet von Z. auf den ihm bis dahin unbekannten Geschädigten Z. und dessen Freund, den Zeugen D. . Z. und D. führten einen kleinen Terrier und einen 50 cm großen Labrador-Pitbull-Mischling mit sich. Beide Hunde waren angeleint und bellten. Der Abstand zwischen Z. und D. einerseits und dem Angeklagten und V. andererseits betrug 25 bis 30 Meter.
3
Aus nicht mehr aufklärbaren Gründen entwickelte sich zwischen dem Angeklagten auf der einen und Z. und D. auf der anderen Seite eine verbale Auseinandersetzung, bei der es auch zu beleidigenden Äußerungen („Wichser“) des Angeklagten kam. Als der Angeklagte und der sich an dem Wortwechsel nicht beteiligende V. ihren Weg fortsetzten, folgten ihnen Z. und D. nach, wobei sich der Abstand zwischen beiden Gruppen ständig verringerte, weil Z. und D. ihr Gehtempo erhöhten. Die verbale Auseinandersetzung wurde dabei fortgeführt. Einer Aufforderung von Z. stehen zu bleiben, kamen der Angeklagte und V. nicht nach. Als D. dem Angeklagten und V. ankündigte, dass man ihnen „beim nächsten dummen Wort hinterherkommen“ werde, reagierte der Angeklagte hierauf mit den Worten: „Na dann kommt doch her“. Der Wortwechsel wurde nun zunehmend aggressiver, wobei der Angeklagte seinen Kontrahenten Z. und D. zurief: „Passt auf, wenn ich euch auf offener Straße abschießen lasse“. Die Aufforderung einer Anwohnerin, „mit dem Krach aufzuhören“, blieb beiallen Beteiligten ohne Wirkung. Z. und D. erhöhten nun nochmals ihre Geschwindigkeit , sodass der Abstand zu dem Angeklagten und V. immer kürzer wurde. Dabei lief Z. voraus, während D. mit den beiden an der Leine geführten Hunden nachfolgte. V. , der die Annäherung bemerkte, befürchtete nun eine alsbaldige Konfrontation und redete auf den Angeklagten ein, dass sie beide dies besser lassen und nach Hause gehen sollten. Der Angeklagte ging hierauf nicht ein und führte stattdessen die verbale Auseinandersetzung mit Z. und D. lautstark fort.
4
Als der Abstand zu Z. und D. nur noch 10 bis 20 Meter betrug, nahm der Angeklagte ein von ihm ständig mitgeführtes Klappmesser mit einer Klingenlänge von 10 cm aus seiner Bauchtasche. Die Tasche mit dem übrigen Inhalt übergab er V. , um sie vor seinen Verfolgern zu sichern. V. bekam Angst vor den ihnen folgenden Personen und den bellenden Hunden, er wollte keinen Ärger und rannte davon. Z. lief nun auf den Angeklagten zu, der sich mit dem Rücken zu ihm befand und stehen blieb. Als Z. den Angeklagten erreichte, versuchte er, ihm einen Faustschlag gegen den Kopf zu versetzen. Der Schlag verfehlte den Angeklagten, weil sich dieser genau in dem Moment des Schlags erst zur Seite und dann umdrehte. Unmittelbar nach der Drehbewegung führte der Angeklagte mit dem zwischenzeitlich geöffneten Messer ohne weiteres Zögern einen wuchtigen Stich gegen den Oberkörper von Z. aus. Die Klinge drang 15 cm tief in den linken Unterbauch von Z. ein, führte zu einer dreifachen Durchsetzung des Dünndarms, einem Durchstich der unteren Hohlvene und einem Stichdefekt an der gemeinsamen rechten Beckenschlagader. Beide standen sich nun unmittelbar gegenüber. Der Angeklagte zog sein Messer wieder aus dem Körper von Z. heraus und behielt es in der Hand. Z. schlug nun ein zweites Mal mit der Faust nach dem Angeklagten , wobei er ihn im Gesicht traf. Der Angeklagte fiel zu Boden, blieb liegen und versuchte seinen Kopf mit den Händen zu schützen. Z. trat mindestens einmal gegen den Oberkörper des am Boden liegenden Angeklagten und lief dann zu dem in einer Entfernung von etwa 10 Metern mit den Hunden wartenden D. . Kurz darauf brach er zusammen; er verstarb trotz einer sofortigen Notoperation am frühen Morgen des Folgetags in einem Krankenhaus.
5
Bei der Ausführung des Stiches nahm der Angeklagte eine als möglich erkannte tödliche Verletzung von Z. billigend in Kauf. Dabei stand er unter dem Eindruck, von zwei Personen und deren bellenden Hunden verfolgt zu werden, wobei ihn ein Verfolger bereits eingeholt hatte. Aufgrund des zuvor genossenen Alkohols fühlte er sich „etwas enthemmt“, ohne dass es zu einer relevanten Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit gekommen wäre.

II.


6
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Rechtfertigung durch Notwehr abgelehnt hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
1. Das Landgericht ist der Ansicht, der Angeklagte habe rechtswidrig gehandelt , weil ihm in der konkreten Situation andere Möglichkeiten für eine Abwehr des Angriffs zur Verfügung standen und der tödliche Messerstich deshalb nicht das nach § 32 Abs. 2 StGB erforderliche Verteidigungsmittel war (UA 33). So habe der Angeklagte während des Wortwechsels und der Verlagerung des Geschehens bis zum Tatort genügend Zeit gehabt, um auf den Besitz des Messers hinzuweisen und dessen Einsatz anzudrohen. Zu diesem Zeitpunkt sei Z. lediglich hinter ihm hergelaufen und habe noch nicht damit begonnen , auf den Angeklagten einzuschlagen. Ebenso hätte der Angeklagte versuchen können, mit Worten deeskalierend auf die ihn verfolgende Gruppe einzuwirken. Auch wäre es ihm in der konkreten Verteidigungssituation möglich gewesen, das Messer als Schlagwerkzeug zu benutzen oder seine Fäuste einzusetzen. Dabei hätte der Angeklagte gute Erfolgsaussichten gehabt, weil er aufgrund seiner Körperlänge von 187 cm dem nur 160 cm großen Z. überlegen gewesen sei und eine situationsbedingte körperliche Schwächung nicht vorgelegen habe. Zudem hätte der Angeklagte nicht mit einer derartigen Wucht auf eine so sensible Körperregion einstechen müssen (UA 10 und 34). Schließlich dürfe auch nicht unbeachtet bleiben, dass der Angeklagte wegen seiner aggressiven Äußerungen im Vorfeld eine Mitschuld an der Gemütsver- fassung des Geschädigten trage, auch wenn die Voraussetzungen einer Notwehrprovokation dadurch noch nicht erfüllt seien (UA 34 f.).
8
2. Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung entschieden werden (BGH, Urteil vom 24. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an (BGH, Urteil vom 28. Februar 1989 – 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027; Beschluss vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117). Auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel muss der Angegriffene nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unter den gegebenen Umständen unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (BGH, Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274; Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 358). Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Zwar geht die Rechtsprechung davon aus, dass gegenüber einem unbewaffneten Angreifer der Gebrauch eines bis dahin noch nicht in Erscheinung getretenen Messers in der Regel anzudrohen ist (BGH, Urteil vom 11. September 1995 – 4 StR 294/95, NStZ 1996, 29 f.; Beschluss vom 12. Dezember 1975 – 2 StR 451/75, BGHSt 26, 256, 258) und, sofern dies nicht ausreicht, der Versuch unternommen werden muss, auf weniger sensible Körperpartien einzustechen (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2001 – 4 StR 256/01), doch stehen diese Einschränkungen unter dem Vorbehalt, dass beide Einsatzformen im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2003 – 3 StR 458/02, NStZ 2004, 615, 616; Beschluss vom 21. März 2001 – 1 StR 48/01, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 15; Urteil vom 24. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dies ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen im Einzelnen darzulegen. Angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine vorherige Androhung des Messereinsatzes oder eine weniger gefährliche Stichführung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 274). Können keine sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens getroffen werden, darf sich das nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (BGH, Beschluss vom 15. November 1994 – 3 StR 393/94, NJW 1995, 973).
9
3. Diesen Grundsätzen werden die Erwägungen des Landgerichts zur Erforderlichkeit des Messerstichs nicht gerecht.
10
a) Soweit dem Angeklagten entgegenhalten wird, den Einsatz des Messers während des Wortwechsels und der Verlagerung des Geschehens bis zum Tatort nicht angedroht und es in diesem Zeitraum auch versäumt zu haben, durch Worte deeskalierend auf seine Kontrahenten einzuwirken, handelt es sich um mögliche Verhaltensweisen im Vorfeld und nicht um im Zeitpunkt des Messereinsatzes noch verfügbare alternative Abwehrmittel.
11
b) Für die Annahme, dass es dem Angeklagten möglich war, den Angriff von Z. mit den bloßen Fäusten abzuwehren, ohne dabei ein unvertretbar hohes Fehlschlagrisiko oder eine Eigengefährdung in Kauf nehmen zu müssen, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang lediglich auf die Größenverhältnisse zwischen den Kontrahenten abgehoben und daraus eine körperliche Überlegenheit des Angeklagten abgeleitet. Dies reicht nicht aus, um einen sicheren Erfolg des Angeklagten bei einem Faustkampf mit Z. zu belegen. Ob eine körperliche Auseinandersetzung ohne eigene Verletzungen mit Erfolg bestanden werden kann, hängt nur zu einem geringen Teil von der Statur der Kontrahenten ab. Weitere Feststellungen – etwa zu möglichen Erfahrungen des Angeklagten mit derartigen Auseinandersetzungen oder besonderen Fertigkeiten in diesem Bereich – die eine derartige Aussage gestatten könnten, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Den Vorstrafen wegen Körperverletzung aus dem Jahr 2008 zum Nachteil deutlich jüngerer Kinder hat der Tatrichter in diesem Zusammenhang keine Bedeutung beigemessen und sie nur bei der Ahndung berücksichtigt.
12
c) Das Landgericht hat auch nicht hinreichend dargelegt, warum der Angeklagte gehalten gewesen sein sollte, das Messer als Schlagwerkzeug einzusetzen. Bei dem Tatmesser handelte es sich um ein Klappmesser mit einer feststehenden 10 cm langen Klinge. Wie ein solches Messer in einer effektiven Weise als Schlagwerkzeug eingesetzt werden kann, erschließt sich nicht von selbst.
13
d) Schließlich hat das Landgericht auch nicht mit Tatsachen belegt, dass es dem Angeklagten möglich war, den Angriff von Z. durch einen weniger wuchtigen Stich gegen eine nicht so sensible Körperregion endgültig abzuwehren. Die hierzu gemachten Ausführungen beschränken sich auf die bloße Behauptung, dass ihm diese Handlungsmöglichkeit zur Verfügungstand (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2001 – 4 StR 256/01).

III.


14
Der Senat kann nicht nach § 354 Abs. 1 StPO durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine neue Verhandlung noch weitere Feststellungen zu erbringen vermag, die einen Schuldspruch rechtfertigen (BGH, Urteil vom 22. April 2004 – 5 StR 534/02, NStZ-RR 2004, 270, 271). Dabei wird auch zu erörtern sein, ob die Notwehrbefugnisse des Angeklagten wegen einer ihm zuzurechnenden Angriffsprovokation beschränkt waren. Auch kommt gegebenenfalls die Annahme eines Erlaubnistatbestandsirrtums in Betracht.
15
1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich nicht auf ein Notwehrrecht berufen kann, wer den gegen ihn geführten Angriff herausgefordert hat, um den Angreifer unter dem Deckmantel einer äußerlich gegebenen Notwehrlage an seinen Rechtsgütern zu verletzen (BGH, Urteil vom 22. November 2000 – 3 StR 331/00, NStZ 2001, 143; Urteil vom 7. Juni 1983 – 4 StR 703/82, NJW 1983, 2267). Einschränkungen der Notwehrbefugnis können sich aber auch dann ergeben, wenn der Täter den Angriff durch ein rechtswidriges Verhalten im Vorfeld (z.B. Beleidigungen des Angreifers) mindestens leichtfertig provoziert hat. In einem solchen Fall ist es dem Täter zuzumuten, dem Angriff nach Möglichkeit auszuweichen (BGH, Beschluss vom 14. Februar 1992 – 2 StR 28/92, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 9; Beschluss vom 17. Januar 1989 – 4 StR 2/89, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 4; Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359). Vermag er dies nicht, kann er – je nach der Stärke der ihm anzulastenden Provokation und dem Gewicht des beein- trächtigten Rechtsguts – auch Beschränkungen bei der Auswahl der Abwehrmittel unterliegen (BGH, Urteil vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333). War die Provokation besonders stark, muss der Verteidiger unter Umständen auf eine einen sicheren Erfolg versprechende Verteidigung verzichten und das Risiko hinnehmen, dass ein milderes Abwehrmittel keine gleichwertigen Erfolgschancen bietet (BGH, Urteil vom 22. November 2000 – 3 StR 331/00, NStZ 2001, 143, 144; Urteil vom 26. Oktober 1993 – 5 StR 493/93, BGHSt 39, 374, 379). Regelmäßig wird er zu einer Trutzwehr mit einer lebensgefährlichen Waffe erst dann übergehen können, wenn er alle sich ihm bietenden Möglichkeiten zur Schutzwehr ausgeschöpft hat (BGH, Urteil vom 11. Juni 1991 – 1 StR 242/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 8; Urteil vom 18. August 1988 – 4 StR 297/88, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 3; Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359; vgl. Beschluss vom 12. Dezember 1975 – 2 StR 451/75, BGHSt 26, 256). Kann der Verteidiger dem von ihm leichtfertig provozierten Angriff nicht ausweichen und stehen ihm auch keine milderen Abwehrmittel zur Verfügung, ist ein Einsatz von lebensgefährlichen Verteidigungsmitteln gerechtfertigt (BGH, Beschluss vom 17. Januar 1989 – 4 StR 2/89, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 4).
16
Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte den später getöteten Z. und den Zeugen D. im Vorfeld des Angriffs unter anderem als „Wichser“ bezeichnet und dadurch beleidigt. Konkrete Feststellungen dazu, ob und inwieweit diese und weitere Äußerungen („na dann kommt doch her“) dazu beigetragen haben, dass Z. und D. die Verfolgung des Angeklagten und des Zeugen V. aufnahmen und inwieweit eine solche Entwicklung vorhersehbar war, hat das Landgericht nicht getroffen. Das Gesamtgeschehen legt einen derartigen motivationalen Zusammenhang nahe. Für den Fall, dass eine leichtfertige Angriffsprovokation festge- stellt werden kann, wird der neue Tatrichter zu prüfen haben, inwieweit es dem Angeklagten möglich war, dem Angriff auszuweichen und inwieweit er wegen der vorausgegangenen Provokation Einschränkungen bei der Notwehrausübung hinnehmen musste.
17
2. Ein analog § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zum Vorsatzausschluss führender Erlaubnistatbestandsirrtum kann gegeben sein, wenn der rechtswidrig Angegriffene zu einem objektiv nicht erforderlichen Verteidigungsmittel greift, weil er irrig annimmt, der bereits laufende Angriff werde in Kürze durch das Hinzutreten eines weiteren Angreifers verstärkt werden; das gewählte Verteidigungsmittel aber in der von ihm angenommenen Situation zur endgültigen Abwehr des Angriffs erforderlich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2011 – 3 StR 450/10, NStZ 2011, 630). Konnte der Angegriffene den Irrtum vermeiden , kommt nach § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB eine Bestrafung wegen einer Fahrlässigkeitstat in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2001 – 3 StR 542/00, NStZ 2001, 530 f.).
18
Nach den Feststellungen des Landgerichts sah sich der Angeklagte von zwei Personen mit bellenden Hunden verfolgt, von denen ihn eine ( Z. ) bereits eingeholt hatte. Diese Annahme entsprach jedenfalls insoweit nicht den Tatsachen, als D. „eher an einer Deeskalation“ interessiert war und – so seine für „plausibel“ erachtete Aussage in der Hauptverhandlung – Z. sogar an dem Faustschlag gehindert hätte, wenn er zeitgleich mit ihm auf den Angeklagten getroffen wäre. Ob der Angeklagte bei der Ausführung des Stiches irrig davon ausging, dass der laufende Angriff von Z. in Kürze eine Verstärkung durch D. erfahren würde, lässt sich anhand dieser Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Sollte der neue Tatrichter zu entsprechenden Feststellungen gelangen, wird er zu erörtern haben, ob der tödliche Messerstich erforderlich gewesen wäre, um einen Angriff abzuwehren, wie ihn der Angeklagte befürchtete.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 199/15
vom
27. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
17. September 2015 in der Sitzung am 27. Oktober 2015, an denen
teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Vertreter der Nebenklägerin N. S. ,
Rechtsanwältin - in der Verhandlung -
als Vertreterin des Nebenklägers B. S. ,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Vertreter des Nebenklägers H. S. ,
Justizobersekretärin - in der Verhandlung - ,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 27. Oktober 2014 werden verworfen; jedoch wird die Entscheidungsformel des vorgenannten Urteils dahin geändert , dass der Angeklagte des Totschlags schuldig ist.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags "in einem minder schweren Fall" schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Dagegen wenden sich die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten und das zu seinen Gunsten eingelegte , vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Die Revisionen haben keinen Erfolg.
2
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts begaben sich der später getötete, am Tattag 16-jährige L. S. und vier weitere Mittäter am 13. Dezember 2010 zum Grundstück des Angeklagten, um diesen auszurauben. Sie führten eine Softair-Pistole mit sich und hatten sich mit Mützen, Schals und/oder Strumpfhosen maskiert. Als der Angeklagte nach 21 Uhr sein Haus verließ, um seinen Hund zu füttern, wurde er von drei der Raubtäter überwältigt und zu Boden geworfen. Anschließend schleppten sie ihn ins Haus, wo er sich zu einem Stuhl im Wohnzimmer führen ließ, in dessen Armlehne er einige Zeit zuvor aus Angst vor einem Überfall eine scharfe und geladene Pistole versteckt hatte. Die Raubtäter, die die Waffe nicht bemerkten, befragten den Angeklagten in aggressivem Ton nach den Aufbewahrungsorten von Geld und Tresorschlüsseln. Der später Getötete und ein Mittäter fixierten den Angeklagten dabei an den Armen, hielten ihm die Softair-Pistole an den Kopf und strangulierten ihn mit einem Schal. Die drei übrigen Täter durchsuchten das Haus nach Wertgegenständen und nahmen Geld und Schmuckstücke an sich. Dabei lösten sie versehentlich die Alarmanlage aus; im Haus erklang ohrenbetäubender Lärm und die Außenbeleuchtung ging an, die die Terrasse und den angrenzenden Gartenbereich erhellte. Die Raubtäter gerieten dadurch in Panik und verließen - da sie die Haustür abgeschlossen hatten - durch eine nur teilweise zu öffnende Terrassentür das Haus des Angeklagten, um möglichst schnell zu ihrem Fluchtfahrzeug zu gelangen. Der später Getötete, der - von diesem unbemerkt - das Portemonnaie des Angeklagten mit über 2.000 € Bargeld eingesteckt hatte, zwängte sich als vierter durch den Türspalt. Der Angeklagte hatte inzwischen die Waffe ergriffen und durchgeladen und war den Raubtätern in einen Zwischenflur nachgegangen, aus dem er die Terrassentür im Blick hatte. Als er meinte, einen Schuss gehört zu haben, war er der Auffassung, nunmehr ebenfalls schießen zu dürfen. Tatsächlich war kein Schuss abgegeben oder von einem der Raubtäter auch nur eine Waffe auf den Angeklagten gerichtet worden. Dieser gab aus dem Zwischenflur heraus ohne vorherige Androhung des Schusswaffengebrauchs oder einen Warnschuss vier Schüsse in Körperhöhe in Richtung der weiterhin in Panik fliehenden Raubtäter ab. Der dritte traf L. S. , der sich noch in unmittelbarer Nähe der Terrassentür befand, in den Rücken, zertrümmerte einen Brustwirbel und verletzte den Herzbeutel sowie die Hauptschlagader; er verstarb binnen weniger Minuten an einem durch den Blutverlust verursachten Herz-Kreislauf-Versagen.
3
Der Angeklagte hielt bei den Schüssen den Tod eines der Flüchtenden, die er wegen der Außenbeleuchtung gut sehen konnte, für möglich und nahm dies billigend in Kauf. Er sah aufgrund der vorangegangenen Raubtat und eines am Tag zuvor stattgefundenen Überfalls, bei dem ein Opfer zu Tode gekommen war, sein Leben als bedroht an; zugleich war ihm allerdings bewusst, dass ein weiterer Angriff der fliehenden Täter, die ersichtlich keine Waffe auf ihn richteten, nicht unmittelbar bevorstand. Er schoss, um den Raubtätern zu verdeutlichen , dass sie nicht zurückkommen sollten. Die Sicherung seines Eigentums spielte bei Abgabe der Schüsse keine Rolle.
4
II. Auf der Grundlage dieser Feststellungen erweist sich die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags auch unter Berücksichtigung der Revisionsangriffe als rechtsfehlerfrei. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
5
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, begegnet keinen durchgreifenden revisionsrechtlichen Bedenken. Die Strafkammer hat sich vom Vorliegen des Tötungsvorsatzes des Angeklagten im Wesentlichen wegen der besonderen Gefährlichkeit der Tathandlung (mehrere Schüsse intentional in Höhe des Oberkörpers aus vier bis fünf Metern Entfernung), des nach Angaben des hinzugezogenen Sachverständigen sehr zielgerichteten Schussbildes, der Erfahrung des Angeklagten im Umgang mit Waffen sowie der guten Sichtbarkeit der fliehenden Raubtäter überzeugt. Bei dieser Sachlage war es nicht erforderlich, ausdrücklich die Äußerung des Angeklagten nach der Tat zu erörtern, er habe keinem Menschen etwas zu Leide getan; denn diese angesichts des vorangegangenen Geschehens offensichtlich unrichtige Erklärung legt den von der Revision bemühten Rückschluss nicht nahe, der Angeklagte habe bei Tatbegehung darauf vertraut, trotz der erkannten Gefährlichkeit seines Handelns werde der Taterfolg ausbleiben. Mit Blick auf die hochgefährliche Tatbegehung und insbesondere das zielgerichtete Schussbild bedurfte auch der Umstand, dass die Strafkammer - dem psychiatrischen Sachverständigen folgend und letztlich unter Anwendung des Zweifelssatzes - nicht hat ausschließen können, dass der Angeklagte infolge einer akuten Belastungsstörung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war, keiner eingehenderen Erörterung im Rahmen der Prüfung des Tötungsvorsatzes.
6
2. Zu Recht hat das Landgericht eine Rechtfertigung der Handlungen des Angeklagten abgelehnt.
7
a) Ein Notwehrrecht wegen eines gegenwärtigen Angriffs der Raubtäter auf Leib und Leben des Angeklagten kommt nicht in Betracht, denn das Landgericht hat gerade nicht feststellen können, dass tatsächlich ein Schuss auf den Angeklagten abgegeben wurde.
8
b) Ohne Erfolg bleiben die Revisionen, soweit sie die Ablehnung eines Notwehrrechts wegen der Wegnahme des Portemonnaies als rechtsfehlerhaft rügen. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, scheitert eine Rechtfertigung - was die Rechtsmittelbegründungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten verkennen - insoweit bereits an dem aus mehreren Gründen fehlenden Verteidigungswillen des Angeklagten, von dem die Verteidigungshandlung nach ständiger Rechtsprechung, von der abzuweichen der vorliegende Fall keinen Anlass bietet, getragen sein muss (RG, Urteil vom 19. Dezember 1919 - IV 708/19, RGSt 54, 196, 199; BGH, Urteile vom 15. Januar 1952 - 1 StR 552/51, BGHSt 2, 111, 114; vom 2. Oktober 1953 - 3 StR 151/53, BGHSt 5, 245, 247; vom 11. September 1995 - 4 StR 294/95, NStZ 1996, 29, 30; Beschluss vom 9. September 1997 - 1 StR 730/96, NJW 1998, 465, 466; Urteile vom 6. Oktober 2004 - 1 StR 268/04, NStZ 2005, 332, 334; vom 25. April 2013 - 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133, 2134 f. mwN). Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Strafkammer ging der Angeklagte im Tatzeitpunkt davon aus, die Raubtäter hätten keine Beute erlangt. Er hatte also keine Kenntnis von der Notwehrlage. Zudem gab er die Schüsse auch nicht ab, um sein Eigentum zu verteidigen; allein handlungsleitendes Motiv war vielmehr Angst um sein Leben, nachdem er meinte, einen Schuss gehört zu haben.
9
Selbst wenn man mit einer in der Literatur vertretenen Auffassung in Fällen , in denen das subjektive Rechtfertigungselement fehlt, eine Strafbarkeit wegen vollendeten Delikts entfallen lassen und - mit Blick auf strukturelle Ähnlichkeiten zum untauglichen Versuch - nur eine solche wegen Versuchs annehmen wollte (vgl. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 268 mwN; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 32 Rn. 27; s. auch - nicht tragend - BGH, Urteil vom 3. Dezember 1991 - 1 StR 120/90, BGHSt 38, 144, 155 f. zu § 218 Abs. 1, § 218a StGB aF; dagegen eingehend NK-StGB-Paeffgen, vor 4. Aufl., § 32 ff. Rn. 128 mwN), würde dies den Bestand des angefochtenen Urteils nicht gefährden. Denn das Landgericht hat weiter mit umfassender und zutreffender Begründung ausgeführt, dass die Schüsse in Höhe des Oberkörpers der fliehenden Täter nicht erforderlich waren, der Angeklagte vielmehr - jedenfalls mit Blick auf die Verteidigung allein seines Eigentums - gehalten war, auf die Beine der Flüchtenden zu zielen (vgl. zu den Grundsätzen des Einsatzes des mildesten Mittels bei lebensgefährlichen Verteidigungsakten, insb. beim Schusswaffengebrauch LK/Rönnau/Hohn aaO, § 32 Rn. 175 ff. mwN; Fischer aaO, § 32 Rn. 33a).
10
c) Der Angeklagte handelte auch nicht mit dem erforderlichen Willen, sein Hausrecht gegen einen gegenwärtigen Angriff der Raubtäter darauf zu verteidigen. Vielmehr waren nach den Feststellungen ursächlich für die Schüsse allein die Angst um sein Leben wegen des vermeintlichen Schusses auf ihn sowie sein Wunsch, den Angreifern zu verdeutlichen, dass sie nicht zurückkehren sollten.
11
Zur Verteidigung des Hausrechts stellten die Schüsse zudem keine gebotene Notwehrhandlung dar. Zwar ist anerkannt, dass auch das Hausrecht "grundsätzlich mit scharfen Mitteln" verteidigt werden darf, soweit es sich bei dem Angriff nicht um eine Bagatelle handelt (BGH, Beschluss vom 29. Januar 1982 - 3 StR 496/81, juris; Urteil vom 31. Juli 1979 - 1 StR 296/79, juris Rn. 12). Steht indes die mit der Verteidigung verbundene Beeinträchtigung des Angreifers in einem groben Missverhältnis zu Art und Umfang der aus dem Angriff drohenden Rechtsverletzung, so ist die Notwehr unzulässig (BGH, Beschluss vom 1. März 2011 - 3 StR 450/10, NStZ 2011, 630, 631; Urteile vom 16. Juli 1980 - 2 StR 127/80, NStZ 1981, 22, 23; vom 31. Juli 1979 - 1 StR 296/79 aaO mwN; LK/Rönnau/Hohn aaO, § 32 Rn. 230 ff. mwN; S/S-Perron, StGB, 29. Aufl., § 32 Rn. 50 mwN; MüKoStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 214 ff.). Dies war angesichts des Umstands, dass die Raubtäter im Begriff waren, das Grundstück fluchtartig zu verlassen und die Beendigung der Hausrechtsverletzung damit - wie von dem Angeklagten erkannt - auch ohne sein Zutun unmittelbar bevorstand, hier der Fall. Aus diesem Grund liegt auch der Einwand der Revision des Angeklagten, die Strafkammer habe sich mit der Intensität der ursprünglichen , in dem Überfall liegenden Hausrechtsverletzung nicht ausreichend auseinandergesetzt , neben der Sache.
12
3. Zu Recht hat die Strafkammer das Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums verneint, der gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB die Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Handelns entfallen lassen könnte (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 6. Juni 1952 - 1 StR 708/51, BGHSt 3, 105, 106 f.; vom 10. Februar 2000 - 4 StR 558/99, BGHSt 45, 378, 384; vgl. aber auch BGH, Urteil vom 2. November 2011 - 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272, 273: Ausschluss der Vorsatzschuld). In einem solchen Erlaubnistatbestandsirrtum befindet sich, wer irrig Umstände annimmt, die - wenn sie vorlägen - einen anerkannten Rechtfertigungsgrund begründen würden (LK/Vogel aaO, § 16 Rn. 110).
13
a) Diese Voraussetzung war nach den getroffenen Feststellungen bei dem Angeklagten nicht gegeben.
14
aa) Er nahm - entgegen der Auffassung der Revision der Staatsanwaltschaft - nicht an, sich in einer Lage zu befinden, aufgrund derer sein Handeln durch Notwehr hätte gerechtfertigt sein können. Denn das Landgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass dem Angeklagten im Moment der Schussabgabe bewusst war, dass ein (weiterer) Angriff der flüchtenden Raubtäter nicht unmittelbar bevorstand und diese keine Waffe auf ihn richteten. In der Beweiswürdigung hat die Strafkammer dazu ausgeführt, der Angeklagte habe lediglich die Vorstellung gehabt, der von ihm vermeintlich gehörte Schuss habe möglicherweise ihm gegolten. Er sei indes nicht davon ausgegangen, dass die Raubtäter von ihrer weiteren Flucht hätten absehen und zurückkehren oder gar weitere Schüsse in seine Richtung hätten abgeben wollen. Mit seinen Schüssen habe er lediglich aufzeigen wollen, dass die Täter ihre Flucht fortsetzen und nicht zurückkommen sollten. Damit stellte sich der Angeklagte aber gerade keinen gegenwärtigen Angriff auf sein Leben oder seine Gesundheit vor: Der vermeintlich abgegebene Schuss auf ihn hatte ihn ersichtlich nicht verletzt; weil er erkannte , dass ein weiterer Schuss nicht abgegeben werden würde, dauerte der (angenommene) Angriff aus seiner Sicht auch nicht mehr fort, weil die Herbeiführung oder Vertiefung einer Rechtsgutsverletzung nicht zu erwarten war (vgl. MüKoStGB/Erb aaO, § 32 Rn. 110 f. mwN).
15
bb) Die getroffenen Feststellungen erweisen sich auch nicht als widersprüchlich. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass sich aus der Einlassung des Angeklagten einerseits ergibt, dass er sich durch den vermeintlichen Schuss in Lebensgefahr gewähnt habe, er indes andererseits im Moment der Tatausführung - wie dargelegt - nicht (mehr) von einem gegenwärtigen Angriff auf sein Leben oder seine Gesundheit ausging. Soweit der Generalbundesanwalt der Einlassung entnehmen will, der Angeklagte habe - "weil sonst mit einer akuten Lebensgefahr nicht vereinbar" - eine "alsbaldige" Rückkehr der Raubtäter befürchtet und sei damit im Widerspruch zu den Feststellungen der Strafkammer doch von deren unmittelbar bevorstehenden Rückkehr und mithin von einem gegenwärtigen Angriff ausgegangen, handelt es sich dabei um eine Schlussfolgerung, die das Landgericht gerade nicht gezogen hat. Die Annahme des Angeklagten, sein Leben sei bedroht gewesen, mag infolge des von ihm vermeintlich gehörten, tatsächlich aber nicht abgegebenen Schusses als generelle Befürchtung subjektiv nachvollziehbar gewesen sein; dies steht aber nicht im Widerspruch dazu, dass er bei der anschließenden Abgabe der eigenen Schüsse erkannte, dass (nunmehr) ein weiterer Angriff der Täter auf ihn - sei es durch weitere Schüsse oder eine Rückkehr und Fortsetzung des Raubüberfalls - nicht unmittelbar bevorstand.
16
b) Die Angriffe der Revision des Angeklagten gegen die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung haben gleichfalls keinen Erfolg. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Diesem obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung hat sich darauf zu beschränken, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, was in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall ist, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 6. August 2015- 3 StR 226/15, juris Rn. 5).
17
In diesem Sinne für das Revisionsgericht beachtliche Rechtsfehler in der Beweiswürdigung des Landgerichts zeigen die Rechtsmittel nicht auf. Die Beweiswürdigung ist insbesondere nicht lückenhaft. Die Revision des Angeklagten stellt zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung allein auf die Ausführungen der Strafkammer in der rechtlichen Würdigung ab, die zu seinen festgestellten Angaben nach der Tat gegenüber den anwesenden Polizeibeamten im Widerspruch stünden. Dabei übergeht der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung der Strafkammer zu diesem Punkt, die sich mit seiner Einlassung ausdrücklich befasst und ausführlich begründet hat, warum sie nicht von einer (irrtümlich angenommenen) Notwehrlage ausgegangen ist.
18
4. Der Angeklagte war schließlich auch nicht gemäß § 33 StGB entschuldigt. Nach dieser Vorschrift wird der Täter nicht bestraft, der die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken (sog. asthenische Affekte) überschreitet.
19
Voraussetzung ist das Bestehen einer objektiv gegebenen Notwehrlage; auf Fälle der sogenannten Putativnotwehr, also unter anderem in einer irrtümlich angenommenen Notwehrlage (vgl. Fischer aaO, § 32 Rn. 51 mwN), ist die Vorschrift des § 33 StGB nicht anwendbar (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteile vom 24. Oktober 2001 - 3 StR 272/01, NStZ 2002, 141; vom 18. April 2002 - 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204; vom 23. Januar 2003 - 4 StR 267/02, NStZ 2003, 599, 600, jeweils mwN; Beschluss vom 1. März 2011 - 3 StR 450/10, NStZ 2011, 630; s. auch LK/Zieschang aaO, § 33 Rn. 24 ff.; MüKoStGB/Erb aaO, § 33 Rn. 18; BeckOK StGB/Heuchemer, § 33 Rn. 13; Motsch, Der straflose Notwehrexzess, 2003, S. 39). Die asthenischen Affekte müssen weiter dafür ursächlich sein, dass der den Angriff wahrnehmende Täter die Grenzen der Notwehr überschreitet (MüKoStGB/Erb aaO, § 33 Rn. 20, 22; NK-StGB- Kindhäuser aaO, § 33 Rn. 25; S/S-Perron aaO, § 33 Rn. 5), wobei er gleichsam mit Verteidigungswillen handeln muss (LK/Zieschang aaO, § 33 Rn. 48 mwN).
20
Nach diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen eines Notwehrexzesses nicht erfüllt:
21
In Bezug auf das Rechtsgut Leben und Gesundheit lag ein gegenwärtiger Angriff - wie dargelegt - nicht vor; der Angeklagte überschritt auch nicht die Grenzen der Notwehr, vielmehr wären seine Schüsse - hätten die Raubtäter tatsächlich auf ihn gefeuert und wäre ihr Angriff noch gegenwärtig gewesen - gerechtfertigt gewesen. Es handelt sich insoweit mithin allenfalls um einen Fall allein der Putativnotwehr in Form eines Tatsachenirrtums über einen in Wirklichkeit nicht vorliegenden Angriff, nicht aber um einen Notwehrexzess (vgl. LK/Zieschang aaO, § 33 Rn. 22).
22
Mit Blick auf das Rechtsgut Eigentum fehlt es wiederum am Verteidigungswillen des Angeklagten, so dass auch insoweit die Anwendung des § 33 StGB ausscheidet.
23
Gleiches gilt - wie dargelegt - hinsichtlich der Verteidigung des Hausrechts des Angeklagten: Insoweit schoss er nicht aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken über den stattgehabten Angriff auf dieses Rechtsgut oder zu dessen Verteidigung gegen einen gegenwärtigen Angriff. Die nach den Feststellungen für die Schüsse ursächliche Angst um sein Leben sowie sein Wunsch, den Angreifern zu verdeutlichen, dass sie nicht zurückkehren sollten, belegen den erforderlichen Verteidigungswillen mit Blick auf das Hausrecht nicht, so dass es nicht darauf ankommt, ob die Todesangst wegen des vermeintlich gehörten Schusses im Rahmen der Überschreitung des das Hausrecht betreffenden objektiv gegebenen Notwehrrechts überhaupt zu berücksichtigen ist, was entge- gen den dargelegten Grundsätzen doch zu einer Berücksichtigung einer tatsächlich nicht bestehenden Notwehrlage im Rahmen der Prüfung des § 33 StGB führen könnte. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob - wie das Landgericht angenommen hat - in Fällen, in denen die Verteidigungshandlung in einem groben Missverhältnis zu der aus dem Angriff drohenden Rechtsverletzung steht, die Anwendung der Vorschrift des § 33 StGB ebenso ausscheidet, wie das Notwehrrecht (vgl. etwa NK-StGB-Kindhäuser aaO, § 33 Rn. 14; SKStGB /Rogall, 122. Lfg., § 33 Rn. 13; S/S-Perron aaO, § 33 Rn. 7; Roxin, Strafrecht AT, 4. Aufl., § 22 Rn. 79; Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl., § 12 Rn. 150; Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl., 20. Abschn. Rn. 29; Motsch aaO, S. 91 f.; Diederich , Ratio und Grenzen des straflosen Notwehrexzesses, 2001, S. 73 ff.; aA LK/Zieschang aaO, § 33 Rn. 3; Fischer aaO, § 33 Rn. 8; HK-GS-StGB/Duttge, 3. Aufl., § 33 Rn. 4).
24
III. Der Senat hat den Schuldspruch neu gefasst, weil die Urteilsformel von allem freizuhalten ist, was nicht unmittelbar der Erfüllung ihrer Aufgabe dient, das begangene Unrecht zu kennzeichnen und die im Urteil getroffenen Anordnungen zu verlautbaren. Eine Bezeichnung der Tat als "minder schwerer Fall" erübrigt sich danach (BGH, Beschluss vom 11. März 2008 - 3 StR 36/08, juris Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 260 Rn. 25 mwN).
Becker Pfister Schäfer Gericke Spaniol