Bundesgerichtshof Urteil, 24. Mai 2017 - 2 StR 219/16

bei uns veröffentlicht am24.05.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 219/16
vom
24. Mai 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:240517U2STR219.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Mai 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Dr. Grube, Schmidt,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt , Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Marburg vom 23. November 2015 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes einer Präzisionsschleuder zu einer Geldstrafe verurteilt und ihn vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen. Gegen den Freispruch richtet sich die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, ist unbegründet.

I.

2
1. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten einen Totschlag zur Last.
3
Am 12. Oktober 2014 habe gegen 5.40 Uhr in der R. in M. aus nicht näher geklärtem Anlass eine Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und den Zeugen S. und W. einerseits sowie dem später getöteten Ho. und den Zeugen Sc. , Hü. , T. und D. andererseits stattgefunden. Der erste tätliche Angriff sei durch den Zeugen S. gegen den Zeugen Sc. ausgeführt worden. An der Auseinandersetzung habe sich sodann der Zeuge Hü. aktiv beteiligt, während die Zeugen T. , D. und W. versucht hätten, die Kontrahenden zu trennen. Gleichzeitig oder kurz darauf seien einige Meter entfernt der Angeklagte und Ho. aneinander geraten. Dabei habe der Angeklagte ein Taschenmesser gezogen, dieses geöffnet und dem unbewaffneten Gegner einen gezielten Stich ins Herz versetzt. Trotz der tödlichen Verletzung habe Ho. ein bewegliches Verkehrsschild aus seiner Halterung genommen und sei mit diesem, die Stange quer vor der Brust haltend, auf den Angeklagten zugegangen. Dieser habe ihm die Stange entrissen und damit auf ihn eingeschlagen. Ho. sei daraufhin zusammengebrochen und wenig später im Krankenhaus verstorben.
4
2. Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte am 11. Oktober 2014 als Verbindungsstudent an einer Feier im Verbindungshaus teil und trank erhebliche Mengen Alkohol. Danach hielt er sich in der Gaststätte „D. “ auf, wo er die Zeugen S. und W. traf. Gemeinsam suchten sie die Kellerbar „R. “ auf, die in den frühen Morgenstunden auch von Ho. und dessen Bekannten Sc. , E. , T. , K. , D. und Hü. besucht wurde. Im Verlauf des Aufenthalts in der Kellerbar kam es dazu, dass einer aus der Gruppe um den Geschädigten auf der Toilette dem Angeklagten dessen Einstecktuch aus der Anzugjacke wegnahm und dieses im Scherz einem anderen als Ersatz für Toilettenpapier anbot; der Angeklagte erhielt das Einstecktuch aber kurz darauf zurück.
5
Nachdem alle Personen die Kellerbar gegen 5.40 Uhr verlassen hatten, kam es auf der Straße erneut zu einem Streit um das Einstecktuch. Die Zeugen Sc. , T. und Hü. sprachen den Angeklagten auf den Vorfall auf der Gaststättentoilette an. Der Zeuge Hü. nahm dem Angeklagten erneut das Einstecktuch weg und entfernte sich. Der Zeuge S. und der Angeklagte folgten ihm, worauf es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen den Zeugen Sc. und S. kam. Kurz danach kam es ohne feststellbaren Grund zu einer weiteren körperlichen Auseinandersetzung zwischen den Zeugen Hü. und S. , in die sich die Zeugen T. , D. und W. einmischten. Auch der Angeklagte näherte sich dieser Gruppe. Bevor er diese erreichte, lief Ho. auf ihn zu und beschimpfte ihn. Der Angeklagte wurde dabei zurückgedrängt und mindestens einmal getreten. Die Zeugen E. und K. versuchten vergeblich, den aggressiv auftretenden Ho. zu beruhigen. Der Angeklagte wich zwei Meter zurück. Danach kam es zu einer weiteren körperlichen Auseinandersetzung mit Ho. , in deren Verlauf der Angeklagte diesem mit seinem mitgeführten Schweizer Taschenmesser den tödlichen Stich in die Brust versetzte.
6
Die genaue Abfolge der Einzelakte konnte das Gericht nicht feststellen. Ho. nahm jedenfalls die Stange eines mobilen Verkehrsschildes mit einer Länge von drei Metern aus dessen Halterung, hielt die Stange quer vor sich und bewegte sich so auf den Angeklagten zu. In dieser Situation erfolgte der Messerstich, wobei nicht zu klären war, ob der Stich vor oder nach dem Einsatz der Stange erfolgte. Das Landgericht vermochte nicht auszuschließen, dass Ho. mit der Stange des Verkehrsschilds in der Hand auf den Angeklagten zulief, um ihn damit zu verletzen, worauf der Angeklagte ihm in die Brust stach, um sich zu verteidigen.
7
Das Landgericht hat den Messereinsatz als Totschlag gewertet, der - im Zweifel zugunsten des Angeklagten - durch Notwehr gerechtfertigt sei.

II.

8
Die Revision ist unbegründet.
9
1. Das Urteil genügt den formalen Anforderungen gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an eine freisprechende Entscheidung.
10
Wird der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, müssen nach der Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen festgestellt werden, die das Tatgericht für erwiesen erachtet. Erst auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen zur Verurteilung notwendige weitere Feststellungen nicht getroffen werden konnten (vgl. BGH, Urteile vom 8. Mai 2014 - 1 StR 722/13, NStZ-RR 2014, 220, und vom 5. November 2014 - 1 StR 394/14). Bei einem Freispruch wegen Notwehr müssen auch dessen Tatsachengrundlagen dargestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2017 - 1 StR 486/16). Nur so ist das Revisionsgericht in der Lage nachzuprüfen, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht.
11
Diesen formalen Anforderungen genügen die Gründe des angefochtenen Urteils. Das Landgericht hat nach Wiedergabe des Anklagevorwurfs diejenigen Feststellungen mitgeteilt, die es sicher treffen konnte. Außerdem hat es erklärt, weshalb ihm weiter gehende Feststellungen im Sinne des Anklagevorwurfs nicht möglich waren.
12
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Es hat keine überzogenen Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt. Vielmehr hat es erläutert, warum die Einlassung des Angeklagten, der sich auf Notwehr berufen hat, nicht zu widerlegen sei. Angesichts der erheblichen Alkoholisierung aller Beteiligten zur Tatzeit und deren Ablenkung durch das übrige Geschehen vermochte kein Zeuge belastbare Angaben im Sinne des Anklagevorwurfs zu machen. Auch der Augenzeuge des Kerngeschehens E. hat zuletzt erklärt, dass er „keine Reihenfolge festlegen“ könne.Andererseits wurde die Notwehrbehauptung des Angeklagten teilweise bestätigt, so dass dem Landgericht nicht entgegengehalten werden kann, es habe überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt. Danach ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht im Zweifel zugunsten des Angeklagten von einem Sachverhalt im Sinne seiner Einlassung ausgegangen ist.
13
Eine Lücke in den Beweisgründen liegt nicht darin, dass das Landgericht nicht näher erläutert hat, inwieweit Ho. dem Angeklagten körperlich überlegen war. Es hat jedenfalls festgestellt, dass dieser größer war als der Angeklagte. Hinzu kommt, dass der Angeklagte stärker alkoholisiert war, während Ho. durch den vorherigen Konsum von Amphetamin in seiner physischen Leistungsfähigkeit gestärkt, zugleich aber nach den Ausführungen des sachverständig beratenen Landgerichts aggressiver als sonst üblich war.
14
Der Hinweis des Landgerichts darauf, Ho. habe aus einer zahlenmäßig überlegenen Gruppe heraus gehandelt, weist ebenfalls keinen Rechtsfehler auf.
15
Schließlich ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Erkennbarkeit des vorangegangenen Alkohol- und Amphetaminkonsums durch Ho. für den Angeklagten verneint hat. Es fehlt an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass er dies erkennen konnte und tatsächlich erkannt hat.
16
3. Auf der Grundlage der vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Mindestfeststellungen ist dessen rechtliche Wertung nicht zu beanstanden.
17
a) Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist gemäß § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt , wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 - 5 StR 138/16, JR 2016, 598, 599 mit Anm. Erb). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden. Danach kann auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe durch Notwehr gerechtfertigt sein. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Die mildere Einsatzform muss im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann. Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Können keine sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens getroffen werden, darf sich dies nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (BGH aaO).
18
Hatte der körperlich überlegene Ho. den stärker alkoholisierten Angeklagten zuerst zurückgedrängt, beleidigt und getreten und war Ho. danach mit der Eisenstange in der Hand auf den Angeklagten zugegangen, ohne dass andere Personen aus seiner Gruppe ihn beruhigen konnten, so war für den Angeklagten keine ausreichende Zeit und Gelegenheit vorhanden, um in zumutbarer Weise ein milderes Mittel zu wählen, das in gleicher Weise geeignet gewesen wäre, den Angriff sicher abzuwehren. Der Umstand , dass der Angeklagte letztlich die Stange in seinen Besitz gebracht hatte, spricht nicht gegen einen solchen Ablauf; dies konnte die Folge einer Schwächung seines Gegners durch tödliche Verletzung gewesen sein.
19
Soweit die Beschwerdeführerin meint, Ho. hätte mit der vor der Brust gehaltenen Metallstange dem Angeklagten allenfalls geringfügige Verletzungen beibringen können, weshalb sein Messerstich keine erforderliche Verteidigungshandlung gewesen sei, zeigt sie keinen Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat nicht ausschließen können, dass mit der drei Meter langen Metallstange aus der Sicht des Angeklagten ein gefährlicher Angriff auf ihn geführt werden konnte.
20
b) Die Rechtfertigung des Totschlags durch Notwehr führt dazu, dass auch eine Beteiligung des Angeklagten an einer Schlägerei mangels Vorwerfbarkeit dieser einzigen Beteiligungshandlung gemäß § 231 Abs. 2 StGB nicht in Betracht kommt. Die Rechtfertigungswirkung der Notwehr erstreckt sich in der vorliegenden Konstellation auf eine Beteiligung an einer Schlägerei (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 1993 - 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305, 308), denn weiter gehende Beteiligungshandlungen liegen nicht vor.
Appl Krehl Eschelbach Grube Schmidt

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Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 231 Beteiligung an einer Schlägerei


(1) Wer sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt, wird schon wegen dieser Beteiligung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines

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(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 7 2 2 / 1 3
vom
8. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Mai 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Rothfuß,
Prof. Dr. Jäger
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
- in der Verhandlung -,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
- bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Vertreter für
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 7. August 2013 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt ohne Pass in Tateinheit mit Urkundenfälschung“ sowie wegen „vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Von dem weiteren Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführen eines Springmessers gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die wirksam auf den Freispruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet.
2
Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

3
1. Dem Angeklagten ist mit der Anklage vorgeworfen worden, sich am 23. Juli 2011 gegen 14.00 Uhr gemeinsam mit dem gesondert Verfolgten D. in eine Münchener Parkanlage begeben zu haben, um sich dort in den Besitz von Kokain- und Heroingemisch zu bringen. Die Betäubungsmittel seien zuvor von beiden gemeinschaftlich erworben und von den Vorbesitzern in der Parkanlage vergraben worden. Der Angeklagte habe um das Versteck gewusst und ein funktionsfähiges Springmesser mit einer Klingenlänge von sieben Zentimetern mit sich geführt. Es habe sich um 51,8 Gramm Heroingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von 1,7 Gramm Heroinhydrochlorid und 303,2 Gramm Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von 9 Gramm Kokainhydrochlorid gehandelt.
4
2. Das Landgericht hat zur Begründung des Freispruchs ausgeführt, dass es den Angeklagten der Tat nicht mit der erforderlichen Sicherheit für überführt erachte. Hierzu stellt es die erhobenen Zeugenaussagen dar. So habe der gesondert Verfolgte D. bekundet, der Angeklagte habe mit dem vergrabenen Päckchen nichts zu tun. Der Angeklagte habe gesagt, er müsse urinieren und sei ihm - dem Zeugen - bei der Suche nach den vergrabenen Betäubungsmitteln gefolgt. Sofern er, der Zeuge, früher etwas anderes gesagt habe, nämlich dass das gesamte Kokain dem Angeklagten gehört habe, sei dies gelogen gewesen. Sodann werden noch die Angaben von zwei Polizeibeamten mitgeteilt, die den Angeklagten und D. in der Parkanlage beobachtet haben. Danach habe einer gegraben, während der andere daneben gestanden und geschaut habe, zuvor hätten beide mit den Füßen am Boden gescharrt. Uriniert habe keiner von beiden. Diese Angaben begründeten zwar „gewisse Zweifel“ an der Version des D. , dennoch sei der Nachweis der Tat nicht zu führen.

II.


5
Das Urteil hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
6
Es unterliegt der Aufhebung, weil es an einem durchgreifenden Darstellungsmangel leidet. Wird der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen , so müssen nach Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen festgestellt werden, die das Tatgericht für erwiesen erachtet. Erst auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht getroffen werden konnten (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2003 – 1 StR 544/02, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 13 mwN; Urteil vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, NStZ 2009, 512, 513; Urteil vom 3. März 2010 – 2 StR 427/09, NStZRR 2010, 182). Nur hierdurch wird das Revisionsgericht in die Lage versetzt, nachprüfen zu können, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (BGH, Urteil vom 5. Februar 2013 – 1 StR 405/12, NJW 2013, 1106; vom 27. Oktober 2011 – 5 StR 236/11; vom 17. Mai 1990 - 4 StR 208/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 4; vom 26. September 1989 – 1 StR 299/89, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2). Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.
7
Denn das Landgericht stellt nicht dar, von welchem Geschehensablauf es sich aufgrund einer würdigenden Gesamtschau des dargestellten Beweisertrags überzeugt hat. Dass die Beweisaufnahme hierzu Erkenntnisse erbracht hat, belegen die sich auf eine Darstellung der Zeugenaussagen beschränkenden Urteilsausführungen.
8
Indem es das Landgericht unterlässt, diese Erkenntnisse dahingehend zu würdigen, was sich in der Parkanlage zugetragen hat und wie sich der Angeklagte dort verhalten hat, ist dem Revisionsgericht keine Nachprüfung möglich , ob es in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zum Freispruch gelangt ist. Denn das genaue, über die Angaben im mitgeteilten Anklagesatz hinausgehend präzisierte Verhalten des Angeklagten vor Ort wäre ein gewichtiges Beweisanzeichen für die Frage einer Tatbeteiligung.
9
Dass eine würdigende Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Angaben des D. erforderlich gewesen wäre, wird durch das unaufgelöste Spannungsverhältnis zwischen dessen Angaben und den für glaubhaft erachteten Angaben der Polizeibeamten belegt. Auf dieser Grundlage hat das Landge- richt selbst erkannt, dass „Zweifel“ an den entlastenden Angaben „begründet“ sind. Dies lässt sich zum einen schon schwerlich mit der an anderer Stelle des Urteils gemachten Wertung, die Angaben des D. seien glaubhaft, vereinbaren ; zum anderen hätte es aber Anlass sein müssen, sich eine Überzeugung vom genauen Geschehensablauf im Park zu verschaffen, anstatt die Zeugenaussagen unaufgelöst nebeneinander stehen zu lassen. Bei dieser Würdigung wäre auch der Wechsel des Einlassungsverhaltens des D. zu bewerten gewesen , der nach den Feststellungen ursprünglich den wegen Kokainhandels verurteilten Angeklagten als Verantwortlichen für das Kokain benannt hat. Raum Wahl Rothfuß Jäger Cirener

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 3 9 4 / 1 4
vom
5. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
5. November 2014, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Radtke,
Prof. Dr. Mosbacher,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich - in der Verhandlung -,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 20. März 2014 werden verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten dadurch und durch die Revision der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte.
3. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung in dem vorbezeichneten Urteil über die Entschädigung des Angeklagten für die erlittene Untersuchungshaft wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Staatskasse zu tragen.
4. Die sofortige Beschwerde der Nebenklägerin gegen die sie betreffende Auslagenentscheidung des vorbezeichneten Urteils wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit Vergewaltigung zu Lasten der Nebenklägerin aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich sowohl die Staatsanwaltschaft mit ihrer – vomGeneralbundesanwalt nicht vertretenen – Revision als auch die Nebenklägerin mit ihrem Rechtsmittel. Die Staatsanwaltschaft hat zudem sofortige Beschwerde gegen die im Urteil getroffene Entscheidung eingelegt, den Angeklagten für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen. Die Nebenklägerin wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die sie betreffende Auslagenentscheidung des Urteils, dass sie die ihr entstandenen Auslagen selbst zu tragen hat.
2
Die Rechtsmittel bleiben jeweils ohne Erfolg.

A.

3
Dem Angeklagten war mit der zugelassenen Anklage vorgeworfen worden , am Tattag die erheblich alkoholisierte und ermüdete Nebenklägerin in das von ihm bewohnte Zimmer in S. verbracht zu haben. Nachdem er erkannt hatte, dass die Nebenklägerin wegen ihres körperlichen Zustands nicht mehr in der Lage war, einen eigenen Willen zu bilden bzw. einen solchen zu artikulieren, nutzte der Angeklagte diesen Zustand bewusst aus. Er entkleidete die Nebenklägerin, legte sie auf den Rücken und führte seinen erigierten Penis in deren Vagina ein und übte für einen nicht näher bestimmbaren Zeitraum den Geschlechtsverkehr mit der von ihm als widerstandsunfähig erkannten Nebenklägerin durch. Als diese während dieses Vorgangs erwachte, den Angeklagten anschrie und ihn erfolglos von sich weg zu schieben versuchte, fixierte er die Nebenklägerin weiterhin mit seinem Körpergewicht und führte mit den Worten „Noch kurz, noch kurz, noch ein bisschen!“ weiterhin den Geschlechtsverkehr aus.
4
Der Angeklagte hat einen einvernehmlichen und von der Nebenklägerin initiativ ausgehenden, ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss eingeräumt.
5
Das Landgericht hat festgestellt, dass es am Tattag zwischen 13.04 Uhr und 15.20 Uhr in dem Zimmer des Angeklagten zum Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin gekommen ist. Zur Begründung des Freispruchs hat es darauf abgestellt, es habe sich weder eine gewaltsame Durchführung dieses Geschlechtsverkehrs noch eine Widerstandsunfähigkeit der Nebenklägerin in dem vorgenannten Zeitraum zweifelsfrei feststellen lassen. Für das eigentliche Tatgeschehen stünden lediglich die Angaben der Nebenklägerin zur Verfügung. Von der Zuverlässigkeit ihrer Aussagen hat sich das Landgericht ungeachtet von Widersprüchlichkeiten auch in den Einlassungen des Angeklagten nicht überzeugen können. Es verblieben daher erhebliche Zweifel darüber, unter welchen Umständen der Geschlechtsverkehr zwischen beiden ausgeübt worden sei.

B.

6
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin bleiben ohne Erfolg. Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand. Die von der Nebenklägerin erhobene Verfahrensbeanstandung der Verletzung der Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) dringt ebenfalls nicht durch.

I. Revision der Staatsanwaltschaft
7
1. Entgegen der Bewertung der Staatsanwaltschaft genügt das angefochtene Urteil den aus § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO resultierenden Darstellungsanforderungen.
8
a) Wird der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, so müssen nach der Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen festgestellt werden, die das Tatgericht für erwiesen erachtet. Erst auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht getroffen werden konnten (BGH, Urteile vom 21. Oktober 2003 – 1 StR 544/02, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 13 mwN; vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, NStZ 2009, 512, 513; vom 3. März 2010 – 2 StR 427/09, NStZ-RR 2010, 182; vom 18. Dezember 2012 – 1 StR 415/12 Rn. 25 [insoweit in BGHSt 58, 72 nicht abgedruckt ]; vom 8. Mai 2014 – 1 StR 722/13, NStZ-RR 2014, 220). Nur hierdurch wird das Revisionsgericht in die Lage versetzt, nachprüfen zu können, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (BGH, Urteile vom 8. Mai 2014 – 1 StR 722/13, NStZ-RR 2014, 220; vom 5. Februar 2013 – 1 StR 405/12, NJW 2013, 1106; vom 18. Dezember 2012 – 1 StR 415/12 Rn. 25 [insoweit in BGHSt 58, 72 nicht abgedruckt]; vom 27. Oktober 2011 – 5 StR 236/11; vom 17. Mai 1990 – 4 StR 208/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 4; vom 26. September 1989 – 1 StR 299/89, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2).
9
b) Dem entspricht das Urteil. Das Landgericht hat der Wiedergabe des Inhalts der Anklageschrift diejenigen Feststellungen folgen lassen, die es vor allem zu dem Vorgeschehen der Abläufe in dem Zimmer des Angeklagten so- wie zu dem Geschehen ab etwa 15.20 Uhr, nachdem die Nebenklägerin die Wohnung des Angeklagten verlassen hatte, hat treffen können. Diese Feststellungen umfassen insbesondere die zeitliche Phase, in der die Nebenklägerin kurz nach 12.00 Uhr des Tattags das letzte von ihr besuchte Lokal verlassen und sich in ein Taxi gesetzt hatte, um die Heimfahrt anzutreten. Weiterhin hat es den Zustand, in dem sich die Nebenklägerin bei dem Besteigen des Taxis sowie während der Fahrt befand, näher dargelegt. Ebenso ist ausgeführt, dass sich der Angeklagte zu der Nebenklägerin in das Taxi setzte und wie er sich in dem Fahrzeug bis zum Verlassen an seiner Wohnanschrift in S. verhielt. Das angefochtene Urteil grenzt darüber hinaus zeitlich den Aufenthalt der Nebenklägerin in dem Zimmer des Angeklagten aufgrund der zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen anhand der Zeitpunkte von Kurznachrichten und Telefonaten ein, die sie mit ihrem Mobiltelefon versendet bzw. geführt hat. Auch ihr körperlicher Zustand bei der ärztlichen Untersuchung am frühen Abend des Tattages sowie die Erkenntnisse über die der Nebenklägerin bei dieser Gelegenheit entnommenen Blut- und Urinproben werden dargestellt. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 30. Juli 2014 zutreffend aufzeigt, ergibt sich aus der Beweiswürdigung des Landgerichts, warum es keine weiteren, für die Beurteilung der Schuldfrage bedeutsamen Feststellungen hat treffen können.
10
Soweit die Revision eine Darstellung zu den näheren Umständen des Kennenlernens der Nebenklägerin und des Angeklagten vermisst, ergibt sich bereits aus den von ihr selbst wiedergegebenen Passagen des Urteils, dass die Aussage der Nebenklägerin und die Einlassung bzw. die Einlassungen des Angeklagten lediglich in Teilen Übereinstimmendes über das Zusammentreffen beider vor der Taxifahrt nach S. enthalten. Schon deshalb war es rechtlich nicht durch § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO geboten, Einzelheiten des Zusam- mentreffens beider in verschiedenen Münchener Lokalitäten als vom Tatgericht festgestellt in das Urteil aufzunehmen.
11
Das Urteil ist auch nicht in sich widersprüchlich. Die von der Staatsanwaltschaft beanstandete Passage, das Landgericht habe ausgedrückt, sichere Feststellungen zur Vorgeschichte und zu dem dem Geschlechtsverkehr nachfolgenden Geschehen treffen zu können (UA S. 8), bezieht sich ersichtlich auf diejenigen Feststellungen UA S. 5 – 7. Dass nicht weitere Einzelheiten des der Taxifahrt vorausgehenden Geschehensablaufs haben festgestellt werden können , steht dazu weder sprachlich noch sachlich in Widerspruch.
12
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts enthält keine revisiblen Rechtsfehler.
13
a) Das Revisionsgericht hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt zudem, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 27. April 2010 – 1 StR 454/09, NStZ 2011, 108, 109; vom 1. Februar 2011 – 1 StR 408/10 Rn. 15, vom 7. Juni 2011 – 5 StR 26/11 Rn. 9 und vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12 Rn. 10; vom 18. Dezember 2012 – 1 StR 415/12 Rn. 28 [insoweit in BGH 58, 72 nicht abgedruckt).
14
b) Nach diesen Maßstäben enthält die durch die Strafkammer vorgenommene Beweiswürdigung weder in Bezug auf den Tatvorwurf des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen noch den der Vergewaltigung Rechtsfehler.
15
aa) Wie bereits der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt hat, legt das Landgericht beweiswürdigend ausführlich dar, warum es sich keine Überzeugung von der Widerstandsunfähigkeit der Nebenklägerin während des feststehenden Zeitraums ihres Aufenthalts in dem Zimmer des Angeklagten hat bilden können. Das Landgericht hat dabei seiner Beweiswürdigung im Hinblick auf die Feststellung der Widerstandsunfähigkeit den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt zugrunde gelegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann Opfer einer Tat nach § 179 StGB nur sein, wer aufgrund einzelner, im Tatbestand des Absatzes 1 näher beschriebener Gegebenheiten unfähig ist, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen (BGH, Urteil vom 15. März 1989 – 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 147; Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325; vom 18. August 2011 – 4StR 338/11, NStZ 2012, 150 f.). Die Feststellung der Widerstandsunfähigkeit ist eine normative Entscheidung (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 2 StR 385/08, NStZ-RR 2009, 14, 15); sie erfordert die Überzeugung des Tatrichters, dass das Opfer zum Widerstand gänzlich unfähig war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325; vom 10. August 2011 – 4 StR 338/11, NStZ 2012, 150 f.).
16
Von diesen Anforderungen aus hat das Landgericht gewürdigt, ob sich die Voraussetzungen der Widerstandsunfähigkeit entweder aufgrund des durch die Nebenklägerin genossenen Alkohols in Verbindung mit dem langen Zeitraum des Besuchs unterschiedlicher Lokalitäten oder aufgrund der Verabreichung sog. K.O.-Tropfen feststellen lassen. Dabei hat es in einer rechtlich nicht zu beanstandenden Weise eine Gesamtwürdigung aller dazu erhobenen Beweise vorgenommen (vor allem UA S. 24 – 31). Das Urteil setzt sich insbesondere umfassend mit den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen T. sowohl zu alkoholbedingter als auch zu durch K.O.Tropfen verursachter gänzlicher Widerstandsunfähigkeit auseinander. Das Urteil gibt die wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen des Sachverständigen in einer Weise wieder, die das Verständnis des Gutachtens und die Beurteilung seiner Schlüssigkeit ermöglicht (vgl. zu diesen Anforderungen BGH, Urteile vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 31 und vom 15. Januar 2003 – 5 StR 223/02, NStZ 2003, 307; Beschlüsse vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39; vom 24. Mai 2012 – 5 StR 52/12, NStZ 2012, 650 f.).
17
Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht sich nicht hat davon überzeugen können, dass der Nebenklägerin in dem Lokal „ P. “ K.O.-Tropfen verabreicht worden sind, die zu einer Wider- standsunfähigkeit im Zeitraum des Aufenthalts in dem Zimmer des Angeklagten geführt haben. Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung hat es berücksichtigt , dass die von der Nebenklägerin beschriebenen Symptome sich als typische Begleiterscheinungen der Einwirkung von Gammahydroxybuttersäure erweisen können. Das Landgericht hat aber ohne Rechtsfehler – gestützt auf Ausführungen des Sachverständigen – erhebliche Zweifel daran gehabt, ob in der allein in Frage kommenden Situation der Verabreichung der K.O.-Tropfen eine ausreichende Flüssigkeitsmenge mit dem vorhandenen Getränk und dem von der Nebenklägerin lediglich beschriebenen „Nippen“ daran stattgefunden haben kann.
18
Im Hinblick auf die erforderliche gänzliche Widerstandsunfähigkeit ist es sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht im Rahmen einer Gesamtschau der erhobenen Beweise eine alkoholbedingte Widerstandsunfähigkeit angesichts der belegten Restleistungsfähigkeit der Nebenklägerin in Gestalt des Versendens einer SMS an den Zeugen A. keine Überzeugung von der Widerstandsunfähigkeit gewinnen konnte. Im Übrigen erweist sich die vom Landgericht vorgenommene Gesamtwürdigung weder als lückenhaft noch als widersprüchlich. Die Angriffe der Staatsanwaltschaft erschöpfen sich insoweit darin, die eigene (mögliche) Beweiswürdigung an die Stelle der Beweiswürdigung durch das Tatgericht zu setzen.
19
bb) Gleiches gilt auch für die den Vorwurf der Vergewaltigung betreffende Beweiswürdigung.
II. Revision der Nebenklägerin
20
Das Rechtsmittel der Nebenklägerin bleibt ebenfalls erfolglos.
21
1. Die erhobene Rüge der Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO, mit der die unterbliebene weitere Aufklärung eines 2004 gegen den Angeklagten geführten Ermittlungsverfahrens u.a. durch Vernehmung der (damaligen) Zeugin G. beanstandet wird, dringt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch.
22
2. In sachlich-rechtlicher Hinsicht hält das angefochtene Urteil aus den bereits zu der Revision der Staatsanwaltschaft ausgeführten Gründen rechtli- cher Prüfung stand. Insbesondere ist – wie dargelegt – nicht zu beanstanden, dass das Landgericht sich nicht die Überzeugung von einer Widerstandsunfähigkeit im Sinne von § 179 Abs. 1 StGB hat verschaffen können. Das Landgericht hat seine Überzeugungsbildung zutreffend darauf bezogen, ob sich feststellen lässt, dass die Nebenklägerin zum Widerstand gänzlich unfähig war (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325; vom 10. August 2011 – 4 StR 338/11, NStZ 2012, 150 f.). Soweit die Revision einen davon abweichenden rechtlichen Ausgangspunkt einnimmt und eine eingeschränkte Widerstandsunfähigkeit ausreichen lassen will, kann sie damit angesichts der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den Anforderungen der Widerstandsunfähigkeit keinen Erfolg erzielen.
23
Das Landgericht hat von diesem rechtlichen Maßstab aus ohne Rechtsfehler in der Beweiswürdigung unter Berücksichtigung der dafür relevanten Umstände auch keine durch Alkoholeinwirkung in Kombination mit Übermüdung hervorgerufene gänzliche Widerstandsunfähigkeit festgestellt. Entgegen dem Vorbringen der Revision hat es dabei auch psychodiagnostische Kriterien mit einbezogen, indem es etwa eine Restleistungsfähigkeit der Nebenklägerin angesichts der während des Aufenthalts in dem Zimmer des Angeklagten versendeten SMS angenommen hat.

C.

24
Die jeweils zulässigen sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung des Landgerichts, den Angeklagten für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen, sowie diejenige der Nebenklägerin gegen die sie betreffende Auslagenentscheidung im angefochtenen Urteil bleiben in der Sache erfolglos.

I.

25
Die Entschädigung des freigesprochenen Angeklagten entspricht der Sach- und Rechtslage (§ 2 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StrEG). Gründe für einen Ausschluss (§ 5 StrEG) oder eine Versagung der Entschädigung (§ 6 StrEG) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

II.

26
Die die Nebenklägerin betreffende Auslagenentscheidung des Landgerichts entspricht ebenfalls der Rechtslage. Im Umkehrschluss aus § 472 Abs. 1 Satz 2 StPO ergibt sich, dass ein Anspruch des Nebenklägers auf Auslagenerstattung bei Freispruch des Angeklagten auch gegen den Staat nicht besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12 Rn. 2; siehe auch Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 472 Rn. 4; siehe auch MeyerGoßner /Schmitt, 57. Aufl., § 472 Rn. 3).
27
Dem steht nicht entgegen, dass angesichts der Beiordnung von Rechtsanwältin Ar. als Nebenklägervertreterin gemäß § 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO durch Beschluss des Landgerichts vom 5. März 2014 (Bl. 721/722 der Sachakten) dem beigeordneten Rechtsanwalt ein Gebührenanspruch aus § 53 Abs. 2 RVG gegen die Staatskasse zusteht und die Nebenklägerin von dem Beistand nicht auf die Gebührenforderung in Anspruch genommen werden kann (vgl. Schöch in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, § 397a Rn. 14). Aus der Auslagenentscheidung des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil folgt lediglich, dass die Nebenklägerin ihrerseits – wie angesprochen – keinen Anspruch auf (sonstige) Auslagenerstattung gegen die Staatskasse geltend machen kann.

D.

28
Die Kostenentscheidungen zu den Revisions- und Beschwerdeverfahren folgen aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Rothfuß Graf Jäger Radtke Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 486/16
vom
21. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:210317U1STR486.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. März 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof Bellay, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Dr. Bär,
Staatsanwalt – in der Verhandlung –, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung – als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter des Nebenklägers,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Ellwangen (Jagst) vom 28. Juni 2016 wird verworfen.
Der Revisionsführer hat die durch sein Rechtsmittel verursachten Kosten und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Wegen eines weiteren Vorwurfs der vorsätzlichen Körperverletzung hat es den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Es hat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Soweit dem Angeklagten die Begehung einer gefährlichen Körperverletzung zu Lasten des Nebenklägers vorgeworfen worden ist, hat das Landgericht ihn wegen einer nicht ausschließbaren Notwehrlage freigesprochen. Gegen diesen Teilfreispruch wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf eine Verfahrens - und die Sachrüge gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen und Wertungen des Landgerichts versetzte der Angeklagte am 27. November 2015 seinem Bekannten, den er lästig fand, einen Kopfstoß, wodurch dieser Verletzungen erlitt. Am 5. Januar 2016 bedrohte er einen Polizeibeamten auf dem Amtsgerichtsflur mit der Erschießung. Bei beiden Taten war er aufgrund einer organischen Persönlichkeitsstörung infolge einer frühkindlichen Hirnschädigung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert. Am 4. Januar 2016 machte er seiner Mutter unzutreffende Vorwürfe , zog sie an den Haaren und drückte sie so gegen eine Tür, dass diese stürzte und mit dem Hinterkopf auf dem Boden aufschlug, wodurch eine Platzwunde entstand. Er kniete sich neben seine am Boden liegende Mutter und drückte mit beiden Händen mindestens 30 Sekunden ihren Hals zu, so dass diese keine Luft mehr bekam. Bei dieser Tat war aufgrund einer wahnhaften Verkennung der Situation nicht auszuschließen, dass seine Unrechtseinsicht aufgehoben war. Diese Taten hat der Angeklagte eingeräumt.
3
Aus Anlass dieser Taten hat das Landgericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.
4
2. a) Darüber hinaus war dem Angeklagten vorgeworfen worden, am Abend des 28. November 2015 mit einem geöffneten Klappmesser auf den Nebenkläger losgegangen zu sein. Der Nebenkläger habe zur Abwehr den linken Arm vor den Körper gehoben, sei deshalb an der linken Hand getroffen worden und habe dort eine Durchtrennung von Muskelfasern und Sehnen erlitten. Erst als der Angeklagte nicht von dem Nebenkläger abgelassen habe, habe dieser letztlich eine Bierflasche genommen und nach dem Angeklagten geworfen , um dessen Angriff zu beenden, wodurch er den Angeklagten an der linken Schläfe verletzt habe.
5
b) In einem vom Landgericht mit Feststellungen zum Sachverhalt bezeichneten Abschnitt ist Folgendes ausgeführt:
6
Am Abend des 28. November 2015 traf der Nebenkläger vor seinem Hauseingang auf den alkoholisierten Angeklagten. Aus unklarem Anlass gerieten beide in Streit, in dessen Verlauf der Angeklagte den Nebenkläger als „Wichser“ bezeichnete. Im Rahmen der plötzlich auch körperlich geführten Auseinandersetzung wurde der Angeklagte an der Schläfe verletzt und erlitt eine blutende Wunde. Diese resultierte daraus, dass der Nebenkläger mit einer mitgeführten Bierflasche zuschlug oder mit ihr nach dem Angeklagten warf. Der Angeklagte zog sein Klappmesser hervor, öffnete dies und führte es in Richtung des Nebenklägers. Dieser hob zur Abwehr den linken Arm vor den Körper, so dass er von dem Messer an der linken Hand getroffen wurde, wodurch Muskelfasern und Sehnen durchtrennt wurden.
7
„Offen blieb“, ob der Angeklagte zuerst mit dem Messer den Nebenklä- ger verletzte, dieser dann mit der Bierflasche den Angeklagten verletzte oder ob umgekehrt zunächst der Angeklagte mit einem Wurf oder Schlag mit der Bierflasche durch den Nebenkläger verletzt wurde und sodann der Angeklagte das Messer gegen den Nebenkläger führte. „Möglicherweise“ war es der Ne- benkläger, welcher mit der Bierflasche in der Hand gegen die Schläfe des Angeklagten schlug und diesen erheblich verletzte, wogegen sich der Angeklagte unmittelbar wehrte – weil der Nebenkläger noch den Flaschenhals in Händen hielt und ihn weiter attackieren wollte –, indem er das Messer hervorzog, um sich gegen diesen fortdauernden Angriff zu verteidigen.
8
c) Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht ausgeführt, aufgrund der Beweislage nicht ausschließen zu können, dass der Nebenkläger den Angeklagten zuerst angegriffen habe, wogegen sich der Angeklagte im Rahmen eines dynamischen Geschehens unmittelbar mit dem Messer zur Wehr gesetzt habe, um den Angriff und ein Nachsetzen des Nebenklägers mit dem noch in der Hand gehaltenen Flaschenhals zu verhindern. Die dahingehende Einlassung des Angeklagten wertete es als schlüssig, widerspruchsfrei und zu den übrigen Beweisergebnissen – mit Ausnahme der Angaben des Nebenklägers – passend. Der Angeklagte hatte angegeben, den ihm bekannten Nebenkläger im Rahmen einer Unterhaltung gefragt zu haben, wo er etwas zum Rauchen herbekomme, woraufhin dieser ihn als Schmarotzer beschimpft habe. Es habe sich dann ein Streit entwickelt. Der Nebenkläger sei „ausgetickt“ und habe ihm eine Ohrfeige gegeben, weswegen er ihn als „Wichser“ be- schimpft habe. Daraufhin habe der Nebenkläger ihm die Flasche auf die Schläfe gehauen, diese sei dabei zu Bruch gegangen. Er habe nicht genau gesehen, ob der Nebenkläger noch etwas in der Hand halte, habe dies aber „für möglich gehalten“. Aus „Angst“, dass der Nebenkläger ihm nun „den Flaschenhals reinramme“ , habe er sein Messer herausgeholt und eine Stechbewegung gemacht.
9
Die Angaben des Nebenklägers erachtete das Landgericht hingegen für nicht glaubhaft. Dieser schilderte, dass der Angeklagte ihn zuerst übel beschimpft habe. Daraufhin habe er den Angeklagten aus dem Hausflur schieben wollen, als dieser das Messer herausgeholt habe. Der Angeklagte habe eine drohende Haltung mit dem schnell geöffneten Springmesser eingenommen und die Klinge in seine – des Nebenklägers – Richtung gehalten. Er habe betont, seine Ruhe haben zu wollen. Der Angeklagte sei auf ihn zugegangen und habe mit dem Messer in Richtung seines Oberkörpers gestochen. Durch das Heben seines Arms habe er den Stich abgewehrt. Der Angeklagte habe einen Schritt auf ihn zu gemacht, und er habe nun aus Angst die Bierflasche in Richtung des Angeklagten geworfen. Dieser habe zu dem Zeitpunkt zwei oder drei Meter entfernt gestanden und sei am Rücken getroffen worden.

II.

10
Soweit der Nebenkläger die Verletzung der Aufklärungspflicht bean- standet, da es „möglich gewesen“ wäre, durch ein medizinisches Sachverstän- digengutachten festzustellen, „ob die vom Angeklagten behauptete Verletzung überhaupt von einem Schlag mit einer Bierflasche auf die Schläfe, also einem Weichteil, herrühren und dabei diese Flasche zu Bruch gehen kann“, genügt die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Denn es wird nicht mit der erforderlichen inhaltlichen Bestimmtheit behauptet, welches Ergebnis die unterbliebene Beweiserhebung erbracht hätte (vgl. BGH, Urteile vom 23. August 1988 – 5 StR 157/88, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 1 und vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 223/15, NStZ 2016, 721, 723).

III.

11
Die auf die Sachrüge veranlasste revisionsrechtliche Prüfung des Freispruchs von der vorgeworfenen gefährlichen Körperverletzung zu Lasten des Nebenklägers zeigt keinen Rechtsfehler auf.
12
1. Die angefochtene Entscheidung genügt noch den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil.
13
Das Tatgericht ist gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO aus sachlichrechtlichen Gründen verpflichtet, all das festzustellen und darzulegen, was für die Beurteilung des Tatvorwurfs relevant und zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler notwendig ist. Dazu gehört bei einem Freispruch aus Notwehr auch, dass deren Voraussetzungen in revisionsrechtlich nachprüfbarer Weise dargelegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, BGHSt 52, 314 und vom 13. November 2008 – 5 StR 384/08, NStZ-RR 2009, 70). Die Begründung muss im Hinblick auf den der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegten Sachverhalt so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatgericht bei der Ermittlung dieses Sachverhalts Rechtsfehler unterlaufen sind, das heißt, ob die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, ob sie gegen Denkgesetze verstößt oder ob das Tatgericht an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 10. August 1994 – 3 StR 705/93, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10 mwN; vom 11. Februar 2014 – 1 StR 485/13, BGHSt 59, 177 und vom 27. November 2014 – 3 StR 334/14).
14
Diesen Anforderungen genügt das Urteil noch. Zwar lässt sich dem Abschnitt zu den Feststellungen für sich genommen der Geschehensablauf wie er der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt worden ist, nicht in der erforderlichen Bestimmtheit entnehmen. Da aber die schriftlichen Urteilsgründe eine Einheit bilden, deren tatsächliche Angaben auch dann berücksichtigt werden müssen, wenn sie sich in verschiedenen und dabei auch in solchen Zusammenhängen befinden, in denen sie nach dem üblichen Urteilsaufbau nicht erwartet werden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 1987 – 1 StR 110/87, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1, Feststellungen 1 – Zusammenhang der Urteilsgründe; Beschluss vom 5. Dezember 2008 – 2 StR 424/08), kann für die vollständige tatsächliche Grundlage der Entscheidung auch auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Würdigung zurückgegriffen werden. Dort hat das Landgericht klar und widerspruchsfrei ausgeführt, die Einlassung des Angeklagten nicht widerlegen zu können, der Nebenkläger habe ihn zunächst mit der Bierflasche gegen den Kopf geschlagen und er habe dann das Messer gegen weitere befürchtete Angriffe durch den zu einer weiteren Attacke bereiten Nebenkläger mittels des Flaschenhalses eingesetzt. Danach ergibt sich eindeutig, dass das Landgericht von dem Sachverhalt ausgegangen ist, wie er in dem feststellenden Teil mit „möglicherweise“ eingeleitet wird. Weiter ergeben die Urteilsgründe mit der erforderlichen Klarheit und Widerspruchsfreiheit , dass das Landgericht der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt hat, dass der erste Angriff durch den Nebenkläger erfolgte und dass die Abwehrhandlung sich im Rahmen eines in hohem Maße dynamischen und in Sekundenbruchteilen ablaufenden Geschehens ohne Zäsur ereignete.
15
Dies erlaubt dem Revisionsgericht in ausreichender Weise, einen bestimmten , widerspruchsfreien Sachverhalt seiner rechtlichen Überprüfung zu Grunde zu legen. Die Begründung für die Ermittlung dieses Sachverhalts lässt sich den Urteilsgründen auch eindeutig entnehmen. Damit ist eine revisionsrechtliche Nachprüfung des Schuldspruchs möglich und dementsprechend den Darlegungsanforderungen genügt.
16
2. Die Beweiswürdigung zeigt keinen Rechtsfehler auf.
17
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich insoweit darauf, ob dem Tatgericht bei der ihm obliegenden Feststellung und Würdigung des Ergebnisses der Hauptverhandlung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Urteilsgründe widersprüchlich, unklar oder lückenhaft sind oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoßen oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 11. November 2015 – 1 StR 235/15, NStZ-RR 2016, 47 mwN und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16).
18
b) Derartige Mängel zeigt das Urteil nicht auf.
19
aa) Das Landgericht hat dem Nebenkläger wegen seines Aussageverhaltens nicht geglaubt. Diese Würdigung hat eine tragfähige Grundlage, wie sich aus der Darlegung der Entwicklung des Aussageverhaltens des Nebenklägers ergibt. Danach hat dieser gegenüber dem noch am Tatort ermittelnden Polizeibeamten weder Angaben zum genauen Tatgeschehen noch zur Vorgeschichte gemacht. Eine von diesem eingesetzte Bierflasche fand dabei keine Erwähnung. Das gilt auch für die erste schriftliche, über den Rechtsanwalt erfolgte Einlassung. Es ist nachvollziehbar, dass das Landgericht vor diesem Hintergrund seine späteren Angaben, in denen er die Bierflasche als Abwehrmittel gegen den Angriff des Angeklagten dargestellt hat, als dem objektiven Beweisertrag – Verletzung des Angeklagten und Scherbenfeld am Tatort – angepasst gewertet hat. Es hat zudem berücksichtigt, dass die derart angepassten Angaben sich letztlich nicht mit der konkreten Art der Verletzung des Angeklagten und den Angaben des unbeteiligten Zeugen H. in Übereinstimmung bringen ließen, wonach die beiden Kontrahenten nahe beieinander gestanden hätten, als die Flasche geborsten sei. Dass es danach den Sachverhalt nicht wie vom Nebenkläger geschildert festgestellt hat, ist nach den dargelegten Grundsätzen nicht zu beanstanden.
20
bb) Anders als vom Generalbundesanwalt vertreten, ist nicht zu besorgen , dass das Landgericht verkannt haben könnte, dass Einlassungen, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegbar hinzunehmen und den Feststellungen zugrunde zu legen sind (vgl. nur BGH, Urteile vom 23. August 1977 – 1 StR 159/77, JZ 1978, 762 und vom 7. September 2016 – 2 StR 101/16). Das Tatgericht hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber entschieden und ist zu dem begründeten Ergebnis gelangt, dass die Angaben des Angeklagten geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die den Angeklagten über seine Einlassung hinaus allein belastenden Angaben des Nebenklägers als unglaubhaft angesehen worden sind. Zum anderen folgt dies aus der Bewertung der Einlassung als schlüssig, widerspruchsfrei und durch das übrige Beweisergebnis – wie die von Dritten wahrgenommene blutende Verletzung an der Schläfe – bestätigt. In die diesbezügliche Überzeugungsbildung sind auch von dem konkreten Tatgeschehen losgelöste Indizien einbezogen worden, wie die Neigung des Angeklagten zu Aggressionsdelikten.
21
cc) Dass der Schluss des Landgerichts, wonach eine Attacke durch den Nebenkläger mit dem Flaschenhals unmittelbar bevorstand, sich von einer tragfähigen Tatsachengrundlage entferne und sich in einer bloßen Vermutung erschöpfe , wie es der Generalbundesanwalt vertritt, ist angesichts der dahin gehenden ausdrücklichen Einlassung des Angeklagten, die das Landgericht dieser Feststellung zugrunde gelegt hat, unter keinem Aspekt zu besorgen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einlassung des Angeklagten, anders als die ursprünglichen Angaben des Nebenklägers, im Einklang mit dem am Tatort festgestellten Scherbenbild steht. Allein seine Schilderung des Geschehens lässt sich auch mit den Angaben des unbeteiligten Zeugen H. in Übereinstimmung bringen, wonach beide Kontrahenten nah beieinander gestanden hätten, als die Flasche geborsten sei.
22
dd) Die Beweiswürdigung ist auch nicht lückenhaft. Das Landgericht hat vielmehr die wesentlichen für die Entscheidungsfindung bedeutsamen Gesichtspunkte erörtert und diese auch im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 6. Februar 2002 – 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188, 2189 und vom 2. Dezember 2015 – 1 StR 292/15, NStZ-RR 2016, 150) abgewogen.
23
Soweit die Revision eine Auseinandersetzung damit vermisst, dass der Polizeibeamte, der die Wunde des Angeklagten an der Schläfe gesehen hat, diese als eher von einem Schnitt als von einer Platzwunde herrührend beschrieben hat, zeigt dies keine Lücke auf. Dies gilt schon deswegen, weil nach dem vom Landgericht zugrunde gelegten Sachverhalt die Verletzung des Angeklagten von der zersplitternden, mithin Schnittverletzungen ermöglichenden Flasche verursacht worden ist. Der Fund von Scherben vor der Haustür lässt sich ohne weitere Erörterungen mit den Feststellungen des Landgerichts vereinbaren , wonach sich die Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger „kurzzeitig“ im Hausflur, sodann aber wieder vor der Haustür ereignet hat. Selbst der Nebenkläger schildert den Einsatz der Flasche durch ihn im Bereich vor der Haustür. Das Landgericht hat ausdrücklich auch die Neigung des Angeklagten zu Aggressionstaten in die Gesamtwürdigung eingestellt.
24
Zwar ist der Revision darin Recht zu geben, dass sich das Landgericht nicht mehr ausdrücklich damit auseinandergesetzt hat, dass der unbeteiligte Zeuge H. unmittelbar nach dem Geschehen bei dem Angeklagten keine Verletzung wahrgenommen hat. Es ist aber nicht zu besorgen, dass es dies aus dem Blick verloren haben könnte. Denn ausweislich der Urteilsgründe hat es diesen Umstand vom Zeugen erfragt und als Beweisertrag dargestellt. Angesichts der unklaren Sichtverhältnisse des Zeugen begründet es zudem keinen revisionsrechtlich beachtlichen Mangel der Beweiswürdigung, dass das Landgericht nicht eine Selbstverletzung durch den Angeklagten im Nachgang zum Tatgeschehen erörtert hat. Soweit auch der Nebenkläger keine Verletzung des Angeklagten gesehen haben will, ist dies demgegenüber unbeachtlich, da dessen Angaben als unglaubhaft bewertet worden sind.
25
ee) Anders als der Generalbundesanwalt besorgt der Senat nicht, das Landgericht habe überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt. Zwar ist insoweit zuzugeben, dass die Urteilsgründe unangebracht häufig auf die Nichtwiderlegbarkeit bzw. die Nichtausschließbarkeit abstellen. Hierdurch wollte das Landgericht allerdings nur auf die Anwendung des Zweifelsgrundsatzes hinweisen, offenbart dadurch aber keinen falschen Maßstab für die richterliche Überzeugungsbildung.
26
3. Die Würdigung als gerechtfertigte Verteidigung gegenüber einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff hat Bestand.
27
a) Ersichtlich ist das Landgericht unter Anwendung des Zweifelssatzes vom Vorliegen eines gegenwärtigen Angriffs im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB ausgegangen.
28
aa) Gegenwärtig in diesem Sinne kann auch ein Verhalten sein, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; Urteil vom 24. November 2016 – 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38 mwN). Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153; Beschluss vom 25. Januar 2017 – 1 StR 588/16). Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlichen oder unverändert fortdauernden) Rechtsgutverletzung (vgl. BGH, Urteile vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203; vom 9. August 2005 – 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153 und vom 24. November 2016 – 4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38; Beschluss vom 25. Januar 2017 – 1 StR 588/16; siehe auch Beschluss vom 28. Oktober 2015 – 5 StR 397/15, JuS 2016, 562).
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bb) Das Landgericht vermochte nicht zu klären, ob tatsächlich vondem Nebenkläger ein Angriff bevorstand. Es ist daher unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit ausgegangen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 26. August 2004 – 4 StR 236/04, NStZ 2005, 85), nämlich dass ein „Angriff und ein Nachsetzen“ des Nebenklägers „mit dem von ihm noch in der Hand gehaltenen Flaschenhals“ unmittelbar be- vorstand. Danach war der rechtlichen Wertung eine objektiv bestehende Notwehrlage zugrunde zu legen. Das unterscheidet den Sachverhalt von der Fallgestaltung , die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. August 1977 (1 StR 159/77) zugrunde lag und auf die sich der Generalbundesanwalt stützt, die sich aber auf die Voraussetzungen eines Erlaubnistatbestandsirrtums bzw. eines Erlaubnis-(Verbots)irrtums bezieht.
30
b) Eine Einschränkung des Notwehrrechts wegen eines sozialethisch zu missbilligenden vorwerfbaren Vorverhaltens des Angeklagten ergibt sich nicht. Hierbei war zu berücksichtigen, dass nach dem als festgestellt beschriebenen Sachverhalt der Angeklagte den Nebenkläger im Rahmen einer bereits andau- ernden wechselseitigen Auseinandersetzung „Wichser“ genannt hat. Nach der ausweislich der Urteilsgründe nicht widerlegten Einlassung des Angeklagten erfolgte diese Äußerung erst als Reaktion auf eine Ohrfeige des Nebenklägers. Außerdem würde eine solche Äußerung in der konkreten Situation auch nicht zu einer Einschränkung des Notwehrrechts gegenüber dem mittels eines abgebrochenen Flaschenhalses unmittelbar drohenden Angriff führen. Denn zumut- bare Möglichkeiten, dem Angriff auszuweichen oder sich zurückhaltender zu verteidigen, sind nach der Tatsachengrundlage, wonach es sich um ein in Sekundenbruchteilen ablaufendes Geschehen ohne Gelegenheit zum Nachdenken für den Angeklagten gehandelt hat, nicht erkennbar (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 1989 – 4 StR 2/89, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 4; Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139).
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c) Nach dem der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegtenSachverhalt handelte der Angeklagte, um sich gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff zu verteidigen. Dies wird durch seine Angabe, er habe „aus Angst, dass M. ihm den Flaschenhals reinramme“, sein Messer herausgeholt und eine Stechbewegung gemacht, ausreichend belegt. Da der Angeklagte infolgedessen mit Verteidigungswillen handelte, kommt es entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht darauf an, dass der Angeklagte einen weiteren An- griff nur „für möglich gehalten“ hat(vgl. nur BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 199/15, NStZ 2016, 333 mwN). Raum Bellay Cirener Radtke Bär

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 138/16
vom
22. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2016:220616B5STR138.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2016 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. November 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der Angeklagte und das spätere Tatopfer I. in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht. Beide stammten aus Eritrea und teilten sich mit weiteren Landsleuten eine Wohnung. Am Abend des 12. Januar 2015 erschien I. im Zimmer des Angeklagten und forderte ihn auf, mit ihm zu kommen. I. hatte zuvor mit einem Mitbewohner und dessen Freund das Abendessen zubereitet und sich beiden gegenüber mit der Äußerung verabschiedet, kurz noch Zigaretten einkaufen zu gehen.
3
Ohne genau zu wissen, was I. von ihm wollte, folgte ihm der Angeklagte aus der Wohnung in einen Hinterhof des Gebäudekomplexes. Dort trat I. unvermittelt an ihn heran und schlug ihm dreimal ins Gesicht, sodass der Angeklagte kurzzeitig zu Boden ging. Es entwickelte sich ein Handgemenge, bei dem es I. gelang, den Kopf des Angeklagten unter seinen Arm in einen „Schwitzkasten“ zu drücken. In dieser Position rangen beide weiter miteinander, wobei I. den Angeklagten mit seinen Knien attackierte.
4
Der von dem Angriff völlig überraschte Angeklagte bekam Luftnot. Er ertastete ein bei I. im Hosenbund steckendes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 15 cm und ergriff es. Damit stach er ihm aus der andauernden Position des „Schwitzkastens“ heraus viermal mit bedingtem Tötungsvorsatz in die Hals- und Oberkörperregion. Nachdem I. die Umklammerung aufgrund der Stiche, von denen zwei tödlich wirkten, gelöst hatte, konnte sich der Angeklagte befreien. Er versetzte ihm abermals mit bedingtem Tötungsvorsatz noch einen weiteren Stich, der den Kopf traf und nicht todesursächlich war.
5
Infolge der gegen die Hals- und Oberkörperregion gerichteten Stiche, die bis in die Brusthöhle reichten und insbesondere zu einer Verletzung der Aorta mit einem massiven Blutverlust führten, sackte I. zusammen. Der Angeklagte ließ das tödlich getroffene Opfer am Tatort zurück und entsorgte das Tatmesser in einem nahgelegenen Bach. Anschließend kehrte er in die Unterkunft zurück, wo er mit seinem Mitbewohner und dessen Freund zu Abend aß, ohne sich etwas anmerken zu lassen.
6
2. Die Schwurgerichtskammer hat hinsichtlich der Messerstiche eine objektive Notwehrlage angenommen, ohne zwischen der Serie der ersten vier Stiche gegen die Hals- und Oberkörperregion und dem nachfolgend gegen den Kopf geführten Stich zu unterscheiden. Jedoch fehle es an der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung. Der Angeklagte habe die Möglichkeit gehabt, in weniger sensible Körperteile des Opfers wie etwa dessen Bein zu stechen und den Angriff auch schon durch einen einzigen Stich endgültig zu beenden (UA S. 6, 22).

II.


7
Der Schuldspruch hat keinen Bestand, da das Landgericht bei seiner Prüfung der Notwehr den anzulegenden rechtlichen Maßstab nicht rechtsfehlerfrei auf die Feststellungen angewendet hat.
8
1. Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100; vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13, NStZ 2014, 147, 148, und vom 1. Juli 2014 – 5 StR 134/14, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 22 mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung ex ante der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden (BGH, Urteile vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140, und vom 8. Juni 2016 – 5 StR 564/15 mwN; Beschluss vom 21. August 2013 – 1 StR 449/13, NJW 2014, 1121, 1122). Danach kann auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe durch Notwehr gerechtfertigt sein. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Die mildere Einsatzform muss im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 13. März 2003 – 3 StR 458/02, NStZ 2004, 615, 616, und vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 20; Beschluss vom 21. März 2001 – 1 StR 48/01, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 15). Dies ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen im Einzelnen darzulegen. Angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Können keine sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens getroffen werden, darf sich das nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, aaO; Beschluss vom 15. November 1994 – 3 StR 393/94, NJW 1995, 973).
9
2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet nach diesen Grundsätzen die Annahme der Schwurgerichtskammer, die Messerstiche, die der Angeklagte seinem Kontrahenten in der Position des „Schwitzkastens“ ver- setzte, in der er Luftnot verspürte und mit den Knien gestoßen wurde, seien nicht erforderlich gewesen. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift unter anderem ausgeführt: „Stiche in die Beine hätten nicht zwingend dazu führen müssen, dass das Tatopfer den Griff um den Hals des Angeklagten gelockert hätte. Eine Verletzung am Bein hätte grundsätzlich einer weiteren Umklammerung des Angeklagten mit dem rechten Arm nicht entgegengestanden. Da die Beine des Geschädigten zudem in Bewegung waren, erscheint es eher fernliegend, dass der Angeklagte darauf vertrauen konnte, den Angreifer in einer Weise in ein Bein zu stechen, die diesen zur Lockerung des Griffs veranlasst hätte.
Weiter ist unklar, ob dem Angeklagten in seiner Position ein koordinierter Stich in die Extremitäten überhaupt möglich gewesen wäre und er dies in der Hektik und Dynamik des affektiv aufgeladenen Geschehens erkannt hat. Eine erfolgversprechende Verteidigung mit einem Messer setzt dagegen typischerweise die Ausnutzung des Überraschungsmoments und den sofortigen Einsatz gegen zentrale Körperregionen des Angreifers voraus. Anderenfalls muss zumindest ein mit dem Messer ungeübter Angreifer damit rechnen, dass zurückhaltend geführte Stiche den Angreifer in Ermangelung ausreichender (Sofort-)Wirkung unbeeindruckt lassen. Der ultimative Charakter des lebensgefährlichen Waffeneinsatzes verpflichtet den Verteidiger nicht dazu, mit seiner Zurückhaltung entgegen den allgemeinen Prinzipien des Notwehrrechts bis zur Selbstgefährdung zu gehen (vgl. Erb in Münchener Kommentar, 2. Aufl., § 32 Rn. 167 mwN, 168). Rechtlich gleichermaßen fragwürdig erscheint die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe auch dadurch die Grenze der erforderlichen Verteidigung überschritten, dass er nicht nur einmal, sondern mehrfach auf Hals und Oberkörper eingestochen habe. Die damit implizierte These, der Angeklagte hätte zunächst die Wirkung eines ersten lebensgefährlichen Stiches abwarten müssen, bevor er mit dem Messer weiter gegen den Angreifer vorging, teilt die Bundesanwaltschaft nicht. Unter Berücksichtigung der situativen Hektik und seiner durch akute Atemnot gekennzeichneten Lage durfte der Angeklagte durchaus mehrfach auf seinen aggressiven Kontrahenten in Oberkörper- und Halsbereich einstechen, und zwar so lange, bis dieser den Griff um den Hals lockerte. Gerade in zugespitzten Situationen ist eine schnelle Wiederholung der Abwehrmaßnahme zur Verteidigung vielfach erforderlich. Bei Messer- stichen ist es (…) kein seltenes Phänomen, dass der Angreifer selbst nach Eintritt schwerer Verletzungen noch mehrere Sekunden voll aktionsfähig bleibt, in denen er dem Verteidiger seinerseits gravierende Verletzungen zufügen kann. Um dieses naheliegende und nicht hinnehmbare Risiko auszuschalten und eine insgesamt ausreichende Effektivität der Verteidigung sicherzustellen , muss man dem in unmittelbarer Bedrängnis befindlichen Verteidiger jedenfalls bei Angriffen gegen den Hals regelmäßig gestatten, ohne zwischenzeitliches Innehalten meh- rere schnell aufeinanderfolgende Stiche anzubringen.“
10
Dem folgt der Senat.
11
3. Der fünfte Stich des Angeklagten gegen den Kopf seines Opfers war hingegen nach den allerdings knappen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen , die das Landgericht im Wesentlichen auf eine unwiderlegte Einlassung des Angeklagten gestützt hat, nicht mehr durch Notwehr gerechtfertigt. Insoweit ist schon nicht ersichtlich, dass noch eine Notwehrlage vorgelegen haben könnte. Der Angeklagte hatte sich aus der Bedrängnis des „Schwitzkastens“ befreien können und weitere Gewalthandlungen gingen von seinem be- reits tödlich getroffenen Kontrahenten nicht mehr aus.
12
4. Über die Sache ist daher neu zu verhandeln und zu entscheiden.
Sander Dölp König
Berger Bellay

(1) Wer sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt, wird schon wegen dieser Beteiligung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 226) verursacht worden ist.

(2) Nach Absatz 1 ist nicht strafbar, wer an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt war, ohne daß ihm dies vorzuwerfen ist.